Steuerberater-Jahrbuch: Steuerberater-Jahrbuch 2022/2023 9783504626693, 9783504388478

Das Steuerberater-Jahrbuch bietet der Beratungspraxis Jahr für Jahr eine detaillierte Auseinandersetzung mit ausgewählte

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Steuerberater-Jahrbuch: Steuerberater-Jahrbuch 2022/2023
 9783504626693, 9783504388478

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
1. Leitthema: Unternehmensteuerrecht 1
Die globale Mindestbesteuerung
Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellschaften
Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellshaften
Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Kapitalgesellschaften
2. Leitthema: Unternehmensteuerrecht 2
Umgesetzte und anstehende steuergesetzgeberische Vorhaben der neuen Bundesregierung
Bestandsaufnahme Optionsmodell
Die neuen Ländererlasse zu § 1 Abs. 2a, Abs. 2b und Abs. 2c GrEStG
3. Leitthema: Unternehmensteuerrecht 3
Aktuelle Entwicklungen im nationalen Umstrukturierungs- und Umwandlungssteuerrecht
Gesellschaftsrechtliche und steuerliche Neuerungen bei grenzüberschreitenden und ausländischen Umwandlungen
Neue Erkenntnisse zur ertragsteuerlichen Organschaft
4. Leitthema: Bilanzsteuerrecht
Rechtsprechungs-Highlights zum Bilanzsteuerrecht
Wirtschaftliches Eigentum als Zuordnungskriterium in der Steuerbilanz: Aktuelle Entwicklungen
Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts
5. Leitthema: Internationales Steuerrecht
Rechtsprechungs-Highlights zum Internationalen Steuerrecht
Grenzüberschreitende Fremdfinanzierung im Konzern
6. Leitthema: Umsatzsteuerrecht
Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht
25f UStG – Folgen der Beteiligung an einer Umsatzsteuerhinterziehung
Umsatzsteuerliche Fallstricke bei innergemeinschaftlichen Lieferungen
Hochaktuelles aus der Rechtsprechung zum Umsatzsteuerrecht
7. Leitthema: Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken
42 AO im Lichte der neueren Rechtsprechung
Aktuelle Steuerfragen zur Verlustverwertung
Aktuelle Steuerfragen rund um Private Equity
Stichwortverzeichnis

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Steuerberater-Jahrbuch 2022/2023

.

Steuerberater-Jahrbuch 2022/2023 zugleich Bericht über den 74. Fachkongress der Steuerberater Köln, 25. und 26. Oktober 2022

Herausgegeben im Auftrag des Fachinstituts der Steuerberater von

Prof. Dr. Thomas Rödder

Prof. Dr. Marcel Krumm

Steuerberater, Wirtschaftsprüfer

Universitätsprofessor

Zitierempfehlung: Verfasser, StbJb. 2022/2023, Seite …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISSN 0081-5519 ISBN 978-3-504-62669-3 ©2023 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Beltz, Bad Langensalza Printed in Germany

Vorwort Der 74. Fachkongress der Steuerberater wurde vom Fachinstitut am 25. und 26. Oktober 2022 im Gürzenich zu Köln veranstaltet. Am Vormittag des ersten Tages widmete sich der Kongress unter dem Leitthema Unternehmenssteuerrecht 1 Fragen der globalen Mindestbesteuerung sowie den „Rechtsprechungs-Highlights“ bei der Besteuerung von Personen- und Kapitalgesellschaften. Das Leitthema Unternehmenssteuerrecht 2 hatte umgesetzte und anstehende steuergesetzgeberische Vorhaben der neuen Bundesregierung zum Gegenstand; es folgten eine Bestandsaufnahme zum Optionsmodell sowie Überlegungen zur Unternehmens-Grunderwerbsteuer, insbesondere zu den neuen Ländererlassen. Schwerpunkte des Leitthemas Unternehmenssteuerrecht 3 waren aktuelle Entwicklungen im nationalen Umstrukturierungs- und Umwandlungssteuerrecht, außerdem standen gesellschaftsrechtliche und steuerliche Neuregelungen bei grenzüberschreitenden und ausländischen Umwandlungen auf dem Programm, ferner neue Erkenntnisse zur ertragsteuerlichen Organschaft. Im Rahmen des Leitthemas Bilanzsteuerrecht widmete sich der Fachkongress „Rechtsprechungs-Highlights“ zum Bilanzsteuerrecht. Der nachfolgende Beitrag erörterte wirtschaftliches Eigentum als Zuordnungskriterium in der Steuerbilanz, und wie jedes Jahr wurde dieser Themenkomplex mit einem Überblick über aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts abgeschlossen. Das Leitthema Internationales Steuerrecht wurde in diesem Jahr wieder mit einem Beitrag zu den „Rechtsprechungs-Highlights“ eröffnet. Die beiden nachfolgenden Vorträge neue Erkenntnisse zur grenzüberschreitenden Fremdfinanzierung im Konzern zum Gegenstand, außerdem aktuelle Praxisfragen der beschränkten Steuerpflicht. Auch am Anfang des Leitthemas Umsatzsteuerrecht stand ein Überblick über die „Rechtsprechungs-Highlights“. Der zweite Vortrag widmete sich Fallstricken bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, und abgeschlossen wurde dieser Themenkomplex mit einem Überblick über Aktuelles aus der Verwaltung. Im Rahmen des Leitthemas Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken wurde über § 42 AO im Lichte der neueren Rechtsprechung berichtet, V

Vorwort

außerdem über aktuelle Steuerfragen zur Verlustverwertung. Gegenstand waren ferner aktuelle Steuerfragen rund um Private Equity. Allen Referenten gilt großer Dank für ihre Mitwirkung. Köln, im September 2023 Thomas Rödder

VI

Marcel Krumm

Inhalt* Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

1. Leitthema: Unternehmensteuerrecht 1 Prof. Dr. Christoph Spengel Universität Mannheim Die globale Mindestbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4

II. EU-Richtlinie zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6

III. Auswirkungen auf das Steueraufkommen in Deutschland . . .

11

IV. Kosten der Steuerdeklaration und der Steueradministration . .

19

V. Herausforderungen einer globalen Mindeststeuer innerhalb der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

VI. Alternativen zur globalen Mindeststeuer . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

Dr. Ulrike Banniza, LL.M. Vorsitzende Richterin am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

I. Beherrschungsidentität bei mittelbarer Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft an einer Besitz-Personengesellschaft . . . . .

35

II. Teilwertansatz im Anwendungsbereich von § 6 Abs. 5 EStG .

40

* Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.

VII

Inhalt Seite

III. Zuordnung von Kapitalbeteiligungen zum Sonderbetriebsvermögen II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

IV. Gewerbesteuerliche Folgen der Weiternutzung eines Wirtschaftsguts im „neuen Betrieb“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

Dr. Martin Strahl Rechtsanwalt, Köln Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

I. Betriebsveräußerung nach Realteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

II. Betriebsunterbrechung über drei Generationen . . . . . . . . . . . . .

63

III. Betriebsaufgabe in festsetzungsverjährter Zeit . . . . . . . . . . . . . .

66

Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen Universitätsprofessor, München Prof. Dr. Thomas Rödder Steuerberater/Wirtschaftsprüfer, Bonn Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

I. Betriebliche Kapitaleinkünfte in der KGaA-Besteuerung . . . . .

73

II. Außerorganschaftlich verursachte Mehrabführungen . . . . . . . .

78

III. Nach-Spaltungs-Veräußerungssperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

IV. § 50d Abs. 3 EStG und Mäanderstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

V. Zufluss bei gespaltener Gewinnverwendung . . . . . . . . . . . . . . .

89

VI. Mittelbare vGA bei nießbrauchbelasteten GmbH-Anteilen . .

93

VIII

Inhalt Seite

2. Leitthema: Unternehmensteuerrecht 2 Prof. Dr. Sebastian Benz Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf Universitätsprofessor Dr. Marcel Krumm Universität Münster, im zweiten Hauptamt Richter am Finanzgericht Münster Umgesetzte und anstehende steuergesetzgeberische Vorhaben der neuen Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 II. Umsetzung des Entlastungspakets III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 III. DAC 7-Umsetzungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 IV. Jahressteuergesetz 2022 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 V. Zweites AO-ÄndG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 VI. Viertes CoronaStHG (insbesondere Neuregelung der Abzinsung von Verbindlichkeiten, § 6 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 3a Buchst. e EStG n.F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 VII. Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts . 161 Dr. Alexander Bohn Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Köln Tim Hannig, M.C.L., EMBA Ministerialrat, Düsseldorf Bestandsaufnahme Optionsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Einführung (Bohn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 II. Grundkonzeption des § 1a KStG (Hannig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 III. Optionsmodell in der praktischen Anwendung – Status Quo . 172 IV. Rechtliche Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 V. Ausblick (Hannig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

IX

Inhalt Seite

Dr. Stefan Behrens Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Frankfurt am Main Dirk Krohn Steueroberamtsrat, Burg/Dithmarschen Die neuen Ländererlasse zu § 1 Abs. 2a, Abs. 2b und Abs. 2c GrEStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 I. Überblick über die im Jahr 2021 in Kraft getretenen Änderungen des GrEStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 II. Die gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG vom 10.5.2022 . . . . . . . . . . . . . 246 III. Die gleich lautenden Ländererlasse zu § 1 Abs. 2c GrEStG vom 4.10.2022 zur sog. Börsenklausel in § 1 Abs. 2c GrEStG . 267 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

3. Leitthema: Unternehmensteuerrecht 3 Thomas Stimpel Regierungsdirektor, Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen Prof. Dr. Andreas Schumacher Steuerberater, Bonn Aktuelle Entwicklungen im nationalen Umstrukturierungs- und Umwandlungssteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 I. Anteilsveräußerung nach Auf- oder Abspaltung (Schumacher) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 II. Fiktiver Formwechsel beim Optionsmodell nach § 1a KStG (Stimpel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 III. Einschränkung der Anwendung der Körperschaftklausel des § 6 Abs. 6 Satz 5 und 6 EStG (Schumacher) . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 IV. Praxisfragen der sonstigen Gegenleistung (Stimpel) . . . . . . . . . 292

X

Inhalt Seite

Prof. Dr. Norbert Schneider Rechtsanwalt/Steuerberater, Düsseldorf Dr. Peter Heinemann Ministerialrat, Düsseldorf Gesellschaftsrechtliche und steuerliche Neuerungen bei grenzüberschreitenden und ausländischen Umwandlungen . . . . . . . 297 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 II. Ausgangslage für grenzüberschreitende Umwandlungen in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 III. Neue Optionen grenzüberschreitender Umwandlungen nach der UmwRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 IV. Sachliche Voraussetzung bei Auslandsumwandlungen: Vergleichbarkeit mit UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 V. Einzelprobleme der Bewertung bei internationalen Umwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 VI. Änderungen beim Rechtstypenvergleich bei ausländischen Umwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 VII. Steuerlicher Übertragungsstichtag bei Auslandsumwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 VIII. Steuerliches Einlagenkonto bei grenzüberschreitenden Umwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 IX. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Alexandra Pung Leitende Regierungsdirektorin, Koblenz Prof. Dr. Stefan Köhler Steuerberater, Eschborn Neue Erkenntnisse zur ertragsteuerlichen Organschaft . . . . . . . . . . . 343 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 II. Historie der Ausgleichsposten-Methode und Entwicklung hin zur Einlagelösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 III. Finanzverwaltung und Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 IV. Zusammenfassung/Ausblick/Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376

XI

Inhalt Seite

4. Leitthema: Bilanzsteuerrecht Dr. Christian Graw Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Bilanzsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . 379 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 II. (Nicht-)Aktivierung einer Sendelizenz als Wirtschaftsgut . . . . 380 III. Rückstellung für Nachbetreuungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 IV. Teilwertzuschreibung auf Fremdwährungsdarlehen (1) . . . . . . 396 V. Teilwertzuschreibung auf Fremdwährungsdarlehen (2) . . . . . . 402 VI. AfA anhand der tatsächlichen Nutzungsdauer . . . . . . . . . . . . . . 409 VII. AfA beim Erwerb eines Anteils an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 VIII. Verfahrensrecht und § 6b EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 IX. § 7g EStG: Erfüllung der Nutzungsvoraussetzungen bei Betriebsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 X. Nachweis der betrieblichen Nutzung eines PKW . . . . . . . . . . . 439 XI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Dr. Anett Albrecht Regierungsdirektorin, Berlin Prof. Dr. Heribert M. Anzinger Ulm Wirtschaftliches Eigentum als Zuordnungskriterium in der Steuerbilanz: Aktuelle Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 II. Gesetzliche Maßstäbe der subjektiven Zuordnung von Wirtschaftsgütern in der Steuerbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 III. Zuordnung von Nutzungsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 IV. Zuordnung von Software . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 V. Zuordnung von Kryptowährungen und Token . . . . . . . . . . . . . . 516

XII

Inhalt Seite

Prof. Dr. Ulrich Prinz Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Köln Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 I. Zum Einstieg: Neue und alte Diskussionen im Bilanzsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 II. Geänderte Gesetzeslage zur Abzinsung von Verbindlichkeiten/Rückstellungen durch Viertes Corona-Steuerhilfegesetz (Fall 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 III. Steuerbilanzielle Behandlung von Gutscheinen aus Kundenbindungsprogrammen (Fall 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 IV. Wirtschaftliches Eigentum und Probebetrieb bei Windkraftanlagen, AfA-Beginn sowie Bilanzierungsfolgen (Fall 3) . . . . . . 538 V. Nur kursorisch: Bilanzierung von Mehrwegpaletten im Pfandsystem (Fall 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 VI. Zum Schluss: Wohin entwickelt sich unser nationales Bilanzsteuerrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547

5. Leitthema: Internationales Steuerrecht Dr. Michael Schwenke Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Internationalen Steuerrecht . . . . 553 I. Konzernfinanzierung: Teilwertabschreibungen . . . . . . . . . . . . . 553 II. Konzernfinanzierung: Zinshöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 III. Update finale Verluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 IV. Entstrickung bei personalloser Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . 564 V. Dreieckssachverhalt und DBA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 VI. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570

XIII

Inhalt Seite

Dr. Wendelin Staats, LL.M. Ministerialrat, Berlin Oliver Nussbaum Global Head of Taxes and Duties, Ludwigshafen Grenzüberschreitende Fremdfinanzierung im Konzern . . . . . . . . . . . 573 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 II. Konkurrenzverhältnis § 1 Abs. 1 AStG und § 8b Abs. 3 S. 7 KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 III. Folgerungen für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen

576

IV. Forderungsverzicht/Teilwertabschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 V. Berücksichtigung des Konzernrückhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 VI. Funktionsschwache Finanzierungsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . 582 VII. Maßgebender Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 VIII. Gewährung zinsloser Darlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584

6. Leitthema: Umsatzsteuerrecht Andreas Treiber Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht . . . . . . . . . . . . 589 I. Umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Überlassung von Kraftfahrzeugen an Arbeitnehmer – viel Lärm um nichts? . . . 589 II. Zuordnung von Gebäuden zum Unternehmensvermögen . . . . 593 III. Vorschaltung einer Holding zur Erlangung eines sonst nicht bestehenden Rechts auf Vorsteuerabzug? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 IV. Rechnungsberichtigung im vermeintlichen § 13b-Fall – kein rückwirkender Vorsteuerabzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 V. Und was ist nun mit der Organschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607

XIV

Inhalt Seite

Axel Jansen Steuerberater, Neuss § 25f UStG – Folgen der Beteiligung an einer Umsatzsteuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 I. Beteiligung an einer Steuerhinterziehung i.S.d. § 25f UStG . . 615 II. Das BMF-Schreiben vom 15.6.2022 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 III. Auswirkungen in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 Robert C. Prätzler Steuerberater, Kronberg Umsatzsteuerliche Fallstricke bei innergemeinschaftlichen Lieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 II. Innergemeinschaftliche Lieferungen – aktuelle Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 III. Reihengeschäfte – Entwurf eines BMF-Schreibens zur Neuregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652 IV. Abschlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658 Dr. Mirko Wolfgang Brill Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Köln/München Mathias Szabó Dipl.-Finanzwirt, Düsseldorf Hochaktuelles aus der Rechtsprechung zum Umsatzsteuerrecht . . 659 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660 II. (Nicht-)Teilbarkeit von umsatzsteuerlichen Leistungen . . . . . 660 III. Abhängigkeit des Vorsteuerabzuges von der Steuerentstehung

665

IV. Pfand als Entgelt von Dritter Seite? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669 V. Umsatzsteuerbefreiung für Kostenteilungsgemeinschaften . . 672

XV

Inhalt Seite

VI. Die umsatzsteuerliche Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 VII. Zuordnungsentscheidung von Gegenständen zum Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 VIII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688

7. Leitthema: Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken Dr. Alexander Mann Ministerialrat, Wiesbaden Dr. Georg Roderburg Rechtsanwalt/Steuerberater, Düsseldorf § 42 AO im Lichte der neueren Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . 691 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692 II. Verhältnis von § 42 AO zu spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692 III. Aktuelle Entwicklungen der Rechtsprechung des BFH . . . . . . 696 IV. Auswirkungen des Unionsrechts auf nationale Missbrauchsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720 Dipl.-Finw. Dr. Martin Klein Rechtsanwalt/Steuerberater, Frankfurt Aktuelle Steuerfragen zur Verlustverwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721 I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721 II. Ausgewählte aktuelle Aspekte der Verlustverwertung . . . . . . . 723 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732

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Franz Hruschka Leitender Regierungsdirektor, München Christian Schatz Rechtsanwalt/Steuerberater, München Aktuelle Steuerfragen rund um Private Equity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735 I. Hybride Strukturen und Private Equity (Franz Hruschka) . . . . 736 II. Management Incentives (RA/StB Christian Schatz) . . . . . . . . . 755 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769

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1. Leitthema: Unternehmensteuerrecht 1

Die globale Mindestbesteuerung Prof. Dr. Christoph Spengel* Universität Mannheim I. Einleitung II. EU-Richtlinie zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung 1. Gewährleistung eines Mindeststeuerniveaus von 15% a) Ergänzungssteuer: Income Inclusion Rule (IIR) und Undertaxed Payments Rule (UTPR) b) Nationale Ergänzungssteuer: Qualified Domestic Minimum Top-up Tax (QDMTT) c) Berechnung der Ergänzungssteuer 2. Berechnung des effektiven Steuersatzes III. Auswirkungen auf das Steueraufkommen in Deutschland 1. Steueraufkommensverluste durch internationale Steuerplanung a) Ergebnisse wissenschaftlicher Studien b) Einschränkungen bei der Schätzung von Steueraufkommensverlusten 2. Konsequenzen einer globalen Mindeststeuer

IV. Kosten der Steuerdeklaration und der Steueradministration V. Herausforderungen einer globalen Mindeststeuer innerhalb der EU 1. Konflikte mit dem EU-Recht 2. Interaktion mit bestehenden steuerlichen Anti-Missbrauchsregelungen 3. Neue Dimensionen des Steuerwettbewerbs a) Steuerliche Präferenzregime b) Tax Rulings c) Steuerliche Gewinnermittlung d) Nationale Ergänzungssteuern (QDMTT) e) Einkommensteuer und Subventionen f) Nicht-kooperatives Verhalten 4. Konsequenzen und Enforcement der EU-Richtlinie VI. Alternativen zur globalen Mindeststeuer 1. Abschaffung steuerlicher Präferenzregime 2. Konsequente Ausweitung bestehender Regelungen VII. Fazit

* Ich danke meinen Mitarbeitern Johannes Gaul, Dr. Daniel Klein, Jessica Müller, Alina Pfrang, Inga Schulz, Stefan Weck, Sophia Wickel und Sarah Winter für ihre Unterstützung bei der Anfertigung dieses Beitrags.

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Spengel, Die globale Mindestbesteuerung

I. Einleitung Im Oktober 2021 haben sich 137 Staaten des „Inclusive Framework on BEPS“ der OECD darauf verständigt, eine Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen in Höhe von 15% als Teil einer grundlegenden Reform der globalen Unternehmensbesteuerung einzuführen. Dadurch soll der internationale Steuerwettbewerb auf 15% begrenzt werden. Nur eine Woche nach der Veröffentlichung der entsprechenden Mustervorschriften der OECD am 14.12.20211 hat die EU-Kommission am 22.12.2021 einen Richtlinienvorschlag für eine EU-weite, globale Mindestbesteuerung vorgelegt.2 Ein Jahr später, in der Nacht vom 15. auf den 16.12.2022, haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten diesen Richtlinienvorschlag3 einstimmig in einem schriftlichen Verfahren angenommen, die Richtlinie ist bis zum 31.12.2023 in nationales Recht umzusetzen. Inzwischen liegen Leitlinien der OECD4 sowie ein 286 Seiten umfassender Referentenentwurf 5 des Bundesministeriums der Finanzen zur Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht vor. 1 Vgl. OECD, Tax Challenges Arising from the Digitalization of the Economy – Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two): Inclusive Framework on BEPS, OECD, Paris, https://www.oecd.org/tax/beps/tax-challenges-arisingfrom-the-digitalisation-of-the-economy-global-anti-base-erosion-model-rules-pil lar-two.htm. 2 Vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen in der Union vom 22.12.2021, COM/2021/823 final, Brüssel. 3 Vgl. Richtlinie (EU) 2022/2523 des Rates vom 14.12.2022 zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen und große inländische Gruppen in der Union, ABl. EU v. 22.12.2022 Nr. L 328/1; Berichtigung der Richtlinie (EU) 2022/2523 des Rates vom 14.12.2022 zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen und große inländische Gruppen in der Union, ABl. EU v. 16.1.2023 Nr. L 13/9. 4 Vgl. OECD, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – Administrative Guidance on the Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two): Inclusive Framework on BEPS, OECD, Paris, www.oecd.org/tax/beps/ad ministrative-guidance-global-anti-base-erosion-rules-pillar-two.pdf. 5 Vgl. Entwurf eines Gesetzes für die Umsetzung der Richtlinie zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen und große inländische Gruppen in der Union und die Umsetzung weiterer Begleitmaßnahmen (Mindestbesteuerungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz – MinBestRL-UmsG), Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen v. 7.7.2023, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestex te/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/20_Legislaturperio

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Spengel, Die globale Mindestbesteuerung

Nach der Annahme der ATAD6 sowie den zahlreichen „Directives on Admistrative Cooperation – DAC“7 zählt die Europäische Union international erneut zu den „First Movern“ unter den großen Wirtschaftsräumen, wenn es um die Implementierung steuerlicher Abwehrgesetzgebung geht. Mein Beitrag geht kritisch mit der Mindeststeuer-Richtlinie um, man hätte ein „pay a fair share of tax“ auch anders und durchaus besser lösen können. Die Annahme der Mindeststeuer-Richtlinie ist zum Schaden Europas. Deutschland zählt zudem als Hochsteuerland8 zu den größten Verlieren dieses Vorhabens. Warum Deutschland unter dem Strich draufzahlen wird, erörterte ich ebenfalls in meinem Beitrag. Es gilt der Rechtsstand zum Ende des Jahres 2022, ausgeblendet wird deswegen auch der o.a. Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen. Nachfolgend stellt Kapitel II zunächst die wichtigsten Inhalte der Mindeststeuerrichtlinie vor. Im Anschluss referiert Kapitel III anhand vorliegender empirischer Untersuchungen die Auswirkungen der globalen Mindeststeuer für das Steueraufkommen in Europa und in Deutschland. Das sich anschließende Kapitel IV referiert aktuelle Schätzungen, welche Kosten die globale Mindeststeuer für die Steuerdeklaration und Steueradministration in Deutschland generiert. Kapitel V diskutiert die Herausforderungen der globalen Mindeststeuer innerhalb der EU, die sich aufgrund des primären EU-Rechts, der Interaktion mit bestehenden steuerlichen Anti-Missbrauchsregelungen sowie neuen Dimensionen des internationalen Steuerwettbewerbs stellen. Schließlich erörtert Kapitel VI sich aufdrängende Alternativen zur globalen Mindeststeuer. Kapitel VII zieht ein abschließendes Fazit.

de/2023-03-20-MinBestRL-UmsG/1-Referentenentwurf.pdf?__blob=publication File&v=3. Vgl. dazu Kowallik, DB 2023, 1760 ff. 6 Vgl. Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts, ABl. EU v. 19.7.2016 Nr. L 193/1. 7 Zum Überblick zu den DAC vgl. European Commission, https://taxation-cus toms.ec.europa.eu/taxation-1/tax-co-operation-and-control/general-overview/en hanced-administrative-cooperation-field-direct-taxation_en. 8 Vgl. ZEW, Deutschland riskiert seine steuerliche Standortattraktivität, Mannheim, 2023, https://www.zew.de/presse/pressearchiv/deutschland-riskiert-sei ne-steuerliche-standortattraktivitaet.

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Spengel, Die globale Mindestbesteuerung

II. EU-Richtlinie zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung 1. Gewährleistung eines Mindeststeuerniveaus von 15% a) Ergänzungssteuer: Income Inclusion Rule (IIR) und Undertaxed Payments Rule (UTPR) In den Anwendungsbereich der Richtlinie zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen in der Union fallen Unternehmen mit Ansässigkeit in der Europäischen Union, die Teil eines multinationalen Konzerns sind, der in mindestens zwei der vier vorangegangenen Jahre einen konsolidierten Konzernumsatz in Höhe von mindestens 750 Mio. t erzielt hat. Darüber hinaus werden auch rein inländische Unternehmensgruppen bei Erreichen dieser Umsatzschwelle vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst (Art. 2 Richtlinie). Wesentliches Element der globalen Mindeststeuer ist die sogenannte Ergänzungssteuer („Top-up Tax“), die erhoben wird, wenn ein Konzern das Mindeststeuerniveau von 15% in einem Land unterschreitet. Damit soll dem internationalen Steuerwettbewerb eine Untergrenze gegeben werden.9 Für die Erhebung der Ergänzungssteuer kommen zwei komplementäre Regelungen in Betracht: die Income Inclusion Rule (IIR) und die Undertaxed Payments Rule (UTPR). Die IIR ist der Primärmechanismus und folgt einem Top-Down-Ansatz. Demnach ist die Konzernobergesellschaft dazu verpflichtet, die Ergänzungssteuer für niedrig besteuerte, untergeordnete Konzerngesellschaften zu entrichten (Art. 5 Richtlinie). Die Einkünfte dieser niedrig besteuerten Tochtergesellschaften werden im Rahmen der IIR in die inländische Bemessungsgrundlage der Konzernobergesellschaft einbezogen und in Höhe der Differenz zwischen der Mindeststeuer und der niedrigeren ausländischen Effektivbelastung nachversteuert. Die UTPR findet hingegen Anwendung, wenn die IIR vom Ansässigkeitsstaat der obersten oder einer zwischengeschalteten Muttergesellschaft nicht eingeführt wurde (Art. 12 Richtlinie). Durch die UTPR wird die Ergänzungssteuer im Ansässigkeitsstaat der unter-

9 Vgl. OECD, Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy, Paris, https://www.oecd.org/tax/beps/brochu re-two-pillar-solution-to-address-the-tax-challenges-arising-from-the-digitalisa tion-of-the-economy-october-2021.pdf.

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geordneten Gesellschaften über die Versagung des Betriebsausgabenabzugs erhoben. Beispiel 1 (IIR): Eine in Deutschland ansässige Konzernobergesellschaft ist zu jeweils 100% an zwei operativen Tochtergesellschaften in Irland und Finnland beteiligt. Alle Staaten haben annahmegemäß die Richtlinie der Europäischen Kommission in nationales Recht umgesetzt. Der Konzern fällt in den Anwendungsbereich der Mindeststeuer, wobei die effektiven Steuersätze des Konzerns in Deutschland 30%, in Finnland 20% und in Irland 12,5% betragen. Somit fällt für die in Irland erwirtschafteten Gewinne eine Ergänzungssteuer in Höhe von 2,5% an. Diese wird mittels IIR bei der Konzernobergesellschaft in Deutschland erhoben, da die IIR gegenüber der UTPR vorrangig Anwendung findet. Beispiel 2 (UTPR): Eine auf den Bermudas ansässige Konzernobergesellschaft ist zu jeweils 100% an einer Finanz-Konzerngesellschaft auf den Bermudas sowie an einer operativen Tochtergesellschaft in Deutschland beteiligt. Durch Überschreiten der Umsatzschwelle von 750 Mrd. t und der Ansässigkeit einer Konzerngesellschaft in der EU (hier: Deutschland) fällt der Konzern in den Anwendungsbereich der globalen Mindeststeuer. Während Deutschland die Richtlinie der Europäischen Kommission in nationales Recht implementiert hat, wurde die globale Mindeststeuer auf den Bermudas nicht eingeführt. Der effektive Steuersatz beträgt in Deutschland 30% und auf den Bermudas 0%. Folglich unterliegen die Gewinne der Gesellschaften auf den Bermudas einer Ergänzungssteuer in Höhe von 15%. Da im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft, den Bermudas, keine IIR implementiert wurde, ist der Anwendungsbereich der UTPR in Deutschland eröffnet. Die Ergänzungssteuer wird daher bei der operativen Gesellschaft in Deutschland in Form eines anteiligen Betriebsausgabenabzugsverbots erhoben.

b) Nationale Ergänzungssteuer: Qualified Domestic Minimum Top-up Tax (QDMTT) Zusätzlich können Staaten auch eine so genannte anerkannte nationale Ergänzungssteuer („Qualified Domestic Minimum Top-up Tax“, QDMTT) einführen. Die QDMTT stellt für Niedrigsteuerländer eine Möglichkeit dar, eine Ergänzungssteuer von in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen, niedrig besteuerten Konzerngesellschaften selbst einzubehalten (Art. 11 Richtlinie). Somit ermöglicht die QDMTT diesen Staaten die effektive Besteuerung in Höhe von 15% der im Inland erwirtschafteten und der Mindeststeuer unterliegenden Unternehmensgewinne, ohne dass für Unternehmen außerhalb des Anwendungsbereichs der globalen Mindeststeuer dasselbe Steuerniveau gilt. Die QDMTT stärkt folglich vorrangig das Besteuerungsrecht von Niedrigsteuerländern. Denn werden niedrig besteuerte Gewinne im Ansässigkeitsstaat der betreffenden Konzerngesellschaft bereits durch die QDMTT nachversteuert, ist die Konzernobergesellschaft bei Anwendung der IIR dazu verpflichtet, die 7

Spengel, Die globale Mindestbesteuerung

QDMTT auf die Ergänzungssteuer anzurechnen. Im Ergebnis findet die QDMTT somit vorrangig vor der IIR und der UTPR Anwendung. Beispiel 3 (QDMTT): Fortführung von Beispiel 1. Für den Fall, dass Irland eine QDMTT implementiert hat, wird zunächst diese erhoben. Irland behält die Ergänzungssteuer in Höhe von 2,5% im Rahmen der QDMTT ein. Deutschland ist verpflichtet, die QDMTT im Rahmen der IIR auf die Ergänzungssteuer anrechnen, so dass kein Aufkommen für Deutschland entsteht.

c) Berechnung der Ergänzungssteuer Die Ergänzungssteuer wird auf Ebene der Konzernobergesellschaft unter länderbezogener Betrachtungsweise („Jurisdictional Blending“) berechnet. Danach werden die Konzernerträge sowie die Steuerlast sämtlicher in einem Staat ansässigen Konzerneinheiten zusammengefasst. Hat ein Quellenstaat Q eine QDMTT implementiert, wird diese zunächst für alle in diesem Staat ansässigen Geschäftseinheiten des Konzerns I wie folgt ermittelt (Art. 11 Richtlinie): QDMTTIQ

= (15% – effektiver SteuersatzIQ) * (GloBE EinkommenIQ – substanzbasierte EinkommensbefreiungIQ)

Im Rahmen der IIR wird die Ergänzungssteuer auf Ebene der Konzernobergesellschaft für jeden Staat Q, in dem Geschäftseinheiten des Konzerns I ansässig sind, anschließend wie folgt berechnet (Art. 26 Richtlinie): ErgänzungssteuerIQ

= (15% – effektiver SteuersatzIQ) * (GloBE EinkommenIQ – substanzbasierte EinkommensbefreiungIQ) - QDMTTIQ

Die Summe der Ergänzungssteuern für alle Staaten Q, in denen Geschäftseinheiten des Konzerns I tätig sind, wird an den Fiskus des Ansässigkeitsstaats der Konzernobergesellschaft abgeführt (Art. 5 Richtlinie). Gleichzeitig muss die Ergänzungssteuer für alle in einem Staat Q ansässigen Geschäftseinheiten i aufgeteilt werden. Die Verteilung erfolgt dabei anteilig nach den sogenannten Übergewinnen der einzelnen Geschäftseinheiten (Art. 27 Richtlinie): ErgänzungssteuerI

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= ErgänzungssteuerIQ * (ÜbergewinnI/ÜbergewinnIQ)

Spengel, Die globale Mindestbesteuerung

Die Übergewinne stellen die Differenz des GloBE Einkommens und der substanzbasierten Einkommensbefreiungen („Substance-based Carveout“) dar.10 Durch die substanzbasierten Einkommensbefreiungen wird ein Routinegewinn aus Sachanlagevermögen und Lohnkosten von der Ergänzungssteuer ausgenommen, so dass die Mindeststeuer lediglich auf den Übergewinn erhoben wird. Die substanzbasierte Einkommensbefreiung beträgt im Jahr der Einführung der globalen Mindeststeuer 8% des Buchwerts des Sachanlagevermögens zuzüglich 10% der Lohnsumme. In einer Übergangsphase von zehn Jahren sollen beide Prozentsätze kontinuierlich auf 5% reduziert werden (Art. 28 iVm. Art. 48 Richtlinie). Durch diese Regelung ist die Wirkung der Mindeststeuer in Staaten, in denen Substanz in Form von materiellen Wirtschaftsgütern und Beschäftigung vorhanden ist, stark eingeschränkt.

2. Berechnung des effektiven Steuersatzes Der effektive Steuersatz eines Konzerns in einem Staat ergibt sich aus dem Verhältnis der angepassten erfassten Steuern („Covered Taxes“) aller Einheiten in einem Staat zu dem GloBE Einkommen dieser Einheiten in demselben Staat. Ausgangspunkt für die Berechnung des GloBE Einkommens sind die auf Basis externer Rechnungslegungsstandards ermittelten Nettoerträge bzw. -verluste, welche durch verschiedene steuerliche Überleitungsrechnungen anzupassen sind (Art. 16 Richtlinie). Für die erfassten Steuern dient der laufende Steueraufwand nach externen Rechnungslegungsstandards als Ausgangsgröße, der wiederum um temporäre Differenzen durch die Berücksichtigung von latenten Steuern anzupassen ist (Art. 20 ff. Richtlinie): Effektiver SteuersatzIQ =

Laufender SteueraufwandIQ + latente SteuernIQ GloBE EinkommenIQ

Liegt der auf diese Weise ermittelte effektive Steuersatz aller Konzerneinheiten innerhalb eines Staats unter dem Mindeststeuerniveau, kann dieser durch die Implementierung einer QDMTT die Erhebung der Ergänzungssteuer IIR im Ansässigkeitsstaat der Konzernobergesellschaft vermeiden. Das Steuermehraufkommen durch die QDMTT steht somit dem Quellenstaat, das heißt dem Niedrigsteuerland, zu. Beispiel 4 veranschaulicht dieses Szenario.

10 Vgl. dazu auch Kowallik, DB 2023, 352 ff.; Stauske/Schmidt, DB 2023, 1698 ff.

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Spengel, Die globale Mindestbesteuerung Beispiel 4 (Ausgangsfall: Niedriger effektiver Steuersatz und Korrektur durch Erhebung einer QDMTT): Der Erwerb eines Wirtschaftsguts zu 1.000 Geldeinheiten (GE) einer der Mindeststeuer unterliegenden Konzerngesellschaft wird nach IFRS und in der Steuerbilanz linear über fünf Jahre abgeschrieben. Beträgt der nominale Steuersatz 10% und der Gewinn vor Steuern und Abschreibungen 1.000 GE, ergibt sich nach IFRS und Steuerbilanz ein Gewinn vor Steuern von 800 GE (GloBE Einkommen) und eine Steuerlast von 80 GE. Da die Steuerlast unter dem Mindeststeuerniveau liegt, wird eine Ergänzungssteuer bzw. QDMTT in Höhe von 40 GE einbehalten, um den effektiven Steuersatz auf 15% (= (80 GE + 40 GE)/800 GE) zu erhöhen.

Zu beachten ist, dass auch latente Steuern den effektiven Steuersatz beeinflussen. Steuerlatenzen entstehen infolge temporärer Differenzen zwischen der nationalen steuerlichen Bilanzierung und der Bilanzierung nach International Financial Reporting Standards (IFRS). Dabei erhöhen latente Steueraufwendungen den effektiven Steuersatz und können dazu führen, dass ein Konzern überhaupt keine Ergänzungssteuer zahlen muss. Latente Steueraufwendungen entstehen regelmäßig, falls Aufwendungen steuerlich früher verrechnet werden können als nach den IFRS, also bspw. im Fall beschleunigter steuerlicher Abschreibungen oder Sofortabschreibungen. Alternativ zur Erhebung einer QDMTT können niedrigbesteuernde Quellenstaaten somit den nominalen Steuersatz erhöhen und gleichzeitig steuerliche Sofortabschreibungen einführen, um die Erhebung der Ergänzungssteuer IIR im Ansässigkeitsstaat der Konzernobergesellschaft zu vermeiden.11 Beispiel 5 veranschaulicht den Einfluss steuerlicher Sofortabschreibungen auf den effektiven Steuersatz. Beispiel 5 (Einfluss latenter Steueraufwendungen auf den effektiven Steuersatz): Alternativ zu Beispiel 4 entschließt sich ein Quellenstaat dazu, den nominalen Steuersatz von 10% auf 15% zu erhöhen und gleichzeitig eine steuerliche Sofortabschreibung einzuführen. Der Gewinn nach IFRS (GloBE Einkommen) beträgt im ersten Jahr weiterhin 800 GE vor Steuern. In der Steuerbilanz ergibt sich jedoch durch die vollständige Abschreibung des Wirtschaftsguts ein Vorsteuergewinn in Höhe von 0 GE. Die vorteilhafte steuerliche Abschreibung führt zu latenten Steueraufwendungen in Höhe von 120 GE (= 15% × 800 GE) im ersten Jahr. Somit ergibt sich ein effektiver Steuersatz von 15% (= (0 GE + 120 GE)/800 GE), obwohl keine Steuern gezahlt wurden. Dieser Effekt kehrt sich in den vier folgenden Jahren um. Die jährlich zu entrichtenden Steuern (150 GE) sind höher als die 11 Vgl. Spengel, StuW 2022, 189 (190); Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, OECD-Reform der Besteuerung multinationaler Unternehmen – Besteuerung in Marktländern und globale Mindeststeuer auf dem Prüfstand, Stellungnahme 1/2022, Berlin, 15 ff.

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Spengel, Die globale Mindestbesteuerung Steuerlast, die sich unter Zugrundelegung der handelsrechtlichen Abschreibungsregeln errechnet (120 GE). Hierdurch ist eine Auflösung der latenten Steuerverbindlichkeiten erforderlich, welche zu latenten Steuererträgen in Höhe von 30 GE pro Jahr führt. Somit ergibt sich in den vier Folgejahren ebenfalls eine effektive Steuerbelastung von 15% (= (150 GE – 30 GE)/800 GE).

Im Ergebnis entstehen durch die steuerliche Sofortabschreibung und Berücksichtigung der latenten Steuern in der Kalkulation des effektiven Steuersatzes positive Liquiditäts- und Zeiteffekte für Unternehmen und Steuerwettbewerbsanreize für Staaten. Ferner kann durch wiederholten Erwerb des Wirtschaftsguts in den Folgeperioden die Steuerquote von Unternehmen nachhaltig reduziert werden. Ohne eine weltweite Harmonisierung der steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften wird eine globale Mindeststeuer nicht funktionieren, da sie insbesondere durch steuerliche Sonderabschreibungen und Sofortabschreibungen ausgehebelt werden kann.

III. Auswirkungen auf das Steueraufkommen in Deutschland 1. Steueraufkommensverluste durch internationale Steuerplanung a) Ergebnisse wissenschaftlicher Studien Das BEPS-Projekt der OECD12 und somit auch die Bestrebungen zur Einführung einer globalen Mindestbesteuerung als dessen aktuellster Ausfluss wurde im Jahr 2012 angestoßen durch Medienberichte über komplexe Steuerplanungsstrategien einiger US-amerikanischer Konzerne. Dabei wurde ua. bekannt, dass Konzerne wie Apple Inc. oder Google Inc. effektiv weniger als 5% Steuern auf ihre außerhalb der USA erzielten Gewinne zahlen.13 Von Beginn an ist das BEPS-Projekt höchst emotional getrieben, ohne dass evidenzbasierte Zahlen zum Ausmaß der Steueraufkommensverluste durch vermeintlich „aggressive“ Steuerplanung vorgelegt wurden. Zeitgleich mit dem Beginn des BEPS-Projekts bezifferte eine Studie von

12 Siehe hierzu die BEPS-Internetseite der OECD, https://www.oecd.org/berlin/ themen/beps/. Vgl. auch Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung9, 80 ff. 13 Vgl. Sullivan, TNI 2012, 655.

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Spengel, Die globale Mindestbesteuerung

Richard Murphy und Tax Research aus dem Jahr 201214 den sich aus illegaler Steuerhinterziehung und legaler Steuerplanung ergebenden Steueraufkommensverlust innerhalb der EU auf rund 1 Bio. t. Davon sollen ca. 150 Mrd. t auf legale Steuerplanung entfallen. Diese Schätzung basiert auf aggregierten Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung („National Accounts“) aus dem Jahr 2009, was methodisch höchst umstritten ist.15 Dessen ungeachtet präsentierte Murphy im Januar 2019 eine aktualisierte Version der Studie16 auf Basis von Daten aus dem Jahr 2015, die weiterhin am Gesamtsteuerausfall von 1 Bio. t festhält, den Anteil, der auf legale Steuerplanung entfällt, jetzt zwischen 50 und 190 Mrd. t beziffert. Näher begründet wird diese beachtliche Bandbreite von 140 Mrd. t aber nicht. Ähnlich umstritten sind frühe Schätzungen zu Aufkommensverlusten, die legale Steuerplanung deutscher Konzerne angeblich verursacht haben. Zu nennen ist insbesondere die im Jahr 2007 veröffentlichte Studie des DIW,17 deren Ergebnisse maßgeblich zur Begründung steuerverschärfender Maßnahmen im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 in Deutschland (ua. Funktionsverlagerung und Zinsscharanke) herangezogen wurden. Das DIW vergleicht die in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) ausgewiesenen Unternehmensgewinne der Kapitalgesellschaften mit dem Gesamtbetrag der Einkünfte im Sinne der VGR, dh. allen steuerpflichtigen Einkünften vor Verlustverrechnung und Abzug von Freibeträgen der Personen- und Kapitalgesellschaften laut den Steuerstatistiken des Statistischen Bundesamtes. Im Ergebnis werden für die betrachteten Gewinnfälle im Jahr 2001 überschießende Unternehmensgewinne nach VGR von knapp 100 Mrd. t ermittelt. Legt man die im Jahr 2001 geltende tarifliche Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften in Deutschland von 38,7% zugrunde, entspricht dies einem Steuerausfall von 38,7 Mrd. t. Dieser liegt nur unwesentlich unter der von Richard Murphy und Tax Research im Jahr 2019 für die gesamte EU geschätzte Untergrenze von 50 Mrd. t, dh. allein deutsche Konzerne trü14 Vgl. Murphy/Tax Research, Clothing the European Tax Gap. A report for Group of the Progressive Alliance of Socialists & Democrats in the European Parliament, 2012. 15 Vgl. Fuest/Spengel/Finke/Heckemeyer/Nusser, World Tax Journal 2013, 314. 16 Vgl. Murphy/Tax Research, The European Tax Gap. A report for the Socialists and Democrats Group in the European Parliament, 2019. 17 Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Unternehmensbesteuerung: Trotz hoher Steuersätze mäßiges Aufkommen, DIW Wochenbericht Nr. 5/ 2007, 57–65.

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gen danach 77,4% (38,7/50) zu den gesamten durch Steuerplanung verursachten Steuerausausfällen innerhalb der EU bei. Eine eigene Replikation der DIW-Studie hat deren offensichtliche methodische Fehler aufgezeigt. Danach liegt die Höchstgrenze der überschießenden Unternehmensgewinne nach VGR im Jahr 2001 lediglich bei 20 Mrd. t und der maximale Steuerausfall unter Zugrundelegung des tariflichen Steuersatzes von 38,7% bei 7,7 Mrd. t.18 Die gerade referierten Studien zur Gewinnverlagerung, die aggregierte Daten nutzen, weisen weite Streubreiten an Schätzergebnissen aus und sind methodisch höchst fragwürdig. Sachgerechter sind Studien, welche unternehmensspezifische Daten nutzen, wie dies bei zwei aktuellen Studien des Münchener ifo Instituts der Fall ist. Beide Studien benutzen für ihre Schätzungen Country-by-Country Reports (CbCR) deutscher Konzerne, welche infolge der DAC419 seit 2016 der deutschen Finanzverwaltung zu übermitteln sind. Die CbC-Reports beziehen sämtliche Länder ein, in denen multinationale Konzerne operativ tätig sind. Aufgrund dieser detaillierteren Datengrundlage liefern diese Schätzungen wesentlich bessere Erkenntnisse über das tatsächliche Ausmaß der Gewinnverlagerung durch legale Steuerplanung. Die erste Studie des ifo Instituts basiert auf einem Datensatz über den Zeitraum von 2016 bis 2017. Erfasst sind alle Berichte deutscher Konzerne, die im Anwendungsbereich des OECD CbCR-Standards sowie auch in jenem der globalen Mindeststeuer liegen, also konsolidierte Umsätze von mindestens 750 Mio. t pro Jahr ausweisen. Gemäß der Studie verlagern deutsche multinationale Konzerne jährlich Gewinne in Höhe von etwa 5,4 Mrd. t aus Deutschland heraus, woraus Steuermindereinnahmen in Höhe von 1,6 Mrd. t pro Jahr resultieren. Skaliert auf ausländische Unternehmen, die in Deutschland tätig sind, und Unternehmen, die unterhalb der Umsatzschwelle von 750 Mio. t liegen, ergeben sich jährliche Steuereinbußen in Deutschland von rund 5,7 Mrd. t.20 Der zweiten Studie des ifo Instituts liegen die CbCR-Daten aller Konzerne zugrunde, die in Deutschland tätig sind. Erfasst sind also auch 18 Vgl. Heckemeyer/Spengel, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2008, 37 ff. 19 Vgl. Richtlinie (EU) 2016/881 des Rates vom 25.5.2016 zur Änderung der RL 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (Amtshilferichtlinie), ABl. EU v. 3.6.2016 Nr. L 146/8. 20 Vgl. Fuest/Hugger/Neumeier, Journal of Economic Behavior & Organization 2022, 454 ff.

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Konzerne mit Hauptsitz außerhalb Deutschlands. Der Datensatz umfasst die Berichtsjahre 2016 bis 2019 und ist somit auch in zeitlicher Hinsicht umfangreicher als jener der ersten Studie. Auf Basis dieser erweiterten Datengrundlage beläuft sich das Ausmaß der jährlichen steuermotivierten Gewinnverkürzung in Deutschland auf 7,7 Mrd. t bis 10,9 Mrd. t. Die damit einhergehenden, jährlichen Steuerausfälle belaufen sich auf 1,4 bis 2 Mrd. t.21 Die Schätzungen des ifo Instituts, die auf der derzeit verlässlichsten Datengrundlage basieren, lassen darauf schließen, dass das tatsächliche Ausmaß der durch Gewinnverlagerungen verursachten Steueraufkommensverluste in Deutschland höchstens etwa 2 Mrd. t pro Jahr beträgt. b) Einschränkungen bei der Schätzung von Steueraufkommensverlusten CbC-Reports stellen derzeit die beste verfügbare Datengrundlage für die Schätzung des Ausmaßes der Gewinnverlagerung multinationaler Konzerne sowie der damit einhergehenden Steueraufkommensverluste dar. Allerdings sind auch auf diesen Daten basierende Studien einigen Einschränkungen ausgesetzt, die nachfolgend erörtert werden. Im Hinblick auf die Qualität und Vergleichbarkeit der Daten ist zum einen herauszustellen, dass unklar ist, welche Zahlenwerke die Unternehmen tatsächlich zur Verfügung stellen. Für die CbC-Reports existieren keine verbindlichen Rechnungslegungsstandards.22 So ist nicht zu erkennen, ob Angaben aus der Handels- oder Steuerbilanz stammen, ob sie auf nationalen oder internationalen Rechnungslegungsstandards oder gar auf Daten des Controllings beruhen. Zum anderen besteht das Problem der Doppelzählung („double counting“) von Schachteldividenden.23 Wenn beispielsweise eine Tochtergesellschaft in Land A einen Gewinn erzielt, diesen nach Steuern als Dividende an die Muttergesellschaft in Land B ausschüttet und die Muttergesellschaft diese Dividende ebenfalls als Gewinn ausweist, werden die Vorsteuergewinne zu hoch 21 Vgl. Fuest/Hugger/Neumeier, Grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen innerhalb von Unternehmensgruppen – Ausmaß und Reformoptionen. Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen, 2022, München. 22 Vgl. OECD, Guidance on the Preparation of Aggregated and Anonymised Analyses of Country-by-Country Reports, 2018, Paris. 23 Vgl. Blouin/Robinson, Double Counting Accounting: How Much Profit of Multinational Enterprises Is Really in Tax Havens?, https://dx.doi.org/10. 2139/ssrn.3491451.

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berichtet und systematisch verzerrte, zu niedrige Effektivsteuersätze für die Muttergesellschaft in Land B ausgewiesen. In zeitlicher Hinsicht sind die den Studien des ifo Instituts zugrundeliegenden CbC-Reports auf die Jahre 2016 bis 2019 beschränkt. Damit bleiben die Konsequenzen zahlreicher gesetzgeberischer Maßnahmen zur Eindämmung internationaler Steuerplanung, die im Kontext des BEPSProjekts der OECD zwischenzeitlich beschlossen und umgesetzt wurden, für das Steueraufkommen unberücksichtigt. Die oben angesprochenen Studien überschätzen deshalb vermutlich die durch Steuerplanung verursachten Aufkommensverluste. Auf EU-Ebene betrifft dies erstens die „Anti-Tax Avoidance Directive“ (ATAD), die im Jahr 2016 vom Rat angenommen wurde.24 Als Richtlinie setzt die ATAD EU-weit einheitliche und rechtlich bindende Mindeststandards. Die Umsetzung der ATAD in den Mitgliedstaaten sollte spätestens zu Beginn des Jahres 2020 erfolgen. Insgesamt umfasst die ATAD fünf Maßnahmen, die gängige Steuerplanungspraktiken in der EU bekämpfen sollen:25 –

Die Zinsschranke begrenzt die Abzugsfähigkeit von Zinszahlungen.



Die Wegzugsbesteuerung besagt, dass Vermögensübertragungen in einen anderen Mitgliedstaat oder in ein Drittland der Besteuerung unterliegen.



Die allgemeine Anti-Missbrauchsvorschrift soll Steuerplanung entgegenwirken, wenn keine spezifischere Vorschrift greift.



Die Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung schreiben vor, dass bestimmte, niedrig besteuerte Einkünfte beherrschter ausländischer Tochtergesellschaften beim inländischen Gesellschafter besteuert werden können.



Die Vorschriften zu hybriden Gestaltungen regeln Situationen, bei denen es durch Doppelbesteuerungsabkommen zu Qualifikationskonflikten bei Einkünften kommen kann. Diese sollen durch Versagung der Freistellung ausländischer Einkünfte bzw. durch Abzugsverbote bestimmter Zahlungen vermieden werden.

24 Vgl. Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts, ABl. EU v. 19.7.2016 Nr. L 193/1. 25 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung9, 161 ff.

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Im Ergebnis schränkt die ATAD spätestens seit dem Jahr 2020 eine Vielzahl von Steuerplanungsmöglichkeiten ein. Daher ist zu erwarten, dass sich hieraus bereits Rückgänge in der Gewinnverlagerung ergeben haben. Über die tatsächliche Wirkung der ATAD-Maßnahmen auf das Ausmaß der Gewinnverlagerung multinationaler Konzerne kann durch die differierenden Umsetzungsfristen der Maßnahmen jedoch noch keine abschließende Beurteilung abgegeben werden. Neben der ATAD hat der EU-Rat zweitens eine Richtlinie zum vertraulichen CbCR verabschiedet,26 die nun in eine generelle Offenlegungspflicht des CbCR für große multinationale Konzerne münden soll. Die Maßnahme soll das vertrauliche CbCR ergänzen sowie zusätzliche Steuertransparenz und eine bessere öffentliche Kontrolle dieser Konzerne bewirken. Ende 2021 trat die Änderungsrichtlinie des CbCR in Kraft,27 welche große multinationale Konzerne dazu verpflichtet, für alle Wirtschaftsjahre, die nach dem 21.6.2024 beginnen, länderbezogene Informationen öffentlich darzulegen. Weitere Meldepflichten resultieren aus der Richtlinie bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen (DAC6).28 Hiernach müssen Unternehmen und Intermediäre, wie Steuerberater oder Rechtsanwälte, bestimmte grenzüberschreitende Steuergestaltungen an die Steuerbehörden berichten. Die Richtlinie wurde in Deutschland im Juli 2020 umgesetzt und Meldungen haben zeitnah für sämtliche seit dem 25.6.2018 durchgeführten Gestaltungen zu erfolgen. Auch diese Maßnahme soll zur Verhinderung der Gewinnverlagerungen durch Unternehmen beitragen. Beim Bundeszentralamt für Steuern gingen in Folge der umgesetzten Richtlinie im Jahr 2021 mehr als 8.500 26 Vgl. Richtlinie (EU) 2016/881 des Rates vom 25.5.2016 zur Änderung der RL 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (Amtshilferichtlinie), ABl. EU v. 3.6.2016 Nr. L 146/8. 27 Vgl. Richtlinie (EU) 2021/2101 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.11.2021 zur Änderung der RL 2013/34/EU im Hinblick auf die Offenlegung von Ertragsteuerinformationen durch bestimmte Unternehmen und Zweigniederlassungen, ABl. EU v. 1.12.2021 Nr. L 249/1. 28 Vgl. Richtlinie (EU) 2018/822 des vom 25.5.2018 bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen, zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU, ABl. EU 2018, S. L 139/1. Vgl. dazu Casi/Chen/Orlic/Spengel, World Tax Journal 2021, 63 ff.

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Meldungen ein, zusätzlich wurden knapp 1.400 Mitteilungen anderer EU-Mitgliedstaaten gesichtet. Bisher resultieren daraus jedoch keine Gesetzesinitiativen. Die Auswertungen ergaben im Gegenteil, dass viele der angezeigten Gestaltungen durch zwischenzeitlich umgesetzte Gesetzesinitiativen, wie das ATAD-Umsetzungsgesetz oder das Steueroasen-Abwehrgesetz, unterbunden worden sind.29 Die auf Basis der CbC-Reports für die Berichtsjahre 2016 bis 2019 erstellten Schätzungen der verursachten Steueraufkommensverluste müssen unter diesen durch die Datenqualität und deren Zeitbezug verursachten Einschränkungen betrachtet werden.

2. Konsequenzen einer globalen Mindeststeuer Die für die vergangenheitsbezogenen Schätzungen zu Steuerverlusten festgestellten Einschränkungen gelten ungleich stärker für die Schätzungen zu Auswirkungen der globalen Mindeststeuer auf das Steueraufkommen von Staaten. Neben der beschriebenen unvollständigen Datenlage erschweren die zu erwartenden Verhaltensanpassungen von Unternehmen und Staaten die Approximationen. Sämtliche Schätzungen müssen sich daher auf Annahmen stützen. Insbesondere beschränken sich die Studien auf die Auswirkungen einer global eingeführten „Income Inclusion Rule“ (IIR). Vernachlässigt werden die „Undertaxed Payments Rule“ (UTPR) und insbesondere die „Qualified Domestic Minimum Top-up Tax“ (QDMTT). Die verlässlichste Aufkommensschätzung kann der oben angesprochenen Studie des Münchener ifo Instituts aus dem Jahr 2022 entnommen werden.30 Wie bereits erwähnt, basieren die Schätzergebnisse auf CbCRDaten der Jahre 2016 bis 2019 von sämtlichen Konzernen, die in Deutschland tätig sind. Aufgrund der identischen Anwendungsbereiche des CbCR-Standards und der globalen Mindeststeuer (konsolidierte Um-

29 Vgl. Bundesministerium für Finanzen, Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen; Bericht zur Information des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zum 1.6.2022 (Artikel 97 § 33 Absatz 4 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung), 2022. 30 Vgl. Fuest/Hugger/Neumeier, Grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen innerhalb von Unternehmensgruppen – Ausmaß und Reformoptionen. Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen, 2022, München.

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sätze von mindestens 750 Mio. t pro Jahr) kann grundsätzlich von einer Vollerhebung der betroffenen Konzerne ausgegangen werden.31 Kommt es zu einer globalen Mindestbesteuerung mittels IIR ohne substanzbasierte Einkommensbefreiungen („Carve Outs“), schätzt das ifo Institut ein Mehraufkommen für Deutschland in Höhe von 6,7 Mrd. t pro Jahr. Tatsächlich wird das Aufkommen durch die Einführung einer IIR deutlich niedriger ausfallen, da in der Richtlinie der Europäischen Kommission „Carve Outs“ vorgesehen sind,32 die einen Teil des Gewinns von der Mindeststeuer ausnehmen. Werden die geplanten Befreiungen von anfänglich 8% des Buchwerts des Sachanlagevermögens und 10% der Lohnsumme berücksichtigt, schätzt das ifo Institut ein Steuermehraufkommen von 5,1 Mrd. t, das auf 5,6 Mrd. t ansteigen würde, falls die „Carve Outs“ nach 10 Jahren auf jeweils 5% reduziert werden. Die Studie des ifo Instituts ist auf die CbC-Reports der Jahre 2016 bis 2019 beschränkt und berücksichtigt somit nicht die Konsequenzen der oben angesprochenen Maßnahmen zur Eindämmung internationaler Steuerplanung.33 Des Weiteren ist mit Verhaltensanpassungen der Unternehmen und der Staaten zu rechnen.34 Durch die Einführung einer globalen Mindeststeuer sinken für Unternehmen die Anreize, ihre Gewinne in Niedrigsteuerländer zu verlagern. Folglich wird ein Rückgang der Gewinnverlagerungen in Niedrigsteuerländer erwartet. Andererseits haben Niedrigsteuerländer einen Anreiz, ihre effektiven Steuersätze auf 15% anzuheben. Erhöhungen bis zum Mindeststeuersatz führen ohne Verhaltensanpassungen von Unternehmen zu steigenden Steuereinnahmen in diesen Ländern. In der Studie des ifo Instituts werden auch diese beiden Szenarien modelliert. Reduzieren Unternehmen ihre steuerliche Gewinnverlagerung, profitiert Deutschland von der Mindeststeuer. Das Aufkommen aus der IIR steigt um etwas mehr als 20% im Vergleich zum Ausgangsszenario. Reagieren hingegen Niedrigsteuerländer auf die31 US-amerikanische Konzerne sind in der Studie aufgrund der in den USA im Jahr 2018 eingeführten Mindestbesteuerung auf bestimmte Auslandsgewinne (Global Intangible Low-Taxes Income; GILTI) nicht inkludiert. Sollte die Mindestbesteuerung durch GILTI bereits den für die globale Mindeststeuer zu berechnenden effektiven Steuersatz erhöhen, ist ein Ausschluss US-amerikanischer Konzerne aus der Schätzung folgerichtig. 32 Vgl. oben, II. 1. c. 33 Vgl. oben, III. 1. b. 34 Vgl. OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Economic Impact Assessment: Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, Paris 2020.

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se Entwicklung durch Anhebung des Steuersatzes, reduzieren sich die Prognosen um fast 70%. Im Jahr der Einführung der globalen Mindeststeuer würde Deutschland lediglich noch rund 1,7 Mrd. t Mehraufkommen pro Jahr durch die globale Mindeststeuer erzielen. Mögliche Auswirkungen durch die Einführung einer QDMTT in Niedrigsteuerstaaten werden in der Studie nicht geschätzt. Ähnlich wie die Erhöhung des nominalen Steuersatzes auf den Mindeststeuersatz dürfte auch in diesem Szenario das für Deutschland geschätzte Aufkommen sinken. Im Ergebnis können Verhaltensanpassungen von Niedrigsteuerländern durch Anhebung ihrer Steuersätze und/oder Einführung einer QDMTT dazu führen, dass Deutschland kein oder nur sehr wenig Steuermehraufkommen durch die globale Mindeststeuer erzielt.

IV. Kosten der Steuerdeklaration und der Steueradministration Dem äußerst geringen Steuermehraufkommen, das die globale Mindeststeuer für Deutschland einspielen dürfte, stehen handfeste Kosten der Steuerdeklaration und der Steueradministration gegenüber. Für die Umsetzung der globalen Mindeststeuer bedarf es zahlreicher Anpassungen bei Unternehmen sowie in den Finanzverwaltungen der beteiligten Staaten. Erhöhte Steuerverwaltungskosten ergeben sich zum einen durch die notwendige Ermittlung, Festsetzung und Erhebung der Ergänzungssteuer sowie der QDMTT je Konzern und Land. Hierbei müssen die länderbezogenen Angaben der Unternehmen gesichtet und hinsichtlich der Anwendung der IIR, UTPR oder QDMTT überprüft werden. Zum anderen muss diese Überprüfung zwingend im Informationsaustausch mit anderen Staaten erfolgen, um Fehlangaben zu erkennen sowie Doppelbesteuerungen durch die gleichzeitige Anwendung verschiedener Ergänzungssteuern zu vermeiden.35 In Anbetracht der Vielzahl von Staaten, in denen große, multinationale Konzerne mit unterschiedlichen Eigentümerstrukturen operieren, ist dies ein komplexes Unterfangen und mit hohem Aufwand verbunden. In Deutschland sind – eigenen Erhebungen zufolge – 453 Konzerne von der globalen Mindeststeuer betroffen. Damit stellt dieses komplexe und komplizierte Regelwerk ein steuerliches Sonderregime für nur sehr wenige Unternehmen dar, während geltendes Unternehmenssteuerrecht 35 Vgl. Englisch/Becker, World Tax Journal 2019, 483 (495 ff.).

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weiterhin bestehen bleibt und von den Finanzverwaltungen ebenfalls durchgesetzt werden muss. Bei Unternehmen sind insbesondere hohe Kosten für Administrationsund Compliance-Aufgaben zu erwarten,36 wobei auch Unternehmensgruppen betroffen sind, welche sich knapp unterhalb der Umsatzgrenze von 750 Mio. t bewegen. Da die Ermittlung des länderspezifischen effektiven Steuersatzes nach IFRS-Rechnungslegung über die derzeitige Gewinnermittlung hinausgeht, müssen zunächst im Rechnungswesen sämtlicher Konzerngesellschaften die Grundlagen für die Berechnung gelegt werden. Dazu müssen die einzelnen Konzerngesellschaften betrachtet und die jeweiligen Steuerattribute zugerechnet werden. Dies bedeutet, dass auch für Gesellschaften, die aufgrund von Wesentlichkeitsgrenzen bisher nicht im Konzernabschluss nach IFRS berücksichtigt wurden, die internationalen Rechnungslegungsstandards anzuwenden sind. Erst im Anschluss erfolgt eine Aggregation auf Landesebene. Bei der Ermittlung sind auch Interaktionen mit bestehenden Regelungen, wie der Hinzurechnungsbesteuerung oder Quellensteuern auf Dividenden, zu beachten. Die anfallende Ergänzungssteuer muss zudem jährlich auf globaler und nationaler Ebene ermittelt und an die Steuerbehörden gemeldet werden. Analog zu den allgemeinen ertragsteuerlichen Rückstellungen im Konzernabschluss muss auch für die globale Mindeststeuer eine Rückstellung gebildet werden. Im Zeitpunkt der Abschlusserstellung werden die personellen Ressourcen von Unternehmen dadurch zusätzlich beansprucht. Die zusätzlichen Deklarationskosten der betroffenen deutschen Konzerne belaufen sich eigenen Schätzungen zufolge auf jährlich knapp 100 Mio. t laufende Kosten sowie Einmalkosten in Höhe von etwa 319 Mio. t.37 In vergleichbarer Art entstehen mindestens entsprechend hohe administrative Kosten bei der Finanzverwaltung. Demgegenüber wird das zusätzliche Steueraufkommen der globalen Mindeststeuer in Deutschland nahe null liegen.38

36 Vgl. zu den verschiedenen Compliance-Aufgaben Benzel, beck.digitax 2022, 393 ff.; Hohenlohe/Rautenstrauch/Behrendt/Blume/Klevermann/Kehler, beck.digitax 2022, 407 ff.; Mengle/Würschinger/Hoffmann/Ruck, beck.digitax 2022, 423 ff. 37 Vgl. Spengel et al., Die Kosten der globalen Mindeststeuer in Deutschland, ZEW policy brief 7/2022, Mannheim. 38 Vgl. oben Punkt III. 2.

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Die Abgabe der Steuererklärung für die Ergänzungssteuer hat fristgerecht innerhalb von 15 Monaten nach Ende des Wirtschaftsjahres zu erfolgen (Art. 44 Richtlinie). Bei verspäteter Abgabe oder falschen Angaben können die Mitgliedstaaten Sanktionen festlegen (Art. 46 Richtlinie). Auch wenn die Verwaltungsleitlinien der OECD zwischenzeitlich teilweise Abhilfe geschaffen haben, bestehen derzeit aufgrund von in der Richtlinie offen gelassener Punkte große Rechtsunsicherheiten für die Steuerpflichtigen. Diese betreffen insbesondere praktische Fragestellungen aufgrund des hohen Detaillierungsgrads sowie Sonderthemen. Darüber hinaus bestehen verfahrensrechtliche Unklarheiten über die multilaterale Vermeidung von Doppelbesteuerung für Unternehmen. Aufgrund des frühen Stadiums sind seitens der EU hier noch Nachbesserungen zu fordern. Sollten diese Nachbesserungen erst auf nationaler Ebene bei der im Jahr 2023 zu erfolgenden Umsetzung im Gesetzestext vollzogen werden, sind einerseits handwerkliche Fehler aufgrund des enormen Zeitdrucks zu erwarten. Andererseits entsteht ein Flickenteppich an Interpretationen der Mindeststeuer innerhalb der EU, was Doppelbesteuerung und somit weitere Investitionshindernisse für den Binnenmarkt zur Folge hätte. Es ist daher zu hoffen, dass die Verwaltungsleitlinien der OECD weitreichend anerkannt werden und weiterhin bestehende Regelungslücken einheitlich geschlossen werden.

V. Herausforderungen einer globalen Mindeststeuer innerhalb der EU 1. Konflikte mit dem EU-Recht Die Inhalte der Richtlinie zur Einführung einer globalen Mindeststeuer innerhalb der EU müssen mit den Grundfreiheiten sowie weiteren EUrechtlichen Vorgaben vereinbar sein, was in Teilen zu bezweifeln ist. Im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit fordert die EuGH-Rechtsprechung, dass rein künstliche Konstruktionen („Artificial Arrangements“) durch Vorschriften zur Missbrauchsbekämpfung erfasst werden.39 Aufgrund des formelhaften Charakters der substanzbasierten Einkommensbefreiungen („Carve Outs“) der IIR und deren Beschränkung auf Sach-

39 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, FR 2006, 987 m. Anm. Lieber = GmbHR 2006, 1049 m. Anm. Kleinert = ZIP 2006, 1817 (Cadbury Schweppes), EuGHE 2006, I-7995.

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wert- und Lohnbestandteile40 werden nicht ausschließlich künstliche Konstruktionen erfasst. Vor diesem Hintergrund ist die Frage zu klären, ob die globale Mindeststeuer als Anti-Missbrauchsregelung (wie die Hinzurechnungsbesteuerung) oder als allgemeine Mindestbesteuerung interpretiert wird. Wird sie als Anti-Missbrauchsvorschrift eingeordnet, steht ihr vollumfänglicher Charakter im Widerspruch zu den Grundfreiheiten.41 EU-rechtlich ebenfalls fragwürdig ist die Anwendung der QDMTT durch niedrigbesteuernde Quellenstaaten. Die QDMTT erhöht die effektive Steuerlast von lokalen Gewinnen bei Unternehmen, die in den Anwendungsbereich der Mindeststeuer fallen.42 Gleichzeitig gilt für in diesen Staaten ansässige Unternehmen außerhalb des Anwendungsbereichs der globalen Mindeststeuer weiterhin die niedrige Steuerbelastung. Die sich hierdurch ergebende vorteilhafte Behandlung könnte beihilferechtlich als problematisch eingestuft werden, wenn diese als selektiv angesehen wird (Art. 107 Abs. 1 AEUV), was mE. der Fall ist.43

2. Interaktion mit bestehenden steuerlichen Anti-Missbrauchsregelungen Die globale Mindeststeuer begegnet weiteren Herausforderungen durch das Nebeneinander von bestehenden Anti-Missbrauchsregelungen und der neuen Ergänzungssteuer. Im Fokus stehen in der EU bzw. in Deutschland die Hinzurechnungsbesteuerung, die Lizenz- und die Zinsschranke. Unter der Hinzurechnungsbesteuerung werden niedrigbesteuerte passive Einkünfte beherrschter ausländischer Tochtergesellschaften unmittelbar beim inländischen Gesellschafter besteuert. Die Wirkungsweise der Hinzurechnungsbesteuerung ist demnach mit jener der IIR vergleichbar. Gleichzeitig erhöht das Nebeneinander der IIR und der Hinzurechnungsbesteuerung die Komplexität beider Regelungen, da ihre Wechselwirkungen berücksichtigt werden müssen. Durch das Abstellen der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung auf passive Einkünfte und durch die weitreichendere Niedrigsteuergrenze von 25% anstatt 15% unterscheidet sich das Inkrafttreten und die Ermittlung der Hinzurechnungsbesteuerung von der Ergänzungssteuer. Hierdurch entsteht für 40 41 42 43

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Vgl. oben Punkt II. 1. c). Vgl. Dourado, Intertax 2022, 200 ff.; De Pietro, EC Tax Review 2021, 220 ff. Vgl. oben Punkt II. 2. A.A. Dourado, British Tax Review 2022, 573 (584 ff.).

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multinationale Unternehmen, die beide Vorschriften parallel anwenden müssen, zusätzlicher Compliance-Aufwand. Diesem stehen nicht zwangsläufig zusätzliche Steuereinnahmen für den Fiskus gegenüber, da die jeweils übergeordnete Regelung anzuwenden ist.44 Da die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung bereits bei der höheren Niedrigsteuergrenze zur Anwendung kommt, greift sie in mehr Fällen und schmälert somit die erhofften Steuereinnahmen aus der Mindeststeuer. Die Lizenzschranke und die Zinsschranke sind weitere spezifische AntiMissbrauchsregelungen, welche Gewinnverlagerungen begrenzen sollen. Die Lizenzschranke findet bei unternehmensinternen Transaktionen Anwendung und beschränkt den Abzug von Lizenzzahlungen bei Schuldnern im Fall von Lizenzzahlungen an nicht Nexus-konforme Gläubiger mit Steuerbelastungen unter 25%. Gleichzeitig löst bei der globalen Mindestbesteuerung die UTPR ein Abzugsverbot jeglicher Zahlungen an konzernverbundene Gesellschaften mit einer Steuerbelastung von unter 15% aus. Durch diese Diskrepanzen müssen Unternehmen sowie Finanzverwaltungen die steuerliche Wirkung beider Regelungen berücksichtigen. Ähnliches gilt für die Zinsschranke, welche ungeachtet der Vertragspartei den Zinsabzug gemessen am EBITDA beschränkt. Ausnahmen bestehen unter anderem, wenn der Nettozinsaufwand des Unternehmens weniger als 3 Mio.t beträgt. Auf der anderen Seite begrenzt die UTPR die Abzugsfähigkeit aller Zinszahlungen an Empfängergesellschaften mit einer Steuerbelastung von unter 15%. Ein Nebeneinander der globalen Mindestbesteuerung und der bestehenden Regelungen mit unterschiedlichen Anknüpfungspunkten erhöht somit die Komplexität und Unsicherheiten, ohne dabei signifikante Steuermehreinnahmen zu generieren. Durch die Interaktion der verschiedenen Regelungen kann des weiteren Doppelbesteuerung entstehen. Denn sowohl Lizenz- als auch Zinsschranke führen zu zusätzlichen Steuerbelastungen bei der betroffenen Gesellschaft, indem der Abzug von Aufwendungen verweigert wird. Unterliegen die korrespondieren Zins- oder Lizenzerträge in anderen Konzerngesellschaften einer niedrigen Besteuerung, kann dies dort die Anwendung der Mindeststeuer auslösen. Im Ergebnis wird einerseits der Ausgabenabzug versagt und damit die Steuerlast erhöht, während andererseits eine niedrigere Besteuerung versagt und ebenfalls die Steuerlast erhöht wird.

44 Vgl. Hey, Intertax 2021, 7 ff.

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Insgesamt können durch die Einführung einer globalen Mindeststeuer ohne eine adäquate Abstimmung mit bestehenden Anti-Missbrauchsregelungen große Unsicherheiten und Zusatzbelastungen in Form von Doppelbesteuerung und Compliance-Aufwendungen auf Unternehmensebene entstehen.45 In der Folge wird die globale Mindeststeuer die Investitionsbedingungen in Deutschland sowie in der EU vermutlich stark schädigen. Insbesondere für Deutschland, dem jüngst eine schwache und sinkende Standortattraktivität bescheinigt wurde (Platz 18 von 21 Industriestaaten),46 und das innerhalb der EU mittlerweile absolutes Hochsteuerland ist,47 ist dieser Ausblick besorgniserregend.

3. Neue Dimensionen des Steuerwettbewerbs Die globale Mindeststeuer ist vorranging ein Instrument zur Begrenzung des internationalen Steuerwettbewerbs,48 welches in der Literatur durchaus positiv bewertet wird.49 Dies gilt insbesondere, wenn die Mindestbesteuerung tatsächlich global eingeführt wird und es zu einer generellen Harmonisierung der steuerlichen Gewinnermittlung kommt. a) Steuerliche Präferenzregime Zunächst werden etablierte steuerliche Anreizsysteme in ihrer Wirksamkeit durch die globale Mindeststeuer abgeschwächt. Derzeit führen IP-Box Regime, die in einer Vielzahl von Staaten einen steuerlichen Anreiz für Forschung und Entwicklung (F&E) gewähren, zu einer Verringerung der Effektivsteuerlast.50 Zwar lassen sich möglicherweise niedrig besteuerte Einkünfte aus F&E-Tätigkeiten mit höher besteuerten Einkünften im Rahmen der länderbezogenen Betrachtungsweise („Jurisdictional Blending“) ausgleichen. Im Ergebnis können die als BEPS-kon-

45 Vgl. Schön, IStR 2022, 181 (189 f.); Spengel, StuW 2022, 189 (190). 46 Vgl. Stiftung Familienunternehmen/ZEW, Länderindex Familienunternehmen9. 47 Vgl. ZEW, Deutschland riskiert seine steuerliche Standortattraktivität, Mannheim, 2023, https://www.zew.de/presse/pressearchiv/deutschland-riskiert-sei ne-steuerliche-standortattraktivitaet. 48 Vgl. Schön, IStR 2022, 181 (189); Spengel, StuW 2022, 189 (190). 49 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, OECD-Reform der Besteuerung multinationaler Unternehmen – Besteuerung in Marktländern und globale Mindeststeuer auf dem Prüfstand, Stellungnahme 1/2022, Berlin, 15 ff.; Englisch, StuW 2022, 185 ff. 50 Vgl. Müller/Spengel/Steinbrenner, World Tax Journal 2022, 75 ff.

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form eingestuften IP-Box Regime jedoch die Anwendung der Mindeststeuer durch zu geringe Effektivsteuerbelastungen auslösen, was der Zielsetzung dieser Regime widerspricht. Um den Anreizcharakter von IP-Boxen zu wahren, erscheint einerseits eine Ausnahme aus dem sachlichen Anwendungsbereich der Mindeststeuer für IP-Box-Einkünfte denkbar.51 Andererseits wird die Rechtfertigung dieser Sonderregime bereits mit guten Gründen in Frage gestellt.52 Auch dieser auf OECD-Ebene angelegte Widerspruch verdeutlicht, wie grotesk die Idee einer globalen Mindeststeuer ist. b) Tax Rulings Auch sogenannte Tax Rulings, die primär einen rechtssichernden Charakter besitzen, werden von multinationalen Unternehmen als Instrument für Steuerplanung eingesetzt.53 Tax Rulings sind vertrauliche steuerliche Vorbescheide, in denen die Finanzbehörde eine bestimmte steuerliche Behandlung eines (grenzüberschreitenden) Sachverhalts gegenüber dem Steuerpflichtigen verbindlich bestätigt. Die Tax Rulings betreffen insbesondere Bereiche mit hoher Rechtsunsicherheit (z.B. Verrechnungspreise). Grundsätzlich werden Tax Rulings durch eine selektiv vorteilhafte Behandlung von Steuerpflichtigen als unionsrechtswidrige, staatliche Beihilfen eingestuft.54 Durch die Vertraulichkeit der Rulings ist jedoch davon auszugehen, dass derzeit nicht sämtliche als Beihilfe einzustufende Tax Rulings tatsächlich entdeckt und aufgehoben werden können. Eine globale Mindeststeuer kann hier dazu führen, dass Tax Rulings an Attraktivität verlieren, da sie in ihrem Wirkungsgrad effektiv durch den Mindeststeuersatz beschränkt werden. Staaten, welche für die Ausstellung vorteilhafter Tax Rulings bekannt sind (z.B. Irland55), verlieren hierdurch einen Steuerwettbewerbsvorteil. 51 Vgl. Hey, Intertax 2021, 7 (9). 52 Vgl. Spengel, IP-Box-Regime und steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung – passt das zusammen?, Lüdicke/Schnitger/Spengel, Besteuerung internationaler Unternehmen, Festschrift für Dieter Endres zum 60. Geburtstag, München 2016, 409 ff. 53 Vgl. Allevato, European Union 2021, 86 ff. 54 Vgl. European Commission, Background to the High Level Forum on State Aid of 3 June 2016. Internal Working Paper, verfügbar unter: https://competi tion-policy.ec.europa.eu/system/files/2021-04/specific_aid_instruments_wor king_paper_tax_rulings.pdf. 55 Vgl. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/apple-nachzahlung-urteil-101. html.

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c) Steuerliche Gewinnermittlung Die globale Mindeststeuer könnte auch zu einer bloßen Veränderung des Steuerwettbewerbs führen. Zwar wird ein Wettbewerb bei den Sätzen der Unternehmenssteuern („Race to the Bottom“) auf den Satz der Mindeststeuer begrenzt, gleichzeitig beinhaltet das Konzept der globalen Mindeststeuer jedoch Wege für andere steuerplanerische Möglichkeiten. In erster Linie bietet der formelbasierte Ansatz zur Berechnung des effektiven Steuersatzes Spielraum für den Steuerwettbewerb. So werden neben den tatsächlich entrichteten Steuern auch die Veränderungen in den latenten Steuern bei der Berechnung des effektiven Steuersatzes berücksichtigt.56 Latente Steuern ergeben sich aus unterschiedlichen Wertansätzen zwischen der IFRS-basierten und der länderspezifischen steuerlichen Bewertung. Solange die steuerliche Gewinnermittlung zwischen Staaten divergiert, sind folglich auch Steuerlatenzen heterogen. Über eine Anpassung ihres steuerlichen Bewertungsrechts haben Staaten somit weiterhin die Möglichkeit, Einfluss auf den für Mindeststeuerzwecke berechneten effektiven Steuersatz zu nehmen. Beispiele hierfür sind steuerliche Sofort- oder Sonderabschreibungen, welche als steuerliche Subventionierungen eingesetzt werden können.57 Ohne eine harmonisierte steuerliche Bemessungsgrundlage ist eine globale Mindeststeuer zum Scheitern verurteilt. Ein solches Szenario ist durchaus wahrscheinlich, denn bereits die auf EU-Ebene seit mehr als zwei Jahrzehnten erfolgten Bemühungen, Mindeststandards für die steuerliche Gewinnermittlung im Rahmen der Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB)58 zu etablieren, derzeit als Business in Europe: Framework for Income Taxation (BEFIT)59 diskutiert, sind gescheitert. Nicht einmal eine Einigung auf eine harmo56 Vgl. oben Punkt II. 2. 57 Vgl. Spengel, StuW 2022, 189 (190). 58 Vgl. European Commission, Towards an Internal Market without Tax Obstacles – A strategy for providing companies with a Consolidated Corporate Tax Base for their EU-wide activities, COM/2001/582 final. Weitere Vorschläge folgten in den Jahren 2011 und 2016; vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtline des Rates über eine Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, (GKKB) (KOM(2011) 121 endgültig); Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtline des Rates über eine Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (COM(2016) 685 final). 59 Vgl. European Commission, Call for evidence for an impact assessment: Business in Europe: Framework for Income Taxation (BEFIT) – Ares(2022)7086603, verfügbar unter https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-

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nisierte Abschreibung für Betriebs-PKW konnte bislang EU-weit erzielt werden. d) Nationale Ergänzungssteuern (QDMTT) In der Diskussion zur Entwicklung des Steuerwettbewerbs ist auch die Möglichkeit zur Einführung einer nationalen QDMTT zu beachten. Die Einführung einer QDMTT ermöglicht es Quellenstaaten, sämtliche niedrig besteuerte Einkünfte von Geschäftseinheiten in ihrem Hoheitsgebiet mit der Ergänzungssteuer zu belasten. Die Wettbewerbsposition des Quellenstaats verschlechtert sich dadurch nicht, da auch ohne die QDMTT im Rahmen der IIR Steuern in gleicher Höhe von Ansässigkeitsstaaten der Konzernspitzen einbehalten würden.60 Sämtliche Niedrigsteuerländer haben daher den Anreiz, eine QDMTT einzuführen und weiterhin niedrige Unternehmenssteuern zu erheben, um kein Steueraufkommen an andere Länder zu verlieren und weiterhin für Unternehmen außerhalb des Anwendungsbereichs der Mindeststeuer steuerlich attraktiv zu bleiben. Der Wettbewerb über den Steuersatz wird im Ergebnis nicht gänzlich abgeschafft, es ergibt sich lediglich eine legitimierte Untergrenze für den Steuerwettbewerb bei großen Konzernen. e) Einkommensteuer und Subventionen Im Zuge der Einführung einer globalen Mindestbesteuerung ist eine Verlagerung des Steuerwettbewerbs auf andere Steuerarten wie die Einkommensteuer denkbar. In einer zunehmend mobilen Arbeitswelt können Staaten über die Senkung von Einkommensteuersätzen für Topverdiener ihre Standortattraktivität für hochqualifizierte Arbeitskräfte verbessern.61 Neben der Einkommensteuer können sich Staaten auch mit nicht-steuerlichen Instrumenten wie Subventionen im zwischenstaatlichen Wettbewerb positionieren.62

say/initiatives/13463-Business-in-Europe-Framework-for-Income-Taxation-BE FIT-_en. 60 Vgl. Devereux/Vella/Wardell-Burrus, Pillar 2: Rule Order, Incentives, and Tax Competition, Oxford University Centre for Business Taxation Policy Brief, Oxford 2022. 61 Vgl. Fischer/Heckemeyer/Spengel/Steinbrenner, Intertax 2022, 286 (298 ff.). 62 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, OECD-Reform der Besteuerung multinationaler Unternehmen – Besteuerung in Marktländern und globale Mindeststeuer auf dem Prüfstand, Stellungnahme 1/2022, Berlin, 15 ff.

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f) Nicht-kooperatives Verhalten Weitere Dimensionen des internationalen Steuerwettbewerbs ergeben sich, wenn einzelne Staaten ein nicht-kooperatives Verhalten zeigen.63 Sollten beispielsweise einzelne Mitglieder des Inclusive Frameworks mit großen Volkswirtschaften entscheiden, die Mindeststeuer nicht einzuführen und auf Verwaltungsebene nicht zu kooperieren, können sie damit in ihren Ländern reale Investitionsanreize schaffen sowie die Standortattraktivität insbesondere für die Ansiedlung von Konzernobergesellschaften erhöhen.64 Gleichzeitig bilden sich Lücken in Aufbau und Durchsetzbarkeit der globalen Mindeststeuer sowie Anreize für andere Staaten, ebenfalls nicht zu kooperieren. Dies kann von Unternehmen durch gezielte Investitionen und Restrukturierungen genutzt werden, um die Steuerbelastung zu schmälern. Eine Durchsetzung der globalen Mindeststeuer wäre dann nur bei Zahlungen mit Anknüpfungspunkt in kooperierenden Ländern möglich und würde gleichzeitig die Standortattraktivität dieser Länder reduzieren.

4. Konsequenzen und Enforcement der EU-Richtlinie Mit der Annahme des Richtlinienvorschlags für eine globale Mindestbesteuerung in der Union65 und dessen Umsetzung in die nationalen Steuerrechte ihrer Mitgliedstaaten hat die EU innerhalb des „Inclusive Framework on BEPS“ eine rechtlich verbindliche Vorreiterrolle eingenommen. Diese Vorreiterrolle wird negative Folgen haben, wenn andere Staaten die Mindeststeuer nicht einführen. Zum einen entsteht ein internationaler Flickenteppich aus verschiedensten Steuerregelungen, wenn sich einzelne Länder entscheiden, unterschiedliche Steuerregelungen einzuführen. So entsteht ein Nebeneinander von Digitalsteuern, 63 Vgl. Fuest/Hey/Köhler/Spengel, DB 2019, Beilage 2 zu Heft 50. 64 Insbesondere die Berücksichtigung der US-amerikanischen Mindestbesteuerung durch GILTI im Rahmen der globalen Mindeststeuer ist noch nicht abschließend geklärt. Sollte hier eine politisch motivierte Einigung stattfinden und GILTI der IIR gleichgesetzt werden, könnte ein steuerlicher Wettbewerbsvorteil für US-amerikanische Konzerne entstehen. 65 Vgl. Richtlinie (EU) 2022/2523 des Rates vom 14.12.2022 zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen und große inländische Gruppen in der Union, ABl. EU v. 22.12.2022 Nr. L 328/1; Berichtigung der Richtlinie (EU) 2022/2523 des Rates vom 14.12.2022 zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen und große inländische Gruppen in der Union, ABl. EU v. 16.1.2023 Nr. L 13/9.

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Mindeststeuern und anderen Regeln, was zu einem für Unternehmen und Steuerverwaltungen immensen Administrations- und ComplianceAufwand führt. Zum anderen steigt die Gefahr der Doppelbesteuerung, sollten nicht abgestimmte internationale Regelungen aufeinandertreffen. Bei all dem ist zu berücksichtigen, dass die Mindeststeuer-Richtlinie nur einstimmig modifiziert oder abgeschafft werden kann, die EUMitgliedstaaten haben sich zum wiederholten Male66 ein unnötiges Korsett angelegt. Zudem stellt sich die Frage, inwieweit die EU-Mitgliedstaaten die Mindestbesteuerung überhaupt durchsetzen können. Ein Anknüpfungspunkt besteht wohl nur über die IIR bei europäischen Konzernobergesellschaften, indem das niedrig besteuerte Einkommen von ausländischen Tochtergesellschaften in der EU nachversteuert wird. Die Standortattraktivität Europas für Konzernobergesellschaften wird hierdurch deutlich sinken. Die Durchsetzung einer Mindeststeuer durch eine UTPR für in der EU tätige internationale Konzerne ist hingegen nicht praktikabel, da dieser durch Restrukturierungen der Eigentümerstrukturen leicht entgangen werden kann. Dabei würden niedrig besteuerte Tochtergesellschaften nicht mehr bei EU-Gesellschaften aufgehangen werden, sondern bei Gesellschaften in Ländern, welche die Mindeststeuerschwelle von 15% übersteigen, die globale Mindeststeuer aber nicht eingeführt haben.67 Denkbar sind zudem steuermotivierte Restrukturierungen und Aufsplittungen, um die Umsatzschwelle von 750 Mio. t gänzlich zu umgehen.68 Insgesamt senkt die EU-weite Einführung der globalen Mindeststeuer die Standortattraktivität der EU sowohl für europäische als auch internationale Konzerne.

VI. Alternativen zur globalen Mindeststeuer 1. Abschaffung steuerlicher Präferenzregime Es wird nicht in Zweifel gezogen, dass multinationale Unternehmen einen fairen Anteil von Steuern auf ihre Gewinne zahlen sollen. Dass manche, vor allem US-basierte Konzerne, sehr niedrige Steuerquoten 66 Vgl. Spengel/Stutzenberger, IStR 2018, 37 ff. 67 Vgl. Fuest/Spengel/Finke/Nusser, Extending Taxation of Interest and Royalty Income at Source – an Option to Limit Base Erosion and Profit Shifting?, ZEWDiscussion Paper Nr. 14-073, Mannheim, 14 ff. (16), hier in Bezug zur Durchsetzung einer Quellensteuer. 68 Vgl. Fuest/Hey/Köhler/Spengel, DB 2019, Beilage 2 zu Heft 50.

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auf ihre außerhalb der USA erwirtschafteten Gewinne aufweisen, ist nicht ihnen, sondern der Steuergesetzgebung und der administrativen Praxis zahlreicher Länder – inklusive der USA selbst69 – anzukreiden. Insbesondere IP-Box Regime und die Abzugsfähigkeit fiktiver Zinsen auf das Eigenkapital (ACE – „Allowance for Corporate Equity“), die zahlreiche EU-Mitgliedstaaten vorsehen, ermöglichen es multinationalen Unternehmen, ihre in diesen Ländern entstehenden Gewinne äußerst niedrig zu besteuern.70 Hinzu kommen Absprachen zwischen Finanzverwaltungen und multinationalen Unternehmen bei der Festlegung von Verrechnungspreisen, wobei der Fall Apple-Irland das derzeit wohl prominenteste Beispiel ist.71 Zur Eindämmung von Gewinnverlagerung und des internationalen Steuerwettbewerbs ist es vor diesem Hintergrund naheliegend, solche Präferenzregime abzuschaffen. Dieser Weg wurde vor gut 25 Jahren auf EU-Ebene durch den Verhaltenskodex („Code of Conduct“) beschritten. Die Arbeiten wurden durch parallele Aktivitäten der OECD flankiert und waren im Ergebnis erfolgreich, wie die im Jahr 2000 veröffentlichte Primarolo-Liste mit 66 als steuerschädlich identifizierte Steuerpraktiken eindrucksvoll dokumentiert.72 Unverständlicher Weise ist dies im derzeitigen politischen Diskurs aber nicht gewollt, was durch die Anerkennung Nexus-konformer IP-Box Regime durch die OECD73 und auch den deutschen Steuergesetzgeber (§ 4j EStG) sowie den expliziten Vorschlag der Europäischen Kommission zur Einführung einer ACE im Zusammenhang mit der Harmonisierung der steuerlichen Gewinnermittlung in anderem Kleid (Action 4: DEBRA – „Debt Equity Bias Reduction Allowance“ als Teil der Initiative BEFIT – „Business in Europe: Framework for Income Taxation“)74 unterstrichen wird. 69 Vgl. etwa zu den „Check-the-Box-Regulations“ Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung9, 335 ff. 70 Vgl. Endres/Spengel, International Company Taxation and Tax Planning, Aalphen aan den Rijn, 2015, 469 ff., 505 ff. 71 Vgl. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/apple-nachzahlung-urteil-101. html. 72 Vgl. dazu Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung4, 273 ff. m.w.N. 73 Vgl. OECD, Wirksamere Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz, Aktionspunkt 5 – Abschlussbericht 2015, OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, Paris. 74 Vgl. European Commission, Communication from the Commission to the European Parliament and die Council. Business Taxation for the 21st Century, COM(2021) 251 final.

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2. Konsequente Ausweitung bestehender Regelungen Die globale Mindeststeuer innerhalb der EU verzerrt Eigentümerstrukturen und wird reale, auf die Lokalisierung von Investitionen gerichtete Effekte auslösen. Sie zementiert gleichzeitig ein steuerliches Sonderregime für nur wenige Unternehmen, vervielfacht die Steuerkomplexität mit entsprechenden Kosten für Unternehmen sowie Finanzverwaltungen und kann den internationalen Steuerwettbewerb nicht wirkungsvoll eindämmen. Statt einer Mindeststeuer mit den angeführten, großen Problemen hätte daran gedacht werden können, bestehende Regelungen der etablierten Steuerwelt zielgerichtet zu erweitern. Für Outbound-Investitionen in Niedrigsteuerländern bedarf es keiner IIR. Missbräuchliche Gestaltungen werden bereits effizient durch die im Rahmen der ATAD I-Richtlinie EU-weit harmonisierte Hinzurechnungsbesteuerung verhindert. Aus deutscher Sicht wäre es konsequent, den derzeitigen Mindeststeuersatz der Hinzurechnungsbesteuerung von 25% auf 15% zu senken und neben passiven auch bestimmte aktive Auslandsgewinne einzubeziehen.75 Damit gingen erhebliche Vereinfachungen einher und das Wohnsitzprinzip wäre auf einem Niveau von 15% gesichert. Für Inbound-Investitionen bedarf es auch keiner UTPR, die überdies nur Zahlungen an verbundene Unternehmen in Niedrigsteuerländer erfasst. Vielmehr existieren in zahlreichen Mitgliedstaaten bereits § 4j EStG vergleichbare steuerliche Abzugsbeschränkungen für Lizenzgebühren. Zinsabzugsbeschränkungen sind durch die ATAD I-Richtlinie gar EUweit harmonisiert. Eine zusätzliche Mindeststeuer durch die UTPR verursacht vor diesem Hintergrund weitestgehend nur zusätzliche Kosten der Steuerdeklaration und Administration. Falls die bestehenden Antimissbrauchsbestimmungen als zu kurz greifend empfunden werden sollten, könnte flankierend dazu eine generelle Erhebung von Quellensteuern auf ins Ausland abfließende Zahlungen in Erwägung gezogen werden. Eine entsprechende Absicht zur Prüfung einer konsequenteren Erhebung von Quellensteuern ist auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verankert.76 Vorschläge, die diese Absicht konkretisieren, liegen seit längerer Zeit auf dem Tisch.77 Eine international koordinierte 75 So auch Röder, StuW 2020, 35 (42 ff.); Schön, IStR 2022, 181 (190). 76 Vgl. Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Gerechtigkeit, Freiheit und Nachhaltigkeit, Berlin 2021, 167. 77 Vgl. Fuest/Spengel/Finke/Heckemeyer/Nusser, World Tax Journal 2013, 307 ff.; Fuest/Spengel/Finke/Nusser, oben Fn. 67.

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Ausweitung der Quellensteuer stellt die Zuteilung von Besteuerungsrechten in Quellenstaaten sicher. Im Einklang mit dem bestehenden System kann eine Doppelbesteuerung durch die Anrechnung von Quellensteuern im Empfängerland vermieden werden. Dadurch würden auch Steueroasen als Empfänger solcher Zahlungen trockengelegt. Es ist nachlässig, dass dieser Prüfauftrag im Rahmen der laufenden Legislaturperiode nicht einmal ansatzweise umgesetzt wurde. Dabei hätte sich gezeigt, dass die Systematik der beschränkten Steuerpflicht, bestehende Doppelbesteuerungsabkommen (insbesondere Artikel 11 und 12) sowie die EU-weite Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie anzupassen sind. Dies hätte einfacher und mit geringerem Aufwand als die Einführung einer globalen Mindeststeuer erreicht werden können.

VII. Fazit Die EU-Mitgliedstaaten haben sich auf eine globale Mindeststeuer in Höhe von 15% verständigt und werden eine entsprechende Richtlinie in nationales Recht umsetzen. Auf den ersten Blick begrenzt die globale Mindeststeuer den Steuerwettbewerb auf 15%. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Mindeststeuer global umgesetzt und die steuerliche Gewinnermittlung harmonisiert wird. Dies ist nicht abzusehen. Die globale Mindeststeuer wird für Deutschland kein nennenswertes Steuermehraufkommen generieren. Stattdessen wird die globale Mindeststeuer sehr hohe Kosten der Administration und der Deklaration von Steuern verursachen. Für die betroffenen Unternehmen wird Deutschland als Investitionsstandort weiter an Attraktivität verlieren, was angesichts der jüngsten Einschätzung einer ohnehin schwachen und sinkenden Standortattraktivität als besorgniserregend einzustufen ist. Anstelle einer globalen Mindeststeuer hätten sich Alternativen angeboten, die keine Zusatzkosten der Besteuerung verursachten. In erster Linie wäre an eine konsequente Abschaffung steuerlicher Sonderregime zu denken. Zudem bestehen innerhalb der EU bereits verbindliche AntiMissbrauchsbestimmungen, die grenzüberschreitende Gewinnverlagerungen einschränken.

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Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellschaften Dr. Ulrike Banniza, LL.M. Vorsitzende Richterin am BFH, München I. Beherrschungsidentität bei mittelbarer Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft an einer Besitz-Personengesellschaft 1. Grundsätze der Betriebsaufspaltung a) Sachliche Verflechtung b) Personelle Verflechtung 2. BFH v. 16.9.2021 – IV R 7/18 (BFHE 274, 218 = BStBl. II 2022, 767) a) Sachverhalt b) Kann die Herrschaft über das Betriebs- und das Besitzunternehmen auch mittelbar über eine Kapitalgesellschaft ausgeübt werden? aa) Bisherige Rechtsprechung bb) Änderung der Rechtsprechung für Personengesellschaft als Besitzgesellschaft cc) Offen: Kapitalgesellschaft als Besitzgesellschaft c) Entscheidung des BFH 3. Reaktion der Finanzverwaltung II. Teilwertansatz im Anwendungsbereich von § 6 Abs. 5 EStG 1. BFH v. 15.7.2021 – IV R 36/18 (BFHE 274, 55) a) Sachverhalt b) Entscheidung des BFH

aa) Unmittelbarer Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 5 EStG (1) Anteil iSd. § 6 Abs. 5 Sätze 5 und 6 EStG (2) Unmittelbarer Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 5 EStG bb) Rückwirkender Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Sätze 4 oder 6 EStG (1) Unentgeltliche Übertragung des Kommanditanteils an der M-KG von N auf M (2) Entgeltliche Übertragung eines Teilanteils an der M-KG von der E-GmbH auf die P-GmbH (a) Rückwirkender Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG? (b) Rückwirkender Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG? (3) Verschmelzung der E-GmbH auf die M-KG (4) Formwechselnde Umwandlung der M-KG in die M-GmbH (5) Formwechselnde Umwandlung der T-KG in die T-GmbH cc) Rechtsfolge eines Sperrfristverstoßes nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG

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Banniza, Rechtsprechungs-Highlights zu Personengesellschaften 2. BFH v. 18.8.2021 – XI R 43/20 (BFHE 274, 124) a) Sachverhalt b) Entscheidung des BFH 3. Folgen des unterschiedlichen Ansatzes des IV. und des XI. Senats III. Zuordnung von Kapitalbeteiligungen zum Sonderbetriebsvermögen II 1. BFH v. 21.12.2021 – IV R 15/19 (BFHE 275, 206 = BStBl. II 2022, 651) a) Sachverhalt b) Entscheidung des BFH aa) Kapitalbeteiligung als SBV I (1) Kapitalbeteiligung als notwendiges SBV I (2) Kapitalbeteiligung als gewillkürtes SBV bb) Kapitalbeteiligung als SBV II (1) Kapitalbeteiligung als notwendiges SBV II (a) Veranlassungszusammenhang als Zuordnungskriterium (b) Maßgeblichkeit der Sicht des Gesellschafters (c) Regelmäßig keine Zuordnung der Kapitalbeteiligung zum SBV II, wenn Kapitalgesellschaft eigenen Geschäftsbetrieb von nicht ganz untergeordneter Bedeutung unterhält

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(d) Anwendung auf den Streitfall (2) Offene Fragen 2. Reaktion der Finanzverwaltung IV. Gewerbesteuerliche Folgen der Weiternutzung eines Wirtschaftsguts im „neuen Betrieb“ 1. BFH v. 10.2.2022 – IV R 6/19 (BFHE 276, 159) a) Sachverhalt b) Entscheidung des BFH aa) Allgemeine gewerbesteuerrechtliche Grundsätze bb) Weiternutzung einer wesentlichen Betriebsgrundlage des bisherigen Betriebs im neuen Betrieb (1) BFH v. 19.12.2019 – IV R 8/17 (BFHE 267, 425 = BFH v. 19.12.2019 – IV R 8/17, BStBl. II 2020, 401 = FR 2020, 789 m. Anm. Nöcker = GmbHR 2020, 711) (2) BFH v. 10.2.2022 – IV R 6/19 (BFHE 276, 159) 2. Folgen der geänderten Rechtsprechung für den bisherigen und den neuen Betrieb

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I. Beherrschungsidentität bei mittelbarer Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft an einer Besitz-Personengesellschaft 1. Grundsätze der Betriebsaufspaltung Eine Betriebsaufspaltung liegt vor, wenn einem Betriebsunternehmen wesentliche Grundlagen für seinen Betrieb von einem Besitzunternehmen überlassen werden (sog. sachliche Verflechtung) und die hinter dem Betriebs- und dem Besitzunternehmen stehenden Personen einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen haben (sog. personelle Verflechtung). Liegt diese enge sachliche und personelle Verflechtung vor, wird davon ausgegangen, dass das sog. Besitzunternehmen durch die Vermietungs- und Verpachtungstätigkeit über das Betriebsunternehmen am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt, mit der Folge, dass das Besitzunternehmen i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG originär gewerblich tätig ist.1 Dies schließt u.a. die Gewährung der sog. erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG für das Besitzunternehmen aus.2 a) Sachliche Verflechtung Eine sachliche Verflechtung ist gegeben, wenn es sich bei dem vom Besitzunternehmen überlassenen Wirtschaftsgut für das Betriebsunternehmen um eine wesentliche Betriebsgrundlage handelt. Bei einem Grundstück ist das z.B. der Fall, wenn es für die Betriebsführung der Betriebsgesellschaft von nicht nur geringer Bedeutung ist. Das ist stets anzunehmen, wenn das Grundstück der räumliche und funktionale Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit des Betriebsunternehmens ist.3 b) Personelle Verflechtung Personelle Verflechtung setzt voraus, dass eine Person bzw. Personengruppe Besitz- und Betriebsunternehmen so beherrscht, dass sie in bei1 Z.B. BFH v 16.9.2021 – IV R 7/18, BFHE 274, 218 = BStBl. II 2022, 767 Rz. 28 = FR 2022, 303 m. Anm. Nöcker = GmbHR 2022, 653 = ZIP 2022, 262. 2 Z.B. BFH v. 16.9.2021 – IV R 7/18, BFHE 274, 218 = BStBl. II 2022, 767 Rz. 27 = FR 2022, 303 m. Anm. Nöcker = GmbHR 2022, 653 = ZIP 2022, 262. 3 Z.B. BFH v. 28.5.2020 – IV R 4/17, ECLI:DE:BFH:2020:U.280520.IVR4.17.0, BFHE 269, 149 = BStBl. II 2020, 710 Rz. 25 = FR 2020, 1045 m. Anm. Bode = GmbHR 2020, 1362 m. Anm. Binnewies/Mehlhaf.

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den Unternehmen einen einheitlichen Geschäfts- und Betätigungswillen durchsetzen kann. Entscheidend ist, dass die Geschicke des Besitzunternehmens in den wesentlichen Fragen durch die Person bzw. Personengruppe bestimmt werden, die auch hinter dem Betriebsunternehmen stehen. Das ist zum einen im Fall der sog. Beteiligungsidentität gegeben, dh. wenn an beiden Unternehmen dieselben Personen im gleichen Verhältnis beteiligt sind. Das kann aber auch im Fall der sog. Beherrschungsidentität gegeben sein, dh. wenn der Mehrheitsgesellschafter oder die Mehrheits-Gesellschaftergruppe in beiden Unternehmen ihren geschäftlichen Willen durchsetzen können. Erforderlich ist insoweit, dass eine Person oder Personengruppe nach ihren Befugnissen zur Geschäftsführung sowohl bei der Besitz- als auch bei der Betriebsgesellschaft in Bezug auf die Wirtschaftsgüter ihren Willen durchsetzen kann, die die sachliche Verflechtung begründen. Beherrschungsidentität liegt in diesen Fällen demnach vor, wenn die hinsichtlich der wesentlichen Betriebsgrundlagen bestehenden Nutzungsüberlassungsverträge nicht gegen den Willen der Person oder Personengruppe aufgelöst werden können, die das Besitzunternehmen beherrschen, und diese Person oder Personengruppe zugleich alle Geschäfte der laufenden Verwaltung beherrschen.

2. BFH v. 16.9.2021 – IV R 7/18 (BFHE 274, 218 = BStBl. II 2022, 767) a) Sachverhalt Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, hatte der M-KG ein Grundstück vermietet, das diese betrieblich nutzte. Kommanditist der Klägerin war u.a. A zu 51%. A war zugleich alleiniger Gesellschafter der Komplementär-GmbH der Klägerin (BV-GmbH) sowie zu 90% Gesellschafter der H-GmbH, die ihrerseits alleinige Kommanditistin der M-KG und alleinige Gesellschafterin der Komplementär-GmbH der M-KG (V-GmbH) war. Die Beteiligung des A an der H-GmbH wurde als Sonderbetriebsvermögen II des A bei der Klägerin behandelt. Nach den Satzungen der GmbHs waren für Gesellschafterbeschlüsse, die den Gesellschaftsvertrag oder die Auflösung der Gesellschaft betreffen, 75% aller vorhandenen Stimmen erforderlich. Dies galt auch für Geschäfte, die der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedürfen. Im Übrigen reichte die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Die Gesellschaftsverträge der Klägerin und der M-KG sahen keine besonderen Regelungen für Gesellschafterbeschlüsse vor. 36

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Die Klägerin erzielte im Streitjahr ausschließlich Einnahmen aus der Vermietung des Grundstücks an die M-KG. Hierfür beantragte sie die sog. erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG. Unstreitig war, dass sie als gewerblich geprägte Personengesellschaft aus der Vermietung gewerbliche Einkünfte erzielte. Streitig war, ob sie originär gewerbliche Einkünfte erzielte und ihr deshalb die erweiterte Kürzung nicht zustand.4 b) Kann die Herrschaft über das Betriebs- und das Besitzunternehmen auch mittelbar über eine Kapitalgesellschaft ausgeübt werden? Im Streitfall war A an der M-KG nur über die H-GmbH und über die V-GmbH beteiligt; an der Klägerin war er zwar unmittelbar als Kommanditist, aber auf Komplementärseite und damit auf Geschäftsführerseite der Klägerin nur über die BV-GmbH beteiligt. Eine Beherrschungsidentität kommt jedoch, wie oben ausgeführt, nur in Betracht, wenn der Mehrheitsgesellschafter bzw. die Mehrheitsgesellschaftergruppe auch alle Geschäfte der laufenden Verwaltung hinsichtlich der Wirtschaftsgüter beherrschen, die die sachliche Verflechtung begründen. aa) Bisherige Rechtsprechung Schon nach bisheriger Rechtsprechung kann die Herrschaft über das Betriebsunternehmen auch mittelbar über eine Kapitalgesellschaft ausgeübt werden. Eine personelle Verflechtung war danach auch bislang schon anzunehmen, wenn die Person bzw. Personengruppe, die das Besitzunternehmen beherrschen, an dem Betriebsunternehmen nur über eine Kapitalgesellschaft beteiligt sind. Bezogen auf den Streitfall hat A, obwohl er an der M-KG weder als Kommanditist noch als Komplementär unmittelbar beteiligt war, die M-KG danach gleichwohl beherrscht, weil er an der H-GmbH zu 90% beteiligt war, die ihrerseits sowohl unmittelbar als Kommanditistin zu 100% als auch mittelbar über die V-GmbH als Komplementärin zu 100% an der M-KG beteiligt war. Nach bisheriger Rechtsprechung konnte aber die Herrschaft über das Besitzunternehmen nicht mittelbar über eine Kapitalgesellschaft ausgeübt werden. Waren also die Gesellschafter der Betriebsgesellschaft an der Besitzgesellschaft lediglich über eine Kapitalgesellschaft und nicht selbst als Mitunternehmer beteiligt, so sollte das für eine personelle Verflechtung nicht ausreichen. Begründet wurde dies damit, dass der Besitzge4 Stark vereinfachter Sachverhalt.

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sellschaft wegen des sog. Durchgriffsverbots weder die Beteiligung der Gesellschafter der an ihr unmittelbar beteiligten Kapitalgesellschaft an der Betriebsgesellschaft noch eine damit verbundene Beherrschungsfunktion zugerechnet werden könne (rechtliche Selbständigkeit der Kapitalgesellschaft).5 bb) Änderung der Rechtsprechung für Personengesellschaft als Besitzgesellschaft Diese Rechtsprechung hat der IV. Senat in seinem Urteil vom 16.9.2021 – IV R 7/18 (BFHE 274, 218 = BStBl. II 2022, 767) jetzt jedenfalls für den Fall geändert, dass es sich bei dem Besitzunternehmen -wie im dortigen Streitfall- um eine Personengesellschaft handelt. Nach jetziger Ansicht jedenfalls des IV. Senats des BFH kann auch die Herrschaft über die Besitzgesellschaft mittelbar über eine Kapitalgesellschaft ausgeübt werden, dh. auch eine Beteiligung der an der Betriebsgesellschaft beteiligten Gesellschafter an einer Besitz-Personengesellschaft, die lediglich mittelbar über eine Kapitalgesellschaft besteht, ist bei der Beurteilung der Frage, ob eine personelle Verflechtung besteht, zu berücksichtigen. Ausgangspunkt ist der Zweck der personellen Verflechtung in Bezug auf das Vorliegen einer Betriebsaufspaltung. Danach ist für die personelle Verflechtung entscheidend, ob eine Person bzw. eine Personengruppe sowohl das Betriebs- als auch das Besitzunternehmen dergestalt beherrschen, dass sie in beiden Unternehmen einen einheitlichen Geschäftsund Betätigungswillen durchsetzen können. Ein solcher beherrschender Einfluss auf ein Unternehmen über eine Kapitalgesellschaft berührt 5 Vgl. z.B. BFH v. 27.8.1992 – IV R 13/91, BFHE 169, 231 = BStBl. II 1993, 134 = FR 1993, 59 m. Anm. Söffing = GmbHR 1993, 110, unter II.2.a; v. 15.4.1999 – IV R 11/98, BFHE 188, 412 = BStBl. II 1999, 532 = FR 1999, 959 m. Anm. Wendt = GmbHR 1999, 875, unter 1.b, unter Bezug auf BFH v. 1.8.1979 – I R 111/78, BFHE 129, 57 = BStBl. II 1980, 77 = FR 1980, 49 = GmbHR 1980, 68; v. 22.10.1986 – I R 180/82, BFHE 148, 272 = BStBl. II 1987, 117 = FR 1987, 69 = GmbHR 1987, 244; v. 20.5.1988 – III R 86/83, BFHE 153, 481 = BStBl. II 1988, 739 = FR 1988, 510 = GmbHR 1988, 408; bestätigend BFH v. 16.9.1994 – III R 45/92, BFHE 176, 98 = BStBl. II 1995, 75 = GmbHR 1995, 59, unter II.3.e aa (2); v. 29.11.2007 – IV R 82/05, BFHE 220, 98 = BStBl. II 2008, 471 = FR 2008, 974 m. Anm. Bode = GmbHR 2008, 722, unter II.2.d; v. 8.9.2011 – IV R 44/07, BFHE 235, 231 = BStBl. II 2012, 136 Rz. 24 = FR 2012, 174 = GmbHR 2012, 50; v. 30.10.2019 – IV R 59/16, ECLI:DE:BFH:2019:U.301019.IVR59.16.0, BFHE 267, 386 = BStBl. II 2020, 147 Rz. 44 = FR 2020, 273 m. Anm. Wendt = GmbHR 2020, 385 m. Anm. Binnewies/Mehlhaf.

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nach Ansicht des IV. Senats aber nicht die rechtliche Selbständigkeit dieser Kapitalgesellschaft. Deshalb war schon nach bisheriger Rechtsprechung anerkannt, dass ein beherrschender Einfluss auf das Betriebsunternehmen auch über eine Kapitalgesellschaft erfolgen kann. Insoweit ist aber nicht ersichtlich, wo der Unterschied liegen soll, ob der beherrschende Einfluss über eine Kapitalgesellschaft auf die Betriebs- oder auf die Besitzgesellschaft erfolgt. cc) Offen: Kapitalgesellschaft als Besitzgesellschaft Der IV. Senat hatte nur über den Fall zu entscheiden, dass es sich bei dem Besitzunternehmen um eine Personengesellschaft handelt. Er hatte sowohl den III. als auch den I. Senat wegen etwaiger Divergenzen angefragt. Der III. Senat hat der Rechtsprechungsänderung zugestimmt. Der I. Senat hingegen hat erklärt, dass er für die Fälle der in seine Zuständigkeit fallenden kapitalistischen Betriebsaufspaltung, dh. für die Fälle, in denen das Besitzunternehmen eine Kapitalgesellschaft ist, an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält. Danach können einer Kapitalgesellschaft als Besitzunternehmen weder die von ihren Gesellschaftern gehaltenen Anteile an der Betriebsgesellschaft noch die mit diesem Anteilsbesitz verbundene Beherrschungsfunktion zugerechnet werden. Denn das aus dem Trennungsprinzip abzuleitende „Durchgriffsverbot“ lasse es nicht zu, im Rahmen der Besteuerung der Besitz-Kapitalgesellschaft für die Frage, ob ein einheitlicher Geschäfts- und Betätigungswille hinsichtlich der Tätigkeit der Betriebsgesellschaft bestehe, auf die Anteilsinhaberschaft bzw. Einflussmöglichkeiten der Gesellschafter der Besitz-Kapitalgesellschaft abzustellen. Die dargestellte Änderung der Rechtsprechung gilt danach jedenfalls derzeit nur für die Fälle, in denen Besitzgesellschaft eine Personengesellschaft ist. c) Entscheidung des BFH Die sachliche Verflechtung war im Streitfall unproblematisch gegeben – die Klägerin hatte der M-KG das Betriebsgrundstück vermietet. Auch die personelle Verflechtung war nach der dargestellten Rechtsprechungsänderung gegeben. A beherrschte über seine 90%ige-Beteiligung an der H-GmbH nicht nur die M-KG, sondern über seine Mehrheitsbeteiligung als Kommanditist sowie über seine 100%-Beteiligung an der 39

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BV-GmbH, die die Komplementärin und Geschäftsführerin der Klägerin war, auch die Klägerin. Damit lag eine Betriebsaufspaltung vor mit der Folge, dass die Klägerin originär gewerbliche Einkünfte erzielte und sie deshalb für ihre Einkünfte aus der Nutzungsüberlassung keine erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG in Anspruch nehmen konnte.

3. Reaktion der Finanzverwaltung Mit Schreiben vom 21.11.20226 hat das Bundesministerium der Finanzen verfügt, dass aus Vertrauensschutzgesichtspunkten eine Beteiligung an einer Besitz-Personengesellschaft, die ausschließlich mittelbar über eine Kapitalgesellschaft besteht, bei der Beurteilung einer personellen Verflechtung als eine der Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung erst ab dem Veranlagungszeitraum 2024 zu berücksichtigen sei.

II. Teilwertansatz im Anwendungsbereich von § 6 Abs. 5 EStG § 6 Abs. 5 EStG enthält in seinen Sätzen 4–6 unterschiedliche Konstellationen, in denen (ggf. rückwirkend) statt des an sich nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG anzusetzenden Buchwerts der Teilwert anzusetzen ist. Der BFH hatte im Jahr 2021 Gelegenheit, einige der sich in diesem Bereich stellenden Fragen zu entscheiden.

1. BFH v. 15.7.2021 – IV R 36/18 (BFHE 274, 55) a) Sachverhalt Ausgangspunkt war ein mehrstufiges Personengesellschaftsverhältnis: M 80% M-KG 100% T-Bet. GmbH 0% 100% Z-GmbH 0%

N 9%

E-GmbH 11%

T-KG E-KG

Im Streitjahr 2010 überträgt die T-KG ein Grundstück aus ihrem Gesamthandsvermögen gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten nach 6 BMF v. 21.11.2022 – IV C 6 - S 2240/20/10006 :002 – DOK 2022/1166461, BStBl. I 2022, 1515.

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§ 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG zum Buchwert in das Gesamthandsvermögen der E-KG. Zwei Jahre später, im Jahr 2012, kommt es, zeitlich hintereinander, zu folgenden Umstrukturierungen: 1. N überträgt seinen Anteil an der M-KG auf M. 2. Die E-GmbH überträgt einen Teil ihres Mitunternehmeranteils an der M-KG entgeltlich auf die P-GmbH. 3. Die E-GmbH wird auf die M-KG verschmolzen. 4. Die M-KG wird formwechselnd in die M-GmbH umgewandelt. 5. Die T-KG wird formwechselnd in die T-GmbH umgewandelt. Das Finanzamt sah in der Umwandlung der T-KG in die T-GmbH einen Sperrfristverstoß nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG, setzte rückwirkend auf den Zeitpunkt der Übertragung des Grundstücks den Teilwert zu 100% an und änderte dementsprechend den Gewerbesteuermessbescheid der T-GmbH (Klägerin) für das Streitjahr 2010.7 b) Entscheidung des BFH aa) Unmittelbarer Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 5 EStG (1) Anteil iSd. § 6 Abs. 5 Sätze 5 und 6 EStG Zunächst stellte sich die Frage, ob im Jahr 2010 sogleich der Teilwert anzusetzen gewesen ist. Das ist nach § 6 Abs. 5 Satz 5 EStG der Fall, „soweit in den Fällen des Satzes 3 der Anteil einer Körperschaft … an dem Wirtschaftsgut unmittelbar begründet wird oder dieser sich erhöht.“ Insoweit stellte sich dem BFH im Zusammenhang mit der Frage, was unter einem „Anteil“ sowohl im Sinne von § 6 Abs. 5 Satz 5 als auch im Sinne von § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG zu verstehen ist, zunächst die Frage nach dem Zweck der Regelungen in § 6 Abs. 5 Sätze 5 und 6 EStG. Diesen Zweck sieht der IV. Senat darin, dass verhindert werden soll, dass bei den in § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG genannten Konstellationen die im Zeitpunkt der Übertragung des Wirtschaftsguts vorhandenen stillen Reserven entweder zu diesem Zeitpunkt – das sind die Fälle von Satz 5 – oder innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist – das sind die Fälle von Satz 6 – steuerneutral, dh. unversteuert, von dem Einkommensteuer- in das Kör7 Vereinfachter Sachverhalt.

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perschaftsteuerregime wechseln. Der Gesetzgeber sanktioniert damit zum einen die auf der Ebene der Mitunternehmerschaft dadurch eintretende Statusänderung der stillen Reserven, dass diese erstmals einem Körperschaftsteuersubjekt zuzurechnen sind. Zudem will er aber auch Vorsorge dagegen treffen, dass der Gesellschafter der Körperschaft die in dem übertragenen Wirtschaftsgut gespeicherten stillen Reserven unter Nutzung des Teil- bzw. Halbeinkünfteverfahrens durch Veräußerung der Anteile an der Körperschaft, die nun im Wert gestiegen sind, realisiert. Ausgehend von diesem Zweck ist nach Ansicht des IV. Senats unter einem „Anteil“ iSd. § 6 Abs. 5 Sätze 5 und 6 EStG die unmittelbare oder mittelbare vermögensmäßige Beteiligung eines Körperschaftsteuersubjekts an einem zuvor nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG übertragenen Wirtschaftsgut und damit an den darin gespeicherten stillen Reserven zu verstehen.8 Daraus ergibt sich, dass § 6 Abs. 5 Satz 5 EStG nicht eingreift, soweit dem Körperschaftsteuersubjekt vor und nach der Übertragung nach Satz 3 das Wirtschaftsgut vermögensmäßig unverändert zusteht und sich nur das Alleineigentum in Gesamthandseigentum umwandelt. Daraus ergibt sich des Weiteren, dass § 6 Abs. 5 Satz 5 EStG auch dann nicht eingreift, wenn dem Körperschaftsteuersubjekt das Wirtschaftsgut bei mittelbarer Beteiligung durch die Mitunternehmerstellung an einer Oberpersonengesellschaft bereits vor und nach der Übertragung vermögensmäßig unverändert zusteht und sich nur die Beteiligungskette ändert. (2) Unmittelbarer Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 5 EStG Bezogen auf den Streitfall war danach im Streitjahr 2010 das Grundstück nicht sogleich mit dem Teilwert anzusetzen. Die Z-GmbH war zwar Mitunternehmerin, nämlich Komplementärin der E-KG, aber nicht an deren Vermögen beteiligt. Deshalb wurde durch die Übertragung des Grundstücks von der T-KG auf die E-KG kein „Anteil“ der Z-GmbH iSd. § 6 Abs. 5 Satz 5 EStG begründet. Auch der Anteil der E-GmbH an dem Grundstück hat sich durch die Übertragung nicht ge8 BFH v. 15.7.2021 – IV R 36/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.150721.IVR36.18.0 (BFHE 274, 55 = FR 2022, 344 = GmbHR 2022, 158 m. Anm. Schindler), Rz. 20 ff., und v. 18.8.2021 – XI R 43/20, ECLI:DE:BFH:2021:U.180821.XIR43.20.0 (BFHE 274, 124 = FR 2022, 352 m. Anm. Wendt = GmbHR 2022, 608), Rz. 30.

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ändert, sondern nur die Beteiligungskette – vor der Übertragung nach Satz 3 war die E-GmbH zu 11% mittelbar am Grundstück der T-KG, nach der Übertragung erstmals zu 11% mittelbar am Grundstück der E-KG beteiligt; hierdurch wird weder ein – mittelbarer – Anteil der E-GmbH an dem Grundstück begründet noch hat sich dieser erhöht. Geändert hat sich nur die Beteiligungskette. bb) Rückwirkender Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Sätze 4 oder 6 EStG Da es im Jahr 2012 zu mehreren Umstrukturierungen gekommen war, musste sich der BFH nun mit der Frage befassen, ob es durch eine dieser Umstrukturierungen ggf. zu einem Sperrfristverstoß nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG gekommen war mit der Folge, dass rückwirkend im Streitjahr 2010 der Teilwert anzusetzen war. Nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG ist rückwirkend auf den Zeitpunkt der Übertragung des nach Satz 3 übertragenen Wirtschaftsguts der Teilwert anzusetzen, soweit innerhalb von sieben Jahren nach der Übertragung der Anteil einer Körperschaft an dem übertragenen Wirtschaftsgut aus einem anderen Grund unmittelbar oder mittelbar begründet wird oder dieser sich erhöht. Die Formulierung „aus einem anderen Grund“ grenzt dabei lediglich Satz 6 von Satz 5 ab; sie beschreibt also diejenigen Fälle, in denen die Anteilsbegründung bzw. -erhöhung nicht – wie nach Satz 5 – aufgrund der Übertragung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG selbst, sondern erst aufgrund irgendeines dieser Übertragung nachgelagerten Vorgangs erfolgt.9 Die Anteilsveränderung muss also nicht zwingend aufgrund eines Rechtsträgerwechsels erfolgt sein – erfasst wird daher auch der identitätswahrende Formwechsel.10 Die Norm setzt auch keine Missbrauchsabsicht voraus.11 Verhindert werden soll allein der steu-

9 BFH v. 15.7.2021 – IV R 36/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.150721.IVR36.18.0 (BFHE 274, 55 = FR 2022, 344 = GmbHR 2022, 158 m. Anm. Schindler), Rz. 26 f., mwN ua. aus der Literatur, und v. 18.8.2021 – XI R 43/20, ECLI:DE: BFH:2021:U.180821.XIR43.20.0 (BFHE 274, 124 = FR 2022, 352 m. Anm. Wendt = GmbHR 2022, 608), Rz. 31. 10 BFH v. 15.7.2021 – IV R 36/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.150721.IVR36.18.0 (BFHE 274, 55 = FR 2022, 344 = GmbHR 2022, 158 m. Anm. Schindler), Rz. 26 f., mwN ua. aus der Literatur. 11 BFH v. 15.7.2021 – IV R 36/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.150721.IVR36.18.0 (BFHE 274, 55 = FR 2022, 344 = GmbHR 2022, 158 m. Anm. Schindler), Rz. 33, und v. 18.8.2021 – XI R 43/20, ECLI:DE:BFH:2021:U.180821.XIR43.20.0 (BFHE 274, 124 = FR 2022, 352 m. Anm. Wendt = GmbHR 2022, 608), Rz. 34.

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erneutrale Wechsel stiller Reserven vom Einkommensteuer- in das Körperschaftsteuerregime. Ein Sperrfristverstoß kann daher auch vorliegen, wenn die Anteilsbegründung durch einen Formwechsel der Oberpersonengesellschaft nach § 25 Satz 1, § 20 Abs. 2 Satz 2 des UmwStG zu Buchwerten erfolgt. Auch dann ist rückwirkend trotzdem der Teilwert anzusetzen. Denn der Regelungszweck von § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG einerseits und von § 22 Abs. 1 UmwStG andererseits sind nicht deckungsgleich. § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG beschränkt die steuerschädliche Sanktion nicht auf die Ebene der Anteile am Körperschaftsteuersubjekt, sondern sanktioniert eben gleichermaßen die Statusänderung auf Ebene der Mitunternehmerschaft. Damit geht er über den Zweck des § 22 Abs. 1 UmwStG hinaus.12 (1) Unentgeltliche Übertragung des Kommanditanteils an der M-KG von N auf M Bei der unentgeltlichen Übertragung des Kommanditanteils an der M-KG von N auf M handelt es sich um eine Übertragung zwischen zwei natürlichen Personen, die keinen Sperrfristverstoß nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG auslösen kann. (2) Entgeltliche Übertragung eines Teilanteils an der M-KG von der E-GmbH auf die P-GmbH (a) Rückwirkender Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG? Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG stellt diese Übertragung einen Sperrfristverstoß dar, der zum rückwirkenden Teilwertansatz führen müsste, denn erstmals wird ein (mittelbarer) Anteil der P-GmbH an dem Grundstück begründet. Nach Ansicht des IV. Senats ist hier allerdings eine teleologische Reduktion des Wortlauts vorzunehmen.13 Danach greift § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG nicht ein, wenn innerhalb der Sperrfrist eine an der Oberpersonengesell12 BFH v. 15.7.2021 – (BFHE 274, 55 = FR Rz. 35 ff. 13 BFH v. 15.7.2021 – (BFHE 274, 55 = FR Rz. 51.

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IV R 36/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.150721.IVR36.18.0 2022, 344 = GmbHR 2022, 158 m. Anm. Schindler), IV R 36/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.150721.IVR36.18.0 2022, 344 = GmbHR 2022, 158 m. Anm. Schindler),

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schaft als Mitunternehmerin beteiligte Kapitalgesellschaft, die bereits an dem nach Satz 3 übertragenen Wirtschaftsgut (mittelbar) vermögensmäßig beteiligt war, einen Teil- oder ihren gesamten Mitunternehmeranteil an eine andere Kapitalgesellschaft veräußert. Denn es kommt zu keinem Wechsel von im Zeitpunkt der Übertragung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG im übertragenen Wirtschaftsgut gespeicherten stillen Reserven aus dem Einkommensteuer- in das Körperschaftsteuerregime. Danach stellte die entgeltliche Übertragung eines Teilanteils an der M-KG von der E-GmbH auf die P-GmbH im Streitfall keinen Sperrfristverstoß dar: Die E-GmbH war im Zeitpunkt der Übertragung des Grundstücks vermögensmäßig schon an den darin enthaltenen stillen Reserven beteiligt. Wenn sie jetzt einen Teil ihres Mitunternehmeranteils an der M-KG, der ihr die vermögensmäßige Beteiligung an dem Grundstück vermittelt, auf die P-GmbH überträgt, ist nun lediglich die P-GmbH statt der E-GmbH im Umfang des übertragenen Anteils vermögensmäßig an dem Grundstück beteiligt. Der gesamte Anteil der Beteiligung einer Körperschaft an den stillen Reserven im Grundstück erhöht sich dadurch aber nicht. (b) Rückwirkender Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG? Der Anteil an einer Personengesellschaft verkörpert steuerrechtlich grundsätzlich die Zusammenfassung aller Anteile an den Wirtschaftsgütern des Gesellschaftsvermögens dieser Personengesellschaft. Zum Teil wird daher vertreten, dass die Veräußerung eines Teil-/Mitunternehmeranteils unter § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG falle. Bezogen auf den Streitfall hätte die E-GmbH danach einen Sperrfristverstoß nach § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG begangen, weil sie innerhalb von 3 Jahren nach der Übertragung des Grundstücks ihren mittelbaren Anteil an diesem Grundstück an die P-GmbH veräußert hat. Nach Ansicht des BFH fällt die Veräußerung von einem Teil-/Mitunternehmeranteil jedoch nicht unter § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG. Der Anteil an einer Personengesellschaft verkörpert steuerrechtlich zwar grundsätzlich die Zusammenfassung aller Anteile an den Wirtschaftsgütern des Gesellschaftsvermögens. Eine normspezifische Auslegung im Rahmen des § 6 Abs. 5 EStG ergibt jedoch, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung „das nach Satz 3 übertragene Wirtschaftsgut“ in § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG nur das Wirtschaftsgut selbst und nicht einen ideellen Anteil daran gemeint hat. Denn in den Sätzen 5 und 6 des § 6 Abs. 5 EStG spricht

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er demgegenüber ausdrücklich von dem „Anteil einer Körperschaft an dem übertragenen Wirtschaftsgut“.14 Bezogen auf den Streitfall führte daher die entgeltliche Übertragung eines Teilanteils an der M-KG von der E-GmbH auf die P-GmbH weder nach § 6 Abs. 5 Satz 6 noch nach § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG dazu, dass das Grundstück rückwirkend im Streitjahr 2010 mit dem Teilwert anzusetzen war. Der insoweit für § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG vorgeschlagenen Gesetzesänderung durch den Bundesrat15 ist der Gesetzgeber jedenfalls16 im Jahressteuergesetz 202217 nicht gefolgt. (3) Verschmelzung der E-GmbH auf die M-KG Auch die nachfolgende Verschmelzung der E-GmbH auf die M-KG löste keinen Sperrfristverstoß nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG aus. Denn dadurch hat sich der mittelbare Anteil der E-GmbH an dem zu Buchwerten eingebrachten Grundstück lediglich verringert. Eine bloße Verringerung des (unmittelbaren oder mittelbaren) Anteils eines Körperschaftsteuersubjekts am übertragenen Wirtschaftsgut wird von § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG jedoch nicht erfasst.18 (4) Formwechselnde Umwandlung der M-KG in die M-GmbH Wie bereits oben19 dargelegt, erfasst § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG auch die formwechselnde Umwandlung. Die Regelung ist auch nicht einschränkend dahin auszulegen, dass ein Sperrfristverstoß ausscheidet, wenn die Anteilsbegründung durch einen Formwechsel der Oberpersonengesellschaft nach § 25 Satz 1, § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG zu Buchwerten erfolgt. 14 BFH v. 15.7.2021 – IV R 36/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.150721.IVR36.18.0 (BFHE 274, 55 = FR 2022, 344 = GmbHR 2022, 158 m. Anm. Schindler), Rz. 50, und v. 18.8.2021 – XI R 43/20, ECLI:DE:BFH:2021:U.180821.XIR43.20.0, BFHE 274, 124, Rz. 26 = FR 2022, 352 m. Anm. Wendt = GmbHR 2022, 608. 15 BRDrucks 457/22, Beschluss v. 28.10.2022, S. 5 ff. 16 BTDrucks 20/4229 v. 2.11.2022: Bundesregierung will den Vorschlag prüfen. 17 JStG 2022 v. 16.12.2022, BGBl. I 2022, 2294. 18 BFH v. 15.7.2021 – IV R 36/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.150721.IVR36.18.0 (BFHE 274, 55 = FR 2022, 344 = GmbHR 2022, 158 m. Anm. Schindler), Rz. 54. 19 Unter II.1.b-bb.

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Bezogen auf den Streitfall stellt daher die formwechselnde Umwandlung der M-KG in die M-GmbH einen Sperrfristverstoß nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG dar. Denn dadurch wurde erstmals ein mittelbarer Anteil der M-GmbH an dem nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG übertragenen Grundstück begründet. Folge dieses Sperrfristverstoßes ist der rückwirkende Ansatz des übertragenen Grundstücks im Streitjahr 2010 mit dem Teilwert (s. dazu unten II.1.b-cc). (5) Formwechselnde Umwandlung der T-KG in die T-GmbH Diese Umstrukturierung beinhaltete einen weiteren Sperrfristverstoß nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG, der sich allerdings im Streitfall nicht mehr auswirkte, weil die stillen Reserven im Grundstück bereits infolge des vorangegangenen Sperrfristverstoßes durch die Umwandlung der M-KG in die M-GmbH aufgedeckt wurden.20 cc) Rechtsfolge eines Sperrfristverstoßes nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG Rechtsfolge eines Sperrfristverstoßes nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG ist der rückwirkende Ansatz des nach Satz 3 übertragenen Wirtschaftsguts mit dem Teilwert. Dabei kommt es für die Bestimmung des rückwirkenden Teilwertansatzes auf die vermögensmäßigen Beteiligungsverhältnisse im Zeitpunkt der Übertragung nach Satz 3 an. Denn § 6 Abs. 5 Sätze 5 und 6 EStG bezwecken, die im Zeitpunkt der Übertragung nach Satz 3 vorhandenen stillen Reserven zu besteuern, die vom Einkommensteuerin das Körperschaftsteuerregime wechseln. Ob und in welchem Umfang im Zeitpunkt des Sperrfristverstoßes stille Reserven im Wirtschaftsgut vorhanden sind, ist daher ohne Bedeutung. Abzustellen ist allein auf den Zeitpunkt der Übertragung des Wirtschaftsguts. Danach sind keine stillen Reserven aufzudecken, die in diesem Zeitpunkt bereits im Körperschaftsteuerregime verhaftet waren.21 Im Streitfall schied danach der rückwirkende Teilwertansatz insoweit aus, als die E-GmbH mittelbar über die M-KG bereits im Zeitpunkt der

20 BFH v. 15.7.2021 – (BFHE 274, 55 = FR Rz. 55. 21 BFH v. 15.7.2021 – (BFHE 274, 55 = FR Rz. 57 f.

IV R 36/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.150721.IVR36.18.0 2022, 344 = GmbHR 2022, 158 m. Anm. Schindler), IV R 36/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.150721.IVR36.18.0 2022, 344 = GmbHR 2022, 158 m. Anm. Schindler),

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Buchwertübertragung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG vermögensmäßig an den stillen Reserven des Grundstücks beteiligt war.

2. BFH v. 18.8.2021 – XI R 43/20 (BFHE 274, 124) a) Sachverhalt An einer KG war neben der vermögensmäßig nicht beteiligten Komplementär-GmbH als Kommanditistin vermögensmäßig zu 100% eine weitere GmbH (Klägerin) beteiligt. Diese übertrug im Jahr 2014 Wirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG zum Buchwert auf die KG. Ein Jahr später veräußerte sie 51% ihres Kommanditanteils an der KG zum Verkehrswert an die Z-KG, an der ausschließlich Körperschaften beteiligt sind. Nachdem das Finanzamt für die Veräußerung des Mitunternehmeranteils an der KG im Jahr 2015 zunächst einen Veräußerungsgewinn der Klägerin erfasst hatte, ging es nach Durchführung einer Außenprüfung von einem Sperrfristverstoß nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG aus und setzte daher die Wirtschaftsgüter bereits im Jahr 2014 zu 51% mit dem Teilwert an. Dafür setzte es in 2015 keinen Veräußerungsgewinn mehr an. b) Entscheidung des BFH Der XI. Senat folgt dem IV. Senat insoweit, als auch er davon ausgeht, dass die Wirtschaftsgüter im Jahr 2014 weder nach § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG noch nach § 6 Abs. 5 Satz 5 EStG mit dem Teilwert anzusetzen sind. Des Weiteren kam auch der XI. Senat zu dem Ergebnis, dass auch nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG kein Teilwert rückwirkend im Jahr 2014 anzusetzen sei. Zwar sei der Wortlaut der Norm erfüllt, denn durch die Übertragung eines Teils des Mitunternehmeranteils an der KG von der Klägerin auf die Z-KG sei erstmals ein (mittelbarer) Anteil der an der Z-KG beteiligten Z-Körperschaften an den nach Satz 3 übertragenen Wirtschaftsgütern begründet worden. § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG sei aber – so auch der XI. Senat – teleologisch zu reduzieren. Ein Sperrfristverstoß scheide aus, wenn nachträglich ein Anteil einer Körperschaft an einem zuvor zu Buchwerten eingebrachten Wirtschaftsgut innerhalb der Sperrfrist aufgrund eines vollentgeltlichen Beteiligungserwerbs unmittelbar oder mittelbar begründet werde. § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG erfasse nicht jede Anteilsveräußerung innerhalb der 48

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Sperrfrist, sondern greife nur ein, wenn und soweit die stillen Reserven im Zuge der Veräußerung der Anteile nicht aufgedeckt werden. Dementsprechend sei der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG jedenfalls in Fällen, in denen infolge der Entgeltlichkeit der Anteilsveräußerung die stillen Reserven der übertragenen Wirtschaftsgüter aufgedeckt werden und damit gerade nicht auf ein anderes Körperschaftsteuersubjekt übergehen, nicht eröffnet.22

3. Folgen des unterschiedlichen Ansatzes des IV. und des XI. Senats Ebenso wie der IV. Senat hat damit auch der XI. Senat den Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG telelogisch reduziert, allerdings mit einer anderen Begründung. Dabei geht der Ansatz des IV. Senats weiter als der des XI. Senats. Denn nach Ansicht des IV. Senats scheidet ein Sperrfristverstoß nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG immer aus, wenn und soweit es bei der Anteilsübertragung nicht zu einer Verlagerung der stillen Reserven in dem zuvor nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG übertragenen Wirtschaftsgut vom Einkommensteuer- in das Körperschaftsteuerregime kommt. Dementsprechend kommt es zum Beispiel bei einer entgeltlichen Übertragung des Anteils einer Körperschaft auf eine andere Körperschaft nach Ansicht des IV. Senats auch nicht darauf an, ob der Anteil zum Verkehrswert oder verbilligt veräußert wurde. Der ua. zur Beseitigung dieser „durch die Rechtsprechung entstandenen unabgestimmten Rechtslage“ vom Bundesrat vorgeschlagenen Gesetzesänderung23 ist der Gesetzgeber jedenfalls24 im Jahressteuergesetz 202225 nicht gefolgt.

22 Teilweise inhaltsgleich mit BFH v. 18.8.2021 – XI R 20/19, BFH/NV 2022, 403. 23 BRDrucks 457/22, Beschluss v. 28.10.2022, S. 5 ff. 24 BTDrucks 20/4229 v. 2.11.2022: Bundesregierung will den Vorschlag prüfen. 25 JStG 2022 v. 16.12.2022, BGBl. I 2022, 2294.

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III. Zuordnung von Kapitalbeteiligungen zum Sonderbetriebsvermögen II 1. BFH v. 21.12.2021 – IV R 15/19 (BFHE 275, 206 = BStBl. II 2022, 651) a) Sachverhalt Die Klägerin, eine gewerblich geprägte KG, vermietet Grundbesitz, beschäftigt aber keine eigenen Arbeitnehmer. An ihr ist als Kommanditist C vermögensmäßig zu 100% beteiligt. Komplementärin der Klägerin ist die B-GmbH ohne vermögensmäßige Beteiligung; an ihr ist wiederum C zu 80% beteiligt. Die B-GmbH hat bereits vor Gründung der Klägerin existiert, ist beteiligt an weiteren Immobiliengesellschaften, verfügt über erheblichen eigenen Grundbesitz, und ihre Arbeitnehmer erledigen die bei der Vermietungstätigkeit der Klägerin anfallenden Arbeiten. Die Tätigkeit der B-GmbH ist also nicht auf die Komplementär-Funktion und die Geschäftsführertätigkeit bei der Klägerin beschränkt. C verschenkte im Streitjahr Anteile an der B-GmbH an seine Kinder. Der Betriebsprüfer nahm eine Entnahme der Kapitalbeteiligungen des C aus dessen Sonderbetriebsvermögen (SBV) bei der Klägerin an. Auch wenn die B-GmbH selbst vermietete Grundstücke halte und an weiteren Personengesellschaften beteiligt sei, sei sie aufgrund der tatsächlichen Geschäftsbeziehungen auch wirtschaftlich eng mit der Klägerin verflochten. Denn über ihre Haftung als Komplementärin und ihre Geschäftsführertätigkeit hinaus habe sie auch die Hausverwaltung und Buchführung für die Klägerin erbracht. Zudem handele es sich bei der Klägerin um eine zweigliedrige KG, bei der die Beteiligung an der Komplementär-GmbH immer eine funktional wesentliche Betriebsgrundlage sei. Dem folgend stellte das Finanzamt im Gewinnfeststellungsbescheid für die Klägerin ua. einen Sonderbetriebsgewinn für C fest.26 b) Entscheidung des BFH Zu entscheiden war, ob die (Mehrheits-)Beteiligung des C an der B-GmbH zu dessen Sonderbetriebsvermögen bei der Klägerin gehört hat mit der Folge, dass die Schenkung der Anteile an der B-GmbH an seine Kinder zu einem laufenden Sonderbetriebsgewinn (Entnahmegewinn) des C führt. 26 Vereinfachter Sachverhalt.

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aa) Kapitalbeteiligung als SBV I (1) Kapitalbeteiligung als notwendiges SBV I Zum notwendigen SBV I gehören Wirtschaftsgüter, die objektiv erkennbar zum unmittelbaren Einsatz im Betrieb der Personengesellschaft selbst bestimmt sind. Hierzu gehören insbesondere solche Wirtschaftsgüter, die ein Gesellschafter der Personengesellschaft zur Nutzung für ihre Tätigkeit überlässt.27 Die Beteiligung eines Kommanditisten an einer Komplementär-GmbH ist jedoch objektiv erkennbar nicht zum unmittelbaren Einsatz im Betrieb der Personengesellschaft selbst bestimmt. Denn eine GmbH & Co. KG übt ihre Tätigkeit nicht durch die von einem Kommanditisten gehaltene Beteiligung an der Komplementär-GmbH aus. Das gilt auch dann, wenn -wie im Streitfall vorgetragen wurde-die Beteiligung an der Komplementär-GmbH erforderlich gewesen ist, um überhaupt eine GmbH & Co. gründen zu können. Die Beteiligung des C an der B-GmbH gehörte danach jedenfalls nicht zum notwendigen SBV I des C bei der Klägerin. (2) Kapitalbeteiligung als gewillkürtes SBV Gewillkürtes SBV I schied im Streitfall ebenfalls aus, da C die Beteiligung nicht in seiner Sonderbilanz bilanziert hatte und es damit schon an einer Willkürung fehlte. bb) Kapitalbeteiligung als SBV II (1) Kapitalbeteiligung als notwendiges SBV II Zum notwendigen SBV II gehören Wirtschaftsgüter des Mitunternehmers, wenn sie unmittelbar zur Begründung oder zur Stärkung seiner Beteiligung an der Personengesellschaft bzw. Mitunternehmerschaft eingesetzt werden.28 Die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft kann die Beteiligung des Mitunternehmers an der Personengesellschaft sowohl dadurch stärken, dass sie für das Unternehmen der Personengesell27 Z.B. BFH v. 21.12.2021 – IV R 15/19, ECLI:DE:BFH:2021:U.211221.IVR15.19.0 (BFHE 275, 206 = BStBl. II 2022, 651 = FR 2022, 503 m. Anm. Kanzler = GmbHR 2022, 544), Rz. 25, mwN. 28 Z.B. BFH v. 21.12.2021 – IV R 15/19, ECLI:DE:BFH:2021:U.211221.IVR15.19.0 (BFHE 275, 206 = BStBl. II 2022, 651 = FR 2022, 503 m. Anm. Kanzler = GmbHR 2022, 544), Rz. 30, m.w.N.

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schaft wirtschaftlich vorteilhaft ist, als auch dadurch, dass sie der Mitunternehmerstellung selbst dient, weil durch die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft der Einfluss des Mitunternehmers in der Personengesellschaft steigt bzw. gestärkt wird. Letzteres kann insbesondere dann gegeben sein, wenn sich der Kommanditist einer GmbH & Co. KG an der Komplementär-GmbH beteiligt und über seine Beteiligung an der Komplementär-GmbH Einfluss auf die Geschäftsführung in der KG gewinnt.29 Hierzu ist grundsätzlich insbesondere von Bedeutung, in welchem Umfang der Mitunternehmer an der Komplementär-GmbH beteiligt ist, da davon regelmäßig seine Einflussmöglichkeiten auf die Tätigkeit der Komplementär-GmbH als Geschäftsführerin der GmbH & Co. KG abhängen. (a) Veranlassungszusammenhang als Zuordnungskriterium Im Streitfall ist allerdings zu beachten, dass die B-GmbH – die Komplementärin der Klägerin – einen eigenen Geschäftsbetrieb hatte. Ihre Tätigkeit beschränkte sich also nicht auf die Übernahme der Komplementärfunktion und die damit verbundene Geschäftsführertätigkeit bei der Klägerin. Gerade Kapitalbeteiligungen werden häufig nicht ausschließlich im Interesse der Personengesellschaft gehalten – die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft kann für den Gesellschafter z.B. auch deshalb von Interesse sein, weil er aus seiner Beteiligung erhebliche Beteiligungseinkünfte bezieht. Für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern wie hier der Kapitalbeteiligung zum notwendigen SBV II ist daher der Veranlassungszusammenhang maßgebend. Danach ist für die Zuordnung einer Kapitalbeteiligung zum notwendigen SBV II des Mitunternehmers erforderlich, dass ein ganz überwiegender Veranlassungszusammenhang mit der Beteiligung an der Personengesellschaft besteht.30

29 Z.B. BFH v. 21.12.2021 – IV R 15/19, ECLI:DE:BFH:2021:U.211221.IVR15.19.0 (BFHE 275, 206 = BStBl. II 2022, 651 = FR 2022, 503 m. Anm. Kanzler = GmbHR 2022, 544), Rz. 33, m.w.N. 30 BFH v. 21.12.2021 – IV R 15/19, ECLI:DE:BFH:2021:U.211221.IVR15.19.0 (BFHE 275, 206 = BStBl. II 2022, 651 = FR 2022, 503 m. Anm. Kanzler = GmbHR 2022, 544), Rz. 31 f.

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(b) Maßgeblichkeit der Sicht des Gesellschafters Ob der Gesellschafter, der sowohl an der Kapitalgesellschaft als auch an der Personengesellschaft beteiligt ist, die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft vor allem mit Rücksicht auf die Belange der Personengesellschaft hält oder ob daneben zugleich andere Gesichtspunkte bedeutsam sind, ist nicht aus der Sicht der Personengesellschaft zu beurteilen, sondern aus der des Gesellschafters.31 (c) Regelmäßig keine Zuordnung der Kapitalbeteiligung zum SBV II, wenn Kapitalgesellschaft eigenen Geschäftsbetrieb von nicht ganz untergeordneter Bedeutung unterhält Unterhält die Kapitalgesellschaft neben ihren geschäftlichen Beziehungen zur Personengesellschaft oder neben ihrer Geschäftsführertätigkeit für eine KG einen eigenen Geschäftsbetrieb von nicht ganz untergeordneter Bedeutung, gehört die Kapitalbeteiligung regelmäßig nicht zum SBV II, auch wenn die weiteren Voraussetzungen für die Annahme von notwendigem SBV II (wie z.B. das Erreichen einer bestimmten Beteiligungsquote an der Kapitalgesellschaft) gegeben sein sollten. Denn wenn die Kapitalgesellschaft einen eigenen Geschäftsbetrieb von nicht ganz untergeordneter Bedeutung unterhält, ist grundsätzlich von der Gleichrangigkeit der beiden Gesellschaften und der Interessenbereiche des daran beteiligten Gesellschafters auszugehen. Wenn aber davon auszugehen ist, dass das Interesse des Gesellschafters an der Beteiligung an der Kapitalgesellschaft, um dadurch z.B. Einfluss auf die Personengesellschaft zu nehmen, lediglich gleichranging ist mit seinem Interesse an der Beteiligung an der Kapitalgesellschaft aus anderen Gründen, dann besteht gerade kein ganz überwiegender Veranlassungszusammenhang mit der Beteiligung an der Personengesellschaft – mit der Folge, dass die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft dann regelmäßig nicht zum SBV II des Gesellschafters bei der Personengesellschaft gehört.32

31 BFH v. 21.12.2021 – IV R 15/19, ECLI:DE:BFH:2021:U.211221.IVR15.19.0 (BFHE 275, 206 = BStBl. II 2022, 651 = FR 2022, 503 m. Anm. Kanzler = GmbHR 2022, 544), Rz. 39, 48. 32 BFH v. 21.12.2021 – IV R 15/19, ECLI:DE:BFH:2021:U.211221.IVR15.19.0 (BFHE 275, 206 = BStBl. II 2022, 651 = FR 2022, 503 m. Anm. Kanzler = GmbHR 2022, 544), Rz. 34, m.w.N.

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(d) Anwendung auf den Streitfall Im Streitfall hatte die B-GmbH einen eigenen Geschäftsbereich von nicht ganz untergeordneter Bedeutung. Sie erzielte nicht nur Einkünfte aus der Verwaltung ihres eigenen Grundbesitzes, sondern in erheblichem Umfang auch aus ihren weiteren Beteiligungen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch mit der Verwaltung von Beteiligungen ein eigener Geschäftsbetrieb unterhalten wird.33 Es fehlte daher im Streitfall an dem ganz überwiegenden Veranlassungszusammenhang der Beteiligung des C an der B-GmbH mit seiner Beteiligung an der Klägerin, so dass die Beteiligung des C an der B-GmbH nicht zu seinem notwendigen SBV II bei der Klägerin gehörte. Das wiederum hatte zur Folge, dass die Schenkung von Anteilen an der B-GmbH an die Kinder des C mangels Zugehörigkeit dieser Anteile zum SBV II auch keinen Entnahmegewinn verursachen konnte. (2) Offene Fragen Offen lassen konnte der BFH im Streitfall, ob eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft auch deshalb zum notwendigen SBV II eines Gesellschafters einer Personengesellschaft gehören kann, weil sie zur Begründung der mitunternehmerischen Beteiligung eingesetzt wird, dh. weil sie benötigt wird, um überhaupt eine Mitunternehmerschaft begründen zu können.34 Denn selbst wenn dies möglich sein sollte – was der BFH noch nicht entschieden hat –, würde auch insoweit gelten, dass ein eigener Geschäftsbetrieb der Komplementär-GmbH von nicht ganz untergeordneter Bedeutung, wie er im Streitfall gegeben war, der Annahme von notwendigem SBV II entgegenstehen würde.35 Dahinstehen lassen konnte der BFH ebenfalls, ob eine Kapitalbeteiligung auch gewillkürtes SBV II sein kann, denn im Besprechungsfall war schon keine Willkürung der Beteiligung des C an der B-GmbH er33 Z.B. BFH v. 21.12.2021 – IV R 15/19, ECLI:DE:BFH:2021:U.211221.IVR15.19.0 (BFHE 275, 206 = BStBl. II 2022, 651 = FR 2022, 503 m. Anm. Kanzler = GmbHR 2022, 544), Rz. 35. 34 Vgl. dazu z.B. OFD NRW v. 17.6.2014 – S 2242 - 2014/0003 – St 114, S 2242 2014/00003 – St 115, unter II.3.; OFD Frankfurt v. 3.12.2015 – S 2134 A – 14 – St 517, unter 1.1.3.; ferner Wendt, BFH v. 21.10.2014 – VIII R 22/11, ZIP 2015, 1683 = GmbHR 2015, 539 = FR 2015, 850. 35 BFH v. 21.12.2021 – IV R 15/19, ECLI:DE:BFH:2021:U.211221.IVR15.19.0 (BFHE 275, 206 = BStBl. II 2022, 651 = FR 2022, 503 m. Anm. Kanzler = GmbHR 2022, 544), Rz. 36, 50.

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folgt. In seiner neueren Rechtsprechung hat der IV. Senat allerdings Zweifel daran zum Ausdruck gebracht, ob ein gewillkürtes SBV II wirklich anzuerkennen ist.36 Insgesamt zeigt auch das Besprechungsurteil, dass jedenfalls der IV. Senat den Anwendungsbereich von SBV II eher etwas einzuschränken sucht.

2. Reaktion der Finanzverwaltung In ihrer Verfügung vom 21.7.2022 hält die OFD Frankfurt37 ausdrücklich an ihrer schon bisher vertretenen Auffassung fest, der zufolge bei einer GmbH & Co. KG die Beteiligung eines Gesellschafters an der Komplementär-GmbH zum notwenigen SBV II gehört, wenn die Komplementär-GmbH über ihre gesellschaftsrechtliche Beteiligung als Komplementärin und ihre Geschäftsführertätigkeit hinaus auch wirtschaftlich mit der GmbH & Co. KG verflochten ist und aus Sicht der GmbH & Co. KG die Geschäftsbeziehungen zur GmbH von nicht geringer Bedeutung sind. Da das Besprechungsurteil, wie oben dargelegt, auch in diesem Fall allerdings allein auf die Sicht des Gesellschafters abstellt und bei einem eigenen Geschäftsbetrieb der Komplementär-GmbH von nicht ganz untergeordneter Bedeutung wegen der dann regelmäßig gegebenen Gleichrangigkeit der Interessen des Gesellschafters die Beteiligung an der Komplementär-GmbH nicht zu seinem notwendigen SBV II bei der GmbH & Co. KG rechnet, soll das Besprechungsurteil nach Auffassung der OFD Frankfurt über den entschiedenen Fall hinaus von der Finanzverwaltung nicht angewendet werden. Zwischenzeitlich wurde es allerdings im BStBl. II veröffentlicht.38

36 Dies noch bejahend z.B. BFH v. 20.9.2018 – IV R 39/11, BFHE 262, 393 = BStBl. II 2019, 131, Rz. 30 = FR 2019, 180 m. Anm. Wendt = GmbHR 2019, 193; dies mittlerweile bezweifelnd BFH v. 19.12.2019 – IV R 53/16, ECLI:DE: BFH:2019:U.191219.IVR53.16.0, BFHE 267, 299 = BStBl. II 2020, 534, Rz. 47 = FR 2020, 828 = GmbHR 2020, 1246; v. 28.5.2020 – IV R 17/17, ECLI:DE:BFH: 2020:U.280520.IVR17.17.0, BFHE 269, 158, Rz. 18 = FR 2021, 119. = GmbHR 2020, 1294 = ZIP 2020, 2334. 37 OFD Frankfurt v. 21.7.2022 – S 2134 A - 014 - St 517 („Mitunternehmern gehörende Anteile an Kapitalgesellschaften“), unter Tz. 1.3.2. 38 BStBl. II 2022, 651.

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IV. Gewerbesteuerliche Folgen der Weiternutzung eines Wirtschaftsguts im „neuen Betrieb“ Hier geht es um die Frage, ob ein Gewinn aus der Veräußerung des Geschäftsbetriebs einer Personengesellschaft der Gewerbesteuer unterfällt, wenn die Personengesellschaft wesentliche Betriebsgrundlagen in einem neuen Betrieb weiter nutzt.

1. BFH v. 10.2.2022 – IV R 6/19 (BFHE 276, 159) a) Sachverhalt Klägerin ist eine GmbH & Co. KG. An ihr ist als Kommanditist C vermögensmäßig zu 100% beteiligt. Komplementärin der Klägerin ist die K-GmbH ohne vermögensmäßige Beteiligung. Die K-GmbH hatte sich zunächst auf die Komplementär-Funktion der Klägerin beschränkt und erst später weitere Beteiligungen an anderen Gesellschaften erworben. Die Beteiligung des C an der K-GmbH war zu keinem Zeitpunkt als SBV II des C bei der Klägerin bilanziert worden. Im Streitjahr veräußerte die Klägerin ihren Geschäftsbetrieb und beschränkte sich in der Folgezeit auf das Halten von zwei Beteiligungen. Das Finanzamt unterwarf den Gewinn aus der Veräußerung des Geschäftsbetriebs der Gewerbesteuer, da die Klägerin eine wesentliche Betriebsgrundlage – die Beteiligung des C an der K-GmbH als dessen SBV II – ohne Aufdeckung der stillen Reserven im „neuen“ Betrieb weiter genutzt habe. Daher liege keine Betriebsaufgabe vor und der Veräußerungsgewinn unterfalle der Gewerbesteuer.39 b) Entscheidung des BFH aa) Allgemeine gewerbesteuerrechtliche Grundsätze Zunächst hat der BFH allgemeine Grundsätze wiederholt. So ist bei natürlichen Personen und Personengesellschaften der Gewerbeertrag um solche Bestandteile zu bereinigen, die nicht mit dem Wesen der Gewerbesteuer als einer auf den tätigen Gewerbebetrieb bezogenen Sachsteuer übereinstimmen. Dementsprechend unterfallen Gewinne aus der Veräußerung oder Aufgabe eines Gewerbebetriebs grundsätzlich40 nicht 39 Vereinfachter Sachverhalt. 40 Sofern ihre Einbeziehung nicht ausnahmsweise ausdrücklich angeordnet ist, wie z.B. durch § 7 Satz 2 GewStG.

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der Gewerbesteuer.41 Dabei kommt es für die gewerbesteuerrechtliche Nichterfassung von Veräußerungsgewinnen – anders als im Bereich der Einkommensteuer – nicht darauf an, ob alle stillen Reserven aufgedeckt sind. Denn die Nichtberücksichtigung dieser Gewinne hat ihren Grund darin, dass die Gewerbesteuer nur den durch den laufenden Betrieb anfallenden Gewinn erfasst. Veräußerungsgewinne sind daher – selbst für den Fall, dass einkommensteuerrechtlich keine begünstigte Veräußerung oder Aufgabe gegeben ist – bei der Ermittlung des Gewerbeertrags auszuscheiden, wenn die Veräußerung zu einer endgültigen Einstellung der gewerblichen Betätigung des Veräußerers führt.42 Entschieden ist ferner, dass eine Personengesellschaft – auch eine gewerblich geprägte Personengesellschaft – ebenso wie ein Einzelunternehmer nacheinander mehrere Betriebe betreiben kann. Ob der bisherige Gewerbebetrieb eingestellt und ein neuer Gewerbebetrieb in Gang gesetzt wird, richtet sich in Abgrenzung zu einer Betriebsverlegung oder Betriebsumstellung danach, ob der „bisherige“ und der „neue“ Betrieb bei wirtschaftlicher Betrachtung und nach der Verkehrsauffassung wirtschaftlich identisch sind. Dabei ist unter „Gewerbebetrieb“ in diesem Zusammenhang die tatsächlich ausgeübte gewerbliche Betätigung zu verstehen – bei einer Personengesellschaft also die Tätigkeit der Personengesellschaft. Ob diese gewerbliche Tätigkeit die gleiche geblieben ist, ist nach dem Gesamtbild der Tätigkeit unter Berücksichtigung ihrer wesentlichen Merkmale zu beurteilen.43 bb) Weiternutzung einer wesentlichen Betriebsgrundlage des bisherigen Betriebs im neuen Betrieb (1) BFH v. 19.12.2019 – IV R 8/17 (BFHE 267, 425 = BFH v. 19.12.2019 – IV R 8/17, BStBl. II 2020, 401 = FR 2020, 789 m. Anm. Nöcker = GmbHR 2020, 711) In seinem Urteil vom 19.12.2019 – IV R 8/17 hatte der BFH unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung bereits zur Bestimmung des Unternehmensgegenstands iSd. § 10a GewStG entschieden, dass die Wei-

41 Z.B. BFH v. 10.2.2022 – IV R 6/19, BFHE 276, 159, Rz. 28 = FR 2022, 773 m. Anm. Stephani/Suchanek = GmbHR 2022, 1213 = ZIP 2022, 1484. 42 Z.B. BFH v. 10.2.2022 – IV R 6/19, BFHE 276, 159, Rz. 28 = FR 2022, 773 m. Anm. Stephani/Suchanek = GmbHR 2022, 1213 = ZIP 2022, 1484. 43 Z.B. BFH v. 10.2.2022 – IV R 6/19, BFHE 276, 159, Rz. 29 ff. = FR 2022, 773 m. Anm. Stephani/Suchanek = GmbHR 2022, 1213 = ZIP 2022, 1484.

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ternutzung einer wesentlichen Betriebsgrundlage in dem „neuen“ Betrieb der Einstellung des „bisherigen“ Betriebs nicht entgegenstehe. Begründet hat der BFH diese Rechtsprechungsänderung seinerzeit damit, dass Steuergegenstand bei natürlichen Personen und Personengesellschaften die konkret ausgeübte werbende Betätigung ist. Aufgrund dieses tätigkeitsbezogenen Verständnisses des Steuergegenstands könne daher nicht allein aus dem Umstand, dass ein Wirtschaftsgut mit erheblichen stillen Reserven oder eine funktional wesentliche Betriebsgrundlage in dem „neuen“ Betrieb der fortbestehenden Personengesellschaft weiter genutzt werde, auf eine Weiterführung des „bisherigen“ Betriebs geschlossen werden. Dass eine für den „bisherigen“ Betrieb insbesondere quantitativ wesentliche Betriebsgrundlage in dem „neuen“ Betrieb weiter genutzt werde, sei vielmehr lediglich einer der Umstände, die bei der erforderlichen Würdigung der Gesamtumstände zu berücksichtigen seien. Endet also die bisherige Tätigkeit der Personengesellschaft, entfällt die sachliche Steuerpflicht; es entfällt auch die Unternehmensidentität, so dass im bisherigen Betrieb entstandene Verluste nicht mehr genutzt werden können. (2) BFH v. 10.2.2022 – IV R 6/19 (BFHE 276, 159) Diese Grundsätze hat der BFH im Besprechungsurteil IV R 6/19 vom 10.2.2022 nun auf die Frage übertragen, ob ein Veräußerungsgewinn der Gewerbesteuer unterfällt, wenn funktional oder quantitativ wesentliche Betriebsgrundlagen aus dem „bisherigen“ Betrieb im „neuen“ Betrieb weiter genutzt werden. Dabei ist er zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser Umstand auch in diesem Zusammenhang nur einer der Umstände ist, die bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen sind, ob der bisherige Betrieb beendet und ein neuer Betrieb eröffnet oder der nämliche Betrieb bei wirtschaftlicher Betrachtung weitergeführt wurde.44 Ausgehend davon, dass Gewinne, die der Beendigung der werbenden Tätigkeit zuzuordnen sind, nicht der sachlichen Gewerbesteuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG unterliegen, muss auch in diesen Fällen die konkret ausgeübte werbende Tätigkeit in den Blick genommen werden. Daher kann es auch bei Prüfung der Frage, ob ein Veräußerungsgewinn der Gewerbesteuer unterliegt, nicht allein auf den Umstand ankommen, ob eine wesentliche Betriebsgrundlage in dem „neuen“ Betrieb der fortbestehenden Personengesellschaft weiter genutzt wird. 44 BFH v. 10.2.2022 – IV R 6/19, BFHE 276, 159, Rz. 35 ff. = FR 2022, 773 m. Anm. Stephani/Suchanek = GmbHR 2022, 1213 = ZIP 2022, 1484.

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Dies führt auch zu folgerichtigen Ergebnissen. Bei der Weiternutzung wesentlicher Betriebsgrundlagen kann die sachliche Steuerpflicht und damit die Unternehmensidentität wegfallen; bisher nicht genutzte Gewerbeverluste (§ 10a GewStG) gehen ersatzlos unter. In einem solchen Fall muss dann aber auch bei der Prüfung der Gewerbesteuerpflicht von Veräußerungsgewinnen vom Ende der sachlichen Steuerpflicht infolge einer Einstellung der werbenden Tätigkeit ausgegangen werden. Gehen die Gewerbeverluste mangels Unternehmensidentität unter, dürfen die in diesem Zusammenhang erzielten Gewinne nicht mehr der Gewerbesteuer unterliegen. Anderenfalls wären die Veräußerungsgewinne beim Gewerbesteuerschuldner trotz Untergangs des Verlustvortrags gewerbesteuerpflichtig. Bezogen auf den Streitfall kam es daher auf die Frage, ob die Beteiligung des C an der Komplementär-GmbH überhaupt dessen SBV II bei der Klägerin zuzuordnen war, nicht mehr an.

2. Folgen der geänderten Rechtsprechung für den bisherigen und den neuen Betrieb Hat die Personengesellschaft ihren bisherigen Betrieb eingestellt und einen neuen Betrieb aufgenommen, hat das folgende Konsequenzen für den bisherigen und für den neuen Betrieb: Für den bisherigen Betrieb liegt ein abgekürzter Erhebungszeitraum vor; ein positiver Gewerbeertrag führt zur Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags für diesen abgekürzten Erhebungszeitraum, ein negativer Gewerbeertrag sowie festgestellte Fehlbeträge aus dem Vorjahr entfallen, denn sie können mangels Unternehmensidentität im neuen Betrieb nicht genutzt werden. Ein Gewinn aus der Veräußerung des bisherigen Betriebs unterliegt nicht der Gewerbesteuer. Auch für den neuen Betrieb liegt ein abgekürzter Erhebungszeitraum vor, für den ein eigener Gewerbeertrag zu ermitteln ist. Je nachdem, ob er positiv oder negativ ist, wird ein Gewerbesteuermessbetrag festgesetzt oder ein vortragsfähiger Fehlbetrag festgestellt.

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Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellschaften Dr. Martin Strahl Rechtsanwalt, Köln I. Betriebsveräußerung nach Realteilung

III. Betriebsaufgabe in festsetzungsverjährter Zeit

II. Betriebsunterbrechung über drei Generationen

I. Betriebsveräußerung nach Realteilung (1) Wurden im Zuge einer Realteilung einzelne Wirtschaftsgüter übertragen und löst sodann einer der Realteiler rückwirkend einen Gewinn iSd. § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG aus, weil er innerhalb der Sperrfrist seinen Betrieb veräußert, in den er die im Rahmen der Realteilung übernommenen wesentlichen Betriebsgrundlagen zum Buchwert übertragen hat, ist jener Gewinn allein diesem Realteiler zuzurechnen. (2) Das Urt. v. 23.11.20211 bringt Klarheit zu einer wesentlichen Frage, welche sich nach einer Realteilung auftun kann, die nicht durch die Übertragung von Teilbetrieben oder Mitunternehmeranteilen, sondern durch die Übernahme einzelner Wirtschaftsgüter in das Betriebsvermögen der Realteiler erfolgt. Kommt es dann nämlich zu einem Sperrfristverstoß gem. § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG durch einen einzelnen Realteiler, so ist der daraus rückwirkend auf den Zeitpunkt der Realteilung anzusetzende Gewinn nicht allen Realteilern nach der Gewinnverteilungsquote, sondern allein dem die Sperrfristverletzung auslösenden Realteiler zuzurechnen. Der VIII. Senat nimmt damit eine Differenzierung von jenem Fall vor, dass im Zuge der Realteilung einer der Gesellschafter die ihm zugeteilten Wirtschaftsgüter nicht in ein Betriebsvermögen überführt, sondern entnimmt. In diesem Fall ist der auf die entnommenen Wirtschaftsgüter entfallende (Aufgabe-)Gewinn, der auf der Ebene 1 Vgl. BFH v. 23.11.2021 – VIII R 14/19, ECLI:DE:BFH:2021:U.231121.VIIIR14. 19.0, BStBl. II 2022, 371 = FR 2022, 399 m. Anm. Wendt = GmbHR 2022, 764 m. Anm. Stenert.

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der Gesellschaft entsteht, den einzelnen Realteilern entsprechend der allgemeinen Gewinnverteilungsquote zuzurechnen.2 (3) Eine zweigliedrige ärztliche Gemeinschaftspraxis (GbR) wurde zum 30.6.2012 im Wege einer echten Realteilung beendet. Die jeweils zu 50% mit entsprechender Gewinnverteilungsquote beteiligten Ärztinnen übernahmen die im Rahmen der Realteilung zugeteilten Wirtschaftsgüter zu Buchwerten in freiberufliche Einzelpraxen, in denen sie ihre ärztliche Tätigkeit nach Auflösung der GbR fortsetzten. Die Auseinandersetzungsvereinbarung enthielt keine Regelungen zu einer Veräußerung oder Entnahme des Gesamthandsvermögens innerhalb der Sperrfrist des § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG. Die eine der beiden Realteilerinnen veräußerte sodann ihre im Wege der Realteilung entstandene Arztpraxis zum 30.9.2013 und zeigte dies dem FA an. Sie war der Auffassung, die innerhalb der Sperrfrist veräußerten wesentlichen Betriebsgrundlagen seien rückwirkend auf den Zeitpunkt der Realteilung mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Der daraus resultierende Gewinn sei nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zu verteilen. Der gemeine Wert der betreffenden Wirtschaftsgüter entspreche dem späteren Veräußerungserlös. Dem folgten das FA und das in erster Instanz entscheidende FG des Landes Sachsen-Anhalt. Der BFH entschied demgegenüber, der streitgegenständliche Aufgabegewinn gem. § 16 Abs. 3 Satz 8 EStG sei allein der die Sperrfrist des § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG verletzenden Realteilerin zuzurechnen. (4) Sinn und Zweck der Regelung zur Realteilung in § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG ist, Umstrukturierungsmaßnahmen durch die steuerneutrale Übertragung von Betriebsvermögen zu erleichtern, sofern das unternehmerische Engagement in anderer Form fortgesetzt wird. Schert ein einzelner Realteiler aus, indem er die auf ihn entfallenden Wirtschaftsgüter nicht in anderes Betriebsvermögen überführt, sondern entnimmt, so gereicht dies nach feststehender Rspr. des BFH insoweit nicht zum Nachteil der übrigen Realteiler, als diese personen- oder objektbezogen das im Rahmen der Realteilung erhaltene Betriebsvermögen in einem anderen Betriebsvermögen weiter nutzen.3

2 Vgl. BFHv. 16.3.2017 – IV R 31/14, BStBl. II 2019, 24 Rz. 42 = FR 2019, 32 = GmbHR 2017, 933 = ZIP 2017, 1714 a.E. 3 Vgl. BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BStBl. II 2019, 24 Rz. 42 = FR 2019, 32. = GmbHR 2017, 933 = ZIP 2017, 1714.

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(5) Diese personen- und objektbezogene Begünstigung erfährt durch die Besprechungsentscheidung eine wesentliche Ergänzung dadurch, dass auch bei der sperrfristverletzenden Veräußerung oder Aufgabe eines Betriebs, in den im Zuge der vorausgegangenen Realteilung übernommene wesentliche Betriebsgrundlagen überführt worden sind, der dadurch rückwirkend zu erfassende Gewinn allein durch denjenigen Realteiler zu versteuern ist, der die Sperrfristverletzung zu verantworten hat. Dergestalt wird die Betriebsfortführung der übrigen Realteiler nicht durch eine Besteuerungsfolge erschwert, zu deren Ursache sie nichts beigetragen haben. Anderenfalls käme es – so der BFH zutreffend – zu einer „rechtlich bedenklichen Besteuerung aus Drittverhalten“ (Rz. 37 der Urteilsgründe). (6) Offen lässt der BFH bedauerlicherweise, ob dieselbe Beurteilung angezeigt ist, wenn die Verletzung der Sperrfrist gem. § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG nicht aus einer Betriebsveräußerung, sondern aus der Veräußerung zum Buchwert übertragenen Grund und Bodens, übertragener Gebäude oder anderer (einzelner) übertragener wesentlicher Betriebsgrundlagen resultiert (Rz. 39 der Urteilsgründe). Hier kann mE nichts anderes gelten, weil es sonst ebenso zu einer Besteuerung aus Drittverhalten käme (in dem dem Besprechungsurteil zugrunde liegenden Sachverhalt wollte die eine Realteilerin die Versteuerung des hälftigen Veräußerungsgewinns auf ihre ehemalige Mitgesellschafterin erreichen). (7) Zu der einleitend dargestellten differierenden Beurteilung des IV. Senats, wonach ein durch Entnahmen im Zuge der Realteilung verursachter Aufgabegewinn allen Gesellschaftern nach Maßgabe des Gewinnverteilungsschlüssels zuzurechnen ist, sieht der VIII. Senat zutreffend darin eine abgrenzende Sichtweise angelegt, dass die Entnahme im Zeitpunkt der Realteilung allen Gesellschaftern bekannt und deswegen zuzurechnen sei, während es sich bei der Veräußerung im Laufe der Sperrfrist nicht um eine gemeinschaftlich verwirklichte Maßnahme der Realteilungsgesellschaft handele. Es ergibt sich damit die folgende Systematik:

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(8) In der Gestaltungspraxis zur Realteilung sind die Beteiligten nach wie vor gut beraten, die Folgen eines Sperrfristverstoßes vertraglich zu regeln, zumal der BFH sich bewusst – wie oben angesprochen – zu den Folgen eines Sperrfristverstoßes durch die Veräußerung oder Entnahme lediglich einzelner übertragener wesentlicher Betriebsgrundlagen nicht äußert.

II. Betriebsunterbrechung über drei Generationen (9) Eine Betriebsunterbrechung setzt voraus, dass nach Einstellung der eigenen Tätigkeit sämtliche für die Fortsetzung wesentlichen Betriebsgrundlagen zurückbehalten und nicht entscheidend umgestaltet werden. Ist dies zu bejahen, steht der Annahme einer Betriebsunterbrechung weder ihre zeitliche Erstreckung über mehr als 60 Jahre noch der Umstand entgegen, dass der bisherige Betriebsinhaber verstorben ist, wenn die wesentlichen Betriebsgrundlagen von einer (Erbes-)Erbengemeinschaft gehalten werden.

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(10) Wiederkehrend streitig werden Fälle, in denen nach Einstellung der aktiven Tätigkeit weiterhin Einkünfte aus Gewerbebetrieb erklärt werden, später indes angegeben wird, der Betrieb sei in festsetzungsverjährter Zeit aufgegeben worden. Der Gesetzgeber hat dem durch Kodifikation von § 16 Abs. 3b EStG entgegenzuwirken gesucht, wonach in Fällen der Betriebsunterbrechung und Betriebsverpachtung im Ganzen ein Gewerbebetrieb, ein Teilbetrieb oder ein gesamter Mitunternehmeranteil nicht als aufgegeben gilt, bis der Stpfl. entweder die Betriebsaufgabe gegenüber dem FA erklärt (Nr. 1) oder dem FA Tatsachen bekannt werden, aus denen sich ergibt, dass die Voraussetzungen einer Betriebsaufgabe erfüllt sind (Nr. 2). Aus der Entscheidung des BFH v. 21.12.20214 ergibt sich, dass für den letztgenannten Tatbestand kaum Anwendungsfälle gegeben sein dürften. (11) Die zeitlichen Dimensionen des Falles sei mit der folgenden Darstellung verdeutlicht:

(12) Danach hatte der Großvater der Kläger Anfang der 1930er Jahre einen Brotgroßhandel auf einem Grundstück gegründet. Er kaufte das Brot im Umland, holte es mit einem Lastwagen dort ab und verkaufte es dann in der Stadt, in der sein Betriebsgrundstück belegen war. Im Jahr

4 Vgl. BFH v. 21.12.2021 – IV R 13/19, BFH/NV 2022, 414.

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1953 verkaufte der Großvater seinen Brotgroßhandel. Der Verkauf umfasste den Lieferwagen und eine Kundenliste. Der Käufer betrieb den gekauften Brotgroßhandel nicht auf dem Grundstück des Großvaters. Dieser verpachtete das Grundstück, das von einer Kaffeerösterei genutzt wurde. Seit dem Verkauf des Brotgroßhandels wurden die Einkünfte aus der Vermietung des Grundstücks als Einkünfte aus Gewerbebetrieb erklärt. (13) Die Erbeserben erklärten im Jahr 2014 die „Aufgabe der Betriebsverpachtung“ des Grundstücks. Das Finanzamt stellte daraufhin für das Jahr 2014 einen Veräußerungsgewinn fest. Dagegen wandten sich die Kläger, indem sie argumentierten, die übersehene Betriebsaufgabe durch den Großvater könne nicht in einem späteren Veranlagungszeitraum besteuert werden. Der Großvater habe durch die Veräußerung seines gesamten Fuhrparks bereits die wesentlichen Betriebsgrundlagen seines Unternehmens veräußert. (14) Dem hielt das FA entgegen, auch nach dem Verkauf des Brotgroßhandels sei mit dem Grundstück die wesentliche Betriebsgrundlage für die Fortsetzung des Betriebs erhalten geblieben. Dies wurde letztlich vom BFH bestätigt. (15) Aus der Entscheidung ergibt sich, dass eine Betriebsunterbrechung um ein vielfaches weitergehende Dimensionen annehmen kann denn bisher angenommen. Dies gilt einerseits in zeitlicher Hinsicht. Der BFH gestand zwar zu, dass sich die Umstände, unter denen der Brothandel in Deutschland stattfindet, zwischen den Jahren 1953 und 2014 erheblich verändert haben. Gleichwohl sei es auch nach mehr als 60 Jahren zumindest objektiv möglich anzunehmen, dass auf dem Grundstück wieder ein Betrieb installiert werde, der sich dem Einkauf und Verkauf von Brot widme. Der BFH macht sich insoweit den Grundsatz: „Iudex non calculat“, zu eigen, vgl. Rz. 37 der Entscheidungsgründe: „Angesichts der geänderten Rahmenbedingungen … mag ein solches Unterfangen aus betriebswirtschaftlicher Sicht ungewöhnlich sein. Ausgeschlossen ist es indes nicht.“

Auch soll der Annahme einer Betriebsunterbrechung nicht entgegen stehen, dass der bisherige Betriebsinhaber verstorben ist, wenn die wesentlichen Betriebsgrundlagen von einer Erbengemeinschaft gehalten werden. Die Erbengemeinschaft ist zwar nach § 2042 Abs. 1 BGB auf eine Auseinandersetzung ausgerichtet, könne jedoch auch zeitlich unbegrenzt fortgeführt werden (Rz. 31 f. der Entscheidungsgründe).

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(16) Andererseits liegt auch in inhaltlicher Hinsicht eine Ausweitung der Betriebsunterbrechung vor. Zwar war bereits durch den BFH entschieden worden, dass für Betriebe des Groß- und Einzelhandels die Grundstücke die alleinige wesentliche Betriebsgrundlage darstellen und das jederzeit wiederzubeschaffende Inventar und andere Gegenstände des Anlagevermögens nicht zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehören.5 Der BFH sah indes keinen Verstoß gegen die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze in der Annahme des FG, weder der Kundenstamm noch der LKW hätten zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen des Brothandels gehört. Zudem müsse in einem ruhenden Gewerbebetrieb nicht die Fortführung des identischen Unternehmens angelegt sein, sondern es genüge die Aufnahmemöglichkeit eines Betriebs in gleichartiger oder ähnlicher Weise.6 (17) Was sich im Streitfall als nachteilig erwies, kann in der Praxis damit auch ein Rettungsanker sein. Wird etwa eine (unentdeckte) Betriebsaufspaltung beendet, kann nach den weitgesteckten Tatbestandsmerkmalen eine Betriebsunterbrechung anzunehmen sein und damit die Entstrickung des Betriebsvermögens vermieden werden. Der Tatbestand des § 16 Abs. 3b Satz 1 Nr. 2 EStG, wonach eine Betriebsaufgabe solange nicht vorliegt, als dem FA Tatsachen bekannt werden, aus denen sich ergibt, dass die Voraussetzung einer Betriebsaufgabe erfüllt sind, ist unter Zugrundelegung des Urteilssachverhalts und seiner Würdigung bar eines Anwendungsbereichs.

III. Betriebsaufgabe in festsetzungsverjährter Zeit (18) Die Betriebsaufgabe eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes kann – auch ohne Aufgabeerklärung iSd. § 16 Abs. 3b EStG – in Gestalt der Teilauseinandersetzung einer Miteigentümergemeinschaft angelegt sein, wenn (a) die zurückbehaltene Fläche der Größe und der Art nach den Rahmen einer privaten Gartenbewirtschaftung für Eigenbedarfszwecke nicht überschreitet und

5 Vgl. BFH v. 17.4.1997 – VIII R 2/95, BStBl. II 1998, 388 = FR 1998, 17. 6 Vgl. schon BFH v. 7.11.2013 – X R 21/11, GmbHR 2014, 437 = BFH/NV 2014, 676 Rz. 25.

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(b) die Übernehmenden der Grundstücke diese nicht selbst bewirtschaften. Ist auch vor der Auseinandersetzung der Miteigentümergemeinschaft die Fläche nicht selbst bewirtschaftet, sondern verpachtet worden, steht (c) den Übernehmenden nach dem nachträglich zur Auswertung bestimmten Urt. v. 17.5.20187 kein Verpächterwahlrecht zu, weil die Übernehmenden allenfalls ihre Flurstücke bei Auflösung der Miteigentümergemeinschaft und damit nicht alle wesentlichen Betriebsgrundlagen verpachtet haben. – Damit kam es in der vorliegend streitigen Konstellation zu einem der seltenen Fälle der Betriebsaufgabe in festsetzungsverjährter Zeit. (19) Die Entscheidung des VI. Senats ist von grundlegender Bedeutung für die Beratungspraxis, weil sie Maßgrößen zur Abgrenzung einer Betriebsaufgabe iSd. des § 16 Abs. 3 EStG von (a) einem Strukturwandel, (b) der Fortführung von Teilbetrieben zu Buchwerten, (c) der Verpachtung betrieblicher Sachgesamtheiten und (d) einer Realteilung umschließt. Auch werden mit spezifischer Ausrichtung auf land- und forstwirtschaftliche Betriebe Hinweise zur Differenzierung der bloßen Verkleinerung eines Eigentumsbetriebs, die noch nicht zu einer Betriebsaufgabe führt, zu der Einstellung eines land- und forstwirtschaftlichen Eigentumsbetriebs gegeben, der trotz Zurückbehaltung eines Flurstücks keine Existenzgrundlage mehr darstellt. (20) Streitig war geworden, ob in den Jahren 2005 und 2006 noch eine land- und forstwirtschaftliche Mitunternehmerschaft vorlag. Davon ging das Finanzamt aus und sah die Veräußerung der hälftigen Miteigentumsanteile an Flurstücken durch eine Rechtsnachfolgerin der ursprünglichen Inhaber eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs an eine andere Rechtsnachfolgerin als steuerpflichtig an. Dem lag die in der folgenden Abbildung dargestellte Genese zugrunde:

7 Vgl. BFH-v. 17.5.2018 – VI R 73/15, BStBl. II 2022, 306 (nachträglich durch den BFH zur Auswertung bestimmt am 5.5.2022); vgl. dazu auch BMF v. 17.5.2022 – IV C 7 - S 2230/21/10001 :007 – DOK 2022/0505922, BStBl. I 2022, 678).

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(21) Danach bewirtschafteten Eheleute – die Großeltern der Klägerinnen – bis zum Jahr 1977 einen landwirtschaftlichen Betrieb selbst, den sie anschließend parzelliert verpachteten (Schritt 1). Mit notariell beurkundetem Vertrag vom April 1982 übertrugen sie ihre Grundstücke der Mehrzahl nach auf ihre Söhne als Miteigentümer je zur Hälfte. Eine Gegenleistung für die Grundstücksübertragungen hatten die Söhne nicht zu erbringen. Der übertragende Vater war in dem Vertrag als „Rentner“ bezeichnet (Schritt 2). Die berufstätigen Söhne – einer war Kraftfahrer, der andere Maschinenschlosser – setzten die Verpachtungstätigkeit fort, bis im Februar 1996 der eine Sohn mit der Ehefrau als Rechtsnachfolgerin seines Bruders einen notariell beurkundeten Vertrag über die „Auseinandersetzung einer Miteigentümergemeinschaft“ schlossen. In diesem übertrugen sie die einzelnen Grundstücke – mit Ausnahme eines Flurstücks mit einer Größe von 2.250 m2, welches im gemeinschaftlichen Eigentum verblieb – in ihr jeweiliges Eigentum (Schritt 3). Die Rechtsnachfolgerinnen der Söhne gaben für die Streitjahre 2005 und 2006 keine Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft ab. Das FA kündigte daraufhin an, die Einkünfte der vorgeblich bestehenden Mitunternehmerschaft zu schätzen und ging für das Wj. 2005/2006 von einem Gewinn aus der Veräußerung der hälftigen Miteigentumsanteile an bestimmten Grundstücken aus, nachdem zwei Schwestern einen entgeltlichen Grundstücksübertragungsvertrag geschlossen hatten. (22) Das FG Rheinland-Pfalz gab mit Urt. v. 25.6.2014 – 1 K 1637/118 der Klage statt. Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück. Das FG habe zu Recht entschieden, dass zwischen den Klägerinnen in den Streitjahren keine Mitunternehmerschaft bestand. (23) Der entscheidende VI. Senat führt in Tz. 29 der Urteilsgründe aus, der BFH habe sich schon wiederholt mit Fallgestaltungen zu beschäftigen gehabt, in denen zwischen den Beteiligten streitig war, ob ein Betrieb in weit zurückliegenden Zeiten aufgegeben wurde. Der vorliegende Streitfall ist einer der wenigen, in denen die Aufgabe des Betriebs tatsächlich in festsetzungsverjährter Zeit stattgefunden hatte. (24) Durch den Übergang von der Selbstbewirtschaftung zur Verpachtung durch die Großeltern-Generation ist die Betriebsaufgabe indes – anders als durch die Enkelinnen (Klägerinnen) vorgetragen – noch nicht 8 Vgl. FG Rheinland-Pfalz v. 25.6.2014 – 1 K 1637/11, FG Rh.-Pf. v. 25.6.2014 – 1 K 1627/11, EFG 2015, 2058.

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herbeigeführt worden; denn dies hätte einer unmissverständlichen und endgültigen Aufgabeerklärung bedurft, die nicht vorlag. Insofern trägt der Steuerpflichtige die Feststellungslast für das Gegebensein einer Betriebsaufgabe. Dem konnte im Streitfall nicht bereits dadurch entsprochen werden, dass der Großvater in der notariellen Urkunde als „Rentner“ bezeichnet worden war. Auch war es unerheblich, dass im Übertragungsvertrag Pachtverhältnisse nicht erwähnt worden waren. Unterdessen ist mit § 16 Abs. 3b EStG klar geregelt, dass in Fällen der Betriebsunterbrechung und der Betriebsverpachtung im Ganzen ein Betrieb so lange als nicht als aufgegeben gilt, bis der Stpfl. die Aufgabe ausdrücklich gegenüber dem FA erklärt oder dem FA Tatsachen bekannt werden, aus denen sich ergibt, dass die Voraussetzungen für eine Betriebsaufgabe erfüllt sind (diese Regelung ist auf eine Betriebsaufgabe im Fall einer Betriebsunterbrechung oder Betriebsverpachtung im Ganzen nach dem 4.11.2011 anzuwenden9). (25) Letzteres sah der BFH in der Teilauseinandersetzung der Miteigentümergemeinschaft durch den notariell beurkundeten Vertrag vom Februar 1996 angelegt (Schritt 3). Ursächlich dafür war, dass keine der – zahlreichen – Möglichkeiten der Fortführung von Betriebsvermögen nach dieser Teilauseinandersetzung der Miteigentümergemeinschaft gegeben war. (a) Die Miteigentümergemeinschaft behielt lediglich ein Flurstück mit einer Größe von 2.250 m2 zurück. Dabei handelte es sich um ein Wiesengrundstück, bei dem nach den Feststellungen des FG keine Intensivnutzung für Sonderkulturen vorlag. Zwar führt die bloße Verkleinerung eines Eigentumsbetriebs noch nicht zu einer Betriebsaufgabe, auch wenn die verbleibenden landwirtschaftlich genutzten Flächen eine ertragreiche Bewirtschaftung nicht mehr ermöglichen.10 Davon abzugrenzen ist aber eine Konstellation, bei der die Grundstücke der Größe und der Art nach den Rahmen einer privaten Gartenbewirtschaftung für Eigenbedarfszwecke nicht überschreiten. Ein landwirtschaftlicher Betrieb liegt dabei idR nicht vor, wenn die bewirtschafteten Grundstücksflächen insgesamt nicht größer als 3.000 m2 sind, sofern es sich nicht um Intensivnutzung für Sonderkulturen handelt (z.B. für Gemüse-, Blumenund Zierpflanzenanbau, Baumschulen oder Weinbau).

9 Vgl. Steuervereinfachungsgesetz 2011 v. 1.11.2011, BGBl. I 2011, 2131. 10 Vgl. BFH v. 5.5.2011 – IV R 48/08, BStBl. II 2011, 792 = FR 2011, 907 m. Anm. Kanzler (Rz. 32).

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(b) Beim Strukturwandel von einem einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbsbetrieb zu einem Liebhabereibetrieb liegt zwar ebenfalls keine gewinnrealisierende Betriebsaufgabe vor. Auch ein solcher Strukturwandel war vorliegend indes zu verneinen, da das einzig bei der Miteigentümergemeinschaft verbliebene Grundstück aufgrund seiner sehr geringen Fläche überhaupt nicht Gegenstand einer landwirtschaftlichen Nutzung sein konnte. (c) Führt mithin die Mitunternehmerschaft den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb nicht fort, so wäre dies gleichviel auf der Ebene der ehemaligen Miteigentümer denkbar. Diesen sind aber vorliegend keine Betriebe oder Teilbetriebe übertragen worden, die sie nach § 6 Abs. 3 EStG zu Buchwerten hätten fortführen können. Die Flächen sind nicht selbst bewirtschaftet worden, sondern waren allenfalls jeweils verpachtet. Den Miteigentümern stand nach Auflösung der Miteigentümergemeinschaft indes kein Verpächterwahlrecht zu, da bei Betriebsverpachtung auf die Verhältnisse des verpachtenden Unternehmens abzustellen sei (Rz. 48 der Urteilsgründe). Die Miteigentümergemeinschaft hatte ihr Betriebsvermögen aber mit der Aufteilung des Grundbesitzes fast vollständig verloren. Damit bestand keine Möglichkeit mehr, dass sie den Betrieb nach Beendigung etwaiger Pachtverhältnisse wieder aufnahm und fortführte. Die ehemaligen Mitunternehmer hatten kein Verpächterwahlrecht, da sie jeweils nur die Hälfte des Betriebsvermögens der Miteigentümergemeinschaft übernommen hatten und somit nicht davon ausgegangen werden konnten, dass – wie es für die Anwendung der Grundsätze der Betriebsverpachtung erforderlich ist – der Betrieb der Miteigentümergemeinschaft in seinem Wesen unverändert (fort-)bestand und als solcher von einem der ehemaligen Miteigentümer hätte wieder aufgenommen werden können. Die ehemaligen Miteigentümer haben bei Auflösung der Miteigentümergemeinschaft allenfalls ihre Flurstücke verpachtet und damit nicht alle wesentlichen Betriebsgrundlagen. (d) Auch gehörten die Flurstücke im Anschluss an die Aufteilung des Betriebsvermögens nicht nach den Grundsätzen der Realteilung zum Betriebsvermögen der Übernehmenden; denn sie legten sie weder in einen neu eröffneten noch in einen bestehenden Betrieb ein. Dies hätte erforderlich gemacht, dass die Flächen von den Eigentümern selbst bewirtschaftet werden. Die bloße Verpachtung landwirtschaftlicher Flächen führt demgegenüber nicht zum land- und forstwirtschaftlichen Betriebsvermögen des Verpächters. Dieser erzielt vielmehr Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, nicht aber aus Land- und Forstwirtschaft. 71

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(26) Was vorliegend zum Vorteil der Klägerinnen gereichte – es lag eine Betriebsaufgabe in festsetzungsverjährter Zeit vor –, kann in der Praxis auch mit der Gefahr einer ungewollten Betriebsaufgabe in Verpachtungsfällen verbunden sein. Wird nämlich eine verpachtende Mitunternehmerschaft auseinandergesetzt, führt dies nur insoweit zum Fortbestehen des Verpächterwahlrechts, als einer der Übernehmenden alle funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen des Verpachtungsbetriebs in (Allein-)Eigentum übernimmt und das Verpachtungsverhältnis fortsetzt. Wird das Vermögen demgegenüber aufgeteilt, kann das Verpächterwahlrecht durch die Übernehmenden nach den Urteilsgrundsätzen nicht fortgeführt werden. Eine Zwangsbetriebsaufgabe ist dann nur dadurch vermeidbar, dass die übernommenen Wirtschaftsgüter einem Betriebsvermögen zugeführt werden (Unterhalt einer eigenen betrieblichen Tätigkeit oder Sonderbetriebsvermögen bei einer Mitunternehmerschaft). Hinweis: Bei einer Realteilung land- und forstwirtschaftlicher Mitunternehmerschaften wird aufgrund von § 14 Abs. 3 EStG (eingeführt durch das JStG 2020) eine Fortführung als (fiktives) Betriebsvermögen auch bei fortgeführter oder erstmaliger Verpachtung ermöglicht.11

11 Vgl. dazu BMF v. 17.5.2022 – IV C 7 - S 2230/21/10001 :007 – DOK 2022/0505922, BStBl. I 2022, 678, mit Übergangsregelung (Anwendung ab dem 17.12.2020, auf unwiderruflichen Antrag auch auf Übertragungen oder Überführungen vor dem 17.12.2020).

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Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Kapitalgesellschaften Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen Universitätsprofessor, München Prof. Dr. Thomas Rödder Steuerberater/Wirtschaftsprüfer, Bonn I. Betriebliche Kapitaleinkünfte in der KGaA-Besteuerung

IV. § 50d Abs. 3 EStG und Mäanderstruktur

II. Außerorganschaftlich verursachte Mehrabführungen

V. Zufluss bei gespaltener Gewinnverwendung

III. Nach-Spaltungs-Veräußerungssperre

VI. Mittelbare vGA bei nießbrauchbelasteten GmbH-Anteilen

I. Betriebliche Kapitaleinkünfte in der KGaA-Besteuerung Darstellung Rödder: Mit Urteil v. 1.6.2022 – I R 44/181 hat der BFH ein grundlegendes Urteil zur KGaA-Besteuerung im Fall eines vermögensmäßig beteiligten Komplementärs einer KGaA gefällt. An der KGaA war eine natürliche Person als Komplementärin mit 4% beteiligt. Die KGaA erzielte Dividenden aus Tochterkapitalgesellschaften. Teilweise war darauf ein DBA-Schachtelprivileg anwendbar.

1 BFH v. 1.6.2022 – I R 44/18, FR 2022, 1069 m. Anm. Bode = ZIP 2022, 2131 = DStR 2022, 2047.

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Kläger n.P. phG

4 % Gewinnanteil

KGaA

Ausschüttungen Versch. Kapges. Fraglich war die Besteuerung der Ausschüttungen. Der Kläger hielt über § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG und § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG für anteilige Dividendenerträge der KGaA bei ihm das Schachtelprivileg (Streitjahr vor Einführung § 50d Abs. 11 EStG) bzw. das Halbeinkünfteverfahren für anwendbar. Die Finanzverwaltung war aA, ohne dass der Inhalt der abweichenden materiellrechtlichen Position im Urteil wirklich erkennbar ist. Der BFH urteilte wie folgt: –

§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG ist nicht in der Weise auszulegen, dass die Erzielung betrieblicher Kapitaleinkünfte für einen persönlich haftenden Gesellschafter (phG) im Rahmen seiner Beteiligung an der KGaA ausgeschlossen ist.



Die Schachtelprivilegien des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. B DBASchweiz 1971/2002 und des Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/1973 sind auf den phG anzuwenden (Fortführung des Senatsurteils vom 19.5.2010 – I R 62/09).



Die Einkünftebestandteile des phG, die auf der Vereinnahmung von Dividenden beruhen, die bei der KGaA nach § 8b KStG von der Besteuerung befreit sind, sind nach dem für die Streitjahre geltenden Halbeinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG) teilweise steuerfrei zu belassen.

Zur Begründung trug der BFH im Wesentlichen Folgendes vor: Die Einkommensbesteuerung des phG, soweit dieser nicht auch Kommanditaktionär ist, wird „an der Wurzel“ von der Körperschaftsbesteue74

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rung der KGaA abgespalten. Die phG einer KGaA werden zwar – anders als etwa der Komplementär einer KG – im Gesetz nicht als Mitunternehmer bezeichnet. Jedoch stellen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG die Gewinnanteile der phG einer KGaA – ebenso wie die Gewinnanteile eines Mitunternehmers – Einkünfte aus Gewerbebetrieb dar. Gleiches gilt – insoweit nahezu wortgleich zu § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG – für Vergütungen, die der Gesellschafter von der Gesellschaft für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft oder für die Hingabe von Darlehen oder für die Überlassung von Wirtschaftsgütern bezogen hat. Vor diesem Hintergrund sind die phG einer KGaA grds. „wie Mitunternehmer“ zu behandeln. Einkunftsquelle für die Einkünftezurechnung der Gewinnanteile zum phG nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG ist der Gewerbebetrieb der KGaA und nicht ein Anteil an dieser Gesellschaft. Der phG einer KGaA ist daher gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG in jeder Beziehung als Gewerbetreibender zu behandeln. Der von ihm im Rahmen der KGaA erzielte anteilige Gewinn ist ihm einkommensteuerrechtlich unmittelbar zuzurechnen. Er unterhält in seiner Eigenschaft als Komplementär der KGaA keinen (weiteren) eigenen Gewerbebetrieb neben dem Gewerbebetrieb der KGaA. Es kann offen bleiben, ob der phG „Unternehmer“ des Betriebs der KGaA ist, weil es auf diese Frage für die steuerrechtliche Zurechnung originärer gewerblicher Einkünfte zum phG nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG nicht ankommt. Die KGaA unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 KStG mit ihren gesamten Einkünften der Körperschaftsteuer, die körperschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage ist aber um die nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG außerbilanziell abzuziehenden Gewinnanteile des phG gemindert. Der Abzug nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG erfolgt außerbilanziell auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe, so dass die Norm den KGaA-Gewinn in einen der Körperschaftsteuer unterliegenden Teil sowie einen der Einkommensteuer unterliegenden Teil „aufspaltet“. Während die Besteuerung der KGaA als juristische Person durch das für Kapitalgesellschaften geltende Trennungsprinzip gekennzeichnet ist, gilt für die Besteuerung des phG das für die Besteuerung von Mitunternehmerschaften maßgebliche Transparenzprinzip.2 2 Soweit vertreten wird, bei § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG handele es sich bezüglich aller dort genannten Einkunftsvarianten um eine reine „(Um-)Qualifikationsnorm“ und nicht (auch) um eine Zurechnungsnorm (sog. intransparente Betrachtung), ist der BFH dem iS einer transparenten Betrachtung nicht gefolgt.

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Die hybride Struktur der KGaA erfordert, dass nach Abspaltung des handelsbilanziellen Gewinnanteils jeweils getrennte steuerliche Einkommensermittlungen für den transparenten Bereich der phG und den körperschaftsteuerlichen Bereich der KGaA vorgenommen werden. § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG hat damit im Ergebnis Vorrang vor sämtlichen anderen körperschaftsteuerrechtlichen Einkommensermittlungsvorschriften. Das bedeutet, dass die Einkünftebestandteile des phG, die auf der Vereinnahmung von Dividenden beruhen, die bei der KGaA nach § 8b KStG von der Besteuerung befreit sind, nach dem für die Streitjahre geltenden Halbeinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchs. d EStG) teilweise steuerfrei zu belassen waren. Nach § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. b EStG ist auch bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns iSv. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 iVm. Abs. 2 Satz 1 EStG das Halb-/Teileinkünfteverfahren anzuwenden, soweit der Veräußerungsgewinn des phG anteilig auf von der KGaA gehaltene Kapitalgesellschaftsbeteiligungen entfällt und phG (unmittelbar oder mittelbar) eine natürliche Person ist. Ist der phG eine von § 8b KStG begünstigte Körperschaft, ist § 8b KStG anzuwenden. Das Gesetz geht dabei typisierend von der Vorstellung aus, beim Veräußerungsgewinn handele es sich um komprimierte (laufende) Gewinne. Unbeschadet dessen „schlägt“ wegen der diesbezüglichen Besonderheiten das DBA-Schachtel-privileg im Ergebnis „auf den phG durch“ bzw. kommt (auch) einer Person zugute, der die Freistellung bei „Direktbezug“ nicht zustehen würde. Der Gesetzgeber hat dieses Ergebnis erst durch Einfügung von § 50d Abs. 11 EStG beseitigt. Kommentar Drüen: Die konsistente Behandlung der KGaA als Mischform der Kommanditgesellschaft und der Aktiengesellschaft macht bereits im Gesellschaftsrecht einige Schwierigkeiten. Auch im Steuerrecht ist die Behandlung

Soweit iS einer „modifizierten intransparenten Betrachtungsweise“ vertreten wird, der „Anteil am Gewinn“ des phG werde nach Maßgabe des nach Körperschaftsteuerrecht ermittelten Gewinns der KGaA (unter Anwendung von § 8b KStG etc.) bemessen, dh. § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG gliedere nur den zuvor nach Körperschaftsteuerrecht ermittelten Gewinnanteil des phG aus und rechne diesen Gewinnanteil dem phG in gleicher Höhe „netto“ (nach Anwendung von § 8b KStG) steuerlich zu, ist dies nach Auffassung des BFH mit der gesetzlichen Konzeption des Halb-/Teileinkünfteverfahrens nicht vereinbar.

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der hybriden Rechtsform problembehaftet.3 Die KGaA als Kapitalgesellschaft ist Körperschaftsteuersubjekt iSv. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG. Der persönlich haftende Gesellschafter der KGaA unterliegt mit seinem Gewinnanteil der Besteuerung wie ein Mitunternehmer nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG. Allerdings sind die Vorschriften, zu denen auch die gewerbesteuerliche Hinzurechnung nach § 8 Nr. 4 GewStG und die Kürzung nach § 9 Nr. 2b GewStG gehören, nicht optimal aufeinander abgestimmt. Konzeptionell konkurrieren bei der KGaA eine transparente und eine intransparente Betrachtungsweise. Die Finanzverwaltung hat vor einigen Jahren eine Arbeitsgruppe installiert, die zu einer einheitlichen Behandlung kommen sollte. Sie ist meines Wissens ohne Ergebnis verlaufen. Auch der BFH stellt die unterschiedliche Verwaltungspraxis fest (Rz. 30 der kommentierten Entscheidung), die zum Teil in „Finanzamtslösungen“ bestehen kann,4 so dass innerhalb desselben Landes in Deutschland divergierende steuerliche Behandlungen von KGaA und ihren Gesellschaftern anzutreffen sind. Der Streit fängt schon im Verfahrensrecht an (vgl. Rz. 12). Ob die Einkünfte des persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA einheitlich und gesondert festzustellen sind, ist umstritten.5 Der BFH musste dazu nicht Stellung nehmen, weil die ergangene negative Feststellung bestandskräftig und er daran nach § 182 Abs. 1 AO gebunden war. In der Sache kann ich der Entscheidung nur beipflichten. Grundlegende Wegmarke der Besteuerung der KGaA ist die Herstatt-Entscheidung aus dem Jahre 1989 mit der Begründung der sog. Wurzeltheorie.6 Zwar ist der gewählte Ansatz auf Kritik gestoßen, dieser ist der BFH aber auch in der aktuellen Entscheidung nicht nähergetreten. Natürlich ist die Behandlung „wie ein Mitunternehmer“ und die Abspaltung „an der Wurzel“ keineswegs denknotwendig und zwingend, aber sie lässt sich angesichts der Ausgestaltung der Einzelnormen steuerrechtlich gut vertreten. Der BFH erteilt einer sog. intransparenten Betrachtung eine Absage und verneint mE zu Recht einen „dogmatische[n] Vorrang der Besteuerung der KGaA“ (Rz. 21). Er spricht nunmehr vom „Bild einer Abspaltung ‚an der Wurzel‘“, um zu betonen, dass er keine Theorien an3 Zusammenfassend Hagemann, Die internationale Besteuerung der Kommanditgesellschaft auf Aktien, StuW 2019, 280 (281 ff.) m.w.N. 4 Drüen in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 9 KStG Rz. 35a (Jan. 2019) mwN. 5 Näher Drüen in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 9 KStG Rz. 35 (Jan. 2019) mwN. 6 BFH v. 21.6.1989 – X R 14/88, BStBl. II 1989, 881 = FR 1989, 656.

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wendet, sondern das Bild7 nur die frühestmögliche Abspaltung der Besteuerung des persönlich haftenden Gesellschafters der KGaA verdeutlichen soll. Mit guten Gründen schließt er auch die bloße Nettoausgliederung nach der modifizierten intransparenten Betrachtungsweise aus (Rz. 23). Das entspricht meiner Auffassung8 und der BFH führt dafür zudem das Gebot der Folgerichtigkeit an. Rechtspolitisch bleibt der Gesetzgeber indes zur Reform der Besteuerung der KGaA aufgefordert, um im imperfekten Gesetzesrecht angelegte Vollzugsdivergenzen auszuräumen.9

II. Außerorganschaftlich verursachte Mehrabführungen Darstellung Rödder: Im Urteil v. 21.2.2022 – I R 51/1910 urteilte der BFH über folgenden Sachverhalt: Eine SE als Organträgerin war mit 100% an der GmbH 1 als Organgesellschaft beteiligt. Diese wiederum war mit je 100% an der GmbH 2 und der AG beteiligt, die nicht organschaftlich angebunden waren. GmbH 2 und AG wurden steuerlich zu Buchwerten auf GmbH 1 verschmolzen (unter steuerlicher Rückbeziehung jeweils auf unterjährigen Stichtag). Handelsrechtlich setzte GmbH 1 die übergehenden Vermögen jeweils zum Verkehrswert, also unter Aufdeckung der bei den Übertragerinnen vorhandenen stillen Reserven, an. Die Organschaft zwischen SE und GmbH 1 bestand schon im Vor-Verschmelzungsjahr.

7 Zu Gefahren einer „Bilderjurisprudenz“ Drüen in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 9 KStG Rz. 25 (Jan. 2019) mwN. 8 Drüen/v. Heek, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien zwischen Trennungsund Transparenzprinzip – Eine steuersystematische Bestandsaufnahme, DStR 2012, 541 (546). 9 Vgl. die Forderung bei Drüen in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 9 KStG Rz. J 20-5 (Juni 2020) m.w.N. 10 BFH v. 21.2.2022 – I R 51/19, FR 2022, 764 m. Anm. Schumacher = GmbHR 2022, 1046 = DStR 2022, 1263.

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Klägerin SE = OT GAV

100 %

GmbH 1 = OG Verschmelzung

Verschmelzung 100 %

GmbH 2

100 %

AG

Fraglich war die steuerliche Behandlung der Mehrabführungen der GmbH 1 an den OT, die aus dem handelsrechtlichen Verkehrswertansatz des bei den Verschmelzungen übergehenden Vermögens resultierten. Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die aus den Verschmelzungen resultierenden Mehrabführungen der GmbH 1 organschaftlich verursacht sind (§ 14 Abs. 4 KStG) und dementsprechend nach seinerzeitigem Recht durch sog. passive organschaftliche Ausgleichsposten zu neutralisieren waren. Die Finanzverwaltung nahm entsprechend Rz. Org.33 UmwSt-Erlass vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen (§ 14 Abs. 3 KStG) an, also insoweit eine Gewinnausschüttung mit Anwendung von § 8b Abs. 1 und 5 KStG auf diesen zusätzlichen Beteiligungsertrag. Der BFH entschied wie folgt: Das Tatbestandsmerkmal „vororganschaftlich“ in § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG ist nur in zeitlicher, nicht auch in sachlicher Hinsicht zu verstehen; außerorganschaftlich verursachte Mehrabführungen in organschaftlicher Zeit sind nicht erfasst (entgegen Rz. Org.33 UmwSt-Erlass 2011). Zur Begründung führte der BFH wesentlich Folgendes aus: Der Begriff „Mehrabführung“ ist in § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG und in § 14 Abs. 4 Satz 1 KStG inhaltlich deckungsgleich. Für die Annahme einer 79

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Mehrabführung genügt im Regelfall eine rechnerische Differenz zwischen (höherem) handelsbilanziellen Jahresüberschuss und (niedrigerem) Steuerbilanzgewinn der Organgesellschaft. Auch eine „Minderverlustübernahme“ ist eine Mehrabführung. Eine vororganschaftliche Mehrabführung iSv. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG liegt vor, wenn die Mehrabführung „ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit“ hat. Der Gesetzeswortlaut spricht insoweit eindeutig für ein rein zeitliches Verständnis. Der Gesetzeswortlaut lässt eine Auslegung, wonach „vororganschaftlich verursacht“ iSv. „außerhalb des konkreten Organschaftsverhältnisses verursacht“ auszulegen ist, nicht zu. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Ursache der Mehrabführung ist dabei auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem das Ereignis eintritt, auf dem der Unterschied zwischen der handelsrechtlichen Gewinnabführung und der Vermögensmehrung in der Steuerbilanz beruht. Der Geschäftsvorfall, auf den die Differenz zwischen handelsbilanziellem Jahresüberschuss und Steuerbilanzgewinn zurückgeht, muss demnach erstmalig in einer Handels- bzw. Steuerbilanz vor Wirksamwerden des Ergebnisabführungsvertrags zu bilanzieren gewesen sein. Im vorliegenden Fall sind nach Auffassung des BFH ursächlich die Verschmelzungen auf die GmbH 1 und dabei die Ausübung des Bewertungswahlrechts nach § 24 UmwG im Verschmelzungsjahr. Da das Organschaftsverhältnis schon ein Jahr davor bestand, kann, so der BFH, eine vororganschaftlich verursachte Mehrabführung in zeitlicher Hinsicht nicht vorliegen.11 Soweit das FA demgegenüber meint, die zur Mehrabführung führende Bewertungsdifferenz zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz sei insofern „in vororganschaftlicher Zeit“ verursacht, als sie auf stillen Reserven beruhe, die bereits bei der übertragenden Gesellschaft und damit außerhalb des Organschaftsverhältnisses entstanden seien, sei dem entgegenzuhalten, dass die bloße Existenz von stillen Reserven, die sich 11 Auch eine außerorganschaftliche Verursachung wäre im Übrigen nicht gegeben, weil die besagte Differenz erst im Zusammenhang mit dem Übernahmegewinn, damit erstmals bei der Organgesellschaft und gerade nicht außerhalb des Organschaftsverhältnisses, auftritt. Soweit die handelsbilanzielle Wertaufstockung auf abschreibungsfähige Wirtschaftsgüter entfällt, führt sie vielmehr dazu, dass in den Jahren nach der Verschmelzung handelsrechtlich ein höheres Abschreibungspotential besteht und sich infolgedessen als Umkehreffekt des step-ups im Vergleich zu den Handelsbilanzergebnissen steuerliche Mehrergebnisse und damit Minderabführungen einstellen.

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weder handels- noch steuerbilanziell bei der übertragenden Gesellschaft ausgewirkt haben, keine der Mehrabführung zugrunde liegende Ursache iSv. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG darstellen kann. Es liege auch keine Regelungslücke vor, die im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu schließen wäre. § 14 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 KStG differenzieren Mehrabführungen allein danach, ob sie „in vororganschaftlicher Zeit“ oder „in organschaftlicher Zeit“ verursacht sind. Nach dieser Systematik werde ausnahmslos jede Mehrabführung von einer der beiden Bestimmungen erfasst und sei eine eigene Kategorie von „außerorganschaftlich“ verursachten Mehrabführungen weder im Gesetz angelegt noch erforderlich. Vor dem Hintergrund dieser klaren Aussagen des BFH müsste die FV Rz. Org.33 UmwSt-Erlass aufgeben, was aber noch offen ist. Auch die Billigkeitsregelung in Rz. 11.08 (und Rz. 20.19) UmwSt-Erlass müsste dann überarbeitet werden. Nicht thematisiert durch den BFH wurde der Fall der Rz. Org.34 UmwSt-Erlass (unterschiedliche Buchwerte in HBil. und StBil. der verschmolzenen Enkelgesellschaft). Allerdings könnte die sehr pauschale Aussage des BFH zu außerorganschaftlicher Verursachung auch diesen Fall treffen. Nicht thematisiert durch den BFH wurde auch der Fall der bilanziellen Berücksichtigung des Übernahmeergebnisses in HBil. und StBil in unterschiedlichen Wirtschaftsjahren. Rz. Org.30 seinerzeitiger UmwSt-Erlass-Entwurf führte insoweit aus, die daraus resultierende Minder- und Mehrabführung sei außerorganschaftlich veranlasst und das entspreche vororganschaftlich und führe zur Anwendung von § 14 Abs. 3 KStG. Im endgültigen UmwSt-Erlass wurde diese Auffassung allerdings nicht mehr erwähnt. Die Finanzverwaltung wendet in praxi auch nicht § 14 Abs. 3 KStG, sondern § 14 Abs. 4 KStG an. Kommentar Drüen: Das Urteil ist in Begründung und Ergebnis schlicht überzeugend.12 Vororganschaftliche Mehrabführungen sind nicht zugleich auch außerorganschaftliche. Das begründet der BFH aus meiner Sicht zutreffend bereits mit dem Wortlaut. Die Finanzverwaltung ist demgegenüber für eine deutlich antizipierte Besteuerung durch die Annahme von Mehrabführungen eingetreten. Dem hat der BFH zurecht entgegengesetzt 12 Ebenso Schumacher, FR 2022, 767.

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(Rz. 17 ff.), dass die bloße Existenz stiller Reserven, die weder in der Handelsbilanz noch in der Steuerbilanz bei der übertragenden Gesellschaft existieren, keine der Mehrabführung unterliegende Ursache sind. Zutreffend wird auch kein Bedürfnis für eine richterliche Rechtsfortbildung gesehen (Rz. 21). In einem geschlossenen System gibt es nur Mehrabführungen in vororganschaftlicher Zeit und in organschaftlicher Zeit, tertium non datur. Das halte ich für überzeugend. Ein kurzer Rückblick: Die Regelung des § 14 Abs. 3 KStG ist erst gesetzlich getroffen worden, nachdem der BFH die Rechtsgrundlage in der Verwaltungsauffassung zu Mehr- und Minderabführungen wegen des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung vermisst hat.13 Das Argument der Finanzverwaltung, dass die ursprüngliche Verwaltungsauffassung hinsichtlich außerorganschaftlicher Verluste nur konserviert werde („die Verwaltungsauffassung werde gesetzlich festgeschrieben“), hält der BFH nicht für überzeugend, weil es bei den alten Verwaltungsrichtlinien „bereits an einer erkennbaren durchgängigen Dogmatik zur außerorganschaftlichen Verursachung“ fehle (Rz. 2O).14 ME. ist das Urteil ein Auftrag für die Finanzverwaltung, weitere Fallgruppen der Mehrabführungen zu hinterfragen und ihre Verwaltungsanweisungen entsprechend der überzeugenden Argumentation des BFH anzupassen.

III. Nach-Spaltungs-Veräußerungssperre Darstellung Rödder: Im Urteil I R 39/18 v. 11.8.2021 – I R 39/1815 ging es um die sog. NachSpaltungs-Veräußerungssperre. Eine Mutterkapitalgesellschaft M war mit 100% an der GmbH 1 beteiligt. Die GmbH 1 gliederte ihren Geschäftsbetrieb X in eine KG aus (2004). Die GmbH 1 brachte die KG in die GmbH 2 ein (2004). Die GmbH 2 schüttete Kapitalrücklage als Vorabdividende an die GmbH 1 aus (2006/07). Anschließend ging die KG per Anwachsung in GmbH 2 auf (2007). M erhielt ein Kaufangebot für alle Anteile an der GmbH 2 (X-Geschäft) (2007). Geschlossen wurde dann ein Kaufvertrag mit M über alle Anteile 13 Dazu Brink, in Schnitger/Fehrenbacher, KStG2, § 14 Rz. 1190–1194 mwN. 14 Im zustimmenden Anschluss an Brink in Schnitger/Fehrenbacher, KStG2, § 14 Rz. 1268. 15 BFH v. 11.8.2021 – I R 39/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.110821.IR39.18.0, FR 2022, 215 m. Anm. Schumacher = GmbHR 2022, 268 m. Anm. Binnewies/ Cleve = DStR 2022, 41.

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an einer noch zu gründenden GmbH 3, in die die Anteile an GmbH 2 einzubringen waren (mit Vorgabe vorheriger darlehensfinanzierter Ausschüttung aus GmbH 2, 2007/08). Mit Blick darauf erfolgte dann die Abspaltung der Anteile an GmbH 2 durch GmbH 1 auf GmbH 3 steuerlich zu Buchwerten (2008).

M

GmbH 1

GmbH 3 Abspaltung

GmbH 2

Der Abspaltung folgte die Übertragung der Anteile an GmbH 3 auf den Käufer (2008). Der BFH entschied: § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG bildet nur die Grundlage für die Vermutung des Satzes 4 und ist kein eigenständiger Ausschlussgrund für eine Buchwertfortführung; es handelt sich um eine einheitliche Missbrauchsvermeidungsregelung bestehend aus den Sätzen 3 und 4. Folgende Aussagen in der Begründung sind wesentlich: GmbH 1 hat mit der 100%-Beteiligung an der GmbH 2 einen Teilbetrieb iSd. § 15 Abs. 1 Satz 3 UmwStG abgespalten. Ihr verblieben anschließend auch Teilbetriebe. Die GmbH 1 hat ihren Geschäftsbetrieb nach der Abspaltung der streitgegenständlichen Beteiligung fortgesetzt. Daneben hatte sie 100%ige Tochtergesellschaften in Form von Kapitalgesellschaften, die als solche schon gemäß § 15 Abs. 1 Satz 3 UmwStG als Teilbetriebe anzusehen sind.

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Im Streitfall hat der Erwerber für die Anteile an der GmbH 3 einen Kaufpreis in Höhe von … t entrichtet. Der den erworbenen Anteilen zugrunde liegende Unternehmenswert der GmbH 1 betrug nach einem Unternehmenswertgutachten zwischen den Beteiligten unstreitig mindestens … t. Damit wird die in § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG genannte 20%-Grenze nicht erreicht.16 Teilweise wird vertreten, § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG sei nicht „leerläufig“ und habe unabhängig von Satz 4 der Vorschrift einen eigenen Anwendungsbereich. Satz 4 stelle nur eine Vermutung für das Vorliegen einer Veräußerungsabsicht auf, so dass bei bestehender und nachweisbarer Veräußerungsabsicht eine Schädlichkeit auch unterhalb der in Satz 4 geregelten 20%-Schwelle angenommen werden könne. Die überwiegend vertretene Gegenauffassung geht allerdings davon aus, dass § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG nur die Grundlage für die Vermutung des Satzes 4 regelt und keinen eigenständigen Anwendungsbereich hat, es sich also um eine einheitliche Missbrauchsvermeidungsregelung bestehend aus den Sätzen 3 und 4 handelt. Für letztere Sichtweise spricht, so der BFH, der Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG. Wenn es in § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG heißt, es gelte das Gleiche (wie in Satz 2), wenn durch die Spaltung die Voraussetzungen für eine Veräußerung geschaffen werden, und wenn dann in Satz 4 ausgeführt wird, „davon ist auszugehen, wenn …“, legt dies nahe, dass Satz 3 ohne die weiteren Voraussetzungen des Satzes 4 keinen eigenen Anwendungsbereich hat. Dem steht das systematische Argument nicht entgegen, dass bei dieser Auslegung § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG überflüssig wäre. Vielmehr schafft eine Spaltung immer die Voraussetzungen für eine getrennte Veräußerung von Anteilen, so dass § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG selbst ohne 16 Es muss ermittelt werden, so der BFH, welchen rechnerischen Anteil die zu berücksichtigenden Anteile an den beteiligten Körperschaften nach Spaltung an den Anteilen an der übertragenden Körperschaft vor Spaltung repräsentieren. Maßgeblich sind insoweit die gemeinen Werte der Anteile zum Übertragungsstichtag. Deshalb sind zeitlich vorgelagerte Vorgänge, was das FA und das BMF aber auch nicht geltend gemacht haben, nicht einzubeziehen. Der Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG stellt insoweit ausdrücklich und unmissverständlich auf die „Anteile“ an einer an der Spaltung beteiligten Körperschaft ab. Es ist danach ausgeschlossen, auch die durch den Erwerber von Dritten übernommenen Darlehensforderungen als „Kosten für den Erwerb des abgespaltenen Teilbetriebs“ in die Wertermittlung einzubeziehen.

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nachfolgende tatsächliche Veräußerung oder bei Veräußerungen unterhalb der in Satz 4 genannten Wert-Grenzen erfüllt wäre. Es bedürfte der Regelung in Satz 4 nicht, wenn bereits die Schaffung der Voraussetzungen einer Veräußerung auch ohne nachfolgende tatsächliche Veräußerung innerhalb von fünf Jahren tatbestandlich sein sollte. Die Bedeutung des § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG besteht danach gerade darin, die dogmatische Grundlage für die in § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG geregelte gesetzliche Vermutung zu bilden. Es ist entgegen der Auffassung des FA ausgeschlossen, § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG unter Rückgriff auf § 42 AO a.F. auszulegen bzw. § 42 AO a.F. unmittelbar anzuwenden. Sind in einem konkreten Einzelfall wie hier im Streitfall die Voraussetzungen der speziellen Missbrauchsverhinderungsbestimmungen nicht erfüllt, darf die Wertung des Gesetzgebers nicht durch eine extensive Anwendung des § 42 Abs. 1 AO a.F. unterlaufen werden. Auf dieser Grundlage kommt es, so der BFH, nicht mehr darauf an, ob die vom FA befürwortete Anwendung des § 15 Abs. 2 Satz 3 und 4 UmwStG zu einem Verstoß gegen die sog. Fusionsrichtlinie führen würde. Kommentar Drüen: § 15 Abs. 2 UmwStG mit der Nachveräußerungssperre wirkt in der Praxis als „Spaltungsbremse“.17 Der BFH sieht in Satz 3 keinen eigenständigen Ausschlussgrund für die Buchwertfortführung. Zu diesem Ergebnis gelangt er in schulmäßiger Auslegung der einschlägigen steuerrechtlichen Vorschrift (Rz. 28 ff.). Schon die eigene Formulierung „nach der hier favorisierten Auslegung“ (Rz. 32) zeigt, dass das Gesetz auslegungsbedürftig und -fähig ist und bei der Auslegung verschiedene Wertungen getroffen werden müssen. Auslegung bedeutet nicht nur den Ausspruch des gesetzesimmanenten Sinnes, sondern hat voluntative Elemente.18 Der BFH hat seine Wertungen anhand der traditionellen Auslegungskriterien vom Wortlaut über die Systematik, die Entstehungsgeschichte und den Telos bis hin zur verfassungskonformen Auslegung (Rz. 32) und der im konkreten Fall nicht bestehenden Notwendigkeit einer unionsrechtskonformen Auslegung (Rz. 37) durchgespielt und mE überzeugend begründet. Er sieht § 15 Abs. 2 UmwStG als Missbrauchsverhinderungsnorm an (Rz. 30), bei der keine subjektiven Tat17 Binnewies/Cleve, GmbHR 2022, 272 (273) mwN. 18 Näher Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz. 204 (Sept. 2020) mwN.

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bestandsmerkmale hinsichtlich Veräußerungsabsicht enthalten sein sollen und sind (Rz. 31). Zum Verhältnis der speziellen Missbrauchsverhinderungsnorm zu § 42 AO in der alten Fassung bis zum Veranlagungszeitraum 2007 bekräftigt der BFH in der Tradition des I. Senats den spezialgesetzlichen Wertungsvorrang, wonach § 42 AO unanwendbar bleibt (Rz. 36). Das wird in der Literatur auch auf die Neufassung von § 42 AO übertragen.19 Der BFH kommt für das Streitjahr 2008 im Fall der Verschmelzung auf eine Verlustgesellschaft mit abweichenden Überlegungen zu demselben Ergebnis, dass die Spezialnorm bei der Angemessenheitswertung zu berücksichtigen ist.20 Das ist indes ein eigenes Thema.21 In der Entscheidung ist auch zu erkennen, dass der I. Senat im Gegensatz zum IV. Senat des BFH bei der Anwendung von Missbrauchsabwehrnormen nicht per se auf gesamtplanmäßige Gestaltungen abstellt und keine Zeitraumbetrachtung vornimmt, die mehrere Schritte der Gestaltung zusammenfasst. Jedenfalls für § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG stellt er auf eine Punktbetrachtung zum Übertragungsstichtag ab, ohne zeitlich vorgelagerte Vorgänge miteinzubeziehen (Rz. 33).

IV. § 50d Abs. 3 EStG und Mäanderstruktur Darstellung Rödder: Im Beschluss v. 9.6.2021 – I B 60/2022 entschied der BFH zu folgender Konstellation: Klägerin war eine niederländische B.V., die alle Anteile an einer deutschen GmbH hielt (A-GmbH). An der B.V. waren eine französische S.A.S. und eine transparente niederländische C.V. beteiligt. Gesellschafter der C.V. waren eine weitere französische S.A.S. und die B-GmbH. Im Streitjahr 2016 nahm die A-GmbH eine Ausschüttung vor. Zu dem Zeitpunkt existierte keine Freistellungsbescheinigung, so dass die A-GmbH KapESt und SolZ einbehielt und an das FA abführte. Das BZSt lehnte den Erstattungsantrag mit Verweis auf § 50d Abs. 3 EStG ab.

19 Dafür Schumacher, FR 2022, 218 (220). 20 BFH v. 17.11.2020 – 1 R 2/18, BFH v. 17.11.2020 – I R 2/18, ECLI:DE:BFH: 2020:U.171120.IR2.18.0, BStBl. II 2021, 580 = ZIP 2021, 1864 = GmbHR 2021, 946 = FR 2021, 695 m. Anm. Bärsch; dazu Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 32 f. (Sept. 2022) mwN. 21 Dazu der Beitrag von Roderburg in diesem Jahrbuch. 22 BFH v. 9.6.2021 – I B 60/20, BFH/NV 2021, 1481.

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S.A.S

B-GmbH 99,99 %

0,01 % S.A.S

C.V

49 %

51 % Klägerin B.V.

Ausschüttung

100 % A-GmbH

Der BFH entschied dazu wie folgt: Es ist durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt, dass § 50d Abs. 3 EStG a.F. auch bei Vorliegen einer sog. Mäanderstruktur unionsrechtswidrig und deshalb in Form der Eröffnung der Möglichkeit des Gegenbeweises über einen fehlenden Regelungsmissbrauch im Einzelfall geltungserhaltend zu reduzieren ist. Es ist offensichtlich und nicht klärungsbedürftig, dass es für den Gegenbeweis zunächst ausreichend ist, wenn der Steuerpflichtige auf die hypothetische Anrechnungsmöglichkeit des mittelbaren Anteilseigners verweist. Das BZSt kann dies ggf. durch begründete gegenläufige Indizien entkräften. Zur Begründung führt der BFH ua. an: Die aufgeworfene Rechtsfrage ist durch den EuGH bereits entschieden (EuGH v. 14.6.2018 – C-440/17, ECLI:EU:C:2018:437, GmbHR 2018, 851 = ZIP 2018, 2065). § 50d Abs. 3 EStG a.F. ist auch bei einer Mäanderstruktur geltungserhaltend zu reduzieren. Es muss dem Stpfl. möglich sein, das Nichtbestehen eines Rechtsmissbrauchs nachweisen zu können. Ausreichend für den Nachweis ist ein Verweis auf die hypothetische Anrechnungsmöglichkeit beim mittelbaren Anteilseigner.

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Das BZSt hätte den steuerlichen Missbrauch darlegen müssen. Die Zwischenschaltung einer ausländischen Gesellschaft kann keinen Steuermissbrauch darstellen, wenn die Steuerbelastung auch bei einem Direktbezug null betragen würde. Der vom BZSt hervorgehobene Steuerstundungseffekt bezogen auf das pauschale BA-Abzugsverbot nach § 8b Abs. 5 KStG reicht nicht aus. Fraglich ist, welche Bedeutung die BFH-Entscheidung für § 50d Abs. 3 EStG n.F. hat. Nach § 50d Abs. 3 EStG n.F kommt es zunächst auf die sog. persönliche und sachliche Entlastungsberechtigung an. Ua. muss dem Anteilseigner des Antragstellers aus derselben Rechtsgrundlage ein Entlastungsanspruch zustehen wie dem Antragsteller selbst. Bei einer Mäanderstruktur ist das nicht gegeben. In § 50d Abs. 3 EStG n.F. ist nun aber explizit auch die Möglichkeit des Gegenbeweises vorgesehen worden. Entsprechend der vorliegenden BFH-Entscheidung sollte auch insoweit die Anrechnungsmöglichkeit der deutschen Muttergesellschaft der Anteilseignerin als Gegenbeweis in aller Regel ausreichend sein. Kommentar Drüen: Materiell waren die Fragen durch die EuGH-Entscheidung in Sachen Deister Holding bereits 2017 geklärt. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Bundeszentralamtes für Steuern (BZSt) entscheidet der BFH, dass keine Revisionszulassungsgründe iSd. § 115 Abs. 5 FGO vorliegen. Nur am Rande ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 4.3.2021 den Entzug des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG) gerügt hat, wenn der BFH als letztinstanzliches nationales Gericht seine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV verletzt.23 Im aktuellen Beschluss begründet der BFH aber unter Darstellung der Rechtsprechung des EuGH eingehend, warum es keiner weiteren Vorlage wegen der klaren Rechtslage bedarf. Weiterhin ist hervorzuheben, dass die Vorinstanz des FG Köln einen Zinsanspruch auf Basis des Unionsrechts von 0,5% ab dem Zeitpunkt der Entrichtung bis zur Erstattung der Kapitalertragsteuer zuerkannt hat. Dieser unionsrechtliche Zinserstattungsanspruch ist vom BZSt im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht angegriffen worden.24 Damit ist auch klargestellt, dass auch die Verwaltung diesen unionsrechtlichen Anspruch nicht infrage stellt. Er gilt auch bei Versagung der Entlastungsberechtigung. Am Ende 23 BVerfG v. 4.3.2021 – 2 BvR 1161/19, ECLI:DE:BVerfG:2021:rk20210304.2bvr 116119, FR 2021, 637 = DStR 2021, 777. 24 Dazu die Anmerkungen von Uterhark/Nagler, IStR 2021, 764 (767).

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ist kurz zu hinterfragen, ob die Argumentation, dass keine missbräuchliche Gestaltung vorliegt, weil es nicht zu einer missbräuchlichen Steuerreduktion kommen kann (Rz. 12), wirklich zwingend ist. Der BFH hat (in Rz. 13) den vom BZSt monierten „Steuerstundungseffekt“ unionsrechtlich als hinnehmbar dargestellt, weil am Maßstab der EuGHRechtsprechung keine rein künstliche Gestaltung vorliege. Das mag man so sehen, es lässt sich allerdings auch fragen, ob ein Steuervorteil auf Zeit nicht doch eine Missbrauchswertung tragen kann. Das wäre normspezifisch zu begründen. Im Wesentlichen lassen sich die Argumente, die der BFH für die alte Fassung von § 50d Abs. 3 EStG aufgezeigt hat, mE. auch auf die neue Fassung übertragen.

V. Zufluss bei gespaltener Gewinnverwendung Darstellung Rödder: Im Urteil v. 28.9.2021 – VIII R 25/1925 hat sich der BFH mit folgendem Fall beschäftigt: Der Kläger, eine natürliche Person, war geschäftsführender Mehrheitsgesellschafter in mehreren GmbHs mit identischen Satzungsbestimmungen. Gewinnausschüttungen erfolgten grundsätzlich nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile. Eine abweichende Gewinnausschüttung war aufgrund Gesellschafterbeschlusses mit einfacher Mehrheit möglich. Im Streitjahr wurde in 23 GmbHs beschlossen, dass der Gewinnanteil des Klägers nicht ausgeschüttet, sondern einem personenbezogenen Rücklagenkonto gutgeschrieben wird. Die spätere Ausschüttung dieser Gewinne erfolgte erneut mittels einfacher Stimmenmehrheit in der Gesellschafterversammlung.

25 BFH v. 28.9.2021 – VIII R 25/19, FR 2022, 256 m. Anm. Riedel = GmbHR 2022, 320 m. Anm. Binnewies = ZIP 2022, 638 = DStR 2022, 140.

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Ausschüttung des Gewinnanteils des Minderheitsgesellschafters

Kläger

n.P.

n.P.

> 50 %

< 50 % GmbH

Einstellung des Gewinnanteils des Mehrheitsgesellschafters in personenbezogene Rücklage Nach Auffassung der Finanzverwaltung war auch beim Mehrheitsgesellschafter Zufluss der Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 und § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG gegeben. Seine Zustimmung zur Zuweisung des Gewinns in die Rücklage sei eine zum Zufluss führende Verfügung über diesen Gewinn und der Verzicht auf Auszahlung allein in seinem Interesse. Der BFH entschied dazu wie folgt: Ein zivilrechtlich wirksamer Gesellschafterbeschluss, nach dem die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden, der auf den Mehrheitsgesellschafter gemäß seiner Beteiligung entfallende Anteil am Gewinn hingegen nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, ist grundsätzlich auch steuerlich anzuerkennen. Eine solche Einstellung in die gesellschafterbezogene Gewinnrücklage führt auch beim beherrschenden Gesellschafter nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG. Wesentliche Aussagen in der Begründung sind folgende: Gesellschafter einer GmbH können im Rahmen der Gewinnverwendung auch beschließen, dass nur die Anteile bestimmter Gesellschafter am Gewinn ausgeschüttet werden, während die Anteile anderer Gesellschafter am Gewinn nicht ausgeschüttet, sondern in gesellschafterbezo-

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gene Gewinnrücklagen eingestellt werden (sog. gespaltene bzw. inkongruente Gewinnverwendung). Für spätere Ausschüttungen aus einer solchen gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage, die als Unterkonto der Gewinnrücklage geführt wird, ist erneut ein Beschluss über die Gewinnverwendung zu fassen. Der Gewinn wird in diesem Fall regelmäßig an denjenigen Gesellschafter verteilt, dem die betreffende Rücklage zuzurechnen ist. Auf diesem Weg ist es möglich, den Anteil eines Gesellschafters am Gewinn in der GmbH zu belassen und erst in späteren Jahren an diesen Gesellschafter auszuschütten („zeitlich inkongruente Gewinnausschüttung“). Derart gespaltene Gewinnverwendungen sind gesellschaftsrechtlich zulässig, wenn sie nach der Satzung der GmbH möglich sind und die Gesellschafter wirksam einen entsprechenden Beschluss fassen. Sie sind grundsätzlich auch steuerlich anzuerkennen. Wie bei einer vollständigen Thesaurierung besteht kein Grund, den Beschluss der Gesellschafter über eine partielle, nach Gesellschaftern differenzierende Thesaurierung steuerlich nicht anzuerkennen. Ein solcher Grund ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass keine allgemeine, sondern eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage gebildet wird. Auch ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten iSd. § 42 AO liegt nicht vor. Die Tatsache, dass Ausschüttungen an alle Gesellschafter möglich gewesen wären, genügt nicht, um den zivilrechtlich wirksamen Gesellschafterbeschlüssen die steuerliche Anerkennung zu versagen. Die partiellen Gewinnthesaurierungen dienen der Innen- bzw. Selbstfinanzierung und beruhen auf anzuerkennenden wirtschaftlichen Gründen. Es ist weder untypisch noch unangemessen, dass Gesellschafter unterschiedliche Interessen an der Ausschüttung von Gewinnen haben und die Gesellschafterversammlung demgemäß entscheidet, dass nur bestimmte Gesellschafter Ausschüttungen erhalten, während der Gewinn im Übrigen vorerst einbehalten wird. Die Einstellung des auf den Kläger entfallenden Anteils am Gewinn in seine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage führt ungeachtet seiner Stellung als beherrschender Gesellschafter nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG. Dies folgt bereits daraus, dass auch bei einem beherrschenden Gesellschafter wie dem Kläger der Beschluss, den Gewinn im Eigenkapital in einer gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage zu thesaurieren, zur Folge hat, dass er insoweit keinen Gewinnanteil iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG bezieht. 91

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Trotz seiner Stellung als beherrschender Gesellschafter und obgleich für einen erneuten Gewinnverwendungsbeschluss über die Ausschüttung des thesaurierten Betrags nur eine einfache Stimmenmehrheit erforderlich ist, kann der Kläger, so der BFH, nicht sicher sein, dass er die Ausschüttung der in seinen Rücklagenkonten thesaurierten Gewinne zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich durchzusetzen vermag. So kann die Realisierung der Ausschüttung aus der personenbezogenen Gewinnrücklage im Verlustfall unmöglich werden. Kommentar Drüen: Der Fall lenkt den Blick von der Körperschaft auf die Besteuerung des Gesellschafters mit Einkünften aus Kapitalvermögen, für die der VIII. Senat des BFH zuständig ist. Bei Mehrheitsgesellschaftern bestehen über die echten Zuflusstatbestände zeitliche Erweiterungen, um Gestaltungen zu verhindern. Auch ohne Auszahlung tritt beim beherrschenden Gesellschafter der Zufluss (§ 11 EStG) bereits bei Fälligkeit ein, wenn die Kapitalgesellschaft zahlungsfähig ist und ihr kein Leistungsverweigerungsrecht zusteht.26 In diesem Sinne hatte die Finanzverwaltung argumentiert und einen Zufluss beim Mehrheitsgesellschafter bei der gespaltenen Gewinnverwendung angenommen. Der VIII. Senat tritt einen Schritt zurück und sieht, wie die bisher herrschende Meinung, in einer personenbezogenen Rücklage gar keinen Zufluss beim Gesellschafter. Das ist richtig, weil eine Gewinnthesaurierung Teil des Eigenkapitals der Gesellschaft ist. Diese ist zwingend steuerneutral.27 Die Einbehaltung des Gewinns steht denklogisch einem Zufluss beim Gesellschafter entgegen. Diese Sicht bekräftigt der BFH und legt dar, dass eine gesellschaftsrechtlich zulässige gespaltene Gewinnverwendung, die bei einem Minderheitsgesellschafter zur Ausschüttung führt, beim Mehrheitsgesellschafter dagegen zur Thesaurierung, bei letzterem keinen Zufluss von Kapitalerträgen iSv. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG und § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG bewirkt. Die zeitlich vorverlagernde Zuflussfiktion beim herrschenden Gesellschafter setzt dem Grunde nach eine Ausschüttung voraus. Nur im Ausschüttungsfall kann es zur „Vorverlagerung des Besteuerungszeitpunktes“28 kommen. Daran ändert die vertragliche Gestaltbarkeit und die Höhe der Beteiligung nichts. Der BFH schließt kurz und knapp (in Rz. 16) einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten iSv. § 42 AO aus: Dass eine Alternativgestaltung 26 Näher Levedag in Schmidt, EStG41, § 20 Rz. 22 mwN. 27 Binnewies, GmbHR 2022, 322 (323). 28 Treffend Adam, BFH v. 29.9.2021 – IX R 2/21, HFR 2022, 229.

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durch Ausschüttung an alle Gesellschafter möglich gewesen wäre, begründet keinen Missbrauch, weil die tatsächliche Gestaltung und nicht die mögliche Alternativgestaltung zu beurteilen ist. § 38 AO knüpft an die tatsächliche Tatbestandsverwirklichung an und § 42 AO ergänzt diese Vorschrift des Steuerschuldrechts bei missbräuchlicher Gestaltung. In zivilrechtlich wirksamen Gesellschafterbeschlüssen über eine gespaltene Gewinnausschüttung erkennt der BFH aber keinen Missbrauch. Ohne nähere Ausführung sieht der BFH darin anzuerkennende wirtschaftliche Gründe der „Innen- bzw. Selbstfinanzierung“. Die partiellen Gewinnthesaurierungen in Folge der Gestaltung der gespaltenen Ausschüttung hält er bündig für „weder untypisch noch unangemessen“. Die Typizität oder die Verbreitung einer Gestaltung wird damit zu einem Kriterium, was bei der für § 42 AO erforderlichen Angemessenheitswertung offenbar entscheidend zu berücksichtigen ist. Das Argument der „normativen Kraft des Faktischen“ reicht indes als Rechtsargument zum Ausschluss der Anwendung von § 42 AO allein nicht aus. Denn nicht jede gewöhnliche und nicht jede typische Gestaltung schließt bereits eine Missbrauchswertung aus.29 Sicherlich kann man der Wertung des BFH für die streitgegenständlichen gespaltenen Gewinnausschüttungen folgen, allerdings wäre eine nähere Begründung der good business reasons für die Praxis sicher hilfreich und für die Umgehungsdogmatik weiterführend gewesen.

VI. Mittelbare vGA bei nießbrauchbelasteten GmbH-Anteilen Darstellung Rödder: Das Urteil des BFH v. 28.9.2021 – VIII R 29/1830 betrifft einen recht komplexen Sachverhalt. Klägerin war die natürliche Person K, die die jeweils 50% der Anteile an der A-, B- und C-GmbH hielt. Die übrigen Anteile an diesen Gesellschaften hielt X. K und X bestellten im Jahr 2004 an ihren Anteilen an der C-GmbH einen Nießbrauch mit einer Quote von 80% zugunsten der A-GmbH. Ins-

29 Näher Drüen, Branchenübliche Geschäfte unter fremden Dritten als Gestaltungsmissbrauch iSv § 42 AO?, DStR 2020, 1465 (1467 f.) mwN. 30 BFH v. 28.9.2021 – v. 14.2.2022 – VIII R 29/18, FR 2022, 882 = GmbHR 2022, 1111 = DStR 2022, 1368.

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besondere die Stimmrechte sollten aber bei K und X verbleiben. Die Bestellung erfolgte unentgeltlich. Zeitgleich beschlossen X und K eine Erhöhung des Stammkapitals der B-GmbH durch Einbringung der nießbrauchbelasteten Anteile an der C-GmbH, die sie zu je 50% erbrachten. Die B-GmbH setzte die Anteile mit Buchwert an. Nachfolgende Gewinnausschüttungen der C-GmbH wurden direkt an die A-GmbH ausgezahlt. Die Ausschüttungen wurden bei K und X nicht berücksichtigt. Bei der A-GmbH wurden die empfangenen Zahlungen als vE von K und X erfasst.

X n.P.

je 50 % A-GmbH

K n.P.

je 50 % B-GmbH

3. Auszahlung der Gewinnausschüttungen

je 50 % C-GmbH

1. Unentgeltliche Nießbrauchbestellung i.H.v. 80 %

C-GmbH

2. Einbringung der nießbrauchbelasteten Anteile

In Höhe der Zahlungen an die A-GmbH nahm die Finanzverwaltung bei K und X jeweils hälftig eine vGA an. Der BFH urteilte: Ist an einem Kapitalgesellschaftsanteil ein Nießbrauch bestellt, der dem Nießbrauchberechtigten lediglich einen Anspruch auf den mit der Beteiligung verbundenen Gewinnanteil einräumt, ohne dass dieser wesentliche Verwaltungsrechte, insbesondere die Stimmrechte, ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann, sind die Kapitaleinnahmen iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG ertragsteuerlich weiterhin dem Anteilseigner zuzurechnen. 94

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Ist in diesem Fall die Anteilseignerin des nießbrauchbelasteten Kapitalgesellschaftsanteils eine Kapitalgesellschaft, kann die direkte Auszahlung der Ausschüttungen an den Nießbrauchberechtigten zu einer mittelbaren vGA führen, wenn es sich beim Gesellschafter der anteilseignenden Kapitalgesellschaft und beim Nießbrauchberechtigten um einander nahestehende Personen handelt. Zur Begründung führt der BFH im Wesentlichen Folgendes aus: § 20 Abs. 2a Satz 3 EStG regelt keine abweichende Zurechnung der Einnahmen, sondern setzt diese voraus und fingiert den Nießbrauchberechtigten sodann als Anteilseigner. Die Ausschüttungen der C-GmbH sind danach auch insoweit, wie der Nießbrauch besteht, einkommensteuerlich der B-GmbH als Anteilseignerin zuzurechnen. Zurechnungssubjekt ist der Anteilseigner. Ein zivilrechtlich abweichender Gläubiger kann nur dann Zurechnungssubjekt der Ausschüttungen sein, wenn seine Rechtsposition über das bloße Empfangen der Einkünfte hinausgeht. Erforderlich ist, dass auch Mitverwaltungsrechte, insbesondere die Stimmrechte oder eine Stimmrechtsvollmacht, mit übertragen werden. Die direkte Auszahlung an die A-GmbH aufgrund des Quotennießbrauchs stellt danach, so der BFH, eine Vorteilszuwendung der B-GmbH an die A-GmbH dar. Diese ist der K aufgrund des „Näheverhältnisses“ auch zuzurechnen. Voraussetzung für eine vGA ohne Zufluss beim Gesellschafter sei allerdings das Vorliegen einer gesellschaftsrechtlichen Veranlassung. Unerheblich sei, ob K selbst ein vermögenswertes Interesse an der Zuwendung hatte. Vorliegend sei nicht ausgeschlossen, dass die Einbringung der Geschäftsanteile an der C-GmbH in die B-GmbH zwischen den Vertragsbeteiligten wie unter fremden Dritten vollzogen wurde. Unter diesen Umständen wären die Einbringung der nießbrauchbelasteten Anteile und die nachfolgenden Vorteilszuwendungen der B-GmbH an die A-GmbH nicht gesellschaftsrechtlich veranlasst. Dann läge keine vGA der B-GmbH an K vor. Der BFH verwies die Sache an das FG mit folgenden Hinweisen für den zweiten Rechtsgang zurück: Die objektive Feststellungslast für die Voraussetzungen der vGA liegt beim FA. Wenn der Sachverhalt für die gesellschaftliche Veranlassung spricht, kann es allerdings Sache des Ge95

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sellschafters sein, diesen Anschein zu widerlegen. Es kommt darauf an, ob die Einbringung nießbrauchbelasteter Kapitalgesellschaftsanteile in eine andere GmbH gegen Ausgabe neuer GmbH-Geschäftsanteile nach kaufmännischen Gesichtspunkten abgewogen war (Gleichwertigkeit der eingebrachten Anteile unter Berücksichtigung des Nießbrauchsrechts mit den im Zuge der Einbringung ausgegebenen Anteilen). Wenn keine vGA vorliegt, sind bei A-GmbH sonstige betriebliche Erträge gegeben, auf die § 8b KStG nicht anzuwenden ist. Die spätere Ausschüttung an K wäre dann keine Einlagenrückgewähr. Kommentar Drüen: Im Streitfall zur mittelbaren vGA geht es um ein Mehrpersonenverhältnis und im ersten Schritt um die fallbezogen zu beantwortende Frage, wem die Einkünfte aus Kapitalvermögen beim Nießbrauch an GmbHAnteilen zuzurechnen sind. Das richtet sich nach § 20 EStG, konkret in den Streitjahren 2004 und 2006 nach § 20 Abs. 2a EStG 2002 (inzwischen ohne Inhaltsänderung Abs. 5). Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt danach der Anteilseigner (Satz 1). Anteilseigner ist derjenige, dem nach § 39 AO die Anteile an dem Kapitalvermögen im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses zuzurechnen sind (Satz 2). Diese Vorschrift kodifiziert die Rechtsprechung des I. Senats des BFH, ist allerdings nicht unproblematisch, weil sie über den eigentlichen Regelungsgehalt von § 39 AO hinausgeht. Denn § 39 AO gilt für die Zurechnung von Wirtschaftsgütern und nicht unmittelbar für die Zurechnung von Einkünften.31 Erst aufgrund der Anordnung in § 20 Abs. 2a Satz 2 EStG 2002 wird die abgabenrechtliche Zurechnungsnorm einschlägig. Das Zusammenwirken der – strikt zeitpunktbezogen auf den Gewinnverteilungsbeschluss ausgerichteten – einkommensteuerlichen Norm mit § 39 AO bereitet aktuell gerade bei Dividendenarbitragegeschäften wie cum-ex- und cum-cum-Gestaltungen Probleme.32 ME müssen im kon31 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 39 AO Rz. 18 (Febr. 2023); Horn in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 39 AO Rz. 15 (Nov. 2018). 32 Dazu stellvertretend Brandts, Sog. cum/ex Geschäfte: Übergang des wirtschaftlichen Eigentums, in Festschr. Gosch, 2016, 37; Florstedt, Wirtschaftliches Eigentum und Steuerumgehung bei Aktiengeschäften um den Dividendenstichtag, StuW 2018, 216; Haarmann/Kermer, Die Stellung des Aktienkäufers bei im Inland abgewickelten Dividendenarbitrage-Geschäften (Teil 1), Ubg 2020, 501 (504 ff.); Anzinger, Zur subjektiven Zurechnung von Aktien bei echten Pensions- und wechselseitigen Wertpapierleihgeschäften im Handels- und Steuerbilanzrecht und im System des Kapitalertragsteuerabzugs, StuW 2022, 194; Behnes/Hoene, Zurechnung von Aktien zum Eigentümer nach § 39 AO, RdF

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kreten Einzelfall valide Gründe vorliegen, warum aufgrund der konkreten Ausgestaltung der Vertragslage abweichend vom Regelfall der Zurechnung beim zivilrechtlichen Eigentümer nach § 39 Abs. 1 AO ausnahmsweise eine steuerrechtliche Zurechnung beim „wirtschaftlichen Eigentümer“ vorzunehmen ist. Diese Fragen werden aber auf diesem Kongress an anderer Stelle behandelt.33 Zurück zum Fall: Sind einem Nießbraucher oder Pfandgläubiger die Einnahmen iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 EStG zuzurechnen, so gilt er nach § 20 Abs. 2a Satz 3 EStG 2002 (nunmehr Abs. 5 Satz 3) als Anteilseigner. Der BFH stellt klar, dass diese Norm keine abweichende Zurechnung nach eigenen Kriterien beim Nießbraucher begründet, sondern nur die Fiktion des Nießbrauchers als Anteilseigner iSd. Satzes 1 enthält, sofern dem Nießbrauchsberechtigten die Einkünfte zuzurechnen sind (Rz. 16). Das richtet sich nach den Kriterien des § 39 AO. Danach kommt es nach § 39 Abs. 2 AO nur dann zu einer abweichenden Zurechnung gegenüber dem zivilrechtlichen Eigentum (§ 39 Abs. 1 AO), wenn der Übergang der Mitverwaltungsrechte erfolgt und der Nießbraucher entscheidenden Einfluss hat. Bei der Beurteilung der Zurechnung der Anteile im Streitfall stellt der BFH (in Rz. 26) mit Hilfe einer anderen „Wurzeltheorie“ auf den Zeitpunkt der Einbringung der nießbrauchsbelasteten Geschäftsanteile ab und fragt, ob diese nach kaufmännischen Gesichtspunkten abgewogen waren. Auf die Entscheidung über die Fremdüblichkeit im Einbringungszeitraum soll es bei der Folgebetrachtung der späteren Gewinnausschüttungen maßgeblich ankommen. Dieser Veranlassungs-„Durchschlag“ lässt sich – insbesondere mit wachsendem Zeitabstand – hinterfragen (im Streitfall lagen Einbringung und die erste Gewinnausschüttung im selben Kalenderjahr 2004). Der BFH hat die Zuordnung im konkreten Sachverhalt offengelassen und an das Finanzgericht zur Klärung im zweiten Rechtsgang zurückverwiesen. Bei der ersten Alternative fehlender betrieblicher Gründe für den Einbringungsvorgang stellen sich auch verfahrensrechtliche Fragen (Rz. 27). Dann wäre eine vGA anzunehmen und die Klage abzuweisen. Den Einwand der Klägerin, dass dem eine widerstreitende Steuerfestsetzung 2022, 116; Gill/Helios, Wirtschaftliches Eigentum bei Wertpapierdarlehen DB 2022, 1280; Link/Tschatsch, Neues zur steuerlichen Zurechnung von Wertpapieren, insbesondere im Rahmen von Cum/cum-Transaktionen, FR 2022, 521; Schmid, Wirtschaftliches Eigentum an börsennotierten Aktien, DStR 2022, 1142. 33 Dazu der Beitrag von Albrecht/Anzinger in diesem Jahrbuch.

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(§ 174 Abs. 1 AO) entgegensteht, weist der BFH zutreffend zurück. Die Einkommensteuerbescheide der Klägerin stehen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO, so dass bei der Einkommensteuerfestsetzung wegen inhaltlicher Offenheit die richtigen Konsequenzen (nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO) gezogen werden können und keine Bestandskraft der richtigen Entscheidung im Klageverfahren entgegensteht. Für die alternative Sachverhaltswürdigung, dass die Einbringung nicht fremdüblich vollzogen war (Rz. 28), kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass auch kein Gestaltungsmissbrauch iSv. § 42 AO vorliegt. Er denkt dabei die Gestaltung im Dreieck zu Ende und sieht gar keinen Vorteil, weil die direkt ausgezahlten Ausschüttungen einkommensteuerrechtlich als Vorausabtretung der Ausschüttung anzusehen wären. Zudem wäre die nachfolgende Ausschüttung ohne vorhergehende Einlage nicht als (nicht steuerbare) Einlagenrückgewähr anzusehen. Da sie vielmehr als Einnahmen zu erfassen sei, komme es nicht zu einer Umgehung eines Steuergesetzes. Dem ist beizupflichten.

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2. Leitthema: Unternehmensteuerrecht 2

Umgesetzte und anstehende steuergesetzgeberische Vorhaben der neuen Bundesregierung Prof. Dr. Sebastian Benz Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf Universitätsprofessor Dr. Marcel Krumm Universität Münster, im zweiten Hauptamt Richter am Finanzgericht Münster I. Einleitung II. Umsetzung des Entlastungspakets III 1. Anlass und Inhalt des Entlastungspakets III 2. Maßnahmen in Bezug auf die Sicherstellung einer bezahlbaren Energieversorgung a) Temporäre Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen im Erdgasnetz b) Strom- und Gaspreisbremse aa) Einführung einer Gaspreisbremse bb) Einführung einer Strompreisbremse cc) Weitere Maßnahmen zur Energiepreisdämpfung c) Abschöpfen von (Energie-)Krisengewinnen aa) EU-Verordnung über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise bb) „Umsetzung“ der Notfall-VO im nationalen Recht cc) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht 3. Steuerliche Maßnahmen zur Einkommensentlastung a) USt. in der Gastronomie

b) Abbau der kalten Progression c) Verlängerung und Ausweitung der Unternehmenshilfen 4. Weitere Maßnahmen außerhalb des Steuerrechts a) Verlängerung der Sonderregelungen für das Kurzarbeitergeld b) Ausweitung des Wohngeldanspruchs sowie Einführung einer Heizkosten- und Klimakomponente c) Anhebung Midijob-Grenze d) Einführung des 49 EuroTickets e) Einmalzahlungen für Rentner und Studierende f) Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderzuschlags g) Ersetzung des Arbeitslosengelds II („Hartz IV“) durch das Bürgergeld 5. Nationale Umsetzung einer globalen Mindestbesteuerung für Unternehmen III. DAC 7-Umsetzungsgesetz 1. Überblick 2. Reform der Außenprüfung a) Beschleunigung des Erlasses von Prüfungsanordnungen (§ 197 Abs. 5 AO)

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Benz/Krumm, Steuergesetzgeberische Vorhaben der neuen Bundesregierung b) Prüfungsanordnung, Anforderungen, Vorlagepflichten, Schwerpunkte (§§ 90 Abs. 4, 197 Abs. 3 und 4 AO) c) Laufende Unterrichtung während der Prüfung und Vereinbarungen zum Ablauf der Prüfung (§ 199 Abs. 2 AO) d) Qualifiziertes Mitwirkungsverlangen (§ 200a AO) aa) Das qualifizierte Mitwirkungsverlagen (Überblick) bb) Das Mitwirkungsverzögerungsgeld (der „Grundbetrag“) cc) Der Ermessenszuschlag zum Mitwirkungsverzögerungsgeld e) Teilabschlussbescheid (§ 180 Abs. 1a AO) f) Anzeige- und Berichtigungspflicht nach Betriebsprüfungen (§ 153 Abs. 4 AO) 3. Anpassung an Änderungen der Zusammenarbeitsrichtlinie 4. Meldepflichten für Plattformbetreiber

IV. Jahressteuergesetz 2022 1. Weitgehende Abschaffung der sog. Registerbesteuerung a) Hintergrund der Gesetzesänderung b) Inhalt des JStG 2022 c) Zeitlicher Anwendungsbereich d) Kritik 2. Überblick zu den weiteren wesentlichen Änderungen des JStG 2022 im Einkommensteuerrecht a) Überblick b) Steuerliche Entlastungen c) Steuerrechtliche Reaktionen auf die Energiekrise 3. Nullsteuersatz für die Lieferung von Photovoltaik-Anlagen V. Zweites AO-ÄndG VI. Viertes CoronaStHG (insbesondere Neuregelung der Abzinsung von Verbindlichkeiten, § 6 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 3a Buchst. e EStG n.F.) VII. Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts

I. Einleitung Die Regierungsparteien vereinbarten in ihrem Koalitionsvertrag vom 8.12.2021 zahlreiche Gesetzesvorhaben im Steuerrecht, ua. Zur Unterstützung der durch die Corona-Pandemie geschwächten deutschen Wirtschaft. Ausgelöst durch den russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 und die dadurch bedingte Preissteigerung vor allem für Energie, wurden weitere steuerrechtliche Änderungen durch die sog. Entlastungspakete beschlossen. Die Folge war eine Flut von steuergesetzgeberischen Maßnahmen in 2022, allerdings nicht geordnet und strukturiert in einem Gesetz, sondern in mehr als einem Dutzend unterschiedlicher, teils neu geschaffener Gesetze. Zahlreiche Maßnahmen 102

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des Entlastungspakets III wurden durch das JStG 2022 umgesetzt; dort fand sich aber auch eine Vereinfachung der Besteuerung sog. Registerfälle. In einem DAC 7-Umsetzungsgesetz wurde – was sich nicht unmittelbar aus dem Titel des Gesetzes1 ableiten lässt – die im Koalitionsvertrag vereinbarte Beschleunigung der (nationalen) Betriebsprüfung geregelt, in dem Zweiten AO-Änderungsgesetz die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen in der Folge der Entscheidung des BverfG neu gefasst und in einem Vierten Corona-Steuerhilfegesetz – versteckt – die Abzinsung von Verbindlichkeiten und Rückstellungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG abgeschafft. Dies sind nur einige Beispiele der gesetzgeberischen Aktivität der vergangenen Monate. Ziel des nachfolgenden Beitrags ist es, „Schneisen in das gesetzgeberische Dickicht zu schlagen“, um die gesetzlichen Änderungen des Jahres 2022 und Anfang 2023 – zumindest einigermaßen – verständlich und nachvollziehbar zu machen. Von den drei Entlastungspaketen wird nur das Entlastungspaket III dargestellt, da die Wirkungen der beiden vorhergehenden Entlastungspakete2 zeitlich begrenzt waren, bzw. die entsprechenden Regelungen bereits ein weiteres Mal geändert wurden. 1 Umsetzung der 7. Richtlinie in Bezug auf die Zusammenarbeit von Steuerverwaltungen in der Europäischen Union (EU Amtshilfe-Richtlinie). 2 Das Entlastungpaket I wurde am 23.2.2022 beschlossen und enthielt vor allem steuerliche Maßnahmen, um die Bürger von den gestiegenen Energiepreisen zu entlasten. So wurde der Arbeitnehmerpauschbetrag in § 9a Nr. 1 EStG von 1.000 t auf 1.200 t erhöht, der Grundfreibetrag um 363 t auf 10.347 t und die Entfernungspauschale für Fernpendler nach § 9 Abs. 1 EStG bis 2026 von 35 auf 38 Cent erhöht. Um die Energiepreise zu senken, wurde daneben die EEGUmlage mit Wirkung zum 1.7.2022 abgeschafft. Für Wohngeld- und Bafög-Empfänger enthielt das Entlastungspaket I einen einmaligen Heizkostenzuschuss. Die Sonderregelungen beim Kurzarbeitergeld aus der Corona-Pandemie wurden ebenfalls verlängert. Am. 23.3.2022 verkündete die Bundesregierung das Entlastungspaket II. Für die Monate Juni bis August 2022 wurde die Energiesteuer für Kraftstoffe auf das europäische Mindestmaß abgesenkt, nämlich auf 30 Cent je Liter Benzin und 14 Cent je Liter Diesel. Neben den steuerlichen Entlastungen erhielten Erwerbstätige, Selbständige und Gewerbetreibende eine einmalige Energiepreispauschale iHv. von 300 t. Die Auszahlung erfolgte im September 2022 über die Lohnabrechnung oder eine Senkung der Einkommensteuer-Vorauszahlung. Für jedes Kind, für das Anspruch auf Kindergeld besteht, gab es einen Einmalbonus von 100 t, der auf den steuerlichen Kinderfreibetrag angerechnet wurde bzw. wird. Sozialhilfeempfänger erhielten einmalig 200 t und Arbeitslosengeld 1-Berechtige eine Einmalzahlung iHv. 100 t. Für den Zeitraum vom 1.6.2022 bis zum 31.8.2022 wurde zudem das sog. bundesweite 9-Euro Ticket für den Regionalverkehr eingeführt.

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II. Umsetzung des Entlastungspakets III 1. Anlass und Inhalt des Entlastungspakets III Ausbleibende Erdgaslieferungen und das Fehlen ukrainischen Getreides auf dem Weltmarkt haben als Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine die weltweiten Energie- und Nahrungsmittelpreise stark ansteigen lassen. Auch in Deutschland belastet die damit verbundene Erhöhung der Lebenshaltungskosten die Bürger. Nach langen Verhandlungen hat die Regierungskoalition am 3.9.2022 ein drittes Entlastungspaket unter dem Titel „Deutschland steht in einer schwierigen Zeit zusammen“ veröffentlicht.3 Das Entlastungspaket enthält eine Vielzahl an Maßnahmen, um die Versorgung mit bezahlbarer Energie zu sichern und das Einkommen der Bürger zu stärken. Das Maßnahmenpaket umfasst sowohl steuerliche Maßnahmen als auch Maßnahmen außerhalb des Steuerrechts. Das sog. Entlastungspaket III umfasst ein Gesamtvolumen von über 65 Mrd. t. In der Zusammenschau mit den Entlastungspaketen I und II ergibt sich insgesamt ein Entlastungsvolumen von 95 Mrd. EUR. Die angekündigten Maßnahmen wurden inzwischen insbesondere im Jahressteuergesetz 2022 umgesetzt und sind zu großen Teilen zum Jahreswechsel 2022/2023 in Kraft getreten. Nachfolgend werden die einzelnen Maßnahmen mit steuerlichem Bezug dargestellt.

2. Maßnahmen in Bezug auf die Sicherstellung einer bezahlbaren Energieversorgung a) Temporäre Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen im Erdgasnetz Mit dem Gesetz zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz4 hat die Bundesregierung die im Entlastungspaket III angekündigte Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen rückwirkend ab dem 1.10.2022 bis zum 31.3.2024 umgesetzt. Um von den gestiegenen Gaspreisen zu entlasten, wurde der Umsatzsteuersatz für Gas von 19% auf 7% reduziert. Noch während der parlamentarischen Beratungen wurde die Umsatzsteuersenkung auf Fern3 Die Bundesregierung, „Deutschland steht in einer schwierigen Zeit zusammen“, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/entlas tung-fuer-deutschland/drittes-entlastungspaket-2082584 (zuletzt abgerufen am 14.6.2023). 4 BGBl. I 2022, 1743.

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wärme ausgeweitet. Da die Umsatzsteuer als indirekte Steuer von den Unternehmen an die Verbraucher weitergegeben wird, hängt die Wirksamkeit der Entlastungsmaßnahme davon ab, dass die Energieversorger die Steuersenkung tatsächlich an die Verbraucher weitergeben. b) Strom- und Gaspreisbremse aa) Einführung einer Gaspreisbremse Große Aufmerksamkeit erhielt vergangenes Jahr der Plan der Einführung eines gesetzlichen Preisanpassungsrechts in Form einer Gasbeschaffungsumlage, mit der infolge der ausbleibenden russischen Gaslieferungen in finanzielle Bedrängnis geratene Gasimporteure unterstützt werden sollten. Mit der Gasumlage sollten die höheren Kosten der Gasimporteure für die Beschaffung von Ersatzgas für die ausbleibenden russischen Gaslieferungen auf alle Gasverbraucher umgelegt werden. Dadurch sollten die Versorgungssicherheit aufrechterhalten und drohende Insolvenzen abgewendet werden. Die Gasumlage wurde zunächst auf Grundlage des § 26 Energiesicherungsgesetzes durch die Gaspreisanpassungsverordnung vom 8.8.2022 eingeführt5 und sollte vom 1.10.2022 bis zum 1.4.2024 gelten. Sie sah vor, dass sowohl private als auch industrielle Verbraucher 2,4 Cent mehr pro Kilowattstunde Gas bezahlen. Noch bevor die Gasumlage erstmals erhoben werden konnte, wurde sie aufgrund anhaltender Kritik durch eine weitere Verordnung vom 3.10.2022 wieder abgeschafft.6 Kritisiert wurde vor allem, dass auch solche Energieunternehmen profitieren würden, die möglicherweise nur in einem einzelnen Geschäftsbereich rote Zahlen schreiben, ansonsten aber Gewinne erwirtschaften. Zudem hätte die Gasumlage für eine weitere Belastung der Bürger gesorgt, statt diese zu entlasten. Stattdessen hat sich die Regierungskoalition für eine finanzielle Entlastung der Letztverbraucher von den infolge der Energiekrise stark gestiegenen Gaspreisen durch den Erlass des Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetzes7 (EWPBG) entschieden. Das Gesetz führt als Entlastungsmaßnahme eine gesetzliche Preisbremse für Wärme und Erdgas ein. Der Erdgaspreis wird für Letztverbraucher (vgl. § 2 Nr. 8 EWPBG iVm. § 3 Nr. 25 EnWG) für 80% ihres Verbrauchs auf 12 Cent pro Kilowattstunde begrenzt, §§ 9, 10 EWPBG. Das Gesetz sieht die Verpflichtung des jeweiligen Erdgasliefe5 Bundesanzeiger AT v. 8.8.2022, V1. 6 Bundesanzeiger AT v. 3.10.2022, V1. 7 BGBl. 2022 I, 2560.

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ranten vor, während des zeitlichen Anwendungsbereichs des Gesetzes den von ihnen belieferten Letztverbrauchern für jeden Monat der Belieferung einen Entlastungsbetrag gutzuschreiben, § 3 Abs. 1 Satz 1 EWPBG. Letztverbraucher, die keinen Anspruch auf einen Entlastungsbetrag als Normalfallverbraucher gem. § 3 EWPBG haben, werden nach § 6 und § 14 EWPBG durch die Gas- und Wärmepreisbremse geschützt. Gemeint sind damit Kunden mit einem höheren Verbrauch als 1,5 Mio. Kilowattstunden p.a. Für sie wird der Preisdeckel auf 7 Cent pro Kilowattstunde für 70% ihres Verbrauchs festgesetzt. Anders als bei Normalverbrauchern wird der Entlastungsbetrag jedoch nicht durch eine Anpassung der Abschlags- oder Vorauszahlungen gewährt, sondern in Form einer Gutschrift, die im Rahmen der jeweils nächsten Rechnung als Kostenentlastung ausgewiesen wird, §§ 6 Abs. 1 Satz 3, 14 Abs. 1 Satz 3 EWPBG. Das Referenzjahr für die Ermittlung des subventionierten Verbrauchs ist dabei für Haushalte und kleine und mittlere Unternehmen das Jahr 2022, für Großverbraucher aus der Industrie das Jahr 2021. Die Begrenzung der Gaspreisbremse auf einen anteiligen Verbrauch (80% bzw. 70%) soll nach dem Willen des Gesetzgebers zum Gas- bzw. Energiesparen anregen.8 Andererseits führt sie auch dazu, dass Personen mit besonders hohem Vorjahresverbrauch am meisten von der Gaspreisbremse profitieren.9 Für Verbraucher mit einem Jahresverbrauch unter 1,5 Mio. Kilowattstunden Gas oder Wärme pro Jahr gilt die Gaspreisbremse seit dem 1.3.2023 und für Verbraucher mit einem höheren Verbrauch bereits seit dem 1.1.2023 (§§ 3 und 6 EWPBG). Um jedoch auch eine rückwirkende Entlastung zu gewährleisten, erhalten Verbraucher mit einem Jahresverbrauch unterhalb von 1,5 Mio. Kilowattstunden im März eine einmalige Entlastung in dreifacher Höhe des Entlastungsbetrags für den Monat März (§ 5 EWPBG bzw. für Wärme § 13 EWPBG). Das Gesetz soll vorerst bis zum 1.1.2024 gelten, § 1 Abs. 1 EWPBG. Die Wärmepreisbremse ist strukturell wie die betreffende Gaspreisbremse aufgebaut. Auch hier sind die Wärmeversorgungsunternehmen (§ 2 Nr. 17 EWPBG) grundsätzlich verpflichtet, ihren Kunden monatlich einen – ggf. anteiligen (§§ 11 Abs. 1 Satz 2 EWPBG) – Entlastungsbetrag gutzuschreiben (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EWPBG). Der Referenzpreis für die Wärmepreisbremse liegt vorbehaltlich einer Anpassung durch Rechtsverordnung bei 9,5 Cent pro Kilowattstunde, § 16 Abs. 2, 3 EWPBG. Auch im Bereich der Wärmeversorgung ist eine nachträgliche Erstre8 BT-Drucks. 20/4683, 54. 9 Rath/Ekardt, NVwZ 2023, 293 (296).

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ckung der Entlastung auf die Monate Januar und Februar vorgesehen (§§ 11 Abs. 2, 13 EWPBG). Anders als im Bereich der Gaspreisbremse ist dafür jedoch Voraussetzung, dass der Kunde bereits in diesen beiden Monaten von dem betroffenen Wärmeversorger beliefert wurde, § 13 Abs. 1 EWPBG. Neben der Gaspreisbremse hat der Staat im Dezember 2022 für Verbraucher mit einem Verbrauch von unter 1,5 Mio. Kilowattstunden Gas oder Wärme die monatlichen Abschlagszahlungen durch das Gesetz über eine Soforthilfe für Letztverbraucher von leitungsgebundenem Erdgas und Kunden von Wärme (EWSG) einmalig übernommen.10 Die Kosten für Gaspreisbremse und die Übernahme der Abschlagszahlung im Dezember 2022 sind vom Bund zu tragen, §§ 31 EWPBG, 6 EWSG. Die Gas- und Wärmepreisbremse ist nicht die einzige wirtschaftsfördernde Maßnahme, die Unternehmen von den Mehrkosten durch die gestiegenen Energiepreise entlasten soll. Durch die Kumulation von Entlastungsmaßnahmen kann es so zu einer unangemessenen Überkompensation auf Unternehmensseite kommen, so dass auch beihilferechtliche Konsequenzen drohen können.11 Das EWPBG enthält daher in § 18 eine Höchstgrenze für die Summe aller staatlicher Beihilfen für die Mehrkosten aufgrund des außergewöhnlichen Anstiegs der Preise für Strom, Erdgas und Wärme, soweit die Maßnahmen in den Anwendungsbereich des befristeten Krisenrahmens der EU-Kommission oder der BRK-Bundesregelung für Kleinbeihilfen 2022 fallen (vgl. § 2 Nr. 4 EWPBG). Die Höchstgrenze gilt nur für Letztverbraucher und Wärmekunden, die Unternehmen iSd. § 2 Nr. 13 EWPBG sind. Nur für diese Letztverbraucher statuiert § 18 EWPBG ein sehr komplexes System aus absoluten und relativen Höchstgrenzen. Innerhalb des Systems wird nicht nur zwischen einzelnen Branchen differenziert, sondern auch danach, ob das jeweilige Unternehmen von den hohen Energiepreisen individuell oder durch Branchenzugehörigkeit besonders betroffen oder energieintensiv ist (vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 1 EWPBG). Absolute Höchstgrenzen sind auch zwischen verbundenen Unternehmen einzuhalten, § 18 Abs. 1 EWPBG. Unternehmen, deren monatlicher Entlastungsbetrag nach eigener Prognose 150.000 t übersteigt, sind gem. § 22 Abs. 1 EWPBG verpflichtet, ihren Energielieferanten bis zum 31.5.2024 eine Selbsterklärung zu den voraus10 BGBl. I 2022, 2035 (2051). 11 BT-Drucks. 20/4683, 52, 77.

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sichtlichen Höchstgrenzen abzugeben. Solange die Selbsterklärung nicht abgegeben wird, ist die absolute Höchstgrenze auf den Betrag von 150.000 t gedeckelt, § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EWPBG. Unterbleibt die Selbsterklärung vollständig, wird die Höchstgrenze rückwirkend auf 0 t abgesenkt, § 18 Abs. 5 Satz 2 EWPBG. Gewährte Entlastungsbeträge sind dann unverzüglich und bis spätestens zum 30.6.2024 von den Energieversorgen zurückzufordern, § 20 Abs. 3 EWPBG. Daher ist die Selbsterklärung aus Sicht der Unternehmen unbedingt abzugeben. bb) Einführung einer Strompreisbremse Neben der Gas- und Wärmepreisbremse wurde durch das Strompreisbremsegesetz (StromPBG)12 auch eine Preisbremse für Strom eingeführt. Hintergrund der Strompreisbremse ist das sog. Merit Order-Prinzip.13 Dieses ist kennzeichnend für den gesamten europäischen Strommarkt. Nach dem sog. Merit Order-Prinzip bestimmt sich die Reihenfolge der Kraftwerke, deren Erzeugung zur Deckung des Strombedarfs am Stromhandelsplatz „Day Ahead“ einen Zuschlag erhält („Order“) zwar nach den Kraftwerken mit den niedrigsten Grenzkosten für eine produzierte Megawattstunde („Merit“); der Strompreis für alle Marktteilnehmer richtet sich jedoch nach dem Kraftwerk mit den höchsten Grenzkosten. Infolge des gestiegenen Gaspreises durch ausbleibende russische Gaslieferungen und anderen Faktoren wie warme, trockene Sommer waren in 2022 vor allem Gaskraftwerke die teuersten Kraftwerke. Von den durch die hohen Gaspreise insgesamt gestiegenen Strompreisen profitieren vor allem sog. inframarginale Stromerzeuger, die unterhalb der Grenzkosten Strom produzieren. Im Ergebnis sind dies vor allem Erzeuger von Solarund Windstrom, die nicht durch die gestiegenen Produktionskosten belastet waren. Entsprechend der Gaspreisbremse verabschiedete der Bundestag am 20.12.2022 das Gesetz zur Einführung einer Strompreisbremse. § 4 StromPBG verpflichtet Elektrizitätsversorger, die am ersten Tag eines Kalendermonats Strom an einen Letztverbraucher über eine Netzentnahmestelle liefern, dem Letztverbraucher eine Absenkung der Stromkosten in Höhe eines monatlichen Entlastungsbetrags zu gewähren. Für kleine Unternehmen und private Verbraucher wird der Strompreis für 80% des historischen Verbrauchs auf 40 Cent pro Kilowattstunde inklu12 BGBl. I 2022, 2512. 13 Erwägungsgrund 23 der Verordnung EU 2022/1854 stellt das Phänomen dar.

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sive aller Steuern, Abgaben, Umlagen und Netzentgelte gedeckelt, vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 1, 6 Nr. 1 StromPBG. Für Kunden mit einem Jahresverbrauch von mehr als 30.000 Kilowattstunden wird der Strompreis für 70% des historischen Jahresverbrauchs auf 13 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt, §§ 5 Abs. 2 Nr. 2, 6 Nr. 2 StromPBG. Der historische Verbrauch entspricht dem Verbrauch des Vorjahres. Jeder über die jeweilige Grenze hinausgehende Verbrauch unterliegt dem regulären Marktpreis. Gem. § 3 StromPBG entfaltet die Strompreisebremse vorerst vom 31.12.2022 bis zum 1.1.2024 ihre Wirkung. § 49 StromPBG ordnet wie für die Gaspreisbremse die rückwirkende Anwendung für Januar und Februar 2023 an. cc) Weitere Maßnahmen zur Energiepreisdämpfung Neben der Strom- und Gaspreisbremse hat die Bundesregierung zwei ebenfalls im Entlastungspaket III angekündigte Maßnahmen zur Dämpfung der Energiepreise umgesetzt. Zunächst soll die CO2-Abgabe für kohlenstoffhaltige Brenn- und Kraftstoffe nach der Novelle des Brennstoffemissionshandelsgesetzes langsamer steigen. Aufgrund der Energiekrise erfolgte bislang in 2023 überhaupt keine Erhöhung des CO2-Preises. Der Anstieg der Energiepreise wird so für ein Jahr gedämpft. Regulär wäre der CO2-Preis um 5 t pro Tonne gestiegen. Dadurch sollen Eigentümer sowie Mieter entlastet werden. Daneben hat die Bundesregierung den Preisanstieg der Netzentgelte im deutschen Stromnetz gedämpft. Diese sind Bestandteil der Strompreise und werden von den Kunden getragen. Die Kosten für die Übertragungsnetze hatten sich von 5 Mrd. t auf 18 Mrd. t erhöht und damit mehr als verdreifacht. Um eine Weitergabe dieser Kosten an die Kunden zu verhindern, hat die Bundesregierung die Netzentgelte in Höhe des Preisanstiegs, dh. mit 13 Mrd. t gestützt. c) Abschöpfen von (Energie-)Krisengewinnen aa) EU-Verordnung über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise Das Entlastungspaket III sieht zur Finanzierung der Strompreisbremse die Abschöpfung von krisenbedingten Zufallsgewinnen von Stromproduzenten vor. Davon betroffen sein sollen Energieunternehmen, die zum Beispiel erneuerbaren Strom sowie Kohle- oder Atomstrom im Vergleich zu Vorkrisenzeiten zu gleichgebliebenen, geringen Produktions109

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kosten herstellen und durch die stark gestiegenen Gaspreise sehr hohe Zufallsgewinne auf dem europäischen Strommarkt erzielen, die sog. Übergewinne (s.o. 2.a.bb. zum Grund des allgemeinen Energiepreisanstiegs aufgrund des Merit-Order Prinzips). Anlässlich des Entlastungspakets III hatte die Bundesregierung daher angekündigt, sich innerhalb der EU dafür einzusetzen, dass solche Zufallsgewinne nicht mehr anfallen oder abgeschöpft werden können. Als Folge hat der Rat der Europäischen Union daher im Oktober 2022 die Verordnung über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise14 (Notfall-VO) erlassen. Die Notfall-VO wird auf Art. 122 Abs. 1 AEUV gestützt, der es dem Rat auf Vorschlag der Kommission erlaubt, der Wirtschaftslage angemessene Maßnahmen zu beschließen, insbesondere falls gravierende Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren, vor allem im Energiebereich, auftreten. Ob dazu auch die Erhebung einer Abgabe oder Steuer zählt, erscheint schon deshalb fraglich, weil weder die in Art. 311 AEUV festgelegten Voraussetzungen für die Erhebung einer Unionsabgabe eingehalten wurden, noch die Union direkte Steuern erlassen darf, Art. 110 ff. AEUV.15 Die Notfall-VO enthält zwei Mechanismen zur Abschöpfung und Umverteilung der Übergewinne. Zunächst sieht die Notfall-VO eine Erlösobergrenze von 180 t pro Megawattstunde für Strom aus inframarginalen Erzeugungsanlagen vor, dh. solchen Anlagen mit niedrigeren Grenzkosten, wie erneuerbare Energien, Kernenergie oder Braunkohle.16 Daneben enthält sie einen zeitlich befristeten obligatorischen Solidaritätsbeitrag, mit dem die Mitgliedstaaten Überschussgewinne von im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich tätigen Unternehmen und Betriebsstätten in der Union erheben müssen (Art. 14 Abs. 1 VO (EU) 2022/1854). Die unterschiedliche Behandlung von Stromsektor und fossilen Brennstoffen wird mit den unterschiedlichen Handels- und Geschäftspraktiken begründet.17

14 Verordnung (EU) 2022/1854 des Rates vom 6.10.2022 über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise, ABl. EU v. 7.10.2022, LI 261/1. 15 Vgl. Lüdicke, DB 2022, Heft 51–52, M4. 16 In Deutschland wurden diese Regelungen der VO (EU) 2022/1854 durch die §§ 13 ff. des Strompreisbremsegesetzes (v. 20.12.2022, BGBl. I 2022, 2512) umgesetzt. 17 Vgl. Erwägungsgrund 45 der Verordnung (EU) 2022/1854 des Rates vom 6.10.2022 über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise, ABl. EU v. 7.10.2022, LI 261/1.

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bb) „Umsetzung“ der Notfall-VO im nationalen Recht Die Notfall-VO gilt gem. Art. 288 Abs. 2 AEUV grundsätzlich unmittelbar in jedem Mitgliedstaat, wohingegen eine Richtlinie den Mitgliedstaaten die Wahl der Form und der Mittel lässt. Die Notfall-VO lässt den Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung des EU-Energiekrisenbeitrags allerdings erhebliche Spielräume, so dass sie damit materiell eher einer Richtlinie ähnelt (sog. lex imperfecta). Diesen Spielraum hat der Gesetzgeber einerseits im JStG 2022 durch das EU-Energiekrisenbeitragsgesetz (EU-EnergieKBG) und andererseits durch das StromPBG genutzt. Das StromPBG enthält neben einer Deckelung der Strompreise auch die durch die Notfall-VO vorgesehene Abschöpfung von Überschusserlösen von Stromerzeugern. Gem. Art. 10 der Verordnung müssen alle Überschusserlöse gezielt zur Finanzierung von Maßnahmen verwendet werden, durch welche die Auswirkungen der hohen Strompreise auf die Endkunden abgemildert werden. Anders als die Gaspreisbremse wird die Strompreisbremse daher grundsätzlich nicht durch den Bund finanziert, sondern durch die Erlöse aus der Abschöpfung der sog. Übergewinne. Das StromPBG weicht dabei von der in der Notfallmaßnahmen-VO vorgesehenen Obergrenze von 180 t je Megawattstunde ab und sieht für die meisten betroffenen Anlagen eine individuell zu berechnende Obergrenze vor. Rechtsgrundlage der Abschöpfung ist § 14 StromPBG. Dieser begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen den Stromerzeugern und ihren Anschlussnetzbetreibern. Dieses finanziert die Entlastungsbeträge der Strompreisbremse (sog. Abwälzmechanismus). Die Elektrizitätsversorgungsunternehmen haben gegen den für die jeweilige Entnahmestelle verantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber einen Erstattungsanspruch für die Strompreisbremse. Die Anlagenbetreiber werden wiederum verpflichtet, an ihren jeweiligen Anschlussnetzbetreiber einen Geldbetrag zu zahlen, der 90% ihrer in dem jeweiligen Abrechnungszeitraum erwirtschafteten Überschusserlöse entspricht. Die Übertragungsnetzbetreiber haben wiederum bei im Vergleich zu den eingenommenen Überschusserlösen ungleicher Belastung durch die Entlastungsansprüche untereinander einen Ausgleichsanspruch. Außerdem haben die Übertragungsnetzbetreiber Ausgleichsansprüche in Höhe der vereinnahmten Überschusserlöse gegen die ihnen nachgelagerten Verteilernetzbetreiber. Nach Ablauf des Geltungszeitraums der Abschöpfung und der Strompreisbremse können die Übertragungsnetzbetreiber ihre über die eingenommenen Abschöpfungsbeträge hinausgehenden Entlas111

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tungsausgaben vom Bund ersetzt verlangen. Mehreinnahmen müssen zur Senkung der Übertragungsnetzkosten im nächsten Kalenderjahr verwendet werden.18 „Mit der Stromerzeugungsanlage erwirtschaftet“ sind Überschusserlöse immer dann, wenn sie Strommengen zugerechnet werden können, die in der Anlage erzeugt und in das öffentliche Netz eingespeist werden. Die Erlösabschöpfung beginnt gem. § 13 Abs. 1 StromPBG zunächst für den Zeitraum 1.12.2022 bis zum 30.6.2023. Nach § 13 Abs. 2 besteht die Möglichkeit der Verlängerung der Erlösabschöpfung höchstens bis zum 30.4.2024. Die Bundesregierung konnte bis zum 31.5.2023 prüfen, ob eine Verlängerung durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundestags bedurft hätte, erforderlich gewesen wäre. Angesichts der gefallenen Strompreise wurde von dieser Möglichkeit jedoch kein Gebrauch gemacht. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte schon verlauten lassen, die Erlösabschöpfung auslaufen lassen zu wollen.19 Der Gesetzestext sieht zahlreiche Ausnahmen für diverse Stromerzeugungsarten vor. Vom Anwendungsbereich ausgenommen sind danach Strom aus Anlagen, in denen entweder ausschließlich oder weit überwiegend auf Basis von Steinkohle, Flüssiggas, Erdgas oder leichtem Heizöl Strom erzeugt wird. Ebenfalls von der Abschöpfung ausgenommen sind Anlagen, in denen weniger als eine Megawattstunde Strom erzeugt wird. Nicht in den Anwendungsbereich fällt die Stromerzeugung aus Biomethan. Damit soll sichergestellt werden, dass die Umrüstung bestehender Gaskraftwerke nicht gefährdet wird.20 Ausgenommen sind schließlich auch Strommengen, die außerhalb des öffentlichen Netzes an Abnehmer geliefert werden. Die abzuschöpfenden Überschusserlöse werden in drei Stufen berechnet. Zunächst wird ermittelt, ob Betreibern von Stromerzeugungsanlagen für im jeweiligen Abrechnungszeitraum in der Anlage erzeugte und eingespeiste Strommengen sog. fiktive Spotmarktüberschüsse aufgrund der technologiespezifischen Erlösobergrenzen zugerechnet werden können. Der fiktive Spotmarktüberschusserlös ergibt sich aus dem Produkt 18 Vgl. dazu: Scholz/Wessling/Falkenhausen/Ackermann/Schmidtke, EnK-Aktuell 2023, 01017. 19 Vgl. Handelsblatt v. 2.3.2023, Habeck will Gewinnabschöpfung bei Energieversorgern auslaufen lassen, abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/po litik/deutschland/energie-habeck-will-gewinnabschoepfung-bei-energieversor gern-auslaufen-lassen/29012652.html (zuletzt aufgerufen am 12.6.2023). 20 BT-Drucks. 20/4685, 92.

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aus der in das Stromnetz eingespeisten Strommenge und dem für diese Stunde geltenden Spotmarktpreis. Bei Windenergie- und Solaranlagen wird der fiktive Erlös nicht auf Grundlage des Spotmarktpreises, sondern anhand des energieträgerspezifischen Monatsmarktwerts nach Anlage 1 Nummer 3.3 EEG berechnet, der seinerseits an den durchschnittlichen Spotmarktpreis des Monats anknüpft. Im Weiteren sind die technologiespezifischen Erlösobergrenzen zu ermitteln. Diese sind in § 16 Abs. 1–6 StromPBG geregelt und setzen sich aus technologiespezifischen Referenzkosten und einem Sicherheitszuschlag iHv. 30 t pro Megawattstunde zusammen.21 Auf einer zweiten Stufe können Anlagenbetreiber, die ihren Strom anlagebezogen vermarkten, anstelle des fiktiven Spotmarkterlöses den tatsächlichen Erlös aus dem anlagebezogenen Vermarktungsvertrag geltend machen, wobei in diesem Fall abweichende Sicherheitszuschläge und damit Erlösobergrenzen gelten. Hinsichtlich der anlagenbezogenen Vermarktung differenziert der Gesetzgeber zwischen vor und ab dem 1.11.2022 geschlossenen Verträgen: –

Für vor dem 1.11.2022 abgeschlossene Vermarktungsverträge ersetzt der vertraglich vereinbarte Erlös den unterstellten Spotmarkterlös bzw. den energieträgerspezifischen Monatsmarktwert. Gleichermaßen wird die Erlösobergrenze teilweise angepasst. So werden etwa für Erneuerbare-Energien-Anlagen Referenzkosten von mindestens 80 t je MWh unterstellt. Der Sicherheitszuschlag wird generell von 30 t je Megawattstunde auf 10 t je Megawattstunde verringert.



Für anlagenbezogene Vermarktungsverträge, die ab dem 1.11.2022 abgeschlossen werden, gilt Vorstehendes nur, wenn die Stromerzeugungsanlage ab dem 1.11.2022 in Betrieb genommen wurde.

Auf der dritten Stufe sieht das StromPBG in § 17 eine weitere Sonderregelung für die Berücksichtigung von sog. Absicherungsgeschäften vor. Der Begriff des Absicherungsgeschäfts wird im Gesetz nicht näher definiert. Damit sollen im Wesentlichen Terminmarktgeschäfte gemeint sein, der Begriff ist aber weiter zu verstehen. Ausdrücklich wird festgelegt, dass anlagenbezogene Vermarktungsverträge nicht als Absicherungsgeschäft iS dieser Anlage gelten. Der Begriff des Absicherungsgeschäfts ist damit anlagenunabhängig.22 Die Berücksichtigung von Erlösen aus Absicherungsgeschäften ist ebenfalls – wie die Berücksichtigung von Erlösen aus anlagenbezogenen Vermarktungsverträgen – als 21 Vgl. dazu: Scholz/Wessling/Falkenhausen/Ackermann/Schmidtke, EnK-Aktuell 2023, 01017. 22 Anlage 4 Ziff. 4.4 StromPBG.

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Wahlrecht bzw. Option ausgestaltet, § 17 StromPBG.23 Das Gesetz differenziert zwischen Absicherungsgeschäften, die vor dem 1.11.2022, und solchen, die ab dem 1.11.2022 geschlossen wurden. Für Absicherungsgeschäfte, die ab dem 1.11.2022 abgeschlossen wurden, sieht das Gesetz vor, dass grundsätzlich nur Geschäfte an der deutschen Strombörse, der European Energy Exchange (EEX), berücksichtigt werden können. Damit werden die in der Praxis häufigen Over the counter-Geschäfte (OTC) nicht erfasst.24 Da dies nicht sachgerecht ist,25 sieht das Änderungsgesetz zum StromPGB vor, dass alle mit EEX-Geschäften vergleichbare Geschäfte erfasst werden, auch wenn sie außerhalb der EEX abgeschlossen werden.26 Das Ergebnis aus dieser Berechnungsmethodik wird unwiderleglich als Überschusserlös vermutet. Das gilt auch dann, wenn die tatsächlich realisierten Markterlöse deutlich niedriger ausfallen. Den zweiten Mechanismus der EU-Verordnung zum Abschöpfen von Überschussgewinnen von im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich tätigen Unternehmen wurde durch das EU-Energiekrisenbeitragsgesetz (EU-EnergieKBG) umgesetzt. In den Anwendungsbereich des EU-Krisenbeitrags fallen Unternehmen und Betriebsstätten in der Union, die mind. 75% ihres Umsatzes durch Wirtschaftstätigkeiten in den Bereichen Extraktion, Bergbau, Erdölraffination oder Herstellung von Kokereierzeugnissen erzielen, § 2 EU-EnergieKBG. Erfasst sind Unternehmen jeder Rechtsform, dh. Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften und auch Einzelunternehmen. Steuerschuldner ist das Unternehmen selbst, also bei einer Personengesellschaft die Gesellschaft selbst, die in den genannten Sektoren tätig ist und die entsprechende Umsatzgrenze übersteigt. Ebenso ist eine steuerliche Organgesellschaft selbst Schuldner des EU-Energiekrisenbeitrags.27 Der EU-Energiekrisenbeitrag soll (zunächst) für zwei Jahre erhoben werden. Der erste relevante Besteuerungszeitraum ist das nach dem 31.12.2021 beginnende Wirtschaftsjahr sowie das darauf folgende Wirtschaftsjahr, § 3 Abs. 2 EU-EnergieKBG. Es muss sich jeweils um ein volles Wirtschaftsjahr handeln, das einen Zeitraum von zwölf Monaten umfasst, § 3 Abs. 2 Satz 2 EU-EnergieKBG.

23 24 25 26 27

Vgl. auch: BT-Drucks. 20/4685, 99. Klewar/Lehnert, ZNER 2023, 97 (104). Klewar/Lehnert, ZNER 2023, 97 (104). Gesetz v. 26.7.2023, BGBl. I 2023, Nr. 110. Vgl. BT-Drucks. 20/4729, 158 f.

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Für Zwecke der Bemessungsgrundlage knüpft § 4 Abs. 1 Satz 1 EU-EnergieKBG an den nach einkommen- oder körperschaftsteuerlichen Vorschriften ermittelten steuerlichen Gewinn an. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass der Gesetzgeber bei Kapitalgesellschaften den steuerlichen Gewinn meint, wie er sich aus R 7.1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 31 KStR ergibt.28 Bei Organgesellschaften handelt es sich demnach um den Gewinn vor der Zurechnung an den Organträger; dies ist nur konsequent, da die Organgesellschaft selbst Schuldner des EU-Energiekrisenbeitrags ist.29 Das Gesetz definiert die Bemessungsgrundlage als die positive Differenz, um die der steuerliche Gewinn für den jeweiligen Besteuerungszeitraum den um 20% erhöhten Durchschnitt des steuerlichen Gewinns der zwölfmonatigen Wirtschaftsjahre 2018 bis 2021 übersteigt. Damit ist für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage in zwei Schritten vorzugehen. Erstens ist der durchschnittliche steuerliche Gewinn der Jahre 2018–2021 zu ermitteln und im Anschluss um 20% zu erhöhen, sog. Referenzgewinn. Im Anschluss wird der Gewinn der relevanten Besteuerungszeiträume mit dem Referenzgewinn verglichen; soweit der Gewinn der relevanten Besteuerungszeiträume diesen übersteigt, stellt der übersteigende Betrag die Bemessungsgrundlage dar. Gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 und 3 EU-EnergieKBG ist der durchschnittliche steuerliche Gewinn mit Null anzusetzen, wenn der Durchschnitt der steuerlichen Gewinne für die zwölfmonatigen Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2017 beginnen und vor dem Beginn des ersten Besteuerungszeitraums enden, negativ ist oder das Unternehmen nach dem 31.12.2021 erstmals der Einkommen- oder Körperschaftsteuer unterliegt. Der Wortlaut der Norm ist dahingehend eindeutig, dass dies nur gilt, wenn der durchschnittliche Gewinn negativ ist. Ist der Gewinn nur in einem oder mehreren Jahren negativ (insgesamt aber noch positiv), so werden diese Verluste bei der Ermittlung des Durchschnittsgewinns berücksichtigt. Damit erhöhen diese Verluste die Wahrscheinlichkeit, dass der EU-Energiekrisenbeitrag anfällt (und ggf. auch dessen Höhe), da der Referenzgewinn infolge der Verluste kleiner wird.30 Sowohl der Gewinn der Vergleichsjahre als auch der Jahre, für die der EU-Energiekrisenbeitrag erhoben wird, unterliegt diversen Korrekturen. Davon betroffen sind etwa Gewinnanteile, die bereits im Ausland einer vergleichbaren Abgabe unterliegen, wie etwa ausländische Betriebsstättengewinne und 28 Vgl. BT-Drucks. 20/4729, 159. 29 Böhmer/Schewe, BB 2023, 534 (538). 30 Böhmer/Schewe, BB 2023, 534 (538).

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passive Einkünfte, die in einem Hinzurechnungsbetrag nach § 10 Abs. 2 AStG enthalten sind. Ebenfalls zu korrigieren sind Gewinnanteile von (in- und ausländischen) Mitunternehmerschaften, wenn diese selbst dem EU-Energiekrisenbeitrag unterliegen, sowie Gewinne aus Umwandlungen (§ 5 Satz 1 EU-EnergieKBG). Umgekehrt enthält § 5 Satz 2 EU-EnergieKBG eine Missbrauchsvermeidungsvorschrift zu Lasten der Unternehmen. Führt etwa eine Umwandlung dazu, dass der Anwendungsbereich des Gesetzes nicht mehr eröffnet ist, weil die 75%-Grenze aus § 2 Abs. 1 EU-EnergieKBG nach einer Verschmelzung nicht mehr erfüllt ist, oder die Bemessungsgrundlage infolge der Übertragung zusammen niedriger ist als ohne die Umwandlung, ist die Besteuerung so vorzunehmen, als wäre die Umwandlung nicht erfolgt. Auf die Bemessungsgrundlage ist schließlich der Steuersatz von 33% anzuwenden. Das Ergebnis ist der EU-Energiekrisenbeitrag. Diesen müssen die Unternehmen selbst berechnen, beim BZSt anmelden und an die Bundeskasse bezahlen. Die Frist für die Anmeldung läuft parallel zur Einkommen- und Körperschaftsteuererklärung (§ 7 Abs. 1 Satz 2 EUEnergieKBG). Spätere Änderungen der Bemessungsgrundlage sind gem. § 7 Abs. 1 Satz 3 EU-EnergieKBG unverzüglich im Rahmen einer neuen Steueranmeldung anzugeben. cc) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht Im Zusammenhang mit den vorstehend dargestellten Abschöpfungsregelungen stellen sich eine Reihe von rechtlichen Fragen. Zunächst ist fraglich, ob mit Art. 122 AEUV überhaupt die richtige Ermächtigungsgrundlage für die Verordnung (EU) 2022/1854 gewählt wurde. Daneben stellen sich aber auch weitere Fragen. Für die Abschöpfung von Gewinnüberschüssen geht das StromPBG über die von der EU-Verordnung gesetzten Grenzen hinaus. Das StromPBG ermöglicht insbesondere ein Fortgelten über die europarechtliche Maximalfrist hinaus und könnte damit iS eines nationalen Alleingangs zu einer Verwerfung an den europäischen Großhandelsmärkten führen.31 Angesichts der ausbleibenden Verlängerung stellt sich diese Frage jedoch nicht mehr. Auch das massive Zurückbleiben hinter der europarechtlich vorgegebenen Erlösobergrenze von 180 t je Megawattstunde und die technologiespezifische Dif-

31 Von Oppen, ER 2023, 3 (11).

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ferenzierung bei den Erlösobergrenzen erscheint aus Sicht des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes fraglich.32 Für das StromPBG stellt sich außerdem die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Finanzverfassungsrecht. Die Übertragungsnetzbetreiber müssen die Kosten der Strompreisbremse vor Vereinnahmung der Kosten aus Bundesmitteln vorfinanzieren. Dabei könnte es sich um eine unzulässige Sonderabgabe handeln. Voraussetzung für eine zulässige Sonderabgabe ist eine sachgerechte Verknüpfung entstehender Belastungen und der Begünstigungen, die die Sonderabgabe bewirken soll. Daran fehlt es wohl, da Übertragungsnetzbetreiber mit der Strompreisentlastung der Bürger nichts zu tun haben.33 Andererseits hat der Gesetzgeber versucht, den Abwälzungsmechanismus an den der EEG-Umlage anzulehnen. Für diesen hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es sich nicht um eine Sonderabgabe handelt.34 In § 1 Abs. 3 Satz 2 EU-EnergieKBG wird der EU-Energiekrisenbeitrag als Steuer iSd. AO definiert. Die Gesetzgebungskompetenz für den EU-Energiekrisenbeitrag stützt der Gesetzgeber auf Art. 105 Abs. 2 Satz 2 GG iVm. Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG. Letztere Regelung bestimmt, dass das Aufkommen aus Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften dem Bund zusteht. Erforderlich ist damit zweierlei: Der EU-Energiekrisenbeitrag muss eine Steuer sein und zudem den Tatbestand einer Abgabe im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften erfüllen. Eine Steuer ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine öffentliche Abgabe, die als Gemeinlast ohne individuelle Gegenleistung („voraussetzungslos“) zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben wird.35 Die Zweckbindung des EU-Energiekrisenbeitrags, die sich aus Art. 17 der Verordnung ergibt, könnte gegen das Vorliegen einer Steuer sprechen. Jedoch hat das BVerfG entschieden, dass eine Zweckbindung der Qualifikation als Steuer nicht entgegensteht, solange die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe nicht dem Charakter einer Gegenleistung entspricht.36 Der Charakter einer Gegenleistung wird aber wohl noch nicht erreicht.37 Ob es sich um eine Abgabe im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften handelt, ist fraglich. 32 33 34 35 36 37

Vgl. von Oppen, ER 2023, 3 (11). Von Oppen, ER 2023, 3 (11). BGH v. 25.6.2014 – VIII ZR 169/13, BGHZ 201, 355. Vgl. BVerfG v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171 Rz. 100. Vgl. BVerfG v. 23.3.2022 – 1 BvR 1187/17, BVerfGE 161, 63. Vgl. auch Schumacher, Ubg. 2023, 79 (85).

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Denn der EU-Energiekrisenbeitrag kommt nicht der EU zugute, sondern nach § 1 Abs. 3 EU-EnergieKBG dem Bund, der aber in der Mittelverwendung konkreten Vorgaben der Verordnung unterliegt. Weiterhin ist fraglich, ob durch den EU-Energiekrisenbeitrag der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt wird (Art. 20 EU-Grundrechtecharta),38 wenn nur ein spezifischer Sektor zu einer Zusatzbelastung herangezogen wird. Schließlich wurden auch in anderen Sektoren in den letzten Jahren, insbesondere pandemiebedingt, erhebliche Gewinne erzielt (bspw. im Bereich Pharma oder Logistik), ohne dass eine Zusatzbelastung eingeführt wurde. Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass in diesen Fällen nicht die Bevölkerung durch massiv gestiegene Kosten belastet und zum Teil in der Existenz bedroht wird.39 Darin kann durchaus ein hinreichender Differenzierungsgrund liegen, der einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ausschließt.

3. Steuerliche Maßnahmen zur Einkommensentlastung a) USt. in der Gastronomie Durch das achte Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen40 wurde die während der Corona-Pandemie eingeführte Ermäßigung des Umsatzsteuersatzes von 19% auf 7% bis Dezember 2023 verlängert. Dadurch soll die Branche entlastet und die Inflation begrenzt werden. b) Abbau der kalten Progression Um Effekte der kalten Progression auszugleichen, kündigte die Bundesregierung im Entlastungspaket III eine Anpassung der Tarifeckwerte im Einkommensteuertarif an. Der Entwurf des Inflationsausgleichgesetzes von September 2022 wurde anhand der Ergebnisse des 5. Steuerprogressionsberichts und des 14. Existenzminimumberichts angepasst, woraufhin das Gesetz am 10.11.2022 verabschiedet wurde. Das Inflationsausgleichgesetz41 enthält eine Erhöhung des Grundfreibetrags sowie der Eckwerte der Progressions- und Proportionalzonen des Tarifs, ausgenommen des Grenzwerts zur höchsten Tarifzone („Reichensteuer“), je38 Vgl. zum Einfluss der Europäischen Grundrechte auf das Steuerrecht Krumm in Tipke/Kruse, Einführung AO Rz. 38 ff.; Schönfeld/Ellenrieder/Sendke, IStR 2022, 517. 39 Böhmer/Schewe, BB 2023, 534 (538 f.). 40 BGBl. I 2022, 1838. 41 BGBl. I 2022, 2230.

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weils in zwei Stufen zum Veranlagungszeitraum 2023 und zum Veranlagungszeitraum 2024. Daneben wurde der Kinderfreibetrag stufenweise sowohl rückwirkend zum 1.1.2022 als auch für den Veranlagungszweitraum 2023 und 2024 erhöht, der Abzugsbetrag für Unterhaltsleistungen als außergewöhnliche Belastung wurde auf die Höhe des Grundfreibetrags angehoben. c) Verlängerung und Ausweitung der Unternehmenshilfen Durch das am 23.12.2022 verkündete Gesetz zur Änderung des Energieund Stromsteuergesetzes zur Verlängerung des sog. Spitzenausgleichs42 wurde bewirkt, dass für bestimmte energieintensive Unternehmen der eigentlich 2022 auslaufende Spitzenausgleich bis Ende 2023 verlängert wird. Sog. energieintensive Unternehmen können dadurch eine weitgehende Entlastung von der gezahlten Strom- und Energiesteuer durch den Spitzenausgleich gem. § 10 StromStG und § 55 EnergieStG beantragen. Die Gewährleistung des Spitzenausgleichs wird einmalig nicht davon abhängig gemacht, dass ein Zielwert für die Reduzierung der Energieintensität erreicht wurde. Dadurch sollen ca. 9.000 Unternehmen iHv. rund 1,7 Mrd. t entlastet werden.

4. Weitere Maßnahmen außerhalb des Steuerrechts a) Verlängerung der Sonderregelungen für das Kurzarbeitergeld Die Zugangserleichterungen für das Kurzarbeitergeld aus der Corona Pandemie wären zum 31.12.2022 ausgelaufen. Im Entlastungspaket III wurde angekündigt, dass die Sonderregelungen darüber hinaus verlängert werden sollen, um Sicherheit für Unternehmen und Beschäftigte zu schaffen. Das Bundeskabinett hat daher die Regelungen per Verordnung bis zum 30.6.2023 verlängert. Kurzarbeitergeld kann daher nach wie vor bereits gezahlt werden, wenn mindestens 10% statt regulär ein Drittel der Beschäftigten von einem Entgeltausfall betroffen sind. Zudem müssen Beschäftigte keine Minusstunden vor dem Bezug des Kurzarbeitergelds aufbauen.

42 BGBl. I 2022, 2483.

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b) Ausweitung des Wohngeldanspruchs sowie Einführung einer Heizkosten- und Klimakomponente Das Entlastungspaket III hatte auch die größte Wohngeldreform in der Geschichte Deutschlands angekündigt. Durch diese sollen deutlich mehr Geringverdiener ein höheres Wohngeld bekommen. Die geplante Reform wurde schließlich durch das Gesetz zur Erhöhung des Wohngeldes und zur Änderung anderer Vorschriften, sog. Wohngeld-Plus-Gesetz, durchgeführt.43 Die Wohngeldreform ist zum 1.1.2023 in Kraft getreten. Durch die Wohngeldreform sollen vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen von den hohen Mieten und den steigenden Heizkosten entlastet werden. Durch die Reform hat sich der Kreis der Berechtigten auf rund 2 Mio. Haushalte mit 4,5 Mio. Menschen erhöht. Hinzugekommen sind etwa 1,04 Mio. Haushalte, deren Einkommen bislang die Grenzen für einen Wohngeldanspruch überschritten hatten.44 Das Wohngeld wurde durchschnittlich um 190 t pro Monat erhöht. Das ist doppelt so viel wie bisher. Das Wohngeld steigt durch die Reform von im Schnitt 180 t auf 370 t im Monat. Die Wohngeldreform enthält daneben insbesondere auch eine Heizkostenkomponente, die dafür sorgen soll, dass die Berechtigten die steigenden Heizkosten bezahlen können. Die Heizkostenkomponente ist als Pauschale nach Anzahl der Personen gestaffelt. Zudem gab es für Wohngeldempfänger für die Heizperiode von September bis Dezember 2022 einen einmaligen kurzfristigen Heizkostenzuschuss von 415 t. Für zwei Personen betrug er 540 t, ab jeder zusätzlichen Person weitere 100 t. Die Kosten werden jeweils zur Hälfte von Bund und Ländern getragen. c) Anhebung Midijob-Grenze Das Entlastungspaket III sah auch vor, Arbeitnehmer mit geringen monatlichen Einkommen zu entlasten. Durch die Anhebung der sog. Midijob-Grenze werden niedrige Einkommen mit weniger Sozialversicherungsbeiträgen belastet, so dass sich insgesamt das Nettoeinkommen der Beschäftigten erhöht. Erst im Oktober 2022 ist die Midijob Grenze von 1.300 t auf 1.600 t im Monat angestiegen. Inzwischen haben Bundestag und Bundesrat die im Entlastungspaket III angekündigte Erhö43 BGBl. I 2022, 2160. 44 Die Bunderegierung, „Mehr Wohngeld für zwei Millionen Haushalte“ abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/wohngeldre form-2130068 (zuletzt abgerufen am: 14.6.2023).

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hung auf 2.000 t im Monat zum 1.1.2023 beschlossen.45 Insgesamt sollen Arbeitnehmer in diesem Lohnbereich um rund 1,3 Mrd. t jährlich entlastet werden. d) Einführung des 49 Euro-Tickets Das in den Sommermonaten 2022 durch die Bundesregierung eingeführte Neun Euro-Ticket wurde ca. 52 Millionen Mal verkauft46 und insgesamt als Erfolg bewertet. Im Entlastungpaket III hatte die Bundesregierung daher angekündigt, ein bundesweites Nahverkehrsticket einzuführen. Angedacht war ein Preis zwischen 49 und 69 t. Die Umsetzung diese Deutschlandtickets erfolgt in der Zuständigkeit der Länder. Um die Länder finanziell zu unterstützen, hat der Bund den Verkehrsbetrieben durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes47 ab 2023 1,5 Mrd. t jährlich zum Verlustausgleich zugesagt. Auch die Länder haben zugesagt, sich in derselben Höhe zu beteiligen. Zudem werden etwaige Mehrkosten, die den Verkehrsunternehmen im Einführungsjahr entstehen, von Bund und Ländern je zur Hälfte getragen. Seit dem 1.5.2023 ist das Deutschlandticket für einen Preis von 49 t als monatlich kündbares digitales Abo verfügbar. Das Ticket verfolgt dabei zwei Ziele: Zum einen soll das Deutschlandticket die Bürger angesichts der stark gestiegenen Energiepreise entlasten und zum anderen soll es die Attraktivität des ÖPNV deutlich erhöhen und so einen Anreiz zum Umstieg vom Auto auf Bus und Bahn setzen und schließlich zum Erreichen der Klimaziele beitragen. e) Einmalzahlungen für Rentner und Studierende Während die Bundesregierung bei den ersten beiden Entlastungspaketen Studierende, Auszubildende und Rentner kaum berücksichtigt hatte und dafür zurecht heftig kritisiert wurde, hat sie im Zuge des Entlastungspakets III angekündigt, dass Studierende sowie Fachschüler eine Einmalzahlung iHv. 200 t und Rentner wie schon Beschäftigte und Selbständige eine Energiepreispauschale iHv. 300 t erhalten. 45 BGBl. I 2022, 2483. 46 Vgl. Die Bundesregierung, „Ein Ticket für ganz Deutschland“ abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/deutschlandticket-21 34074#:~:text=Bei%20den%2049%20 Euro%20handelt%20es%20sich%20um, Dynamisierung%20in%20Form%20eines%20automatischen%20Inflations ausgleichs%20geben%20soll. (zuletzt aufgerufen am 14.6.2023). 47 BGBl. I 2023, Nr. 107.

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Durch das Gesetz zur Zahlung einer Energiepreispauschale an Rentenund Versorgungsbeziehende und zur Erweiterung des Übergangsbereichs48 wurde die Energiepreispauschale für Rentner schließlich beschlossen. Das Energiegeld wurde inzwischen durch die Rentenzahlstellen an die rund 20 Millionen Rentner ausgezahlt. Aufgrund der Steuerpflichtigkeit des Energiegelds für Rentner profitieren niedrige Renten mehr von dem ausgezahlten Energiegeld. Die Einmalzahlung für Studierende wurde im Dezember 2022 beschlossen.49 Seit dem 15.3.2023 können Studierende, die am 1.12.2022 an einer Hochschule eingeschrieben waren oder in einer Fachausbildung sind und ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, die Auszahlung beantragen. Aufgrund der fehlenden Daten war die Auszahlung des Geldes wesentlich komplizierter als die der Energiepreispauschale für Rentner. Inzwischen wurden nach Angaben der Bundesregierung jedoch über 1,7 Millionen Anträge bewilligt.50 Die Einmalzahlung für Studierende ist steuerfrei. Durch die beiden Einmalzahlungen sollen vor allem die gestiegenen Strom- und Heizkosten abgefedert werden. f) Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderzuschlags Um Familien in Zeiten außergewöhnlicher Belastungen zu unterstützen, hatte die Bundesregierung angekündigt, das Kindergeld und den Kinderzuschlag zu erhöhen. Familien erhalten dadurch seit Beginn 2023 250 t pro Kind. Ursprünglich war lediglich eine Erhöhung um 18 t monatlich vorgesehen und auch nur für das erste und zweite Kind. Im Nachgang zum Koalitionsbeschluss wurde jedoch entschieden, dass die Erhöhung auch für das dritte Kind gelten soll. Für Familien mit niedrigen Einkommen wurde zudem der Kinderzuschlag erhöht. Der Höchstbetrag des Kinderzuschlags wurde zum 1.1.2023 auf 250 t monatlich angehoben.

48 BGBl. I 2022, 1985. 49 BGBl. I 2022, 2357. 50 Die Bundesregierung, „Fast 1,7 Millionen Anträge bewilligt“, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/gesetzesvorhaben/einmalzah lung-studierende-2143736 (zuletzt abgerufen am: 14.6.2023).

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g) Ersetzung des Arbeitslosengelds II („Hartz IV“) durch das Bürgergeld Durch das zwölfte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze51 wurde das sog. Arbeitslosengeld II zum 1.1.2023 durch das sog. Bürgergeld ersetzt. Im Entlastungspaket III war die Einführung des Bürgergelds bereits angekündigt worden. Der Anpassungszeitraum der jährlichen Erhöhung des Bürgergelds wurde dabei so geändert, dass jeweils die zu erwartende regelbedarfsrelevante Inflation im Jahr der Anpassung einbezogen wird. So soll die Inflation künftig schneller und besser berücksichtigt werden. Das Bürgergeld hat zu einem Erhöhungsschritt auf 500 t beigetragen. Die staatliche Hilfe soll nun bürgernäher, unbürokratischer und zielgerichteter sein. Damit die Berechtigten sich auf die Arbeitssuche konzentrieren können, gilt im ersten Jahr des Bürgergeldbezugs eine sog. Karenzzeit. Innerhalb dieser Zeit werden die tatsächlichen Kosten für Unterkunft sowie die Heizkosten in angemessener Höhe übernommen. Auch ersparte Vermögen bis 40.000 t bleiben unberührt. Daneben wurden die Freibeträge für Nebenverdienste erhöht. Sanktionen bleiben auch unter Geltung des Bürgergelds möglich. Vor allem SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollten stärker auf ein Fördern als ein Fordern setzen. Schließlich hat sich jedoch die CDU durchgesetzt. Das Bürgergeld sieht dafür ein dreistufiges System vor. Bei der ersten Pflichtverletzung mindert sich das Bürgergeld für einen Monat um 10%. Bei der dritten Verfehlung beträgt die Kürzung bereits 30% für ein Vierteljahr. Das Bürgergeld löst damit das „HartzIV“-System ab und ersetzt es durch eine neue Grundsicherung für Erwerbslose.

5. Nationale Umsetzung einer globalen Mindestbesteuerung für Unternehmen Die Bundesregierung hatte zudem im Zusammenhang mit dem Entlastungspaket III angekündigt, mit der Umsetzung der international vereinbarten globalen Mindestbesteuerung zu beginnen, um durch die Mehreinnahmen aus der Mindeststeuer die Entlastungsprogramme zu finanzieren. Die Ankündigung knüpft an die auf OECD-Ebene erzielte Einigung zur Umsetzung einer globalen Mindestbesteuerung (Pillar Two) an. Im Herbst vergangenen Jahres stockte die Umsetzung der OECDMustervorschriften auf europäischer Ebene. Bereits am 22.12.2021 hatte 51 BGBl. I 2022, 2328.

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die Europäische Kommission ihren Vorschlag einer Richtlinie zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen in der Europäischen Union, basierend auf den Musterregelungen der OECD52, vorgestellt.53 Im ECOFIN scheiterte jedoch ein Beschluss des bereits vorliegenden Richtlinienentwurfs jeweils an der – aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips – erforderlichen Zustimmung Ungarns und Polens. Im Zuge des Entlastungspakets III kündigte die Bundesregierung daher an, einer Einigung auf EU-Ebene durch eine nationale Umsetzung der Mindestbesteuerung zuvorkommen zu wollen. Kurz darauf, am 12.12.2022 und damit fast ein Jahr nach der ersten Vorstellung des Richtlinienentwurfs, stimmten die Mitglieder des ECOFINRats einstimmig für die Annahme des Richtlinienentwurfs.54 Die zentrale Maßnahme der Richtlinie bildet entsprechend den OECD-Vorgaben die Anhebung der Steuerbelastung auf Gewinne großer multinationaler und inländischer Gruppen oder Unternehmen mit einem Jahresumsatz von insgesamt mindestens 750 Mio. t auf mindestens 15%. Ziel ist es, durch eine konsequente Umsetzung dem Auftreten von Gewinnverkürzung und -verlagerung Einhalt zu gebieten und den „Wettlauf nach unten“ beim Steuerniveau der Körperschaftsteuer auszubremsen. Die Mitgliedstaaten haben nun bis zum 31.12.2023 Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.55 Die europäische Richtlinie bedarf zwar weiterhin einer Umsetzung ins nationale Recht, ein nationaler Alleingang, wie im Entlastungspaket III angekündigt, hat sich jedoch erübrigt. Vielmehr dürfte die Ankündigung der Bundesregierung auch dazu gedient haben, Polen und Ungarn zur Zustimmung im ECOFIN-Rat zu bewegen. Auch andere Mitgliedstaaten 52 OECD, Erklärung über eine Zwei-Säulen-Lösung zur Bewältigung der steuerlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Wirtschaft v. 8.10.2021, https://www.oecd.org/tax/beps/statement-on-a-two-pil lar-solution-to-address-the-tax-challenges-arising-from-the-digitalisation-ofthe-economy-october-2021.pdf (zuletzt abgerufen am 9.6.2023). 53 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen in der Union {SWD(2021) 580 final} v. 22.12.2021. 54 Richtlinie (EU) 2022/2523 des Rates zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen und große inländische Gruppen in der Union v. 14.12.2022. 55 Art. 56 d. Richtlinie (EU) 2022/2523 des Rates zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen und große inländische Gruppen in der Union v. 14.12.2022.

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hatten angekündigt, die globale Mindeststeuer auch ohne europäische Einigung im nationalen Recht umzusetzen. Das Bundesministerium der Finanzen hat im März 2023 einen Diskussionsentwurf zur Umsetzung der Richtlinie herausgegeben.56 Geplant ist die Neueinführung des sog. Mindeststeuergesetzes (MinStG) zum 1.1.2024. Das BMF schätzt das Steueraufkommen durch eine globale Mindestbesteuerung auf einen Betrag im niedrigen einstelligen Milliardenbereich.57

III. DAC 7-Umsetzungsgesetz 1. Überblick Das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie [EU] 2021/514 […] zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Modernisierung des Steuerverfahrensrechts vom 20.12.202258 hat vor allem die Vorschriften der Außenprüfung verändert (dazu 2.). Erwähnenswert sind zudem noch die Änderungen des EU-AHiG (dazu 3.) und die Schaffung eines Plattformen-Steuertransparenzgesetzes (PStTG, dazu 3.).

2. Reform der Außenprüfung a) Beschleunigung des Erlasses von Prüfungsanordnungen (§ 197 Abs. 5 AO) § 197 Abs. 5 Satz 1 AO sieht als „Soll-Vorschrift“ eine zeitnahe Außenprüfung59 bei beratenen Steuerpflichtigen vor. Rechtstechnisch wird an Steuerbescheide, „die aufgrund einer in § 149 Abs. 3 AO genannten Steuererklärung erlassen wurden,“ angeknüpft“. In diesen Fällen soll die Prüfungsanordnung bis zum Ablauf des Kalenderjahres erlassen wer-

56 BMF, Entwurf eines Gesetzes für die Umsetzung der Richtlinie zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen und große inländische Gruppen in der Union v. 17.3.2023. 57 BMF, Entwurf eines Gesetzes für die Umsetzung der Richtlinie zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen und große inländische Gruppen in der Union v. 17.3.2023, S. 1. 58 BGBl. I 2022, 2730; Gesetzesentwurf BT-Drucks. 20/3436. 59 Siehe hierzu teilweise weiterführend Krumm, Ubg. 2023, 284 (in Teilen auch Vorababdruck der nachfolgenden Ausführungen).

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den, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem der Steuerbescheid wirksam geworden ist. Da in der Praxis idR mehr als ein Veranlagungszeitraum geprüft wird, sieht § 197 Abs. 5 Satz 3 AO wenig überraschend vor, dass im Fall einer Prüfung, die sich über mehrere Jahre erstreckt, auf den zuletzt ergangenen Steuerbescheid abzustellen ist und dieser für alle Prüfungsjahre eine einheitliche Frist vorgibt. Die Regelung des § 197 Abs. 5 AO steht in einer engen Wechselwirkung mit der Festsetzungsverjährung: Grundsätzlich endet die Festsetzungsverjährung spätestens fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Prüfungsanordnung bekanntgegeben wurde (§ 171 Abs. 4 Satz 3 AO). § 197 Abs. 5 Satz 2 AO sieht abweichend hiervon vor, dass diese Frist mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem der Steuerbescheid, der aufgrund der Steuererklärung ergangen ist, wirksam geworden ist, wenn die Prüfungsanordnung zu einem späteren Zeitpunkt als dem in § 197 Abs. 5 Satz 1 AO genannten Zeitpunkt bekanntgegeben wird und die Finanzbehörde dies zu vertreten hat. Der mit dieser Regelung verfolgte Beschleunigungszweck wird allerdings durch die bereits erwähnte Regelung in § 197 Abs. 5 Satz 3 AO relativiert, wonach bei mehreren Prüfungsjahren auf den letzten Bescheid abzustellen ist. Zudem sieht das Gesetz Ausnahmen von der Fünfjahresfrist vor: (1) Wenn die Finanzbehörde vor Ablauf der Fünfjahresfrist zwischenstaatliche Amtshilfe in Anspruch nimmt, verlängert sich die Frist um die Dauer der zwischenstaatlichen Amtshilfe, aber mindestens um ein Jahr, wenn der Steuerpflichtige vor Ablauf der Frist auf die Inanspruchnahme der Amtshilfe hingewiesen wurde (§ 171 Abs. 4 Sätze 5 und 6 AO). (2) Die Fünfjahresfrist verlängert sich im Fall einer Mitwirkungsverzögerung (dazu gesondert nachfolgend) um die Mitwirkungsverzögerungsdauer, aber mindestens um ein Jahr (§ 200a Abs. 4 Satz 1 AO); im Fall einer wiederholten Mitwirkungsverzögerungsgeldfestsetzung (innerhalb der letzten fünf Jahre vor der aktuellen Festsetzung) wird die Fünfjahresregelung sogar vollständig außer Kraft gesetzt (§ 200a Abs. 4 Satz 2 AO) und es gilt wieder die allgemeine Regel des § 171 Abs. 4 Satz 1 AO, dh. kein Ablauf der Festsetzungsfrist vor Unanfechtbarkeit der aufgrund der Außenprüfung erlassenen Steuerbescheide. (3) Die Frist verlängert sich bei Hinausschieben und Unterbrechung der Prüfung (§ 171 Abs. 4 Satz 4 AO). (4) § 171 Abs. 4 Satz 3 AO ist insgesamt nicht anzuwenden, wenn dem Steuerpflichtigen vor Ablauf der Festsetzungsfrist die Einleitung eines Strafverfahrens bekanntgegeben und infolge126

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dessen mit einer Außenprüfung nicht begonnen bzw. eine schon begonnene Außenprüfung unterbrochen wird (§ 171 Abs. 4 Satz 7 AO). b) Prüfungsanordnung, Anforderungen, Vorlagepflichten, Schwerpunkte (§§ 90 Abs. 4, 197 Abs. 3 und 4 AO) Mit der Prüfungsordnung kann die Vorlage von aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtigen Unterlagen verlangt werden. Dafür ist eine angemessene Frist vorzusehen. Sind diese Unterlagen mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden, sind die Daten in maschinell auswertbarem Format zu übertragen (§ 197 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AO). Mit dieser Regelung wird die bisher zeitnah nach Beginn der Außenprüfung übliche Anforderung der Daten nach vorne verlagert. Die frühzeitige Vorlage der Unterlagen soll es der Finanzverwaltung ermöglichen, Prüfungsschwerpunkte zu bestimmen (die dem Steuerpflichtigen dann auch mitgeteilt werden sollen [nicht: müssen], § 197 Abs. 4 AO). Wenn die Finanzbehörde von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, stellt sich die Frage, ob die Außenprüfung in diesem Moment iSv. § 171 Abs. 4 Satz 1 AO beginnt. Der BFH verlangt für den Beginn der Außenprüfung eine sog. qualifizierte Mitwirkungshandlung, die auch in dem Verlangen der Vorlage von Aufzeichnungen zu erblicken sein kann.60 Allerdings dient § 197 Abs. 3 AO erkennbar der Vorbereitung der Außenprüfung, und eine solche Vorbereitung ist schon begrifflich von dem „Beginn“ der Prüfung zu unterscheiden. Daher dürfte die Anforderung der Daten noch keinen Beginn der Prüfung darstellen. Allerdings kann die sich anschließende Auswertung der übermittelten Daten bereits der Beginn der Prüfung sein; das ist allerdings eine Frage des Einzelfalls. § 197 Abs. 3 AO ist auf alle am 1.1.2023 anhängigen Verfahren anzuwenden (Art. 97 § 37 Abs. 1 EGAO). Diese Formulierung passt auf § 197 Abs. 3 AO nur bedingt, weil die Prüfungsanordnung wohl den Beginn des „Verwaltungsverfahrens Außenprüfung“ darstellen dürfte. Die Anwendungsregelung wird man daher so lesen müssen, dass sie für nach dem 31.12.2022 angeordnete Außenprüfungen gilt. Es dürfte allerdings auch zulässig sein, eine vor dem 1.1.2023 erlassene Prüfungsanordnung (die zu einem am 1.1.2023 anhängigen Verfahren iSv. Art. 97 § 37 Abs. 1 EGAO führt) noch nachträglich auf der Grundlage von § 197 Abs. 3 AO vor Beginn der Prüfung um ein Vorlageverlangen zu ergänzen. 60 Vgl. BFH v. 19.3.2009 – IV R 27/08, juris; v. 26.4.2017 – I R 76/15, BFH/NV 2017, 1473 Tz. 22.

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Ungeachtet des fakultativen „Vorab-Vorlageverlangens“ sieht § 197 Abs. 4 AO eine obligatorische Vorlagepflicht für Unterlagen iSv. § 90 Abs. 3 AO vor (Verrechnungspreisdokumentation). Diese Unterlagen, deren Vorlage ohnehin jederzeit verlangt werden kann, müssen anlässlich der Außerprüfung unaufgefordert vorgelegt werden (§ 90 Abs. 4 Satz 1 AO). Das Gesetz sieht dafür eine Frist von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung vor (§ 90 Abs. 4 Satz 2 AO). c) Laufende Unterrichtung während der Prüfung und Vereinbarungen zum Ablauf der Prüfung (§ 199 Abs. 2 AO) Unter der gesetzlichen Normüberschrift „Prüfungsgrundsätze“ sieht § 199 Abs. 2 Satz 1 AO vor, dass der Steuerpflichtige während der Außenprüfung über die festgestellten Sachverhalte und die möglichen steuerlichen Auswirkungen zu unterrichten ist. Dies entspricht schon in vielen Außenprüfungen gelebter Praxis. Der Gesetzgeber knüpft diese nunmehr normativ verankerte Pflicht („ist“) allerdings an den Vorbehalt, dass durch die Unterrichtung Zweck und Ablauf der Prüfung nicht beeinträchtigt werden. Dieser Vorbehalt belässt dem jeweiligen Prüfungsbeamten viel individuellen Spielraum. Es lässt sich zumindest sagen, dass allein die Unterrichtung nicht den Ablauf der Prüfung beeinträchtigen kann; dadurch mag die Prüfung unter Umständen etwas länger dauern, aber dies hat der Gesetzgeber mit § 199 Abs. 2 Satz 1 AO in Kauf genommen. Des Weiteren sieht § 199 Abs. 2 AO einige konsensuale Gestaltungsmöglichkeit in Ansehung des Prüfungsablaufs bzw. der Prüfungsmodalitäten vor. Erstens kann die Finanzbehörde mit dem Steuerpflichtigen vereinbaren, in regelmäßigen Abständen Gespräche über die festgestellten Sachverhalte und die möglichen steuerlichen Auswirkungen zu führen (§ 199 Abs. 2 Satz 1 AO). Zweitens kann die Finanzbehörde mit dem Steuerpflichtigen Rahmenbedingungen für die Mitwirkung nach § 200 AO vereinbaren. Werden die Rahmenbedingungen vom Steuerpflichtigen erfüllt, suspendiert dies den § 200a AO („unterbleibt ein qualifiziertes Mitwirkungsverlangen“). § 199 Abs. 2 Satz 1 gilt für alle am 1.1.2023 anhängigen Prüfungsverfahren. Die Regelungen des § 199 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 AO gelten für alle nach dem 31.12.2024 angeordneten Prüfungen (dh. auch für Steuern, die vorher entstanden sind, Art. 97 § 37 Abs. 3 Satz 1 EGAO).

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d) Qualifiziertes Mitwirkungsverlangen (§ 200a AO) aa) Das qualifizierte Mitwirkungsverlagen (Überblick) Das Gesetz kannte bisher nur ein „einfaches“ Mitwirkungsverlangen (§ 200 Abs. 1 AO), auf dessen Missachtung die Finanzbehörde mit dem sog. Verzögerungsgeld reagieren konnte (§ 147 Abs. 2c AO). Ob das Mitwirkungsverlangen nach § 200 Abs. 1 AO ein Verwaltungsakt ist, der zugleich auch mittels Zwangsgeld durchgesetzt werden kann, ist hingegen eine Frage des Einzelfalls.61 Diesem einfachen Mitwirkungsverlangen iSv. § 200 Abs. 1 AO stellt der Gesetzgeber nunmehr ein sog. qualifiziertes Mitwirkungsverlangen zur Seite, das in § 200a AO normiert ist: Nach Ablauf von sechs Monaten seit Bekanntgabe der Prüfungsanordnung kann der Steuerpflichtige zur Mitwirkung in einem schriftlich oder elektronisch zu erteilenden Mitwirkungsverlangen mit Rechtsbehelfsbelehrung aufgefordert werden. An der Verwaltungsaktqualität besteht hier kein Zweifel. Bei nicht oder nicht hinreichender Erfüllung durch den Steuerpflichtigen –

ist ein Mitwirkungsverzögerungsgeld festzusetzen, sofern der Steuerpflichtige nicht glaubhaft machen kann, dass die Verzögerung entschuldbar ist (für jeden vollen Tag der Verzögerung 75 t, höchstens für 150 Tage, § 200a Abs. 2 AO). Hier ist kein Ermessen vorgesehen, dh. die Rechtsfolge ist obligatorisch;



kann zu dem Mitwirkungsverzögerungsgeld nach § 200a Abs. 2 AO zudem ein Zuschlag hinzutreten (§ 200a Abs. 3 AO, Ermessen);



verlängert sich die Fünf-Jahresfrist des § 171 Abs. 4 AO um die Mitwirkungsverzögerungsdauer, aber mindestens um ein Jahr (§ 200a Abs. 4 Satz 1 AO);



wird im Fall einer wiederholten Mitwirkungsverzögerungsgeldfestsetzung (innerhalb der letzten fünf Jahre vor der aktuellen Festsetzung) die Fünf-Jahresregelung sogar vollständig außer Kraft gesetzt (§ 200a Abs. 4 Satz 2 AO). Dann gilt wieder die allgemeine Regel des § 171 Abs. 4 Satz 1 AO, dh. kein Ablauf der Festsetzungsfrist vor Unanfechtbarkeit der aufgrund der Außenprüfung erlassenen Steuerbescheide.

61 Vgl. statt vieler Seer in Tipke/Kruse, § 200 AO Rz. 6.

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Die Adressierung eines qualifizierten Mitwirkungsverlangens an den Steuerpflichtigen steht im Ermessen der Finanzbehörde. Die Rechtsfolge bei Nichtbefolgung oder nicht hinreichender Befolgung ist hingegen teilweise obligatorisch (Mitwirkungsverzögerungsgeld, § 200a Abs. 2 AO), teils besteht auch insoweit Ermessen (Zuschlag, § 200a Abs. 3 AO). Auch wenn die unterschiedlichen Ebenen (Anordnung der qualifizierten Mitwirkung einerseits, Rechtsfolgen bei Nichterfüllung bzw. nicht hinreichender Erfüllung andererseits) grundsätzlich getrennt zu betrachten sind, dürfte die obligatorische Rechtsfolge der Entstehung des Mitwirkungsverzögerungsgelds auch die Ermessensausübung in Ansehung des qualifizierten Mitwirkungsverlangens beeinflussen: Wer ein qualifiziertes Mitwirkungsverlangen ausspricht, muss immer bedenken, dass sich in Bezug auf das Mitwirkungsverzögerungsgeld kein weiteres Ermessen mehr anschließt und stattdessen eine sanktionierende Rechtsfolge eingreift. Die obligatorische Rechtsfolge hat daher eine Vorwirkung auf die Ermessensausübung nach § 200a Abs. 1 AO. Daher dürfte ein qualifiziertes Mitwirkungsverlangen häufig nur verhältnismäßig sein, wenn bereits ein einfaches Mitwirkungsverlangen und auch der – uE auch schon mit dem einfachen Mitwirkungsverlangen erteilbare – Hinweis auf die Möglichkeit des § 200a AO erfolglos geblieben sind. Das qualifizierte Mitwirkungsverlangen ist also idR nur „eine nachfolgende Eskalationsstufe“. Entscheidend ist aber stets der Einzelfall. bb) Das Mitwirkungsverzögerungsgeld (der „Grundbetrag“) Kommt der Steuerpflichtige dem qualifizierten Mitwirkungsverlangen innerhalb der Monatsfrist des § 200a Abs. 1 Satz 4 AO nicht oder nicht hinreichend nach, dann ist (kein Ermessen) ein Mitwirkungsverzögerungsgeld festzusetzen. Das Gesetz gibt zugleich die Höhe zwingend vor (75 t pro vollen Kalendertag der Mitwirkungsverzögerung). Warum der Gesetzgeber hier eine gebundene Rechtsfolge vorsieht, lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen. Es kann nur vermutet werden, dass der Gesetzgeber befürchtet, dass eine Ermessensbetätigung sowohl in Ansehung des Ob als auch der Höhe zu viele personelle Ressourcen bindet und sich zudem nicht selten als fehleranfällig erweist. Die Kernfrage ist, wann eine Nichterfüllung oder nicht hinreichende Erfüllung vorliegt. Für die Antwort auf diese Frage muss man allerdings zuerst klären, worauf sich die Nichterfüllung oder nicht hinreichende Erfüllung bezieht: Liegt bei der Formulierung von mehr als einer Frage bzw. dem Herausgabeverlangen in Bezug auf mehr als eine Unterlage/ei130

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nes Dokuments ein qualifiziertes Mitwirkungsverlangen oder liegen mehrere solcher Mitwirkungsverlangen vor? Die Frage ist eine bedeutsame Weichenstellung. Denn wenn man jede Frage zu einem qualifizierten Mitwirkungsverlangen macht, bedeutet dies im Fall der Mitwirkungspflichtverletzung auch eine mehrfache Eröffnung des Mitwirkungsverzögerungsgelds (vor allem: für jede nicht beantwortete Frage ein Zuschlag bis 25.000 t nach § 200a Abs. 3 AO?). Richtigerweise wird man allerdings nicht derart formal („die Fragen zählen“) denken dürfen. Vielmehr wird man mehrere Mitwirkungsverlangen handlungsbezogen, zeitlich und thematisch voneinander abgrenzen müssen. Wenn der Prüfer in einem Schreiben mehrere Fragen stellt, dann handelt es sich um ein Mitwirkungsverlangen; wenn er eine Woche später noch einmal mehrere Fragen stellt, dann dürfte entscheidend sein, ob die Fragen dasselbe Thema wie das erste Mitwirkungsverlangen betreffen (dann ein einheitliches Mitwirkungsverlangen, das nur ergänzt wurde) oder ob es sich inhaltlich um einen anderen Sachkomplex handelt (dann weiteres Mitwirkungsverlangen). Ist bekannt, was der Bezugspunkt der Nichterfüllung bzw. der nicht hinreichenden Erfüllung ist (das Mitwirkungsverlangen, wie es nach den vorstehenden Grundsätzen konkretisiert wurde), dann bedarf es eines Maßstabs für die Nichterfüllung bzw. die nicht hinreichende Erfüllung. Ist eine Frage gar nicht beantwortet oder ist ein ausdrücklich angefordertes Dokument nicht vorgelegt worden, dann dürfte in vielen Fällen die Annahme der Nichterfüllung wenig Probleme bereiten. Problematisch ist aber das Merkmal der – gerichtlich uneingeschränkt überprüfbaren – „nicht hinreichenden“ Mitwirkung (das zB in § 146 Abs. 2c Satz 1 AO nicht enthalten ist [dort nur: „nicht“], und auch § 333 AO kennt für die Festsetzung eines Zwangsgelds nur die „Nichterfüllung“). Wie sieht es insoweit aus, wenn die Frage „schlecht“ oder nur nicht ausführlich genug beantwortet worden ist? Oder wenn die Frage anders beantwortet worden ist, als der Betriebsprüfer dies für richtig erachtet? Oder was ist, wenn der Prüfer Unterlagen für unvollständig hält, der Steuerpflichtige dies aber bestreitet? Der BT-Finanzausschuss, auf den die Formulierung der „nicht hinreichenden“ Erfüllung zurückgeht, verweist zur Konkretisierung auf die BFH-Rechtsprechung zum hinreichenden Anlass für Ermittlungsmaßnahmen nach § 93 Abs. 1 AO (nunmehr § 93 Abs. 1a AO).62 Das ist ein

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eher irritierender Vergleich (von Äpfeln und Birnen). Allerdings gibt zumindest die nachfolgende Aussage des Finanzausschusses einen Hinweis: Maßgebend sei nicht der Umfang der Nichterfüllung, sondern ihre qualitative Bedeutung; geringfügige und für den Fortgang der Außenprüfung eher unbedeutende Mitwirkungspflichtverletzungen sollen deshalb nicht erfasst sein.63 Das ist mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine nachvollziehbare Aussage. Wird zB bei einer Vielzahl von Fragen eine weniger bedeutsame Frage unbeantwortet gelassen oder fehlt bei mehreren Unterlagen lediglich ein Blatt, würde anderenfalls mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Allerdings muss auch gesehen werden, dass es auf Tatbestandsebene zu einer sehr wertungsabhängigen „Alles-oder-nichts-Weichenstellung“ kommt. Das zeigt jedenfalls, dass es unklug war, die Festsetzung des Mitwirkungsverzögerungsgelds als obligatorische Rechtsfolge auszugestalten. Denn es sind so viele Graubereiche denkbar, die es ratsam erscheinen lassen, dem Prüfer Ermessen und damit vor allem auch die Möglichkeit der Nachsteuerung durch ein erneutes und präziseres Mitwirkungsverlangen zu gewähren. Daraus folgt die oben erwähnte Notwendigkeit, die obligatorische Rechtsfolge bereits anlässlich der Anordnung des qualifizierten Mitwirkungsverlangens zu bedenken. Zudem wird man nicht umhinkommen, so hohe Anforderungen an die Bestimmtheit eines Mitwirkungsverlangens zu stellen, dass der Steuerpflichtige ganz genau weiß, was von ihm verlangt wird. Unklarheiten und Deutungsmöglichkeiten über Reichweite und Umfang von Auskunfts- und Vorlageverlangen müssen grundsätzlich zu Lasten der Finanzbehörde gehen (dabei kommt es freilich auf einen objektivierten Betrachter an). Zu unpräzise wäre schon ein Vorlageverlangen „alle Unterlagen zu dem Unternehmenskauf X“. Denn „alle Unterlagen“ lässt zu viel Spielraum, was wertungsmäßig zu dem genannten Themenkomplex gehört. Der Prüfer muss also die Unterlagen so genau wie möglich (sei es auch nur ihrer Art nach) benennen. Von der Festsetzung des Mitwirkungsverzögerungsgelds gibt es nur einen „Escape“: Macht der Steuerpflichtige glaubhaft, dass die Mitwirkungsverzögerung entschuldbar ist, dann ist von der Festsetzung abzusehen (§ 200a Abs. 2 Satz 6 AO). Anders als zB in § 162 Abs. 4 Satz 5 AO enthält § 200a Abs. 2 Satz 6 AO keine Regelung, die auch bei einem nur geringfügigen Verschulden die Festsetzungspflicht aufhebt (ua. auch

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deshalb fehlt ein Verhältnismäßigkeitsventil, s. oben). Im zweiten Halbsatz bestimmt das Gesetz sodann noch, dass der Steuerpflichtige sich ein Verschulden eines Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen zurechnen lassen muss. Regelungstechnisch übernimmt der Gesetzgeber hier die bereits aus § 109 Abs. 2 Satz 3, § 152 Abs. 1 Satz 2, § 162 Abs. 4 Satz 6 AO bekannte Regelung. cc) Der Ermessenszuschlag zum Mitwirkungsverzögerungsgeld Das Mitwirkungsverzögerungsgeld des § 200a Abs. 2 AO ist nur der obligatorische „Grundbetrag“. Ergänzend hierzu sieht § 200a Abs. 3 AO die Möglichkeit eines Zuschlags vor. Der Zuschlag steht im Ermessen der Finanzbehörde – sowohl in Ansehung des „Ob“ als auch der „Höhe“ (bis zu 25.000 t für jeden Kalendertag, bis maximal 150 Kalendertage). Tatbestandlich sind zwei Zuschlagskonstellationen vorgesehen. Der Zuschlag ist erstens möglich, wenn in den letzten fünf Jahren vor dem ersten Tag der Mitwirkungsverzögerung ein Mitwirkungsverzögerungsgeld festgesetzt wurde und zu befürchten ist, dass der Steuerpflichtige ohne einen Zuschlag seiner aktuellen Verpflichtung nicht nachkommt (Wiederholungsfall). Zweitens ist ein Zuschlag möglich, wenn zu befürchten ist, dass der Steuerpflichtige aufgrund seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ohne einen Zuschlag seiner aktuellen Verpflichtung nach § 200a Abs. 1 AO nicht nachkommt. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn Umsatzerlöse des Steuerpflichtigen in einem von der Außenprüfung erfassten Kalenderjahr mindestens 12 Mio. t betragen haben oder der Steuerpflichtige einem Konzern angehört, dessen im Konzernabschluss ausgewiesene konsolidierte Umsatzerlöse in einem der von der Außenprüfung erfassten Kalenderjahre mindestens 120 Mio. t betragen haben; mit anderen Worten: wenn der Grundbetrag für den Steuerpflichtigen nicht zur Pflichterfüllung motivierende „Peanuts“ darstellt (Peanutsfall). Der Zuschlag steht im Ermessen der Finanzbehörde und hier fangen die Fragen an. Die Tatbestandsverwirklichung allein kann für eine positive Ermessensausübung nicht ausreichend sein; anderenfalls hätte es des Ermessens nicht bedurft. Das Gesetz selbst nennt aber keine Kriterien. Allerdings existiert dieses Manko auch beim Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2c AO, und hier erachtet der BFH den Zweck der Regelung (einerseits zeitnahe Erfüllung [Beugecharakter], andererseits Sanktionierung der Pflichtverletzung [Sanktionscharakter]) als ausreichende Ermessenssteuerung. Man wird die zu § 146 Abs. 2c AO gewonnenen Erkenntnisse daher wohl teilweise übertragen können: Dauer der Fristüberschreitung 133

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(s. zur gestuften „Eskalation“ auch noch nachfolgend), Gründe und Ausmaß der Pflichtverletzung dürften auch für § 200a Abs. 3 AO steuernde (freilich immer noch viel Spielraum belassende) Kriterien sein. Bei der zweiten Konstellation (Peanutsfall) besteht zudem noch ein weiterer Ansatzpunkt. Hier muss es nämlich um die Überwindung der bedingt durch die relative Geringfügigkeit des Grundbetrags beim Steuerpflichtigen vorherrschenden Gleichgültigkeit gegenüber der Pflichterfüllung gehen und damit muss ermessensleitendes Kriterium die Spürbarkeit des Zuschlags sein; diese wiederum dürfte in Abhängigkeit von der Wirtschaftskraft des Steuerpflichtigen stehen, die damit auch für das Ermessen relevant sein dürfte. Eine große Herausforderung für die Ermessensausübung (bereits in Bezug auf das „Ob“) dürften die Steuerpflichtigen sein, die kategorisch (und offen kommuniziert) die Mitwirkung verweigern. Da der Zuschlag darauf gerichtet ist, den Steuerpflichtigen zur Mitwirkung zu motivieren, der Zuschlag bei kategorischer Mitwirkungsverweigerung diesen Zweck aber nicht erfüllen kann, stellt sich die Frage, ob dann ein Zuschlag ermessensfehlerhaft ist; letztlich stellt sich sogar die Frage, ob schon das qualifizierte Mitwirkungsverlangen ermessensgerecht war. Beides lässt sich uE nur bejahen, wenn man auch allein den Sanktionscharakter des Mitwirkungsverzögerungsgelds und des Zuschlags für eine fehlerfreie Ermessenausübung ausreichen lässt. Das ist deshalb zweifelhaft, weil das Instrument des § 200a AO damit aus seinem steuerverfahrensrechtlichen Kontext herausgelöst wird, der Beschleunigungszweck gänzlich aufgegeben wird und der Sache nach eine Bebußung stattfindet (die sodann auch die strafrechtlichen Gewährleistungen aktivieren dürfte64 und systematisch den §§ 377 ff. AO zuzuordnen ist). Schließlich stellt sich die Frage, ob die Finanzbehörde den Zuschlag auch nur für einen schon vergangenen Zeitraum festsetzen darf (Beispiel: Die Mitwirkungsverzögerung besteht seit 30 Tagen und hält nach wie vor an. Kann nach 30 Tagen schon ein Zuschlag für diese ersten 30 Tage festgesetzt werden?). Für den Grundbetrag sieht § 200 Abs. 2 Satz 4 AO eine entsprechende Befugnis vor. Aus Sicht des Zuschlagsanliegens würde eine solche Teilfestsetzung Sinn ergeben, weil man mittels solcher Teilfestsetzungen in Eskalationsstufen denken könnte (nach zwei Monaten wird ein Zuschlag iHv. x festgesetzt, nach zwei weiteren Monaten ein Zuschlag iHv. x + y usw.). § 200a Abs. 3 AO ver64 Vgl. insbesondere zur Unschuldsvermutung (allgemein) Krumm in Tipke/ Kruse, § 369 AO Rz. 25 (Sept. 2022).

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hält sich selbst nicht zu dieser Frage. Gleichwohl dürften solche Zuschlagsteilfestsetzungen zulässig sein. Denn der Zuschlag ist ein Annex zum Grundbetrag. Wenn die Finanzbehörde die Möglichkeit hat, den Grundbetrag in Teilbeträgen festzusetzen, dann muss dies zwangsläufig auch für den Zuschlag gelten. Dies gibt der Finanzverwaltung einerseits Flexibilität, andererseits hat dies aber auch Bedeutung für die Ermessensausübung. Bereits anlässlich der ersten Teilbetragsfestsetzung muss die Möglichkeit weiterer Eskalationsstufen in die Erwägung einbezogen werden, und anlässlich jeder weiteren Teilbetragsfestsetzung muss das Ermessen immer wieder eigenständig ausgeübt werden. e) Teilabschlussbescheid (§ 180 Abs. 1a AO) Einzelne Prüfungsfeststellungen können erst in einem Rechtsschutzverfahren zur Überprüfung gestellt werden, wenn der Steuerbescheid oder der Bescheid über die gesonderte (und einheitliche) Feststellung des Prüfungsjahres erlassen wurde. Von diesem Grundsatz sieht § 180 Abs. 1a Satz 1 AO eine Ausnahme vor, wenn „einzelne, im Rahmen der Außenprüfung für den Prüfungszeitraum ermittelte und abgrenzbare Besteuerungsgrundlagen“ gesondert festgestellt werden dürfen. Das Gesetz nennt diesen feststellenden Verwaltungsakt „Teilabschlussbescheid“. In zeitlicher Hinsicht wird diese Möglichkeit durch die Vorlage des Prüfungsberichts begrenzt. Dieser stellt eine Zäsur dar; der Gesetzgeber scheint davon auszugehen, dass nach dem Prüfungsbericht ohnehin zeitnah geänderte Bescheide ergehen. Die Zuständigkeit für den Erlass des Teilabschlussbescheids folgt der Zuständigkeit des Folgebescheids (§ 18 Abs. 1 Nr. 5 AO). Gesondert festgestellt werden können „einzelne, im Rahmen der Außenprüfung […] ermittelte und abgrenzbare Besteuerungsgrundlagen“. Der Begriff der Besteuerungsgrundlage dürfte hier anknüpfend an § 199 Abs. 1 AO alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse erfassen, die für die Steuerpflicht und für die Bemessungsgrundlage maßgebend sind.65 Das eröffnet (vorbehaltlich der Frage der Abgrenzbarkeit) ein weites Spektrum möglicher Feststellungen. Festzustellen sein dürfte immer das Rechtsanwendungsergebnis bezogen auf einen konkreten Sachverhalt (und nicht nur das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts), zB die Feststellung, dass aufgrund eines konkret zu beschreibenden Sachverhalts eine ver65 Zur Verallgemeinerungsfähigkeit der Definition in § 199 Abs. 1 AO für die §§ 157, 179 ff. AO s. Seer in Tipke/Kruse, § 157 AO Rz. 23 (Nov. 2022).

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deckte Gewinnausschüttung in bestimmter Höhe vorliegt. Ebenso ist die Feststellung denkbar, dass ein konkret bezeichnetes Wirtschaftsgut zu einem konkret bezeichneten Zeitpunkt einen konkret bezifferten Teilwert hatte. Ist hingegen nicht nur der Teilwert streitig, sondern auch die vorgelagerte Frage, ob die Voraussetzungen für eine Teilwertabschreibung vorliegen, wird die Finanzverwaltung auch insoweit eine Feststellung treffen können. Dabei zeigt das Teilwertabschreibungsbeispiel anschaulich, dass mehrere Formulierungsmöglichkeiten bestehen können: Ist hier festzustellen, dass wegen eines konkret beschriebenen Sachverhalts für ein konkret beschriebenes Wirtschaftsgut zu einem konkreten Stichtag die Voraussetzungen für eine Teilwertabschreibung nicht vorliegen? Hier wird das Begehren des Steuerpflichtigen lediglich feststellend negiert. Oder muss – uE zutreffender Weise – die positive Feststellung getroffen werden, dass das Wirtschaftsgut zu einem konkreten Stichtag mit einem konkret genannten Wert anzusetzen ist (wenn die Finanzverwaltung zB die Voraussetzungen für eine Teilwertabschreibung in Abrede stellt, wird sie diesen Wert dann in dem Teilabschlussbescheid mit den fortgeführten Anschaffungs-/Herstellungskosten beziffern müssen). Die konkrete Formulierung der Feststellung bestimmt im Streitfall jedenfalls das gerichtliche Prüfungsprogramm. Wird zB nur festgestellt, dass ein Wirtschaftsgut zu einem bestimmten Zeitpunkt einen bestimmten Teilwert hatte und lässt sich der Feststellung auch nicht durch Auslegung entnehmen, dass hier mehr als diese „Wertfeststellung“ getroffen werden sollte, dann hat das Gericht auch nur den Teilwert zu prüfen. Ob die Voraussetzungen einer Teilwertabschreibung vorliegen, ist nicht zu prüfen. Anders ist dies, wenn festgestellt wird, dass das Wirtschaftsgut zu einem Bilanzstichtag in der Gewinnermittlung des Steuerpflichtigen mit einem bestimmten Wert anzusetzen ist (zB mit den fortgeführten Anschaffungs-/Herstellungskosten). Denn macht der Steuerpflichtige geltend, dass ein niedrigerer Teilwert anzusetzen ist, dann ist die Feststellung nur rechtswidrig, wenn der Teilwert niedriger ist und auch die übrigen Voraussetzungen für eine Teilwertabschreibung vorliegen. Zudem kann die konkrete Formulierung für die Frage entscheidend sein, ob nur die Ebene des Betriebsvermögensvergleichs geprüft werden muss (liegen die Voraussetzungen einer Teilwertabschreibung vor und bejahendenfalls in welcher Höhe?), oder ob die gesamte Auswirkung auf den steuerlichen Gewinn Gegenstand der Feststellung ist (liegen die Voraussetzungen für eine außerbilanzielle Hinzurechnung der mit der Teilwertabschreibung verbundenen Betriebsvermögensminderung vor?). 136

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§ 180 Abs. 1a Satz 1 AO ist eine Ermessensvorschrift. Satz 1 selbst enthält keine Ermessenskriterien, aber der Zweck der Norm (Beschleunigung, frühzeitige Gewissheit) leitet hier die Ermessensausübung (vgl. § 5 AO) und trägt auch den Erlass eines Teilabschlussbescheids gegen den Willen des Steuerpflichtigen. Denn auch die Finanzbehörde kann ein legitimes Interesse an einer frühzeitigen Klärung haben. Hiervon geht auch der Gesetzgeber aus, wenn er in Satz 1 eine allgemeine Ermessensermächtigung vorsieht und in Satz 2 den Fall, dass der Steuerpflichtige den Erlass eines Teilabschlussbescheides beantragt, gesondert regelt. Nach diesem Satz 2 des § 180 Abs. 1a AO soll ein Teilabschlussbescheid erteilt werden, wenn der Steuerpflichtige dies beantragt und er ein erhebliches Interesse glaubhaft macht. Man fragt sich allerdings, was ein erhebliches Interesse von einem normalen Interesse unterscheidet. Denn das Interesse des Steuerpflichtigen ist idR auf eine zeitnahe verbindliche Klärung einer Tat- und Rechtsfrage gerichtet – sei es konsensual (es geht mithin nur um die frühzeitige, verbindliche Fixierung eines gemeinsamen Standpunkts) oder streitig (man konsentiert also einen Streitpunkt, damit er gerichtlich überprüft werden kann). In beiden Fällen scheint es schwierig, beim Interesse graduell (erheblich vs. normal) zu differenzieren. Die „Soll-Regelung“ ist rechtstechnisch eine Ermessenslenkung zugunsten des Steuerpflichtigen, wenn das erhebliche Interesse dargetan ist. Gleichwohl dürfte die Regelung aus Sicht des Steuerpflichtigen, wenn sein Antrag abgelehnt wird, ein zahnloser Tiger sein. Denn bis der Steuerpflichtige einen etwaigen Anspruch auf eine Ermessensreduzierung auf null im Hauptsacheverfahren gerichtlich durchgesetzt hat, wird so viel Zeit vergangen sein, dass bereits geänderte Bescheide vorliegen; und vorläufiger Rechtsschutz kommt praktisch nicht in Betracht, weil für ein Verfahren nach § 114 FGO grundsätzlich ein „Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache“ gilt. Vermutlich wird der Teilabschlussbescheid nur dort rechtspraktische Bedeutung erlangen, wo sich die Beteiligten über die verfahrensrechtliche Vorgehensweise einig sind. Hier dürfte er sich dann auch als sinnvolles Instrument erweisen, wenn der zeitnahe Abschluss der Außenprüfung im Übrigen noch nicht absehbar ist. Denkbar ist, dass der verfahrensrechtliche Konsens sogar schon früher beginnt, nämlich mit einer maßgeschneiderten Prüfungsanordnung, die auf einen vorher zwischen den Beteiligten bereits abgestimmten Sachverhalt beschränkt worden ist (vgl. § 194 Abs. 1 Satz 1 AO: [Die Außenprüfung] kann […] 137

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sich auf bestimmte Sachverhalte beschränken) und in Ansehung dessen man eine schnelle verbindliche Klärung mittels Teilabschlussbescheid herbeiführen will. Für alle Konstellationen gilt freilich: Wird mittels des Teilabschlussbescheids eine schnelle gerichtliche Klärung angestrebt, sollten sich die Beteiligten dann konsequenterweise auch auf eine Sprungklage (vgl. § 45 FGO) verständigen. Ergeht ein Teilabschlussbescheid, kommen ihm alle Wirkungen eines Grundlagenbescheids zu. Er ist – wie jeder Feststellungsbescheid – sofort vollziehbar (§ 181 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 361 Abs. 1 AO). Daher ist auch eine (gerichtliche) Aussetzung der Vollziehung möglich. Das Herzstück des Teilabschlussbescheids ist seine Bindungswirkung für Folgebescheide – und dies sowohl zugunsten als auch zulasten des Steuerpflichtigen wie auch der Finanzverwaltung. Auch wenn das Gesetz nicht ausdrücklich eine Veranlagungszeitraum begrenzende Wirkung enthält, ist der Teilabschlussbescheid gleichwohl immer nur für solche Steuer- und Feststellungsbescheide bindend, die den Prüfungszeitraum der Außenprüfung betreffen, anlässlich derer der Teilabschlussbescheid ergangen ist.66 Das bedeutet umgekehrt, dass der Teilabschlussbescheid keine Dauer- und Zukunftswirkung für nachfolgende Veranlagungszeiträume entfaltet. Hier bleibt nur die Zusage nach § 204 AO. Dementsprechend sieht § 204 Abs. 2 AO folgerichtig auch ein Zusammenspiel von Teilabschlussbescheid und Zusage vor. f) Anzeige- und Berichtigungspflicht nach Betriebsprüfungen (§ 153 Abs. 4 AO) Erkennt der Steuerpflichtige nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Steuererklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, dann ist er verpflichtet, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen (§ 153 Abs. 1 Satz 1 AO). Es geht um Fälle der von Anfang an bestehenden Fehlerhaftigkeit aufgrund einer Erklärung des Steuerpflichtigen; macht hingegen das Finanzamt einen Fehler, dann trifft den Steuerpflichtigen, der dies erkennt, keine Anzeigepflicht.67

66 Hiervon geht auch die Gesetzesbegründung aus, s. BT-Drucks. 20/3436, 89. 67 Einzelheiten zu § 153 Abs. 1 AO bei Rätke in Klein, § 153 AO Rz. 2 ff.; Seer in Tipke/Kruse § 153 AO Rz. 8 ff. (Okt. 2016).

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Ergänzend hierzu bestimmt nunmehr der neu angefügte Absatz 4 des § 153 AO: Die Anzeige- und Berichtigungspflicht besteht ferner, wenn Prüfungsfeststellungen einer Außenprüfung unanfechtbar in einem Steuerbescheid etc. umgesetzt worden sind und die den Prüfungsfeststellungen zugrunde liegenden Sachverhalte auch in einer anderen vom oder für den Steuerpflichtigen abgegebenen Erklärung, die nicht Gegenstand der Außenprüfung war, zu einer Änderung der Besteuerungsgrundlagen führen. Diese Anzeigepflicht dürfte für einen Teil der Fälle, nämlich bei Sachverhaltsfragen, auch schon nach § 153 Abs. 1 AO bestanden haben; insoweit hat § 153 Abs. 4 AO in Bezug auf das „Ob“ nur eine klarstellende Funktion. In bedeutsamen Punkten weicht § 153 Abs. 4 AO allerdings von § 153 Abs. 1 AO ab und ist insoweit lex specialis: Erstens bestimmt die Norm jetzt den Anzeigezeitpunkt klar und eindeutig mit der Unanfechtbarkeit der in § 153 Abs. 4 AO genannten Verwaltungsakte. Soweit der Anwendungsbereich des § 153 Abs. 4 AO reicht, gilt also weiterhin die „Unverzüglichkeit“ für die Anzeige, allerdings nicht mehr ausgehend vom Erkennen des Fehlers, sondern von der Unanfechtbarkeit des in § 153 Abs. 4 AO genannten Verwaltungsakts. Zweitens erweitert68 § 153 Abs. 4 AO die Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 1 AO dahingehend, dass in seinem Anwendungsbereich auch immer die abweichende Rechtsansicht bzw. die abweichende Subsumtion erfasst ist. Denn beides erfasst § 153 Abs. 1 AO in dieser Allgemeinheit nicht. § 153 Abs. 1 AO setzt eine unrichtige oder unvollständige Erklärung voraus, weshalb es dort einer nach den zu § 370 Abs. 1 AO entwickelten (bis heute nicht abschließend geklärten) Maßstäben unrichtigen oder unvollständigen Erklärung bedarf, und diese Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit bezieht sich auf Tatsachen; eine solche Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit in Bezug auf Tatsachen kann zwar auch über einen Rechtsanwendungsfehler vermittelt werden, muss es aber nicht.69 Diese Anknüpfung an eine unrichtige oder unvollständige Erklärung enthält § 153 Abs. 4 AO hingegen nicht. Daher führt jede anlässlich der Außenprüfung entdeckte Fehlerhaftigkeit zu einer Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 4 AO (dh. einschließlich Rechtsanwendungsfehler).70 Es ist auch ohne Bedeutung, ob die Finanzverwaltung von der (fortgesetzten) 68 Auch in der Gesetzesbegründung findet sich die Aussage, dass § 153 Abs. 4 AO eine Erweiterung gegenüber § 153 Abs. 1 AO darstelle, allerdings wird der Gegenstand der Erweiterung nicht benannt (s. BT-Drucks. 20/3436, 87). 69 Im Einzelnen s. Krumm in Tipke/Kruse, § 370 AO Rz. 49 ff. (Mai 2022). 70 GlA Beckschäfer/Neuhaus, NZWiSt 2022, 401.

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Fehlerhaftigkeit in anderen Veranlagungszeiträumen positive Kenntnis hat71 und wer den Fehler gemacht hat (Steuerpflichtiger oder Finanzbehörde). Dieses Verständnis entspricht nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Zweck der Regelung, die vor allem Anschlussprüfungen beschleunigen soll.72 Es geht also nicht um die Verantwortungsübernahme für Fehler; es geht allein um eine dienende (Entlastungs-)Funktion für andere Veranlagungszeiträume, die dem Steuerpflichtigen überantwortet wird. Fraglich ist, ob sich schließlich noch eine dritte Abweichung ergibt. Die Frage lautet: Besteht die Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 4 AO auch dann, wenn der Steuerpflichtige in seiner Steuerklärung, die der Festsetzung zugrunde liegt, vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat? Zu § 153 Abs. 1 AO vertritt die Rechtsprechung jedenfalls die Ansicht, dass die Berichtigungspflicht auch (bzw. „nur“) dann besteht, wenn der Steuerpflichtige bedingt vorsätzlich unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht hat. Begründet wird dies mit dem Wortlaut des § 153 Abs. 1 AO, der ein nachträgliches Erkennen der Fehlerhaftigkeit voraussetzt. Ein solches ist bei direktem Vorsatz nicht mehr möglich; hier weiß der Steuerpflichtige von Anfang an um die Fehlerhaftigkeit. Bei einem bloßen Für-möglich-Halten der Fehlerhaftigkeit (= bedingter Vorsatz) sei ein nachträgliches sicheres Erkennen hingegen noch möglich.73 § 153 Abs. 4 AO enthält demgegenüber keine solche Einschränkung. Die Norm setzt anders als § 153 Abs. 1 AO nicht ausdrücklich voraus, dass der Steuerpflichtige den Fehler erst nachträglich (aufgrund der Betriebsprüfung) erkennt. Allerdings scheint die Norm gerade von dieser Konstellation (bessere Kenntnis aufgrund der Betriebsprüfung und vor allem Gewissheit erst mit Bestandskraft der in § 153 Abs. 4 AO genannten Verwaltungsakte) auszugehen und es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber von den zu § 153 Abs. 1 AO entwickelten Grundsätzen abweichen wollte. Daher dürfte § 153 Abs. 4 AO so auszulegen sein, dass er – ebenso wie § 153 Abs. 1 AO – ein nachträgliches Erkennen der Fehlerhaftigkeit voraussetzt. § 153 Abs. 4 AO enthält keine zeitliche Einschränkung, allerdings dürfte insoweit die Begrenzung des § 153 Abs. 1 AO entsprechend heranzuziehen sein, dh. die Anzeigepflicht betrifft nur noch nicht festset71 AA Beckschäfer/Neuhaus, NZWiSt 2022, 401. 72 BT-Drucks. 20/3436, 87. 73 BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, BGHSt 53, 210 Rz. 20 ff.; kritisch hierzu Seer in Tipke/Kruse, § 153 AO Rz. 20 ff. (Okt. 2016).

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zungsverjährte Veranlagungszeiträume. Der Norm lässt sich vor allem nicht entnehmen, dass die Anzeigepflicht nur für nachfolgende Veranlagungszeiträume gelten soll (auch wenn dies zur Intention, künftige Betriebsprüfungen zu beschleunigen, passen würde). Sie dürfte daher auch für solche Veranlagungszeiträume gelten, die vor dem geprüften Veranlagungszeitraum liegen. Ferner enthält die Norm keine steuerartenbezogene Einschränkung und auch der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Anzeigepflicht auch andere als die geprüften Steuerarten betreffen kann.74 § 153 Abs. 4 AO ist erstmalig für solche Steuern anzuwenden, die nach dem 31.12.2024 entstehen (Art. 97 § 37 Abs. 2 EGAO). Art. 97 § 37 Abs. 3 EGAO ordnet an, dass § 153 Abs. 4 AO auch für vor dem 1.1.2025 entstandene Steuern gilt, wenn für diese Steuern nach dem 31.12.2024 eine Prüfungsanordnung bekanntgegeben wurde.

3. Anpassung an Änderungen der Zusammenarbeitsrichtlinie Der deutsche Gesetzgeber hat ferner das EU-AHiG geändert: Für die Beantwortung eines eingehenden Auskunftsersuchens (§ 4 EUAHiG) und für die Stellung eines ausgehenden Auskunftsersuchens (§ 6 EU-AHiG) müssen die Informationen „voraussichtlich erheblich sein“. § 6a Abs. 1 EU-AHiG konkretisiert dies dahingehend, dass Informationen voraussichtlich erheblich sind, wenn die zuständige Behörde zum Zeitpunkt des Ersuchens der Auffassung ist, dass unter Berücksichtigung ihres nationalen Rechts die realistische Möglichkeit besteht, dass die Information für Steuerangelegenheiten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger erheblich und ihre Erhebung für Zwecke der Ermittlung gerechtfertigt sein kann. In dem Ersuchen muss daher der steuerliche Zweck, zu dem die Informationen beantragt werden, dargelegt und der Umfang der ersuchen Information spezifiziert werden (§ 6a Abs. 2 EUAHiG). Mit § 6b EU-AHiG wird Art. 5a Abs. 3 RL 2011/16/EU umgesetzt und im nationalen Recht erstmals eine ausdrückliche Regelung für sog. Gruppenersuchen eingeführt. Die Norm konkretisiert für den Fall eines Ersuchens, das sich auf eine Gruppe von Steuerpflichtigen bezieht, die nicht einzeln identifiziert werden können, die Voraussetzung und den Nachweis der voraussichtlichen Erheblichkeit. Das Ersuchen muss ua. 74 BT-Drucksache 20/3879, 87.

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enthalten: (1) ausführliche Beschreibung der Gruppe, (2) Erläuterung des Sachverhalts, der Anlass zur Vermutung gibt, dass Steuerpflichtige der Gruppe steuerliche Vorschriften nicht eingehalten haben, und (3) Erläuterungen zur Erforderlichkeit der ersuchten Informationen. Die Regelung hat klarstellenden Charakter; der EuGH hat unter den vorstehend genannten Voraussetzungen auch bisher schon Auskunftsersuchen für rechtmäßig erachtet.75 Schließlich ist § 10 EU-AHiG geändert worden: Auf Ersuchen der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats kann das zentrale Verbindungsbüro gestatten, dass unter den von ihm festgelegten Voraussetzungen befugte Bedienstete des anderen Mitgliedstaats für Zwecke des Informationsaustauschs (1) in den Amtsräumen zugegen sein dürfen, in denen deutsche Finanzbehörden ihre Tätigkeit ausüben, (2) bei den behördlichen Ermittlungen zugegen sein dürfen, die auf deutschem Hoheitsgebiet durchgeführt werden, und (3) unter Einhaltung der nationalen Verfahrensregelungen Einzelpersonen befragen und Aufzeichnungen prüfen. Die aktive Anwesenheit ausländischer Bediensteter steht mithin nicht mehr unter der Voraussetzung der Zustimmung der betroffenen Person.

4. Meldepflichten für Plattformbetreiber Zu guter Letzt ein kurzer Hinweis auf das Plattformen-Steuertransparenzgesetz – PStTG (Umsetzung von Art. 8ac DAC 7), mit dem neue Meldepflichten für Betreiber von Internet-Plattformen, über die Nutzer der Plattform Rechtsgeschäfte mit Anbietern über die Erbringung relevanter Tätigkeiten (Verkauf von Gütern, Vermietung von unbeweglichem Vermögen, zeitl. begrenzte Vermietung von Verkehrsmitteln und persönliche Dienstleistungen) gegen Vergütung abschließen können (zum Beispiel Ebay, Amazon Marketplace oder Airbnb) in Bezug auf steuerlich relevante Informationen zu den auf der Plattform getätigten Geschäften (zum Beispiel steuerliche Ansässigkeit der Anbieter, Höhe der Vergütungen, Anschrift jeder inserierten Immobilie) eingeführt werden. Die Betreiber sind verpflichtet, die erforderlichen Informationen von den Anbietern zu beschaffen, diese auf Verlässlichkeit zu prüfen und an das BZSt zu melden. Es ist zudem ein automatischer Informationsaustausch der erhaltenen Informationen zwischen EU-Finanzbehörden (insbesondere zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Erklärung von entsprechenden Einkünften durch Anbieter in dem jeweiligen EU-Mit75 Siehe EuGH v. 25.11.2021 – C-437/19, EuZW 2022, 137.

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gliedstaat) vorgesehen. Die Pflichten der Plattformbetreiber sind erstmals für den Meldezeitraum zu beachten, der dem Kalenderjahr 2023 entspricht (§ 28 PStG).

IV. Jahressteuergesetz 2022 1. Weitgehende Abschaffung der sog. Registerbesteuerung a) Hintergrund der Gesetzesänderung Bis zum Jahressteuergesetz wurde unter dem Stichwort der sog. Registerfälle die Reichweite der beschränkten Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f, Nr. 6 EStG diskutiert.76 Konkret geht es dabei um die Steuerpflicht von Einkünften aus der Lizenzierung oder Veräußerung von Rechten aufgrund einer Eintragung in ein inländisches Buch oder Register. Nach Auffassung der Finanzverwaltung war es nach der bisherigen Gesetzeslage ausreichend, dass das überlassene Recht in ein inländisches öffentliches Buch oder Register eingetragen war. Ein darüber hinausgehender Inlandsbezug sei nicht erforderlich.77 In der Folge kam es bereits dann zu einer beschränkten Steuerpflicht in Deutschland, wenn ein nicht in Deutschland ansässiges Unternehmen Einkünfte aus der Lizenzierung und Veräußerung aus einem in Deutschland eingetragenen Recht erzielte, ohne dass es in Deutschland zu einer Verwertung dieser Rechte kam. Innerhalb der Literatur wurde die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung insbesondere vor dem Hintergrund des Verfassungs- und Europarechts stark kritisiert.78 Aus verwaltungsökonomischer Sicht führten die Registerfälle insbesondere in sog. Drittlizenzfällen, also in Fällen, in denen keine nahestehenden Personen iSd. § 1 Abs. 2 AStG betroffen sind, zu einem hohen Verwaltungs- und Befolgungsaufwand, dem – wie auch in allen weiteren Fällen – ein insgesamt nur geringes Steueraufkommen gegenüberstand. Dies wird dadurch verstärkt, dass das Besteuerungsrecht für die Registerfälle nach den einschlägigen DBA Deutschland nicht zustand bzw. zusteht. 76 Vgl. umfassend zur Entwicklung der Registerfälle: Grotherr, DStZ 2023, 21 ff. 77 BMF v. 6.11.2020 – IV C 5 - S 2300/19/10016 :006 – DOK 2020/10092019, BStBl. I 2020, 1060. 78 Vgl. nur Altenburg, IStR 2020, 561; Altenburg/Jagenburg, IStR 2020, 965; Schönfeld/Ellenrieder, IStR 2020, 567; Schönfeld/Ellenrieder, IStR 2021, 831; Frey/Schmid/Schwarz, IStR 2021, 427; Frey/Schmid/Volkert, IStR 2022, 534; Ehlermann/Wehnert, ISR 2022, 309; Ehlermann/Wehnert, ISR 2022, 348.

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Das BMF teilte diese Kritik, so dass der Referentenentwurf des Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetzes (AbzStEntModG) zunächst eine rückwirkende Streichung des Steuertatbestands vorsah.79 Bereits im Regierungsentwurf 80 zum AbzStEntModG wurde der Vorschlag jedoch wieder gestrichen. Stattdessen hat die Finanzverwaltung versucht, durch ein BMF-Schreiben den hohen Verwaltungs- und Befolgungsaufwand der Registerbesteuerung im Wege der Vereinfachung des (Abzugs-)Verfahrens zu verringern.81 Danach konnte der Steuerabzug nach § 50a Abs. 5 EStG in Bezug auf Lizenzvergütungen, die dem Vergütungsgläubiger bis einschließlich 30.9.2021 zugeflossen waren, unterlassen werden, soweit der Vergütungsschuldner nicht im Inland steuerlich ansässig war, sondern in einem Staat, mit dem Deutschland ein DBA abgeschlossen hatte, wonach der Vergütungsgläubiger in Bezug auf Quellensteuer und Lizenzeinkünfte (unter Berücksichtigung von § 50d Abs. 3 EStG) entlastungberechtigt war. Zudem musste der Vergütungsgläubiger einen entsprechenden Antrag auf Freistellung vom Steuerabzug analog § 50d Abs. 2 Satz 1 EStG beim BZSt stellen. Diese Verwaltungspraxis wurde für Vergütungen, die dem Vergütungsgläubiger vor dem 1.7.2023 zufließen, verlängert.82 In Veräußerungsfällen konnten Null-Steuererklärungen abgegeben werden, wenn nach dem jeweils einschlägigen DBA ein ausschließliches Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats des Veräußerers besteht. Durch den weiterhin hohen Befolgungs- und Verwaltungsaufwand sah sich der Gesetzgeber nun trotz der Verfahrensvereinfachung doch noch zu einer Änderung der gesetzlichen Regelungen veranlasst.83 Der Regelungsbedarf wurde auch durch eine Evaluation der Rechtslage durch das BMF unterstrichen.84 79 Referentenentwurf des BMF zum Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer v. 19.11.2020, S. 35. 80 BR-Drucks. 50/21. 81 Vgl. BMF v. 11.2.2021 – IV B 8 - S 2300/19/10016 :007 – DOK 2021/0003450, BStBl. I 2021, 301. 82 Vgl. BMF v. 14.7.2021 – IV B 8 - S 2300/19/10016 :007 – DOK 2021/0549633, BStBl. I 2021, 1005; v. 26.9.2022 – IV B 8 - S 2300/19/10016 :009 – DOK 2022/0490278, BStBl. I 2022, 957. 83 BT-Drucks. 20/3879, 79. 84 Vgl. BMF, Bericht des Bundesministeriums der Finanzen zur Evaluation der geltenden Rechtslage der Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger, die inländische Einkünfte aus der Überlassung von Rechten erzielen, die in ein inländisches öffentliches Buch oder Register eingetragen sind (sog. Registerfälle, im

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b) Inhalt des JStG 2022 Das JStG 2022 enthält nunmehr eine materiell-rechtliche Entschärfung der Besteuerung der Registerfälle durch eine Beschränkung des Steuertatbestands.85 Einerseits wird der Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG beschränkt, andererseits eine beschränkte Steuerpflicht für Vergütungsgläubiger, die in Steueroasen iSd. StAbwG ansässig sind, erhalten (§ 10 Nr. 5 StAbwG). Innerhalb des neuen § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG wird nun zwischen sonstigen Rechten (insbesondere Patent-, Marken oder Sortenrechte) und Rechten iSd. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG differenziert. In Bezug auf die sonstigen Rechte (im Wesentlichen Grundstücksrechte und unbewegliches Vermögen) iSd. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ergibt sich keine Änderung. Aufgrund der Belegenheit im Inland gab es hierfür auch keinen Anlass. In Bezug auf die sonstigen Rechte wurde § 49 Abs. 1 EStG derart geändert, dass nicht mehr alle Einkünfte aus der Vermietung, der Verpachtung oder der Veräußerung von in ein inländisches Register eingetragenen Rechten der beschränkten Steuerpflicht unterliegen. Zwar unterfallen sonstige Rechte, die in ein inländisches Register eingetragen sind, weiterhin der beschränkten Steuerpflicht, doch entfällt die Besteuerung nun unter den neuen Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f, Nr. 6 EStG bereits auf Ebene des Steuertatbestands. So entfällt die beschränkte Steuerpflicht, wenn die Transaktion nicht zwischen nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG erfolgt oder wenn der Besteuerung ein DBA unter Berücksichtigung der Anwendungsregeln des EStG entgegensteht. Im Ergebnis ist die Regelung entsprechend der gesetzgeberischen Intention damit nur noch anwendbar, soweit die Rechteüberlassung oder Veräußerung zwischen nahestehenden Personen erfolgt.86 Die Umsetzung folgt dem Befund des BMF, dass die Registerfallbesteuerung bei Vorgängen zwischen nahestehenden Personen weniger Vollzugsaufwand erfordert als zwischen fremden Dritten.87 Drittlizenzregisterfälle bezüglich sonstiger Rechte werFolgenden „Bericht zur Evaluation der geltenden Rechtslage der Besteuerung sog. Registerfälle“), abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/ Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Internationales_Steuerrecht/All gemeine_Informationen/2022-06-28-bericht-evaluation-registerfaelle-deutsch. pdf?__blob=publicationFile&v=3 ((zuletzt abgerufen am 11.2.2023). 85 Vgl. Stadler ua., DB Beil. Nr. 3 zu Heft 51–52/2022, 5 (7). 86 Böhmer/Schewe, BB 2023, 472. 87 Vgl BMF, Bericht zur Evaluation der geltenden Rechtslage der Besteuerung sog. Registerfälle, S. 10.

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den damit vollständig aus der beschränkten Steuerpflicht nach dem EStG ausgeklammert. Registerfälle in Drittlizenzfällen werden nur noch durch § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAbwG besteuert. Ist der Lizenzgläubiger in einem unkooperativen Steuerhoheitsgebiet (§ 2 StAbwG) ansässig, unterliegt die Lizenzzahlung auch weiterhin der beschränkten Steuerpflicht. Angesichts der unkooperativen Steuerhoheitsgebiete, die auf der sog. Schwarzen Liste stehen, ist die praktische Bedeutung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAbwG derzeit wohl gering.88 Die praktische Bedeutung dürfte jedoch durch die kürzlich erfolgte Aufnahme Russlands auf die sog. Schwarze Liste als Reaktion auf den Ukraine-Krieg gestiegen sein. Die Anwendung der beschränkten Steuerpflicht soll auch für konzerninterne Registerfälle ausgeschlossen sein, wenn der Besteuerung die Regelungen eines entsprechenden DBA unter Berücksichtigung der ihre Anwendung regelnden Vorschriften des EStG entgegenstehen. Mit dem Verweis auf nationale Anwendungsvorschriften meint der Gesetzgeber vor allem sog. Treaty override-Regelungen wie § 50d Abs. 3 EStG und § 50d Abs. 11a EStG.89 Diese Tatbestandsbeschränkung trägt dem Umstand Rechnung, dass der Besteuerung der Registerfälle ohnehin regelmäßig DBA-rechtliche Beschränkungen entgegenstehen, die dazu führen, dass Deutschland den national begründeten Besteuerungsanspruch mangels Quellenbesteuerungsrechts unter dem DBA, vorbehaltlich nationaler Treaty overrides, nicht durchsetzen konnte und kann.90 Der durch die alte gesetzliche Regelung verursachte Verwaltungs- und Vollzugsaufwand führte in diesen Fällen dementsprechend nicht zu steuerlichen Mehreinnahmen.91 c) Zeitlicher Anwendungsbereich Gem. § 52 Abs. 45a Satz 3 Halbs. 1 EStG wird die Neuregelung aus § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f, Nr. 6 EStG ohne Anknüpfung an den Zeitpunkt der Leistung der Vergütung auf alle offenen Drittlizenzfälle angewendet, so dass die beschränkte Steuerpflicht für konzernexterne Registerfälle au88 So auch Ehlermann/Wehnert, ISR 2022, 309 (311); Böhmer/Schewe, BB 2023, 472 (473). 89 Vgl. BT-Drucks. 20/4729, 133. 90 Vgl. BMF, Bericht zur Evaluation der geltenden Rechtslage der Besteuerung sog. Registerfälle, S. 8, 21. 91 Vgl. BMF, Bericht zur Evaluation der geltenden Rechtslage der Besteuerung sog. Registerfälle, S. 8 ff.

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ßerhalb des StAbwG durch das JStG 2022 rückwirkend abgeschafft wurde. Dies entspricht der gesetzgeberischen Intention, den Besteuerungsanspruch in Drittlizenzfällen auch für die Vergangenheit zurückzunehmen, um hiermit den erheblichen praktischen Problemen (insbesondere begründet durch das in diesen Fällen gegebene Informationsdefizit), denen die Steuerpflichtigen in den Drittlizenzierungsfällen ausgesetzt waren, zu begegnen.92 Für konzerninterne Registerfälle ist die Neuregelung erst auf Veräußerungen oder Vergütungen, die seit dem 31.12.2022 erfolgt sind, anwendbar (§ 52 Abs. 45a Satz 3 Halbs. 2 EStG). Insoweit erfolgt also keine rückwirkende Anpassung, weil der Gesetzgeber die konzerninternen Fälle als weniger aufwändig erachtet.93 d) Kritik Im Ausgangspunkt ist die weitgehende und rückwirkende Abschaffung der beschränkten Steuerpflicht von Registerfällen begrüßenswert, da sich infolgedessen der Befolgungs- und der Verwaltungsaufwand erheblich verringert hat. Das dem Verwaltungsaufwand gegenüberstehende geringe Steueraufkommen konnte den Besteuerungstatbestand nicht rechtfertigen und ein hoher Befolgungsaufwand der Steuerpflichtigen hat überdies die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland beeinträchtigt.94 Die Neuregelung durch das JStG 2022 bleibt allerdings hinter dem weitergehenden Regierungsentwurf, der eine vollständige Aufhebung der beschränkten Steuerpflicht auch für konzerninterne Registerfälle und eine vollständige Überführung der Registerfälle in das StAbwG vorsah, zurück. Durch die Beibehaltung der Besteuerung von Registerfällen zwischen nahestehenden Personen in Nicht-DBA-Fällen wollte der Gesetzgeber offensichtlich verhindern, dass es zu einer Aufgabe von Besteuerungssubstrat kommt.95 Dafür konnte sich scheinbar keine politische Mehrheit finden. Aus Sicht der Steuerpflichtigen ist dieser Kompromiss zugunsten des Steueraufkommens bedauerlich, da der hohe Befolgungs92 Vgl. BMF, Bericht zur Evaluation der geltenden Rechtslage der Besteuerung sog. Registerfälle, S. 10; BT-Drs. 20/3879, 82. 93 BT-Drucks. 20/3879, 82. 94 Zutreffend Böhmer/Schewe, BB 2023, 472 (473). 95 So auch Stadler ua., DB Beil. Nr. 3 zu Heft 51–52/2022, 5 (7).

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aufwand für konzerninterne Registerfälle damit weiterhin bestehen bleibt. Zwar ist auch in diesen Fällen bei gegebenem DBA-Schutz künftig schon der Tatbestand nicht erfüllt, so dass die Durchführung des Freistellungs- und Erstattungsverfahrens entfällt. Durch die Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG muss der Steuerpflichtige aber nunmehr zunächst die Rechtslage im Hinblick auf die Anwendung von DBA und der nationalen Anwendungsvorschriften prüfen.96 Nur so kann er (jedenfalls in der Theorie) wissen, ob die Einkünfte der beschränkten Steuerpflicht unterliegen, und seine steuerlichen Verpflichtungen erfüllen.97 Diese Verknüpfung enthält im Hinblick auf die mögliche Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG, dessen Auslegung infolge der Änderungen durch das AbzStEntModG erheblichen Unsicherheiten ausgesetzt ist, zum einen erhebliche Rechtsunsicherheiten.98 Zum anderen bleibt ein enormer Verwaltungsaufwand bei mehreren tausend Lizenzverträgen in größeren Konzernen. Schließlich enthält die Neuregelung durch das JStG 2022 auch in den verbleibenden Anwendungsfällen keine Lösung für die nicht unerheblichen praktischen Probleme, die sich bei der Besteuerung der Höhe nach, vor allem bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage ergeben, und die sich insbesondere für konzerninterne Registerfälle stellen.99

2. Überblick zu den weiteren wesentlichen Änderungen des JStG 2022 im Einkommensteuerrecht a) Überblick Das JStG enthält neben der Neuregelung der Registerfälle diverse weitere Anpassungen des EStG. Dabei werden verschiedene steuerliche Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung umgesetzt. Diese Änderungen lassen sich grob in entlastende Maßnahmen, Maßnahmen in Reaktion auf die stark gestiegenen Energiepreise sowie sonstige Änderungen systematisieren.100

96 97 98 99

Böhmer/Schewe, BB 2023, 472 (473). BT-Drucks. 20/4729, 8. Manthey, DB 2022, 2954 (2955). Vgl. hierzu ausführlich Altenburg/Jagenburg, IStR 2020, 965 (967 ff.); Ehlermann/Wehnert, ISR 2022, 348. 100 Vgl. zu einer Übersicht über diese Änderungen Schiffers, DStZ 2023, 11 ff.

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b) Steuerliche Entlastungen Als eine Entlastungsmaßnahme wird der Werbungskostenpauschbetrag auf 1.230 t (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG) und der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende um 252 t auf nun 4.260 t erhöht (§ 24b Abs. 2 Satz 1 EStG). Auch der seit 2008 unveränderte Sparer-Pauschbetrag für Einkünfte aus Kapitalvermögen wird von 801 t auf nun 1.000 bzw. 2.000 t bei Zusammenveranlagung erhöht (§ 20 Abs. 9 EStG). Der sog. Ausbildungsfreibetrag wird von 924 t auf 1.200 t pro Kalenderjahr angehoben (§ 33a Abs. 2 Satz 1 EStG). Daneben wurden auch die Regelungen zur Abziehbarkeit von Betriebsausgaben und Werbungskosten im Zusammenhang mit einem häuslichen Arbeitszimmer in das JStG 2022 aufgenommen. Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer können weiterhin vollständig abgezogen werden, wenn dieses den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit bildet (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG). Alternativ kann pauschal ein Betrag von 1.260 t abgezogen werden, wobei sich dieser Betrag für jeden Monat, in dem die Voraussetzungen nicht vorliegen, um ein Zwölftel mindert. Abweichend vom Regierungsentwurf sind die Aufwendungen auch dann abziehbar, wenn ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht.101 Ab dem Veranlagungszeitraum 2023 wird auch die sog. Homeoffice-Pauschale erhöht und entfristet. Sie darf maximal 1.260 t p.a. betragen. Dies entspricht einer beruflichen Tätigkeit von 210 Tagen Home-Office pro Jahr. Der vollständige Sonderausgabenabzug für Altersvorsorgeaufwendungen gem. § 10 Abs. 3 Satz 6 EStG wurde durch das JStG auf 2023 vorgezogen und ist damit nicht erst ab 2025 möglich. Die Änderung erfolgt vor dem Hintergrund der Urteile des BFH vom 19.5.2021.102 In den beiden Urteilen hatte der BFH die bisherige Ausgestaltung der Rentenbesteuerung als verfassungskonform angesehen. In den konkreten Einzelfällen lag keine unzulässige doppelte Besteuerung der Alterseinkünfte vor, jedoch könnten künftige Rentnergenerationen von einer doppelten Besteuerung betroffen sein, so der BFH. Langfristig soll durch die Änderung eine Doppelbesteuerung von Renten vermieden werden.103

101 Vgl. BT-Drucks. 20/4729, 130. 102 BFH, 19.5.2021 – X R 20/19, FR 2021, 790 m. Anm. Weber-Grellet = BFH/NV 2021, 980; v. 19.5.2021 – X R 33/19, BFH/NV 2021, 992. 103 Vgl. BT-Drucks. 20/3879, 90.

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Das JStG 2022 enthält auch die Anhebung des linearen AfA-Satzes auf 3% für Wohngebäude, die nach dem 31.12.2022 fertiggestellt werden (§ 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG). Ursprünglich war eine Anhebung erst zum 30.6.2023 vorgesehen.104 Durch das Vorziehen soll die klimagerechte Neubauoffensive politisch stärker gefördert werden.105 Passend dazu wurde die Sonderabschreibung für die Herstellung neuer Mietwohnungen nach § 7b EStG für alle Fälle, in denen der Bauantrag zwischen 2023 und 2026 gestellt wird, verlängert. Wohnungen, die aufgrund einer Bauanzeige oder eines Bauantrags in 2022 hergestellt wurden, sind vom Anwendungsbereich des § 7b EStG ausgenommen und wurden auch von der bisherigen Regelung nicht erfasst.106 Zeitgleich wird die Sonderabschreibung mit strengeren Effizienzvorgaben und Baukostenobergrenzen verknüpft. c) Steuerrechtliche Reaktionen auf die Energiekrise Das JStG enthält zudem verschiedene Maßnahmen in Reaktion auf die infolge des Ukraine-Kriegs stark gestiegenen Energiepreise. Nach dem Gesetz über die Gewährung einer einmaligen Energiepreispauschale an Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger des Bundes (Versorgungsrechtliches Energiepreispauschalen-Gewährungsgesetz) sowie dem Gesetz zur Zahlung einer Energiepreispauschale für Rentnerinnen und Rentner (Rentenbeziehende-Energiepreispauschalengesetz – RentEPPG) wurde vergangenes Jahr eine einmalige Zahlung in Höhe von 300 t (Energiepreispauschale) an Renten- und Versorgungsbeziehende ausgezahlt, um dadurch die Mehrkosten, die aufgrund steigender Energie- und Nahrungsmittelpreise entstehen, abzufangen.107 Durch das JStG wird klargestellt, dass die Energiepreispauschale einkommensteuerpflichtig ist (§§ 19 Abs. 3, 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. c EStG). Daneben wurden in das EStG die §§ 123–126 EStG zur Besteuerung der Gas-/Wärmepreisbremse neu eingefügt. § 123 Abs. 1 EStG ordnet die Steuerpflicht der Entlastungen durch das Erdgas-Wärme-Soforthilfegesetz an, sofern sie nicht schon einer Einkunftsart zuzuordnen sind. Besteht kein Zusammenhang mit irgendeiner der Einkunftsarten nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–6 EStG, wird die Zugehörigkeit zu den sonstigen Leistungen nach § 22 Nr. 3 EStG gesetzlich angeordnet. Die Entlastun104 105 106 107

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Vgl. BT-Drucks. 20/3879, 88. Vgl. BT-Drucks. 20/4729, 136. Vgl. BT-Drucks. 20/4729, 137. Vgl. BT-Drucks. 20/4729, 131.

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gen werden Bestandteil des zu versteuernden Einkommens, soweit die Grenzen des § 124 EStG überschritten werden. Die Untergrenze orientiert sich an den Grenzwerten, die für den Solidaritätszuschlag gelten.108 Bei Überschreiten dieser Grenze soll eine sog. Milderungszone Belastungssprünge im Einstiegsbereich der Besteuerung vermeiden.109 Ob die Änderung verfassungsrechtlich zulässig ist, erscheint zweifelhaft. Hier wird die Ersparnis privater Ausgaben besteuert, die in keinerlei Zusammenhang mit einer Einkunftsquelle stehen. Zudem muss aufgrund der Milderungszone nur ein Teil der Steuerpflichtigen diese Einkünfte überhaupt besteuern.110

3. Nullsteuersatz für die Lieferung von Photovoltaik-Anlagen § 12 Abs. 3 UStG regelt, dass für die Lieferung von Photovoltaikanlagen, Komponenten sowie Stromspeichern ein Umsatzsteuersatz von 0% gilt, vorausgesetzt die Photovoltaikanlage wird auf oder in der Nähe von Privatwohnungen, Wohnungen sowie öffentlichen und anderen Gebäuden, die für dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten genutzt werden, installiert.111 Damit wird der Einbau kleinerer Photovoltaikanlagen gefördert.112 Auch wenn viele Betreiber von Photovoltaikanlagen unter die Kleinunternehmerregel in § 19 UStG fallen, haben viele davon in der Vergangenheit für die Umsatzsteuer optiert, um die Vorsteuer aus der Anschaffung der Anlage abziehen zu können. In der Folge waren dann regelmäßig Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben und insbesondere der Eigenverbrauch zu versteuern. Damit ist es nicht mehr notwendig, die Option nach § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG zu wählen, da die Entlastung bereits von Gesetzes wegen erfolgt.

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Vgl. BT-Drucks. 20/4729, 135. Vgl. BT-Drucks. 20/4729, 135. Böhmer/Schewe, BB 2023, 534 (535). Vgl. Zugmaier/Mateev, DStR 2022, 2337 ff. sowie den Entwurf eines BMF-Schreibens dazu, abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Con tent/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Steuerarten/Umsatzsteuer/2023-01-26entwurf-nullsteuersatz-fuer-umsaetze-im-zusammenhang-mit-photovoltaikan lagen.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (zuletzt abgerufen am: 11.2.2023). 112 Böhmer/Schewe, BB 2023, 534 (535).

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V. Zweites AO-ÄndG Mit dem zweiten Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (2. AO-ÄndG113) hat der Gesetzgeber „minimalinvasiv“ auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8.7.2021114 reagiert: Die für verfassungswidrig befundene Verzinsung nach §§ 233a, 238 Abs. 1 Satz 1 AO wird mit Wirkung ab dem 1.1.2019 durch eine Verzinsung mit 0,15% pro Monat (Jahreszinssatz 1,8%) ersetzt (§ 238 Abs. 1a AO). Der Maßstab für diesen starren Zinssatz bleibt freilich unklar. Die bisher schon praktisch geübte Vorauszahlungsmöglichkeit ohne Vorauszahlungsfestsetzung (es wird rechtsgrundlos gezahlt und nach der Festsetzung der Steuer werden die Zinsen erlassen, weil der Steuerpflichtige bereits gezahlt hatte115) erfährt zudem eine gesetzliche Regelung in § 233a Abs. 8 AO: Zinsen auf einen Unterschiedsbetrag zuungunsten des Steuerpflichtigen (Nachzahlungszinsen) sind entweder nicht festzusetzen oder zu erlassen, soweit Zahlungen oder andere Leistungen auf eine später wirksam gewordene Steuerfestsetzung erbracht wurden, die Finanzbehörde diese Leistungen angenommen und auf die festgesetzte und zu entrichtende Steuer angerechnet hat. Der Dreh- und Angelpunkt dieser Regelung ist die Annahme der Zahlung durch die Finanzbehörde. Diese steht im Ermessen der Finanzbehörde. Die Finanzverwaltung hat dieses Ermessen bereits im BMF-Schreiben vom 22.7.2022 konkretisiert. Zum einen schickt die Finanzverwaltung die Feststellung vorweg, dass die Gewährung des Ermessens dazu diene, zu verhindern, dass das Finanzamt ohne sachliche Rechtfertigung der Zahlung oder Leistung als „Sparkasse“ missbraucht werden kann.116 Diese Sorge dürfte freilich unberechtigt sein; denn die Technik des § 233a Abs. 3 Satz 3 AO dürfte bereits ausreichend verhindern, dass der Steuerpflichtige einen Zinsvorteil generiert.117 Zum anderen nennt die Finanzverwaltung aber auch „positiv“ eine Konstellation, in der eine Annahme grundsätzlich zu erfolgen hat: Anzunehmen sind alle Zahlungen und Leistungen, die erkennbar zur Tilgung einer in naher Zukunft voraussichtlich fällig werdenden Steuerschuld geleistet werden. Hierzu zählt 113 114 115 116

BGBl. I 2022, 1142; dazu BT-Drucks. 20/1633. BVerfG v. 8.7.2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282. Vgl. Nr. 70.1 AEAO zu § 233a. BMF v. 22.7.2022 – IV A 3 - S 1910/22/10040 :10 – DOK 2022/0666774, BStBl. I 2022, 1217 Tz. 8. 117 Seer, DB 2022, 1795 (1797).

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die Verwaltungsanweisung ausdrücklich auch solche Zahlungen im Zusammenhang mit einer Außenprüfung aufgrund entsprechender Prüfungsfeststellungen.118 Letzteres ist wichtiges (richtiges) Beispiel, kann aber nicht die entscheidende Zäsur für die Ermessenausübung sein. Weil eben keine schutzwürdigen Interessen der Finanzbehörde berührt sind, wenn sie auch schon zeitlich (deutlich) vorgelagert Zahlungen annimmt, ist nicht ersichtlich, was als ermessensgerechter Ablehnungsgrund hiergegen angeführt werden können soll. Buchungstechnische oder andere im digitalen Zeitalter nicht ins Gewicht fallende administrative Gründe können es jedenfalls nicht sein.119 Verfassungsrechtlich interessant sind im Übrigen nach wie vor die Fragen, derer sich der Gesetzeber nicht angenommen hat. Die Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach §§ 234, 235, 237 AO betragen weiterhin 0,5%/Monat und dies ruft die Frage hervor, inwieweit hier der Zinssatz verfassungsgemäß ist. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Unvereinbarkeitserklärung jedenfalls bewusst nicht auf diese Verzinsungstatbestände erstreckt, weil es einen wesentlichen Unterschied darin zu erblicken scheint, dass der Steuerpflichtige sich den Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen entziehen kann – sei es durch eine alternative Finanzierung bei einem Dritten, sei es bei den Hinterziehungszinsen durch das Unterlassen einer Steuerhinterziehung.120 Die Vermeidbarkeit ist in der Tat ein wichtiger Aspekt, der richtigerweise nicht schon auf der ersten Stufe die Vergleichbarkeit der betrachteten Sachverhalte ausschließt und damit jegliche Rechtfertigungsprüfung erübrigt;121 die Vermeidbarkeit wirkt vielmehr innerhalb der Rechtfertigungsprüfung lediglich „druckentlastend“ und den Gestaltungsspielraum erhöhend. Und auch im Übrigen ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nicht zu unterschätzen: Der Gesetzgeber muss sich zu einem sachlichen, maßstabsbildende Kriterien hervorbringenden Grund für die Verzinsung bekennen (bei der Vollverzinsung stand die Abschöpfung des Liquiditätsvorteils beim Steuerpflichtigen im Mittelpunkt), und die gleichheitsrechtliche Kontrolle des Zinssatzes anhand dieser Kriterien beschränkt sich sodann darauf, ob der Zinssatz

118 BMF v. 22.7.2022 – IV A 3 - S 1910/22/10040 :10 – DOK 2022/0666774, BStBl. I 2022, 1217 Tz. 8. 119 Zu Recht bereits Seer, DB 2022, 1795 (1797). 120 BVerfG v. 8.7.2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 Rz. 243. 121 AA hingegen BFH v. 15.11.2022 – VII R 55/20, BFHE 278, 403 Rz. 15 ff. = GmbHR 2023, 753.

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„evident realitätsfern“ ist.122 In Ansehung der Stundungs-, Aussetzungs- und Hinterziehungszinsen ist insoweit jeweils zu differenzieren (wobei nachfolgend keine Aussagen zu konkret „noch“ oder „nicht mehr“ angemessenen Zinssätzen gemacht werden, sondern nur die in die Prüfung einzustellenden Aspekte benannt werden): Bei Stundungszinsen spricht Einiges dafür, dass hier typischerweise Lebenssachverhalte betroffen sind, in denen eine Kreditfinanzierung durch Dritte nicht (mehr) zur Verfügung steht. Hier wird man daher nur sehr eingeschränkt von „Vermeidbarkeit“ bzw. einer Freiwilligkeit des Antrags sprechen können. Zugleich wird der Gesetzgeber aber gerade auch deshalb ein höheres Risiko unterstellen dürfen. Es geht um Steuerpflichtige, die am Markt keinen Kredit für die Zahlung der Steuerschuld erhalten haben. Dieses Risiko wiederum schlägt sich in einem höheren Zinssatz und damit einem höheren (abschöpfbaren) Liquiditätsvorteil nieder. Die 6%/Jahr erscheinen insoweit nicht zu hoch, wenn man eine fehlende Besicherung unterstellt. Kommt es hingegen zu einer Besicherung – was § 222 Satz 2 AO immerhin auch erwartet („soll […] nur gegen Sicherheitsleistung gewährt werden“) –, dann muss dem bei der Zinsbemessung folgerichtig Rechnung getragen werden. Da das Gesetz diese Differenzierung indes nicht nachvollzieht, muss für die Stundungszinsen letztlich die (wohl zu bejahende) Frage beantwortet werden, ob der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers auch hier der Einfachheit halber eine Einheitsbetrachtung zugunsten einer Stundung ohne Sicherheitsleistung trägt. Bei den Aussetzungszinsen dürfte die Verfassungsmäßigkeitsfrage ebenfalls zu bejahen sein. Denn wenn es des vorläufigen Rechtsschutzes zwingend bedarf, um die mit der Steuerzahlung drohenden Schäden abzuwenden (und keine weiteren Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen), dann dürfte zwar keine Vermeidbarkeit mehr vorliegen, aber der Fall ähnelt dann aber wertungsmäßig den Stundungsfällen und es gilt das hierzu Gesagte (= höheres Risiko rechtfertigt höhere Zinsen und dies muss der Steuerpflichtige hinnehmen, wenn er effektiven Rechtsschutz begehrt). Der Steuerpflichtige, der über die notwendigen liquiden Mittel verfügt (und sei es nur aufgrund eines Kredits), für den mag ein niedrigeres Ausfallrisiko kennzeichnend sein, aber für ihn sind die Aussetzungszinsen vermeidbar.123 Das entbindet den Gesetzgeber 122 BVerfG v. 8.7.2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 Rz. 155, 200. 123 Auch FG Münster v. 8.3.2023 – 6 K 2094/22, juris, Rz. 49 hat die Verfassungsmäßigkeit der Aussetzungszinsen bis ins Jahr 2021 (allein) unter Hinweis

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zwar nicht davon, auch für solche Steuerpflichtigen einen in etwa realitätsgerechten Zinssatz anstreben zu müssen, und hier könnte durchaus ein verfassungsrechtliches Problem liegen (wenn der Gesetzgeber mit den 6% den realen Bezugszinssatz „zu weit“ verfehlt). Wenn es allerdings so sein sollte, dass typischerweise nur die Steuerpflichtigen schlechter Bonität die Aussetzung der Vollziehung beantragen – was eine empirische Frage ist, die hier nicht beantwortet werden kann124 –, dann darf der Gesetzgeber den Fall des liquiden Steuerpflichtigen wohl vernachlässigen und von dem Steuerpflichtigen schlechter Bonität als typischem Fall für die Aussetzungszinsen insgesamt ausgehen. In Ansehung der Hinterziehungszinsen ist hingegen kein Grund ersichtlich, warum hier der Zinssatz von den „normalen Nachzahlungszinsen“ abweichen sollte. Richtig ist zwar, dass die Entscheidung des Steuerpflichtigen für das Machen unrichtiger bzw. unvollständiger Angaben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) bzw. das pflichtwidrige in Unkenntnis lassen der Finanzbehörden (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) immer auch eine eigenmächtige Kreditgewährung darstellt – sei es zu den eigenen Gunsten oder beim Auseinanderfallen von Täter und Steuerpflichtigen im fremden Interesse. Der Täter wird zwar primär davon ausgehen, dass es gar nicht zur Festsetzung einer Steuerschuld kommt (mangels Tatentdeckung), aber wenn man unterstellt, dass das Risiko einer Tatentdeckung immer mitgedacht wird, dann umfasst die Vorstellung des Täters erst Recht auch die Vorenthaltung der Steuer auf Zeit. Roman Seer sprach zuletzt treffend von der verzugsähnlichen Wirkung der Steuerhinterziehung.125 Insoweit hat das BVerfG recht, wenn es auf die Vermeidbarkeit hinweist. Der Gesetzgeber hat hier daher richtigerweise einen weiterreichenden Gestaltungsspielraum als bei der Vollverzinsung nach § 233a AO. Gleichwohl entbindet dies nicht davon, einen Zinssatz zu finden, der sachlich begründet ist. Zum Teil wird auf den Verzugszinssatz nach § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB verwiesen, der immerhin 5% über dem jeweiligen Basiszinssatz liegt.126 Diese Überlegung hat den Charme, dass sie den Gedanken des Verzugs des Steuerpflichtigen bis zum Verzugsschaden weiterführen kann. Allerdings wechselt man damit die Perspektive: Es geht dann nicht mehr um eine Vorteilsabschöpauf den zur Verzinsung führenden freiwilligen Antrag des Steuerpflichtigen bejaht; der Steuerpflichtige habe sich bewusst dem Zinsrisiko ausgesetzt. 124 Von einer schlechten Bonität von AdV-Antragstellern (vermutlich aufgrund Alltagserfahrung) ausgehend zB Melan FR 2018, 577 (580). 125 Seer, DB 2022, 1795 (1801). 126 Seer, DB 2022, 1795 (1801).

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fung, sondern um einen Schadensausgleich (und es würde sich die Frage stellen, ob dem Staat typischerweise ein Schaden in genannter Zinshöhe entsteht). Es ist aber nicht das Anliegen der Hinterziehungszinsen, einen Schaden auszugleichen. Richtigerweise wird man auch hier konsequent allein auf die Abschöpfung des Vorteils, den der Steuerpflichtige durch die Hinterziehung erlangt hat, abstellen müssen.127 Nur damit kann man auch widerspruchsfrei erklären, dass der Zinsschuldner (= der Steuerpflichtige) überhaupt nicht an der Steuerhinterziehung mitgewirkt haben muss (§ 235 Abs. 1 Satz 2 AO), also auch ein Dritter die Steuerhinterziehung begangen haben kann.128 Denn wenn es „nur“ um Vorteilsabschöpfung geht, dann ist der steuerliche Vorteil beim Steuerpflichtigen ausreichend, um die Zinsen zu legitimieren. Aus dem gleichen Grund müssen auch Überlegungen zu einem ergänzenden (einen Lenkungszweck erfüllenden) Sanktionselement im Zinssatz scheitern. Ungeachtet dessen, dass noch nicht einmal erkennbar ist, dass der Gesetzgeber das Anliegen der Vorteilsabschöpfung um ein Sanktionselement ergänzen wollte, passt ein solches Element auch nicht zu einer Verzinsung, die nicht ausnahmslos den Täter trifft, sondern auf den Steuerpflichtigen bezogen ist. Das alles bedeutet: Es ist ein Zinssatz zu suchen und zu finden, der in etwa die typische Bonität eines Steuerhinterziehers und damit den typischen Liquiditätsvorteil eines Steuerhinterziehers abbildet. Das ist eine empirische Frage. Zumindest auf den ersten Blick liegen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass ein Steuerhinterzieher typischerweise von schlechter Bonität ist. Es könnte daher sein, dass ein Zinssatz von 6% je nach Betrachtungsjahr derart weit an dem realen Bezugszinsniveau vorbeigeht, dass auch der weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers den Zinssatz nicht mehr retten kann. Zu guter Letzt bleibt die Frage, welche Erkenntnisse die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 233a AO für den Säumniszuschlag nach § 240 AO bietet. Der VIII. Senat hat zuletzt eine Übertragbarkeit

127 Diesen Zweck stellt auch die Rechtsprechung heraus, vgl. BFH v. 19.4.1989 – X R 3/86, BStBl. II 1989, 596; v. 12.10.1993 – VII R 44/93, BStBl. II 1994, 438. 128 Vgl. BFH v. 27.6.1991 – V R 9/86, BStBl. II 1991 = UR 1992, 51, 822: Ein Steuerpflichtiger schuldet Hinterziehungszinsen auch dann, wenn ein Dritter die Steuerhinterziehung begangen hat und die hinterzogenen Beträge auf betrügerische und treuwidrige Weise zu Lasten des Steuerpflichtigen für sich vereinnahmt hat.

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der Zinsgrundsätze auf die Säumniszuschläge verneint.129 Im Rahmen von Aussetzungsverfahren waren die BFH-Senate hingegen zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt.130 Im Ergebnis wird die Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge zu bejahen sein. Denn die Konstellation der Säumnis ist mit der Konstellation der Stundung vergleichbar. Das bedeutet zum einen, dass aus der Nichtzahlung bei Fälligkeit auf einen „typischen Fall schlechterer Bonität“ geschlossen werden darf, was einen höheren Zinssatz rechtfertigt; zum anderen kann der Steuerpflichtige die Säumnis vermeiden. Neben dem national-verfassungsrechtlichen Maßstäben für die einzelnen Verzinsungstatbestände und Zinsbemessungen existieren zudem unionsrechtliche Maßstäbe. Das betrifft jedenfalls die Verzinsung von Umsatzsteueransprüchen. In Ansehung der sich hier stellenden Fragen wird auf die weiterführende Literatur verwiesen.131

VI. Viertes CoronaStHG (insbesondere Neuregelung der Abzinsung von Verbindlichkeiten, § 6 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 3a Buchst. e EStG n.F.) Das Vierte CoronaStHG vom 19.6.2022 (BGBl. I 2022, 911) hat unter anderem viele ertragsteuerliche Corona-Maßnahmen verlängert bzw. ausgebaut, namentlich –

die Verlängerung der erweiterten Verlustverrechnung (§ 52 Abs. 18b Satz 3 EStG),



die Anhebung des Höchstbetrags beim Verlustrücktrag auf 10 Mio. t bzw. 20 Mio. t bei Zusammenveranlagung bis 2024,

129 BFH v. 15.11.2022 – VII R 55/20, BFHE 278, 403 Rz. 15 ff. = GmbHR 2023, 753. 130 Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit für ab dem Jahr 2019 entstandene Säumniszuschläge BFH v. 23.5.2022 – V B 4/22, BFHE 276, 535; aA BFH v. 28.10.2022 – VI B 15/22, BStBl. II 2023, 12; zumindest zweifelnd an den Zweifeln des V. Senats BFH v. 20.9.2022 – II B 3/22, BFH v. 20.9.2022 – II B 3/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1328 jedenfalls aber kein Aussetzungsinteresse, das die Außervollzugsetzung eines Parlamentsgesetzes überwiegt, wenn „lediglich“ 6.045 t an Säumniszuschlägen in Rede stehen, weil eine GrESt-Schuld iHv 201.500 t zu spät beglichen wurde. 131 Dazu Drüen, UR 2023, 257 (305 ff., eingehend) und Krumm in Tipke/Kruse, Einführung AO Rz. 29 (Verzinsung und Neutralitätsgrundsatz), 38 ff. (zu den Grundrechtsmaßstäben im Allgemeinen), Rz. 50 (zur Verzinsung), jeweils Nov. 2022.

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die dauerhafte Ausweitung des Verlustrücktrags auf zwei Jahre ab 2022,



die Verlängerung der Reinvestitions-/Investitionsfristen in §§ 6b, 7g EStG,



die Verlängerung der degressiven AfA um ein Jahr und



die Steuerfreiheit von Corona-Sonderzahlungen nach § 3 Nr. 11b EStG sowie



die Fortführung der steuerfreien Zuschüsse des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld nach § 3 Nr. 28 EStG.

Der Gesetzgeber hat das Vierte CoronaStHG aber auch genutzt, um sich der Abzinsung der Schulden anzunehmen: Die Regelung zur Abzinsung von Verbindlichkeiten in § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG wurde aufgehoben und die Abzinsungsregelung in Nr. 3a Buchst. e EStG überführt, da an der Abzinsung von Rückstellungen festgehalten werden soll (vorher hatte Nr. 3a auf Nr. 3 verwiesen, weshalb eine eigenständige Regelung bis zur Änderung der Nr. 3 nicht erforderlich war). Dazu ist im Einzelnen anzumerken: Für die Verbindlichkeitenbewertung hat sich seit jeher die Frage gestellt, inwieweit Verbindlichkeiten, die keine offene Zinsabrede enthielten, abzuzinsen sind. Die Rechtsprechung hatte dies im Einzelfall für möglich gehalten, erkannte aber auch tatsächlich unverzinsliche (und damit nicht abzuzinsende) Verbindlichkeiten an.132 Dieser Einzelfallbezug störte den Gesetzgeber. Dieser ordnete daher mit dem StEntlG 1999/ 2000/2002 vom 24.3.1999133 in § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG an, dass Verbindlichkeiten mit einem Zinssatz von 5,5% abzuzinsen sind. Von der Abzinsung ausgenommen waren nur Verbindlichkeiten, deren Laufzeit am Bilanzstichtag weniger als zwölf Monate betrug, und Verbindlichkeiten, die verzinslich sind oder auf einer Anzahlung oder Vorausleistung beruhen. Ob wirklich ein verdecktes Kreditgeschäft vorlag oder nicht, war damit irrelevant. Es musste unter den vorgenannten Voraussetzungen immer abgezinst werden. In der Folgezeit musste sich die Rechtsprechung dann vor allem mit der Frage befassen, ob die Regelung auch für Gesellschafterdarlehen gilt134 und wann eine verzinste Verpflichtung 132 Zur „Ursprungsrechtslage“ erst einmal nur Weber-Grellet in Festschr. L. Schmidt, 1993, 161 mit weiteren Nachweisen. 133 BGBl. I 1999, 402. 134 Bejaht von BFH v. 27.1.2010 – I R 35/09, BStBl. II 2010, 478 = FR 2010, 519 m. Anm. Buciek = GmbHR 2010, 438; v. 25.8.2010 – I R 102/09, BStBl. II

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iSd. Ausnahmeregelung vorlag. Der BFH hat Letzteres selbst für eine minimale Verzinsung angenommen.135 Eine Regelung, deren Rechtsfolge man durch die Vereinbarung einer Minimalverzinsung vermeiden kann, ist freilich sehr zweifelhaft. Mit dem Vierten CoronaStHG hat der Gesetzgeber diese strikte Abzinsungsregelung mit Wirkung für die Verbindlichkeiten aufgehoben. Angesichts von Null- und Strafzinsen habe sich, so der Gesetzgeber, der anlässlich der Einführung der Regelung beschriebene Realbefund grundlegend geändert. Zudem diene die Abschaffung der „Steuervereinfachung“ und dem „Bürokratieabbau“.136 Die Aufhebung der Abzinsungsregelung in Nr. 3 bedeutet indes nur, dass es keine strikte Abzinsungspflicht mehr für Verbindlichkeiten gibt. Das „Thema Abzinsung“ bleibt dem Rechtsanwender aber erhalten: Erstens hält der Gesetzgeber für Rückstellungen an der strikten Abzinsungsverpflichtung fest. Die vormals in Nr. 3 normierte Abzinsungsregelung befindet sich nunmehr in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG. Insoweit begleitet den Rechtsanwender vor allem auch weiterhin die Frage, ob der Zinssatz von 5,5%, der im Gesetz zwingend vorgegeben ist, verfassungsgemäß ist.137 Zweitens können Verbindlichkeiten auch ohne eine ausdrückliche Abzinsungspflicht abzuzinsen sein. Zwar gilt nunmehr im Ausgangspunkt 2011, 169 = FR 2011, 238 = GmbHR 2010, 1270; v. 22.10.2015 – I B 122/14, BFH/NV 2016, 405. 135 BFH v. 13.7.2017 – VI R 62/15, BStBl. II 2018, 15 Tz. 21; v. 22.5.2019 – X R 19/17, BStBl. II 2019, 795 Tz. 76 = FR 2019, 1131 m. Anm. Kanzler. 136 BT-Drucks. 20/1906, 45 (Finanzausschuss). 137 Nach Ansicht des BFH ist der Zinssatz (jedenfalls) für das Jahr 2010 verfassungsrechtlich unbedenklich (BFH v. 22.5.2019 – X R 19/17, BStBl. II 2019, 795 Tz. 77 ff. = FR 2019, 1131 m. Anm. Kanzler.; ebenso BFH v. 8.10.2014 – VIII B 115/13, BFH/NV 2015, 200 zu § 12 Abs. 3 BewG und BFH v. 14.7.2020 – VIII R 3/17, ECLI:DE:BFH:2020:U.140720.VIIIR3.17.0, BStBl. II 2020, 813 zu = FR 2022, 1043 § 13 Abs. 1 BewG für 2013). Die FG nehmen zum Teil eine verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit sogar für das Jahr 2016 an (So FG Münster v. 22.7.2021 – 10 K 1707/20, EFG 2021, 1811). Das wird allerdings vermehrt angezweifelt (FG Hamburg v. 31.1.2019 – 2 V 112/18, EFG 2019, 525 für die Jahre 2013 und 2015; vgl. auch FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, FR 2018, 24 = EFG 2018, 287 zu § 6a Abs. 3 Satz 2 EStG im VZ 2015 – Vorlage an BVerfG 2 BvL 22/17 – sowie BFH v. 29.4.2020 – XI R 39/18, BStBl. II 2021, 517 zu = FR 2020, 1049 m. Anm. Kanzler = GmbHR 2020, 1139 = ZIP 2020, 1861 § 6b Abs. 7 EStG ab 2011).

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wieder die Grundregel, dass eine Abzinsung zu unterbleiben hat. Denn ansonsten würde es entgegen der Regelung in § 6 Abs. 1 Nr. 3 iVm. Nr. 2 und dem Realisationsprinzip zum Ausweis eines noch nicht realisierten Ertrags kommen.138 Dieser Grundsatz entbindet aber nicht von der Prüfung, ob eine Verbindlichkeit einen offenen oder verdeckten Zinsanteil enthält. Denn es gilt ebenso der Grundsatz, dass ein formal einheitliches Geschäft entsprechend seinem wirtschaftlichen Gehalt in zwei Geschäfte aufzuteilen sein kann, nämlich in die Verbindlichkeit einerseits und das Kreditgeschäft andererseits. Die Verbindlichkeit ist mit dem Barwert zu bewerten (also „abgezinst“). Soweit das Kreditgeschäft noch schwebt, dürfen die Zinsen nicht als Verbindlichkeit ausgewiesen werden; die Zinsen werden erst dann passiviert, wenn der Steuerpflichtige in Erfüllungsrückstand gerät. An diesen Grundsätzen hat sich mit der Aufhebung der Abzinsungsverpflichtung durch das Vierte CoronaStHG nichts geändert. Ob entsprechend den vorstehenden Grundsätzen ein isolierbares Kreditgeschäft vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Frage stellt sich allerdings idR erst, wenn zwischen Begründung und Fälligkeit der Verbindlichkeit ein längerer Zeitraum liegt.139 Zu berücksichtigen sind geschäftliche Übung und das wirtschaftlich Übliche,140 vor allem aber der objektiv erkennbare wirtschaftliche Gehalt einer Vereinbarung. Ein Kreditgeschäft ist daher z.B. beim Leasing anzutreffen, wenn das Leasinggeschäft steuerrechtlich als Veräußerungsvorgang zu qualifizieren ist.141 Ein Kreditgeschäft liegt ansonsten vor allem dann nahe, wenn eine Verbindlichkeit mit einem niedrigeren Betrag vorzeitig abgelöst werden kann oder wenn für ein Wirtschaftsgut ein sofort zahlbarer (niedrigerer) und ein in Raten zahlbarer (höherer) Kaufpreis existieren.142 Ein weiteres Beispiel für eine nach wie vor abzuzinsende Verpflichtung ist schließlich eine auf das Leben des Begünstigten bezogene Rentenver-

138 So bereits BFH v. 15.7.1998 – I R 24/96, BStBl. II 1998, 728 = FR 1998, 996. 139 BFH v. 15.7.1998 – I R 24/96, BStBl. II 1998, 728 = FR 1998, 996. 140 Vgl. BFH v. 15.7.1998 – I R 24/96, BStBl. II 1998, 728 = FR 1998, 996 (es entspreche banküblicher Geschäftspraxis, Kreditgeschäfte zu verzinsen). 141 Also das wirtschaftliche Eigentum an dem Leasinggegenstand auf den Leasingnehmer übergeht und deshalb steuerrechtlich ein Veräußerungsgeschäft vorliegt (eingehend Krumm in Brandis/Heuermann, § 5 EStG Rz. 1047 [Dez. 2021]). 142 Ähnlich Weber-Grellet in Festschr. L. Schmidt, 1993, 161, 163.

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pflichtung.143 Zu verneinen ist ein eigenständiges Kreditgeschäft hingegen immer bei gesetzlichen Verpflichtungen.144 Entsprechendes gilt, wenn sich bei einem Darlehen Auszahlungs- und Rückzahlungsbetrag entsprechen.145 Ergänzend wird auf Folgefragen im Zusammenhang mit der Zinsschranke hingewiesen, die in diesem Band von Prinz erörtert werden.146

VII. Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts Am 24.6.2021, also noch kurz vor Ende der vorhergehenden Legislaturperiode, wurde das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) vom Bundestag beschlossen und nach Zustimmung durch den Bundesrat im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.147 Es tritt am 1.1.2024 in Kraft. Inhalt des MoPeG sind die Änderungen der Bestimmungen des BGB zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder, genauer gesagt, die Anpassung des geschriebenen Rechts an die in der jüngeren Vergangenheit ergangene Zivilrechtsprechung. Ein für das Steuerrecht zentraler Punkt ist die Aufhebung der §§ 718, 719 BGB, in denen (noch) die Zuordnung des Gesellschaftsvermögens zu den Gesellschaftern geregelt ist. Stattdessen wurde in § 713 BGB eine Regelung neu geschaffen, nach der das Vermögen der Gesellschaft selbst zusteht. Diese oft als „Abschaffung des Gesamthandsprinzips“ bezeichnete Gesetzesänderung wurde im steuerrechtlichen Schrifttum als höchstproblematisch bezeichnet: Die transparente Besteuerung gem. § 15 EStG habe keine rechtliche Grundlage mehr; die Einbringungstatbestände des § 6 Abs. 5 EStG laufen leer, da es kein Gesamthandsvermögen mehr gebe; Gleiches gelte für die §§ 5, 6

143 Krumm in Brandis/Heuermann, § 6 EStG Rz. 1179 (Mai 2023); für die Rechtslage vor dem StEntlG 1999 auch BFH v. 27.1.1998 – VIII R 64/96, FR 1998, 784, BStBl. II. 1998, 537; v. 30.7.2003 – X R 12/01, BStBl. II 2004, 211 = FR 2004, 342. 144 Tiedchen in Beck-OGK Bilanzrecht § 253 HGB Rz. 28. 145 BFH v. 12.12.1990 – I R 153/86, BStBl. II 1991, 479; v. 30.11.2005 – I R 1/05, BFH v. 30.11.2005 – I R 1705, BStBl. II 2006, 471 = FR 2006, 609. = GmbHR 2006, 558. 146 S.u. Prinz, S. 521. 147 BGBl. I 2021, 3436.

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Benz/Krumm, Steuergesetzgeberische Vorhaben der neuen Bundesregierung

GrEStG und die erbschaftsteuerliche Begünstigung von Personengesellschaftsanteilen.148 Problematisch an dem Gesetzgebungsverfahren war, dass – dem Vernehmen nach – das BMF in das Gesetzgebungsverfahren nicht involviert war, und auch nicht involviert werden sollte. Das BMJV schrieb zu den steuerlichen Auswirkungen des MoPeG lediglich: „Änderungen an den ertragsteuerlichen Grundsätzen bei der Besteuerung von Personengesellschaften sind mit dem vorliegenden Entwurf nicht verbunden. Dies gilt insbesondere für die transparente Besteuerung von Personengesellschaften. Soweit in den Steuergesetzen von Gesamthandsvermögen gesprochen wird, ist dies bei rechtsfähigen Personengesellschaften dahingehend zu verstehen, dass damit das Vermögen der Gesellschaft in Abgrenzung zum Vermögen der einzelnen Gesellschafter (Sonderbetriebsvermögen) gemeint ist.“ Damit hoffte das BMJV und ihm folgend der Bundestag, dass das Problem gelöst sei. Nach der Rechtsprechung des BVerfG149 muss das Gewollte sich aber im Gesetzestext wiederfinden; eine Darstellung in der Gesetzesbegründung ist nicht ausreichend. Dementsprechend hat das BMF in der aktuellen Legislaturperiode begonnen, an gesetzlichen Klarstellungen zu arbeiten, dass das bestehende Steuerrecht durch das MoPeG nicht geändert werden soll. Ursprünglich sollte durch ein MoPeG-Anpassungsgesetz lediglich § 39 AO iS der vorgenannten Gesetzesbegründung ergänzt werden.150 Die Antworten der Staatssekretärin Katja Hessel auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSUFraktion zu den steuerlich notwendigen Anpassungen an das MoPeG zeigen, dass bis sechs Monate vor Inkrafttreten des MoPeG noch keine

148 Vgl. zu allem ausführlich Benz, StbJb. 2021/2022, 139; aktuell Röder, DStR 2023, 1085, mwN; zur möglichen Verfassungswidrigkeit der Mitunternehmerschaftsbesteuerung vgl. auch den sehr lesenswerten Beitrag von Seer, StuW 2023, 30 (mit einer ausführlichen historischen Herleitung der Regelung des § 15 EStG). 149 BVerfG v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfG v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, BVerfGE 133, 168. 150 Bislang gibt es hierzu lediglich einen Referentenentwurf. Der Gesetzesvorschlag lehnt sich an den Vorschlag von Möhlenbrock/Haubner, FR 2022, 53 (54) an. Hiernach soll § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO wie folgt geändert werden: „Wirtschaftsgüter, die mehreren zur gesamten Hand oder als Gesellschaftern einer rechtsfähigen Personengesellschaft (Gesamthand) zustehen, werden den Beteiligten anteilig zugerechnet, soweit eine getrennte Zurechnung für die Besteuerung erforderlich ist.“.

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zufriedenstellende Antwort auf die steuerlichen Herausforderungen des MoPeG gefunden werden konnte.151 Mittlerweile wurden ausführliche Regelungen in einen Regierungsentwurf eines Wachstumschancengesetzes152 aufgenommen, ua. auch in § 39 AO.153 Der Gesetzentwurf wird voraussichtlich erst im September 2023 vom Bundeskabinett verabschiedet werden. Die Probleme im Grunderwerbsteuerrecht sollen im Rahmen einer Revision des gesamten GrEStG gelöst werden. In der eigens dafür einberufenen Bund-/Länder-Arbeitsgruppe zeigten sich lange unterschiedliche politische Einstellungen, so dass bis Mitte 2023 noch keine Lösung gefunden wurde. Mitte Juni wurde jedoch ein erster Entwurf eines Grunderwerbsteuernovellengesetzes vorgelegt.154 Ob dieses tatsächlich parlamentarisch verabschiedet wird, ist offen, sieht doch der Regierungsentwurf des Wachstumsmodernisierungsgesetzes parallel eine Neuregelung der besonders problematischen §§ 5, 6 GrEStG vor.

151 Vgl. BMF v. 12.6.2023, BT-Drucks. 20/7216, auf die kleine Anfrage v. 26.5.2023, BT-Drucks. 20/7012. 152 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness, Bearbeitungsstand 11.8.2023. 153 § 39 AO Abs. 2 AO soll demnach lauten: „Wirtschaftsgüter, die mehreren zur gesamten Hand oder einer rechtsfähigen Personengesellschaft zustehen, werden den Beteiligten oder Gesellschaftern anteilig zugerechnet, soweit eine getrennte Zurechnung für die Besteuerung erforderlich ist. Rechtsfähige Personengesellschaften gelten für Zwecke der Ertragsbesteuerung als Gesamthand und deren Vermögen als Gesamthandsvermögen.“ 154 Diskussionsentwurf v. 15.6.2023 für ein Gesetz zur Novellierung des Grunderwerbsteuergesetzes.

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Bestandsaufnahme Optionsmodell Dr. Alexander Bohn Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Köln Tim Hannig, M.C.L., EMBA1 Ministerialrat, Düsseldorf I. Einführung (Bohn) II. Grundkonzeption des § 1a KStG (Hannig) 1. Richtungsentscheidung des Gesetzgebers 2. Rechtstechnische Ausgestaltung 3. Wirkung der Option 4. Unterschiede zum echten Formwechsel 5. Folgen der hybriden Struktur III. Optionsmodell in der praktischen Anwendung – Status Quo 1. Reaktion der Finanzverwaltung (Hannig) 2. Aufnahme in der Praxis (Bohn) 3. Mögliche Hürden für eine Optionsausübung (Bohn) 4. Evaluierung des Optionsmodells (Hannig) IV. Rechtliche Bestandsaufnahme 1. Weg in die KSt-Option (Hannig) a) Optionsberechtigung b) Antragstellung und Beschlussfassung c) Entscheidung über den Antrag 2. Übergang zur Körperschaftsbesteuerung

a) Fiktiver Formwechsel (Hannig) b) Anwendung des UmwStG (Hannig) c) Umgang mit Sonderbetriebsvermögen aa) Mitübertragung auf die Gesamthand (Bohn) bb) Anteile an Komplementär-GmbH (Bohn) cc) Vorabausgliederungsmaßnahmen (Hannig) d) Umgang mit Ergänzungsbilanzen (Bohn) e) Steuerliches Einlagekonto (Bohn) f) Sperrfristen (Bohn) g) Verluste (Bohn) h) Nachversteuerung nach § 34a EStG (Hannig) 3. Laufende Besteuerung a) Zufluss von Gewinnen bei Gesellschaftern (Bohn) b) Organschaft (Bohn) c) Umwandlung der optierenden Gesellschaft (Hannig) d) Ausgewählte internationale Aspekte (Hannig) aa) Abkommensberechtigung

1 Die Ausführungen von Hannig sind nicht in dienstlicher Eigenschaft gefertigt und geben ausschließlich die persönliche Sichtweise des Verfassers wieder.

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Bohn/Hannig, Bestandsaufnahme Optionsmodell bb) Wegzugsbesteuerung und Hinzurechnungsbesteuerung cc) Verhältnis zur MutterTochter- und Zins- und Lizenz-Richtlinie

4. Beendigung der Option und ihre Folgen a) Rückoption (Hannig) b) Beendigung kraft Gesetzes (Bohn) V. Ausblick (Hannig)

I. Einführung (Bohn) Mit der Einführung eines sog. Optionsmodells in § 1a KStG durch das Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts (KöMoG)2 hat der Gesetzgeber den bislang weitreichendsten Versuch unternommen, Steuerbelastungsunterschiede3 zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften zu mindern bzw. zu beseitigen. Bestimmte Personenhandelsund Partnerschaftsgesellschaften können erstmals mit Wirkung ab dem 1.1.2022 für ertragsteuerliche Zwecke zur Besteuerung nach dem Körperschaftsteuer-Regime optieren, ohne die gesellschaftsrechtliche Form der Personengesellschaft ändern zu müssen.4 Mit der KörperschafsteuerOption hat der Gesetzgeber das Instrumentarium steuerlicher Rechtsformwahlmöglichkeiten erweitert und das dualistische Besteuerungskonzept dadurch durchlässiger gestaltet. Von der Wirtschaft wird das Optionsmodell bislang eher zurückhaltend genutzt, was Politik und Verwaltung zum Anlass genommen haben, die Körperschaftsteuer-Option zusammen mit der Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG einer Evaluierung zu unterziehen, um beide Instrumente auf ihre Praxistauglichkeit hin zu überprüfen.5 Dieser Beitrag unterzieht das Options2 Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2050. 3 Zu den Belastungsunterschieden eingehend Blöchle/Dumser, GmbHR 2022, 72 (73 ff.); Kahsnitz, NWB 2021, 2100 (2104 f.). 4 Nach dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz) v. 17.7.2023, abrufbar im Internet unter: https://www.bun desfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorha ben/Abteilungen/Abteilung_IV/20_Legislaturperiode/2023-07-17-Wachstums chancengesetz/1-Referentenentwurf.pdf?__blob=publicationFile&v=2, soll eine Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs auf sämtliche Personengesellschaften erfolgen. 5 Mit dem Wachstumschancengesetz soll ausweislich der Gesetzesbegründung daher die Attraktivität der Option zur Körperschaftsbesteuerung nach § 1a

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Bohn/Hannig, Bestandsaufnahme Optionsmodell

modell fast genau zwei Jahre nach seiner Einführung einer kritischen Bestandsaufnahme. Es wird zum einen aufgezeigt, wo de lege lata die praktischen und rechtlichen Optionshindernisse liegen. Dabei wird insbesondere auch die Position der Finanzverwaltung in den Blick genommen und abgeglichen, bei welchen Rechtsfragen noch weitergehender Klärungsbedarf besteht. Darüber hinaus werden im Hinblick auf die laufende Evaluierung der Körperschaftsteuer-Option Überlegungen angestellt, wie das Optionsmodell zukünftig attraktiver ausgestaltet werden könnte.

II. Grundkonzeption des § 1a KStG (Hannig) 1. Richtungsentscheidung des Gesetzgebers Mit dem Übergang eines Rechtsträgers von der transparenten Besteuerung als Mitunternehmerschaft zum kapitalistischen Besteuerungsregime hat der Gesetzgeber angestammte Pfade nicht verlassen müssen. Derselbe Systemwechsel vollzieht sich beim echten Formwechsel. Sowohl die regelungstechnische Umsetzung als auch die sich aus dem Wechsel des Besteuerungsregimes ergebenden steuerlichen Konsequenzen sind im UmwStG detailliert geregelt. Es ist daher naheliegend, wenn der KöMoG-Gesetzgeber hieran anknüpft und bei der Konzeptionierung von § 1a KStG einen weitestgehenden Gleichlauf mit dem echten Formwechsel vollzieht.6 Um im Grundsatz das gleiche Belastungsergebnis zu erreichen wie mit einem echten Formwechsel, wird die optierende Gesellschaft für Zwecke des Ertragssteuerrechts einer Kapitalgesellschaft und ihre Gesellschafter den nicht persönlich haftenden Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft gleichgestellt.7 Mit der KSt-Option steht damit den Gesellschaftern von Personenhandelsgesellschaften neben der Beibehaltung der transparenten Besteuerung, der Inanspruchnahme der Sondertarifierung nach § 34a EStG und der Möglichkeit, einen echten Formwechsel nach § 190 Abs. 1 UmwG durchzuführen, ein weiteres Instrument zur Verfügung, um die individuelle Steuersituation zu optimieren.

KStG gesteigert werden; vgl. Referentenentwurf des Wachstumschancengesetzes v. 17.7.2023, S. 2. 6 Vgl. Brühl in Micker/Pohl, BeckOK KStG, § 1a Rz. 259 f. (7/2022); Rickermann, DB 2021, 1035. 7 Vgl. BT-Drucks. 19/28656, 1 f.

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2. Rechtstechnische Ausgestaltung Der Gleichlauf mit dem echten Formwechsel zeigt sich im besonderen Maße bei der rechtstechnischen Ausgestaltung des Wechsels in die Körperschaftsbesteuerung. Nach § 1a Abs. 2 Satz 1 KStG gilt der Übergang zur Körperschaftsbesteuerung als Formwechsel im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 3 UmwStG (fiktiver Formwechsel).8 Gemäß § 1a Abs. 2 Satz 2 KStG sind § 1 und § 25 UmwStG entsprechend anzuwenden, so dass sich der Übergang zur Körperschaftsbesteuerung nach den für den echten Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft geltenden umwandlungssteuerrechtlichen Vorschriften richtet. Die Rückoption, also die freiwillige Rückkehr zur transparenten Besteuerung, stellt sich rechtstechnisch als Umkehrung der Option dar und gilt dementsprechend als Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft (§ 1a Abs. 4 Satz 2 KStG i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwStG). Auch im Übrigen beinhaltet § 1a KStG keine umfassende eigenständige Regelung der KSt-Option, sondern bedient sich im Wesentlichen der Verweistechnik auf bestehende Regelungen (insbesondere Einkommensteuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht), um die optierende Gesellschaft materiell-rechtlich und verfahrensrechtlich in die Körperschaftsbesteuerung einzubetten.9 Der Verweis in § 1a Abs. 2 Sätze 1 und 2 KStG auf die §§ 1 und 25 UmwStG bzw. in § 1a Abs. 4 Satz 2 KStG auf die §§ 9 und 3 ff. UmwStG beinhaltet eine partielle Rechtsgrundverweisung (sog. Verweisungsanalogie), so dass die Voraussetzungen dieser Vorschriften – soweit sie auf den fiktiven Formwechsel passen – vorliegen müssen.10 Darüber hinaus enthält das KöMoG flankierende Anpassungen des GewStG in § 2 Abs. 8 GewStG, des EStG in §§ 17, 20 und 50d Abs. 4 EStG, des ErbStG in §§ 13a, 13b ErbStG, des GrEStG in §§ 5, 6 GrEStG sowie einiger anderer Gesetze (z.B. InvStG, FZulG), die die Regelung des § 1a KStG ergänzen.

8 Vgl. Dreßler/Kompolsek, Ubg 2021, 301 (303); Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 1a Rz. 59 (Juni 2022). 9 Vgl. BT-Drucks. 19/28656, 21. 10 Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 1a Rz. 59 (Juni 2022); Rickermann, DB 2021, 1035 (1036); ausführlich zur Verweistechnik in § 1a Abs. 2 Sätze 1 und 2 KStG siehe Bulk, BB 2022, 1752 ff.; aA von Goldacker/Mathy/ Schuster, BB 2021, 2967 ff., wonach die Norm des § 1a KStG selbst als Rechtsgrundlage für den fiktiven Formwechsel und damit für die Steuerneutralität des Optionsmodells heranzuziehen ist.

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3. Wirkung der Option Die Optionswirkung tritt entsprechend der Reichweite der Fiktion auf Ebene der Gesellschaft sowie auf Anteilseignerebene ein. Dazu bestimmt § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG als zentrale Regelung, dass die optierende Gesellschaft für Zwecke der Besteuerung nach dem Einkommen wie eine Kapitalgesellschaft und ihre Gesellschafter wie die nicht persönlich haftenden Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft behandelt werden. Die Fiktion gilt dabei sowohl materiell-rechtlich als auch verfahrensrechtlich.11 Materiell-rechtlich treten die Rechtswirkungen nach der gesetzlichen Anordnung allein für das Ertragsteuerrecht (KStG, EStG, GewStG,12 AStG, UmwStG, InvStG, ZerlG) ein,13 so dass die optierende Gesellschaft insbesondere für Zwecke der Umsatzsteuer, der Erbschaftund Schenkungsteuer sowie der Grunderwerbsteuer prinzipiell weiterhin als Personengesellschaft behandelt wird.14 Die durch einen wirksamen Optionsantrag ausgelöste Fiktion bewirkt, dass auf die optierende Gesellschaft im Grundsatz dieselben steuerlichen Regelungen anzuwenden sind wie auf eine Kapitalgesellschaft. Nicht auf die optierende Gesellschaft anwendbar sind dagegen diejenigen Regelungen, die einen spezifischen Rechtsformbezug enthalten und nicht für alle Kapitalgesellschaften gleichermaßen gelten, wie z.B. § 9 Nr. 1 KStG (KGaA) oder § 10 Abs. 1a Nr. 2 Buchst. c EStG (GmbH).15 Aus der Einordnung als (fiktiver) Formwechsel können sich bedeutsame Folgewirkungen ergeben,16 was eine sorgfältige Vorbereitung und Planung der Optionsausübung nahelegt. Die zentralen steuerlichen Konsequenzen betreffen den Übergang vom Transparenz- zum Trennungsprinzip, die Aufdeckung der stillen Reserven im Betriebsvermögen, sofern kein Antrag nach § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG gestellt oder funktional wesentliches Sonderbetriebsvermögen zurückbehalten wird, die Sperrfristverhaftung der Anteile an der optierenden Gesellschaft nach § 22 UmwStG, sofern die optierende Gesellschaft das Betriebsvermögen mit dem Buch- oder Zwi11 Vgl. BT-Drucks. 19/28656, 21. 12 Aufgrund der ausdrücklichen Regelung in § 2 Abs. 8 GewStG hat die Optionsausübung auch Auswirkungen auf die Gewerbesteuer. 13 Vgl. BT-Drucks. 19/28656, 21. 14 Für die Grunderwerbsteuer sind allerdings die durch das KöMoG eingeführten Sonderregelungen in den §§ 5, 6 GrEStG, für die Erbschaft- und Schenkungsteuer die Änderungen in §§ 13a, 13b ErbStG zu beachten. 15 BT-Drucks. 19/28656, 21; BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 51. 16 Vgl. dazu Brühl/Weiß, DStR 2021, 889 (893).

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schenwert angesetzt hat, die Nachversteuerung eines vorhandenen nachversteuerungspflichtigen Betrages nach § 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 EStG sowie den Untergang bestehender gewerbesteuerlicher Fehlbeträge nach § 10a GewStG.17

4. Unterschiede zum echten Formwechsel Ungeachtet der Anlehnung der KSt-Option an den Formwechsel nach § 25 UmwStG bestehen zwischen beiden formwechselnden Umwandlungen beachtliche Unterschiede. Anders als bei einem echten Formwechsel hat die Ausübung der Option ausschließlich ertragsteuerliche Wirkung, so dass die optierende Gesellschaft zivilrechtlich als Personengesellschaft fortbesteht. Es findet kein zivilrechtlicher Umwandlungsakt statt und es kommt damit zivilrechtlich auch nicht zur Gewährung neuer Gesellschaftsanteile an dem formgewechselten Rechtsträger. Das macht es gestalterisch erforderlich, den steuerlichen Vermögensübergang, insbesondere hinsichtlich der mit einzubringenden wesentlichen Betriebsgrundlagen, in schuldrechtlichen Nebenvereinbarungen zu regeln.18 Hinzu kommt, dass nach dem Gesetzeswortlaut („wie eine Kapitalgesellschaft“) eine Hinein-Option in eine bestimmte Kapitalgesellschaft (z.B. GmbH) nicht möglich ist; beim echten Formwechsel hingegen wird die Zielrechtsform durch den zivilrechtlichen Umwandlungsakt vorgegeben. Ein weiterer wichtiger Unterschied besteht in der mangelnden Rückbeziehungsfähigkeit von Option und Rückoption (vgl. § 1a Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2, Abs. 4 Satz 2 KStG). Ein Wechsel zur intransparenten Besteuerung bzw. eine Rückkehr zum transparenten Besteuerung ist damit nur für Wirtschaftsjahre möglich, die dem Wirtschaftsjahr der Antragstellung bzw. dem Eintritt eines gesetzlichen Beendigungsereignisses nachfolgen. Darüber hinaus unterscheiden sich beide Formwechsel hinsichtlich der Regelungen zum Zeitpunkt der Versteuerung der Gewinnanteile. Als Folge eines echten Formwechsels sind die Gewinnanteile aus der „ech-

17 Zu den Folgen des fiktiven Formwechsels im Einzelnen siehe Brühl in Micker/Pohl, BeckOK KStG, § 1a Rz. 264 ff. (7/2022); Rickermann, DB 2021, 1035 (1036 ff.). 18 Angedeutet in BT-Drucks. 19/28656, 23.

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ten“ Kapitalgesellschaft von den Gesellschaftern grds. nicht bei „Ausschüttung“ zu versteuern, sondern erst bei Zufluss i.S.v. § 11 EStG, es sei denn, es handelt sich um einen beherrschenden Gesellschafter, bei dem ein früherer Zufluss fingiert wird.19 Zivilrechtlich besteht trotz der Option nach § 1a KStG eine Personengesellschaft, so dass die Gewinnanteile den Gesellschaftern handelsrechtlich grds. phasengleich auf den Schluss des Wirtschaftsjahres zugerechnet werden, in dem sie erzielt wurden.20 Dieser Grundsatz der „Vollausschüttung“ wird für die optierende Gesellschaft modifiziert. Gewinnanteile gelten gem. § 1a Abs. 3 Satz 5 KStG erst dann als ausgeschüttet, wenn sie entnommen werden oder ihre Auszahlung verlangt werden kann. Um auch in der optierenden Gesellschaft die belastungsneutrale Thesaurierung von Gewinnen wie bei einer Kapitalgesellschaft zu erreichen, sind die gesellschaftsrechtlichen Regelungen zu den Kapitalkonten sowie zur Thesaurierung von Gewinnanteilen vor Ausübung der Option auf § 1a Abs. 3 Satz 5 KStG abzustimmen.21

5. Folgen der hybriden Struktur Durch den fiktiven Formwechsel entsteht ein hybrides Rechtsgebilde; zivilrechtliche und steuerliche Behandlung fallen auseinander. Dadurch ergibt sich ein wesentlicher Vorteil der KSt-Option gegenüber dem echten Formwechsel, da eine steuerlich günstige Thesaurierungsmöglichkeit mit der Beibehaltung der gesellschaftsrechtlichen Flexibilität einer Personengesellschaft verknüpft werden kann. Andererseits kann diese hybride Struktur auch zu Schnittstellenproblemen führen, wenn entweder die zivilrechtlichen Rahmenbedingungen der Personengesellschaft im Querstand zu den Regelungen des Körperschaftsteuerrechts stehen oder sich aus sonstigen Gründen Reibungspotential ergibt. Das betrifft insbesondere die folgenden Bereiche:

19 Vgl. BFH v. 2.12.2014 – VIII R 2/12, BFH v. 2.12.2014 – VIII R 783/08, BStBl. II 2015, 333. = FR 2015, 952 = GmbHR 2015, 371 Werden die Anteile an der Kapitalgesellschaft in einem Betriebsvermögen gehalten, kommt es abweichend von § 11 EStG auf die Gewinnrealisation und damit auf den Gewinnverwendungsbeschluss an (BFH v. 7.8.2000 – GrS 2/99, BStBl. II 2000, 632 = FR 2000, 1126 m. Anm. Kempermann = GmbHR 2000, 1106 m. Anm. Hoffmann). 20 Vgl. Kelm/Rindermann/Hennrichs, WPg 2021, 1166 (1176 f.). Das ist aber bspw. nicht der Fall, wenn die Gewinne vorgetragen oder der Kapitalrücklage zugeführt werden. 21 Vgl. Carlé, NWB 2021, 2270 (2273).

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Thesaurierung/Gewinnausschüttungen: Vermeidung einer Ausschüttungsbesteuerung



Organschaft: Organgesellschaftsfähigkeit der optierenden Gesellschaft



Umwandlung der optierenden Gesellschaft: Auseinanderfallen des zivilrechtlichen und steuerlichen Umwandlungssubjekts



Behandlung im internationalen Kontext: drohende Qualifikationskonflikte



Grunderwerbsteuer: Doppelbegünstigung und daraus resultierende (überschießende) Missbrauchsvermeidungsregelungen

III. Optionsmodell in der praktischen Anwendung – Status Quo 1. Reaktion der Finanzverwaltung (Hannig) Die Finanzverwaltung hat bereits knapp fünf Monate nach Inkrafttreten des KöMoG, und damit rechtzeitig vor Ablauf der Antragsfrist zur Optionsausübung für den Besteuerungszeitraum 2022, ein umfassendes Anwendungsschreiben zur KSt-Option vorgelegt. In dem BMF-Schreiben vom 10.11.202122 behandelt die Finanzverwaltung wichtige praxisrelevante Einzelfragen und schafft dadurch in vielen Bereichen Rechtssicherheit.23 Das BMF-Schreiben sucht dabei – im Einklang mit der gesetzgeberischen Intention – den Gleichlauf zum echten Formwechsel und lehnt sich bei der Behandlung von Auslegungsfragen im Grundsatz eng an die Vorgaben des Gesetzeswortlauts des § 1a KStG an. Insofern dem Verwaltungserlass in der Literatur vereinzelt vorgeworfen wird, er würde die Planungssicherheit und die Anwendung der KSt-Option für die Unternehmen zusätzlich erschweren,24 kann dem pauschal nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, dass das BMF-Schreiben vom 10.11.2021 für die

22 BMF. v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212. 23 Der Verwaltungserlass zu § 1a KStG wurde in der Literatur im Grundsatz positiv aufgenommen, vgl. etwa Dreßler/Kompolsek, Ubg. 2022, 1 ff.; Böhmer/ Schewe, FR 2022, 69 ff.; Prinz, FR 2023, 1 (2). Sehr kritisch hingegen Wernberger/Wangler, DStR 2022, 1513 ff., wobei verkannt wird, dass der Verwaltung bei der Gesetzesauslegung durch den eindeutigen Gesetzeswortlaut sowie die in der Gesetzesbegründung hinterlegte Intention des Gesetzgebers deutliche Grenzen gesetzt worden sind. 24 Wernberger/Wangler, DStR 2022, 1513 ff.

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Praxis bedeutsame Klarstellungen und Erleichterungen enthält,25 ist der Hauptgrund für die bislang nur eingeschränkte Praxistauglichkeit des Optionsmodells im Wesentlichen im Gesetz selbst sowie der Anlehnung an den echten Formwechsel und nicht in einer vermeintlich zu restriktiven Gesetzesauslegung durch die Finanzverwaltung zu suchen. Eine evtl. Korrektur eines im Wortlaut eindeutigen Gesetzes obliegt in erster Linie dem Gesetzgeber. Allenfalls in bestimmten Konstellationen ist es der Judikative, nicht aber der Exekutive,26 möglich, eine korrigierende Gesetzesauslegung vorzunehmen.

2. Aufnahme in der Praxis (Bohn) Mit dem Ziel, rechtsformabhängige Belastungsunterschiede zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften zu mindern bzw. zu beseitigen, hat der Gesetzgeber bereits in der Vergangenheit eine Reihe von Regelungen getroffen, die zumindest eine punktuelle Annäherung der unterschiedlichen Besteuerungsregime bewirken sollten. Allen voran zu nennen ist hier die Einführung einer Thesaurierungsbesteuerung, mittels derer nicht entnommene Gewinne einer Personengesellschaft durch Anwendung eines Sondertarifs gemäß § 34a EStG begünstigt werden sollen. Gleichwohl hat er bislang – jedenfalls im Grundsatz – an der traditionell dichotomen Orientierung des Unternehmenssteuerrechts an der zivilrechtlichen Rechtsform festgehalten. Auch wenn der Regelungszweck des § 34a EStG in Gestalt der Herstellung einer weitgehenden Belastungsneutralität zwischen Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen nicht zuletzt aufgrund der weiten Verbreitung von Personenunternehmen in Deutschland weit-

25 Vgl. etwa Rz. 2: Optionsberechtigung auch für vermögensverwaltende Personengesellschaften in der Rechtsform einer Personenhandelsgesellschaft, Rz. 26, 28: Einbringungsgegenstand „Mitunternehmeranteile“ und damit Eröffnung einer gesellschafterbezogenen Anwendung des UmwStG, Rz. 34: Erleichterungen bei der mit der Optionsausübung verknüpften Übertragungen in das Gesamthandsvermögen, Rz. 36: Möglichkeit der Buchwertfortführung für das zurückbehaltene Vermögen bei Betriebsaufspaltung. 26 Zu den Grenzen verwaltungsseitiger Gesetzesinterpretation im Zusammenhang mit sachlichen Billigkeitsmaßnamen der Verwaltung bei Sanierungsmaßnahmen zuletzt BFH, v. 28.11.2016 – GrS 1/15, ECLI:DE:BFH:2016: B.281116.GrS1.15.0, BStBl. II 2017, 393 = FR 2017, 296. = GmbHR 2017, 310 m. Anm. Hinder/Broekmann = ZIP 2017, 338.

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hin anerkannt wird,27 stehen die Vorschriften des § 34a EStG aufgrund ihrer konkreten Ausgestaltung durchaus in der Kritik bzw. werden als nicht weitgehend genug empfunden, um die angestrebte Belastungsneutralität herzustellen.28 Mit der Einführung des Optionsmodells in § 1a KStG unternimmt der Gesetzgeber nunmehr den bislang weitreichendsten Versuch einer Angleichung der Besteuerungssituation.29 Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass das Optionsmodell insbesondere bei größeren mittelständischen Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen, an deren Spitze häufig Personengesellschaften stehen oder die zumindest auf nachgeordneten Beteiligungsstufen nicht selten über zahlreiche Personengesellschaften verfügen, grundsätzlich ein großes Interesse hervorgerufen hat. Trotz aller – auch im Folgenden dargestellten Problembereiche – wird gemeinhin konstatiert, dass die gesetzlich neu geschaffene Möglichkeit zur Option zur Körperschaftsteuer von den in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallenden Unternehmen positiv aufgenommen wird.30 Als Vorteile werden diesbezüglich die Möglichkeit zur Stärkung der Eigenkapitalbasis von Personenunternehmen sowie eine Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbsgleichheit mit Unternehmen in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft gesehen. Zudem werden von der (Beratungs-) Praxis durchaus die eingangs beschriebene Richtungsentscheidung des Gesetzgebers in Gestalt eines weitgehenden Gleichklangs mit dem echten Formwechsel und die schnelle Reaktion der Finanzverwal-

27 Siehe etwa Ley, KÖSDI 2007, 15737 (15743); Niehus/Wilke in Herrmann/Heuer/Raupach, § 34a EStG Rz. 3; Schiffers, DStR 2008, 1805; Schneider/Wesselbaum-Neugebauer, FR 2011, 166 (168); Klöpping in Prinz/Kahle, Beck’sches Handbuch der Personengesellschaften5, § 7 Rz. 156. 28 Siehe zB die Zusammenfassung bei Görgen/Bohn in StbJb. 2019/20, 99 (131); Kahsnitz, NWB 2021, 2100; Wacker in Schmidt, EStG38, § 34a Rz. 5 mwN sowie Ley/Bodden in Korn, EStG, § 34a Rz. 8 f.; Niehus/Wilke in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 34a EStG, Rz. 3; Houben/Maiterth, FR 2008, 1044 (1045); Knirsch/Maiterth/Hundsdoerfer, DB 2008, 1405 (1406); Fechner/Bäuml, FR 2010, 744 (745). Eine ausführliche vergleichende Analyse von Optionsmodell und § 34a EStG unternehmen Benz/Hannig, StbJb. 2020/2021, 49 ff. 29 Siehe zur Gesetzesbegründung BT-Drs. 19/28656, 1. 30 Siehe etwa IDW, Stellungnahme an das BMF zur Evaluierung der Option zur Körperschaftsbesteuerung (§ 1a KStG) und der Thesaurierungsbegünstigung (§ 34a EStG) v. 9.1.2023, abrufbar im Internet unter: https://www.idw.de/ IDW/Medien/IDW-Schreiben/IDW-Optionsmodell-KoeStG-Evaluierung-Schrei ben-230109.pdf; Fuhrmann, NWB 2023, 158.

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tung insbesondere durch Veröffentlichung des BMF-Schreibens vom 10.11.202131 zustimmend bzw. positiv hervorgehoben.32 Auf den ersten Blick im Widerspruch dazu steht indes, dass das Optionsmodell in der Praxis – zumindest bislang – sehr zurückhaltend aufgenommen worden ist.33 Die Gründe hierfür sind in erster Linie in den nachfolgend dargestellten Hürden für eine Optionsausübung sowie in Teilen sicherlich auch in der kurzen Vorlaufzeit bis zur erstmöglichen Optionsausübung zu sehen. Schließlich war der Stichtag für die erstmalige Ausübung der Option durch Unternehmen mit einem kalenderjahrgleichen Wirtschaftsjahr bereits der 30.11.2021, während das Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts, mit dem das Optionsmodell eingeführt worden ist, erst am 25.6.2021 und die Auffassung der Finanzverwaltung zu den zahlreichen Zweifelsfragen durch BMF-Schreiben vom 10.11.2021 veröffentlicht wurden. Beleg für die äußerst zurückhaltende Aufnahme des Optionsmodells in der Praxis ist, dass dem Vernehmen nach in 2021 bundesweit lediglich ca. 150 Antragstellungen erfolgt sein sollen.34

3. Mögliche Hürden für eine Optionsausübung (Bohn) In Bezug auf die Ausübung der Option nach § 1a KStG sind in der Beratungspraxis verschiedene Hindernisse aufgetreten, die sich grundlegend in zwei wesentliche Kategorien unterteilen lassen: Zum einen gibt es

31 BMF. v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212. 32 Siehe etwa Bundessteuerberaterkammer, Stellungnahme an das BMF zum Entwurf eines BMF-Schreibens zur Option zur Körperschaftbesteuerung v. 19.10.2021, abrufbar im Internet unter: https://www.bstbk.de/downloads/ bstbk/presse-und-kommunikation/stellungnahmen/BStBK_2021_033_202110-19_Stellungnahme_KSt-Option_ex.pdf; Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, Stellungnahme an das BMF zum Entwurf eines BMF-Schreibens zur Option zur Körperschaftbesteuerung (§ 1a KStG) v. 20.10.2021, abrufbar im Internet unter: https://www.ihk-muenchen.de/ihk/documents/RechtSteuern/Steuerrecht/Neuer-Ordner/20211020-8er-Eingabe-Anwendungsschrei ben_K%C3%B6MoG.pdf. 33 Siehe etwa Deutscher Steuerberaterverband e. v., Stellungnahme S 01/23 v. 10.1.2023, Evaluierung der Option zur Körperschaftsbesteuerung (§ 1a KStG) und der Thesaurierungsbegünstigung (§ 34a EStG), abrufbar im Internet unter: https://www.dstv.de/wp-content/uploads/2023/01/DStV-Stellungnahme-S-01_ 23_-Evaluierung-Optionsmodell-%C2%A7-1a-KStG-und-Thesaurierungsbe guenstigung-%C2%A7-34a-EStG.pdf. 34 Siehe Förster, IStR 2022, 157 (160); Link, DStR 2022, 1599.

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steuerliche Gründe, die im konkreten Fall generell gegen eine Kapitalgesellschaftsbesteuerung und damit auch gegen die Ausübung der Option sprechen. Zum anderen existieren spezifische Problembereiche des Optionsmodells, die aus der gesetzgeberisch gewählten Ausgestaltung des § 1a KStG herrühren. Beispiele für steuerliche Gründe gegen eine Besteuerung als Kapitalgesellschaft und damit auch gegen die Anwendung des Optionsmodells sind u.a.: –

Jährlich oder zumindest regelmäßig hohe Entnahmen der Gesellschafter aus der Personengesellschaft: Folge ist eine Ausschüttungsbesteuerung bei den Gesellschaftern, wodurch die steuerliche Gesamtbelastung höher sein kann als bei Verzicht auf das Optionsmodell und damit bei einer Anwendung der transparenten Besteuerung der Gewinne der Personengesellschaft beim Gesellschafter.



Bewusst transparente Strukturierung wegen steuerlicher Vorteile der Personen- gegenüber einer Kapitalgesellschaft: Beispielhaft zu nennen sind hier die Möglichkeit der Verrechnung von Verlusten (innerhalb der Grenzen des § 15a EStG und unter Berücksichtigung der Mindestbesteuerung nach § 10d EStG) oder der Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern des Betriebsvermögens nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG sowie die mögliche Abschirmwirkung der durch eine gewerbliche Tätigkeit der Personengesellschaft vermittelten Betriebsstätte vor der Wegzugsbesteuerung bei Beteiligungen an Kapitalgesellschaften in der Unternehmensgruppe.



Existenz von ausländischen Gesellschaftern oder Absicht eines Gesellschafters zum Wegzug ins Ausland: In diesem Fall entfaltet die Kapital- oder eine optierende Personengesellschaft keine Abschirmwirkung und es droht eine Wegzugsbesteuerung.

Unter dem Blickwinkel einer normativen Bewertung der geltenden Vorschriften zum Optionsmodell (§ 1a KStG) von größerem Interesse dürften dagegen die spezifischen Problembereiche sein, die sich in der Beratungspraxis als Optionshindernisse herausgestellt haben. Insoweit sind allen voran die folgenden Hürden für eine Optionsausübung zu nennen35: 35 Siehe etwa auch unter Hinweis auf diese und weitere Optionshindernisse IDW, Stellungnahme an das BMF zur Evaluierung der Option zur Körperschaftsbesteuerung (§ 1a KStG) und der Thesaurierungsbegünstigung (§ 34a EStG) v. 9.1.2023, abrufbar im Internet unter: https://www.idw.de/IDW/Me dien/IDW-Schreiben/IDW-Optionsmodell-KoeStG-Evaluierung-Schreiben-

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Vorhandene funktional wesentliche Betriebsgrundlagen des Sonderbetriebsvermögens stehen der Ausübung der Option nach § 1a KStG – vergleichbar mit der Situation beim tatsächlichen Formwechsel –36 oftmals im Wege, da in der Praxis i.d.R. keine Übertragung dieser Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens auf die Personengesellschaft gewünscht ist und überdies eine solche Übertragung zu zahlreichen wirtschaftlichen und steuerlichen Folgefragen führt (vgl. ausführlich unten unter Abschnitt IV. 2. c).



Die Ausübung der Option führt – wie auch ein tatsächlicher Formwechsel – zu einer Sozialisierung von Mehr- oder Minderwerten aus bestehenden Ergänzungsbilanzen und zu einer Aufhebung der steuerlichen Zuordnung von individuellen Rücklagenkonten zu dem ursprünglich Einlegenden (vgl. ausführlich unten unter den Abschnitten IV. 2. d und IV. 2. e).



Laufende Sperrfristen (z.B. nach § 6 Abs. 5 Sätze 4 ff. EStG aus der Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern) können einer Ausübung der Option im Wege stehen, da auch ein fiktiver Formwechsel nach § 1a Abs. 2 KStG dazu führen kann, dass Sperrfristverletzungen ausgelöst werden (vgl. unten unter Abschnitt IV. 2. f).37



Sofern in wesentlicher Höhe verrechenbare Verluste i. S. d. § 15a EStG eines Mitunternehmers oder Gewerbeverluste i. S. d. § 10a GewStG bei der zu optierenden Personengesellschaft bestehen, steht dies in der Praxis oftmals einer Optionsausübung im Wege, da ein bestehender Gewerbeverlust der Personengesellschaft mit dem fiktiven Formwechsel ebenso untergeht (§ 25 i.V.m. § 23 Abs. 5 Umw-

230109.pdf; Kahle, FR 2022, 377 (384) mwN; Dreßler/Kompolsek, Ubg 2021, 301 (310 ff.). 36 Siehe hierzu Strecker/Carlé, NWB 2021, 2022 (2024); allgemein zum Übertragungserfordernis von funktional notwendigem Sonderbetriebsvermögen beim echten Formwechsel siehe zB Rabback in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 25 Rz. 47, 50. 37 BMF. v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 45 unter Verweis auf Rz. 29 des BMF-Schr. v. 20.11.2019, BStBl. I 2019, 1291 zu § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG und Rz. 33, 34 des BMF-Schr. v. 8.12.2011, BStBl. I 2011, 1279 zu § 6 Abs. 5 Sätze 4 und 6 EStG sowie § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG, § 15 Abs. 2 Satz 4, § 18 Abs. 3 Satz 2, § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2 und § 24 Abs. 5 UmwStG.

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StG) wie ein nur verrechenbarer Verlust i. S. des § 15a EStG (vgl. unten unter Abschnitt IV.2.g).38 –

Eine vorherige Inanspruchnahme der Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG führt infolge der Ausübung der Option zu einer Nachversteuerung nach § 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 EStG der nachversteuerungspflichtigen Beträge i. S. d. § 34a Abs. 3 EStG (vgl. ausführlich unten unter Abschnitt IV.2.h).39



Auch die Grunderwerbsteuer ist als wesentliches Optionshindernis anzuführen. Die gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 GrEStG gewährte Steuerbefreiung für den Übergang von Grundbesitz auf eine Personengesellschaft gilt für optierende Personengesellschaften nur unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass Ausübung und Wirksamkeit der Option länger als zehn Jahre zurückliegen und die jeweilige Beteiligung am Vermögen der Gesamthand länger als zehn Jahre besteht (§ 5 Abs. 1 Satz 2 GrEStG).40 Zudem kann eine optierende Personengesellschaft die Befreiung des § 6 Abs. 3 Satz 1 GrEStG (Grundstücksübergang von einer Gesamthand auf eine andere Gesamthand) als Erwerberin nur unter der zusätzlichen Voraussetzung in Anspruch nehmen, dass die Ausübung und Wirksamkeit der Option länger als zehn Jahre zurück liegen und auch die jeweilige Beteiligung am Vermögen der Gesamthand während dieser Frist besteht. Weiter gilt die Ausübung der Option gem. § 1a KStG als Verminderung des Anteils des Veräußerers am Vermögen der Gesamthand, wenn die Option innerhalb von zehn Jahren nach dem Übergang des Grundstücks auf die Gesamthand ausgeübt wird (§ 5 Abs. 3 Satz 3 GrEStG). Dies betrifft insbesondere Immobilien, die anlässlich der Option aus dem Sonderbetriebsvermögen in das Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft übertragen wurden,41 sowie poten-

38 BMF. v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 47. Gleiches gilt für einen Zinsvortrag und einen EBITDA-Vortrag i. S. d. § 4h EStG (§ 20 Abs. 9 UmwStG) und Verluste nach § 15b EStG. 39 BMF. v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 48. 40 Die Voraussetzung einer Vorbehaltensfrist ist ein Novum im Rahmen von § 5 GrEStG. Eine solche war vor dem KöMoG nur für die umgekehrte Übertragungsrichtung – von der Personengesellschaft auf den Gesellschafter – einzuhalten. Für § 5 GrEStG war nach bisheriger Systematik nur eine Nachbehaltensfrist zu beachten. 41 Dies steht in starkem Widerspruch zu der im Gesetzgebungsverfahren mehrfach angesprochenen Maßgabe, dass funktional wesentliche Betriebsgrund-

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ziell alle Grundstücksübertragungen auf die Personengesellschaft, die innerhalb der letzten zehn Jahre vor Ausübung der Option nach § 5 GrEStG steuerfrei vorgenommen wurden. Mit dem Jahressteuergesetz 202242 wurde ferner § 6 Abs. 3 Satz 5 GrEStG eingeführt, wonach die Ausübung der Option nach § 1a KStG als Verminderung des Anteils des Gesamthänders am Vermögen der erwerbenden Gesamthand gilt, wenn die Option innerhalb der Sperrfrist von zehn Jahren ausgeübt und wirksam wird.

4. Evaluierung des Optionsmodells (Hannig) Bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum KöMoG hatte der Bundesrat auf die eingeschränkte Praxistauglichkeit der KSt-Option hingewiesen.43 Aufgrund seiner Komplexität, des eingeschränkten Anwenderkreises und der bestehenden Optionshemmnisse kann das Optionsmodell allenfalls als „Interims-Lösung“ auf dem Weg zu einer rechtsformneutralen Besteuerung betrachtet werden. Dies scheint auch die Regierungskoalition erkannt zu haben. Im Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und FDP ist daher vereinbart worden, die Option zur Körperschaftsbesteuerung (und die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG) einer Evaluierung zu unterziehen, um praktischen Anpassungsbedarf zu identifizieren.44 Hinsichtlich der Ausgestaltung einer „Reform“ der Körperschaftsteuer-Option ist einerseits denkbar, dass der grundsätzliche Gleichlauf zum echten Formwechsel beibehalten wird und beide Umwandlungsformen hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit lediglich punktuell verbessert werden (z.B. Erweiterung des Anwenderkreises um Gesellschaften des bürgerlichen Rechts, Übergang in das kapitalistische Besteuerungsregime ohne sofortige Nachversteuerung nach § 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 KStG, Aufgabe der Gesamtplanbetrachtung in Einbringungsfällen). Alternativ könnte erwogen werden, den echten und fiktiven Formwechsel stärker von den strengen Voraussetzungen des § 20 UmwStG abzukoppeln (z.B. hinlagen für die „Steuerneutralität“ der Option vorab in das Gesamthandsvermögen der optierenden Personengesellschaft zu übertragen seien, etwa BTDrucks. 19/29642, 5. 42 Jahressteuergesetz 2022 v. 16.12.2022, BGBl. I 2022, 2294. 43 BR-Drucks. 244/21 (Beschluss), 2. 44 Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP), Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, 131.

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sichtlich der Schädlichkeit des Zurückbehalts von funktional wesentlichem Sonderbetriebsvermögen), um beide Umwandlungsformen für die Praxis flexibler zu gestalten. Denkbar ist ferner, dass Verbesserungsvorschläge auf das Optionsmodell beschränkt bleiben, was im Ergebnis zu einem Options-Sonderrecht führen würde. Letztere beiden Varianten sind nach einer ersten Einschätzung eher kritisch zu beurteilen, weil sie eine Überbegünstigung des Formwechsels bzw. des fiktiven Formwechsels im System der Einbringungsregeln der §§ 20 ff. UmwStG zur Konsequenz hätte. Das Ergebnis der Evaluation spiegelt sich in den Vorschlägen des Bundesministeriums der Finanzen zur Steigerung der Attraktivität der Körperschaftsteuer-Option wider, wie sie in Art. 20 des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz) vom 17.7.2023 enthalten sind.45 Die Reformvorschläge sehen punktuelle Verbesserungen des Optionsmodells vor, lassen dessen Grundstruktur jedoch unangetastet: –

Erweiterung des potentiellen Anwenderkreises auf Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und reine Innengesellschaften;



Sonderregelung zur Antragsfrist in Neugründungs- und Umwandlungsfällen;



Unschädlichkeit der Zurückbehaltung der Komplementär-Beteiligung;



Entschärfung der Ausschüttungsfiktion.

Insgesamt darf erwartet werden, dass die vom Referentenentwurf vorgesehenen Änderungen die praktische Anwendung der Körperschaftsteuer-Option verbessern und vereinfachen werden. Gemessen an der Erwartungshaltung der Unternehmen und Verbände dürften die Vorschläge jedoch nicht weit genug gehen, da eine Vielzahl der Forderungen aus der Praxis durch den Referentenentwurf nicht aufgegriffen worden ist. Insbesondere sieht der Entwurf keine Lösung vor, wie der Übergang von der Inanspruchnahme der Thesaurierungsbegünstigung zum Opti-

45 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz) v. 17.7.2023, abrufbar im Internet unter: https:// www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Geset zesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/20_Legislaturperiode/2023-07-17Wachstumschancengesetz/1-Referentenentwurf.pdf?__blob=publicationFile& v=2.

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onsmodell ohne sofortige Nachversteuerung der nachversteuerungspflichtigen Beträge ausgestaltet werden könnte.

IV. Rechtliche Bestandsaufnahme 1. Weg in die KSt-Option (Hannig) Der Weg in die Option ist vergleichsweise einfach zu erreichen. Die KStOption ist antragsgebunden und bedarf eines zustimmenden Gesellschafterbeschlusses in sinngemäßer Anwendung der umwandlungsrechtlichen Vorschriften über den Formwechsel (§ 1a Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 217 Abs. 1 UmwG). Weitere Voraussetzungen zu Form und Frist des Antrags sowie Regelungen zur örtlichen und sachlichen Zuständigkeit der Finanzbehörden ergeben sich aus § 1a Abs. 1 Sätze 2–5 KStG. a) Optionsberechtigung Der persönliche Anwendungsbereich der KSt-Option stimmt mit den für einen zivilrechtlichen Formwechsel qualifizierenden Rechtsträgern überein (§ 191 Abs. 1 Nr. 1 UmwG). Antragsberechtigt sind nach § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG nur Personenhandelsgesellschaften (offene Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften i.S.d. §§ 105 und 161 HGB einschließlich der Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung, vgl. § 1 EWIVAG) sowie Partnerschaftsgesellschaften im Sinne des PartGG. Einzelunternehmen, Gesellschaften des bürgerlichen Rechts, Erbengemeinschaften, reine Innengesellschaften (wie die atypisch stille Gesellschaft) sowie Investmentfonds i.S.d. InvStG sind von der KSt-Option ausgeschlossen. Insofern ist das Optionsrecht nach § 1a KStG enger als sein (nicht in Kraft gesetzter) Vorläufer, § 4a KStG-E i. d. F. des Entwurfs eines Steuersenkungsgesetzes vom 15.2.2000, wonach eine Optionsmöglichkeit auch für Einzelunternehmen vorgesehen war.46 Zumindest mit Blick auf die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR) dürfte sich das in absehbarer Zeit ändern. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts vom 10.8.2021 (MoPeG)47 wurde eine gesetzliche Neuausrichtung des Rechts der GbR beschlossen und die Rechtsfähigkeit der GbR ausdrücklich kraft Gesetzes anerkannt. Es darf deshalb erwartet werden, dass § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG im Hinblick das 46 Entwurf eines Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung v. 15.2.2000, BT-Drucks. 14/2683, 77. 47 Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436.

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Inkrafttreten der Änderungen des MoPeG am 1.1.2024 entsprechend ergänzt und die GbR in den Kreis der optionsberechtigten Personengesellschaften aufgenommen wird.48 Eine dahingehende Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs der KSt-Option dürfte vor allem für Praxiszusammenschlüsse von Freiberuflern und für größere Arbeitsgemeinschaften im Baugewerbe interessant sein.49 Der vom Bundesministerium der Finanzen vorgelegte Referentenentwurf eines Wachstumschancengesetzes sieht in § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG-E eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Körperschaftsteuer-Option auf sämtliche Personengesellschaften vor. Hauptsächlich betrifft dies nicht gewerblich tätige Personengesellschaften (z.B. die GbR), die dann auch ohne Eintragung ins Handelsregister zur Körperschaftsbesteuerung optieren können, und reine Innengesellschaften, wie beispielsweise atypisch stille Gesellschaften. Die Zahl der potentiellen Anwendungsfälle dürfte sich dadurch zukünftig erhöhen. Bis zur Ergänzung des § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG um die GbR steht dieser Rechtsform die KSt-Option nur über einen vorgeschalteten Rechtsformwechsel in eine Personenhandelsgesellschaft offen, der sich außerhalb des UmwG vollzieht und steuerlich ohne Konsequenzen bleibt.50 Gesellschaften ausländischer Rechtsform, die mit den in § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG genannten Gesellschaftsformen vergleichbar sind, sind ebenfalls antragsberechtigt.51 Die Vergleichbarkeit mit einer Personenhandelsgesellschaft ist grds. gegeben, wenn die ausländische Gesellschaft nach dem Rechtstypenvergleich als Personengesellschaft einzustufen ist und sie bei Zugrundelegung deutscher Maßstäbe ein Handelsgewerbe im Sin-

48 In der Gesetzesbegründung zum KöMoG bereits angedeutet, vgl. BT-Drucks. 19/28656, 19. 49 Vgl. Schiffers, DStZ 2021, 900 (902); BDI, Das Optionsmodell zur Körperschaftsbesteuerung, September 2021, 88. 50 Der Rechtsformwechsel, z.B. in eine OHG, kann zum einen kraft Gesetzes erfolgen, wenn die GbR den Betrieb eines Handelsgewerbes aufnimmt und somit die gesetzlichen Merkmale einer OHG erfüllt (vgl. § 105 Abs. 1 HGB). Eine weitere Möglichkeit des Rechtsformwechsels besteht in der Eintragung in das Handelsregister als OHG oder KG, die auch ohne Aufnahme einer kaufmännischen Tätigkeit erfolgen kann (§ 105 Abs. 2 HGB i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB). 51 So ausdrücklich die Gesetzesbegründung zum KöMoG, vgl. BT-Drucks. 19/28656, 21; bestätigt durch BMF. v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 3.

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ne des § 1 HGB betreibt (doppelter Rechtstypenvergleich).52 Vom persönlichen Anwendungsbereich sind auch nur beschränkt steuerpflichtige Personengesellschaften ohne Sitz und Geschäftsleitung im Inland erfasst.53 Dies ergibt sich zwar nicht positiv aus dem Gesetz oder der Gesetzesbegründung, kann jedoch einem Umkehrschluss zum Ausschlussgrund des § 1a Abs. 1 Satz 6 Nr. 2 KStG sowie der Sonderzuständigkeitsregelung in § 1a Abs. 1 Satz 4 KStG entnommen werden. Das gilt nach Ansicht der Finanzverwaltung selbst dann, wenn die optierende Gesellschaft keine inländischen Einkünfte erzielt.54 Hybride Auslandsgesellschaften, die in dem Staat, in dem sich ihre Geschäftsleitung befindet, keiner der deutschen unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegen, sind nach § 1a Abs. 6 Nr. 2 KStG von der Optionsberechtigung ausgeschlossen. Nach der gesetzlichen Konzeption des § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG, der keine Mitunternehmerschaft nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG für die Antragsberechtigung voraussetzt, sind auch vermögensverwaltende Personengesellschaften antragsberechtigt,55 sofern diese zulässigerweise in der Rechtsform einer OHG oder KG organisiert sind (vgl. § 105 Abs. 2 HGB bzw. § 161 Abs. 2 i.V.m. § 105 Abs. 2 HGB). Insbesondere für vermögensverwaltende Grundstücks-Personengesellschaften kann die KSt-Option im Einzelfall ein interessantes Gestaltungsinstrument darstellen, da hierdurch die Möglichkeit der weiteren Reduzierung der Thesaurierungsbelastung durch Inanspruchnahme der erweiterten Grundstückskürzung bei der Gewerbesteuer (§ 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG) besteht.56 Ob die KSt-Option für vermögensverwaltend tätige Personengesellschaften vorteilhaft ist, muss im Einzelfall beurteilt werden, da 52 BMF. v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 3. 53 Vgl. etwa Mayer/Käshammer, NWB 2021, 1300 (1306); Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (351); bestätigt durch BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/ 21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 4; kritisch Haase, Ubg. 2021, 193 (194). 54 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 4. 55 Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (351); Dorn/Weiss, DStR 2021, 2489; Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 2021, 3 (9); Zapf, NWB 2021, 3792 (3793); bestätigt durch BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 2; aA Fuhrmann, NWB 2021, 2356 (2357); Leitsch, BB 2021, 1943 (1944). 56 Vgl. dazu Schießl in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 1a KStG, Rz. 206; Link, DStR 2022, 1599 (1600).

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diesem Anwenderkreis die Anwendung der umwandlungssteuerlichen Privilegien der §§ 25, 20 UmwStG regelmäßig verschlossen ist und es damit grds. zu einer Aufdeckung der in den Anteilen evtl. enthaltenen stillen Reserven kommt.57 Eine Ausnahme von der fehlenden Anwendbarkeit der §§ 20–23 UmwStG besteht jedoch, wenn die Voraussetzungen eines Anteilstauschs nach § 21 UmwStG, auf den § 25 UmwStG ebenfalls verweist, gegeben sind.58 Hinsichtlich des Nachweises der persönlichen Voraussetzungen für die Optionsberechtigung verlangt die Finanzverwaltung, dass diese auf Anforderung für jedes Jahr der Optionsausübung zu belegen sind.59 Bei Nichterbringung des Nachweises geht die Finanzverwaltung im Sinne einer Negativvermutung davon aus, dass dann die persönlichen Voraussetzungen für die Option nicht vorliegen.60 Während die Aufforderung zur Nachweiserbringung auf die allgemeinen Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 1, 2 AO gestützt werden kann, erscheinen die von der Finanzverwaltung an die Nichterbringung des Nachweises geknüpften Rechtsfolgen diskussionswürdig. Anders als in § 22 Abs. 3 Satz 2 UmwStG besteht für die angenommene Negativvermutung keine rechtliche Grundlage,61 Jedoch ist zu beachten, dass die Verletzung von Mitwirkungspflichten allgemein zu einer Reduzierung des Beweismaßes führt,62 was insbesondere in Auslandsfällen wegen den aufgrund des Territorialitätsprinzips sehr eingeschränkten Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung de facto einer Negativvermutung gleichkommen kann. b) Antragstellung und Beschlussfassung Die wirksame Optionsausübung setzt einen Antrag beim zuständigen Finanzamt voraus (§ 1a Abs. 1 Satz 1 KStG).63 Der Optionsantrag ist – 57 Zu den Vor- und Nachteilen der Option bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften vgl. im Einzelnen Dorn/Weiss, DStR 2021, 2489 ff. 58 Dorn/Weiss, DStR 2021, 2489 (2491); bestätigt durch BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 30. 59 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 6 Satz 1. 60 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 6 Satz 2. 61 So zutreffend Böhmer/Schewe, FR 2022, 69 (70); Schiffers, DStZ 2021, 900 (903). 62 Vgl. Klein/Rätke, AO16, § 90 Rz. 12. 63 Der Optionsantrag ist grds. bei dem für die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte nach § 180 AO zuständigen Finanzamt zu stellen. § 1a

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im Gegensatz zum Antrag auf Ausübung der Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG – unwiderruflich und wirkt für und gegen alle Gesellschafter. Ein wirksam gestellter Antrag kann somit nur über einen Antrag auf Rückoption „rückgängig“ gemacht werden. Fraglich ist, ob eine „überholende“ Rückoption möglich ist, so dass die Optionswirkungen bereits für das erste Options-Wirtschafsjahr nicht eintreten.64 Dies ist abzulehnen, da ein Antrag auf Rückoption nach der Gesetzessystematik eine optierende Gesellschaft voraussetzt, die es aber im Zeitpunkt vor Wirksamwerden der Option noch nicht geben kann.65 Ein Antrag auf Rückoption ist demnach frühestens für das Wirtschaftsjahr möglich, das auf das erste Options-Wirtschafsjahr folgt. Der Antrag ist beim zuständigen Finanzamt spätestens einen Monat vor Beginn des Wirtschaftsjahres, ab dem die Option gelten soll, zu stellen (§ 1a Abs. 1 Satz 1 KStG). Es handelt sich um eine gesetzliche Frist, die nicht zur Disposition des Finanzamts steht und deshalb nicht verkürzt werden kann.66 Im Fall eines kalenderjahrgleichen Wirtschaftsjahres ist der Antrag somit spätestens am 30. November des vorangehenden Jahres zu stellen. Die Frage, ob § 108 Abs. 3 AO auf die Frist nach § 1a Abs. 1 Satz 2 KStG anwendbar ist, wird von der Finanzverwaltung bejaht.67 Ein verspäteter Antrag ist unwirksam und gilt nicht automatisch als Antrag für das nächste Wirtschaftsjahr.68 Der Antrag entfaltet Wirkung nur für die Zukunft, so dass eine rückwirkende Optionsausübung ausgeschlossen ist (§ 1a Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2

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Abs. 1 Sätze 3 bis 5 KStG enthält insbesondere für Gesellschaften mit Sitz im Ausland spezielle Regelungen zur sachlichen und örtlichen Zuständigkeit. Bejahend Herkens, GmbH-StB 2021, 315 (317) für den Fall, dass der Antrag auf Rückoption vor dem in § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG genannten Termin gestellt wird. § 1a Abs. 4 Satz 1 KStG ist insofern nicht ganz eindeutig, da er hinsichtlich der Ausübung Rückoption etwas ungenau darauf abstellt, dass die den Antrag auf Rückoption stellende Gesellschaft nach Absatz 1 zur Körperschaftsbesteuerung optiert hat. Vgl. Tiede in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 1a KStG, Rz. 26. BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 16. Zweifel an der Anwendung des § 108 Abs. 3 AO könnten jedoch deshalb bestehen, weil es sich bei der Frist nach § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG um eine rückwärts zu berechnende Frist handelt und der in § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG genannte Termin den Fristbeginn und nicht das Fristende markiert. BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 19.

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KStG). Die Antragstellung setzt nach dem Wortlaut des § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG eine bestehende Personenhandels- oder Partnerschaftsgesellschaft voraus. Die optionswillige Personengesellschaft muss daher zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits entweder in das Handelsregister (bzw. das Partnerschaftsregister) eingetragen sein (§ 105 Abs. 2 HGB bzw. § 7 Abs. 1 PartGG) oder ein Handelsgewerbe i.S.d. § 1 Abs. 2 HGB betreiben. Da eine rückwirkende Optionsausübung ausgeschlossen ist, kann eine neu gegründete Personenhandelsgesellschaft oder Partnerschaftsgesellschaft de lege lata nicht bereits mit Wirkung für das Gründungsjahr optieren.69 Aus denselben Gründen ist es auch nicht möglich, eine Kapitalgesellschaft unmittelbar in eine optierende Personengesellschaft umzuwandeln („überholender“ Formwechsel),70 was nicht nur unter zeitlichen Gesichtspunkten vorteilhaft wäre, sondern zudem eine Rücklagenbesteuerung nach § 7 UmwStG vermeiden würde. Die Praxis behilft sich in Gründungsfällen damit, dass die Personengesellschaft mit einem abweichenden Rumpf-Wirtschafsjahr gegründet und im Anschluss der Optionsantrag gestellt wird; danach erfolgt die Umstellung auf ein kalendergleiches Wirtschafsjahr, die nicht an eine Zustimmung des Finanzamts gebunden ist.71 Auch der Kauf einer bereits optierten Vorratsgesellschaft stellt eine denkbare Option dar, um möglichst schnell in die Option hineinzukommen.72 Da beide Ausweggestaltungen das Ziel einer unmittelbaren Inanspruchnahme der KSt-Option ermöglichen, jedoch mit einigem bürokratischem Aufwand verbunden sind, liegt es nahe, dass im Rahmen des Evaluierungsprozesses die Praxistauglichkeit der bestehenden Regelung hinsichtlich Neugründungsund Umwandlungsfällen noch einmal überprüft wurde. Der Referentenentwurf des Wachstumschancengesetzes sieht in § 1a Abs. 1 Satz 7 KStG-E nunmehr vor, dass neu gegründete Personengesellschaften und Körperschaften, die in Personengesellschaften formgewechselt sind, bis 69 Vgl. BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 18; zustimmend etwa Blöchle/Dumser, GmbHR 2022, 72 (74); Wacker/ Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 41/2021, 3 (9 f.); Mayer/Käshammer, NWB 2021, 1300 (1310); kritisch Nagel/Schlund, NWB 2021, 1874 (1875); Schiffers, DStZ 2021, 900 (905); Dibbert/Dorn, DB 2021, 2525. 70 Vgl. BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 18; zustimmend Tiede in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 1a KStG, Rz. 26 (6/2022). 71 Vgl. etwa Böhmer/Schewe, FR 2022, 69 (71); Dreßler/Kompolsek, Ubg 2022, 1 (3). 72 Vgl. Tiede in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 1a KStG, Rz. 26 (6/2022); Dibbert/Dorn, DB 2021, 2525.

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einen Monat nach Abschluss des Gesellschaftsvertrags bzw. nach Anmeldung des Formwechsels beim zuständigen Register mit Wirkung für das laufende Wirtschaftsjahr zur Körperschaftsbesteuerung optieren können. Ausweislich der im Referentenentwurf enthaltenen Begründung soll der formwechselnden Gesellschaft damit die Möglichkeit eröffnet werden, ununterbrochen als Körperschaftsteuersubjekt behandelt zu werden.73 Die Entwurfsbegründung scheint demnach davon auszugehen, dass aus ertragsteuerlicher Sicht ein unbeachtlicher homogener Formwechsel von Körperschaft zu fiktiver Kapitalgesellschaft und keine Kettenumwandlung mit Formwechsel in eine Personengesellschaft und anschließendem fiktiven Formwechsel zurück in eine fiktive Kapitalgesellschaft vorliegt. Im Innenverhältnis setzt die Wirksamkeit des Antrags die Zustimmung aller Gesellschafter voraus. Diese muss im Zeitpunkt der Antragstellung vorliegen und ist damit echte Wirksamkeitsvoraussetzung für die Antragstellung.74 Sofern in der Literatur teilweise vertreten wird, dass es ausreichend sei, wenn die Antragsvoraussetzungen erst im Zeitpunkt der Wirksamkeit der Option vorliegen,75 widerspricht diese Sichtweise dem Sinn und Zweck der Antragsfrist.76 Insbesondere bei Kettenumwandlungen kann der praktische Bedarf bestehen, die Optionsausübung mit einer Bedingung zu verknüpfen, um die verschiedenen Umwandlungsvorgänge einschließlich des fiktiven Formwechsels in einer bestimmten Reihenfolge eintreten zu lassen. Nach der gesetzlichen Konzeption wirkt der Optionsantrag unmittelbar rechtsgestaltend. Es handelt sich bei dem Optionsantrag mithin um ein Gestaltungsrecht, mit dem die steuerlichen Folgen eines fiktiven Formwechsels unmittelbar ausgelöst werden. Nach allgemeinen zivilrechtlichen Prinzipien besteht bei der Ausübung von Gestaltungsrechten ein grundsätzliches Verbot, die Geltendmachung eines solchen Rechtes an Bedingungen zu knüpfen, so dass ein aufschiebend oder auflösend be73 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz) v. 17.7.2023, S. 221. 74 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 12; zustimmend Schießl in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 1a KStG, Rz. 102 (April 2022); Link, DStR 2022, 1599 (1600). 75 Böhmer/Schewe, FR 2022, 69 (70); Leidel/Conrady, BB 2022, 663 (664). 76 Nach der Stellungnahme des Bundesrats zum KöMoG v. 7.5.2021, BR-Drucks. 244/21 (Beschluss), 2 dient die Antragsfrist insbesondere dem zuständigen Finanzamt, um eine administrative Umsetzung der Option zu ermöglichen.

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dingter Optionsantrag unwirksam ist.77 Auch die Optionsausübung unter einer Voluntativbedingung, die allein vom Willen der Gesellschafter der Personengesellschaft abhängt, ist nicht möglich.78 Zwar sind Voluntativbedingungen bei Gestaltungsrechten grds. unbedenklich, da deren Eintritt allein vom Willen der erklärungsempfangenden Personen abhängt. Beim Optionsantrag ist jedoch die Besonderheit zu berücksichtigen, dass dieser unwiderruflich ist. Durch eine Voluntativbedingung würde die Unwiderruflichkeit des Antrags unterlaufen werden. Hinzu kommt, dass eine Bedingung, deren Eintritt vom Willen der Gesellschafter der Personengesellschaft abhängt, gleichwohl zu Rechtsunsicherheiten über den Bedingungseintritt beim Finanzamt als Antragsadressat führt. Die Entscheidung, zur Körperschaftsbesteuerung zu optieren, fällt in die Zuständigkeit der Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft bzw. Partner der Partnerschaftsgesellschaft. § 1a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 KStG ordnet die sinngemäße Anwendung von § 217 Abs. 1 UmwG an, der Regelungen über den Beschluss der Gesellschafterversammlung über den Formwechsel von Personenhandelsgesellschaften enthält. Für den Optionsbeschluss gilt grds. das Einstimmigkeitsprinzip (§ 1a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 KStG i.V.m. § 217 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Schon um spätere Konflikte mit dissentierenden Gesellschaftern zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Option nur im Konsens aller Gesellschafter auszuüben. Der Gesellschaftsvertrag der Personengesellschaft kann vom Grundsatz der Einstimmigkeit gleichwohl abweichen und eine Mehrheitsentscheidung der Gesellschafter über die Ausübung der Option ausreichen lassen, wobei die Mehrheit mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen betragen muss (§ 1a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 KStG i.V.m. § 217 Abs. 1 Sätze 2 und 3 UmwG)79.

77 So auch Schießl in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 1a KStG, Rz. 83 (April 2022); Tiede in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 1a KStG, Rz. 23 (6/2022), der die Bedingungsfeindlichkeit des Optionsantrags allerdings aus dessen Unwiderruflichkeit ableitet; aA Böhmer in Mössner/Oellerich/Valta, KStG5, § 1a Rz. 166. 78 Schießl in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 1a KStG, Rz. 83 (April 2022); Tiede in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 1a KStG, Rz. 23 (6/2022); aA Böhmer in Mössner/Oellerich/Valta, KStG5, § 1a Rz. 166. 79 Kritisch Bochmann/Bron NZG 2021, 613 (617 ff.), die darauf hinweisen, dass eine (qualifizierte) Mehrheitsentscheidung einen zu großen Eingriff in die Rechte von Minderheitsgesellschafter darstellen kann.

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Unklar ist was gilt, wenn die Regelungen des Gesellschaftsvertrags für den Formwechsel oder andere Umwandlungen eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung ausdrücklich vorsehen, eine ausdrückliche Erwähnung der Option aber fehlt.80 Dafür, dass ein ausdrücklicher Bezug zur Option im Gesellschaftsvertrag nicht erforderlich ist, könnte sprechen, dass der fiktive Formwechsel gegenüber dem echten Formwechsel mangels zivilrechtlichem Umwandlungsakt einen weniger starken Eingriff in die Rechtsposition der Gesellschafter darstellt. Anderseits ist zu konstatieren, dass der Verweis in § 1a Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 KStG auf § 217 Abs. 1 UmwG gegenüber den umwandlungsrechtlichen Regelungen einen nur reduzierten Minderheitenschutz bietet, weil insbesondere keine Barabfindung zugunsten dissentierender Gesellschafter entsprechend § 207 UmwG vorgesehen ist.81 Angesichts der steuerlichen Folgen der Optionsausübung, insbesondere für (Minderheits-)Gesellschafter mit Sonderbetriebsvermögen oder Ergänzungsbilanzen, empfiehlt es sich im Vorfeld einer evtl. Optionsausübung im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich zu verankern, dass auch für den fiktiven Formwechsel nach § 1a KStG eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung genügt.82 Aus „klimatischen“ Gründen sollten in dem Gesellschaftsvertrag zudem ergänzende Regelungen für einen Ausstieg (z.B. Barabfindungsklausel entsprechend § 207 UmwG) vereinbart werden. Der Verweis in § 1a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 KStG auf die entsprechende Anwendung des § 217 Abs. 1 UmwG ist mit der h.M. in der Literatur so zu verstehen, dass die gesellschaftsrechtliche Wirksamkeit des Beschlusses Tatbestandsvoraussetzung für die steuerliche Wirksamkeit der KSt-Option ist.83 Unklar ist dann aber, welche Auswirkungen Beschlussmängel (z.B. Ladungsmängel, fehlerhafte Vertretung bei der Be80 Vgl. dazu Tiede in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 1a KStG, Rz. 24 (6/2022). 81 Zum eingeschränkten Minderheitenschutz des Verweises auf § 217 Abs. 1 UmwG vgl. Bochmann/Bron, NZG 2021, 613 (617). 82 Vgl. Nagel/Schlund, NWB 2021, 1874 (1876); Zapf, BB 2021, 2711 (2717). 83 Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (357); Brühl/Weiss, DStR 2021, 889 (892); Carlé, NWB 2021, 2270 (2272); Wackerbeck in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 1a KStG, Rz. 19 (Aug. 2022); Schießl in Widmann/Maier, Umwandlungsrecht, § 1a KStG, Rz. 102 (April 2022); aA Kelm/Rindermann/ Hennrichs, WPg 2021, 1166 (1170); Tiede in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 1a KStG, Rz. 24 (6/2022), wonach für das steuerliche Außenverhältnis allein der Antrag maßgebend ist.

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schlussfassung, Verstoß gegen Rechte von Minderheitsgesellschaftern) auf die Wirksamkeit des Optionsantrags haben. Das Anwendungsschreiben zur KSt-Option enthält hierzu keine Aussage. Da zivilrechtlich eine Personengesellschaft vorliegt, ist das strenge Beschlussmängelrecht für Personengesellschaften maßgeblich.84 Das hat erhebliche Konsequenzen, weil dem Recht der Personengesellschaften – anders als bei Kapitalgesellschaften – die Unterscheidung zwischen nichtigen und „nur“ anfechtbaren Gesellschafterbeschlüssen (bislang) nicht bekannt ist.85 Sofern ein Gesellschafterbeschluss bei Personengesellschaften gegen formelles oder materielles Recht verstößt, ist er automatisch nichtig.86 Die Nichtigkeit des Optionsbeschlusses ist mit der einfachen Feststellungsklage nach § 256 ZPO geltend zu machen, was bei erfolgreicher Geltendmachung des Beschlussmangels grds. zur Unwirksamkeit der Option von Beginn an führt.87 c) Entscheidung über den Antrag Sind alle Optionsvoraussetzungen erfüllt, wirkt der fristgemäße Optionsantrag nach der gesetzlichen Konzeption ohne weiteres rechtsgestaltend. Schutzmechanismen, die bei einer Umwandlung nach dem UmwG infolge der Prüfung im Eintragungsverfahren durch das Handelsregister Anwendung finden, fehlen beim fiktiven Formwechsel.88 Da zudem die Finanzbehörde den Antrag nicht abschließend prüft und insbesondere kein Verwaltungsakt ergeht, der das Vorliegen der Optionsvoraussetzungen bestätigt,89 liegt das Risiko einer wirksamen Antragstellung allein bei der antragstellenden Personengesellschaft. 84 Schießl in Widmann/Maier, Umwandlungsrecht, § 1a KStG, Rz. 126 (April 2022). 85 Mit dem MoPeG schafft der Gesetzgeber in den §§ 110 ff. HGB n.F. ein neues Regelungswerk für Beschlussmängelstreitigkeiten in Personenhandelsgesellschaften. Das neue Beschlussmängelrecht orientiert sich am Aktienrecht. Künftig wird auch bei Personenhandelsgesellschaften zwischen nichtigen und anfechtbaren Gesellschafterbeschlüssen unterschieden. 86 Zu einzelnen Beschlussmängeln und den Rechtsfolgen für die KSt-Option vgl. ausführlich Schießl in Widmann/Maier, Umwandlungsrecht, § 1a KStG, Rz. 126 ff. (April 2022). 87 Böhmer in Mössner/Oellerich/Valta, KStG5, § 1a Rz. 159; Schießl in Widmann/Maier, Umwandlungsrecht, § 1a KStG, Rz. 132 (April 2022). 88 Schießl in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 1a KStG, Rz. 14 (April 2022). 89 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 20 f.

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Stellt sich nachträglich heraus, dass die Voraussetzungen für einen Antrag nach § 1a Abs. 1 KStG nicht vorgelegen haben, sind Verwaltungsakte (z.B. Steuerbescheide), die von der Wirksamkeit des Antrags ausgehen, rechtswidrig und im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten aufzuheben oder zu ändern. Dies kann erhebliche Folgewirkungen, z.B. für Organschaftsstrukturen mit sich bringen. Das Problem dürfte sich allerdings weniger bei inländischen Personengesellschaften als vielmehr bei optionswilligen Auslandsgesellschaften stellen, da aufgrund des „doppelten“ Rechtstypenvergleichs Rechtsunsicherheiten bestehen können, ob eine Vergleichbarkeit der ausländischen Rechtsform mit einer inländischen Personenhandelsgesellschaft oder Partnerschaftsgesellschaft gegeben ist. In diesen Fällen kann es sich empfehlen, einzelne mit dem Rechtstypenvergleich zusammenhängende Fragestellungen über eine verbindliche Auskunft abzusichern.

2. Übergang zur Körperschaftsbesteuerung a) Fiktiver Formwechsel (Hannig) Der (echte) Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft wird vom Gesetzgeber als Einbringung der Mitunternehmeranteile durch die Mitunternehmer gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten an der Kapitalgesellschaft behandelt, wobei die „Gewährung neuer Anteile“ gesetzlich als gegeben gilt.90 Bei der KSt-Option wird der Übergang zur Besteuerung nach dem Trennungsprinzip durch einen fiktiven Formwechsel nach § 1a Abs. 2 Satz 2 KStG i.V.m. § 25 UmwStG erreicht.91 Der Fiktion bedarf es, weil die Option lediglich auf einem steuerlichen Antrag beruht und eine Änderung der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse nicht erfolgt. Über § 25 UmwStG wird der fiktive Formwechsel als Einbringung in eine (fiktive) Kapitalgesellschaft nach § 20 UmwStG behandelt. Damit kommen auf den Übergang von der Besteuerung einer Personengesellschaft zur Besteuerung einer Kapitalgesellschaft dieselben Rechtsfolgen zur Anwendung, die auch bei einem echten Formwechsel anwendbar sind. Für den fiktiven Formwechsel bedeutet dies, dass rein ertragsteuerlich eine Vermögensübertragung von der Personengesellschaft auf die (fiktive) Kapitalgesellschaft fingiert wird, die sich im Hin90 BFH v. 19.10.2005 – I R 38/04, BStBl. II 2006, 568 = FR 2006, 474 m. Anm. Kempermann = GmbHR 2006, 324 m. Anm. Breuninger = ZIP 2006, 1866. 91 Vgl. Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 1a Rz. 59 (Juni 2022); Dreßler/Kompolsek, Ubg 2021, 301 (303).

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blick auf die Anteile als Tausch von Mitunternehmeranteilen gegen Anteile an einer (fiktiven) Kapitalgesellschaft darstellt. Insofern ist es zutreffend, den fiktiven Formwechsel – wie auch den echten Formwechsel92 – als tauschähnlichen Rechtsträgerwechsel mit Veräußerungscharakter einzuordnen.93 b) Anwendung des UmwStG (Hannig) Die Ausübung der Option nach § 1a KStG zieht keine automatische Anwendung der umwandlungssteuerlichen Regelungen nach sich. Der Verweis in § 1a Abs. 2 Sätze 1 und 2 UmwStG auf die §§ 1 und 25 UmwStG beinhaltet vielmehr eine partielle Rechtsgrundverweisung (sog. Verweisungsanalogie), so dass die Voraussetzungen dieser Vorschriften – soweit sie auf den fiktiven Formwechsel passen – vorliegen müssen94. Für den persönlichen Anwendungsbereich des UmwStG bedeutet dies, dass die Voraussetzungen für die optierende Gesellschaft (= aufnehmende Personengesellschaft i.S.v. § 1 Abs. 4 Nr. 1 UmwStG) und die einbringenden Mitunternehmer jeweils gesondert zu prüfen sind.95 Liegen die persönlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 UmwStG nicht vor, ist die Optionsausübung nach § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG zwar mög92 BFH v. 19.10.2005 – I R 38/04, BStBl. II 2006, 568 = FR 2006, 474 m. Anm. Kempermann = GmbHR 2006, 324 m. Anm. Breuninger = ZIP 2006, 1866; BFH v. 17.10.2007 – I R 96/06, BStBl. II 2008, 953 = FR 2008, 582. = GmbHR 2008, 391. 93 GlA Brühl in Micker/Pohl, BeckOK KStG, § 1a Rz. 264 (10/2022); Brühl/ Weiss, DStR 2021, 889 (893); Dreßler/Kompolsek, Ubg 2022, 1 (4); Rickermann, DB 2021, 1035 (1036); Schießl in Widmann/Maier, Umwandlungsrecht, § 1a KStG, Rz. 150 (April 2022); Tiede in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 1a KStG, Rz. 50 (6/2022); wohl auch Wacker/Krüger/Levedag/ Loschelder, DStR-Beih 2021, 3 (11 f.); bestätigt durch BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 24; für die Annahme eines Realisationsakts aufgrund Betriebsaufgabe i.S.v. § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG: Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (358); Wackerbeck in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 1a KStG, Rz. 41 (Aug. 2022); kritisch zur Einordnung des fiktiven Formwechsels als tauschähnlichen Veräußerungsvorgang Böhmer/ Schewe, FR 2022, 69 (71). 94 Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 1a Rz. 59 (Juni 2022); Rickermann, DB 2021, 1035 (1036); ausführlich zur Verweistechnik in § 1a Abs. 2 Sätze 1 und 2 UmwStG siehe Bulk, BB 2022, 1752 ff. 95 Vgl. Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 1a Rz. 63 (Juni 2022); Förster, IStR 2022, 109 (111).

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lich, jedoch nicht unter Inanspruchnahme der umwandlungssteuerlichen Privilegien der §§ 25, 20–23 UmwStG, so dass es zur vollständigen oder teilweisen Aufdeckung der stillen Reserven kommt. Für die optierende Gesellschaft setzt § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwStG voraus, dass sich deren Sitz und Ort der Geschäftsleitung innerhalb des Hoheitsgebiets eines Staates der EU oder des EWR befindet. Daraus folgt, dass Personenhandelsgesellschaften, die in einem Drittstaat ansässig sind, nur unter Inkaufnahme der Aufdeckung der stillen Reserven auf Ebene der Mitunternehmerschaft zur Körperschaftsbesteuerung optieren können. Insofern haben die Regelungen des § 1 Abs. 4 UmwStG durch das KöMoG keine weitere Internationalisierung erfahren. Darüber hinaus müssen die einbringenden Mitunternehmer gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a UmwStG in einem EU- oder EWR-Staat unbeschränkt steuerpflichtig sein. Über die „Öffnungsklausel“ in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG besteht jedoch auch für Gesellschafter, die in einem Drittstaat ansässig oder dort ihren Sitz und Ort der Geschäftsleitung haben, die Möglichkeit, steuerbegünstigt zu optieren, wenn das Besteuerungsrecht an dem Gewinn aus der Veräußerung der Anteile in Deutschland verbleibt. Das trifft wegen § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e) EStG in der Regel für Drittstaaten zu, mit denen Deutschland kein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen hat.96 Besteht zwischen dem Drittstaat und Deutschland ein Doppelbesteuerungsabkommen und folgt dies hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus Veräußerungen an Kapitalgesellschaftsanteilen dem OECD-Musterabkommen (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA 2017), ist eine Steuerverstrickung der Anteile in Deutschland grds. nicht gegeben und als Folge der Anwendungsbereich des UmwStG nicht eröffnet. Anders kann dies jedoch auch bei Vorliegen eines Doppelbesteuerungsabkommens sein, wenn die Beteiligung einer inländischen Betriebsstätte der Gesellschaft zuzurechnen ist (vgl. Art. 13 Abs. 2 OECD-MA 2017)97 oder es sich um eine Personengesellschaft mit inländischem Grundbesitz handelt, für die nach der Option die DBA-Sonderregelungen für Grundstücks-Kapitalgesellschaften gelten (vgl. Art. 13 Abs. 4 OECD-MA 2017). Teilweise wird in der Literatur angenommen, dass auch in den Fällen des § 50d Abs. 14 Satz 2 EStG eine Steuerverstrickung der Anteile i.S.v. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b

96 Vgl. Brühl/Weiss, DStR 2021, 1617 (1622). 97 Vgl. dazu Brühl/Weiss, DStR 2021, 1617 (1623).

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UmwStG gegeben ist.98 Dies ist bereits deshalb zweifelhaft, weil § 50d Abs. 14 Satz 2 EStG tatbestandlich eine optierende Gesellschaft i.S.v. § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG voraussetzt, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG jedoch bereits am steuerlichen Übertragungsstichtag, mithin eine juristische Sekunde vor dem Wirksamwerden der Option, vorliegen müssen. Die Annahme einer Steuerverstrickung der Anteile nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG in den Fällen des § 50d Abs. 14 Satz 2 EStG ist auch deshalb kritisch zu beurteilen, weil nach dieser Ansicht die abstrakte Rechtslage im anderen Staat im Zeitpunkt der Optionsausübung zugrunde gelegt wird. Bis zur späteren Veräußerung der Anteile an der optierenden Gesellschaft kann sich diese Rechtslage jedoch dahingehend ändern, dass der andere Staat die optierende Gesellschaft nunmehr als KSt-Subjekt behandelt und die Gewinne aus der Veräußerung der Anteile besteuert. Die Folge wäre, dass Deutschland zum einen – den Ansatz von Buch- oder Zwischenwerten nach § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG vorausgesetzt – auf die Besteuerung der stillen Reserven in den Anteilen zum steuerlichen Einbringungszeitpunkt verzichtet hätte und zum anderen die Gewinne aus der Veräußerung der Anteile aufgrund der geänderten Rechtslage ebenfalls nicht in Deutschland besteuert werden könnten. Sind die persönlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwStG bei einzelnen Gesellschaftern nicht erfüllt und somit die §§ 20 ff. UmwStG nicht anwendbar, stellt sich die Frage, welche Konsequenzen dies für die übrigen Einbringenden hat. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon, ob als Einbringungsgegenstand beim Formwechsel der Betrieb oder die einzelnen Mitunternehmeranteile angesehen werden. Diese Frage ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Die h.A. in der Literatur betrachtet beim echten und fiktiven Formwechsel zutreffend die jeweiligen Mitunternehmeranteile als Gegenstand der Einbringung.99 Die Finanzverwaltung hat dies für den fiktiven Formwechsel ausdrücklich bestätigt;100 für den echten Formwechsel gilt nichts anderes. Das hat zur Konsequenz, dass die persönli98 So Schnitger/Krüger, DB 2022, 418 (421); zustimmend Pung in Dötsch/Pung/ Möhlenbrock (D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 1a Rz. 65 (Juni 2022). 99 Böhmer in Mössner/Oellerich/Valta, KStG5, § 1a Rz. 273, 275; Dreßler/Kompolsek, Ubg 2021, 301 (303); für den echten Formwechsel vgl. nur Rabback in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 25 Rz. 44 mwN. 100 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 28.

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chen Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwStG einer gesellschafterbezogenen Prüfung unterliegen und es zu einer quotalen Anwendung des UmwStG kommen kann: Sofern ein Gesellschafter die Voraussetzungen nicht erfüllt, scheidet die Anwendung des § 20 UmwStG nur für ihn aus, während die anderen Gesellschafter das Wahlrecht nach § 20 UmwStG in Anspruch nehmen können.101 Ob es im Rahmen der Evaluierung des Optionsmodells zu weiteren Vorstößen für eine Globalisierung der Einbringungsvorschriften kommt, bleibt abzuwarten. c) Umgang mit Sonderbetriebsvermögen Durch die Anwendung des Trennungsprinzips entfällt nach vollzogenem fiktivem Formwechsel durch Optionsausübung insbesondere der Sonderbetriebsbereich der Personengesellschaft. Entsprechende Wirtschaftsgüter gehen, wenn sie nicht anlässlich der Option auf die Personengesellschaft übertragen werden, in das Betriebs- oder Privatvermögen des Gesellschafters über.102 Wie beim tatsächlichen Formwechsel setzt die Einbringung eines Mitunternehmeranteils zu Buchwerten im Rahmen des fiktiven Formwechsels voraus, dass alle zum jeweiligen Anteil gehörenden funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen auf die übernehmende Gesellschaft

101 Vgl. BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 26; Böhmer/Schewe, FR 2022, 69 (72); Brühl/Weiss, DStR 2021, 1617 (1622); Mayer/Käshammer, NWB 2021, 1300 (1307); Pung in Dötsch/Pung/ Möhlenbrock (D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 1a Rz. 66 (Juni 2022); Schiffers, DStZ 2021, 900 (906). 102 Die Überlassung von wesentlichen Betriebsgrundlagen an die optierende Personengesellschaft kann aber zur Begründung einer Betriebsaufspaltung führen; BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 84; Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021 S. 348 (356); Strecker/Carlé, NWB 2021, 2022 (2023 f.); vgl. auch BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/ 08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.08. Refinanzierungsaufwendungen, die im Zusammenhang mit den Anteilen an der optierenden Personengesellschaft stehen, fallen nach Option entsprechend grundsätzlich im eigenen Betriebs- oder Privatvermögen an, wo ggf. neue Abzugsbeschränkungen zu beachten sind (z. B. das Antragserfordernis nach § 32d Abs 2 Nr. 3 EStG auf Anwendung des Teileinkünfteverfahrens bei Aufwendungen im Privatvermögen sowie ggf. § 3c Abs. 2 EStG, die Zinsschranke oder § 4 Abs. 4a EStG bei Aufwendungen im Betriebsvermögen).

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übergehen.103 Neben dem Anteil des Gesellschafters am Gesamthandsvermögen gehören dazu auch etwaige Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens. Als Sonderbetriebsvermögen kommen dabei aufgrund des entsprechenden Funktionszusammenhangs regelmäßig diejenigen mit einem wesentlichen Gewicht für das Unternehmen ausgestatteten Wirtschaftsgüter in Betracht, die im Eigentum eines Mitunternehmers stehen und dem Betrieb der Gesellschaft dienen (z. B. Grundstücke, Patente u.a.).104 Werden dagegen Wirtschaftsgüter, die keine funktional wesentliche Betriebsgrundlage sind, zurückbehalten oder in zeitlichem und wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Option veräußert, entnommen oder in ein anderes Betriebsvermögen übertragen, so schließt dies den Ansatz des eingebrachten Vermögens zum Buch- oder Zwischenwert nicht aus.105 aa) Mitübertragung auf die Gesamthand (Bohn) Mithin ist die Buchwertfortführung beim fiktiven Formwechsel infolge Optionsausübung nur möglich, wenn auch das vorhandene Sonderbetriebsvermögen des Mitunternehmers, sofern es sich dabei um funktional wesentliche Betriebsgrundlagen des entsprechenden Mitunternehmeranteils handelt, in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang auf die übernehmende Gesellschaft übertragen wird.106 Werden Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögen eines Gesellschafters, die zu den funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen gehören, nicht in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit dem fiktiven Formwechsel auf die Mitunternehmerschaft übertragen, ist hinsichtlich seines Mitunternehmeranteils ein Ansatz zum Buch- oder Zwischenwert ausgeschlossen. In diesen Fällen kommt es grundsätzlich zur Aufgabe des je103 Siehe für den tatsächlichen Formwechsel BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 S 1978-b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 25.01 i. V. m. Rz. 20.10 und 20.06. 104 Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 20 UmwStG Tz. 218. 105 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 33. 106 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 32. Vgl. auch BFH v. 16.2.1996 – I R 183/94, BStBl. II 1996, 342 = FR 1996, 500 m. Anm. Kempermann = GmbHR 1996, 549; BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978 b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.11; Rabback in: Rödder/ Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 25 UmwStG Rz. 46; Schießl in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 25 Rz. 22.

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weiligen Mitunternehmeranteils (§ 16 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 34 EStG) mit der Folge der vollständigen Aufdeckung der stillen Reserven.107 Unschädlich ist es hingegen, wenn Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens zurückbehalten werden, die nicht zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehören.108 Problematisch an dem Erfordernis der Übertragung funktional wesentlichen Sonderbetriebsvermögens auf die Personengesellschaft ist, dass infolge einer solchen Übertragung des Sonderbetriebsvermögens die häufig gewünschte rechtliche Trennung zwischen den Vermögenssphären entfällt.109 In der Frage, auf welchen Zeitpunkt die Abgrenzung zwischen funktional wesentlichen und funktional nicht wesentlichen Betriebsgrundlagen zu erfolgen hat, sollte es nach hier vertretener Auffassung auf den fiktiven Einbringungszeitpunkt ankommen, der in § 1a Abs. 2 Satz 3 KStG als das Ende des Wirtschaftsjahres definiert ist, das dem Wirtschaftsjahr der erstmaligen Ausübung der Option unmittelbar vorangeht. Im Kontext von Einbringungen nach § 20 UmwStG ist strittig, ob es insoweit auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Einbringung im Sinne der Übertragung des (wirtschaftlichen) Eigentums bzw. des Abschlusses des dinglichen Einbringungsvertrags110 oder auf den steuerlichen Übertragungs-

107 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 32. Ausnahmsweise kann die Aufdeckung stiller Reserven unterbleiben, wenn das betreffende Wirtschaftsgut zulässigerweise vorab zu Buchwerten in ein anderes Betriebsvermögen übertragen wird, s. Rz. 35 des Schreibens. 108 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 33. 109 Siehe auch IDW, Stellungnahme an das BMF zur Evaluierung der Option zur Körperschaftsbesteuerung (§ 1a KStG) und der Thesaurierungsbegünstigung (§ 34a EStG) v. 9.1.2023, abrufbar im Internet unter: https://www. idw.de/IDW/Medien/IDW-Schreiben/IDW-Optionsmodell-KoeStG-Evaluie rung-Schreiben-230109.pdf; Strecker/Carlé, NWB 2021, 2022 (2028). 110 In diesem Sinne Herlinghaus in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 20 UmwStG Rz. 104 unter Verweis auf BFH v. 7.4.2010 – I R 96/08, BStBl. II 2011, 467 = FR 2010, 890 m. Anm. Benecke/Staats = GmbHR 2010, 933; BFH v. 9.11.2011 – X R 60/09, BStBl. II 2012, 638 mwN = FR 2012, 584. = GmbHR 2012, 588; ähnlich Schmitt in Schmitt/Hörtnagl, UmwG/ UmwStG9, § 20 UmwStG Rz. 20, 31 und 75; Widmann in Widmann/Mayer, § 20 UmwStG Rz. 30; Menner in Haritz/Menner, UmwStG5, § 20 UmwStG Rz. 70.

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stichtag111 ankommt. Vor diesem Hintergrund wird auch zum fiktiven Formwechsel infolge einer Optionsausübung bisweilen diskutiert, ob der Zeitpunkt der Gesellschafterbeschlussfassung112 oder der Zugang des Antrags beim Finanzamt113 maßgeblich sein soll. Allerdings sind die zu § 20 UmwStG entwickelten Grundsätze nach hier vertretener Auffassung in dieser Frage nicht übertragbar, da im Anwendungsbereich des § 1a KStG infolge des Optionsantrags – anders als bei Einbringungen nach § 20 UmwStG – eine fiktive Übertragung der Sachgesamtheit „Mitunternehmeranteil“ auf die optierende Personengesellschaft erfolgt und damit kein gesonderter Übertragungsakt. Weder durch die Gesellschafterbeschlussfassung noch durch den Zugang des Antrags beim Finanzamt an sich erfolgt eine Übertragung – auch keine fiktive – auf die optierende Gesellschaft; dies ist ertragsteuerlich im Wege der Fiktion erst im Zeitpunkt der Wirksamkeit des fiktiven Formwechsels der Fall. Zudem ist der Stichtag des fiktiven Formwechsels gesetzlich vorgeschrieben (§ 1a Abs. 2 Satz 3 KStG) und nicht veränderbar, sodass auch auf diesen Stichtag abgestellt werden sollte.114 Dass funktional wesentliches Sonderbetriebsvermögen in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Option bereits vor dem Stichtag des fiktiven Formwechsels auf die Gesamthand übertragen werden kann (siehe nachfolgend), steht dem nicht entgegen. Werden die einem Sonderbetriebsvermögen zugehörigen funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen gesondert auf die optierende Personengesellschaft in zeitlichem und wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Ausübung der Option übertragen, so liegt nach Auffassung der Finanzverwaltung ein einheitlicher Vorgang vor, der insgesamt unter § 20 UmwStG fallen kann; ein Anwendungsfall des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG

111 So u. a. die Finanzverwaltung in BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978 b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.10 i.V.m. Rz. 20.06 Satz 2 und Rz. 15.03 Satz 1; vgl. auch bereits Benecke, FR 2010, 1009 (1021 f.); Rasche, GmbHR 2012, 149 (154). 112 Vgl. diese Überlegung aufwerfend Kölbl/Luce, Ubg 2021, 264 (266). 113 Strecker/Carlé, NWB 2021, 2022 (2025). 114 In diesem Sinne ebenfalls Kölbl/Luce, Ubg 2021, 264 (266). Hieraus ergibt sich ein Gleichlauf zu der Auffassung der Finanzverwaltung betreffend §§ 25, 20 UmwStG, welche auch in Bezug auf (tatsächliche) Einbringungen und Formwechsel auf den steuerlichen Übertragungsstichtag abstellt; BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978 b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.10 i. V. m. Rz. 20.06 Satz 2 und Rz. 15.03 Satz 1.

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wird dadurch nicht begründet.115 Die Auffassung der Finanzverwaltung ist zu begrüßen und – soweit ersichtlich – allseits anerkannt,116 auch wenn hierzu noch keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist.117 Die Übertragung von Wirtschaftsgütern des Sonderbetriebsvermögens wird in der Regel durch gesonderte Vereinbarung (in der auf den Optionsantrag und den diesen legitimierenden Gesellschafterbeschluss Bezug genommen werden sollte) und sollte aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt des fiktiven Formwechsels erfolgen. In jedem Fall ist ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang mit dem fiktiven Formwechsel sicherzustellen. Im Zusammenhang mit dem tatsächlichen Formwechsel und damit der Anwendung von § 25 i.V.m. § 20 UmwStG wird im Schrifttum – nach hier vertretener Auffassung zutreffend – vertreten, dass es unerheblich ist, ob die Übertragung des zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehörenden Sonderbetriebsvermögens vor oder nach dem fiktiven Formwechsel erfolgt, solange der sachliche und zeitliche Zusammenhang gewahrt ist.118 Für den fiktiven Formwechsel vertritt die Finanzverwaltung dagegen offenkundig die Auffassung, dass die Übertragung bis zum fiktiven Einbringungszeitpunkt erfolgen muss,119 was eine Buchwertfortführung ausschließen würde, wenn die Übertragung erst nach dem Ende des Wirtschaftsjahres, das dem Wirtschaftsjahr der erstmaligen Ausübung der Option unmittelbar vorangeht (§ 1a Abs. 2 Satz 3 KStG), erfolgt; und zwar auch dann, wenn die Übertragung (erst) unmittelbar zu Beginn des ersten Optionsjahrs wirksam erfolgt ist. 115 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 34. 116 Siehe auch Ott, DStZ 2021, 559 (562); Dreßler/Kompolsek, Ubg 2022, 1 (6); Böhmer/Schewe, FR 2022, 69 (72); siehe für den tatsächlichen Formwechsel Bilitewski in Haritz/Menner4, § 25 UmwStG Rz. 29; Patt in Dötsch/Pung/ Möhlenbrock (D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 25 UmwStG Rz. 34; Rabback in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 25 Rz. 50. 117 Vgl. Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (360); Demuth, KÖSDI 2021, 22241 (22244); Ott, DStZ 2021, 559 (562). 118 Rabback in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 25 Rz. 50. 119 Siehe BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 32 Satz 2: „Gehören zum Sonderbetriebsvermögen eines Gesellschafters funktional wesentliche Betriebsgrundlagen, die nicht bis zum fiktiven Einbringungszeitpunkt (vgl. Rz. 41) auf die Mitunternehmerschaft übertragen wurden, so ist hinsichtlich seines Mitunternehmeranteils der Ansatz zum Buch- oder Zwischenwert ausgeschlossen (Rz. 20.10 iVm 20.06 UmwStE).“

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Diese Sichtweise begründet sich darin, dass die optierende Personengesellschaft ab dem Zeitpunkt des fiktiven Formwechsels kein Sonderbetriebsvermögen mehr haben kann. Insofern besteht ein entscheidender Unterschied zum tatsächlichen Formwechsel, der einen Wechsel der Rechtsform auch zivilrechtlich nachvollzieht und der mangels handelsrechtlicher Rückbeziehung zivilrechtlich erst mit der Eintragung der neuen Rechtsform in das Register wirksam wird. Soweit ersichtlich wird das Erfordernis einer Übertragung wesentlicher Betriebsgrundlagen des Sonderbetriebsvermögens auf den oder spätestens zum Stichtag des fiktiven Formwechsels vom Schrifttum weit überwiegend geteilt.120 Zur (zeitgerechten) Übertragung der funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen des Sonderbetriebsvermögens ist das zivilrechtliche oder wirtschaftliche Eigentum an den betroffenen Wirtschaftsgütern zu übertragen.121 Erfolgt anlässlich der Optionsausübung eine Übertragung von Sonderbetriebsvermögen durch Gesellschafter der optierenden Personengesellschaft auf die Gesellschaft, wird der jeweilige Übertragende hierfür zumindest dann eine Gegenleistung bzw. einen Ausgleich verlangen, wenn nicht die anderen vermögensmäßig beteiligten Gesellschafter entsprechend ihrer Beteiligungsquoten ebenfalls der Gesellschaft Vermögen zuführen. Anderenfalls würde der übertragende Gesellschafter wirtschaftlich benachteiligt und es würden schenkungsteuerliche Implikationen drohen.122 Einerseits ist denkbar, dass dem übertragenden Gesellschafter im Gegenzug für die Übertragung seines Sonderbetriebsvermögens zusätzliche Gesellschaftsrechte gewährt werden, z. B. durch Erhöhung seines Festkapitals (i.d.R. Kapitalkonto I). Dies hätte dann eine Anpassung der Beteiligungsquoten zur Folge, was in aller Regel nicht gewünscht ist. 120 Vgl. Brühl/Weiss, DStR 2021, 889 (894); Cordes/Kraft, FR 2021, 401 (408); Kölbl/Luce, Ubg 2021, 264 (266); Ott, DStZ 2021, 559 (562); Bodden, KÖSDI 2022, 22869 (22871); Wernberger/Wangler, DStR 2022, 1513 (1516); aA Rickermann, DB 2021, 1035 (1036): Übertragung spätestens mit Optionsausübung. 121 Siehe für Einbringungen nach § 20 UmwStG Herlinghaus in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 20 Rz. 180; so wohl auch BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978 b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.10 i.V.m. Rz. 20.06 Satz 1 und Rz. 15.07; Widmann in Widmann/Mayer, UmwStE 2011 Rz. 20.10. 122 Siehe Nagel/Schlund, NWB 2021, 1874 (1878); vgl. auch Bodden, KÖSDI 2022, 22869 (22870).

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Anderseits könnte eine Kompensation in der Weise erfolgen, dass der übertragende Gesellschafter eine disquotale/inkongruente Gewinnbeteiligung, eine Unterbeteiligung oder einen vergleichbaren Ausgleich erhält.123 In beiden Fällen wird eine Beschlussfassung der Gesellschafter erforderlich sein. Insoweit stellt sich die Frage, ob eine derartige Kompensation als Sonderrecht der „normalen“ Gewinnbeteiligung oder als zusätzliche Leistung anzusehen ist. Jedenfalls besteht ein gewisses Risiko, dass die Einräumung des inkongruenten Teils der Gewinnbeteiligung im Zuge des fiktiven Formwechsels als sonstige Gegenleistung i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UmwStG behandelt wird. Im Weiteren ist unklar, ob und welche Voraussetzungen an die steuerliche Anerkennung einer solchen inkongruenten Gewinnbeteiligung zu stellen sind. Dies gilt mit Blick darauf, dass die optierende Personengesellschaft nach der gesetzgeberischen Intention für Zwecke der Einkommensbesteuerung wie eine Kapitalgesellschaft und ihre Gesellschafter wie die nicht persönlich haftenden Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft behandelt werden sollen (§ 1a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 KStG). Vor diesem Hintergrund könnte im Raum stehen, die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur steuerlichen Anerkennung von inkongruenten Gewinnausschüttungen bei Kapitalgesellschaften124 auf optierende Gesellschaften zu übertragen. Hiernach sind inkongruente Gewinnausschüttungen steuerlich anzuerkennen, soweit diese zivilrechtlich wirksam sind.125 Die Finanzverwaltung erkennt die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zwar grundsätzlich an,126 sieht eine zivilrechtliche Wirksamkeit aber offenkundig z.B. bei einer GmbH nur dann als gegeben an, wenn eine explizite Regelung der inkongruenten Gewinnausschüttung oder eine sog. Öffnungsklausel in 123 Bei zutreffendem Verständnis sollte es nicht darauf ankommen, dass die Übertragung aus dem Sonderbetriebsvermögen gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten erfolgt. Dies ist auch beim tatsächlichen Formwechsel nicht erforderlich; Rabback in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 25 Rz. 50. 124 Siehe hierzu etwa jüngst Strecker, KÖSDI 2022, 22657. 125 Vgl. BFH v. 19.8.1999 – I R 77/96, BStBl. II 2021, 43 = FR 1999, 1366 = GmbHR 1999, 1258; v. 4.5.2012 – VIII B 174/11, BFH/NV 2012, 1330; v. 28.9.2021 – VIII R 25/19, FR 2022, 256 m. Anm. Riedel = GmbHR 2022, 320 m. Anm. Binnewies = ZIP 2022, 638 = BFH/NV 2022, 267 mwN. 126 BMF v. 17.12.2013 – IV C 2 - S 2750-a/11/10001, BStBl. I 2014, 63. Bei einer GmbH könne die zivilrechtliche Wirksamkeit durch eine explizite Regelung der inkongruenten Gewinnausschüttung oder eine sog. Öffnungsklausel in der Satzung erzielt werden.

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der Satzung vereinbart ist. Zudem prüft die Finanzverwaltung bei inkongruenten Gewinnausschüttungen zusätzlich, ob ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO vorliegt. Von einem solchen Missbrauch sei bei Vereinbarung einer inkongruenten Gewinnausschüttung nicht auszugehen, wenn für die vom gesetzlichen Verteilungsschlüssel abweichende Gewinnverteilung beachtliche wirtschaftlich vernünftige außersteuerliche Gründe nachgewiesen werden. Ein Indiz für eine unangemessene Gestaltung könne vorliegen, wenn die Gewinnverteilungsabrede nur kurzzeitig gilt oder wiederholt geändert wird.127 Nach jüngerer Rechtsprechung des BFH ist ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, dagegen – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung – als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen.128 Ob eine inkongruente Vorabgewinnausschüttung nach § 42 AO gestaltungsmissbräuchlich ist, sei zudem bei zivilrechtlich wirksamen punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlüssen nach denselben Maßstäben zu beurteilen, die für satzungsgemäße inkongruente Ausschüttungen gelten.129 Dass es bei punktuell satzungsdurchbrechenden Ausschüttungsbeschlüssen zu einer temporären Statusverbesserung auf Gesellschafterebene kommen kann, war für den BFH ohne Bedeutung. Ungeachtet der vorstehend skizzierten Diskussionen zur steuerlichen Anerkennung von inkongruenten Gewinnausschüttungen bei Kapitalgesellschaften stellt sich indes die Frage, ob diese Grundsätze tatsächlich auf optierende Personengesellschaften zu übertragen sind. Zwar sieht das Konzept des Optionsmodells wie bereits dargestellt eine (weitgehende) Gleichbehandlung der optierenden Personengesellschaft mit einer Kapitalgesellschaft für Zwecke der Einkommensbesteuerung vor. Allerdings sollten nach hier vertretener Auffassung punktuelle Durchbrechungen dieses Grundsatzes dann nicht nur möglich, sondern auch geboten sein, wenn sich diese aus der Schnittstelle zwischen Zivil- und

127 Vgl. BMF v. 17.12.2013 – IV C 2 - S 2750-a/11/10001, BStBl. I 2014, 63. 128 BFH v. 28.9.2022 – VIII R 20/20, FR 2023, 181 m. Anm. Liekenbrock/Liedgens = GmbHR 2023, 127 m. Anm. Obser = ZIP 2022, 2604 = BFH/NV 2023, 196, Rz. 19 f. 129 BFH v. 28.9.2022 – VIII R 20/20, FR 2023, 181 m. Anm. Liekenbrock/Liedgens = GmbHR 2023, 127 m. Anm. Obser = ZIP 2022, 2604 = BFH/NV 2023, 196, Rz. 37 ff.

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Steuerrecht ableiten.130 In dem hier in Rede stehenden Kontext ist zu berücksichtigen, dass die optierende Personengesellschaft zivilrechtlich weiterhin eine Personengesellschaft bleibt und damit keine inkongruente Gewinnausschüttung im eigentlichen Sinne gegeben ist, sondern vielmehr das Gesetz für eine optierende Personengesellschaft erst eine Gewinnausschüttung fingiert, sofern Gewinnanteile der Gesellschafter entnommen werden oder ihre Auszahlung verlangt werden kann (§ 1a Abs. 3 Satz 5 EStG; siehe ausführlich hierzu unten in Abschnitt IV.3.a); und zwar dies unabhängig davon, ob die Gewinnverteilung quotal/kongruent oder disquotal/inkongruent erfolgt. Dies verdeutlicht, dass zivilrechtlich aus Personengesellschaften keine Gewinnausschüttungen erfolgen können, sondern es sich lediglich um Entnahmen oder andere Tatbestände handelt, welche steuerlich eine fiktive Gewinnausschüttung zur Folge haben. Insofern sind zumindest deutliche Zweifel angebracht, ob und inwieweit ein Rückgriff auf die Grundsätze zur steuerlichen Anerkennung von inkongruenten Gewinnausschüttungen bei Kapitalgesellschaften zu erfolgen hat. Wird im Zuge der Übertragung des Sonderbetriebsvermögens seitens der optierenden Personengesellschaft eine Gegenleistung an den übertragenden Gesellschafter gewährt, welche nicht in der Gewährung von Gesellschaftsrechten besteht, dürfte es sich (regelmäßig) um eine sonstige Gegenleistung i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UmwStG handeln. In diesem Zusammenhang stellen sich unter anderem die Fragen, ob erstens zum Zeitpunkt des fiktiven Formwechsels bestehende Gesellschafterdarlehensforderungen des Mitunternehmers gegen die optierende Personengesellschaft131 als funktional wesentliches Sonderbetriebsvermögen anzusehen sind mit der Folge, dass sie auf die optierende Personengesellschaft übertragen werden müssen, um die Voraussetzungen für einen Buch- oder Zwischenwertansatz zu erfüllen, und ob zweitens eine sonstige Gegenleistung i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UmwStG vorliegt, soweit Gesellschafterdarlehensforderungen nicht übertragen und 130 Siehe beispielsweise auch nachfolgend die Ausführungen zu Anteilen an einer Komplementär-GmbH unter Abschnitt IV.2.c)bb. 131 Gesellschafterdarlehensforderungen des Mitunternehmers stellen aus Sicht der Mitunternehmerschaft während ihres Bestehens bis zum Ende der Mitunternehmerstellung funktionales Eigenkapital dar; siehe etwa BFH v. 16.3.2017 – IV R 1/15, BStBl. II 2017, 943 = FR 2017, 957 m. Anm. Wendt = GmbHR 2017, 880 = ZIP 2017, 1207; Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 540 ff.

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damit auch nach dem fiktiven Formwechsel fortgeführt werden.132 In aller Regel sollte die Darlehensforderung des Gesellschafters aus der Sicht der Personengesellschaft zum Erreichen des Geschäftszwecks nicht funktional erforderlich sein,133 sodass keine Übertragung auf die optierende Personengesellschaft erforderlich ist, um die Voraussetzungen für einen Buch- oder Zwischenwertansatz nach § 20 Abs. 2 UmwStG zu erfüllen. Nach hier vertretener Auffassung ist weder in der damit verbundenen Entnahme der Forderung durch den Gesellschafter in sein Privatvermögen noch in der Transformation des Gesellschafterdarlehens von funktionalem Eigenkapital der Mitunternehmerschaft zu Fremdkapital der optierenden Personengesellschaft eine sonstige Gegenleistung i. S. d. § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UmwStG zu sehen.134 bb) Anteile an Komplementär-GmbH (Bohn) Zum Sonderbetriebsvermögen können auch Geschäftsanteile eines Kommanditisten einer GmbH & Co. KG an der Komplementär-GmbH gehören, wenn die Beteiligung dazu dient, Einfluss auf die Geschäftsführung der KG zu nehmen. Kein notwendiges SBV sind dagegen in der Regel Anteile an der Komplementärin, wenn diese über ihre Geschäftsführung und Haftungsübernahme hinaus eine anderweitige eigene Tätigkeit von nicht untergeordneter Bedeutung ausübt.135 Sofern die Beteiligung des Mitunternehmers an der Komplementärgesellschaft eine funktional wesentliche Betriebsgrundlage des Sonderbetriebsvermögens darstellt,136 soll der Ansatz des Buch- oder Zwi132 Vgl. hierzu Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 2021, 3 (21); Ott, DStZ 2021, 559 (564 f.). 133 Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (360); Ott, DStZ 2021, 559 (564 f.); Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 2021, 3 (21). 134 Vgl. zum fiktiven Formwechsel gemäß § 1a KStG Ott, DStZ 2021, 559 (565) mwN; Schiffers, DStZ 2021, 348 (361); Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 2021, 3 (21) sowie zum tatsächlichen Formwechsel gemäß § 25 UmwStG Rapp, DStR 2017, 580 (582); Schaaf/Hannweber, DStZ 2016, 155 (156 f.). 135 BFH v. 15.10.1998 – IV R 18/98, BStBl. II 1999, 286 = FR 1999, 262. = GmbHR 1999, 193. 136 Siehe ausführlich hierzu BFH v. 25.11.2009 – I R 72/08, BStBl. II 2010, 471 = FR 2010, 381 m. Anm. Wendt = GmbHR 2010, 317 m. Anm. Suchanek; v. 16.12.2009 – I R 97/08, BStBl. II 2010, 808 = FR 2010, 611 m. Anm. Schell = GmbHR 2010, 600; OFD NRW v. 21.6.2016, DB 2016, 1907; OFD Frankfurt v. 21.7.2022, DStR 2022, 1910.

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schenwerts nach Ansicht der Finanzverwaltung ausgeschlossen sein, wenn die Beteiligung nicht eingebracht wird.137 Dies stellt einen bedeutsamen Unterschied zum tatsächlichen Formwechsel einer GmbH & Co. KG in eine GmbH dar. In diesen Fällen soll nämlich die Buchwertfortführung nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich auch ohne Übertragung der Anteile an der Komplementärin zulässig sein, da die bisherige Komplementärstellung bei Umwandlung der GmbH & Co. KG als Folge der Einbringung aus rechtlichen Gründen zwangsläufig gegenstandslos wird.138 Auch die Finanzverwaltung verzichtet beim tatsächlichen Formwechsel regelmäßig auf eine Übertragung dieser Beteiligung unter Verweis auf die diesbezüglich ergangene BFH-Rechtsprechung.139 Damit dürfte nach derzeitiger Rechtslage in der Praxis vor bzw. mit Optionsausübung regelmäßig eine Umwandlung in eine sog. Einheits-KG erforderlich sein, wobei die Übertragung der Komplementärbeteiligung zum einen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Optionsausübung erfolgen kann, sodass die Übertragung steuerlich im Zuge der Anwendung der §§ 25, 20 UmwStG zu werten ist. Zum anderen wäre eine zeitlich deutlich vorgelagerte Übertragung auf die KG nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG denkbar. In letzterem Fall dürfte allerdings die nachfolgende Optionsausübung zu einem Verstoß gegen die Körperschaftsklausel des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG in Bezug auf die Anteile an der Komplementär-GmbH führen.140 Aus der Beratungspraxis wird indes gefordert, den Buch- oder Zwischenwertansatz beim fiktiven Formwechsel auch im Fall einer Zurückbehaltung der Anteile an der Komplementär-GmbH zu ermöglichen, sofern sich die Tätigkeit der Komplementär-GmbH auf die Stellung als persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführungs-/Vertretungsorgan der KG beschränkt.141 Mit dem vom Bundesministerium der Finanzen 137 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 32. 138 BFH v. 16.12.2009 – I R 97/08, BStBl. II 2010, 808 = FR 2010, 611 m. Anm. Schell. = GmbHR 2010, 600. 139 OFD NRW v. 21.6.2016, DB 2016, 1907, unter II. 4; OFD Frankfurt v. 21.7.2022, DStR 2022, 1910, unter 1.1.4. 140 Siehe auch Ott, DStZ 2021, 559 (564). 141 Vgl. Bundessteuerberaterkammer, Stellungnahme der BStBK zum Entwurf eines BMF-Schreibens zur Option zur Körperschaftsbesteuerung (§ 1a KStG) v. 19.10.2021, abrufbar im Internet unter https://www.bstbk.de/downloads/ bstbk/presse-und-kommunikation/stellungnahmen/BStBK_2021_033_202110-19_Stellungnahme_KSt-Option_ex.pdf, S. 2; Spitzenverbände der deut-

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vorgelegten Referentenentwurf eines Wachstumschancengesetzes142 soll dieser Kritikpunkt an der derzeitigen Rechtslage im Wege einer Gesetzesänderung in der Weise ausgeräumt werden, als nach § 1a Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 KStG-E allein die Zurückbehaltung der Beteiligung an einer Komplementärin der optierenden Gesellschaft die Anwendung des § 20 Abs. 2 UmwStG und damit die Möglichkeit zum Buch- oder Zwischenwertansatz nicht ausschließen soll. Eine solche Gesetzesänderung ist zu begrüßen, da rein steuerlich motivierte Strukturierungsmaßnahmen in Bezug auf Komplementärgesellschaften zur Vorbereitung der Optionsausübung nicht mehr erforderlich sein werden. cc) Vorabausgliederungsmaßnahmen (Hannig) Soll der fiktive Formwechsel steuerbegünstigt gem. §§ 20, 25 UmwStG erfolgen, so setzt dies wie bei einem echten Formwechsel u.a. voraus, dass auch die wesentlichen Betriebsgrundlagen im Sonderbetriebsvermögen in einem einheitlichen Vorgang in das Betriebsvermögen des aufnehmenden Rechtsträgers übertragen werden.143 In Ermanglung eines zivilrechtlichen Umwandlungsvorgangs ist die Übertragung in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit der Ausübung der Option durch einen separaten zivilrechtlichen Übertragungsakt in das Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft herbeizuführen. In der Praxis ist die Miteinbringung des funktional wesentlichen Sonderbetriebsvermögens von den Mitunternehmern regelmäßig jedoch schen Wirtschaft, Stellungnahme zum Entwurf eines BMF-Schreibens zur Option zur Körperschaftsbesteuerung (§ 1a KStG) v. 20.10.2021, abrufbar im Internet unter https://www.ihk-muenchen.de/ihk/documents/Recht-Steuern/ Steuerrecht/Neuer-Ordner/20211020-8er-Eingabe-Anwendungsschreiben_ K%C3%B6MoG.pdf, S. 6; Wernberger/Wangler, DStR 2022, 1513 (1518). 142 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz) v. 17.7.2023, abrufbar im Internet unter: https://www.bundesfi nanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorha ben/Abteilungen/Abteilung_IV/20_Legislaturperiode/2023-07-17-Wachstums chancengesetz/1-Referentenentwurf.pdf?__blob=publicationFile&v=2, S. 56. 143 Vgl. Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 1a Rz. 73 (Juni 2022); Cordes/Kraft, FR 2021, 401 (407 f.); Ott, DStZ 2021, 559 (561); BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 32; so auch die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 19/28656, 23; zum echten Formwechsel vgl. Rabback in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 25 Rz. 50 m.w.N.

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nicht gewünscht. Nicht nur, dass der Gesellschafter durch die Übertragung seines Sonderbetriebsvermögens auf die Gesamthand der Personengesellschaft die rechtliche Verfügungsmacht über sein Eigentum an dem Sonderbetriebsvermögen verliert. Die Miteinbringung des aktiven oder passiven Sonderbetriebsvermögens kann darüber hinaus zu einer nicht gewünschten Verschiebung der Beteiligungsquoten führen.144 Da die (fiktive) Kapitalgesellschaft keine individuelle Zuordnung von Wirtschaftsgütern an ihre Gesellschafter kennt, kommt es darüber hinaus durch die Miteinbringung von Sonderbetriebsvermögen in das Betriebsvermögen der optierenden Gesellschaft zu einer Vergesellschaftung von Abschreibungspotential sowie evtl. vorhandener stiller Reserven oder Lasten,145 so dass auf gesellschaftsvertraglicher Basis ein entsprechender Ausgleich über eine Anpassung der Gewinnverteilung (z.B. Gewinnvorab, disquotale Gewinnverteilung) zu schaffen wäre.146 Auch dies entspricht nicht immer der Interessenlage im Gesellschafterkreis. Um die zuvor beschriebenen Schwierigkeiten zu vermeiden, wird in der Praxis diskutiert, dass der Mitunternehmer sein funktional wesentliches Sonderbetriebsvermögen zeitlich vor der Optionsausübung zu Buchwerten in ein anderes Betriebsvermögen (z.B. in eine SchwesterGmbH & Co. KG, an der der Mitunternehmer zu 100% beteiligt ist) überträgt.147 Diese Überlegungen sind nicht neu. Sie werden seit jeher auch beim echten Formwechsel sowie den Einbringungstatbeständen der §§ 20, 24 UmwStG angestellt und teilweise auch praktiziert. Dieser Vorgehensweise haftet jedoch das Risiko an, dass die Finanzverwaltung die Vorabausgliederung von wesentlichen Betriebsgrundlagen als Teil eines schädlichen Gesamtplans ansieht mit der Folge einer rückwirkenden Aufdeckung stiller Reserven.148 Während die Verwaltung den Gesamtplangedanken im Kontext des § 6 Abs. 3 EStG nach langem Widerstand aufgegeben hat,149 hält sie in Einbringungsfällen weiterhin an einer Zeitraumbetrachtung fest. Werden funktional wesentliche Be144 145 146 147

Vgl. dazu eingehend Benz/Hannig, StbJb. 2020/2021, 49 (90 ff.). Vgl. Link, DStR 2022, 1599 (1602). Vgl. Böhmer in Mössner/Oellerich/Valta, KStG5, § 1a Rz. 273, 278. Vgl. Demuth, KÖSDI 2021, 22230 (22242); Dreßler/Kompolsek, Ubg 301 (304); Ott, DStZ 2021, 559 (562). 148 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978 b/08/10001, BStBl. I 2011, Rz. 20.07; v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, Rz. 35. 149 Vgl. BMF v. 20.11.2019 – IV C 6 - S 2241/15/10003, BStBl. I 2019, Rz. 10.

2021, 1314, 2212, 1291,

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triebsgrundlagen oder nach wirtschaftlichen Zusammenhängen zuordenbare Wirtschaftsgüter im zeitlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Einbringung eines Teilbetriebs in ein anderes Betriebsvermögen überführt oder übertragen, ist nach geltender Auffassung der Finanzverwaltung die Anwendung der Gesamtplanrechtsprechung unverändert zu prüfen.150 Wann genau nach Auffassung der Finanzverwaltung eine für die Anwendung des § 20 UmwStG schädliche VorabÜbertragung oder -Überführung von funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen „in zeitlichem und wirtschaftlichem Zusammenhang“ mit dem Einbringungsvorgang gegeben ist, bleibt nach der Rz. 20.07 des UmwSt-Erlasses 2011151 allerdings offen. Hintergrund der Sichtweise der Finanzverwaltung ist, dass durch in zeitlichem und wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Einbringung erfolgte Vorabauslagerungen von funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen im Zeitpunkt der Einbringung nicht die ursprüngliche Sachgesamtheit, sondern eine durch die Vorabausgliederung entsprechend verkleinerte wirtschaftliche Einheit eingebracht wird. Nach Ansicht der Finanzverwaltung widerspricht – bei wertender Betrachtung – die gezielte Vorabauslagerung wesentlicher Betriebsgrundlagen im Wege sachlich miteinander verknüpfter Teilakte dem Telos des UmwStG, das erkennbar darauf ausgelegt ist, die Umstrukturierung von Sachgesamtheiten steuerlich zu begünstigen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gesamtplangedanke auch im Ertragsteuerrecht der Europäischen Union seinen Niederschlag gefunden hat.152 In der allgemeinen Missbrauchsverhinderungsvorschrift des Art. 6 der Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.7.2016 (sog. ATAD I) wird ausdrücklich klargestellt, dass eine missbräuchliche Gestaltung auch in der unangemessenen Abfolge von Gestaltungen bestehen kann und eine Gestaltung mehr als einen Schritt oder Teil umfassen kann. Nichtsdestotrotz ist zweifelhaft, ob die von der Finanzverwaltung im Bereich der Einbringungsvorschriften vertretene zeitraumbezogene Betrachtung einer gerichtlichen Überprüfung standhalten wird. Die zuletzt höchstrichterlich durch den I. und X. Senat gesendeten Signale gehen je150 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978 b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.07; v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 35. 151 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978 b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314. 152 Darauf hinweisend auch Wacker, Anmerkung zu BFH v. 18.11.2020 – I R 25/18, ECLI:DE:BFH:2020:U.181120.IR25.18, DStR 2021, 1349.

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denfalls in eine andere Richtung:153 Für den Fall einer Einbringung eines Einzelunternehmens in eine Personengesellschaft (§ 24 UmwStG) hat der X. Senat des BFH entschieden, dass die Rechtsfigur des Gesamtplans nicht zur Anwendung kommt, wenn vor der Einbringung eine wesentliche Betriebsgrundlage des einzubringenden Betriebs unter Aufdeckung der stillen Reserven veräußert wird und die Veräußerung auf Dauer angelegt ist.154 Selbst wenn die Vorabausgliederung steuerneutral durch unentgeltliche „Auslagerung“ funktional wesentlicher Betriebsgrundlagen erfolgt, steht dies, wie der I. Senat in seiner Entscheidung I R 72/08 deutlich gemacht hat, einer Anwendung des § 20 UmwStG nicht entgegen, sofern die Vorab-Übertragung auf Dauer erfolgt.155 Im Übrigen ist auch systematisch kaum begründbar, weshalb für unentgeltliche Übertragungen i.S.v. § 6 Abs. 3 EStG andere Grundsätze gelten sollen als für entgeltliche Übertragungen nach dem UmwStG.156 Hinsichtlich der Erwähnung des Gesamtplangedankens in Art. 6 ATAD I ist zudem festzustellen, dass allein die gezielte Verknüpfung von Teilakten zur Erreichung eines Steuervorteils keinen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten begründet. Denn auch die europäische Variante des § 42 AO setzt eine dem Ziel oder Zweck des geltenden Steuerrechts zuwiderlaufende unangemessene Gestaltung voraus. Die Finanzverwaltung steht damit am Scheideweg. Entweder sie schwenkt auch bei entgeltlichen Übertragungsvorgängen nach dem UmwStG auf eine zeitpunktbezogene Betrachtung um und es erfolgt eine entsprechende Anpassung in Rz. 20.07 des UmwSt-Erlasses 2011 oder der Gesetzgeber schreibt die Auffassung der Finanzverwaltung gesetzlich fest, wobei dann zu klären wäre, innerhalb welcher Zeitspanne von einer schädlichen Vorabausgliederung auszugehen ist. Ohne eine gesetzliche Verankerung der Schädlichkeit von Vorabausgliederungen erscheint eine 153 BFH v. 25.11.2009 – I R 72/08, BStBl. II 2010, 471 = FR 2010, 381 m. Anm. Wendt = GmbHR 2010, 317 m. Anm. Suchanek = DStR 2010, 269; v. 9.11.2011 – X R 60/09, BStBl. II 2012, 638 = FR 2012, 584 = GmbHR 2012, 588 = DStR 2012, 648; in eine andere Richtung weisend aber noch BFH v. 11.12.2001 – VIII R 23/01, BStBl. II 2004, 474 = GmbHR 2002, 382 m. Anm. Roser; v. 25.2.2010 – IV R 49/08, BStBl. II 2010, 726 = FR 2010, 701 m. Anm. Wendt = GmbHR 2010, 776 = DStR 2010, 1025. 154 BFH v. 9.11.2011 – X R 60/09, BStBl. II 2012, 638 = FR 2012, 584 = GmbHR 2012, 588 = DStR 2012, 648. 155 BFH v. 25.11.2009 – I R 72/08, BStBl. II 2010, 471 = FR 2010, 381 m. Anm. Wendt = GmbHR 2010, 317 m. Anm. Suchanek = DStR 2010, 269. 156 Herlinghaus, FR 2014, 441 (452).

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Gesamtplanbetrachtung im Kontext der §§ 20, 24 UmwStG im Lichte der zuletzt ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung schwer haltbar. d) Umgang mit Ergänzungsbilanzen (Bohn) Bei einem fiktiven Formwechsel infolge einer Ausübung der Option nach § 1a KStG wie auch bei einem tatsächlichen Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft kann der Fall eintreten, dass für einzelne oder alle Gesellschafter der Personengesellschaft (positive oder negative) Ergänzungsbilanzen existieren. Etwaige Ergänzungsbilanzen der jeweiligen Mitunternehmer der optierenden Personengesellschaft sind indes – gleichfalls wie Sonderbilanzen – nicht fortzuführen, da diese im Körperschaftsteuer-Regime nicht abgebildet werden können.157 Nach der herrschenden Meinung führen Mehr- oder Minderwerte in Ergänzungsbilanzen der Gesellschafter der formwechselnden Personengesellschaft bei einem tatsächlichen Formwechsel zu einer entsprechenden Auf- bzw. Abstockung der Ansätze in der Steuerbilanz der formgewechselten Kapitalgesellschaft.158 Dies ist folgerichtig, da zum einen die einzelnen Mitunternehmer als Einbringende anzusehen sind (mit der Folge, dass u. a. für jeden einzelnen Mitunternehmer zu prüfen ist, ob für ihn gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, Abs. 3 UmwStG eine Pflicht zur Aufstockung besteht bzw. für jeden Einbringungsvorgang gesondert das Antragswahlrecht durch die aufnehmende GmbH ausgeübt werden kann159) und sich zum anderen der Buchwert des auf den einbringenden Mitunternehmer entfallenden Anteils an den Wirtschaftsgütern der Personengesellschaft aus dem anteiligen Buchwert laut Gesamthandsbilanz zuzüglich/abzüglich der Mehr-/Minderwerte aus seiner Ergänzungsbilanz zusammensetzt. Dieser Buchwert ist konsequenter Weise von der übernehmenden Kapitalgesellschaft fortzufüh157 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 44; Ott, DStR 2022, 2121 (2122). Siehe auch für den tatsächlichen Formwechsel zB Fichtelmann, GStB 2013, 28 (32); Ott, BB 2017, 495. 158 Vgl. Rickermann, DB 2021, 1561 (1565); Ott, BB 2017, 495; Demuth, KÖSDI 2021, 22241 (22246 f.); Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (359); Ott, StuB 2021, 597 (601); Ott, DStZ 2021, 559 (566); Ott, DStR 2022, 2121 (2122); Patt, in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 20 UmwStG Rz. 195; Menner, in Haritz/ Menner/Bilitewski, UmwStG5, § 20 Rz. 396, jeweils mwN; vgl. zu anderen denkbaren Lösungsansätzen die Darstellung bei Ott, BB 2017, 495 (495 f.). 159 Vgl. zB Schmitt in Schmitt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG9, § 20 UmwStG Rz. 383.

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ren (Ausnahme: Ansatz von gemeinen Werten oder Zwischenwerten). Schließlich ist der für die Anwendung von § 25 i. V. m. § 20 UmwStG maßgebliche Begriff des Buchwerts in § 1 Abs. 5 Nr. 4 UmwStG als „Wert, der sich nach den steuerrechtlichen Vorschriften über die Gewinnermittlung in einer für den steuerlichen Übertragungsstichtag aufzustellenden Steuerbilanz ergibt oder ergäbe“, definiert. Die in der Ergänzungsbilanz der Gesellschafter ausgewiesenen Werte gehören (damit) ebenfalls zum Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens.160 Bei dem tatsächlichen Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft, welcher steuerrechtlich als Einbringung eines Mitunternehmeranteils zu behandeln ist, ist hinsichtlich des Buchwerts also auf das Kapital des betroffenen Mitunternehmers in der Gesamthandsbilanz zzgl. eines positiven bzw. abzgl. eines negativen Ergänzungskapitals sowie unter Berücksichtigung eines Kapitals aus einer Sonderbilanz abzustellen.161 Die vorstehend dargestellten Grundsätze dürften auch für den fiktiven Formwechsel infolge einer Optionsausübung nach § 1a KStG gelten;162 diese Sichtweise wird jedenfalls wohl in dieser Weise von der Finanzverwaltung geteilt.163 Die beschriebene Systematik hat gleichzeitig zur Folge, dass im Fall bestehender Ergänzungsbilanzen Abschreibungsvolumen mittelbar auf die anderen Gesellschafter überspringt. Vor diesem Hintergrund wird im Schrifttum zu Recht darauf hingewiesen, dass die Erhöhung des Abschreibungsvolumens infolge der Übernahme der Wertansätze in der Ergänzungsbilanz dem Gesellschafter, für den eine positive Ergänzungs160 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 111/00, GmbHR 2002, 390 = BFH/NV 2002, 628; Schultes-Schnitzlein/Kaiser, NWB 2009, 2500 (2509); Ott, DStR 2022, 2121 (2122). 161 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978 – b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.18 i. V. m. Rz. 03.10; Widmann in Widmann/Mayer, UmwStE 2011, Rz. 20.18; Menner in Haritz/Menner, § 20 UmwStG Rz. 396; Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 20 UmwStG Rz. 305; Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 20 UmwStG Rz. 195; Frotscher, UmwSt-Erlass 2011, zu Rz. 20.18; Herlinghaus in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 20 Rz. 360. 162 Vgl. etwa Ott, DStR 2022, 2121 (2122). 163 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 39: „Die Buchwerte der durch die Option eingebrachten Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens sind unter Berücksichtigung von Ergänzungsbilanzen zu bestimmen.“

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bilanz aufgestellt ist, regelmäßig entsprechend zu vergüten ist, was insbesondere bei der Gewinnverteilung der Kapitalgesellschaft bzw. der optierenden Personengesellschaft geschehen kann.164 Für den Fall einer negativen Ergänzungsbilanz sind die auf die Kapitalgesellschaft bzw. die optierende Gesellschaft und damit mittelbar auf die anderen Gesellschafter überspringenden stillen Reserven ebenfalls zum Ausgleich zu bringen. Beides kann bspw. über eine Abstimmung des Auszahlungsverhaltens mit dem Bestand von ausschüttbaren Gewinnen sowie dem steuerlichen Einlagekonto, z.B. in Gestalt von temporären disquotalen Gewinnausschüttungen oder Vorabgewinnen, erfolgen. Die Einräumung einer höheren Kapitalbeteiligung für diejenigen Gesellschafter, die unter Berücksichtigung der Ergänzungsbilanzen höhere Buchwerte bzw. ein höheres (steuerliches) Eigenkapital einbringen, ist in der Praxis wegen der daraus resultierenden Verschiebung von Beteiligungsquoten in der Regel nicht gewünscht. De lege ferenda wird seitens der Wirtschaft u. a. vorgeschlagen, die in Ergänzungsbilanzen enthaltenen Werte weiterhin den jeweiligen Gesellschaftern zuzuordnen und den im Rahmen einer Nebenrechnung zu ermittelnden steuerlichen Vorteil der Gesellschaft jährlich dem Gesellschafter als Vorabgewinn zuzuweisen.165 Die sich gegenüber der Handelsbilanz ergebende Abweichung führt in der Steuerbilanz in Höhe der in der Ergänzungsbilanz ausgewiesenen Mehr- bzw. Minderwerte zu einem steuerlichen Mehr- oder Minderkapital (steuerlicher Ausgleichsposten). Im Schrifttum ist in diesem Zusammenhang oftmals von einem passiven oder aktiven Ausgleichsposten die Rede;166 abseits terminologischer Unklarheiten sollte nach hier vertretener Auffassung eindeutig sein, dass es sich jedenfalls um einen Teil des steuerlichen Eigenkapitals der optierenden Personengesellschaft handelt.167

164 Demuth, KÖSDI 2021, 22241 (22246 f.); Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (359); Ott, StuB 2021, 597 (601); Link, DStR 2022, 1599 (1602); Ott, DStR 2022, 2121 (2123); zum tatsächlichen Formwechsel Ott, BB 2017, 495 (496). 165 Link, DStR 2022, 1599 (1602). 166 Ott, BB 2017, 495 (497); Demuth, KÖSDI 2021, 22241 (22246); Fuhrmann, NWB 2021, 2356 (2360); Ott, DStZ 2021, 559 (566). 167 Dies führt zu temporären Differenzen, die in der Handelsbilanz zur Bildung aktiver oder passiver latenter Steuern führen können.

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e) Steuerliches Einlagekonto (Bohn) Gemäß § 1a Abs. 2 Satz 3 KStG gilt als Einbringungszeitpunkt das Ende des Wirtschaftsjahres, das dem Wirtschaftsjahr der erstmaligen Ausübung der Option unmittelbar vorangeht. Daher ist für die optierende Gesellschaft – wie für den übernehmenden Rechtsträger im Rahmen eines tatsächlichen Formwechsels – bereits für die letzte juristische Sekunde des Vorjahres neben einer Eröffnungsbilanz auch eine steuerliche Schlussbilanz unter Einbeziehung von Mehr- oder Minderwerten aus Ergänzungsbilanzen der Gesellschafter (siehe vorstehend) sowie unter Zugrundelegung der ggf. im Zuge eines Ansatzes von Zwischen- oder gemeinen Werten aufgestockten Werte aufzustellen und eine Körperschaft- sowie ggf. eine Gewerbesteuererklärung abzugeben.168 Nach § 1a Abs. 2 Satz 4 KStG ist das im Einbringungszeitpunkt in der Steuerbilanz auszuweisende Eigenkapital (einschließlich des Eigenkapitals in Ergänzungsbilanzen)169 insgesamt auf dem steuerlichen Einlagekonto i. S. d. § 27 KStG der optierenden Personengesellschaft zu erfassen.170 Die Erfassung des gesamten Eigenkapitals im steuerlichen Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG ist sachgerecht, da die optierende Gesellschaft zivilrechtlich als Personenhandels- oder Partnerschaftsgesellschaft fortbesteht und anders als eine Kapitalgesellschaft nicht über Nennkapital i.S.d. § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG verfügt.171 Während die steuerlichen Kapitalkonten von Personengesellschaften für Zwecke der Anwendung einer Vielzahl steuerlicher Gewinnermittlungsvorschriften wie bspw. § 15a EStG, § 4 Abs. 4a EStG etc. personenbezogen geführt werden, ist bei der optierenden Gesellschaft zu beachten, dass das steuerliche Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG entsprechend den 168 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 41. Von inländischen Gesellschaften ist ferner eine Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos abzugeben. 169 Ein steuerliches Mehrkapital aus Ergänzungsbilanzen ist wirtschaftlich einem Ausgabeaufgeld beim tatsächlichen Formwechsel vergleichbar und führt daher in gleicher Höhe zu einem Zugang zum steuerlichen Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG. 170 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 42. Der Umfang des maßgeblichen Eigenkapitals bestimmt sich dabei nach Tz. I. 2. des BMF-Schreibens v. 11.7.2011, BStBl. I 2011, 713 i.V.m. dem BMF-Schreiben v. 30.5.1997, BStBl. I 1997, 627 und dem BMF-Schreiben v. 26.7.2016, BStBl. I 2016, 684. 171 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 42.

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Grundsätzen der Kapitalgesellschaftsbesteuerung nicht personenbezogen geführt wird und somit allen Gesellschaftern für Ausschüttungen zur Verfügung steht. Zivilrechtlich hat die Option dagegen keine (unmittelbaren) Auswirkungen auf die Guthaben der Eigenkapitalkonten der Gesellschafter bei der optierenden Personengesellschaft. Für ertragsteuerliche Zwecke gilt der Wert, mit dem die optierende Gesellschaft ihr Betriebsvermögen ansetzt, für die Gesellschafter als Veräußerungspreis und als Anschaffungskosten der Gesellschaftsanteile (§ 20 Abs. 3 bzw. § 21 Abs. 2 UmwStG). Damit entsprechen die Anschaffungskosten der Gesellschaftsanteile für die Gesellschafter ihrem Anteil am Eigenkapital in der steuerlichen Schlussbilanz. Die vorstehend dargestellte – nach hier vertretener Auffassung sich zwingend aus den gesetzlichen Vorschriften ergebende – Systematik kann zu Friktionen führen, wenn die Gesellschafter der optierenden Personengesellschaft im Zeitpunkt des fiktiven Formwechsels steuerliche Eigenkapitalkonten führen, die von ihrer Beteiligungsquote an der Gesellschaft abweichen.172 Denn in diesen Fällen können einzelne Gesellschafter bei künftigen Auskehrungen aus der optierenden Personengesellschaft am steuerlichen Einlagekonto i. S. d. § 27 KStG partizipieren, soweit es rein rechnerisch auf andere Gesellschafter entfällt. Mithin ergibt sich – vergleichbar mit dem Szenario bestehender Ergänzungsbilanzen (siehe hierzu oben unter Abschnitt IV.2.d) – eine Vergemeinschaftung von Potentialen einer steuerneutralen Einlagerückgewähr.173 Zu beachten ist in diesem Kontext indes, dass eine Einlagenrückgewähr über die Anschaffungskosten des jeweiligen Gesellschafters hinaus bei diesem zu einem Veräußerungsgewinn nach § 17 Abs. 4 EStG bzw. § 8b Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 KStG und einem Sperrfristverstoß i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 UmwStG führen dürfte.174 Sofern die (steuerlichen) Eigenkapitalbestände vor Optionsausübung nicht ausgeglichen werden, stellt sich – wie auch im Umgang mit Ergänzungsbilanzen – die Frage nach geeigneten Ausgleichmechanismen, um

172 Dies kann z. B. bei individuellen Gesellschafter-/Rücklagenkonten, bestehenden Ergänzungsbilanzen oder unterschiedlicher Wahlrechtsausübung nach §§ 25, 20 UmwStG der Fall sein. 173 Siehe auch Ott, DStR 2022, 2121 (2123); vgl. zur vergleichbaren Problematik bei personengebundenen Kapitalrücklagen einer GmbH Ott, DStR 2021, 897. 174 Vgl. ausführlich hierzu Ott, DStZ 2021, 559 (566 f.); Ott, DStR 2022, 2121 (2124 ff.).

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unerwünschte Vermögensverschiebungen und ebensolche steuerliche Konsequenzen zu vermeiden. Für die Gestaltungspraxis positiv ist hingegen, dass die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos gemäß § 27 Abs. 1 KStG im Wirtschaftsjahr der erstmaligen Ausübung der Option möglich ist und dies durch die Finanzverwaltung anerkannt wird.175 Dies eröffnet Möglichkeiten, Gewinne im ersten Optionsjahr vorab an die Gesellschafter auszukehren und hierfür auf das steuerliche Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG zurückzugreifen, da die optierende Personengesellschaft im ersten Optionsjahr noch nicht über einen ausschüttbaren Gewinn verfügen kann. Soweit durch eine solche Einlagenrückgewähr die Anschaffungskosten der Gesellschafter nicht überschritten werden, liegt nach Verwaltungsauffassung auch kein schädliches Ereignis i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 UmwStG vor.176 f) Sperrfristen (Bohn) Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist auch der fiktive Formwechsel als schädliche Veräußerung geeignet, bestehende Sperr- und Haltefristen zu verletzten. Zu nennen sind insbesondere die Sperrfristen nach § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG, § 6 Abs. 5 Sätze 4 und 6 EStG, § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG sowie § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG, § 18 Abs. 3 Satz 2 UmwStG, § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2 UmwStG und § 24 Abs. 5 UmwStG.177 Sofern der fiktive Formwechsel zu Buch- oder Zwischenwerten erfolgt, unterliegen zudem sämtliche Anteile an der optierenden Gesellschaft einer siebenjährigen Sperrfrist. Im Fall der Veräußerung von Anteilen an der optierenden Personengesellschaft durch den Einbringenden oder der Verwirklichung eines nach § 22 Abs. 1 Satz 6 UmwStG der Veräußerung gleichgestellten Ersatzrealisationstatbestands innerhalb des Siebenjahreszeitraums ist rückwirkend auf den fiktiven Einbringungszeitpunkt der Einbringungsgewinn I als Gewinn des Einbringenden i.S.v. § 16 EStG

175 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 70. 176 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978 – b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 22.24. 177 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 45 unter Verweis auf Rz. 29 des BMF-Schr. v. 20.11.2019, BStBl. I 2019, 1291 zu § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG und Rz. 33, 34 des BMF-Schr. v. 8.12.2011, BStBl. I 2011, 1279 zu § 6 Abs. 5 S. 4 und 6 EStG.

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zu versteuern.178 Umfasste das Vermögen der optierenden Personengesellschaft im Einbringungszeitpunkt Anteile an Kapitalgesellschaften oder Genossenschaften, die stille Reserven enthielten, sind die ebenfalls siebenjährigen Sperrfristtatbestände des § 22 Abs. 2 UmwStG zu beachten. In der Folge können u.a. auch Anteilsveräußerungen durch die optierende Personengesellschaft zu rückwirkenden Steuerfolgen führen. g) Verluste (Bohn) Für die zur Körperschaftsteuer optierende Gesellschaft gilt ein Rechtsnachfolgeprinzip. Danach tritt die optierende Gesellschaft im Fall der Buchwertfortführung bzw. im Fall des Zwischenwertansatzes in die steuerliche Rechtsstellung der Personengesellschaft ein. Sie übernimmt die für die Besteuerung relevanten steuerrechtlichen Merkmale im Hinblick auf das übernommene Betriebsvermögen, etwa mit Blick auf Abschreibungen, Bewertungsgrundsätze und Besitzzeitanrechnung (§§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 3 Hs. 1, 4 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 25 UmwStG). Indessen gilt die Rechtsnachfolge nicht für verbleibende Verlustvorträge nach § 10d EStG bzw. nach § 15a EStG nur verrechenbare Verluste eines Mitunternehmers der optierenden Personengesellschaft. Ferner kann der Gewerbeertrag der optierenden Personengesellschaft nicht um einen vortragsfähigen Gewerbeverlust nach § 10a GewStG der Rechtsvorgängerin gemindert werden (§ 25 i.V.m. § 23 Abs. 5 UmwStG). Ein bestehender Gewerbeverlust der Personengesellschaft geht ebenso wie ein nur verrechenbarer Verlust i.S.d. § 15a EStG mit dem fiktiven Formwechsel unter. h) Nachversteuerung nach § 34a EStG (Hannig) Für optionswillige Personenhandelsgesellschaften, deren Mitunternehmer bislang die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG in Anspruch genommen haben, löst der fiktive Formwechsel – wie auch der echte Formwechsel – gemäß § 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 EStG eine Nachversteuerung der nachversteuerungspflichtigen Beträge i. S. d. § 34a

178 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 22.07. Der Einbringungsgewinn I vermindert sich dabei für jedes seit dem Einbringungszeitpunkt abgelaufene Zeitjahr um ein Siebtel.

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Abs. 3 EStG aus.179 Der Preis der Nachversteuerung kann ein erhebliches Optionshemmnis darstellen,180 weil davon auszugehen ist, dass nach § 34a EStG langfristig thesaurierende Bestandsunternehmen über ein sehr hohes Nachversteuerungspotential verfügen. Wird weiter bedacht, dass sich die Zielgruppe der Option nicht wesentlich von dem derzeitigen Nutzerkreis des § 34a EStG unterscheidet,181 wird deutlich, dass die Zwangsnachversteuerung nach § 34a EStG im Zuge des (fiktiven) Formwechsels einen Hauptgrund dafür darstellen dürfte, dass bislang nur sehr wenige Mitunternehmerschaften von der Option zur Körperschaftsbesteuerung Gebrauch gemacht haben. Die in der Literatur182 diskutierten Gestaltungen zur Vermeidung einer Nachversteuerung nach § 34a EStG sind nicht nur komplex und deshalb beratungsaufwändig, sie dürften auch nicht für alle Unternehmensstrukturen einen gangbaren Weg darstellen. Diese Gestaltungen sind – ungeachtet des Risikos eines Gestaltungsmissbrauchs – überhaupt auch nur dann „funktionsfähig“, wenn es gelingt, dass der nachversteuerungspflichtige Betrag bei der ursprünglichen § 34a EStG-Einheit verbleibt und nicht im Wege der Verlagerung des operativen Geschäfts auf die später optierende Tochter- bzw. Schwester-Gesellschaft mit übergeht.183 Um einen (zunächst) steuerneutralen Formwechsel der § 34a EStG-Einheit zu ermöglichen, wird in der Literatur schon seit langem vorgeschlagen, die Behandlung von Umstrukturierungen im Rahmen von § 34a EStG zu reformieren. Diese Vorschläge haben durch den Entschließungsantrag des Landes Nordrhein-Westfalen vom 27.6.2018184 sowie das Positionspapier „Modernisierung der Unternehmensbesteuerung in Deutschland“ der CDU/CSU-Fraktion vom 5.11.2019185 wieder an poli179 H.M. vgl. etwa Brühl/Weiss, DStR 2021, 889 (896); Pung in Dötsch/Pung/ Möhlenbrock, KStG, § 1a Rz. 90 (Juni 2022); Rickermann, DB 2021, 1035 (1036); Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (363). 180 So etwa Dreßler/Kompolsek, Ubg 2021, 301 (311); Benz/Hannig, StbJb. 2020/2021, 49 (99). 181 Benz/Hannig, StbJb. 2020/2021, 49 (110 f.). 182 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Kahsnitz, NWB 2021, 2100 (2110 f.); Kahsnitz, KÖSDI 2021, 22422 f.; in diese Richtung auch Schiffers, DStZ 2021, 900 (911). 183 Kritisch auch Möhlenbrock/Haubner, FR 2022, 53 (56). 184 BR Drucks. 310/18, 4. 185 Vgl Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Beschluss v. 5.11.2019, 7, abrufbar unter https://www.cducsu.de/sites/default/files/2019-

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tischer Aktualität gewonnen, wobei ein Aufgriff im KöMoG nicht erfolgt ist. Im Ergebnis geht es darum, die Nachversteuerung in das Besteuerungsregime der Kapitalgesellschaft zu integrieren, indem der nachversteuerungspflichtige Betrag insgesamt auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen soll.186 Dabei gehen die Vorschläge dahin, den nachversteuerungspflichtigen Betrag entweder in die Kapitalrücklage einzustellen oder auf einem neu einzurichtenden Eigenkapital-Sonderkonto auszuweisen.187 Die Nachversteuerung soll dann durch die Gewinnausschüttungen auf Gesellschafterebene über eine modifizierte Verwendungsreihenfolge sichergestellt werden.188 Alternativ wäre denkbar, den Nachversteuerungsbetrag gar nicht gesondert zu erfassen, d.h. auch nicht im steuerlichen Einlagekonto. Als Teil des ausschüttbaren Gewinns würde er sodann an der „normalen“ Nachbesteuerung (im Wege der Dividendenbesteuerung) auf Ebene der Gesellschafter teilhaben.189 Nachteilig an diesen Lösungen ist zunächst, dass sie eine Überwälzung des ehemals gesellschafterbezogenen nachversteuerungspflichtigen Betrags auf andere Steuersubjekte zur Folge haben.190 Dies macht es erforderlich auf Gesellschafterebene einen Ausgleich, etwa durch die Vereinbarung disquotaler Gewinnausschüttungen,191 zwischen den verschiedenen Gesellschaftergruppen herbeizuführen. Eine weitere Herausforderung – diesmal für den Gesetzgeber – bei der Überführung des nachversteuerungspflichtigen Betrags in das intransparente Besteuerungsregime besteht darin, die Nachversteuerung sowohl bei Ausschüttung als auch im Fall der Veräußerung konsequent und ausnahmslos sicherzustellen. In reinen Inlandskonstellationen kann dies im Ausschüttungsfall über eine modifizierte Verwendungsreihenfolge oder eine Erhöhung des aus-

186 187

188 189 190 191

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11/Positionspapier%20zur%20Modernisierung%20der%20Unternehmensbe steuerung_17102019.pdf. Cordes, WPg 2007, 530; Ley/Brandenberg, FR 2008, 1106; in diese Richtung gehend auch BR-Drucks. 310/18, 4. Hey in Stiftung Familienunternehmer (Hrsg.), Belastung thesaurierender Personenunternehmen, 2000, 32; Dörfler/Fellinger/Reichl, Beihefter zu DStR 29 2009, 69 (73). Für eine Nachversteuerung auf Gesellschaftsebene allerdings Bindl, DB 2008, 949 (955). Benz/Hannig, StbJb. 2020/2021, 49 (70). Vgl. Bindl, DB 2008, 949 (955); Benz/Hannig, StbJb. 2020/2021, 49 (70). Vgl. Bindl, DB 2008, 949 (955).

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schüttbaren Gewinns i.S.v. § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG erreicht werden. Im Veräußerungsfall sind hingegen flankierende Regelungen erforderlich, da sich das Nachversteuerungspotential aufgrund der doppelten Buchwertverknüpfung des § 20 Abs. 3 Satz 1 UmwStG grds. nicht mindernd auf die Anschaffungskosten auswirken würde. Die Erfassung des Nachversteuerungssubstrats könnte im Falle der Veräußerung der Anteile an der formgewechselten (fiktiven) Kapitalgesellschaft zum einen über ein System der rückwirkenden Besteuerung oder zum anderen unter Durchbrechung der strengen Wertverknüpfung von tatsächlichem Einbringungswert (einschlich nach § 34a EStG begünstigtem Eigenkapital) und Anschaffungskosten sichergestellt werden.192 Eine weitere Schwierigkeit besteht, wenn ein oder mehrere Gesellschafter in einem DBA-Staat ansässig sind oder in einen solchen verziehen. Denn in diesem Fällen droht, dass Deutschland ganz oder teilweise das Recht zur Besteuerung des in Ausschüttungspotential umgewandelten nachversteuerungspflichtigen Betrags sowohl im Ausschüttungs- als auch im Veräußerungsfall verliert.193 Diese Folge könnte dadurch vermieden werden, dass sich Deutschland im Wege eines Treaty Override194 ein einseitiges Quellensteuerrecht verschafft. Wirtschaftlich wäre dies das richtige Ergebnis, da es die Nachbesteuerung zuvor im Inland begünstigt besteuerter Gewinne sicherstellt.195 Aufgrund der zuvor dargestellten Verkomplizierungen wäre alternativ eine Lösung auf Erhebungsebene unter Öffnung der Stundungsregel in § 34a Abs. 6 Satz 2 EStG denkbar.196 An einer Nachversteuerung aufgrund eines Wechsels des Besteuerungssystems würde festgehalten, jedoch wäre bei der bisherigen Stundungslösung in den Umstrukturierungsfällen des § 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1–3 EStG auf das Kriterium „erhebliche Härte“ zu verzichten. Die aus der Nachversteuerung resultierenden Umstrukturierungshindernisse könnten dadurch erheblich abgemildert, allerdings nicht vollständig beseitigt werden.

192 Vgl. dazu Wacker, DStR 2019, 585 (593). 193 Vgl. Wacker, DStR 2019, 585 (593); Benz/Hannig, StbJb. 2020/2021, 49 (71). 194 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit siehe BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, ECLI:DE:BVerfG:2015:ls20151215.2bvl000112, BVerfGE 141, 1 = FR 2016, 326. 195 Benz/Hannig, StbJb. 2020/2021, 49 (71). 196 Vgl. dazu Benz/Hannig, StbJb. 2020/2021, 49 (72).

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3. Laufende Besteuerung a) Zufluss von Gewinnen bei Gesellschaftern (Bohn) Die optierende Personengesellschaft gilt aus Sicht der Anteilseigner gem. § 1a Abs. 3 Satz 1 KStG materiell- und verfahrensrechtlich als Kapitalgesellschaft.197 Es kommt also zu einer umfassenden Anwendung des Trennungsprinzips.198 Beim Gesellschafter führen durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Einnahmen zu Einkünften aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, es sei denn, die Einnahmen sind einer anderen Einkunftsart zuzurechnen (§ 1a Abs. 3 Satz 4 KStG, § 20 Abs. 8 Satz 1 EStG).199 Gem. § 1a Abs. 3 Satz 5 KStG gelten Gewinnanteile erst dann als ausgeschüttet, wenn diese entnommen werden oder ihre Auszahlung verlangt werden kann. Wann dies der Fall ist, bestimmt sich nach Handelsrecht bzw. nach abweichender gesellschaftsvertraglicher Vereinbarung.200 Der Zufluss beim Gesellschafter hängt damit maßgeblich davon ab, wie die Gewinnverwendung geregelt ist und wie die Gesellschafterkonten ausgestaltet sind. Gewinnanteile, deren Auszahlung der Gesellschafter mit Feststellung des Jahresabschlusses von der Gesellschaft verlangen kann, gelten bereits in diesem Zeitpunkt als ausgeschüttet.201 Sofern der Gesellschaftsvertrag keine vom Regelstatut des HGB abweichenden Regelungen zur Gewinnverteilung – insbesondere keine Entnahmebeschränkung – vorsieht, gilt damit bereits im Zeitpunkt der Feststellung des Jahresabschlusses in Höhe gesetzlichen Höchstbetrags eine Ausschüttung an die Gesellschafter als erfolgt.202

197 BT-Drucks. 19/28656, 22. 198 Die Anteile an der optierenden Personengesellschaft stellen in der Folge eigenständige Wirtschaftsgüter dar und können beispielsweise gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG abgeschrieben werden; Pung, in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 1a KStG Rz. 99. 199 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 72. 200 BT-Drucks. 19/28656, 22; BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 74. 201 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 74. 202 Link, DStR 2022, 1599 (1603). Ein besonderer Gewinnverwendungsbeschluss ist somit – anders als bei einer Kapitalgesellschaft – bei optierenden Gesellschaften nicht zwingend erforderlich.

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Nach der Gesetzesbegründung schottet die optierende Personengesellschaft nur insoweit ab, als der Gesellschafter die Auszahlung weder nach Gesetz noch nach Gesellschaftsvertrag oder aus „anderen Gründen“ verlangen kann.203 Diese Beurteilung kann nicht nur anhand der für Personengesellschaften gängigen Differenzierung zwischen Eigenund Fremdkapital erfolgen, da z.B. Eigenkapitalkonten nicht notwendigerweise Entnahmebeschränkungen unterliegen.204 Maßgeblich ist die Verfügungsmöglichkeit des Gesellschafters über Guthaben auf dem jeweiligen Gesellschafterkonto.205 Auf die tatsächliche Entnahme oder Auszahlung kommt es damit nicht an, wenn der Gesellschafter die Auszahlung verlangen kann. Bedarf es z.B. für die Auszahlung oder Entnahme noch eines gesonderten Beschlusses, liegt regelmäßig noch keine fiktive Ausschüttung vor.206 Die im Zuge der Gewinnverteilung erfolgende Buchung auf einem als Fremdkapital zu beurteilenden Konto führt grundsätzlich zu einem Zufluss im Sinne von § 1a Abs. 3 Satz 5 KStG, da diese Beträge hierdurch „entnahmefähig“ gestellt werden.207 Ein Gewinnvortrag auf neue Rechnung eröffnet hingegen noch keine Zugriffsmöglichkeiten der Gesellschafter.208 Gleiches gilt für den Fall, dass Gewinne im Rahmen der Bilanzfeststellung der Personengesellschaft thesauriert und der gesamthänderisch gebundenen Rücklage gutgeschrieben werden, so dass über die spätere Auskehrung wiederum die Gesellschafterversammlung zu entscheiden hat, da es mangels eines Auszahlungsanspruchs der Gesellschafter an einem entnahmefähigen Gewinnanteil i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG und damit an einem Zufluss

203 BT-Drs. 19/28656, 22. 204 Pung, in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 1a KStG Rz. 116. 205 Carlé, NWB 2021, 2270 (2275); Herkens, GmbH-StB 2021, 356 (357). 206 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 74. 207 Pung, in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 1a KStG Rz. 116; Cordes/Kraft, FR 2021, 401 (405) mit Hinweis zu Darlehenskonten, die Zugriffsbeschränkungen unterliegen; Kölbl/Luce, Ubg 2021, 264 (267); Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (354); Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 2021, 3 (23) mit weiteren Beispielen; Herkens, GmbH-StB 2022, 123 (127) mit zusammenfassender Übersicht von Folgen bei Verbuchung von Gewinnanteilen auf Eigen- bzw. Fremdkapitalkonten. 208 Carlé, NWB 2021, 2270 (2275); Cordes/Kraft, FR 2021, 401 (405).

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i.S.d. § 1a Abs. 3 Satz 5 KStG fehlt.209 Am Zufluss i.S.d. § 1a Abs. 3 Satz 5 KStG fehlt es auch, wenn Gewinne kraft Gesetzes (§ 169 Abs. 1 Satz 2 HGB) oder Gesellschaftsvertrags dazu verwendet werden müssen, ein Verlustvortragskonto auszugleichen.210 Die Ausschüttungsfiktion sollte ebenfalls keine Anwendung finden, wenn Gewinnanteile einem individuellen Kapitalkonto des Gesellschafters gutgeschrieben werden, auf dem nicht entnahmefähige Gewinnanteile gebucht werden.211 Dies gilt jedenfalls dann, wenn das betreffende individuelle Kapitalkonto einer Entnahmebeschränkung unterliegt, etwa weil die Auszahlung nur durch einen Gesellschafterbeschluss herbeigeführt werden kann.212 Gesellschaftsvertraglich vereinbarte gewinnunabhängige Entnahmerechte unterliegen nach Auffassung der Finanzverwaltung ebenfalls nicht der Ausschüttungsfiktion.213 Auch die Tilgung von Gesellschafterdarlehen, die handels- und steuerbilanziell als Fremdkapital behandelt werden und nicht zu einem Zugang im steuerlichen Einlagekonto geführt haben, stellt keine Gewinnausschüttung beim Gesellschafter dar. Werden zweckgebundene Gesellschafterkonten geführt (bspw. sog. Steuerkonten, die zur Zahlung von Steuern des Gesellschafters berechtigten), dürfte danach zu unterscheiden sein, ob der Gesellschafter zur jederzeitigen Entnahme berechtigt ist, d.h. insbesondere ob er Beträge entnehmen kann, ohne zuvor einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss herbeigeführt haben zu müssen. Nach der Gesetzesbegründung sollen die Grundsätze zum Zufluss von Gewinnausschüttungen an beherrschende Gesellschafter von Kapitalgesellschaften im Kontext der Ausschüttungsfiktion „für Gesellschafter mit 209 210 211 212

Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 2021, 3 (24). Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 2021, 3 (24). In diesem Sinne wohl auch Kölbl/Luce, Ubg 2021, 264 (267). Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 2021, 3 (24) vertreten darüber hinaus wohl sogar die Auffassung, dass keine Ausschüttung i. S. d § 1a Abs. 3 Satz 5 KStG vorliegt, wenn der Gesellschafter zur Entnahme berechtigt ist. 213 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 77; s. a. Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 1a KStG Rz. 114. Allein die gesetzliche Möglichkeit, einen den Gewinnanteil übersteigenden Betrag entnehmen oder dessen Auszahlung von der Gesellschaft verlangen zu können, löst daher insoweit noch keine Ausschüttungsfiktion und keine Kapitalertragsteuer aus.

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vergleichbarer wirtschaftlicher Verfügungsmacht“ entsprechend Anwendung finden.214 Es stellt sich die Frage, wie dieser Hinweis in der Gesetzesbegründung zu verstehen sein soll. Bei Kapitalgesellschaften fließen dem beherrschenden Gesellschafter nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG Gewinnanteile in der Regel bereits im Zeitpunkt des Gewinnausschüttungsbeschlusses zu, selbst wenn zu diesem Zeitpunkt noch keine Auszahlung erfolgt ist.215 Im Schrifttum wird indes zutreffend darauf hingewiesen, dass auch die für beherrschende Gesellschafter von Kapitalgesellschaften aufgestellten Grundsätze voraussetzen, dass im Gewinnverwendungsbeschluss überhaupt eine Ausschüttung des Gewinns beschlossen wird.216 Wird im Gewinnverwendungsbeschluss einer Kapitalgesellschaft jedoch ein Vortrag der Gewinne oder eine Einstellung in die Rücklagen, mithin eine Gewinnthesaurierung beschlossen, entsteht kein Ausschüttungsanspruch und es kann auch für einen beherrschenden Gesellschafter kein Zufluss eines Gewinnanteils fingiert werden. Selbst für den beherrschenden Gesellschafter einer optierenden Gesellschaft kann damit die Ausschüttungsfiktion – auch unter Rückgriff auf die Grundsätze zum Zufluss von Gewinnausschüttungen an beherrschende Gesellschafter von Kapitalgesellschaften – keine Anwendung finden, wenn die Gewinne der optierenden Personengesellschaft bspw. einer gesamthänderisch gebundenen Rücklage oder einem individuellen Kapitalkonto mit Entnahmebeschränkung zugeführt werden.217

214 BT-Drucks. 19/28656, 22; ausführlich Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 1a KStG Rz. 115. Siehe zum Zufluss von Gewinnausschüttungen an beherrschende Gesellschafter BFH v. 2.12.2014 – VIII R 2/12, BFH v. 2.12.2014 – VIII R 783/08, BStBl. II 2015, 333 = FR 2015, 952. = GmbHR 2015, 371. 215 Vgl. BFH v. 2.12.2014 – VIII R 2/12, BStBl. II 2015, 333 = FR 2015, 952 = GmbHR 2015, 371; v. 13.2.2022 – VIII R 32/19, BStBl. II 2023, 101 = FR 2022, 998 m. Anm. Morawitz = GmbHR 2022, 1273 = ZIP 2022, 1808. 216 Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 2021, 3 (24). 217 In diesem Sinne ebenfalls Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 2021, 3 (24); aA Link, DStR 2022, 1599 (1603), wonach eine temporäre Entnahmebeschränkung (nur) bei nicht beherrschenden Gesellschaftern im Zeitpunkt der Beschlussfassung noch keinen Zufluss auslöst, woraus sich im Umkehrschluss ergibt, dass bei beherrschenden Gesellschaftern wohl ein Zufluss ausgelöst werden soll, wenn im Zeitpunkt der Beschlussfassung eine temporäre Entnahmebeschränkung besteht. Unklar erscheint indes, was unter einer temporären Entnahmebeschränkung zu verstehen sein soll. Sollte hierunter zu verstehen sein, dass durch Gesellschafterbeschluss eine bestehende Entnahmebeschränkung wieder aufgehoben werden kann, ist

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Die Ausschüttungsfiktion ist auch für den vorzunehmenden Kapitalertragsteuereinbehalt gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG maßgeblich, sodass eine entsprechende Verbindlichkeit auszuweisen ist.218 Für die Entstehung der Kapitalertragsteuer gilt § 44 Abs. 2 EStG. Ein als ausgeschüttet geltender Betrag gilt als sogleich wieder in die Gesellschaft eingelegt, wenn er auf einem Eigenkapitalkonto gebucht wird. Er erhöht sowohl das steuerliche Einlagekonto der optierenden Gesellschaft als auch die Anschaffungskosten des jeweiligen Gesellschafters.219 Unter Berücksichtigung der Verbindlichkeit aus der Kapitalertragsteuerpflicht dürfte insoweit aber nur der Nettobetrag zu erfassen sein. Durch das Wachstumschancengesetz soll ausweislich des entsprechenden Referentenentwurfs des Bundesministeriums der Finanzen220 die vorstehend dargestellte Ausschüttungsfiktion noch stärker an die steuerliche Behandlung der echten Kapitalgesellschaft angepasst werden. So sieht § 1a Abs. 3 Satz 5 KStG-E nunmehr vor, dass Gewinnanteile (nur) dann als ausgeschüttet gelten, wenn sie entnommen werden. Damit entfiele de lege ferenda die Ausschüttungsfiktion in Bezug auf diejenigen Beträge, die zwar noch nicht entnommen worden sind, deren Auszahlung vom Gesellschafter aber verlangt werden kann. Mit anderen Worten sollen thesaurierte Gewinne künftig grundsätzlich so lange nicht als ausgeschüttet gelten, bis sie entnommen werden. Unter Entnahme sollen ausweislich der Gesetzesbegründung alle Vorgänge zu verstehen sein, aufgrund derer die Gewinne (z.B. durch Buchung auf einem Fremdkapitalkonto, tatsächliche Auszahlung an den Gesellschafter oder eine Verrechnung mit einer Forderung gegen den Gesellschafter) kein Eigenkapital der optierenden Gesellschaft mehr darstellen und daher z.B.

diese Auffassung abzulehnen, da anderenfalls für beherrschende Gesellschafter jegliche Entnahmebeschränkung irrelevant wäre. 218 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 76. 219 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 78. 220 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz) vom 17.7.2023, abrufbar im Internet unter: https://www.bundesfi nanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorha ben/Abteilungen/Abteilung_IV/20_Legislaturperiode/2023-07-17-Wachstums chancengesetz/1-Referentenentwurf.pdf?__blob=publicationFile&v=2.

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nicht mehr zur Verrechnung mit Verlusten der Gesellschaft zur Verfügung stehen.221 Eine solche Gesetzesänderung dürfte für mehr Rechtssicherheit sorgen, da die bisweilen schwierige Abgrenzungsfrage, (ab) wann ein Gesellschafter die Auszahlung verlangen kann, künftig entfallen würde. Maßgeblich wäre fortan allein die tatsächliche Entnahme durch den oder die Gesellschafter. Im Weiteren würde sich die dargestellte Diskussion zu beherrschenden Gesellschaftern erübrigen, da klargestellt wäre, dass „auch bei beherrschenden Gesellschaftern einer optierenden Gesellschaft ein kapitalertragsteuerpflichtiger Zufluss erst bei tatsächlicher Entnahme anzunehmen ist“222. Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen, dass sich in der Praxis bei Optionsausübung ein weitergehender Anpassungsbedarf im Hinblick auf die bestehenden gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen ergeben kann. Ein Regelungsbedürfnis besteht dabei vorrangig für solche Bereiche, in denen die steuerrechtliche Wertung bestimmter Sachverhalte für die optierende Gesellschaft von der zivil- und gesellschaftsrechtlichen Wertung abweicht. So ist die im Gesellschaftsvertrag angelegte Kapitalkontenstruktur der Personengesellschaft vor Eintritt in die Optionsbesteuerung auf ihre Stimmigkeit und Passgenauigkeit hin zu überprüfen.223 Zwar führt die Personengesellschaft handelsrechtlich die bisherige Kontensystematik grundsätzlich fort. Für steuerliche Zwecke weist die Gesellschaft i.S. des § 1a Abs. 1 KStG in Anlehnung an die Kapitalgesellschaft allerdings eine abweichende Kapitalstruktur auf. Beim Übergang auf die Optionsbesteuerung ist vorrangig auf die zutreffende Abgrenzung von Eigenund Fremdkapitalkonten zu achten. Die Beträge auf Eigenkapitalkonten der Personengesellschaft repräsentieren später das steuerliche Eigen221 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz) v. 17.7.2023, S. 221. 222 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz) v. 17.7.2023, S. 221. 223 Siehe ausführlich dazu Carlé, NWB 2021, 2270 (2273 f.). Bestehende Privatbzw. Verrechnungskonten der Gesellschafter können in der Regel auf Ebene der optierenden Gesellschaft fortgeführt werden. Es empfiehlt sich jedoch, zur Vermeidung verdeckter Gewinnausschüttungen die Vereinbarungen auf Fremdüblichkeit hin zu prüfen (z. B. hinsichtlich Verzinsung); Carlé, NWB 2021, 2270 (2274).

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kapital der optierenden Gesellschaft. Sie werden zu diesem Zweck auf dem steuerlichen Einlagekonto i.S. des § 27 KStG erfasst. Die korrekte Zuordnung entsprechender Beträge zum steuerlichen Eigenkapital der optierenden Gesellschaft ist nicht zuletzt im Hinblick auf die zutreffende steuerliche Behandlung bei späterer Auskehrung an die Gesellschafter von zentraler Bedeutung. Andererseits ist bei Entnahme aus den Kapitalkonten abweichend von der Mitunternehmerschaftsbesteuerung die Verwendungsreihenfolge des § 27 Abs. 2 Satz 3 KStG zu beachten. Anpassungsbedürftig sind ggf. auch Vereinbarungen betreffend die Ergebnisverwendung und die Regelungen zur Entnahme. Hintergrund dafür ist, dass die steuerliche Belastung von Gewinnen der optierenden Gesellschaft in Abhängigkeit von der Ergebnisverwendung durch Buchung auf die unterschiedlichen Kapitalkonten variiert. So löst etwa die „automatische“ Gewinngutschrift auf Konten, die dem freien Zugriff der Gesellschafter unterliegen, wie vorstehend dargestellt – zumindest nach derzeitiger Rechtslage – eine sofortige Besteuerung auf Gesellschafterebene sowie eine Kapitalertragsteuerpflicht aus, so dass der durch das Optionsmodell intendierte Stundungseffekt durch Gewinnthesaurierung gar nicht erreicht wird. Anderseits stellen Gutschriften auf einem gesamthänderisch gebundenen Rücklagenkonto i.d.R. keine Gewinnausschüttung dar, sondern eine Form der Thesaurierung. Bei Gutschrift auf den Rücklagenkonten ergeben sich daher regelmäßig keine Kapitalertragsteuerfolgen. b) Organschaft (Bohn) Eine weitere Schnittstellenproblematik zwischen zivilrechtlichem Fortbestand als Personengesellschaft einerseits und (ertrag-) steuerrechtlicher Einordnung als Kapitalgesellschaft andererseits zeigt sich im Optionsmodell an der Frage der Organgesellschaftsfähigkeit der optierenden Gesellschaft. Dies liegt darin begründet, dass die optierende Gesellschaft zwar gemäß § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG für Zwecke der Besteuerung nach dem Einkommen wie eine Kapitalgesellschaft behandelt wird, davon aber dann eine Ausnahme geboten ist, wenn bestimmte Tatbestandsvoraussetzungen in ertragsteuerlichen Vorschriften nur von einer tatsächlichen Kapitalgesellschaft erfüllt werden können. Im Zusammenhang mit der ertragsteuerlichen Organschaft ist soweit ersichtlich unstrittig, dass eine optierende Gesellschaft unabhängig von der Art ihrer Tätigkeit Organträgerin i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1

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KStG sein kann.224 Eine bereits bestehende Organschaft mit einer optierenden Personengesellschaft als Organträgerin wird fortgeführt, ohne dass die Ausübung der Option zu einem Neubeginn der fünfjährigen Mindestlaufzeit i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG führt.225 Umstritten ist dagegen, ob eine optierende Personengesellschaft Organgesellschaft i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG sein kann; diese Frage wurde auch nicht im Gesetzgebungsverfahren geklärt. Mit Blick auf die zivilrechtlichen Fundamentalprinzipen des Personengesellschaftsrechts (Selbstorganschaft, Verbandssouveränität, persönliche Haftung bei Weisungsgebundenheit) erscheint eine Konzernierung von Personengesellschaften als beherrschtes Unternehmen jedenfalls nicht gänzlich unproblematisch.226 Die Finanzverwaltung lehnt die Organgesellschaftsfähigkeit der optierenden Personengesellschaft unter Hinweis auf die vorgelagerten gesellschaftsrechtlichen Fragen227 ab.228 Dagegen wird vor allem von der Wirtschaft229 und Teilen des Schrifttums230 die Organgesellschaftsfähigkeit von optierenden Gesellschaften gefordert. 224 Siehe nur BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rn 55. 225 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rn 55. Der fiktive Formwechsel ist auch kein wichtiger Grund für die Beendigung des Gewinnabführungsvertrags. 226 Die Frage kam allerdings im Rahmen von Stellungnahmen und Veröffentlichungen auf; siehe z.B. Bochmann/Bron, NZG 2021, 613; Cordes/Kraft, FR 2021, 401; Demuth, KÖSDI 2021, 22241 (22248); Liekenbrock, DB 2021, 2111. 227 Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (354); Schenk, in Bürgers/Körber/Lieder, Aktiengesetz5, § 291 AktG, Rz. 4. 228 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 56. Zustimmend Link, DStR 2022, 1599 (1603) unter Verweis auf die mit einer Aufweichung der formalen Organschaftsvoraussetzungen verbundenen Risiken insbesondere in Gestalt eines erhöhten fiskalischen Risikos des Imports ausländischer Verluste. Kritisch gegen eine Organgesellschaftsfähigkeit der optierenden Gesellschaft auch Benz/Hannig, StbJb. 2020/2021, 49 (96 ff.); Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 2021, 3 (17). 229 Vgl. etwa BDI (Hrsg.), Das Optionsmodell zur Körperschaftsbesteuerung, abrufbar im Internet unter https://bdi.eu/publikation/news/Das-Optionsmo dell-zur-Koerperschaftsbesteuerung, S. 5, 88. Siehe auch IDW, Stellungnahme an das BMF zur Evaluierung der Option zur Körperschaftsbesteuerung (§ 1a KStG) und der Thesaurierungsbegünstigung (§ 34a EStG) v. 9.1.2023, abrufbar im Internet unter: https://www.idw.de/IDW/Medien/IDW-Schreiben/ IDW-Optionsmodell-KoeStG-Evaluierung-Schreiben-230109.pdf, S. 4. 230 Bochmann/Bron, NZG 2021, 613 (615); Cordes/Kraft, FR 2021, 401 (406); Demuth, KÖSDI 2021, 22241 (22248); Liekenbrock, DB 2021, 2111.

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Die Vorschrift des § 14 KStG bezieht sich ausdrücklich auf die dort abschließend aufgeführten Kapitalgesellschaften (Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft und Kommanditgesellschaft auf Aktien; § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG). Auch wenn § 17 Abs. 1 Satz 1 KStG, der eine Öffnung für andere als die in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG Kapitalgesellschaften vorsieht, bislang nach zivilrechtlichen Kriterien ausgelegt worden ist, dürfte diese Öffnungsklausel über die in § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG angeordnete Gleichstellung mit Kapitalgesellschaften auch einer optierenden Personengesellschaft zugänglich sein.231 Mithin sollten insoweit die steuerrechtlichen Voraussetzungen maßgeblich sein. Allerdings entzündet sich die Streitfrage der Organgesellschaftsfähigkeit einer optierenden Gesellschaft daran, wie die zivilrechtlichen Formerfordernisse und Verfahrensregelungen hinsichtlich des Abschlusses eines Gewinnabführungsvertrags i.S.d. § 291 AktG im Zusammenhang mit Personenhandelsgesellschaften auszulegen sind. Die Finanzverwaltung vertritt die Auffassung, dass die Regelungen des Gewinnabführungsvertrages in eintragungspflichtiger Form vereinbart werden und organisationsrechtlichen Charakter haben müssen.232 Nach deutschem Gesellschaftsrecht bestehe weder eine Eintragungspflicht für Unternehmensverträge mit Personenhandels- oder Partnerschaftsgesellschaften noch führten sie dazu, dass das Gesellschaftsstatut unternehmensvertraglich überlagert wird.233 Eine Eintragungspflicht ins Handelsregister für diese Gesellschaften könne weder auf eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung gestützt noch aus einer entsprechenden Anwendung der für eine Satzungsänderung geltenden Vorschriften hergeleitet werden. Zudem gehörten Gesellschaftsverträge bzw. entsprechende Vertragsänderungen nicht zu den eintragungspflichtigen Tatsachen i.S.v. §§ 106, 162 HGB oder § 4 PartGG.234 Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich eine Personengesellschaft handelsrechtlich wirksam zu einer Gewinnabführung verpflichten kann, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob ei231 Kritisch zu einer Auslegung des § 17 Abs. 1 Satz 1 KStG anhand steuerlicher Kriterien allerdings Benz/Hannig, StbJb. 2020/2021, 49 (96 ff.); Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 2021, 3 (17). 232 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 56. 233 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 56 unter Verweis auf OLG München v. 8.2.2011 – 31 Wx 2/11, GmbHR 2011, 376 = ZIP 2011, 526. 234 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 56.

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ne entsprechende Anwendung der aktienrechtlichen Vorschriften zum Gewinnabführungsvertrag auf eine Personengesellschaftsstruktur praktisch überhaupt umsetzbar ist. Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung wird im Schrifttum zum Teil darauf verwiesen, dass die Eintragung des Abschlusses eines Gewinnabführungsvertrags im Handelsregister nach dem Zivilrecht kein Wirksamkeitserfordernis ist235 und dass eine Registereintragung damit auch nach dem Steuerrecht nicht gefordert werden könne;236 ein Abschluss des Gewinnabführungsvertrags im zivilrechtlich für Personengesellschaften erforderlichen Maße müsse ausreichend sein.237 In dieser praktisch bedeutsamen Frage wäre es äußerst wünschenswert, wenn der Gesetzgeber alsbald für Klarheit sorgt. c) Umwandlung der optierenden Gesellschaft (Hannig) Der durch die Optionsausübung begründete Dualismus von Zivil- und Steuerrecht führt bei Umstrukturierungen der optierenden Gesellschaft zu Folgefragen.238 Da das UmwStG hinsichtlich der sachlichen Anwendung grds. an das UmwG anknüpft, liegt es nahe für Umwandlungen der optierenden Gesellschaft auf die zivilrechtlich bestehende Personengesellschaft abzustellen. Dies würde jedoch der gesetzgeberischen Intention zuwiderlaufen, wonach die Optionswirkungen im gesamten Ertragsteuerecht eintreten. Dementsprechend knüpft die Finanzverwaltung für die Beurteilung von Umwandlungen der optierenden Gesellschaft – ungeachtet der zivilrechtlichen Einordnung und der Vorgaben des UmwG – an das steuerliche Rechtskleid der fiktiven Kapitalgesellschaft

235 OLG München v. 8.2.2011 – 31 Wx 2/11, GmbHR 2011, 376 = ZIP 2011, 526. 236 Zu diskutieren wäre möglicherweise, ob sich eine Eintragungspflicht von Gewinnabführungsverträgen bei Personengesellschaften als beherrschtes Unternehmen aus einer analogen Anwendung von § 294 AktG ergibt, weil auch bei diesen Gesellschaften ein berechtigtes Informationsinteresse Dritter (z. B. Gläubiger, neu eintretende Gesellschafter) dahingehend besteht, ob die Gesellschaft ihren Gewinn an ein herrschendes Unternehmen abführt oder nicht. Die Vorschriften des Personengesellschaftsrechts gewährleisten in dieser Hinsicht keinen ausreichenden Schutz. 237 Vgl. ausführlich Liekenbrock, DB 2021, 2111; Wernberger/Wangler, DStR 2022, 1513 (1519 ff.). 238 Vgl. Patt, EStB 2021, 391 ff.; zum Optionsmodell im UmwStR im Einzelnen vgl. Fuhrmann, NWB 2021, 2356 ff.

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an.239 Für die Anwendung des UmwStG bei der optierenden Gesellschaft folgt aus dieser Sichtweise: –

Die Verschmelzung einer optierenden Gesellschaft auf eine Körperschaft oder umgekehrt ist nach den §§ 11 bis 13 UmwStG zu beurteilen.



Entsprechende Spaltungsvorgänge fallen unter § 15 UmwStG.



Die Einbringung von Anteilen an der optierenden Gesellschaft in eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft zum Buch- oder Zwischenwert ist nur nach Maßgabe der §§ 20 und 21 UmwStG möglich.



Auf den Ein- und Austritt von Gesellschaftern findet § 24 UmwStG keine Anwendung.



Die Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils in die optierende Gesellschaft ist ein Vorgang nach § 20 UmwStG.



Die 100%ige Beteiligung des Kommanditisten an einer GmbH & Co. KG (Beteiligung Komplementärgesellschaft 0%) gilt als fiktiver Teilbetrieb.



Die Beendigung der Option ist mit Ausnahme des homogenen Formwechsels eine Veräußerung i.S.d. § 15 Abs. 2 Satz 2–4 und des § 22 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 UmwStG von (erhaltenen oder eingebrachten) Anteilen.



Bei der optierenden Gesellschaft sind weder Realteilungsgrundsätze (§ 16 Abs. 3 Satz 2 ff. EStG) noch sonstige ertragsteuerliche Regelungen anzuwenden, die sich auf eine Mitunternehmerschaft oder eine sonstige nicht der Körperschaftsteuer unterliegende Personengesellschaft beziehen.



Für die Beispiele in Rz. 22.23 des UmwSt-Erlasses 2011 stellt die optierende Gesellschaft eine Kapitalgesellschaft dar.

d) Ausgewählte internationale Aspekte (Hannig) Das Optionsmodell ist u.a. mit dem Ziel angetreten, in grenzüberschreitenden Sachverhalten für Vereinfachung zu sorgen und die durch die Besonderheiten des deutschen Mitunternehmerkonzepts bedingten 239 Vgl. BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 100.

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Schwierigkeiten zu vermeiden.240 Aufgrund seiner hybriden Struktur ergeben sich für die optierende Gesellschaft in grenzüberschreitenden Beziehungen allerdings komplexe Folgefragen. Das betrifft zum einen die internationalen Implikationen beim Übergang zur Körperschaftsbesteuerung, zum anderen ergeben sich Fragestellungen im Rahmen der laufenden Besteuerung der optierenden Gesellschaft und ihrer Gesellschafter.241 aa) Abkommensberechtigung Die steuerliche Transparenz führt dazu, dass Personengesellschaften selbst nicht abkommensberechtigt sind. Als ansässige und damit abkommensberechtigte Personen sind allein die Gesellschafter anzusehen, was im internationalen Verkehr oftmals eine gesteigerte Komplexität zur Folge hat und darüber hinaus nicht selten in Qualifikationskonflikten mündet. Hier sorgt die KSt-Option jedenfalls aus Sicht des deutschen Steuerrechts für eine echte Erleichterung. Die optierende Gesellschaft ist für Zwecke der Anwendung eines DBA „ein Rechtsträger, der für die Besteuerung wie eine juristische Person behandelt wird“ und erfüllt damit aus Sicht des deutschen Steuerrechts die abkommensrechtlichen Voraussetzungen einer „Gesellschaft“ entsprechend Art. 3 Abs. 1 Buchst. b OECD-MA 2017.242 Weiterhin ist die optierende Gesellschaft, die ihren Ort der Geschäftsleitung im Inland hat, in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig, so dass sie entsprechend Art. 4 Abs. 1 OECDMA 2017 in Deutschland ansässig und damit auch abkommensberechtigt ist.243 Ein Vorteil der Abkommensberechtigung ist, dass nicht mehr, wie bei Personengesellschaften üblich, für alle Gesellschafter Ansässigkeits- und Freistellungsbescheinigungen für Zwecke der Quellen-

240 Vgl. BT-Drucks. 19/28656, 14; BR-Drucks. 244/21, 9. 241 Zu den einzelnen internationalen Aspekten der KSt-Option siehe Böhmer/ Mühlhausen/Oppel, ISR 2021, 388 ff.; Benz/Hannig, StbJb. 2020/2021, 49 (100 ff.); Förster, IStR 2022, 109 ff. und 157 ff.; Grotherr, Ubg 2021, 568 ff.; Müller/Lucas/Mack, IWB 2021, 528 ff.; Prinz, FR 2023, 1 ff.; van Lishaut, FR 2023, 289 ff. 242 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 54; Blöchle/Dumser, GmbHR 2022, 72 (81). 243 Vgl. BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 54; Mayer/Käshammer, NWB 2021, 1300, (1307); Böhmer/Mühlhausen/ Oppel, ISR 2021, 388 (394); Förster, IStR 2022, 109 (113); Müller/Lucas/ Mack, IWB 2021, 528 (532).

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steuerentlastung beantragt werden müssen, sondern die optierende Gesellschaft selbst eine solche Bescheinigung beantragen kann.244 Problematisch ist allerdings, dass mit der Anerkennung der Abkommensberechtigung aus Sicht des deutschen Steuerrechts noch nicht sichergestellt ist, dass auch der andere Vertragsstaat die optierende Gesellschaft als Kapitalgesellschaft beurteilt, da dieser die abkommensrechtlichen Voraussetzungen autonom aus Sicht des Anwenderstaats prüft.245 Insbesondere dann, wenn dieser die optierende Gesellschaft anhand eines Rechtstypenvergleichs beurteilt und demzufolge die optierende Gesellschaft als transparentes Gebilde ansieht, können Qualifikationskonflikte mit der Folge von Doppelbesteuerung drohen.246 bb) Wegzugsbesteuerung und Hinzurechnungsbesteuerung Die Beteiligung an einer Personengesellschaft begründet regelmäßig eine Betriebsstätte im Quellenstaat mit der Folge beschränkter Steuerpflicht. Obwohl Betriebsstätten selbst keine Abkommensberechtigung besitzen (Art. 1 i.V.m. Art. 3 OECD-MA), gilt für die von ihnen erwirtschafteten Unternehmensgewinne das so genannte Betriebstättenprinzip, nach dem das Besteuerungsrecht im Quellenstaat liegt (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECDMA 2017) und der Sitzstaat die Freistellung gewährt (Art. 23 A OECDMA 2017). Mit Optionsausübung entfällt diese Abschirmwirkung der Personengesellschaft, da die optierende Gesellschaft steuerlich als Kapitalgesellschaft qualifiziert. Der Wegzug von Gesellschaftern bzw. das Vorhandensein von im Ausland ansässigen Gesellschaftern löst damit die durch das ATAD-Umsetzungsgesetz vom 25.6.2021247 verschärften Folgen der Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG aus.248 Aus diesem Grund dürfte die KSt-Option in der Praxis für im Inland ansässige Obergesellschaften von großen deutschen Personengesellschaftskonzernen mit internationalem Gesellschafterkreis regelmäßig nicht in Betracht kommen.249 Allerdings kann das Optionsrecht ggf. auf der nachgelager244 Kelm/Rindermann/Hennrichs, Wpg 2021, 1166 (1179); Mayer/Käshammer, NWB 2021, 1300 (1307). 245 Vgl. Grotherr, Ubg 2021, 568 (578). 246 Vgl. Benz/Hannig, StbJb. 2020/2021, 49 (101); Böhmer/Schewe, FR 2022, 69 (73); Bockhoff/Frieburg/Darijtschuk, DB 2021, 2521 (2522). 247 BGBl. I 2021, 2035. 248 Benz/Hannig, StbJb. 2020/2021, 49 (103 ff.); Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (356). 249 Vgl. BDI, Das Optionsmodell zur Körperschaftsbesteuerung, September 2021, 39.

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ten Konzernebene bei Tochtergesellschaften genutzt werden, um aus der Mitunternehmerschaft resultierende Qualifikationskonflikte mit anderen Staaten gezielt zu vermeiden. Macht eine ausländische Personengesellschaft von der KSt-Option Gebrauch, ist bei ihr künftig der Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 ff. AStG eröffnet. § 20 Abs. 2 AStG ist mangels ausländischer Betriebsstätte nicht (mehr) anwendbar.250 cc) Verhältnis zur Mutter-Tochter- und Zins- und Lizenz-Richtlinie Die Attraktivität der KSt-Option hängt u. a. davon ab, ob die optierende Gesellschaft Zugang zu den Steuererleichterungen von EU-Richtlinien hat. In der Praxis hat dies vor allem Bedeutung für Begünstigungsvorschriften im nationalen Recht, die auf einer Umsetzung der MutterTochter-251 oder Zins- und Lizenz-Richtlinie252 beruhen (z.B. § 8b Abs. 9 KStG, § 43b EStG, § 50g EStG). Ob diese Vorschriften auf die optierende Gesellschaft anzuwenden sind, richtet sich nach deren persönlichen Anwendungsbereich. § 50g Abs. 3 Nr. 5 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG i.V.m. Anlage 3 Nr. 1 zu § 50g EStG setzt in Übereinstimmung mit Art. 3 Buchst. a i.V.m. Buchst. c der Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie voraus, dass der inländische Zahlungsschuldner in der Rechtsform einer bestimmten Kapitalgesellschaft organisiert ist (AG, KGaA, GmbH). Da die optierende Gesellschaft keiner der dort genannten Rechtsformen entspricht und eine Option in eine bestimmte Kapitalgesellschaft (z.B. GmbH) nicht möglich ist, ist der Anwendungsbereich für die Quellensteuerbefreiung nach § 50g EStG nicht eröffnet.253

250 Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock/D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 1a Rz. 18 mwN (Juni 2022). 251 Richtlinie 2011/96/EU des Rates über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten v. 30.11.2011, ABl. 2011 L 345, 8. 252 Richtlinie 2003/49/EG des Rates v. 3.6.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. 2003 L 157, 49. 253 So auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum KöMoG v. 7.5.2021, BRDrucks. 244/21 (B), 9; Grotherr, Ubg 2021, 568 (581); Blöchle/Dumser, GmbHR 2022, 72 (82); Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/PM), Die Körperschaftsteuer, § 1a Rz. 23 (Juni 2022).

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Auch § 43b EStG, der Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie in nationales Recht umsetzt, knüpft für die Quellensteuerentlastung an die Erfüllung bestimmter Rechtsformerfordernisse an.254 Dabei ist der persönliche Anwendungsbereich nicht auf Kapitalgesellschaften beschränkt, sondern es genügt (für den Inbound-Fall), wenn eine nach deutschem Recht gegründete Gesellschaft vorliegt, die der deutschen Körperschaftsteuer unterliegt (§ 43b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. Anlage 2 zu § 43b EStG Nr. 1 Buchst. f). Diese Voraussetzung trifft auf die optierende Gesellschaft zu, da diese als fiktive Kapitalgesellschaft nach körperschaftsteuerlichen Regeln besteuert wird. Als Einschränkung formuliert allerdings § 43b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i. V. m. Anlage 2 zu § 43b EStG Nr. 3, dass für die Gesellschaft keine Wahlmöglichkeit hinsichtlich der Körperschaftsbesteuerung bestehen darf. Im Hinblick auf die optierende Gesellschaft ist daher zweifelhaft, ob diese die Quellensteuerentlastung nach § 43b EStG in Anspruch nehmen kann, weil mit dem Optionsrecht und der jederzeit bestehenden Möglichkeit der Rückoption gerade eine Wahlmöglichkeit hinsichtlich des Besteuerungsregimes gegeben ist.255 Die in dieser Hinsicht ablehnende Haltung der Finanzverwaltung entspricht dem Verständnis auch anderer Staaten vom persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie.256 Andererseits ist zuzugeben, dass die Nichtanwendung der Privilegien der Mutter-Tochter-Richtlinie für die optierende Gesellschaft einen ungerechtfertigten Besteuerungsnachteil im Vergleich zur echten Kapitalgesellschaft begründet.257 Das läuft dem Ziel des KöMoG-Gesetzgebers zuwider, wonach die optierende Personengesellschaft im Ertragsteuerrecht wie eine Kapitalgesellschaft behandelt werden soll.258 Eine gesetzliche Klarstellung hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 43b EStG könnte für Rechtssicherheit sorgen.

254 Anlage 2 zu § 43b EStG zählt die Gesellschaften i.S.d. Mutter-Tochter-Richtlinie auf. 255 Die Anwendung von § 43b EStG ablehnend etwa BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 52; Grotherr, Ubg 2021, 568 (571); Blöchle/Dumser, GmbHR 2022, 72 (82); zweifelnd auch Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 1a Rz. 23 (Juni 2022); für eine Anwendung von § 43b ESG sprechen sich aus: Förster, IStR 2022, 109 (114); Frotscher in Frotscher/Drüen, KöMoG 2021, § 1a KStG, Rz. 85 (Juli 2021); Dibbert/Dorn, DB 2021, 2525 (2526). 256 Vgl. Link, DStR 2022, 1599 (1604) mwN. 257 So bereits der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum KöMoG v. 7.5.2021, BR-Drucks. 244/21 (B), 9. 258 BR-Drucks. 244/21 (B), 9.

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4. Beendigung der Option und ihre Folgen Nicht anders als bei einem echten Formwechsel besteht auch bei der KSt-Option die Möglichkeit der Rückkehr zur transparenten Besteuerung. Eine Mindestbindungsdauer an die KSt-Option sieht das Gesetz nicht vor. Die Beendigung der KSt-Option ist in § 1a Abs. 4 KStG normiert. Diese kann freiwillig mittels Antrag (Rückoption) oder aufgrund gesetzlicher Anordnung eintreten. a) Rückoption (Hannig) Die Gründe für eine willentliche Rückkehr zur transparenten Besteuerung können unterschiedlich sein, z.B. die Zurückerlangung der Möglichkeit der direkten Verlustverrechnung auf Gesellschafterebene, die Nutzung der Steuerprivilegien des § 34 EStG bei Austritt bzw. Verkauf oder Veränderung der Ertragssituation bzw. des Thesaurierungsverhaltens. Geregelt ist die Rückoption in § 1a Abs. 4 Sätze 1 bis 3 KStG. Sie stellt sich im Grundsatz als actus contrarius zur Optionsausübung dar: Die Rückoption gilt nach § 1a Abs. 4 Satz 2 KStG als fiktiver Formwechsel in eine Personengesellschaft, auf den die Regelungen des § 9 Satz 1 und 2 UmwStG (i.V.m. § 18 UmwStG) Anwendung finden; eine steuerliche Rückbeziehung des fiktiven Formwechsels nach § 9 Satz 3 UmwStG ist ausgeschlossen (§ 1a Abs. 4 Satz 2 KStG). Die Rückoption ist antragsgebunden (§ 1a Abs. 4 Satz 1 KStG); hinsichtlich Form und Frist des Antrags gelten die für die ursprüngliche Ausübung der Option anwendbaren Vorschriften entsprechend (§ 1a Abs. 4 Satz 3 i. V. m. § 1a Abs. 1 Satz 2 KStG). Mangels Verweis auf § 1a Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 KStG, was als Redaktionsversehen des Gesetzgebers zu werten sein dürfte,259 kann der Antrag auf Rückoption bis zur Rechtskraft eines finanzgerichtlichen Verfahrens widerrufen werden.260 Das ist wegen der bis dahin bestehenden Rechtsunsicherheit nicht unproblematisch; zudem drohen für den Fall des Widerrufs komplexe Rückabwicklungsprozesse, weil der Widerruf die Folgen der Rückoption mit ex-tunc Wirkung beseitigt. Es wäre aus Gründen der Rechtssicherheit zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber bei nächster Gelegenheit das Redaktionsversehen korrigiert. Darüber hinaus ist unklar, ob eine wirksame Rückoption einen Gesellschafterbeschluss voraussetzt. Im Innenverhältnis ist ein solcher Antrag als 259 So Link, DStR 2022, 1599 (1604). 260 Vgl. Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), Die Körperschaftsteuer, § 1a Rz. 122 (Juni 2022); Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (363).

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außergewöhnliches Geschäft oder als Grundlagengeschäft einzustufen, so dass zivilrechtlich ein Beschluss durch sämtliche Gesellschafter erforderlich ist.261 Von dieser Feststellung zu trennen ist jedoch die Frage, ob ein entsprechender Gesellschafterbeschluss auch für die steuerliche Wirksamkeit eines Antrags auf Rückoption notwendig ist. Dagegen spricht, dass die Verweisnorm des § 1a Abs. 4 Satz 3 KStG die maßgebliche Vorschrift des § 233 Abs. 1 UmwG nicht in Bezug nimmt. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die steuerliche Wirksamkeit des Antrags auf Rückoption an einen Beschluss der Gesellschafter geknüpft ist, hätte er dies – wie in § 1a Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 KStG für die Hinein-Option – ohne weiteres regeln können. Wegen der ausdrücklichen Regelung bei der Hinein-Option kann auch eine planwidrige Regelungslücke nicht ohne weiteres unterstellt werden. Es ist daher davon auszugehen, dass ein gesellschaftsrechtlich wirksamer Beschluss keine Voraussetzung für den steuerlichen Antrag auf Rückoption darstellt.262 Die Finanzverwaltung scheint dies ebenfalls so zu sehen.263 Dieses Ergebnis entspricht dem Gesetz, es ist jedoch wenig konsistent, wenn die Rückoption weniger strengen rechtlichen Anforderungen unterliegen soll als die Hinein-Option.264 Es wäre daher auch in dieser Hinsicht begrüßenswert, wenn der Gesetzgeber alsbald für einen Gleichlauf von Option und Rückoption auch in formeller Hinsicht sorgen würde. Die Ausübung der Rückoption sollte gut überlegt sein, da die steuerlichen Folgen erheblich sind. Die Behandlung der Rückoption als fiktiver Formwechsel i.S.d. § 9 UmwStG kann auf Gesellschaftsebene – einen separaten Antrag nach § 3 Abs. 2 Satz 2 UmwStG auf Ansatz der Buch- oder Zwischenwerte vorausgesetzt – zwar grundsätzlich steu261 Schießl in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 1a KStG, Rz. 370 (Juni 2022). 262 So auch Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 1a Rz. 123 (Juni 2022); Tiede in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 1a KStG, Rz. 98 (6/2022); Wackerbeck in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 1a KStG, Rz. 89 (Aug. 2022). 263 Das könnte daraus geschlossen werden, dass BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212 in Rz. 90 zwar auf die Rz. 9 bis 11 und 13 bis 22 Bezug nimmt, nicht jedoch auf Rz. 12. 264 Aus Gründen der zwingenden Gleichbehandlung von Option und Rückoption wird daher auch die Auffassung vertreten, dass ein Antrag auf Rückoption ohne Beschluss unwirksam ist: Carlé, NWB 2021, 2270 (2272); Schiffers/Jacobsen, DStR 2021, 348 (363); Böhmer in Mössner/Oellerich/Valta, KStG5, § 1a Rz. 485.

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erneutral vollzogen werden (§§ 3 ff. UmwStG). Auf Gesellschafterebene löst die Rückoption allerdings eine Ausschüttungsbesteuerung der bis zu diesem Zeitpunkt in der optierenden Gesellschaft thesaurierten Gewinne aus (§ 7 UmwStG i.V.m. § 9 Satz 1 UmwStG). Eine weitere Konsequenz der Rückoption ist, dass die körperschaftsteuerlichen Verlustvorträge sowie etwaige Zins- und EBITDA-Vorträge gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 9 Satz 1 UmwStG untergehen. Der Übergang laufender gewerbesteuerlicher Fehlbeträge und des vortragsfähigen Gewerbeverlustes nach § 10a GewStG wird durch § 18 Abs. 1 Satz 2 UmwStG ausgeschlossen.265 Darüber hinaus ist bei der Rückoption zu beachten, dass durch deren Ausübung sowohl Sperrfristen verletzt als auch neu begründet werden können. Erfolgt die Rückoption innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist des § 22 Abs. 1 bzw. 2 UmwStG, hat dies nach Auffassung der Finanzverwaltung und der h. M. in der Literatur die (ggf. anteilige) rückwirkende Besteuerung des Einbringungsgewinns zur Folge.266 In der Literatur wird vereinzelt in Frage gestellt, ob die Rückoption zu einer Sperrfristverletzung führt. Zum einen wird gegen die Begründung sperrfristbehafteter Anteile nach § 22 UmwStG angeführt, dass der fiktive Formwechsel mangels Veräußerungscharakter schon keine Sperrfristverhaftung der fiktiven Anteile zur Folge habe.267 Eine andere Ansicht vertritt vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BFH in den Entscheidungen I R 24/18268 und I R 25/18269 die Auffassung, dass im Fall der Rückoption die Vorschrift des § 22 UmwStG mangels Verlagerung von stillen Reserven auf ein anderes Besteuerungssubjekt teleologisch zu reduzieren sei.270 Der h.M. ist zuzustimmen. Für eine Sperrfristbegründung nach § 22 UmwStG durch die

265 Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 2021, 3 (35). 266 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 98; Dreßler/Kompolsek, Ubg 2022, 1 (11); Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 1a Rz. 87 (Juni 2022); Patt, EStB 2021, 391 (392); Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 2021, 3 (35). 267 von Goldacker/Mathy/Schuster, BB 2021, 2967 ff.. 268 BFH v. 18.11.2020 – I R 24/18, GmbHR 2021, 1232 = BFH/NV 2021, 951 = DStRE 2021, 929. 269 BFH v. 18.11.2020 – I R 25/18, ECLI:DE:BFH:2020:U.181120.IR25.18, BStBl. II 2021, 732 = ZIP 2021, 1603 = DStR 2021, 1349. 270 Böhmer/Schewe, FR 2022, 69 (77).

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Option spricht, dass nach der gesetzgeberischen Konzeption271 der fiktive Formwechsel als Einbringung der Mitunternehmeranteile durch die Mitunternehmer gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten an der Kapitalgesellschaft behandelt wird, wobei die „Gewährung neuer Anteile“ gesetzlich als gegeben gilt. Aus Sicht der Mitunternehmer liegt damit ein tauschähnlicher entgeltlicher Rechtsträgerwechsel vor. Ob im Fall der Rückoption eine teleologische Reduktion des § 22 UmwStG anzunehmen ist, ist höchst zweifelhaft. Zum einen bleibt nach der zurückhaltenden Formulierung der Urteilsgründe in BFH v. 18.11.2020 – I R 25/18, ECLI:DE:BFH:2020:U.181120.IR25.18, ZIP 2021, 1603 („könnte […] nur […] nähertreten“) unklar, ob und unter welchen Voraussetzungen der I. Senat eine einschränkende Auslegung des § 22 UmwStG zum Ansatz des Einbringungsgewinns II in Fällen der Rückkehr zum früheren steuerrechtlichen Status überhaupt befürworten würde.272 Zum anderen kann es im Zuge der Option durchaus zu einer Vergesellschaftung von stillen Reserven und damit zu einer Verlagerung von Besteuerungssubstrat auf andere Gesellschafter kommen. Das insbesondere dann, wenn im Rahmen der Option Sonderbetriebsvermögen zu Buchoder Zwischenwerten mit eingebracht wird oder positive Ergänzungsbilanzen vorhanden sind, deren Werte im Rahmen des Wechsels zur intransparenten Besteuerung „sozialisiert“ werden.273 Insofern ist der steuerliche Status einzelner Mitunternehmer vor der Option und nach Rückkehr in die transparente Besteuerung unter Umständen nicht derselbe. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Telos des § 22 UmwStG darin besteht, die Nutzung vermeintlicher steuerlicher Statusverbesserungen zu sanktionieren.274 Durch eine gezielt gesteuerte Option bzw. Rückoption würde ohne Anwendung von Sperrfristen eine temporäre Ausnutzung des jeweils günstigeren Besteuerungsregimes jedoch gerade ermöglicht werden (z.B. Hinein-Option bei geplanten Veräußerungen im Konzern wegen § 8b Abs. 2 KStG bzw. Rückoption zur transparenten Besteuerung bei geplanten Dividendenausschüttungen um Besteuerung nach § 8b Abs. 5 KStG zu vermeiden). Für die Sichtweise der h.M. spricht ferner, dass sie im Einklang mit der gesetzgeberischen Intention steht, den fiktiven und echten Formwechsel gleich zu behandeln. 271 Partielle Rechtsgrundverweisung in § 1a Abs. 2 Satz 2 KStG auf die §§ 25, 20–23 UmwStG. 272 So Wacker, Anmerkung zu BFH v. 18.11.2020 – I R 25/18, ECLI:DE:BFH: 2020:U.181120.IR25.18, DStR 2021, 1349. 273 Vgl. Link, DStR 2022, 1599 (1602); Böhmer/Schewe, FR 2022, 69 (77). 274 Vgl. BT-Drucks. 16/2710, 46.

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Schließlich wird durch die Rückoption die 5jährige Sperrfrist des § 18 Abs. 3 UmwStG ausgelöst. Anteilsveräußerungen während dieses Zeitraums unterliegen dann – entgegen den allgemeinen Regelungen – der Gewerbesteuer.275 b) Beendigung kraft Gesetzes (Bohn) Neben der antragsgebundenen Rückoption regelt § 1a Abs. 4 KStG ausgewählte Fälle, in denen zwingend von der Beendigung der Optionsbesteuerung auszugehen ist. Dies ist zunächst der Fall, wenn zwar die optierende Gesellschaft fortbesteht, sie aber die persönlichen Voraussetzungen für die Option nicht mehr erfüllt. Eine solche Konstellation ist insbesondere gegeben, wenn die optierende Gesellschaft keine Personenhandels- oder Partnerschaftsgesellschaft mehr ist (z. B. aufgrund eines homogenen Formwechsels in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts i.S.d. §§ 705 ff. BGB oder auf Grund eines vergleichbaren Vorgangs nach ausländischem Recht) oder im Staat ihrer Geschäftsleitung keiner Körperschaftsteuer mehr unterliegt.276 Die Beendigung der Optionsbesteuerung tritt in diesem Fall ohne vorherige Antragstellung ein (§ 1a Abs. 4 Satz 4 KStG). Die Rückkehr zur transparenten Besteuerung gilt dann kraft Gesetzes als Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft (§ 1a Abs. 4 Satz 2 KStG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwStG).277 Von der zwingenden Beendigung der Optionsbesteuerung ist ebenfalls auszugehen, wenn der vorletzte Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet. Zivilrechtlich wächst das Vermögen der Gesellschaft in diesem Fall dem verbleibenden Gesellschafter an (§ 738 BGB). Für Zwecke der Besteuerung gilt die optierende Gesellschaft als unmittelbar danach aufgelöst (§ 1a Abs. 4 Sätze 5 und 6 KStG).278 Die weiteren Rechtsfolgen richten sich danach, ob der verbleibende Gesellschafter die persönlichen Voraussetzungen eines übernehmenden Rechtsträgers einer Umwandlung einer Kapitalgesellschaft i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 (Verschmel275 Vgl. Ott, DStZ 2021, 559 (567). 276 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 91. 277 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 91. Auf den Zeitpunkt des Wegfalls der Voraussetzungen für die Option ist eine unterjährige Übertragungsbilanz aufzustellen. 278 Maßgeblicher Zeitpunkt ist die zivilrechtliche Wirksamkeit der Anwachsung des Vermögens auf den verbleibenden Gesellschafter.

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zung) oder Nr. 4 (Vermögensübertragung) UmwStG erfüllt.279 Im Fall des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwStG gilt die optierende Gesellschaft als auf den verbleibenden Gesellschafter verschmolzen, während bei § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UmwStG das Vermögen der optierenden Gesellschaft als auf den verbleibenden Gesellschafter übertragen gilt (§ 1a Abs. 4 Satz 5 KStG).280 Erfüllt der verbleibende Gesellschafter diese Voraussetzungen nicht, tritt eine Liquidationsbesteuerung in Anlehnung an § 11 KStG ein (§ 1a Abs. 4 Satz 6 KStG).281 Schließlich endet die Optionsbesteuerung auch dann, wenn die optierende Personengesellschaft in eine Körperschaft umgewandelt wird und aufgrund dessen schon kraft Rechtsform die Voraussetzungen für die Anwendung der Körperschaftsbesteuerung erfüllt sind. Die steuerliche Behandlung richtet sich sodann nach den umwandlungssteuerlichen Regelungen für den Vermögensübergang auf Körperschaften (§ 1a Abs. 4 Satz 7 KStG).282 Wird die optierende Gesellschaft z.B. mit steuerlicher Wirkung auf einen Stichtag nach dem Wirksamwerden der Option auf eine (bestehende oder neu gegründete) Körperschaft verschmolzen, so finden die §§ 11 ff. UmwStG Anwendung. Im Fall des Formwechsels der optierenden Gesellschaft in eine Kapitalgesellschaft handelt es sich ertragsteuerlich um einen homogenen und daher steuerlich grundsätzlich neutralen Formwechsel eines Körperschaftsteuersubjekts. In sämtlichen vorgenannten Fällen ist die umwandlungssteuerliche Rückwirkung (§ 2 UmwStG bzw. § 9 Satz 3 UmwStG) ausgeschlossen. Hinzuweisen ist darauf, dass auch eine Beendigung der Option kraft Gesetzes zur Verletzung von Sperrfristen führen kann, insbesondere kommt eine Sperrfristverletzung im Sinne des § 22 Abs. 1 bzw. 2 UmwStG innerhalb von sieben Jahren nach Wechsel in die Körperschaftsbesteuerung in Betracht (siehe ausführlich oben unter Abschnitt IV.4.a).

279 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 93. 280 Im Fall des unterjährigen Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters ist auf diesen Zeitpunkt eine steuerliche Schlussbilanz aufzustellen. 281 Siehe auch BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 94. 282 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 92.

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V. Ausblick (Hannig) Die Option zur Körperschaftsbesteuerung wird derzeit nur von wenigen Unternehmen genutzt. Die überschaubare Anzahl der für den Veranlagungszeitraum 2022 gestellten Optionsanträge zeigt, dass die KSt-Option – wie auch die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG – in ihrer derzeitigen Ausgestaltung für die Praxis lediglich eingeschränkt tauglich ist. Es ist daher positiv zu werten, dass die Regierungskoalition eine Evaluierung der KSt-Option (zusammen mit der Thesaurierungsbegünstigung) angestoßen hat, um praktischen Anpassungsbedarf zu prüfen. Insofern gilt: „Nach der Option ist vor der Reform!“ Mit dem Referentenentwurf für ein Wachstumschancengesetz hat das Bundesministerium der Finanzen nunmehr konkrete Vorschläge vorgelegt, das Optionsmodell attraktiver zu gestalten und die KSt-Option für einen breiteren Anwenderkreis zu öffnen. Auch wenn die Gesetzesvorschläge richtigerweise an dem grundsätzlichen Gleichlauf von echtem und fiktiven Formwechsel nichts ändern, stellen sie einen beachtlichen Schritt zur Erhöhung der Praktikabilität der KSt-Option dar. Ebenfalls positiv zu bewerten ist, dass mit dem Referentenentwurf eines Wachstumschancengesetzes die seit langem überfällige Reform der Thesaurierungsbegünstigung angegangen wird, um ein „Level Playing Field“ bei der steuerlichen Belastung von Unternehmensgewinnen zu schaffen. Denn auch nach Einführung des Optionsmodells wird es weiterhin Personenunternehmen geben, die die Vorteile einer transparenten Besteuerungsstruktur (z.B. personenbezogener Verlustausgleich, steuerneutrale Übertragung/Überführung von Einzelwirtschaftsgütern, Abschirmung vor Wegzugsbesteuerung) mit den steuerlichen Thesaurierungsvorteilen einer Kapitalgesellschaft verknüpfen wollen. Angesichts der nunmehr anstehenden Umbildung der Thesaurierungsbegünstigung hätte es jedoch nahegelegen, ein weiteres Optionshindernis aus dem Weg zu räumen und den Übergang von der Thesaurierungsbegünstigung zur Körperschaftsbesteuerung so auszugestalten, dass es im Rahmen des (fiktiven) Formwechsels nicht zur sofortigen Nachversteuerung des gesamten nachversteuerungspflichtigen Betrags kommt. Der Referentenentwurf zum Wachstumschancengesetz greift dieses Praxisproblem bedauerlicherweise nicht auf. Es ist daher mit Spannung abzuwarten, ob es bei den bislang unterbreiteten Vorschlägen zur Verbesserung des Optionsmodells bleiben wird oder ob der Gesetzgeber im weiteren Verlauf des gesetzgeberischen Verfahrens weitere Reformüberlegungen aufgreifen und umsetzen wird. 241

Die neuen Ländererlasse zu § 1 Abs. 2a, Abs. 2b und Abs. 2c GrEStG Dr. Stefan Behrens Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Frankfurt am Main Dirk Krohn Steueroberamtsrat, Burg/Dithmarschen I. Überblick über die im Jahr 2021 in Kraft getretenen Änderungen des GrEStG II. Die gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG vom 10.5.2022 1. Rangverhältnis zwischen § 1 Abs. 2a GrEStG und § 1 Abs. 2b GrEStG (Tz. 7 der gleich lautenden Erlasse vom 20.5.2022) 2. Besteuerung von sog. Signing und sog. Closing (Tz. 8 der GLE vom 10.5.2022) 3. Übergangsregelung zu § 1 Abs. 2b GrEStG: Geltung von § 23 Abs. 23 GrEStG auch für mittelbare Anteilsübergänge 4. Keine sog. Ewigkeitsbetrachtung im Anwendungsbereich der Sätze 4 von Abs. 2a und Abs. 2b 5. Ebenen-Betrachtung bei der Differenzierung zwischen Neu- und Alt-Gesellschaftern 6. Formwechsel einer an der grundbesitzenden Gesellschaft beteiligten Gesellschaft a) Heterogener Formwechsel der grundbesitzenden Gesellschaft

b) Formwechsel von beteiligter Personen- in Kapitalgesellschaft c) Formwechsel von beteiligter Kapital- in Personengesellschaft 7. Treuhänderwechsel oberhalb beteiligter Kapitalgesellschaften 8. Exkurs: Treuhanderwerb von Anteilen unmittelbar und mittelbar an grundbesitzender Gesellschaft und § 1 Abs. 3 GrEStG III. Die gleich lautenden Ländererlasse zu § 1 Abs. 2c GrEStG vom 4.10.2022 zur sog. Börsenklausel in § 1 Abs. 2c GrEStG 1. Inhalt und Zweck der Börsenklausel in § 1 Abs. 2c GrEStG 2. Anwendbarkeit von § 1 Abs. 2c GrEStG auf alle offenen Fälle 3. Anwendbarkeit von § 1 Abs. 2c GrEStG nicht nur auf unmittelbare, sondern auch auf mittelbare Anteilsübergänge 4. Anteilsübergänge im Rahmen von IPOs, formellen Kapitalerhöhungen und Wertpapierleihen bzw. -darlehen und Wertpapierpensionsgeschäften

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Behrens/Krohn, Die neuen Ländererlasse zum GrEStG 5. Auswirkungen der Anwendung von § 1 Abs. 2c GrEStG auf die Anzeigepflichten nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a und Nr. 3b GrEStG

IV. Zusammenfassung

In diesem Beitrag werden nach einem Überblick über die im Jahr 2021 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen mit Bezug auf § 1 Abs. 2a, Abs. 2b und Abs. 2c GrEStG einige ausgewählte Aspekte der zu diesen Neuregelungen von den obersten Finanzbehörden der Bundesländer veröffentlichten gleich lautenden Erlasse („GLE“) vom 10.5.2022 und vom 4.10.2022 dargestellt bzw. diskutiert. Nicht beabsichtigt ist eine Erörterung sämtlicher Aspekte dieser GLE.1 In Bezug auf die Erlasse vom 10.5.2022 zu § 1 Abs. 2a GrEStG ist anzumerken, dass es sich um die siebte Auflage der Erlasse zu § 1 Abs. 2a GrEStG handelt, erneut mit Änderungen der Verwaltungsansicht auch zu Lasten der (potentiell) Steuerpflichtigen, die auf alle noch offenen Fälle anwendbar sein sollen.

I. Überblick über die im Jahr 2021 in Kraft getretenen Änderungen des GrEStG Das Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) ist im Jahr 2021 erheblich geändert worden, insbesondere durch das zum 1.7.2021 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des GrEStG vom 12.5.20212 zu dem Zweck, die Besteuerung sog. Share Deals zu verschärfen. Nach der öffentlichen Anhörung des Regierungsentwurfs des Gesetzes zur Änderung des GrEStG am 14.10.20193 wurde das Gesetzgebungsverfahren faktisch ausgesetzt.4 Im März bzw. April 20215 wurde es überraschend wieder aufgenommen und doch noch vor Ablauf der ausgelaufenen Legislaturperiode zum Ab-

1 Zu diesen Erlassen vgl. zB Behrens/Wagner/Krohn, DB 2022, 1667; Fleischer/ Koll/Görnig, Ubg. 2022, 537; Broemel/Mörwald, DStR 2022, 1689. 2 BGBl. I 2021, 986. 3 Vgl. Deutscher Bundestag, Finanzausschuss, Protokoll-Nr. 19/53, Wortprotokoll der 53. Sitzung. 4 Vgl. Pressemitteilung der CDU/CSU- und SPD-Bundestag-Fraktionen vom 24.10.2019 „Effektive und rechtssichere Lösung für Share Deals“ betr. Verschiebung der sog. Grunderwerbsteuerreform. 5 Vgl. BT-Drucks. 19/28528 v. 15.4.2021, Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses.

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Behrens/Krohn, Die neuen Ländererlasse zum GrEStG

schluss gebracht. Im Vergleich zum Regierungsentwurf 2019 wurden die folgenden Änderungen umgesetzt: –

Einführung der sog. Börsenklausel in § 1 Abs. 2c GrEStG,



Einfügung der zeitlichen Anwendungsregelung für § 1 Abs. 2b in § 23 Abs. 23 GrEStG,



Streichung der im Regierungsentwurf 2019 noch vorgesehenen Vertrauensschutzregelungen im Zusammenhang mit § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG.6

Die beiden erstgenannten Änderungen waren vom Bundesrat bereits im Herbst 2019 vorgeschlagen worden.7 Im Referentenentwurf vom 8.5.20218 und im Regierungsentwurf vom 23.9.20199 waren sie noch nicht enthalten. Mit Wirkung ab 1.7.2021 wurden die bisherigen 95%-Grenzen in § 1 Abs. 2a, Abs. 3 und Abs. 3a auf 90% herabgesetzt, allerdings unter subsidiärer Fortgeltung der bisherigen 95%-Grenzen.10 Zudem ist ein § 1 Abs. 2a GrEStG entsprechender Ergänzungstatbestand für grundbesitzende Kapitalgesellschaften in § 1 Abs. 2b GrEStG eingeführt worden. Wie die anderen Gesetzänderungen (mit Ausnahme der Einführung der Börsenklausel in § 1 Abs. 2c GrEStG, die für alle noch offenen Fälle gilt, auch wenn vor dem 1.7.2021 verwirklicht) ist auch dieser neue Ergänzungstatbestand erstmals auf Erwerbsvorgänge anzuwenden, die nach dem 30.6.2021 verwirklicht werden, wobei der Erwerbsvorgang mit Erreichung bzw. Überschreitung der 90%-Grenze verwirklicht wird. Zu § 1 Abs. 2a GrEStG und zu § 1 Abs. 2b GrEStG wurden am 30.5.2022 unter dem Datum 10.5.2022 gleich lautende Erlasse der obersten Finanz6 Vgl. zu dieser noch im Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grunderwerbsteueränderungsgesetzes vom 23.9.2019 enthaltenen Vertrauensschutzregelung vgl. zB Behrens in Behrens/Wachter, GrEStG2, § 23 Rz. 76. 7 Vgl. Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrats, BR-Drucks. 355/1/19 v. 9.9.2019; Stellungnahme des Bundesrats, BR-Drucks. 355/19 v. 20.9.2019 und Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks. 19/13546 v. 25.9.2019. Zu weiteren Details der Historie vgl. Krohn/Behrens, StbJb. 2021/2022, 151 ff. 8 Referenten-Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, Art. 19. Dazu vgl. Behrens/Waadt, BB 2021, 1367. 9 Regierungsentwurf eines Gesetzes zu Änderung des GrEStG v. 23.9.2019, BTDrucks. 19/13437. 10 Vgl. § 23 Abs. 21, Abs. 22 GrEStG.

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behörden der Bundesländer („GLE“) veröffentlicht. Zu § 1 Abs. 2c GrEStG wurden am 25.10.2022 unter dem Datum 4.10.2022 gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Bundesländer („GLE“) veröffentlicht. Einige ausgewählte Aspekte dieser GLE werden nachfolgend dargestellt und diskutiert.

II. Die gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG vom 10.5.2022 1. Rangverhältnis zwischen § 1 Abs. 2a GrEStG und § 1 Abs. 2b GrEStG (Tz. 7 der gleich lautenden Erlasse vom 20.5.2022) Nach § 1 Abs. 2a GrEStG fällt Grunderwerbsteuer in Bezug auf die inländischen Grundstücke einer Personengesellschaft an, wenn – seit dem 1.7.2021 – innerhalb von zehn Jahren 90% oder mehr der Anteile am Vermögen dieser Personengesellschaft unmittelbar und/oder mittelbar auf neue Gesellschafter übergehen; Schuldnerin dieser Grunderwerbsteuer ist – weil § 1 Abs. 2a GrEStG den Übergang der Gesellschaftsgrundstücke auf eine neue Personengesellschaft fingiert – die grundbesitzende Personengesellschaft selbst. Nach dem mit Wirkung ab 1.7.2021 vom Gesetzgeber eingefügten neuen Ergänzungstatbestand in § 1 Abs. 2b GrEStG gilt grundsätzlich dasselbe für grundbesitzende Kapitalgesellschaften.11 Beide Vorschriften setzen voraus, dass zum Vermögen der Personen- oder Kapitalgesellschaft ein (oder mehrere) inländisches Grundstück gehört, und zwar ununterbrochen während der bis zu zehn Jahre, während der es zum Übergang von mindestens 90% der Anteile an der Gesellschaft unmittelbar und/oder mittelbar auf neue Gesellschafter kommt. In Beteiligungsketten stellt sich die Frage, ob – wenn ja, unter welchen Voraussetzungen – ein inländisches Grundstück einer Tochter-Gesellschaft (ausschließlich oder zugleich) zum Vermögen ihrer Muttergesellschaft bzw. einer Obergesellschaft in der Beteiligungskette zu rechnen ist. Betroffen ist die (eigentlich abwegig erscheinende, aber dennoch zuletzt ernsthaft diskutierte) Frage, ob in Beteiligungsketten im Fall des 11 Gemäß § 23 Abs. 23 GrEStG zählen nur nach dem 30.6.2021 erfolgte bzw. erfolgende Anteilsübergänge mit. Dies gilt nach ganz hM auch für Übergänge von Anteilen an vermittelnden Gesellschaften auf neue Gesellschafter. Alle am 30.6.2021 24 Uhr beteiligten Gesellschafter sind für die Zwecke von § 1 Abs. 2b GrEStG auf ihre jeweiligen Ebene sog. Alt-Gesellschafter.

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Übergangs von mindestens 90% der Anteile an der Obergesellschaft auf neue Gesellschafter Fälle denkbar sind, dass in Bezug auf dasselbe Grundstück, weil es nicht nur zum Vermögen einer, sondern zu den Vermögen zweier oder mehrerer Gesellschaften in der Beteiligungskette zuzurechnen sei, mehrfach Grunderwerbsteuer anfällt.

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Nach bisheriger Verwaltungsansicht gehört iSv. § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG ein Grundstück zum Vermögen nicht nur der Tochter-Gesellschaft, sondern auch der Mutter-Gesellschaft, wenn die Mutter-Gesellschaft iSv. § 1 Abs. 3, Abs. 3a GrEStG zu mindestens 90% an der grundbesitzenden Tochter-Gesellschaft beteiligt ist.12 Nach bisher Verwaltungsansicht war es nicht erforderlich, dass die Mutter-Gesellschaft in Bezug auf das Grundstück der Tochter-Gesellschaft einen der Tatbestände von § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG verwirklicht, dh. die Beteiligung an der grundbesitzenden Tochter-Gesellschaft gemäß § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG steuerbar erworben hatte. Nach dem BFH-Urteil v 1.12.2021 – II R 44/1813 reicht allein die mindestens 90%ige Beteiligung der Mutter- an der Tochter-Gesellschaft nicht aus, um das Grundstück der Tochter- auch zum Vermögen der Mutter-Gesellschaft zu rechnen. Erforderlich ist nach diesem BFH-Urteil für die Zurechnung des Grundstücks der Tochter- zum Vermögen der Mutter-Gesellschaft, dass die Mutter-Gesellschaft in Bezug auf das Grundstück der Tochter-Gesellschaft einen nach § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG steuerbaren Erwerbsvorgang verwirklichte, sie also die Beteiligung an der unmittelbar grundbesitzenden Gesellschaft steuerbar nach § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG erworben hatte. Nach dem Verständnis von Stefan Behrens schließt die unmittelbare Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG die Annahme einer gleichzeitigen mittelbaren Anteilsvereinigung auf Ebene der Muttergesellschaft der die Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft erwerbenden Gesellschaft aus.14 In der jeweiligen Tz. 7 der gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder („GLE“) zu § 1 Abs. 2a GrEStG15 und zu § 1 Abs. 2b GrEStG16, beide vom 10.5.2022, wird angeordnet, dass § 1 Abs. 2a und 12 In der Praxis ist es allerdings – soweit bekannt – bisher nicht zu mehr als einer Grunderwerbsteuer-Festsetzung pro Grundstück aufgrund eines Anteilsgeschäfts gekommen. 13 Vgl. BFH v. 1.12.2021 – II R 44/18, GmbHR 2022, 1054 = BFH/NV 2022, 996; dieses Urteil erging zu § 1 Abs. 2a GrEStG in der Fassung vor dem 5.11.2015. Vgl. hierzu zB Behrens/Wagner/Krohn, DB 2022, 1987; Broemel/Mörwald, DStR 2022, 1977; zum erstinstanzlichen Urteil 4 K 1101/15 v. 24.10.2018 GmbHR 2019, 199 m. Anm. Brühl = EFG 2019, 65 vgl. zB Behrens/Daka/Seemaier, UVR 2020, 145. 14 Vgl. Behrens in Behrens/Wachter, GrEStG2, § 1 Rz. 688. 15 Vgl. BStBl. I 2022, 801. 16 Vgl. BStBl. I 2022, 822.

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§ 1 Abs. 2b GrEStG gleichrangig seien. Es bestünde kein Vorrang. Was genau dies bedeuten soll, bleibt unklar. Diese Erlassaussagen werden nicht durch Beispielsfälle erläutert. Nach Ansicht von Dirk Krohn ist diese Aussage in den GLE unmittelbar verknüpft mit der Frage der grunderwerbsteuerlichen Zurechnung eines Grundstücks. Da die Finanzverwaltung in den GLE in der jeweiligen Tz. 3 regele, dass ein Grundstück nicht nur der Tochter-Gesellschaft zuzurechnen sei, sondern auch der Mutter-Gesellschaft, wenn die MutterGesellschaft iSv. § 1 Abs. 3, Abs. 3a GrEStG zu mindestens 90% an der grundbesitzenden Tochter-Gesellschaft beteiligt ist, ergebe sich im Zusammenspiel beider Regelungen die aktuelle Ansicht der Finanzverwaltung, dass mehrfach und auf verschiedenen Ebenen Grunderwerbsteuer für dasselbe Grundstück entstehen könne. Dies führt zur Doppelbelastung eines Lebenssachverhalts und stellt eine verfassungsrechtlich bedenkliche Auffassung der Finanzverwaltung dar. Hier reicht das Argument, dass die Grunderwerbsteuer stichtagsbezogen auszulegen sei und damit mehrere steuerbare Tatbestände bei verschiedenen Rechtsträgern durch einen Rechtsvorgang ausgelöst werden könnten, nicht mehr aus. Hier wäre der Gesetzgeber dringend aufgefordert gewesen, eine Regelung zu treffen, die dieses uE unverhältnismäßige Ergebnis endgültig aus der Welt schafft. Auf Grundlage der Ende März 2023 veröffentlichten BFH-Urteile v. 14.12.2022 – II R 33/2017 und II R 40/2018 scheint der BFH die Ansicht zu vertreten, dass zwar in dem Fall, dass die Mutter-Gesellschaft zuvor in Bezug auf das Grundstück der Tochter-Gesellschaft einen der Tatbestände von § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG verwirklicht hatte, das Grundstück der Tochter-Gesellschaft auch zum Vermögen der MutterGesellschaft gehört. Der Wortlaut von Tz. 25 des BFH-Urteils II R 40/20 bzw. Tz. 13 des BFH-Urteils II R 33/20 könnte so verstanden werden, dass diese Zurechnung des Tochter-Gesellschafts-Grundstücks auch zum Vermögen der Mutter-Gesellschaft eine logische Sekunde vor Verwirklichung des Tatbestands von § 1 Abs. 2a bzw. Abs. 2b GrEStG auf Ebene der Mutter-Gesellschaft (oder von § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG auf Ebene eines Erwerbers der Anteile an der Muttergesellschaft) endet, so dass der Übergang von mindestens 90% der Anteile an der MutterGesellschaft innerhalb von zehn Jahren auf neue Gesellschafter Grund17 Vgl. BFH v. 14.12.2022 – II R 33/20, GmbHR 2023, 761 = IStR 2023, 331. 18 Vgl. BFH v. 14.12.2022 – I R 40/20, BFH v. 14.12.2022 – II R 40/20, GmbHR 2023, 758 = DStR 2023, 700.

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erwerbsteuer nach § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG nur auf Ebene der Tochter-Gesellschaft auslöst, die das Grundstück zuvor nach § 1 Abs. 1 oder Abs. 2 GrEStG steuerbar erworben und nicht wieder veräußert hatte.19 Unabhängig davon entfällt die Zurechnung des Grundstücks der Tochter-Gesellschaft auch zum Vermögen der Mutter-Gesellschaft, wenn die Beteiligung der Mutter- an der Tochter-Gesellschaft zwischenzeitlich auf unter 90% gesunken ist oder die Tochter-Gesellschaft das Grundstück zwischenzeitlich veräußert.20 Wie die Finanzverwaltung insbesondere Tz. 25 f. des BFH-Urteils II R 40/20 bzw. Tz. 13 f. des BFH-Urteils II R 33/20 auslegen wird, bleibt abzuwarten. Es sollen zeitnah gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Bundesländer zur Frage der Zurechnung von Grundstücken in Gesellschaftsketten veröffentlicht werden. Möglicherweise kommt es dann auch zu einer Änderung von Tz. 7 der GLE vom 10.5.2022 betr. § 1 Abs. 2a und betr. § 1 Abs. 2b GrEStG. Nach unserer gemeinsamen Rechtsansicht sollte Einvernehmen darüber bestehen, dass es auf Grundlage der vom BFH in den Urteilen II R 33/20 und II R 40/20 entwickelten Grundsätze zu keiner doppelten Belastung mit Grunderwerbsteuer für dasselbe Grundstück und dasselbe Anteilsgeschäft auf verschiedenen Ebenen kommen kann. Unklar ist allerdings noch, in Bezug auf welche Ebene in der Beteiligungskette es in Bezug auf das betreffende Anteilsgeschäft am oberen Ende der Beteiligungskette zu der einen Besteuerung kommt. UE sollte der Gesetzgeber tätig werden und zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten das Tatbestandsmerkmal „Zugehörigkeit des Grundstücks zum Vermögen der Gesellschaft“ für die Zwecke von § 1 Abs. 2a bis Abs. 3a GrEStG eindeutig gesetzlich regeln. Dabei könnte an das zivilrechtliche Eigentum (dh. die Eintragung als Eigentümer im Grundbuch) oder an die Verwirklichung des jeweiligen Tatbestands nach § 1 GrEStG angeknüpft werden. Aktuell ist der Beratung und den potentiell Steuerpflichtigen zu empfehlen, wenn Zweifel bestehen, wem ein Grundstück grunderwerbsteuerlich zuzurechnen ist, die bisherigen Grundsätze der „Doppel- bzw. Mehrfachzurechnung“ der Finanzverwaltung zu beachten und auf jeder 19 Vgl. Tz. 14 und Tz. 16 des BFH-Urteils v. 14.12.2022 – II R 33/20, GmbHR 2023, 761 bzw. Tz. 26 und Tz. 28 des BFH-Urteils BFH v. 14.12.2022 – II R 40/20, GmbHR 2023, 758; vgl. Behrens/Sparr, BB 2023, 1687 (1688). 20 Vgl. Tz. 14 letzter Satz des BFH-Urteils v. 14.12.2022 – II R 33/20, GmbHR 2023, 761 und Tz. 26 letzter Satz des BFH-Urteils BFH v. 14.12.2022 – II R 40/20, GmbHR 2023, 758.

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betroffenen Ebene Anzeigen nach den §§ 19 und 20 GrEStG innerhalb von zwei Wochen bzw. innerhalb eines Monats21 nach Kenntnisnahme beim jeweiligen örtlich zuständigen Finanzamt einzureichen.22 Gleichzeitig sollte man sich aber auf die vorstehende Rechtsprechung des BFH berufen und nur auf einer Ebene die Bereitschaft zur Zahlung der Grunderwerbsteuer bekunden. Auf der jeweils anderen Ebene sollte man vorsorglich Rechtsmittel einlegen, damit entsprechende Bescheide nicht rechtskräftig werden. Diese Vorgehensweise schützt den potentiellen Steuerpflichtigen vor den empfindlichen Sanktionen einer verspäteten, unrichtigen oder nicht erfolgten Anzeige, die da wären: –

Verlängerung der Festsetzungs- bzw. Feststellungsverjährung durch die dreijährige Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 AO;



Festsetzung von Verspätungszuschlägen von 0,25% pro angefangenen Verzugsmonat ohne Beachtung der Kappung auf 25.000 t (§ 19 Abs. 6 GrEStG iVm. § 152 AO);

Zuleitung des Vorgangs zur Bußgeld- und Strafsachenstelle, weil die Nichtabgabe einer Anzeige iSd. § 19 GrEStG abhängig von den Umständen des Einzelfalls als Versuch der leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO gewertet werden könnte.

2. Besteuerung von sog. Signing und sog. Closing (Tz. 8 der GLE vom 10.5.2022) In den GLE vom 10.5.202223 stellen die obersten Finanzbehörden der Länder in Bezug auf § 1 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3 GrEStG auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verpflichtungsgeschäfts ab. Bei Anteilsgeschäften, bei denen das Erfüllungsgeschäft (sog. Closing) dem Verpflichtungsgeschäft (sog. Signing) zeitlich nachfolgt (und sei es auch nur eine – ggf. auch nur juristische – Sekunde), wird für den Zeitpunkt des Abschlusses des Verpflichtungsgeschäfts, dh. für den Zeitpunkt der notariellen Beur21 Grundsätzlich innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnisnahme vom anzuzeigenden Vorgang, innerhalb von einem Monat, wenn der (potentielle) Steuerschuldner eine natürliche Person ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, eine Kapitalgesellschaft ohne Geschäftsleitung oder Sitz im Inland oder eine Personengesellschaft ohne Ort der Geschäftsführung im Inland ist; vgl. § 19 Abs. 3 GrEStG. 22 Vgl. auch Behrens/Sparr, BB 2023, 1687 (1691). 23 Gleich lautende Länder-Erlasse zu § 1 Abs. 2a GrEStG v. 10.5.2022, BStBl. I 2022, 801; gleich lautende Länder-Erlasse zu § 1 Abs. 2b GrEStG v. 10.5.2022, BStBl. I 2022, 821.

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kundung des Anteilskaufvertrags, die Verwirklichung von § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. Nr. 3 GrEStG angenommen (sofern kein Fall von § 14 GrEStG gegeben ist). Hieraus ergeben sich Folgefragen insbesondere verfahrensrechtlicher Art, wenn es – wie regelmäßig der Fall – zur Erfüllung des Verpflichtungsgeschäfts, dh. zum Closing kommt. Gemäß § 38 AO entsteht die Grunderwerbsteuer, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Die Grunderwerbsteuer entsteht mithin mit Erfüllung eines Erwerbstatbestands iSv. § 1 GrEStG, sofern es sich im Einzelfall nicht um einen bedingten (§ 14 Nr. 1 GrEStG) oder genehmigungsbedürftigen (§ 14 Nr. 2 GrEStG) Erwerbsvorgang handelt. Der Zeitpunkt der Steuerentstehung ist nicht bei allen Erwerbsvorgängen identisch, sondern richtet sich nach dem jeweiligen Erwerbstatbestand. Weil der Grunderwerbsteueranspruch ein gesetzlicher ist, für dessen Entstehung es nur auf die Erfüllung des gesetzlichen Steuertatbestands ankommt, ist seine Entstehung vom Willen der am Erwerbsvorgang Beteiligten unabhängig und deren Disposition entzogen.24 Auch bei den in § 1 Abs. 3 GrEStG geregelten Erwerbsfällen entsteht die Grunderwerbsteuer mit der Erfüllung des jeweiligen Tatbestands.25 Gegen die Verwirklichung von § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. Nr. 3 GrEStG schon im Zeitpunkt des Signing spricht, dass, solange die vertraglich vereinbarten Vollzugsbedingungen erfüllbar sind, die Besteuerung nach § 1 Abs. 2b GrEStG möglich ist und – gemäß dem Gesetzeswortlaut – „in Betracht kommt“. Das sog. Signing eines Anteilskaufvertrags erfolgt stets mit dem Ziel, dass der Anteilskaufvertrag auch erfüllt wird, dh. dass es zum sog. Closing kommt. In der jeweiligen Tz. 8.1 der GLE vom 10.5.2022 wird anerkannt, dass § 1 Abs. 2a bzw. Abs. 2b GrEStG der Anwendung des § 1 Abs. 3 und 3a GrEStG vorgehen und dass dieser Vorrang auch dann gegeben ist, wenn aufgrund einer Befreiungsvorschrift die Steuer nach § 1 Abs. 2a GrEStG bzw. § 1 Abs. 2b GrEStG nicht erhoben wird. Zu den verfahrensrechtlichen Abläufen wird in Tz. 8.2 Folgendes geregelt:

24 Vgl. Bartone in Behrens/Wachter, GrEStG2, § 23 Rz. 2 mit dem Hinweis darauf, dass ein auf die Entstehung der Grunderwerbsteuer gerichteter Wille der am Erwerbsvorgang beteiligten Personen nicht erforderlich ist. 25 Vgl. Bartone in Behrens/Wachter, GrEStG2, § 23 Rz. 21 mwN.

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„Im Zeitpunkt des Abschlusses des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts erfolgt eine Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 oder Abs. 3a GrEStG. Im Zeitpunkt der Übertragung der Beteiligung am Vermögen der grundbesitzenden Personengesellschaft erfolgt eine Festsetzung nach § 1 Abs. 2a GrEStG und die Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 oder Abs. 3a GrEStG ist bei Grundstücksidentität aufzuheben oder zu ändern. Eine Festsetzung nach § 1 Abs. 3 oder 3a GrEStG ist grundsätzlich nur in den Fällen geboten, in denen bis zu einem Jahr nach Kenntnisnahme der Finanzverwaltung von dem steuerbegründenden Sachverhalt eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG nicht zu erwarten ist. Zudem muss der Grundstücksbestand im Zeitpunkt des Abschlusses des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts und des Übergangs der Beteiligung an der grundbesitzenden Personengesellschaft identisch sein.“ Dadurch, dass die seit 21.12.2022 geltenden Regelungen in § 16 Abs. 4a Satz 1 und Abs. 5 Satz 2 GrEStG26 voraussetzen, dass durch das unbedingte Wirksamwerden des Anspruchs auf die Anteilsübertragung § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3, ggf. iVm. Abs. 3a GrEStG verwirklicht wird, wird die von der Finanzverwaltung bevorzugte Auslegung des „soweit“Halbsatzes in § 1 Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG nahe gelegt, wonach das „nicht in Betracht kommt“ als „nicht zeitgleich verwirklicht wird“ auszulegen ist. In der Literatur wird die Neuregelung in § 16 Abs. 4a GrEStG jedoch nicht als gesetzliche Festschreibung der Verwaltungsansicht gewertet, weil es sich bei § 16 Abs. 4a GrEStG um eine reine Verfahrensvorschrift handele.27 Nach Ansicht von Stefan Behrens hätte der Gesetzgeber, hätte er die materielle Rechtslage ändern wollen, auch den „soweit“-Satz in § 1 Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG entsprechend ändern müssen. Die Bedeutung des „soweit“-Satzes ist § 1 Abs. 3, Abs. 3a GrEStG wird durch die Neuregelung in § 16 Abs. 4a Satz 1, Abs. 5 Satz 3 GrEStG nach Ansicht von Stefan Behrens nicht geändert.

26 Vgl. JStG 2022 v. 16.12.2022, veröffentlicht am 20.12.2022, BGBl. Teil I Nr. 51, ausgegeben zu Bonn am 20.12.2022. 27 So Broemel/Mörwald, DStR 2023, 73.

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Nach Ansicht von Dirk Krohn ist festzuhalten, dass es das Ziel dieser gesetzlichen Verankerung ist, denselben Lebenssachverhalt rechtssicher nur einmal der Grunderwerbsteuer zu unterwerfen. Dabei soll vorrangig auf den Zeitpunkt des sog. Closing abgestellt und der auf den Zeitpunkt des sog. Signing bezogene Verwaltungsakt aufgehoben oder geändert werden. Grundsätzlich sollte die verfahrensrechtliche Regelung der Finanzverwaltung in der jeweiligen Tz. 8 der GLE gesetzlich fixiert werden. Dabei wurden vom Gesetzgeber aber leider die vereinfachenden Regelungen aus der jeweiligen Tz. 8.2 der GLE nicht übernommen. Insbesondere wurde auf die Regelung verzichtet, dass, wenn das sog. Signing und das sog. Closing innerhalb eines Jahres erfolgen, von der Festsetzung der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 GrEStG bzw. einer entsprechenden Feststellung nach § 17 Abs. 3 GrEStG abzusehen ist. Nach der gesetzlichen Neuregelung muss nach Ansicht von Dirk Krohn nunmehr zu beiden Stichtagen jeweils ein Bescheid nach § 1 Abs. 3 GrEStG und nach § 1 Abs. 2b GrEStG erstellt und an den jeweiligen Steuerschuldner bekannt gemacht werden. Die Steuerschuldner müssen diese Steuerbeträge auch erst einmal entrichten. Nach Auffassung von Stefan Behrens wäre die Zahlung der nach Verwaltungsansicht ausgelösten Grunderwerbsteuer, solange damit zu rechnen ist, dass das Closing eintreten wird, in Anwendung von § 222 AO ohne Sicherheitsleistung zu stunden. Eine doppelte Zahlung von Grunderwerbsteuer ist nach Auffassung von Stefan Behrens, auch wenn nur temporär, mit Sinn und Zweck der Tz. 8 der Erlasse vom 10.5.2022 und der Neuregelung in § 16 Abs. 4a GrEStG – es soll ja nur einmal (und zwar das sog. Closing) besteuert werden – nicht vereinbar. Die Ergänzung des § 16 Abs. 5 Satz 2 GrEStG flankiert die verfahrensrechtliche Neuregelung und birgt großes Streit- bzw. Gefahrenpotential in der Praxis. Die Vorschriften des § 16 Abs. 1–4 GrEStG setzen für ihre Anwendung eine fristgerechte und in allen Teilen vollständige Anzeige (§§ 18–20 GrEStG) voraus. Dies gilt nun auch für die neu eingeführte Änderungsvorschrift des § 16 Abs. 4a GrEStG sowohl in Bezug auf den Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder des § 1 Abs. 3a GrEStG, dessen Festsetzung auf Antrag unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 4a GrEStG aufzuheben oder zu ändern ist, als auch in Bezug auf den in § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgang. Daraus ist zu folgern, dass eine Berichtigung bzw. Änderung des ersten Verwaltungsakts (dh. betreffend das sog. Signing) nicht möglich sein soll, wenn einer der beiden grunderwerbsteuerbaren Vorgänge nicht ordnungsgemäß angezeigt wurde. Im Ergebnis kommt es in diesen Fäl254

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len dann doch zu einer Doppelbesteuerung, die allerdings von Gesetzes wegen entsteht. Damit steigen die Anforderungen in der Praxis für die Anzeige der beiden Vorgänge, denn neben dem engen zeitlichen Rahmen (zwei Wochen bzw. ein Monat ab Kenntniserlangung) sind auch die örtlichen Zuständigkeiten nach § 17 GrEStG und die Vorgaben für eine vollständige Anzeige nach § 20 GrEStG zu beachten. Ein Regelfall dieser drohenden Doppelbesteuerung dürfte ein Aufgriff im Rahmen einer Betriebsprüfung werden, der regelmäßig der zuständigen Grunderwerbsteuerstelle über eine Kontrollmitteilung der Betriebsprüfung mitgeteilt wird. Diese Vorgänge sind dann regelmäßig nicht ordnungsgemäß angezeigt worden.

3. Übergangsregelung zu § 1 Abs. 2b GrEStG: Geltung von § 23 Abs. 23 GrEStG auch für mittelbare Anteilsübergänge In den GLE zu § 1 Abs. 2b GrEStG wird klargestellt, dass nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Gesellschafterwechsel nur mitzählen, wenn sie nach dem 30.6.2021 erfolgt sind. § 23 Abs. 23 GrEStG gilt also auch nach Verwaltungsansicht nicht nur für unmittelbare, sondern auch für mittelbare Anteilsübergänge.28 Zudem wird von Seiten oder obersten Finanzbehörden der Bundesländer bestätigt, dass – unabhängig von der Beteiligungsebene in Beteiligungsketten – alle mit Ablauf des 30.6.2021 Beteiligten als Alt-Gesellschafter bezogen auf die jeweilige Kapitalgesellschaften gelten.29

4. Keine sog. Ewigkeitsbetrachtung im Anwendungsbereich der Sätze 4 von Abs. 2a und Abs. 2b In den GLE zu § 1 Abs. 2a GrEStG vom 12.11.201830 hatte die Finanzverwaltung überraschend die Ansicht vertreten, dass Übergänge von Anteilen an beteiligten Kapitalgesellschaften auf neue Gesellschafter zeitraumunabhängig aufzuaddieren seien, bis die damals noch anwendbare 95%-Schwelle erreicht bzw. überschritten ist.31 Diese Regelungen fin28 So bereits die in der Literatur vertretene Ansicht, vgl. zB Behrens/Wagner, DB 2021, 866. 29 Vgl. Tz. 5.2.3.2 der GLE zu § 1 Abs. 2b GrEStG: „Altgesellschafter der beteiligten Kapitalgesellschaft ist, wer mit Auflauf des 30.06.2021 an ihr beteiligt war.“ 30 Vgl. BStBl. I 2018, 1314. 31 Vgl. Erlasse v. 12.11.2018, BStBl. I 2018, 1314, Tz. 5.2.3.1 und Tz. 6, außerdem Tz. 5.3.3, Tz. 5.3.5 und Tz. 6.4. Dies bezog sich auch auf die Rechtslage vor

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den sich in den GLE vom 10.5.2022 und damit insbes. in den überarbeiteten GLE zu § 1 Abs. 2a GrEStG vom 10.5.2022 nicht mehr. Allerdings fehlt im Erlasswortlaut eine eindeutige Regelung, dass auf allen Ebenen in Beteiligungsketten derselbe Zehnjahreszeitraum zu beachten ist.32 Dies könnte den Eindruck erwecken, als solle den Finanzämtern die Möglichkeit eingeräumt werden, die Frage des „Ob“ und „Wie“ der Geltung des Zehnjahreszeitraums oberhalb beteiligter Kapitalgesellschaften im Anwendungsbereich von § 1 Abs. 2a Satz 3–5 und Abs. 2b Satz 3–5 GrEStG selbst zu entscheiden.33 Auf Initiative Bayerns34 hat der Bundesrat in seinen Empfehlungen zum Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes gefordert, dass „§ 1 Abs. 2a Satz 4 dahingehend ergänzt werden (sollte), dass für die Bestimmung der Neugesellschaftereigenschaft bei einer an einer Personengesellschaft beteiligten Kapitalgesellschaft lediglich Gesellschafterwechsel innerhalb eines Zeitraums entsprechend § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG und nicht unbefristet maßgebend sind.35 In der Gegenäußerung hat die Bundesregierung dem Vorschlag des Bundesrats uneingeschränkt zugestimmt.36

32

33

34 35 36

Einfügung der Sätze 2–5 in § 1 Abs. 2a GrEStG durch das StÄndG 2015 mit Wirkung ab 6.11.2015. Der Hinweis im Beispiel in Tz. 5.3.7 am Ende, wonach die Übertragung der Anteile am Kapital der beteiligten Kapitalgesellschaft von vor zehn Jahren nicht zu berücksichtigen sei, „da diese außerhalb des Zehnjahreszeitraums erfolgte“, beinhaltet keine ausdrückliche Aufgabe der sog. Ewigkeitsbetrachtung, weil in diesem Beispiel die beteiligte Kapitalgesellschaft rückwirkend als Personengesellschaft behandelt wird, dh. die Finanzverwaltung nimmt den Übergang eines Anteils einer an der grundbesitzenden Gesellschaft beteiligten Personengesellschaft an, obwohl die beteiligte Gesellschaft im Zeitpunkt des Übergangs eines Anteils an ihr Kapitalgesellschaft war und erst später, allerdings vor Tatbestandsverwirklichung, in eine KG formwechselnd umgewandelt wurde. Bei den Ausführungen der Erlasse zum Formwechsel einer beteiligten Personen- in eine Kapitalgesellschaft weist die Verwaltung indes ausdrücklich darauf hin, dass Gesellschafterwechsel an der formgewechselten Kapitalgesellschaft nur zu berücksichtigen sind, wenn „diese im Zehnjahreszeitraum erfolgt sind“ (Vgl. Tz. 5.2.5.2. der GLE zu § 1 Abs. 2b GrEStG v. 10.5.2022). Dass die Verwaltung in diesem Kontext auf den Zehnjahreszeitraum abstellt, belegt, dass sie im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2a bzw. 2b Satz 4 GrEStG einen zehnjährigen Betrachtungszeitraum anwendet. Anmerkung von Dirk Krohn. Vgl. Nr. 3 der BR-Drucks. 355/19 (Beschluss) v. 20.9.2019. Vgl. BT-Drucks. 19/13546.

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Der Bundestag hat im Rahmen der Beschlussfassungen zum GrEStÄndG 2021 aber davon abgesehen, eine Ergänzung des Gesetzes in diesem Sinne vorzunehmen. Dies lässt nach Einschätzung von Dirk Krohn nur den Schluss zu, dass der Bundestag eine Ergänzung des Gesetzes für nicht notwendig erachtete, da die angestrebte Rechtsauffassung schon aus der bis dahin geltenden Regelung des § 1 Abs. 2a Satz 4 GrEStG abgeleitet werden kann und es insoweit keinen Änderungsbedarf gab. Zu begrüßen ist, dass die Finanzverwaltung sich nunmehr in den GLE zur Anwendung der § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG vom 10.5.2022 von ihrer bisherigen Auffassung verabschiedet hat. In den GLE zur Anwendung des § 1 Abs. 2a GrEStG wurden die Sätze 6 und 7 in der Rz. 5.2.3.1. nicht mehr aufgenommen.37 In den erstmaligen GLE zur Anwendung des § 1 Abs. 2b GrEStG wurde in der Rz. 5.2.3.1. keine entsprechende Regelung eingefügt. Die Finanzverwaltung hat also durch „Weglassen“ der bisherigen Ausführungen die Änderung ihrer Rechtsauffassung bekanntgegeben.38 Daraus ist nach Auffassung von Dirk Krohn und von Stefan Behrens zu folgern, dass nunmehr – ohne Änderung des gesetzlichen Wortlauts – die Auffassung vertreten werden kann, dass für die Prüfung, ob die unmittelbar oder mittelbar an einer grundbesitzenden Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft beteiligte Kapitalgesellschaft „fiktiv neu“ ist oder nicht, auf denselben Zehnjahreszeitraum abzustellen ist, der auch für die Prüfung des der grundbesitzenden Gesellschaft anzuwenden ist („Einheitlicher Zehnjahreszeitraum“).39

5. Ebenen-Betrachtung bei der Differenzierung zwischen Neuund Alt-Gesellschaftern Die Finanzverwaltung hält unverändert an der Auffassung fest, dass ein seit mindestens zehn Jahren seit Gründung der grundbesitzenden Ge37 Behrens/Wagner/Krohn, DB 2022, 1667 unter III. 38 Bei den Ausführungen der GLE zum Formwechsel einer beteiligten Personenin eine Kapitalgesellschaft weist die Verwaltung indes ausdrücklich darauf hin, dass Gesellschafterwechsel an der formgewechselten Kapitalgesellschaft nur zu berücksichtigen sind, wenn „diese im Zehnjahreszeitraum erfolgt sind“ (vgl. Tz. 5.2.5.2. der gleich lautenden Ländererlasse zu § 1 Abs. 2b GrEStG v. 10.5.2022). Dass die Verwaltung in diesem Kontext auf den Zehnjahreszeitraum abstellt, belegt, dass sie im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2a bzw. 2b Satz 4 GrEStG einen zehnjährigen Betrachtungszeitraum anwendet. 39 So nach unserem Verständnis auch Fleischer/Koll/Görnig, Ubg. 2022, 537 (544).

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sellschaft bzw. Erwerb des ersten Grundstücks durch die grundbesitzende Gesellschaft unmittelbar beteiligter Gesellschafter in Bezug auf Kapitalgesellschaften, die an der grundbesitzenden Gesellschaft beteiligt sind, neuer Gesellschafter sein kann. Dies ist in den GLE zu § 1 Abs. 2b GrEStG vom 10.5.2022 in Tz. 6.4 anhand des folgenden Beispiels verdeutlicht:

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Behrens/Krohn, Die neuen Ländererlasse zum GrEStG

Der Übergang der Anteile in Höhe von 50% im Jahr 02 und in Höhe von 10% im Jahr 04 sollen nach Verwaltungsansicht Anteilsübergänge auf einen neuen Gesellschafter darstellen, so dass zusammen mit dem Übergang des 30%igen Anteils auf den bisher nicht beteiligten Y ein 90%iger Gesellschafterwechsel auf Ebene der C-GmbH eingetreten sei, was zur Folge habe, dass die C-GmbH als neue Gesellschafterin der grundbesitzenden A-GmbH, die 89%ige Beteiligung an der A-GmbH mithin als auf einen neuen Gesellschafter übergegangen gilt. Zusammen mit dem Übergang der 5%igen Beteiligung von X auf A im Jahr 09 sei deshalb der Tatbestand von § 1 Abs. 2b GrEStG erfüllt. Für den Fall der grundbesitzenden Personengesellschaft wird von der Finanzverwaltung dieselbe Ansicht vertreten.40 Ein unmittelbar an der grundbesitzenden Gesellschaft beteiligter AltGesellschafter kann nach Ansicht von Stefan Behrens in Bezug auf neben ihm unmittelbar an der grundbesitzenden Gesellschaft beteiligte Kapitalgesellschaften kein neuer Gesellschafter sein. Die von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung lasse den Charakter von § 1 Abs. 2a (und § 1 Abs. 2b) GrEStG als typisierende Missbrauchsvermeidungsvorschriften unzulässig außer Betracht. Nach Ansicht von Stefan Behrens überzeugend begründet hat dies das FG Niedersachsen im Urteil vom 10.3.202141, gegen das die Revision unter dem Az. II R 28/21 anhängig ist.42 Im Urteil v. 10.3.2021 – 7 K 101/18 entschied das FG Niedersachsen gegen die Ansicht der obersten Finanzbehörden der Länder für das Streitjahr 2016, dass ein seit mehr als fünf Jahren unmittelbar an der grundbesitzenden Personengesellschaft beteiligter Gesellschafter auch bei Anwendung von § 1 Abs. 2a Satz 4 GrEStG nicht als neuer Gesellschafter einer ebenfalls an der grundbesitzenden Personengesellschaft beteiligten Kapitalgesellschaft angesehen werden kann. Das Tatbestandsmerkmal „neue Gesellschafter“ sei bei § 1 Abs. 2a Satz 1 und § 1 Abs. 2a Satz 4 GrEStG einheitlich auszulegen.

40 Vgl. Tz. 6.4 der GLE zu § 1 Abs. 2a GrEStG v. 10.5.2022. 41 Az. 7 K 101/18. 42 Zur alten Rechtslage (anwendbar bis zum 5.11.2015) hatte BFH v. 17.6.2020 – II R 18/17, BStBl. II 2021, 318 = GmbHR 2021, 216 m. Anm. Brühl entschieden, dass zur Berücksichtigung mittelbarer Strukturen auf allen Beteiligungsebenen durch Kapital- und Personengesellschaften gleichermaßen durchgeschaut wird.

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Dem Urteil des FG Niedersachsen zugrunde liegt der folgende Sachverhalt: An der nach Verwaltungsansicht grunderwerbsteuerrechtlich grundbesitzenden KG ist neben –

Z zu 10%,



der Z-GmbH zu 90%



als Komplementär X mit einem Vermögensanteil von 0% seit mehr als fünf Jahren

beteiligt. Am 31.12.2016 übertrug Z seine bisher auf eigene Rechnung gehaltene 10%ige Kommanditbeteiligung an der KG auf die bisher nicht beteiligte M-GmbH. Außerdem übertrug Z die bisher treuhänderisch für die L-AG gehaltene 100%-Beteiligung an der Z-GmbH ebenfalls am 31.12.2016 auf X, der diese Beteiligung als Treuhänder für die L-AG erwirbt. Insoweit lag ein reiner Treuhänder-Wechsel vor.

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Weil kein nach § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG grunderwerbsteuerbarer Vorgang vorliege, wenn ein Altgesellschafter seinen Anteil an der grundbesitzenden Personengesellschaft unmittelbar erhöht, könne nichts anderes gelten, wenn ein bisher unmittelbar beteiligter Altgesellschafter einen Anteil an einer neben ihm unmittelbar an der grundbesitzenden Personengesellschaft beteiligten Kapitalgesellschaft erwerbe. Es sei kein sachlicher Grund erkennbar, den unmittelbaren und den mittelbaren Anteilserwerb unterschiedlich zu behandeln. Erwirbt ein Altgesellschafter der grundbesitzenden Personengesellschaft Anteile an der Kapitalgesellschaft, die an der grundstücksbesitzenden Personengesellschaft beteiligt ist, werde der vor dem Anteilserwerb bestehende Gesellschafterbestand nicht verändert. Ändere sich der Gesellschafterbestand durch den mittelbaren Anteilserwerb nicht, liege auch keine missbräuchliche Umgehungsgestaltung vor, deren Steuerneutralität durch § 1 Abs. 2a GrEStG verhindert werden soll.43 Dem Gesetzeszweck, missbräuchliche

43 Vgl. Nds. FG v. 10.3.2021 – 7 K 101/18, juris Rz. 66.

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Umgehungsgestaltungen zu vermeiden, werde im Fall einer mittelbaren Änderung des Gesellschafterbestands nur Geltung verschafft, wenn der Begriff des „neuen Gesellschafters“ iS des Satzes 4 dahingehend ausgelegt wird, dass ein Altgesellschafter der grundbesitzenden Personengesellschaft nicht als neuer Gesellschafter einer ebenfalls beteiligten Kapitalgesellschaft angesehen wird. Weil die Sätze 3–5 lediglich in einem zweiten Schritt bestimmen, unter welchen Voraussetzungen ein mittelbarer Gesellschafterwechsel iSv. § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG anzunehmen ist, beziehe sich Satz 4 aus systematischer Sicht auf den Grundtatbestand des Satzes 1. Es sei nicht vertretbar, dem Begriff des neuen Gesellschafters in Satz 4 eine andere Bedeutung als in Satz 1 beizumessen. Nach Ansicht von Dirk Krohn kann ein unmittelbar an der grundbesitzenden Gesellschaft beteiligter Gesellschafter bei der Beurteilung, ob eine unmittelbar beteiligte Kapitalgesellschaft als „fiktiv“ neu anzusehen ist, entgegen der Ansicht des FG Niedersachen und der Ansicht von Stefan Behrens als Neugesellschafter auf dieser Ebene angesehen werden. Dies ergibt sich aus der sog. Stufenbetrachtung und ist gerechtfertigt aufgrund noch geltender rechtsformunterschiedlicher Beurteilung. Die unmittelbar beteiligte Kapitalgesellschaft ist für Zwecke der Grunderwerbsteuer als intransparent anzusehen. Dies hat nach Ansicht von Dirk Krohn zur Folge, dass nur eine isolierte Prüfung auf Ebene der Anteilseigner dieser Gesellschaft stattzufinden hat. Diese Prüfung kann dann das Ergebnis bringen, dass die unmittelbar beteiligte Kapitalgesellschaft insgesamt als fiktiv neu auf Ebene der grundbesitzenden Gesellschaft anzusehen ist. Die Prüfung auf unterschiedlichen Ebenen rechtfertigt bzw. zwingt nach Ansicht von Dirk Krohn dazu, die Neugesellschafterstellung nur aus Sicht der jeweiligen Ebene zu beurteilen. Eine Folge auf der jeweils anderen Ebene ist damit nach Ansicht von Dirk Krohn nicht verbunden. Warum es einen solchen „Zwang“ zur strikten „Ebenen-Betrachtung“ bei der Differenzierung zwischen Neu- und Alt-Gesellschafter geben soll, ist nach Meinung von Stefan Behrens nicht ersichtlich.

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6. Formwechsel einer an der grundbesitzenden Gesellschaft beteiligten Gesellschaft a) Heterogener Formwechsel der grundbesitzenden Gesellschaft Die Finanzverwaltung behandelt beim heterogenen Formwechsel § 1 Abs. 2a GrEStG und § 1 Abs. 2b GrEStG so, als handele es sich um einen einzigen (rechtformneutralen) Tatbestand. Dies ist nach Ansicht von Stefan Behrens angesichts der Systematik und des Wortlauts von § 1 Abs. 2a GrEStG und § 1 Abs. 2b GrEStG, die zwei verschiedene Tatbestände darstellen, aus dem Gesetz nicht ableitbar, also ohne Grundlage im GrEStG, und daher rechtswidrig.44 In Bezug auf die Erlasse vom 10.5.2022 zu § 1 Abs. 2a GrEStG ist es in Bezug auf den Formwechsel der Kapital- in eine Personengesellschaft für die (potentiell) Steuerpflichtigen besonders nachteilig, dass die neue Verwaltungsansicht, wonach die Alt- oder Neugesellschaftereigenschaft der Gesellschafter bei der Kapitalgesellschaft in die Zeit nach dem Formwechsel „mitgenommen“ werden soll, also nicht mehr jeder im Zeitpunkt der Eintragung des Formwechsels beteiligte Gesellschafter als Altgesellschafter der durch den Formwechsel entstehenden Personengesellschaft gilt, für alle noch offenen Fälle anwendbar sein soll.45 Nach Auffassung von Stefan Behrens verstößt die rückwirkende Anwendung dieser neuen Verwaltungsansicht gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Gewährung von Vertrauensschutz.46 b) Formwechsel von beteiligter Personen- in Kapitalgesellschaft In Tz. 5.3.6 der GLE vom 10.5.2022 hält die Finanzverwaltung die jeweilige Rechtsform der beteiligten Gesellschaft für maßgebend, die die beteiligte Gesellschaft in dem Zeitpunkt, als Anteile an ihr auf neue Ge-

44 Vgl. Fleischer/Koll/Görnig, Ubg. 2022, 537; Behrens, UVR 2022, 368. 45 Vgl. Tz. 16 der Erlasse zu § 1 Abs. 2a GrEStG v. 10.5.2022, BStBl. I 2022, 801. 46 Hummel, MwStR 2016, 4 (12); ferner Selmer, StbKongrRep. 1974, 83 (114); Hey, DStR 2004, 1897 (1903 f.); Burmeister in Festschr. Friauf, 1996, 759 (768); Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I2, 169 f.; Kruse/Loose, in Tipke/Kruse, § 227 AO Rz. 56 (2017); Helbich, Vertrauensschutz in Verwaltungsvorschriften des Steuerrechts, Diss., 2015, 25; allgemein s. auch Wahl, Festgabe 50 Jahre BVerwG, 2003, 571 (575).

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sellschafter übergingen, tatsächlich hatte. Dem späteren, aber vor der Tatbestandsverwirklichung eingetragenen Formwechsel der beteiligten Personen- in eine Kapitalgesellschaft misst die Finanzverwaltung in Tz. 5.3.6 keine Rückwirkung bei. c) Formwechsel von beteiligter Kapital- in Personengesellschaft Anders geht die Finanzverwaltung bei der Lösung des in Tz. 5.3.7 der GLE dargestellten Beispiels vor. Hier wird die beteiligte Gesellschaft, die in dem Zeitpunkt, als Anteile an ihr auf neue Gesellschafter übergingen, noch Kapitalgesellschaft war, wegen des später, aber noch vor Tatbestandsverwirklichung eingetragenen Formwechsels in eine Personengesellschaft rückwirkend als Personengesellschaft betrachtet. Eine sachliche Rechtfertigung für die abweichende Behandlung zum spiegelbildlichen Fall (keine Rückwirkung vs. Rückwirkung des Formwechsels) ist nach Ansicht von Stefan Behrens nicht ersichtlich.47

7. Treuhänderwechsel oberhalb beteiligter Kapitalgesellschaften Die obersten Finanzbehörden vertreten in Tz. 5.2.4 der GLE vom 10.5.2022 nach wie vor die Meinung, dass der Treuhänderwechsel einen sog. Zählerwerb darstellt, dh. der Übergang treuhänderisch gehaltener Anteile auf einen bisher nicht beteiligten Treuhänder auch dann mitzählt, wenn sich das Treuhandverhältnis auf die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft bezieht, die ihrerseits an der grundbesitzenden Personengesellschaft beteiligt ist. In dem Urteil vom 10.3.2021 wendet sich das FG Niedersachsen gegen diese Ansicht. Nach der BFH-Rechtsprechung könne ein Treuhänder unmittelbarer Gesellschafter und der Treugeber mittelbarer Gesellschafter der grundbesitzenden Personengesellschaft sein.48 Bei einer mittelbaren Änderung des Gesellschafterbestands iSv. § 1 Abs. 2a GrEStG wende der BFH ausschließlich eine wirtschaftliche Betrachtungsweise an. Eine Anknüpfung an das Zivilrecht scheide aus, weil es zivilrechtlich keine mit-

47 Vgl. Fleischer/Koll/Görnig, Ubg. 2022, 537; Behrens, UVR 2022, 368. 48 Das niedersächsische FG verweist in Rz. 77 auf BFH v. 25.11.2015 – II R 18/14, BStBl. II 2018, 738 = GmbHR 2016, 255.

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telbare Änderung eines Gesellschafterbestands gibt. Weil der Austausch des mittelbar beteiligten Treuhänders bei Identität des Treugebers wirtschaftlich zu keinem Anteilsübergang führt, ist der Austausch des mittelbar beteiligten Treuhänders nicht als Anteilsübergang anzusehen. Gegen dieses Urteil ist unter Az. II R 28/21 die Revision beim BFH anhängig.

8. Exkurs: Treuhanderwerb von Anteilen unmittelbar und mittelbar an grundbesitzender Gesellschaft und § 1 Abs. 3 GrEStG In Bezug auf Relevanz von Treuhandgeschäften bei den Ergänzungstatbeständen – hier bei § 1 Abs. 3 GrEStG – ist das Urteil des FG BadenWürttemberg vom 9.7.2021 – 5 K 1880/1949 zu beachten, das sich auf den folgenden Sachverhalt bezieht: An der grundbesitzenden C-GmbH waren ursprünglich zu je einem Drittel die spätere Klägerin, die X-GmbH und B beteiligt. An der X-GmbH waren die Klägerin und B jeweils hälftig beteiligt. Am 3.8.2012 schloss die Klägerin mit D einen Geschäftsanteilskauf- und -abtretungsvertrag in Bezug auf einen Teil der Anteile des B an der X-GmbH und an der C-GmbH ab. D erlangte einen unbedingt wirksamen Anspruch auf Abtretung diese Anteile gegen die spätere Klägerin. Am 10.8.2012 erwarb die spätere Klägerin von D deren hälftige Beteiligung an der X-GmbH und den 1/3-Anteil des B an der C-GmbH. Am selben Tag übertrug die spätere Klägerin jeweils 10% der Anteile an der X-GmbH und an der C-GmbH auf D in Erfüllung des Geschäftsanteilskauf- und -abtretungsvertrags vom 3.8.2012.

49 FG Bad.-Württ. v. 9.7.2021 – 5 K 1880/19EFG 2022, 422.

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Nach Ansicht des FG Baden-Württemberg verwirklichte die Klägerin am 10.8.2012 den Tatbestand von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG, obwohl der Klägerin wirtschaftlich nur weniger als 95% der Anteile an der grundbesitzenden C-GmbH zustanden. Die Klägerin sei auch als Treuhänderin Eigentümerin der Gesellschaftsanteile geworden und hätte insoweit die Sachherrschaft erlangt. Es komme nicht darauf an, ob dem Erwerb 266

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durch den Treuhänder in Anbetracht der Bindung an die Treuhandabreden ein wirtschaftlicher Wert zukomme. Ausschlaggebend sei, dass der Treuhänder Eigentümer der Gesellschaftsanteile werde und als solcher Sachherrschaft erlange. Nach Ansicht von Stefan Behrens kann der Treuhänder, der Anteile an einer an der grundbesitzenden Gesellschaft beteiligten Gesellschaft nach Weisung und auf Rechnung eines anderen (dh. des Treugebers oder Auftraggebers) erwirbt, für die Zwecke von § 1 Abs. 2a-Abs. 3a GrEStG nicht als Gesellschafter der zwischengeschalteten Gesellschaft (und auch nicht als mittelbarer Gesellschafter der grundbesitzenden Gesellschaft) angesehen werden.50 Gegen dieses Urteil ist unter dem Az. II R 34/21 beim BFH die Revision anhängig.

III. Die gleich lautenden Ländererlasse zu § 1 Abs. 2c GrEStG vom 4.10.2022 zur sog. Börsenklausel in § 1 Abs. 2c GrEStG 1. Inhalt und Zweck der Börsenklausel in § 1 Abs. 2c GrEStG Die sog. Börsenklausel in § 1 Abs. 2c GrEStG soll berücksichtigen, dass beim Handel mit Anteilen über eine Börse oder einen anderen Handelsplatz grundsätzlich andere Gründe als die Einsparung von Grunderwerbsteuer im Vordergrund stehen. Das Interesse des Erwerbers der Anteile betreffe vorrangig die Ertragskraft der Kapitalgesellschaft und grundsätzlich nicht die im Vermögen der Kapitalgesellschaft enthaltenen Grundstücke.51 Nach § 1 Abs. 2c GrEStG bleiben bei der Ermittlung des Vomhundertsatzes iSv. § 1 Abs. 2a Satz 1 und Abs. 2b Satz 1 GrEStG Übergänge von Anteilen an Kapitalgesellschaften außer Betracht, wenn –

die Anteile zum Handel an einem organisierten Markt nach § 2 Abs. 11 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) (zB im Prime Standard oder General Standard der Frankfurter Börse, nicht jedoch im Open

50 Vgl. Behrens in Behrens/Wachter, GrEStG2, § 1 Rz. 358, Rz. 378.1, Rz. 825 unter Hinweis auf BFH v. 22.1.2019 – II B 98/17, ECLI:DE:BGH:2019:B.2201 19.IIB98.17.0, GmbHR 2019, 424; BFH v. 22.1.2019 – II B 98/17, BFH/NV 2019, 412. 51 Vgl. BT-Drucks. 19/28528, 27.

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Market oder Scale-Segment für Wachstumsaktien) oder an einem als gleichwertig anerkannten Drittlandhandelsplatz zugelassen sind und –

der Anteilsübergang aufgrund eines Geschäfts über einen begünstigten Wertpapierhandelsplatz, dh. aufgrund eines Geschäfts an diesem Markt oder einem multilateralen Handelssystem (MTF) iSd. Art. 2 Abs. 1 Nr. 14 VO (EU) Nr. 600/2014 (MIFID II/MIFIR] erfolgt.

Die Anwendung von § 1 Abs. 2c GrEStG ermöglichende Drittlandhandelsplätze sind nach den GLE vom 4.10.2022 zur Anwendung von § 1 Abs. 2c GrEStG52, Tz. 3.4, die gemäß Art. 25 Abs. 4 Buchst. a RL 2014/ 65/EU von der EU-Kommission für gleichwertig erklärten Drittlandhandelsplätze in USA, Hong Kong und Australien. Handelsplätze zB in Großbritannien und in der Schweiz gehören gemäß Tz. 3.5 nicht hierzu.53 In diesen GLE wird in Tz. 3.4 und auch in Tz. 3.5 darauf hingewiesen, dass sich die Entscheidungen der EU-Kommission ändern können und daher im Besteuerungszeitpunkt auf den aktuellen Stand zu prüfen sind.

2. Anwendbarkeit von § 1 Abs. 2c GrEStG auf alle offenen Fälle § 1 Abs. 2c GrEStG ist auf alle offenen Fälle anzuwenden.54 Ebenso heißt es in Tz. 5 der zu § 1 Abs. 2c GrEStG veröffentlichten GLE vom 4.10.2022, dass diese GLE auf alle offenen Fälle anzuwenden sind. Fraglich ist die rückwirkende Anwendung jedoch dann, wenn im Einzelfall die Anwendung von § 1 Abs. 2c GrEStG für den Steuerpflichtigen nachteilig sein sollte. Es könnte im Einzelfall in Bezug auf grundbesitzende Personengesellschaften von Vorteil sein, wenn zum 30.6.2021 die 90%-Schwelle bereits erreicht bzw. überschritten war.55

3. Anwendbarkeit von § 1 Abs. 2c GrEStG nicht nur auf unmittelbare, sondern auch auf mittelbare Anteilsübergänge Trotz Nennung nur des jeweiligen Satzes 1 von Abs. 2a und Abs. 2b gilt § 1 Abs. 2c GrEStG nicht nur auf unmittelbarer, sondern auch auf mittelbarer Beteiligungsebene, und zwar aus den folgenden Gründen: 52 Vgl. BStBl. I 2022, 1451. 53 Kritisch hierzu Behrens/Klöckner, RdF 2022, 124, 128, Abschnitt III.d). 54 Vgl. Tz. 1 der gleich lautenden Länder-Erlasse v. 29.6.2021, BStBl. I 2021, 1006. 55 Hierzu vgl. Behrens/Klöckner, RdF 2022, 124, Abschnitt I.

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Behrens/Krohn, Die neuen Ländererlasse zum GrEStG



Die Erfassung mittelbarer Anteilsübergänge ist in § 1 Abs. 2a Satz 1 und Abs. 2b Satz 1 GrEStG angelegt.



Die Sätze 2–5 von § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG legen nur die Erfassungssystematik fest und sind Hilfsregeln für den jeweiligen Satz 1.



Bei einer Beschränkung auf die mittelbare Beteiligungsebene hätte § 1 Abs. 2c GrEStG – entgegen dem Wortlaut – bei § 1 Abs. 2a GrEStG keinen Anwendungsbereich.

In den GLE zu § 1 Abs. 2c GrEStG wird diese Sichtweise in Tz. 3 bestätigt.

4. Anteilsübergänge im Rahmen von IPOs, formellen Kapitalerhöhungen und Wertpapierleihen bzw. -darlehen und Wertpapierpensionsgeschäften Nicht in den sachlichen Anwendungsbereich von § 1 Abs. 2c GrEStG fallen gemäß Tz. 3.6 der GLE vom 4.10.2022 idR Anteilsübergänge bei der erstmaligen Ausgabe von Anteilen in einer Kapitalgesellschaft bei Börsengang, dh. im Rahmen des sog. Initial Public Offering (IPO). Dem ist insofern zuzustimmen, als sich IPOs in vielen Fällen unter Einschaltung von Banken vollziehen, die die neuen Aktien vorerst übernehmen und dann über die Börse an die eigentlichen Interessenten ausreichen; in solchen Fällen liegen zwei hintereinander erfolgende Übergänge derselben Anteile vor, die tatbestandsmäßig sind, also nicht gemäß § 1 Abs. 2c GrEStG unberücksichtigt bleiben.56 Auch die Ausgabe neuer Anteile in Folge von Kapitalerhöhungen börsennotierter Gesellschaften erfolgt gemäß Tz. 3.6 der GLE vom 4.10.2022 idR nicht aufgrund eines Geschäfts über einen organisierten Markt, einen gleichwertigen Drittlandhandelsplatz oder ein MTF und ist daher nicht nach § 1 Abs. 2c GrEStG begünstigt. Auch dem ist insoweit zuzustimmen, als Banken die im Rahmen der Kapitalerhöhung geschaffenen neuen Aktien (zwischen-)erwerben und dann auf die Interessenten übertragen. § 1 Abs. 2c GrEStG ist jedoch anwendbar, wenn im Einzelfall IPOs bzw. formelle Kapitalerhöhungen ohne Involvierung einer Bank durchgeführt werden, zB Aktionäre neue Aktien direkt zeichnen und diese neuen Ak-

56 Die jedoch auch nicht in Bezug auf denselben Zehn-Jahres-Zeitraum als zwei Zählerwerbe zusammengerechnet werden können.

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tien an einem begünstigten Wertpapierhandelsplatz, dh. aufgrund eines Geschäfts an diesem Markt oder einem multilateralen Handelssystem (MTF) direkt von der AG auf die Aktionäre übergehen. Nicht aufgrund eines Geschäfts über einen organisierten Markt, einen gleichwertigen Drittlandhandelsplatz oder ein MTF erfolgen gemäß Tz. 3.6 der GLE vom 4.10.2022 idR auch Anteilsübergänge im Rahmen von Wertpapierleihegeschäften bzw. Wertpapierdarlehen und von Wertpapierpensionsgeschäften. Wenn ein Rahmenvertrag für den Abschluss von Wertpapierpensionsgeschäften zwischen den Parteien ohne Zwischenschaltung einer Börse abgeschlossen wird und die dann folgenden Einzeltransaktionen auf Grundlage dieses Rahmenvertrags durch Einzelverträge zwischen den Parteien ohne Zwischenschaltung einer Börse abgeschlossen werden, kommt es nicht zu Übergängen von Anteilen aufgrund eines Geschäfts über einen organisierten Markt, einen gleichwertigen Drittlandhandelsplatz oder ein MTF. § 1 Abs. 2c GrEStG ist dann nicht einschlägig.

5. Auswirkungen der Anwendung von § 1 Abs. 2c GrEStG auf die Anzeigepflichten nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a und Nr. 3b GrEStG In Tz. 4 der GLE vom 4.10.2022 wird klargestellt, dass –

gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a und Nr. 3b GrEStG von der grundbesitzenden Personen- bzw. Kapitalgesellschaft alle Rechtsvorgänge anzuzeigen sind, die zur Verwirklichung des Tatbestands des § 1 Abs. 2a bzw. Abs. 2b GrEStG geführt haben,



die Anzeigepflicht aber erst bei Tatbestandsverwirklichung besteht,



Anteilsübergänge iSd. § 1 Abs. 2c GrEStG dabei nicht der Anzeigepflicht unterliegen, weil sie bei der Ermittlung des Vomhundertsatzes nicht zu berücksichtigen sind, und



mangels Tatbestandsverwirklichung des § 1 Abs. 2a bzw. Abs. 2b GrEStG keine Anzeigepflicht besteht, wenn die Nichtberücksichtigung von Anteilsübergängen nach § 1 Abs. 2c GrEStG dazu führt, dass das erforderliche Quantum von 90% der Anteile nicht erreicht wird.

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IV. Zusammenfassung Nach den BFH-Urteilen v. 1.12.2021 – II R 44/18, v. 16.3.2022 – II R 24/20,57 v. 14.12.2022 – II R 33/20 und II R 40/20, reicht allein eine mindestens 90%ige Beteiligung der Mutter- an der Tochter-Gesellschaft nicht aus, um das Grundstück der Tochter- auch zum Vermögen der Mutter-Gesellschaft zu rechnen. Erforderlich für die Zurechnung des Grundstücks der Tochter- zum Vermögen der Mutter-Gesellschaft ist es nach diesen BFH-Urteilen, dass die Mutter-Gesellschaft in Bezug auf das Grundstück der Tochter-Gesellschaft einen nach § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG steuerbaren Erwerbsvorgang verwirklichte, sie also die Beteiligung an der unmittelbar grundbesitzenden Gesellschaft steuerbar nach § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG erworben hatte. Auf Grundlage der vom BFH in den Urteilen II R 33/20 und II R 40/20 entwickelten Grundsätze kommt es uE zu keiner doppelten Belastung mit Grunderwerbsteuer für dasselbe Grundstück und dasselbe Anteilsgeschäft auf verschiedenen Ebenen. Unklar ist allerdings, in Bezug auf welche Ebene in der Beteiligungskette es in Bezug auf das betreffende am oberen Ende der Beteiligungskette erfolgende Anteilsgeschäft zu der einen Besteuerung kommt. Es kommt in Betracht, Anzeigen höchstvorsorglich in Bezug auf alle denkbaren Varianten bei der jeweiligen Grunderwerbsteuerstelle einzureichen. Bei Anteilsgeschäften, bei denen das Erfüllungsgeschäft (sog. Closing) dem Verpflichtungsgeschäft (sog. Signing) zeitlich nachfolgt, soll nach Verwaltungsansicht für den Zeitpunkt des Abschlusses des Verpflichtungsgeschäfts die Verwirklichung von § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. Nr. 3 GrEStG anzunehmen sein (sofern kein Fall von § 14 GrEStG gegeben ist), was nach Ansicht von Stefan Behrens dem Gesetzeswortlaut von § 1 Abs. 3, Abs. 3a GrEStG widerspricht. Zwar besteht Einigkeit, dass, wenn es – wie regelmäßig der Fall – zur Erfüllung des Verpflichtungsgeschäfts, dh. zum Closing kommt, im Ergebnis auf die Transaktion nur einmal, und zwar auf den Zeitpunkt des Closing, Grunderwerbsteuer zu erheben ist, dh. dass § 1 Abs. 2a bzw. Abs. 2b GrEStG der Anwendung von § 1 Abs. 3 und 3a GrEStG vorgehen. Die in der jeweiligen Tz. 8.1 der GLE vom 10.5.2022 geregelten Vorgaben, um das Ziel der Einmalbesteuerung zu erreichen, werfen mehrere materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Fragen auf. Unklar ist erst recht die Bedeutung der am 57 Vgl. BFH v. 16.3.2022 – II R 24/20, GmbHR 2022, 1270 = BFH/NV 2022, 1196 Rz. 22.

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Behrens/Krohn, Die neuen Ländererlasse zum GrEStG

21.12.2022 in Kraft getretenen Regelungen in § 16 Abs. 4a, Abs. 5 Satz 2 GrEStG, die mit den Anweisungen in der jeweiligen Tz. 8.1 der GLE vom 10.5.2022 nicht vollumfänglich übereinstimmen. Die Finanzverwaltung behandelt beim heterogenen Formwechsel § 1 Abs. 2a GrEStG und § 1 Abs. 2b GrEStG so, als handele es sich um einen einzigen (rechtformneutralen) Tatbestand, was nach Ansicht von Stefan Behrens keine Grundlage im GrEStG hat und daher rechtswidrig ist. Ob bei der Differenzierung zwischen Neu- und Alt-Gesellschafter die von der Finanzverwaltung auch in den Erlassen vom 10.5.2022 weiterhin vertretene strikte „Ebenen-Betrachtung“ mit dem Gesetz vereinbar ist, wird ebenso wie die Frage, welche Auswirkungen Treuhandverhältnisse in Bezug auf Anteile an einer Gesellschaft, die an einer grundbesitzenden Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, voraussichtlich im anhängigen Revisionsverfahren II R 28/21 vom BFH entschieden werden. Zur Anwendung von § 1 Abs. 2c GrEStG haben die obersten Finanzbehörden der Bundesländer unter dem Datum 4.10.2022 gleich lautende Erlasse veröffentlicht, in denen teils (etwa die Klarstellung der Auswirkungen von § 1 Abs. 2c GrEStG auf die Anzeigepflichten nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a und Nr. 3b GrEStG) aus Sicht der (potentiell) Steuerpflichtigen hilfreiche, teils (pauschale Aussage zur Unanwendbarkeit von § 1 Abs. 2c GrEStG auf IPOs und formelle Kapitalerhöhungen, ohne ausdrücklichen Hinweis auf die Notwendigkeit, jeden Einzelfall konkret zu prüfen) aber auch weniger hilfreiche Anweisungen enthalten sind.

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3. Leitthema: Unternehmensteuerrecht 3

Aktuelle Entwicklungen im nationalen Umstrukturierungs- und Umwandlungssteuerrecht Thomas Stimpel Regierungsdirektor, Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen Prof. Dr. Andreas Schumacher Steuerberater, Bonn I. Anteilsveräußerung nach Aufoder Abspaltung (Schumacher) II. Fiktiver Formwechsel beim Optionsmodell nach § 1a KStG (Stimpel)

III. Einschränkung der Anwendung der Körperschaftklausel des § 6 Abs. 6 Satz 5 und 6 EStG (Schumacher) IV. Praxisfragen der sonstigen Gegenleistung (Stimpel)

I. Anteilsveräußerung nach Auf- oder Abspaltung (Schumacher) Die Regelungen des § 15 Abs. 2 Satz 2–4 UmwStG sind seit dem UmwStG 1995 inhaltlich unverändert:1 „2§ 11 Abs. 2 ist ebenfalls nicht anzuwenden, wenn durch die Spaltung die Veräußerung an außenstehende Personen vollzogen wird. 3Das Gleiche gilt, wenn durch die Spaltung die Voraussetzungen für eine Veräußerung geschaffen werden. 4Davon ist auszugehen, wenn innerhalb von fünf Jahren nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag Anteile an einer an der Spaltung beteiligten Körperschaft, die mehr als 20 Prozent der vor Wirksamwerden der Spaltung an der Körperschaft bestehenden Anteile ausmachen, veräußert werden.“

Die Regelungen sollen vermeiden, dass durch eine Spaltung eine steuerbegünstigte Anteilsveräußerung statt einer normal steuerpflichtigen Teilbetriebsveräußerung ermöglicht wird. Ihre Rechtsfolge ist jeweils die Versagung der entsprechenden Anwendung des § 11 Abs. 2 UmwStG, d.h. das durch die Spaltung übertragene Vermögen ist gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 UmwStG in der steuerlichen Schlussbilanz mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Die entsprechende Anwendung des § 13 1 Vgl. zu Folgendem ausführlich z.B. Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 15 Rz. 225 ff. mit weiteren Nachweisen.

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Stimpel/Schumacher, Aktuelle Entwicklungen im Umwandlungssteuerrecht

Abs. 2 UmwStG auf Anteilseignerebene bleibt von § 15 Abs. 2 Satz 2–4 UmwStG unberührt. Der Vollzug einer Veräußerung durch die Spaltung selbst ist bei einem angemessenen Umtauschverhältnis nicht denkbar. § 15 Abs. 2 Satz 2 UmwStG ist daher wohl nur als Einleitungssatz zu den Sätzen 3 und 4 zu verstehen. Für die Praxis ist daher die Auslegung der Sätze 3 und 4 von entscheidender Bedeutung. Trotz zahlreicher Zweifelsfragen erging mit dem BFH-Urteil vom 11.8.20212 erst die zweite Entscheidung zu diesen Regelungen. Sie betraf vereinfacht folgende Fallkonstellation:

* Im Urteilsfall lag ein fiktiver Teilbetrieb i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 3 UmwStG vor (100%-Beteiligung an Kapitalgesellschaft), der im Streitjahr wegen § 8b Abs. 4 KStG a.F. nicht steuerfrei verkauft werden konnte.

Der gemeine Wert der Anteile an der T2 GmbH machte unstreitig weniger als 20% der Anteile an der T1 GmbH vor Spaltung aus. Nach dem festgestellten Sachverhalt erfolgte die Abspaltung wohl nur, um eine nach § 8b Abs. 2 KStG zu 95% steuerfreie Veräußerung des TB 2 vorzunehmen. Auf Grundlage der Verwaltungsauffassung lag darin ein Fall des § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG.3 Der BFH entschied jedoch, dass Satz 3 nur die Grundlage für die Vermutung des Satzes 4 bildet und kein eigen2 BFH v. 11.8.2021 – I R 39/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.110821.IR39.18.0, GmbHR 2022, 268 m. Anm. Binnewies/Cleve = FR 2022, 215 mit Anmerkung Schumacher; dazu auch Broemel/Kölle, DStR 2022, 513; Graw/Weißgerber/Kölbl, Ubg 2022, 162. 3 Vgl. FinMin. Brandenburg v. 16.7.2014 – 35 - S 1978b - 2014#001, DB 2014, 2257.

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Stimpel/Schumacher, Aktuelle Entwicklungen im Umwandlungssteuerrecht

ständiger, von Satz 4 losgelöster Ausschlussgrund für die Buchwertfortführung ist. Aufgrund des systematischen Zusammenhangs hat der BFH den Wortlaut des Satzes 3 und des Satzes 4 – wie bereits in seinem Urteil vom 3.8.20054 – gemeinsam gewürdigt (Rz. 28 f. des Urteils). Die beiden Sätze sind durch den Beginn des Satzes 4 – „Davon ist auszugehen …“ – miteinander verknüpft und stellen eine einheitliche Missbrauchsvermeidungsregelung dar. Satz 4 enthält nicht nur ein Regelbeispiel, sondern konkretisiert den Anwendungsbereich von Satz 3. Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs an einfach zu ermittelnde und objektive Umstände anzuknüpfen und keine subjektiven Elemente einzubeziehen (Rz. 31 des Urteils). Satz 3 hat somit keinen eigenständigen Anwendungsbereich. Der BFH verneinte auch einen Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 AO a.F., da dessen Anwendung durch die spezielle Missbrauchsvorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 3 und 4 UmwStG gesperrt war. Die geltende Fassung des § 42 AO führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar lässt § 42 Abs. 1 Satz 3 AO den Rückgriff auf § 42 AO ausdrücklich zu. Bei der Prüfung des Vorliegens eines Missbrauchs i.S. des § 42 Abs. 2 AO müssen allerdings nach der Rechtsprechung des BFH diejenigen Wertungen des Gesetzgebers, die den von ihm geschaffenen einzelsteuergesetzlichen Umgehungsverhinderungsvorschriften zugrunde liegen, zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen im Rahmen der Auslegung berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere bei solchen einzelsteuergesetzlichen Umgehungsverhinderungsvorschriften, die strikte und damit Rechtssicherheit gewährleistende Abgrenzungsmerkmale wie z.B. Fristen enthalten.5 Wenn diese Abgrenzungsmerkmale nicht erfüllt sind, liegt kein i.S. des § 42 Abs. 2 Satz 1 AO gesetzlich nicht vorgesehener Steuervorteil vor. Daher stellen Veräußerungen bis zur 20%-Grenze und nach Ablauf der Fünfjahresfrist das § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG keinen Gestaltungsmissbrauch dar. Offen geblieben sind nach dem BFH-Urteil I R 39/18 verschiedene Anwendungsfragen. So enthält § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG nach bisheriger

4 BFH v. 3.8.2005 – I R 62/04, BStBl. II 2006, 391 = GmbHR 2006, 218 m. Anm. Breuninger/Schade = FR 2006, 476. 5 Vgl. BFH v. 17.11.2020 – I R 2/18, ECLI:DE:BFH:2020:U.171120.IR2.18.0, BStBl. II 2021, 580 = GmbHR 2021, 946 = ZIP 2021, 1864 = FR 2021, 695 mit Anm. Bärsch, Rz. 21.

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Rechtsprechung des BFH6 und Auffassung der Finanzverwaltung7 eine unwiderlegbare Vermutung. Der BFH hat die Regelung auf dieser Grundlage auch auf die Veräußerung sämtlicher Anteile an der übertragenden und der übernehmenden Kapitalgesellschaft auf Grundlage eines einheitlichen Vertrags an denselben Erwerber angewandt, obwohl ein Missbrauchsfall in Form einer getrennten Veräußerung objektiv nicht vorlag. Einer Auslegung als unwiderlegbare Vermutung steht jedoch Art. 15 Abs. 1 Buchst. a der Fusionsrichtlinie (FRL) entgegen (der BFH konnte dies mangels Entscheidungserheblichkeit offenlassen; Rz. 37 des Urteils).8 Danach kann ein Mitgliedstaat die Anwendung der Begünstigungen nach der FRL auf die dort geregelten Umstrukturierungen, also auch eine Auf- oder Abspaltung, ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen, wenn diese als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung haben; vom Vorliegen eines solchen Beweggrundes kann ausgegangen werden, wenn die Auf- oder Abspaltung nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen – insbesondere der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften – beruht. Nach der Rechtsprechung des EuGH muss in jedem Einzelfall eine gerichtlich überprüfbare globale Untersuchung des gesamten Umstrukturierungsvorgangs erfolgen. Eine generelle Vorschrift, mit der bestimmte Gruppen von Vorgängen automatisch und unabhängig davon, ob tatsächlich eine Steuerumgehung vorliegt, von den Begünstigungen der FRL ausgeschlossen werden, ist unverhältnismäßig und daher unzulässig.9 Eine Anwendung des § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG als unwiderlegbare Vermutung ohne die Möglichkeit eines Gegenbeweises

6 Vgl. BFH v. 3.8.2005 – I R 62/04, BStBl. II 2006, 391 = GmbHR 2006, 218 m. Anm. Breuninger/Schade = FR 2006, 476. 7 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.27. 8 Die Vorinstanz hatte die Anwendung abgelehnt, weil die FRL im Streitjahr ausdrücklich nur die Aufspaltung, nicht aber die Abspaltung regelte; vgl. FG Hamburg v. 18.9.2018 – 6 K 77/16, EFG 2019, 140 = GmbHR 2019, 140, Rz. 83. 9 Vgl. EuGH v. 17.7.1997 – C-28/95, ECLI:EU:C:1997:369 – Leur-Bloem, Slg. 1997, I-4161 = FR 1997, 685 m. Anm. Dautzenberg, Rz. 41 und 44; v. 10.11.2011 – C-126/10, ECLI:EU:C:2011:718, GmbHR 2012, 232 – Foggia, IStR 2012, 34, Rz. 37; v. 8.3.2013 – EuGH v. 8.3.2017 – C-14/16, ECLI:EU:C:2017: 177 – Euro Park Service, IStR 2017, 409, Rz. 55.

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verstößt daher – wie auch die Anwendung der Regelungen des § 22 UmwStG10 ohne Gegenbeweismöglichkeit – gegen die FRL. Zwar gilt die FRL gem. Art. 1 a) grundsätzlich nur dann, wenn an einer Umwandlung Gesellschaften aus zwei Mitgliedstaaten beteiligt sind. Dennoch ist sie im Ergebnis auch in reinen Inlandsfällen zu beachten. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH u.a. zur FRL ist der EuGH auch dann für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zuständig, wenn der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung der Bestimmungen einer Richtlinie in nationales Recht beschlossen hat, rein innerstaatliche Sachverhalte und Sachverhalte, die unter die Richtlinie fallen, gleich zu behandeln und seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften deshalb an das Gemeinschaftsrecht angepasst hat. Diese Auslegungskompetenz dient insbesondere einer einheitlichen Auslegung der aus dem Gemeinschaftsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe.11 § 15 UmwStG darf daher aufgrund der einheitlichen Umsetzung der FRL in Inlandsfällen und grenzüberschreitenden EU-Fällen auch in reinen Inlandsfällen12 nicht mehr zu Lasten der Steuerpflichtigen von den Regelungen der FRL abweichen. Im Ergebnis ist somit die einheitliche Missbrauchsvermeidungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 3 und 4 UmwStG nur anwendbar, wenn die 20%-Grenze überschritten wird. In diesen Fällen können die Steuerpflichtigen den Gegenbeweis führen, dass trotz Überschreiten dieser Grenze im Einzelfall keine Steuerumgehung vorlag. Eine Reaktion der Finanzverwaltung oder des Gesetzgebers steht noch aus.

10 S. dazu die „Segelanweisung“ in BFH v. 18.11.2020 – I R 24/18, BFH/NV 2021, 951 = GmbHR 2021, 1232, Rz. 30 ff. Ausführlich zu § 22 Abs. 2 UmwStG und FRL vgl. Hageböke, DK 2020, 6 (11 ff.). 11 Vgl. z.B. EuGH v. 17.7.1997 – C-28/95, ECLI:EU:C:1997:369 – Leur-Bloem, Slg. 1997, I-4161 = FR 1997, 685 m. Anm. Dautzenberg, Rz. 24 ff., 32; v. 15.1.2002 – C-43/00, ECLI:EU:C:2002:15 – Andersen og Jensen, Slg. 2002, I-379 = FR 2002, 298, Rz. 18; v. 10.11.2011 – 126/10 – Foggia, IStR 2012, 34, Rz. 21. 12 Daher erstaunt es, dass der BFH in den Parallelentscheidungen zu § 22 UmwStG die europarechtlichen Ausführungen nur im Verfahren BFH v. 18.11.2020 – I R 24/18, GmbHR 2021, 1232 (a.a.O.), nicht aber im Verfahren BFH v. 18.11.2020 – I R 25/18, ECLI:DE:BFH:2020:U.181120.IR25.18 in die Entscheidungsgründe aufnahm (vgl. BFH v. 18.11.2020 – I R 25/18, BStBl. II 2021, 732 = ZIP 2021, 1603).

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Unklar ist darüber hinaus, ob bei einer Spaltung zur Aufnahme auch die Veräußerung der bereits vor der Spaltung bestehenden Anteile an einer übernehmenden Körperschaft bei der Prüfung der 20%-Grenze zu berücksichtigen ist.13

Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG und der Auslegung als unwiderlegbarer Vermutung wäre dies selbst dann der Fall, wenn – wie im Beispielsfall – eine Veräußerung durch einen Anteilseigner erfolgt, der vor der Spaltung nur an der übernehmenden Gesellschaft beteiligt war. Dies würde jedoch dazu führen, dass der Wert des bei der übernehmenden Körperschaft vor der Spaltung bereits vorhandenen Vermögens bei der Prüfung, ob die Anteilsveräußerungen die 20%-Grenze übersteigen, berücksichtigt würde. Diese Grenze bezieht sich jedoch auf das bei der übertragenden Körperschaft vor der Spaltung vorhandene Vermögen, so dass die Berechnung bei Einbezug des Vermögens der übernehmenden Körperschaft zu Lasten der Steuerpflichtigen verzerrt würde. Um ein sachgerechtes Ergebnis zu erreichen, ist die Veräußerung von Anteilen an einer übernehmenden Körperschaft in teleologischer Reduktion des Wortlauts grundsätzlich nur insoweit schädlich, als diese Anteile durch eine Kapitalerhöhung im Rahmen der Spaltung geschaffen wurden.14 Bei einer Aufwärtsabspaltung zur Aufnahme auf die alleinige 13 Die gleiche Frage stellt sich bei Anteilen, die nach der Spaltung durch Kapitalerhöhungen oder Umwandlungen auf die beteiligten Körperschaften neu geschaffen werden. 14 Wenn anlässlich der Spaltung wegen einer unangemessen niedrigen Kapitalerhöhung oder dem Verzicht auf eine Kapitalerhöhung eine Wertverschiebung auf Altanteile erfolgt, sollten die zu § 21 UmwStG a.F. entwickelten Grundsätze (jetzt kodifiziert in § 22 Abs. 7 UmwStG) entsprechend angewandt wer-

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Muttergesellschaft, bei der überhaupt keine Kapitalerhöhung möglich ist, ist die Veräußerung der Anteile an der übernehmenden Muttergesellschaft daher unschädlich.15 Denn durch die Veräußerung der Anteile an der Muttergesellschaft nach Spaltung kann keine getrennte Veräußerung der Teilbetriebe erfolgen, sondern vor und nach der Abspaltung wird das gesamte Vermögen veräußert:16

II. Fiktiver Formwechsel beim Optionsmodell nach § 1a KStG (Stimpel) Nach § 1a Abs. 2 Satz 1 KStG gilt der Übergang zur Körperschaftsbesteuerung als Formwechsel im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 3 UmwStG. Aus dieser Fiktion erfolgt mithin, dass die Option ertragsteuerlich – wie auch ein „normaler“ Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft – aus Sicht von optierter Gesellschaft und Gesellschafter einen Anschaffungs- und Veräußerungsvorgang darstellt17. den; vgl. dazu BFH v. 8.4.1992 – I R 162/90, BStBl. II 1992, 764 = GmbHR 1992, 699 = FR 1992, 730. 15 A.A. Dötsch/Stimpel in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 15 UmwStG Rz. 294 ff. mit Nachweisen zum Meinungsstand. 16 Eine vergleichbare Frage ergibt sich bei einer Abwärtsabspaltung von der M AG auf die T GmbH und Veräußerung von Anteilen an der M AG (allerdings ist dort die M AG und nicht die T GmbH Bezugsgröße für die 20%-Grenze). 17 Rz. 00.02 des UmwSt-Erlasses v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314.

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Die §§ 1 und 25 UmwStG sind gem. § 1a Abs. 2 Satz 2 KStG entsprechend anzuwenden. Ob dieser fiktive Formwechsel also im Einzelfall steuerneutral erfolgen kann, bestimmt sich mithin ausnahmslos nach den allgemeinen umwandlungssteuerrechtlichen Grundsätzen. So ist zunächst zu klären, wer beim Formwechsel der Einbringende und was der Einbringungsgegenstand ist. Während als Einbringende wegen des Untergangs der formgewechselten Personengesellschaft folgerichtig nur die Mitunternehmer in Betracht kommen18, war in der Vergangenheit fraglich, ob infolgedessen Einbringungsgegenstand auch stets ein Mitunternehmeranteil ist. Während die herrschende Meinung dies nahezu durchweg so gesehen hat19, hat die Finanzverwaltung in der Vergangenheit unter Bezugnahme auf Rz. 20.05 des UmwSt-Erlasses den Betrieb der Personengesellschaft als Einbringungsgegenstand angesehen. Inzwischen ist aber nach einer bundeseinheitlichen Abstimmung verwaltungsseitig geklärt, dass Rz. 20.05 des UmwSt-Erlasses nicht auf den Formwechsel Anwendung findet. Hier liegt je Mitunternehmer mithin auch nach Sichtweise der Finanzverwaltung unter den allgemeinen Voraussetzungen die Einbringung eines Mitunternehmeranteils vor20. Beim fiktiven Formwechsel i.S.v. § 1a Abs. 2 KStG enthält zudem Rz. 28 des BMF-Schreibens v. 10.11.202121 die klare und ausdrückliche Aussage, dass der jeweilige Mitunternehmeranteil der Einbringungsgegenstand ist. Einbringungsgegenstand sind ist also im Fall der Option zur Körperschaftsteuer die Mitunternehmeranteile der jeweiligen Gesellschafter an der optierenden Personengesellschaft. Die Prüfung, ob jeweils ein begünstigter Einbringungsgegenstand i.S.v. §§ 20, 25 UmwStG vorliegt (= Mitunternehmeranteil), ist gesellschafterbezogen in der Person eines jeden Mitunternehmers zu prüfen. Sollte dies zu bejahen sein, kann das jeweilige – von der aufnehmenden Kapitalgesellschaft auszuübende – Ansatzwahlrecht nach § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG unterschiedlich ausgeübt werden22. 18 Rz. 20.03 des UmwSt-Erlasses v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314. 19 Rabback in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 25 Rz. 43 und Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 25 UmwStG Rz. 28. 20 Siehe hierzu auch OFD NRW v. 28.5.2021 – S 1978c - 2020/0016 - St 134. 21 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004 – DOK 2021/1162290, BStBl. I 2021, 2212. 22 Der Ansatz des Buch- oder Zwischenwerts für die Anteile an der optierenden Gesellschaft setzt neben dem Optionsantrag gleichfalls einen Antrag auf

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Demnach gilt diese gesellschafterbezogene Prüfung für die folgenden Voraussetzungen des § 20 UmwStG: –

Persönliche Voraussetzungen nach § 1 Abs. 4 UmwStG



Zurückbehaltung von funktional wesentliches SBV



Negatives eingebrachtes BV



Schädliche sonstige Gegenleistung

Liegen diese Voraussetzungen allesamt vor, so besteht bezüglich des jeweiligen Mitunternehmeranteils ein eigenständiges – von der aufnehmenden Kapitalgesellschaft auszuübendes – Ansatzwahlrecht i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG.23

Buch- oder Zwischenwertansatz innerhalb der Ausschlussfrist des § 20 Abs. 2 Satz 3 UmwStG voraus. 23 Der Ansatz des Buch- oder Zwischenwerts für die Anteile an der optierenden Gesellschaft setzt neben dem Optionsantrag gleichfalls einen Antrag auf Buch- oder Zwischenwertansatz innerhalb der Ausschlussfrist des § 20 Abs. 2 Satz 3 UmwStG voraus.

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Behält ein Gesellschafter in seinem Sonderbetriebsvermögen befindliche funktional wesentliche Betriebsgrundlagen zurück, ist hinsichtlich der Einbringung seines Mitunternehmeranteils ein Ansatz zum Buch- oder Zwischenwert mangels Vorliegens eines begünstigen Sacheinbringungsgegenstands ausgeschlossen. Die optierte Gesellschaft hat für den Anteil dieses Gesellschafters nach § 20 Abs. 2 Satz 1 UmwStG den gemeinen Wert anzusetzen. Ferner gelten die zurückbehaltenen Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens als zum gemeinen Wert entnommen, sofern sie nicht nach Ausübung der Option zu einem anderweitigen Betriebsvermögen gehören. Entstünde infolge der Option beispielsweise eine Betriebsaufspaltung, so wäre das der optierten Gesellschaft vom Mehrheitsgesellschafter überlassene Wirtschaftsgut gem. § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG mit dem Buchwert vom Sonderbetriebsvermögens ins Besitzeinzelunternehmen zu überführen. Dies zeigt, dass für Gesellschafter mit funktional wesentlichem Sonderbetriebsvermögen Handlungsbedarf besteht, sofern die Option für sie im Ergebnis steuerneutral abgewickelt werden soll. Während bei einem „richtigen“ Formwechsel dieses dort ebenso bestehende Problem dadurch gelöst werden kann, dass der Gesellschafter das betreffende Wirtschaftsgut im Sachzusammenhang mit dem Formwechsel auf die formgewechselte Kapitalgesellschaft überträgt und hierdurch die Voraussetzungen des § 20 UmwStG geschaffen werden, ist dieser Weg hier nicht gangbar, da die optierte Gesellschaft zivilrechtlich unverändert als Personengesellschaft fortbesteht. Der Gesellschafter muss in den Optionsfällen das Wirtschaftsgut daher ins Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft übertragen. Wie diese Übertragung ertragsteuerlich zu beurteilen ist, hat indes immense Bedeutung. Nicht wenige Kommentatoren24 im steuerlichen Schrifttum gehen davon aus, dass diese vorgelagerte Übertragung ins Gesamthandsvermögen unter § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG zu subsumieren ist und daher regelmäßig zum Buchwert erfolgt. Sollte diese Einschätzung zutreffend sein, würde dies der Steuerneutralität der Option im Wege stehen. Dies deshalb, weil die steuerneutrale Übertragung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG eine siebenjährige Sperrfrist in Gang setzt, die immer dann gem. § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG zu einer rückwirkenden Aufdeckung der stillen Reserven führt, soweit innerhalb der Sperrfrist der Anteil einer Körperschaft an dem Wirtschaftsgut begründet oder erhöht wird. Da infolge des fiktiven Formwechsels von einem Erwerb des Wirtschaftsguts durch die optierte 24 So z.B. Schiffers, DStZ 2021, 530.

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Gesellschaft (= Kapitalgesellschaft) auszugehen ist, käme es zwangsläufig zu dem o.a. Sperrfristverstoß. Nach einer abweichenden vorzugswürdigen Sichtweise ist die Übertragung des Wirtschaftsguts aus dem Sonderbetriebsvermögens nicht nach Maßgabe von § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG zu beurteilen, sondern sie ist aufgrund des engen Sachzusammenhangs Bestandteil der Einbringung des Mitunternehmeranteils. Es liegt also insoweit ein einheitlicher Vorgang vor, der mithin in Gänze unter § 1a Abs. 2 Satz 1 KStG i.V.m. § 25 UmwStG zu fassen ist. Folglich kann hier kein gewinnrealisierender Sperrfristverstoß nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG vorliegen25. Dieser Sichtweise hat sich auch die Finanzverwaltung angeschlossen.26 Dies gilt indes nur, sofern der Gesellschafter das funktional wesentliche Sonderbetriebsvermögen in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Option auf die Personengesellschaft überträgt. Zwar wäre es aus Sicht der Praxis wünschenswert gewesen, wenn das BMF-Schreiben vom 10.11.2021 hier klare Aussagen zu den zeitlichen Grenzen einer entsprechenden Übertragung getätigt hätte. In den einschlägigen Fällen sollte der konkrete sachliche und zeitliche Zusammenhang jedoch leicht zu dokumentieren sein, so dass hierüber wohl selten Streit bestehen sollte. Bei Übertragung oder Überführung von funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen in ein anderes Betriebsvermögen im zeitlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Ausübung der Option wird die Finanzverwaltung unter Bezugnahme auf die trotz gegenteiliger BFH-Rechtsprechung27 immer noch aufrechterhaltene Rz. 20.07 des UmwSt-Erlasses28 einen Anwendungsfall der Gesamtplanrechtsprechung prüfen29. 25 So auch ausdrücklich Brühl/Weiss, DStR 2021, 889, 894. 26 34 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004 – DOK 2021/1162290, BStBl. I 2021, 2212 Rz. 34. 27 BFH v. 30.3.2017 – IV R 11/15, ECLI:DE:BFH:2017:U.300317.IVR11.15.0, BStBl. II 2019, 29 = FR 2019, 29 = GmbHR 2017, 938 = ZIP 2017, 1710, v. 12.5.2016 – IV R 12/15, FR 2016, 952 m. Anm. Wendt = GmbHR 2016, 828 m. Anm. Levedag = BFH/NV 2016, 1376, v. 16.12.2015 – IV R 8/12, FR 2016, 510 m. Anm. Wendt = GmbHR 2016, 440 = BFH/NV 2016, 1376, v. 16.12.2015 – IV R 8/12, BStBl. II 2017, 766, v. 9.12.2014 – IV R 29/14, FR 2015, 457 m. Anm. Wendt = GmbHR 2015, 263 m. Anm. Schmidtmann = BFH/NV 2015, 415 und v. 2.8.2012 – IV R 41/11, FR 2012, 1113 m. Anm. Kanzler = GmbHR 2012, 1260 m. Anm. Hoffmann = BFH/NV 2012, 2053. 28 BStBl. I 2011, 1314. 29 Siehe hierzu BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004 – DOK 2021/1162290, BStBl. I 2021, 2212 Rz. 35.

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Bei Übertragung auch des zivilrechtlichen Eigentums ergibt sich eine indes GrESt-Belastung. Hierbei sind nämlich die grunderwerbsteuerlichen Sonderregelungen nach § 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 3 sowie § 6 Abs. 3 Satz 4 GrEStG zu beachten (vgl. Art. 9 des KöMoG)30. So ist einerseits eine Übertragung auf eine Gesamthand nicht nach Maßgabe von § 5 Abs. 1 GrEStG steuerfrei möglich, wenn die Gesellschaft nach § 1a KStG optiert hat und die Option und die Beteiligung an der Gesamthand noch nicht mindestens zehn Jahre bestanden hat. Andererseits kann eine Option nach § 1a KStG Grunderwerbsteuer auslösen, da die Option als Verringerung des Anteils des Veräußerers i.S.v. § 5 Abs. 3 GrEStG gilt. Schädlich wäre hiernach eine Option innerhalb der zehnjährigen Nachbehaltensfrist des § 5 Abs. 3 EStG. Besonderheiten bei der GmbH & Co. KG

Die o.a. Problematik der Schädlichkeit von zurückbehaltenen Sonderbetriebsvermögen stellt sich in der Praxis zudem regelmäßig bei einer GmbH & Co. KG hinsichtlich der von dem Kommanditasten gehaltenen Anteile an der Komplementär-GmbH. Zwar ist diese Beteiligung nicht selten als funktional wesentliche Betriebsgrundlage des Mitunter-

30 Siehe hierzu in den detaillierten Auswirkungen Ott, StuB 2021, 597, 602 und Brühl, GmbHR 2021, 749.

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nehmeranteils anzusehen31. Allerdings wird die Beteiligung bei einem Formwechsel der KG in eine GmbH nach dem – von der Finanzverwaltung allgemein angewendeten – BFH-Urteil vom 16.12.200932 deshalb nicht als funktional wesentlich behandelt, weil sie infolge des Formwechsels ihre Funktionalität verliert. Daher ist die Beteiligung an einer reinen Komplementär-GmbH m.E. auch beim fiktiven Formwechsel im Zuge einer Option unproblematisch. Die Finanzverwaltung nimmt hier aber eine strengere Sichtweise ein und fordert eine Übertragung der Beteiligung an der Komplementär-GmbH (Entstehen einer Einheitsgesellschaft), sofern die Beteiligung im konkreten Einzelfall funktional wesentlich ist33. Nach der o.a. bundeseinheitlich abgestimmten Sichtweise der FinVerw. ist die funktionale Wesentlichkeit der Anteile an der KomplementärGmbH nach folgenden Kriterien zu bestimmen: –

Keine Vermögensbeteiligung der Kompl.-GmbH und Beteiligung des Kommanditisten an der KG



100%: funktional wesentlich



über 50% und unter 100%: keine funktionale Wesentlichkeit



Bis 50%: funktonal wesentlich, sofern Kommanditist mehrheitlich an Kompl.GmbH beteiligt ist



Vermögensbeteiligung der Kompl.-GmbH an der KG



Beteiligung des Kommanditisten ist immer funktional wesentlich wegen mittelbarer Einflussnahme über die GmbH auf die KG (= Erweiterung der bestehenden KG-Beteiligung)

31 Siehe hierzu Verfügungen der OFD’en Rheinland und Münster v. 6.11.2008 – S 2242 - 25 - St 111 (Rhld) bzw. S 2242 - 21 - St 12 - 33 (MS), GmbHR 2009, 108. 32 BFH v. 16.12.2009 – I R 97/08, BStBl. II 2010, 808 = FR 2010, 611 m. Anm. Schell = GmbHR 2010, 600. 33 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004 – DOK 2021/1162290, BStBl. I 2021, 2212 Rz. 32.

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Besonderheiten bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften

Einer rein vermögensverwaltenden KG, die steuerlich nicht als Mitunternehmerschaft zu qualifizieren ist, steht die Möglichkeit der Option nach § 1a KStG offen. Dies deshalb, weil es nach § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG einzig auf die (zivilrechtliche) Qualifikation als Personenhandelsgesellschaften ankommt34. Hier ist allerdings zu beachten, dass der fiktive Formwechsel stets unter Ansatz der gemeinen Werte zu erfolgen hat, da aufgrund des Fehlens einer Mitunternehmerschaft bereits die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 UmwStG nicht vorliegen können35. Ob der wegen des Ansatzes des gemeinen Wertes realisierte Gewinn bei den Gesellschaftern zu steuerpflichtigen Einkünften führt, richtet sich nach 34 Dies ist nun auch ausdrücklich in Rz. 2 des BMF-Schreibens vom 10.11.2021 klargestellt worden. 35 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004 – DOK 2021/1162290, BStBl. I 2021, 2212 Rz. 30.

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allgemeinen ertragsteuerlichen Grundsätzen. Dies wäre z.B. der Fall, wenn die anteiligen Wirtschaftsgüter (Bruchteilsbetrachtung!) einem Betriebsvermögen zuzuordnen sind oder für ein eingebrachtes Grundstück des Privatvermögens die Zehnjahresfrist nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG noch nicht abgelaufen ist. Im o.a. Beispielsfall ist der Gewinn aus der Veräußerung des Objekts Schlossallee wegen Ablaufs der Zehnjahresfrist nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht steuerbar, so dass durch einen steuerfreien step-up AfA-Volumen geschaffen wird. Steuerpflichtig nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist hingegen der Veräußerungsgewinn von 300 aus dem Objekt Opernplatz. Zu beachten ist natürlich auch, dass infolge der Option sich nachfolgende Wertsteigerungen der beiden Objekte im steuerlichen Betriebsvermögen der optierten KG vollziehen und mithin steuerverstrickt sind.

III. Einschränkung der Anwendung der Körperschaftklausel des § 6 Abs. 6 Satz 5 und 6 EStG (Schumacher) Nach § 6 Abs. 5 Satz 5 u. 6 EStG ist bei einer Übertragung gem. § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG zwingend der Teilwert anzusetzen, soweit an dem übertragenen Wirtschaftsgut durch die Übertragung oder aus einem anderen Grund innerhalb von sieben Jahren nach der Übertragung der Anteil einer Körperschaft etc. unmittelbar oder mittelbar begründet wird oder sich erhöht. Diese Regelungen wurden bisher von der Finanzverwaltung nach ihrem Wortlaut unabhängig davon angewandt, ob der Gesetzeszweck – Vermeidung der Verschiebung stiller Reserven von einer natürlichen Person zu einer (verbundenen) Körperschaft – erfüllt war. Danach erfolgte z.B. auch bei einem Joint Venture zwischen Kapitalgesellschaften eine anteilige Gewinnrealisierung, soweit die jeweils andere Kapitalgesellschaft beteiligt war. Der BFH hat jedoch in zwei Entscheidungen den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG teleologisch reduziert. Mit Urteil vom 15.7.202136 hat der IV. Senat des BFH entschieden, dass bei der Anwendung des Satzes 6 die stillen Reserven auszuklammern sind, die im Zeitpunkt der Übertragung nach Satz 3 bereits im Körperschaftsteuerregime verhaftet sind.

36 BFH v. 15.7.2021 – IV R 36/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.150721.IVR36.18.0, GmbHR 2022, 158 m. Anm. Schindler = FR 2022, 344, Rz. 48 ff. Dazu z.B. Broemel/Koelle, DStR 2021, 2877.

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Daher ist die Übertragung eines Anteils an der Personengesellschaft zwischen zwei Kapitalgesellschaften unschädlich. Der Formwechsel einer (Oberpersonengesellschaft in eine GmbH zu steuerlichen Buchwerten stellt zwar „einen anderen Grund“ dar. Soweit an der M KG aber Körperschaften beteiligt sind, ist Satz 6 nicht anzuwenden. Gleiches sollte im Ergebnis bei einem Formwechsel der Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft oder bei der (mittelbaren) Einbringung eines Mitunternehmeranteils an der Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft gelten. Entsprechendes sollte für die Körperschaftklausel bei der Realteilung (§ 16 Abs. 3 Satz 4 EStG) gelten. Auch bei der Anwendung des Satzes 5 sollten diese Grundsätze gelten, d.h. wenn bereits im Zeitpunkt der Übertragung nach Satz 3 eine Körperschaft beteiligt ist, sollte Satz 5 nicht anzuwenden sein, wenn das Wirtschaftsgut von einer anderen Körperschaft auf die Personengesellschaft übertragen wird. Dies ermöglicht die ertragsteuerneutrale Begründung von Joint Ventures zwischen Kapitalgesellschaften unter Einbringung von einzelnen Wirtschaftsgütern in eine Joint Venture-Personengesellschaft. Mit Urteil vom 18.8.202137 hat der XI. Senat des BFH entschieden, dass Satz 6 (und auch Satz 4) nicht anzuwenden ist, wenn ein Anteil an der Personengesellschaft vollentgeltlich unter Aufdeckung der stillen Reserven in dem zuvor eingebrachten Wirtschaftsgut an eine Körperschaft übertragen wird. Der XI. Senat ließ zwar mangels Entscheidungsrelevanz ausdrücklich offen, ob darüber hinaus – wie vom IV. Senat entschieden – eine teleologische Reduktion zu erfolgen hat, wenn es nicht zu einer Verlagerung stiller Reserven in dem zuvor eingebrachten Wirtschaftsgut aus dem Einkommen- in das Körperschaftsteuerregime kommt (Rz. 45 des Urteils). Es ist jedoch nicht erkennbar, dass der XI. Senat dies anders als der IV. Senat sieht. Die fehlende Anwendung des Satzes 6 auf die Übertragung von Mitunternehmeranteilen zwischen Kapitalgesellschaften ermöglicht im Ergebnis die ertragsteuerneutrale Einbringung eines einzelnen Wirtschaftsguts durch eine Kapitalgesellschaft in eine andere Kapitalgesellschaft:

37 BFH v. 18.8.2021 – XI R 43/20, ECLI:DE:BFH:2021:U.180821.XIR43.20.0, GmbHR 2022, 608 = FR 2022, 352 mit Anmerkung Wendt.

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Dabei wird das Wirtschaftsgut zunächst nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG zu Buchwerten in eine gewerblich geprägte GmbH & Co. KG eingebracht. Im zweiten Schritt wird der Mitunternehmeranteil an der GmbH & Co. KG nach § 20 UmwStG zu Buchwerten in die andere Kapitalgesellschaft eingebracht; darin liegt nach der Rechtsprechung des BFH kein Fall des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG. Hinsichtlich der erhaltenen Anteile an der T GmbH ist § 22 Abs. 1 UmwStG anzuwenden. Auch vor dem Hintergrund dieser Gestaltungsmöglichkeit enthielt die Stellungnahme des Bundesrats zum JStG 2022 den Vorschlag einer rückwirkenden Gesetzesänderung im Sinne der bisherigen Verwaltungsauffassung.38 Diese wurde jedoch nicht umgesetzt.

38 BR-Drucks. 457/1/22 (Beschluss), 5 ff.

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IV. Praxisfragen der sonstigen Gegenleistung (Stimpel) Nach dem durch das Steueränderungsgesetz 2015 neu gefassten § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UmwStG39 können insoweit bei einer Einbringung nicht die Buchwerte angesetzt werden, als der gemeine Wert von neben den neuen Anteilen gewährten sonstigen Gegenleistungen 25% des Buchwerts des eingebrachten Betriebsvermögens oder den absoluten Betrag von 500.000 t (bzw. den niedrigen Buchwert des Einbringungsgegenstands) übersteigt. Eine anteilige Steuerneutralität ist also demnach nur dann verwehrt, wenn beide Grenzen überschritten sind. Kommt es wegen überhöhter sonstiger Gegenleistungen zum teilweisen Ausschluss des Buchwertansatzes, liegt hinsichtlich des einheitlichen Einbringungsvorgangs begrifflich ein Zwischenwertansatz vor und es kommt zur anteiligen Gewinnrealisierung. Beim Anteilstausch nach § 21 UmwStG und bei der Einbringung in eine Personengesellschaft nach § 24 UmwStG gilt die o.a. Regelung entsprechend. Gegenstand des folgenden Praxisfalls ist die entscheidende und höchst brisante Rechtsfrage, was begrifflich als sonstige Gegenleistung zu qualifizieren ist. Dies ist insbesondere dann in der Praxis heikel, wenn es sich bei der zu beurteilenden Einbringung um eine Folgeeinbringung handelt und es bei der vorangegangenen – noch nicht mehr als sieben Jahr zurückliegenden – Einbringung zum Entstehen von sperrfristbehafteten Anteilen i.S.v. § 22 Abs. 1 (Einbringungsgewinn I) oder Abs. 2 (Einbringungsgewinn II) UmwStG gekommen ist.

39 Gilt für nach dem 31.12.2021 4 vollzogene Einbringungen.

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Hier ist die Weitereinbringung der sperrfristbehafteten Anteile nur bei Ansatz des Buchwerts keine schädliche Veräußerung (§ 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2 UmwStG). Problematisch ist jedoch die „Fallbeilregelung“ im 2. Hs. der Vorschrift, wonach bereits ein geringfügiges Überschreiten der Grenzen von § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 bzw. § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UmwStG zur Annahme einer schädlichen Veräußerung und mithin eines Sperrfristverstoßes i.S.v. § 22 Abs. 1 bzw. 2 UmwStG führt. Hier 293

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kann also eine um 1 t zu hohe sonstige Gegenleistung bereits ausreichend sein, um derartige fatale Rechtsfolgen auszulösen. Der o.a. Sachverhalt sei nun dahingehend fortgeführt, dass im Zuge des Einstiegs des Investors (fremder Dritter) – wie in M & A-Fällen praxisüblich – die nachfolgenden Entschädigungsklauseln vereinbart werden: Klausel 1: Finanzieller Ausgleich für M-GmbH, sofern EG 1 durch nachfolgende Anteilsveräußerung durch NewCo-GmbH ausgelöst wird. Klausel 2: Finanzieller Ausgleich für M-GmbH, soweit die Ausgabe der NewCo-Beteiligung nicht den Wertverhältnissen der erbrachten Einlagen von M-GmbH und des Investors entsprochen haben sollte. Klausel 3: Finanzieller Ausgleich für M-GmbH, soweit NewCo-GmbH durch absprachewidrige Handlungen des Investors wirtschaftliche Nachteile entstehen. Die Auslegung des Begriffs der sonstigen Gegenleistungen i.Z.m. Entschädigungsklauseln ist im Detail unklar bzw. strittig. Es liegen keine eine offizielle Verwaltungsanweisung und keine Rechtsprechung vor und die Sichtweise in der steuerlichen Literatur ist uneinheitlich.40 Vor näherer Analyse der einzelnen Klauseln wäre der Zeitpunkt der potentiellen Schädlichkeit zu prüfen. Die abstrakte Vereinbarung einer Klausel kann m.E. für sich genommen nicht bereits zur Annahme einer sonstigen Gegenleistung führen. Vielmehr muss tatsächlich aufgrund der Klausel eine Leistung erfolgen, die sodann bei Qualifizierung als sonstige Gegenleistung dem Grunde nach auf den Einbringungszeitpunktals als rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zurückwirken würde. Hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung der Entschädigungsklauseln ist bei der Klausel 1 das auslösende Moment für die Ausgleichszahlung die nachfolgende Anteilsveräußerung und nicht die Einbringung. Die Veranlassung durch die Einbringung ist hier nur mittelbar. Da es für die Qualifizierung als sonstige Gegenleistung auf die wirtschaftliche Kausalität ankommt, liegt mithin m.E. keine sonstige Gegenleistung vor. Die gleichen Erwägungen gelten zudem für Klausel 3, da der Entschädigungsgrund durch die nachfolgenden Ereignisse veranlasst ist. 40 Siehe hierzu Edelmann in Kraft/Edelmann/Bron, § 21 UmwStG Rz. 60a, Jäschke in Lademann, § 20 UmwStG Rz. 60a, Bilitewski/Heinemann, Ubg 2015, 513 (516) und Ott, Stbg 2017, 105 (110).

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Bei der Klausel 2 ist der rechtliche und wirtschaftliche Grund für die Ausgleichszahlung der Einbringungsvorgang, da hier ein Ausgleich für die zunächst unzutreffend zugrunde gelegten Wertverhältnisse erfolgt. Erhält demnach der Einbringende nachträglich eine Geldzahlung, liegt dem Grunde nach immer eine sonstige Gegenleistung vor, die bei Überschreiten der Wertgrenzen von § 21 Abs. 1 Nr. 2 UmwStG zu einer rückwirkenden Versteuerung des EG I im Rahmen der ursprünglichen Betriebseinbringung führt, da der in der Sperrfrist erfolgte nachfolgende Anteilstausch aus den o.a. Gründen eine schädliche Veräußerung dargestellt. Aus gestalterischer Sicht stellt sich daher die Frage, ob die Klausel 2 in einer Weise ausgestaltet werden kann, dass das Vorliegen einer schädlichen sonstigen Gegenleistung im Ergebnis vermieden werden kann. Ein Ausweg könnte darin bestehen, dass die Ausgleichszahlung vom Investor nicht an den Mitgesellschafter (einbringende M-GmbH), sondern an die gemeinsame Gesellschaft (NewCo GmbH) erfolgt. Dies wäre für Zwecke des § 22 UmwStG unschädlich, da die M-GmbH hier nicht Begünstigter wäre und mithin keine sonstige Gegenleistung erhielte. Zwar liegt hier eine mittelbare Begünstigung in Gestalt der Wertsteigerung der NewCo-Beteiligung und der Verschaffung eines höheren Ausschüttungspotentials vor. Dies dürfte m.E. aber zumindest dann unproblematisch sein, wenn im Umfang der Ausgleichszahlung keine inkongruente Gewinnverwendung zugunsten der M-GmbH vereinbart werden. Ein zweiter Gestaltungsansatz könnte darin bestehen, dass die Ausgleichszahlung in Gesellschaftsrechten erfolgt, d.h. ausgegebene Anteile werden im Verhältnis M-GmbH und Investor nachjustiert (d.h. Investor gibt die zu viel erhaltenen Anteile „unentgeltlich“ an M-GmbH ab).41 Die stellt im Grundsatz keine schädliche sonstige Gegenleistung dar, führt aber zu einer ggf. unerwünschten Verschiebung der Beteiligungsverhältnisse.42

41 Dies wirkt als rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auf den Zeitpunkt des Anteilstausches zurück. Beide Gesellschafter werden so gestellt, als ob sie in dem nachjustierten Umfang neue Anteile erhalten hätten. 42 Ein nachfolgende Rückveräußerung zur Wiederherstellung der ursprünglichen Beteiligungsverhältnisse wäre m.E. wegen des Geldzuflusses bei der M-GmbH problematisch und würde in der wirtschaftlichen Gesamtschau zur Annahme einer schädlichen Veräußerung führen.

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Gesellschaftsrechtliche und steuerliche Neuerungen bei grenzüberschreitenden und ausländischen Umwandlungen Prof. Dr. Norbert Schneider Rechtsanwalt/Steuerberater, Düsseldorf Dr. Peter Heinemann Ministerialrat, Düsseldorf 1 I. Einleitung II. Ausgangslage für grenzüberschreitende Umwandlungen in der Europäischen Union III. Neue Optionen grenzüberschreitender Umwandlungen nach der UmwRL 1. Änderungen durch UmRUG bei Verschmelzung, Spaltung, Formwechsel a) Verschmelzung (§§ 305–319 UmwG nF) b) Spaltung (§§ 320–332 UmwG nF) c) Formwechsel (§§ 333–346 UmwG nF) 2. UmwStG: Vom europäisierten zum globalisierten Anwendungsbereich a) Persönlicher Anwendungsbereich UmwStG: „Europäisierung“ bis 2021 b) (Teil-) Globalisierung des UmwStG ab 2022 aa) Verschmelzungen und Spaltungen bb) Einbringung und Anteilstausch

IV. Sachliche Voraussetzung bei Auslandsumwandlungen: Vergleichbarkeit mit UmwG 1. Abstrakte Kriterien der Vergleichbarkeit 2. Relevanz der Gesamtrechtsnachfolge? a) Bisheriger Stand der Diskussion b) Neue Rechtsprechung des BFH zu US Spin-Offs im Rahmen der Abgeltungsteuer c) Übertragbarkeit der Grundsätze auf das UmwStG? d) Beispiele vergleichbarer Umwandlungsvorgänge V. Einzelprobleme der Bewertung bei internationalen Umwandlungen 1. Grundprobleme der Buchwertfortführung 2. Zuordnung von Betriebsvermögen zu deutschen und ausländischen Betriebsstätten a) Zuordnungsgrundsätze: Personalfunktionsbasierter Ansatz

1 Die Autoren bedanken sich bei Herrn Rechtsreferendar Kevin Hinzen für die Unterstützung bei der Erstellung des Beitrags.

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Schneider/Heinemann, Neuerungen bei grenzüberschreitenden Umwandlungen b) Zuordnungskriterien bei personallosen Betriebsstätten VI. Änderungen beim Rechtstypenvergleich bei ausländischen Umwandlungen 1. Allgemeine Anforderungen an den Rechtstypenvergleich 2. Änderungen an den Vergleichskriterien durch das MoPeG 3. Schlussfolgerungen: Keine wesentlichen Änderungen an den Testkriterien

VII. Steuerlicher Übertragungsstichtag bei Auslandsumwandlungen 1. Deutsche Umwandlungen 2. Ausländische Umwandlungen 3. Beispiel aus der Praxis VIII. Steuerliches Einlagenkonto bei grenzüberschreitenden Umwandlungen IX. Ausblick

I. Einleitung Der Behandlung von Umwandlungen kommt in der steuerlichen Unternehmenspraxis eine große Bedeutung zu. Wegen der sehr hohen Internationalisierung der deutschen Wirtschaft spielen Aspekte grenzüberschreitender oder (allgemeiner) internationale Aspekte eine immer größere Rolle. Ausdruck dieser zunehmenden Bedeutung findet sich auch in der jüngsten Aktivität des Gesetzgebers, sowohl im Steuerrecht (mit der sog. Globalisierung des Umwandlungssteuerrechts, die bereits auf dem Fachkongress 2021 eine erste Befassung erfahren hat2) als auch im Gesellschaftsrecht (mit der anstehenden Umsetzung der sog. EUUmwandlungsrichtlinie). Der vorliegende Beitrag widmet sich diesen Entwicklungen und nimmt grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge bzw. Umwandlungen mit internationalem Bezug in den Blick, um ausgewählte Komplexe zu untersuchen. Aufbauend auf dem Status Quo des Rechtsrahmens grenzüberschreitender Umwandlungen (II.) werden neue gesellschaftsrechtliche Optionen nach der Umsetzung der EU-Umwandlungsrichtlinie dargestellt (III.). Anschließend geht der Beitrag vertiefter auf die sachlichen Voraussetzungen der steuerlichen Vergleichbarkeitsprüfung (IV.) sowie Einzelprobleme bei steuerlichen Bewertungsfragen grenzüberschreitender Umwandlungen (V.) ein. Schließlich werden die Änderungen durch das MoPeG im Hinblick auf den sog. Rechtstypenvergleich beleuchtet (VI.) sowie Fragen des steuerlichen Übertragungsstichtags 2 Dazu Schneider/Pung, StbJb. 2021/2022, 233 ff.

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(VII.) und des Einlagekontos (VIII.) bei internationalen Umwandlungen dargestellt.

II. Ausgangslage für grenzüberschreitende Umwandlungen in der Europäischen Union Das deutsche UmwG war bisher auf nationale Umwandlungen zweier deutscher Rechtsträger fokussiert. Regeln für grenzüberschreitende Umwandlungen waren lediglich vorgesehen für die grenzüberschreitende Verschmelzung, nämlich in den §§ 122a ff. UmwG. Diese beruhen auf europarechtlicher Grundlage und setzen die (frühere) VerschmelzungsRichtlinie3 der Europäischen Union (EU) aus 2005 um (die heute in der sog. Gesellschaftsrechts-Richtlinie4 von 2017 aufgegangen ist). Mit ihr sollte der Bedarf der in der EU gelegenen Kapitalgesellschaften an grenzüberschreitender Kooperation und Reorganisation anerkannt und erleichtert werden.5 Für andere Umwandlungsvorgänge – insbesondere Spaltungen und Formwechsel sowie Verschmelzungen unter Beteiligung von Nicht-Kapitalgesellschaften – bestanden lange keine gesetzlichen Regelungen. Lediglich die Sitzverlegung der Gesellschaften in der Rechtsform der SE nach der SE-Verordnung6 war europarechtlich noch geregelt, stellt aber nicht unbedingt eine Umwandlung im klassischen Sinne dar. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) forderte jedoch schon seit einigen Jahren, auch außerhalb der Fälle der SE-Richtlinie den Weg- und Zuzug von Gesellschaften innerhalb der EU auf Basis der Grundfreiheiten (insbesondere der Niederlassungsfreiheit in Art. 49 AEUV) unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen.7 So hatte der EuGH in der Rs. Cartesio8 entschieden, dass die grenzüberschreitende 3 Richtlinie (EG) 2005/56 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, Abl. (EG) Nr. L 310 v. 25.11.2005, 1 ff. 4 Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. (EU) Nr. L 169 v. 30.6.2017, 46 ff. 5 Klett in Habersack/Wicke, BeckOK-Großkommentar UmwG, § 122a UmwG Rz. 6 (Juli 2022). 6 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. (EG) Nr. L 294 v. 10.11.2001, 1 ff. 7 Drygala/von Bressensdorf, NZG 2016, 1161 (1161). 8 EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723, GmbHR 2009, 86 m. Anm. Meilicke = ZIP 2009, 24 (Cartesio), NJW 2009, 569.

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Verlagerung des Verwaltungssitzes unter Beibehaltung der Rechtsform möglich sein muss, um einen Konflikt mit der Niederlassungsfreiheit zu vermeiden. In der Rs. VALE9 bestätigte er, dass die Verlagerung des Satzungs- und Verwaltungssitzes bei Wechsel in die Rechtsform des Zuzugsstaats von der Niederlassungsfreiheit gefordert wird, sofern innerstaatlich ein Formwechsel zugelassen ist und der Rechtsträger im Zielrechtsstaat eine tatsächliche Geschäftstätigkeit ausübt. Erweiternd dazu wurde in der Rs. Polbud10 sogar vom EuGH ausgesprochen, dass dies ebenso für die reine Verlagerung des Satzungssitzes gilt ohne Aufnahme tatsächlicher wirtschaftlicher Aktivität im Zielstaat.11 Im Ergebnis wurde damit (jedenfalls grundsätzlich) ein „nachträgliches Forum Shopping“ hinsichtlich einer europäischen Rechtsformwahl ermöglicht. Da der EuGH in der Vergangenheit mit seiner Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit die grenzüberschreitende Mobilität von Unternehmen im Binnenmarkt gestärkt und den Wettbewerb der Rechtsordnungen gefördert hatte, gleichzeitig wesentliche Umwandlungen (wie die Spaltung) noch ungeregelt waren, wurde eine kohärente Neuregelung grenzüberschreitender Umwandlungsverfahren innerhalb der EU drängender.

III. Neue Optionen grenzüberschreitender Umwandlungen nach der UmwRL Auf EU-Ebene wurden daher in den letzten Jahren Vorgaben für die gesellschaftsrechtliche Umsetzung erarbeitet. Die Mobilitäts- bzw. Umwandlungsrichtlinie12 vom 27.11.2019 (im Folgenden UmwRL) ist Teil des sog. EU Company Law Package, das im April 2018 durch die Europäische Kommission vorgestellt wurde und neben dem Umwandlungsrecht auch den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesell-

9 EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, GmbHR 2012, 860 = ZIP 2012, 1394 m. Anm. Mörsdorf/Jopen (VALE), NJW 2012, 2715. 10 EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, GmbHR 2017, 1261 m. Anm. Bochmann/Cziupka = ZIP 2017, 2145 (Polbud), NJW 2017, 3639. 11 Ausführlich zu den Konsequenzen des Urteils siehe Schall, ZfPW 2018, 176. 12 Richtlinie (EU) 2019/2121 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.11.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ABl. (EU) Nr. L 321 v. 12.12.2019, S. 1 ff.

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schaftsrecht betrifft.13 Die Richtlinie war gem. Art. 3 Abs. 1 UmwRL bis zum 31.1.2023 von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen. Im Juli 2022 legte die Bundesregierung den ersten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der UmwRL (UmRUG) vor, der am 5.10.2022 ins Verfahren eingeführt wurde.14 Flankiert wird das UmRUG durch den gleichzeitig in Vorbereitung befindlichen Regierungsentwurf zur Umsetzung der EU-Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (UmRMitbestG).15 Nach einigen Diskussionen über Details (u.a. der Mitbestimmung) standen die beiden Entwürfe im Dezember 2022 zum Gesetzesbeschluss an. Während das UmRMitbestG plangemäß beschlossen wurde,16 wurde das UmRUG selbst vom Rechtsausschuss noch einmal in die Ausschussberatung zurückverwiesen und daher letztlich erst im Februar verabschiedet. Es trat somit – mit leichter Verspätung – zum 1.3.2023 in Kraft.17 Die bisherigen Regelungen werden als UmwG aF bezeichnet, die Regelungen nach Umsetzung des UmRUG als UmwG nF. Durch das UmRUG wurde ein neues sechstes Buch im UmwG geschaffen (§§ 305–345 UmwG nF), in dem alle EU-grenzüberschreitenden Umwandlungstypen geregelt werden: die grenzüberschreitende Verschmelzung (§§ 305 ff. UmwG nF, die bisher schon in den §§ 122a ff. UmwG aF geregelt war und nunmehr mit in das neue sechste Buch integriert wird), die Spaltung (§§ 320 ff. UmwG nF) sowie der Formwechsel (§§ 333 ff. UmwG nF). Die gesetzliche Fixierung soll auch grenzüberschreitende Umweggestaltungen entbehrlich(er) machen, die bisher angesichts der nur begrenzten gesetzlichen Regelungen oft erforderlich waren. Insbesondere war man mangels Regelung einer direkten grenzüberschreitenden Spaltung bisher idR auf mehrstufige Vorgehensweisen angewiesen, wenn nur ein Unternehmensteil grenzüberschreitend übertragen werden sollte und dabei zB 13 Dazu Europäische Kommission, Proposal for a Company Law package, 25.4.2018, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/info/publications/companylaw-package_en (zuletzt abgerufen am 11.11.2022). 14 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie v. 5.10.2022, BT-Drucks. 20/3822. 15 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, BT-Drucks. 20/3817. 16 UmRMitbestG v. 4.1.2023, BGBl. I 2023, Nr. 10. 17 UmRUG v. 22.2.2023, BGBl. I 2023 Nr. 51.

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eine Gesamtrechtsnachfolge angestrebt war (möglich war dann zB grundsätzlich eine vorherige innerstaatliche Ausgliederung von Vermögen mit anschließender grenzüberschreitender Verschmelzung auf Basis der §§ 122a ff. UmwG aF, oder eines grenzüberschreitenden Formwechsels auf Basis der EuGH-Rechtsprechung) oder zB auf grenzüberschreitende Anwachsungsvorgänge auf Basis der generellen gesellschaftsrechtlichen Regelungen. Dies wird sich nach der Umsetzung der UmwRL im UmwG verbessern. Da die UmwRL aber nicht alle denkbaren Umwandlungsmöglichkeiten für alle gängigen Rechtstypen ermöglicht,18 und der deutsche Gesetzgeber mit dem UmRUG zwar etwas, aber nicht grundlegend über die UmwRL hinausgeht,19 wird es uU weiterhin notwendig sein, in den betreffenden verbleibenden Fällen nach anderen Lösungen zu suchen.

1. Änderungen durch UmRUG bei Verschmelzung, Spaltung, Formwechsel a) Verschmelzung (§§ 305–319 UmwG nF) Die grenzüberschreitende Verschmelzung war bereits seit 2007 im UmwG ermöglicht.20 Sie wird nunmehr regelungstechnisch in das neue sechste Buch integriert und dazu die §§ 122a ff. UmwG aF in die §§ 305 ff. UmwG nF „überführt“. Die bisherigen Regelungen werden inhaltlich in bestimmten Bereichen angepasst; insbesondere werden die Regelungen zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern, Gläubigern und Arbeitnehmern novelliert.21 Die (entsprechend angepassten) Regelungen zur Verschmelzung sollen fortan als Regelungsvorbild für die Verfahren bei den anderen, erstmalig geregelten Umwandlungsarten der Spaltung und des Formwechsels dienen. Als grenzüberschreitende Verschmelzung wird eine Verschmelzung legaldefiniert, bei der mindestens eine der beteiligten Gesellschaften dem Recht eines anderen EU-Mitgliedstaats oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den 18 Insbesondere die grenzüberschreitende Umwandlung von Personengesellschaften wird auch nach Umsetzung des UmRUG nur begrenzt möglich sein; dazu unten III.1.b. 19 Vgl. Schmidt, NZG 2022, 579 (580); maßgebliche Erwägungen waren danach neben dem Grundsatz der 1:1-Umsetzung insbesondere das Fehlen entsprechender Parallelregelungen in anderen Mitgliedstaaten sowie die mitbestimmungsrechtliche Problematik. 20 Einfügung der §§ 122a ff. UmwG durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes vom 18.4.2007, BGBl. I 2007, 542. 21 Gesetzentwurf des UmRUG, BT-Drucks. 20/3820, 45 ff.

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Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) unterliegt (§ 305 Abs. 1 UmwG nF). § 306 UmwG nF regelt die Gesellschaftsformen, die an der Verschmelzung beteiligt sein können: zum einen als übertragende, übernehmende oder neue Gesellschaft solche Kapitalgesellschaften, soweit sie nicht als Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere (OGAW) zu qualifizieren sind.22 Die Kapitalgesellschaften müssen nach dem Recht eines EU/EWR-Staates gegründet worden sein und dort ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung haben (§ 306 Abs. 1 Nr. 1 UmwG nF). Personengesellschaften können dagegen nur unter bestimmten Voraussetzungen an grenzüberschreitenden Verschmelzungen teilnehmen, und zwar auch nur Personenhandelsgesellschaften: diese kommen nur als übernehmende oder neue Gesellschaften in Betracht (also aus deutscher Sicht nur bei einer Hereinverschmelzung), und auch nur, wenn in der Regel nicht mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt sind (§ 306 Abs. 1 Nr. 2 UmwG nF). Dies soll der Gefahr vorbeugen, dass durch die Verschmelzung Regelungen der Mitbestimmung umgangen werden.23 Insgesamt hat die UmwRL und ihr folgend das UmRUG den Schutz von Minderheitsgesellschaftern sowie Gläubigern neu geregelt und vereinheitlicht. Bei Minderheitsgesellschaftern ist jetzt zB vorgesehen ein Austrittsrecht gegen Barabfindung (Art. 86i, Art. 126a I – V, 160 I – V UmwRL), bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen (und auch Spaltungen) zusätzlich einen Anspruch auf Verbesserung des Umtauschverhältnisses (Art. 126a VI – VII, 160i VI – VII UmwRL), sowie einen Ausschluss der Anfechtung wegen Bewertungsmängeln (Art. 86h V, 126 IV, 160h V UmwRL).24 Das eigentliche Verfahren soll (grundsätzlich exemplarisch für Verschmelzungen und Spaltungen und mit Modifikationen auch für Formwechsel) nur kurz und im Überblick skizziert werden:25 22 Diese waren schon zuvor an grenzüberschreitenden Umwandlungsvarianten ausgeschlossen, vgl. Art. 86a Abs. 2, Art. 120 Abs. 3 sowie Art. 160a Abs. 3 GesR-RL; dazu Ego in MüKo AktG5, Bd. 7, Abschnitt B. – Europäische Niederlassungsfreiheit, Rz. 87. 23 In Deutschland war die Beteiligung von Personenhandelsgesellschaften als übernehmende Gesellschaften bei einer Hereinverschmelzung bereits 2019 im UmwG geregelt worden (in § 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG aF durch das Vierte Gesetz zur Änderung des UmwG v. 19.12.2018, BGBl. I 2018, 2694. 24 Zu Einzelheiten vgl. zB Schmidt, NZG 2022, 579 (582 f.). 25 Ausführlicher zB Schmidt, NZG 2022, 635 ff.; Überblick über die Änderungen bei Verschmelzung, Spaltung und Formwechsel auch bei Gesell in Prinz/ Desens, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 2.67 ff.

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Zunächst ist ein detaillierter, notariell zu beurkundender (s. § 307 Abs. 4 UmwG nF) Verschmelzungsplan aufzustellen, der Einzelheiten zu den Verschmelzungssubjekten, zum Umtauschverhältnis der Gesellschaftsanteile und ihrer Übertragung, der Auswirkung auf die Beschäftigung, und den relevanten Vollzugszeitpunkten (insb. dem Verschmelzungsstichtag), etc. regelt (vgl. § 307 UmwG nF). Dieser muss beim Registergericht eingereicht und im Register veröffentlicht werden.



Der Zustimmungsbeschluss der Gesellschafter erfolgt idR mit einer Mehrheit von 75%; er darf frühestens einen Monat nach Einreichung des Plans beim Registergericht erfolgen.



Widersprechende Anteilseigener können die Verschmelzung nicht aufhalten. Allerdings haben solche Anteilseigner zukünftig die Möglichkeit, gegen Barabfindung aus der Gesellschaft auszuscheiden, sofern die Verschmelzung umgesetzt wird (§ 313 UmwG nF). Verbleiben sie in der Gesellschaft, halten aber das Umtauschverhältnis für nicht angemessen, kann (wie bisher) ein angemessener Ausgleich im Rahmen eines Spruchverfahrens geklärt werden.26



Nach § 309 Abs. 1 UmwG nF sind die Vertretungsorgane der beteiligten Gesellschaften verpflichtet, einen Verschmelzungsbericht zu erstellen, der dazu dient, „die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte der grenzüberschreitenden Verschmelzung und die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf die Arbeitnehmer zu erläutern und zu begründen“. Der Bericht ist den Anteilsinhabern und den zuständigen Betriebsräten bzw. Arbeitnehmern, sofern kein Betriebsrat existiert, spätestens sechs Wochen vor der Gesellschafterversammlung, die über die Zustimmung zum Verschmelzungsplan beschließen soll, elektronisch zugänglich zu machen, § 310 Abs. 1 Satz 1 UmwG nF. Die Prüfung des Verschmelzungsberichts erfolgt durch die Gesellschafter, außer diese verzichten, § 311 UmwG nF.27

26 Vgl. § 1 Nr. 4 Spruchverfahrensgesetz, wonach das Spruchgesetz anzuwenden ist auf das gerichtliche Verfahren für die Bestimmung der Zuzahlung an Anteilsinhaber oder der Barabfindung von Anteilsinhabern anlässlich der Umwandlung von Rechtsträgern nach dort bestimmten Vorgängen des Umwandlungsgesetz; s. im Einzelnen etwa Drescher in Spindler/Stilz, BeckO-Großkommentar, SpruchG, § 1 (Okt. 2022) Rz. 13. Dies wird durch eine Novellierung des Spruchverfahrens flankiert; dazu Art. 3 des Gesetzentwurfs des UmRUG. 27 § 311 Abs. 2 Satz 1 UmwG-E verweist auf die Vorschriften über den Verzicht in §§ 9 Abs. 2, 3; 12 Abs. 3, jeweils in Verbindung mit § 8 Abs. 3 UmwG, wonach alle Anteilsinhaber aller beteiligten Rechtsträger auf die Verschmel-

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Zur Sicherstellung der Gläubiger sieht das reformierte Recht nunmehr ein der Umsetzung der Verschmelzung zeitlich vorgeschaltetes Verfahren vor, wenn die Gläubiger innerhalb von 3 Monaten nach Bekanntmachung des Verschmelzungsplans bei Gericht einen Antrag stellen und glaubhaft machen können, dass ihr Anspruch durch die Verschmelzung gefährdet wird (§ 314 UmwG nF). Durch die Vorverlagerung soll der Schutz der Gläubiger gestärkt werden, ua. insofern, dass sie nicht erst nachträglich Rechte uU in einem anderen Land geltend machen müssen.28



Bei entsprechender Arbeitnehmeranzahl kann ein Verhandlungsverfahren über das Mitbestimmungsstatut eingeleitet werden, § 315 Abs. 3 Nr. 4 UmwG nF.



Die Anmeldung der Verschmelzung erfolgt nach dem Beschluss der Gesellschafter beim Registergericht (§ 315 UmwG nF); erst zu diesem Zeitpunkt muss auch die Bilanz auf den Umwandlungsstichtag (bzw. den Vortag) vorliegen.



Das Gericht prüft innerhalb von drei Monaten gem. § 316 Abs. 1 UmwG nF die Einhaltung der Rechte der Gläubiger und Arbeitnehmer. Neu ist eine Missbrauchsprüfung durch das Gericht: dieses prüft – allerdings nur, sofern Anlass besteht –, ob etwa die Verschmelzung missbräuchlichen oder betrügerischen Zwecken dient, etwa um sich EU- oder nationalem Recht zu entziehen (§ 316 Abs. 3 UmwG nF). Welche Zwecke als Missbrauch angesehen werden können, wird im Gesetz selbst nicht geregelt. Die (sehr ausführliche) Gesetzesbegründung benennt insbesondere Rechte der Arbeitnehmer sowie der Gläubiger, einschließlich uU der öffentlichen Hand.29 Mit dieser Regelung wird uE aber keine allgemeine, nicht konkretisierte steuerliche Missbrauchsprüfung durch die Hintertür in das Gesellschaftsrecht und das gesellschaftsrechtliche Verfahren eingeführt, die dem (sachfremden) Registerrichter obläge.30 Es wird ohnehin vielfach erwartet, dass Konkretisierungen durch den EuGH erforder-

zungsberichtserstattung und -prüfung verzichten können. Gleiches gilt danach, wenn sich alle Anteile des übertragenden Rechtsträgers in der Hand des übernehmenden Rechtsträgers befinden. 28 Ausführlich zum Schutz der Gläubiger zB Baschnagel/Hilser, NZG 2022, 1333 ff. 29 Gesetzentwurf des UmRuG, BT-Drucks. 20/3820, 102 ff. 30 Zu Recht Bayer/Schmidt, BB 2019, 1920 (1930); Wachter, GmbH-StB 2018, 283 (288); Schmidt, ZEuP 2020, 565 (576); explizit für eine enge Auslegung Schmidt, NZG 2022, 635, 640 mwN.

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lich sind.31 Bei erfolgreicher Prüfung durch das Registergericht ist von Amts wegen die Verschmelzungsbescheinigung zu erstellen, die dazu dient, das Verfahren im Land der übernehmenden Gesellschaft einzuleiten. Insgesamt ist festzustellen, dass das Verfahren durch die Neuerungen komplexer wird und insbesondere lange dauern dürfte. Kritik findet sich uU im Hinblick auf befürchtete Verzögerungen wegen restriktiver Gläubigerschutz- und Antimissbrauchsvorschriften, insbesondere aufgrund des registergerichtlichen Verfahrens durch vorgelagerte Sicherungsansprüche und dadurch eventuell denkbare Blockademöglichkeiten der Gläubiger.32 Das Verfahren kann bis zu sechs Monate dauern. Zudem fehle es an einer EU-weit einheitlich normierten gerichtlichen Zuständigkeitsregelung für grenzüberschreitende Umwandlungen.33 b) Spaltung (§§ 320–332 UmwG nF) Die nunmehr im UmwG geregelte grenzüberschreitende Spaltung34 betrifft alle drei Spaltungsarten, dh. die Aufspaltung, Abspaltung und Ausgliederung. Als beteiligte Gesellschaft kommen nur Kapitalgesellschaften in Betracht, nicht dagegen Personengesellschafften (§ 321 UmwG nF); das UmRUG geht hier also nicht – anders als bei der Verschmelzung – über die Richtlinienvorgabe hinaus. Für den räumlichen Anwendungsbereich gilt das Gleiche wie bei der Verschmelzung (dh. die Gesellschaften müssen nach EU/EWR Recht gegründet sein und Sitz bzw. Hauptverwaltung oder -niederlassung im EU/EWR-Raum haben). Die UmwRL sieht lediglich Spaltungen zur Neugründung vor. Erfreulicherweise ist der deutsche Gesetzgeber darüber hinausgegangen und sieht (in § 332 UmwG nF) auch Spaltungen zur Aufnahme vor; damit zollt er dem zweifellos bestehenden praktischen Bedürfnis Rechnung.35 Allerdings gilt diese Möglichkeit nicht generell, sondern nur wenn die beteiligten Gesellschaften von den mitbestimmungsrechtlichen Mindestarbeitnehmer-Schwellen deutlich entfernt sind. Konkret müssen so31 ZB Teichmann, ZGR 2022, 376, mit ausführlicher Darstellung der Missbrauchsklausel. 32 Vgl. zB Brandi/Schmidt, DB 2022, 1880 (1890); Bungert/Strothotte, DB 2022, 1818 (1823 ff.). 33 Bungert/Reidt, DB 2022, 1369 (1378). 34 Dazu zB Bungert/Strothotte, BB 2022, 1411 ff. 35 BT-Drucks. 20/3820, Begründung zu § 332 UmwG, 136. Schmidt, NZG 2022, 579 (580) mwN.

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wohl die übertragende als auch die übernehmende Gesellschaft in den sechs Monaten vor Spaltung durchschnittlich weniger als 400 Arbeitnehmer (im Fall der Herausspaltung) bzw. vier Fünftel der nach dem Recht der spaltenden Gesellschaft (im Fall der Hineinspaltung) beschäftigen. Diese Grenze geht zurück auf die sog. 4/5-Regelung des Art. 160l II UmwRL. Die Grenze bei der Herausspaltung entspricht 4/5 der 500-Arbeitnehmer-Schwelle, ab der das DrittelbG eingreift (vgl. § 1 DrittelbG). Auch wenn diese Erweiterung durch den deutschen Gesetzgeber erfreulich ist, wird sie nur dann rechtssicher funktionieren, wenn auch der andere beteiligte Mitgliedstaat entsprechende komplementierende Regelungen vorsieht; anderenfalls müssen die beteiligten Unternehmen ggf. versuchen, die Grundfreiheiten (naheliegend Art. 49. 54 AEUV) zu bemühen36 – ein rechtssicherer Weg ist dies nicht. Wer Rechtssicherheit anstrebt, wird sich dann – wie in der Vergangenheit – mit mehrstufigen Umwandlungen behelfen müssen, wie zB eine nationale Abspaltung zur Neugründung gefolgt von einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zur Aufnahme auf die Zielgesellschaft; nach den Änderungen durch das UmRUG geht nunmehr auch die „umgekehrte Variante“, dh. eine grenzüberschreitende Abspaltung zur Neugründung gefolgt sodann von einer Verschmelzung zur Aufnahme nach nationalem Recht auf die Zielgesellschaft. Für die Praxis hilfreich (insbesondere, wenn die Spaltung uU der Vorbereitung eines Verkaufs dient) ist, dass die Nachhaftung der Höhe nach begrenzt wird, und zwar auch für rein nationale Spaltungen. Bisher sah bei deutschen Spaltungen der § 133 Abs. 1 UmwG aF für im Zeitpunkt der Spaltung bestehende Verbindlichkeiten eine zeitlich begrenzte (5 Jahre, bei Versorgungsverpflichtungen 10 Jahre) gesamtschuldnerische Haftung vor. Für grenzüberschreitende Spaltungen sieht Art. 160j Abs. 2 UmwRL für die gesamtschuldnerische Ausfallhaftung vor, dass diese für den Rechtsträger, der die relevante Verbindlichkeit nicht übernimmt, auf den Wert des ihm zugeteilten Nettoaktivvermögens am Tag des Wirksamwerdens der Spaltung begrenzt. Das UmRUG hat dies nicht nur umgesetzt, sondern diese Begrenzung auch bei rein nationalen Spaltungen vorgesehen (§ 133 Abs. 3 Satz 2 UmwG nF, der bei grenzüberschreitenden Spaltungen nach § 320 Abs. 2 UmwG nF entsprechend gilt).

36 Schmidt, NZG 2022, 579 (580).

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Das Spaltungsverfahren selbst läuft im Wesentlichen wie bei der Verschmelzung.37 c) Formwechsel (§§ 333–346 UmwG nF) Der bisher gesellschaftsrechtlich nicht geregelte grenzüberschreitende Formwechsel ist aufgrund der eingangs genannten EuGH-Rechtsprechungslinie zur Niederlassungsfreiheit zwar grundsätzlich anerkannt, und er wurde in der Praxis durchaus häufiger zur Anwendung gebracht. Anwendungsfälle finden sich ua. im Bereich von Immobilien-Kapitalgesellschaften, die mit einem grenzüberschreitenden Formwechsel ihre steuerliche Ansässigkeit ins europäische Ausland verlagern, ohne idR einen Verlust des deutschen (Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer-)Besteuerungsrechts zu bewirken (da das Besteuerungsrecht für inländisches Grundvermögen idR dem Sitzstaat zusteht, vgl. Art. 13 Abs. 1 OECD-MA), so dass es idR auch nicht zu einer Entstrickungsbesteuerung (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG) kommt.38 Weil auch der grenzüberschreitende Formwechsel auf Basis der Grundfreiheiten zivilrechtlich ohne Rechtsträgeridentitätsverlust erfolgte (dh. kein Rechtsträgerwechsel stattfindet), liegt kein grunderwerbsteuerlicher Vorgang vor.39 Trotz der grundsätzlichen Anerkennung des grenzüberschreitenden Formwechsels konnte das konkrete Verfahren jedoch aufwändig und abstimmungsbedürftig sein, da es keine verfahrensrechtlich konkreten gesetzlichen Regeln gab und daher Unterschiede bei Registergerichten festzustellen waren. Mit der gesetzlichen Kodifizierung fallen diese praktischen Aspekte nunmehr grundsätzlich weg. An einem Formwechsel nach der UmwG-Novelle können nur Kapitalgesellschaften, keine Personengesellschaften beteiligt sein. Es gilt der räumliche Anwendungsbereich wie bei der Verschmelzung (s.o.), dh. die Gründung der Kapitalgesellschaft muss im EU/EWR-Raum erfolgt sein; dort muss auch Sitz bzw. Hauptverwaltung oder -niederlassung liegen. Materiell-rechtlich hatte es zwar Forderungen gegeben, den Formwechsel nicht ansonsten voraussetzungslos zuzulassen, sondern einen zwingenden realwirtschaftlichen Bezug zum Zuzugsstaat zu verlangen (so der Bundesrat) bzw. eine gleichzeitige Verlegung von Satzungs- und Ver37 Zu Details vgl. ausführlicher Schmidt, NZG 2022, 635 ff. 38 Kritsch wegen möglicher Gewerbesteuereffekte van Lishaut, FR 2023, 89 (93); vgl. auch Märker, BB 2021, 2206 zu etwaigen Anzeigepflichten im Licht des BMF-Schreibens v. 29.3.2021. 39 Pöllath/Fischer, IStR 2015, 778 (780).

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waltungssitz zu verlangen (so ein Petitum des Europäischen Parlaments); all das hat aber keinen Eingang in die UmwRL oder das UmRUG gefunden.40 Zum allgemeinen Registrierverfahren gilt wiederum der Verweis auf das „Musterverfahren“ bei der Verschmelzung. Im Vergleich zum bisherigen grenzüberschreitenden Formwechsel auf der Basis der EuGH-Rechtsprechung dürfte das Verfahren in der Praxis zwar einerseits wegen der Kodifizierung rechtssicherer werden, aber zugleich auch komplexer und insbesondere länger dauern. Ein Formwechsel nach altem (Richter-)Recht war grundsätzlich nur noch möglich bis zum Inkrafttreten des UmRUG, dh. der Formwechselbeschluss musste vor dem 1.3.2023 gefasst werden und die Anmeldung bis zum 31.12.2023 erfolgen (vgl. § 355 Abs. 1 UmwG nF).

2. UmwStG: Vom europäisierten zum globalisierten Anwendungsbereich a) Persönlicher Anwendungsbereich UmwStG: „Europäisierung“ bis 2021 Mit der Novelle des UmwStG im Jahr 2006 durch das sog. SEStEG wurde das Umwandlungssteuerrecht auf breiter Basis „europäisiert“; zuvor war dies lediglich punktuell so gewesen.41 § 1 UmwStG verlangte seitdem personell42 in seiner ursprünglichen Fassung (bis zur sog. Globalisierung mit Wirkung ab 1.1.2022, die unten zu b]. beschrieben wird) in den Absätzen 2 und 4 für die Anwendung des UmwStG, dass die an einer Umwandlung beteiligten Rechtsträger einen bestimmten Europabezug aufweisen.43 Europäisch schließt in diesem Kontext neben dem Rechtsraum der Europäischen Union auch die Staaten des EWR mit ein. Für Gesellschaften war dabei ein dreifacher „Europa-Nexus“ erforderlich: Neben Sitz und Geschäftsleitung im Raum der EU/EWR musste die Gesellschaft auch nach dem Recht eines EU/EWR-.Staates gegründet worden sein, allerdings nicht zwingend im gleichen Land (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG aF). Für natürliche Personen war – unabhängig 40 So explizit und mwN Ego in MüKo AktG5, Bd. 7, Abschnitt B. – Europäische Niederlassungsfreiheit, Rz. 86. 41 Dazu schon Schneider/Pung, StbJb. 2021/2022, 233 (235 f.). 42 Weitere Voraussetzung ist bei Auslandsumwandlungen die Vergleichbarkeit der Umwandlung mit seiner solchen nach dem UmwG, dazu unten IV. 43 Diese Anforderung galt nicht für Anteilseigner, sofern sie nicht selbst übertragender Rechtsträger waren.

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von der Staatsangehörigkeit – der Wohnsitz bzw. gewöhnliche Aufenthalt an einem Ort in der EU/EWR maßgeblich, wobei kein Fall der Ansässigkeitsfiktion nach einem DBA außerhalb dieses Gebiets vorliegen durfte (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG aF). Von diesem Grundsatz gab es (und gibt es weiterhin, siehe unten b.bb) gewisse Ausnahmen bei den Einbringungstatbeständen44; zudem erweiterte das KStG die Möglichkeit der Buchwertfortführung sehr punktuell auf eine Verschmelzung von zwei Gesellschaften aus dem gleichen Drittland (§ 12 Abs. 2 Satz 2 KStG aF). Wegen der grundsätzlichen Beschränkung des bisherigen UmwStG auf „europäische“ Umwandlungen und der nur auf reine Drittlands-Verschmelzungen begrenzten Sonderregelung in § 12 Abs. 2 Satz 2 KStG aF drohten bei allen anderen Umwandlungen Gewinnrealisierungen, zB wenn der ausländische umwandelnde Rechtsträger steuerverstricktes deutsches Betriebsvermögen besaß. Bei Drittlandspaltungen drohte zudem – jedenfalls nach Auffassung der Finanzverwaltung – eine besondere „Steuerbombe“ für den inländischen Gesellschafter einer spaltenden Gesellschaft im Drittland.45 Die unmittelbare Besteuerung von stillen Reserven bei drittlandsbezogenen Umstrukturierungsvorgängen wurde als Widerspruch zur zunehmenden Globalisierung der Wertschöpfungsketten verstanden, woraus sich das Bedürfnis zur Änderung des UmwStG ergab.46 b) (Teil-) Globalisierung des UmwStG ab 2022 Im Jahr 2021 erfolgte dann durch das Körperschaftsteuermodernisierungsgesetz (KöMoG) eine gewisse Globalisierung des UmwStG, indem die (oben beschriebene) personelle Anforderung des Europabezugs für den übertragenden Rechtsträger aufgegeben wurde, allerdings nur für Verschmelzungen und Spaltungen, dagegen nicht für Einbringungen. Insofern ist der Begriff Teil-Globalisierung treffender.

44 Zu Details vgl. Schneider/Pung, StbJb. 2021/2022, 233 (235 f.). 45 Vgl. dazu Förster, DStR 2020, 865 (875 f.) und Schneider/Pung, StbJb. 2021/2022, 233 (237 ff.), sowie vertiefter Holle/Keilhoff, IStR 2017, 245 (246 f.). 46 Holle/Krüger in Schnitger/Rasch (Hrsg.), Nationales und internationales Unternehmenssteuerrecht im Fokus, 2022, Kapitel II.11. Rz. 35.

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aa) Verschmelzungen und Spaltungen Für Verschmelzungen und Spaltungen von Kapitalgesellschaften nach den §§ 3–19 UmwStGwurden die Ansässigkeitsanforderungen für Beteiligte in § 1 Abs. 2 UmwStG durch das KöMoG aufgehoben.47 Personell sind damit nun auch alle Rechtsträger bei Umwandlungen in Drittländern erfasst, und zwar ohne Differenzierung zwischen Verschmelzungen und Auf- bzw. Abspaltungen sowie zwischen Umwandlungen innerhalb desselben Drittlands oder außerhalb desselben, dh. grenzüberschreitend. § 12 Abs. 2 KStG wurde damit gegenstandslos und gestrichen. Unberührt bleibt die sachliche Voraussetzung, dass die konkrete Umwandlung nach dem Recht der ausländischen Rechtsordnung mit einer deutschen Umwandlung nach dem UmwG vergleichbar sein muss. Die Neuerungen gelten für Umwandlungen mit steuerlichem Übertragungsstichtag nach dem 31.12.2021.48 bb) Einbringung und Anteilstausch Für die Einbringung und den Anteilstausch gilt dieser Globalisierungstrend, den das KöMoG eingeläutet hat, hingegen nicht. § 1 Abs. 4 UmwStG wurde zwar etwas angepasst, hat inhaltlich jedoch keine Änderung erfahren. Die Gesetzesbegründung dazu ist etwas kryptisch: „Von einer vollständigen Globalisierung des Umwandlungssteuerrechts unter Einbeziehung auch der Regelungen zur Einbringung und zum Anteilstausch (§§ 20 ff. UmwStG) wird abgesehen, da eine aufkommensneutrale einheitliche Regelung (Sicherung des Besteuerungsrechts auf der zweiten Ebene über § 22 UmwStG hinaus) mit Einschränkungen für Einbringende aus EU/EWR-Staaten gegenüber der geltenden Rechtslage verbunden wäre“49. Offenbar befürchtete der Gesetzgeber einen zu weitgehenden Verlust von Steuersubstrat, da bei Einbringungen seit den Änderungen durch das SEStEG das deutsche Besteuerungsrecht am eingebrachten Betriebsvermögen zwar weiter erhalten bleiben muss, dasjenige für die gewährten Anteile dagegen nicht, so dass diese – faktisch allerdings auch erst nach Ablauf der 7-jährigen Sperrfrist des § 22 UmwStG – idR ohne deutsche Steuerfolgen veräußert werden können.50 47 Siehe Art. 3 des Gesetzes zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts (KöMoG), Gesetz v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2050. 48 Siehe § 27 Abs. 18 UmwStG nF. 49 BT-Drucks. 19/28656, 29. 50 Dazu Schneider/Pung, StbJb. 2021/2022, 233 (241 ff.) mwN.

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Die bisherigen Anforderungen bleiben damit nach dem Wortlaut des Gesetzes bestehen; die beteiligten Rechtsträger müssen daher grundsätzlich „europäisch“ sein. Diese Verweigerung der Steuerneutralität für Drittlandsbeteiligte könnte als Verstoß gegen die unionsrechtlich verankerte Kapitalverkehrsfreiheit gewertet werden. Denn einen solchen hatte bereits der EuGH im Verein mit den Folgeentscheidungen des FG Hamburg51 und des BFH52 in einer Einbringungskonstellation in der Rechtssache DMC angenommen; Kernelement der Begründung war, dass eine Steuerverhaftung der stillen Reserven auf Ebene der übernehmenden Gesellschaft für das übertragene Betriebsvermögen als ausreichend angesehen wurde, und eine darüber hinausgehende für die gewährten Anteile nicht für notwendig bzw. gerechtfertigt gehalten wurde.53 Die DMC-Rechtsprechung könnte für die fortbestehende Ungleichbehandlung der Drittlandsbeteiligten in Einbringungsfällen vor allem deswegen relevant sein, weil der EuGH seine Entscheidung nicht auf die nur für EU-Bürger anwendbare Niederlassungsfreiheit in Art. 49 AEUV, sondern auf die auch für Drittstaaten anwendungsbereichseröffnete Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV gestützt hat. Allerdings betraf diese Rechtsprechung das vormalige Anrechnungsverfahren. Inwieweit die Entscheidungen des zwischenzeitlich eingeführten und auf die anteilige Besteuerung des Unternehmensgewinns auf Gesellschafts- und Gesellschafterebene angelegte Halb- bzw. Teileinkünfteverfahren (sog. shareholder relief) weiterhin von Bedeutung sind, wird kontrovers diskutiert.54 Es dürfte daher nur eine Frage der Zeit sein, bis ein entsprechender Fall den EuGH beschäftigen werden wird.

IV. Sachliche Voraussetzung bei Auslandsumwandlungen: Vergleichbarkeit mit UmwG Sachlich verlangt das UmwStG für die Anwendung des UmwStG auf Umwandlungen mit Auslandsbezug, dass die Auslandsumwandlung mit einer Inlandsumwandlung nach dem UmwG „vergleichbar“ ist (§ 1 Abs. 1 und 3 UmwStG). Die Vergleichbarkeitsvoraussetzung existiert

51 FG Hamburg v. 15.4.2015 – 2 K 66/14 (DMC), IStR 2015, 521. 52 BFH v. 30.9.2015 – I B 66/15, GmbHR 2015, 1286 (DMC), IStR 2015, 974. 53 Dazu bereits ausführlicher Schneider/Pung, StbJb. 2021/2022, 233 (243 f.) mwN. 54 Dazu van Lishaut, FR 2023, 289 (291 f.) mwN.

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bereits seit der Reform durch das SEStEG im Jahr 2006 und erfuhr durch das KöMoG keine Änderung.55

1. Abstrakte Kriterien der Vergleichbarkeit Das UmwStG selbst konkretisiert nicht, wann ein ausländischer mit einem deutschen Umwandlungsvorgang vergleichbar ist. Rechtsprechung zum UmwStG liegt insofern bisher, soweit ersichtlich, nicht vor. Die Finanzverwaltung hat ihre Sichtweise auf den Vergleichbarkeits-Test im UmwSt-Erlass breiter beschrieben. Der ausländische Vorgang müsse, um dem Vergleichbarkeitskriterium zu entsprechen „seinem Wesen nach einer Umwandlung iSd. UmwG entsprechen“56. Das soll durch einen Vergleich insbesondere folgender Merkmale erfolgen:57 –

einem Typenvergleich der an der Umwandlung beteiligten Rechtsträger, und insbesondere



einem Vergleich der Rechtsnatur und der Rechtsfolgen der Umwandlung, wobei insbesondere auf die sog. Strukturmerkmale abzustellen ist, wie zB Vermögensübertragung durch Gesamtrechtsnachfolge, Anteilsgewährung, und Auflösung ohne Abwicklung.



Darüber hinaus sollen sonstige Kriterien (wie zB die Höhe maximal zulässiger Zuzahlungen) in die Vergleichbarkeitsprüfung einzubeziehen sein.

Nach dem UmwSt-Erlass ist abzustellen auf den ausländischen Umwandlungsvorgang in seiner konkreten Ausgestaltung, dh. nicht nur auf die abstrakte Rechtslage. Dies eröffnet die Möglichkeit, den Umwandlungsvorgang (soweit das ausländische Recht dies zulässt) möglichst eng an die Rechtslage nach dem deutschen UmwG anzulehnen. Die konkreten Anforderungen an die Vergleichbarkeit sind im UmwStErlass allerdings unterschiedlich eng formuliert: Zum einen findet sich ein enges Verständnis, das mehr nach einer Identitätsprüfung anmutet, wie zB in Rz. 01.25, wo der Erlass fordert, dass der nach ausländischem Umwandlungsrecht abgewickelte konkrete Vorgang auch nach den Re55 Zu diesem Komplex vgl. Prinz, in Prinz/Desens, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 1.35 sowie bereits Schneider/Pung, StbJb. 2021/ 2022, 233 (245 ff.). 56 UmwSt-Erlass v. 11.11.2011, BStBl. I, 1314, Tz. 01.20 ff. So auch die Gesetzesbegründung zum SEStEG, BT-Drucks. 16/2710, 35. 57 So im Wesentlichen auch die Gesetzesbegründung zum SEStEG, BT-Drucks. 16/2710, 35.

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gelungen des UmwG wirksam abgewickelt werden könnte, bzw. dass der Verschmelzungsvertrag mindestens den entsprechenden EU-Richtlinien bzw. dem UmwG entsprechen müsste (s. Rz. 01.31); hierzu gehört auch die Forderung nach einer Gesamtrechtsnachfolge (dazu unten II.). Auf der anderen Seite finden sich auch Formulierungen, die weniger eng sind und im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des Vorgangs zu berücksichtigen sind. So sieht zB Rz. 01.40 für bare Zuzahlungen (die nach dem deutschen UmwG auf 10% des Gesamtnennbetrags der gewährten Geschäftsanteile gedeckelt sind, vgl. § 54 Abs. 4 UmwG) lediglich vor, dass eine Unvergleichbarkeit erst dann (und auch nur) indiziert ist, wenn im Verschmelzungsvertrag festgesetzte bare Zuzahlungen 10% deutlich übersteigen. Für die Praxis wird man wohl davon ausgehen müssen, dass die Finanzverwaltung bei den Strukturmerkmalen ein enges Verständnis anlegt und jedenfalls deren Vorliegen insgesamt fordert58. In der Literatur wird dagegen vielfach eine gewichtete Betrachtung, bei der Merkmale unterschiedlich stark ausgeprägt sein können, abgestellt.59 Im Zuge der „globalisierenden“ Erweiterung auf Nicht-EU/EWR-Staaten wird ggf. ein größeres (Nachweis-)Problem aufgeworfen, denn die Ausweitung auf Drittländer hängt nicht davon ab, ob zB „große Auskunftsklauseln“ mit diesen Staaten existieren. Der angesichts der Kurzfristigkeit der durch die Bundesregierung initiierten Erweiterung des räumlichen Anwendungsbereichs zurückhaltend eingestellte Bundesrat hatte im Gesetzgebungsverfahren noch gefordert, dass zumindest ein effektiver Steuerdatenaustausch mit dem jeweiligen Drittstaat gewährleistet sein muss.60 Der Bundestag nahm diesen Vorschlag aber nicht auf, weil auch bei anderen Begünstigungsregeln (§ 24 UmwStG und § 12 Abs. 2 KStG aF) eine solche Anforderung nicht besteht.61

58 In diesem Sinne Möhlenbrock/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 1 UmwStG Tz. 96 (Dez. 2015). Auch Geils in Haase/ Hruschka, UmwStG2, § 1 Rz. 79 geht davon aus, dass dies keine Gewichtung zulässt. 59 ZB Graw in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 1 Rz. 57; Mückl in BeckOK, UmwStG § 1 Rz. 170; Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl, UmwG/ UmwStG9, § 1 Rz. 35; Prinz, DB 2012, 820 (821 f.). 60 Vgl. BT-Drucks. 19/29642, 10. 61 BT-Drucks. 19/28656, 29.

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2. Relevanz der Gesamtrechtsnachfolge? a) Bisheriger Stand der Diskussion Nicht geklärt ist bisher für das UmwStG, ob für das Bestehen des Vergleichbarkeitstests zwingend erforderlich ist, dass es bei dem ausländischen Umwandlungsvorgang zu einer Gesamtrechtsnachfolge kommt, und insbesondere das zu übertragende Vermögen auf diese rechtliche Weise auf den übernehmenden Rechtsträger übergeht. Nach bisheriger Ansicht der Finanzverwaltung im UmwSt-Erlass war dies bei Verschmelzung, Auf- und Abspaltung sowie bei Ausgliederungen der Fall, auch wenn der Begriff Gesamtrechtsnachfolge dort nicht benutzt wird. So sieht der UmwSt-Erlass in Rz. 01.30 f. vor, dass die Übertragung des gesamten Vermögens aufgrund eines Rechtsgeschäfts kraft Gesetzes erfolgen muss, und insbesondere nicht durch Einzelrechtsnachfolge. Bei Spaltung folgt diese Anforderung aus Rz. 01.34, 01.33. Nach Auffassung der Finanzverwaltung entsprach dies (vor der Globalisierung des UmwStG) den europäischen gesellschaftsrechtlichen Grundlagen, die in ihren Augen ebenfalls von einer Gesamtrechtsnachfolge (Rechtsfolge „ipso iure“) ausgehen sowie der Binnensystematik des zwischen Einzelund Gesamtrechtsnachfolge differenzierenden § 1 UmwStG.62 In der Literatur wird dagegen z.T. davon ausgegangen, dass eine Gesamtrechtsnachfolge nicht zwingend erforderlich ist, jedenfalls wenn das ausländische Recht diese nicht kennt und das Ergebnis der Umstrukturierung dem einer deutschen Umwandlung entspricht.63

62 Vgl. Möhlenbrock/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 1 UmwStG Tz. 103 f. (Dez. 2015). Im UmwSt-Erlass (BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 01.31 und, 01.34) wird insoweit verwiesen auf die Richtlinien 78/855/EWG und 82/891/EWG, die zwischenzeitlich in die neugefasste Richtlinie (EU) 2017/1132 v. 14.6.2017 (dort Titel II) übernommen wurden. 63 ZB Hörtnagl in Schmidt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG9, § 1 Rz. 35; Hahn in Lademann, UmwStG, § 1 Rz. 89 ff.; Werneburg in Haritz/Menner/Bilitewski, UmwStG5, § 1 Rz. 18; Mückl in BeckOK, UmwStG § 1 Rz. 180 und 185; Maetz in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 1 UmwStG Rz. 41 (März 2022); Graw in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 1 Rz. 67; aus der FinVerw. auch Klingebiel/Patt/Rasche/Krause, Umwandlungssteuerrecht4, Tz. 3.1.2.9.1 und 3.1.2.9.3; aA. dagegen ausführlich Möhlenbrock in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 1 UmwStG Rz. 103 ff.

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b) Neue Rechtsprechung des BFH zu US Spin-Offs im Rahmen der Abgeltungsteuer Rechtsprechung zur Vergleichbarkeit nach dem UmwStG ist bisher – soweit ersichtlich – nicht ergangen. Jedoch hat der BFH in 2021 eine Reihe von Urteilen zu § 20 Abs. 4a EStG getroffen. Diese Norm stellt qualifiziert im System der Einkünfte aus Kapitalvermögen bestimmte Vorgänge als steuerneutral, die sonst (zB als Tauschvorgänge) zu Einkünften iSd. § 20 EStG und damit zur Pflicht zur Einbehaltung von Abgeltungssteuer führen könnten. Dies gilt zunächst beim Tausch von Anteilen aufgrund gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen (§ 20 Abs. 4a Satz 1 EStG); abweichend von § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG und § 13 UmwStG gilt im Ergebnis eine Buchwertfortführung, da die die gewährten Anteile an die Stelle der eingetauschten treten. Für Abspaltungen gilt dies seit 2013 nach § 20 Abs. 4a Satz 7 EStG abweichend von (ua.) § 15 UmwStG entsprechend; dieser Satz verwendet nur den Begriff Abspaltung, ohne auf das UmwG zu verweisen noch auf ausländische Vorgänge. Der BFH hatte insbesondere über drei US Spin Offs zu entschieden, dh. Umstrukturierungen von börsennotierten US-Gesellschaften, bei denen diese jeweils Vermögen an eine ihrer Tochtergesellschaften übertrugen und die Anteile an der Tochter dann an ihre (z.T. auch deutschen) Anteilseigner auskehrten (im Verhältnis der jeweiligen Beteiligung an der TopCo), die diese Anteile fortan neben ihren fortbestehenden Anteilen an der US TopCo hielten.64 Die FinVerw. war der Meinung, dass § 20 Abs. 4a Satz 7 EStG für die Gewährung der Anteile an der Tochtergesellschaft nicht greife und daher zu Einkünften aus Kapitalvermögen führe. Der im Gesetz genannte Begriff der „Abspaltung“ erfasse nur solche iSd. deutschen UmwG, nicht aber ausländische Vorgänge sei. Jedenfalls müssten bei ausländischen Vorgängen die „Strukturmerkmale“ einer deutschen Abspaltung vergleichbar sein. Das sei in den entschiedenen Fällen nicht der Fall, weil das betreffende US-Recht (konkret das Gesellschaftsrecht des US-Bundesstaats Delaware) das Rechtsinstitut der Spaltung nicht kenne und der sog. „Spin-Off“ (auch wenn er nach US-Steuerrecht steuerneutral 64 BFH v. 1.7.2021 – VIII R 9/19, BStBl. II 2022, 359 = FR 2021, 1136 = ZIP 2021, 2482 (Hewlett-Packard Inc.); v. 1.7.2021 – VIII R 15/20, BStBl. II 2022, 363 = FR 2021, 1139 m. Anm. Kleinert (Ebay/Paypal); v. 19.10.2021 – VIII R 7/20, BStBl. II 2022, 366 = ZIP 2022, 166 (Kraft Foods).

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möglich sei) nur auf einzelvertraglicher Vereinbarung beruhe; es liege ein zweiaktiger Vorgang vor, nämlich eine Einlage von Vermögenswerten in die Tochtergesellschaft und eine davon zu trennende, erst nachfolgende Sachausschüttung der Anteile an der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft. Der BFH entschied dagegen (wie die Vorinstanz), dass der Tatbestand des § 20 Abs. 4a Satz 7 EStG erfüllt sei. Das Gesetz spreche zwar nur von Abspaltung (und erfasse daher Abspaltungen iSd. § 123 Abs. 2 Nr. 2 UmwG) und sage nichts zur Anwendung auf (vergleichbare) ausländische Vorgänge. Die Norm müsse aber auch für diese gelten, weil sonst ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) vorläge, vorausgesetzt dass der ausländische Vorgang einer deutschen Abspaltung vergleichbar sei, dh. dem Wesen nach einer Abspaltung iSd. UmwG entspreche. Ausreichend sei eine typusorientierte Auslegung, bei der die wesentlichen Strukturmerkmale verglichen werden. Das erfordere (i) eine Übertragung von Vermögen auf einen übernehmenden Rechtsträger (ii) aufgrund Rechtsgeschäfts (iii) gegen Gewährung von Anteilen am übernehmenden Rechtsträger an die Anteilseigner des übertragenden Rechtsträgers, (iv) ohne dass der übertragende Rechtsträger aufgelöst wird.65 Nicht schädlich ist es nach Auffassung des BFH insbes., dass die Vermögensübertragung einzelvertraglich erfolgte und nicht auf Basis einer gesetzlichen Regelung „uno actu“ und mit (wie in Deutschland) partieller Gesamtrechtsnachfolge, wenn die wesentlichen Vorgänge (Übertragung des Vermögens auf die Tochtergesellschaft und Gewährung der Anteile an dieser an die Anteilseigner der TopCo) in einem einheitlichen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang miteinander stehen. Liegt dieser Zusammenhang vor, so ist es nach Ansicht des BFH egal, dass das Ganze bei einer formal-isolierten Betrachtung Teilschritte sind, die man als Einbringung durch die TopCo und eine davon zu trennende Sachausschüttung der von der TopCo erhaltenen (oder bereits gehaltenen) Anteile werten könnte; bei Vorliegen des og. Zusam65 An diesen Voraussetzungen fehlte es dagegen in einer Umstrukturierung nach englischem Recht, die der BFH kurz zuvor entschieden hatte (BFH v. 4.5.2021 – VIII R 17/18 –, BFHE 273, 197 = ZIP 2022, 428, BFH/NV 2021, 1579-1582, „Vodafone“). In diesem erfolgte die Zuteilung von Aktien der das Vermögen erwerbenden Gesellschaft nicht an die unmittelbaren Anteilseigner der übertragenden Gesellschaft, sondern an die Anteilseigner einer mittelbaren Muttergesellschaft. Das sah der BFH nicht mehr als vergleichbar mit einer Abspaltung iSd. UmwG an, da die Aktienzuteilung an die klagenden Anteilseigner „auf einer anderen Beteiligungsebene“ erfolgte.

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menhangs werden diese Teilschritte zu einem Vorgang – nämlich einer Abspaltung – verknüpft. Das explizite Absehen von einer Vermögensübertragung „uno actu“ (dh. einer einheitlichen Vermögensübertragung in einem Akt aufgrund Gesetzes mit einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge) spricht der BFH jedenfalls für Drittstaatsfälle aus; er hält eine solche Forderung für nicht gerechtfertigt, weil dies die Anwendung der Regelung auf Länder begrenze, die eine solche Technik überhaupt kennen, was mit der Kapitalverkehrsfreiheit (Art 63 AEUV) unvereinbar sei; für EU-Fälle lässt er die Frage (weil in diesem US-Fall nicht entscheidungserheblich) offen, insbesondere ob sich engere Anforderungen wegen der Existenz gesellschaftsrechtlicher Regelungen in EU Richtlinien ergebe.66 Den geforderten einheitlichen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang sah der BFH als gegeben an, da die Zuteilung der Aktien an der Tochtergesellschaft an die Anteilseigner der TopCo offenkundig (da von Beginn an beabsichtigt und vorab in Pressemitteilungen bekannt gegeben) den letzten Schritt hin zur gewünschten Zielstruktur darstellte. c) Übertragbarkeit der Grundsätze auf das UmwStG? Da die Entscheidungen „nur“ zum § 20 Abs. 4a EStG ergangen sind, stellt sich die Frage der (unmittelbaren) Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf die Vergleichbarkeitsprüfung nach § 1 UmwStG. In seinen Begründungen verweist der BFH jeweils (bei der Definition der Anforderungen an die Vergleichbarkeit dem Wesen nach und der wesentlichen Strukturmerkmale) explizit auf § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwStG, die Gesetzesbegründung zum UmwStG sowie Kommentierungen zum UmwStG.67 Dies könnte man in dem Sinne verstehen, dass der BFH den Vergleichbarkeits-Test, den er für § 20 Abs. 4a EStG anwendet (sogar ohne, dass dieser dort im Gesetz angesprochen wird), inhaltlich aus demjenigen iSd. UmwStG entwickelt, diese also (offenbar?) identisch sein sollen. Dafür würde insbesondere auch sprechen, dass nicht nur der § 20 Abs. 4a EStG, sondern auch die Regeln des UmwStG für Anteilseigner keine gesicherte Beteiligung voraussetzen, sondern die Umwandlungen auch zwischen unverbundenen oder nur gering verbundenen Unterneh66 BFH v. 1.7.2021 – VIII R 9/19, BStBl. II 2022, 359 = ZIP 2021, 2482 = FR 2021, 1136 Rz. 27 mwN. 67 Vgl. in den Urteilen VIII R 9/19 und VIII R 15/20 jeweils Rz. 21 f., im Urteil VIII R 7/20 Rz. 22 f.

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men möglich sind. Folglich sollte die Kapitalverkehrsfreiheit des Art 63 AEUV – die die Basis dafür bildete, dass der BFH das Erfordernis der Übertragung uno actu mit Gesamtrechtsnachfolge bei Vorliegen des engen sachlich-zeitlichen Zusammenhangs der Schritte in den Entscheidungen zu § 20 Abs. 4a EStG für entbehrlich hielt – in beiden Fällen (also auch im UmwStG) zu beachten seien. Schließlich könnte auch ein Berufen auf ein europarechtlich einheitliches Verständnis der Umwandlungen als solche mit Gesamtrechtsnachfolge68 für das UmwStG fraglich geworden sein, nachdem der Gesetzgeber eine Globalisierung des UmwStG für die §§ 3–19 UmwStG angestrebt hat. Die FinVerw. will die Urteilsgrundsätze auf Abspaltungen iSd. § 15 UmwStG bisher allerdings explizit nicht übertragen. Mit BMF-Schreiben vom 19.5.2022 hat sie einer entsprechenden Übertragung widersprochen und will die Rz. 01.36 des UmwSt-Erlasses 2011 weiter anwenden69. Das dürfte bis auf weiteres insgesamt als ein Festhalten am bisherigen engen Verständnis des Vergleichbarkeit-Test zu werten sein. Offenbar versteht man die Änderungen durch das KöMoG nur als eine Ausweitung des personellen Anwendungsbereichs70, der aber am sachlichen Anwendungsbereichs und dem Verständnis des Vergleichbarkeitstests nichts ändere, und damit auch stets die (von der Finanzverwaltung im UmwSt-Erlass zum damals noch „nur“ europäisierten UmwStG geforderte) Gesamtrechtsnachfolge umfasse. In der Literatur wird dies verbreitet (unter Berufung auf eine sonst vorliegende Verletzung der Niederlassungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit) als zu eng angesehen, jedenfalls wenn die ausländische Jurisdiktion die Gesamtrechtsnachfolge bei der konkreten Umwandlung nicht kennt, aber (wie in den og. Urteilen zu § 20 Abs. 4a EStG) die Umstrukturierung im Übrigen ein vergleichbarer Vorgang ist.71 68 Vgl. oben Fn. 62. 69 BMF v. 19.5.2022 – IV C 2 - S 1978-b/20/10005 :004 – DOK 2022/0206627, BStBl. I 2022, 844. 70 Vgl. BT-Drucks. 19/28656, 28. 71 ZB Mückl in BeckOK, UmwStG § 1 Rz. 180; Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG9, § 1 Rz. 35; Graw in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 1 Rz. 67; ähnlich Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 1 UmwStG Rz. 17; Werneburg in Haritz/Menner/Bilitewski, UmwStG5, § 1 Rz. 18. Möhlenbrock/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 1 UmwStGRz. 104 f. (Dez. 2015) sprachen sich bisher grundsätzlich für das Erfordernis der Gesamtrechtsnachfolge aus, nicht eindeutig nun aber in der Kommentierung zur durch das KöMoG geänderten Rechtslage (Rz. 156b, Dez./2021): Einerseits gehen sie davon aus, dass die

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Für die Unternehmenspraxis ist die unklare Lage bedauerlich. Letztlich ist zu erwarten, dass die Thematik angesichts der zu § 20 Abs. 4a EStG ergangenen Rechtsprechung über kurz oder lang wieder den BFH beschäftigen wird. d) Beispiele vergleichbarer Umwandlungsvorgänge Für die Rechtspraxis wäre es darüber hinaus hilfreich, wenn die Finanzverwaltung – zB in der angekündigten Überarbeitung des UmwSt-Erlasses – bereits (insbesondere im Rahmen von verbindlichen Auskünften) anerkannte vergleichbare Umwandlungen bekanntmachen würde, damit sich die Unternehmen darauf einstellen können.72 Das würde zumindest die Möglichkeit eröffnen, dass uU nicht für jede Auslandsumwandlung die Vergleichbarkeit neu individuell durch eine (kostenpflichtige) verbindliche Auskunft im Vorhinein abgeklärt werden müsste. Im UmwStErlass aus 2011 findet sich bisher nur die Aussage (in Rz. 01.21 UmwStErlass), dass EU-Cross Border Verschmelzungen (§§ 122a ff. UmwG) „grundsätzlich“ vergleichbar seien. Es spricht viel dafür, dass dies auch für die innereuropäischen grenzüberschreitenden Umwandlungen gelten dürfte, die nunmehr nach Umsetzung der EU-Gesellschaftsrechtrichtlinie durch das UmRUG möglich geworden sind, also insbesondere Spaltungen und Formwechsel. Allerdings wäre auch da eine klare Aussage im überarbeiteten UmwSt-Erlass wünschenswert. Innerhalb der EU dürfte die Vergleichbarkeit ohnehin eher wenig Probleme bereiten, da das Umwandlungsrecht nun relativ breit EU-einheitlich harmonisiert ist. Es bleibt allerdings abzuwarten, inwiefern die Ausweitung des räumlichen Anwendungsbereiches in Verbindung mit der bisher restriktiven Auffassung der Finanzverwaltung zur Vergleichbarkeit Probleme hervorrufen wird. Das gilt umso mehr, als wohl eher wenige Drittstaaten-Rechtssysteme die generelle Gesamtrechtsnachfolge kenBFH-Urteile zu § 20 Abs. 4a EStG übertragbar seien, verweisen aber andererseits wegen der praktisch hohen Hürden auf die entsprechende Auffassung von Prinz, FR 2021, 561 (562). 72 Dem Vernehmen nach hat die Finanzverwaltung neben grenzüberschreitenden Verschmelzungen auch zahlreiche Umwandlungen innerhalb der EU als vergleichbar anerkannt, etwa Abspaltungen in Polen (Sp.z.o.o. – Sp.z.o.o.), den Niederlanden (N.V. – B.V.), Frankreich (S.A.S. – S.A.S.) und Österreich, Formwechseln in Luxemburg (S.C.S. – S.à r.l.) und Rumänien (SRL – SCS), Verschmelzungen in Russland (OOO) und der Schweiz (Genossenschaft – GmbH).

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nen. In den USA gilt zB, dass zwar bei Verschmelzungen idR eine solche Gesamtrechtsnachfolge greift, nicht hingegen bei Spaltungen. Im Vereinigten Königreich gelten nur punktuelle Regelung (Verschmelzungen von PLCs), im Übrigen sind mehrstufige Umstrukturierungen erforderlich.

V. Einzelprobleme der Bewertung bei internationalen Umwandlungen 1. Grundprobleme der Buchwertfortführung Bei internationalen (grenzüberschreitenden oder ausländischen) Umwandlungsvorgängen gibt es zahlreiche steuerliche Fragen,73 die hier nur exemplarisch behandelt werden können. Dabei bietet es sich praktisch idR an, nach der „geographischen Richtung“ der Umwandlung zu differenzieren, da praktisch bestimmte Probleme typischerweise bei Outbound-, andere bei Inbound-Transaktionen auftreten. Bei einer Outbound-Umwandlung (zB einer grenzüberschreitenden Verschmelzung einer Inlands- auf eine (zB EU-) Auslandsgesellschaft) stellt sich zentral die Frage, ob die Umwandlung zum Buchwert erfolgen kann, was im Wesentlichen davon abhängt, ob ein bisher bestehendes deutsches Besteuerungsrecht an den Wirtschaftsgütern der übertragenden Gesellschaft ohne Beschränkung erhalten bleibt. Diese Voraussetzung findet sich in allen relevanten Buchwert-Regeln des UmwStG für eine übertragende Gesellschaft.74 Hier sind die Fallkonstellationen zu unterscheiden:75 –

Soweit inländisches Betriebsstättenvermögen übertragen wird (also idR ein volles deutsches Besteuerungsrecht bestand), ist die Voraussetzung erfüllt, wenn dieses auch nach der Verschmelzung einer inländischen Betriebsstätte der übernehmenden Gesellschaft zuzuordnen ist. In diesem Fall ist der deutsche Besteuerungstatbestand gesichert.



Hatte die übertragende Gesellschaft ausländisches Betriebsstättenvermögen, und war insoweit nach dem entsprechenden DBA die

73 Vgl. zB den Überblick bei Förster, DStR 2020, 865 ff. 74 Vgl. zB § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG. 75 Vgl. zB Rödder in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 11 Rz. 276 ff.

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Freistellungsmethode anwendbar, ist die Buchwert-Voraussetzung unproblematisch erfüllt. Da vor der Umwandlung kein deutsches Besteuerungsrecht bestand, kann es auch nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden. –

Nicht erfüllt ist die Bedingung hingegen bei Übertragung eines ausländischen Betriebsstättenvermögens einer Anrechnungsbetriebsstätte im Rahmen einer Outbound-Umwandlung auf eine ausländische Gesellschaft. Denn in diesem Fall wird das (wenn auch nur sachlich beschränkte) deutsche Besteuerungsrecht eingeschränkt, da Deutschland für eine ausländische Betriebsstätte einer ausländischen Gesellschaft kein Besteuerungsrecht mehr hat.76 Vor der Umwandlung war das deutsche Besteuerungsrecht allerdings nur beschränkt, nämlich insoweit als ausländische Steuern auf den ausländischen Betriebsstättengewinn auf die deutsche Steuer anzurechnen waren. Um den Steuerpflichtigen bei der Umwandlung nicht schlechter zu stellen, findet deshalb ggf. eine Anrechnung einer fiktiven ausländischen Steuer statt (§ 3 Abs. 3 UmwStG). Diese Regel ist allerdings nicht allgemein anwendbar, sondern bisher nur auf EUFälle und auch nur soweit die Fusions-Richtlinie anwendbar ist.77



Für den Fall, dass die Steuerverhaftungsbedingung nicht erfüllt ist (also deutsches Besteuerungsrecht durch die Umwandlung entfällt), entsteht eine Steuerbelastung. Hier bedarf es einer genauen Prüfung, wo sich Betriebsstätten befinden, ob mit einem ausländischen Betriebsstättenstaat ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht oder nicht, und welche Wirtschaftsgüter welcher in- oder ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind. Erst dann lässt sich feststellen, ob ein zuvor bestehendes deutsches Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wurde.

Kommt es zu einer Entstrickung und damit einer deutschen Steuerbelastung, stellt sich die Frage, ob es ggfls. zu einem Besteuerungsaufschub kommen kann nach § 4g EStG. Diese Regel ist nach dem Vorbehalt in § 4g Abs. 1 Satz 4 EStG allerdings nicht anwendbar auf Umwandlun-

76 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – VI C 2-S 1978-b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 11.09, 03.19; Förster, DStR 2020, 865 (871). 77 Vgl. zu Einzelfragen Mertgen in Haritz/Menner/Bilitewski, UmwStG5, § 3 Rz. 150 ff.; Martini in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 3 UmwStG Rz. 940; Mutscher IStR 2010, 820 (824).

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gen.78 Deshalb ist grundsätzlich zu differenzieren: Kommt es zur Entstrickung aufgrund der Umwandlung selbst (sog. rechtliche Entstrickung; Realisationszeitpunkt ist dann der steuerliche Übertragungsstichtag), ist § 4g EStG grundsätzlich nicht anwendbar.79 Führt die Umwandlung dagegen noch nicht zur Entstrickung (bspw. soweit eine deutsche Betriebsstätte erhalten bleibt und dieser Wirtschaftsgüter zuzuordnen sind), sondern kommt es zu dieser erst in Folge der Umwandlung (bspw. durch tatsächliche Anpassung nach der Umwandlung die zu einer veränderten Wirtschaftsgüterzuordnung führen80), dann sind die allgemeinen Entstrickungsregeln anwendbar, und § 4g EStG greift dem Grunde nach ein.81 Diese Ungleichbehandlung im Hinblick auf die Möglichkeit des Steueraufschubs wird zT kritisch gesehen; im Schrifttum wird aus unionsrechtlichen Gründen für eine entsprechende Anwendung des § 4g EStG auf die umwandlungssteuerrechtlichen Entstrickungstatbestände plädiert.82 Der EuGH hat in der Rs. A Oy83 im Anwendungsbereich der Fusionsrichtlinie geurteilt, dass eine Schlechterstellung von Umwandlungsvorgängen in der Europäischen Union die Niederlassungsfreiheit verletzt und daher ein Aufschub bei der Beitreibung der Steuer, dh. eine gestaffelte Steuerzahlung, ermöglicht werden muss. Insofern spricht einiges dafür, dass die aktuelle deutsche UmwStG-Regelung nicht diesen unionsrechtlichen Anforderungen entspricht. Bei Inbound-Umwandlungen stellen sich derartige Entstrickungsprobleme nicht, dafür aber uU Fragen hinsichtlich der erstmaligen steuer-

78 Meyer in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, BeckOK EStG, § 4g (Okt. 2022) Rz. 24. 79 Fallgruppen können zB sein Übertragung einer Anrechnungsbetriebsstätte durch Umwandlung auf einen ausländischen Rechtsträger, oder möglicherweise bei Verschmelzung einer reinen Holdinggesellschaft ohne operative Betriebsstätte; vgl. Rödder in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 11 Rz. 279. 80 Vgl. insofern auch BMF v. 11.11.2011 – VI C 2 – S 1978-b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.20. 81 Hier gelten die allgemeinen Entstrickungsregeln und damit auch § 4g EStG, vgl. Hruschka/Hellmann, DStR 2010, 1961 (1964). 82 Siehe dazu Meyer in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, BeckOK EStG, § 4g (Okt. 2022) Rz. 24.1 f.; Rödder in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 11 Rz. 284 ff.; Förster, DStR 2020, 865 (871). 83 EuGH v. 23.11.2017 – C-292/16, ECLI:EU:C:2017:888 (A Oy), ZIP 2018, 867.

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lichen Verstrickung von Betriebsvermögen.84 Gab es zuvor keinerlei deutsches Besteuerungsrecht, besteht kein Bedürfnis für einen Buchwertantrag, so dass die Wirtschaftsgüter bei der deutschen übernehmenden Gesellschaft idR mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind. Gab es dagegen deutsches Betriebsvermögen, ist zur Vermeidung der Besteuerung der stillen Reserven in diesem Fall ein Buchwertantrag angezeigt. Fraglich ist, ob dieser dann einheitlich für das gesamte Vermögen gilt, dh. auch jenes, das bisher nicht verstrickt war. Würde dieses Betriebsvermögen im Rahmen einer normalen Überführung erstmalig verstrickt, käme es in Deutschland zum Ansatz mit dem gemeinen Wert und damit einem steuerfreien Step-up (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG, § 12 Abs. 1a KStG iVm. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Das UmwStG bietet hier selbst keine Antwort. Nach der vorherrschenden Auffassung ist jedenfalls in Fällen der Einbringung bei der erstmaligen Verstrickung der Ansatz des gemeinen Wertes über die allgemeinen Bewertungsregeln des EStG herzustellen, da das Umwandlungssteuerrecht für diesen Fall der erstmaligen Verstrickung gar keine eigenständige Vorschrift vorsieht.85 Für Einbringungen gibt es dafür auch einen entsprechenden Ansatzpunkt in der Gesetzesbegründung zum SEStEG.86 Etwas anders ist die Lage bei der Hineinverschmelzung, denn hier sieht das UmwStG dem Grunde nach eine Wertverknüpfung vor zwischen dem Ansatz beim Übertragenden und beim Übernehmenden, und wenn Ersterer einheitlich den Buchwert wählen müsste, besteht ein Konflikt zu den allgemeinen Verstrickungsregeln, die für die erstmalige Verstrickung den Ansatz zum gemeinen Wert und damit den steuerfreien Stepup vorsehen. Bei einem einheitlichen Buchwert-Ansatz würden dagegen stille Reserven im ausländischen Vermögen zugunsten des deutschen Fiskus verstrickt, andererseits nicht der Übernahmegewinn nach § 12 Abs. 2 UmwStG erhöht (der allerdings nur bei einer Upstream Verschmelzung zu einer realen 5% Steuerpflicht führt). Hier wird vielfach vertreten, dass es beim einheitlichen Wertansatz nach UmwStG bleiben 84 Vgl. zB den Überblick bei Beinert/Scheifele, in Prinz/Desens, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 10.267 ff. 85 Benecke/Beinert, FR 2010, 1120 (1125); Hruschka/Hellmann in Haase/ Hruschka, UmwStG2, § 20 Rz. 119; Förster, DStR 2020, 865; Förster/Wendland, BB 2007, 631 (634). 86 Vgl. BT-Drucks. 16/2710, 43. Danach soll § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG soll „entsprechend“ angewandt werden.

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müsse.87 ZT wird allerdings in der Literatur für einen Ansatz des neu verstrickten Vermögens zum gemeinen Wert plädiert, entweder weil § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG (mangels konkreter Regelung im UmwStG zur Verstrickung) als speziellere Regelung angesehen wird bzw. die Verstrickung als der Umwandlung unmittelbar nachfolgender Vorgang angesehen wird.88 Will man das Problem des einheitlichen Ansatzes vermeiden, müsste ggf. ein zweistufiges Vorgehen erwogen (was nunmehr nach Umsetzung des UmRUG auch grundsätzlich denkbar ist), nämlich erst eine Abspaltung der niederländischen Betriebsstätte zum (in Deutschland) gemeinen Wert sowie anschließender Buchwertverschmelzung der B-BV mit der verbliebenen deutschen Betriebsstätte. Bei der Abspaltung sind allerdings die Folgen für den partiellen Übernahmegewinn iSd. § 15 Abs. 1 iVm. § 12 Abs. 2 UmwStG mit in den Blick zu nehmen.

2. Zuordnung von Betriebsvermögen zu deutschen und ausländischen Betriebsstätten In Umwandlungsvorgängen mit in- und ausländischen Betriebsstätten stellt sich regelmäßig die Frage der Zuordnung der (zu) übertragenden Wirtschaftsgüter, denn diese wirkt sich nicht erst zukünftig bei der Einkünftezuordnung aus, sondern gerade auch bei der Frage, ob oder inwieweit das deutsche Besteuerungsrecht beschränkt oder ausgeschlossen wird. Als Maßstab für die Zuordnung galt vor Umsetzung des Authorised OECD Approach (AOA) in deutsches Recht mit Wirkung ab dem 1.1.2013 grundsätzlich das Veranlassungsprinzip, wobei der BFH grundsätzlich eine funktionsorientierte Betrachtung anlegte anhand der in den einzelnen Betriebsstätten entfalteten betrieblichen Tätigkeiten.89 Seit der Umsetzung des AOA richtet sich die Wirtschaftsgüterzuord-

87 Vgl. zB Möhlenbrock/Werner/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 3 UmwStG Rz. 113 mwN (Dez. 2021); van Lishaut in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 4 UmwStG Rz. 43. 88 Dazu Klingberg/Nitzschke, Ubg 2011, 451 (457); Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, 2013, Rz. 8.311; Schaumburg/Häck in Schaumburg (Hrsg.), Internationales Steuerrecht4, Rz. 20.96: befürwortet Ansatz zum gemeinen Wert, um Risiko der Doppelbesteuerung zu minimieren (Entstrickung im ausländischen Staat und später im tatsächlichen Verkaufsfall in Deutschland); Förster, DStR 2020, 865 (874). 89 BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, ECLI:DE:BFH:2017:U.291117.IR58.15.0, BFHE 260, 209 = GmbHR 2018, 480 = FR 2018, 558 Rz. 27 mwN.

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nung (jedenfalls grundsätzlich) nach den Vorgaben in § 1 Abs. 5 Satz 3 und Abs. 6 AStG und der (ab 2015 geltenden) Betriebsstätten-Gewinnaufteilungsverordnung (BsGaV).90 a) Zuordnungsgrundsätze: Personalfunktionsbasierter Ansatz Für die steuerliche Zurechnung von Einkünften ist bei mehreren Betriebsstätten seitdem grundsätzlich zunächst das Funktions- und Risikoprofil der Betriebsstätte zu ermitteln, und dann primär anhand der ermittelten Personalfunktionen eine Zuordnung von Wirtschaftsgütern (sowie Chancen und Risiken) vorzunehmen (§ 1 Abs. 5 Satz 2 f. AStG, § 1 Abs. 1, 2 BsGaV). Bislang liegt keine Verlautbarung der Finanzverwaltung vor, ob die früher vertretene These von der Zentralfunktion des Stammhauses nach Inkrafttreten dieser Regelungen zum AOA bzw. der BsGaV insbesondere zur Beurteilung einer Entstrickung im Rahmen von Umwandlungsvorgängen überholt sein sollen.91 Dazu ein Beispiel:92 Eine GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung in Köln bringt eine deutsche Betriebsstätte zur Gründung eines Forschungs-Joint Venture in eine französische S.à r.l. ein; zur Betriebsstätte gehörten bisher entsprechende immaterielle Wirtschaftsgüter (IP) sowie die Beteiligung an einem Start-Up. § 20 UmwStG wäre für die Einbringung grundsätzlich anwendbar, da die S.à r.l. eine EU-Gesellschaft iSd. § 1 Abs. 4 Nr. 1 UmwStG darstellt. Wenn die deutsche Betriebsstätte erhalten bleibt (wovon grundsätzlich auszugehen ist), ist die Buchwertfortführung nach § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG grundsätzlich möglich, da wegen der fortbestehenden Betriebsstätte Deutschland insoweit das Besteuerungsrecht behält. 90 Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten nach § 1 Abs. 5 des Außensteuergesetzes (Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGaV). 91 Zur Aufgabe der Zentralfunktionen-These vgl. Förster, DStR 2020, 865 (869); Wassermeyer, IStR 2012, 277 (280); ähnlich Schönfeld, IStR 2011, 497 (501); G. Kraft in Kraft/Edelmann/Bron, Umwandlungssteuergesetz2, § 2 Steuerliche Rückwirkung, Rz. 79; Weidmann in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten Handbuch2, Umwandlungen; auf mögliche Änderungen hins. Rz. 03.20 Satz 2 UmwSt-Erlass v. 11.11.2011, BStBl. I, S. 1314 hinweisend van Lishaut in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 2 UmwStG Rz. 165. 92 Nach Förster, DStR 2020, 865.

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Fraglich ist jedoch, ob alle bisher der deutschen Betriebsstätte (Teilbetrieb) zuzuordnenden Wirtschaftsgüter ihr weiter zuzurechnen sind. Sofern es auf die Zentralfunktion des Stammhauses nicht (mehr) maßgeblich ankommen sollte, ist grundsätzlich eine funktionsbasierte Zuordnung primär auf Basis der Personalfunktionen vorzunehmen. Zu überprüfen wäre hier folglich, ob in der Betriebsstätte im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit relevante Personalfunktionen ausgeübt und entsprechende Risiken übernommen werden. Für IP ist die Personalzuordnung primär im Hinblick auf die Schaffung des IP vorzunehmen (hier bereits erfolgt) bzw. subsidiär hinsichtlich Nutzung, Verwaltung, Weiterentwicklung, Schutz, Veräußerung des immateriellen Wirtschaftsgutes (vgl. § 6 Abs. 1, 2 BsGaV). Für die Beteiligung an dem Start-Up ist maßgeblich, welche Personalfunktion für die Nutzung der Beteiligung maßgeblich ist; diese ergibt sich wiederum aus der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte (§ 7 Abs. 1 BsGaV). b) Zuordnungskriterien bei personallosen Betriebsstätten Umstritten ist spätestens seit Inkrafttreten des AOA die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Einkünften bei sog. „personallosen Betriebsstätten“, wie zB Servern, Pipelines, automatischen Lagern, Wind- oder Solaranlagen, oder ähnlichem. Diese stellen jedenfalls Betriebsstätten iSv. § 12 AO und auch Art. 5 OECD-MA dar, da für deren Begründung eine feste Geschäftseinrichtung notwendig ist, aber grundsätzlich kein ihr zuzuordnendes Personal. Würde man den Betriebsstätten Wirtschaftsgüter und auch Einkünfte nur (entsprechend der Grundregel des § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG und den og. Vorschriften der BsGaV) anhand der Personalfunktion zuordnen, führt dies bei personallosen Betriebsstätten konsequent angewendet dazu, dass ihr eben nichts zuzuordnen wäre. Die Begründung einer Betriebsstätte und die Zuordnung von ua. Wirtschaftsgütern und Einkünften wären dann offensichtlich nicht abgestimmt.93 Die OECD hielt daher in ihrem Bericht über die Zurechnung von Gewinnen zu Betriebsstätten94 aus 2010 bei personallosen Betriebsstätten eine Zuordnung der Wirtschaftsgüter anhand der Nutzung für grundsätzlich angezeigt. Das BMF hat sich mittlerweile dieser Auffassung an93 Wassermeyer/Baumhoff u.a./Ditz/Greinert in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/ Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz. 2939.3. 94 www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/attributes-of-profits-permanent-establish ments-german.pdf, dort Tz. 66 und insbesondere 75.

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gepasst; während die BsGaV zunächst ausschließlich auf die Personalfunktionen abstellte, hat sie die BsGaV mittlerweile ergänzt in dem Sinne, dass in diesen Fällen eine andere Zuordnung erforderlich sein kann (entsprechend dem angepassten § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 AStG).95 Als Konsequenz können personallosen Betriebsstätten Wirtschaftsgüter (und basierend darauf grundsätzlich auch Gewinne anteilig) zugeordnet werden.96 Der BFH stellte wie gesagt bisher grundsätzlich auf die wirtschaftliche Zugehörigkeit der Wirtschaftsgüter zu der in der einzelnen Betriebsstätte entfalteten betrieblichen Tätigkeit ab.97 In einem neueren AdV-Verfahren98 bekräftigte er ebenfalls, dass der AOA keine vollständige Änderung gebracht hat, aufgrund derer ausschließlich auf Personalfunktionen als Zuordnungsmaßstab abzustellen ist. In dem Verfahren war streitig, ob es bei einer in Deutschland belegenen personallosen Betriebsstätte (im Streitfall eine Windkraftanlage) in 2013 wegen der erstmaligen Anwendbarkeit des AOA nach § 1 Abs. 5 AStG zu einem steuerpflichtigen Entstrickungsgewinn kommen konnte, weil die Wirtschaftsgüter mangels inländischen Personals vollständig der ausländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen waren. Der BFH gewährte die AdV, da er ausreichende ernsthafte Zweifel sah, die er mit mehreren Ansätzen begründete. Er ließ insbesondere wie bisher den wirtschaftlichen Veranlassungszusammenhang genügen99, der aufgrund der Nutzung der Anlage in Deutschland anzuneh95 BMF v. 17.12.2019 – IV B 5 - S 1341/19/10010 :003 – DOK 2019/1018207, BStBl. I 2020, 84. 96 Speziell wegen der Existenz personalloser Betriebsstätten wurde mit Wirkung ab dem 1.1.2016 der Begriff des Inlands auf die ausschließliche Wirtschaftszone ausgedehnt, um ua. die Energieerzeugung aus Wasser, Strom und Wind besteuern zu können (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b EStG; § 1 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b KStG; § 2 Abs. 7 Satz 1 Buchst. b GewStG). Ziel dieser Regelung war die Vermeidung steuerlicher Vorteile ausländischer Steuerpflichtiger im Offshore-Bereich im Vergleich zu inländischen Steuerpflichtigen (vgl. Hruschka in Seer/Lüdicke/Rasch (Hrsg.), Globalisiertes Steuerrecht – Anspruch und Verantwortung. FS Kroppen, 2020, S. 438). 97 Vgl. BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, ECLI:DE:BFH:2017:U.291117.IR58.15.0, BFHE 260, 209 = GmbHR 2018, 480 = FR 2018, 558 Rz. 27 mwN.; v. 24.11.2021 – I B 44/21 (AdV), BStBl. II 2022, 431. 98 BFH v. 24.11.2021 – I B 44/21 (AdV), BStBl. II 2022, 431; dazu zB Leich/Nowak, IStR 2022, 281; Quilitzsch/Licht/Seibert, Ubg 2022, 333 (334); Bendlinger, SWI 2022, 284 ff. 99 Vgl. BFH v. 27.11.2017 – I R 58/15, BFHE 260, 209 = GmbHR 2018, 480 = FR 2018, 558 Rz. 27 mwN.

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men war; eine Änderung durch das Inkrafttreten des AOA hielt er für zweifelhaft (was im AdV-Verfahren genügte), ua. weil § 1 Abs. 5 AStG als Einkünftekorrekturnorm nicht für die allgemeine Gewinnermittlungsregel des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG gelte oder auf diese ausstrahle, und er zudem auch allgemein Zweifel an der Zuordnung rein nach Personalfunktionen äußerte, wobei er sich auf den erwähnten OECD-Betriebsstättenbericht aus 2010 und die mittlerweile auch selbst geänderte Verwaltungsauffassung bezog. Endgültig entschieden ist weder dieser Fall noch generell die Fragen der Wirtschaftsgüterzuordnung in diesen Fällen oder auch allgemein bei Umwandlungen;100 die weitere Entwicklung ist abzuwarten.

VI. Änderungen beim Rechtstypenvergleich bei ausländischen Umwandlungen Zum 1.1.2024 wird sich das Personengesellschaftsrechts an vielen (zT auch grundlegenden) Stellen ändern aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG)101. Die direkten oder indirekten Auswirkungen auf das Steuerrecht werden deshalb seit einiger Zeit diskutiert.102 Änderungen könnten sich auch im internationalen Bereich (mit uU Auswirkungen auf die konkrete Anwendung des UmwStG) ergeben, sofern sich die Änderungen des MoPeG auf den sog. Rechtstypenvergleich auswirken würden.

100 Vgl. im Überblick Wassermeyer/Baumhoff u.a./Ditz/Greinert in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz. 2939.5. Dies gilt nicht nur für die Frage der Wirtschaftsgüter-Zuordnung, sondern auch der erst folgenden Gewinnzuordnung; dazu zB Hruschka in Seer/Lüdicke/ Rasch (Hrsg.), Globalisiertes Steuerrecht – Anspruch und Verantwortung. FS Kroppen, 2020, S. 438 ff. 101 Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436. 102 Dazu zB Prinz, FR 2022, 61 ff.; Möhlenbrock/Haubner, FR 2022, 53 ff.; Stöber, GmbHR 2022, 967 ff. Zur Reform der Besteuerung der Personengesellschaft und ihrer Gesellschafter insgesamt Prinz, DB 2022, 11 ff. Im BMF arbeitet man dem Vernehmen nach an einem Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Abgabenordnung und anderer Steuergesetze an die Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG-Steueranpassungsgesetz).

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1. Allgemeine Anforderungen an den Rechtstypenvergleich Ob ein ausländisches Rechtsgebilde für die deutsche Besteuerung als Kapital- oder Personengesellschaft zu behandeln ist (mit zB Folgen für die Anwendung des UmwStG) erfolgt seit langem durch den sog. Rechtstypenvergleich, der auf dem „Venezuela-Urteil“ des RFH aus dem Jahr 1930 beruht.103 In der Praxis werden dazu die Kriterien aus dem sog. LLC-Schreiben des BMF104 angewendet. Die Finanzverwaltung stellt dabei auf eine Reihe von Kriterien ab, die aus deutscher Sicht jeweils eher für die eine oder andere Gesellschaftsform sprechen. Maßgebend sollen sein die zentralisierte Geschäftsführung (pro Kapitalgesellschaft: Fremdorganschaft), eine beschränkte Haftung (pro Kapitalgesellschaft, wenn kein Gesellschafter persönlich haftet), die freie Übertragbarkeit der Anteile (pro Kapitalgesellschaft), die Zuteilung der Gewinne (für Kapitalgesellschaften erfordert dies grundsätzlich einen separaten Beschluss, bei Personengesellschaften erfolgt die Gewinnzurechnung automatisch), die Kapitalaufbringung (bei Kapitalgesellschaften sind von den Gesellschaftern zwingend Einlagen zu leisten), die unbegrenzte Lebensdauer der Gesellschaft bei Kapitalgesellschaften, die Gewinnverteilung bei Kapitalgesellschaften nach Anteil und bei Personengesellschaften nach Köpfen, die formalen Gründungsvoraussetzungen (bei Kapitalgesellschaften ist eine Registrierung erforderlich) sowie sonstige Kriterien. Nach dem LLC-Schreiben ist mittels eines wertenden Vergleiches zu ermitteln, ob die ausländische Gesellschaft eher einer deutschen Kapitalgesellschaft oder einer Personengesellschaft vergleichbar ist. Dabei kommt es auf eine gewichtete Gesamtbildbetrachtung der wesentlichen Strukturmerkmale an. Im Zweifel ist von einer Kapitalgesellschaft auszugehen, wenn die Mehrheit der ersten fünf Merkmale für eine Kapitalgesellschaft spricht.

2. Änderungen an den Vergleichskriterien durch das MoPeG Durch das MoPeG ergeben sich eine Reihe von Änderungen, die auch die Kriterien für den Rechtstypenvergleich tangieren, wobei diese – soviel vorab – uE letztlich keine wesentliche Änderung für den Test mit sich bringen sollten (dazu unten 3.).

103 RFH v. 12.2.1930 – VI A 899/27, RFHE 27, 73. 104 BMF v. 19.3.2004 – S 1301 USA – 22/04, BStBl. I 2004, 411; dazu zB Lemaitre/ Schnittker/Siegel, GmbHR 2004, 618 ff.

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Mit dem MoPeG wird das Gesamthandsprinzip bei Personengesellschaften aufgegeben.105 Das BGB wandelt damit sein Leitbild von der nichtrechtsfähigen Gesamthandsgemeinschaft und bestimmt in Einklang mit der Grundentscheidung des BGH aus dem Jahr 2001106 in § 705 BGB nunmehr, dass die Gesellschaft Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen kann, wenn sie nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen soll; eine solche Gesellschaft wird definiert als rechtsfähige Personengesellschaft.107 Die Gesellschaftsform der nichtrechtsfähigen Innengesellschaft ist in § 740 BGB beschrieben. Die Frage der Aufgabe des Gesamthandsprinzips wirft eine Reihe steuerlicher Fragen auf, insbesondere bzgl. § 39 Abs. 2 AO und die Grunderwerbsteuer (dort insbesondere §§ 5–7), dürfte für den Rechtstypenvergleich aber wenig relevant sein.



Hinsichtlich der zentralisierten Geschäftsführung wurden durch das MoPeG eine eigenständige Regelung bei Personengesellschaften für die Geschäftsführung (Innenverhältnis) und die Vertretung (Außenverhältnis) geschaffen, aber es bleibt Gesamtgeschäftsführung bzw. der gemeinsamen Befugnis zur Vertretung aller Gesellschafter der GbR. Daher bleibt die Selbstorganschaft durch die unbeschränkt haftenden Gesellschafter weiterhin der gesetzliche Normalfall einer Personengesellschaft, so dass dieses Abgrenzungskriterium für den Rechtstypenvergleich unverändert angewendet werden kann.108



Ebenfalls ändern sich in den §§ 721–721b BGB gewisse Vorschriften zur persönlichen Haftung der Gesellschafter einer GbR (es wird ua. Bezug auf die Vorschriften im OHG-Recht genommen). Allerdings bleibt es beim grundlegenden Fortbestand der persönlichen Haftung (die nunmehr in § 721 BGB ausdrücklich geregelt wird), so dass keine Neubewertung dieses Kriteriums angezeigt ist.109



Die freie Übertragbarkeit von Gesellschaftsanteilen ist ein Merkmal für eine Körperschaft, während bei Personengesellschaften eine Übertragung entweder gar nicht möglich sein soll bzw. dafür die Zustimmung der Mitgesellschafter erforderlich ist. Die Änderungen im

105 106 107 108 109

Dazu Möhlenbrock/Haubner, FR 2022, 53 ff. BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = ZIP 2001, 330. Hermanns, DNotZ 2022, 3 (4 f.). Linn/Maywald, IStR 2021, 825 (828). Linn/Maywald, IStR 2021, 825 (828).

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MoPeG und im KöMoG sollten an der (eingeschränkten) Anwendbarkeit dieses Kriteriums nichts ändern.110 –

Durch das MoPeG erfolgen Änderungen bei der Gewinnverteilungsvorschrift in § 120 Abs. 2 HGB; ua. wird in § 122 HGB nunmehr grundsätzlich von einer Vollausschüttung ausgegangen. An der bislang vorgesehenen automatischen Zuweisung der Gewinn- und Verlustanteile ändert sich aber nichts; insbesondere ist vom Gesetz her grundsätzlich weiter kein gesonderter Beschluss über die Ergebnisverwendung notwendig.111



Kapitalgesellschaften sind dazu verpflichtet, Gesellschaftskapital durch eine Einlage aufzubringen, während diese Pflicht bei Personengesellschaften nicht besteht. Das BMF sieht als Indikator für das Vorliegen einer Personengesellschaft an, dass auf eine Einlage verzichtet wird bzw. die Einlage in Form von Dienstleistungen erbracht werden dürfen.112 Weder durch das MoPeG noch durch das KöMoG ist es daher zu einer direkten Änderung der Eigenkapitalanforderungen gekommen. Ob das Kriterium noch sinnvoll ist, nachdem mittlerweile auch eine Kapitalgesellschaft in Form der UG mit einem Stammkapital von EUR 1 gegründet werden kann, ist eine andere Frage.113



Bislang galt bei der GbR der Grundsatz, dass die Gesellschaft bei Ausscheiden eines Gesellschafters aufgelöst wird (vgl. zB § 727 Abs. 1 für den Tod eines Gesellschafters und § 728 Abs. 1 BGB für die Insolvenz). Dies wird nunmehr durch die Neuregelungen in §§ 723 ff. BGB nF umgekehrt, dh. die GbR bleibt (wie auch heute bereits die OHG und KG, vgl. § 131 Abs. 3 HGB für die OHG) grundsätzlich bestehen und nur der Gesellschafter scheidet aus, sofern der Gesellschaftsvertrag nichts anderes regelt. Dieses Kriterium hat daher künftig keine wirkliche Unterscheidungskraft mehr für den Rechtstypenvergleich.114



Das LLC-Schreiben sieht bei der Gewinnverteilung den Unterschied zwischen den Gesellschaften darin, dass diese bei Kapitalgesellschaf-

110 Linn/Maywald, IStR 2021, 825 (828). 111 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG), Stand: 8.1.2021, S. 283. 112 Linn/Maywald, IStR 2021, 825 (829). 113 Dagegen („keine wesentliche Bedeutung mehr“) Linn/Maywald, IStR 2021, 825 (829) mwN. 114 Linn/Maywald, IStR 2021, 825 (829).

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ten prozentual nach Gesellschaftsanteilen erfolgt, während sie bei Personengesellschaften nach dem gesetzlichen Leitbild (vgl. § 121 HGB) zwar zunächst nach Kapitalanteilen erfolgt, dann aber nach Köpfen. In der Praxis findet sich die Kopfverteilung allerdings äußerst selten. Das Kriterium war daher bereits jetzt wenig unterscheidungs- und damit praxistauglich. Nach der Neuregelung in § 709 Abs. 3 BGB nF (die auch für die OHG gilt, vgl. § 120 Abs. 1 S. 2 HGB nF) wird dies geändert, und es kommt nunmehr primär auf das Anteilsverhältnis an; nur hilfsweise ist die Beitragsquote relevant und nur ausnahmsweise (höchsthilfsweise) eine Verteilung nach Köpfen. Damit ist jetzt grundsätzlich auch für die GbR grundsätzlich ein kapitalistischer Verteilungsschlüssel anwendbar. Damit verliert allerdings auch dieses Merkmal seine Unterscheidungskraft für den Typenvergleich.115 –

Die Notwendigkeit einer Registrierung in einem öffentlichen Register soll nach dem LLC-Schreiben ein Merkmal einer Körperschaft sein, da das Aufsetzen einer Personenhandelsgesellschaft grundsätzlich bereits durch Abschluss des Gesellschaftsvertrags erfolgen kann. Durch das MoPeG wird jetzt (§ 707 ff. BGB nF) ein neues Register für die GbR etabliert, die Eintragung ist jedoch weder konstitutiv noch sonst nicht verpflichtend.116 Insofern ändert sich nichts Wesentliches an diesem Kriterium.

3. Schlussfolgerungen: Keine wesentlichen Änderungen an den Testkriterien Auch wenn es im Personengesellschaftsrecht zu vielen Änderungen kommt, ändert sich an den für den Rechtstypenvergleich anwendbaren Kriterien, und insbesondere den nach dem Schreiben besonders wichtigen ersten 5 Kriterien, eher wenig. Insofern ist festzustellen, dass auch mit keiner relevanten Änderung für den Rechtstypenvergleich zu rechnen ist.117 Die große materielle Änderung der letzten Jahre bei der Besteuerung von Personengesellschaften war die Einführung einer Optionsmöglichkeit durch das KöMoG (§ 1a KStG), so dass sich Personen(handels)gesell115 So zu Recht Linn/Maywald, IStR 2021, 825 (830) mwN. 116 Ausführlich Hermanns, DNotZ 2022, 3 (5 ff.). 117 So zu Recht Linn/Maywald, IStR 2021, 825 (830); Möhlenbrock/Haubner, FR 2022, 53 (55).

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schaften jetzt ertragsteuerlich wie eine Kapitalgesellschaft behandeln lassen können, aber nicht umgekehrt. Materiell wurde dadurch die Unterscheidung zwischen Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften für steuerliche Zwecke aufgeweicht, aber nicht aufgehoben. Die Möglichkeit der vollen Wahlfreiheit (nach Art der US Check the box Regeln) würde einen Typenvergleich basierend auf traditionellen Merkmalen eigentlich obsolet werden lassen.118 So weit ist es allerdings nicht gekommen, und deshalb wird bis auf Weiteres der Rechtstypenvergleich in der Praxis weiter genutzt werden müssen. Eine wesentliche Beeinflussung der Kriterien hat sich, wie dargelegt, weder durch das MoPeG noch das KöMoG ergeben.

VII. Steuerlicher Übertragungsstichtag bei Auslandsumwandlungen Der steuerliche Übertragungsstichtag ist für Umwandlungen von erheblicher Bedeutung, weil an diesem für die beteiligten Rechtsträger idR die wesentlichen Rechtsfolgen eintreten. Für inländische Umwandlung ist grundsätzlich klar, wie er zu ermitteln ist, bei ausländischen dagegen weniger.

1. Deutsche Umwandlungen Die Grundregel für die Bedeutung des steuerlichen Übertragungsstichtag enthält § 2 Abs. 1 UmwStG: das Einkommen und das Vermögen der übertragenden Körperschaft sowie des übernehmenden Rechtsträgers sind nämlich so zu ermitteln, als ob das Vermögen der Körperschaft mit Ablauf des Stichtags der Bilanz, die dem Vermögensübergang zugrunde liegt (steuerlicher Übertragungsstichtag), ganz oder teilweise auf den übernehmenden Rechtsträger übergegangen wäre. Die Umwandlung gilt daher steuerlich als an diesem Tag zwischen den beteiligten Rechtsträgern vollzogen. Zu diesem Zeitpunkt findet der steuerliche Vermögensübergang statt, evtl. werden Übertragungsgewinne realisiert, und die Erzielung der steuerpflichtigen Einkünfte findet von nun an durch den Übernehmer statt. Der steuerliche Übertragungsstichtag ist manchmal auch für den Anwendungszeitpunkt etwaiger Rechtsänderungen relevant; so sind die Regeln des UmwStG für Umwandlungen mit Rechtsträgern außerhalb 118 Linn/Maywald, IStR 2021, 825 (830).

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von EU/EWR Teilglobalisierung, siehe oben C.II.2) anwendbar, wenn der steuerliche Übertragungsstichtag nach dem 31.12.2021 liegt (§ 27 Abs. 18 UmwStG) Der konkrete steuerliche Übertragungsstichtag bestimmt sich bei Umwandlungen iSd. §§ 3–19 UmwStG nach § 2 Abs. 1 UmwStG nach dem Bilanzstichtag „der Bilanz, die dem Vermögensübergang zu Grunde liegt“. Diese Formulierung (die aus sich heraus nicht unbedingt direkt verständlich ist) stellt bei Umwandlungen nach dem UmwG auf die handelsrechtliche Schlussbilanz des übertragenden Rechtsträgers ab, die der Anmeldung einer Umwandlung zum Handelsregister zwingend beizufügen ist (§ 17 Abs. 2 UmwG, der auch bei der Spaltung gilt, § 125 UmwG).119 Der Stichtag dieser Bilanz darf nach dem UmwG im Zeitpunkt der Anmeldung höchstens acht Monate zurückliegen (§ 17 Abs. 2 Satz 2 UmwG; in 2020 und 2021 galten wegen COVID-bedingter Ausnahmen 12 Monate). Darüber ergibt sich indirekt – über die Anknüpfung an diese handelsrechtliche Bilanz und ihre Fristenregelung – die steuerliche maximale Rückwirkungsfrist von grundsätzlich 8 Monaten;120 diese ist bei den Umwandlungen nach den §§ 3–19 UmwStG zwingend, wohingegen bei Einbringungen ein Wahlrecht besteht zwischen diesem rückwirkenden Bilanzstichtag oder dem Zeitpunkt des tatsächlichen Vermögensübergangs (§ 20 Abs. 6 Satz 1, 2 UmwStG). Der steuerliche Übertragungsstichtag ist zu unterscheiden von dem Umwandlungsstichtag iSd. § 5 Abs. 1 Nr. 6 UmwG. Nach dieser Norm muss der Verschmelzungsvertrag den Zeitpunkt, von dem an die Handlungen der übertragenden Rechtsträger als für Rechnung des übernehmenden Rechtsträgers vorgenommen werden (sog. Verschmelzungsstichtag) enthalten. Die beiden Stichtage sind nicht identisch, aber nach h.M. folgen sie einander unmittelbar – ist der Umwandlungsstichtag nach dem UmwG der 1.1. des Jahres 01, ist die Übertragungsbilanz auf

119 Hörtnagl, in Schmitt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG9, § 2 UmwStG Rz. 18; Slabon in Haritz/Menner/Bilitewski, UmwStG5, § 2 Rz. 40; zum UmwStG 1995 bereits BFH v. 24.4.2008 – IV R 69/05, BFH/NV 2008, 1550 = GmbHR 2008, 1051. 120 Praktisch kann der steuerliche Rückwirkungszeitraum länger sein als 8 Monate, denn für die 8-Monatsfrist reicht die rechtzeitige Anmeldung; erfolgt die Eintragung (und damit die Wirksamkeit der Umwandlung) erst später, umfasst der Rückwirkungszeitraum die Zeit zwischen steuerlichem Übertragungsstichtag und dem Tag der maßgeblichen Eintragung im Handelsregister.

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den 31.12.2000 aufzustellen.121 Materiell ist damit der steuerliche Übertragungsstichtag und die Rückwirkungsfrist deckungsgleich mit der handelsrechtlichen „für Rechnung“-Periode (wirtschaftliche Rückwirkung).

2. Ausländische Umwandlungen Bei internationalen Umwandlungen, bei denen das UmwG nicht für den übertragenden Rechtsträger gilt (also rein ausländische Umwandlungen oder grenzüberschreitende Inbound-Umwandlungen122), ist § 2 Abs. 1 UmwStG zwar grundsätzlich anwendbar, geht aber mit seiner verklausulierten Anknüpfung an die Bilanz iSd. § 17 Abs. 2 UmwG ins Leere und ist daher unklar. Man könnte hier auf verschiedene Zeitpunkte abstellen, nämlich einen ausländischen Bilanzstichtag, sofern im Ausland eine solche Bilanz zu erstellen ist und eine vergleichbare Wirkung hat wie bei Umwandlungen nach dem UmwG, den Tag der rechtlichen Übertragung des Vermögens bzw. der Wirksamkeit der Umwandlung, oder einen ausländische wirtschaftlichen Abgrenzungsstichtag, wenn dieser von den beiden vorhergehenden abweicht. Die Finanzverwaltung spricht im UmwSt-Erlass von einer „entsprechenden Anwendung“ der Regeln zu den deutschen Umwandlungen und dass sich der „handelsrechtliche Umwandlungsstichtag“ regelmäßig dem Umwandlungsvertrag entnehmen ließe.123 Bei der Hereinumwandlung oder einer Auslandsumwandlung mit inländischem Vermögenwerten wird z.T. (wie bei einer inländischen Umwandlung) auf den Stichtag der Bilanz nach ausländischem Gesellschaftsrecht abge-

121 So insbesondere BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 02.02; ebenso Hörtnagl in Schmitt/ Hörtnagl, UmwG/UmwStG9, § 5 UmwG Rz. 37 mwN. zum Meinungsstand. 122 Auch bei einer grenzüberschreitenden Hinaus-Umwandlung (Outbound) mit einer inländischen übertragenden Körperschaft (bisher gem. §§ 122a ff. UmwG aF, nunmehr §§ 305 ff. UmwG nF) hat die übertragende Körperschaft eine Schlussbilanz nach § 17 Abs. 2 UmwG vorzulegen, auf die abzustellen ist; vgl. van Lishaut in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 2 Rz. 148; Hörtnagl, in Schmitt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG9, § 2 UmwStG Rz. 109. 123 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 02.07.

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stellt;124 die Rückbeziehungsfrist richtet sich dann auch nach der ausländischen Rechtsordnung und ist ggf. länger oder kürzer als die inländische Frist von acht Monaten.125 Kennt die Rechtsordnung hingegen keine dem Vermögensübergang zugrunde liegende Bilanz, so sei auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Umwandlung abzustellen.126 Ferner könnte danach differenziert werden, ob das ausländische Recht auch auf eine Bilanz abstellt, und diese im Rahmen der Umwandlung einen vergleichbare Wirkung hat wie im deutschen Umwandlungsrecht, nämlich den Endpunkt des alleinigen Wirtschaftens des übertragenden Rechtsträgers und den Startpunkt der „für-Rechnung-Periode“ wie im deutschen UmwG markiert; fehlt diese Wirkung – zB weil es diese wirtschaftliche Rückwirkung gar nicht gibt, oder der Beginn dieser Periode nicht durch den Bilanzstichtag geprägt wird, sondern durch einen separat festgelegten Stichtag, dann kann dies dafür sprechen, nicht auf den Bilanzstichtag abzustellen, sondern eben auf den (dann idR explizit im ausländischen Übertragungsvertrag oder -plan) festgelegten separaten wirtschaftlichen Abgrenzungsstichtag. Hier verbleibt insofern eine gewisse Unsicherheit (oder auch Gestaltungsmöglichkeit), je nach ausländischem Recht. Zudem erfasst der UmwSt-Erlass diese Fallgruppe nicht explizit, so dass im Einzelfall eine Abstimmung mit der Finanzverwaltung naheliegen dürfte.

3. Beispiel aus der Praxis Die Anwendung der entsprechen Regeln spielte auch bereits eine Rolle in Zusammenhang mit der Globalisierung der §§ 3–19 UmwStG in folgendem Praxisfall:

124 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 2 UmwStG (April 2016) Rz. 89; van Lishaut in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 2 Rz. 145; Loose in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 2 UmwStG (Aug. 2021) Rz. 22. 125 van Lishaut in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 2 Rz. 145; vgl. Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 2 UmwStG (April 2014) Rz. 3; Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG9, § 2 UmwStG Rz. 110. 126 Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 2 UmwStG (April 2014) Rz. 3; Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 2 UmwStG (April 2016) Rz. 89; Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl, UmwG/ UmwStG9, § 2 UmwStG Rz. 110; Loose in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 2 UmwStG (Aug. 2021) Rz. 22.

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Die deutsche A-GmbH ist an der chinesischen SpinCo Ltd. beteiligt. Die SpinCo hat unterschiedliche Bereiche (A und B). Der Bereich B soll im Jahr 2022 in einer neuen chinesischen Gesellschaft (weitere Tochtergesellschaft der A-GmbH) per „Spin-Off“ verselbständigt werden. Das chinesische Gesellschaftsrecht sieht die Möglichkeit eines solchen Spin-Off vor, allerdings nur zur Neugründung, nicht zur Übernahme Bei einem solchen Spin-Off nach chinesischem Gesellschaftsrecht tritt die Wirksamkeit ein mit der Erteilung einer business license für die neu entstehende Gesellschaft bzw. einer neuen für die übertragende SpinCo durch die zuständige Behörde. Bei der Anmeldung/Beantragung der neuen Lizenz ist eine Bilanz beizufügen; der wirtschaftliche Abgrenzungsstichtag („Cut-off Date“) liegt praktisch idR mit dem Stichtag der Bilanz zusammen, kann aber durch das Spin-Off Agreement auf einen anderen Tag gelegt werden. Die Parteien wollen die eh bestehende Bilanz zum 31.12.2021 benutzen und legen vertraglich den Cut-off Date auf den 1.7.2022. Welche deutschen Steuerfolgen ergeben sich daraus für die Gesellschafter der A-GmbH? Bis vor kurzem war das deutsche UmwStG bei einer Abspaltung einer ausländischen Gesellschaft auf eine andere ausländische Gesellschaft für einen betrieblich beteiligten deutschen Gesellschafter nur anwendbar, wenn die Abspaltung innerhalb der EU bzw. dem EWR stattfand (dh. die beteiligten Rechtsträger in der EU/EWR gegründet und ansässig waren) und die Maßnahme einer deutschen Abspaltung „vergleichbar“ war (§ 1 Abs. 2 UmwStG in der für Abspaltungen mit einem steuerlichen Übertragungsstichtag bis zum 31.12.2021 geltenden Fassung). Für eine Drittlands-Spaltung war das UmwStG dagegen nicht anwendbar, woraus sich die Gefahr eine „Steuerbombe“ für den deutschen Gesellschafter A-GmbH ergeben konnte, da der Spin-Off ohne UmwStG eine Sachausschüttung an den Gesellschafter darstellt, die uU voll steuerpflichtig zu sein drohte.127 Durch die Aufhebung des § 1 Abs. 2 UmwStG im Rahmen des KöMoG hat der Gesetzgeber den räumlichen Anwendungsbereich des UmwStG für Verschmelzungen und Spaltungen iSd. §§ 3–19 UmwStG aber erweitert auf die ganze Welt, sofern die konkrete Umwandlung im Ausland mit einer solchen nach deutschem Recht vergleichbar ist. Allerdings gilt das nur, wenn der steuerliche Übertragungsstichtag nach dem 31.12.2021 liegt (§ 27 Abs. 18 UmwStG). 127 Vgl. Schneider/Pung, StbJb. 2021/2022, 233 (237 f.); Holle/Keilhoff, IStR 2017, 245 (246 f.).

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Im vorliegenden Fall kann für die Bestimmung des steuerlichen Übertragungsstichtags iSd. UmwStG nicht auf die Bilanz abgestellt werden, die SpinCo bei der Anmeldung des Spin-Off bei der Behörde einreichen muss, weil sie zwar ein notwendiges Element ist, aber im konkreten Fall nicht den wirtschaftlichen Abgrenzungsstichtag bestimmt, da die Parteien im Spin-Off Agreement einen anderen Cut-Off Date gewählt haben. Das Cut-Off Date liegt aber erst in 2022, der rechtliche Wirksamkeitszeitpunkt ebenfalls; unabhängig davon, auf welchen dieser beiden Stichtage man abstellt zur Bestimmung des deutschen steuerlichen Übertragungsstichtags, liegen sie jedenfalls beide nach dem 31.12.2021, so dass das neue Recht anwendbar ist und grundsätzlich auch für Abspaltungen in China anwendbar ist. Folglich kommt es für die konkrete Anwendung des UmwStG (und zwar hier § 13 iVm. § 15 Abs. 1 UmwStG für den deutschen Gesellschafter) darauf an, ob der chinesische Spin-Off mit einer Abspaltung zur Neugründung nach dem UmwG vergleichbar ist. Das ist – ohne hier auf Einzelheiten einzugehen – der Fall, was durch verbindliche Auskunft auch bestätigt wurde. Folglich ist für die A-GmbH § 13 UmwStG anwendbar. § 13 Abs. 1 UmwStG behandelt den Vorgang für den Gesellschafter als einen (fiktiven) Anteilstausch, dh. eine Veräußerung von Teilen der Anteile an der SpinCo und eine korrespondierende Anschaffung von Anteilen an dem Spin-Off; es liegt insbesondere keine Sachausschüttung vor, so dass auch nicht das Korrespondenzprinzip (§ 8b Abs. 1 S. 2 ff. KStG) relevant werden könnte. Ob die Abspaltung für den deutschen Gesellschafter insgesamt mit Buchwertfortführung steuerneutral ist, sondern der fiktive Anteilstausch zu einem (idR) mit 5% steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn iSd. § 8b Abs. 2 KStG führt, hängt davon ab, ob beim Spin-Off in China bei der SpinCo das doppelte Teilbetriebserfordernis erfüllt ist (§ 15 Abs. 1 UmwStG). Hierbei gelten die normalen deutschen Regeln.

VIII. Steuerliches Einlagenkonto bei grenzüberschreitenden Umwandlungen Die Vorschriften in § 29 Abs. 1-5 KStG regeln die Behandlung bzw. notwendige Anpassung des Nennkapitals und des steuerlichen Einlagekontos bei Umwandlungen unbeschränkt stpfl. übertragender bzw. übernehmender Körperschaften. Die Vorschrift gilt auch für ausländische übertragende bzw. übernehmende Körperschaften, die wegen eines inländischen Orts der Geschäftsleitung unbeschränkt steuerpflichtig sind. 339

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Als Fälle kommen in Betracht grenzüberschreitende Verschmelzungen nach §§ 305a ff. UmwG nF und nun auch grenzüberschreitende Spaltungen nach §§ 320 ff. UmwG nF sowie nach h.M. eine analoge Anwendung für den Fall, dass sich die Umwandlung unter Beteiligung einer im Inland unbeschränkt stpfl. Kapitalgesellschaft allein nach einer ausländischen Rechtsordnung vollzieht.128 Für die Umwandlung von ausländischen nicht unbeschränkt steuerpflichtigen übertragenden Körperschaften auf unbeschränkt steuerpflichtige übernehmende Körperschaften ist in § 29 Abs. 6 KStG eine Sonderregelung erforderlich, da die übertragende ausländische Körperschaft über kein steuerliches Einlagekonto verfügt.129 Die entsprechende Anwendung von § 27 Abs. 8 KStG ist in § 29 Abs. 6 S. 2 KStG angeordnet. Feststellungsgegenstand ist der Einlagenbestand;130 insb. ist die Ausschlussfrist zu beachten.131 Fraglich war bislang, ob es sich bei diesem Verweis um einen Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweis handelt. Im ersten Fall wäre § 29 Abs. 6 UmwStG nur auf Umwandlungen in EU- und EWR-Staaten anwendbar. Das BMF sieht lt. Schreiben v. 21.4.2022 faktisch ein Wahlrecht bei EWR-Gesellschaften. Sollte es sich um einen Rechtsfolgenverweis handeln, wäre die Vorschrift auch auf Drittstaatenumwandlungen anwendbar. Fraglich ist, ob es sich um einen Kapitalverkehrsfreiheitsverstoß handelt, wenn der Einlagebestand bei Drittstaatenumwandlungen untergeht.132 Im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2022 wurde § 27 Abs. 8 KStG neu gefasst. Insbesondere wurde der Anwendungsbereich der Vorschrift auf EWR- und Drittstaatenfälle erweitert. Über § 29 Abs. 6 Satz 2 KStG gilt dies nun auch für grenzüberschreitende Umwandlungen. Auch künftige grenzüberschreitende Spaltungen nach §§ 320 ff. UmwG nF sind von der Regelung er128 Bauschatz in Gosch, KStG4, § 29 Rz. 48 unter Verweis auf Antweiler in Bott/ Walter, UmwStG, § 29 Rz. 13.1; wohl auch Nitzschke in Schnitger/Fehrenbacher, UmwStG, § 29 Rz. 17. 129 Bauschatz in Gosch, KStG4, § 29 Rz. 93. 130 Für die Feststellung ist das Finanzamt der übernehmenden Körperschaft örtlich zuständig, das sich mit dem Bundeszentralamt für Steuern abzustimmen hat, Rz. K. 19 UmwSt-Erlass v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314. 131 Zum Streitstand über den Fristbeginn s. van Lishaut/Heinemann in Rödder/ Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, Anh. 3 Rz. 51 mwN. 132 Insofern wird vertreten, dass die Vorschrift analog für EWR-Staat ansässige Körperschaften als auch bei Drittstaatenkörperschaften gelten soll, um eine EU-rechtswidrige Diskriminierung zu vermeiden, s. Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 29 KStG (Okt. 2020) Rz. 62, vertiefend Rz. 164.

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fasst. Wahrscheinlich müssen nach dem UmRUG insoweit (noch) die Verweise in § 29 Abs. 2 und 3 KStG aktualisiert werden.

IX. Ausblick Umwandlungen an sich werfen schon häufig Fragen auf, ua. weil bei diesen Vorgängen Steuerrecht und Gesellschaftsrecht im Zusammenspiel zu betrachten sind. Bei internationalen Umwandlungen – bei denen erst nach und nach die Anwendungsbereiche (auch im Hinblick auf das deutsche UmwStG) erweitert wurden – potenzieren sich die Themen, zumal dann auch noch das Europarecht (insbesondere die Grundfreiheiten) zu berücksichtigen sind. Das Thema internationaler Umwandlungen hat daher sicher nicht zum letzten Mal den Fachkongress beschäftigt.

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Neue Erkenntnisse zur ertragsteuerlichen Organschaft Alexandra Pung Leitende Regierungsdirektorin, Koblenz Prof. Dr. Stefan Köhler Steuerberater, Eschborn I. Einleitung II. Historie der AusgleichspostenMethode und Entwicklung hin zur Einlagelösung 1. Systematische Grundzüge der Ausgleichsposten-Methode 2. Übergangsregelung a) Auflösung Ausgleichsposten im Grundfall b) Gewinn aus „negativem Buchwert“ 3. Wirkungen der Neuregelung – Einlagelösung a) Kapitalgesellschaft als Organträger mit außenstehenden Gesellschaftern b) Mitunternehmerschaft als Organträger c) Keine Verknüpfung zwischen Einlagekonto und Buchwert Organträger d) Mittelbare Organschaft e) Mittelbare Organschaft mit Personengesellschaft

f) Gesetzlicher Änderungsbedarf: Fehlende Berücksichtigung Kürzungsbetrag § 11 AStG im Rahmen der Bruttomethode (§ 15 KStG)? 4. Rechtsprechung zur Organschaft a) Aufspaltungsgewinn ist Organträger zuzurechnen b) Mehrabführung aus Umwandlung ist innerorganschaftlich III. Finanzverwaltung und Organschaft 1. Nichtanwendungserlass zu BFH-Urteil v. 12.10.2016 (I R 91/12) 2. Digitale AfA und Durchführung Ergebnisabführungsvertrag 3. Option § 1a KStG – dennoch keine Eignung als Organgesellschaft IV. Zusammenfassung/Ausblick/ Beurteilung

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I. Einleitung Die ertragsteuerlichen Regelungen zur Organschaft stellen eine markante Gegenausnahme dar, da sie das Trennungsprinzip bezüglich der steuerlichen Behandlung von Kapitalgesellschaften z.T. durchbrechen. Die Regelungen betreffen sowohl die Gewerbesteuer als auch die Körperschaftsteuer. Ausgangspunkt und zentrale Voraussetzung für die ertragsteuerliche Organschaft sind die gesellschaftsrechtlichen Eingriffe in die Selbstständigkeit der Organgesellschaften kraft eines Unternehmensvertrags in der Ausprägung des Ergebnisabführungsvertrags (EAV). Hierdurch verpflichtet sich einerseits die Muttergesellschaft, etwaige Verluste der Tochter auszugleichen, und andererseits die Tochtergesellschaft, ihren gesamten Gewinn an die Mutter abzuführen. Entsprechend wird (auch) für gesellschaftsrechtliche Zwecke insoweit die Eigenständigkeit der Tochtergesellschaft signifikant modifiziert und ein Haftungsverbund zwischen den anderenfalls grundsätzlich haftungsbeschränkten Einheiten hergestellt. Für die steuerliche Anerkennung der Organschaft sind dann weitere elementare Voraussetzungen, dass der Ergebnisabführungsvertrag für eine Mindestlaufzeit von 5 Jahren abgeschlossen und auch über die gesamte Laufzeit tatsächlich durchgeführt wird. Werden alle Voraussetzungen des § 14 KStG vollumfänglich erfüllt, treten die besonderen Rechtsfolgen der Organschaft ein. Insbesondere erfolgt im Verhältnis zwischen Organgesellschaft und Organträger eine Saldierung des zu versteuernden Einkommens, indem der Gewinn bzw. Verlust der Organgesellschaft zu dem Einkommen des Organträgers hinzugerechnet wird, sodass im Ergebnis der Gewinn/Verlust des Organkreises als Saldogröße in der betreffenden Periode der Besteuerung zugrunde gelegt wird. Weiterhin erfolgt keine Dividendenbesteuerung, soweit es die laufenden Gewinne aus organschaftlicher Zeit betrifft (anders dagegen für solche Gewinne, die aus vororganschaftlicher Zeit stammen). Darüber hinaus kommt es im Organkreis auch zu keinen gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen (vielmehr gilt für die Organgesellschaft eine Fiktion der gewerbesteuerlichen Betriebsstätte). Bzgl.

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Verrechnungspreisanpassungen und sonstigen Fragestellungen der Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen bleibt es aber grundsätzlich bei einer Behandlung auf Basis des Trennungsprinzips („Stand Alone Betrachtung“). Paradox an dieser deutschen Gruppenbesteuerung ist die Tatsache, dass das Steuergesetz die deutsche Gruppenbesteuerung ausdrücklich von der Existenz und tatsächlichen Durchführung eines Ergebnisabführungsvertrags abhängig macht, aber die sich daraus ergebenden Konsequenzen letztendlich wiederum negiert. Denn nicht das abgeführte handelsrechtliche Ergebnis, sondern nur das zugerechnete steuerliche Ergebnis ist besteuerungsrelevant. Während also handelsrechtlich der nach diesen Grundsätzen ermittelte Gewinn abzuführen bzw. Verlust auszugleichen ist, wird für steuerliche Zwecke das nach steuerlichen Grundsätzen ermittelte Ergebnis dem Organträger zugerechnet. Hieraus können sich auch sehr erhebliche Unterschiede in der Höhe der abzuführenden bzw. zuzurechnenden Beträge ergeben. Diese Unterschiedsbeträge sind im Zeitablauf zu erfassen und wirken sich i.d.R erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund der Erfüllung bestimmter Tatbestände steuerlich aus. Bis einschließlich 2021 erfolgte diese Erfassung im Rahmen der sogenannten Ausgleichsposten. Seit 2022 ist der Gesetzgeber nunmehr (endlich) zu der sogenannten Einlagelösung übergegangen, die in sich geschlossener wirkt. Gegenüber der Erstfassung der Einlagelösung durch das Gesetz zur Modernisierung des KSt-Rechts hat der Gesetzgeber im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2022 noch einige ergänzende Regelungen, überwiegend mehr klarstellender Natur, sowohl in § 14 Abs. 1 und Abs. 4 KStG als auch in § 34 Absatz 6e KStG vorgenommen. Im Rahmen dieses Beitrags wird nicht näher zwischen den beiden Gesetzesversionen unterschieden, sondern weitestgehend einheitlich der Rechtsstand nach dem Jahressteuergesetz 2022 dargestellt.1

1 Das Manuskript basiert auf dem Rechtsstand 2.1.2023.

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II. Historie der Ausgleichsposten-Methode und Entwicklung hin zur Einlagelösung 1. Systematische Grundzüge der Ausgleichsposten-Methode Laut Dötsch/Pung stammt der Gedanke der Ausgleichsposten ca. aus dem Jahr 1960 vom früheren Leiter der Steuerabteilung des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen (Rudolf Thiel).2 Seinerzeit sei die grundsätzlich einfachere Einlagelösung noch nicht möglich gewesen, da bis zur Körperschaftsteuerreform 1976 auch die Einlagerückzahlung beim Empfänger steuerpflichtiger Kapitalertrag war; die Ausgleichspostenmethode dagegen sowohl eine doppelte Besteuerung (Minderabführung, d.h. höheres steuerlich zugerechnetes laufendes Einkommen und erhöhter Veräußerungsgewinn aufgrund des handelsrechtlich Gewinns bzw. Gewinnabführung) als auch eine Nichtbesteuerung (Mehrabführung; d.h. geringeres steuerlich zugerechnetes laufendes Einkommen und geringerer Veräußerungsgewinn aufgrund handelsrechtlich erhöhter Gewinnabführung) vollumfänglich vermeiden sollte.3 Einen Überblick über die Konzeption der unterschiedlichen Lösungsansätze (aber auch der teilweise gegebenen Übereinstimmungen) gibt die nachfolgende Abbildung:

2 Vgl. Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 14 KStG Rz. 1024, 1025. Lt. Dötsch/Pung erste Veröffentlichungen von Thiel hierzu in BB 1960, 735; StbJb. 1961/62, 201. 3 Vgl. Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 14 KStG Rz. 1024.

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Gegenüberstellung altes und neues Recht

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Bereits unter dem bisherigen Recht der Ausgleichsposten wurde für organschaftliche Korrekturposten (Ausgleichsposten) auf Ebene der Organgesellschaft die Veränderung im Einlagekonto berücksichtigt. Mehrabführungen minderten also auch bereits unter altem Recht das Einlagekonto, Minderabführungen erhöhten das Einlagekonto.4 Hierbei war auch bisher und ist auch zukünftig ein Direktzugriff auf das Einlagekonto vorgesehen. Weiterhin kann dadurch das Einlagekonto auch bei der Organgesellschaft negativ werden.5 Veränderungen gegenüber der Ausgleichspostenmethode ergeben sich dagegen nunmehr bei der Einlagelösung auf Ebene des Organträgers. Während bei diesem bislang in der Steuerbilanz eine weitere Position neben dem Beteiligungsansatz in Form aktiver oder passiver Ausgleichsposten geführt wurde (die generell bis zu einer späteren Veräußerung oder veräußerungsgleichem Tatbestand fortbestanden und insoweit einen generellen Steueraufschub bewirken), werden nunmehr die Effekte aus Mehr- oder Minderabführung als integraler Bestandteil des Beteiligungsansatzes (Buchwert der Beteiligung an der Organgesellschaft) behandelt. Dies führt in Bezug auf Minderabführungen zu der Fiktion der Einlage in die Organgesellschaft und entsprechenden Erhöhung des Buchwerts an der Organgesellschaft. Im Fall einer Mehrabführung qualifiziert diese als (fiktive) Einlagerückgewähr.6 Bis zur Höhe des Buchwerts an der Organgesellschaft werden die Anschaffungskosten entsprechend reduziert (maximal bis auf 0). Übersteigt die Mehrabführung den Buchwert, entsteht nunmehr unter neuem Recht ein steuerpflichtiger Ertrag, der nach den Regeln des § 8b KStG bzw. dem Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40/§ 3c Abs. 2 EStG) zu besteuern ist.7 Während unter altem Recht also ein passiver Ausgleichsposten auch zu einer rechnerisch negativen Gesamtbewertung der Beteiligung führen und damit Mehrabführungen auch zu einem faktischen (dauerhaften) Steueraufschub führen konnten, ist dieses nunmehr unter dem neuen Regime der Einlagelösung ausgeschlossen. Insoweit ist der Methodenwechsel nicht nur der Übergang von einem Sonderposten zu einem einheitlichen Buchwertansatz, sondern besitzt auch im Einzelfall erhebliche materielle Steuerwirkung. 4 Vgl. Ebber in BeckOK, § 14 KStG Rz. 680. 5 Vgl. BR-Drucks. 244/21, 24. 6 Vgl. § 14 Abs. 4 Satz 3 KStG; BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412, Rz. 3–5. 7 § 14 Abs. 4 Satz 5 KStG.

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Mit dem Wegfall der besonderen Position „Ausgleichsposten“ und dem generellen Einbezug der Unterschiedsbeträge zwischen Handelsrecht und Steuerrecht in den Beteiligungsansatz sollte hoffentlich auch für die Praxis eine erhebliche Vereinfachung einhergehen, sowohl in der Handhabung als auch in der Interpretation/Auslegung bezüglich der Behandlung der Positionen. Denn während bisher die Rechtsnatur und damit auch in schwierigen Einzelfragen die steuerliche Behandlung bzw. das Schicksal der Ausgleichsposten strittig, komplex und damit insoweit wenig „benutzerfreundlich“ war, sollte die Integration in den Beteiligungsbuchwert dazu führen, dass unter der Einlagelösung keine besonderen Erwägungen und eigener Interpretationsspielraum verbleiben.8 Vielmehr bedeutet die Einlagelösung nur mehr das Vorliegen eines einheitlichen Beteiligungsansatzes, der den allgemeinen Regelungen gemäß dem Teileinkünfteverfahren nach § 3 Nr. 40 EStG bzw. § 8b KStG unterliegt. Dies erkennt man auch daran, dass anders als in der alten Fassung des § 14 Abs. 4 KStG (anwendbar bis Ende 2021), in der auch ausdrückliche Regelungen enthalten waren, wann ein Ausgleichsposten aufzulösen ist, die Neufassung des § 14 Abs. 4 KStG keine Sonderregelungen mehr enthält, sondern im Prinzip nur nochmals die allgemeinen Grundsätze für die Behandlung von Anteilen an Kapitalgesellschaften insoweit (und damit mehr klarstellend) wiederholt. Dies ist auch folgerichtig, da unter dem neuen Recht nunmehr gerade kein Sonderposten mehr vorliegt, sondern lediglich ein integraler Bestandteil des Beteiligungsbuchwerts, für den damit auch insgesamt und ausschließlich die Rechtsgrundsätze für Beteiligungen an Kapitalgesellschaften (soweit keine mittelbare Beteiligung über eine Mitunternehmerschaft vorliegt) zur Anwendung gelangen. Allerdings erweitert sich durch die Einlagelösung die Fallgruppe jener Tatbestände, die zu einer Minderung (Mehrabführungen) oder Erhöhung (Minderabführungen) eines Buchwerts führen können und die dementsprechend zusätzlich zu berücksichtigen sind. Für vororganschaftliche Minderabführungen gelten gemäß § 14 Abs. 3 KStG damit nunmehr einheitliche Regelungen zu den organschaftlichen Minderabführungen (Behandlung als Einlage mit der Konsequenz der Erhöhung des Buchwerts an der Organgesellschaft und Erhöhung des Einlagekontos in der Organgesellschaft), während bei vororganschaftlichen Mehrabführungen diese weiterhin als Gewinnausschüttung behandelt 8 Kritisch diesbezüglich Reifarth-Belli/Lechtenberg, DStR 2021, 2222 (2228), die durch die aktuelle Umsetzung der Einlagelösung mehr Fragen als Antworten für den Rechtsanwender sehen.

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werden, sodass insoweit die allgemeinen Besteuerungsregelungen für die Ausschüttung von Gewinnen einschließlich der Auslösung von Kapitalertragsteuer und steuerpflichtigen Dividenden zur Anwendung gelangen. Vororganschaftliche und organschaftliche Mehr- und Minderabführungen gelten in dem Zeitpunkt als erfolgt, indem das Wirtschaftsjahr der Organgesellschaft endet (§ 14 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 7 KStG).

2. Übergangsregelung Für den Übergang auf die Einlagelösung bedarf es Übergangsregelungen, die normieren, wie die alten Ausgleichsposten aufzulösen sind bzw. in das System der Einlagelösung, also in den allgemeinen Buchwertansatz, überführt werden. Diese Bestimmungen finden sich in § 34 Abs. 6e Sätze 5 ff. KStG. Hiernach sind Mehr- und Minderabführungen letztmalig zum 31.12.2021 als Ausgleichsposten abzubilden. Danach gilt die Einlagelösung; d.h. Abbildung über den Beteiligungsansatz. Entscheidend für die letztmalige Anwendung der Altregelung bzw. erstmalige Anwendung der Neuregelung ist das jeweilige Wirtschaftsjahresende der Organgesellschaften (nicht des Organträgers). Im Einzelnen gelten bzgl. der Auflösung der Ausgleichsposten folgende Regelungen9): a) Auflösung Ausgleichsposten im Grundfall –

Beim Organträger sind noch bestehende Ausgleichsposten in dem Wirtschaftsjahr aufzulösen, das nach dem 31.12.2021 endet.10 Gem. BMF-Schreiben gilt dies auch dann, wenn die Gesellschaft nicht mehr Organträger ist.11

9 Siehe hierzu § 34 Abs. 6e Sätze 5–16 KStG sowie BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412. 10 § 36 Abs. 6e Satz 7 KStG: „Noch bestehende Ausgleichsposten für organschaftliche Minder- und Mehrabführungen, die nach Maßgabe des § 14 Absatz 4 in der am 31. Dezember 2021 geltenden Fassung in der Steuerbilanz gebildet wurden oder noch zu bilden sind, sind nach den zu berücksichtigenden organschaftlichen Minder- und Mehrabführungen im Sinne von § 14 Absatz 4 in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes vom 25. Juni 2021 (BGBl. I S. 2050) zum Schluss des Wirtschaftsjahres aufzulösen, das nach dem 31. Dezember 2021 endet.“ 11 BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412, Rz. 1.

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Wenn das Wirtschaftsjahr des Organträgers von dem der Organgesellschaft abweicht, ist das Ende des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft entscheidend, so dass die Auflösung bei dem Organträger erst zum Schluss des darauffolgenden Wirtschaftsjahres erfolgt.



Bei Beteiligungsquoten unter 100% erfolgt eine pro rata-Berechnung, da unter altem Recht die Ausgleichsposten nur anteilig in Höhe der Beteiligungsquote gebildet wurden.12



Aktive Ausgleichsposten erhöhen, passive Ausgleichsposten mindern den Buchwert (BW) der Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft in der Steuerbilanz. Auflösung Ausgleichsposten bei Kettenorganschaft

12 § 36 Abs. 6e Sätze 9 ff. KStG: „Noch bestehende Ausgleichsposten sind für Zwecke der Sätze 7 und 8 zunächst durch Anwendung eines Angleichungsfaktors zu erhöhen, wenn die Beteiligungshöhe des Organträgers zum 31. Dezember 2021 oder, falls die Organschaft zu diesem Zeitpunkt nicht mehr besteht, am Ende des letzten Wirtschaftsjahres der Organschaft, weniger als 100 Prozent am Nennkapital der Organgesellschaft betragen hat. Angleichungsfaktor ist der Kehrwert des durchschnittlichen Beteiligungsanteils des Organträgers bezogen auf das Nennkapital der Organgesellschaft an den Bilanzstichtagen der letzten fünf Wirtschaftsjahre. Das Produkt aus Angleichungsfaktor und Ausgleichsposten tritt für Zwecke der Sätze 7 und 8 jeweils an die Stelle der noch bestehenden Ausgleichsposten. Besteht das Organschaftsverhältnis weniger als fünf Wirtschaftsjahre, ist Satz 11 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der entsprechend kürzere Zeitraum zugrunde zu legen ist.“

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In mehrstufigen Organschaften sind alle Ausgleichsposten auf allen Ebenen aufzulösen. Nach dem BMF-Schreiben sei auf den einzelnen Organschaftsstufen § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 KStG anzuwenden, die Rechtsfolgen des § 34 Abs. 6e Satz 10 KStG träten somit erst auf Ebene des obersten Organträgers ein.13 Dies ist wohl (hoffentlich) dahingehend zu verstehen, dass sich auf den einzelnen Organschaftsstufen die Auflösungen quasi neutralisieren, sodass nur einmalig ein Ausgleichsposten bei dem Organträger als Saldogröße effektiv Besteuerungsfolgen auslösen soll und damit die Auflösung der Ausgleichsposten über die mehreren Ebenen nicht kumuliert zu einer mehrfachen Belastung führt (letzteres ist sicherlich systematisch nicht gewollt, insofern sind die Übergangsregelungen allerdings auch nicht eindeutig gefasst).14

b) Gewinn aus „negativem Buchwert“ Nur wenn und soweit ein passiver Ausgleichsposten die Summe aus dem aktiven Ausgleichsposten und dem Buchwert der Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft in der Steuerbilanz übersteigt, entsteht ein Ertrag aus der Beteiligung: § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c und § 3c Abs. 2 EStG sowie § 8b Abs. 2, 3, 7, 8 KStG sind anzuwenden.15 Das BMF-Schreiben spricht in diesem Zusammenhang von einem veräußerungsähnlichen Ertrag – anders dagegen das Gesetz: Hier ist nur von einem Ertrag aus der Beteiligung die Rede.16 Dies mag man nur für eine semantische Unsauberkeit halten. Womöglich könnten sich daraus aber Folgefragen ergeben,17 zum Beispiel ob insoweit der Übergang zur Einlagelösung ein die Einbringungsgewinnbesteuerung auslösender Tatbestand i.S.d. § 22 UmwStG sein könnte. Tatsächlich liegt aber erkenn13 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412, Rz. 36. 14 Im Ergebnis glA wohl auch Rickermann, StuB 2022, 893 (897). 15 Gegen die Zwangsauflösung passiver organschaftlicher Ausgleichsposten werden in der Literatur teilweise Bedenken vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots geäußert, vgl. hierzu ua. Reifarth-Belli/ Lechtenberg; DStR 2021, 2222 (2226); aA Dötsch/Pung, in Dötsch/Pung/ Möhlenbrock, § 14 KStG, Rz. 1196. 16 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412, Rz. 11; Reifarth-Belli/Lechtenberg; DStR 2021, 2222 (2223). 17 Vgl. auch Reifarth-Belli/Lechtenberg; DStR 2021, 2222 (2223) zu weiteren Folgefragen, die sich aus hieraus ergeben können.

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bar keine Veräußerung vor. Vielmehr erfolgt lediglich eine Umbuchung des Ausgleichspostens auf den Beteiligungsbuchwert, bei dem das Entstehen eines negativen Werts durch eine Besteuerung des Unterschiedsbetrags vermieden wird. Die gewählte Methode des Übergangs (Versteuerung des Unterschiedsbetrags statt Fortführung eines negativen Buchwerts) ist eine Wertungsentscheidung des Gesetzgebers zur Vorgehensweise, kann und sollte aber nicht in dem Sinne überinterpretiert werden, dass sich hieraus auch ein (fiktiver) Sperrfristverstoß ableiten ließe. Einlagen im Laufe des Jahres erhöhen den Buchwert vor Verrechnung mit dem Ausgleichsposten.18 Dies sollte es ermöglichen, einen anderenfalls steuerpflichtigen Ertrag aus einem den Buchwert und aktiven Ausgleichsposten übersteigenden passiven Ausgleichsposten durch entsprechend hohe Einlagen zu vermeiden. Im Ergebnis erfolgt damit also in einem ersten Schritt eine Saldierung der Ausgleichsposten mit dem Buchwert sowie den Einlagen des Jahres. Ergibt sich hieraus in Summe ein negativer Wert, so ist dieser nach den Regelungen des § 8b KStG bzw. des Teileinkünfteverfahrens zu versteuern. Entsprechend kann die Auflösung der Ausgleichsposten zu erheblichen steuerlichen Gewinnen führen; insbesondere im Anwendungsbereich des Teileinkünfteverfahrens (d.h. am Organträger beteiligte Personen unterliegen der Einkommensteuer), da dann regelmäßig nicht „nur“ 5% des Auflösungsbetrags in den steuerlichen Gewinn einfließen, sondern 60%. Streckung des Übergangsgewinns auf 10 Jahre Um diese Effekte abzumildern, erlaubt der Gesetzgeber eine Streckung über 10 Jahre. Es kann eine gewinnmindernde Rücklage bei dem Organträger gebildet werden (maximal bis zur Höhe der Gewinnerhöhung, es kann aber auch ein nur geringerer Betrag in die Rücklage eingestellt werden).19 Die Rücklagenbildung ist auch möglich, wenn die Organschaft bereits vor dem 31.12.2021 beendet wurde.20 Die gewinnerhöhende Auflösung 18 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl.I 2022, 1412, Rz. 12. 19 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412, Rz. 14, 25. 20 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412, Rz. 18.

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hat grundsätzlich im Wirtschaftsjahr der Bildung und den 9 folgenden Wirtschaftsjahren zu jeweils 1/10 unter Anwendung des § 8b KStG bzw. der § 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG) zu erfolgen.21 Bei Personengesellschaften erfolgt die Bildung der Rücklage in der Gesamthandsbilanz.22 Diese Streckung erfolgt allerdings nicht unbedingt. Vielmehr hat der Gesetzgeber eine Reihe streckungsschädlicher Tatbestände definiert, bei deren Eintreten die (noch vorhandene) Rücklage voll steuerwirksam aufzulösen ist (diese gesetzlich normierten Tatbestände stimmen exakt mit den Tatbeständen überein, die bislang in § 14 Abs. 4 KStG zur Auflösung der Ausgleichsposten führen – insoweit ist ein konsistentes Vorgehen des Gesetzgebers zu erkennen): –

Veräußerung der Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft; bei teilweiser Veräußerung anteilig (auch bei Fortbestand der Organschaft)23



Der Veräußerung gleichgestellt sind nach der gesetzlichen Regelung insbesondere: –

die Umwandlung der Organgesellschaft auf eine Personengesellschaft oder eine natürliche Person,



die verdeckte Einlage der Beteiligung an der Organgesellschaft und



die Auflösung der Organgesellschaft.

§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c und § 3c Abs. 2 EStG sowie § 8b Abs. 2, 3, 7, 8 KStG sind auch hier jeweils anzuwenden. Nach Ansicht der Finanzverwaltung seien darüber hinaus weitere Vorgänge schädlich und sollen auch zur Auflösung der Rücklage führen:24 –

die Entnahme der Beteiligung an der Organgesellschaft



die Übertragung in das Sonderbetriebsvermögen

21 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV BStBl. I 2022, 1412, Rz. 19. 22 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV BStBl. I 2022, 1412, Rz. 25. 23 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV BStBl. I 2022, 1412, Rz. 21. 24 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV BStBl. I 2022, 1412, Rz. 21.

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C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541,

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Weiterhin sollen nachfolgende Tatbestände als veräußerungsgleich ebenfalls schädlich sein und damit zur vorzeitigen Auflösung der gewinnmindernden Rücklage führen: –

Umwandlung und Formwechsel des Organträgers25



(kreuzende) Formwechsel (wohl nur vom UmwStG erfasste „kreuzende“ Formwechsel; nicht dagegen zum Beispiel der Formwechsel einer GmbH in eine AG)



Verschmelzung



Spaltung.

Dies soll auch bei Buchwertfortführung im Rahmen der Umwandlung der Fall sein. Dagegen bleibt die Beendigung der Organschaft unschädlich (wie bisher bei den Ausgleichsposten).26 Es erscheint fraglich, ob tatsächlich alle diese Maßnahmen in jedem Fall schädlich sind. Die Entnahme der Beteiligung an der Organgesellschaft oder die Übertragung in das Sonderbetriebsvermögen kann zum Beispiel gemäß § 6 Abs. 5 EStG ohne Gegenleistung, und damit unentgeltlich, erfolgen. Die generelle Gleichsetzung mit einem veräußerungsähnlichen Vorgang erscheint daher nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Dass weiterhin jede Umwandlung bzw. jeder Formwechsel des Organträgers schädlich sei, erscheint auch wenig zwingend. Diese Rechtsansicht reicht weiter als die bisherigen Regelungen zum Verhältnis des Umwandlungssteuerrechts zur Organschaft. Gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 UmwStG tritt der übernehmende Rechtsträger in die steuerliche Rechtsstellung des übertragenden Rechtsträgers ein. Zugleich entscheidet der BFH in ständiger Rechtsprechung,27 dass eine Umwandlung grundsätzlich als Veräußerung einzuordnen sei (so auch bereits Rz. 00.02 UmwStE: „Um25 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412, Rz. 23. Bei einem Formwechsel des OT in eine Personengesellschaft sollte noch § 8b KStG greifen („Übertragungsgewinn“ nur zu 5% steuerpflichtig). 26 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412, Rz. 24. 27 Vgl. BFH v. 15.10.1997 – I R 22/96, BStBl. II 1998, 168 = FR 1998, 192 = GmbHR 1998, 251; v. 16.5.2002 – III R 45/98, FR 2002, 1356 m. Anm. Kempermann = GmbHR 2002, 1257, BStBl. Il 2003, 10; v. 17.9.2003 – I R 97/02, BStBl. II 2004, 686 = FR 2004, 272 = GmbHR 2004, 58 m. Anm. Lahl/Kleinert.

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wandlungen und Einbringungen stellen auf der Ebene des übertragenden Rechtsträgers sowie des übernehmenden Rechtsträgers Veräußerungsund Anschaffungsvorgänge hinsichtlich des übertragenen Vermögens dar“)28. Abweichend von der zivilrechtlichen Wertung gilt dies für ertragsteuerliche Zwecke auch für den kreuzenden Formwechsel. Das Umwandlungssteuerrecht regelt aber in der Rechtsfolge insbesondere für Fälle der Buchwertfortführung gerade nicht die üblicherweise daraus resultierenden Konsequenzen der Besteuerung der aufgedeckten stillen Reserven. Gerade dies ist Sinn und Zweck des Umwandlungssteuerrechts, abweichende Rechtsfolgen von den allgemeinen Grundsätzen zu setzen, anderenfalls bedürfte es gar keines Umwandlungssteuergesetzes. Daher stehen die Aussagen des neuen BMF-Schreibens auch teilweise im Widerspruch zu den Regelungen des BMF im Rahmen des sogenannten Umwandlungssteuer-Erlasses (UmwStE). Gemäß Org. 05 stelle zwar im Grundsatz die Verschmelzung des Organträgers ein Veräußerungsvorgang iSd. § 14 Abs. 4 KStG hinsichtlich der Beteiligung an der Organgesellschaft dar.29 Entsprechend seien daher organschaftliche Ausgleichsposten insoweit zum steuerlichen Übertragungsstichtag aufzulösen. Soweit allerdings die Organschaft vom übernehmenden Rechtsträger fortgeführt wird, seien die organschaftlichen Ausgleichsposten abweichend vom vorstehenden Grundsatz nicht aufzulösen, wenn die Verschmelzung zum Buchwert erfolgt. In diesem Fall hat der übernehmende Rechtsträger die Ausgleichsposten fortzuführen. Erfolgt die Verschmelzung zum gemeinen Wert, seien die organschaftlichen Ausgleichsposten in voller Höhe, bei Verschmelzung zum Zwischenwert anteilig aufzulösen. Im Fall einer Auf- oder Abspaltung sollen gemäß Org. 06 zweiter Absatz die gleichen Grundsätze gelten.30 Gemäß Org. 10 hat der Formwechsel des Organträgers auf den Fortbestand eines Gewinnabführungsvertrags keinen Einfluss und berührt daher das Organschaftsverhältnis nicht, wenn beim Organträger neuer Rechtsform die notwendigen Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG vorliegen.31 Im Übrigen sollen die vorbeschriebenen Grund28 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – BStBl. I 2011, 1314, Rz. 00.02 („UmwStE“). 29 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – BStBl. I 2011, 1314, Org.05 mit Verweis auf Rz. 00.02. 30 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – BStBl. I 2011, 1314, Org.06. 31 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – BStBl. I 2011, 1314, Org.10.

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DOK 2011/0903665, DOK 2011/0903665, DOK 2011/0903665, DOK 2011/0903665,

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sätze zu Fortbestand oder Auflösung des Ausgleichspostens gemäß Org. 05 auch hier entsprechend gelten.32 Erkennbar steht damit das BMF-Schreiben33 zum Übergang auf die Einlagelösung in offenem Widerspruch zu dem BMF-Schreiben34 zum Umwandlungssteuergesetz und mit den allgemeinen Besteuerungsgrundsätzen des Umwandlungssteuergesetzes. Bei einer Buchwertfortführung kommt es gerade nicht zu einem steuerpflichtigen Vorgang. Dies ist gerade das Wesen des Umwandlungssteuergesetzes, im Grundsatz bei Umwandlungsvorgängen die Besteuerung mittels der Möglichkeit zur Buchwertfortführung aufzuschieben. Diesem Grundsatz widerspricht aber die nunmehr in dem BMF-Schreiben zum Übergang auf die Einlagelösung geäußerte Rechtsansicht. Die im BMF-Schreiben genannten Ausnahmen, die mangels Gegenausnahme wohl selbst die Buchwertfortführung zu umfassen scheinen, dürften damit nur auf tönernen Füßen stehen. Gleichwohl wird man in der gestaltenden Beratung hierauf Rücksicht nehmen müssen und von einem (im gewissen Maße) erhöhten Gestaltungsrisiko ausgehen müssen. Besonders bedauerlich ist, dass es naturgemäß für diese von der Finanzverwaltung geschaffenen Zweifelsfälle wohl auch keinen Zugang zu einer verbindlichen Auskunft geben kann, denn eine solche Auskunft würde ja nicht nur in Einklang mit der offiziellen Ansicht des BMF stehen (Umwandlungssteuererlass), sondern dieser auch zugleich widersprechen (BMF-Schreiben Einlagelösung). Insgesamt ist damit festzustellen, dass diese zusätzlichen schädlichen Ausnahmen, die über das Gesetz hinausgehen, weder für die Besteuerungspraxis hilfreich noch mit dem Legalitätsprinzip in Übereinstimmung stehen dürften und für die Rechtssicherheit nachteilig sind.

32 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Org.05. 33 BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412. 34 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314.

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3. Wirkungen der Neuregelung – Einlagelösung a) Kapitalgesellschaft als Organträger mit außenstehenden Gesellschaftern Nachstehend wird die Wirkweise der Einlagelösung an einfachen Beispielen verdeutlicht.

Im vorliegenden Fall ist ein sogenannter außenstehender Gesellschafter zu 40% an der Organgesellschaft beteiligt. Dieser nimmt jedoch an der Organschaft nicht teil, da diese sich nur gegenüber dem Organträger auswirkt; nur dieser hat sich auch handelsrechtlich zur Verlustübernahme verpflichtet. Obwohl im Beispiel die Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft nur 60% beträgt, gilt unter dem seit 2022 geltenden Recht gleichwohl der Grundsatz, dass die Einlagelösung dazu führt, dass sowohl Mehr- als auch Minderabführungen dennoch in voller Höhe dem Organträger zugerechnet werden und keine pro rata-Betrachtung erfolgt, wie dies gem. dem insoweit klaren Wortlaut des § 14 Abs. 4 Satz 1 KStG aF (so auch R 14.8 KStR) der Fall war. Insofern ergibt sich ein weiterer wesentlicher Unterschied zu der bisherigen Ausgleichspostenmethode. Die nunmehr vorgesehene, stets vollständige Berücksichtigung der Differenzposten aus Mehr- oder Minderabführung bei dem Organträger erscheint sachgerecht, da die Unterschiedsbeträge zwischen der Gewinnabführung und der steuerlichen Zurechnung gleichfalls nur im Verhältnis der Organgesellschaften zum Organträger erfolgen; außenstehende Gesellschafter erhalten dagegen grundsätzlich eine fixe Ausgleichszahlung und sind insoweit entsprechend von den (variablen) Unterschiedsbeträgen grundsätzlich nicht berührt.

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Hierdurch wird auch vermieden, dass anders als in der Vergangenheit letztendlich die Ausgleichsposten-Methode nicht zu einer vollständigen Vermeidung einer Doppelbesteuerung bzw. Nichtbesteuerung führt, wenn und soweit durch die pro rata-Betrachtung die AusgleichspostenMethode nicht die vollen Effekte abbildete. b) Mitunternehmerschaft als Organträger

Im deutschen Recht sind die Sonderregelung für eine Gruppenbesteuerung nicht nur für einen Organträger in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft zugänglich, sondern auch in der Rechtsform von Personengesellschaften, die die weiteren Voraussetzungen gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG erfüllen. Entsprechend müssen die Neuregelungen zur Einlagelösung auch für Personengesellschaften anwendbar/umsetzbar sein. Gemäß dem BMF-Schreiben zu der Einlagelösung soll der Buchwert des einzelnen Mitunternehmers aus der Gesamthandelsbilanz und Ergänzungsbilanz sowie der Zurechnung der Mehr- bzw. Minderabführungen nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel ermittelt bzw. abgeleitet werden.35 D.h. es gelten die gleichen allgemeinen Grundsätze wie für die laufende Zurechnung von Organeinkommen oder aus Gewinnausschüttungen aus Altrücklagen aus vororganschaftlicher Zeit. Diese Vorgehensweise erscheint grundsätzlich systematisch zutreffend, da die Abweichungen aus Mehr- oder Minderabführungen grundsätzlich in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel

35 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412, Rz. 10.

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stehen sollten – denn grundsätzlich sollte für diese Differenzbeträge nichts anderes gelten als für den im Handels- und Steuerrecht identischen Grundbetrag. Jedoch ist beachtlich, dass aufgrund von Ergänzungsbilanzen sich durchaus auch erhebliche Unterschiede bezüglich des Buchwerts des einzelnen Mitunternehmers an der Organgesellschaft ergeben können. Entsprechend sind auch Konstellationen denkbar, in denen für manche Mitunternehmer die Ablösung des Ausgleichspostens aufgrund der Verrechnung mit dem Buchwert keine Besteuerung auslöst (zum Beispiel hohe Ergänzungsbilanz), dagegen bei anderen Mitunternehmern mit historisch niedrigem Buchwertansatz der Organbeteiligung womöglich auch hohe Gewinne drohen könnten. Da die Wahlrechtsausübung jedenfalls nach Ansicht der Finanzverwaltung nur einheitlich für die Mitunternehmerschaft in der Gesamthandsbilanz erfolgen soll, können sich hieraus womöglich auch Streitpunkte zwischen den Gesellschaftern ergeben.36 c) Keine Verknüpfung zwischen Einlagekonto und Buchwert Organträger Im Einlagekonzept gibt es keinen Gleichlauf mehr zwischen der Entwicklung des „erweiterten Buchwerts“, bestehend aus dem eigentlichen Buchwert sowie dem korrigierenden Ausgleichsposten an der Organgesellschaft bei dem Organträger, und der Entwicklung des Einlagekontos bei der Organgesellschaft. Auf Ebene der Organgesellschaft kann das Einlagekonto durch eine Mehrabführung auch negativ werden. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 i.V.m. Abs. 6 KStG erscheint es dem Wortlaut nach auch vergleichsweise klar, dass ausschließlich für den Sonderfall der sogenannten Mehrabführungen das Einlagekonto im Direktzugriff angesprochen und auch negativ werden darf.37 Soweit eine solche Gesellschaft dann andere Leistungen an die Gesellschafter erbringt (z.B. vororganschaftliche Mehrabführungen) oder nach Beendigung der Organschaft wieder ordentliche Gewinnausschüttungen leistet, kann dies z.B. dazu führen, dass selbst dann, wenn zwischenzeitlich wieder Einlagen geleistet wurden, dennoch steuerlich kein positives Einlagekonto zur Verfügung steht und daher die Ausschüttungen stets 36 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412, Rz. 25. 37 Vgl. Reifarth-Belli/Lechtenberg, DStR 2021, 2222 (2224).

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steuerpflichtig sind (und nicht als Einlagenrückgewähr qualifizieren können).38 Auf Ebene des Organträgers kann der Buchwert der Organgesellschaften dagegen minimal Null Euro erreichen; d.h. ein negativer Buchwert ist gem. § 14 Abs. 4 Satz 3 KStG ausgeschlossen.39 Dies stellt eine erhebliche Abweichung gegenüber der Ausgleichsposten-Methode dar. Da der passive Ausgleichsposten neben dem Buchwertansatz getrennt geführt wurde, ergab sich zwar rechnerisch in Summe ein negativer Wert, dieser wirkte sich aber nicht unmittelbar auf den Buchwert selbst aus. Entsprechend ergab sich damit unter dem bisherigen Recht gewissermaßen eine spiegelbildliche Abbildung der Abnahme des Einlagekontos bei der Organgesellschaft einerseits und der Zunahme des passiven Ausgleichspostens beim Organträger andererseits; dies jedoch ohne dass dies (zeitnah) Besteuerungskonsequenzen ausgelöst hätte. Denn unter der alten Rechtslage war auch ein rechnerisch negativer Buchwert möglich (R 14.8 Satz 4 KStR zur Rechtslage bis Ende 2021). Unter neuem Recht führt dagegen eine Mehrabführung, die zu einem negativen Buchwert führt, zu einem steuerpflichtigen Ertrag, der gemäß § 8b KStG bzw. nach den Grundsätzen des Teileinkünfteverfahrens der Besteuerung unterliegt. Das BMF-Schreiben verweist hierzu auf § 34 Abs. 6e Satz 9 und 10 KStG.40 Dies ist zum einen insofern verblüffend, als die Regelung eigentlich nur den Übergang von der AusgleichspostenMethode auf die Einlagelösung betrifft, nicht aber die laufende Besteuerung unter der Einlagelösung. Entsprechend sollte dieser Verweis (eigentlich) unzutreffend sein. Zum anderen erscheint der Verweis auch überflüssig. Denn unter der Einlagelösung gibt es keine Sonderregelungen mehr wie zuvor bezüglich der Ausgleichsposten. Es kommen generell und uneingeschränkt die allgemeinen Grundsätze zur Anwendung. Diesbezüglich hat der BFH wiederholt entschieden, dass ein buchwertüberschießender Betrag im Rahmen einer Einlagenrückgewähr einen betrieblichen Ertrag darstellt und nicht zu negativen Anschaffungskosten führt.41 Der Gesetzgeber hat dies auch durch eine Nachbesserung der 38 Vgl. Ebber in BeckOK, § 14 KStG, Rz. 683e. 39 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412, Rz. 9. 40 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412, Rz. 11. 41 Vgl. BFH v. 30.6.2022 – IV R 19/18, BStBl. II 2023, 136 = GmbHR 2022, 1261 m. Anm. Binnewies/Gravenhorst.

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Neufassung im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2022 nochmals klargestellt (nach § 14 Abs. 4 Satz 2 KStG wurden folgende ergänzende Sätze eingefügt): „Die Einlage erhöht und die Einlagenrückgewähr mindert den Buchwert der Beteiligung an der Organgesellschaft; dabei darf dieser nicht negativ werden. In den Fällen des Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Satz 2 ist Satz 3 auf den Buchwert der Beteiligung an jeder vermittelnden Gesellschaft entsprechend anzuwenden. Soweit die Einlagenrückgewähr die Summe aus Buchwert und Einlage übersteigt, liegt ein Ertrag vor, auf den die Regelungen des § 8b Absatz 2, 3, 6, 7 und 8 dieses Gesetzes sowie § 3 Nummer 40 Buchstabe a und § 3c Absatz 2 des Einkommensteuergesetzes anzuwenden sind.“ Steuerplanerische Gestaltungsansätze, wie das sogenannte Mehrabführungsmodell, sollen damit unterbunden werden.42 Unter dem sog. Mehrabführungsmodell war es möglich, handelsrechtlich sehr hohe Beträge abzuführen, die den Buchwertansatz bei dem Organträger überstiegen. Da aber unter altem Recht der Buchwert unangetastet blieb und daneben (zusätzlich) bei dem Organträger Ausgleichsposten zu bilden waren (R 14.8 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 KStR), ermöglichte dies einen (auch langfristigen) Steueraufschub, obwohl erhebliche Mittel im Rahmen der handelsrechtlichen Abführung vereinnahmt worden waren. Durch die nunmehr erfolgte Begrenzung auf den Buchwert der Organgesellschaft bei dem Organträger als maximal ertragsteuerneutrale Größe ist dies unter der Neuregelung ausgeschlossen. d) Mittelbare Organschaft

42 Vgl. Schwalm, DStR 2021, 980 (981).

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Gemäß dem BMF-Schreiben gelten als mittelbare Organschaft nur Fälle, in denen eine weitere Gesellschaft neben dem Organträger (im BMFSchreiben als sogenannte Zwischengesellschaft, ZG bezeichnet) notwendig ist, um die Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung (Stimmrechtsmehrheit) gegenüber der Organgesellschaft zu bewirken. Weder die Abgrenzung noch die daraus abgeleiteten Rechtsfolgen basierten zunächst auf einer gesetzlichen Grundlage.43 Im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2022 erfolgte (wohl in diesem Zusammenhang) folgende Änderung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1: Bisheriger Wortlaut: 1Der

Organträger muss an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahrs an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt sein, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht (finanzielle Eingliederung). 2Mittelbare Beteiligungen sind zu berücksichtigen, wenn die Beteiligung an jeder vermittelnden Gesellschaft die Mehrheit der Stimmrechte gewährt. Ergänzung (neu): „Satz 2 gilt nicht, wenn bereits die unmittelbare Beteiligung die Mehrheit der Stimmrechte gewährt.“ Soweit eine sogenannte mittelbare Organschaft zu bejahen ist, hat dies zur Folge, dass die (fiktiven) Einlagen oder Einlagenrückgewähr nicht nur im unmittelbaren Verhältnis zwischen Organträger und Organgesellschaft zu berücksichtigen sind, sondern die die notwendige Beherrschung vermittelnde Zwischengesellschaft (ZG) in die Einlagelösung einzubeziehen ist (§ 14 Abs. 4 Satz 4 KStG, der auf den neu eingefügten § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 zurück verweist). Denn es können zwar zwischen Organträger und Organgesellschaft Minder- und Mehrabführungen erfolgen, dagegen setzen die Begriffe Einlagen und Einlagenrückgewähr eine (direkte) Gesellschafterbeziehung voraus.44 Denn fehlt es an einer unmittelbaren Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft, kann der Buchwert an der Organgesellschaft beim Organträger nicht angesprochen werden, da ein solcher Buchwert in diesem Fall beim Organträger gar nicht existiert. Auf der anderen Seite ist beachtlich, dass die Zwischengesellschaft weder eine Mehr- noch eine Minderabführung beziehen kann. Denn die Gewinn-

43 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412, Rz. 27. 44 Vgl. Ebber in BeckOK, § 14 KStG, Rz. 684a.

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abführung erfolgt im unmittelbaren Verhältnis zwischen der Organgesellschaft und dem Organträger.

In der Konsequenz bedeutet dies, dass im Fall von Minderabführungen die sich daraus ergebenden Einlagen doppelt auswirken und im Fall von Mehrabführungen dies auch eine doppelte Besteuerung hervorrufen kann, wenn sowohl bei der Zwischengesellschaft als auch bei dem Organträger dadurch der Buchwertansatz unterschritten wird. So führt die Stufenmethode dazu, dass die Effekte sich über die Stufen vervielfachen können; andererseits hätte eine Sprunglösung45 (die Zwischengesellschaft würde gar nicht angesprochen) den Nachteil, dass damit die systematische Anwendung der Grundsätze von Einlagen und Entnahmen wiederum durchbrochen würde.46 Insbesondere für den Fall, in dem der Organträger unmittelbar gar nicht an der Organgesellschaft beteiligt ist, sondern die Beteiligung ausschließlich über eine Zwischengesellschaft erfolgt, ist es evident, dass lediglich über diese Stufenmethodik überhaupt eine Abbildung in eine Einlagelösung erfolgen kann und nur damit auch die allgemeinen Grundsätze Berücksichtigung finden können.47

45 Vgl. Schwalm, DStR 2021, 980 (981). 46 Ebenfalls kritisch ggü. der Sprunglösung: Liedgens/Himmer, DStR 2022, 801 (810). 47 Vgl. Ebber in BeckOK, § 14 KStG, Rz. 684b, so auch Liedgens/Himmer, DB 2021, 1221 (1228); Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 14 KStG, Rz. 1096 ff.; Reifarth-Belli/Lechtenberg, DStR 2021, 2222 (2225); aA Frotscher in Frotscher/Drüen, § 14 KStG, Rz. 22 (KöMoG 2021 Erstkommentierung), der eine Veränderung des Buchwerts der Beteiligung der zwischengeschalteten

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Ist der Organträger sowohl direkt als auch indirekt an der Organgesellschaft beteiligt und ist die Organgesellschaft erst in der Summe der Beteiligungen finanziell in den Organträger eingegliedert, so sind nach Ansicht der Finanzverwaltung die Effekte aus Minder- und Mehrabführungen im Verhältnis der Höhe der Stimmrechte (nicht der Höhe der Beteiligung) zwischen Organträger und Zwischengesellschaft an der Organgesellschaft aufzuteilen. Hält der Organträger also auch eine direkte Beteiligung (von weniger als 50%), sind die Effekte aus Einlagen oder Einlagenrückgewähr pro rata zwischen der Direktbeteiligung und der vermittelten Beteiligung über die Zwischengesellschaft aufzuteilen. Sollten daneben wiederum noch außenstehende Gesellschafter beteiligt sein, bleiben deren Beteiligungen, wie auch im Eingangsbeispiel bei ausschließlicher unmittelbarer Beteiligung des Organträgers unbeachtlich, d.h. alle Effekte aus der Einlagelösung werden vollständig innerhalb des Organkreises abgebildet.

Gemäß dem BMF-Schreiben sowie aufgrund der Nachbesserung im Jahressteuergesetz 2022 aufgrund § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 KStG i.Vm. Abs. 4 Satz 4 KStG gelten als mittelbare Organschaft nur Fälle, in denen eine weitere Gesellschaft neben dem Organträger (im BMF-Schreiben als sogenannte Zwischengesellschaft, ZG bezeichnet) notwendig ist, um die Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung (Stimmrechtsmehrheit) gegenüber der Organgesellschaft zu bewirken.48 Gesellschaft an der OG nicht für möglich hält, weil in diesem Verhältnis keine Minder- und Mehrabführungen erfolgen). 48 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412, Rz. 27.

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Ist der Organträger dagegen bereits selbst mehrheitlich unmittelbar an der Organgesellschaft beteiligt so ist nach dem BMF-Schreiben keine Aufteilung vorzunehmen. Der anteilige Buchwert der „Zwischengesellschaft“ würde also gar nicht angesprochen und stände zum Beispiel im Fall einer Mehrabführung auch nicht zur Verrechnung zur Verfügung. Entsprechend käme es dann im Vergleichsfall hier „schneller“ zu steuerpflichtigen Erträgen aus der Organbeteiligung. Diese Ansicht wird in der Literatur kritisiert.49 Entsprechend könnte man sich auch fragen, ob eine systematisch geschlossene Regelung dahin gehen würde, stets von einer pro rata-Stufenlösung auszugehen und nie ausschließlich auf eine Sprunglösung (wie nach der von der Finanzverwaltung vertretenen Ansicht und der im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2022 gesetzlich fixierten Regelung festgeschrieben), dass nur bei Vorliegen einer mittelbaren Organschaft auch die Zwischengesellschaft überhaupt in die Einlagelösung einzubeziehen ist). Unterschiede werden an nachfolgenden Beispielen deutlich. Liegt gem. der vorstehenden Abbildung eine mittelbare Organschaft vor, so sollen die Effekte aus der Organschaft pro rata zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft aufgeteilt werden. Würde sich in diesem Fall allerdings die direkte Beteiligung des Organträgers auf mehr als 50% erhöhen, so würden die Effekte aus der indirekten Organschaft bzw. aus der Einlagelösung nur noch und ausschließlich beim Organträger verbucht. Dies macht deutlich, dass in Abhängigkeit davon, ob der Organträger unmittelbar eine beherrschende Beteiligung von mehr als 50% der Stimmrechte besitzt oder nicht, entweder die Effekte unter Einbezug der Zwischengesellschaft pro rata verteilt werden oder ausschließlich bei der Organgesellschaft zur Anwendung gelangen. Beide Wege wären immer denkbar, wenn sowohl eine unmittelbare als auch eine mittelbare Beteiligung besteht, es erscheint systematisch nicht unbedingt zwingend, dass dies nur im Fall einer mittelbaren Organschaft gelten soll. e) Mittelbare Organschaft mit Personengesellschaft Die Regelungen enthalten keinerlei Hinweise, wie mit den Besonderheiten zwischengeschalteter Personengesellschaften umzugehen ist. Hier stellt sich unter anderem die Frage, ob Einlagen oder Einlagenrück-

49 Vgl. Ebber in BeckOK, § 14 KStG, Rz. 684 f.

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gewähr über die Personengesellschaft oder von der Organgesellschaft direkt an den Organträger erfolgen sollen. Aus systematischen Gründen sollte man wohl von einem Gleichlauf zu der Behandlung bei zwischengeschalteten Kapitalgesellschaften ausgehen und daher eine fiktive Einlage bzw. Entnahme über zwischengeschaltete Personengesellschaften unterstellen. Diesen Ansatz verfolgt wohl auch die Finanzverwaltung.50

f) Gesetzlicher Änderungsbedarf: Fehlende Berücksichtigung Kürzungsbetrag § 11 AStG im Rahmen der Bruttomethode (§ 15 KStG)? In Bezug auf einen Organträger in der Rechtsform der Personengesellschaft (Personenunternehmen, Anwendung Teileinkünfteverfahren) könnte eine Gesetzeslücke beim Übergang auf die neue Fassung der Hinzurechnungsbesteuerung ab 2022 im Zusammenhang mit § 11 AStG entstanden sein. Soweit Beträge der Hinzurechnungsbesteuerung unterlegen haben, sind nachlaufende Dividenden bei der Dividendenbesteuerung zu kürzen, um damit eine Doppelbesteuerung der Einkünfte zu vermeiden. Der Kürzungsbetrag entspricht der Höhe nach dem anderenfalls steuerpflichtigen Dividendenbezug. Während also bei Kapitalgesellschaften damit der Kürzungsbetrag grundsätzlich 0 beträgt, da die Dividende ihrerseits grundsätzlich vollständig steuerbefreit ist (Gegenausnahme § 8b Abs. 4 KStG oder § 8b Abs. 1 Sätze 2 ff. KStG), beträgt der Kürzungsbetrag im Teileinkünfteverfahren 60%. Im Rahmen der so genannten 50 Vgl. BMF v. 29.9.2022 – IV C 2 - S 2770/19/10004 – DOK 2022/0912541, BStBl. I 2022, 1412, Rz. 31.

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Bruttomethode gemäß § 15 KStG könnte aufgrund der möglicherweise vorliegenden Gesetzeslücke allerdings folgendes Problem auftreten: Die nur niedrig besteuerte ausländische Gesellschaft unterliegt in Form der Hinzurechnungsbesteuerung einer Zusatzbelastung bei dem inländischen Gesellschafter. Spätere Ausschüttungen sollen insoweit freigestellt werden, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Die Freistellung erfolgt mittels der Anwendung des vorgenannten Kürzungsbetrags. Der Kürzungsbetrag würde nach der gesetzlichen Ausformung gegenwärtig gegebenenfalls „nur“ die Dividende an die deutschen Organgesellschaften betreffen. Auf dieser Ebene wirkt aber keine Befreiung oder Minderungsregelung. Vielmehr wird der gesamte Bruttobetrag der Dividende an den Organträger „weitergereicht“. Da der Kürzungsbetrag (scheinbar) nicht gleichfalls an den Organträger im Rahmen der Bruttomethode durchgereicht wird, droht eine normale reguläre Besteuerung beim Organträger. Der Kürzungsbetrag hätte sich in diesem Fall nicht ausgewirkt.

4. Rechtsprechung zur Organschaft a) Aufspaltungsgewinn ist Organträger zuzurechnen Mit der Entscheidung vom 11.8.2021 (I R 27/18) hat der BFH eine lange umstrittene Frage zugunsten des Steuerpflichtigen entschieden.51

51 BFH v. 11.8.2021 – I R 27/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.110821.IR27.18.0, BStBl. II 2023, 195 = GmbHR 2022, 323. = ZIP 2021, 2631.

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Gemäß dem Umwandlungssteuerlass 2011 Rz. Org.27 Satz 1 seien Übertragungsgewinne aus Verschmelzungen und auch Spaltungen von der Organgesellschaft selbst zu versteuern.52 Dies wird damit begründet, dass die Aufspaltung keine Erwerbstätigkeit darstelle, es sich um einen rein steuerlichen Übertragungsgewinn als Rechengröße handele und regelmäßig nicht mit einer handelsrechtlichen Abführung einherginge bzw. es wird auf weitere Argumente verwiesen, wie es ließen sich die Entstehung des Übertragungsgewinns und die Beendigung der Organschaft zeitlich nicht voneinander trennen, weshalb jedes beteiligte Steuersubjekt sein Einkommen selbst versteuern müsse. Demgegenüber urteilte der BFH in der vorgenannten Entscheidung, dass das Übertragungsergebnis (noch) in die letzte Steuerbilanz/Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft eingeht und auf diesen Stichtag auch letztmalig handelsrechtlich der GAV durchgeführt wird. Weiterhin stelle eine Aufspaltung auch keine Liquidation der Organgesellschaft (wie Gegenstand einer BFH Entscheidung vom 18.10.1967 – I 262/63),53 sondern einen Vermögensübergang ohne Abwicklung im Weg der Gesamtrechtsnachfolge dar. Da die Auflösung des übertragenden Rechtsträgers auch erst zeitgleich mit der Eintragung der Umwandlung in das Handelsregister des übernehmenden Rechtsträgers erfolgt, könne das Übertragungsergebnis auch nicht nach Zweckänderung der Organgesellschaft 52 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2022/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Org.27. 53 BFH v. 18.10.1967 – I 262/63, BStBl. II 1968, 105.

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in einer Abwicklungsgesellschaft anfallen. Auch der Ergebnisabführungsvertrag endet im Fall der Aufspaltung der Organgesellschaft handelsrechtlich erst mit der Eintragung der Umwandlung in das Handelsregister, sodass ein handelsrechtlicher Übertragungsgewinn der Organschaft aus einem über dem Buchwert liegenden Wertansatz auch der Gewinnabführungs-Verpflichtung unterliegt. Daher sei auch in den Fällen, in denen nur ein steuerlicher Übertragungsgewinn entstehe (was i.d.R der Fall sei) dieser Unterschiedsbetrag wiederum nur eine Abweichung der handels- von der steuerbilanziellen Gewinnabführung. Denn erst auf diesen Stichtag wird der Ergebnisabführungsvertrag abgerechnet. Es bestünde aber keine Notwendigkeit oder Begründung dafür, deshalb diesen Übertragungsgewinn außerhalb der allgemeinen organschaftlichen Regelungen nicht dem Organträger steuerlich zuzurechnen. Wegen fehlender entgegenstehender steuerrechtlicher Vorschriften gilt insoweit uneingeschränkt die Maßgeblichkeit der Handels- für die Steuerbilanz und folglich ist ein handelsrechtlicher Übertragungsgewinn der Organgesellschaft dem Organträger in vollem Umfang steuerrechtlich zuzurechnen. Dass der Übertragungsgewinn in der Handelsbilanz i.d.R Null beträgt, ändere hieran nichts. Der Unterschiedsbetrag betrifft lediglich eine Abweichung zwischen der handels- und steuerbilanziellen Gewinnabführung. Entscheidend sei insoweit allein, ob ein Übertragungsgewinn abzuführen ist bzw. wäre. Weiterhin führt der BFH in einer Art obiter dictum aus, dass auch weitere Begründungsansätze der Finanzverwaltung nicht tragen würden, da u.a. Übertragungsgewinne, die aus dem Wertansatz des zu übertragenden Vermögens über dem Buchwert resultieren, auch mit vororganschaftlichen Verlusten verrechnet werden könnten und daher auch im Rahmen der nunmehr vom BFH vertretenen Auslegung nicht untergingen.54 Die Finanzverwaltung teilt diese Ansicht nicht. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KStG ist der Verlustabzug in Bezug auf vororganschaftliche Verluste ausgeschlossen und daher die vorgenannte Ansicht des BFH nicht zutreffend55.

54 Vgl. BFH v. 11.8.2021 – I R 27/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.110821.IR27.18.0, BStBl. II 2023, 195, Rz. 25 = GmbHR 2022, 323. = ZIP 2021, 2631. 55 Vgl. BMF v. 10.2.2023 – IV C 2 - S 2770/19/10006 :008 – DOK 2023/0136824, BStBl. I 2023, 250.

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b) Mehrabführung aus Umwandlung ist innerorganschaftlich

In diesem Streitfall ging es um die Verschmelzung einer nicht zum Organkreis gehörenden Gesellschaft auf eine Organgesellschaft.56 Steuerlich wurde dabei der Buchwertansatz gewählt, handelsrechtlich dagegen der höhere Zeitwertansatz. Hieraus resultierte eine Mehrabführung. Der Streit ging darum, ob diese Mehrabführung außerorganschaftlich und damit als Gewinnausschüttung zu versteuern sei, da der Auslöser eine nicht zum Organkreis gehörende Gesellschaft/Geschäftsvorfall sei (so nach Ansicht der Finanzverwaltung gemäß Org.33 UmwStE) oder ob alle Vorgänge, die sich in organschaftlicher Zeit abspielen, auch in die Organschaft fallen und es sich damit um eine organschaftliche Mehrabführung handele, sodass statt einer Behandlung als steuerpflichtige Gewinnausschüttung lediglich ein passiver Ausgleichsposten zu bilden wäre. Mit anderen Worten, der Streit geht dahin, ob es neben der zeitlichen Dimension (vororganschaftlich oder organschaftlich) auch eine weitere sachliche Dimension (innerorganschaftlich und außerorganschaftlich) gäbe. Hierzu vertritt die Finanzverwaltung gemäß Org.33 des UmwStE bislang die Ansicht, dass in den Fällen, in denen die übernehmende Organgesellschaft das auf sie übergehende Vermögen in der Steuerbilanz mit dem Buchwert, handelsrechtlich jedoch mit dem Verkehrswert ansetzt, die daraus resultierende Mehrabführung gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 56 Vgl. BFH v. 21.2.2022 – I R 51/19, GmbHR 2022, 1046 = FR 2022, 764.

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als vor organschaftlicher Mehrabführung zu behandeln sei (Gewinnausschüttung).57 Der BFH entschied mit Urteil vom 21.2.2022 – I R 51/19, dass der Begriff „vororganschaftlich“ nur in zeitlicher Hinsicht zu verstehen sei.58 Deshalb seien nur solche Geschäftsvorfälle, die vor Wirksamwerden des Ergebnisabführungsvertrags in der organschaftlichen Zeit Mehr- oder Minderabführungen auslösen, vororganschaftlicher Natur (Folgewirkungen aus Geschäftsvorfällen aus vorvertraglicher Zeit). Insgesamt sei damit festzustellen, dass es nur vororganschaftliche oder organschaftliche Abführungen gäbe. Außerorganschaftliche Abführungen seien dagegen weder im Gesetz angelegt noch erforderlich. Entsprechend sei der Tatbestand „vororganschaftlich“ ausschließlich in zeitlicher Hinsicht auszulegen. Eine Auslegung auch in sachlicher Hinsicht im Sinne „außerorganschaftlicher“ Vorgänge sei dagegen nicht zu folgen.

III. Finanzverwaltung und Organschaft 1. Nichtanwendungserlass zu BFH-Urteil v. 12.10.2016 (I R 91/12)

57 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Org.33. 58 Vgl. BFH v. 21.2.2022 – I R 51/19, GmbHR 2022, 1046 = FR 2022, 764, Rz. 16.

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Mit Datum vom 14.1.2022 hat das BMF einen sogenannten Nichtanwendungserlass59 gegen die Entscheidung des BFH vom 12.10.2016 – I R 92/1260 herausgegeben. Inhaltlich ging es um eine grenzüberschreitende in gewisser Weise hybride Struktur (vergleiche Abbildung), in der der deutsche Organträger (Mitunternehmerschaft) isoliert Verluste aufgrund von Zinsaufwand im Sonderbetriebsvermögen II erlitt. Die nachgeschaltete deutsche Organgesellschaft erzielte dagegen Gewinne in einer Höhe, die dazu führten, dass der Organkreis insgesamt ein positives Ergebnis auswies. Streitpunkt war die Regelung gegen den doppelten Abzug negativer Einkünfte gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG. Die relevante gesetzliche Regelung lautet: „Negative Einkünfte des Organträgers oder der Organgesellschaft bleiben bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt soweit sie in einem ausländischen Staat … berücksichtigt werden“ Nach Ansicht der Finanzverwaltung sei hierbei eine isolierte Betrachtung der Verlustsituation des Organträgers vor Zurechnung der steuerlichen Gewinne der Organgesellschaft vorzunehmen. Entsprechend ergäbe sich nach Ansicht der Finanzverwaltung im Streitfall ein Abzugsverbot. Der BFH hat dagegen zugunsten des Steuerpflichtigen dahingehend entschieden, dass die konsolidierten Einkünfte des Organkreises, also nach Zurechnung des positiven Einkommens der Organgesellschaft, allein entscheidend seien.61 Denn die Organgesellschaft könne nach Zurechnung ihres Einkommens an den Organträger nie Verluste haben (denn dieses ist nach der Zurechnung immer Null). Entsprechend müsse es sich bei einer sinnhaften Auslegung der Regelung, soll diese für die Organgesellschaft nicht generell leerlaufen, auf das konsolidierte Ergebnis des Organkreises beziehen. Ergänzend sei auf die weitere Rechtsentwicklung hingewiesen. Aufgrund der nunmehr eingeführten Regelungen des § 4k EStG dürften nunmehr vorgängig zu § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG zunächst diese Anti-Hybridregelungen zu prüfen sein. Soweit hiernach bereits der Betriebsausgabenabzug entfallen würde, wären die vorstehenden Rechts59 BMF v. 14.1.2022 – IV C 2 - S 2770/20/10001 :001 – DOK 2022/0048244, DB 2022, 299. 60 BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, ECLI:DE:BFH:2016:U.121016.IR92.12.0, BStBl. II 2022, 123 = FR 2018, 319 = GmbHR 2017, 425 m. Anm. Unterberg. 61 Vgl. BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, ECLI:DE:BFH:2016:U.121016.IR92.12.0, FR 2018, 319 = GmbHR 2017, 425 m. Anm. Unterberg, BStBl. I 2022, 123, Rz. 49.

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fragen nicht mehr entscheidungserheblich, da ein Abzug im Inland dann bereits gemäß § 4k EStG ausgeschlossen wäre.

2. Digitale AfA und Durchführung Ergebnisabführungsvertrag Mit BMF-Schreiben vom 26.2.2021 sowie einem weiteren Schreiben vom 22.2.2022 beschreibt das BMF die betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer für Hardware und Software mit einem Jahr.62 Die rechtliche Grundlage für das BMF-Schreiben ist nicht klar63 und die tatsächliche Nutzungsdauer von Computer und Software ist häufig länger.

Es stellt sich die Frage, ob sich hieraus negative Konsequenzen in Fällen ergeben könnten, in denen eine Organgesellschaft im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung entsprechend dem BMF-Schreiben vorgeht. Grundsätzlich würde aufgrund der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz der Ansatz einer Nutzungsdauer von einem Jahr voraussetzen, dass auch handelsrechtlich die entsprechenden Wirtschaftsgüter binnen eines Jahres abgeschrieben werden. Es stellt sich dann aber die Frage, ob der handelsrechtliche Gewinn noch zutreffend ermittelt wurde bzw. ob dies dazu führt, dass ein unzutreffender Gewinn ermittelt und abgeführt wurde (Risiko der Nichtdurchführung des EAV § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 4 KStG). Anderenfalls könnte (bei Ansatz einer 62 BMF v. 26.2.2021 – IV C 3 - S 2190/21/10002 :013 – DOK 2021/0231247, BStBl. I 2021, 298; v. 22.2.2022 – IV C 3 - S 2190/21/10002 :025 – DOK 2022/0186479, BStBl. I 2022, 187. 63 Vgl. Grotherr, Ubg. 2022, 177 ff.: keine bindende Rechtsnorm, sondern lediglich Weisung an die Finanzbehörden, keine Bindungswirkung für Steuerpflichtigen.

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längeren Nutzungsdauer in der Handelsbilanz und damit einhergehendem erhöhten handelsbilanziellen Gewinn) eine Mehrabführung vorliegen, weil eine steuerlich zulässige Abweichung von der Maßgeblichkeit vorgelegen hätte. Dies würde wohl wiederum voraussetzen, dass eine solche Abweichung von der Maßgeblichkeit rechtlich möglich war/ist.

3. Option § 1a KStG – dennoch keine Eignung als Organgesellschaft Gemäß § 1a KStG können Personenhandelsgesellschaften unter den dort näher festgelegten Bestimmungen zu einer Besteuerung als Körperschaft optieren. Es stellt sich die Frage, ob diese Option die betreffende Personenhandelsgesellschaft dadurch auch befähigt, infolge der damit einhergehenden weitgehenden Fiktion der steuerlichen Behandlung als Kapitalgesellschaft, auch Organgesellschaft zu sein.

Die Eignung einer Personengesellschaft, Organträger zu sein, ergibt sich gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG bereits aus der gesetzlichen Regelung. Allerdings sind hier weitergehende Voraussetzungen erforderlich als bei einer vergleichbaren Kapitalgesellschaft. Es stellt sich damit die Frage, ob die Voraussetzungen hier identisch zu einer nicht optierten Personengesellschaft sind oder ob sich die Voraussetzungen auf das geringere Anspruchsniveau einer Kapitalgesellschaft absenken. Hierzu gibt das BMF-Schreiben vom 10.11.2021 durch den Verweis auf das BMFSchreiben vom 26.8.2003 dergestalt Auskunft, dass die geringeren Anforderungen an eine Kapitalgesellschaft (auch reine Vermögensverwal-

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tung qualifiziert) ausreichen (ob dieses durch die gesetzliche Regelung gedeckt ist, bleibt offen).64 Allerdings soll aus Sicht der Finanzverwaltung eine optierte Personengesellschaft nicht Organgesellschaft sein können, da bereits gesellschaftsrechtlich die notwendigen Voraussetzungen (Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrags in eintragungspflichtiger Form und organisationsrechtlichem Charakter) nicht erfolgen kann.65

IV. Zusammenfassung/Ausblick/Beurteilung Die deutschen Regelungen zur Gruppenbesteuerung erscheinen nach wie vor sehr komplex. Es ist bedauerlich, dass dieser wichtige Regelungsbereich mit so vielen Risiken durchsetzt ist. Der Übergang zur Einlagelösung ist grundsätzlich zu begrüßen, da damit der Fremdkörper der Ausgleichsposten entfällt bzw. im Beteiligungsbuchwert aufgeht. Gleichwohl ergeben sich durch die Neuregelung auch wieder neue Problemfelder und Zweifelsfragen. Das alte Recht der Ausgleichsposten wird darüber hinaus auch noch über viele Jahre in den Betriebsprüfungen und damit für die gesamte Besteuerungspraxis große Bedeutung besitzen. Im Ergebnis bleibt damit festzuhalten: dies dürfte nicht das letzte Mal sein, dass die Regelungen zur Organschaft an dieser Stelle diskutiert werden (müssen).

64 Vgl. BMF v. 10.11.2021 – I V C 2 - S 2707/21/10001 :004 – DOK 2021/1162290, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 55 iVm. BMF v. 26.8.2003 – IV A 2 - S 2770 - 18/03, BStBl. I 2003, 437, Rz. 4. 65 Vgl. BMF v. 10.11.2021 – I V C 2 - S 2707/21/10001 :004 – DOK 2021/1162290, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 56.

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4. Leitthema: Bilanzsteuerrecht

Rechtsprechungs-Highlights zum Bilanzsteuerrecht Dr. Christian Graw Richter am BFH, München I. Einleitung II. (Nicht-)Aktivierung einer Sendelizenz als Wirtschaftsgut 1. Leitsatz und Sachverhalt 2. Fragestellung 3. Entscheidung 4. Bemerkungen III. Rückstellung für Nachbetreuungskosten 1. Leitsätze und Sachverhalt 2. Fragestellung 3. Entscheidung 4. Bemerkungen IV. Teilwertzuschreibung auf Fremdwährungsdarlehen (1) 1. Leitsätze und Sachverhalt 2. Fragestellung 3. Entscheidung 4. Bemerkungen V. Teilwertzuschreibung auf Fremdwährungsdarlehen (2) 1. Leitsätze und Sachverhalt 2. Fragestellung 3. Entscheidung 4. Bemerkungen VI. AfA anhand der tatsächlichen Nutzungsdauer 1. Leitsätze und Sachverhalt 2. Fragestellung

3. Entscheidung 4. Bemerkungen VII. AfA beim Erwerb eines Anteils an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft 1. Leitsätze und Sachverhalt 2. Fragestellung 3. Entscheidung 4. Bemerkungen VIII. Verfahrensrecht und § 6b EStG 1. Leitsatz und Sachverhalt 2. Fragestellung 3. Entscheidung 4. Bemerkungen IX. § 7g EStG: Erfüllung der Nutzungsvoraussetzungen bei Betriebsaufgabe 1. Leitsatz und Sachverhalt 2. Fragestellung 3. Entscheidung 4. Bemerkungen X. Nachweis der betrieblichen Nutzung eines PKW 1. Leitsatz und Sachverhalt 2. Fragestellung 3. Entscheidung 4. Bemerkungen XI. Fazit

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I. Einleitung Das Bilanzsteuerrecht ist ein „Spiegel aktueller Wirtschaftsrealitäten“. Dies hat Prinz1 im vergangenen Jahr an dieser Stelle zutreffend herausgestellt. Dementsprechend entwickelt es sich dynamisch weiter. Daneben gibt es aber auch verschiedene längerfristige Trends, mit denen sich der Bilanzierungspraktiker ebenso (und immer wieder) auseinanderzusetzen hat. Diese sind auf den vergangenen Fachkongressen bereits intensiv diskutiert worden. Beide Phänomene können zu Steuerstreitverfahren führen, in denen es im Kern oder am Rande um bilanzsteuerrechtliche Fragestellungen geht. Die höchstrichterliche Rechtsprechung des vergangenen Jahres hat einige solcher bilanzsteuerrechtlichen Highlights zu bieten. Die nachfolgende Auswahl aktueller Judikate reicht von der Aktivierung immaterieller Wirtschaftsgüter und der Passivierung von Rückstellungen für Nachbetreuungskosten über Fragen der Teilwertzuschreibung auf Fremdwährungsdarlehen und der AfA-Bemessung hin zu Problemstellungen im Zusammenhang mit § 6b und § 7g EStG.

II. (Nicht-)Aktivierung einer Sendelizenz als Wirtschaftsgut 1. Leitsatz und Sachverhalt BFH v. 22.3.20222: „Die medienrechtlichen Rahmenbedingungen für die Zulassung eines privaten Veranstalters von Hörfunk- oder Fernsehprogrammen schließen eine für die Wirtschaftsgutseigenschaft ausreichende wirtschaftliche Übertragbarkeit der ‚Sendelizenz‘ aus.“

Sachverhalt: Die Klägerin (GmbH & Co. KG), betreibt seit 2006 den in X ansässigen lokalen Fernsehsender „…“. Als Kommanditistin mehrheitlich an der Klägerin beteiligt ist die beigeladene A-KG. Um die Zulassung als regionaler Fernsehsender und die Zuweisung entsprechender Übertragungskapazitäten (Sendelizenz) hatte sich die Klägerin mit Antrag vom 30.8.2005 bei der Landesanstalt für Kommunikation BadenWürttemberg (LfK) beworben. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 des Landesmediengesetzes Baden-Württemberg (LMedienG BW) bedürfen private Veranstalter von Hörfunk- oder Fernsehprogrammen einer Zulassung. 1 StbJb. 2021/2022, 403. 2 BFH v. 22.3.2022 – IV R 13/18, BFHE 276, 139 = BStBl. II 2022, 656.

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Im Zusammenhang mit dem Bewerbungsverfahren schloss die Klägerin einen Beratungsvertrag mit G. Dieser stellte seine Leistungen „für konzeptionelle Beratung“, „Vorbereitung Lobby-Arbeit“ und „Kooperationsgespräche“ für das Projekt „Lizenzierung …“ im Streitjahr in Höhe von insgesamt 23.210,30 t sowie im Jahr 2006 das vereinbarte einmalige Erfolgshonorar in Höhe von 5.000 t in Rechnung. Parallel verhandelte die A-KG über den Erwerb von Unternehmensanteilen an zwei weiteren lokalen Fernsehsendern. Durch notarielle Urkunde vom 2.8.2005 (Kaufund Abtretungsvertrag) boten ihr D und O sowie die D-GmbH den Erwerb sämtlicher Anteile u.a. an der S-AG sowie der T-GmbH & Co. KG, die jeweils bereits zugelassene regionale Fernsehsender betrieben, zum Kaufpreis von insgesamt … t an. Durch eine weitere notarielle Urkunde vom 2.8.2005 bot D der A-KG außerdem den Abschluss einer Vereinbarung über ein Wettbewerbsverbot sowie in § 2 Folgendes an: „(1) Die … [A-KG] wird sich – mittelbar oder unmittelbar über eine beherrschte Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft – um die Erteilung einer Fernseh-Lizenz für den Raum [X] (Sendegebiet [Y]) bewerben. Herr … [D] wird die … [A-KG] bzw. deren Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft hierbei beratend unterstützen. (2) Die Beratungsleistung von Herrn … [D] besteht insbesondere in der Ausarbeitung des Bewerbungsschreibens, der Lobbyarbeit bei geeigneten Ansprechpartnern und der Mitwirkung bei der Bildung eines Bewerbungskonsortiums sowie bei Gesprächen bei der … [LfK], sowie sonstigen fördernden Maßnahmen. Hierbei bringt Herr … [D] sein Netzwerk und sein Know-how ein. Er wird jedoch die Gespräche mit der LfK nicht persönlich führen. (3) Sollte die LfK der … [A-KG] oder der betreffenden Tochter- bzw. Beteiligungsgesellschaft … der … [A-KG] die in Abs. 1 genannte Lizenz erteilen, so erhält Herr … [D] für die von ihm erbrachte Beratungsleistung eine einmalige Vergütung in Höhe von t …“

Dieses Angebot sollte mit dem Angebot über den Kauf- und Abtretungsvertrag derart verbunden sein, dass es mit dessen Annahme ebenfalls angenommen wird. Die A-KG nahm beide Angebote am 18.8.2005 an. Durch notariellen Vertrag vom 18.4.2006 schlossen die Vertragsparteien Änderungs- und Ergänzungsvereinbarungen zu den vorgenannten Verträgen. U.a. wurde das Beratungshonorar des D auf 270.750 t gemindert. In etwa demselben prozentualen Verhältnis wurden des Weiteren die Kaufpreise für die veräußerten Unternehmensanteile des D und der D-GmbH reduziert. Die LfK … entschied am xx.xx.2005, der Klägerin die Sendelizenz zu erteilen. Die Entscheidung wurden durch Pressemitteilung der LfK am Tag der Entscheidung bekanntgegeben. Mit Bescheid vom 20.2.2006 er381

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ließ die LfK … eine förmliche, bis zum 30.6.2014 … befristete Lizenzierungsentscheidung. Für die Zulassung als regionaler Fernsehsender setzte die LfK gegen die Klägerin eine Gebühr in Höhe von 1.500 t und für die Zuweisung der Übertragungskapazitäten eine Gebühr in Höhe von 2.000 t fest. Die Sendelizenz trat zum 1.7.2006 in Kraft. Die Klägerin berücksichtigte die Gebühren der LfK (3.500 t) sowie das gesamte von G in Rechnung gestellte Beratungshonorar (28.210,30 t) bereits im Streitjahr erfolgswirksam als Betriebsausgaben; dabei passivierte sie das erst im Folgejahr als Erfolgshonorar in Rechnung gestellte Honorar des G (5.000 t) als sonstige Verbindlichkeit. Das erst 2006 von der A-KG bezahlte Beratungshonorar des D (270.750 t) wurde den Feststellungen der Außenprüfung zufolge von der A-KG als Obergesellschaft in ihrer eigenen Bilanz zum 31.12.2005 erfolgswirksam als „Beratungsaufwand (sonstige Verbindlichkeit)“ passiviert. Im Gewinnfeststellungsbescheid für 2005 stellte das FA unter dem Vorbehalt der Nachprüfung einen „Gewinn aus Gesamthandsbilanz“ der Klägerin erklärungsgemäß in Höhe von ./. 73.801,34 t fest. Im Rahmen einer in den Jahren 2009 und 2010 durchgeführten Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, die für die Sendelizenz aufgewandten Kosten seien im Streitjahr erfolgsneutral als Anschaffungskosten für ein immaterielles Wirtschaftsgut „Sendelizenz“ zu behandeln. In der Gesamthandsbilanz der Klägerin für das Streitjahr seien insoweit Anschaffungskosten in Höhe der Gebühren der LfK (3.500 t) und des Honorars des G (insgesamt 28.210,30 t) zu aktivieren (insgesamt 31.710,30 t). In einer „Ergänzungsbilanz“ der A-KG bei der Klägerin für das Streitjahr sei die von der A-KG im Folgejahr geleistete Zahlung an D (270.750 t) gegen Buchung einer Einlage zu aktivieren. Der Rechtsauffassung der Außenprüfung folgend stellte das FA durch geänderten Gewinnfeststellungsbescheid 2005 den „Gewinn aus Gesamthandsbilanz“ der Klägerin in Höhe von ./. 42.091,04 t (./. 73.801,34 t + 31.710,30 t) fest. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das FG der Klage statt.

2. Fragestellung Handelt es sich bei Gebühren und Beratungskosten im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Sendelizenz um sofort abzugsfähige Betriebsausgabe oder liegen aktivierungspflichtige Anschaffungskosten eines immateriellen Wirtschaftsguts vor?

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3. Entscheidung Die Revision des FA war erfolgreich. Der BFH hat die Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache wie folgt begründet: Zur Aktivierung der Sendelizenz: Das FG hat zu Recht ein aktivierungsfähiges immaterielles Wirtschaftsgut „Sendelizenz“ verneint. Es mangelt bereits an einer ausreichenden wirtschaftlichen Übertragbarkeit der „Sendelizenz“, so dass offenbleiben kann, ob § 5 Abs. 2 EStG ebenfalls einer Aktivierung der „Sendelizenz“ entgegenstünde. Der steuerrechtliche Begriff des Wirtschaftsguts ist weit zu fassen und auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise auszulegen. Der Begriff des zu aktivierenden „Wirtschaftsguts“ beinhaltet in Anlehnung an den Begriff „Vermögensgegenstand“ im Handelsrecht nicht nur Sachen und Rechte im Sinne des BGB, sondern auch tatsächliche Zustände und konkrete Möglichkeiten, die entweder einzeln oder zusammen mit dem Betrieb übertragen werden können und aus der Sicht eines potentiellen Betriebserwerbers einen eigenständigen Wert haben. Merkmal der Übertragbarkeit: Nach diesen Maßstäben stellt die streitbefangene Sendelizenz schon deshalb kein eigenständiges zu aktivierendes Wirtschaftsgut dar, weil die medienrechtlichen Rahmenbedingungen eine für die Wirtschaftsgutseigenschaft ausreichende wirtschaftliche Übertragbarkeit der nach den Feststellungen des FG ausschließlich der Klägerin erteilten Sendelizenz ausschließen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 12 Abs. 4 Satz 1 LMedienG BW ist die Zulassung eines privaten Veranstalters von Hörfunk- oder Fernsehprogrammen nicht übertragbar. Die Regelung dient dem Zweck, eine Umgehung der persönlichen Zulassungsvoraussetzungen für die Erteilung einer rundfunkrechtlichen Erlaubnis zu vermeiden. Darüber hinaus will auch § 12 Abs. 4 Satz 2 LMedienG BW die „Identität“ des Veranstalters von Hörfunk- oder Fernsehprogrammen sichern, indem die Vorschrift bestimmt, dass eine (unzulässige bzw. schädliche) Übertragung der Zulassung anzunehmen ist, wenn innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren seit der Zulassung mehr als 50 vom Hundert der Kapital- oder Stimmrechtsanteile auf andere Gesellschafter oder Dritte übertragen werden und dies nach den gesamten Umständen, insbesondere bei einer wesentlichen Änderung des Programmkonzeptes oder einer Änderung des Programmnamens, einem Wechsel des Veranstalters gleichkommt. Hintergrund der Ausgestaltung der rundfunkrechtlichen Zulassung als höchstpersönliches Recht ist, dass den Inhaber- und Beteiligungsverhält383

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nissen eines Anbieters nach Auffassung des Gesetzgebers eine wichtige Bedeutung zukommen soll. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass mit der Ausgestaltung der rundfunkrechtlichen Zulassung als höchstpersönliches Recht die auch für ein immaterielles Wirtschaftsgut erforderliche ausreichende wirtschaftliche Übertragbarkeit nicht vereinbar ist. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall beispielsweise von der Rechtsprechung des BFH zur Rechtsnatur einer Güterverkehrskonzession als Wirtschaftsgut. Jene Rechtsprechung ist nämlich von der Möglichkeit ausgegangen, „zur Weiterführung eines Unternehmens oder eines selbständigen, abgrenzbaren Unternehmensteils im Einzelfall unter Anlegung eines strengen Maßstabes“ die Konzession zusammen mit dem Betrieb einer Spedition zu veräußern bzw. zu erwerben.3 Die ausreichende wirtschaftliche Übertragbarkeit der streitbefangenen Sendelizenz kann auch nicht durch eine mittelbare Übertragung durch Abtretung der Anteile an der unternehmenstragenden Gesellschaft (sog. „share-deal“) begründet werden. Zum einen ist die Übertragung von Anteilen am Veranstalter nach Maßgabe des § 12 Abs. 4 Satz 2 LMedienG BW unzulässig und insoweit nach § 134 BGB nichtig. Zum anderen ist dem FG darin zu folgen, dass sich bei einer Anteilsübertragung aus ertragsteuerlicher Sicht nicht der Rechtsträger bzw. Inhaber des Vorteils, sondern nur die Zusammensetzung im Bestand der Gesellschafter am Rechtsträger bzw. Inhaber ändert und damit ein „share-deal“ lediglich Ausdruck der Verkehrsfähigkeit der Anteile an der Gesellschaft, nicht aber der Verkehrsfähigkeit der der Gesellschaft zuzurechnenden Vorteile ist. Fehlende Spruchreife: Aufgrund der bisherigen Feststellungen des FG ist zwar davon auszugehen, dass die streitbefangenen Aufwendungen der Klägerin grundsätzlich Betriebsausgaben sein können; der BFH konnte jedoch mit Ausnahme des von G im Streitjahr in Rechnung gestellten Honorars (23.210,30 t) nicht beurteilen, ob diese schon im Streitjahr erfolgswirksam zu berücksichtigen sind. Hinsichtlich der streitbefangenen Aufwendungen der A-KG für das Beratungshonorar des D konnte der BFH bereits nicht beurteilen, ob diese überhaupt im Gewinnfeststellungsverfahren der Klägerin als Sonderbetriebsausgaben der A-KG zu berücksichtigen sind.

3 BFH v. 10.8.1989 – X R 176-177/87, BFH v. 10.8.1989 – X R 176/87, X R 177/87, BFHE 158, 53 = BStBl. II 1990, 15 = FR 1989, 718.

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Aufwendungen der Klägerin: Nachdem die Aktivierung von Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts „Sendelizenz“ im Streitfall ausscheidet, sind die streitbefangenen Aufwendungen der Klägerin grundsätzlich – d.h. losgelöst von der Frage, in welchem Jahr diese erfolgswirksam zu berücksichtigen sind – geeignet, als sofort abziehbare Betriebsausgaben qualifiziert zu werden. Die Würdigung des FG, dass die von der Klägerin getragenen Aufwendungen für die von der LfK festgesetzten Gebühren und die von G in Rechnung gestellten Leistungen durch den Betrieb der Klägerin veranlasst sind, ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit und nach den Feststellungen des FG zumindest möglich. Aufwendungen der A-KG: Bei den streitbefangenen Aufwendungen der A-KG lässt sich aufgrund der bisherigen Feststellungen des FG hingegen schon nicht beurteilen, ob und ggf. inwieweit diese ungeachtet des Jahrs ihrer erfolgswirksamen Berücksichtigung statt – wie es wohl ursprünglich die A-KG selbst gesehen hat – im Gewinnfeststellungsverfahren der A-KG als Obergesellschaft – wie nunmehr begehrt – im Gewinnfeststellungsverfahren der Klägerin als Untergesellschaft zu berücksichtigen sind. Zu den gewerblichen Einkünften des Gesellschafters einer Personengesellschaft i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gehören auch alle Betriebsausgaben, die ihre Veranlassung in der Beteiligung des Steuerpflichtigen an der gewerblich tätigen Personengesellschaft haben. Sie sind bei ihm als Sonderbetriebsausgaben zu erfassen. Ob und inwieweit Aufwendungen in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer Einkunftsart stehen, hängt von den Gründen ab, aus denen der Steuerpflichtige die Aufwendungen vornimmt. Die Gründe bilden das „auslösende Moment“, das den Steuerpflichtigen bewogen hat, die Kosten zu tragen. Das FG ist aufgrund der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei der streitigen Zahlung der A-KG an D in Höhe von 270.750 t nicht um eine verdeckte Kaufpreiszahlung, sondern um ein Beratungshonorar gehandelt habe, und dass damit feststehe, dass die Zahlung durch den Erwerb der Sendelizenz betrieblich veranlasst gewesen sei. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass die Zahlung aus Sicht der A-KG gerade durch ihre Beteiligung an der Klägerin und nicht etwa aus eigenbetrieblichen Gründen der A-KG veranlasst war. Es fehlt an einer nachvollziehbaren Begründung, weshalb insoweit die Beteiligung der A-KG an der Klägerin „das auslösende Moment“ gewesen sein sollte. Nicht die Klägerin, sondern allein die A-KG ist zivilrechtlich Vertragspartner des D gewesen. Ausweislich der notariellen Urkunde vom 385

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2.8.2005 wollte sich die A-KG „mittelbar oder unmittelbar über eine beherrschte Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft“ um die Erteilung der Fernseh-Lizenz bewerben, bei deren Erwerb D beratend unterstützen sollte. Zudem betraf das zugrundeliegende Vertragswerk u.a. auch den Erwerb von Anteilen an Gesellschaften, die jeweils bereits zugelassene regionale Fernsehsender betrieben, durch die A-KG. Diese Umstände könnten für ein eigenbetriebliches Interesse der A-KG am Abschluss des Beratungsvertrags mit D sprechen. So hat nach den Feststellungen der Außenprüfung auch die A-KG selbst das im Jahr 2006 von ihr gezahlte Honorar des D zunächst in ihrer eigenen Gewinnermittlung für das Streitjahr als „Beratungsaufwand (sonstige Verbindlichkeit)“ verbucht. Wären die streitbefangenen Aufwendungen im Betrieb der A-KG veranlasst, könnten sie schon deshalb nicht als deren Sonderbetriebsausgaben bei der Klägerin berücksichtigt werden. Zur Berücksichtigung im Streitjahr: Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des FG konnte der BFH des Weiteren nicht beurteilen, ob dem FG darin zu folgen ist, dass die gesamten streitbefangenen Aufwendungen der Klägerin bereits im Streitjahr erfolgswirksam als Betriebsausgaben zu berücksichtigen sind. Nur für bereits im Streitjahr erbrachte Leistungen des G ist auch in diesem Jahr ein Betrag in Höhe von 23.210,30 t in Rechnung gestellt worden. Nachdem die betriebliche Veranlassung dieser Aufwendungen nicht im Streit steht und ihre erfolgsneutrale Aktivierung nicht in Betracht kommt, sind diese jedenfalls im Streitjahr als Betriebsausgaben zu erfassen, wobei hinsichtlich dieser der Höhe nach feststehenden Aufwendungen für den Fall der Zahlung durch die Klägerin erst im Folgejahr erfolgswirksam eine Verbindlichkeit in der Gesamthandsbilanz der Klägerin zu passivieren wäre. Mit Ausnahme des Betrags in Höhe von 23.210,30 t für Leistungen des G sind die streitbefangenen Gebühren sowie das restliche Honorar des G jedoch erst im Jahr 2006 festgesetzt bzw. in Rechnung gestellt worden. Zur Zahlung der Gebühren und des 2006 in Rechnung gestellten Honorars des G durch die Klägerin enthält das FG-Urteil keine Feststellungen. Unterstellt, dass Gebühren und Honorar erst nach ihrer Festsetzung bzw. Inrechnungstellung bezahlt worden sind, kommt eine erfolgswirksame Berücksichtigung des entsprechenden Aufwands als Betriebsausgaben bereits im Streitjahr nur insoweit in Betracht, als im Streitjahr in der Gesamthandsbilanz der Klägerin hinsichtlich dieser Aufwendungen entweder eine Verbindlichkeit oder eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu passivieren wäre. Zwar scheidet nach den bisherigen 386

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Feststellungen des FG die Passivierung von Verbindlichkeiten aus. Aufgrund der bisherigen Feststellungen des FG lässt sich jedoch nicht beurteilen, ob bzw. inwieweit im Streitjahr Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu passivieren wären. Das FG ist ohne weitergehende Prüfung lediglich davon ausgegangen, dass (auch) sämtliche streitbefangenen Aufwendungen der Klägerin als Betriebsausgaben sofort abziehbar und „insoweit unstreitig“ durch Bildung einer Rückstellung bereits im Streitjahr zu berücksichtigen seien. Passivierung einer Verbindlichkeit: Nach § 247 Abs. 1 HGB sind in der Handelsbilanz Schulden zu passivieren, wenn der Unternehmer zu einer dem Inhalt und der Höhe nach bestimmten Leistung an einen Dritten verpflichtet ist, die vom Gläubiger erzwungen werden kann und die am zu beurteilenden Bilanzstichtag eine gegenwärtige wirtschaftliche Belastung darstellt. Dies gilt nach dem aus § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG folgenden sog. Maßgeblichkeitsgrundsatz auch für Zwecke der Steuerbilanz. Nach allgemeinen Grundsätzen entstehen Ansprüche und Verpflichtungen zu dem Zeitpunkt, zu dem die sie begründenden Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der Verbindlichkeit kommt es nicht an. Diese Voraussetzungen liegen nach den bisherigen Feststellungen des FG hinsichtlich der hier in Rede stehenden Aufwendungen nicht vor. Soweit die Gebühren für die Erteilung der Sendelizenz erst in dem unter dem 20.2.2006 erlassenen Lizenzierungsbescheid der LfK festgesetzt worden sind und der G den als „einmaliges Erfolgshonorar“ in Höhe von 5.000 t verstandenen Anteil der von ihm abgerechneten Beratungsleistungen erst im Jahr 2006 in Rechnung gestellt hat, ist nicht erkennbar, dass bereits im Streitjahr eine Verpflichtung zur Leistung der Gebühren bzw. des restlichen Honorars des G bestand, die von der LfK bzw. dem G bereits im Streitjahr von der Klägerin hätte erzwungen werden können. Die die jeweiligen Verpflichtungen begründenden Tatbestandsmerkmale waren zum maßgeblichen Bilanzstichtag 31.12.2005 nach den bisherigen Feststellungen des FG offenkundig noch nicht erfüllt. Passivierung einer Rückstellung: Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind in der Handelsbilanz Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Das handelsrechtliche Passivierungsgebot für Verbindlichkeitsrückstellungen gehört zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung und gilt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für die Steuerbilanz. Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Ver387

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bindlichkeiten ist das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach – deren Höhe zudem ungewiss sein kann – sowie ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Als weitere Voraussetzung muss der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen. Ist eine Verpflichtung am Bilanzstichtag bereits rechtlich entstanden, bedarf es keiner Prüfung der wirtschaftlichen Verursachung mehr, weil eine Verpflichtung spätestens im Zeitpunkt ihrer rechtlichen Entstehung auch wirtschaftlich verursacht ist. Mit dieser Rechtsansicht des erkennenden Senats steht die Rechtsprechung des I. Senats des BFH in Einklang, der zufolge für den Fall, dass eine Verpflichtung am Bilanzstichtag nicht nur der Höhe nach ungewiss, sondern auch dem Grunde nach noch nicht rechtlich entstanden ist, eine Rückstellung nur unter der weiteren Voraussetzung gebildet werden kann, dass sie wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht wurde.4 Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen konnte der BFH aufgrund der bisherigen Feststellungen des FG nicht abschließend beurteilen, ob hinsichtlich der Aufwendungen für die von der LfK festgesetzten Gebühren und für das von G im Jahr 2006 in Rechnung gestellte „Erfolgshonorar“ bereits im Streitjahr erfolgswirksam eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten in der Gesamthandsbilanz der Klägerin zu passivieren ist. Die im Streitjahr der Höhe nach noch ungewissen Gebühren sind erst mit ihrer Festsetzung durch die LfK mit Bescheid vom 20.2.2006 rechtlich entstanden. Ihre wirtschaftliche Verursachung im Streitjahr könnte allenfalls auf Umstände gestützt werden, die im Zusammenhang mit der vom FG festgestellten, bereits im Streitjahr getroffenen „Entscheidung“ der LfK stehen, die durch Pressemitteilung vom gleichen Tag bekanntgegeben worden sein soll. Den genauen Inhalt, den Rechtscharakter und die möglichen rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen der „Entscheidung“ hat das FG nicht festgestellt. Deshalb ist unklar, welche Bedeutung eine „Entscheidung“ der LfK vor Erlass des Bescheids gehabt hat und welche Folgerungen daraus für die wirtschaftliche Verursachung der Verpflichtung zur Zahlung der Gebühren bereits im Streitjahr abzuleiten sein könnten.

4 BFH v. 15.3.2017 – I R 11/15, ECLI:DE:BFH:2017:U.150417.IR11.15.0, BFHE 258, 8 = BStBl. II 2017, 1043 = FR 2018, 231 m. Anm. Weber-Grellet = ZIP 2017, 1561.

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Die bisherigen Feststellungen des FG deuten darauf hin, dass die Honorarforderung des G in Höhe von 5.000 t auch rechtlich als Erfolgshonorar ausgestaltet worden ist. Dies könnte dafür sprechen, dass diese Honorarforderung von der rechtlich verbindlichen Erteilung einer Sendelizenz durch einen entsprechenden Bescheid abhängig gemacht worden ist. Dann wäre diese Forderung nicht nur rechtlich erst im Jahr 2006 mit Erlass des Bescheids der LfK aufschiebend bedingt entstanden, sondern auch wirtschaftlich erst im Jahr 2006 verursacht worden. Andererseits ist es aber auch nicht ausgeschlossen, dass bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Streitjahr – etwa dem der Veröffentlichung einer entsprechenden Pressemitteilung der LfK – eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens der entsprechenden Verbindlichkeit dem Grunde nach bestand und auch deren wirtschaftliche Verursachung in diesem Jahr begründet sein könnte. Zurückverweisung: Mit der Zurückverweisung erhält das FG Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen nachzuholen. Lediglich hinsichtlich der von G im Streitjahr in Rechnung gestellten Leistungen wäre davon auszugehen, dass das entsprechende Honorar in Höhe von 23.210,30 t im Streitjahr als Betriebsausgabe der Klägerin zu berücksichtigen ist. Bei Zahlung durch die Klägerin erst im Folgejahr wäre erfolgswirksam eine entsprechende Verbindlichkeit in der Gesamthandsbilanz der Klägerin zum Bilanzstichtag 31.12.2005 zu passivieren. Im Übrigen wären Betriebsausgaben der Klägerin nur zu berücksichtigen, soweit bereits zum Bilanzstichtag 31.12.2005 erfolgswirksam eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten in deren Gesamthandsbilanz zu passivieren wäre. Sollte das FG bei seiner erneuten Entscheidung zu dem Schluss kommen, dass die streitbefangenen Aufwendungen der A-KG im Gewinnfeststellungsverfahren der Klägerin zu berücksichtigen sind, wird es in gleicher Weise wie bei der Klägerin zu prüfen haben, ob die Aufwendungen bereits im Streitjahr als Sonderbetriebsausgaben erfolgswirksam zu erfassen sind. Nachdem die A-KG nach den bisherigen Feststellungen des FG das Honorar des D erst im Jahr 2006 gezahlt hat, wäre dies nur dann der Fall, wenn im Sonderbetriebsvermögen der A-KG bei der Klägerin zum Bilanzstichtag 31.12.2005 erfolgswirksam eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu passivieren wäre, die dann bei Zahlung des Honorars des D in Gestalt einer Einlage der A-KG im Folgejahr erfolgsneutral auszubuchen wäre.

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4. Bemerkungen Die den Begriff des Wirtschaftsguts betreffende Entscheidung des BFH verdient Zustimmung. Das Urteil konkretisiert das Merkmal der Übertragbarkeit. Es stellt klar, dass die Übertragbarkeit der Anteile am berechtigten Unternehmen nicht als Kriterium für die (wirtschaftliche) Übertragbarkeit eines dem Unternehmen selbst zustehenden Vorteils bzw. Umstands herangezogen werden kann.5 Maßgebend ist die Übertragbarkeit des Vorteils selbst. Eine solche bestand im Streitfall nach den medienrechtlichen Rahmenbedingungen nicht. Nur der Vollständigkeit halber sei allerdings darauf hingewiesen, dass die Sendelizenz ohne landesgesetzlich geregeltes Übertragungsverbot wohl hätte aktiviert werden müssen.6

III. Rückstellung für Nachbetreuungskosten 1. Leitsätze und Sachverhalt BFH v. 2.7.20217: „1. Stellt ein Zulieferbetrieb dem jeweiligen Auftraggeber zu übereignende Werkzeuge für die Produktion von Teilen her und wird seine Verpflichtung zur Wartung, Instandhaltung und Aufbewahrung der zur Verfügung stehenden Werkzeuge ausschließlich durch einen für die Lieferung der Werkzeuge abgeschlossenen Werkzeugvertrag abgegolten und nicht durch die späteren Aufträge zur Produktion der Teile, ist eine Rückstellung für die Aufwendungen zur Wartung, Instandhaltung und Aufbewahrung der Werkzeuge zu bilden. 2. § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG steht einer Rückstellung für diese Aufwendungen nicht entgegen, wenn die Aufwendungen nicht als eigene Produktionskosten für die Erstellung der Teile anfallen, sondern zur Erfüllung von vertraglichen Pflichten aus dem Werkzeugvertrag.“

Sachverhalt: Die Klägerin entwickelt als Zulieferbetrieb spezielle Teile und stellt sie her. Daneben fertigt sie auch die für die Produktion erforderlichen kundenspezifischen Spezialwerkzeuge und Vorrichtungen (Werkzeuge), ändert sie und hält sie instand. Die Klägerin schloss mit ihren Auftraggebern zum einen jeweils einen Rahmenlieferungsvertrag zur Beschaffung der Teile und zum anderen sog. Werkzeugverträge ab. Diese Werkzeugverträge sehen u.a. vor, dass das Eigentum an den von 5 Abele, BB 2022, 1842; Korn, NWB 2022, 2179 (2180). 6 Swetlik, BFH v. 22.3.2022 – IV R 13/18, EStB 2022, 323. 7 BFH v. 2.7.2021 – XI R 21/19, ECLI:DE:BFH:2021:U.020721.XIR21.19.0, FR 2022, 253 m. Anm. Weber-Grellet = BFH/NV 2022, 222.

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der Klägerin im Auftrag des jeweiligen Vertragspartners gefertigten Werkzeugen nach Fertigstellung und mit Bezahlung durch den Auftraggeber auf diesen übergeht. Die Werkzeuge sind dauerhaft derart zu kennzeichnen, dass sie als Eigentum des Auftraggebers erkannt werden können, verbleiben bei der Klägerin und dürfen von ihr zur Ausführung von Bestellungen des jeweiligen Auftraggebers benutzt werden. In den Werkzeugverträgen ist zudem geregelt, dass die Werkzeuge von der Klägerin gegen Feuer, Diebstahl und Wasserschaden zum Wiederbeschaffungswert zu versichern sind. Darüber hinaus trägt die Klägerin die Kosten der laufenden Wartung, Instandhaltung sowie der Reparatur der Werkzeuge. Für sämtliche Leistungen wird kein gesondertes Entgelt gezahlt. Die tatsächliche Produktion der Teile hat keinen Einfluss auf den für die Werkzeuge zu zahlenden Preis: Insbesondere führt die später tatsächlich produzierte Menge von Teilen nicht zu einer Änderung des Kaufpreises für die Werkzeuge. Umgekehrt werden die entrichteten Kaufpreise für die Werkzeuge nicht auf den Preis der produzierten Teile angerechnet. Die Klägerin bildete aufgrund der o.g. vertraglichen Pflichten eine Rückstellung für Werkzeugkosten. Deren Zulässigkeit war bereits Gegenstand eines finanzgerichtlichen Klageverfahrens. In der mündlichen Verhandlung verständigten sich die Beteiligten für die dortigen Streitjahre darauf, dass eine Rückstellung für Werkzeugkosten/Nachbetreuungsleistungen zu bilden sei und diese der Höhe nach mit 80% des von der Klägerin zusammen mit dem Außenprüfer ermittelten Betrags angesetzt werden sollte. Auf dieser Berechnungsgrundlage bildete die Klägerin in ihrer Bilanz zum 31.12.2007 eine Rückstellung für Werkzeugkosten. Einbezogen wurden Aufwendungen für Lagerung, Versicherung, Wartung/Reinigung/ Pflege und Reparaturaufwand (80%). Als Aufwand für „Wartung/Reinigung/Pflege“ legte die Klägerin die nach Zeitaufwand bemessenen Personalkosten zu Grunde. Als „Reparaturaufwand“ erfasste sie geschätzte Materialkosten sowie Lohnkosten. Davon nahm sie Abschläge vor und löste die Rückstellung über einen Zeitraum von fünf Jahren auf. Das FA veranlagte die Klägerin zunächst erklärungsgemäß zur Körperschaftsteuer; die Festsetzung stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Nach einer Außenprüfung für die Jahre 2007 bis 2010 vertrat das FA für Groß- und Konzernbetriebsprüfung die Auffassung, die gebildete Rückstellung sei steuerrechtlich nicht anzuerkennen. Rückstellungen für Aufwendungen, die in künftigen Wirtschaftsjahren als Anschaf391

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fungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsgutes zu aktivieren seien, dürften gemäß § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG nicht gebildet werden. Die künftigen Aufwendungen für die Wartung, Instandhaltung und Erneuerung der Werkzeuge seien als notwendige Material- bzw. Fertigungsgemeinkosten Teil der Herstellungskosten der künftig herzustellenden Teile. Die Reparatur und Instandhaltung der Werkzeuge stehe in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Produktion der Teile. Unerheblich hierfür sei, aufgrund welchen Vertrags die Reparatur- und Instandhaltungsleistungen erbracht werden müssten. Das FA schloss sich dieser Auffassung an. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das FG der Klage weitgehend statt.

2. Fragestellung Im Streitfall stellte sich die Frage, ob für sog. Nachbetreuungskosten eine Rückstellung gebildet werden kann.

3. Entscheidung Die Revision des FA hatte keinen Erfolg. Dies hat der BFH wie folgt begründet: Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten: Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind in der Handelsbilanz u.a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Dies setzt voraus, dass eine betriebliche Verbindlichkeit dem Grund und/oder der Höhe nach besteht, die Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen wahrscheinlich ist und, sofern es sich um eine künftige Verbindlichkeit handelt, dass die Verbindlichkeit wirtschaftlich im abgelaufenen oder in dem (den) vorangegangenen Wirtschaftsjahr(en) verursacht ist. Zudem darf es sich bei den Aufwendungen nicht um (nachträgliche) Herstellungs- oder Anschaffungskosten eines Wirtschaftsgutes handeln. In zeitlicher Hinsicht muss die Verbindlichkeit in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht sein; es muss bereits bis zum Bilanzstichtag eine wirtschaftliche Belastung eingetreten sein. Mit der noch zu erbringenden zukünftigen Leistung muss nicht nur an Vergangenes angeknüpft werden, sondern Vergangenes abgegolten werden. Würdigung des FG: Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Gesamtwürdigung des FG, dass die Klägerin zur „Nachbetreuung“ der zur Pro392

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duktion von Zulieferungsteilen hergestellten Werkzeuge rechtlich verpflichtet und diese Verpflichtung im Streitjahr auch wirtschaftlich verursacht ist, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das FG eine rechtliche Verpflichtung der Klägerin zur Wartung, Instandhaltung und Reparatur der Werkzeuge bejaht. Sie ergibt sich aus den abgeschlossenen Werkzeugverträgen. Das FG ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Schluss gelangt, dass die Aufwendungen für die Versicherung der Werkzeuge und für die Lagerkosten für die vertraglich festgelegte Zeit sowie für Wartungs- und Pflegearbeiten und für die erfahrungsgemäß stets anfallenden und zu erwartenden verschleißbedingten Ausbesserungs-, Nachbesserungs- und Reparaturarbeiten vor dem Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht waren. Die Würdigung des FG beruht dabei im Wesentlichen auf seiner Auslegung der Werkzeugverträge, wenn es diese Verpflichtung als Nebenpflicht mit dem Abschluss der Verträge über die Veräußerung der Werkzeuge als begründet und mit dem Verkaufserlös als abgegolten ansieht. Die Vertragsauslegung entspricht den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB, ist jedenfalls möglich und verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze; sie bindet den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO. Kostentragungspflicht kein Äquivalent zur Leihe: Dies schließt auch die Würdigung des FG ein, die Kostentragungspflicht (Aufwendungen im Zusammenhang mit der Wartung, Reinigung, Pflege und Reparatur) nicht als Äquivalent zur Leihe der Werkzeuge zu würdigen. Denn die Kostentragung ist für die Mindestausbringungsmenge und die festgelegte Zeitdauer vereinbart und gerade nicht abhängig und beschränkt auf den Umfang der mit der tatsächlichen Nutzung verbundenen Aufwendungen. Abgrenzung zur einschlägigen Judikatur: Die Einwendungen des FA führen zu keiner anderen Beurteilung. Soweit die Verpflichtung zur „Nachbetreuung“ der Werkzeuge nach der tatsächlichen Würdigung des FG bereits im Zeitpunkt des Abschlusses der Werkzeugverträge wirtschaftlich verursacht ist, kann das vom FA in der mündlichen Verhandlung angeführte BFH-Urteil zu den Pflichten des Betreibers eines Flusskraftwerks8 zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn der dort vom BFH entschiedene Fall unterscheidet sich insofern vom streitigen Sachverhalt, als dort gerade keine Verbindung zu einer wirtschaftlichen Belastung am Bilanzstichtag vorlag: Vorliegend wurde die Klägerin nach der tatsächlichen

8 BFH v. 23.10.1985 – I R 227/81, BFH/NV 1987, 123.

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Würdigung des FG in Form einer Nebenpflicht zum Bilanzstichtag wirtschaftlich belastet und diese Nebenpflicht wurde bereits mit Abschluss der Verträge über die Veräußerung der Werkzeuge begründet und mit dem Verkaufserlös abgegolten. Wie das FG zu Recht festgestellt hat, widerspricht seine Rechtsauffassung auch nicht dem BFH-Urteil zu Nachbetreuungspflichten eines Hörgeräte-Akustikers beim Verkauf von Hörhilfen.9 Aus der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Sicht des FG sind die Nachbetreuungsleistungen Ausfluss der Veräußerung der Werkzeuge im Sinne einer vereinbarten Gewährleistung. Kein Fall des § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG: Die Passivierung der Aufwendungen zur Nachbetreuung der Werkzeuge ist auch nicht nach § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG ausgeschlossen. Das FG hat ohne Rechtsfehler die Aufwendungen für die Wartung, Reinigung und Pflege der Werkzeuge nicht als Herstellungskosten qualifiziert, die zu einem Passivierungsverbot nach § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG führen würden. Da nach den tatsächlichen Feststellungen des FG die Nachbetreuungsaufwendungen bei der Kalkulation keine Auswirkung auf das Entgelt für die Produktion der Teile hatten, handelt es sich nicht um Herstellungskosten der Teile. Vielmehr musste die Klägerin die aus der Wartungsverpflichtung folgenden und erfahrungsgemäß bei üblichem Verlauf zu erwartenden Aufwendungen in die Kalkulation des Entgelts für die Leistungen aufgrund des Werkzeugvertrags einbeziehen. Eine „weitere“ Berücksichtigung als Herstellungskosten der Teile kam mithin im Streitfall nicht in Betracht.

4. Bemerkungen Der Entscheidung ist zu folgen.10 Es handelt sich zwar um einen Einzelfall, gleichwohl dürfte dem Urteil jedenfalls für Zulieferunternehmen eine gewisse Breitenwirkung zukommen.11 Künftige Aufwendungen, die mit realisierten Erträgen in Zusammenhang stehen und daher wirtschaftlich in der Vergangenheit verursacht sind, sind rückstellbar.12

9 BFH v. 5.6.2002 – I R 96/00, BStBl. II 2005, 736 = FR 2002, 1361. 10 Weber-Grellet, BFH v. 28.9.2021 – VIII R 25/19, GmbHR 2022, 320 m. Anm. Binnewies = ZIP 2022, 638 = FR 2022, 256. 11 Strecker, NWB 2022, 144; Hörhammer, BFH v. 16.6.2021 – X E 3/20, HFR 2022, 215. 12 Weber-Grellet, BFH v. 28.9.2021 – VIII R 25/19, GmbHR 2022, 320 m. Anm. Binnewies = ZIP 2022, 638 = FR 2022, 256.

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Wichtig ist allerdings, dass der Steuerpflichtige und sein Berater bei Mehrkomponenten-Serienproduktionsverträgen Wert auf eine vorsorgende Vertragsgestaltung legen.13 Im Übrigen lässt sich die Entscheidung problemlos in das bestehende „Rechtsprechungs-Koordinatensystem“ zu Nachbetreuungsleistungen einordnen:14 –

Für künftige Nachbetreuungsleistungen an Hör- und Sehhilfen dürfen Hörgeräte-Akustiker und Optiker keine Rückstellungen bilden.15 Dem BFH fehlte es an einer wirtschaftlichen Verursachung der Leistungen in der Vergangenheit, sofern diese durch später aufgetretene Mängel infolge von Verschleiß, Verschmutzung oder Behandlungsfehlern ausgelöst wurden.16



Verpflichtet sich dagegen ein Hörgeräte-Akustiker beim Verkauf einer Hörhilfe für einen bestimmten Zeitraum zur kostenlosen Nachbetreuung des Gerätes und des Hörgeschädigten in technischer und medizinischer Hinsicht, hat er für diese Verpflichtung eine Rückstellung zu bilden.17 Denn im Streitfall bestanden die Nachsorgeleistungen – unabhängig von der Mängelbeseitigung – in turnusmäßigen Prüfungen der verkauften Hörgeräte.18



Zudem liegt ein Erfüllungsrückstand vor, wenn ein Versicherungsvertreter/-makler seine Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung des Vertrags, sondern auch für die weitere Vertragsbetreuung erhält. Anders ist dies hingegen, wenn keine gesetzliche Verpflichtung zur weiteren Kundenbetreuung besteht und sich der Versicherungsvertreter/-makler auch nicht gegenüber der Versicherung zur weiteren Betreuung vertraglich verpflichtet.19

13 Prinz, DB 2022, 297 (298). 14 Vgl. Prinz, DB 2022, 297 (298); Reddig, jurisPR-SteuerR 10/2022 Anm. 2. 15 BFH-Urteil vom 10.12.1992 – XI R 34/91, FR 1993, 263 m. Anm. Felix, BStBl II 1994, 158. 16 Reddig, jurisPR-SteuerR 10/2022 Anm. 2. 17 BFH-Urteil vom 5.6.2002 – I R 96/00, FR 2002, 1361; BStBl II 2005, 736. 18 Reddig, jurisPR-SteuerR 10/2022 Anm. 2. 19 BFH v. 13.7.2017 – IV R 34/14, BFH/NV 2017, 1426 und v. 9.6.2015 – X R 27/13, BFH/NV 2015, 1676.

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IV. Teilwertzuschreibung auf Fremdwährungsdarlehen (1) 1. Leitsätze und Sachverhalt BFH v. 10.6.202120: „1. Eine Teilwertzuschreibung wegen voraussichtlich dauernder Werterhöhung von Verbindlichkeiten aus Fremdwährungsdarlehen ist zulässig, wenn der EuroWert gegenüber der Fremdwährung aufgrund einer fundamentalen Änderung der wirtschaftlichen oder währungspolitischen Daten der beteiligten Währungsräume gesunken ist. 2. Eine solche Änderung ist anzunehmen, wenn sich die Verhältnisse zwischen den betroffenen Währungsräumen aus Sicht des Bilanzstichtages so außerordentlich und nachhaltig geändert haben, dass nicht angenommen werden kann, der Wechselkurs zu dem Zeitpunkt der Eingehung der Verbindlichkeit werde sich ohne Weiteres wieder einstellen. 3. Dies gilt für alle Fremdwährungsdarlehen, d.h. unabhängig davon, ob es sich um ein Darlehen mit unbestimmter oder mit bestimmter Restlaufzeit handelt und ob die Restlaufzeit mindestens zehn Jahre oder weniger beträgt.“

Sachverhalt: Die Klägerin (GmbH & Co. KG) nahm am 21.12.1999 bei der A-Bank ein Fremdwährungsdarlehen in Schweizer Franken (CHF) im Wert von 1 Mio. DM (= 511.291,88 t) auf. Dies entsprach einem Auszahlungsbetrag von 821.240 CHF. Am 29.8.2006 nahm die Klägerin zur Umschuldung dieses Darlehens über 821.240 CHF bei der B-Bank in selbiger Höhe ein (neues) Fremdwährungsdarlehen in CHF auf. Nach dem Umrechnungskurs dieses Tages betrug der Rückzahlungsbetrag 520.140 t. Eine Zinsbindung wurde zunächst bis 28.8.2007 vereinbart. Danach sollte, bei Fehlen einer speziellen Abrede zur Zinsbindung, für jeweils drei Monate ein Zinssatz in Abhängigkeit von dem Drei-Monats-Libor gelten. Eine Kündigung war für beide Seiten mit einer Frist von sieben Bankarbeitstagen zum Ende einer vereinbarten Zinsbindung oder bei Verzinsung nach dem Drei-Monats-Libor zum Ende jeder Zinsperiode zulässig. In einer weiteren Vereinbarung vom 29.8.2008 wurde der Zinssatz für fünf Jahre bis zum 30.8.2013 auf 4,8% festgeschrieben. Eine Tilgung war erst zum Ende der Laufzeit vorgesehen. Zum 31.12.2010 war der Kurswert des CHF gegenüber dem Euro erheblich gestiegen. Ausgehend von einem Kurswert von 1 t = ca. 1,24645 CHF bewertete die Klägerin die Fremdwährungsverbindlichkeit gegenüber der B-Bank in ihrer zum 31.12.2010 aufgestellten Handelsbilanz daher 20 BFH v. 10.6.2021 – IV R 18/18, ECLI:DE:BFH:2021:U.100621.IVR18.18.0, BStBl. II 2022, 211 = FR 2022, 83 = GmbHR 2022, 371.

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mit 658.863,17 t. In ihrer Feststellungserklärung für das Jahr 2010 bewertete sie sie dagegen mit 639.033 t (1 t = ca. 1,28513 CHF), da sie davon ausging, dass es sich bei der Wertänderung zwischen dem Bilanzstichtag 31.12.2010 und dem Tag der Erstellung der Handelsbilanz (28.4.2011) um einen werterhellenden Umstand handele. Das FA folgte zunächst der Feststellungserklärung der Klägerin und nahm unter dem Vorbehalt der Nachprüfung eine entsprechende Feststellung für 2010 vor. Nach einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung gelangte der Prüfer jedoch zu der Auffassung, dass die Voraussetzungen einer Teilwertzuschreibung für das Fremdwährungsdarlehen nicht gegeben seien. Er ging deshalb für die steuerrechtliche Betrachtung zum Bilanzstichtag 31.12.2010 davon aus, dass das Fremdwährungsdarlehen nur mit dem ursprünglichen Wert vom 21.12.1999 in Höhe von 511.292 t fortzuführen sei. Das FA folgte dieser Auffassung und änderte den Gewinnfeststellungsbescheid 2010 entsprechend. Nach teilweise erfolgreichem Einspruch gab das FG der Klage statt.

2. Fragestellung Im Streitfall stellte sich die Frage, ob das FG die Teilwertzuschreibung auf das Fremdwährungsdarlehen zu Recht anerkannt hat. Von Bedeutung war insbesondere das Merkmal der voraussichtlich dauernden Werterhöhung.

3. Entscheidung Die Revision des FA hatte keinen Erfolg. Dies hat der BFH wie folgt begründet: Bewertung von Fremdwährungsverbindlichkeiten: Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG sind Verbindlichkeiten unter sinngemäßer Anwendung der Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusetzen und mit einem Zinssatz von 5,5% abzuzinsen. Ausgenommen von der Abzinsung sind solche Verbindlichkeiten, deren Laufzeit am Bilanzstichtag weniger als zwölf Monate beträgt, und Verbindlichkeiten, die verzinslich sind oder auf einer Anzahlung oder Vorausleistung beruhen. Es gehört zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG, dass alle Bilanzposten nach § 244 HGB in Euro anzusetzen sind. Ist eine zu passivierende Verbindlichkeit in einer Fremdwährung zu erfüllen, so muss in der Bilanz daher eine Umrechnung in Euro erfolgen. Fremdwäh397

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rungsverbindlichkeiten sind danach grundsätzlich mit dem Rückzahlungsbetrag zu bewerten, der sich aus dem Wechselkurs der Fremdwährung – dem Preis einer Einheit der betreffenden ausländischen Währung in Euro – im Zeitpunkt der Aufnahme (Einstandskurs) des betreffenden Darlehens ergibt. Teilwertzuschreibung: Der Rückzahlungsbetrag ändert sich jedoch, wenn sich der Wechselkurs der Währung, die einer Fremdwährungsverbindlichkeit zugrunde liegt, ändert. Erhöht sich der Wechselkurs, so erhöht sich auch der Rückzahlungsbetrag und damit auch der Teilwert der Verbindlichkeit. Mit dem (höheren) Teilwert kann eine Verbindlichkeit nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG in entsprechender Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG angesetzt werden, wenn dieser aufgrund einer voraussichtlich dauernden Wertveränderung höher ist als der ursprüngliche Rückzahlungsbetrag. Voraussichtlich dauernde Wertminderung: Entsprechend einer voraussichtlich dauernden Wertminderung bei Wirtschaftsgütern des Aktivvermögens ist eine voraussichtlich dauernde Werterhöhung von Verbindlichkeiten dann anzunehmen, wenn deren Teilwert nachhaltig über den Buchwert gestiegen ist. Das ist der Fall, wenn aus der Sicht des Bilanzstichtages aufgrund objektiver Anzeichen ernstlich mit einem langfristigen Anhalten der Werterhöhung gerechnet werden muss. Erforderlich ist, dass aus Sicht des Bilanzstichtages mehr Gründe für ein Andauern der Werterhöhung sprechen als dagegen. Ob bei Fremdwährungsverbindlichkeiten eine Veränderung des Wechselkurses zum Bilanzstichtag eine voraussichtlich dauernde Wertänderung darstellt, hängt maßgeblich von der Laufzeit der Verbindlichkeit ab. Für langfristige Fremdwährungsverbindlichkeiten, deren Restlaufzeit zum maßgeblichen Bilanzstichtag noch mindestens zehn Jahre beträgt, ist bereits entschieden, dass danach nicht jede Kursveränderung als dauerhafte Wertänderung anzusehen ist. Denn es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sich entstandene Währungsschwankungen in der vorhandenen Restlaufzeit ausgleichen.21 Keine festen prozentualen Grenzwerte: Liegen allerdings Tatsachen vor, die eine dauerhafte Veränderung der Wechselkurse begründen, so kann dies eine Teilwertzuschreibung auch bei langfristigen Fremdwährungsverbindlichkeiten rechtfertigen. Entgegen der Auffassung des FG ist dies 21 BFH v. 23.4.2009 – IV R 62/06, BStBl. II 2009, 778 = FR 2009, 1056 m. Anm. Schlotter.

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allerdings nicht bereits dann der Fall, wenn die Kursschwankung eine Grenze von 20% für den einzelnen Bilanzstichtag bzw. von jeweils 10% für zwei aufeinanderfolgende Stichtage überschreitet. Denn der prognostische Ansatz einer „voraussichtlich dauernden“ Wertminderung (bzw. -erhöhung) verlangt jedenfalls ansatzweise eine Würdigung des Grundes für die eingetretene Wertveränderung und eine Begründung für ihre angenommene Fortdauer in der Zukunft. Anderenfalls könnten – entgegen dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers – bereits zufällige Wertschwankungen, die am Bilanzstichtag auftreten, zum Teilwertansatz berechtigen. Angesichts der Schwankungsbreiten zwischen dem EuroRaum einerseits und den verschiedenen globalen Währungsräumen andererseits kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass jedenfalls bei einer Kursschwankung von 20% für den einzelnen Bilanzstichtag bzw. von jeweils 10% für zwei aufeinanderfolgende Stichtage generell von einer „voraussichtlich dauernden“ Wertveränderung auszugehen ist. Fundamentaländerung: Ändern sich jedoch wirtschaftliche und/oder finanzpolitische Daten im Verhältnis des Euro zu einem anderen Währungsraum in fundamentaler Weise, so kann eine daraus resultierende Änderung des Wechselkurses bei Fremdwährungsverbindlichkeiten zu einer Teilwertzuschreibung berechtigen. Dies ist dann anzunehmen, wenn sich die Verhältnisse zwischen den betroffenen Währungsräumen aus Sicht des Bilanzstichtages so außerordentlich und nachhaltig geändert haben, dass nicht angenommen werden kann, der Wechselkurs zum Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit werde sich ohne Weiteres wieder einstellen. Die Annahme, dass eine eingetretene Währungsschwankung sich zum Ende der Laufzeit der Verbindlichkeit wieder aufgelöst haben werde, muss also durch die Feststellung einer außerordentlichen und nachhaltigen Änderung der wirtschaftlichen und/oder währungspolitischen Verhältnisse in den betroffenen Währungsräumen widerlegt werden. Dies gilt nicht nur für Fremdwährungsdarlehen mit einer langen Restlaufzeit von mindestens zehn Jahren, sondern erst recht bei Verbindlichkeiten mit einer kürzeren Restlaufzeit. Denn dort ist wegen des kürzeren Zeitraums bis zum Zeitpunkt der anzunehmenden Tilgung der Schuld weniger Zeit und Gelegenheit zur Aufholung des eingetretenen Kursverlustes des Euro gegenüber der betreffenden Fremdwährung. Ist die Restlaufzeit des Fremdwährungsdarlehens kürzer, so wird im Allgemeinen eher angenommen werden können, dass sich der eingetretene Kursverlust nicht 399

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bis zur Tilgung zum Einstandswert zurückentwickeln wird. Eine Teilwertzuschreibung ist dann regelmäßig leichter zu begründen. Prognoseentscheidung: Die vorzunehmende Prognoseentscheidung über Umfang und Dauer der Wertminderung bzw. -erhöhung ist Teil der Ermittlung des Teilwertes. Dabei handelt es sich um eine Schätzung nach § 162 AO, die zu den Tatsachenfeststellungen des FG i.S. von § 118 Abs. 2 FGO gehört und daher revisionsrechtlich nur daraufhin überprüft werden kann, ob sie dem Grunde nach zulässig war, in verfahrensfehlerfreier Weise zustande gekommen ist und nicht gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verstößt. Feststellungslast: Kann das FG die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen einer geltend gemachten Teilwertabschreibung nicht feststellen, so trifft den Steuerpflichtigen nach allgemeinen Grundsätzen hierfür die Feststellungslast. Dies gilt in gleichem Maße für die Teilwertzuschreibung von Verbindlichkeiten. Berücksichtigung werterhellender Tatsachen: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berücksichtigung wertbegründender Tatsachen ist der Bilanzstichtag. Als „werterhellend“ sind darüber hinaus Tatsachen für die Bilanz zu berücksichtigen, die zum Bilanzstichtag bereits objektiv vorlagen und erst nach dem Bilanzstichtag, aber bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Bilanz aufgestellt wurde – längstens bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Bilanz nach ordnungsgemäßem Geschäftsgang (§ 243 Abs. 3 HGB) aufzustellen gewesen wäre – bekannt oder erkennbar wurden. Wird der Teilwert auf der Grundlage eines Kurswertes ermittelt, so stellen eingetretene Kursänderungen wertbegründende, nicht lediglich werterhellende Umstände dar; sie sind also nur bis zum Bilanzstichtag zu berücksichtigen. Soweit Entscheidungen wirtschaftlicher oder währungspolitischer Art für die Prognose zukünftiger Kursentwicklungen von Bedeutung sind, stellen auch sie wertbegründende Tatsachen dar und können deshalb ebenfalls nur berücksichtigt werden, soweit sie bereits am maßgeblichen Bilanzstichtag vorlagen. FG-Urteil letztlich nicht zu beanstanden: Ausgehend von den dargestellten Grundsätzen ist das FG-Urteil im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zu Unrecht ist das FG zwar davon ausgegangen, dass die begehrte Teilwertzuschreibung bereits deshalb vorzunehmen sei, weil der Rückzahlungsbetrag der streitigen Fremdwährungsverbindlichkeit am Bilanzstichtag 31.12.2010 mit einem Kurswert von 656.782,21 t mit 26,27% um mehr als 20% über dem Rückzahlungsbetrag im Zeit400

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punkt der hier maßgeblichen Darlehensaufnahme am 29.8.2006 mit einem Kurswert von 520.140 t gelegen habe. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Entscheidung des FG hingegen insoweit, als das FG die Zuerkennung der begehrten Teilwertzuschreibung hilfsweise damit begründet hat, dass am Bilanzstichtag 31.12.2010 eine fundamentale Veränderung der Wirtschaftsdaten zwischen dem Euro-Raum und der Schweiz vorgelegen habe. Zu Recht ist das FG insoweit zunächst davon ausgegangen, dass derartige Veränderungen eine Teilwertzuschreibung ungeachtet etwaiger Laufzeiten von Darlehensverträgen rechtfertigen, also unabhängig davon, ob es sich im Einzelfall um ein Darlehen mit unbestimmter oder mit bestimmter Restlaufzeit handelt und ob die Restlaufzeit mindestens zehn Jahre oder weniger beträgt, so dass im Streitfall dahinstehen könne, ob von einem Darlehen mit langer Laufzeit auszugehen sei oder nicht. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist des Weiteren die vom FG getroffene Prognoseentscheidung, dass am Bilanzstichtag 31.12.2010 eine fundamentale Änderung wirtschaftlicher oder währungspolitischer Daten zum Bilanzstichtag vorgelegen habe, die eine voraussichtlich dauernde Werterhöhung der Verbindlichkeit begründet habe. Auf der Grundlage der vom FG dargestellten Entwicklung der währungspolitischen Situation im Euro-Raum im Streitjahr sowie der von ihm festgestellten, vor dem Bilanzstichtag 31.12.2010 getroffenen umfangreichen Maßnahmen der Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe wie auch der EU-Organe durfte das FG annehmen, dass eine außerordentliche und nachhaltige Änderung der wirtschaftlichen und währungspolitischen Verhältnisse in dem Euro-Raum stattgefunden habe und dass der erheblich erhöhte Kurswert des CHF von 1,2504 CHF = 1 t am Bilanzstichtag 31.12.2010 nicht ohne Weiteres zu dem Einstandswert bei Darlehensaufnahme am 29.8.2006 von 1,5789 CHF = 1 t zurückkehren werde. Die Außerordentlichkeit der ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Schuldenkrise ist im Übrigen auch daran erkennbar, dass gerade diese außergewöhnlichen Umstände als Begründung der Einführung des Europäischen Stabilisierungsmechanismus angeführt wurden.22 Auch das BVerfG23 hat im Streitjahr die Begründung der Bundesregierung für die Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland an Stützungsmaßnah22 Vgl. Begründungserwägungen der Verordnung (EU) Nr. 407/2010 des Rates vom 11.5.2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus, Amtsblatt der Europäischen Union 2010, L 118, 1. 23 BVerfG v. 9.6.2010 – 2 BvR 1099/10, BVerfGE 126, 158, Rz. 33.

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men, dass ohne die entsprechenden Hilfsmaßnahmen die Stabilität der gesamten Europäischen Währungsunion gefährdet gewesen wäre, ausdrücklich nicht beanstandet.

4. Bemerkungen Auf die nachfolgende Entscheidung wird verwiesen.

V. Teilwertzuschreibung auf Fremdwährungsdarlehen (2) 1. Leitsätze und Sachverhalt BFH v. 2.7.202124: „1. Bei Fremdwährungsverbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von zumindest zehn Jahren berechtigt nicht jeder Kursverlust zur Annahme einer voraussichtlich dauernden Werterhöhung. 2. Eine voraussichtlich dauernde Werterhöhung liegt jedoch jedenfalls dann vor, wenn fundamentale Veränderungen der wirtschaftlichen und/oder finanzpolitischen Daten eine dauerhafte Veränderung der Wechselkurse vermuten lassen. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Notenbank eines Fremdwährungsstaats die Absicht äußert, Stützungskäufe zu tätigen, um einen bestimmten Wechselkurs der Fremdwährung zu verteidigen.“

Sachverhalt: Mit Vertrag vom 7.10.2008 nahm die Klägerin (GmbH) bei einer Bank ein (zunächst tilgungsfreies) Darlehen über 3.480.000 CHF als Festdarlehen mit dem Rückzahlungszeitpunkt 30.9.2023 auf. Ferner wurde vereinbart, dass die vollständige oder teilweise Rückzahlung des Darlehens aus einem (anzusparenden) Wertpapierdepot erfolgt. Die Klägerin passivierte das Darlehen in ihrer Bilanz zum 31.12.2008 zunächst als Verbindlichkeit mit 2.237.942,12 t (gerundeter Wechselkurs rechnerisch: 1,555 CHF pro t). In der Folgezeit stieg der Wechselkurs des CHF zum t stark an. Aufgrund dieser (für sie nachteiligen) Kursentwicklung nahm die Klägerin in ihrer Bilanz zum Bilanzstichtag 31.12.2010 für die Verbindlichkeit eine Teilwertzuschreibung auf 2.779.893,60 t vor (gerundeter Wechselkurs rechnerisch: 1,25185 CHF pro t). Die Differenz zum Vorjahresbetrag (541.951 t) erfasste sie gewinnmindernd als Aufwand. In einem Communiqué vom 6.9.2011 teilte die Schweizerische Nationalbank (SNB) mit, die gegenwärtig massive Überbewertung des CHF 24 BFH v. 2.7.2021 – XI R 29/18, BStBl. II 2022, 205 = FR 2022, 86 m. Anm. Weber-Grellet.

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stelle eine akute Bedrohung für die Schweizer Wirtschaft dar und berge das Risiko einer deflationären Entwicklung. Die SNB strebe daher eine deutliche und dauerhafte Abschwächung des CHF an. Sie toleriere am Devisenmarkt ab sofort keinen t-CHF-Kurs unter dem Mindestkurs von 1,20 CHF pro t. Die SNB werde den Mindestkurs mit aller Konsequenz durchsetzen und sei bereit, unbeschränkt Devisen zu kaufen. Der CHF sei auch bei 1,20 CHF pro t hoch bewertet und sollte sich über die Zeit weiter abschwächen. Falls die Wirtschaftsaussichten und die deflationären Risiken es erforderten, werde die SNB weitere Maßnahmen ergreifen. In der Bilanz zum 31.12.2011 nahm die Klägerin daher eine weitere Teilwertzuschreibung auf 2.859.255,60 t vor (gerundeter Wechselkurs rechnerisch: 1,2171 CHF pro t). Die Differenz zum Vorjahr in Höhe von 79.412 t berücksichtigte die Klägerin erneut gewinnmindernd als Aufwand. Nach einer Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, dass das Darlehen, das am 31.12.2011 eine Restlaufzeit von elf Jahren und neun Monaten gehabt habe, weiterhin mit dem ursprünglich angesetzten Betrag in der Bilanz zu erfassen sei. Es liege keine voraussichtlich dauernde Werterhöhung vor; der Gewinn des Jahres 2010 sei um 541.951 t und der Gewinn des Jahres 2011 um 79.412 t zu erhöhen. Er erließ u.a. entsprechende Körperschaftsteuer-Änderungsbescheide für die Jahre 2010 und 2011 sowie Änderungsbescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für die Jahre 2010 und 2011. Die Einsprüche der Klägerin blieben erfolglos. In einem Communiqué vom 15.1.2015 teilte die SNB mit, sie hebe den Mindestkurs von 1,20 CHF pro t auf. Diesen Wechselkurs hat der CHF bis zur Entscheidung des BFH permanent unterschritten. Das FG gab der nachfolgenden Klage nur in dem vom FA zugestandenen Umfang statt und wies sie in dem noch streitigen Punkt ab.

2. Fragestellung Auch hier stellte sich die Frage, ob das FG die Teilwertzuschreibung zu Recht nur teilweise anerkannt hat.

3. Entscheidung Die Revision ist im Hinblick auf das Streitjahr 2011 begründet, hinsichtlich des Streitjahrs 2010 jedoch unbegründet. Der BFH hat die Vor-

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entscheidung aufgehoben und die Sache mit folgender Begründung zurückverwiesen: Bewertung von Verbindlichkeiten: Verzinsliche Verbindlichkeiten sind nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Halbsatz 1 EStG unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften der Nr. 2 anzusetzen. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG sind die nicht in § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Wirtschaftsgüter grundsätzlich mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen. Die Anschaffungskosten bestimmen sich bei einer in fremder Währung aufgenommenen Darlehensverbindlichkeit nach dem im Zeitpunkt der Aufnahme des Darlehens bestehenden Wechselkurs in t, im Streitfall 2.237.942,12 t. Allerdings kann gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG in bestimmten Fällen an Stelle der Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Teilwert angesetzt werden. Teilwert ist der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde; dabei ist davon auszugehen, dass der Erwerber den Betrieb fortführt (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Kursveränderungen der Währung, die einer Fremdwährungsverbindlichkeit zu Grunde liegt, verändern den Rückzahlungsbetrag und damit den Teilwert. Dementsprechend führte vorliegend die Erhöhung des CHF-Kurses zu einer Erhöhung des Teilwerts der Verbindlichkeit auf 2.779.893,60 t (31.12.2010) bzw. 2.859.255,60 t (31.12.2011). Voraussichtlich dauernde Werterhöhung: Der Ansatz mit dem Teilwert darf nur dann erfolgen, wenn er aufgrund einer voraussichtlich dauernden Werterhöhung höher ist als der ursprüngliche Rückzahlungsbetrag. Wann eine Wertveränderung „voraussichtlich dauernd“ ist, ist weder im HGB noch im Steuerrecht definiert. Voraussetzung hierfür ist im Grundsatz eine Veränderung des Teilwerts, die einerseits nicht endgültig sein muss, andererseits aber auch nicht nur vorübergehend sein darf; entscheidend ist, ob aus Sicht des Bilanzstichtags mehr Gründe für ein Andauern der Wertveränderung sprechen als dagegen. Die Änderung gegenüber dem maßgeblichen Buchwert muss nachhaltig sein und deshalb muss aus Sicht des Bilanzstichtags aufgrund objektiver Anzeichen ernstlich mit einem langfristigen Anhalten der Wertveränderung zu rechnen sein.25 Hierfür bedarf es einer an der Eigenart des Wirtschaftsgutes ausgerichteten Prognose. Welcher Prognosezeitraum dabei zu 25 Vgl. BFH v. 18.6.2015 – IV R 6/11, GmbHR 2015, 1058 = BFH/NV 2015, 1381.

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Grunde zu legen ist, kann nicht generell beantwortet werden, sondern richtet sich nach den prognostischen Möglichkeiten zum Bilanzstichtag, die je nach Art des Wirtschaftsgutes und des auslösenden Moments für die Wertveränderung unterschiedlich sein können. Die Feststellungsund Beweislast trägt der Steuerpflichtige. Außerdem muss das Erfordernis der voraussichtlich dauernden Wertveränderung stets in der Zusammenschau mit dem zugleich geschaffenen Wertaufholungsgebot nach § 6 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 2 Satz 3, Nr. 1 Satz 4 EStG gesehen werden. Da Fehlprognosen zu jedem nachfolgenden Bilanzstichtag über das Wertaufholungsgebot korrigiert werden können und der Steuerpflichtige auch zu den Folgestichtagen die Feststellungslast für ein Andauern der Wertveränderung und ihrer weiteren Dauerhaftigkeit trägt, dürfen die Anforderungen an die Darlegungen des Steuerpflichtigen nicht überspannt werden. Nach der Rechtsprechung des BFH berechtigt bei Fremdwährungsverbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von zumindest zehn Jahren nicht jeder Kursverlust zur Annahme einer voraussichtlich dauernden Werterhöhung. Ein solcher Währungsverlust kann deshalb auch grundsätzlich nicht Anlass dafür sein, die Verbindlichkeit steuerbilanziell mit einem höheren Wert auszuweisen, weil bei Verbindlichkeiten deren gesamte Laufzeit zu betrachten ist.26 Allerdings hat der BFH im Urteil in BFHE 224, 564, BStBl II 2009, 778 (Rz. 31) verneint, dass im dortigen Fall fundamentale Veränderungen der wirtschaftlichen und/oder finanzpolitischen Daten eine tatsächlich dauerhafte Veränderung der Wechselkurse begründen, und ausgeführt, dass die Prüfung, ob dies der Fall ist, der tatsächlichen Würdigung des FG obliegt, die gemäß § 118 Abs. 2 FGO den BFH bindet. Daher sind Ausnahmen von dem Grundsatz, wonach bei Fremdwährungsverbindlichkeiten, die eine Restlaufzeit von ca. zehn Jahren haben, ein Kursanstieg der Fremdwährung keine voraussichtlich dauernde Teilwerterhöhung begründet, möglich. Diese Auffassung vertritt auch die Finanzverwaltung, die für eine Teilwertzuschreibung eine nachhaltige Erhöhung des Wechselkurses gegenüber dem Kurs bei Entstehung der Verbindlichkeit verlangt, was der Fall sei, wenn der Steuerpflichtige hiermit aus der Sicht des Bilanzstichtages aufgrund objektiver Anzeichen ernsthaft rechnen müsse, weil aus Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns mehr Gründe für als gegen eine Nachhaltig26 Z.B. BFH v. 23.4.2009 – IV R 62/06, BStBl. II 2009, 778 = FR 2009, 1056 m. Anm. Schlotter.

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keit sprächen, wobei ein Kursanstieg der Fremdwährung grundsätzlich keine voraussichtlich dauernde Teilwerterhöhung begründe.27 Bilanzstichtag 31.12.2010: Auf dieser Grundlage ist die Vorentscheidung zum Streitjahr 2010 revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie hat die angeführte Rechtsprechung herangezogen und angenommen, dass auch für das Darlehen der Klägerin trotz vorzeitiger Tilgungsmöglichkeit davon auszugehen sei, dass sich Währungsschwankungen grundsätzlich ausgleichen. Da die Klägerin die Feststellungslast für eine dauernde Werterhöhung der Verbindlichkeit trage, wirke sich die aus Sicht des FG bestehende Unsicherheit, ob die Werterhöhung nicht nur vorübergehend sei, zu ihren Lasten aus. Diese tatsächliche Würdigung des FG, die nicht mit Verfahrensrügen angegriffen ist, ist auf Basis der vom FG festgestellten Tatsachen für das Streitjahr 2010 möglich und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze; sie bindet daher den Senat (§ 118 Abs. 2 FGO). Die Einwendungen der Klägerin für das Streitjahr 2010 führen zu keiner anderen Beurteilung. Soweit die Klägerin zur Begründung ihrer abweichenden Auffassung (lediglich) auf das prozentuale Absinken des Wechselkurses hinweist, reicht dies für einen Erfolg nicht aus. Die Communiqués der SNB vom 6.9.2011 und vom 15.1.2015 führen für das Streitjahr 2010 ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung; denn bezogen auf den Bilanzstichtag 31.12.2010 können nur wertaufhellende, aber nicht später eingetretene Umstände berücksichtigt werden. Bilanzstichtag 31.12.2011: Allerdings hat das FG zum Bilanzstichtag 31.12.2011 zu Unrecht eine Teilwertzuschreibung abgelehnt. Es hat seine Ablehnung der Teilwertzuschreibung (wie zum Streitjahr 2010) damit begründet, dass die Stützung der Untergrenze des Kurses durch die SNB am 6.9.2011 auf 1,20 CHF pro t kein objektives Anzeichen für ein langfristiges Anhalten dieses Kursniveaus darstelle. Das FG verweist dazu auch auf die Auffassung des Schleswig-Holsteinischen FG28, das angenommen hat, erforderlich für eine Teilwerterhöhung sei ein Beleg für eine dauerhafte Aufwertung des CHF, der nicht erkennbar sei. Zu Recht haben das FG und das Schleswig-Holsteinische FG dabei zwar dem Communiqué der SNB vom 15.1.2015 keinerlei Bedeutung beigemessen. Gleichwohl ist die Würdigung nicht frei von Rechtsfehlern; denn das 27 BMF v. 2.9.2016 – IV C 6 - S 2171-b/09/10002 :002 – DOK 2016/0666535, BStBl. I 2016, 995, Rz. 32. 28 Schl.-Holst. FG v. 9.3.2016 – 2 K 84/15, EFG 2016, 799, Rz. 34.

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FG hat die inhaltlichen Aussagen des Communiqués vom 6.9.2011 nicht hinreichend berücksichtigt, so dass der Senat an die Würdigung des FG nicht gebunden ist. Unter dessen Berücksichtigung sprachen zum Bilanzstichtag 31.12.2011 objektiv gesehen mehr Gründe für ein Andauern der Werterhöhung des Darlehens als dagegen, so dass eine Teilwertzuschreibung nach den allgemeinen Grundsätzen gerechtfertigt ist, und zwar auch dann, wenn man – entsprechend der Auffassung der Finanzverwaltung – von der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns ausginge. Die von der SNB bejahte Eingriffsnotwendigkeit durch unbegrenzte Stützungskäufe indiziert die Nachhaltigkeit der Kursveränderung (hier: Aufwertung des CHF gegenüber dem t) und rechtfertigt die Teilwerterhöhung der Fremdwährungsverbindlichkeit. Die SNB dokumentierte durch die Erklärung zunächst, dass sich – anders als noch bei Eingehen der Verbindlichkeit und abweichend vom Regelfall – fortan der Wechselkurs nicht mehr nur nach „dem freien Spiel der Kräfte des Marktes“ bilden kann, sondern sie in den Markt eingreifen und die Kursentwicklung beeinflussen werde. Dies würde zwar für sich genommen für eine voraussichtlich dauernde Wertveränderung nicht ausreichen. Hinzu kommt aber, dass die SNB durch das Communiqué auch dokumentiert hat, dass sie davon ausgehe, dass ohne ihr Eingreifen eine weitere Aufwertung des CHF gegenüber dem t eintreten würde. Sie ging ersichtlich nicht mehr davon aus, dass in Bezug auf den CHF Kursschwankungen vorliegen, die sich ohne ihr Eingreifen wieder ausgleichen würden, so dass der Kurs des t von sich aus über den von ihr veröffentlichten Stützungskurs (1,20 CHF pro t) ansteigen würde. In einer solchen Situation muss ein Steuerpflichtiger, der eine CHF-Verbindlichkeit mit einer Restlaufzeit von mehr als zehn Jahren zu einem für ihn günstigeren Kurs (hier: 1,55 CHF pro t) eingegangen war, nicht mehr mit einer für ihn günstigeren Kursentwicklung des CHF als die SNB rechnen, sondern darf mit der SNB davon ausgehen, dass die Aufwertung des CHF gegenüber dem t nicht nur vorübergehend, sondern nachhaltig ist. Das Communiqué vom 6.9.2011 ist daher – entgegen der Auffassung des Schleswig-Holsteinischen FG29 und der Vorinstanz – ein objektives Anzeichen für eine voraussichtlich dauernde Aufwertung des CHF gegenüber dem t. Insoweit ist in dem Fall, dass die Notenbank eines Fremdwährungsstaats die Absicht äußert, Stützungskäufe zu tätigen, um einen Wechsel-

29 Schl.-Holst. FG v. 9.3.2016 – 2 K 84/15, EFG 2016, 799, Rz. 34.

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kurs der Fremdwährung zu verteidigen, der vom Wechselkurs bei Eingehen des Darlehens abweicht, die von der zuvor genannten Rechtsprechung des BFH für den Regelfall aufgestellte Vermutung widerlegt. Die Darlegungslast des Steuerpflichtigen steht, anders als das FG möglicherweise meint, dieser Beurteilung nicht entgegen. Würde man verlangen, dass der Steuerpflichtige ungeachtet einer solchen Erklärung einer Notenbank eines Fremdwährungsstaats eine positivere Prognose über die Kursentwicklung des t anstellen oder weitere objektive Anzeichen vortragen muss, um die Nachhaltigkeit der Teilwerterhöhung zu belegen, würde man die Anforderungen an die Darlegungslast des Steuerpflichtigen an das voraussichtliche Andauern der Werterhöhung unzulässigerweise überspannen und eine Teilwertzuschreibung wegen voraussichtlich dauernder Werterhöhung bei Fremdwährungsverbindlichkeiten praktisch unmöglich machen; denn über bessere Erkenntnisse als die Notenbank des Fremdwährungsstaats wird ein Steuerpflichtiger nicht verfügen. Dieses Ergebnis widerspräche § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4, Nr. 2 Satz 2 und 3, Nr. 3 EStG; denn diese Regelungen gehen nicht von der praktischen Unmöglichkeit von Teilwertzuschreibungen aus, sondern sehen die Möglichkeit der Teilwertzuschreibung bei voraussichtlich dauernden Wertveränderungen – mit einem sich zu jedem Bilanzstichtag daran anschließendem „Wertaufholungsgebot“ – gerade vor. Fehlende Spruchreife: Die Sache ist zum Streitjahr 2011 nicht spruchreif. Das FG hat – aus seiner Sicht konsequenterweise – nicht geprüft, ob die Teilwertzuschreibung in zutreffender Höhe erfolgt ist. Dies muss es im zweiten Rechtsgang nachholen.

4. Bemerkungen Die steuerliche Behandlung von Währungsgewinnen/-verlusten bei Transaktionen außerhalb des Euro-Raums wird häufig in Betriebsprüfungen diskutiert.30 Dabei sind folgende Maßgaben zu beachten: Bei Fremdwährungsverbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von mindestens zehn Jahren berechtigt nicht jeder Kursverlust zur Annahme einer voraussichtlich dauernden Werterhöhung. Allerdings ist eine Teilwertzuschreibung gerechtfertigt, wenn sich eine außerordentliche und nachhaltige Änderung der wirtschaftlichen und/oder währungspolitischen Verhältnisse feststellen lässt. Eine derartige Fundamentaländerung hat der BFH in den Streitfällen angenommen. Dass die beiden Senate des 30 Prinz, DB 2022, 687.

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BFH im Hinblick auf den Bilanzstichtag 31.12.2010 – trotz identischer Maßstäbe – zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind, beruht auf revisionsrechtlichen Besonderheiten.31 Es verdeutlicht aber einmal mehr, wie wichtig ein substantiierter Tatsachenvortrag vor dem FG als einziger Tatsacheninstanz im finanzgerichtlichen Verfahren ist. Schließlich ist das Zusammenspiel von wahlweiser Teilwertzuschreibung und umgekehrtem Wertaufholungsgebot zu beachten. Darauf hat auch der BFH noch einmal hingewiesen. Vor diesem Hintergrund dürfen die Anforderungen an die Darlegung der Dauerhaftigkeit der Werterhöhung nicht überspannt werden. Dies könnte als Argumentationshilfe in der Betriebsprüfung dienen.32

VI. AfA anhand der tatsächlichen Nutzungsdauer 1. Leitsätze und Sachverhalt BFH v. 28.7.202133: „1. Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes (§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG) jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint; erforderlich ist insoweit, dass aufgrund der Darlegungen des Steuerpflichtigen der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann, mit hinreichender Sicherheit geschätzt werden kann. 2. Die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer.“

Sachverhalt: Die Klägerin erwarb im Jahr 2002 ein Grundstück, das mit einem zu Mietzwecken genutzten und aus mehreren Einzelgebäuden (Gebäude Nr. 1, 2 und 3) bestehenden Wohn- und Geschäftshaus bebaut ist. Im Rahmen ihrer Erklärungen über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Streitjahre 2009 und 2010 machte die Klägerin AfA für das Gebäude und die Außenanlagen in Höhe von 21.106 t jährlich geltend. Das FA erließ unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Feststellungsbescheide für die Streitjahre 2009 und 2010, in denen es den Angaben der Klägerin zur Höhe der AfA für das Gebäude und die Außenanla-

31 Kritisch Weber-Grellet, BB 2022, 43 (47). 32 Prinz, DB 2022, 687, 690; Weber-Grellet, BB 2022, 43 (47). 33 BFH v. 28.7.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108.

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gen folgte. Wegen Nichtabgabe der jeweiligen Feststellungserklärungen erließ das FA gleichzeitig Feststellungsbescheide für die Streitjahre 2011 bis 2013, in denen die Besteuerungsgrundlagen im Wege der Schätzung feststellt wurden. Die Klägerin legte gegen die Feststellungsbescheide für die Streitjahre 2009 bis 2013 Einspruch ein; im Zuge der Einspruchsbegründung reichte sie neben den Steuererklärungen für die Jahre 2011 bis 2013 ein von einem – zum Sachverständigen für Grundstücksbewertung bestellten – Gesellschafter der Klägerin angefertigtes Gutachten vom 31.8.2015 zur Bestimmung der Restnutzungsdauer des Wohn- und Geschäftshauses ein. Die Klägerin begehrte aufgrund dieses Gutachtens nunmehr wegen einer ihrer Auffassung nach verkürzten Nutzungsdauer der Gebäude (§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG) einen jährlichen Abzug von AfA in Höhe von jeweils 35.763 t. Der Einspruch hatte nur teilweise Erfolg. Für das Streitjahr 2015 erließ das FA unter dem 18.4.2018 einen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, in dem die Einkünfte der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung schätzweise in Höhe von 500 t festgestellt wurden; hierbei berücksichtigte das FA wiederum einen AfA-Betrag in Höhe von 21.106 t. Der hiergegen von der Klägerin eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Das FG gab den dagegen gerichteten Klagen nach Einholung eines Sachverständigengutachtens statt.

2. Fragestellung Wie kann der Nachweis der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer i.S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG in praxi geführt werden?

3. Entscheidung Die Revision des FA blieb ohne Erfolg: AfA nach der tatsächlichen Nutzungsdauer: Gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG können anstelle der Absetzungen nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden AfA vorgenommen werden. Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ist gemäß § 11c Abs. 1 EStDV der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann. Die zu schätzende Nutzungsdauer wird bestimmt durch den tech410

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nischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische Nutzungsdauer ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen. Ob den AfA eine die gesetzlich (§ 7 Abs. 4 Satz 1 EStG) vorgesehenen, typisierten Zeiträume unterschreitende verkürzte Nutzungsdauer i.S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt werden kann, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Darlegung und Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer: Es ist Sache des Steuerpflichtigen, im Einzelfall eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer – im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten – darzulegen und gegebenenfalls – im Rahmen der ihm obliegenden Feststellungslast – nachzuweisen. Die Würdigung der insoweit von Klägern dargelegten Umstände obliegt dann im Klageverfahren dem FG als Tatsacheninstanz. Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint; erforderlich ist insoweit, dass die Darlegungen des Steuerpflichtigen Aufschluss über die maßgeblichen Determinanten – z.B. technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen – geben, welche die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen, und auf deren Grundlage der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 EStDV), im Wege der Schätzung mit hinreichender Bestimmtheit zu ermitteln ist. Die Bestimmung des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG räumt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein, ob er sich mit dem typisierten AfA-Satz nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG zufriedengibt oder eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer geltend macht und darlegt. Auszugehen ist im Rahmen der vom FA durchzuführenden Amtsermittlung – bei der nach § 88 Abs. 1 Satz 2 AO auch alle für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen sind – von der Schätzung des Steuerpflichtigen, solange dieser Erwägungen zugrunde liegen, wie sie ein vernünftig wirtschaftender Steuerpflichtiger üblicherweise anstellt. Da im Rahmen der Schätzung des Steuerpflichtigen nicht Gewissheit über die kürzere tatsächliche 411

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Nutzungsdauer, sondern allenfalls größtmögliche Wahrscheinlichkeit verlangt werden kann, ist sie nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt. Bausubstanzgutachten nicht zwingend: Vor diesem Hintergrund ist – entgegen der Auffassung des FA – die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens, insbesondere die Zustandsermittlung von Immobilien mit Hilfe des sog. ERAB-Verfahrens (Verfahren zur Ermittlung des Abnutzungsvorrats von Baustoffen), seitens des Steuerpflichtigen nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer, selbst wenn ein solches Gutachten möglicherweise den technischen „Verschleiß“ eines Gebäudes im Einzelfall nachvollziehen könnte. Denn das – erst vor einigen Jahren entwickelte – ERAB-Verfahren, mit dem der Zustand eines jeden relevanten Bauelements von Gebäuden erfasst und durch eine quantitative Größe dargestellt wird, definiert mit Hilfe qualitäts- und schadensbezogener Merkmale sowie zugehöriger Merkmalsausprägungen lediglich einen baustoffspezifischen Wert – den sog. Abnutzungsvorrat. Dies dient in erster Linie der Bewertung der Bauelementqualitäten für die Entwicklung einzelfallbezogener Instandhaltungsstrategien unter Berücksichtigung vorhandener ökologischer und ökonomischer Rahmenbedingungen. Ungeachtet des Umstands, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG das neuartige ERAB-Verfahren nicht vor Augen haben konnte, legt die Revision schon nicht hinreichend dar, dass allein ein Bausubstanzgutachten dieses Zuschnitts den vom Steuerpflichtigen im Rahmen der Anwendung des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG glaubhaft zu machenden „technischen Verschleiß“ eines Gebäudes zutreffend abbilden kann; überdies ist nicht ersichtlich, dass das ERAB-Verfahren (auch) über die wirtschaftliche Entwertung oder etwaige rechtliche Nutzungsbeschränkungen, welche ebenfalls die erforderliche Schätzung der Nutzungsdauer beeinflussen können, Auskunft geben kann. Wählt der Steuerpflichtige oder ein von diesem oder von dem FG beauftragter Sachverständiger daher aus nachvollziehbaren Gründen eine andere Nachweismethode, kann dies – gegebenenfalls unter Berücksichtigung entsprechender Anpassungen – Grundlage für die im Einzelfall erforderliche Schätzung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer sein, soweit aus der gewählten Methode Rückschlüsse auf die zu ermittelnden Determinanten möglich sind. Da im Rahmen der Schätzung nur die größtmögliche Wahrscheinlichkeit über eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer verlangt werden kann, würde eine Verengung der

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Gutachtenmethodik oder eine Festlegung auf ein bestimmtes Ermittlungsverfahren die Anforderungen an die Feststellungslast überspannen. Vorentscheidung nicht zu beanstanden: Nach diesen Grundsätzen hält das angefochtene Urteil des FG revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Das FG ist zur Ermittlung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht allein von der – durch ein Privatgutachten unterlegten – Schätzung der Klägerin und auch nicht von der abweichenden, durch ein Gutachten des Bausachverständigen unterlegten Schätzung des FA ausgegangen, sondern hat – zu Recht – einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken zu Rate gezogen. Das vom Gutachter vorgelegte Sachverständigengutachten ist auch von seinem Ausgangspunkt her nicht zu beanstanden. Zwar ist das vom Sachverständigen angewandte Modell zur Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer für Wohngebäude unter Berücksichtigung von Modernisierungen auf der Grundlage von Anlage 4 der SW-RL nicht primär darauf gerichtet, die tatsächliche Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zu ermitteln; vorliegend haben die sachverständigen Ausführungen im Gutachten sowie die ergänzenden Erläuterungen des Gutachters in der mündlichen Verhandlung indes dem FG die Möglichkeit gegeben, sich eine sichere Überzeugung über die im Einzelfall anzuwendenden Schätzungsgrundlagen zu bilden. Das FG hat dabei dem Umstand, dass die vom Gutachter angewandte Ermittlungsmethode lediglich eine modellhafte wirtschaftliche Restnutzungsdauer zugrunde legt, zu Recht keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass damit der nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG angemessene Schätzungsrahmen verlassen wurde, geht es im Rahmen der erforderlichen Schätzung doch letztlich nur darum nachzuweisen, dass die von Gesetzes wegen anzunehmende typische Nutzungsdauer im Einzelfall unzutreffend und eine kürzere Nutzungsdauer mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist.

4. Bemerkungen Dem Urteil kommt eine gewisse Breitenwirkung zu. Es erleichtert die Führung des Nachweises i.S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG beim Kauf gebrauchter Vermietungsimmobilien für den Steuerpflichtigen.34 Eines

34 Vgl. auch Graw, jurisPR-SteuerR 5/2022 Anm. 3.

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Bausubstanzgutachtens – wie von der Finanzverwaltung häufig gefordert – bedarf es jedenfalls nicht. In der Literatur wird die Entscheidung als „Brückenschlag zwischen tatsächlicher Nutzungsdauer und Restnutzungsdauer“ begrüßt. Zum Teil wird sogar davon ausgegangen, dass Gutachten nur noch bei Baumängeln oder -schäden sowie im Fall besonderer rechtlicher und wirtschaftlicher Gegebenheiten erforderlich sind.35 Dies dürfte jedoch zu weit gehen.36 Der Entwurf eines Jahressteuergesetzes 202237 sah neben der Anhebung des (typisierten) linearen AfA-Satzes für nach dem 30.6.2023 fertiggestellte Wohngebäude von 2 auf 3% (§ 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG-E)38 die Streichung des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG vor. Dies sollte mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2023 erfolgen, wobei eine Übergangsregelung für „Alt-Wirtschaftsgüter“ vorgesehen war (§ 52 Abs. 15 Satz 4 EStG-E): Danach hätte die AfA weiterhin nach der tatsächlichen kürzeren Nutzungsdauer bemessen werden können, soweit die AfA im Rahmen der Einkünfteermittlung für vor dem 1.1.2023 endende Kalender- oder Wirtschaftsjahre zulässigerweise nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG vorgenommen worden wäre. Im Hinblick auf diese Bestandsschutzregelung hätten Steuerpflichtige, die den Nachweis nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG spätestens für den Veranlagungszeitraum 2022 führen, die AfA auch noch in Zukunft nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer bemessen können.39 Auf die Kritik des Bundesrats40 hin ist § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG allerdings nicht gestrichen, sondern beibehalten worden.41 Hingegen ist es bei der Anhebung des AfA-Satzes auf 3% geblieben, und zwar bereits für nach dem 31.12.2022 fertiggestellte Wohngebäude.

35 36 37 38

Geiling/Jacoby, DStR 2022, 1080 (1081). Ulbrich, EStB 2022, 103 (110); Grotherr, FR 2022, 965 (969). BR-Drucks. 457/22. Durch die Vereinheitlichung des linearen Abschreibungssatzes kommt es bei gemischtgenutzten Gebäuden zu einem Vereinfachungseffekt bei der Abschreibungsberechnung, da die bisherige getrennte Behandlung nicht mehr erforderlich ist; vgl. Grotherr, FR 2022, 965 (972). 39 Grotherr, FR 2022, 965 (972). 40 Der Bundesrat hat angeregt, die Kriterien für den Nachweis der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer gesetzlich zu konkretisieren; vgl. BR-Drucks. 457/22 (Beschluss), 20. 41 JStG 2022 v. 16.12.2022, BGBl. I 2022, 2294.

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Nur der Vollständigkeit halber ist schließlich darauf hinzuweisen, dass seit dem 1.1.2022 die ImmoWert 2021 gilt (§ 54 ImmoWertV 2021). Sie hat auch die im Streitfall relevante Anlage 4 der SW-RL abgelöst.42 In der Sache dürfte damit jedoch keine Änderung verbunden sein.43

VII. AfA beim Erwerb eines Anteils an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft 1. Leitsätze und Sachverhalt BFH v. 3.5.202244: „1. Ist nach dem entgeltlichen Erwerb eines Anteils an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft streitig, in welcher Höhe dem Erwerber auf die (anteilig miterworbenen) abnutzbaren Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens AfA zusteht und in welchem Umfang der auf der Gesellschaftsebene ermittelte und ihm zugerechnete Ergebnisanteil deshalb korrigiert werden muss, ist der Erwerber zum Klageverfahren der Gesellschaft gegen den Feststellungsbescheid notwendig beizuladen. 2. Hat der Gesellschafter einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft seinen Anteil entgeltlich erworben, kann er AfA auf die anteilig miterworbenen abnutzbaren Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens nur nach Maßgabe seiner Anschaffungskosten und der Restnutzungsdauer des jeweiligen Wirtschaftsguts im Zeitpunkt des Anteilserwerbs beanspruchen. 3. Bei der Ermittlung der AfA-Berechtigung des Erwerbers nach entgeltlichem Anteilserwerb erhöhen die dem Anteil entsprechenden Gesellschaftsschulden die Anschaffungskosten des Erwerbers, soweit sie den anteilig miterworbenen abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Gesamthandsvermögens direkt zugeordnet werden können. 4. Die Anschaffungskosten des Anteilserwerbers sind, soweit sie den Buchwert der erworbenen Beteiligung übersteigen, den anteilig miterworbenen Wirtschaftsgütern des Gesamthandsvermögens nach dem Verhältnis der in ihnen ruhenden stillen Reserven einzeln zuzuordnen. 5. Beim anteiligen Miterwerb von bebauten Grundstücken des Gesamthandsvermögens ist – soweit es um die AfA des Anteilserwerbers geht – eine erneute Aufteilung der anteiligen Anschaffungskosten auf Grund und Boden einerseits und Gebäude andererseits erforderlich.“

42 Ulbrich, EStB 2022, 103 (109). 43 Grotherr, FR 2022, 965 (968) unter Hinweis auf § 4 Abs. 3 i.V.m. § 12 Abs. 5 sowie Anlage 1 und 2 ImmoWertV 2021. 44 BFH v. 3.5.2022 – IX R 22/19, FR 2022, 1030 m. Anm. Riedel = DStR 2022, 1945.

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Sachverhalt: Die Klägerin (GbR) verwaltet eigenes Grundvermögen. Sie ist Eigentümerin mehrerer bebauter Grundstücke, die sie vermietet. An der GbR waren ursprünglich die Brüder A und B zu je 50% beteiligt. Mit privatschriftlichem Vertrag vom 21.7.2011 veräußerte und übertrug A 16% der Anteile an der GbR auf seinen Bruder B und 34% der Anteile an der GbR auf dessen Ehefrau C. An der GbR waren danach B mit 66% und C mit 34% beteiligt. Gegenstand der Übertragung waren die Anteile mit allen damit verbundenen Gewinnbezugs- und sonstigen Nebenrechten einschließlich sämtlicher sich zum Übergangsstichtag ergebender Guthaben und Negativsalden auf den sonstigen Gesellschafterkonten (Verlustvortrags-, Darlehens- und Privatkonto). Stichtag war der 31.8.2011. Zum Gesellschaftsvermögen gehörten neben dem Grundbesitz Bankguthaben (Stand per 31.8.2011: 159.251,22 t) sowie Verbindlichkeiten aus Bankdarlehen (Stand per 31.8.2011: 2.045.362,96 t), welche die GbR im Rahmen ihrer Tätigkeit aufgenommen, mit dem eigenen Grundbesitz besichert und in der Vergangenheit aus den erzielten Mieteinnahmen auch bedient hatte. Der Kaufpreis betrug für B 515.520 t und für C 1.095.480 t. Außerdem fielen Anschaffungsnebenkosten in Höhe von 3.936,34 t an. Für das Jahr 2012 ist streitig, in welcher Höhe AfA auf die entgeltlich (hinzu) erworbenen Anteile zu berücksichtigen sind. Nach Ansicht der Klägerin gehören zu den Anschaffungskosten für die entgeltlich erworbenen Anteile an der GbR nicht nur die gezahlten Kaufpreise und die Anschaffungsnebenkosten, sondern erhöhend auch die gemeinschaftlichen Verbindlichkeiten aus Bankdarlehen und verringernd die gemeinschaftlichen Bankguthaben, jeweils zum Stichtag. Die Klägerin ermittelt auf diese Weise – im Einzelnen unstreitig – Anschaffungskosten von 2.557.992,20 t. Nach Auffassung des FA sind dagegen nur Anschaffungskosten in Höhe von 1.614.936,34 t entstanden (Kaufpreise und Anschaffungsnebenkosten). Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wies das FG die Klage ab.

2. Fragestellung Der BFH hatte zu entscheiden, wie die AfA im Fall des entgeltlichen Erwerbs eines Anteils an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft zu bestimmen ist. Streitig war insbesondere, ob die „übernomme-

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nen“ Gesellschaftsschulden die Anschaffungskosten der Erwerber erhöhen.

3. Entscheidung Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen: AfA-Berechtigung: Das FG hat die AfA-Berechtigung des Erwerbers nach einem entgeltlichen Anteilserwerb fehlerhaft bestimmt. Sie bemisst sich nach seinen Anschaffungskosten und der Restnutzungsdauer der anteilig miterworbenen Wirtschaftsgüter im Zeitpunkt des Anteilserwerbs. Die Verbindlichkeiten der Gesellschaft erhöhen anteilig die Anschaffungskosten des Erwerbers, soweit sie den mittelbar erworbenen abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Gesamthandsvermögens einzeln zuzuordnen sind. AfA auf Gesellschaftsebene: Erwirbt eine GbR ein bebautes Grundstück zu Vermietungszwecken, bemisst sich die bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung auf der Gesellschaftsebene zu berücksichtigende AfA für das Gebäude nach den hierauf entfallenden Anschaffungskosten der Gesellschaft. Daran ändert sich nichts, wenn nachträglich ein Gesellschaftsanteil übertragen wird. Auf der Gesellschaftsebene, d.h. bei der Ermittlung der gemeinschaftlich erzielten Einkünfte, werden unverändert AfA in bisheriger Höhe erfolgswirksam abgezogen. Das gilt jedenfalls, soweit die Gesellschaft weiterhin die Anschaffungskosten trägt und insbesondere die zur Finanzierung von Anschaffungskosten aufgenommenen Darlehen bedient. Nur das um diese AfA geminderte Gesamtergebnis wird den Gesellschaftern nach Maßgabe ihrer Beteiligung anteilig zugerechnet, den bisherigen, wie auch dem Anteilserwerber. Entgeltlicher Anteilserwerb: Hat ein Gesellschafter seinen Anteil entgeltlich erworben, kann er AfA auf die anteilig („mittelbar“) miterworbenen abnutzbaren Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens nur nach Maßgabe seiner Anschaffungskosten und der Restnutzungsdauer des jeweiligen Wirtschaftsguts im Zeitpunkt des Anteilserwerbs beanspruchen. Denn bei einer an der persönlichen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Besteuerung kann der Steuerpflichtige nur die Anschaffungskosten geltend machen, die er auch getragen hat. Bei einem Gründungsgesellschafter ist anzunehmen, dass er die anteilig auf ihn entfallenden Anschaffungskosten der Gesellschaft letztlich tragen wird, da sie bis zu ih417

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rer vollständigen Abschreibung seinen Gewinnanteil mindern. Beim derivativen Anteilserwerb ist die Situation anders. Zwar muss auch der Anteilskäufer die von der Gesellschaft noch nicht getilgten Darlehen „bezahlen“. Seine Anschaffungskosten werden aber in der Regel von denjenigen des Gründungsgesellschafters abweichen. Auf die ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Gesellschaft kommt es dann nicht mehr an. Der derivative, entgeltliche Anteilserwerb überlagert den in der Gesellschaftsbilanz abgebildeten Vorgang und bildet eine Zäsur. Selbst wenn der entgeltliche Anteilserwerber genau die Anschaffungskosten des Gründungsgesellschafters aufwendet, kann er dessen AfA nicht einfach fortsetzen, denn für ihn beginnt mit dem entgeltlichen Erwerb eine neue AfA-Reihe, die sich nach der Restnutzungsdauer des jeweiligen Wirtschaftsguts im Zeitpunkt des Anteilserwerbs bemisst.45 Das ergibt sich daraus, dass der Anteilserwerber soweit wie möglich dem Erwerber eines Einzelunternehmens bzw. einem Direkterwerber gleich zu stellen ist. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des IV. Senats an. Zwar leitet der IV. Senat seine Auffassung maßgeblich aus der Gleichstellung des Mitunternehmers mit dem Einzelunternehmer und mithin aus § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 Satz 1 Halbsatz 1 EStG ab. Der Senat hat aber bereits entschieden, dass die für die Gewinnermittlung einer Mitunternehmerschaft geltenden Grundsätze beim entgeltlichen Erwerb eines Anteils an einer vermögensverwaltend tätigen Personengesellschaft entsprechend anzuwenden sind.46 Nichts anderes gilt für die diese Rechtsprechung tragenden Erwägungen. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb die AfA-Berechtigung nach entgeltlichem Erwerb eines Anteils an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft anders ermittelt werden sollte als nach dem Erwerb eines Mitunternehmeranteils. Für die Ermittlung der AfA-Berechtigung des Erwerbers nach entgeltlichem Anteilserwerb muss folglich auf die anteilig miterworbenen Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens abgestellt werden. Zwar vermittelt der Gesellschaftsanteil kein Bruchteilseigentum an den Wirtschaftsgütern des Gesamthandsvermögens. Eine Bruchteilsbetrachtung ist aber schon des-

45 BFH v. 20.11.2014 – IV R 1/11, BStBl. II 2017, 34 = FR 2015, 552 m. Anm. Wendt = GmbHR 2015, 334. 46 BFH v. 29.10.2019 – IX R 38/17, BStBl. II 2021, 202, Rz. 30 ff. = FR 2022, 361 = GmbHR 2020, 1029.

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halb erforderlich, weil der (erworbene) Gesellschaftsanteil nach ständiger Rechtsprechung des BFH kein Wirtschaftsgut ist. Der Anteilskäufer kann danach regelmäßig die in seinem Ergebnisanteil quotal enthaltene AfA auf die Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens ertragsteuerlich nicht beanspruchen. Er muss vielmehr seinen Ergebnisanteil insoweit korrigieren, als die darin enthaltene AfA von der ihm zustehenden AfA abweicht. Das ist die AfA, die er geltend machen könnte, wenn er die Wirtschaftsgüter direkt erworben hätte. Ergänzungsbilanzen/-rechnungen: Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Rechtsprechung die individuelle AfA-Berechtigung des Gesellschafters nach entgeltlichem Anteilserwerb bisher – soweit ersichtlich – nur unter dem Gesichtspunkt der Auflösung oder Fortschreibung von Ergänzungsbilanzen und -rechnungen thematisiert hat. Der Senat weicht insbesondere nicht von dem Urteil des IV. Senats in BFHE 248, 28, BStBl II 2017, 34 ab. Der IV. Senat hat nicht entschieden, ob sich die von der Handhabung in der Gesamthandsbilanz (z.B. hinsichtlich der Restnutzungsdauer) abweichende Auflösung oder Fortschreibung von Mehr- oder Minderanschaffungskosten nur auf den in der Ergänzungsbilanz ausgewiesenen Mehrbetrag oder auf die gesamten Anschaffungskosten des Erwerbers bezieht. Zu dieser Frage hat indes der erkennende Senat bereits entschieden, dass die gesamten Anschaffungskosten des Erwerbers nach individuellen Merkmalen abgeschrieben werden müssen und nicht nur das in der Ergänzungsrechnung ausgewiesene Mehr- oder Minderkapital.47 Dies zugrunde gelegt, ergibt sich nichts anderes, wenn man bei der Ermittlung der AfA-Berechtigung des Erwerbers vom Buchwert des anteilig miterworbenen Wirtschaftsguts ausgeht und die in der Ergänzungsbilanz oder -rechnung ausgewiesenen Mehroder Minder-Anschaffungskosten hinzuaddiert. Auch auf diesem Weg werden sämtliche anteiligen Anschaffungskosten der Ermittlung der AfA-Berechtigung zugrunde gelegt. Gesellschaftsschulden erhöhen die Anschaffungskosten: Bei der Ermittlung der AfA-Berechtigung des Erwerbers nach entgeltlichem Anteilserwerb erhöhen die dem Anteil entsprechenden Gesellschaftsschulden die Anschaffungskosten des Erwerbers, soweit sie den anteilig miterworbenen abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Gesamthandsvermögens direkt zugeordnet werden können. 47 BFH v. 29.10.2019 – IX R 38/17, BStBl. II 2021, 202, Rz. 30 ff. = FR 2022, 361 = GmbHR 2020, 1029.

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Anschaffungskosten können auch vorliegen, soweit der Erwerber Verbindlichkeiten des Veräußerers übernimmt. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Anteilserwerber den Veräußerer von privaten Schulden unter Anrechnung auf den Kaufpreis freistellt. Ob das auch für die Übernahme von Gesellschaftsschulden oder den Eintritt in die persönliche Haftung für bestehende Verbindlichkeiten der Gesellschaft gilt, ist nicht abschließend geklärt. Für die Entgeltlichkeit des Anteilserwerbs kommt es darauf an, ob die „übernommene“ Verbindlichkeit Teil der geschuldeten Gegenleistung ist. Welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen, bedarf hier keiner Entscheidung. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass die Gesellschafter B und C die von A übernommenen Teilanteile entgeltlich erworben haben. Das ergibt sich bereits daraus, dass sie im Zuge der Anteilsübertragung nicht nur in die persönliche Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft eingetreten sind, sondern darüber hinaus auch Barzahlungen geleistet haben. Für die AfA-Berechtigung des eintretenden Gesellschafters kommt es hingegen darauf an, ob die Gesellschaftsschulden (teilweise) den abnutzbaren Wirtschaftsgütern einzeln zugeordnet werden können. Soweit es sich auf Gesellschaftsebene um Anschaffungskosten der GbR für bestimmte abnutzbare Wirtschaftsgüter handelt, erhöht die noch bestehende Verbindlichkeit der GbR bei der Ermittlung der AfA-Berechtigung des eintretenden Gesellschafters auch dessen Anschaffungskosten. Wirtschaftlich finanziert der eintretende Gesellschafter dann (wie auch der Gründungsgesellschafter) einen Teil der Anschaffungskosten für die anteilig miterworbenen Wirtschaftsgüter „über die Gesellschaft“. Beim Erwerb eines Einzelunternehmens oder -wirtschaftsguts macht es keinen Unterschied, ob der Erwerber die bestehenden Verpflichtungen übernimmt oder dem Veräußerer die zur Rückführung der Schulden erforderlichen Mittel zusätzlich entgilt. Nichts anderes kann aus Gleichbehandlungsgründen für die Ermittlung der AfA-Berechtigung nach einem entgeltlichem Anteilserwerb gelten. Im Streitfall steht fest, dass die von der GbR aufgenommenen Darlehen tatsächlich dazu verwendet worden sind, um die Anschaffungskosten der im Gesamthandsvermögen liegenden bebauten Grundstücke zu bezahlen. Die Darlehensverbindlichkeiten der Gesellschaft sind danach den Grundstückserwerben zuzuordnen. Einer weitergehenden Aufteilung bedarf es insoweit nicht.

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Keine Nettobetrachtung: Zu Unrecht verweist die Vorinstanz in diesem Zusammenhang auf die sog. Nettobetrachtung. Eine Gleichstellung „vermögensverwaltender Einheiten“ mit betrieblichen Einheiten (Betriebe, Teilbetriebe bzw. Mitunternehmeranteile) ist schon deshalb nicht geboten, weil es im Hinblick auf Anteile an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft an einer § 6 Abs. 3 EStG vergleichbaren Rechtsgrundlage fehlt. Verteilung nach dem Verhältnis der stillen Reserven: Die Anschaffungskosten des Anteilserwerbers sind, soweit sie den Buchwert der erworbenen Beteiligung übersteigen, den anteilig miterworbenen Wirtschaftsgütern des Gesamthandsvermögens nach dem Verhältnis der in ihnen ruhenden stillen Reserven einzeln zuzuordnen. Nach der Rechtsprechung besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Anteilserwerber einen über dem Kapitalanteil liegenden Kaufpreis nur akzeptieren wird, wenn stille Reserven u.a. vorhanden sind. Dies rechtfertigt es, die Mehranschaffungskosten des Anteilserwerbers den stillen Reserven der anteilig miterworbenen Wirtschaftsgüter direkt zuzuordnen. Danach sind die Anschaffungskosten den anteilig miterworbenen Wirtschaftsgütern des Gesamthandsvermögens in einem ersten Schritt nach dem Verhältnis ihrer Buchwerte zuzuordnen. Verbleiben danach keine weiteren Anschaffungskosten, hat der Erwerber also zum Buchwert oder darunter erworben, ist die AfA-Berechtigung des Erwerbers nach Maßgabe dieser Aufteilung der Anschaffungskosten auf die abnutzbaren Wirtschaftsgüter und der jeweils anzusetzenden Restnutzungsdauer(n) zu bestimmen. Übersteigen die Anschaffungskosten des Erwerbers die anteilig erworbenen Buchwerte des Gesamthandsvermögens (Mehranschaffungskosten), sind sie (nur noch) auf diejenigen Wirtschaftsgüter zu verteilen, in denen stille Reserven ruhen. Maßstab ist insoweit das Verhältnis der stillen Reserven zueinander. Die stillen Reserven ergeben sich als Differenz zwischen dem Verkehrswert des Wirtschaftsguts und seinem Buchwert im Zeitpunkt des Anteilserwerbs. Die Aufteilung erfordert eine Einzelbewertung jedes in Betracht kommenden Wirtschaftsguts im Zeitpunkt des Anteilserwerbs. Welche stillen Reserven bestehen, kann nur im Einzelfall nach entsprechender Sachaufklärung beurteilt werden. Erneute Aufteilung auf Grund und Gebäude: Beim anteiligen Miterwerb von bebauten Grundstücken des Gesamthandsvermögens ist – soweit es um die AfA des Anteilserwerbers geht – eine erneute Aufteilung der an421

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teiligen Anschaffungskosten auf Grund und Boden einerseits und Gebäude andererseits erforderlich. Die ursprüngliche Aufteilung, die der AfA-Ermittlung auf Gesellschaftsebene zugrunde liegt, kann vom Anteilserwerber nicht übernommen werden. In die neue Aufteilung gehen die aktuellen Bodenrichtwerte ein. Damit wird sichergestellt, dass eventuell im nicht abnutzbaren Wirtschaftsgut Grund und Boden durch Wertsteigerung entstandene stille Reserven zutreffend erfasst werden. Bestimmung der verbleibenden Restnutzungsdauer: Hinsichtlich des anteilig miterworbenen Gebäudes ist die verbleibende Restnutzungsdauer grundsätzlich gemäß § 7 Abs. 4 EStG zu bestimmen. Das ergibt sich aus der gebotenen Gleichstellung des Anteilskäufers mit einem Direkterwerber. Eine geringere Restnutzungsdauer kann nach Maßgabe des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG aber im Einzelfall geltend gemacht werden. Fehlende Spruchreife: Die Sache ist nicht spruchreif. Zwar hat das FG die Anschaffungskosten, die B und C für die erworbenen Teilanteile aufgewendet haben, festgestellt. Es hat aber keine Feststellungen dazu getroffen, wie diese auf die Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens zu verteilen sind. Dies wird es unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 126 Abs. 5 FGO) im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

4. Bemerkungen Die Besteuerung vermögensverwaltender Personengesellschaften wirft viele praktische Probleme auf. Die Entscheidung zeigt das Bemühen des IX. Senats auf, seine Rechtsprechung der die Besteuerung der Mitunternehmerschaften betreffenden Judikatur des IV. Senats anzunähern. Hat der Gesellschafter einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft seinen Anteil entgeltlich erworben, kann er AfA auf die anteilig miterworbenen abnutzbaren Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens nach Maßgabe seiner Anschaffungskosten und der Restnutzungsdauer des jeweiligen Wirtschaftsguts im Zeitpunkt des Anteilserwerbs beanspruchen. Dies macht eine neue Aufteilung der Anschaffungskosten auf Grund und Boden sowie Gebäude erforderlich.48 Es kommt zu einer „gespaltenen AfA-Reihe“.49 48 Dies kann bei stark gestiegenen Grundstückspreisen und abgenutzten Immobilien dazu führen, dass ein größerer Anteil auf den nicht zur Vornahme von AfA berechtigenden Grund und Boden entfällt; vgl. Carlé, NWB 2022, 2806 (2807). 49 Carlé, NWB 2022, 2806 (2807): „wenig plausibel“.

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Was die Übernahme von Verbindlichkeiten angeht, so ist zunächst festzuhalten, dass eine solche bei Wirtschaftsgütern des Privatvermögens zu Anschaffungskosten führt. Zumindest wirtschaftlich betrachtet findet beim Erwerb des Anteils an einer vermögensverwaltenden Gesellschaft ebenfalls eine solche Übernahme statt. Daher erhöhen die bestehenden Verbindlichkeiten – soweit sie abnutzbaren Wirtschaftsgütern zugeordnet werden können – die Anschaffungskosten. Die Entscheidung ist in der Literatur auf Zustimmung gestoßen.50 Es bleibt abzuwarten, ob (und wie) die Finanzverwaltung und ggf. der Gesetzgeber auf diese Judikatur reagieren werden. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der BFH nicht entschieden hat, wie die unentgeltliche Übertragung von Anteilen an vermögensverwaltenden Personengesellschaften, zu deren Vermögen fremdfinanzierte Wirtschaftsgüter gehören, zu beurteilen ist. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob im Hinblick auf die „übergehenden Schulden“ aus der Sicht des Übertragenden ein Entgelt vorliegt.51 Hier bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten.

VIII. Verfahrensrecht und § 6b EStG 1. Leitsatz und Sachverhalt BFH v. 16.12.202152: „1. Der Ergänzungsbilanzgewinn, der mitunternehmerbezogen den laufenden Gesamthandsgewinn korrigiert, ist eine gesondert festzustellende und selbständig anfechtbare Besteuerungsgrundlage. Eine eigene Klagebefugnis des Mitunternehmers hiergegen besteht nach § 48 Abs. 1 Nr. 5 FGO aber nur dann, wenn dieser Gewinn allein aus den Mitunternehmer betreffenden Gründen streitig ist. 2. Die Möglichkeit der Rechtsverletzung als Voraussetzung der Zulässigkeit einer Anfechtungsklage ist schon dann gegeben, wenn der Kläger geltend macht, der unmittelbar erstrebte steuerrechtliche Nachteil sei mit einem mittelbaren steuerrechtlichen Vorteil in einem anderen Verwaltungsakt steuerrechtlich verknüpft.

50 Mihm, BB 2022, 2290, zugleich aber kritisch im Hinblick auf das Erfordernis, dass die Gesellschaftsschulden abnutzbaren Wirtschaftsgütern direkt zuordenbar sein müssen; vgl. auch Carlé, NWB 2022, 2806. 51 Escher/Weiten, DStR 2020, 2478. 52 BFH v. 16.12.2021 – IV R 7/19, GmbHR 2022, 811 m. Anm. Levedag = FR 2022, 598.

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Graw, Rechtsprechungs-Highlights zum Bilanzsteuerrecht 3. Es ist zweifelhaft, ob aus § 6b EStG eine Befugnis zu gestuften Verwaltungsverfahren bei rechtsträgerübergreifender Übertragung stiller Reserven abgeleitet werden kann. 4. In dem Besteuerungsverfahren für den reinvestierenden Betrieb ist nicht mit Bindungswirkung für das Besteuerungsverfahren des veräußernden Betriebs zu entscheiden, ob dort die Veräußerung eines Wirtschaftsguts erst nach dem 31.12.2001 erfolgt und deshalb die gesellschafterbezogene Betrachtung des § 6b EStG anzuwenden ist.“

Sachverhalt: Der Kläger betreibt ein land- und forstwirtschaftliches Einzelunternehmen und ermittelt den Gewinn für das landwirtschaftliche Normalwirtschaftsjahr vom 1.7. bis zum 30.6. des Folgejahres. Mit notariellem Vertrag vom xx.10.2001 verkaufte der Kläger Grundstücke aus dem Betriebsvermögen seines Einzelunternehmens. Die Besitzübergabe sollte mit Bezahlung des Kaufpreises erfolgen. Am Tag der Besitzübergabe sollten Gefahr, Nutzen, öffentliche Lasten, Steuern und Abgaben sowie die Verkehrssicherungspflichten auf die Käuferin übergehen. Die Käuferin sollte nach dem Kaufvertrag mit Besitzübergabe in die Rechte und Pflichten des Klägers aus der Vermietung und Verpachtung der Grundstücksflächen eintreten. Am 14.11.2001 erhielt der Kläger den Kaufpreis von der Käuferin. Der Kläger bezahlte in den Jahren 2001 und 2002 noch die Grundsteuer für die verkauften Grundstücke, ohne dies der Käuferin in Rechnung zu stellen. Bis zum April 2002 erhielt der Kläger noch Zahlungen aus Miet- und Erbpachtverträgen, die er für die Grundstücke abgeschlossen hatte. Im Jahr 2002 holte der Kläger auf einem Teil der verkauften Flächen die Ernte ein und verwertete diese für sich. Mit notarieller Urkunde vom xx.3.2003 wurde die Auflassung der Grundstücke erklärt, die Eintragung der Käuferin als Eigentümerin im Grundbuch erfolgte am xx.7.2003. Am 17.12.2003 wurde schließlich die Aufhebung des für die Grundstücke geschlossenen Mietvertrags und des Erbbaurechts vereinbart. Der Kläger bildete in der Bilanz seines Einzelunternehmens zum 30.6.2002 eine Rücklage nach § 6b EStG in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung in Höhe von 484.208 t. Am 17.5. des Streitjahres (2006) erwarb der Kläger einen Kommanditanteil an der zum Verfahren beigeladenen S-KG. Er leistete eine Einlage von 100.000 t. Die S-KG gab eine Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung für 2006 ab. Der Gewinnanteil des Klägers erhöhte sich darin um 4.990,80 t aufgrund von Abschreibungen in einer negativen Ergänzungsbilanz. Dazu kam es, weil der Gewinn, für den der Kläger bei seinem 424

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Einzelunternehmen ab dem Jahr 2002 eine Reinvestitionsrücklage gebildet hatte, in Höhe von 400.000 t auf anteilige Anschaffungs- und Herstellungskosten des Klägers als Mitunternehmer der S-KG übertragen wurde. Dies führte zu negativen Posten in der Ergänzungsbilanz des Klägers bei der S-KG für Gebäude in Höhe von 332.720 t und in Höhe von 67.280 t für Grund und Boden. Eine bei der S-KG in der Folgezeit durchgeführte Außenprüfung kam zu dem Ergebnis, dass von einigen Mitunternehmern der S-KG, darunter auch der Kläger, Gewinne aus Rücklagen nach § 6b EStG übertragen worden seien, obwohl der Rücklagenbildung Veräußerungen aus dem Zeitraum vom 1.1.1999 bis zum 31.12.2001 zugrunde lägen und nach damaliger Rechtslage keine rechtsträgerübergreifende Übertragung möglich gewesen sei. Diese Rücklagen seien deshalb nach Ablauf der Frist in den Betrieben der Mitunternehmer wieder aufzulösen. Die Außenprüfung wies das für die Einkommensbesteuerung des Klägers zuständige FA S darauf hin, dass ihres Erachtens die Übertragung des Gewinns aus der Rücklage nicht zulässig sei. Die Entscheidung habe jedoch das FA S als das für den Betrieb des Klägers zuständige Finanzamt zu treffen. Das FA änderte den Gewinnfeststellungsbescheid 2006 für die S-KG. Für den Kläger wirkte sich die Änderung dahingehend aus, dass die gewinnerhöhende Abschreibung in der negativen Ergänzungsbilanz in Höhe von 4.990,80 t entfiel und sein Ergänzungsbilanzgewinn entsprechend niedriger festgestellt wurde. Das FA S teilte dem Kläger im Rahmen eines Einspruchsverfahrens gegen den Einkommensteuerbescheid 2006 mit, dass der Gewinnfeststellungsbescheid des FA für 2006 Grundlagenbescheid für die bei dem FA S veranlagte Einkommensteuer 2006 sei. Einwendungen könnten insoweit nur gegen den Gewinnfeststellungsbescheid des FA erhoben werden. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Nach Beiladung der S-KG wies das FG den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit als unbegründet, den Hilfsantrag auf Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids mangels Klagebefugnis als unzulässig ab.

2. Fragestellung In dem Verfahren stellte sich insbesondere die Frage, in welchem Verhältnis die verschiedenen im Raum stehenden Bescheide bei einer rechtsträgerübergreifenden Übertragung stiller Reserven stehen. 425

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3. Entscheidung Verfahrensgegenstand: Gegenstand des Verfahrens ist die Feststellung eines Ergänzungsbilanzgewinns. Das FA hatte zunächst – erklärungsgemäß – einen Ergänzungsbilanzgewinn des Klägers in Höhe von 4.990,80 t festgestellt, der auf Abschreibungen in einer negativen Ergänzungsbilanz des Klägers beruhte. Im angegriffenen Gewinnfeststellungsbescheid hatte das FA diesen Ergänzungsbilanzgewinn nicht mehr berücksichtigt. Der Gewinn oder Verlust aus der (teilweisen) Auflösung von Korrekturposten in einer Ergänzungsbilanz, der mitunternehmerbezogen den laufenden Gesamthandsgewinn berichtigt, stellt eine selbständige Besteuerungsgrundlage dar, die nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO gesondert festzustellen und selbständig anfechtbar ist. Zulässigkeit der Klage: Die Klage ist zulässig. Klagebefugnis: Der Kläger war nach § 48 Abs. 1 Nr. 5 FGO zur Klage gegen die (geänderte) Feststellung des Ergänzungsbilanzgewinns befugt. Denn im Streit steht nicht lediglich eine die Höhe des Gesamthandsvermögens betreffende Frage, die sich zwangsläufig auch auf den Ergänzungsbilanzgewinn des einzelnen Mitunternehmers auswirkt. Ob für den Kläger ein Betrag von 4.990,80 t aufgrund von Abschreibungen in einer negativen Ergänzungsbilanz als Ergänzungsbilanzgewinn zu erfassen ist, hängt vielmehr von der Entscheidung der zwischen den Beteiligten streitigen Frage ab, ob der Kläger den Gewinn aus einer in seinem Einzelunternehmen gebildeten § 6b EStG-Rücklage von den Anschaffungskosten für Wirtschaftsgüter der S-KG abziehen konnte, und beruht damit auf Gründen, die nicht die Gesamthand betreffen, sondern die allein seiner eigenen Sphäre zugeordnet sind. Möglichkeit einer Rechtsverletzung: Entgegen der Auffassung des FG fehlt es auch nicht an der für die Klagebefugnis erforderlichen Geltendmachung einer Rechtsverletzung (§ 40 Abs. 2 FGO). Insoweit reicht für die Zulässigkeit der Klage die Möglichkeit einer Rechtsverletzung aus. Der Kläger zeigt eine solche mögliche Rechtsverletzung auf. Er legt einen Zusammenhang zwischen dem angegriffenen, unmittelbar begünstigenden Gewinnfeststellungsbescheid und einer mittelbaren Benachteiligung durch einen anderen Verwaltungsakt dar und macht somit eine Rechtsverletzung geltend. Entscheidung über die Bildung der § 6b-Rücklage: Für die Entscheidung des Streitfalls ist von Bedeutung, in welchem Festsetzungs- bzw. Feststellungsverfahren darüber zu befinden ist, ob und ggf. in welcher Höhe 426

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die Voraussetzungen für die Bildung einer Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG erfüllt sind und ob und ggf. in welchem Umfang und auf welche Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens einer Mitunternehmerschaft, an der der Veräußerer beteiligt ist, der in die Rücklage eingestellte Gewinn übertragen werden konnte. Gesellschafterbezogene vs. betriebsbezogene Betrachtungsweise: § 6b EStG erlaubt wegen der – bis zum 31.12.1998 und ab dem 1.1.2002 wieder geltenden – gesellschafterbezogenen Betrachtungsweise dieser Steuervergünstigung auch den Abzug eines dem Gesellschafter zuzurechnenden Veräußerungsgewinns nicht nur betriebsbezogen, sondern auch von Anschaffungs- und Herstellungskosten bestimmter Wirtschaftsgüter eines Einzel- oder Sonderbetriebsvermögens des Gesellschafters sowie in Höhe des auf den Gesellschafter entfallenden ideellen Anteils von Wirtschaftsgütern des Gesamthandsvermögens einer Personengesellschaft, an der der Gesellschafter als Mitunternehmer beteiligt ist. Demgegenüber war eine rechtsträgerübergreifende Übertragung unter Geltung der betriebsbezogenen Betrachtungsweise in der Zeit vom 1.1.1999 bis zum 31.12.2001 nicht zulässig. Die gesellschafterbezogene Betrachtungsweise findet (wieder) Anwendung auf Veräußerungen, die nach dem 31.12.2001 vorgenommen werden (vgl. § 52 Abs. 18a EStG i.d.F. des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes vom 20.12.200153). Im Streitfall stellt sich materiell-rechtlich die Frage, ob die betriebsbezogene oder die gesellschafterbezogene Betrachtungsweise anzuwenden ist. Das hängt davon ab, ob die Veräußerung von Grundbesitz im Einzelunternehmen des Klägers noch im Jahr 2001 oder erst nach dem 31.12.2001 erfolgt ist. Ist sie noch im Jahr 2001 erfolgt, konnte der Kläger den Gewinn aus der Reinvestitionsrücklage nicht bei den Anschaffungskosten von Wirtschaftsgütern der S-KG in Abzug bringen; ist sie hingegen, wie von ihm behauptet, erst nach dem 31.12.2001 erfolgt, war der von ihm begehrte Abzug möglich. Verfahrensrechtliche Besonderheiten: Verfahrensrechtlich ist für die Entscheidung des Streitfalls von Bedeutung, ob diese Frage im Festsetzungs- bzw. Feststellungsverfahren des veräußernden Betriebs oder in dem des reinvestierenden Betriebs zu entscheiden ist. Nach dem Vorbringen des Klägers stellt der angefochtene Gewinnfeststellungsbescheid für die S-KG einen Grundlagenbescheid für die Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer dar. In dem Gewinnfeststel53 BGBl. I 2001, 3858.

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lungsbescheid werde verbindlich darüber entschieden, ob der im Einzelunternehmen des Klägers in eine Reinvestitionsrücklage eingestellte Gewinn von seinen Anschaffungskosten für anteilige Wirtschaftsgüter der S-KG abgezogen werden könne. Dies setze voraus, dass im Betrieb der S-KG als dem reinvestierenden Betrieb ein geeignetes Reinvestitionsgut vorhanden sei. Dies wiederum beinhalte auch die Prüfung, ob auf den Streitfall die gesellschafterbezogene oder aber die betriebbezogene Betrachtung zur Anwendung komme. Damit entfalte die (Nicht-) Gewährung des Abzugs im Reinvestitionsbetrieb nach § 182 Abs. 1 AO Bindungswirkung für die Frage, ob die Rücklage im Einzelunternehmen erfolgsneutral oder erfolgswirksam aufzulösen sei. Der im Streitfall begehrte und zu einer Gewinnerhöhung führende Abzug im Gewinnfeststellungsbescheid der S-KG wirke sich aufgrund der Bindungswirkung für die Veranlagung des Klägers für sein Einzelunternehmen begünstigend aus, da für dieses dann eine erfolgsneutrale Auflösung der Rücklage zugrunde zu legen sei. Es genügt für die Annahme einer möglichen Rechtsverletzung, dass die vom Kläger vorgetragene rechtliche Verknüpfung zwischen dem angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheid und dem Steuerbescheid für das Einzelunternehmen des Klägers auf Grundlage des geltenden Steuerrechts bestehen könnte. Ob sie tatsächlich gegeben ist, ist eine Frage der Begründetheit. Träfe die vom Kläger vorgetragene rechtliche Verknüpfung zu, hätte der Kläger auch keine andere rechtliche Möglichkeit, den Eintritt der begünstigenden Folge bei der Besteuerung seines Einzelunternehmens herbeizuführen, als durch Anfechtung des ihn begünstigenden Gewinnfeststellungsbescheids. Denn nach § 351 Abs. 2 AO, § 42 FGO wäre er im Besteuerungsverfahren seines Einzelunternehmens mit Einwendungen ausgeschlossen, die dem Verfahren zum Erlass des Grundlagenbescheids zuzuordnen wären. Auf solche Einwendungen gestützte Rechtsbehelfe des Klägers in dem Besteuerungsverfahren des Einzelunternehmens wären bereits deshalb unbegründet. Entgegen der Auffassung des FG war der Kläger danach klagebefugt und die Klage zulässig. Revision unbegründet: Die Revision ist gleichwohl unbegründet und war daher zurückzuweisen. Zwar hat das FG die Klage, wie ausgeführt, zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Dies führt im Streitfall aber nicht zur Aufhebung des Urteils, da sich die FG-Entscheidung im Ergebnis als richtig erweist. Denn eine Rechtsverletzung des Klägers ist im Streitfall ausgeschlossen. Die Revision war deshalb gemäß § 126 Abs. 4 428

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FGO mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Klage nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abzuweisen ist. Rechtsverletzung: Eine erfolgreiche Anfechtungsklage setzt das Vorliegen einer Rechtsverletzung voraus. Eine Anfechtungsklage kann nur dann erfolgreich sein und zur Aufhebung oder Änderung eines angefochtenen Verwaltungsakts führen, wenn dieser nicht nur rechtswidrig ist, sondern der Kläger dadurch auch in seinen Rechten verletzt ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Fehlt es an der Verletzung eines subjektiven Rechts, ist die Klage als unbegründet abzuweisen. Es kann dann offenbleiben, ob der angefochtene Verwaltungsakt objektiv rechtswidrig ist. Ebenso kann dann offenbleiben, ob er nichtig ist. Die geänderte Feststellung des Ergänzungsbilanzgewinns verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. In dem angegriffenen Gewinnfeststellungsbescheid der S-KG wurde der Ergänzungsbilanzgewinn des Klägers niedriger festgestellt und damit zu seinen Gunsten geändert. Eine Rechtsverletzung des Klägers kann danach nur vorliegen, wenn dem Gewinnfeststellungsbescheid für die S-KG hinsichtlich der Frage, ob der Gewinn aus der im Einzelunternehmen gebildeten Reinvestitionsrücklage von Anschaffungskosten des Klägers für den Erwerb anteiliger Wirtschaftsgüter der S-KG abgezogen werden kann, Bindungswirkung für die Besteuerung der Einkünfte des Klägers aus dem veräußernden Betrieb zukommt, und wenn von dieser Bindungswirkung auch die Frage erfasst wird, ob im Streitfall die gesellschafterbezogene oder die betriebsbezogene Fassung des § 6b EStG anzuwenden ist. Das setzt voraus, dass es sich bei dem angegriffenen Gewinnfeststellungsbescheid insoweit um einen Grundlagenbescheid handelt oder ihm sonst insoweit eine materielle Bindungswirkung zukommt. Das ist jedoch – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht der Fall. Grundlagenbescheid: Ein Grundlagenbescheid liegt nach der Definition in § 171 Abs. 10 Satz 1 AO vor, wenn für die Festsetzung einer Steuer ein Feststellungsbescheid, ein Steuermessbescheid oder ein anderer Verwaltungsakt bindend ist. Nach § 179 Abs. 1 AO werden Besteuerungsgrundlagen nur dann durch Feststellungsbescheid gesondert festgestellt, wenn dies in der AO oder sonst in den Steuergesetzen bestimmt ist. Das aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verlangt für die Vornahme solcher abgestufter (mehrstufiger) Steuerverwaltungsverfahren eine gesetzgeberische Verfahrensentscheidung. Die unverzichtbare Rechtsgrundlage kann nicht durch allgemeine Zweckmäßigkeitserwägungen oder vergleich429

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bare sinnvolle Überlegungen ersetzt werden. Darüber hinaus gebietet es die in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verbürgte Garantie eines effektiven Rechtsschutzes, dass die Gerichte angefochtene Verwaltungsakte grundsätzlich in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachprüfen. Verfahrensstufungen mit bindenden Vorentscheidungen, die durch den Angriff gegen die Endentscheidung nicht mehr oder nur noch eingeschränkt einer gerichtlichen Prüfung zugeführt werden können, sind nur zulässig, wenn die Bindung einer Behörde an vorangehende Feststellungen oder Entscheidungen einer anderen Behörde hinreichend klar aus einer gesetzlichen Bestimmung folgt, wenn gegen die mit Bindungswirkung ausgestattete Teil- oder Vorentscheidung ihrerseits effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht und wenn die Aufspaltung des Rechtsschutzes mit einer etwaigen Anfechtungslast gegenüber der Vorentscheidung für den Bürger klar erkennbar und nicht mit unzumutbaren Risiken und Lasten verbunden ist. Zweifel an der Befugnis zu gestuften Verwaltungsverfahren: Nach Ansicht des Senats bestehen erhebliche Zweifel daran, ob aus § 6b EStG eine solche Befugnis zu gestuften Verwaltungsverfahren abgeleitet werden kann. Zwar kann der Norm entnommen werden, dass das Bilanzierungswahlrecht für die Bildung und Auflösung einer § 6b EStG-Rücklage immer durch entsprechenden Bilanzansatz im veräußernden Betrieb auszuüben ist, auch wenn die stillen Reserven aus der Rücklage auf Wirtschaftsgüter eines anderen Betriebs des Steuerpflichtigen übertragen werden sollen. Ebenso kann der Norm entnommen werden, dass der reinvestierende Betrieb darüber entscheidet, ob und in welchem Umfang er bei Ansatz seiner Wirtschaftsgüter stille Reserven aus einer im veräußernden Betrieb gebildeten Reinvestitionsrücklage zum Abzug bringt. Aus dem notwendigen Zusammenspiel bilanzsteuerrechtlicher Entscheidungen verschiedener Betriebsinhaber ergibt sich indes noch keine Grundlage dafür, dass das für den jeweiligen Betrieb zuständige Finanzamt das Vorliegen der Voraussetzungen für diese Fragen allein und mit Bindungswirkung für das jeweils andere Finanzamt prüft. Lediglich vorhandene Sachnähe und Zweckmäßigkeit genügen nach den vorgenannten Maßstäben hierfür nicht. Jedenfalls keine Rechtsverletzung des Klägers: Letztlich kann im Streitfall jedoch offenbleiben, ob und ggf. in welchem Verhältnis im Rahmen des § 6b EStG von einem gestuften Verwaltungsverfahren ausgegangen werden kann. Eine Rechtsverletzung des Klägers für das vorliegende Verfahren liegt in jedem Fall nicht vor. 430

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Kein gestuftes Verfahren: Ist kein gestuftes Verfahren anzuwenden, sind die Voraussetzungen des § 6b EStG für einen Abzug des in eine Rücklage im Einzelunternehmen des Klägers eingestellten Gewinns von den Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts der S-KG (auch) von dem für das Besteuerungsverfahren der S-KG zuständigen Finanzamt eigenständig zu prüfen. Dementsprechend hätte auch das FG im Streitfall das Vorliegen der Voraussetzungen in vollem Umfang zu prüfen. Der Ausgang dieses die S-KG betreffenden Verfahrens hätte allerdings keine Bindungswirkung für das Besteuerungsverfahren des veräußernden Betriebs, hier also für die Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer. Der Kläger könnte daher im vorliegenden Verfahren nur eine Verschlechterung seiner Rechtsposition erreichen, ohne dass dies zu einer Verbesserung seiner Rechtsstellung im Besteuerungsverfahren seines Einzelunternehmens führen könnte. Eine Rechtsverletzung des Klägers durch die Feststellung eines seiner Ansicht nach zu niedrigen Ergänzungsbilanzgewinns im Gewinnfeststellungsbescheid der S-KG wäre also ausgeschlossen. Entscheidung im Besteuerungsverfahren des veräußernden Betriebs: Träfe die Ansicht des FA und des BMF zu und wäre – mit Bindungswirkung für die Besteuerung des reinvestierenden Betriebs – alleine im Besteuerungsverfahren für den veräußernden Betrieb über die Übertragbarkeit der stillen Reserven zu entscheiden, so könnte der Kläger im Klageverfahren gegen den Gewinnfeststellungsbescheid der S-KG mangels Bindungswirkung dieses Bescheids für die Besteuerung seines Einzelunternehmens ebenfalls keine Verbesserung seiner Rechte erreichen. Allein die Feststellung eines seiner Ansicht nach zu niedrigen Ergänzungsbilanzgewinns verletzte ihn nicht in seinen Rechten. Entscheidung im Besteuerungsverfahren des reinvestierenden Betriebs: Aber auch nach der von dem Kläger angenommenen Rechtslage kann er vorliegend keine Verbesserung seiner Rechtsposition erreichen. Der Kläger behauptet selbst nicht, dass im Gewinnfeststellungsverfahren der S-KG als dem reinvestierenden Betrieb mit bindender Wirkung auch über die Zulässigkeit der Bildung einer Reinvestitionsrücklage in seinem Einzelunternehmen als dem veräußernden Betrieb zu entscheiden sei. Er sieht in dem Gewinnfeststellungsbescheid für den reinvestierenden Betrieb lediglich insoweit einen Grundlagenbescheid für das Besteuerungsverfahren des veräußernden Betriebs, als im Besteuerungsverfahren für den reinvestierenden Betrieb mit bindender Wirkung „über den Umfang der Übertragungsmöglichkeit“ entschieden werde, und be431

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ruft sich insoweit auf das BFH-Urteil vom 12.7.199054 und auf den BFHBeschluss vom 9.9.200555. Dabei schließt seiner Ansicht nach die Frage, ob im Einzelfall die gesellschafterbezogene Fassung oder die betriebsbezogene Fassung des § 6b EStG zur Anwendung kommt, auch den Umfang der Übertragungsmöglichkeit mit ein, denn von der Beantwortung der Frage hänge ab, ob überhaupt eine rechtsträgerübergreifende Übertragung möglich sei. Dem kann sich der Senat nicht anschließen. Ob die Veräußerung des Grundbesitzes im Einzelunternehmen des Klägers bis zum 31.12.2001 oder erst danach erfolgte, wovon die anzuwendende Fassung des § 6b EStG abhängt, entscheidet sich allein auf Grundlage von Vorgängen im Bereich seines Einzelunternehmens und damit des veräußernden Betriebs. Es geht um die Frage, in welchem Jahr der Gewinn aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts durch den veräußernden Betrieb entsteht und deshalb ggf. nach § 6b Abs. 3 EStG auch gesellschafterbezogen übertragen werden kann. Diese Frage betrifft allein den veräußernden Betrieb und ist abschließend von dem für dessen Besteuerung zuständigen Finanzamt zu entscheiden. Es geht nicht um die Frage, ob in dem Umfang, in dem der Übertragende im reinvestierenden Betrieb einen Abzug vornehmen will, dort überhaupt auf ihn entfallende Anschaffungs- oder Herstellungskosten vorliegen. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von den Sachverhalten, die den vom Kläger zitierten BFHEntscheidungen vom 12.7.199056 und vom 9.9.200557 zugrunde lagen, und in denen dem Bescheid für den reinvestierenden Betrieb in gewissem Umfang Grundlagenfunktion für die Besteuerung des veräußernden Betriebs zugesprochen wurde. Dahinstehen kann daher, ob an dieser Rechtsprechung überhaupt festgehalten werden könnte. Denn selbst wenn danach dem Bescheid für den reinvestierenden Betrieb hinsichtlich des „Umfangs der Übertragungsmöglichkeit“ Bindungswirkung für das Besteuerungsverfahren des veräußernden Betriebs zukommen sollte, wäre jedenfalls die streitentscheidende Frage, ob die Veräußerung des Grundbesitzes des Klägers in seinem Einzelunternehmen bis zum 31.12.2001 oder erst danach erfolgt ist, nicht im Besteuerungsverfahren der S-KG als dem reinvestierenden Betrieb zu entscheiden. Dementsprechend wäre der Kläger auch in die54 55 56 57

BFH v. 12.7.1990 – IV R 44/89, BFH/NV 1991, 599. BFH v. 9.9.2005 – IV B 6/04, BFH/NV 2006, 22. BFH v. 12.7.1990 – IV R 44/89, BFH/NV 1991, 599. BFH v. 9.9.2005 – IV B 6/04, BFH/NV 2006, 22.

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sem Fall durch die seiner Ansicht nach zu niedrige Feststellung eines Ergänzungsbilanzgewinns nicht in seinen Rechten verletzt.

4. Bemerkungen Die Entscheidung des BFH hat große praktische Bedeutung. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass nach Ansicht des BFH wohl keine Bindungswirkung zwischen den verschiedenen Festsetzungen bzw. Feststellungen, die bei der Übertragung einer 6b-Rücklage eine Rolle spielen, besteht. Demgegenüber hatte das BMF die Ansicht vertreten, dass der Veranlagungsbescheid für den veräußernden Betrieb und der Feststellungsbescheid für den reinvestierenden Betrieb im Hinblick auf das Bilanzierungswahlrecht in einem Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheid stehen. Dies könnte Vorbild für eine gesetzliche Regelung sein.58 Als Praxistipp bleibt festzuhalten, dass in Übertragungsfällen aus Gründen der Vorsicht sowohl die Einkommensteuerfestsetzung des Veräußerers als auch der Feststellungsbescheid der reinvestierenden Personengesellschaft offengehalten werden sollten.59 In materiellrechtlicher Hinsicht ist zu beachten, dass die sog. betriebsbezogene Betrachtungsweise, die eine rechtsträgerübergreifende Übertragung ausschließt, nur zwischen dem 1.1.1999 und dem 31.12.2001 galt. Davor galt und seit dem 1.1.2002 gilt die gesellschafterbezogene Betrachtungsweise, die eine rechtsträgerübergreifende Übertragung ermöglicht. Im Hinblick auf das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts vom 10.8.202160 und die damit verbundene Aufgabe des Gesamthandsprinzips wird die Frage aufgeworfen, ob zur betriebsbezogenen Betrachtungsweise zurückzukehren ist.61 Hier sollte die weitere Entwicklung im Auge behalten werden. Als Fazit bleibt festzuhalten: Die betriebs- bzw. rechtsträgerübergreifende Übertragung stiller Reserven aus einer 6b-Rücklage ist möglich, aber anspruchsvoll.62

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Kanzler, FR 2022, 604. Vgl. auch Kleinmanns, BB 2020, 1010. BGBl. I 2021, 3436. Strahl, NWB 2022, 1024 (1026) mit der Empfehlung, Veräußerungen vorzuziehen. 62 Stutzmann, HFR 2022, 627.

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IX. § 7g EStG: Erfüllung der Nutzungsvoraussetzungen bei Betriebsaufgabe 1. Leitsatz und Sachverhalt BFH v. 28.7.202163: „1. Für die Erfüllung der Nutzungsvoraussetzungen des § 7g Abs. 4 Satz 1, Abs. 6 Nr. 2 EStG genügt es in Fällen, in denen der Betrieb im Jahr nach der Anschaffung oder Herstellung des begünstigten Wirtschaftsguts aufgegeben wird, wenn das Wirtschaftsgut nicht für ein volles Kalenderjahr bzw. einen vollen Zwölf-MonatsZeitraum nach dem Wirtschaftsjahr seiner Anschaffung oder Herstellung, sondern lediglich während des mit der Betriebsaufgabe endenden Rumpfwirtschaftsjahres in einer inländischen Betriebsstätte des Betriebs ausschließlich oder fast ausschließlich betrieblich genutzt wird (gegen BMF-Schreiben vom 20.11.2013, BStBl I 2013, 1493, Rz. 36, 37, 58). 2. Wenn das FG die Berechnung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem FA übertragen will, muss es über die Klage in einem Umfang entscheiden, dass dem FA nur noch die Berechnung des Betrags überlassen bleibt. Dies bedeutet zum einen, dass im Rahmen der Berechnung keine offene Rechtsfrage mehr verbleiben darf. Zum anderen muss das Gericht dem FA eine eindeutige Berechnungsanweisung vorgeben; die für die Berechnung erforderlichen Angaben müssen entweder im Urteil enthalten sein oder es müssen Zahlenangaben in den Akten durch eine konkrete Bezugnahme in das Urteil einbezogen sein. 3. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO verlangt, dass die Berechnung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert. Einfache Berechnungen hat das FG daher selbst vorzunehmen.“

Sachverhalt: Die Klägerin betrieb im Streitjahr 2014 ein gewerbliches Einzelunternehmen, dessen Gewinn sie durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermittelte. Der Gewinn wurde gesondert festgestellt, weil die Klägerin in einem anderen Bundesland wohnte. In ihrer Gewinnermittlung für 2012 hatte sie einen Investitionsabzugsbetrag von 14.400 t als Betriebsausgabe abgezogen. Dabei handelte es sich um 40% der – mit 36.000 t angegebenen – voraussichtlichen Anschaffungskosten eines PKW. Die Klägerin wurde insoweit zunächst erklärungsgemäß veranlagt. Im Mai 2014 erwarb die Klägerin den PKW mit Anschaffungskosten von 33.334,03 t. Am 15.7.2015 gab sie ihren Betrieb auf.

63 BFH v. 28.7.2021 – X R 30/19, BStBl. II 2022, 439.

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Das FA vertrat daraufhin die Auffassung, der Investitionsabzugsbetrag sei gemäß § 7g Abs. 4 Satz 1 EStG in der in den Jahren 2012 und 2014 geltenden Fassung rückwirkend rückgängig zu machen, weil der Betrieb vor dem Ende des dem Wirtschaftsjahr der Anschaffung folgenden Wirtschaftsjahres aufgegeben worden sei. Die daraufhin für das Jahr 2012 erlassenen Änderungsbescheide sind nicht Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens. Zum Ablauf des Veranlagungs- und Einspruchsverfahrens für das Streitjahr 2014 hat das FG lediglich festgestellt, dass ein Bescheid über die gesonderte Feststellung des Gewinns aus Gewerbebetrieb (53.169,57 t) und ein Gewerbesteuermessbescheid ergangen sind. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Später setzte das FA den festgestellten Gewinn (50.826,95 t) und den Gewerbesteuermessbetrag herab. Daraufhin reichte die Klägerin eine geänderte Einnahmen-Überschuss-Rechnung für 2014 ein, in der sie einen Gewinn von 48.857,56 t ermittelte. Sie rechnete einen Betrag von 13.333,61 t (40% der tatsächlichen Anschaffungskosten des PKW) dem Gewinn hinzu und minderte zugleich die Anschaffungskosten des PKW um diesen Betrag (§ 7g Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG). Ferner nahm sie eine Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 5 EStG in Höhe von 1.601 t vor. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren durchgeführte Klage hatte Erfolg.

2. Fragestellung Im Streitfall stellte sich vor allem die Frage, ob Rumpfwirtschaftsjahre i.S. des § 8b Satz 2 EStDV auch für Zwecke des § 7g EStG als volle Wirtschaftsjahre anzusehen sind.

3. Entscheidung Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen: Heranziehung der falschen Norm: Das FG hat allein auf § 7g Abs. 4 Satz 1 EStG abgestellt. Dies ist unzutreffend, weil die vom FG angenommene fehlende Anwendbarkeit dieser Norm im Streitjahr 2014 keine günstige Auswirkung auf den steuerlichen Gewinn der Klägerin haben könnte. Eine der Klägerin günstige Gewinnauswirkung der Nichtanwendung dieser Norm ergäbe sich allein im Jahr der Vornahme des Investiti435

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onsabzugsbetrags (hier: 2012), das aber nicht Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens ist. Maßgebend für die von der Klägerin im Streitjahr 2014 angestrebte, ihr günstige Gewinnauswirkung ist vielmehr allein die – vom FG nicht erwähnte – Norm des § 7g Abs. 6 Nr. 2 EStG. Diese stimmt allerdings im hier entscheidungserheblichen Punkt mit § 7g Abs. 4 Satz 1 EStG überein, so dass allein dieser Rechtsfehler des FG nicht zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils führt. Nutzungsvoraussetzung: Nach § 7g Abs. 6 Nr. 2 EStG können die in § 7g Abs. 5 EStG vorgesehenen Sonderabschreibungen – neben weiteren Voraussetzungen – nur in Anspruch genommen werden, wenn das Wirtschaftsgut im Jahr der Anschaffung oder Herstellung und im darauf folgenden Wirtschaftsjahr in einer inländischen Betriebsstätte des Betriebs des Steuerpflichtigen ausschließlich oder fast ausschließlich betrieblich genutzt wird. Wirtschaftsjahr: Zu Recht hat das FG die Auffassung vertreten, dass es für die Erfüllung dieser Nutzungsvoraussetzung in Fällen, in denen der Betrieb im Jahr nach der Anschaffung oder Herstellung des begünstigten Wirtschaftsguts aufgegeben wird, genügt, wenn das Wirtschaftsgut nicht für ein volles Kalenderjahr bzw. einen vollen Zwölf-Monats-Zeitraum nach dem Wirtschaftsjahr seiner Anschaffung oder Herstellung, sondern lediglich während des mit der Betriebsaufgabe endenden Rumpfwirtschaftsjahres in einer inländischen Betriebsstätte des Betriebs ausschließlich oder fast ausschließlich betrieblich genutzt wird. Mit der Klägerin und dem FG ist der Senat der Auffassung, dass sich die vom Gesetzgeber vorgesehene Rechtsfolge aus dem Gesetzeswortlaut ergibt. Danach ist – neben dem Wirtschaftsjahr der Anschaffung oder Herstellung des Wirtschaftsguts – das darauf folgende „Wirtschaftsjahr“ für die Erfüllung der Nutzungsvoraussetzung maßgeblich. Zwar ist das Wirtschaftsjahr bei Gewerbetreibenden, die ihren Gewinn – wie die Klägerin – durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermitteln, gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EStG das Kalenderjahr. Dieser Grundsatz wird aber durch die Regelungen des § 8b EStDV ergänzt. Danach umfasst das Wirtschaftsjahr einen Zeitraum von zwölf Monaten (§ 8b Satz 1 EStDV). Gemäß § 8b Satz 2 EStDV darf es aber in bestimmten Fällen einen Zeitraum von weniger als zwölf Monaten umfassen (sog. Rumpfwirtschaftsjahr). Hierunter fällt auch die Betriebsaufgabe (§ 8b Satz 2 Nr. 1 EStDV). Trotz des im Wortlaut des § 8b Satz 2 EStDV verwendeten Begriffs „darf“ hat die Rechtsprechung die Bildung eines Rumpfwirtschaftsjahres in den dort genannten Fällen als zwingend angesehen. 436

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Der durch § 8b EStDV verwendete Begriff des Wirtschaftsjahres ist auch im Rahmen des § 7g Abs. 6 Nr. 2 EStG maßgebend. Die – durch § 8b EStDV ergänzten – Definitionen des § 4a EStG stehen im selben Abschnitt des EStG wie § 7g EStG (vgl. die amtliche Gliederungsbezeichnung vor §§ 4 bis 7i EStG: „3. Gewinn“). Es gibt daher nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass der gesetzlich definierte Begriff des „Wirtschaftsjahres“ innerhalb der durch eine amtliche Überschrift gebildeten und zusammengefassten Normgruppe der §§ 4 bis 7i EStG mit unterschiedlichen Inhalten zu füllen sein könnte. Ein Grundbegriff des Einkommensteuerrechts, der im Gesetz selbst – bzw. in einer auf diesem Gesetz beruhenden Rechtsverordnung – umschrieben wird, darf in demselben Gesetz nicht in anderer Weise ausgelegt werden, sofern – was hier nicht ersichtlich ist – nicht zwingende Gründe eine andere Auslegung unausweichlich machen. Die Heranziehung des § 8b EStDV für den Begriff des Wirtschaftsjahres entspricht zudem der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur früheren Ansparabschreibung nach § 7g EStG in der bis zum 17.8.2007 geltenden Fassung (EStG a.F.).64 Die zu § 7g EStG a.F. ergangene Rechtsprechung gilt hinsichtlich der Heranziehung des § 8b EStDV unverändert auch für den Investitionsabzugsbetrag fort. Der Klägerin ist darin zuzustimmen, dass dem Gesetzgeber die Rechtsprechung zum Begriff des Wirtschaftsjahres im Rahmen des § 7g EStG a.F. bekannt war und er – wenn er entsprechend der Auffassung des FA stets die Nutzung über einen Zeitraum von vollen zwölf Monaten hätte voraussetzen wollen – dies ohne Weiteres im Gesetzeswortlaut hätte festschreiben können. Mit der zielgenaueren Umgestaltung der durch § 7g EStG bezweckten Investitionsförderung von einer Ansparabschreibung in einen Investitionsabzugsbetrag hat sich der Wortlaut des Gesetzes („Wirtschaftsjahr“) in diesem Punkt aber nicht geändert. Auch der grundsätzliche Normzweck des § 7g EStG ist – wie bereits das FG unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien zutreffend ausgeführt hat – unverändert geblieben. Zwar weist das FA im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass im Fraktionsentwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 27.3.200765 sowohl zu § 7g Abs. 4 EStG als auch zu § 7g Abs. 6 EStG 64 Vgl. BFH v 10.11.2004 – XI R 56/03, BFH/NV 2005, 845; v. 20.12.2006 – X R 31/03, BStBl. II 2007, 862 = FR 2007, 789.; v. 10.11.2004 – XI R 69/03, BStBl. II 2005, 596 = FR 2005, 488 m. Anm. Fischer = GmbHR 2005, 308; v. 26.2.2008 – VIII R 82/05, BStBl. II 2008, 481 = FR 2008, 878. 65 BT-Drucks 16/4841, 53.

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ausgeführt wird, das Wirtschaftsgut müsse „bis zum Ende des folgenden Jahres“ bzw. „in dem darauf folgenden Jahr“ ausschließlich oder fast ausschließlich betrieblich genutzt werden. Angesichts des – bereits in diesem Gesetzentwurf – eindeutig anderen Gesetzeswortlauts („Wirtschaftsjahr“) ist aber davon auszugehen, dass der Gesetzgeber sich in seinen erläuternden Bemerkungen lediglich einer sprachlichen Vereinfachung bedient hat (der Begriff des Wirtschaftsjahres wird in den vom FA angeführten Sätzen aus der Gesetzesbegründung bereits an anderer Stelle verwendet; es wäre also zu einer sprachlich unschönen Doppelung gekommen), aber nicht den im Gesetzestext selbst verwendeten Begriff mit bindender Wirkung für die Rechtspraxis umdefinieren wollte. Für eine solche Absicht enthalten die Gesetzesmaterialien jedenfalls keine Anhaltspunkte. Wie der vom FA gebildete Fall zu behandeln wäre, dass das Wirtschaftsgut am 30.12. angeschafft und der Betrieb am 02.01. des Folgejahres aufgegeben wird, kann vorliegend offenbleiben, da der hier zu beurteilende Sachverhalt mit einer derartigen Gestaltung nicht vergleichbar ist. Im Streitfall lagen sowohl die Geltendmachung des Investitionsabzugsbetrags beim FA als auch die Anschaffung des begünstigten Wirtschaftsguts zeitlich vor der Betriebsaufgabe. Tenor nicht hinreichend bestimmt: Das angefochtene Urteil muss aber aufgehoben werden, weil sein Tenor nicht hinreichend bestimmt ist (…). Weitere Feststellungen erforderlich: Außerdem hat das FG keine Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Sonderabschreibung getroffen. Es hat sich ausschließlich mit der zeitlichen Komponente der Nutzungsvoraussetzung des § 7g Abs. 4 Satz 1 EStG (richtig: § 7g Abs. 6 Nr. 2 EStG) befasst. Zu der weiteren Frage, ob der von der Klägerin im Streitjahr 2014 angeschaffte PKW innerhalb des danach maßgebenden Zeitraums (Wirtschaftsjahre 2014 und 2015) ausschließlich oder fast ausschließlich betrieblich genutzt worden ist, hat das FG hingegen nichts festgestellt.

4. Bemerkungen Mit der Entscheidung hat der BFH klargestellt, dass ein Rumpf-Wirtschaftsjahr ein volles Wirtschaftsjahr i.S. der einkommensteuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften darstellt.66 Dies dürfte zur Folge haben, 66 Vgl. Wendt, FR 2021, 1194.

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dass selbst ein Verbleiben des Wirtschaftsguts von wenigen Tagen im Betrieb des Steuerpflichtigen – diesen Fall hat der BFH ausdrücklich offengelassen – ausreichen dürfte.67 Das BFH-Urteil widerspricht dem BMF-Schreiben vom 20.11.201368. Die Finanzverwaltung hat ihre Auffassung allerdings zwischenzeitlich geändert.69 Eine Gesetzesänderung dürfte daher nicht zu erwarten sein.

X. Nachweis der betrieblichen Nutzung eines PKW 1. Leitsatz und Sachverhalt BFH v. 16.3.202270: „Ein Steuerpflichtiger kann die Anteile der betrieblichen und der außerbetrieblichen Nutzung eines PKW, für den er einen Investitionsabzugsbetrag und eine Sonderabschreibung nach § 7g EStG in Anspruch genommen hat, nicht nur durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch, sondern auch durch andere Beweismittel nachweisen (Anschluss an BFH-Urteil vom 15.07.2020 – III R 62/19, ECLI:DE:BFH: 2020:U.150720.IIIR62.19.0, BFHE 271, 71 = FR 2021, 547 m. Anm. Wendt).“

Sachverhalt: Der Kläger erzielte als Rechtsanwalt Einkünfte aus selbständiger Arbeit und ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung. In den Streitjahren bildete der Kläger für die künftige Anschaffung eines PKW jeweils einen Investitionsabzugsbetrag nach § 7g Abs. 1 EStG in Höhe von 20.000 t (2009) sowie in Höhe von 8.000 t (2013). Am 6.9.2011 schaffte der Kläger ein gebrauchtes Fahrzeug vom Typ A zu einem Kaufpreis von 47.479 t netto an. Für das Fahrzeug nahm er im Jahr 2013 eine Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 5 EStG in Höhe von 9.496 t in Anspruch. Er nutzte das Fahrzeug, bis er am 8.11.2016 ein weiteres gebrauchtes Fahrzeug vom Typ A zu einem Kaufpreis von 42.436,97 t netto anschaffte. Beide Fahrzeuge ordnete der Kläger seinem Betriebsver67 Reddig, jurisPR-SteuerR 50/2021 Anm. 1; Wendt, FR 2021, 1186 unter Hinweis auf die Problematik des § 42 AO; vgl. auch Strecker, NWB 2021, 3299 (3301). 68 BMF v. 20.11.2013 – IV C 6 - S 2139-b/07/10002 – DOK 2013/1044077BStBl I 2013, 1493, Rz. 36, 37, 58. 69 BMF v. 15.6.2022 – IV C 6 - S 2139-b/21/10001 :001 – DOK 2022/0547974, BStBl. I 2022, 945, Rz. 39. 70 BFH v. 16.3.2022 – VIII R 24/19, BStBl. II 2022, 450 = FR 2022, 664 m. Anm. Wendt = GmbHR 2022, 932.

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mögen zu. Im Betriebsvermögen des Klägers wurde darüber hinaus ein PKW vom Typ B geführt, der von der Klägerin, die als Angestellte in der Rechtsanwaltskanzlei des Klägers tätig war, auch für private Fahrten genutzt wurde. Für Privatfahrten standen den Klägern außerdem bis Januar 2014 ein PKW vom Typ C, von Februar 2014 bis November 2016 ein PKW vom Typ D und von Dezember 2016 bis Dezember 2017 ein Fahrzeug vom Typ E zur Verfügung. Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, die in den Streitjahren angeschafften PKW seien auch für private Zwecke genutzt worden. Die von dem Kläger geführten Aufzeichnungen über die betrieblichen Fahrten seien nicht als ordnungsgemäßes Fahrtenbuch anzuerkennen. Der private Nutzungsanteil sei daher nach der sog. 1%-Methode zu berechnen. Dementsprechend könne nicht davon ausgegangen werden, dass die beiden Fahrzeuge ausschließlich bzw. fast ausschließlich betrieblich genutzt worden seien. Die in den Streitjahren gebildeten Investitionsabzugsbeträge und die in Anspruch genommene Sonderabschreibung machte der Prüfer daher rückgängig. Das FA folgte den Prüfungsfeststellungen und erließ entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

2. Fragestellung Der BFH hatte darüber zu befinden, ob der Steuerpflichtige die Anteile der betrieblichen und der außerbetrieblichen Nutzung eines PKW, für den er den Investitionsabzugsbetrag und die Sonderabschreibung nach § 7g EStG in Anspruch genommen hat, nicht nur durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch, sondern auch durch andere Beweismittel nachweisen kann.

3. Entscheidung Die Revision führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG: Nutzungsvoraussetzung: Gemäß § 7g Abs. 1 Satz 1 EStG können Steuerpflichtige für die künftige Anschaffung oder Herstellung eines abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsguts des Anlagevermögens bis zu 40% der voraussichtlichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnmindernd abziehen (Investitionsabzugsbetrag). Im Wirtschaftsjahr der 440

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Anschaffung oder Herstellung ist der Investitionsabzugsbetrag gewinnerhöhend hinzuzurechnen (§ 7g Abs. 2 Satz 1 EStG). Soweit der Investitionsabzugsbetrag nicht bis zum Ende des dritten auf das Wirtschaftsjahr des Abzugs folgenden Wirtschaftsjahres nach Absatz 2 hinzugerechnet wird, ist der Abzug rückgängig zu machen (§ 7g Abs. 3 EStG). Erfolgt eine Anschaffung oder Herstellung innerhalb der Dreijahresfrist, ist der Investitionsabzugsbetrag rückgängig zu machen, wenn das Wirtschaftsgut nicht bis zum Ende des dem Wirtschaftsjahr der Anschaffung oder Herstellung folgenden Wirtschaftsjahres in einer inländischen Betriebsstätte des Betriebs ausschließlich oder fast ausschließlich betrieblich genutzt wird (§ 7g Abs. 4 Satz 1 EStG). Im Jahr der Anschaffung oder Herstellung und in den folgenden vier Jahren können neben den Absetzungen für Abnutzung nach § 7 Abs. 1 oder Abs. 2 EStG Sonderabschreibungen bis zu insgesamt 20% der Anschaffungs- oder Herstellungskosten in Anspruch genommen werden (§ 7g Abs. 5 EStG). Dies setzt ebenfalls voraus, dass das Wirtschaftsgut im Jahr der Anschaffung oder Herstellung und im darauf folgenden Wirtschaftsjahr in einer inländischen Betriebsstätte des Betriebs des Steuerpflichtigen ausschließlich oder fast ausschließlich betrieblich genutzt wird (§ 7g Abs. 6 Nr. 2 EStG). Sowohl bei der Inanspruchnahme des Investitionsabzugsbetrags gemäß § 7g Abs. 1 bis Abs. 4 EStG als auch bei der Sonderabschreibung gemäß § 7g Abs. 5 EStG ist eine betriebliche Nutzung von mindestens 90% erforderlich. Keine ordnungsgemäßen Fahrtenbücher: Nach diesem Maßstab hat das FG im Ausgangspunkt zu Recht entschieden, dass der Kläger die von ihm behauptete fast ausschließliche betriebliche Nutzung der beiden PKW nicht durch Vorlage von ordnungsgemäß geführten Fahrtenbüchern nachgewiesen hat. (…) Nachweis der betrieblichen Nutzung dennoch möglich: Soweit das FG seine Entscheidung unter Bezugnahme auf die von ihm zitierte finanzgerichtliche Rechtsprechung tragend auch damit begründet hat, dass bei Vorliegen nicht ordnungsgemäßer Fahrtenbücher ein Nachweis der fast ausschließlichen betrieblichen Nutzung im Rahmen von § 7g EStG ausscheidet, ist es allerdings von einem teilweise unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass in den Fällen, in denen es aufgrund Fehlens ordnungsgemäßer Fahrtenbücher zur Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG zur Ermittlung der Privatanteile kommt, der Nachweis der fast ausschließlichen betrieblichen Nutzung 441

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eines PKW nicht anhand der 1%-Regelung geführt werden kann, da ein Durchschnittswert in Höhe von monatlich 1% des abgerundeten Bruttolistenpreises in etwa einem Anteil der Privatnutzung von 20 bis 25% entspricht. Nach der neueren Rechtsprechung des III. Senats des BFH71, der sich der erkennende Senat anschließt, ist der Nachweis der fast ausschließlichen betrieblichen Nutzung jedoch nicht auf ordnungsgemäße Fahrtenbücher beschränkt. Er kann – entsprechend der für die Aufklärung des Sachverhalts geltenden allgemeinen Grundsätze – auch durch andere Beweismittel geführt werden. Insbesondere verlangt der Sinn und Zweck der Regelungen nicht, den in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG vorgegebenen Weg zum Nachweis der privaten Nutzung von Kfz. auf die in § 7g EStG geregelten Sachverhalte zu übertragen. Die Sätze 2 und 3 des § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG stellen Ausnahmen von den allgemeinen Bewertungsregeln dar. Es handelt sich jedoch nicht um Regelungen, die umfassend sämtliche Fälle der Bewertung der privaten Nutzung betrieblicher Fahrzeuge erfassen, denn sie betreffen lediglich die zu mehr als 50% betrieblich genutzten Kfz. Die in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG geregelte Fahrtenbuchmethode, welche an die 1%-Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG anknüpft, stellt damit keine zu verallgemeinernde Vorschrift zum Nachweis der Anteile der privaten und der betrieblichen Nutzung von Kfz. dar, so dass deren Anwendung ohne ausdrückliche gesetzliche Verweisung im Rahmen des § 7g EStG nicht in Betracht kommt. Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt: Das FG hat seine Entscheidung zwar hilfsweise auch damit begründet, dass die vorgelegten Aufzeichnungen selbst dann nicht geeignet wären, den erforderlichen Nachweis der fast ausschließlichen betrieblichen Nutzung der PKW in den maßgebenden Zeiträumen zu erbringen, wenn man – der Auffassung der Kläger folgend – andere Unterlagen als ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch zuließe. Im Rahmen dieser hilfsweisen Begründung hat das FG jedoch den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt und damit gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen, indem es dem Beweisantritt der Kläger nicht gefolgt ist und die Zeugin Z nicht vernommen hat. Das angefochtene FG-Urteil stellt sich damit auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO). Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung un71 BFH v. 15.7.2020 – III R 62/19, ECLI:DE:BFH:2020:U.150720.IIIR62.19.0, BFHE 271, 71 = FR 2021, 547 m. Anm. Wendt.

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erheblich, das Beweismittel unerreichbar bzw. unzulässig oder untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann. Keiner dieser Gründe liegt im Streitfall vor. Der Klägervertreter hat den Antrag auf Vernehmung der Zeugin Z laut Sitzungsprotokoll in der mündlichen Verhandlung unmittelbar vor Stellung der Sachanträge wiederholt und dabei auch die unter Beweis gestellten Tatsachen hinreichend genau bezeichnet. Aus der Bezugnahme auf den in der mündlichen Verhandlung dem FG übergebenen schriftlichen Beweisantrag ergab sich, dass die Zeugin zum Beweis der Tatsache benannt war, dass der Kläger an den aus den vorgelegten Auflistungen ersichtlichen Terminen betriebliche Fahrten mit dem jeweiligen PKW A durchgeführt hatte. Auch aus der eingereichten schriftlichen Erklärung der Zeugin Z ging hervor, dass in den Auflistungen diejenigen betrieblichen Termine angegeben worden waren, die der Kläger „mit seinem Dienstwagen [A] wahrgenommen hat“. Das Beweismittel war nach der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Auffassung des FG nicht unerheblich. Nach dem vom FG hilfsweise eingenommenen Rechtsstandpunkt war zu prüfen, ob der Nachweis der ausschließlichen oder fast ausschließlichen betrieblichen Nutzung des Fahrzeugs auch auf andere Weise als durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch geführt werden konnte. Hierbei kam es aus Sicht des FG entscheidungserheblich darauf an, ob tatsächlich für alle Termine, die sich aus den Auflistungen ergaben, der jeweilige PKW A genutzt worden war. Der den Klägern obliegende Nachweis der betrieblichen Nutzung konnte mit allen verfahrensrechtlich zulässigen Beweismitteln, mithin auch durch Zeugenbeweis, erbracht werden. Das FG durfte die von den Klägern beantragte Zeugenvernehmung auch nicht mit der Begründung ablehnen, der dargelegte Sachverhalt könne als wahr unterstellt werden, ohne dass hieraus ein Anerkenntnis des erforderlichen Nachweises folge. Die Voraussetzungen für eine zulässige Wahrunterstellung liegen im Streitfall nicht vor. Insbesondere durfte das FG auf die Beweisaufnahme nicht mit der Begründung verzichten, es könne als wahr unterstellt werden, dass die Auflistungen über die betrieblichen Fahrten von der Zeugin anhand des Terminkalenders erstellt worden seien. Diese Wahrunterstellung entsprach nicht dem erkennbaren Sinn und dem vollen Inhalt des klägerischen Beweisbegehrens. Die Kläger hatten der Sache nach geltend gemacht, dass der Kläger für alle Termine, die sich aus den Auflistungen ergaben, den jeweiligen PKW A genutzt hatte. Soweit das FG ausgeführt hat, diese Beweistatsa443

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che könne durch die Vernehmung der Zeugin nicht nachgewiesen werden, weil die Zeugin bei den einzelnen Fahrten nicht zugegen gewesen sei und daher die Möglichkeit bestehe, dass der Kläger für einzelne Fahrten auch ein anderes Verkehrsmittel genutzt habe, liegt eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung vor. Denn das FG verstößt insbesondere dann gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung, wenn es – wie hier – erhebliche Beweisantritte eines Beteiligten mit der Begründung übergeht, von der Erhebung des Beweises sei kein zweckdienliches Ergebnis zu erwarten. Die Vorentscheidung kann auf dem Verfahrensmangel beruhen, da nicht auszuschließen ist, dass das FG nach Durchführung der Beweiserhebung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Dem FG wird daher Gelegenheit gegeben, die unterbliebene Beweiserhebung im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

4. Bemerkungen Der III. Senat des BFH hatte bereits mit Urteil vom 15.7.202072 entschieden, dass der Steuerpflichtige die Anteile der betrieblichen und der außerbetrieblichen Nutzung eines PKW, für den er den Investitionsabzugsbetrag und die Sonderabschreibung nach § 7g EStG in Anspruch genommen hat, nicht nur durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch, sondern auch durch andere Beweismittel nachweisen kann. Dem hat sich der VIII. Senat des BFH nunmehr angeschlossen. Die Entscheidung verdient Zustimmung. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 Halbsatz 1 EStG ist keine allgemeine Beweisregel. Ein nicht ordnungsgemäßes Fahrtenbuch reicht zwar allein regelmäßig nicht aus, unter Zuhilfenahme weiterer Hilfsmittel aber ggf. schon.73 Ob sich der Beweis in der Praxis tatsächlich ohne ordnungsgemäßes Fahrtenbuch führen lässt, z.B. durch Urkunden oder Zeugen, steht freilich auf einem anderen Blatt. Die Hürden dafür sind hoch.74 Die Finanzverwaltung ist dem zwischenzeitlich gefolgt. Nach dem BMF-Schreiben vom 15.6.202275 ist der Umfang der betrieblichen Nutzung im maßgebenden Nutzungszeitraum vom Steuerpflichtigen an72 BFH v. 15.7.2020 – III R 62/19, ECLI:DE:BFH:2020:U.150720.IIIR62.19.0, BFHE 271, 71 = FR 2021, 547 m. Anm. Wendt. 73 Wendt, BFH v. 14.8.2019 – I R 44/17, ZIP 2020, 1708 = FR 2021, 551. 74 Wendt, BFH v. 16.3.2022 – VIII R 24/19, GmbHR 2022, 932 = FR 2022, 664. 75 BMF v. 15.6.2022 – IV C 6 - S 2139-b/21/10001 :001 – DOK 2022/0547974, BStBl. I 2022, 945, Rz. 43.

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hand geeigneter Unterlagen darzulegen, im Fall des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG durch das ordnungsgemäße Fahrtenbuch. Bei Anwendung der sog. 1%-Regelung ist ohne Vorlage ergänzender Belege, die eine ausschließliche oder fast ausschließliche betriebliche Nutzung des Kfz. zweifelsfrei dokumentieren, von einem schädlichen Nutzungsumfang auszugehen. Dies gilt für alle offenen Fälle.76

XI. Fazit Prinz77 hat auf dem vergangenen Fachkongress – zu Recht – ein rechtssicheres und praxistaugliches Bilanzsteuerrecht eingefordert. Dieses berechtigte Anliegen gilt natürlich nicht nur für das Recht der steuerlichen Gewinnermittlung, sondern für das Steuerrecht insgesamt. Aber gerade das „Alltagsgeschäft“ der Buchführung und Bilanzierung braucht verlässliche Regeln. Der BFH hat dazu auch im vergangenen Jahr seinen Beitrag geleistet und einige bilanzsteuerrechtliche Fragen geklärt. Wenngleich es – wie stets – Befürworter und Kritiker dieser Judikate gibt, dürften „praxisferne Rechtssprünge“78 nicht zu beklagen sein. Andere Fragen sind offengeblieben, wie z.B. verfahrensrechtliche Fragenstellungen im Zusammenhang mit der Übertragung von Rücklagen nach § 6b EStG. Neue Problemstellungen sind dazugekommen. Vor diesem Hintergrund wird die (höchstrichterliche) Rechtsprechung sicherlich auch im kommenden Jahr ihren Beitrag zur Fortentwicklung des Bilanzsteuerrechts leisten. Es bleibt spannend!

76 BMF v. 15.6.2022 – IV C 6 - S 2139-b/21/10001 :001 – DOK 2022/0547974, BStBl. I 2022, 945, Rz. 59. 77 Prinz, StbJb. 2021/2022, 403 (436 ff.). 78 Prinz, StbJb. 2021/2022, 403 (436 ff.).

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Wirtschaftliches Eigentum als Zuordnungskriterium in der Steuerbilanz: Aktuelle Entwicklungen Dr. Anett Albrecht Regierungsdirektorin, Berlin Prof. Dr. Heribert M. Anzinger Ulm1 I. Einführung II. Gesetzliche Maßstäbe der subjektiven Zuordnung von Wirtschaftsgütern in der Steuerbilanz 1. Handels- und steuerrechtliche Zuordnungsmaßstäbe 2. Rangverhältnis der Zuordnungsmaßstäbe in der Steuerbilanz 3. Kriterien für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach GoB und § 39 AO a) Vorverständnisse der Zuordnungskonzeption b) Abstrakte Zuordnungskriterien c) Verhältnis von Ausschließungs- und Nutzungsmacht d) Bedeutung der Gesamtvertragskonzeption e) Bedeutung subjektiver Elemente 4. Verhältnis der Zuordnungsmaßstäbe zu §§ 42 und 41 Abs. 1 AO a) Verhältnis zur allgemeinen Missbrauchsvorschrift des § 42 AO

b) Verhältnis zur Regelung über Scheingeschäfte in § 41 Abs. 2 AO III. Zuordnung von Nutzungsrechten 1. Arten von Nutzungsrechten a) Ausschließliches und einfaches Nutzungsrecht b) Vollständiges oder beschränktes Nutzungsrecht c) Eingrenzung der vorliegenden Betrachtung 2. Schutzrechte und Nutzungsrechte im Rahmen von Filmverwertungsverträgen als immaterielle Wirtschaftsgüter a) Das Leistungsschutzrecht des Filmherstellers b) Über Lizenzverträge eingeräumte Leistungsschutzoder Nutzungsrechte c) Selbständig bewertbarer Vorteil für den Betrieb von einigem Gewicht d) Verkehrsfähigkeit des Nutzungsrechts e) Zwischenergebnis

1 Anett Albrecht ist Regierungsdirektorin im Bilanzsteuerreferat des BMF in Berlin. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung der Autorin wieder und ist nicht in ihrer Eigenschaft als Regierungsdirektorin verfasst. Heribert Anzinger ist Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Steuerrecht an der Universität Ulm.

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Albrecht/Anzinger, Wirtschaftliches Eigentum als Zuordnungskriterium 3. Zuordnung von Nutzungsrechten im Rahmen von Filmverwertungsverträgen a) § 39 AO bei vertraglichen Nutzungsüberlassungsverhältnissen b) Die Zuordnung des Leistungsschutzrechts des Filmherstellers aa) Die Rechtsprechung des BFH bb) Die Auffassung der Finanzverwaltung im sog. Medienerlass c) Die Zuordnung beschränkt übertragener Nutzungsrechte aa) Anknüpfung an die Art des Nutzungsrechts bb) Versuch einer wirtschaftlichen Betrachtung unter Wesentlichkeitsgesichtspunkten cc) Abgrenzung des Kaufvertrags vom Dauerschuldverhältnis (1) Übergang von Chancen und Risiken (2) Das „Wesen“ eines Lizenzvertrags (3) Keine Rückschlüsse aus der Zahlungsweise (4) Zeitliche Beschränkung der Nutzungsüberlassung (5) Die Zuordnung von Nutzungsrechten im Rahmen von Filmverwertungsverträgen d) Zwischenergebnis der Autorin Albrecht und „Sondervotum“ des Mitautors Anzinger 4. Ergebnis

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IV. Zuordnung von Software 1. Arten von Software und ihre Wirtschaftsguteigenschaft a) Die einzelne Software b) Besonderheiten bei Softwarelösungen 2. Zuordnung der Software als immaterielles Wirtschaftsgut a) Zuordnung beim Softwareentwickler b) Zuordnung beim Softwarekauf c) Zuordnung beim CloudComputing 3. Zuordnung von Nutzungsrechten an der Software a) BGH- und BFH-Rechtsprechung b) FG München v. 4.2.2021 – 10 K 1620/20 c) Zusammenfassende Überlegungen 4. Von der Software getrennt zu bilanzierende Implementierungskosten 5. Ergebnis V. Zuordnung von Kryptowährungen und Token 1. Einordnung und Kategorisierung a) Herleitung der Begriffe b) Kategorien der Verwaltungspraxis c) Alternativkategorien einer funktionalen Unterscheidung 2. Zivilrechtliche Vermögenszuordnung 3. Zuordnung in der Steuerbilanz 4. Ausblick

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I. Einführung Die subjektive Zuordnung von Wirtschaftsgütern zählt steuerartenübergreifend zu den Grundproblemen in Steuersystemen, deren Lastenverteilungsnormen an die individuelle Leistungsfähigkeit anknüpfen. Im periodenorientierten und vielfach von Behaltens- und Sperrfristen durchzogenen Ertragsteuerrecht umfasst diese Zuordnungsproblematik nicht nur statisch Fragen der absoluten Zuordnung, sondern dynamisch auch Fragen des Zeitpunkts ihrer Veränderung. Einen gedanklichen Ausgangs- und Orientierungspunkt finden die steuerrechtlichen Zuordnungsregeln in den privatrechtlichen Maßstäben der Vermögenszuordnung. Historisch mit der größeren wirtschaftlichen Bedeutung physisch verkörperter Werte erklärbar, haben Wesen und Zuordnung des sachenrechtlichen Eigentums die Aufmerksamkeit von Gesetzgebung und Rechtsanwendung im Bilanz- und im Steuerrecht besonders auf sich gezogen. Die zivilrechtlich an sich allein auf körperliche Gegenstände zugeschnittene Eigentumsordnung bildet daher sowohl im Handelsbilanzrecht wie im Steuerrecht den Maßstab für Zuordnungsgrundsätze und den Ausgangspunkt für ihre Durchbrechungen. Vor diesem Hintergrund hat sich in beiden Rechtsgebieten das wirtschaftliche Eigentum als Arbeitsbegriff 2 für die Zuordnung materieller und immaterieller Wirtschaftsgüter herausgebildet und es wurden, nach dem Wesensvorbild des sachenrechtlichen Eigentums als einem Ausschluss- und Nutzungsrecht, Leitbilder für Zuordnungskriterien geprägt. In der Rechtsprechung der Finanzgerichte, in der Verwaltungspraxis und in der Bilanz- und Steuerrechtswissenschaft ist das wirtschaftliche Eigentum sowohl aus der Perspektive der privatrechtlichen Vermögenszuordnung als auch der wirtschaftlichen Betrachtungsweise,3 normbezogen zu § 246 HGB und § 39 AO intensiv beforscht und vielfach diskutiert worden. Exemplarisch zu nennen sind für die Steuerrechtswissenschaft die grundlegenden Arbeiten von Dieter Assfalg4, Otto

2 P. Fischer, HHSp, § 39 AO Rz. 1 (Febr. 2018); zur Begriffskritik Hennrichs in BeckOGK, § 246 Rz. 151.1 (März 2023). 3 Rittner, Die sogenannte wirtschaftliche Betrachtungsweise in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, 1975; Zur „steuerjuristischen Betrachtungsweise“: Sieker, FS P. Kirchhof, 2013, 1667. 4 Assfalg, NJW 1963, 1582.

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Mutze5 und Gerhard Seeliger6 sowie Josef Werndl7 und Rainer Walz8. Zu erinnern ist an eine lange Rechtsprechungstradition mit frühen Entscheidungen bereits des Preußischen Oberverwaltungsgerichts in Staatssteuersachen,9 später des Reichsfinanzhofs, zuerst zu § 80 Abs. 1 Satz 1 RAO 1919,10 und eine Verwaltungspraxis, die in den Leasingerlassen den Grundstein für Zuordnungsregeln über Leasingverhältnisse hinaus gelegt hat.11 Mitunter verwischt, aber nicht aus den Augen verloren, wurde dabei die Unterscheidung zwischen wirtschaftlichem Eigentum und der regelmäßig, aber nicht notwendig damit verknüpften Frage der Zuordnung von Einkünften.12 Aktuelle Anlässe, sich weiter und wieder mit dem wirtschaftlichen Eigentum als Zuordnungsausdruck in der Steuerbilanz zu beschäftigen, ergeben sich in mehrfacher Hinsicht aus neuer Rechtsprechung, aus neuen technologischen Entwicklungen und aus neuen Sachverhaltsgestaltungen. Die Rechtsprechung hatte im Zusammenhang mit Aktiengeschäften um den Dividendenstichtag,13 im Zusammenhang mit Wertpapierleihgeschäften14 und im Zusammenhang mit Filmvertriebsgeschäften15 mehrfach Gelegenheit, die allgemeinen Kriterien für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums nachzuschärfen. Parallel hierzu bieten technologische Entwicklungen und Sachverhaltsgestal-

5 Mutze, NJW 1963, 513. 6 Seeliger, FR 1966, 526; Seeliger, StuW 1963, 17; Seeliger, DStR 1963, 645; Seeliger, Der Begriff des wirtschaftlichen Eigentums im Steuerrecht, 1962. 7 Werndl, Wirtschaftliches Eigentum: grundsätzliche Betrachtungen über die Zurechnung von Wirtschaftsgütern im Steuerrecht, 1983. 8 Walz, FS L. Fischer, 1999, S. 463. 9 Preuß. OVG v. 6.6.1896, OVGE(St) 5, 139. 10 RFH v. 20.9.1921, RFHE 6, 334 (zur Grunderwerbsteuer); v. 8.7.1925, RFHE 17, 56. 11 BMF v. 21.7.1070, Steuerliche Behandlung von Leasingverträgen, BStBl. I 1970, 913; v. 19.4.1971, Schreiben betr. ertragsteuerliche Behandlung von Leasing-Verträgen über bewegliche Wirtschaftsgüter, BStBl. I 1971, 264; v. 21.3.1972, Ertragsteuerliche Behandlung von Finanzierungs-Leasing-Verträgen über unbewegliche Wirtschaftsgüter, BStBl. I 1972, 188. 12 P. Fischer, HHSp, § 39 AO Rz. 29 (Febr. 2018). 13 BFH v. 2.2.2022 – I R 22/20, BStBl. II 2022, 324 = FR 2022, 554 = GmbHR 2022, 648 = ZIP 2022, 1696. 14 BFH v. 29.9.2021 – I R 40/17, BStBl. II 2023, 127 = FR 2022, 567 = GmbHR 2022, 423 m. Anm. Schwedhelm/Mehlhaf, nrkr. Az. BVerfG 2 BvR 744/22. 15 BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, BStBl. II 2022, 832 = FR 2022, 941.

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tungen, etwa im Zusammenhang der Blockchain-Technologie,16 mit der Wege der privatrechtlichen Vermögenszuordnung verändert werden könnten, oder die Nutzung von Software in Cloud-Umgebungen, die gesicherte Strukturen und Verwaltungspraxis zur Zuordnung von Software herausfordert, neue praxisrelevante Reibungsflächen für die Anwendung fortentwickelter Zuordnungskriterien. Der folgende Beitrag wird zunächst die gesetzlichen Maßstäbe der subjektiven Zuordnung von Wirtschaftsgütern in der Steuerbilanz in Erinnerung rufen und hierzu streitige Thesen aufzeigen (II.). Aus der großen Vielzahl an Zuordnungsfragen werden sodann drei besonders bedeutsame Themenkreise herausgegriffen, die der Zuordnung von Nutzungsrechten (III.), die der Zuordnung von Software (IV.) und die der Zuordnung von Kryptowährungen und Token (V.).

II. Gesetzliche Maßstäbe der subjektiven Zuordnung von Wirtschaftsgütern in der Steuerbilanz 1. Handels- und steuerrechtliche Zuordnungsmaßstäbe In der Abgabenordnung vor die Klammer der Einzelsteuergesetze gezogen, bildet § 39 AO den Ausgangspunkt der steuerrechtlichen subjektiven Zuordnung von Wirtschaftsgütern. Die Vorschrift hat ihre geltende Fassung mit der AO 197717 gefunden und knüpfte im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens inhaltlich bruchlos an die Vorgängervorschrift des § 11 StAnpG 193418 an. Wesensprägend für die Vorschrift ist ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Nach Abs. 1 bildet die Anknüpfung an die privatrechtliche Vermögenszuordnung den Regelfall, während Abs. 2 Ausnahmetatbestände regelt, die anknüpfend an die Seeliger-Formel und die Leasing-Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs19 mit den Kriterien positiver Herrschaftsmacht und negativer Ausschlussmacht den Vorrang einer an die wirtschaftliche Verfügungsmacht anknüpfenden, steuerjuristischen Zuordnung vor der sachenrechtlichen Vermögenszuordnung abbilden. Parallel hierzu regelt die handelsrechtliche Vorschrift des § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB in der identischen Regelungstechnik des Regel-Ausnahme16 Zur Einordnung BMF v. 10.5.2022 – IV C 1 - S 2256/19/10003 :001 – DOK 2022/0493899, BStBl. I 2022, 668. 17 Abgabenordnung (AO 1977) v. 16.3.1976, BGBl. I 1976, 613. 18 Steueranpassungsgesetz (StAnpG) v. 16.10.1934, RGBl. I 1934, 925. 19 Drüen in Tipke/Kruse, § 39 AO Rz. 3 (Febr. 2023).

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Verhältnisses in ihrer seit BilMoG20 geltenden Fassung, dass Vermögensgegenstände grundsätzlich in der Bilanz des Eigentümers aufzunehmen sind, es sei denn der Vermögensgegenstand ist nicht dem Eigentümer, sondern einem anderen wirtschaftlich zuzurechnen. Die vor in Kraft treten des BilMoG geltende Fassung der Vorschrift hatte wie § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO und wie Art. 8 der Bankbilanz-Richtlinie21 die Regelbeispiele des Eigentumsvorbehalts und der Sicherungsübereignung in den Vordergrund gerückt, war aber inhaltlich nicht anders interpretiert worden.22 Sie galt, wie die jetzige Fassung des § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB, als Ausdruck der Geltung der wirtschaftlichen Zurechnung in den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung.23 Für Pensionsgeschäfte enthält die Vorschrift des § 340b Abs. 4 HGB eine konkretisierende Regel, die als branchenspezifische Sondervorschrift (Albrecht) oder als deklaratorische Manifestation der in § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB aus den handelsrechtlichen GoB gespiegelten wirtschaftlichen Betrachtungsweise verstanden werden kann (Anzinger24). Nach dieser Vorschrift sind bei echten Pensionsgeschäften die übertragenen Vermögensgegenstände weiterhin in der Bilanz des Pensionsgebers auszuweisen und zugleich hat dieser in Höhe des für die Übertragung erhaltenen Betrags eine Verbindlichkeit gegenüber dem Pensionsnehmer auszuweisen. Der in § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB geregelte Vorrang der wirtschaftlichen Zurechnung für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern findet handelsrechtlich eine unionsrechtliche Vorprägung in Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Jahresabschlussrichtlinie25. In der dort gefundenen Formel, „Posten der Gewinn- und Verlustrechnung sowie der Bilanz werden unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Gehalts des betreffenden Geschäftsvorfalls oder der betreffenden Vereinbarung bilanziert und dargestellt“, strahlt ein unionsrechtlicher Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise über das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung auf das nationale Handelsbilanzrecht aus. Das gilt auch für die Aus20 21 22 23

Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz v. 25.5.2009, BGBl. I 2009, 1102. Richtlinie 86/635/EWG v. 8.12.1986, ABl. L 372/1 v. 31.12.1986. Hennrichs in BeckOGK § 246 HGB Rz. 9 (März 2023). Hennrichs in BeckOGK § 246 HGB Rz. 151 (März); mit Begriffskritik an „wirtschaftlicher Betrachtungsweise“ und „wirtschaftlichem Eigentum“: Kleindiek in Staub, Großkommentar HGB6, § 246 Rz. 43 ff. 24 Im Einzelnen Anzinger, StuW 2022, 194 (199 m.w.N. zum Meinungsstand im handelsrechtlichen und im steuerrechtlichen Schrifttum). 25 Richtlinie 2013/34/EU v. 26.6.2013, ABl. EU L 182/19 v. 29.6.2013.

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legung des in § 340b Abs. 4 HGB kodifizierten Anwendungsfalls. Wie § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO regelt Art. 8 der Bankbilanz-Richtlinie26 das Anwendungsbeispiel der Sicherungsübereignung in der wirtschaftlichen Betrachtungsweise und erinnert an den Grundsatz, dass das Sicherungsgut dem Sicherungsgeber zugeordnet bleibt. Und parallel hierzu ordnet Art. 12 Abs. 4 Bankbilanz-Richtlinie für die besondere Form der Sicherungsgeschäfte in Gestalt von Pensionsgeschäften iSd. Art. 12 Abs. 2 Bankbilanz-Richtlinie an, dass im Fall von Pensionsgeschäften die übertragenen Vermögensgegenstände weiterhin in der Bilanz des Pensionsgebers auszuweisen und der vom Pensionsgeber dafür entgegengenommene Kaufpreis als Verbindlichkeit gegenüber dem Pensionsnehmer auszuweisen ist. Auch diese Regel lässt sich als branchenspezifische Sondervorschrift (Albrecht) oder als deklaratorische Regelung der Anwendung des allgemeinen Grundsatzes der wirtschaftlichen Betrachtungsweise für den Anwendungsfall der echten Pensionsgeschäfte (Anzinger) lesen.

2. Rangverhältnis der Zuordnungsmaßstäbe in der Steuerbilanz Für die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 EStG stellt sich zunächst theoretisch die Frage nach der vorrangigen Geltung eines steuerrechtlichen oder eines handelsrechtlichen Maßstabs der wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Diese Frage entsteht durch die in § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG geregelte Verweisung auf die handelsrechtlichen GoB und führt damit einerseits zurück zu Grundfragen des Gegenstands und der Reichweite der Maßgeblichkeit und sie wirft andererseits die Frage nach dem Verhältnis des § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG zu § 39 AO auf. Diese zweite Frage des Geltungsvorrangs scheint auf den ersten Blick leicht lösbar durch Anwendung des Spezialitätsgrundsatzes, nach dem die speziellere Regelung Vorrang vor der allgemeineren genießt. Für die Durchführung des Betriebsvermögensvergleichs können dazu jedoch zwei Perspektiven eingenommen werden. Einerseits lässt sich (Pro: Anzinger, Contra: Albrecht) argumentieren, dass die Abgabenordnung die allgemeineren Regeln für alle Steuergesetze enthält und damit auch § 39 AO die allgemeinere Regel im Verhältnis zu spezielleren in den Einzelsteuergesetzen sei. Aus dieser Perspektive lässt sich (Pro: Anzinger, Contra: Albrecht) ein Vorrang des § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG und mit ihm der handelsrechtlichen GoB vor § 39 AO be26 Richtlinie 86/635/EWG v. 8.12.1986, ABl. L 372/1 v. 31.12.1986.

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gründen. Andererseits lässt sich (Pro: Albrecht, Contra: Anzinger) in § 39 AO eine speziellerer Regel für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern im Steuerrecht erkennen, die ihrerseits wiederum Vorrang vor den handelsrechtlichen GoB beansprucht27. Die Entscheidung für die eine oder die andere Auffassung wird vom Vorverständnis der Maßgeblichkeit und Anforderungen an die folgerichtige Ausgestaltung der steuerlichen Gewinnermittlung geprägt. Für eine einheitliche Anwendung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise in Handels- und Steuerbilanz spricht der Globalverweis auf die handelsrechtlichen GoB und die mit diesem verbundene Zielsetzung, an die handelsrechtlichen Wertungen zur Messung einer periodenbezogenen Leistungsfähigkeit anzuknüpfen. Jede Ausnahme und jede Durchbrechung der Maßgeblichkeit begünstigt Widersprüche in der Anwendung der verbleibend maßgeblichen GoB. Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dass sich insbesondere die um die Ausgestaltung widerspruchsfreier Systeme bemühte Bilanzrechtswissenschaft für diese Maßgeblichkeit stark macht und Durchbrechungen als besonders rechtfertigungsbedürftig ansieht, während die Verwaltungs- und die Beratungspraxis auch andere Zielsetzungen in den Blick nehmen muss, dazu eigene steuerrechtliche Zuordnungsregeln fallgruppenspezifisch betrachtet und damit offener für deren steuerrechtsautonome Ausgestaltung im Rahmen einer steuerjuristischen Betrachtungsweise28 und für Durchbrechungen der Maßgeblichkeit ist29. Praktisch zum Tragen kommt die Frage des Verhältnisses zwischen § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG und § 39 AO selten, weil die wirtschaftliche Betrachtungsweise in den handelsrechtlichen GoB und die Kriterien des § 39 AO sich wechselseitig prägen und sich in der Vergangenheit kongruent im Handelsrecht und im Steuerrecht entwickelt haben.30 In den praktisch bedeutsamen Anwendungsfällen der Treuhandverhältnisse, des Sicherungseigentums, des Eigentumsvorbehalts und der Leasing-Verhältnisse finden die aus der wirtschaftlichen Betrachtungsweise in den handelsrechtlichen GoB und die aus § 39 AO durch die Verwaltungspraxis und die Rechtsprechung abgeleiteten Kriterien eine einheitliche Ausgestaltung. Als Beispiel für eine mögliche Abweichung konnte daher lange nur der Lehrbuchfall des unberechtigt bösgläubigen Eigenbesit-

27 Zum Meinungsstand im Schrifttum Anzinger, StuW 2022, 194 (199 f.). 28 Zur „steuerjuristischen Betrachtungsweise“: Sieker, FS P. Kirchhof, 2013, 1667. 29 Zum Meinungsstand Anzinger in HHR, § 5 Rz. 160 ff. 30 Kleindiek in Staub, Großkommentar HGB6, § 246 Rz. 46.

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zers, etwa im Geschäftsmodell der Hehlerei, dienen. Der Hehler müsste seine Ware in der Steuerbilanz nach §§ 40, 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO aktivieren, während dies nach den handelsrechtlichen GoB, die den ehrbaren Kaufmann, nicht den Hehler und den Dieb zum Maßstab nehmen, in der Handelsbilanz nicht der Fall wäre. Eine praktisch erheblich bedeutsamere Fallgruppe bilden Wertpapierpensions- und wechselseitige Wertpapierleihgeschäfte, für die sich in je eigenen Diskursräumen, ein steuerrechtlicher und ein handelsbilanzrechtlicher Meinungsstand herausgebildet hat und je unterschiedliche Zuordnungskriterien entwickelt werden konnten.31 Nur, wenn es nicht gelingt, diese beiden Diskursräume zusammenzuführen, wird das Rangverhältnis zwischen § 39 AO und § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG in einer bedeutsamen Fallgruppe praktisch relevant. Im Ergebnis vertreten beide Autoren dieses Beitrags in dieser Frage unterschiedliche Auffassungen. Albrecht erkennt in § 39 AO eine steuerliche Spezialregelung, die die Zuordnung von Wirtschaftsgütern regelt und die Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB durchbricht. Als speziellere Vorschrift gehe § 39 AO den handelsrechtlichen GoB und damit ihrer Maßgeblichkeit über § 5 Abs. 1 EStG vor. Anzinger erkennt in § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG eine ertragsteuerliche Spezialregelung für die Gewinnermittlung bei Gewerbetreibenden, die mit dem Zweck der Maßgeblichkeit Vorrang vor den allgemeineren Regelungen der Abgabenordnung in Anspruch nehmen könne. Vereinen lassen sich beide Auffassungen in einheitlichen Kriterien für die subjektive Zuordnung von Wirtschaftsgütern, wenn keine Gründe vorliegen, um unterschiedliche Maßstäbe für eine wirtschaftliche Betrachtungsweise im Handels- und Steuerbilanzrecht zu entwickeln.

3. Kriterien für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach GoB und § 39 AO a) Vorverständnisse der Zuordnungskonzeption Vor der Ableitung konkreter Kriterien für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern in der Steuerbilanz nach GoB und nach § 39 AO sind insbesondere aus handelsrechtlicher Perspektive zwei Vorverständnisse zu unterscheiden, die beide mit dem in § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB geregelten Regel-Ausnahme-Verhältnis verbunden werden können. In einer ersten Perspektive erscheint auch zur Abbildung der Ausnahmen jeder Rück31 Mit einem Überblick zum Meinungsstand Anzinger, StuW 2022, 194 ff.

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griff auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise entbehrlich und die Verknüpfung mit der privatrechtlichen Vermögensordnung ausreichend. Aus dem Grundsatz, dass Vermögensgegenstände dem Eigentümer zuzuordnen sind und damit nicht nur körperliche Gegenstände angesprochen sein sollen, lässt sich ableiten, dass eine zivilrechtliche Zuordnung den Ausgangspunkt bildet, nach der materielle Vermögensgegenstände beim sachenrechtlichen Eigentümer und immaterielle Vermögensgegenstände beim zivilrechtlich Berechtigten zu aktivieren sind, etwa beim Inhaber von Patent-, Marken- oder Gebrauchsmusterrechten oder von vergleichbaren absoluten Rechten. Eine von dieser sachen-, patent-, marken- oder gebrauchsmusterrechtlichen Zuordnung abweichende Zuordnung in der kaufmännischen Praxis für Treuhand, Sicherungseigentum oder Eigentumsvorbehalt nimmt nach dieser ersten, streng privatrechtsakzessorischen Perspektive, nur scheinbar einen übergeordneten Grundsatz der wirtschaftlichen Vermögenszuordnung zum Maßstab. Sie knüpft an eine zivilhaftungsrechtliche Zuordnung an, weil in der Einzelzwangsvollstreckung wegen § 771 ZPO und in der Insolvenz wegen des Absonderungsrechts aus § 51 InsO Sicherungs- und Eigentumsvorbehaltsgut nicht durch die Gläubiger des sachenrechtlichen Berechtigten verwertet werden kann. Aus dieser Perspektive folgen die Kriterien des § 246 Abs.z 1 Satz 2 HGB und auch die des § 39 AO nur einem aus den privatrechtlichen Regeln ableitbaren Zuordnungsgrundsatz32, der sich mit Überlegungen zum Gläubigerschutz an der Zuordnung der Haftungsmasse orientiert. Mit einem entgegengesetzten Vorverständnis lässt sich das in § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB und § 39 AO angelegte Regel-Ausnahmeverhältnis aber auch anders einbetten und nicht die privatrechtliche Vermögenszuordnung, sondern im Einklang mit der dynamischen Bilanztheorie, eine betriebswirtschaftlich-ertragswertorientierte Zurechnung als grundsätzlich maßgeblich ansehen. In der Frage danach, wer die tatsächliche Sachherrschaft auf Dauer in der Weise ausübt, dass er wirtschaftlich über die Substanz und den Ertrag verfügen kann, spiegelt sich dann die Frage der Zuordnung der künftigen Erträge aus dem Vermögensgegenstand. In der Regel ergibt sich die tatsächliche Sachherrschaft aus der zivilrechtlichen Zuordnung, weil im Grundsatz bei Sachen der Eigentümer, bei Forderungen und Rechten der Gläubiger und bei anderen immateriellen Vermögensgegenständen der Berechtigte die tatsächliche Sachherrschaft und auch die Verwertungsmöglichkeiten hat. Wo dies 32 Ähnlich Kleindiek in Staub, Großkommentar HGB6, § 246 Rz. 44.

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aufgrund der getroffenen Vereinbarungen nicht mehr der Fall ist und etwa für eine Sache das Eigentum keinen wirtschaftlichen Wert mehr vermittelt, ist die Vermutung des Einklangs der privatrechtlichen mit der wirtschaftlichen Vermögenszuordnung widerlegt und der Zuordnungsmaßstab der wirtschaftlichen Vermögenszugehörigkeit findet unmittelbar Anwendung. b) Abstrakte Zuordnungskriterien In der Rechtsprechung hat sich nicht das Bedürfnis ergeben, diese unterschiedlichen Vorverständnisse zu reflektieren. In verschiedenen Fallgruppen sind vielmehr entlang der in § 39 AO formulierten Merkmale vier Kriterien herausgearbeitet worden, an denen ein vom sachenrechtlichen Eigentum losgelöster Übergang des wirtschaftlichen Eigentums mit unterschiedlicher Gewichtung zu messen ist. Das erste Merkmal der tatsächlichen Sachherrschaft ist dabei mit Besitz, Gefahr des zufälligen Untergangs und der Zuweisung von Nutzen und Lasten an der Sache verbunden worden.33 Der im Wortlaut des § 39 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO und ebenso ungeschrieben in den handelsrechtlichen GoB vorausgesetzte Ausschluss des Eigentums, „im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer“ ist in der Voraussetzung des fehlenden oder wirtschaftlich bedeutungslosen Herausgabeanspruchs des zivilrechtlichen Eigentümers heruntergebrochen worden.34 Und mit dem Merkmal des wirtschaftlichen Ausschlusses hat die Rechtsprechung – mit unterschiedlichen Akzenten der positiven und negativen Befugnis – die von der Eigentumszuweisung abweichende Zuordnung von Substanz und Ertrag verbunden.35 Als ein

33 BFH v. 2.2.2022 – I R 22/20, BStBl. II 2022, 324 = FR 2022, 554 = GmbHR 2022, 648 = ZIP 2022, 1696, juris Rz. 35; v. 16.5.2002 – IV R 19/00, BStBl. II 2002, 692 = FR 2003, 42, juris Rz. 30; v. 27.9.2001 – X R 67/00, juris Rz. 16. 34 BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, BStBl. II 2022, 832 = FR 2022, 941, juris Rz. 33; v. 2.2.2022 – I R 22/20, BStBl. II 2022, 324 = FR 2022, 554 = GmbHR 2022, 648 = ZIP 2022, 1696, juris Rz. 35; v. 13.10.2016 – IV R 33/13, ECLI:DE:BFH: 2016:U.131016.IVR33.13.0, BStBl. II 2018, 81 = FR 2017, 527 m. Anm. Wendt, juris Rz. 43; v. 27.11.1996 – X R 92/92, BStBl. II 1998, 97 = FR 1997, 261 m. Anm. Weber-Grellet, juris Rz. 19; v. 5.5.1983 – IV R 43/80, BStBl. II 1983, 631, juris Rz. 15 f.; v. 2.6.1978 – III R 4/76, BStBl. II 1978, 507 = FR 1983, 535, juris Rz. 14 f. 35 BFH v. 20.9.2022 – IX R 18/21, BStBl. II 2023, 315 = GmbHR 2023, 248 m. Anm. Binnewies, juris Rz. 22; v. 14.4.2022 – IV R 32/19, BStBl. II 2022, 832 = FR 2022, 941, juris Rz. 34; v. 2.2.2022 – I R 22/20, BStBl. II 2022, 324 = FR 2022, 554 = GmbHR 2022, 648 = ZIP 2022, 1696, juris Rz. 37; v. 13.10.2016 –

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viertes, nicht im Wortlaut des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO unmittelbar angelegtes, Merkmal ist eine rechtlich abgesicherte Position von der Rechtsprechung vorausgesetzt worden.36 c) Verhältnis von Ausschließungs- und Nutzungsmacht Nach der Seeliger-Formel bildet nicht die positive Nutzungsbefugnis, sondern die Ausschließungsmacht den für eine Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums maßgeblichen Wesenskern des Eigentums. Im Wortlaut des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO findet sich diese Kernaussage der Seeliger-Formel wieder. Allerdings wird dort auch die Ausübung der tatsächlichen Herrschaft durch einen anderen als den Eigentümer vorausgesetzt. Durch sie muss der Eigentümer im Regelfall von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut ausgeschlossen werden. Die jüngere Rechtsprechung greift diesen ersten Satzteil auf, geht weiter und stellt fest, dass gleichermaßen die „Ausschließungsmacht“ als auch die „aktive Nutzungsmacht“ als abstrakte Zuordnungskriterien für Wirtschaftsgüter heranzuziehen sind.37 Mit „Ausschließungsmacht“ ist dabei die Fähigkeit gemeint, den Eigentümer an der Nutzung eines Gutes zu hindern, während „aktive Nutzungsmacht“ die Möglichkeit bezeichnet, das Gut wie ein Eigentümer zu nutzen und Nutzungen daraus zu ziehen. In seiner Entscheidung v. 2.2.2022 reflektiert der BFH zwar, dass in § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO nur die Ausschließungsmacht explizit erwähnt wird, folgert aber aus der Bedeutung der Norm als Leitprinzip für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und den daraus resultierenden Einkünften, dass die „wirtschaftliche Dispositionsbefugnis“ – also die Kontrolle über eine Leistungsbeziehung als Grundlage der Einkünfteerzielung – entscheidend sei.38 Der BFH erkennt damit an, dass zwar die IV R 33/13, ECLI:DE:BFH:2016:U.131016.IVR33.13.0, BStBl. II 2018, 81 = FR 2017, 527 m. Anm. Wendt, juris Rz. 28. 36 BFH v. 2.2.2022 – I R 22/20, BStBl. II 2022, 324 = FR 2022, 554 = GmbHR 2022, 648 = ZIP 2022, 1696, juris Rz. 41; v. 12.7.2007 – BFH v. 12.12.2007 – X R 17/05, BStBl. II 2008, 579 = FR 2008, 565 m. Anm. Wendt = GmbHR 2008, 379 = ZIP 2008, 1678, juris Rz. 32; v. 4.7.2007 – VIII R 68/05, BStBl. II 2007, 937 = FR 2008, 135 m. Anm. Mayer = GmbHR 2007, 1224 = ZIP 2007, 2267, juris Rz. 29; v. 10.3.1988 – IV R 226/85, BStBl. II 1988, 832 = FR 1988, 533 = GmbHR 1988, 449, juris Rz. 11. 37 BFH v. 2.2.2022 – I R 22/20, BStBl. II 2022, 324 = FR 2022, 554 = GmbHR 2022, 648 = ZIP 2022, 1696, juris Rz. 36. 38 BFH v. 2.2.2022 – I R 22/20, BStBl. II 2022, 324 = FR 2022, 554 = GmbHR 2022, 648 = ZIP 2022, 1696, juris Rz. 36.

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Zuordnungsregel des wirtschaftlichen Eigentums im Ausgangspunkt nur das Wirtschaftsgut selbst betrifft, im Regelfall aber mit einer nachfolgenden Einkünftezurechnung verbunden ist und für die Einkünfteerzielung gerade die Nutzungsbefugnis im Vordergrund steht. Mit dieser Herleitung wird für jede Fallgruppe die Gewichtung der Ausschließungs- und der Nutzungsmacht separat mit Blick auf die Bedeutung für die Einkünftezurechnung gesondert zu beurteilen sein. d) Bedeutung der Gesamtvertragskonzeption Während die sachenrechtlichen Regeln für den Eigentumsübergang durch die in der deutschen bürgerlich-rechtlichen Vermögensordnung im Trennungsprinzip angelegte Verselbständigung der Eigentumsübertragung39 geprägt sind und im Grundsatz eine isolierte Betrachtung der Verfügungsgeschäfte gebieten, ist der wirtschaftlichen Betrachtungsweise eine Gesamtbetrachtung der auf das Wirtschaftsgut bezogenen zivilrechtlichen Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäfte immanent. Sowohl die Ausschließungs- wie die Nutzungsmacht kann nur unter Berücksichtigung der Gesamtvertragskonzeption beurteilt werden. Diese Erkenntnis führt aber zu der Frage, wie der Rahmen für die in den Blick zu nehmenden Vertragsbestandteile zu ziehen ist. Die jüngere Rechtsprechung zeigt sich in der Entscheidung v. 2.2.2022 über diese Bedeutung des Gesamtvertragskonzepts für die Feststellung der Ausschließungs- und Nutzungsmacht entwicklungsoffen für eine weitergehende Berücksichtigung des Gesamtbilds der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall. So soll die „aktive Nutzungsmacht“ – die Möglichkeit, ein Gut wie ein Eigentümer zu nutzen und Nutzungen daraus zu ziehen – in Bezug auf die Frage des wirtschaftlichen Eigentums nicht entscheidend sein, wenn das „Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall“ darauf hindeutet, dass trotz eines schuldrechtlichen Vertrags keine tatsächliche Herrschaft des sachenrechtlichen Eigentümer besteht.40 Maßgeblich für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums sei eine Gesamtwürdigung des Gesamtbilds der tatsächlichen Verhältnisse, die nicht allein auf einzelne Strukturkomponenten oder eine „modellhafte Strukturierung“ abstelle, sondern auch ein abge-

39 Zum Trennungsprinzip Heinze in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2020, Vorbemerkung zu §§ 929 ff. 40 BFH v. 2.2.2022 – I R 22/20, BStBl. II 2022, 324 = FR 2022, 554 = GmbHR 2022, 648 = ZIP 2022, 1696, juris Rz. 36, 49.

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stimmtes Gesamtvertragskonzept mit ihren jeweiligen Wirkungen für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums berücksichtige.41 e) Bedeutung subjektiver Elemente Noch nicht abschließend geklärt ist die Bedeutung subjektiver Elemente für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums. Die Rechtsprechung hierzu erscheint im längeren Zeitstrahl uneinheitlich, betont in der jüngsten Entscheidung aber die subjektive Komponente. Mit der Feststellung der Bedeutung der Gesamtvertragskonzeption liegt es überzeugend nahe, auch die Intention der Parteien in die Beurteilung der wirtschaftlichen Zurechnung einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund erscheinen Feststellungen zu den Fragen, worauf es den Beteiligten „angekommen wäre“, welche Rechtsfolgen „nicht intendiert“ und ob die „Geschäfte schon nicht darauf angelegt“ waren, in den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs vom 2.2.202242 und vom 18.8.201543 folgerichtig. Demgegenüber konnte eine Entscheidung v. 29.9.2021 so gelesen werden, dass nicht auf die subjektiven Ziele, sondern nur auf die objektiven Möglichkeiten abzustellen sei („tatsächlich von einem anderen wahrgenommen werden können“)44.

4. Verhältnis der Zuordnungsmaßstäbe zu §§ 42 und 41 Abs. 1 AO a) Verhältnis zur allgemeinen Missbrauchsvorschrift des § 42 AO Die von der Rechtsprechung bereits für die subjektive Zuordnung von Wirtschaftsgütern vorgenommene Gesamtwürdigung des Gesamtbilds der tatsächlichen Verhältnisse und der Gesamtvertragskonzeption lässt die Frage nach dem Verhältnis der Zuordnungsregeln des § 39 AO zur allgemeinen Missbrauchsvorschrift des § 42 AO entstehen. Im Schrifttum ist hinterfragt worden, ob mit einer Gesamtwürdigung im Rahmen der Anwendung des § 39 AO nicht die Feststellung der Tatbestands41 BFH v. 2.2.2022 – I R 22/20, BStBl. II 2022, 324 = FR 2022, 554 = GmbHR 2022, 648 = ZIP 2022, 1696, juris Rz. 49. 42 BFH v. 2.2.2022 – I R 22/20, BStBl. II 2022, 324 = FR 2022, 554 = GmbHR 2022, 648 = ZIP 2022, 1696, juris Rz. 47. 43 BFH v. 18.8.2015 – I R 88/13, BStBl. II 2016, 961 = FR 2016, 369 m. Anm. Ebel = GmbHR 2016, 177, juris Rz. 21. 44 BFH v. 29.9.2021 – I R 40/17, BStBl. II 2023, 127 = FR 2022, 567 = GmbHR 2022, 423 m. Anm. Schwedhelm/Mehlhaf, juris Rz. 38.

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voraussetzungen des § 42 AO umgangen würde.45 Diese Kritik verfängt nicht und ist mit der Rechtsprechung abzulehnen,46 solange die Gesamtwürdigung sich auf die eigentliche Zuordnungsfrage beschränkt. Umgekehrt überzeugt die Rechtsprechung insoweit, als sie feststellt, dass eine Zuordnungsentscheidung für das wirtschaftliche Eigentum nicht möglich ist, ohne eine Gesamtwürdigung der Gesamtvertragskonzeption vorzunehmen. Die Zuordnungsentscheidung nach § 39 AO muss dabei stets in einem ersten Schritt zuerst erfolgen, bevor im zweiten Schritt eine Bewertung des Ergebnisses nach § 42 AO stattfinden kann. Die Vorschrift des § 39 AO steht zu § 42 AO daher in einem logischen Vorherigkeits- nicht in einem Vorrangverhältnis. b) Verhältnis zur Regelung über Scheingeschäfte in § 41 Abs. 2 AO Im Kontext der Zuordnungsentscheidung kann sich bei einer Gesamtwürdigung des Gesamtbilds der Verhältnisse und damit verbunden der Gesamtvertragskonzeption die Frage stellen, ob die von den Parteien geschlossenen Geschäfte und vollzogenen Handlungen in ihrer Gesamtheit überhaupt rechtliche oder wirtschaftliche Wirkungen erzeugen sollten. Erweisen sich die Geschäfte hiernach als Scheingeschäfte und die Handlungen als Scheinhandlungen iSd. § 41 Abs. 2 Satz 1 AO oder zeigt sich, dass sie nur ein anderes Rechtsgeschäft verdecken und deshalb das verdeckte Rechtsgeschäft nach § 41 Abs. 2 Satz 2 AO maßgeblich ist, muss § 39 AO auf das verdeckte Rechtsgeschäft oder, soweit Geschäfte nach § 41 Abs. 2 Satz 1 AO unerheblich sind, nur auf die erheblichen Geschäfte angewendet werden.47 Damit zeigt sich eine weitere Prüfungsstufe. Auch § 41 Abs. 2 AO steht im Verhältnis der Vorherigkeit, nicht im Vorrangverhältnis zu § 39 AO. Danach ist im ersten Schritt § 41 Abs. 2 AO zu prüfen, im zweiten § 39 AO (oder nach der von Anzinger, nicht von Albrecht, vertretenen Auffassung bei Gewerbetreibenden die Zuordnung nach GoB) und auf der dritten Stufe § 42 AO.

45 Florstedt, FR 2016, 641 (644 f.); Lechner, JbFSt 2016/2017, 199 (207 f.); Moritz, DB 2021, 2785 (2788); ähnlich Fu, GmbHR 2017, 1250 (1255); Gosch, BFH/PR 2016, 105 (107); Jachmann-Michel, StuW 2017, 209; Weitbrecht/Strehlke-Verkühlen, BB 2021, 860 (862). 46 BFH v. 2.2.2022 – I R 22/20, BStBl. II 2022, 324 = FR 2022, 554 = GmbHR 2022, 648 = ZIP 2022, 1696, juris Rz. 50. 47 Dazu für Aktiengeschäfte um den Dividendenstichtag: Florstedt, StuW 2018, 216 (227); und mit weiterführenden Überlegungen de lege ferenda Florstedt, DStR 2020, 2399 (2402).

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III. Zuordnung von Nutzungsrechten Die Zuordnung von Nutzungsrechten war Gegenstand aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung im Bereich der Filmrechte, die dazu veranlasst, die Gesamtthematik der Bilanzierung von Nutzungsrechten im Rahmen von Filmverwertungsrechten strukturell aufzuarbeiten und sich auch mit der Auffassung der Finanzverwaltung in diesem Bereich auseinander zu setzen. Allgemein versteht man unter Nutzungen gemäß § 100 BGB die Früchte einer Sache oder eines Rechts sowie die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache oder des Rechts gewährt. Das Recht, diese Nutzungen zu ziehen, steht zunächst dem Eigentümer an der Sache oder dem Inhaber des Rechts zu. Dieser kann sein Nutzungsrecht jedoch wiederum auf einen anderen übertragen, was zu gestuften Nutzungsverhältnissen mit beliebig vielen Unterebenen führen kann. Die steuerbilanzielle Abbildung solcher Nutzungsverhältnisse wirft die Frage auf, wem hier was zuzuordnen ist. Ausgangspunkt für die Klärung dieser Frage ist dabei zunächst die zivilrechtlichen Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen.

1. Arten von Nutzungsrechten Zivilrechtlich gibt es verschiedene Arten von Nutzungsrechten. a) Ausschließliches und einfaches Nutzungsrecht Zunächst unterscheidet das Urheberrecht zwischen ausschließlichen und einfachen Nutzungsrechten. Beim ausschließlichen Nutzungsrecht hat der Rechteinhaber einen dinglichen Abwehranspruch gegen Dritte. Er kann ein urheberrechtliches Werk unter Ausschluss aller anderen Personen auf die ihm erlaubte Art nutzen (§ 31 Abs. 3 Satz 1 UrhG). Dabei kann bestimmt werden, dass die Nutzung auch durch den Urheber selbst weiterhin vorbehalten bleibt (§ 31 Abs. 3 Satz 2 UrhG). Behält sich der Urheber dieses Recht nicht vor, wirkt das dingliche Abwehrrecht des Nutzungsrechtsinhabers aus § 31 UrhG auch gegen ihn. In diesen Fällen ist der Urheber dann in der Ausübung seines Urheberrechts entsprechend beschränkt. Das einfache Nutzungsrecht berechtigt den Inhaber demgegenüber zwar, das Werk auf die erlaubte Art zu nutzen, eine Nutzung durch andere ist aber nicht ausgeschlossen (§ 31 Abs. 2 UrhG). Dadurch können eine Vielzahl einfacher Nutzungsrechte durch den Urheber oder einen 462

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anderen von diesem Berechtigten parallel vergeben werden. Zudem wird auch der Urheber selbst in der Ausübung seines Urheberrechts durch die Einräumung einfacher Nutzungsrechte nicht beschränkt.48 b) Vollständiges oder beschränktes Nutzungsrecht Ein einfaches oder ein ausschließliches Nutzungsrecht kann gemäß § 31 Abs. 1 UrhG entweder im Ganzen (vollständiges Nutzungsrecht) oder inhaltlich, zeitlich oder räumlich eingeschränkt (beschränktes Nutzungsrecht) übertragen werden. Durch Ab- oder Aufspaltungen ist mit der Vergabe beschränkter Nutzungsrechte auch eine Vervielfältigung oder besser eine Aufteilung ausschließlicher Nutzungsrechte möglich. c) Eingrenzung der vorliegenden Betrachtung Die verschiedenen Arten von Nutzungsrechten werfen eine Reihe steuerbilanzieller Fragestellungen auf, die in dem diesem Beitrag zugrundeliegenden Vortrag am Beispiel des Leistungsschutzrechts des Filmherstellers nach § 94 UrhG (im Folgenden auch als Filmrecht bezeichnet) näher betrachtet wurden. Dabei ist die Thematik der Filmherstellung und Filmverwertung sehr komplex und mit einer Vielzahl von verschiedenen Rechten und Rechteübertragungen verbunden. Bei einem Film handelt es sich um ein Gesamtkunstwerk, „das eine Vielzahl urheberund leistungsschutzrechtlich relevanter Leistungen verkörpert“.49 Mit dem Ziel, die bilanzielle Zuordnung von Rechten in diesem Bereich dennoch übersichtlich zu gestalten, wurde allein die nationale Filmverwertungsebene durch den Filmhersteller bei Eigenproduktionen in den Blick genommen und vereinfacht dargestellt. Auf den weltweiten Vertrieb und die Rechtsstrukturen zwischen Filmhersteller und Weltvertrieb50 wird in der vorliegenden Ausarbeitung daher nicht weiter eingegangen. Die bilanziellen Grundsätze sind in diesen Rechtsverhältnissen – soweit sie vergleichbar sind – jedoch ebenso anzuwenden, wie in den nachfolgend dargestellten nationalen Verwertungsrechtsverhältnissen. Auch Spezial-

48 Siehe hierzu auch von Wallis in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG Rz. 1201; Adrian in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Rz. 3210. 49 Brehm, Filmrecht2, S. 65. 50 Die Rechtestrukturen im weltweiten Vertrieb eines Films stellt beispielsweise Brehm, Filmrecht2, S. 256 ff. ausführlich dar.

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fragen bei Auftragsproduktionen und Sendelizenzverträgen mit Fernsehsendern werden vorliegend außen vorgelassen.

Betrachtet man die nationale Filmverwertungsebene durch den Filmhersteller selbst, so verkauft oder lizensiert dieser seine Filmrechte. Er kann dies auf Teilrechte, einzelne Territorien oder beispielsweise befristete Zeiträume beschränken. Die Vergütungen für den Verkauf können fix oder variabel oder auch aus einer Kombination von fixen und variablen Bestandteilen bestehen.51

2. Schutzrechte und Nutzungsrechte im Rahmen von Filmverwertungsverträgen als immaterielle Wirtschaftsgüter Bevor über die als Vortragsthema benannte bilanzielle Zuordnung der Nutzungsrechte entschieden werden kann, müssen zunächst Vermögensgegenstände (Handelsbilanz) oder Wirtschaftsgüter (Steuerbilanz) vorhanden sein, die einem bilanzierenden Betrieb zugeordnet werden können. Während diese Frage bei Sachen i.d.R. keiner weiteren Erörterung bedarf, ist ihr bei Rechten – wie im vorliegenden Fall bei Filmverwertungsrechten – durchaus nicht unerhebliche Bedeutung beizumessen. Es ist daher zunächst zu klären, inwieweit Schutz- und Nutzungsrechte bei der Filmverwertung steuerbilanziell Wirtschaftsgüter darstellen. 51 Dörfler in Schwarz, Handbuch Filmrecht6, Kap. 296 Rz. 1.

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Gemäß § 240 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1, § 242 Abs. 1 und § 246 Abs. 1 HGB hat der Kaufmann in seiner Bilanz unter anderem seine Vermögensgegenstände vollständig auszuweisen. Die handelsrechtlichen GoB gelten gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für die Steuerbilanz. Dabei stimmt der handelsrechtliche Begriff des Vermögensgegenstands und der steuerrechtliche Begriff des Wirtschaftsguts inhaltlich überein. Sie sind nach ständiger BFH-Rechtsprechung52 wirtschaftlich auszulegen und weit gespannt. Es fallen hierunter nicht nur Sachen und Rechte im Sinne des BGB, sondern auch tatsächliche Zustände und konkrete Möglichkeiten. Im Ergebnis werden hierunter sämtliche Vorteile für den Betrieb verstanden, deren Erlangung sich der Kaufmann etwas kosten lässt, die einer besonderen Bewertung zugänglich sind, in der Regel einen Nutzen für mehrere Wirtschaftsjahre erbringen und im Steuerrecht zumindest mit dem ganzen Betrieb übertragen werden können. Auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise macht gerade seine „Greifbarkeit“ im Betrieb ein Wirtschaftsgut aus.53 a) Das Leistungsschutzrecht des Filmherstellers Der dargestellten Definition folgend, sieht die Finanzverwaltung im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung Nutzungsrechte als immaterielle Wirtschaftsgüter an, wenn sie einen werthaltigen Vorteil für den Betrieb darstellen. Sie müssen selbständig bewertbar sein und zumindest mit dem Betrieb verkehrsfähig. Abzugrenzen sind sie von den nicht selbständig bewertbaren geschäftswertbildenden Faktoren.54 Gemäß § 94 Abs. 1 UrhG hat der Filmhersteller das ausschließliche Recht, den Bildträger oder Bild- und Tonträger, auf den das Filmwerk aufgenommen ist, zu vervielfältigen, zu verbreiten und zur öffentlichen Vorführung, Funksendung oder öffentlichen Zugänglichmachung zu be52 Vgl. BFH v. 7.8.2000 – GrS 2/99, BStBl. II 2000, 632 zum Wirtschaftsgut „Dividendenforderungen“; v. 19.6.1997 – IV R 16/95, BStBl. II 1997, 808 zu Maklerprovision für Mietvertrag; v. 14.3.2006 – I R 109/04 zum Nutzungsrecht fremden Tankraums. 53 BFH v. 12.6.2019 – X R 20/17, BStBl. II 2020, 3 = FR 2020, 38 m. Anm. Kanzler, juris Rz. 44 ff. zum abgespaltenen Teil des Namensrechts; v. 7.8.2000 – GrS 2/99, FR 2000, 1126 m. Anm. Kempermann = GmbHR 2000, 1106 m. Anm. Hoffmann, BStBl. II. 2000, 632, juris Rz. 46. 54 Siehe hierzu Amtliches Einkommensteuer-Handbuch 2021, EStR 5.5 Abs. 1. BFH v. 12.3.2020 – IV R 9/17, BStBl. II 2021, 227 zu Wärmeenergie als Wirtschaftsgut.

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nutzen. Der Filmhersteller hat ferner das Recht, jede Entstellung oder Kürzung des Bildträgers oder Bild- und Tonträgers zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten Interessen an diesem zu gefährden. Das Recht erlischt 50 Jahre nach dem Erscheinen des Bildträgers oder Bildund Tonträgers (§ 94 Abs. 3 UrhG). Damit umfasst das Leistungsschutzrecht eine Sammlung unterschiedlicher Nutzungsteilrechte: –

Vervielfältigungsrecht,



Verbreitungsrecht,



Recht der öffentlichen Vorführung,



Recht zum Benutzen des Films im Rahmen einer Funksendung,



Recht der öffentlichen Zugänglichmachung sowie



Recht auf allgemeine öffentliche Wiedergabe.55

§ 94 UrhG räumt dem Filmhersteller einen originären Abwehranspruch per Gesetz gegenüber den Urhebern und gegenüber Dritten ein, den Film auszuwerten.56 Hersteller eines Films ist nach Auffassung der Finanzverwaltung derjenige, der bei der Filmproduktion die notwendigen Entscheidungen trifft und die wirtschaftlichen Folgen verantwortet.57 Dies kann auch eine juristische Person sein.58 Dieses Leistungsschutzrecht des Filmherstellers ist gemäß § 94 Abs. 2 UrhG übertragbar. Der Filmhersteller kann einem anderen das Recht einräumen, den Bildträger oder Bild- und Tonträger auf einzelne oder alle der ihm vorbehaltenen Nutzungsarten zu nutzen. Dies geschieht in der Praxis in Form eines Verleihvertrags (Lizenzvertrags) zwischen dem Filmhersteller und nationalen Verleihunternehmen. Hierfür gelten die Vorschriften des BGB (für das Verfügungsgeschäft der Rechteübertragung: §§ 398 ff., 413 BGB). Soweit der Film bei Abschluss des Vertrags bereits produziert worden ist, weist der Lizenzvertrag i.d.R. Merkmale eines Kauf- oder Pachtvertrags auf, auf die bei der bilanziellen Beurtei55 Siehe hierzu ausführlich Reber in Schwarz, Handbuch Filmrecht6, Kap. 71. 56 Siehe hierzu auch Brehm, Filmrecht2, S. 72. 57 BMF v. 23.2.2001 – IV A 6 - S 2241 – 8/01, BStBl. I 2001, 175, Rz. 7 unter Heranziehung des BFH-Urteils v. 20.9.1995 – X R 225/93, FR 1996, 20, BStBl. II1997, 320. So auch Reber in Schwarz, Handbuch Filmrecht6, Kap. 70, Rz. 2 sowie Rz. 12: Die natürliche oder juristische Person, „welche als letztentscheidende Instanz die organisatorischen, wirtschaftlichen, finanziellen und rechtlichen Aufgaben bei der Durchführung des Filmvorhabens wahrnimmt“. 58 Reber in Schwarz, Handbuch Filmrecht6, Kap. 70, Rz. 2.

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lung im Weiteren noch näher einzugehen sein wird. Brehm geht hierbei aufgrund der in der Praxis üblichen lediglich begrenzten Rechteeinräumung und der zeitlichen Befristung von einer Rechtspacht i.S.d. § 581 BGB aus.59 Das Recht des Filmherstellers gemäß § 94 UrhG stellt damit unstreitig einen werthaltigen Vorteil für den Betrieb dar, der sowohl selbständig bewertbar als auch verkehrsfähig ist. Es ist daher unproblematisch als immaterielles Wirtschaftsgut anzusehen,60 dessen betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer in entsprechender Anwendung der Regelung des § 94 Abs. 3 UrhG fünfzig Jahre beträgt.61 Der Filmträger als materielles Wirtschaftsgut bleibt demgegenüber bilanziell aufgrund seiner „wirtschaftlichen Unwesentlichkeit“ unbeachtet.62 Das an einem Film erwachsene Leistungsschutzrecht des Filmherstellers aus § 94 UrhG stellt den eigentlichen wirtschaftlichen Wert dar, gegenüber dessen Wert der Wert des bloßen Filmstreifens nicht ins Gewicht falle. Der Wert des Filmstreifens kann daher außer Betracht bleiben bzw. in der Bewertung der gesamten Herstellungskosten aufgehen.63 b) Über Lizenzverträge eingeräumte Leistungsschutz- oder Nutzungsrechte Der Filmhersteller muss den von ihm hergestellten Film jedoch nicht selbst verwerten, sondern kann Filmverwertungsrechte über Lizenzverträge an Dritte vergeben. Unter einem Lizenzvertrag wird ein Vertrag verstanden, „in dem der Inhaber eines gewerblichen Schutzrechts (…) als Lizenzgeber einem Dritten (Lizenznehmer) die Benutzung eines geschützten Rechts (Patent, Warenzeichen, Urheberrecht und andere geschützte Rechte) auf Zeit gegen Entgelt gewährt“.64 Ein Filmlizenzver59 Brehm, Filmrecht2, S. 259; Reber in Schwarz, Handbuch Filmrecht6, Kap. 71, Rz. 12. 60 BFH v. 20.9.1995 – X R 225/93, BStBl. II 1997, 320 = FR 1996, 20, juris, Rz. 18 m.w.N.; v. 6.11.2008 – IV B 126/07, BStBl. II 2009, 156, juris, Rz. 23. 61 BMF v. 23.2.20011 – IV A 6 - S 2241 – 8/01, BStBl. 2001, 175, Rz. 17 unter Verweis auf § 94 Abs. 3 UrhG. 62 Dörfler in Schwarz, Handbuch Filmrecht6, Kap. 293, Rz. 3. 63 BFH v. 20.11.1970 – VI R 44/69, BStBl. II 1971, 186, juris, Rz. 8. 64 von Wallis in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG Rz. 1200; so auch FG Köln v. 11.9.2019 – 3 K 2193/17, (Vorinstanz zu BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, FR 2022, 941) juris, Rz. 193. Allgemeiner bei Knap, GRUR Int 1973, 226 (228): Das „Subjekt eines ausschließlichen Rechts, über ein imma-

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trag besteht zivilrechtlich aus zwei Bestandteilen: Zum einen wird der Filmhersteller durch den Vertrag verpflichtet, die Verwertungsrechte dem Lizenznehmer einzuräumen, zum anderen muss er dem Lizenznehmer das Filmmaterial übergeben.65 Vorliegend ist die erstgenannte Verpflichtung zur Einräumung von Nutzungsrechten in den Blick zu nehmen. Dabei wird durch die Vergabe der Lizenz nicht das Nutzungsrecht des Lizenzgebers ganz oder teilweise auf den Lizenznehmer übertragen, sondern es wird vom Lizenzgeber kraft seines eigenen Rechts für den Lizenznehmer ein neues Recht geschaffen. Das Nutzungsrecht des Lizenzgebers bleibt auch nach der Vergabe bestehen, wird jedoch i.d.R. in seiner Ausübung durch den sich aus dem Lizenzvertrag ergebenden Umfang beschränkt. Endet der Lizenzvertrag fällt die Beschränkung der Ausübung des Nutzungsrechts durch den Lizenzgeber wieder weg.66 Das Leistungsschutzrecht des Filmherstellers kann damit die Grundlage weiterer bilanziell zu betrachtender Rechte im Rahmen einer Filmverwertung bilden. Der Filmhersteller kann hierbei gemäß § 94 Abs. 2 Satz 1 UrhG sein Leistungsschutzrecht vollständig übertragen, aber auch gemäß § 31 UrhG einem anderen ein Nutzungsrecht über die seinem Leistungsschutzrecht immanenten Nutzungen einräumen. Mit Letzterem bleibt der Filmhersteller der Inhaber des Leistungsschutzrechts, spaltet hiervon aber einzelne Nutzungsrechte (Verwertungsrechte des Films) ab und überträgt diese im Rahmen eines Lizenzvertrags auf Dritte. Das Nutzungsrecht kann – wie bereits allgemein dargestellt – als einfaches oder als ausschließliches Nutzungsrecht ausgestaltet sein. Hierbei kann der Filmhersteller gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 UrhG die dem Leistungsschutzrecht immanenten Nutzungsrechte räumlich, zeitlich oder inhaltlich aufspalten und auch abgespaltene Teilrechte übertragen. Wie die Lizenzverträge im Einzelfall ausgestaltet werden, ist in der Praxis sehr vielfältig.67 Hinsichtlich der zeitlichen Beschränkung finden sich Vertragsdauern zwischen fünf und zwanzig Jahren, die mit Verlängerungsoptionen am Ende der Lizenzzeit verbunden werden können. Für die Einräumung dieser Rechte wird eher selten ein Festpreis bezahlt. terielles Gut zu verfügen, [räumt] kraft dieses Rechts und in dessen Rahmen einem anderen Subjekt das Recht ein (…), das immaterielle Gut zu einem bestimmten wirtschaftlichen Zweck zu nutzen.“ 65 Dörfler in Schwarz, Handbuch Filmrecht6, Kap. 296, Rz. 4. 66 So Knap, GRUR Int 1973, 226 (228). 67 Ausführlich hierzu Schwarz in Schwarz, Handbuch Filmrecht6, Kap. 165 ff.

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Oft wird eine Erlösbeteiligung des Filmherstellers verbunden mit einer Minimumgarantie vereinbart.68 Auch Kettenverträge sind in der Praxis üblich. Hier stellt sich dann auf jeder Vertragsstufe die Frage, ob das jeweils überlassene Nutzungsrecht ein immaterielles Wirtschaftsgut ist und bejahendenfalls wem es zuzurechnen ist.

§ 39 AO?

Filmhersteller

L

ag r tr e v nz ize

urheberrechtl. Nutzungsrechte (§§ 31 ff. UrhG)

§ 39 AO?

Filmhändler

Li

g tra ver z zen

„Verkauf “ v. Teilrechten

Filmverwerter Bei vollständiger räumlich, zeitlich und inhaltlich unbeschränkter Übertragung des Leistungsschutzrechts des Filmherstellers auf einen Dritten liegt unproblematisch – wie auch beim Filmhersteller selbst – ein immaterielles Wirtschaftsgut vor. Interessanter erscheint der Blick auf die beschränkt übertragenen Nutzungsrechte. Aufgrund ihrer vertraglich verpflichtenden Ausgestaltung erscheinen auch diese als rechtlich gesicherte Positionen. Daher sieht auch die zivilrechtliche Rechtsprechung teilweise in der Einräumung eines beschränkten Nutzungsrechts die Abspaltung eines eigenständigen immaterielles Wirtschaftsguts „Nutzungsrecht“ vom Stammrecht.69 Dies hat zur Folge, dass grundsätzlich alle Nutzungsrechte immaterielle

68 Brehm, Filmrecht2, S. 271. 69 BGH v. 26.3.2009 – I ZR 153/06, BGHZ 180, 344, juris, Rz. 20 hinsichtlich des Urheberrechts an einem Computerprogramm.

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Wirtschaftsgüter sind, soweit die oben dargestellten Voraussetzungen (selbständiger Wert und Verkehrsfähigkeit) gegeben sind.70 c) Selbständig bewertbarer Vorteil für den Betrieb von einigem Gewicht Bereits an dieser Stelle kann aber die Frage aufgeworfen werden, ob im Rahmen der Filmlizenzverträge tatsächlich abgespaltene Rechte verkauft oder zeitlich begrenzt eingeräumt werden oder ob es sich vorliegend vielmehr nur um die Duldung bloßer Nutzungsmöglichkeiten oder um unselbständige Nutzungsvorteile an den vom Lizenzgeber vollständig behaltenen Filmrechten handelt, die im Rahmen eines Nutzungsüberlassungsvertrags als Dauerschuldverhältnis gewährt worden sind.71 So stellt der BFH in ständiger Rechtsprechung darauf ab, dass zu erwartende Nutzungsvorteile („Chancen“) weder selbständige Wirtschaftsgüter noch Vermögensgegenstände seien. Vielmehr bilde die Nutzungseignung eine „Eigenschaft von Wirtschaftsgütern und Vermögensgegenständen, von der ihr Wert abhängt. Ebenso wird die Realisierung von Nutzungsvorteilen in der Bilanz und im steuerlichen Vermögensvergleich nicht gesondert, sondern nur dann erfasst, wenn es darüber zum Abgang, Zugang oder zu einer werterheblichen Veränderung von Wirtschaftsgütern oder Vermögensgegenständen gekommen ist“. Denn Nutzungen selbst haben nicht die Eigenschaft von Wirtschaftsgütern. Eine solche Annahme würde im Widerspruch zu den Vorschriften über den Ansatz (§ 5 EStG) und die Bewertung von Wirtschaftsgütern (§§ 6 ff. EStG) stehen. Hat der Steuerpflichtige Aufwendungen für seine Nutzungsmöglichkeit getätigt, sind diese als betriebsfremdes Vermögen nicht in den Vermögensvergleich einzubeziehen, sondern als Aufwendungen für „die betriebliche Nutzung von eigenem betriebsfremdem Vermögen“ als Betriebsausgaben abziehbar.72 Betrachtet wird in diesen Fällen mithin nicht der Wert der Nut70 Siehe hierzu auch Anzinger in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG, Rz. 1787. Der BFH bejaht in seinem Urteil v. 14.3.2006 – I R 109/04 beispielsweise die Wirtschaftsguteigenschaft einer Nutzungsmöglichkeit eines Tankraums. 71 In diesem Sinne könnte auch BMF v. 23.2.2001 – IV A 6 - S 2241 - 8/01, BStBl. I 2001, 175 Rz. 50 ff. zu verstehen sein. Diesen Gedanken stellt auch Hruschka, DStR 2003, 1559 (1560 m.w.N.) dar: „Nach dieser Auffassung liegt schon gar kein immaterielles Wirtschaftsgut vor, wenn das Lizenzrecht auf einem Dauerschuldverhältnis basiert.“ 72 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = FR 1988, 160 = GmbHR 1988, 159, juris, Rz. 69 ff. (Zitat aus Rz. 69) und 76 m.w.N.

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zung, sondern der durch sie verursachte betriebliche Aufwand. Beides kann zwar der Höhe nach gleich sein, muss es aber nicht. Von den bloßen Nutzungsmöglichkeiten unterscheidet der BFH jedoch dingliche oder obligatorische Nutzungsrechte. Dingliche Nutzungsrechte ordnen dabei die Herrschaft über eine Sache unmittelbar dem Rechteinhaber zu und gelten als absolute Rechte gegenüber jedermann. Während obligatorische Nutzungsrechte nur zwischen den am Vertrag beteiligten Personen schuldrechtliche Ansprüche begründen (z.B. Ansprüche aus Leihe, Miete, Pacht, Mietkauf, Leasing und Darlehen).73 Sowohl dingliche als auch obligatorische Nutzungsrechte erkennt der BFH als selbständige Wirtschaftsgüter an, weil sie i.d.R. einen feststellbaren Wert haben.74 So stellt beispielsweise auch die Nutzungsmöglichkeit eines Fußballspielers ein immaterielles Wirtschaftsgut dar.75 Dann liegt es aber auch nahe, die Nutzungsmöglichkeit eines Films in diesem Sinne bilanziell zu bewerten. Das ausschließliche oder einfache Nutzungsrecht des § 31 UrhG hat dinglichen Charakter und wirkt sogar über die vertragliche Vereinbarung zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer hinaus. Wobei der dingliche Charakter für die Einordnung des Nutzungsrechts als Wirtschaftsgut gar nicht entscheidend ist, weil selbst eine rein schuld73 Kußmaul/Ollinger, StuW 2011, 282 (283). 74 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = FR 1988, 160 = GmbHR 1988, 159, juris, Rz. 80; v. 20.1.1983 – IV R 158/80, BStBl. II 1983, 413 = FR 1983, 296, juris, Rz. 28 f.; v. 20.9.1989 – X R 140/87, BStBl. II 1990, 368, juris, Rz. 11; v. 26.2.1975 – I R 72/73, BStBl. II 1976, 13 zu = FR 1990, 12 Bierlieferungsrechten; v. 3.8.1993 – VIII R 37/92, BStBl. II 1994, 444 zu Belieferungsrechten aus Abonnentenverträgen allgemein; v. 18.1.1989 – X R 10/86, BStBl. II 1989, 549 = FR 1989, 302 für ein „Vertreterrecht“; siehe hierzu auch Anzinger in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG, Rz. 1787. 75 BFH v. 14.12.2011 – I R 108/10, BStBl. II 2012, 238 = FR 2012, 213, juris, Rz. 12: „Die u.a. durch die Spielererlaubnis gesicherte Möglichkeit des Klägers, die zu ihm gewechselten Spieler exklusiv im Lizenzspielbetrieb einsetzen zu können“, erfüllt die Voraussetzungen eines Wirtschaftsguts. Siehe hierzu Anzinger in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG, Rz. 1787, die Einordung als immaterielles Wirtschaftsgut ist zu bejahen, weil dafür Verkehrswerte gebildet werden und ein Erwerber des Fußballvereins für die einzelnen Spieler einen gesonderten Preis bezahlen würde. „In einer Marktordnung, die einen Transfermarkt und Transferzahlungen im Profifußball ohne Verletzung der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes gestattet, darf nicht aufgrund eines humanitären Störgefühls auf die zutreffende Rechnungslegung über die vorgenommenen Transfergeschäfte verzichtet werden.“

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rechtliche Forderung aus einem schwebenden Geschäft von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zunächst als Wirtschaftsgut angesehen wird.76 Ein fremder Kaufmann dürfte sich das vertragliche Nutzungsrecht an einem Film durchaus etwas kosten lassen. Auch ist ein im Rahmen eines Lizenzvertrags erworbenes Nutzungsrecht an einem Film selbständig bewertbar. Dem dürfte auch nicht entgegenstehen, dass das Filmrecht – wie jedes andere Recht – in unendlich viele Teilrechte aufgeteilt werden kann, denen „wegen ihrer Unendlichkeit kein individueller Wert zugewiesen werden kann“77. Einer vorherigen, individuellen Wertzuweisung bedarf es für die Frage der Wirtschaftsguteigenschaft nicht. Eine abstrakte Bewertbarkeit reicht hierfür vielmehr aus. Dabei stellt nach Ansicht der Autorin Albrecht das vertraglich übertragene Nutzungsrecht als Ganzes ein Wirtschaftsgut dar, welches nicht weiter in einzelne Nutzungsmöglichkeiten aufgespaltet werden sollte. Aber auch bei Vorliegen eines selbständig bewertbaren Vorteils durch das vertraglich eingeräumte Nutzungsrecht soll sich an dieser Stelle kurz von der rein formal zivilrechtlich geprägten Betrachtung der Wirtschaftsguteigenschaft eines Nutzungsrechts durch den BFH gedanklich gelöst und auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise im Bilanzsteuerrecht rückbesinnt werden. Denn die Rechtsprechung stellt ausdrücklich klar, dass auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtung nur diejenigen Vermögensgegenstände steuerbilanziell als Wirtschaftsgüter anzusehen sind, die als Einzelheit auch ins Gewicht fallen und eine objektiv werthaltige Position darstellen. Aus dem Grundsatz der selbständigen Bewertbarkeit folgt, „dass ein durch Abspaltung entstehendes Wirtschaftsgut (Vermögensgegenstand) erst dann als solches anzuerkennen ist, wenn es sich zumindest wirtschaftlich bereits verselbständigt (realisiert) hat. Es reicht die bloße Abspaltbarkeit nicht aus.“78 Bereits an dieser Stelle könnte – den Gedanken weiterverfolgend – die Frage gestellt werden, ob sich ein Nutzungsrecht aufgrund eines „bloßen“ Nutzungsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis (im Gegensatz zum Rechtekauf) wirtschaftlich bereits derart verselbständigt hat, dass es unter wirtschaftlicher Betrachtung als Wirtschaftsgut in der Bilanz auszuweisen ist. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten dürfte es dann weniger darauf ankommen, ob eine (zivil-) rechtlich geschützte Position vorliegt, sondern 76 BFH v. 27.2.1976 – III R 64/74, BStBl. II 1976, 529, juris, Rz. 7. 77 Hruschka, DStR 2003, 1559 (1561). 78 BFH v. 7.8.2000 – GrS 2/99, BStBl. II 2000, 632 = FR 2000, 1126 m. Anm. Kempermann = GmbHR 2000, 1106 m. Anm. Hoffmann, juris, Rz. 46.

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vielmehr darauf, ob das Nutzungsrecht für den Betrieb über die ihm innewohnende (rechtlich abgesicherte) Nutzungsmöglichkeit hinaus eine bilanziell abzubildende Werthaltigkeit vermittelt. Eine über die Nutzungsmöglichkeit hinausgehende Werthaltigkeit eines Nutzungsrechts dürfte in den meisten Fällen zu verneinen und damit die bilanziell werthaltige Position wirtschaftlich durchaus hinterfragbar sein. Zwar ist eine Position im Hinblick auf das Vorsichtsprinzip erst durch ihre zivilrechtliche Absicherung derart gefestigt, dass sie dem Vermögen eines Kaufmanns bilanziell zuzuordnen und in seiner Bilanz auszuweisen ist.79 Für die Frage, ob die Position in der Bilanz auszuweisen ist, muss daher auf ihre (zivil-) rechtliche Absicherung geschaut werden. Dies führt jedoch nicht zwingend zu dem Umkehrschluss, dass jeder Vorteil, der zivilrechtlich abgesichert ist, auch in der Bilanz auszuweisen sein sollte. Die BFH-Rechtsprechung sieht jedoch im Dauerschuldverhältnis keinen Ansatz zur Ablehnung eines Wirtschaftsguts,80 so dass das aufgeworfene Gedankenexperiment jäh an der klaren gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung zerschellt. Wobei die Rechtsprechung teilweise zwar ein immaterielles Wirtschaftsgut zunächst bejaht, über das Vorliegen eines schwebenden Geschäfts jedoch zu der Annahme kommt, dass das Nutzungsrecht im Einzelfall nicht bewertungsfähig war und daher nicht Gegenstand einer Entnahme sein konnte.81 Da die selbständige Bewertbarkeit jedoch Voraussetzung für das Vorliegen eines Wirtschaftsguts ist, könnte man sich hier leicht im Kreis drehen. Dieses Problem haftet jedoch der Definition eines Wirtschaftsguts allgemein an und soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Klar gegen eine Abspaltung von einzelnen Rechten im Rahmen eines Filmverwertungsvertrags hat sich demgegenüber das FG München innerhalb der Prüfung des § 50a EStG geäußert. Es sieht durch die zeitliche und örtliche Beschränkung der übertragenen Nutzungsrechte keine veräußerungsähnliche Übertragung voneinander getrennter Einzelrechte, sondern sieht diese lediglich als „ein Ausschnitt aus dem umfassenden 79 Briesemeister in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Rz. 660 mit Verweis auf BGH v. 6.11.1995 – II ZR 164/94, GmbHR 1996, 296 = ZIP 1996, 70 = BB 1996, 155. 80 BFH v. 19.6.1997 – IV R 16/95, BStBl. II 1997, 808 = FR 1997, 810 m. Anm. Stobbe, juris, Rz. 13 lehnt wohl das Wirtschaftsgut „Maklerleistung“ ab, führt aber in Rz. 18 aus, dass Nutzungsrechte aus Dauerschuldverhältnissen, wie z.B. aus einem Mietvertrag, immaterielle Wirtschaftsgüter sind. 81 BFH v. 20.11.2012 – VIII R 31/09, juris, Rz. 17 hinsichtlich der Zuordnung der Nutzungsrechte bei Leasingverträgen.

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Verwertungsrecht“ an. Die vom Lizenznehmer vorgenommene Verwertung seines Nutzungsrechtes an den Filmproduktionen sei Bestandteil der ihm auf Zeit eingeräumten Rechtsposition und ende mit dieser. Ein vom Filmhersteller unabhängiges „eigenes“ Recht werde hierdurch nicht begründet.82 Ob dieser Gedanke weiterführend bereits zur Ablehnung der Wirtschaftsguteigenschaft führen würde, bleibt zweifelhaft, aber durchaus spannend. Er geht zumindest in die gleiche Richtung wie das oben angedachte Gedankenexperiment. In dem vorliegenden Beitrag soll dieser Gedanke jedoch nicht weiter bei der Frage des Vorliegens eines Wirtschaftsguts, sondern themengerecht bei der Frage der Zuordnung eines Wirtschaftsguts „Nutzungsrecht“ wieder aufgegriffen werden. d) Verkehrsfähigkeit des Nutzungsrechts Wird nunmehr davon ausgegangen, dass das Nutzungsrecht eine ins Gewicht fallende gefestigte Rechtsposition oder einen entsprechenden konkreten Vorteil für den Betrieb darstellt, hängt das Vorliegen eines immateriellen Wirtschaftsguts weiterhin von seiner Verkehrsfähigkeit ab. Sie ist anhand der konkreten Vertragsgestaltung zu prüfen. Während die Wirtschaftsguteigenschaft in den meisten Fällen auch hieran nicht scheitern dürfte, hat der BFH sie in seinem Urteil v. 22.3.202283 aber beispielsweise für eine Fernsehlizenz verneint, weil die Verkehrsfähigkeit im konkreten Einzelfall aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen fehlte. Er stellte dar, dass die Übertragbarkeit eines immateriellen Wirtschaftsguts zwar auch dann gegeben sei, wenn es lediglich zusammen mit dem Betrieb verkehrsfähig ist, eine lediglich mittelbare Übertragung eines Anteilseignerwechsels (share-deal) genüge für die Annahme der Verkehrsfähigkeit jedoch nicht. e) Zwischenergebnis Von einigen besonders gelagerten Fällen abgesehen, sind sowohl das dingliche Leistungsschutzrecht als auch alle aus ihm schuldrechtlich entstandenen Nutzungsrechte, unabhängig davon, ob sie unbeschränkt oder beschränkt übertragen worden sind, i. d. R. als immaterielle Wirtschaftsgüter anzusehen. Hieran anschließend stellt sich bei gegenseiti82 FG München v. 13.12.2000 – 1 K 5389/98, juris, Rz. 23 f. 83 BFH v. 22.3.2022 – IV R 13/18, BStBl. II 2022, 656. Hierzu ausführlich Graw in diesem Band S. 379.

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gen Verträgen oder sogar mehrstufigen Vertragsgestaltungen die Frage, wem diese Wirtschaftsgüter zuzurechnen sind, mithin in wessen Bilanz sie abstrakt anzusetzen sind.

3. Zuordnung von Nutzungsrechten im Rahmen von Filmverwertungsverträgen Liegt ein Wirtschaftsgut vor, ist es zunächst abstrakt in der Bilanz des Betriebs anzusetzen, zu dessen Betriebsvermögen es gehört. Jeder Kaufmann muss, aber darf auch nur die ihm „gehörenden“ Wirtschaftsgüter in seiner Bilanz ausweisen. In der Steuerbilanz stellt sich an dieser Stelle die Frage, wem dieses Wirtschaftsgut gemäß § 39 AO zuzurechnen ist. In der Handelsbilanz stellen sich über § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB die nämlichen Fragen.84 a) § 39 AO bei vertraglichen Nutzungsüberlassungsverhältnissen § 39 AO spricht zwar in seinem Gesetzeswortlaut etwas ungenau vom „Eigentümer“, im Rahmen von vertraglichen Nutzungsüberlassungsverhältnissen ist hiermit jedoch der nach Maßgabe des Privatrechts Berechtigte gemeint, mithin der Rechteinhaber.85 Dabei ordnet § 39 Abs. 1 AO die immateriellen Wirtschaftsgüter zunächst diesem zivilrechtlichen Rechteinhaber zu. Das Leistungsschutzrecht gemäß § 94 Abs. 1 UrhG wird mithin dem Filmhersteller zugeordnet. Das Gesetz stellt die allgemeine widerlegbare Vermutung auf, dass der Rechteinhaber über die Substanz und den Ertrag seines Rechts uneingeschränkt verfügen kann.86 Diese Vermutung wird jedoch für den Fall gesetzlich widerlegt, in dem aufgrund der konkreten Vertragsgestaltung im Einzelfall beim Rechteinhaber nur noch eine „leere Eigentumshülle“ verbleibt. Daher regelt § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO eine vom zivilrechtlichen Eigentum abweichende Zuordnung für den Fall, dass ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann. 84 Zum Verhältnis des § 39 AO und § 246 HGB siehe oben unter II.1. 85 BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, BStBl. II 2022, 832 = FR 2022, 941, juris, Rz. 33. 86 Briesemeister in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Rz. 660 mit Verweis auf BGH v. 6.11.1995 – II ZR 164/94, GmbHR 1996, 296 = ZIP 1996, 70 = BB 1996, 155.

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§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO sieht die BFH-Rechtsprechung als einschlägig an, wenn dem Nutzungsberechtigen für die voraussichtliche Nutzungsdauer Substanz und Ertrag des Wirtschaftsguts wirtschaftlich zustehen.87 Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall der Herausgabeanspruch des Eigentümers keine wirtschaftliche Bedeutung mehr hat. Abzustellen ist hierbei nicht auf den Wortlaut der Verträge, sondern auf das mit den Verträgen wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte. Dabei ist von einem normalen Verlauf der Dinge auszugehen, das heißt von einem für die gewählte Gestaltung typischen Verlauf.88 Hinsichtlich der vorliegend betrachteten Nutzungsverhältnisse geht der BFH grundsätzlich mit dem soeben dargestellten Regel-Ausnahme-Prinzip des § 39 AO davon aus, dass ein schuldrechtlich oder dinglich Nutzungsberechtigter in der Regel kein sog. „wirtschaftliches Eigentum“ an dem ihm zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgut hat.89 Das Wirtschaftsgut ist daher dem zivilrechtlichen Eigentümer/Rechteinhaber auch bei einer schuldrechtlich oder dinglich abgesicherten Nutzung durch einen anderen zuzurechnen. Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn der Nutzungsberechtigte statt des Eigentümers die Kosten der Anschaffung oder Herstellung eines von ihm selbst genutzten Wirtschaftsguts trägt, sich die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer und die vertragliche Nutzungsdauer annähernd decken und ihm dadurch für die voraussichtliche Nutzungsdauer Substanz und Ertrag wirtschaftlich zustehen.90 87 BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, BStBl. II 2022, 832 = FR 2022, 941, juris, Rz. 34; v. 28.5.2015 – IV R 3/13, juris, Rz. 21 f.; v. 2.6.2016 – IV R 23/13, Rz. 31. 88 BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, BStBl. II 2022, 832 = FR 2022, 941, juris, Rz. 33; v. 2.6.2016 – IV R 23/13, Rz. 30 ff.; v. 11.7.2006 – VIII R 32/04, BStBl. II 2007, 296 = FR 2007, 251 = GmbHR 2007, 49 m. Anm. Hoffmann, juris, Rz. 25; v. 28.5.2015 – IV R 3/13, juris, Rz. 23 m.w.N. 89 BFH v. 28.5.2015 – IV R 3/13, juris, Rz. 20 ff. bezüglich Werkzeugkostenzuschüssen beim Hersteller: „Der schuldrechtlich – wie auch der dinglich – Nutzungsberechtigte hat danach in der Regel kein wirtschaftliches Eigentum i.S. von § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO an dem ihm zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgut“ (Rz. 21 m.w.N.). Ebenso BFH v. 13.10.2016 – IV R 33/13, ECLI:DE:BFH:2016:U.131016.IVR33.13.0, BStBl. II 2018, 81 = FR 2017, 527 m. Anm. Wendt, juris, Rz. 28 im Rahmen von Sale-and-lease-back-Gestaltungen und BFH v. 2.6.2016 – IV R 23/13, Rz. 31 in Bezug auf ein Erbbaurecht und eine Tiefgarage. 90 BFH v. 14.4.2002 – v. 14.4.2022 – IV R 32/19, BStBl. II 2022, 832 = FR 2022, 941, juris, Rz. 34; v. 28.5.2015 – IV R 3/13, juris, Rz. 22; v. 2.6.2016 – IV R 23/13, Rz. 31.

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Eine davon abweichende Zuordnung der Wirtschaftsgüter nach International Financial Reporting Standards (IFRS) ist unerheblich, da den IFRS für die steuerliche Gewinnermittlung keine Bedeutung beizumessen ist.91 b) Die Zuordnung des Leistungsschutzrechts des Filmherstellers Im Rahmen von Filmverwertungsverträgen besteht bereits bei Herstellung des Films eine große Anzahl unterschiedlicher urheberrechtlicher Rechte und durch schuldrechtliche Verträge im Rahmen der Filmverwertung entstehen zusätzliche weitere „neue“ Rechte. Für die Zuordnung gemäß § 39 AO muss genau unterschieden werden, um welches Recht es konkret geht. Bei den Nutzungsrechten im Rahmen von Filmverwertungsverträgen ist für die Anwendung des § 39 AO zum einen zwischen ausschließlichen und einfachen sowie zwischen vollständigen und beschränkten Nutzungsrechten zu unterscheiden. Da bei einer Übertragung eines einfachen Nutzungsrechts der Filmhersteller in der Ausübung seines Rechts nicht beschränkt wird, stellt sich hier für das Stammrecht die Frage einer von der zivilrechtlichen Rechteinhaberschaft abweichenden wirtschaftlichen Zurechnung nicht. Bei einer ausschließlichen und unbeschränkten Nutzungsübertragung dürften die Voraussetzungen einer von der zivilrechtlichen Rechteinhaberschaft abweichenden wirtschaftlichen Zurechnung nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO demgegenüber i.d.R. vorliegen. So sieht auch Schwarz bei einem Lizenzvertrag, bei dem die Lizenzrechte am Film gegen einen Festpreis für alle Gebiete und alle Zeiten eingeräumt werden, große Ähnlichkeit mit einem Kaufvertrag.92 Zwischen diesen beiden relativ klar erscheinenden Sachverhalten stehen die ausschließlichen, aber beschränkten Nutzungsrechte. Betrachtet man hier auch zunächst das Stammrecht, dürfte ebenfalls eine vom Rechteinhaber abweichende Zuordnung nur ausnahmsweise vorliegen, wenn dessen Inhaber nicht einmal mehr ein Verwertungsrest verbleibt.93

91 BFH v. 14.4.2011 – IV R 52/10, juris, Rz. 25. 92 Schwarz in Schwarz, Handbuch Filmrecht6, Kap. 168, Rz. 4. 93 Anzinger/Linn, StbJb. 2017/2018, 353 (368 f.); Anzinger in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG, Rz. 1787.

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aa) Die Rechtsprechung des BFH In seinem Urteil v. 14.4.202294 hat sich der BFH erst kürzlich mit der Frage der Zuordnung des Stammrechts im Rahmen eines Filmverwertungsvertrags beschäftigt. Verkürzt lag dem Urteil folgender Sachverhalt zugrunde: Filmproduktionsgesellschaft A GmbH & Co.KG ist Eigentümerin der Rechte an einem Film. Sie schloss 2006 mit F einen Filmvertriebsvertrag ab, mit dem sie F als Lizenznehmerin die umfassenden, alleinigen, exklusiven und unwiderruflichen Verwertungsrechte für einen Zeitraum von 42 Jahren an dem Film übertrug. F verpflichtete sich zu jährlich fixen Zahlungen sowie zu Beteiligungs-Lizenzgebühren i.H.v. 40% der Erlöse aus der Verwertung des Films nach Abzug bestimmter Aufwendungen sowie einer zusätzlichen Gewinnbeteiligung. Zusätzlich wurde eine für F günstige Verlängerungsoption und eine Kaufoption vereinbart. 2009 wurde der Film fertiggestellt.

Streitig zwischen der Filmproduktionsgesellschaft A und der Finanzverwaltung war, ob die Verwertungsrechte der Filmproduktionsgesellschaft oder der Lizenznehmerin F zuzurechnen sind.

Unstreitig war zwischen den Parteien zunächst, dass die Filmproduktionsgesellschaft A als Herstellerin des Films zivilrechtliche Rechtein94 BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, BStBl. II 2022, 832 = FR 2022, 941.

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haberin der Filmverwertungsrechte ist. Damit ist sie die Inhaberin des Leistungsschutzrechts des § 94 Abs. 1 UrhG, das ein immaterielles Wirtschaftsgut darstellt und nach § 94 Abs. 2 UrhG übertragbar ist. Streit bestand zwischen den Parteien dahingehend, wem das Leistungsschutzrecht unter den Maßstäben des § 39 AO in der Steuerbilanz zuzurechnen war. Hierzu stellt der BFH – seiner ständigen Rechtsprechung folgend – zunächst fest, dass die Wirtschaftsgüter nach § 39 Abs. 1 AO grundsätzlich dem zivilrechtlichen Eigentümer zuzurechnen sind, vorliegend also der Filmproduktionsgesellschaft A. Nur in Fällen, in denen ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, ist ihm das Wirtschaftsgut gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ausnahmsweise zuzurechnen.95 Für die Frage einer von der zivilrechtlichen Rechteinhaberschaft abweichenden wirtschaftlichen Zurechnung von Rechten im Rahmen von Filmverwertungsverträgen verneint der BFH die uneingeschränkte Anwendung der für Leasingverträge entwickelten Grundsätze.96 Aufgrund der Besonderheiten der Filmverwertungsrechte als immaterielle Wirtschaftsgüter, für die „keine hinlänglich verlässliche ex ante-Einschätzung der Wertentwicklung von Filmrechten möglich ist“, können die Filmrechte dem Nutzungsberechtigten nur unter eng umgrenzten Voraussetzungen gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO zugerechnet werden.97 Eine wirtschaftliche Zurechnung von Filmrechten bei einem anderen als dem zivilrechtlichen Rechteinhaber ist daher nur möglich, wenn der zivilrechtliche Rechteinhaber infolge der vertraglichen Vereinbarungen während der gesamten voraussichtlichen Nutzungsdauer der Filmrechte von deren Substanz und Ertrag wirtschaftlich ausgeschlossen ist. Hieran fehlt es in den Fällen, in denen der zivilrechtliche Rechteinhaber durch erfolgsabhängige Vergütungen während der gesamten Vertragslaufzeit 95 BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, BStBl. II 2022, 832 = FR 2022, 941, juris, Rz. 32. 96 BMF v. 19.4.1971 – IV B 2 - S 2170 – 31/71, BStBl. I 1971, 264; v. 21.3.1972 – F/IV B 2 -S 2170 – 11/72, BStBl. I 1972, 188; v. 23.12.1991 – IV B 2 - S 2170 115/91, BStBl. I 1992, 13. 97 BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, BStBl. II 2022, 832 = FR 2022, 941, juris, Rz. 37 f.

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weiterhin von den Wertsteigerungen der Filmrechte profitiert.98 Soweit neben den fixen Lizenzgebühren Gewinnbeteiligungen vereinbart sind, kann der Lizenznehmer daher „selbst bei extensiver Verwertung der Filmrechte und dadurch zum Ende der Laufzeit des Lizenzvertrages herbeigeführter Bedeutungslosigkeit des Herausgabeanspruchs des Lizenzgebers (…) den vollständigen wirtschaftlichen Wertverzehr des überlassenen Wirtschaftsguts gerade nicht unter Ausschluss des Lizenzgebers herbeiführen (…). Letzterer ist vielmehr stets im vereinbarten Umfang an dieser erschöpfenden Verwertung beteiligt. Kann der Lizenznehmer aber die umfassende Verwertung des Wirtschaftsguts nicht unter Ausschluss des zivilrechtlichen Eigentümers vornehmen, geht das wirtschaftliche Eigentum nicht auf ihn über“.99 Auch die ungewöhnlich lange Laufzeit des Filmverwertungsvertrags führt nicht zu einer von der Zivilrechtslage abweichenden Zuordnung. Der BFH konnte eine sich mit Ablauf der Vertragslaufzeit von 42 Jahren ergebende Wertlosigkeit der Filmrechte in Anbetracht der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von 50 Jahren nicht erkennen. Nur weil das Nutzungspotential von Filmrechten regelmäßig in den ersten Jahren überproportional hoch ist, führt das nicht zu einer Wertlosigkeit am Ende der Vertragslaufzeit. Bei der rechtlichen Beurteilung ist dabei auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Filmverwertungsvertrags abzustellen und nicht auf den Zeitpunkt der Fertigstellung des Films. Spätere Erkenntnisse, beispielsweise über die Wertlosigkeit des Films, spielen für die Frage der wirtschaftlichen Zurechnung keine Rolle.100 bb) Die Auffassung der Finanzverwaltung im sog. Medienerlass Auch die Finanzverwaltung hat zu der Frage einer von der zivilrechtlichen Rechteinhaberschaft abweichenden Zuordnung von Filmrechten im sogenannten Medienerlass101 Stellung genommen. In Rz. 18 heißt es hierzu: 98 BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, BStBl. II 2022, 832 = FR 2022, 941, juris, Rz. 38. 99 FG Köln v. 11.9.2019 – 3 K 2193/17 (Vorinstanz zu BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, FR 2022, 941), juris, Rz. 211 ff. m.w.N., das eine Vertragslaufzeit von 42 Jahren nicht als Übertragung der gesamten betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von 50 Jahren ansieht. 100 BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, BStBl. II 2022, 832 = FR 2022, 941, juris, Rz. 43 und Rz. 54. 101 BMF v. 23.2.2001 – IV A 6 - S 2241 – 8/01, BStBl. I 2001, 175, geändert durch BMF v. 5.8.2003 – IV A 6 - S 2241 – 81/03, BStBl. I 2003, 406.

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Albrecht/Anzinger, Wirtschaftliches Eigentum als Zuordnungskriterium „Lizenzvereinbarungen und Verwertungsabreden können einem anderen als dem zivilrechtlichen Rechteinhaber wirtschaftliches Eigentum an den Rechten eines Filmherstellers vermitteln, wenn sie sich auf das Leistungsschutzrecht gemäß § 94 UrhG insgesamt beziehen. Eine zeitlich, örtlich oder gegenständlich beschränkte Überlassung oder Veräußerung einzelner Verwertungsrechte eines Filmherstellers kann nicht zu einer abweichenden Zurechnung des Leistungsschutzrechts als solchem führen, es sei denn, die dem Filmhersteller verbleibenden Verwertungsmöglichkeiten sind wirtschaftlich bedeutungslos.“

Hierbei ist zu beachten, dass sich der Medienerlass102 ausweislich seiner Bezeichnung als „BMF-Schreiben zur ertragsteuerlichen Behandlung von Film- und Fernsehfonds“ zunächst explizit nur auf diese Fonds bezieht. Auch das dargestellte BFH-Urteil v. 14.4.2022 hatte einen solchen Fonds zum Gegenstand. Jedoch dürften die in der Verlautbarung dargestellten Grundsätze zur Bilanzierung von Filmrechten – soweit keine Besonderheiten im Einzelfall bestehen – von der Finanzverwaltung insgesamt angewendet werden. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass im Unterschied zu Medienfonds, die das BMF-Schreiben behandelt, die Filmhändler, Vertriebsunternehmen und Fernsehsender nur selten Filmhersteller sind. Der Erwerb des vollständigen, ausschließlichen Filmverwertungsrechtes dürfte bei ihnen eher selten vorkommen.103 Die Finanzverwaltung betrachtet in ihrem Erlass – wie auch der BFH – allein das Leistungsschutzrecht als Ganzes (Stammrecht) und unterscheidet folglich für die Frage der wirtschaftlichen Zurechnung der Filmrechte zwischen der vollständigen und der beschränkten Rechteübertragung. Eine vom Zivilrecht abweichende Zuordnung des Stammrechts ist hierbei im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur bei vollständiger Rechteübertragung möglich. Soweit zeitliche, örtliche oder gegenständlich beschränkte Übertragungen vorliegen, ist das immaterielle Wirtschaftsgut „Filmverwertungsrecht“ dem zivilrechtlichen Rechteinhaber zuzurechnen.

102 BMF v. 23.2.2001 – IV A 6 - S 2241 – 8/01, BStBl. I 2001, 175. 103 So auch Hruschka, DStR 2003, 1559, der als Ausnahme die TV-Eigenproduktionen nennt.

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Soweit das BMF-Schreiben in Rz. 53 bei Filmrechten den Erwerb eines immateriellen Wirtschaftsguts in Anlehnung an die Leasing-Erlasse immer dann annehmen möchte, wenn sich während der vereinbarten Lizenzdauer der ursprüngliche Wert der Schutzrechte um mehr als 90% vermindert, wird die Finanzverwaltung aufgrund der ausdrücklichen Ablehnung dieser analogen Betrachtungsweise durch den BFH in seinem Urteil v. 14.4.2022 hieran nicht mehr festhalten können. Dies wurde durch die Veröffentlichung des Urteils im Bundessteuerblatt nach außen verkündet. c) Die Zuordnung beschränkt übertragener Nutzungsrechte Während die Zuordnung des Stammrechts von der höchstrichterlichen Rechtsprechung erörtert wurde und in diesem Bereich Leitlinien abgesteckt worden sind, wird in der Literatur hiervon unabhängig die bilanzielle Behandlung der vertraglich eingeräumten Nutzungsrechte beim Nutzungsberechtigten diskutiert. Bei (Kino-)Spielfilmen und Serien, die den Großteil der gehandelten Rechte umfassen, werden i.d.R. beschränkte Verwertungsmöglichkeiten gehandelt,104 die in der Bilanz des

104 Hruschka, DStR 2003, 1559.

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Nutzungsberechtigen als immaterielle Wirtschaftsgüter abgebildet werden sollen. aa) Anknüpfung an die Art des Nutzungsrechts Über gegebenenfalls abgespaltete selbständige Nutzungsrechte und deren bilanzielle Behandlung beim Nutzungsberechtigten schweigt der Medienerlass.105 Dies erscheint folgerichtig, hat er doch ausweislich seines Titels die Medienfonds als Lizenzgeber zum Regelungsgegenstand und nicht die Lizenznehmer. Zudem hat sich aber auch die Filmverwertungslandschaft in den letzten mehr als 20 Jahren seit Erlass dieser Verlautbarung verändert und es stellen sich hier inzwischen auch neue Sachverhalte dar, für die es einer bilanziellen Einordnung bedarf. Im besten Fall sind hierauf die althergebrachten Grundsätze ebenso anwendbar. Soweit im Rahmen von Nutzungsverhältnissen keine ausschließlichen Nutzungsrechte vergeben werden oder abgestufte Nutzungsverhältnisse vorliegen, können für denselben Gegenstand mehrere Nutzungsrechte bestehen.106 Dabei stellen sich Fragen im Einzelfall dahingehend, inwieweit sich ein einfaches Nutzungsrecht an einem Wirtschaftsgut soweit auf dem Markt verfestigt hat, dass die Zuordnung des Nutzungsrechts unter der bilanziell erforderlichen wirtschaftlichen Betrachtung von dem genutzten Wirtschaftsgut zu trennen ist. Diese Fragestellung wird bei der Zuordnung von Software noch einmal aufgegriffen. „Verselbständigen“ in diesem Sinne dürften sich – wenn überhaupt – aber nur einfache Nutzungsrechte an einem Wirtschaftsgut. Liegt ein ausschließliches Nutzungsrecht an einem Wirtschaftsgut vor, dürften Wirtschaftsgut und Nutzungsrecht wirtschaftlich betrachtet eine Einheit bilden und für die Zuordnung auch als solche betrachtet werden. Dieser Gedanke dürfte auch der Aussage zugrunde liegen, dass nicht ausschließliche Nutzungsrechte (z.B. erworbene Softwarelizenz) jedem Rechteinhaber zuzurechnen sind, solange sein Nutzungsrecht besteht. Demgegenüber aber ausschließliche Nutzungsrechte (z.B. exklusives Nutzungsrecht eines Grundstücks) demjenigen zuzurechnen sind, der andere von einer vergleichbaren Nutzung ausschließen kann.107 105 BMF v. 23.2.2001 – IV A 6 - S 2241 – 8/01, BStBl. I 2001, 175. 106 Hierzu Anzinger in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG, Rz. 1787. 107 Die Aussage findet sich bei Anzinger in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/ KStG, § 5 EStG, Rz. 1787.

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In der Filmverwertungspraxis werden i.d.R. ausschließliche Nutzungsrechte ohne Nutzungsvorbehalt des Urhebers überlassen. Ihre bilanzielle Abbildung beim Nutzungsberechtigten ist in der Literatur umstritten und höchstrichterlich bisher ungeklärt. Es stellt sich hier die Frage, ob aufgrund des Filmlizenzvertrags ein abgespaltenes „Teil-Filmrecht“ als Nutzungsrecht veräußert worden ist, bei welchem der Lizenznehmer zivilrechtlicher Rechteinhaber geworden ist und welches ihm daher gemäß § 39 Abs. 1 AO zuzurechnen ist. bb) Versuch einer wirtschaftlichen Betrachtung unter Wesentlichkeitsgesichtspunkten An dieser Stelle soll der bereits bei der Frage des Vorliegens eines immateriellen Wirtschaftsguts aufgeworfene Gedanke einer weniger zivilrechtlich und stärker wirtschaftlich geprägten bilanziellen Beurteilung von Nutzungsrechten in Dauerschuldverhältnissen wieder aufgegriffen werden. Wendet sich der Gesetzgeber in § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO doch selbst von der in Abs. 1 festgeschriebenen zivilrechtlichen Betrachtung in Ausnahmefällen ab und betrachtet die Sachverhalte wirtschaftlich. Aufgrund des Ausnahmecharakters dieser Norm ist jedoch eine extensive Ausweitung des Gedankens mit Vorsicht zu genießen. Dennoch sollte für die Frage, was in diesen Sachverhalten wem zuzurechnen ist, ein Überangebot an zivilrechtlichen Rechten und damit einhergehender immaterieller Wirtschaftsgüter nicht den durch eine wirtschaftliche Betrachtungsweise geprägten bilanziellen Blick verwässern. Nur weil jedes marktgängige Recht i.d.R. ein immaterielles Wirtschaftsgut darstellt, muss es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht zwingend so beachtlich sein, dass eine vom Stammrecht getrennte Zuordnung erfolgt. Praktikable Ansätze können im Bereich der Filmrechte hier gegebenenfalls bereits etwas Licht in das Dunkel der Rechtefülle bringen. Auch führt der Gesetzgeber immer stärker den Grundsatz der Wesentlichkeit in das Steuerrecht ein, macht diesen aber bisher an der Höhe des Werts eines Wirtschaftsguts fest (§ 6 Abs. 2 EStG, § 5 Abs. 5 Satz 2 EStG). So wird beispielsweise § 6 Abs. 2 EStG als eine Vereinfachungsnorm im Rahmen der Bewertung von Wirtschaftsgütern angesehen, die auch Ausfluss des handelsrechtlichen Gedankens der Wesentlichkeit ist.108 Überlegenswert könnte sein, diesen Grundsatz auch auf die Bilanzierung von (zivil-) rechtlich abgesicherten Vorteilen im Rahmen von 108 Dreixler in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6 EStG, Rz. 1000.

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Dauerschuldverhältnissen zu übertragen und aus Wesentlichkeitsgesichtspunkten die Abspaltung und eine vom Stammrecht abweichenden Zuordnung einzelner Nutzungsrechte nur zurückhaltend anzunehmen. Sollte bei vom Stammrecht abgespaltenen, ausschließlichen Nutzungsrechten eine Betrachtung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten dennoch dazu führen, dass das „abgespaltene“ Nutzungsrecht eine vom Stammrecht losgelöste, eigenständige bilanzielle Betrachtung erfordert, ist die Einordnung entsprechender Filmlizenzverträge als Dauerschuldverhältnis oder als Erwerbsvorgang näher zu prüfen. Denn auch wenn der BFH abstrakt jedes schuldrechtliche Recht als immaterielles Wirtschaftsgut ansieht, ist im Hinblick auf die BFH-Rechtsprechung eine andere Zuordnung dieser Rechte als die zu ihrem Stammrecht nur für durch einen Erwerbsvorgang dem Rechteinhaber zugeflossener Rechte anzunehmen. Einer wirtschaftlichen Betrachtung folgend scheint Vieles dafür zu sprechen, dass sich Nutzungsrechte erst dann vollständig von ihrem Stammrecht gelöst haben, wenn sie Teil eines Erwerbsvorgangs geworden sind. Im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen bleiben die Nutzungsrechte mit dem Stammrecht so eng verknüpft, dass eine vom Stammrecht abweichende bilanzielle Zuordnung und damit eine Zergliederung der Rechte vermieden werden sollte. So hat beispielsweise das FG Köln – unter dem Gedanken des Vorliegens eines „schwebenden Geschäfts“ – ausgeführt, dass sich die Frage, ob das „wirtschaftliche Eigentum“ übertragen wurde, nach dem Rechtecharakter des Überlassungsvertrags entscheidet, nämlich ob es sich insoweit um einen Rechtekauf oder um einen Lizenzvertrag handelt.109 Auch der BFH scheint bei vertraglichen Überlassungsverhältnissen auf das Vorliegen eines Nutzungsüberlassungsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis abzustellen und eine Zersplitterung von Rechten nur beim Rechtekauf – wenn überhaupt – in Betracht zu ziehen. Bei Nutzungsüberlassungsverhältnissen scheint er eine vom Stammrecht ab109 FG Köln v. 11.9.2019 – 3 K 2193/17 (Vorinstanz zu BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, FR 2022, 941), juris, Rz. 191 wohl unter dem Gedanken eines „schwebenden Geschäfts“, wobei die Prüfungsreihenfolge des § 39 AO unter der Frage des Nichtansatzes eines schwebenden Geschäfts ungewöhnlich anmutet. Denklogisch müsste zunächst geklärt werden, wem das Wirtschaftsgut zuzurechnen ist. Erst im Anschluss ist zu prüfen, ob auch ein Ansatz in der Bilanz erfolgt. Hierzu auch Adrian in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Rz. 3186 m.w.N.

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weichende Zuordnung eines Nutzungsrechts nicht zu prüfen. Er stellt in diesen Fällen vielmehr allein auf das Stammrecht ab und kommt zu dem Ergebnis, dass ein schuldrechtlich oder dinglich Nutzungsberechtigter in der Regel den zivilrechtlichen Rechteinhaber nicht vollständig und rechtssicher für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut ausschließen könne. Dem zivilrechtlich Berechtigten verbleibt nicht lediglich eine „leere Eigentumshülle“. Das Wirtschaftsgut (mit allen seinen Nutzungsrechten) wird mithin nach der Grundregel des § 39 Abs. 1 AO ihm zugerechnet.110 Entscheidend ist daher, ob im konkret zu beurteilenden Einzelfall ein Kaufvertrag oder ein Dauerschuldverhältnis vorliegt. Dabei wird in der einschlägigen Literatur teilweise bereits sprachlich zwischen dem Verkauf und der Lizenzierung der Filmrechte unterschieden.111 Ob Dörfler jedoch mit dieser Unterscheidung jeden Lizenzvertrag als Dauerschuldverhältnis ansehen möchte, ist nicht klar erkennbar. Knap lehnt bereits aus dem Wesen einer Lizenz das Vorliegen einer Rechteübertragung mittels eines Lizenzvertrags ab.112 cc) Abgrenzung des Kaufvertrags vom Dauerschuldverhältnis Die Frage, ob Nutzungsrechte im Rahmen von Filmverwertungsverträgen vom Lizenznehmer erworben oder lediglich zur Nutzung überlassen worden sind, ist nicht nach den von den Vertragspartnern verwendeten Rechtsbegriffen, sondern nach dem Gesamtinhalt der Vereinbarung zu beantworten. Dem Lizenznehmer muss bei einem Kaufvertrag das unbeschränkte Verfügungsrecht über das lizenzierte Recht eingeräumt worden sein. Für die Auslegung des Vertrags als Rechtekauf oder als Lizenzgewährung ist dabei eine wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgebend.113 (1) Übergang von Chancen und Risiken Die von der Rechtsprechung im Rahmen der wirtschaftlichen Betrachtung des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO herausgearbeitete Prüfung eines

110 BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, BStBl. II 2022, 832 = FR 2022, 941, juris, Rz. 34; v. 28.5.2015 – IV R 3/13, juris, Rz. 21; v. 2.6.2016 – IV R 23/13, Rz. 31 m.w.N. 111 Dörfler in Schwarz, Handbuch Filmrecht6, Kap. 296, Rz. 1. 112 Knap, GRUR Int 1973, 226 f. 113 FG Köln v. 11.9.2019 – 3 K 2193/17 (Vorinstanz zu BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, FR 2022, 941), juris, Rz. 192.

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Übergangs von Chancen und Risiken steht im Bereich der Filmverwertungsrechte vor der praktischen Herausforderung, dass im Zeitpunkt des Abschlusses des Lizenzvertrags eine Bestimmung des Marktwerts der Filmrechte nach Ablauf der vertraglich festgelegten Lizenzlaufzeit so gut wie überhaupt nicht möglich ist. Die Rechtsprechung führt hierzu anschaulich aus, dass sich in Anbetracht des „zeitgeistbehafteten Filmkunstgeschmacks des Publikums“ der „Restwert“ des Nutzungsrechts an einem Film nicht vorhersehen lasse, insbesondere nicht bei längerer Laufzeit des Filmverwertungsvertrags. Daher lasse sich im Zeitpunkt des Abschlusses eines Filmverwertungsvertrags auch nicht vorhersagen, bei wem letztlich die Chancen und Risiken liegen. Welche Marktgängigkeit der Film und damit die Filmrechte zum Zeitpunkt der Beendigung der Vertragslaufzeit haben werden, welche realistischen Verwertungschancen z.B. im Bereich Kino, Fernsehen, DVD, BD oder 4k noch bestehen werden und welche Erlöse noch voraussichtlich zu erzielen sein werden, lässt sich nicht zuverlässig einschätzen. Dass auch ältere Filmproduktionen verwertbare Rechte enthalten, zeigen für das FG München beispielsweise bereits die täglichen Fernsehprogramme.114 Daher dürfte bei der gebotenen Gesamtbetrachtung in jedem Einzelfall und bei der Frage, inwieweit sich der Filmhersteller noch rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten auf die Verwertung vorbehalten hat und inwieweit Chancen und Risiken – insbesondere die Wertsteigerungschancen und die Wertminderungsrisiken – vertraglich verteilt worden sind, eine vom zivilrechtlichen Rechteinhaber abweichende wirtschaftliche Zuordnung zum Nutzungsberechtigten nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Auch aus einer späteren Kaufoption können keine Rückschlüsse gezogen werden.115 (2) Das „Wesen“ eines Lizenzvertrags Einen anderen Anknüpfungspunkt stellt der Blick auf das „Wesen“ eines Lizenzvertrags dar. Ein Nutzungsverhältnis – wie vorliegend der Lizenzvertrag über die Filmrechte – gewährt dem Berechtigten einen Anspruch auf Fruchtziehung aus einem Recht, dessen Inhaber er nicht 114 FG München v. 13.12.2000 – 1 K 5389/98, juris, Rz. 22; FG Köln v. 11.9.2019 – 3 K 2193/17 (Vorinstanz zu BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, FR 2022, 941), juris, Rz. 209 f. 115 FG Köln v. 11.9.2019 – 3 K 2193/17 (Vorinstanz zu BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, FR 2022, 941), juris, Rz. 209 f. mit Verweis auf Wassermeyer, DB 2010, 354 (356 f. sowie Rz. 219).

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ist.116 Durch das mittels Lizenzvertrag eingeräumte Nutzungsrecht soll der Lizenznehmer an der Verwertung des dem Vertrag zugrundeliegenden immateriellen Wirtschaftsguts teilnehmen können.117 Der Filmlizenzvertrag wird rechtlich als ein urheberrechtlicher Nutzungsvertrag eigener Art qualifiziert, der je nach Ausgestaltung Elemente des Gesellschaftsvertrags, des Werkvertrags, des Werklieferungsvertrags, des Pachtvertrags, des Mietvertrags und des Kaufvertrags enthält. Der Charakter des Vertrags richtet sich nach der jeweils vorgesehenen Auswertung des Films. Teilweise wird als für die Bilanzierung von Bedeutung angesehen, dass ein Lizenzverhältnis einem Pachtverhältnis ähnlich ist.118 Hierfür dürfte zum einen der bereits genannte Zweck der Teilhabe an der Fruchtziehung sprechen, zum anderen dürfte der Lizenzgeber in den meisten Fällen während der Vertragslaufzeit ein Interesse an der Art und Weise der Ausübung des Nutzungsrechts durch den Lizenznehmer haben. Eine Weiterübertragung des Lizenzrechts oder die Einräumung von Sublizenzen dürften i.d.R. der Einwilligung seitens des Lizenzgebers bedürfen.119 Derartige Beschränkungen könnten gegen die Vergleichbarkeit mit einem Kaufvertrag sprechen. Der Lizenzvertrag wird daher i.d.R. nicht als Rechtekauf, sondern als ein Dauerschuldverhältnis angesehen, weil er die Vertragspartner während der Dauer des Vertrags zu gegenseitigen Leistungen verpflichtet: Der Lizenzgeber muss vor allem die Nutzung des Lizenzgegenstands ermöglichen. Der Lizenznehmer ist zu Entgeltzahlungen verpflichtet.120 Ein in allen Fällen trennscharfes Unterscheidungskriterium lässt sich aus dem „Wesen“ des Lizenzvertrags jedoch nicht ableiten. (3) Keine Rückschlüsse aus der Zahlungsweise Auch die Zahlungsweise ist für die rechtliche Beurteilung ohne Belang. Die Zahlung kann einmalig oder auch laufend erfolgen. Aus ihr können keine Rückschlüsse zur Rechtsnatur des Überlassungsverhältnisses ge116 Kußmaul/Ollinger, StuW 2011, 282 (283). 117 Knap, GRUR Int 1973, 226, 228. 118 Schwarz in Schwarz, Handbuch Filmrecht6, Kap. 168, Rz. 1; von Wallis in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG, Rz. 1201. Zum Lizenzvertrag allgemein als „Vertrag eigener Art“ Adrian in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Rz. 3206 ff. 119 So auch Knap, GRUR Int 1973, 226, 228. 120 von Wallis in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG, Rz. 1205.

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zogen werden.121 Einmalzahlungen und Vorauszahlungen in Dauerschuldverhältnissen sind i.d.R. bereits wegen des Bilanzierungsverbots für schwebende Geschäfte nicht als Wirtschaftsgut, sondern unter den dafür geltenden Voraussetzungen im Rahmen eines Rechnungsabgrenzungspostens bilanziell abzubilden.122 Einer Einordnung als Dauerschuldverhältnis steht es auch nicht entgegen, wenn als Zahlung von den Vertragsparteien ausdrücklich ein Kaufpreis vereinbart wird.123 Teilweise wird für die Abgrenzung eines Nutzungsverhältnisses zu einem Rechtekauf danach gefragt, ob im Rahmen des Lizenzvertrags das Nutzungsentgelt für die Übertragung des Rechts oder für seine Nutzungsmöglichkeit gezahlt wird. Dabei wird ein abstrakter Bilanzposten „Nutzungsrecht“ in den Fällen angenommen, in denen das Entgelt nicht für die laufenden Nutzungen, sondern wegen der Zuweisung des Vergütungsrisikos an den Nutzungsberechtigten gerade für das Nutzungsrecht zu leisten ist. Entscheidend sei dabei, ob die Leistungen bei vorzeitiger Beendigung der Nutzungsmöglichkeit (z.B. Zerstörung des zu nutzenden Wirtschaftsguts) weiterhin zu erbringen sind. Ein Entgelt für das Nutzungsrecht liegt vor, wenn die Leistung auch dann weiter zu erbringen ist, wenn die Nutzungsmöglichkeit künftig nicht mehr gegeben ist. Sollte das nicht der Fall sein, liegt ein Entgelt für die Nutzung vor und ein Bilanzposten „Nutzungsrecht“ sei nicht zu bilden.124 (4) Zeitliche Beschränkung der Nutzungsüberlassung Bei der Abgrenzung eines Nutzungsverhältnisses zu einem Erwerbsvorgang spielt in der Rechtsprechung vor allem die zeitliche Beschränkung der Nutzung eine erhebliche Rolle. Es wird darauf abgestellt, ob die Überlassung eines Rechts für immer oder auf Zeit erfolgt und ob die Parteien bei einer zeitlichen Begrenzung damit rechnen, dass das Recht nach Ablauf der Vertragslaufzeit noch werthaltig ist. In den Fällen, in denen das Nutzungsrecht nach Ablauf des Vertrags wertlos ist oder von 121 So wohl auch Kußmaul/Ollinger, StuW 2011, 282 (289), die darauf hinweisen, dass die Grenze zwischen in Raten geleisteten und laufenden Entgelten fließend ist. 122 Anzinger in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG, Rz. 1787 unter dem Gesichtspunkt des schwebenden Geschäfts. 123 BFH v. 25.10.1994 – VIII R 65/91, BStBl. II 1995, 312 = FR 1995, 408, juris, Rz. 14 für einen Pachtvertrag über das Ausbeuterecht von Bodenschätzen. 124 Abgrenzung bei Kraft/Hohage, DStR 2017, 62 (64) und Kußmaul/Ollinger, StuW 2011, 282 (289) im Rahmen von Aktivierungsverboten.

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vornherein für immer überlassen wird, liegt ein Rechtekauf vor. Entscheidend ist mithin eine endgültige Übertragung des Nutzungsrechts. In diesem Fall ist die rechtsförmliche Nutzungsüberlassung wirtschaftlich eine Veräußerung des Schutzrechts125 und das Nutzungsrecht als immaterielles Wirtschaftsgut unabhängig von der zivilrechtlichen Rechteinhaberschaft des Stammrechts dem Nutzungsberechtigten wirtschaftlich nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO zuzurechnen. Während bei einem Rechtekauf das Recht voll oder wenigstens im wesentlichen Umfang und endgültig übergeht, ist bei einem Lizenzvertrag grundsätzlich nur die Verwertung oder Nutzung des Rechts gestattet. Das Recht selbst wird nicht übertragen. Wirtschaftlich wird ein Veräußerungsgeschäft i.S. eines Rechtekaufs dann angenommen, wenn das Schutzrecht für die gesamte Schutzdauer exklusiv überlassen wird, so dass bei Vertragsablauf nichts mehr zurückzugeben ist.126 Teilweise wird vom BFH aber auch bei vollständigem Verbrauch der Nutzungsrechte allein auf die Rechtsnatur des schuldrechtlichen Vertrags abgestellt und ein Nutzungsverhältnis als Dauerschuldverhältnis auch dann angenommen, wenn das Nutzungsrecht das gesamte ihm zugrundeliegende Wirtschaftsgut aufbraucht.127 Unerheblich für die Beurteilung eines Dauerschuldverhältnisses ist es nach der Rechtsprechung zudem auch, ob das Nutzungsrecht durch eine beschränkt persönliche Dienstbarkeit gesichert ist128 oder ob das Nutzungsrecht durch Aufspaltung des Leistungsschutzrechts oder erst durch den Lizenzvertrag nach Art eines das Leistungsschutzrecht belastenden dinglichen Rechts entsteht.129 Im Bereich der Filmrechte wird aufgrund der zeitlichen Beschränkung der Nutzung beispielsweise bei Erwerb einer unbeschränkten (unbestimmten) Anzahl von Ausstrahlungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums der Erwerb eines schlichten Nutzungsrechts mit einer beschränkten Rechtsposition gesehen. Nach dem Ablauf der Lizenzzeit 125 FG Köln v. 11.9.2019 – 3 K 2193/17 (Vorinstanz zu BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, FR 2022, 941), juris, Rz. 194 f. 126 von Wallis in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG, Rz. 1202. 127 BFH v. 25.10.1994 – VIII R 65/91, BStBl. II 1995, 312 = FR 1995, 408, juris, Rz. 14, der auf das Pachtverhältnis abstellt auch „wenn das Ausbeuterecht das gesamte Mineralvorkommen erfasst“. 128 BFH v. 25.10.1994 – VIII R 65/91, BStBl. II 1995, 312 = FR 1995, 408, juris, Rz. 14. 129 BFH v. 27.2.1976 – III R 64/74, BStBl. II 1976, 529, juris, Rz. 14 zum Verlagsrecht.

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stehen dem Lizenzgeber die vollen Verwertungsrechte wieder zu. Die vom Lizenznehmer geleisteten Zahlungen für das Verwertungsrecht sind als Aufwand zu behandeln, der über die Laufzeit des Vertrags als aktiver Rechnungsabgrenzungsposten (§ 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG) abzugrenzen ist.130 So geht auch Brehm hier aufgrund der in der Praxis üblichen lediglich begrenzten Rechteeinräumung und der zeitlichen Befristung von einer Rechtspacht i.S.d. § 581 BGB aus.131 Auch Schwarz sieht einen Lizenzvertrag, der insbesondere mit einer zeitlichen Befristung verbunden ist und laufende Zahlungspflichten vorsieht, dem Rechtsverhältnis einer Rechtspacht angenähert (§ 581 BGB).132 Ein Erwerbsvorgang würde nur dann vorliegen, wenn der Lizenzvertrag zivilrechtlich auf immerwährende Übertragung oder Begründung eines dinglichen Rechts gerichtet wäre oder wenn sich das Nutzungsrecht während der Nutzungsdauer durch den Lizenznehmer in seinem wirtschaftlichen Wert vollständig erschöpfen würde. Sollte der Filmlizenzvertrag das ausschließliche Nutzungsrecht nicht mindestens 50 Jahre auf den Lizenznehmer unwiderruflich übertragen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Lizenzvertrag nach seinem wirtschaftlichen Gehalt ein kaufähnlicher Vertrag ist.133 Neben der unbeschränkten ausschließlichen Nutzungsüberlassung ist damit auch die Unentziehbarkeit dieser Rechtsposition durch den Lizenzgeber für eine vom Stammrecht abweichende Zuordnung erforderlich. Sollte dem Lizenzgeber eine Rückholmöglichkeit seiner Rechte vertraglich verbleiben, kann der Vertrag wirtschaftlich einem Rechtekauf ebenfalls nicht gleichgesetzt werden.

130 So Dörfler in Schwarz, Handbuch Filmrecht6, Kap. 295, Rz. 13, jedoch unter dem Gesichtspunkt der Nichtaktivierung schwebender Geschäfte. 131 Brehm, Filmrecht2, S. 259. 132 Schwarz in Schwarz, Handbuch Filmrecht6, Kap. 168, Rz. 4. 133 So BFH v. 27.2.1976 – III R 64/74, BStBl. II 1976, 529, juris, Rz. 14 zum Verlagsrecht. FG Köln v. 11.9.2019 – 3 K 2193/17 (Vorinstanz zu BFH IV R 32/19), juris, Rz. 195; von Wallis in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG, Rz. 1202 zur Abgrenzung des Lizenzvertrags zum Rechtekauf; Kußmaul/Ollinger, StuW 2011, 282 (291 m.w.N.) unter dem Gesichtspunkt des schwebenden Geschäfts: Unbefristete Nutzungsüberlassungen sind keine schwebenden Geschäfte, da das Nutzungsrecht letztendlich übertragen wurde.

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(5) Die Zuordnung von Nutzungsrechten im Rahmen von Filmverwertungsverträgen In der Praxis dürften zeitlich unbeschränkte Nutzungsübertragungen bei Filmverwertungsverträgen eher eine Seltenheit sein. Soweit die zeitlichen Beschränkungen die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von fünfzig Jahren unterschreiten, ist der Lizenzvertrag als Dauerschuldverhältnis zu qualifizieren. Soweit ein Nutzungsverhältnis vorliegt, hat der BFH einer Aufsplitterung eines Lizenzvertrags in eine Vielzahl von Einzelleistungen eine Absage erteilt. Aufgrund der im Steuerrecht gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung sei auch bei Verpflichtungen zu einer einmaligen Leistung, wie z.B. die Überlassung des Pachtgegenstands an den Pächter, auf die Dauerleistungen des Gesamtvertrags abzustellen. So wird beispielsweise bei einem Pachtvertrag der Vertragscharakter nicht durch die Einräumung des Nutzungsrechts, sondern durch die Berechtigung zur Ausübung dieses Rechts während der Vertragsdauer bestimmt (vgl. § 581 i.V.m. § 100 BGB).134 Übertragen auf die vorliegend relevanten Nutzungsrechte an einem Film steht während der gesamten Lizenzvertragslaufzeit beispielsweise dem Recht zur Verbreitung des Films auf der einen Seite unmittelbar die Verpflichtung zur Duldung der Verbreitung gegenüber und die Filmverwertungsverträge sind als Dauerschuldverhältnis einzuordnen. d) Zwischenergebnis der Autorin Albrecht und „Sondervotum“ des Mitautors Anzinger Soweit in der Praxis durch zeitliche Beschränkungen unterhalb der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer der Filmverwertungsrechte ein Dauerschuldverhältnis vorliegt, bedarf es keiner separaten bilanziellen Betrachtung etwaiger „abgespaltener“ Nutzungsrechte. Ihre Zuordnung erfolgt beim Inhaber des Stammrechts. Daher erscheint die Verlautbarung der Finanzverwaltung, die allein das Stammrecht für Zuordnungsfragen in den Blick nimmt,135 auch über ihren Regelungsbereich der Medienfonds hinausgehend für diese Praxis ausreichend. Auch der BFH scheint zu einem ausschließlichen Blick auf das Stammrecht zu neigen und schließt daraus allein, dass in den Fällen, in denen die Einräumung der Verwertungsrechte keinen zivilrechtlichen Eigen134 BFH v. 27.2.1976 – III R 64/74, BStBl. II 1976, 529, juris, Rz. 9 ff. 135 BMF v. 23.2.2001 – IV A 6 - S 2241 – 8/01, BStBl. I 2001, 175, Rz. 50 ff.

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tumsübergang bewirkt haben, der Lizenznehmer auch kein „wirtschaftliches Eigentum“ (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO) erworben hat.136 Bei einer zeitlich begrenzten Überlassung von Filmverwertungsrechten dürfte daher eine Zuordnung einzelner Rechte beim Lizenznehmer grundsätzlich ausscheiden. Es sind aus der steuerrechtlichen Rechtsprechung keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass Überlegungen über abgespaltete Rechte und eine andere Zuordnung als die zum zivilrechtlichen Rechteinhaber des Stammrechts in die richterlichen Überlegungen einbezogen wurden. Daher liegt der Schluss zumindest nahe, dass eine Zuordnung „abgespaltener“ Filmrechte beim Lizenznehmer unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten – wenn überhaupt – dann höchstens in Ausnahmefällen in Betracht kommt.137 Ausdrückliche höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage steht jedoch noch aus. Auch die Rechtsprechung des BFH zur Zuordnung von Nutzungsrechten im Rahmen des § 50a EStG erscheint aus dem Gesichtspunkt der vorliegend dargestellten wirtschaftlichen Betrachtungsweise konsequent und richtig. Daher kann auch die Kritik hieran nicht überzeugen, die die Möglichkeit der Vervielfältigung selbständiger Nutzungsrechte durch gestufte Abspaltungen als nicht ausreichend berücksichtigt ansieht.138 Vielmehr sieht die Rechtsprechung im Rahmen des § 50a EStG die Vergabe von Filmverwertungsrechten zurecht als eine zeitlich begrenzte Überlassung von Nutzungsrechten an, die mit dem Ende der Laufzeit der Lizenzverträge an die Lizenzgeber zurückfallen, und grenzt diese – wie auch vorliegend geschehen – zu einer endgültigen Rechteüberlassung ab. Als weitergehender Gedanke, der von der Finanzverwaltung im bilanziellen Bereich jedoch nicht übernommen worden ist, sieht der BFH hier selbst bei einem sog. „total buy out“ (zeitlich unbeschränkte Einräumung eines sachlich unbeschränkten Verfügungsrechts) aufgrund der weiteren Beteiligung des Urhebers nach § 32a UrhG keine Veräußerung der Rechte, sondern ein Nutzungsüberlassungsverhältnis. Wobei sich auch der BFH für den Bereich des § 50a EStG klar von der bilanziellen Erfassung von Nutzungsrechten und Nutzungsmöglichkeiten distanziert, „die eine Abspaltung von Nutzungsrechten (mit der Qualifizie-

136 BFH v. 7.12.2017 – IV R 23/14, BStBl. II 2018, 444 = FR 2019, 448, juris, Rz. 46; v. 7.12.2017 – IV R 37/16; BFH/NV 2018, 440, juris, Rz. 48. 137 Zu diesem Schluss kommt auch FG Köln v. 11.9.2019 – 3 K 2193/17 (Vorinstanz zu BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, FR 2022, 941), juris, Rz. 231 f. nach Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in diesem Bereich. 138 Anzinger in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG, Rz. 1787.

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rung des Entgelts als ‚Erwerbsentgelt‘) und ‚Stammrecht‘ nahelegen“.139 Sollte man der hier vorgeschlagenen Zuordnung von Nutzungsrechten im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen nicht folgen und eine Zuordnung der Nutzungsrechte beim Nutzungsberechtigten bejahen, geht damit jedoch noch nicht zwangsläufig der Ausweis eines „abgespaltenen“ Nutzungsrechts in dessen Bilanz einher. Dieser letzten Aussage kann der Mitautor Anzinger zustimmen und mag doch auf einen verdeckten Dissens der Autoren hinweisen. Mit dem weiten Verständnis des Wirtschaftsgutsbegriffs der Rechtsprechung, das Nutzungsrechte ebenso wie Nutzungsmöglichkeiten umfassen kann, solange sie nur im Verkehr einer selbständigen Bewertung zugänglich und mit dem Betrieb übertragen werden können, erscheint dem Mitautor Anzinger in der Vielfalt der Sachverhaltsgestaltungen, gerade bei der Lizenzierung von Filmrechten, die Qualifikation von im Rahmen von Lizenzverträgen eingeräumten Nutzungsrechten, unabhängig von ihrer Befristung und Einbettung in ein Dauerschuldverhältnis, in größerem Umfang möglich als der Autorin Albrecht. Gemeinsam tragen die Autoren aber die entwickelten Aktivierungshindernisse und Zuordnungsmaßstäbe. Aus dem Wesentlichkeitsgrundsatz lässt sich zwar kein allgemeines Aktivierungsverbot für abgespaltene Nutzungsrechte ableiten, er kann aber nach den allgemeinen Maßstäben begrenzend wirken. Zu diesen Maßstäben zählt insbesondere das Bilanzierungsverbot für schwebende Geschäfte. Es rechtfertigt sich auch aus dem Wesentlichkeitsgrundsatz und verhindert in Dauerschuldverhältnissen die Aktivierung abgespaltener Nutzungsrechte beim (Unter-)Lizenznehmer selbst dann, wenn sie als Wirtschaftsgut zu qualifizieren sind140. Zu erinnern ist auch an die überzeugende Überlegung, aus dem Wesentlichkeitsgrundsatz ein Gebot der einheitlichen Zuordnung abzuleiten, die freilich wiederum nur im Rahmen der allgemeinen Wesentlichkeitsmaßstäbe gelten kann und keine generell einheitliche Zuordnung zu rechtfertigen vermag. Damit bleiben Fälle denkbar, in denen Lizenzüberlassungen beim Lizenznehmer Nutzungsrechte darstellen, die als ein Wirtschaftsgut abstrakt aktivierungsfähig sind und zugleich keinem Aktivierungsverbot unterliegen und dem Lizenznehmer im Ergebnis auch subjektiv zuzuordnen sein können.

139 BFH v. 24.10.2018 – I R 69/16, BStBl. II 2019, 401 = FR 2020, 1014 = GmbHR 2019, 616, juris, Rz. 20 ff. (Zitat aus Rz. 23). 140 Anzinger in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG, Rz. 1787.

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4. Ergebnis Für die bilanzielle Behandlung von Nutzungsrechten im Rahmen von Filmverwertungsverträgen ist die Abgrenzung zwischen einem Nutzungsüberlassungsverhältnis und einem Erwerbsvorgang (Rechtekauf) entscheidend. Im Ergebnis spielt es bilanziell dabei keine Rolle, ob man beim Vorliegen eines Nutzungsüberlassungsverhältnisses bereits die Wirtschaftsguteigenschaft verneint, eine gegenüber dem Stammrecht abweichende Zuordnung ausschließt oder aufgrund eines schwebenden Geschäfts die Aktivierbarkeit der Nutzungsrechte in der Bilanz verneint. In allen Fällen erfolgt bilanziell die Erfassung einer im Voraus gezahlten Lizenzgebühr über einen Rechnungsabgrenzungsposten, der linear über die Vertragslaufzeit aufzulösen ist. Selbst bei Störungen im Schwebezustand dürften allenfalls Verbindlichkeiten beim Lizenznehmer zu bilanzieren sein. Lenkt man den Blick weg vom Bilanz(steuer)recht, so hat die Abgrenzung zwischen einem Nutzungsüberlassungsverhältnis und einem Erwerbsvorgang – unabhängig davon, an welcher Stelle sie erfolgt – Bedeutung im Rahmen des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG. Ebenso erfolgt eine teilweise gewerbesteuerliche Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 Buchst. f GewStG nur bei Aufwendungen für die zeitlich befristete Überlassung von Rechten. Geht man von einem Erwerbsvorgang aus, ist weder § 50a EStG noch § 8 GewStG einschlägig. Die Thematik bleibt daher vor allem im außerbilanziellen Bereich weiterhin praxisrelevant. Bilanziell führen viele Wege nach Rom oder im vorliegenden Fall zu einer Nichtaktivierung eines Nutzungsrechts am Film in der Steuerbilanz.

IV. Zuordnung von Software Nach einem ausführlichen Überblick über die Zuordnung von Nutzungsrechten im Rahmen von Filmverwertungsverträgen soll in diesem Abschnitt die Zuordnung der Wirtschaftsgüter im Bereich von Software kurz dargestellt werden. Hier gibt es zwar keine aktuell zu besprechende höchstrichterliche Rechtsprechung, aber durchaus neue technische Entwicklungen und ähnlich gelagerte Fragestellungen, wie sie bei den Filmrechten dargestellt worden sind.

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1. Arten von Software und ihre Wirtschaftsguteigenschaft Im BMF-Schreiben v. 22.2.2022141 definiert die Finanzverwaltung als Software im Sinne ihres Schreibens jede Betriebs- und Anwendersoftware zur Dateneingabe und -verarbeitung. Hierzu zählen auch die nicht technisch-physikalischen Anwenderprogramme eines Systems zur Datenverarbeitung, sowie neben Standardanwendungen auch auf den individuellen Nutzer abgestimmte Anwendungen wie ERP-Software (Enterprise Resource Planning Software), Software für Warenwirtschaftssysteme oder sonstige Anwendungssoftware zur Unternehmensverwaltung oder Prozesssteuerung. a) Die einzelne Software Im Ergebnis ergibt sich für Software folgende Unterteilung:

Bei Firmware steht das materielle Wirtschaftsgut im Vordergrund und die Software steht im unmittelbaren Zusammenhang mit diesem (z.B. Steuerungssoftware für eine Maschine). Daher wird davon ausgegangen, dass auch ihr immaterieller Wert unmittelbar mit dem materiellen Wirtschaftsgut zusammenhängt und das materielle Wirtschaftsgut wirtschaftlich im Vordergrund steht.142 Aus diesem Grund wird Firmware nicht selbständig bilanziert, sondern ihrem materiellen Wirtschaftsgut zugeordnet.

141 BMF v. 22.2.2022 – IV C 3 - S 2190/21/10002 :25 – DOK 2022/0186479, BStBl. I 2022, 187, Rz. 5. 142 Adrian in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Rz. 3147.

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Demgegenüber stellen Systemsoftware und Anwendungssoftware keine Einheit mit der mit ihnen „verbundenen“ Hardware dar. Software und Hardware bilden hier selbständige Wirtschaftsgüter, da beides getrennt voneinander verkehrsfähig ist.143 Dabei besteht in der Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, dass sowohl Systemsoftware als auch Anwendersoftware (Individual- und Standardsoftware) bilanzsteuerrechtlich grundsätzlich ein immaterielles Wirtschaftsgut darstellen.144 Im Jahr 2011 hat der BFH ausdrücklich festgestellt, dass er an seiner bilanziellen Einordnung auch weiterhin festhalte. Er sehe im Hinblick auf die Entwicklung der Informationstechnologie oder die zunehmende Bedeutung und Verfügbarkeit von Software keinen Anlass, von althergebrachten bilanziellen Grundsätzen abzuweichen.145 Soweit Software auch heute noch auf einem Datenträger erworben wird, handelt es sich – wie auch bei den zuvor betrachteten Filmen – um ein einheitliches Wirtschaftsgut, das sich aus materiellen und immateriellen Komponenten zusammensetzt. Ob es sich in diesem Fall um ein materielles oder immaterielles Wirtschaftsgut handelt, entscheidet die im Vordergrund stehende wirtschaftliche Bedeutung. Dabei ist darauf abzustellen, „ob es dem Erwerber überwiegend auf den materiellen oder den immateriellen Gehalt ankommt, ob der Verkörperung eine eigenständige Bedeutung zukommt oder sie lediglich als ‚Träger‘ den immateriellen Gehalt festhalten soll“,146 welches Element – der geistige Inhalt

143 So bereits BFH v. 3.7.1987 – III R 147/86, BStBl. II 1987, 787 = FR 1987, 530, juris, Rz. 10. 144 BFH v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2011, 956 m. Anm. Anzinger, juris, Rz. 17 f.; v. 30.10.2008 – III R 82/06, BStBl. II 2009, 421 = FR 2009, 638, juris, Rz. 15; v. 3.7.1987 – III R 7/86, BStBl. II 1987, 728 = FR 1987, 477, juris, Rz. 21; v. 3.7.1987 – III R 147/86, BStBl. II 1987, 787 = FR 1987, 530, juris, Rz. 11. Siehe hierzu auch Anzinger/Linn, StbJb. 2017/2018, 353 (375 ff.). Zum Domain-Namen als abnutzbares immaterielles Wirtschaftsgut siehe ausführlich BFH v. 19.10.2006 – III R 6/05, BStBl. II 2007, 301 = FR 2007, 695 m. Anm. Kanzler, juris, Rz. 18 ff. 145 BFH v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2011, 956 m. Anm. Anzinger, juris, Rz. 19. 146 BFH v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2011, 956 m. Anm. Anzinger, juris, Rz. 16; v. 30.10.2008 – III R 82/06, BStBl. II 2009, 421, juris, Rz. 16 f.; v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2009, 638, juris, Rz. 16.

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oder die körperliche Substanz – in seiner wirtschaftlichen Bedeutung überwiegt147. Für Standardsoftware wird bei dieser Abwägung teilweise eine Parallele zu Büchern und Tonträgern gezogen und hieraus abgeleitet, dass durch das Festhalten geistiger Inhalte auf einem materiellen Gegenstand und dessen Vervielfältigung eine Umwandlung stattfinde und die immaterielle Eigenschaft infolge der Häufigkeit der Materialisierung untergehe. Daher könnte sie als materielles Wirtschaftsgut oder als Ware angesehen werden.148 Diesem durchaus überlegenswerten Gedanken ist die Rechtsprechung mit einer mehr formalen Sichtweise ausdrücklich entgegengetreten und stellt klar, dass auch dann, wenn es sich um Standardsoftware handele, die in unveränderter Weise vervielfältigt und ohne Anpassungen an etwaige individuelle Bedürfnisse des Anwenders vertrieben wird, die Vervielfältigung und Verbreitung und deren Häufigkeit nicht dazu führe, dass die Bedeutung der Verkörperung auf einem Datenträger den in der Software liegenden geistigen Gehalt überwiege.149 Die Tatsache, dass der BFH Standardsoftware auch dann als immaterielles Wirtschaftsgut ansieht, wenn die Software auf einem Datenträger gespeichert wird, wird in der Literatur als sachgerecht und den neueren Entwicklungen hin zu direktem Download entsprechend angesehen.150 Die weit überwiegende Meinung sieht mit der Rechtsprechung daher Computerprogramme jedweder Art auch dann, wenn sie auf einem Datenträger gespeichert und demnach aus materiellen und immateriellen Elementen zusammengesetzt sind, grundsätzlich als immaterielle Wirtschaftsgüter an.151 Das wird vor allem auf die „Unkörperlichkeit“ der Programme gestützt. Denn der Datenträger, soweit er noch bei der Veräußerung von Software übergeben wird, dient dazu, die Software zu transportieren und in einen Computer zu übertragen. Eine weitere 147 Hruschka, DStR 2003, 1559 (1561 m.w.N.) zu Filmrechten und der Filmrolle. 148 Hierzu BFH v. 30.10.2008 – III R 82/06, BStBl. II 2009, 421 = FR 2009, 638, juris, Rz. 18. 149 BFH v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2011, 956 m. Anm. Anzinger, juris, Rz. 23. 150 Adrian in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Rz. 3146. 151 BFH v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2011, 956 m. Anm. Anzinger, juris, Rz. 17 f.; Amtliches Einkommensteuer-Handbuch 2021, EStH 5.5 mit Bezug auf BFH v. 5.2.1988 – III R 49/83, BStBl. II 1988, 737; BeckOK EStG, Kirchhof/Kulosa/Ratschow13, Rz. 1918.

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Funktion oder einen nennenswerten wirtschaftlichen Wert besitzt er nicht. Zudem hat er noch weiter an Bedeutung verloren, seitdem es möglich ist, Software durch Herunterladen aus dem Internet zu erwerben und zu installieren. In diesen Fällen fehlt es sogar an dieser untergeordneten Funktion eines Transportbehältnisses. Auch die Tatsache, dass die Software immer auf einer Hardware gespeichert ist, ändert nichts an der untergeordneten Funktion dieser materiellen Verkörperung.152 Software wird definiert als das, was man im Gegensatz zur Hardware „nicht anfassen kann“.153 Dabei ist es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch unerheblich, ob die Software-Verträge zivilrechtlich als Kaufverträge (oder kaufrechtsähnliche Austauschverträge) zu qualifizieren sind. Gegenstand des Vertrags über die Software ist in erster Linie ein immaterielles Gut, nämlich das Programm als Werk mit geistigem Inhalt. Der Käufer will mit Abschluss des Software-Vertrags die rechtliche und wirtschaftliche Macht erlangen, das Programm als Werk mit geistigem Inhalt für seine betrieblichen Zwecke einsetzen zu können. Für dieses immaterielle Gut „Programm“ zahlt der Käufer den u.U. einen hohen Kaufpreis und nicht für die Sache „Datenträger“.154 Soweit die höchstrichterliche Zivilrechtsprechung für die Frage der Sachmängelhaftung gemäß den §§ 459 ff. BGB bei Standardprogrammen durch den Verkauf von Programmkopien auf den Datenträger mit dem darin verkörperten Programm und damit auf eine körperliche Sache abstellt, die als Instrument zur Datenverarbeitung dienen soll, wird dieses Verständnis vom BFH nicht geteilt, da ihr andere Fragestellungen zugrunde liegen.155 Auch erscheint die zivilrechtliche Rechtsprechung nicht ganz stringent, wenn zum einen darauf abgestellt wird, dass ein Fehler des Programms dem Konstruktionsfehler eines technischen Werkzeugs eher als dem Mangel einer Erfindung ähnelt. Auf der anderen Seite aber wird hervorgehoben, dass die Software zwar auf einem körperlichen Träger festgelegt ist, sein eigentlicher wirtschaftlicher Wert sich aber aus den gespeicherten Informationen und Befehlsfolgen ergibt, die als solche 152 BFH v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2011, 956 m. Anm. Anzinger, juris, Rz. 22 f. 153 BGH v. 4.11.1987 – VIII ZR 314/86, BGHZ 102, 135 = ZIP 1987, 1567, juris, Rz. 13. 154 BFH v. 3.7.1987 – III R 7/86, BStBl. II 1987, 728 = FR 1987, 477, juris, Rz. 32. 155 BFH v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2011, 956 m. Anm. Anzinger, juris, Rz. 24.

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eine geistige Leistung oder doch ein „informationelles Gut“, jedenfalls ein immaterielles Gut darstellen und Fehlfunktionen von Programmen regelmäßig nicht auf Mängeln des Datenträgers, sondern auf inhaltlichen Programmmängeln beruhen, also insofern den immateriellen Aspekt der Software betreffen.156 Im Ergebnis löst der BFH die zunächst widersprüchlich anmutenden Äußerungen des BGH dahingehend auf, dass auch der BGH ausdrücklich bei Software von einem immateriellen Gut ausgehe, die Ausführungen zu einer körperlichen Sache demgegenüber allein der Begründung dienen, warum die zumindest entsprechende Anwendung der Regeln über die Sachmängelhaftung im Zivilrecht sachgerecht sei.157 Anwenderprogramme steuern die Funktionsabläufe in einer Maschine und enthalten Anweisungen und Befehle an eine Maschine, wie sie ein Problem im Einzelnen zu lösen hat. Diese Anweisungen und Befehle an eine Maschine in einer ihr verständlichen Sprache sind das Charakteristische eines Computeranwendungsprogramms. Ein Anwendungsprogramm ist damit ein „geistiges Werkzeug“, eine Instruktion an die Maschine.158 Es ist jedoch nicht nur die höchstrichterliche Zivilrechtsprechung, die mit der „Verdinglichung“ von Standardsoftware gedanklich experimentiert. Auch der BFH selbst vergleicht im Umsatzsteuerrecht den Verkauf von Standardsoftware durch einen Händler mit dem Verkauf eines Buches durch einen Buchhändler oder dem Verkauf einer Schallplatte durch einen Musikalienhändler. Wesentliche Unterschiede sieht er hier nicht. Es sei ohne Bedeutung, auf welchem Informationsträger das Computerprogramm verkörpert ist. Entscheidend sei vielmehr, dass es verkörpert und damit nutzbar ist. Auch ein Buch sei das Ergebnis einer schöpferischen Geistestätigkeit und wird ausschließlich wegen seines geistigen Inhalts und nicht wegen seines Informationsträgers – des Papiers – gehandelt.159 Analog zur entgeltlichen Veräußerung eines Buchs oder einer Schallplatte durch einen Händler sieht er auch bei einem Verkauf von Software keine Einräumung oder Übertragung von Rechten aus dem Urheberrechtsgesetz, weist aber gleichzeitig auch auf den nicht 156 BGH v. 4.11.1987 – VIII ZR 314/86, BGHZ 102, 135 = ZIP 1987, 1567, juris, Rz. 13 und 19. 157 BFH v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2011, 956 m. Anm. Anzinger, juris, Rz. 26. 158 BFH v. 5.2.1988 – III R 49/83, BStBl. II 1988, 737, juris, Rz. 10. 159 BFH v. 28.10.2008 – IX R 22/08, BStBl. II 2009, 527 = FR 2009, 484, juris, Rz. 15.

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erforderlichen Gleichlauf zwischen der umsatzsteuerlichen Behandlung und der ertragsteuerlichen Behandlung der Software hin.160 Er zweifelte im Jahr 2008 aber daran, ob die Rechtsprechung im bilanziellen Bereich vor dem geänderten wirtschaftlichen Hintergrund überhaupt noch zeitgemäß sei.161 Im Ertragsteuerbereich sieht der BFH die Sachlage bei Büchern und Tonträgern auch weiterhin gegenüber Software als wesentlich anders an, weil der Wert und die Wertschätzung eines Buches nicht zuletzt von der Materialisierung abhängen. Hinzu tritt, dass der Erwerber eines Buchs darüber wie über jedes andere materielle Wirtschaftsgut frei verfügen, es namentlich weiter veräußern oder verschenken kann, während der Erwerb von Software regelmäßig an Lizenzvereinbarungen geknüpft ist, wie dies typisch für die immaterielle Wirtschaftsgüter darstellenden geistigen Werte (Ideen und Rechte) ist.162 Auch wenn die Einordnung der Software grundsätzlich als immaterielles Wirtschaftsgut im Ertragsteuerbereich so gut wie unbestritten ist, zeigt die kurz angerissene Diskussion die bilanziellen Herausforderungen der Zukunft. Gerade die ausschließlich darauf gerichtete Argumentation, den geistigen Inhalt von dem materiellen Datenträger abzugrenzen, erfasst den wirtschaftlichen Gehalt des Wirtschaftsguts nur unzureichend. Je mehr sich die analoge Welt in eine digitale Welt verwandelt, umso mehr drängt sich auch die Frage auf, ob eine bilanzielle Abgrenzung der materiellen von den immateriellen Wirtschaftsgütern allein anhand des Merkmals ihrer „Körperlichkeit“ noch Sinn ergibt. Hier wird im virtuellen Bereich früher oder später in eine Grundsatzdiskussion eingestiegen werden müssen, inwieweit sich das Bilanzsteuerrecht mit seinen Begriffsbestimmungen weiterentwickeln muss. Soweit die Finanzverwaltung bei Kryptowährungen von „abnutzbaren Wirtschaftsgütern materieller Art“ spricht163, ist dies ein Schritt in die richtige Richtung und weg von Fragen der Körperlichkeit in einer digitalen Welt.

160 BFH v. 13.3.1997 – V R 13/96, BStBl. II 1997, 372 = UR 1997, 229, juris, Rz. 16. 161 BFH v. 28.10.2008 – IX R 22/08, BStBl. II 2009, 527 = FR 2009, 484, juris, Rz. 16. 162 BFH v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2011, 956 m. Anm. Anzinger, juris, Rz. 37. 163 BMF v. 10.5.2022 – IV C 1 - S 2256/19/10003 :001 – DOK 2022/0493899, BStBl. I 2022, 668, Rz. 41.

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Einen ersten Schritt zu einem mehr inhaltlichen Verständnis von Körperlichkeit hat die Finanzverwaltung im Interesse einer Vereinfachung und Typisierung zumindest bei Software mit Anschaffungskosten von nicht mehr als 800 t und Trivialprogrammen unternommen und sieht diese als abnutzbare bewegliche, materielle Wirtschaftsgüter an.164 Dies wird damit begründet, dass diese Programme „wegen ihres geringen geistig-schöpferischen Gehalts und ihrer verhältnismäßig einfachen Anwendung überwiegend durch ihre Körperlichkeit geprägt sind“.165 Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung, die die Frage teilweise offen lässt,166 scheint der Auffassung der Finanzverwaltung zuzustimmen.167 Zudem werden vom BFH Datensammlungen, die keine Befehlselemente enthalten, jedenfalls dann wegen ihres fehlenden geistigen Inhalts als materielle Wirtschaftsgüter angesehen, wenn die Daten, wie etwa Zahlen oder Buchstaben, allgemein bekannt und jedermann zugänglich sind. In diesem Fall löst sich auch der BFH von einer Abgrenzung allein über die Körperlichkeit des Wirtschaftsguts, denn digitale Datensammlungen sind genauso unkörperlich wie Software.168 Sie enthalten aber keine Befehle und steuern keine Maschine. Vielmehr werden in einer Datensammlung Datenbestände gespeichert, die von der Maschine verarbeitet, z.B. sortiert, gezählt, verglichen werden sollen. In diesem Fall sieht der BFH auch im Ertragsteuerrecht die Parallele zu Büchern und verneint eine Einordnung als immaterielle Wirtschaftsgüter, soweit sie nicht unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten (z.B. als Kundenkartei oder Verlagsarchiv) als solche zu beurteilen sind.169 Die bereits dargestellte Übersicht der unterschiedlichen Arten von Software kann zusammenfassend somit wie folgt ergänzt werden:

164 Amtliches Einkommensteuer-Handbuch 2021, EStR 5.5 Abs. 1. Hierzu auch BeckOK EStG, Kirchhof/Kulosa/Ratschow13, Rz. 1920. 165 BeckOK EStG, Kirchhof/Kulosa/Ratschow13, Rz. 1919. 166 BFH v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2011, 956 m. Anm. Anzinger, juris, Rz. 21. 167 Zustimmend in BFH v. 15.6.2004 – VIII R 42/03, juris, Rz. 20. 168 BFH v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2011, 956 m. Anm. Anzinger, juris, Rz. 18; v. 5.2.1988 – III R 49/83, BStBl. II 1988, 737, juris, Rz. 11. Amtliches Einkommensteuer-Handbuch 2021, EStH 5.5 mit Bezug auf die vorgenannte BFH-Rechtsprechung. 169 BFH v. 5.2.1988 – III R 49/83, BStBl. II 1988, 737, juris, Rz. 11.

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b) Besonderheiten bei Softwarelösungen Zu Softwarelösungen hat sich die Finanzverwaltung explizit im BMFSchreiben zur bilanzsteuerrechtlichen Beurteilung von Aufwendungen zur Einführung eines betriebswirtschaftlichen Softwaresystems (ERPSoftware) geäußert.170 ERP-Software sei regelmäßig Standardsoftware und bei entgeltlichen Erwerb ein aktivierungspflichtiges immaterielles Wirtschaftsgut des Anlagevermögens. Soweit Softwarelösungen aus verschiedenen Modulen bestehen, sind die Module jeweils als eigenständige Wirtschaftsgüter anzusehen, wenn sie unabhängig voneinander nutzbar sind.171 Bei ERP-Systemen bilden i.d.R. alle Module zusammen ein einheitliches Wirtschaftsgut, da die Module in einem einheitlichen Nutzungs- und Funktionszusammenhang stehen. Dies gelte grundsätzlich auch dann, wenn die Module zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder von unterschiedlichen Softwareherstellern erworben werden. Dieser Vermutung kann der Steuerpflichtige mit dem Nachweis entgegentreten, dass die einzelnen Module selbständig nutzbar sind.172

170 BMF v. 18.11.2005 – IV B 2 - S 2172 – 37/05, BStBl. I 2005, 1025. 171 Adrian in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Rz. 3203. 172 BMF v. 18.11.2005 – IV B 2 - S 2172 – 37/05, BStBl. I 2005, 1025, Rz. 2.

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Updates und funktionale Erweiterungen der Software führen grundsätzlich nicht zu einem neuen Wirtschaftsgut und sind damit sofort abziehbare Erhaltungsaufwendungen. Ein neues Wirtschaftsgut entsteht nach Auffassung der Finanzverwaltung erst dann, wenn eine vollständige Neukonzeption der Software oder eine tiefgreifende Überarbeitung erfolgt. Indizien sind hierfür die Vergabe einer neuen Lizenz, eine tiefgreifende Funktionserweiterung der Software oder die Notwendigkeit einer Datenmigration.173 An dieser abgestimmten Auffassung hält die Finanzverwaltung trotz Aufhebung des BMF-Schreibens auch weiterhin fest, da die Aufhebung im Zusammenhang mit dem Erlass des BMF-Schreibens v. 22.2.2022174 stand, ihr jedoch keine geänderte Rechtsauffassung der Finanzverwaltung zugrunde liegt.

2. Zuordnung der Software als immaterielles Wirtschaftsgut Fragen der Zuordnung von Software in der Steuerbilanz dürften sich in der Praxis nur noch eingeschränkt stellen, da die Finanzverwaltung durch das BMF-Schreiben v. 22.2.2022175 aufgrund des „raschen technischen Fortschritts“ im Bereich der Computerhardware und der Betriebs- und Anwendersoftware eine vom Steuerpflichtigen zugrunde gelegte betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von einem Jahr nicht beanstandet. Damit können Steuerpflichtige im Bereich der Software ihre Aufwendungen sofort abziehen und die Frage ihrer Zuordnung stellt sich allein hinsichtlich des nach R 5.4 EStR zu führenden Bestandsverzeichnisses. Denn dieses ist auch für Wirtschaftsgüter zu führen, wenn sie bereits in voller Höhe abgeschrieben sind. Ausgenommen hiervon ist Software soweit sie unter die Regelung des § 6 Abs. 2 EStG für geringwertige Wirtschaftsgüter (GWG) fällt, wobei für GWGs gemäß § 6 Abs. 2 Satz 4 EStG ebenfalls ein besonderes Verzeichnis zu führen ist, soweit ihr Wert 250 t übersteigt. Inwieweit die Regelung des BMF-Schreibens v. 22.2.2022 in der Praxis rege Anwendung findet, wird die Zukunft zeigen. Es dürften sich aber weiterhin nicht unerhebliche Sachverhalte stellen, in denen die Steuerpflichtigen von einer längeren betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer ih173 BMF v. 18.11.2005 – IV B 2 - S 2172 – 37/05, BStBl. I 2005, 1025, Rz. 9 f. Hierzu auch Adrian in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Rz. 3204. 174 BMF v. 22.2.2022 – IV C 3 - S 2190/21/10002 :25 – DOK 2022/0186479, BStBl. I 2022, 187. 175 BMF v. 22.2.2022 – IV C 3 - S 2190/21/10002 :25 – DOK 2022/0186479, BStBl. I 2022, 187.

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rer Softwarelösungen ausgehen und damit weiterhin zu klären ist, wie und bei wem diese zu bilanzieren sind. Auch Software ist zunächst dem zivilrechtlichen Rechteinhaber zuzurechnen (§ 39 Abs. 1 AO). Eine hiervon abweichende Zuordnung nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO kommt nur in Ausnahmefällen bei demjenigen in Betracht, der jeden anderen von der Nutzung und Verwertung dieses Wirtschaftsguts ausschließen kann. Dabei wird in der Literatur hervorgehoben, dass Software „wegen ihrer fehlenden physischen Greifbarkeit“ unbeschränkt duplizierbar ist, so dass sie in unterschiedlichen Instanzen betrieben und damit an unzählige Anwender lizensiert werden kann.176 a) Zuordnung beim Softwareentwickler Da es sich bei Nutzungsrechten an Software i.d.R. – anders als bei den bereits dargestellten Filmrechten – um nicht ausschließliche Nutzungsrechte handelt, kommt § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO grundsätzlich nicht zur Anwendung. Software kann vom Urheber beliebig häufig und nebeneinander gleichwertig vervielfältigt und veräußert werden, ohne dass hierdurch das originäre Nutzungsrecht des Inhabers des geistigen Eigentums beschränkt wird.177 Daher sind und bleiben die Rechte an der Software zunächst dem Entwickler nach § 39 Abs. 1 AO zuzurechnen. b) Zuordnung beim Softwarekauf Erwirbt der Anwender gegen Zahlung eines fixen Kaufpreises eine unbefristete Softwarelizenz (Kauflizenz), ist die Software ihm als zivilrechtlichen Rechteinhaber zuzurechnen (§ 39 Abs. 1 AO).178 Angeschaffte Software im Anlagevermögen, die einen Wert von 800 t nicht übersteigt, wird von der Finanzverwaltung als sog. Trivialsoftware als materielles bewegliches Wirtschaftsgut behandelt, dessen Anschaffungskosten gemäß § 6 Abs. 2 EStG zu sofort abziehbarem Aufwand führen können (GWG). In allen anderen Fällen ist die Software mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten in der Bilanz anzusetzen und über ihre betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer abzuschreiben.

176 Deubert/Lewe, BB 2019, 811 (813). 177 Anzinger/Linn, StbJb. 2017/2018, 353 (368); Anzinger in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG, Rz. 1787. 178 Deubert/Lewe, BB 2019, 811, 813.

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Für Software im Anlagevermögen ergibt sich somit folgende Übersicht:

c) Zuordnung beim Cloud-Computing Bei den neueren Entwicklungen im IT-Bereich spielt – insbesondere im Bereich des Cloud-Computing – die Einräumung von bloßen Nutzungsrechten eine immer stärkere Rolle. Deubert/Lewe sprechen anschaulich von einem „Trend zur Verlagerung von Softwareanwendungen in CloudUmgebungen“.179 Hierbei greift der Anwender über ein Netzwerk – i.d.R. über das Internet – auf die vom Betreiber bereitgestellte Software zu. Unterschieden wird zwischen Infrastructure-as-a-Service (IaaS), Platform-as-a-Service (PaaS) und Software-as-a-Service (SaaS).180 Bei IaaS (z.B. Nutzung von Servern, Netzwerken, Betriebssystemen, Speicherplatz oder Rechnerleistung) und bei PaaS (Nutzung der kompletten ITInfrastruktur) ist die Anwendungssoftware vom nutzenden Unternehmen zu stellen und damit diesem zuzurechnen, während die Hardware und Betriebssysteme vom Anbieter verwaltet und kontrolliert werden und ihm zuzurechnen sind. SaaS-Lösungen sind demgegenüber im Einzelfall zu betrachten, da bei ihnen das Unternehmen die Software auf dem Server des Anbieters in 179 Deubert/Lewe, BB 2019, 811. 180 Ausführlich hierzu Risse in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Rz. 1217 ff., insbesondere Rz. 1220; Deubert/Lewe, BB 2019, 811 f.

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einer Cloud-Infrastruktur über den Web-Browser nutzt. Während der Anbieter zivilrechtlicher Rechteinhaber der Software ist, kann in diesen Fällen bilanziell zu prüfen sein, ob sie über § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO wirtschaftlich im Einzelfall gegebenenfalls dem Nutzer zuzurechnen ist. Risse wirft die Frage der Zuordnung auch bei IaaS-Strukturen auf und sieht aufgrund der exklusiven Verfügungsmöglichkeit der erworbenen Software in einer Cloud eine bilanzielle Zuordnung dieser beim Nutzer.181

Auch im Bereich der Software spielen daher die zuvor bei Filmrechten untersuchten Lizenzverträge eine große Rolle. Dabei können Softwarelizenzen als uneingeschränkte und unbefristete Kauflizenzen oder als Mietlizenzen mit laufendem Entgelt, als Software-Leasing mit einer festen Grundmietzeit und festen Leasingraten oder als Mietkauf mit Eigentumsübergang am Ende der Grundmietzeit ausgestaltet sein.182 Wird die Software temporär auf einem Rechner des Anbieters genutzt, der vielfältige Aufgaben (z.B. Wartung, Fehlerbeseitigung, Weiterentwicklung) wahrnimmt, dürfte der Anwender kein Interesse daran haben, die Software zu erwerben und es ist i.d.R. von einem Nutzungsüberlassungsverhältnis auszugehen. In diesen Fällen ist die Software dem Anbieter zuzurechnen. Nur in den Fällen, in denen der Nutzer den Anbieter für die gesamte betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf die Software ausschließen kann oder dem Anbieter bei 181 Risse in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Rz. 1224 „Standardsoftware“. 182 Deubert/Lewe, BB 2019, 811, 812; Risse in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Rz. 1222.

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einer zeitlich befristeten Nutzung nach Ablauf des Vertrags keine wirtschaftlich relevanten Verwertungsmöglichkeiten verbleiben, könnte die Software nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO dem Nutzer zuzurechnen sein. Die Chancen und Risiken müssten vollständig auf den Nutzer übergegangen sein. Dies dürfte bei den üblichen SaaS-Verträgen jedoch nicht vorliegen. Typischerweise stellt der Anbieter die Softwareanwendung auf seinem Server bereit. Er übernimmt die Softwarepflege, Updates und Datensicherung. Er stellt den Speicherplatz zur Verfügung. Der Nutzer kann die Softwareanwendung i.d.R. nur auf begrenzte Zeit nutzen und oft erfolgt die Nutzungsüberlassung im Paket mit einem Dienstleistungsvertrag.183 Bei der Beurteilung der Software-Lizenzverträge können die Leasing-Erlasse der Finanzverwaltung entsprechend herangezogen werden.184 Zwar stellt Software – ebenso wie das Filmrecht – kein materielles Wirtschaftsgut dar. Jedoch ist Software eben doch ausreichend „materialisiert“, dass für diese eine relativ verlässliche ex ante-Einschätzung ihrer Wertentwicklung bereits bei Vertragsschluss möglich erscheint. Daher dürfte der BFH – anders als bei Filmrechten in seinem oben dargestellten Urteil v. 14.4.2022185 – in diesem Bereich keine grundlegenden Bedenken an einer Anwendung der Grundsätze aus den Leasingerlassen haben. Teilweise wird die Anwendung der steuerrechtlichen Leasingerlasse bei Standard- und Individualsoftware in der Literatur auch auf die Rechtsprechung des BGH gestützt, die Software als eine bewegliche Sache ansieht, die Gegenstand von Leasingverträgen sein kann.186 Die Bestimmung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer der Software bei Anwendung der Leasing-Erlasse kann nach abgestimmter Auffassung der Finanzverwaltung unabhängig von einer gegebenenfalls gewählten Anwendung des BMF-Schreibens v. 22.2.2022187 erfolgen.

183 Risse in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Rz. 1224 sowie in Rz. 1225/2 ausführlich zum SaaS-Vertrag als „Mehrkomponentengeschäft“; Deubert/Lewe, BB 2019, 811 (813). 184 Deubert/Lewe, BB 2021, 2800; Risse in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Rz. 1225/1. 185 BFH v. 14.4.2022 – IV R 32/19, BStBl. II 2022, 832 = FR 2022, 941. 186 Deubert/Lewe, BB 2019, 811 (813). 187 BMF v. 22.2.2022 – IV C 3 - S 2190/21/10002 :25 – DOK 2022/0186479, BStBl. I 2022, 187.

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3. Zuordnung von Nutzungsrechten an der Software Wie bei den Filmrechten im vorangegangenen Abschnitt zunächst das Filmrecht und im Weiteren das Recht an den dem Filmrecht immanenten Nutzungen betrachtet worden ist, kann diese Unterscheidung auch bei Software erfolgen. Neben der soeben untersuchten Software kann daher auch hier die bilanzielle Behandlung von Nutzungsrechten an Software separat untersucht werden. a) BGH- und BFH-Rechtsprechung Wie bereits dargestellt, hat der BFH im umsatzsteuerlichen Bereich für die Zuordnung von Software auf die Rechtsnatur des zivilrechtlichen Vertrags (Mietvertrag, Lizenzvertrag, Kaufvertrag) und auf die Marktverhältnisse abgestellt.188 Mit der Anknüpfung an die Rechtsnatur des im Einzelfall abgeschlossenen Software-Vertrags sah der BFH in einer Vielzahl von Fällen eine praktikable und zutreffende steuerliche Einordnung von Standardsoftware. Denn Standardprogramme wurden in der Praxis in aller Regel aufgrund von Verträgen überlassen, die sich als Nutzungsverträge darstellten.189 Urheberrechte spielen dabei keine Rolle, weil der BFH anschließend an die BGH-Rechtsprechung kaum einen Unterschied zu dem Verkauf eines Buchs oder einer Schallplatte gesehen hat.190 In seinem Urteil aus dem Jahr 1987 ging er davon aus, dass sich aufgrund fehlenden Urheberrechtsschutzes nunmehr Software-Verträge von Nutzungsüberlassungen hin zu Kaufverträgen verschieben könnten. Daher nahm er von seiner bilanziellen Beurteilung auf der Grundlage der Vertragsverhältnisse Abstand. Er kam zu der Erkenntnis, dass das Vertragsrecht keine sichere Beurteilungsgrundlage für die steuerliche Einordnung der Software darstelle, weil das Vertragsrecht sich aufgrund eines unzulänglichen Rechtsschutzes für Computerprogramme verändere. Zudem sei sich die Zivilrechtsprechung nicht einig, ob Mietrecht 188 BFH v. 3.2.1982 – III R 132/81, BStBl. II 1983, 647, juris, Rz. 12. 189 Darstellung bei BFH v. 3.7.1987 – III R 7/86, BStBl. II 1987, 728 = FR 1987, 477, juris, Rz. 21 f. 190 BGH v. 4.11.1987 – VIII ZR 314/86, BGHZ 102 = ZIP 1987, 1567, 135: Verkauf von Standardsoftware ist ebenso zu beurteilen wie Verkauf von Büchern und Schallplatten. BGH v. 15.11.2006 – XII ZR 120/04, BGH v. 22.12.1999 – VIII ZR 299/98, BGHZ 143 = ZIP 2000, 456 307: Urheberrecht spielt für die Rechtsnatur des Softwareüberlassungsvertrags keine Rolle. Vertragszweck ist allein die Ermöglichung der Nutzung eines Computerprogrammes.

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oder Kaufrecht anzuwenden sei, weil zwar dem Anwender nur das nicht ausschließliche und nicht übertragbare Nutzungsrecht an dem Programm übertragen werde (entsprechend § 31 UrhG), andererseits die Nutzungsüberlassung aber (im Gegensatz zu Pachtverträgen) unbefristet, d.h. endgültig gegen Einmalvergütung erfolge.191 Inzwischen unterscheidet der BGH zwischen Softwarekauf (§§ 433 ff., 453 BGB) und einer Nutzungsüberlassung (§§ 535 ff. BGB) im jeweiligen Einzelfall. Beim Softwarekauf geht der Datenträger mit der darauf befindlichen Software in das Eigentum des Anwenders über. Wobei als Datenträger jegliche verkörperte Form verstanden wird: CD, USB-Stick, aber auch eine Festplatte. Demgegenüber sieht der BGH ein Nutzungsüberlassungsverhältnis als gegeben an, wenn keine Vollrechtsübertragung zivilrechtlich vorgesehen ist. Dies liegt beispielsweise bei der Bereitstellung von Software in Verbindung eines Dienstleistungsvertrags, einem sog. ASP-Vertrag, vor.192 Für die bilanzielle Bewertung ist zunächst entscheidend, dass im Regelfall der Lizenzgeber nicht ein ausschließliches Nutzungsrecht an der Software auf den Nutzer überträgt. Ein (ggf. abgespaltenes) ausschließliches Nutzungsrecht ist jedoch Voraussetzung für eine vom Stammrechtsinhaber abweichende wirtschaftliche Zuordnung eines Nutzungsrechts. Anders als bei Filmrechten werden bei Software i.d.R. nur einfache Nutzungsrechte übertragen, die bei Vorliegen eines Nutzungsverhältnisses dem zivilrechtlichen Rechteinhaber zuzuordnen sind. Auch wenn der BFH sich im Ertragsteuerrecht für die Frage, ob es sich bei Software um ein materielles oder ein immaterielles Wirtschaftsgut handelt, ausdrücklich von der BGH-Rechtsprechung distanziert hat, ist die zivilrechtliche Einordnung als Kaufvertrag oder Nutzungsverhältnis für die Frage der Bilanzierung von Nutzungsrechten durchaus von entscheidender Bedeutung. Nur im Fall eines Rechtekaufs ist – wie bei den Filmrechten dargestellt – eine Zuordnung eines vom Stammrecht abweichenden Nutzungsrechts beim Softwarenutzer als immaterielles Wirtschaftsgut im Rahmen einer wirtschaftlichen Betrachtung zu bejahen.193

191 BFH v. 3.7.1987 – III R 7/86, BStBl. II 1987, 728 = FR 1987, 477, juris, Rz. 25. 192 BGH v. 15.11.2006 – XII ZR 120/04, BGH v. 22.12.1999 – VIII ZR 299/98, BGHZ 143, 307 = ZIP 2000, 456. 193 Die abweichende Ansicht dürfte durchweg zum gleichen Ergebnis über den Grundsatz der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte führen.

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b) FG München v. 4.2.2021 – 10 K 1620/20 In diesem Sinne hatte sich auch das Finanzgericht München in seinem Urteil v. 4.2.2021194 mit der Frage zu befassen gehabt, ob im konkreten Einzelfall ein Nutzungsrecht an einer individualisierten Softwarelandschaft zu bilanzieren war oder eine bloße Nutzungsüberlassung vorlag. Dabei kam das Finanzgericht zu dem Schluss, dass im Entscheidungsfall von der Nutzerin ein Nutzungsrecht an einer Software (im Einzelnen ein Nutzungsrecht an der IT-Infrastruktur, IT-Prozessen, z.T. an eigenerstellter Software, z.T. an fremdhergestellter Software) erworben worden war. Dieses Nutzungsrecht an der Systemlandschaft ist ein immaterielles Wirtschaftsgut, da es einen Vorteil für den Betrieb des Nutzenden begründet, der einer besonderen Bewertung zugänglich ist und auch mit dem Betrieb übertragen werden kann. Für die Einordnung als immaterielles Wirtschaftsgut ist es auch unerheblich, dass der Nutzungsvorteil nicht auf dinglicher, sondern lediglich schuldrechtlicher (obligatorischer) Grundlage besteht.195 Diesen Vorteil ordnet das Finanzgericht auch ohne weitere Ausführungen der Nutzungsberechtigten zu. Auch das Aktivierungsverbot des § 5 Abs. 2 EStG war vorliegend nicht einschlägig, da das Nutzungsecht von der Nutzungsberechtigten entgeltlich gegen Leistung laufender Nutzungsentgelte sowie gegen Zahlung bestimmter Einmalvergütungen für Implementierung und Hardware erworben worden ist.196 Letztendlich standen einer Aktivierung des Nutzungsrechts in der Bilanz der Nutzungsberechtigten jedoch die Grundsätze zur Bilanzierung schwebender Geschäfte entgegen, die während der Laufzeit eines gegenseitigen Rechtsverhältnisses den Ausweis von Forderungen und Verbindlichkeiten verbieten.197 c) Zusammenfassende Überlegungen Im Ergebnis werden Dauerschuldverhältnisse im Bereich der Software daher von der Rechtsprechung wie auch im Bereich der Filmrechte über

194 195 196 197

FG München v. 4.2.2021 – 10 K 1620/20, BB 2021, 1263, rkr. FG München v. 4.2.2021 – 10 K 1620/20, BB 2021, 1263, juris, Rz. 35 ff. FG München v. 4.2.2021 – 10 K 1620/20, BB 2021, 1263, juris, Rz. 40. FG München v. 4.2.2021 – 10 K 1620/20, BB 2021, 1263, juris, Rz. 41. A.A. Deubert/Lewe, BB 2021, 2800 (2801), die vom Vorliegen eines entgeltlichen Erwerbs ausgehen.

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die Grundsätze zur Bilanzierung schwebender Geschäfte gelöst, soweit nicht bereits das Aktivierungsverbot gemäß § 5 Abs. 2 EStG eingreift. Gleichwohl können auch hier die oben aufgeworfenen Fragestellungen diskutiert werden. Bedarf es im Rahmen von Nutzungsverhältnissen unter Beachtung des Wesentlichkeitsgrundsatzes bei der Bilanzierung von Wirtschaftsgütern überhaupt der Zuordnung eines eigenständigen Nutzungsrechts oder sollte nicht vielmehr von einer Abspaltung kleinteiliger Nutzungsrechte vom Stammrecht insbesondere bei nicht ausschließlichen Nutzungsrechten – wie im Bereich der Software üblich – unter einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise Abstand genommen werden? Gerade bei nicht ausschließlichen Nutzungsrechten werden durch die Rechtsprechung unnötig viele Wirtschaftsgüter konstruiert, zugerechnet und am Ende doch nicht in einer Bilanz angesetzt.

4. Von der Software getrennt zu bilanzierende Implementierungskosten Zum Abschluss der Thematik der Bilanzierung von Software soll noch kurz auf die Implementierungskosten eingegangen werden, da diese in der Praxis erhebliche Geldsummen umfassen und sich hier die Frage stellt, ob Ausgaben für die Einbettung der Software in das konkrete betriebliche Umfeld, sog. Customizing-Kosten, als eigenständiges Wirtschaftsgut zu betrachten und unabhängig von der Software und daher auch in den Fällen zu bilanzieren sind, in denen die Software(-lizenz) selbst nicht beim Steuerpflichtigen konkret aktivierungsfähig ist. Die Finanzverwaltung definiert Customizing als Anpassung an die Struktur des Unternehmens und die Organisationsabläufe ohne Programmierung (nur branchen- und unternehmensspezifische Einstellungen in Tabellen) und legt ihren Überlegungen zugrunde, dass der Aufwand hierfür typischerweise ca. das 5 bis 10-fache der Lizenzkosten beträgt.198 Für eine von der Zurechenbarkeit der (Basis-)Software losgelöste Aktivierung wird vorgetragen, dass Ausgaben für das Customizing, soweit die Software demjenigen zugerechnet wird, der die Customizing-Kosten trägt, zusammen mit der Software aktivierbar bzw. aktivierungspflichtig sind. Aber auch in den Fällen, in denen die Software dem Anbieter zuzurechnen ist, der Nutzer jedoch die Customizing-Kosten trägt, erwerbe der Nutzer mit Abschluss eines über mehrere Jahre laufenden Softwarenutzungsvertrags eine geschützte Rechtsposition, die es ihm ermögli198 BMF v. 18.11.2005 – IV B 2 - S 2172 – 37/05, BStBl. I 2005, 1025, Rz. 6.

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che, die an das betriebliche Umfeld angepasste Software des Anbieters und damit den durch das Customizing geschaffenen wirtschaftlichen Wert selbst zumindest über die Vertragslaufzeit so zu nutzen, wie dies im Fall der Rechteinhaberschaft an der Software möglich wäre. Da sich aber das Customizing unabhängig von der Zuordnung der Software bei wirtschaftlicher Betrachtung weder bezüglich der Nutzbarkeit noch bezüglich der Einzelverwertbarkeit signifikant unterscheidet, sei es sachgerecht, das Customizing als ein eigenständiges immaterielles Wirtschaftsgut zu behandeln. Im Ergebnis lägen bei wirtschaftlicher Betrachtung „Mietereinbauten in eine Software“ vor.199 Die Finanzverwaltung sieht trotz des Kostenmissverhältnisses Aufwendungen für das Customizing nicht als Aufwand für ein von der Software getrenntes, eigenständiges Wirtschaftsgut an. Die zum Teil umfangreichen Einstellungen dienen lediglich der Herstellung der Betriebsbereitschaft eines bereits angeschafften, standardisierten Wirtschaftsguts. Mit den Einstellungen werden keine neuen Funktionen der Software geschaffen, sondern lediglich vom Softwarehersteller ausgelieferte Funktionen betriebsbereit gemacht.200 Aufwendungen um einen Vermögensgegenstand/ein Wirtschaftsgut in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, sind nach § 255 Abs. 1 Satz 1 HGB aber Anschaffungskosten dieses Vermögensgegenstands/Wirtschaftsguts. Hierzu zählen auch die Nebenkosten und die nachträglichen Anschaffungskosten (§ 255 Abs. 1 Satz 2 HGB). Auch wenn die Aufwendungen für die Anpassung des Wirtschaftsguts an die konkreten betrieblichen Verhältnisse unstreitig einen wirtschaftlichen Vorteil für den Betrieb darstellen dürften, ist die Gesetzeslage klar. Das Handelsrecht spaltet diesen wirtschaftlichen Vorteil ausdrücklich nicht vom ursprünglichen Wirtschaftsgut ab. Dem ist das FG München in einer Entscheidung v. 4.2.2021 gefolgt und ordnet Aufwendungen für Implementierungsleistungen als Betriebsbereitschaftskosten den Anschaffungskosten des Wirtschaftsguts „Software“ oder „Nutzungsrecht an der Software“ zu.201 Es handele sich hierbei nicht um ein von dem angeschafften Nutzungsrecht zu unterscheidendes, eigenständiges Wirtschaftsgut, weil es an einer selbständigen Bewertbarkeit fehle. Der Wert der Implementierung hänge vom Bestand des Nutzungs199 Deubert/Lewe, BB 2019, 811 (814). Hierzu ausführliche auch Roos, StuB 2020, 101 (104 ff.). A.A. Oser/Gerlach, StuB 2020, 263 ff. Duplik von Roos hierzu in StuB 2020, 266. 200 BMF v. 18.11.2005 – IV B 2 - S 2172 – 37/05, BStBl. I 2005, 1025, Rz. 6. 201 FG München v. 4.2.2021 – 10 K 1620/20, BB 2021, 1263, juris, Rz. 42.

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rechts an der Software ab und stehe mit ihr in einem einheitlichen Nutzungs- und Funktionszusammenhang.202 Ohne das Nutzungsrecht sei die Implementierung wertlos. Dieser Bewertung durch das FG München folgt die Autorin Albrecht. Der Mitautor Anzinger mag entgegenhalten, dass das Nutzungsrecht, also die Lizenz zur Nutzung des Grundgerüsts einer ERP-Software, gerade noch nicht auf den Betrieb zugeschnitten ist und von jedem Erwerber des Betriebs jederzeit wieder erworben werden kann. Mit verschiedenen Beispielen wird die Problematik plastischer. Vorstellbar ist jenseits von ERP-Software zunächst ein aufwendig gestalteter Internetshop, dessen Einrichtung viel Know how und Personal erfordert hat, der aber auf einem Standardprodukt für ein Content-Management-System (CMS) aufsetzt und der 5–10 Jahre unverändert in Betrieb bleiben soll. Das CMS, dass wie eine Programmierumgebung die Grundlage für den Internetshop bildet, kann jederzeit und von jedem beliebigen Unternehmen neu lizenziert werden. Ein gedachter Erwerber des ganzen Betriebs, der in diese Basislizenz mit der Übernahme der Lizenz nicht schon durch die Betriebsübernahme eintritt, aber alle Server mit der eingerichteten Software übernimmt, braucht nicht mehr zu tun, als die Lizenz, also das Nutzungsrecht an der Basissoftware neu zu erwerben. Die Basissoftware braucht er nicht einmal neu zu installieren. Er nutzt sie einfach weiter. Die leicht neu zu erwerbende Lizenz an der Basissoftware und die nur mit größtem Aufwand neu zu erstellende Einrichtung des Internetshops sind für jeden gedachten Erwerber regelmäßig zwei völlig verschiedene Bewertungsgegenstände. Sie haben einen je eigenen Marktwert und sind je selbständig einer Bewertung zugänglich. Die Frage der selbständigen Bewertbarkeit ist freilich von der Schöpfungshöhe des Customizing abhängig. Die leicht reproduzierbare Einstellung eines Farbschemas (Beispiel: heller oder dunkler Hintergrund) erreicht, wie die Einstellung der Kopfstützen in einem Neuwagen, noch nicht die Schöpfungshöhe, die einen gedachten Erwerber des ganzen Betriebs zur selbständigen Bewertung dieser Einstellungen veranlassen würde. Anders ist der Fall zu bewerten, wenn eine große Projektgruppe aus Marketing-, Produktions-, Logistik- und anderen Bereichen ein System aufbaut, das viele Jahre bestehen soll und häufig, anders als die austauschbare Basislizenz, das organisatorische Rückgrat des Betriebs bildet. Dann ist nur darüber nachzudenken, welche Teile des Aufwands im Geschäfts- und Firmenwert aufgehen. 202 FG München v. 4.2.2021 – 10 K 1620/20, BB 2021, 1263, juris, Rz. 46 f.

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Der Autorin Albrecht stimmt der Mitautor Anzinger daher insoweit zu, als er auch als Befürworter eines separaten eigenständigen Wirtschaftsguts einräumen muss, dass sich die wirtschaftlichen Vorteile des Customizing nach dessen Zweckbestimmung, die gemietete Software für den Einsatz im Unternehmen an die betrieblichen Belange anzupassen, im betrieblichen Leistungserstellungsprozess verbrauchen können. Er mag sich aber nicht ausnahmslos der Auffassung anschließen, dass die Ergebnisse des Customizing stets nur unternehmensintern genutzt und deshalb von Dritten grundsätzlich nicht verwertbar wären. So wie der Erwerber eines Ladenlokals die Einrichtungsgestaltung übernehmen oder verwerfen kann, so kann er auch die Anpassungen einer ERP-Software verwerfen oder mit eigener Lizenz verwenden. Die mit dem Customizing geschaffenen wirtschaftlichen Vorteile können in den originären Geschäfts- und Firmenwert eingehen,203 nach Ansicht von Anzinger ist das aber nicht denklogisch immer zwingend der Fall. Eine wirtschaftlich von der Software abweichende Zuordnung nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO eines immateriellen Wirtschaftsguts „Implementierungskosten“ kann daher nach Auffassung von Anzinger im Einzelfall möglich erscheinen. Einig sind sich die Autoren darin, dass soweit Anpassungsvorgänge über das Customizing hinausgehen, z.B. Erstellung von aufwändigen Reports oder Programmierung von Schnittstellen, zu unterscheiden ist, ob diese Funktionen bei Vergleich mit der Gesamtheit der vom Softwarehersteller ausgelieferten Funktionen eine Erweiterung oder wesentliche Verbesserung darstellen oder ob vorhandene Funktionen ohne wesentliche Verbesserung lediglich modifiziert werden. Eine Erweiterung oder wesentliche Verbesserung ist nach Auffassung der Finanzverwaltung immer dann anzunehmen, wenn die Software eine zusätzliche Funktionalität erhält oder ihr Anwendungsbereich über die standardmäßig vorgesehenen Einsatzgebiete hinaus ausgedehnt wird. Wesentliche Änderungen am Quellcode oder Umprogrammierungen im Programmablauf werden immer als Erweiterung angesehen. Aufwendungen für Erweiterungen oder wesentliche Verbesserungen sind Herstellungskosten und bei Eigenherstellung wegen des Aktivierungsverbots gemäß § 5 Abs. 2 EStG als sofort abziehbare Betriebsausgaben zu behandeln.204

203 Deubert/Lewe, BB 2019, 811 (814). 204 BMF v. 18.11.2005 – IV B 2 - S 2172 – 37/05, BStBl. I 2005, 1025, Rz. 8.

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5. Ergebnis Im Ergebnis ist festzuhalten, dass sich auch im Bereich von Software differenzierte Fragen der Zuordnung von Nutzungsrechten stellen können. Auch hier scheint die Rechtsprechung einer allzu ausufernden Atomisierung von bilanziell abzubildenden Nutzungsrechten eher mit Vorsicht zu begegnen. Dies ist im digitalen Bereich bei nicht ausschließlichen Nutzungsrechten aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten und der Aussagekräftigkeit der Bilanzierung durchaus zu begrüßen. Scheint doch dieser Bereich prädestiniert für eine schier unendliche Anzahl und Vielfalt von möglichen immateriellen Vorteilen für einen Betrieb. Die Herausforderung der Zukunft wird es gerade deswegen sein, den Blick auf das Wesentliche nicht zu verlieren. Nicht bestmögliche Steuergestaltung, sondern Handhabbarkeit handelsbilanzieller Grundsätze sollten hierbei die Leitmotive sein, um auch in einer virtuellen Welt die bilanzielle Zuordnung von Wirtschaftsgütern greifbar zu machen.

V. Zuordnung von Kryptowährungen und Token 1. Einordnung und Kategorisierung a) Herleitung der Begriffe Die Blockchain-Technologie ermöglicht es, wie andere Distributed Ledger-Technologien (DLT), dezentrale Transaktionsregister zu führen, die nicht nur gegen Veränderungen geschützt sind, sondern durch die ebenfalls gewährleistet werden kann, dass digitale Werte nicht beliebig vervielfältigt werden. Dies erlaubt es, digitale Wertmarken zu prägen, die mit Ausschließungs- oder Nutzungsrechten verbunden sein oder selbst einen Wert darstellen können. Vorbilder in der analogen Welt, ebenfalls mit dem Begriff Token verbunden, lassen sich zur Veranschaulichung zahlreich heranziehen. In einigen Städten, etwa in der kanadischen Stadt Toronto, sind von den Verkehrsbetrieben bis vor einigen Jahren als Token bezeichnete Wertmünzen ausgegeben worden, mit denen ein Nutzungsrecht für eine Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln verbunden war. Sie mussten vor Fahrtantritt in entsprechende Automaten eingeworfen werden. Und im Eisenbahnwesen dienen in manchen Teilen der Welt noch heute tragbare körperliche Gegenstände, etwa ein Stock oder ein Ring dazu, auf eingleisigen Eisenbahnstrecken sicherzustellen, dass immer nur ein Zug zugleich auf der Strecke unterwegs ist und andere Züge von der Nutzung ausgeschlossen sind. Die Berechtigung zur 516

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Fahrt hat nur der Tokeninhaber. Mit diesen Beispielen lassen sich Token als Wert, als Ausschluss- und als Nutzungsbefugnis verstehen. b) Kategorien der Verwaltungspraxis In der Definition der Verwaltungspraxis steht die Bezeichnung „Token“ als ein Oberbegriff für digitale Einheiten, denen bestimmte Ansprüche oder Rechte zugeordnet sind, deren Funktionen unterschiedlich sein können. Sie können danach als Entgelt für erbrachte Dienstleistungen im Netzwerk oder zentral von einer Projektinitiatorin oder einem Projektinitiator zugeteilt werden. Und sie können im Rahmen eines „Initial Coin Offering“ insbesondere für Startups eine alternative Finanzierungsmethode darstellen.205 Entlang einer in beteiligten Verkehrskreisen üblichen und wesentlich durch einen kapitalmarktrechtlichen Diskurs in der Anfangsphase der Entwicklung geprägten Terminologie unterscheidet die Verwaltungspraxis vier Kategorien von Token. Eine erste Kategorie bilden danach Currency oder Payment Token, die als Zahlungsmittel eingesetzt werden und für die synonym die Bezeichnung „virtuelle Währung“ eingeführt wird.206 Dazu sollen digital dargestellte Werteinheiten zählen, „die von keiner Zentralbank oder öffentlichen Stelle emittiert oder garantiert werden und damit nicht den gesetzlichen Status einer Währung oder von Geld besitzen, aber von natürlichen oder juristischen Personen als Tauschmittel akzeptiert werden und auf elektronischem Wege übertragen, gespeichert und gehandelt werden können“.207 Beispielhaft genannt werden Bitcoin, Ether, Litecoin und Ripple. In einer zweiten Kategorie werden Utility Token genannt, die bestimmte Nutzungsrechte oder einen Anspruch darauf vermitteln, die Token gegen eine bestimmte, gegebenenfalls noch zu schaffende Ware oder Dienstleistung einzutauschen. Die Verwaltungspraxis zählt dazu auch Stimmrechte zur Änderung der Software und damit der Funktionalität der Ware oder der Dienstleistung.208 205 BMF v. 10.5.2022 – IV C BStBl. I 2022, 668 Tz. 2 f. 206 BMF v. 10.5.2022 – IV C BStBl. I 2022, 668 Tz. 3. 207 BMF v. 10.5.2022 – IV C BStBl. I 2022, 668 Tz. 1, 3. 208 BMF v. 10.5.2022 – IV C BStBl. I 2022, 668 Tz. 3.

1 - S 2256/19/10003 :001 – DOK 2022/0493899, 1 - S 2256/19/10003 :001 – DOK 2022/0493899, 1 - S 2256/19/10003 :001 – DOK 2022/0493899, 1 - S 2256/19/10003 :001 – DOK 2022/0493899,

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In einer dritten Kategorie verortet die Verwaltungspraxis Security Token. Das seien Token, die mit herkömmlichen Wertpapieren vergleichbar seien, insbesondere konventionelle Schuldtitel und Eigenkapitalinstrumente. Insbesondere zählen hierzu Equity Token, die Beteiligungs- und/oder Dividendenrechte vermitteln (z.B. Aktien) und Debt Token, die einen Anspruch auf Rückzahlung des investierten Betrags enthalten.209 c) Alternativkategorien einer funktionalen Unterscheidung Ob die in der Verwaltungspraxis aufgegriffene bankaufsichts-, geldwäsche- und kapitalmarktrechtlich geprägte Terminologie auch für ertragsteuerliche Zwecke geeignet ist, muss sich noch erweisen. Offener für die Einkunftsartenvielfalt des Ertragsteuerrechts erscheint eine einfache Zweiteilung, die nur zwischen intrinsisch-originären und extrinsisch-derivativen Kryptowerten unterscheidet. Dort wo die Token selbst an die Stelle von Rechten treten und nicht auf andere Werte verweisen, können sie nach den allgemeinen Regeln als Wirtschaftsgut immer dann qualifiziert werden, wenn ihnen im Rechtsverkehr ein Wert zugemessen wird. Das ist bei börsengehandelten Kryptowerten, die ihre Bewertung und ihre Übertragbarkeit bereits dadurch beweisen, unzweifelhaft der Fall. Zweifel daran, dass, in der Terminologie der Verwaltungspraxis, Currency oder Payment Token, wie z.B. Bitcoin, überhaupt ein Wirtschaftsgut bilden, hat der Bundesfinanzhof ausräumen können210. Dort wo dagegen Token Rechte oder andere Möglichkeiten repräsentieren und nur der Zuordnung von anderen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern dienen, ist für die ertragsteuerliche Einordnung der repräsentierte Wert maßgeblich einzubeziehen. Das gilt für Utility-, Security-, Equity-, Debt- und auch für Non Fungible-Token wie auch für Asset Token. Allerdings ist dann in jedem Einzelfall zu entscheiden, ob durch den Token hindurchgesehen oder der Token selbst ertragsteuerlich zu qualifizieren ist.

2. Zivilrechtliche Vermögenszuordnung Nach den allgemeinen Grundsätzen bildet die zivilrechtliche Vermögenszuordnung den Ausgangspunkt der Überlegungen zur subjektiven Zuordnung in der Steuerbilanz. Zur Frage darüber, wie sich die 209 BMF v. 10.5.2022 – IV C 1 - S 2256/19/10003 :001 – DOK 2022/0493899, BStBl. I 2022, 668 Tz. 3. 210 BFH v. 14.2.2023 – IX R 3/22, FR 2023, 323.

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Übertragung der Berechtigung an Kryptowährungen und Token auf der Blockchain vollzieht, lassen sich im Grundsatz zwei Ansätze vertreten211. Nach der Realakttheorie bildet die Übertragung von Token in einem Blockchain- oder DLT-Register einen tatsächlichen Vorgang, der Regeln des Software-Protokolls folgt und rechtlich nicht zu bewerten ist. Maßgeblich für die Vermögenszuordnung von Kryptowährungen und Token ist danach ausschließlich die Zuordnung der Schlüsselgewalt. Token sind dann dem Inhaber des privaten Schlüssels zuzuordnen, mit dem auch weiter über die Token verfügt werden kann. Probleme ergeben sich mit dieser Anknüpfung an die Schlüsselgewalt in den Fällen, in denen ein anderer wie ein Besitzdiener oder ein mittelbarer Besitzer für einen anderen über den Schlüssel verfügt. Nach der Rechtsgeschäftstheorie soll hingegen die rechtliche Verfügungsmacht an Kryptowährungen und Token nicht durch bloße Schlüsselübertragung übergehen können, sondern diese Übertragung zusätzlich ein Rechtsgeschäft voraussetzen und der Rechteübergang damit Einigung und Eintragung auf der Blockchain erfordern. Diese zweite Auffassung hat den Vorzug, sich besser mit den Grundsätzen des Minderjährigen- und des Verbraucherschutzes vereinbaren zu lassen.

3. Zuordnung in der Steuerbilanz Für die Zuordnung in der Steuerbilanz lässt sich die Vermögenszuordnung nach der Realakttheorie bruchlos mit einer steuerjuristischen Zuordnung verknüpfen. Der Schlüsselinhaber ist faktisch und damit wirtschaftlich verfügungsberechtigt, solange er nicht, wie ein Besitzdiener oder wie ein Treuhänder für einen anderen den Schlüssel hält. Die Verwaltungspraxis knüpft in diesem Sinne folgerichtig an die Schlüsselinhaberschaft an,212 lässt aber die Vielfalt der Fallgruppen offen, in denen eine davon abweichende Zuordnung geboten sein kann. Überzeugen mag auch nach der Rechtsgeschäftstheorie, im Ausgangspunkt an den unmittelbaren Besitz des privaten Schlüssels anzuknüpfen. Zu berücksichtigen sind dann aber in einem zweiten Schritt die Umstände, die bereits eine andere zivilrechtliche Vermögenszuordnung bewirken, etwa eine Besitzdienerschaft oder ein Besitzmittlungsverhältnis kraft dessen die wirtschaftliche Verfügungsmacht bei einem anderen als dem Schlüsselinhaber liegt. In einem dritten Schritt sind schließlich für die subjek211 Zum Meinungsstand: Arndt, Bitcoin-Eigentum, 2022, S. 21 ff. und S. 75 ff. 212 BMF v. 10.5.2022 – IV C 1 - S 2256/19/10003 :001 – DOK 2022/0493899, BStBl. I 2022, 668 Tz. 32.

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tive Zuordnung in der Handels- und Steuerbilanz die allgemeinen Grundsätze anzuwenden, die nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO oder nach den handelsrechtlichen GoB eine abweichende Bilanzierung gebieten, zu nennen sind die Beispiele des Eigentumsvorbehalts-, der Sicherungsübereignung und des Treuhandverhältnisses.

4. Ausblick Die subjektive Zuordnung von intrinsischen Kryptowerten und Token in der Steuerbilanz wird solange den unmittelbaren Besitz des privaten Schlüssels als Ausgangspunkt nehmen können, bis sich im Zivilrecht feingliedrigere Regeln entlang der Realakt- oder der Rechtsgeschäftstheorie entwickelt haben. Sie muss aber schon heute Umstände einbeziehen, die eine abweichende Zuordnung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht gebieten. Das gilt nicht nur in den Fällen der Besitzdienerschaft innerhalb einer betrieblichen Organisation, sondern insbesondere auch bei den verbreiteten Kryptoverwahrverhältnissen. Die von der Verwaltungspraxis hierzu bereits formulierten Grundsätze213 können dabei überzeugen. Schwieriger sind Zuordnungskorrekturen, die in unvollkommenen oder fehlerhaften Verwahrverhältnissen vorzunehmen sind. Noch weitgehend ungeklärt sind die Anforderungen an die Übertragung von Wirtschaftsgütern durch extrinsische Token. Auch hier kann die Schlüsselinhaberschaft ein erstes Indiz bilden. Doch noch mehr als bei intrinsischen Token muss dort zusätzlich nach der Wirksamkeit und dem Inhalt der Rechtsgeschäfte gefragt werden, die der Übertragung zugrunde liegen und es wird auch hier eine Gesamtwürdigung des Gesamtbilds der Verhältnisse und der Gesamtvertragskonzeption für die Entscheidung über die subjektive Zuordnung in der Steuerbilanz von Bedeutung sein.

213 BMF v. 10.5.2022 – IV C 1 - S 2256/19/10003 :001 – DOK 2022/0493899, BStBl. I 2022, 668 Tz. 32.

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Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts Prof. Dr. Ulrich Prinz Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Köln I. Zum Einstieg: Neue und alte Diskussionen im Bilanzsteuerrecht II. Geänderte Gesetzeslage zur Abzinsung von Verbindlichkeiten/ Rückstellungen durch Viertes Corona-Steuerhilfegesetz (Fall 1) 1. Ausgangspunkt: Bewertungsrelevanz von Zinsen 2. Sachverhalt: Unverzinsliches Akquisitionsdarlehen und längerfristige zinslose „Altanleihe“ 3. Neue Gesetzeslage, Hintergrund und Übergangsregelung 4. Lösungshinweise zum Sachverhalt 5. Abgrenzung längerfristiger Verbindlichkeiten von Rückstellungen III. Steuerbilanzielle Behandlung von Gutscheinen aus Kundenbindungsprogrammen (Fall 2) 1. Steuerbilanzielle Diskussion um Ausgabe von Gutscheinen mit Rückstellungsrelevanz 2. Sachverhalt: Der „Bonuspunktefall“ 3. Lösungshinweise: Keine Verbindlichkeit, aber Verbindlichkeitsrückstellung; Nichtanwendbarkeit des § 5 Abs. 2a EStG 4. Steuersystematische Einordnung und besteuerungspraktische Folgerungen

IV. Wirtschaftliches Eigentum und Probebetrieb bei Windkraftanlagen, AfA-Beginn sowie Bilanzierungsfolgen (Fall 3) 1. Ausgangspunkt: Bilanzierung und Bewertung bei längerfristiger Fertigung 2. Sachverhalt: Wirtschaftliches Eigentum bei Probebetrieb, AfA-Berechtigung und Rechnungsabgrenzungsposten 3. Lösungshinweise 4. Praktische Besteuerungskonsequenzen V. Nur kursorisch: Bilanzierung von Mehrwegpaletten im Pfandsystem (Fall 4) 1. Ökologische Nachhaltigkeit und Steuerbilanzierung 2. Sachverhalt: Mehrwegpaletten und Pfandgelder 3. Rechtsprechung und Literatur zu Mehrwegpaletten 4. Lösungshinweise: Vereinfachungs- und Nichtbeanstandungsregelung der Finanzverwaltung 5. Diskussionsergebnisse: Befriedete Rechtslage VI. Zum Schluss: Wohin entwickelt sich unser nationales Bilanzsteuerrecht?

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I. Zum Einstieg: Neue und alte Diskussionen im Bilanzsteuerrecht Die Praxis muss sich im Bilanzsteuerrecht teils mit „kleinen“, teils mit „großen“ Themen befassen. Auf der einen Seite hält es der XI. Senat des BFH für wirtschaftlich zumutbar, dass auch „Kleinstbetriebe“ eine E-Bilanz gem. § 5b EStG nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz einreichen müssen.1 Auf der anderen Seite wird diskutiert, ob der für die Anwendung der globalen Mindeststeuer mit effektiven 15% (sog. Pillar II-Projekt) regelmäßig benötigte IFRS-Einzelabschluss Grundlage der steuerlichen Gewinnermittlung deutscher Konzernmütter ab 1.1.2024 werden soll; dies wirft weitreichende Grundsatzfragen auf.2 In diesem Spannungsfeld sollen im Weiteren einige der zu beobachtenden aktuellen Bilanzsteuerrechtstrends anhand ausgewählter Fälle erörtert werden. Grundlegende Gesetzesänderungen im Bilanzsteuerrecht gab es in den Jahren 2021/2022 – abgesehen von der Neuregelung der Abzinsung von Verbindlichkeiten/Rückstellungen durch das „Vierte Corona-Steuerhilfegesetz“ vom 19.6.2022 und der Schaffung einer neuen steuerlichen Wesentlichkeitsschwelle für Rechnungsabgrenzungsposten in § 5 Abs. 5 Satz 2 EStG durch das JStG 2022 vom 16.12.20223 – allerdings nicht. Bei dem aktuell in den parlamentarischen Beratungen befindlichen „Wachstumschancengesetz“4 sind für die Zeit ab 1.1.2024 Verbesserungen bei den Sofortabschreibungen geringwertiger Wirtschaftsgüter (§ 6 Abs. 2 EStG-E) und den Abschreibungsmöglichkeiten zu den Sammelposten

1 So BFH v. 21.4.2021 – XI R 29/20, ECLI:DE:BFH:2021:U.210421.XIR29.20.0, BStBl. II 2022, 52 = FR 2021, 899 = GmbHR 2021, 995 m. Anm. Nacke. 2 Vgl. unter Bezugnahme auf die sog. Handelsbilanz II Kowallik, DB 2022, 1484 und kritisch dazu Prinz, FR 2023, 337 auf Basis eines Diskussionsentwurfs zum Mindestbesteuerungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz(MinBestRL-UmsG) aus März 2023. Die EU-Richtlinie 2022/2523 zur „Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen und große inländische Gruppen“ v. 14.12.2022 wurde im ABl. L 328/1 v. 22.12.2022 veröffentlicht und ist bis zum 31.12.2023 in nationales Recht umzusetzen. 3 Zu ersten Hinweisen vgl. Dorn/Horstkötter, DB 2022, 3011 (3013); Kahle/ Kopp, DStR 2022, 2627; Häsner, DB 2023, 154; Bense, StuB 2023, 114 und 486. Die Ergänzung des § 5 Abs. 5 EStG erfolgt in Reaktion auf Entscheidung des BFH v. 16.3.2021 – X R 34/19, ECLI:DE:BFH:2021:U.160321.XR34.19.0, BStBl. II 2021, 844 = FR 2021, 995 und nimmt in dynamischer Form Bezug auf die Regelung für GWGs in § 6 Abs. 2 EStG. 4 Vgl. dazu den Referentenentwurf des BMF zum Wachstumschancengesetzes v. 14.7.2023.

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(§ 6 Abs. 2a EStG-E) geplant. Zudem soll die Sonderabschreibung nach § 7g EStG angehoben werden. Über diese Aktualitätsthemen hinausgehend sind im Bilanzsteuerrecht seit längerem verschiedene Trends erkennbar, mit denen sich der Steuerbilanzierungspraktiker befassen muss:5 –

Rechnungslegungsfragen rund um den Ukraine-Krieg, der mit dem Einmarsch russischer Truppen in das ukrainische Staatsgebiet am 24.2.2022 (= wertbegründendes Ereignis) begonnen hat, haben vor allem zum Jahresabschlussstichtag 31.12.2022 hohe Relevanz. Es stellen sich mit Blick auf die Steuerbilanz bspw. Fragen zu Teilwertabschreibungen im Sachanlagevermögen, bei Beteiligungen oder Forderungen sowie Fragen zu Rückstellungsnotwendigkeiten etwa bei Liefer- und Energieversorgungsengpässen sowie Betriebsschließungen. Alle aktiven und passiven Bilanzposten sind berührt. Es bestehen Parallelen zu den Bilanzierungsfragen aus Anlass der CoronaPandemie.6



Internationale Diskussionen um Nachhaltigkeitsberichterstattung, ESG (Environmental, Social, Governance) – Accounting und nichtfinanzielle Berichterstattung (§§ 289b–289e, 315b HGB) strahlen mittlerweile auch auf Steuerbilanzierungsfragen ab. Aktuell bestehen aus Wissenschaft und Praxis Forderungen nach „grüneren und digitaleren Bilanzen“.7 Diskussionen um die EU-Taxonomieverordnung in Umsetzung des europäischen Green Deal haben politisch hohe Wellen geschlagen. Die vom BVerfG im Beschluss vom 24.3.20218 im Hinblick auf das Klimaschutzgesetz geforderte „Generationengerechtigkeit“ (Art. 20a GG) muss in ihrer Bedeutung für nachhaltige Unternehmensführung und für das „Bilanzrecht der Unternehmen“ noch ausgeleuchtet werden. Dies alles hat hohe Relevanz auch im Steuerbilanzrecht.9

5 Vgl. als Überblick Prinz, FR 2022, 917 (920–921). 6 Vgl. dazu als Überblick Zwirner/Vodermeier/Krauß in Prinz/Kanzler (Hrsg.), Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Teil A Kap. 22. 7 So Pellens/Schauerte, FAZ 254/2021 v. 1.11.2021, 18. 8 Vgl. BVerfG v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20 sowie 1 BvR 2088/20, NJW 2021, 1723. 9 Vgl. zu klimabezogenen Aspekten im handelsrechtlichen Abschluss Lanfermann/Morich/Guldmann, DB 2022, 1977. Zur Nachhaltigkeit in der Unternehmensberichterstattung grundlegend Schön, ZfPW 2022, 207. Ergänzend L. Luttermann, RIW 2022, 809; Wulf, DStZ 2023, 469 und 572. Wegen einer

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Bilanzierungsfragen der Digitalisierung mit immateriellen Wirtschaftsgütern: Bilanzrechtsbezogene Digitalisierungsfragen unterschiedlicher Couleur haben in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen.10 Für die mit Krypto-Währungsfragen befasste Steuer- und Bilanzierungscommunity stellt das BMF-Schreiben vom 10.5.2022 – trotz einiger Schwachpunkte – einen wichtigen Meilenstein in der Diskussion dar.11 Die Diskussion betrifft auch die steuerbilanzielle Behandlung von Bitcoin-Transaktionen, NFTs (Non-Fungible Token) sowie die verschiedenen Formen von Mining/Forging. Erste höchstrichterliche Judikatur bestätigt die Wirtschaftsguteigenschaft virtueller Währungen.12 Die Diskussion ist aber bei weitem noch nicht abgeschlossen. Klar sollte sein: Die Technik muss dem Recht folgen, nicht umgekehrt. Zudem lässt die systematische Struktur unseres Bilanzsteuerrechts mit dem Rückgriff auf die „atmenden“ handelsrechtlichen GoB meist wohlbegründete Lösungsansätze auch bei neuen Wirtschaftsphänomenen zu.



Steuerliche Abschreibungen in der Diskussion: Mit Blick auf eine präferenzierte Sofortabschreibung digitaler Wirtschaftsgüter – bestimmte Computerhardware und Betriebs- und Anwendersoftware – über den Bereich der geringwertigen Wirtschaftsgüter des § 6 Abs. 2 EStG hinaus hat das BMF-Schreiben vom 26.2.2021 mit seinen „Nachbesserungen“ durch das BMF-Schreiben vom 22.2.2022 sowie eine Stellungnahme des BMF zu einer Eingabe der Spitzenorganisationen der deutschen Wirtschaft mit Schreiben vom 26.4.2022 „hohe Wellen“ geschlagen.13 Die Frage nach den Rechtsgrundlagen der digitalen Sofortabschreibung bleibt im Ergebnis allerdings unbeantwor-

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empirischen Analyse zu Steuern im Nachhaltigkeitsbericht vgl. Overesch/ Werthebach/Boer, DStR 2023, 847. Vgl. eingehender Risse/Marx/Krüger/Sixt/Briesemeister/Schäperclaus in Prinz/Kanzler (Hrsg.), Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Teil A Kap. IX. Zur Einordnung ergänzend Loitz, DB 2022, 2809 und 2873. Vgl. BMF v. 10.5.2022 – IV C 1 - S 2256/19/10003 :001 – DOK 2022/0493899, BStBl. I 2022, 668. Zu Erläuterungen etwa Sanning, DB 2022, 1409; Krüger, StuB 2022, 488; Lohmer/Jeuckens, DStR 2022, 1833 und 1889. Vgl. für private Veräusserungsgeschäfte BFH v. 14.4.2023 – IX R 3/22, BStBl. II 2023, 571. Zu Erläuterungen Sanning, DB 2023, 728; Bolik/Zawodsky, Wpg. 2023, 659 und Link, BB 2023, 1643. Vgl. BMF v. 26.2.2021 – IV C 3 - S 2190/21/10002 :013 – DOK 2021/0231247, BStBl. I 2021, 298 und seine Neufassung mit BMF v. 22.2.2022 – IV C 3 S 2190/21/10002 :025 – DOK 2022/0186479, BStBl. I 2022, 187. Ergänzend BMF v. 26.4.2022 – IV C 3 - S 2190/21/10002 :028 – DOK 2022/0370233, DStR

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tet. Dessen ungeachtet begrüßt die Praxis das BMF-Schreiben mit seinem Sofortabschreibungs-Angebot für bestimmte digitale Wirtschaftsgüter. In der Handelsbilanz allerdings ist eine eigenständige Einordnung der realitätsnahen tatsächlichen Nutzungsdauerbestimmung vorzunehmen. Dadurch dürften neue Bewertungsunterschiede zwischen Handels- und Steuerbilanz entstehen, die ggf. passive Steuerlatenzen erforderlich machen. Das im Koalitionsvertrag der „Ampel“ angesprochene Thema einer „Superabschreibung“ ist derzeit weiterhin offen.14 –

Zivilrechtsprechung zu Bilanzierungsfragen: Der BGH und seine Vorinstanzen mussten sich im Jahr 2022 insbesondere vor dem Hintergrund von Bilanzskandalen auch mit Bilanzierungsfragen befassen, was nach den Erfahrungen aus der Vergangenheit eher „Seltenheitswert“ hat, aber über die handelsrechtlichen GoB Ausstrahlung auf die Steuerbilanzierung hat. Deshalb sollte der „Steuerbilanzierer“ stets einen Blick auch auf einschlägige BGH-Rechtsprechung werfen. Besonders erwähnt werden sollen BGH vom 18.1.2022 zur Bilanzierung eines Entschädigungsanspruchs bei Aufhebung eines Beherrschungs-/Gewinnabführungsvertrags, sowie BGH vom 3.3.2022 zur Bilanzierung bei einem nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag und der auch für Steuerbilanzierungszwecke relevanten Feststellung, dass insoweit keine Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheiten der Finanzverwaltung mit Blick auf eine mögliche insolvenzrechtliche Überschuldung ausgelöst werden.15



BFH zu unterschiedlichen Facetten wirtschaftlichen Eigentums (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO): In einer Reihe von Spezialfällen musste sich der BFH in 2021/2022 mit Fragen zum wirtschaftlichen Eigentumsübergang befassen. Die Judikatur muss nunmehr – jenseits aller Details – zu einem stimmigen Gesamtbild des wirtschaftlichen Eigen-

2022, 942 und OFD Frankfurt v. 22.3.2023 – S 2190 A - 031 – St214, DStR 2023, 1203: Keine Anwendung auf Aufwendungen für eine Homepage. 14 Vgl. dazu Wiebe/Halverscheid, WPg. 2022, 767. 15 Vgl. BGH v. 18.1.2022 – II ZR 71/20, GmbHR 2022, 738 m. Anm. Häller = ZIP 2022, 793 = DStR 2022, 1282; v. 3.3.2022 – IX ZR 53/19, GmbHR 2022, 538 m. Anm. Blöse = ZIP 2022, 704 = DStR 2022, 1770. Ergänzend auch BGH v. 20.1.2022 – III ZR 194/19, ECLI:DE:BGH:2022:200122UIIIZR194.19.0, ZIP 2022, 425 = DB 2022, 519 und v. 9.2.2023 – ZR 117/20, DStR 2023, 843 zur Wirtschaftsprüferhaftung sowie LG München I v. 5.5.2022 zur Nichtigkeit von Jahresabschluss und Gewinnverwendung; dazu BB 2022, 1264 m. Anm. Hennrichs.

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tums für die verschiedenen Vermögenspositionen zusammengefügt werden. Erwähnenswert sind die sog. Cum Ex-Entscheidung des BFH vom 2.2.2022 sowie das Filmfonds-Judikat des IV. Senats vom 14.4.2022.16 Im Ausgangspunkt stellt der BFH durchweg die im Gesetzeswortlaut angelegte Negativformel in den Vordergrund; wirtschaftliches Eigentum erfordert danach eine dauerhafte Ausschließung des zivilrechtlichen Eigentümers im Sinne einer Alternativität mittels wirtschaftlicher Dispositionsbefugnis zu einem bestimmten Stichtag. Zu werten ist die bestehende Rechtsstruktur nach dem Gesamtbild der Verhältnisse.

II. Geänderte Gesetzeslage zur Abzinsung von Verbindlichkeiten/Rückstellungen durch Viertes Corona-Steuerhilfegesetz (Fall 1) 1. Ausgangspunkt: Bewertungsrelevanz von Zinsen Die seit etwa 2008 bestehende Niedrigzinsphase auf den weltweiten und europäischen Kapitalmärkten, die wegen der seit Beginn 2022 „bedrohlichen“ inflationären Entwicklung nunmehr zu Ende gegangen ist, wirft in Bezug auf die verschiedenen Formen von „Steuer- und Bilanzierungszinsen“ eine Reihe von einfachgesetzlichen Rechtsfragen auf. Jenseits einzelner Rechtsnormen stellen sich steuersystematische Grundsatzfragen nach der „Steuergerechtigkeit in der Zeit“.17 Konkret: Einerseits hat der Steuergesetzgeber wegen des BVerfG-Beschlusses vom 8.7.2021 die sog. Vollverzinsung gem. § 233a AO mit Wirkung ab 1.1.2019 wegen Verfassungsverstoßes neu geregelt und den entsprechenden Zinssatz rückwirkend auf 0,15% pro Monat gesenkt. Dies ist verbunden mit einer Evaluation der Entwicklung des Basiszinssatzes nach § 247 BGB alle drei Jahre.18 Andererseits hat der Gesetzgeber durch das „Vierte Corona-Steuerhilfegesetz“ vom 19.6.2022 eine punk16 Vgl. BFH v. 2.2.2022 – I R 22/20, BStBl. II 2022, 324 m. = GmbHR 2022, 648 = ZIP 2022, 1696 Anm. Brandis, HFR 2022, 330; v. 14.4.2022 – IV R 32/19, DB 2022, 1937. Zur Einordnung Drüen, FR 2023, 537. 17 Vgl. dazu Anzinger, StuW 2022, 300. 18 Zu einer Analyse der Regelungen im „Zweiten Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung“ v. 12.7.2022 vgl. Seer, DB 2022, 1795. Zu den Inflationswirkungen auf die vom Nominalwertprinzip beherrschte Rechnungslegung vgl. Zwirner/Zimny/Vodermeier, StuB Beilage zu Heft 21/2022, 1 ff.

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tuelle Neuregelung der Abzinsungsregelungen im Steuerbilanzrecht vorgenommen. Generell will der Gesetzgeber mit der Abzinsung der verminderten wirtschaftlichen Lastentragung eines Unternehmens bei längerfristigen unverzinslichen Verpflichtungen Rechnung tragen. Konkret wird durch das „Vierte Corona-Steuerhilfegesetz“ das typisierende Abzinsungsgebot mit 5,5% für längerfristige Verbindlichkeiten abgeschafft; bei längerfristigen Rückstellungen dagegen wird es beibehalten. Die Neuregelungen gelten erstmals für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2022 enden, also bei kalenderjahrgleichem Wirtschaftsjahr zum 31.12.2023; ergänzend besteht eine antragsgebundene Möglichkeit zur früheren Anwendung. Der Zinssatz von 6% bei der Bewertung von Pensionsrückstellungen gem. § 6a EStG wird vom Gesetzgeber nicht geändert. Das Verfahren beim BVerfG mit einer Überprüfung der Verfassungskonformität des 6%-Diskontierungsfaktors mit dem Aktenzeichen 2 BvL 22/17 bleibt weiterhin abzuwarten.19

2. Sachverhalt: Unverzinsliches Akquisitionsdarlehen und längerfristige zinslose „Altanleihe“ Zur Veranschaulichung der Rechtsänderungen im steuerbilanziellen Abzinsungsbereich folgender Sachverhalt: Die Steuerabteilung der inländischen UP-AG wird vom Vorstand aufgefordert, im Hinblick auf steuerbilanzielle Folgen zum 31.12.2022 eine Opinion zu folgenden Fragen abzugeben: –

Unverzinslicher Convertible Loan: Derzeit wird durch die M&A-Abteilung ein komplexer Unternehmenskauf verhandelt. Dabei sollen der Erwerbsgesellschaft noch im Jahre 2022, aber post-akquisitorisch, sog. Convertible Loans über eine zypriotische Beteiligungsgesellschaft gewährt werden. Zur Stärkung der inländischen Wirtschaftsbasis der zu akquirierenden Gesellschaft soll das Darlehen unverzinslich ausgereicht werden mit der Möglichkeit zur späteren „Umwandlung“ in Eigenkapital.



Zinslose „Altanleihe“: Die UP-AG hatte am Kapitalmarkt im Jahre 2018 eine zinslose längerfristige Anleihe aufgenommen. Ursprünglich war die Steuerabteilung der Ansicht, dass für solche Fälle eine Abzinsung wegen Marktkonformität der Nullverzinsung nicht in Betracht kommt, hat dann aber ungeachtet dessen zur Vermeidung von

19 Vgl. FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, FR 2018, 24 mit einer Vorlage an das BVerfG.

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Streitigkeiten mit der Finanzverwaltung in der Steuerbilanz 2018 einen erheblichen steuerpflichtigen Abzinsungsertrag ausgewiesen. In den Jahren 2019–2021 ist steuerbilanziell ein ratierlicher Aufzinsungsaufwand ausgewiesen worden, der durch Anwendung der Zinsschranke (§ 4h Abs. 3 Satz 4 EStG) wirkungsmäßig in Teilen „gekappt“ worden ist. Sämtliche Veranlagungen seit 2018 stehen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO).

3. Neue Gesetzeslage, Hintergrund und Übergangsregelung Die typisierte Abzinsung bestimmter längerfristiger Verbindlichkeiten und Rückstellungen mit einem Zinssatz von 5,5% wurde durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 mit Geltung ab 1999 eingeführt.20 Damit war eine realistische Abbildung bestehender wirtschaftlicher Lasten wegen Unverzinslichkeit der längerfristigen Außenverpflichtung beabsichtigt. Rechtsgrundlage ist § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG für längerfristige Verbindlichkeiten. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG nimmt für Rückstellungen per Rechtsverweis darauf Bezug und macht insbesondere Vorgaben für den Abzinsungsbeginn bei längerfristigen Sachleistungsverpflichtungen sowie für den Spezialbereich der Kernkraftwerksrückstellungen. Die Finanzverwaltung hat Anwendungshinweise zu den steuerbilanziellen Abzinsungsregelungen in ihrem BMF-Schreiben vom 26.5.2005 gegeben.21 Bislang hat die Rechtsprechung den Abzinsungszinssatz von 5,5% ungeachtet der tatsächlich seit längerem bestehenden Niedrigzinsphase als verfassungskonform eingestuft.22 Die Rechtsprechung musste sich zudem in einer Reihe von Einzelkonstellationen mit Abzinsungsfragen befassen. Auch Gesellschafter- und Angehörigendarlehen unterliegen dem Abzinsungsgebot. Gesetzliche Neuregelung: Gemäß einer Beschlussempfehlung des Finanzausschusses beim Deutschen Bundestag vom 18.5.2022 wurde die bilanzsteuerliche Abzinsung von Verbindlichkeiten durch das „Vierte Corona-Steuerhilfegesetz“ v. 19.6.2022 abgeschafft. Zur Begründung verweist der Gesetzgeber darauf, dass vor dem Hintergrund der lang anhal20 Vgl. zur Diskussion bei Einführung des Abzinsungsgebots Koths, StbJb. 1999/2000, 249 (259–266); Koths, StbJb. 2000/2001, 267–280. 21 Vgl. BMF v. 26.5.2005 – IV B 2 - S 2175 – 7/05, BStBl. I 2005, 699. 22 Vgl. bezogen auf das Streitjahr 2006 FG Münster v. 22.7.2021 – 10 K 1707/20 E, G, FR 2022, 368 m. Anm. Kanzler. Vgl. ergänzend auch BFH v. 22.5.2019 – X R 19/17, FR 2019, 1131; v. 18.9.2018 – XI R 30/16, BStBl. II 2019, 67 = GmbHR 2019, 38.

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tenden Niedrigzinsphase vermehrt unverzinsliche oder negativ verzinste Darlehen in Übereinstimmung mit den marktüblichen Gegebenheiten gewährt wurden und deshalb keine gesetzlich typisierende Abzinsung mehr gerechtfertigt werden kann. Zudem sei der Wegfall des Abzinsungsgebots auch ein wichtiger Beitrag zum Bürokratieabbau und zur Steuervereinfachung. Die neue Steuerrechtslage nach Abschaffung der typisierenden gesetzlichen Abzinsung ähnelt deshalb zukünftig der Beurteilung im Handelsbilanzrecht. Dort wird der Erfüllungsbetrag passiviert. Eine Abzinsung von un- und unterverzinslichen Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr ist handelsrechtlich wegen des Realisationsprinzips im Grundsatz unzulässig (Ausnahme: Rentenverpflichtungen gem. § 253 Abs. 2 Satz 3 HGB). Gerechtfertigt ist eine Abzinsung handelsbilanziell nur bei einer formal unverzinslichen Verpflichtung, die tatsächlich einen offenen oder verdeckten Zinsanteil enthält. Diese handelsrechtlichen Abzinsungsgrundsätze dürften nun auch für die steuerbilanzielle Bewertung von Verbindlichkeiten gelten. Das mit 5,5% Zinssatz bestehende Abzinsungsgebot für längerfristige Rückstellungen wird vom Gesetzgeber allerdings beibehalten. Der Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG wird insoweit lediglich redaktionell angepasst. Die Beibehaltung des Abzinsungsgebots bei längerfristigen Rückstellungen wird vom Gesetzgeber trotz seines systemwidrigen Zusammenspiels mit der die aktuellen Verhältnisse widerspiegelnden Stichtagsbewertung (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. f EStG) damit begründet, dass sie weiterhin und unabhängig von den Marktgegebenheiten eine geringere tatsächliche Belastung zum Bilanzstichtag darstellen. Deshalb seien unverzinsliche künftige Verpflichtungen bei längeren Laufzeiten wirtschaftlich weniger belastend als marktüblich verzinste ungewisse Schulden. Dem Grunde nach sieht auch das Handelsbilanzrecht eine Abzinsung von Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr vor (§ 253 Abs. 2 HGB), die allerdings nicht typisiert mit 5,5%, sondern vielmehr mit den der Restlaufzeit entsprechenden durchschnittlichen Marktzinssätzen vorzunehmen ist. In ersten Überlegungen im Schrifttum wird die unterschiedliche Behandlung von längerfristigen Verbindlichkeiten und Rückstellungen durch den Steuergesetzgeber – auch wenn sie konzeptionell der handelsrechtlichen Beurteilung entspricht – kritisiert und zu Recht für nicht überzeugend gehalten.23 Der 23 Vgl. etwa Bolik/Nonnenmacher, StuB 2022, 481 (482–484); Schiffers, DStZ 2022, 436 (437–438); Strahl, kösdi 2022, 22848 (22851); Bergan, DStR 2022, 1233, 1335; Kaminski/Seiffert, Stbg 2022, 281 (283–284); moderater dagegen

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gesetzgeberische Verzicht auf die Beseitigung der Abzinsung von längerfristigen Rückstellungen erscheint nicht folgerichtig. Wegen der Gesetzesänderung sollte die Finanzverwaltung ihr „Abzinsungsschreiben“ anpassen. Übergangsbestimmungen: § 52 Abs. 12 EStG sieht vor, dass die Neuregelungen erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden sind, die nach dem 31.12.2022 enden. In den Übergangsbestimmungen findet sich dann allerdings eine Erweiterung dahingehend, dass auf Antrag die Neufassung auch bereits für frühere Wirtschaftsjahre angewendet werden kann. In der Begründung zum Gesetzentwurf wird dies dahingehend ergänzt, dass insoweit ein „formloser“ und darüber hinaus für die betroffenen Wirtschaftsjahre auch nur „einheitlich“ möglicher Antrag gestellt werden kann, soweit die betroffenen Veranlagungen nicht bestandskräftig sind.24 So können bspw. im Zusammenhang mit der sog. CoronaPandemie in 2020/2021 gewährte zinslose Anleihen und unverzinsliche Überbrückungshilfen nachträglich ohne Abzinsung angesetzt werden. Das vermeintliche Gebot einer „einheitlichen Antragstellung“ kommt im Gesetz selbst nicht zum Ausdruck. Die Antragstellung für ein „offenes Zwischenjahr“ bei bestandskräftigen „Folgejahren“ dürfte allerdings im Ergebnis unzulässig sein.25 Die gesetzliche Übergangsbestimmung eröffnet steuerbilanzpolitische Gestaltungsspielräume.

4. Lösungshinweise zum Sachverhalt Zu den im Sachverhalt aufgeworfenen Fragen lässt sich im Hinblick auf die Neuregelung der steuerbilanziellen Abzinsung folgendes festhalten: –

Unverzinslicher Convertible Loan im Jahre 2022: Der längerfristig durch eine ausländische Finanzierungsgesellschaft aus dem Konzern unverzinslich gewährte Convertible Loan wäre im Grundsatz als „abgezinste Verbindlichkeit“ in der Steuerbilanz der Akquisitionsgesellschaft zum 31.12.2022 auszuweisen, weil die Neuregelung erst ab 2023 gilt. Insoweit kann allerdings im Rahmen der Erstellung der Steuerbilanz 2022 im Laufe des Jahres 2023 ein formloser Antrag mit

Krumm in Brandis/Heuermann, § 6 EStG Rz. 954. Aus Sicht der Finanzverwaltung auch LSF Sachsen, Kurzinformation Einkommensteuer v. 22.6.2022 – 211 – S 2175/15/1-202236534, DStR 2022, 1869. 24 Vgl. dazu auch LfSt. Nds. v. 5.4.2023 – S 2175 – St 221/St 222, DB 2023, 1192. 25 Vgl. Kulosa in Schmidt, EStG42, § 6 Rz. 452.

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dem Verzicht auf eine Abzinsung gestellt werden. Die in der Praxis nicht selten aufzufindende Gestaltung über niedrigverzinsliche Darlehen zur Vermeidung der Abzinsungsregelung mit der damit verbundenen Missbrauchsthematik muss insoweit gestalterisch nicht mehr in Betracht gezogen werden. Handelsbilanziell kommt der Nominalbetrag der Verbindlichkeit als Erfüllungsbetrag gem. § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB zur Anwendung. –

Längerfristige zinslose „Altanleihe“: Bei der steuerbilanziellen Behandlung der längerfristigen zinslosen Anleihe kommen verschiedene Optionen in Betracht. Zum ersten könnte im Jahr 2022 per einmaligem Aufzinsungsaufwand der Nominalwert der Verbindlichkeit (= Erfüllungsbetrag) zum 31.12.2022 in Ansatz gebracht werden. Denkbar wäre auch im Hinblick auf die noch nicht bestandskräftigen Veranlagungen, dass die in 2018 erstmalig erfolgte Abzinsung durch einen Änderungsantrag storniert wird. In den Folgejahren 2019–2021 müsste dann gleichermaßen der jeweils gebuchte Aufzinsungsaufwand mit gewinnerhöhender Wirkung bereinigt werden. Es stellt sich die Frage, ob die Korrektur der Altjahre außerbilanziell im Rahmen eines Berichtigungsantrags vorzunehmen ist, oder ob stattdessen eine formale „Bilanzänderung“ gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG in ihren zeitlichen und sachlichen Grenzen vorgenommen werden muss.26 Eine Bilanzberichtigung gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG dürfte dagegen nicht in Betracht kommen, weil die damalige Rechtslage jedenfalls bei Zugrundelegung des alten Gesetzeswortlauts eine Abzinsung erforderlich gemacht hat. Insoweit wäre einer außerbilanziellen Korrektur der Vorzug zu geben, die dann über eine erfolgsneutrale Anpassung in der Handelsbilanz zum 31.12.2022 zur Herstellung des formellen Bilanzenzusammenhangs abzubilden wäre. In diesem Zusammenhang sind auch etwaige Auswirkungen auf die Zinsschranke sowie gewerbesteuerliche Hinzurechnungen zu prüfen. Denn § 4h Abs. 2 Satz 4 EStG sieht in Bezug auf die Zinsschranke vor, dass die Auf- und Abzinsung unverzinslicher oder niedrig verzinslicher Verbindlichkeiten oder Kapitalforderungen zu Zinserträgen oder Zinsaufwendungen iSd. Zinsschrankenregelung führt. Eine rückwirkende Stornierung der Abzinsung oder eine einmalige Zinsaufwandsanpassung im Jahr 2022 können deshalb durchaus Folgewirkungen im Bereich der Zinsschranke entfalten. Dies wird man

26 Zur Diskussion vgl. Bolik/Nonnenmacher, StuB 2022, 484.

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im Einzelnen prüfen müssen. Soweit ein der Erstabzinsung folgender Zinsaufwand in späteren Jahren entstanden ist, sollten sich mangels „Entgelten für Fremdkapital“ keine Folgewirkungen im Hinblick auf § 8 Nr. 1 GewStG ergeben.

5. Abgrenzung längerfristiger Verbindlichkeiten von Rückstellungen Rückstellungen sind als „ungewisse Verbindlichkeiten“ dem Grunde und/oder der Höhe nach mit Einschätzungsrisiken behaftet. Normalerweise sollten (sichere) Verbindlichkeiten von „ungewissen Verbindlichkeiten“ (= Rückstellungen) eindeutig abgrenzbar sein. Dies ist aber in der Praxis nicht immer der Fall. So hat bspw. der BFH in seinem Judikat vom 9.1.201327 für rückzahlbare Pfandgelder im Rahmen bestimmter Getränke-Mehrweggebinde und -flaschen trotz bestehender Schwundquote und tatsächlicher Ungewissheit bei der Rückgabe der Mehrweggebinde eine Qualifikation als Verbindlichkeit und nicht als Rückstellung vorgenommen. Insoweit käme aus aktueller Sicht keine Abzinsung auch bei längerfristiger Verbindlichkeitenstruktur in Betracht. Des Weiteren können Rückstellungen bei Wegfall der Ungewissheit dem Grunde und/oder der Höhe nach zu „echten“ Verbindlichkeiten mutieren. So können bspw. Steuerrückstellungen zu Steuerverbindlichkeiten werden. Diese „Umsortierung“ im Bilanzausweis kann „Bewertungssprünge“ zu Gunsten oder zu Lasten des Unternehmens haben.

III. Steuerbilanzielle Behandlung von Gutscheinen aus Kundenbindungsprogrammen (Fall 2) 1. Steuerbilanzielle Diskussion um Ausgabe von Gutscheinen mit Rückstellungsrelevanz Rabattierungsaktionen der verschiedensten Art mit der Ausgabe von Gutscheinen und Bonuspunkten haben bei Handels- und Dienstleistungsunternehmen als verkaufsförderndes Marketinginstrument große Bedeutung. Sie dienen seit langem und in sehr variantenreicher Ausgestaltung und Bezeichnung der Kundenbindung und treten in jüngerer Zeit nicht nur als „Gutscheine in Papierform“ auf, sondern sind in der Praxis vermehrt auch als „digitale Gutscheinvarianten“ – teils als sog.

27 Vgl. BFH v. 9.1.2013 – I R 33/11, BStBl. II 2019, 150 = FR 2013, 945.

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Utility Token – vorzufinden. Grob betrachtet und typisierend sind zwei „Gutscheingruppen“ zu unterscheiden:28 –

Wertgutscheine (= bezahlte Gutscheine): In der „Hoch-Zeit“ der Corona-Pandemie hatten Gutscheine vor allem bei Gastronomen und Eventveranstaltern als „Überbrückungshilfen“ bei von Kunden bereits geleisteten Zahlungen für ausgefallene Veranstaltungen weite Verbreitung.29 Der erfolgsneutrale Ausweis als „erhaltene Anzahlung“ dürfte insoweit klar sein. Entsprechendes gilt für gekaufte „Geschenkgutscheine“, die beim Unternehmen eine Rechtsverpflichtung begründen, dem potenziellen Kunden in einem bestimmten betragsmäßigen Rahmen Güter oder Leistungen zukommen zu lassen, die ganz oder in Teilen von einem Dritten bereits bezahlt wurden. Solche „bezahlten Gutscheine“ werden vom Kunden eingelöst und berechtigen ihn zu einem bestimmten Erwerbsgeschäft. Der Gutschein ist eine Art „Ersatzzahlungsmittel“.30 Der Gutscheinerwerb ist erfolgsneutral zu verbuchen und mindert die Zahlungsverpflichtung des Kunden im „Umsatzjahr“.



Preisermäßigende Gutscheine: Derartige meist an qualifizierte Bedingungen gekoppelte Rabattierungen durch Gutscheine oder Bonus-/ Treuepunkte berechtigen die Kunden aufgrund bereits getätigter Umsätze zu zukünftigen verbilligten Einkäufen. Ein laufender Umsatz berechtigt durch Teilnahme an einem Bonusprogramm zu Preisermäßigungen bei einem zukünftigen Folgeumsatz. Für die Unternehmen stellen sich im Hinblick auf einen dazwischen liegenden Bilanzstichtag bilanzielle Fragen nach der Begründung einer „Außenverpflichtung“ zur späteren Gutscheineinlösung mit Preisminderungswirkung. Allerdings versagt die Finanzverwaltung bei Rabattierungsprogrammen, die einen Anspruch auf preisermäßigte künftige Leistungen gewähren, eine Rückstellungsbildung und verweist insoweit auf

28 Vgl. zu den verschiedenen Ausgestaltungsformen von Gutscheinen Koss, DB 2019, 2593; Diffring/Saft, Ubg. 2020, 146; Schwemmer, DStR 2020, 1585; Schall, WPg. 2022, 621; als Überblick auch Krumm in Brandis/Heuermann, EStG, § 5 Rz. 920 „Gutscheine“. 29 So sieht das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Veranstaltungsrecht und im Recht der europäischen Gesellschaft (SE) und der europäischen Genossenschaft (SCE)“ v. 15.5.2020 in Art. 1 § 5 „Gutscheine für Freizeitveranstaltungen und Freizeiteinrichtungen“ als eine Art befristete Liquiditätshilfe für die Zeit bis zum 31.12.2021 vor. 30 So anschaulich Hennrichs, StbJb. 2015/2016, 255 (274).

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den „Friseurgutscheinfall“ des BFH vom 19.9.2012.31 Entgegen dieser Rechtsauffassung der Finanzverwaltung hat das FG Nürnberg in einer Entscheidung vom 25.4.2019 mit ausführlicher Begründung entschieden, dass Gutscheine aus einem personifizierten Kundenbindungsprogramm für eine steuerbilanzielle Rückstellungsbildung geeignet sind. Der BFH hat die Finanzgerichtsentscheidung aktuell nun im Revisionsverfahren IV R 20/19 durch Urteil vom 29.9.2022 bestätigt.32 Darum soll es im Weiteren gehen. Umsatzsteuerliche Konsequenzen für Kundenbindungsprogramme mit der Unterscheidung von Einzweckund Mehrzweckgutscheinen folgen einer eigenständigen Verkehrssteuerlogik, die bei der Gestaltung entsprechender Programme ebenfalls berücksichtigt werden sollte.

2. Sachverhalt: Der „Bonuspunktefall“ Die X GmbH & Co. KG betreibt ein Handelsunternehmen mit kalenderjahrgleichem Wirtschaftsjahr. Sie hat – zusammen mit mehreren Tochter- und Partnerunternehmen – ein Kundenkartenprogramm in Gestalt einer X-Card entwickelt, das beim Einkauf in den teilnehmenden Stores und in Online-Shops Bonuspunkte mit der Ausgabe von Gutscheinen für zukünftige verbilligte Einkäufe umfasst. Die Bonuspunkte knüpfen dabei an den Wert eines Einkaufs durch den Kunden an, werden auf dessen Bonusheft übertragen, fortlaufend aufaddiert und in bestimmter Form nach Maßgabe einer monatlichen Kontoabrechnung in Gutscheine „umgewandelt“ (personifiziertes Kundenkartenprogramm). Bei Rückgängigmachung eines Einkaufs erfolgt eine Reduzierung des Bonuspunkteguthabens. Die an die Kunden ausgegebenen Gutscheine können für eine befristete Zeit – bis 36 Monate nach Ausgabe – als Zahlungsmittel für Einkäufe des Kunden verwendet werden. Für die Einlösung sind weder Mindestumsatz noch Zuzahlungen erforderlich. Eine Barauszahlung auf die Gutscheine erfolgt allerdings nach den Programmkonditionen nicht. Für die bestehende Einlösungsverpflichtung nach Maßgabe der in31 Vgl. Einkommensteuer-Hinweise (EStH) in H 5.7 (5 „Gutscheine“) mit Hinweis auf BFH v. 19.9.2012 – IV R 45/09, BStBl. II 2013, 123 = FR 2013, 462. 32 Vgl. FG Nürnberg v. 25.4.2019 – 4 K 1050/17, EFG 2019, 1527 mit Anm. Hüttner; zur Bestätigung durch BFH v. 29.9.2022 – IV R 20/19, BStBl. II 2023, 435 = DStR 2022, 2537. Zur Diskussion auch Feldgen, StuB 2019, 742; Prinz, DB 2022, 2122 und StuB 2023, 11; Hommel/Schall, EuGH v. 4.5.2023 – C-516/21, DB 2023, 1323; Weber-Grellet, FR 2023, 121 und Diffring/Saft, FR 2023, 123.

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nerhalb der nächsten drei Jahre zahlungshalber verwendbaren Bonuspunkte/Gutscheine hat die X GmbH & Co. KG eine steuerbilanzielle Rückstellung auf Basis der Erfahrungswerte der Vergangenheit (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG) gebildet. Die Finanzverwaltung lehnt die Rückstellung wegen Inbezugnahme zukünftiger Umsätze ab. Es kommt zum Rechtsstreit. Das Streitjahr ist 2020.

3. Lösungshinweise: Keine Verbindlichkeit, aber Verbindlichkeitsrückstellung; Nichtanwendbarkeit des § 5 Abs. 2a EStG Das Finanzgericht Nürnberg gibt der X GmbH & Co. KG in seiner Entscheidung vom 25.4.2019 Recht, lässt aber wegen grundsätzlicher Bedeutung und Fortbildung des Rechts Revision beim BFH zu, die unter dem Aktenzeichen IV R 20/19 geführt wird. Das Revisionsverfahren wurde auf Seiten der Finanzverwaltung vom BMF begleitet („Beitritt zum Verfahren“), was die praktische Bedeutung der Rückstellungsfrage unterstreicht. Der BFH gelangt in seiner differenzierten und schulmäßig aufgebauten Entscheidung in Bestätigung des erstinstanzlichen Judikats zu dem Ergebnis, dass das Handelsunternehmen in seinem Kundenkartenprogramm eine Verpflichtung gegenüber dem teilnehmenden Kunden eingegangen ist, die an die Höhe des Wareneinkaufs anknüpft. Dies erfordert für die am Bilanzstichtag noch nicht eingelösten Bonuspunkte bzw. Gutscheine eine Rückstellungsbildung, wenn wahrscheinlich ist, dass die Verbindlichkeit tatsächlich entsteht und die vom Unternehmen gewährte Preisermäßigung vom Kunden in Anspruch genommen wird. Der Passivierungsaufschub des § 5 Abs. 2a EStG kommt bei einer solchen Anrechnungsverpflichtung aus einem Kundenkartenprogramm nicht zur Anwendung. Die Kernüberlegungen des BFH lassen sich wie folgt skizzieren: –

In einem ersten Begründungsschritt gelangt der IV. Senat auf Basis der Tatsachenfeststellungen der Erstinstanz zu dem Ergebnis, dass die durch das Unternehmen eingegangene Verpflichtung aus der Gewährung von am Bilanzstichtag nicht eingelösten Bonuspunkten/ Gutscheinen keine (sicher bestehende) Verbindlichkeit, aber eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten begründet. Die dafür erforderliche „Außenverpflichtung“ sieht der IV. Senat in dem Ver535

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tragsverhältnis mit den am Kundenkartenprogramm teilnehmenden Kunden. Denn die „erworbenen Bonuspunkte/Gutscheine“ werden als besonderes Zahlungsmittel (= Anrechnungsversprechen) vom Unternehmen für neuerliche Wareneinkäufe des Kunden akzeptiert und von diesem nach dem Bilanzstichtag später möglicherweise eingesetzt. Diese Außenverpflichtung gilt nach Meinung des BFH auch für den Fall der „Betriebseinstellung“ (so Rz. 38 des BFH-Judikats). „Rechtlich entstanden“ ist die Einlösungsverpflichtung am Bilanzstichtag aber nicht. Sie steht vielmehr unter der Unsicherheit späterer Einkäufe durch den Kunden. Deshalb liegt nach Meinung des BFH keine passivierungspflichtige Verbindlichkeit, sondern vielmehr eine durch „Unsicherheitselemente“ gekennzeichnete Verbindlichkeitsrückstellung vor. Diese durch die Ausgabe von Bonuspunkten entstandene Außenverpflichtung ist in der Zeit vor dem Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht, und zwar durch Teilnahme der Kunden an dem Bonusprogramm sowie durch den Umfang getätigter Wareneinkäufe. Deshalb sind nach Meinung des BFH die wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen einer Außenverpflichtung gegenüber den Karteninhabern und Kunden bereits am Bilanzstichtag wirtschaftlich entstanden. Zudem war es nach den Tatsachenfeststellungen des FG auch wahrscheinlich, dass die an die Karteninhaber ausgegebenen Bonuspunkte und Gutscheine bei folgenden Wareneinkäufen auch tatsächlich als Ersatzzahlungsmittel eingesetzt werden. Der BFH zieht für diese Einschätzung die Erfahrungswerte für die Jahre 2006–2009 zum Verfall von Bonuspunkten und Gutscheinen heran und sieht damit eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Anspruchsentstehung und Inanspruchnahme des Unternehmens durch die Kunden für gegeben. Der für die „tatsächliche Anrechnung“ der Bonuspunkte erforderliche weitere Wareneinkauf ist dagegen nach Meinung des BFH als „wirtschaftlich unwesentliches Tatbestandsmerkmal“ anzusehen (so Rz. 49). Zudem sieht der BFH die Ablehnung einer Rückstellungsbildung im sog. Friseurgutscheinfall des IV. Senats vom 19.9.2012 wegen Rabattierung künftiger Leistungen nicht als mit dem Streitfall vergleichbar an. Dass durch das Kundenkartenprogramm ökonomisch betrachtet eine „Kundenbindung für die Zukunft“ erreicht werden soll, hindert den BFH zu Recht nicht daran, eine Verbindlichkeitsrückstellung bezogen auf den jeweiligen Bilanzstichtag zu akzeptieren.

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In einem zweiten Begründungsschritt stellt der BFH für den Streitfall die Nichtanwendbarkeit des Passivierungsaufschubs/Passivierungsverbots gem. § 5 Abs. 2a EStG fest. Die durch die gewährten Bonuspunkte/Gutscheine entstandene „Anrechnungsverpflichtung“ des Unternehmens resultiert aus dem ersten Einkaufsvorgang des Kunden und stellt damit eine Belastung des gegenwärtigen Vermögens dar. Dieses durch Bonuspunkte/Gutscheine begründete besondere Zahlungsmittel setzt der Kunde dann bei Folgeeinkäufen auch nach dem Bilanzstichtag ein. Auslösendes Moment der Rabattierung und Veranlassung ist damit der erste Einkaufsvorgang im „alten Jahr“; das zum Bilanzstichtag bestehende Vermögen trägt diese Belastung. Erfüllungsbeschränkungen im Sinne einer Verknüpfung mit künftigen Einnahmen/Gewinnen sind mit dieser Anrechnungsverpflichtung nicht verbunden.

4. Steuersystematische Einordnung und besteuerungspraktische Folgerungen Die Entscheidung des IV. Senats beim BFH mit der Zulässigkeit einer Verbindlichkeitsrückstellung für Verpflichtungen aus einem vertraglich unterlegten Kundenkartenprogramm ist gut begründet, zutreffend gelöst und für die Ausgestaltung aktueller Rabattierungsprogramme wegweisend. Hilfreich sind zudem die Abgrenzungsüberlegungen des IV. Senats gegenüber den Wertungsgesichtspunkten anderer Judikate mit Rückstellungsrelevanz. Vor allem der Friseurgutscheinfall des BFH vom 19.9.2012 ist von einer Verpflichtungsstruktur her mit seinem dominierenden Zukunftsbezug anders gelagert als der Bonuspunktefall. Da der IV. Senat des BFH eine Verbindlichkeitsrückstellung anerkennt, dürfte klar sein, dass die vom BFH entwickelten Maßstäbe als handelsrechtliche GoB mit Geltung auch in der Handelsbilanz Beachtung finden müssen (§ 249 Abs. 1 HGB i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG). Zur Rückstellungsbewertung musste sich der BFH nicht eingehend äußern. Rechtsgrundlage der Bewertung dürfte § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG sein. Bewertungsrechtlicher Ausgangspunkt sollte deshalb der Nominalwert der aufsummierten ausgegebenen Punkte/Gutscheine sein, der um die Umsatzsteuer, den Gewinnaufschlag und den Kundenanteil unterhalb der Mindestpunktzahl zu reduzieren ist und mit der Einlösewahrscheinlichkeit gewichtet werden muss. Eine Gegenrechnung „künftiger Vorteile“ in Gestalt zukünftiger allgemeiner Geschäftsumsätze kommt nicht in Betracht.

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Bei der konkreten rechtlichen Konzeption und Ausgestaltung von Bonuspunkten- und Gutscheinsystemen werden betroffene Unternehmen die Leitlinien der Kundenkartenprogrammentscheidung des BFH im Hinblick auf bilanzielle Vorsorgemaßnahmen im Rückstellungsbereich beachten müssen. Die Teilnahmebedingungen für das Vertragsverhältnis zwischen Unternehmen und Kunde bedürfen deshalb auch der bilanziellen Würdigung. Nicht vernachlässigt werden sollte bei der praktischen Umsetzung von derartigen Kundenkartenprogrammen auch das Bewertungsthema. Vor allem für die Dokumentation der Inanspruchnahmewahrscheinlichkeit des Programms durch die Kunden sollten spezifizierte Unterlagen vorbereitet und der Betriebsprüfung zugänglich gemacht werden.

IV. Wirtschaftliches Eigentum und Probebetrieb bei Windkraftanlagen, AfA-Beginn sowie Bilanzierungsfolgen (Fall 3) 1. Ausgangspunkt: Bilanzierung und Bewertung bei längerfristiger Fertigung Bei komplexen und meist längerfristig ausgerichteten Produktionsvorgängen stellen sich beim Hersteller Fragen der Vorratsbewertung und der Gewinnrealisierung (einschließlich eventueller Teilrealisationsakte bei abgrenzbaren Leistungen).33 Beim Erwerber ergeben sich – als eine Art „Spiegelbild“ – Bestimmungsnotwendigkeiten für den Übergang des zivilrechtlichen/wirtschaftlichen Eigentums am jeweiligen Wirtschaftsgut sowie zu Beginn/Verlauf der Abschreibungen (§ 7 Abs. 1 EStG, § 9a EStDV). Besondere Bilanzierungsfragen stellen sich bei einem „provisorisch“ fertiggestellten Wirtschaftsgut, das beim Erwerber zunächst in einem Probebetrieb seine wirtschaftliche Funktionsfähigkeit nachweisen muss. Das FG Münster musste sich in seinem rechtskräftigen Urteil vom 15.9.2021 in einer solchen Sachverhaltskonstellation mit „Windkraftanlagen im Probebetrieb‘“ befassen. Dies soll im Weiteren aufgearbeitet werden.

33 Vgl. als Überblick Kahle/Kopp, Grundzüge der Handels- und Steuerbilanz2, 67–70 mit der Abgrenzung der „Completed Contract-Methode“ von der „Percentage-of-Completion-Methode“.

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2. Sachverhalt: Wirtschaftliches Eigentum bei Probebetrieb, AfA-Berechtigung und Rechnungsabgrenzungsposten Unternehmensgegenstand der UP-KG ist Errichtung/Betrieb von Windenergieanlagen (WEA). Das Streitjahr ist 2017. Die UP-KG beauftragt im November 2016 eine Fremdfirma mit Herstellung, Errichtung und Inbetriebnahme von WEA in einem Gesamtwert von rd. 20 Mio. t. Die Besonderheit des Vertrags ist: Nach Abschluss der Montagearbeiten werden die WEA von der UP-KG zunächst als Probebetrieb eingesetzt. Erst mit Erfüllung bestimmter technischer Kriterien werden die WEA von der UP-KG abgenommen und in einen regulären Betrieb überführt. Der Probebetrieb wurde im Dezember 2017 gestartet. Ab diesem Zeitpunkt hat die UP-KG zudem Einspeiseerlöse von Kunden erzielt. Die formelle Abnahme der WEA ist Mitte 2018 erfolgt. Schließlich hat die UP-KG in einem Durchführungsvertrag mit der Stadt die Verpflichtung übernommen, die erbrachten Baumaßnahmen bei der endgültigen Einstellung des Betriebs vollständig zurückzubauen. Es wurden seitens der UP-KG zwei Bankbürgschaften zur Absicherung gewährt. Die UP-KG startet in ihrem steuerlichen Rechenwerk für 2017 mit der Abschreibung pro rata temporis für die in Betrieb genommene WEA (16 Jahre betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer), behandelt die Einspeisevergütungen als laufende Betriebseinnahmen und beginnt mit der Dotierung einer Ansammlungsrückstellung für die Rückbauverpflichtung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d EStG. Im Rahmen einer Betriebsprüfung stellt sich die Finanzverwaltung – unter Bezugnahme auf die BFH-Entscheidungen vom 22.9.2016 – IV R 1/14 und vom 1.2.2012 – I R 57/1034 – auf den Standpunkt, die AfA sei erstmalig ab Mitte 2018 vorzunehmen. Daraufhin will die UP-KG (hilfsweise) die erhaltenen Einspeiseerlöse aus dem Betrieb der Windenergieanlagen als passiven RAP (§ 5 Abs. 5 Nr. 2 EStG) behandeln. Es kommt zum Rechtsstreit.

3. Lösungshinweise Das FG Münster weist in seinem Urteil vom 15.9.2021 die von der UPKG angebrachte Klage in vollem Umfang als unbegründet zurück. Die Revision wird nicht zugelassen, weil insoweit bereits höchstrichterliche Rechtsprechung besteht und zudem Sachverhaltsbesonderheiten festzustellen sind. 34 Vgl. BFH v. 22.9.2016 – IV R 1/14, BStBl. II 2017, 171 = FR 2017, 1099; v. 1.2.2012 – I R 57/10, BStBl. II 2012, 407 = FR 2012, 877.

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Drei Rechtsaspekte des finanzgerichtlichen Judikats sind bedeutsam: –

Übergang des wirtschaftlichen Eigentums erst nach Beendigung des Probebetriebs: Nach zutreffender Meinung des FG Münster reicht für den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an der Windenergieanlage der bloße Besitz- und Nutzungsübergang im Rahmen eines Probebetriebs nicht aus. Gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG beginnt die AfA-Inanspruchnahme erst mit der Anschaffung oder Herstellung des jeweiligen Wirtschaftsguts und ist im Erstjahr pro rata temporis vorzunehmen. Gem. § 9a EStDV ist das Jahr der Anschaffung das „Jahr der Lieferung“. Das Jahr der Herstellung ist das „Jahr der Fertigstellung“. Im Streitfall kommt es also entscheidend darauf an, zu welchem Zeitpunkt die UP-KG die WEA per Lieferung angeschafft hat. Die bloße Verfügbarkeit der WEA im Probebetrieb reicht dafür nicht aus. Vielmehr ist zur Bestimmung des Anschaffungsjahrs das konkrete Gesamtvertragswerk für die Errichtung der WEA ökonomisch zu werten und daraufhin „abzuklopfen“, wann die Gefahr des zufälligen Untergangs/der zufälligen Verschlechterung des Wirtschaftsguts auf den Erwerber übergeht. Dies ist nach Meinung des FG Münster unter Bezugnahme auf die einschlägige BFH-Entscheidung vom 22.9.2016 dann der Fall, wenn die Anlagen nach erfolgreichem Abschluss des Probebetriebs vom Erwerber abgenommen werden. Dass bereits im Rahmen des Probebetriebs der WEA Einnahmen in Form von Einspeiseerlösen durch die UP-KG erzielt wurden, ist für den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO unerheblich. Des Weiteren hat das FG Münster in diesem Zusammenhang zu Recht entschieden, dass auch die Aufwendungen für die externe Verkabelung und die Zuwegung der WEA über die AfA erst nach Abnahme berücksichtigt werden können. Bei den Aufwendungen für die Übergabestation und die Zuwegung handele es sich zwar um selbständige Wirtschaftsgüter, deren Inbetriebnahme erfolgt aber erst ab Mitte 2018.



Kein Ansatz der Einspeiseerlöse als passiver RAP (§ 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG): Die von der UP-KG im Jahre 2017 im Rahmen des Probebetriebs der WEA erzielten Einnahmen aus Stromeinspeisungen stehen im Zusammenhang mit in diesem Wirtschaftsjahr erbrachten Leistungen. Die (hilfsweise) beanspruchte Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens gem. § 5 Abs. 5 Nr. 2 EStG kommt bei einer solchen Leistungs- bzw. Gegenleistungskonstellation nicht in Betracht. Denn die erzielten Einnahmen werden für laufende Leis-

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tungen erzielt und nicht für zukünftige Gegenleistungszeiträume. Das Realisationsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) lässt insoweit keinen Besteuerungsaufschub für leistungsbezogen erzielten Einnahmen in Gestalt eines passiven RAP zu. –

Keine Ansammlungsrückstellung für den Rückbau der WEA vor wirtschaftlichem Eigentumsübergang: Fraglich ist, ob bereits im Jahr des Probebetriebs der WEA eine Ansammlungsrückstellung für die bestehende Rückbauverpflichtung „gestartet“ werden kann. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d EStG setzt im Rahmen der Bewertung solcher Ansammlungsrückstellungen voraus, dass „für deren Entstehen im wirtschaftlichen Sinne der laufende Betrieb ursächlich“ sein muss. Ein solcher verpflichtungsbegründender „laufender Betrieb“ besteht nach Meinung des FG Münster erst nach Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an der WEA auf die UP-KG.

Demgemäß gelangt das FG Münster in seinem Urteil vom 15.9.2021 zu dem Ergebnis, dass Verbindlichkeiten aus einer Rückbauverpflichtung von WEA, die sich noch im Probebetrieb befinden und wirtschaftlich noch nicht auf den Erwerber übergegangen sind, nicht im „laufenden Betrieb“ anfallen. Die Bildung einer Ansammlungsrückstellung für Rückbauverpflichtungen ist deshalb vor dem wirtschaftlichen Eigentumsübergang unzulässig. Dies erscheint mE überzeugend.

4. Praktische Besteuerungskonsequenzen Die Entscheidung des FG Münster liegt auf der Linie der BFH-Rechtsprechung und leuchtet die Bedeutung eines Probebetriebs für den AfA-Beginn überzeugend aus. Bilanzrechtssystematisch ist interessant: Die Fragen zum wirtschaftlichen Eigentumsübergang werden allein auf § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO und nicht auf § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB gestützt. Die vom BFH im Urteil vom 22.9.2016 bereits angesprochenen Fragen des Abschreibungsbeginns bei Windkraftanlagen werden im Hinblick auf bilanzsteuerliche Folgewirkungen durch das FG Münster überzeugend weiterentwickelt. Für die Praxis ist wichtig, den Probebetrieb für ein Wirtschaftsgut und den Zeitpunkt des wirtschaftlichen Eigentumsübergangs mit formeller Abnahme eindeutig festzulegen und zu dokumentieren (Abnahmeprotokolle). Für die personelle Zurechnung eines Wirtschaftsguts kann es im Ergebnis nur „einen“ wirtschaftlichen Eigentümer geben. Mit Fragen zur AfA-Berechtigung eines „noch-nicht-Eigentümers“ befasst sich das FG Münster nicht. Ein solches „Gedankenkonstrukt“

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dürfte auf Basis des Regelungszusammenhangs der AfA eher problematisch sein.

V. Nur kursorisch: Bilanzierung von Mehrwegpaletten im Pfandsystem (Fall 4) 1. Ökologische Nachhaltigkeit und Steuerbilanzierung In der Praxis haben Fragen ökologisch nachhaltigen Wirtschaftens auch bereits das Steuerbilanzrecht erreicht. Ein Beispiel dafür ist die Bilanzierung vereinnahmter/verausgabter Pfandgelder in der Getränkeindustrie bei Leergut.35 Ausgangspunkt der streitigen Diskussion war das BFH-Urteil vom 9.1.201336, das zum Sonderfall eines Mineralbrunnenbetriebs mit einer Leergutpoolung ergangen ist und gestützt auf die Rechtsprechung des BGH eine Passivierung der Pfandgelder für die Rücknahmen von sog. Einheitsleergut (ohne unternehmensspezifische Kennzeichnung) versagt hat. Nur für sogenanntes Individualleergut komme eine Behandlung als geringwertiges Wirtschaftsgut und eine Abwicklung der Pfandgelder über Verbindlichkeiten/Rückstellungen weiterhin in Betracht. Einheitsleergut soll dagegen unter Bestandsveränderungen im Vorratsvermögen abgewickelt werden, mit gleichzeitig erfolgswirksamer Vereinnahmung/Verausgabung der Pfandgelder. Aus erfolgsneutral zu behandelnden Pfandgeldern als „Sicherungsinstrument“ für einen funktionierenden Verpackungskreislauf wäre Potenzial für eine Scheingewinnbesteuerung entstanden. Wegen der praktischen Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von Einheits- und Individualleergut für Administrations- und Rechnungslegungszwecke, sowie einer durch die BFH-Entscheidung erwarteten „ökologischen Beschädigung“ des funktionierenden Mehrwegsystems im Leergutbereich, hat die Finanzverwaltung den Unternehmen mit Schreiben vom 8.12.202037 und in Änderung der Verfügung vom 19.2.201938 wahlweise gestattet, aus Vereinfachungsgründen die bilanziell einheitliche Behandlung von Einheits- und Individualleergut beizubehalten, oder bei Umsetzung der Lösung des BFH eine zehn35 Vgl. Prinz, StbJb. 2019/2020, 389 (490–496); vertiefend Prinz/Ludwig, FR 2020, 153, sowie Prinz, StuB 2021, 49. Zur zivilrechtlichen Rechtslage Gneißl/Berghuber, ZaK 7/2023, 124. 36 Vgl. BFH v. 9.1.2013 – I R 33/11, BStBl. II 2019, 150 = FR 2013, 945. 37 Vgl. BMF v. 8.12.2020 – IV C 6 - S 2133/19/10002 :013 – DOK 2020/1240192, BStBl. I 2020, 1367. 38 Vgl. BMF v. 19.2.2019 – IV C 6 - S 2133/13/10002 – DOK 2019/0058072, BStBl. I 2019, 210.

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jährige Verteilung des entstehenden „Umstellungsgewinns“ vorzunehmen. Das BMF-Schreiben hat die Diskussion um die Behandlung von Pfandgeldern weitgehend befriedet. Überraschend ist die Diskussion nunmehr erneut und mit branchenübergreifender Wirkung bei „Mehrwegpaletten im Pfandsystem“ aufgeflammt. Solche mehrfach verwendbaren Ladungsträger sollen als Transporthilfsmittel einen sicheren und logistisch reibungslosen Transport von Produkten gewährleisten. Sie werden als standardisierte, sogenannte Europaletten in der Praxis häufig über ein Pfandsystem ökologisch sinnvoll genutzt. Das Pfandsystem bei Mehrwegpaletten ähnelt dem bei Leergut, so dass eine „Gleichbehandlung“ auf der Hand liegt. Darum soll es im Weiteren gehen.

2. Sachverhalt: Mehrwegpaletten und Pfandgelder Die mittelständische UP-Getränke-Gruppe GmbH nutzt ein Mehrwegpaletten-System als Transporthilfsmittel. In derartige Paletten werden die mit Flaschen befüllten Kästen in Gestalt von Einheits- und Individualleergut (als Warenumschließungen) eingestellt, konfektioniert und an die jeweiligen Kunden geliefert. Im Hinblick auf Standardisierungserfordernisse im Transportbereich werden meist sogenannte Europaletten verwendet, die als mehrwegfähige Transportbehältnisse mit Standardmaßen, sowie einem standardisierten Eigengewicht ausgestattet sind. Sie werden von der UP-Getränke-Gruppe GmbH in der Form verwendet, dass zur Sicherstellung der jeweiligen Rückgabe an die Unternehmen Pfandgelder beansprucht werden. Dabei gibt der Kunde die erhaltenen Paletten an das Getränkeunternehmen gegen Rückgabe des Pfandgelds zurück. Im Übrigen werden die von der UP-Getränke-Gruppe mit Anschaffung in Verkehr gebrachten und wieder zurückgenommenen Europaletten als Gebrauchsgegenstände gleicher Art und Güte – nach Ausmusterung beschädigter Teile – als geringwertige Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens behandelt und im regelmäßigen Turnus nach Verschleiß, wieder „ersetzt“. In der laufenden Betriebsprüfung der UP-Getränke-Gruppe GmbH wurde dem Steuerabteilungsleiter zu seiner großen Überraschung mitgeteilt, dass die im Prüfungszeitraum in Übereinstimmung mit der Handelsbilanz passivierten Pfandgelder bei sogenannten Europaletten unter Bezugnahme der BFH-Entscheidung vom 9.1.2013 nicht mehr anerkannt werden können und weitgehend erfolgserhöhend aufzulösen seien. Es tue ihm sehr leid, aber das BMF-Schreiben vom 8.12.2020 sei nur auf Leergut, nicht aber auf andere Warentransportbehältnisse anwendbar. 543

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Der Steuerabteilungsleiter bittet um Unterbrechung der Betriebsprüfung zu diesem Themenkomplex und gibt dazu eine Tax-Opinion bei seinem Berater in Auftrag. Anschließend will er mit dem Landes- und dem Bundesfinanzministerium Kontakt aufnehmen, um eine sachgerechte Problemlösung zu finden.

3. Rechtsprechung und Literatur zu Mehrwegpaletten Die bislang vorliegende Finanzgerichtsprechung zur bilanzsteuerlichen Behandlung von Mehrwegpaletten ist „spärlich“ und zudem „uneinheitlich“. Eine BFH-Rechtsprechung liegt ersichtlich nicht vor. Zwei finanzgerichtliche Judikate sind hervorzuheben: –

Dies ist zum Ersten die rechtskräftige Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz vom 22.9.201039, die sich mit Mehrwegpaletten bei einem Hersteller von Bimsbausteinen befasst. Die streitbefangenen Mehrwegpaletten waren durch eine sogenannte Blockprinter-Kennzeichnung individualisiert. Das FG ordnet derartige Mehrwegpaletten als Anlagevermögen der Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG zu. Für die Verpflichtung zur Rücknahme und Vergütung der Mehrwergpaletten ist eine Verbindlichkeitsrückstellung gem. § 249 Abs. 1 HGB iVm. § 5 Abs. 1 EStG zu bilden.



Zum Zweiten ist die rechtskräftige Entscheidung des FG Münster vom 4.10.2019 zu nennen.40 Das Judikat befasst sich mit einem Unternehmen, das den Handel, sowie den Tausch und die Vermietung von standardisierten Ladungsträgern betreiben, betrifft also nur die Beurteilung von Ladungsträgern als eigener Handelsgegenstand. Derartige standardisierte Ladungsträger sind als Umlaufvermögen anzusetzen, wenn bei ihrer Anschaffung der alsbaldige Wiederverkauf im Vordergrund steht. Für die Beurteilung von Mehrwegpaletten als Transportbehältnisse in der Getränkeindustrie und branchenübergreifend hat das Urteil wohl keine Relevanz.41

Über die beiden finanzgerichtlichen Entscheidungen hinausgehend wird in Betriebsprüfungen mitunter zur Beurteilung der Mehrwegpaletten und des damit verbundenen Pfands das BMF-Schreiben vom 5.11.2013

39 Vgl. FG Rheinland-Pfalz v. 22.9.2010 – 2 K 2467/08, DStRE 2011, 729. 40 Vgl. FG Münster v. 4.10.2019 – 14 K 610/18 E, G DStR 2020, 30. 41 Vgl. dazu auch Scheller, DStR 2017, 894; Scheller, DStR 2020, 63; Endert, BBK 2020, 821.

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mit Änderung durch Schreiben vom 20.10.201442 herangezogen, das allerdings nur die umsatzsteuerrechtliche Behandlung der Hin- und Rückgabe von Transportbehältnissen im Groß- und Einzelhandel betrifft. Die dort vorgenommene Unterscheidung zwischen Transporthilfsmitteln und Warenumschließungen hat insoweit ausschließlich umsatzsteuerlichen Hintergrund.

4. Lösungshinweise: Vereinfachungs- und Nichtbeanstandungsregelung der Finanzverwaltung Aus steuersystematischer Sicht ist kein Grund erkennbar, dass die Vereinfachungs- und Nichtbeanstandungsregelungen im BMF-Schreiben vom 8.12.2020, die sich inhaltlich auf Individual-, Pooleinheits- und Einheitsleergut in der Getränkeindustrie erstrecken, nicht branchenübergreifend auch auf den Bereich von Mehrwegpaletten und das insoweit implementierte Pfandgeldsystem anzuwenden sind. Die bilanzsteuerlichen Fragestellungen für Warenumschließungen und Warentransportbehältnisse sind ersichtlich parallel gelagert.43 Eine analoge Anwendung des BMF-Schreibens auch auf Mehrwegpaletten ist konkret aus folgenden Gründen geboten: –

Wirtschaftliches Eigentum und Sachdarlehen: Nicht individualisierte Mehrwegpaletten im Tauschkreislaufsystem sowie im Pfandgeldsystem werfen hinsichtlich der Diskussion um wirtschaftliches Eigentum und das Sachdarlehenskonstrukt zur Behandlung von Einheitsleergut parallel bestehende bilanzsteuerliche Fragestellungen auf. Das seitens der Finanzverwaltung gebundene Wahlrecht, Einheits- und Individualleergut bilanzsteuerlich weiterhin identisch zu behandeln, muss deshalb auch für Zwecke von Mehrwegpaletten angewandt werden. Die Finanzverwaltung ist insoweit mit dem BMF-Schreiben vom 8.12.2020 eine Selbstbindung eingegangen, die sich auch auf die bilanzsteuerliche Behandlung von Mehrwegpaletten und den damit in Zusammenhang stehenden Pfandgeldern erstrecken sollte. Ansonsten würden gleich gelagerte Fälle ohne Grund unterschiedlich behandelt.

42 Vgl. BMF v. 5.11.2013 – IV D 2 - S 7200/07/10022 :001 – DOK 2013/0961371, BStBl. I 2013, 1386; v. 20.10.2014 – IV D 2 - S 7200/07/10022 :002 – DOK 2014/0823736, BStBl. I 2014, 1372. 43 Vgl. ähnlich Scheller, DStR 2017, 894.

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Praktische Umsetzungserfordernisse: Die praktischen Administrations- und Abwicklungsschwierigkeiten bei der Unterscheidung von Einheits- und Individualleergut gelten auch im Bereich der Mehrwegpaletten. Auch insoweit wäre ein erheblicher verwaltungsmäßiger Vollzugs- und Umstellungsaufwand der Unternehmen erforderlich, um insbesondere die vom BFH angesprochene „Kauflösung“ über den Einkauf und Verkauf der Mehrwegpaletten im Zusammenhang mit dem Pfandsystem sachgerecht abzuwickeln. Die von der Finanzverwaltung für Leergut akzeptierten Vereinfachungsaspekte sollten deshalb auch für Mehrwegpaletten Geltung beanspruchen können. Für Unternehmen, die eine differenzierte Behandlung administrieren können, kann die aufwendigere „Kauflösung“ umgesetzt werden.



Ökologische Nachhaltigkeitsimpulse: Des Weiteren sprechen auch ökologische Argumente für eine Anwendung des BMF-Schreibens vom 8.12.2020 auf den Bereich der Mehrwegpaletten. Das insoweit funktionierende Pfandkreislaufsystem im Bereich der Mehrwegpaletten wäre durch steuerliche Erschwernisse erheblich beeinträchtigt, die beim Leergut im Pfandkreislauf auch aus Sicht der Finanzverwaltung zu Recht vermieden worden sind. Denn falls die Finanzverwaltung insoweit eine Abwicklung des Vorratsvermögens mit all seinen Schwierigkeiten verlangen würde, und zudem einen Verbindlichkeitsausweis der enthaltenen Pfandgelder versagt, werden die Unternehmen – soweit es wirtschaftlich möglich ist – über Poollösungen oder individualisierbare Paletten ihr Transportverhalten entsprechend umstellen, mit der Folge einer Beeinträchtigung des breit funktionierenden Mehrwegsystems.



Ergänzende öffentlich-rechtliche-Pfandverpflichtung: Im Zusammenhang mit der Novellierung des Verpackungsgesetzes, die nach Maßgabe von EU-Recht zum 1.3.2021 in Kraft getreten ist, wird diskutiert, ob im Hinblick auf eine ökologische Stärkung von Mehrwegverpackungen, die auch die Transportbehältnisse umfasst, ergänzend zu den schuldrechtlichen Verpflichtungen eine öffentlich-rechtlicheVerpflichtung mit sanktionierten Folgen für ein Pfandsystem besteht. Denn für Mehrwegverpackungen ist in § 3 Abs. 3 VerpackV ein Pfandsystem als Anreiz zur Durchführung von Mehrwegnutzung ausdrücklich angesprochen. Die Pfandrückgabeverpflichtung zur Sicherung eines solchen Kreislaufsystems könnte deshalb in ausreichender Konkretisierung eine öffentlich-rechtliche-Verpflichtung be-

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gründen, die zur Bildung einer Verbindlichkeitsrückstellung berechtigt. Insoweit könnten privatrechtliche und öffentlich-rechtlicheVerpflichtungen zur Implementierung eines Pfandkreislaufsystems nebeneinander bestehen, die bilanzsteuerliche Auswirkung auf der Passivseite der Bilanz haben. Das Pfandsystem bei Inverkehrbringung und Rücknahme von Europaletten dürfte insoweit eingeschlossen sein.

5. Diskussionsergebnisse: Befriedete Rechtslage Zwischenzeitlich hat das BMF im Rahmen von Gesprächen mit Interessenverbänden eine Übertragung der Rechtsgrundlagen seines Schreibens vom 8.10.2012 auf Mehrwegpaletten für zulässig erklärt. Damit handelt die Finanzverwaltung erneut sehr umsichtig im Rahmen ihrer Verwaltungskompetenzen. Dies ist uneingeschränkt zu begrüßen. Damit sollte in der Betriebsprüfungspraxis ein Rechtsstreit um die bilanzsteuerliche Behandlung von Mehrwegpaletten im Grundsatz ausscheiden, oder zumindest „entschärft“ sein. Sofern die Unternehmen die Behandlung der Mehrwegpaletten als geringwertige Wirtschaftsgüter mit entsprechender Bildung einer Pfandverbindlichkeit weiter in Anspruch nehmen wollen, sollten sie für die Bewertung der ungewissen Pfandverbindlichkeit, insbesondere im Hinblick auf Verschleiß- und Schwundquote, eine „robuste Dokumentation“ erstellen und vorlegen.

VI. Zum Schluss: Wohin entwickelt sich unser nationales Bilanzsteuerrecht? Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jahren eine Reihe situativer, anlassbezogener Eingriffe im Bilanzrecht und seinem regulatorischen Umfeld vorgenommen, was zumindest mittelbar auch Auswirkungen im Steuerbilanzrecht haben dürfte. Erwähnt werden sollen als Beispiele die mit Wirkung ab 1.1.2021 geltende neue Hinweis- und Warnpflicht der steuer- und rechtsberatenden Berufe bei Erstellung einer Handelsbilanz gem. § 102 StaRUG (sog. Frühwarnsystem) sowie die durch das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) vom 3.6.2021 ergriffenen Einzelmaßnahmen, die Bilanzkontrollen und das Enforcement-Verfahren insbesondere für kapitalmarktorientierte Unternehmen deutlich effizienter machen sollen. Große Systemreformen im Bilanzsteuerrecht – etwa im Hinblick auf den Maßgeblichkeitsgrundsatz und die insoweit zu erkennenden Koordinatenverschiebungen – sind in jüngerer Zeit dagegen 547

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nicht erfolgt. Stattdessen wurden etliche problembehaftete Neuregelungen mit Blick auf eine vermeintliche Missbrauchsabwehr geschaffen. Genannt werden sollen bspw. §§ 4f, 5 Abs. 7 EStG bei entgeltlich übertragenen stillen Lasten sowie die außerbilanziellen Abzugsverbote in § 4i EStG und § 4f EStG („Lizenzschranke“).44 Dies ist aus steuersystematischer Sicht bedenklich, denn eine klare bilanzrechtssystematische Orientierung erscheint gerade für Zwecke des steuerlichen Betriebsvermögensvergleichs besonders wichtig, da Bilanzsteuerrecht in der täglichen Praxis alltagstauglich und mit ausreichender Rechtssicherheit angewandt werden muss. Aus meiner Sicht kommen vor allem vier Bereiche für steuerbilanzielle Reformierungen in Betracht, die vermutlich keine nennenswerten Fiskalausfälle im Steueraufkommen zur Folge haben werden:45 –

Interpretation und Fortentwicklung handelsrechtlicher GoB durch einschlägige Standardsetter, ggf. durch den Gesetzgeber. Insoweit sollten die erkennbaren Spannungen zwischen handels- und steuerbilanziellem Verständnis der GoB in BFH-Rechtsprechung und Wirtschaftsprüferpraxis möglichst vermieden werden.



Vereinheitlichter Betriebsvermögensvergleich, bei dem die Einzelregelungen in §§ 4, 5 und 6 EStG zu einem Normenkomplex zusammengefasst werden mit dem Ziel eines einheitlichen steuergesetzlich geregelten Betriebsvermögensvergleichs mit Bilanzierungs- und Bewertungsregeln.



Klare systematische Trennung der Gewinnermittlung erster und zweiter Stufe, um die Systematik der bilanziellen Gewinnermittlung von den häufig unter Missbrauchsgesichtspunkten zu rechtfertigenden Abzugsverboten und Beschränkungen für Betriebsausgaben besser unterscheidbar zu machen.



Beseitigung der Spiegelbildmethode bei der Bilanzierung von Personengesellschaftsanteilen etwa dahingehend, den „Mitunternehmeranteil“ als eigenständig abschreibungsfähiges Wirtschaftsgut zu behandeln.

44 Die Lizenzschranke soll allerding nach dem in den parlamentarischen Beratungen befindlichen „Wachstumschancengesetz“ letztmals auf Aufwendungen anwendbar sein, die vor dem 1.1.2024 entstehen. 45 Vgl. dazu eingehender Prinz, FR 2022, 917 (922–924); Prinz, DB 2020, 10 (13–15).

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Wirft man einen Blick in die „weiter entfernte“ Bilanzierungszukunft, so sollte auch durch den deutschen Steuergesetzgeber ein internationales/europäisches Gewinnermittlungsrecht als Bestandteil „moderner Unternehmensbesteuerung“ vorangetrieben und mit Augenmaß gefördert werden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die handelsrechtlichen GoB „deutscher Tradition“ kein internationales Gewinnermittlungsrecht sind und deshalb durch international konsentierte Grundsätze ersetzt werden müssen. Das deutsche Maßgeblichkeitsprinzip wird insoweit „auslaufen“ müssen. Der Rückgriff auf die IFRS als internationalen Rechnungslegungsstandard, der nunmehr auch für die globale Mindestbesteuerung Ausgangspunkt sein soll, erscheint allerdings inhaltlich problematisch, da die IFRS – entwickelt durch einen Privaten Standardsetzer und als Teil des Sekundären Europarechts Gegenstand eines Endorsement-Verfahrens (= Komitologie) – konzeptionell auf entscheidungsnützliche Informationen mit einem Fair-Value-Ansatz im Kapitalmarkt abzielen. Sie sind deshalb als Basis für eine breite Steuerbemessungsgrundlage auch für Konzernunternehmen letztlich sowohl in „Reinform“ als auch mit weitreichenden Anpassungen – so wie es die GloBE-Richtlinie vorsieht – konzeptionell ungeeignet.

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5. Leitthema: Internationales Steuerrecht

Rechtsprechungs-Highlights zum Internationalen Steuerrecht Dr. Michael Schwenke Richter am BFH, München I. Konzernfinanzierung: Teilwertabschreibungen 1. Alte und neue Fragestellungen 2. Fortentwicklung und Präzisierung der Rechtsprechung 3. Bestätigung der Rechtsprechung 4. Vorwegprüfung Einlagegrundsätze 5. Keine Vorlage an den EuGH

II. Konzernfinanzierung: Zinshöhe III. Update finale Verluste IV. Entstrickung bei personalloser Betriebsstätte V. Dreieckssachverhalt und DBA VI. Konkurrenzen

I. Konzernfinanzierung: Teilwertabschreibungen Ein zentrales Thema in der Rechtsprechung des I. Senats des BFH zum Internationalen Steuerrecht war auch im Jahr 2022 die Darlehensvergabe im Konzern und die damit verbundenen steuerlichen Implikationen. „Auch“ deshalb, weil zwei Entscheidungen des I. Senats im Jahr 2021 aufgehoben worden sind und damit neu zu entscheiden waren: –

Mit Beschluss vom 4.3.2021 hatte das BVerfG einer Verfassungsbeschwerde gegen das BFH-Urteil I R 73/16 stattgegeben, das Urteil des BFH aufgehoben und die Sache an den BFH zurückverwiesen.1



Mit Beschluss vom 3.3.2021 I R 32/17 hat der I. Senat des BFH aufgrund eines unheilbaren Verfahrensfehlers sein eigenes Urteil vom 19.6.2019 I R 32/17 als unwirksam angesehen und es aufgehoben.2

Im Nachgang zu den beiden aufgehobenen Urteilen waren zumindest Klarstellungen und Fortentwicklungen der bisherigen Rechtsprechung zu erwarten. Ob man mit den nunmehr vorliegenden „neuen“ Entscheidungen die „Änderung der Rechtsprechung aus 2019 in wesentlichen 1 BVerfG v. 4.3.2021 – 2 BvR 1161/19, ECLI:DE:BVerfG:2021:rk20210304.2bvr 116119, FR 2021, 637 = IStR 2021, 363. 2 BFH v. 3.3.2021 – I R 32/17, BFH/NV 2021, 644.

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Teilen … als korrigiert/richtiggestellt“ ansehen kann,3 mag man bezweifeln, jedenfalls hat der I. Senat des BFH die Gelegenheit genutzt, seine Rechtsprechung weiter zu entwickeln und in Teilen neu auszurichten.

1. Alte und neue Fragestellungen Die in den beiden „neuen“ Verfahren aufgeworfenen Fragestellungen sind weitgehend bekannt und nur an einigen wenigen Stellen neu akzentuiert worden. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Ist eine fehlende Besicherung der Forderung grundsätzlich als fremdunüblich i.S.v. § 1 AStG anzusehen? 2. Welche Bedeutung kommt bei konzerninternen Finanzierungsstrukturen dem sog. Konzernrückhalt zu? 3. Kann eine fehlende Besicherung durch einen höheren Zinssatz, kompensiert werden? 4. Ermöglicht § 1 AStG auch eine Korrektur von Wertminderungen oder nur eines zu niedrigen Zinses (Gewinnverlagerung als Tatbestandsmerkmal)? 5. Wird eine Einkünfteminderung i.S.v. § 1 AStG durch den Sicherungsverzicht verursacht (Veranlassungsprinzip)?

2. Fortentwicklung und Präzisierung der Rechtsprechung Die bisherigen Entscheidungen aus dem Jahr 20194 waren in Teilen der Literatur dahingehend interpretiert werden, dass eine fehlende Darlehensbesicherung für sich gesehen als fremdunüblich anzusehen ist.5 Der BFH macht nunmehr deutlich, dass es sich bei der Darlehensbesicherung nur um eine der Bedingungen eines Darlehens handelt, welche im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zur Fremdüblichkeit zu berücksichtigen ist. Ob ein unbesichertes Konzerndarlehen im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung aller Bedingungen fremdvergleichskonform ist, hängt letztlich aber davon ab, ob auch ein fremder Dritter das Darlehen 3 Vgl. Köhler, ISR 2021, 22. 4 Insbes. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394 = FR 2019, 526 = GmbHR 2019, 725 m. Anm. Breuninger = ZIP 2019, 1066, aufgehoben durch BVerfG v. 4.3.2021 – 2 BvR 1161/19, ECLI:DE:BVerfG:2021:rk20210304.2bvr 116119, FR 2021, 637 = IStR 2021, 363. 5 Vgl. etwa Köhler, ISR 2021, 22 m.w.N.

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unter gleichen Bedingungen ausgereicht hätte. Entsprechend darf das Fehlen einer einzelnen Bedingung (hier: fehlende Darlehensbesicherung), nicht unmittelbar zu einer Einkünftekorrektur führen. Diese Sichtweise entspricht im Übrigen auch derjenigen der Finanzverwaltung in Tz. 1.22 und 3.95 der Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise,6 wonach ebenfalls auf eine Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalles abzustellen ist. Zudem betont der BFH in aller Deutlichkeit, dass es sich bei diesen fremden Dritten nicht um „klassische Banken“ handeln muss. Er verweist hierzu auf die bereits angesprochene Entscheidung des I. Senats I R 62/177 und bezeichnet Äußerungen in der Literatur, wonach die Entscheidungen aus dem Jahr 20198 dahingehend zu verstehen seien, dass maßgeblich und stets auf ein bankübliches Verhalten abzustellen sei,9 als Fehlinterpretation dieser Entscheidungen.10 Weiter weist der BFH darauf hin, dass auch das Sicherungsmittel selbst nicht immer „banküblich“ sein muss und zudem auch nicht stets von einer Vollbesicherung auszugehen ist. Entscheidend und neu sind die Ausführungen zur Risikokompensation. Ausgehend von der Annahme, dass das Fehlen einer einzelnen Bedin6 BM v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001 – DOK 2021/0770780, Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise, BStBl. I 2021, 1098. 7 BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.180521.IR4.17.0, FR 2022, 955 = GmbHR 2022, 107 m. Anm. Andresen = ZIP 2021, 2385, BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.180521.IR62.17.0, GmbHR 2022, 279 m. Anm. Dorn = FR 2023, 366 = ZIP 2021, 2445 = BFH/NV 2021, 1601. 8 BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394 = FR 2019, 526 = GmbHR 2019, 725 m. Anm. Breuninger = ZIP 2019, 1066; v. 27.2.2019 – I R 81/17, ECLI:DE:BFH:2019:U.270219.IR81.17.0, BStBl. II 2020, 443 = FR 2020, 1112; v. 27.2.2019 – I R 51/17, ECLI:DE:BFH:2019:U.270219.IR51.17.0, BStBl. II 2020, 440 = FR 2022, 962 = GmbHR 2019, 1200; v. 19.6.2019 – I R 32/17, ECLI:DE:BFH:2019:U.190619.IR32.17.0, GmbHR 2020, 292 = BFH/NV 2020, 255; v. 19.6.2019 – I R 5/17, BFH/NV 2020, 183; v. 19.6.2019 – I R 54/17, IStR 2020, 230; v. 14.8.2019 – I R 34/18, BFH/NV 2020, 757; v. 14.8.2019 – I R 14/18, ECLI:DE:BFH:2019:U.140819.IR14.18.0, BFH/NV 2020, 755; v. 18.12.2019 – I R 72/17, ECLI:DE:BFH:2019:U.181219.IR72.17.0, BFH/NV 2020, 1049; v. 14.8.2019 – I R 21/18, ECLI:DE:BFH:2019:U.140819.IR21.18.0, GmbHR 2020, 793 = BFH/NV 2020, 759; v. 19.2.2020 – I R 19/17, BStBl. II 2021, 223 = FR 2022, 1099. 9 Vgl. Kraft, UbG 2019, 605 unter Hinweis auf Wacker, FR 2019, 449 sowie Wacker in Ismer/Reimer/Rust/Waldhoff [Hrsg.], Territorialität und Personalität, FS für Moris Lehner, 2019, S. 247. 10 Vgl. bereits Schwenke, ISR 2020, 77.

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gung nicht unmittelbar eine Fremdunüblichkeit der Darlehensbegebung begründen kann, sondern die Prüfung der Fremdüblichkeit im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller Darlehensbedingungen zu erfolgen hat, erkennt der BFH erstmals in dieser Deutlichkeit an, dass bis zu einem gewissen Grad eine Austauschfunktion zwischen Sicherheiten einerseits und einer Risikokompensation in Form eines beispielsweise höheren Zinssatzes andererseits bestehen kann.11 Entscheidend ist damit, ob ein fremder Dritter bereit gewesen wäre, beispielsweise gegen Vereinbarung eines Zinszuschlages das durch die Nichtbesicherung erhöhte Ausfallrisiko zu kompensieren. Es gilt nach Auffassung des BFH, einen Markt für unbesicherte Darlehen zu ermitteln. Die Schwierigkeit dürfte bei dieser Marktermittlung allerdings darin bestehen, dass hierbei auf die konkrete Ertragssituation der darlehensnehmenden Gesellschaft abzustellen ist. Der BFH weist ausdrücklich darauf hin, dass die Ausreichung unbesicherter Darlehen durch fremde Dritte an die Konzernobergesellschaft hierfür alleine nicht ausreicht. An dieser Fragestellung dürfte sich zukünftig die Versagung einer Teilwertabschreibung auf konzerninterne Forderungen entscheiden. (Nur) Wenn kein Markt ermittelt werden kann, kommt die Einkünftekorrektur des § 1 AStG bei Teilwertabschreibungen überhaupt zur Anwendung. Umgekehrt heißt dies aber auch: Ist ein Markt ermittelbar, ist für den Berichtigungsbefehl der Norm des § 1 AStG kein Raum. Die Einkünftekorrektur ist dann vorrangig in Höhe der Differenz zwischen den tatsächlich erzielten und den fremdüblichen Zinseinnahmen vorzunehmen. Dies gilt nach Auffassung des BFH auch, wenn die Einkünftekorrektur der laufenden Zinserträge wegen eingetretener Bestandskraft nicht mehr möglich ist. Die Finanzverwaltung kann in der Vergangenheit unterlassene Korrekturen bei den Zinserträgen nicht (mehr) durch Korrekturen bei der Teilwertabschreibung kompensieren. Der Streit in der Außenprüfung wird sich daher auf die laufenden Erträge fokussieren.

3. Bestätigung der Rechtsprechung Der I. Senat des BFH hat die Ausdehnung der in § 1 Abs. 1 AStG wurzelnden Einkommenskorrektur auf Forderungsausfälle und Teilwertabschreibungen ausdrücklich bestätigt. Zwar war im Verfahren ange11 Ebenso bereits BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.180521.IR 62.17.0, FR 2023, 366 = GmbHR 2022, 279 m. Anm. Dorn = ZIP 2021, 2445 = BFH/NV 2021, 1601.

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führt worden, dass § 1 Abs. 1 AStG „tatbestandsinhärent“ eine Gewinnverlagerung über die Grenze verlange, die im Fall einer Teilwertabschreibung gerade nicht vorliege, dem hat sich der BFH jedoch nicht angeschlossen. Weder der Gesetzeswortlaut des § 1 AStG noch die Begründung des Gesetzentwurfs lasse eine derartige Auslegung zu. Die Begründung dieser Auffassung lässt sich entnehmen, dass bei der Anwendung der Einkünftekorrekturvorschrift des § 1 AStG nicht immer eine korrespondierende Besteuerung zwischen In- und Ausland hergestellt werden muss. Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs diene die Vorschrift12 „der Erfassung des zutreffenden Inlandsgewinns“ und dies sei von einer korrespondierenden Anpassung der Besteuerung im Ausland unabhängig. Damit bringt der BFH zum Ausdruck, dass der in Art. 1 AStG niedergelegte Fremdvergleichsgrundsatz gerade nicht eine sachlich gebotene (nationale) Berichtigung von Einkünften „sperren“ will. Im Übrigen ein Verständnis, das bislang so auch von der Finanzverwaltung in den nunmehr aufgehobenen Verwaltungsgrundsätzen 1983 vertreten wurde.13 Bestätigt wird diese Auffassung auch durch das zweite neue Urteil des I. Senats.14 Bestätigt hat der BFH schließlich sein bisheriges Verständnis zum sog. Konzernrückhalt. Dieser beschreibe lediglich den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen der Unternehmensverflechtung und bringe die Üblichkeit zum Ausdruck, innerhalb eines Konzerns Kreditansprüche nicht wie unter Fremden abzusichern.15 Eine aktive Einstandsverpflichtung sei damit nicht verbunden. Eine solche könne auch nicht (allein) in den Einflussnahmemöglichkeiten des beherrschenden Gesellschafters auf den Darlehensnehmer gesehen werden. Bestätigt hat der BFH seine Auffassung auch durch das zweite neue Urteil des I. Senats.16 Damit wird ein striktes Verständnis des Fremdvergleichs deutlich. Nach Auffassung des BFH verlange ein Fremdvergleich (nur) das „Wegdenken“ der Nahestehensbeziehung, alle übrigen Bedingungen blieben bestehen. Für den konkreten Fall bedeute dies, dass ein Darlehensgeber nicht ein Gesellschafter, sondern ein fremder Dritter sei. Faktische Sicherheiten, die aus dessen Gesellschafterstellung resultierten, könnten damit grund12 13 14 15

Vgl. hierzu BT-Drucks VI/2883, 23. Vgl. Tz. 1.2.1. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218. BFH v. 13.1.2022 – I R 15/21, GmbHR 2022, 1049 = BFH/NV 2022, 831, Rz. 21. Im Ausgangspunkt ebenso BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001 – DOK 2021/0770780, BStBl. I 2021, 1098, Tz. 3.94. 16 BFH v. 13.1.2022 – I R 15/21, GmbHR 2022, 1049 = BFH/NV 2022, 831, Rz. 17.

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sätzlich keine Berücksichtigung finden. An diesem strikt verstandenen Fremdvergleich kann damit in letzter Konsequenz auch das Tatbestandsmerkmal der „gleichen oder ähnlichen Verhältnisse“ nichts ändern. Der I. Senat beruft sich für seine Auffassung auf das Urteil I R 62/1717. In diesem Urteil hat der BFH (selbst) die gesetzlich angeordnete Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen im Inlandsfall aufgrund § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO im Rahmen des Fremdvergleichs als rechtlich unbeachtlich angesehen. Der BFH geht damit sogar weiter als die Finanzverwaltung, die in Tz. 1.23 und 3.93 der Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise18 die Auffassung vertritt, Umstände, die nicht voneinander nahestehenden Personen vereinbart werden können, also z.B. gesetzliche Regelungen, könnten berücksichtigt werden. Man wird abwarten müssen, ob der BFH diese strikte, ja in gewisser Weise kompromisslose Betrachtungsweise beibehalten kann. Im Ergebnis wird man aber jedenfalls festzuhalten haben, dass er einem „reduzierten Fremdvergleich nach Art eines ‚Konzernvergleichs‘“ eine erneute und recht deutliche Absage erteilt hat. Hinweise in der Literatur, die Konzernfinanzierung werde dadurch mit dem Bestehen eines Sparkassendarlehens durch die Hypothek auf das Privathaus einer natürlichen Person verglichen,19 gehen am Kern der rechtlichen Problematik vorbei. Ein Verständnis des Fremdvergleichs im Sinne eines Konzernvergleichs dürfte zudem auch international nicht das Maß sein. Ausdrücklich bestätigt hat der I. Senat zudem seine Auffassung, dass § 1 Abs. 1 AStG mit dem Tatbestandsmerkmal „dadurch“ eine Kausalvorgabe enthält, die im Sinne eines weit verstandenen Veranlassungszusammenhangs auszulegen ist. Stimmen in der Literatur gehen (sogar) so weit, dass der BFH sich mit einem derart weit verstandenen Veranlassungszusammenhang von jeder „herkömmlichen juristischen Methodik“ entfernt.20 Als auslösendes Element für die streitige Korrektur sei vielmehr auf die Forderungsabschreibung und nicht auf die fehlende Vereinbarung einer Sicherheit abzustellen. Dem hält der BFH nunmehr entgegen, dass das Veranlassungsprinzip nicht durch die (naturwissen17 BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.180521.IR62.17.0, FR 2023, 366 = GmbHR 2022, 279 m. Anm. Dorn = ZIP 2021, 2445 = BFH/NV 2021, 1601. 18 BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001 – DOK 2021/0770780, BStBl. I 2021, 1098. 19 Vgl. Köhler, ISR 2021, 22 unter Hinweis auf Gosch, § 8 KStG Rz. 315a. 20 Vgl. Gosch, Arbeitsbuch 72. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung Unternehmen 2021 der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht e.V., S. 376 ff.

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schaftliche) Kausalität, sondern durch das Prinzip der wertenden Selektion der Aufwandsursachen gekennzeichnet sei und beruft sich hierzu auf die Rechtsprechung des I. Senats. Dem liegt wohl die Auffassung zugrunde, dass es gerade der juristischen Methodik entspricht, wenn im Rahmen einer wertenden Betrachtung nicht immer nur auf das unmittelbar dem Aufwand vorangehende Ereignis abgestellt wird. An seinem Verständnis einer fehlenden Sperrwirkung von Art. 9 OECDMA hält der BFH fest. Dem Hinweis auf die Zwecksetzung von Art. 9 Abs. 1 MA, der eine Einkünfterealisierung im Ausland erfordere, wohingegen im Streitfall aufgrund der Abschreibung allein inländische Einkünfte betroffen seien, folgt der BFH wiederum nicht. Der Fremdvergleichsgrundsatz will gerade nicht eine sachlich gebotene Berichtigung von Einkünften für bestimmte Fälle verbieten, gestattet vielmehr, dass Deutschland als Ansässigkeitsstaat entsprechend der ihm zugewiesenen Steuerhoheit eine Einkünftekorrektur vornimmt, wenn grenzüberschreitend verbundene Unternehmen deren wirtschaftliche oder finanzielle Beziehungen an fremdunüblich vereinbarte oder auferlegte Bedingungen knüpfen. Er überträgt damit sein Verständnis des Fremdvergleichsgrundsatzes in § 1 AStG auf die Regelung des Art. 9 OECD-MA. Erneut bestätigt hat er diese Auffassung zuletzt im Urteil I R 15/2121.

4. Vorwegprüfung Einlagegrundsätze In der Entscheidung I R 15/2122 hat der I. Senat des BFH zudem deutlich herausgestellt, dass vor den unter 1. wiedergegebenen Fragestellungen, eine Abgrenzung zwischen betrieblich veranlassten Darlehen und durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Einlagen vorzunehmen ist. Die Abgrenzung ist dabei anhand der Gesamtheit der objektiven Verhältnisse vorzunehmen, einzelnen Kriterien des Fremdvergleichs ist nicht die Qualität unverzichtbarer Tatbestandsvoraussetzungen beizumessen.23 Die Abgrenzung ist dabei danach vorzunehmen, ob das zugeführte Kapital dauerhaft in das Vermögen der empfangenden Gesellschaft übergehen sollte und die Rückzahlung nicht beabsichtigt war24 oder, ob die Beteiligten i.S. einer ernstlichen Abrede von der Überlassung von Kapital 21 BFH v. 13.1.2022 – I R 15/21, GmbHR 2022, 1049 = BFH/NV 2022, 831, Rz. 19. 22 BFH v. 13.1.2022 – I R 15/21, GmbHR 2022, 1049 = BFH/NV 2022, 831. 23 Vgl. auch BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BFHE 184, 482 = BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482 = GmbHR 1998, 543 unter II.2. 24 BFH v. 6.11.2003 – IV R 10/01, BStBl. II 2004, 416 = FR 2004, 597 = GmbHR 2004, 590 m. Anm. Hoffmann.

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auf Zeit ausgegangen sind und davon ausgehen konnten, dass Darlehensvertrag durchgeführt, insbesondere zurückgezahlt wird.25

5. Keine Vorlage an den EuGH Eine Prüfung, ob eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG dem Unionsrecht widerspricht, hat der BFH in beiden „neuen“ Entscheidungen nicht vorgenommen. Er hat dementsprechend auch von einer Vorlage an den EuGH abgesehen. Dies mag überraschen, erklärt sich aber daraus, dass die Anwendung von § 1 AStG für die Streitfälle völlig ungewiss ist. Dem EuGH jetzt eine Frage vorzulegen, auf die es am Ende, wenn alle Umstände des Einzelfalles aufgeklärt sind, gar nicht ankommen mag, wäre nach Auffassung des BFH wohl der Bedeutung und Funktion des EuGH nicht angemessen. Damit bleibt diese wichtige Rechtsfrage weiterhin ungeklärt. Dies ist auch insofern misslich, weil es derzeit auch seitens der Finanzverwaltung keine Weisungslage in Bezug auf die Unionsrechtslage bei § 1 AStG gibt. Das BMF-Schreiben vom 6.12.201826, wonach eine Korrektur nach § 1 AStG zu unterbleiben hatte, soweit der Steuerpflichtige sachbezogene, wirtschaftliche Gründe nachweisen konnte, die eine vom Fremdvergleichsgrundsatz abweichende Vereinbarung erfordern, um die sonst bedrohte wirtschaftliche Existenz der Unternehmensgruppe als solcher oder der dem Steuerpflichtigen nahestehenden Person zu sichern (sanierungsbedingte Maßnahme), ist durch die Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise27 jedenfalls aufgehoben worden.

II. Konzernfinanzierung: Zinshöhe Bereits im letzten Jahr hatte ich das Urteil I R 4/17 vorgestellt, worin sich der I. Senat des BFH primär mit der Ermittlung der Höhe fremdüblicher Zinsen bei konzerninternen Darlehenstransaktionen28 befasst hat. 25 BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261, Rz. 26 = FR 2015, 954 = GmbHR 2015, 389. 26 BMF v. 6.12.2018 – IV B 5 - S 1341/11/10004-09 – DOK 2018/0985275, BStBl. I 2018, 1305. 27 BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001 – DOK 2021/0770780, BStBl. I 2021, 1098. 28 BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.180521.IR4.17.0, FR 2022, 955 = GmbHR 2022, 107 m. Anm. Andresen = ZIP 2021, 2385 = IStR 2021, 893.

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Ein Jahr später ist festzustellen, dass sich die Finanzverwaltung offensichtlich mit einer Veröffentlichung dieses wichtigen Urteils sehr schwer tut. Die Ursache hierfür findet sich in Tz. 3.92 der Verwaltungsgrundsätzen Verrechnungspreise29, wonach im Fall einer gruppenzugehörigen, aber risikoarmen Finanzierungsgesellschaft grundsätzlich die Kostenaufschlagsmethode zur Anwendung kommen soll. Tz. 3.92 lautet wie folgt: „Stellt eine gruppenzugehörige Finanzierungsgesellschaft einem Steuerpflichtigen Kapital zur Verfügung und verfügt diese Finanzierungsgesellschaft nicht über die Fähigkeit und die Befugnis, das Risiko von Investitionen in einen finanziellen Vermögenswert zu kontrollieren oder es zu tragen, steht ihr als Vergütung für die Hingabe des Kapitals nur ein Entgelt bis zur Höhe einer risikolosen Rendite zu. Das Entgelt ist grundsätzlich anhand der Kostenaufschlagsmethode auf der Grundlage der nachgewiesenen und direkt zurechenbaren Betriebskosten anzusetzen; Refinanzierungskosten sind grundsätzlich nicht in die Kostenbasis einzubeziehen. Daneben sind Refinanzierungskosten mit einer risikolosen Rendite zu berücksichtigen.“

Diese Auffassung der Finanzverwaltung findet sich auch in den Entscheidungsgründen des Urteils. So vermutet das dem Verfahren beigetretene BMF, dass die Finanzierungsgesellschaft im Urteilsfall tatsächlich nicht die üblichen Risiken eines Darlehensgebers trage, sondern lediglich als risikoarmer Dienstleister fungiere und folglich das angemessene Entgelt nach der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln sei. Damit die Finanzierungsgesellschaft als wirkliche Darlehensgeberin eingeordnet werden könnte, müsste sie nach Auffassung des BMF die aus den Darlehen resultierenden ökonomischen Risiken (Kreditausfallrisiko, Refinanzierungsrisiko und Zinsänderungsrisiko) tatsächlich tragen und in der Lage sein, die mit den Finanzierungen verbundenen Tätigkeiten und die damit einhergehenden Aufgaben des Risikomanagements selbstbestimmt wahrzunehmen. Der BFH ist dieser Auffassung nicht gefolgt. Ausgangspunkt für Risikoanalyse im Rahmen des Fremdvergleichs ist das aus dem abgeschlossenen Vertrag sich ergebende Leistungsgefüge und das Verhältnis der Vertragsparteien. Da es sich um unbesicherte Darlehen gehandelt hat, hat im Verhältnis der Vertragsparteien allein die darlehensgebende Z-B.V. das Kreditausfallrisiko der Klägerin getragen. Ein Grund für eine Reduzierung der von der Klägerin für die Inanspruchnahme der Darlehen zu entrichtenden Entgelte, weil ein Teil

29 BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001 – DOK 2021/0770780, BStBl. I 2021, 1098.

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der Kreditrisiken bei ihr selbst verblieben wäre, liegt somit nach Auffassung des BFH nicht vor. Der Umstand, dass die darlehensgebende Z-B.V. als konzerninterne Finanzierungsgesellschaft im Fall einer durch einen Kreditausfall ausgelösten Krise wahrscheinlich von der Konzernspitze finanzielle Unterstützung erfahren würde, hat keinen Einfluss auf das Leistungsgefüge der mit den Konzerngesellschaften abgeschlossenen Darlehensverträge oder auf die Bewertung der im Rahmen der Darlehensverhältnisse zu erbringenden gegenseitigen Leistungen. Und der BFH weist auch darauf hin, wo nach seiner Ansicht die Korrektur anzusetzen hat: Allenfalls könnte die Überlegung des BMF dazu führen, dass im Rahmen eines konzernweiten Fremdvergleichs die Finanzierungsgesellschaft einen Teil der vereinnahmten Zinserträge als „Gebühr“ für den finanziellen Rückhalt an die Konzernspitze weiterleiten müsste, so dass bei ihr im Ergebnis nur noch ein Anspruch auf risikofreie Rendite verbleibt. In Rz. 36 weist der BFH zudem darauf hin, dass der übliche Preis (Marktpreis) für den Fremdvergleich auch dann maßgeblich ist, wenn er höher oder niedriger liegt als der Betrag, der bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode als Selbstkosten des leistenden Unternehmens nebst angemessenem Gewinnaufschlag ermittelt würde. Einer vorrangigen und alleinigen Anwendung der Kostenaufschlagsmethode hat der BFH damit eine deutliche Absage erteilt. Dies dürfte im Übrigen auch der Sichtweise der OECD entsprechen.30

III. Update finale Verluste Nachfolgend will ich mich vielleicht ein letztes Mal mit der Problematik der finalen Verluste beschäftigen. Der BFH hatte mit Beschluss vom 6.11.2019 I R 32/18 dem EuGH die folgenden Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: „1. Sind Art. 43 i.V.m. Art. 48 EG (jetzt Art. 49 i.V.m. Art. 54 AEUV) dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die es einer gebietsansässigen Gesellschaft verwehren, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte abzuziehen, wenn die Gesellschaft zum einen alle Möglichkeiten zum Abzug dieser Verluste ausgeschöpft hat, die ihr das Recht des Mitgliedstaats bietet, in dem diese Betriebsstätte belegen ist, und zum anderen über diese Betriebsstätte keine Einnahmen mehr erzielt, so dass keine Möglichkeit mehr besteht, dass die Verluste in diesem

30 Vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien für Finanztransaktionen, Tz. 10.25.

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Schwenke, Rechtsprechungs-Highlights zum Internationalen Steuerrecht Mitgliedstaat berücksichtigt werden („finale“ Verluste), auch dann entgegenstehen, wenn es sich bei den betreffenden Rechtsvorschriften um die Freistellung von Gewinnen und Verlusten aufgrund eines bilateral zwischen den beiden Mitgliedstaaten vereinbarten Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung handelt? 2. Falls die erste Frage zu bejahen ist: Sind Art. 43 i.V.m. Art. 48 EG (jetzt Art. 49 i.V.m. Art. 54 AEUV) dahin auszulegen, dass sie auch den Rechtsvorschriften des deutschen Gewerbesteuergesetzes entgegenstehen, die es einer gebietsansässigen Gesellschaft verwehren, von ihrem steuerpflichtigen Gewerbeertrag „finale“ Verluste der in der ersten Frage bezeichneten Art einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte abzuziehen? 3. Falls die erste Frage zu bejahen ist: Können im Falle der Schließung der in dem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte „finale“ Verluste der in der ersten Frage bezeichneten Art vorliegen, obgleich die zumindest theoretische Möglichkeit besteht, dass die Gesellschaft erneut eine Betriebsstätte in dem betreffenden Mitgliedstaat eröffnet, mit deren Gewinnen die früheren Verluste ggf. verrechnet werden könnten? 4. Falls die erste und die dritte Frage zu bejahen sind: Kommen als vom Ansässigkeitsstaat des Stammhauses zu berücksichtigende „finale“ Verluste der in der ersten Frage bezeichneten Art auch jene Verluste der Betriebsstätte in Betracht, die nach dem Recht des Belegenheitsstaats der Betriebsstätte mindestens einmal in einen nachfolgenden Veranlagungszeitraum vorgetragen werden konnten? 5. Falls die erste und die dritte Frage zu bejahen sind: Ist die Pflicht zur Berücksichtigung der grenzüberschreitenden „finalen“ Verluste der Höhe nach begrenzt durch diejenigen Verlustbeträge, die die Gesellschaft in dem betreffenden Belegenheitsstaat der Betriebstätte hätte ansetzen können, wenn nicht die Verlustberücksichtigung dort ausgeschlossen wäre?“

Die Antwort des EuGH31 ist nun da und sie fällt ernüchternd aus. Eine Antwort erhält der BFH nur auf die erste Vorlagefrage. Bereits Generalanwalt Collins war in seinen Schlussanträgen32 zu dem Ergebnis gelangt, dass die Niederlassungsfreiheit die Berücksichtigung der finalen Verluste nicht gebietet. Denn mangels objektiv vergleichbarer Sachverhalte liege keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vor. Die Situation einer Freistellungsbetriebsstätte sei grundsätzlich mit derjenigen von gebietsansässigen Betriebsstätten objektiv nicht vergleichbar. Der Generalanwalt beruft sich hierbei auf die sog. Symmetriethese, nach der die DBA-Freistellung sowohl Gewinne als auch Verluste umfasse. Laut dem Generalanwalt sei deshalb auch die EuGH-Rechtspre-

31 EuGH v. 22.9.2022 – C-538/20, ECLI:EU:C:2022:717 (W), FR 2022, 989. 32 Schlussanträge v. 10.3.2022 – C 538/20 (W).

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chung Bevola/Trock33 mit der Rechtsprechung Timac Agro34 vereinbar, da beiden unterschiedliche Konstellationen zugrunde lägen. Während im ersteren Fall sich die Nichtberücksichtigung aus unilateralen Vorschriften ergäbe, habe die Nichtberücksichtigung im zweiten Fall ihren Grund im DBA. Der EuGH ist nunmehr dieser Einschätzung des Generalanwalts gefolgt. Er sieht im Ergebnis einen Unterschied zwischen einer Freistellung aufgrund einer unilateralen Vorschrift und einer abkommensrechtlichen Freistellung. Eine Begründung hierfür bleibt er allerdings schuldig. Die Problematik der finalen Verluste sollte damit aber einen Abschluss gefunden haben.

IV. Entstrickung bei personalloser Betriebsstätte Im nachfolgend zu schildernden AdV-Verfahren35 war streitig, ob bei der Antragstellerin ein Entnahmegewinn nach § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG im Streitjahr 2013 anzusetzen war, weil bei einer personallosen Betriebsstätte Wirtschaftsgüter ab dem 1.1.2013 aufgrund einer Zuordnung nach der sog. Personalfunktion vollständig der ausländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen seien. Bei der Antragstellerin handelte es sich um eine KG, deren Kommanditanteile von einer KG dänischen Rechts, gehalten wurden. Die Antragstellerin betrieb Windenergieanlagen (sog. „Windparks“) in Deutschland. Sie verfügte weder in Deutschland noch in Dänemark über eigene Mitarbeiter. Vielmehr erfolgte die technische und kaufmännische Betriebsführung durch zwei deutsche Servicegesellschaften auf Grundlage von Betriebsführungs- und Dienstleistungsverträgen. Nach Auffassung des FA seien aufgrund der Änderungen des § 1 Abs. 5 und 6 AStG i.d.F. des Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetzes, ab dem 1.1.2013 alle Vermögensgegenstände, Schulden und Geschäftsvorfälle abweichend von den Vorjahren erstmals der Geschäftsleitungsbetriebsstätte in Dänemark zuzuordnen. Infolgedessen sei es zu einer steuerlichen Entstrickung der Wirtschaftsgüter, welche bislang der deutschen Betriebsstätte der Antragstellerin zuzuordnen waren, gekommen. 33 EuGH v. 12.6.2018 – C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424, GmbHR 2018, 741 = ZIP 2018, 2070 (Bevola/Trock), FR 2018, 643. 34 EuGH v. 17.12.2015 – C-388/14, ECLI:EU:C:2015:829, GmbHR 2016, 170 m. Anm. Patzner/Nagler = ZIP 2016, 1111 (Timac Agro), FR 2016, 126. 35 BFH v. 24.11.2021 – I B 44/21 (AdV), DB 2022, 716.

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Der BFH hat ernsthafte Zweifel an der Auffassung des FA geäußert. Dies reicht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aus, um dem Antrag des Antragstellers stattzugeben. Im Einzelnen: Zunächst ist das FG zutreffend davon ausgegangen, dass die Wirtschaftsgüter des Windparks bis zum 31.12.2012 der Betriebsstätte im Inland und nicht der Geschäftsleitungsbetriebsstätte in Dänemark zuzurechnen waren. Hierfür reicht ein ganz überwiegender Veranlassungszusammenhang der Wirtschaftsgüter der Windenergieanlage mit der Produktion und dem Vertrieb von Strom aus. Der im Streitfall einschlägige § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG fordert keine tatsächliche Zugehörigkeit der Wirtschaftsgüter zu der im Inland gelegenen Betriebsstätte.36 Es bedarf insoweit (nur) einer wirtschaftlichen Veranlassung und der daraus abgeleiteten Zuordnung der Wirtschaftsgüter zu der Betriebsstätte. Die Zuordnungsmaßstäbe richten sich nach allgemeinen Verursachungs- und Veranlassungsgesichtspunkten. Maßstab ist die wirtschaftliche Zugehörigkeit der Wirtschaftsgüter zu der in der einzelnen Betriebsstätte entfalteten betrieblichen Tätigkeit.37 Nach Auffassung des BFH ist es allerdings – entgegen der Ansicht des Finanzamts – zweifelhaft, dass die Umsetzung des sog. „Authorised OECD Approach“ (AOA) in § 1 Abs. 5 und 6 AStG ab dem 1.1.2013 diese Zuordnung ändert. Nach § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG sind der Betriebsstätte die Personalfunktionen, die durch ihr Personal ausgeübt werden, zuzuordnen. Auf Basis der zugeordneten Personalfunktionen werden der Betriebsstätte anschließend Vermögenswerte des Unternehmens sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken zugewiesen. Würden insoweit in der Betriebsstätte keine Personalfunktionen ausgeübt, wären dieser – so jedenfalls nach Auffassung der Finanzverwaltung – auch keine Vermögenswerte zuzuordnen. Ob § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG dazu führen kann, dass die vormals der Betriebsstätte auf Grundlage des Veranlassungszusammenhangs zugeordneten Windparks mangels Personalfunktion ab dem 1.1.2013 eine Entstrickung gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG zur Folge haben, ist bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden worden. Dies reicht nach Ansicht des BFH für ernstliche Zweifel an

36 Vgl. BFH v. 12.6.2013 – I R 47/12, BStBl. II 2014, 770 = FR 2014, 57 m. Anm. Kempermann = GmbHR 2013, 1285; v. 8.9.2010 – I R 74/09, BStBl. II 2014, 788 = FR 2011, 179 m. Anm. Mitschke = GmbHR 2011, 50. 37 Vgl. z.B. BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, ECLI:DE:BFH:2017:U.291117.IR 58.15.0, GmbHR 2018, 480 = FR 2018, 558.

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der Rechtmäßigkeit der Festsetzung/Feststellungen des Finanzamts im Beschlussfall aus. Der BFH stimmt der in der Literatur vertretenen Auffassung zu, dass es sich bei § 1 Abs. 5 AStG um eine Einkünftekorrekturvorschrift handelt, die keine Rechtswirkung für allgemeine Gewinnermittlungsvorschriften, mithin auch nicht für die Entstrickungsregelungen gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG entfaltet.38 Zudem ist es nach Ansicht des BFH fraglich, ob § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG dahin auszulegen ist, dass die maßgebende Personalfunktion ausschließlich durch Personal in Gestalt von eigenen Arbeitnehmern des Unternehmens ausgeübt werden kann. Dem Wortlaut der Vorschrift ließe sich ein Ausschluss von Personen, welche auf Grundlage eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags oder Dienstleistungsvertrags tätig werden, nicht entnehmen. Im Beschlussfall würde insoweit das Personal der deutschen Servicegesellschaften, das auf der Grundlage von Dienstleistungsverträgen die technische und die kaufmännische Betriebsführung der Windenergieanlagen übernimmt, für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern eine Funktion in der inländischen Betriebsstätte ausüben. Mithin wäre dort von einer Personalfunktion auszugehen. Schließlich hat der BFH Zweifel, ob unter der Geltung des § 1 Abs. 5 AStG die Grundsätze zur Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach der Personalfunktion bei sog. personallosen Betriebsstätten überhaupt anwendbar sind. Auch insoweit schließt sich der BFH der in der Literatur vertretenen Meinung an, dass das Prinzip der Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach der Personalfunktion bei solchen Betriebsstätten zum – gewissermaßen abstrusen – Ergebnis führen würde, dass ausgerechnet die Wirtschaftsgüter, die die personallose Betriebsstätte begründen, der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen wären.39 Hieraus folgt, dass bei personallosen Betriebsstätten – abweichend von der Zuordnung nach der maßgeblichen Personalfunktion – diesen jedenfalls die Wirtschaftsgüter zugerechnet werden müssen, die sie begründen und die letztlich der dort ausgeübten Unternehmensfunktion dienen. Eine mögliche Rechtsgrundlage für diese Abkehr von der Zuordnung nach 38 Gosch in Drüen/Hey/Mellinghoff [Hrsg.], 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland 1918–2018, Festschrift für den Bundesfinanzhof, 2018, S. 1027, 1041; Ditz, ISR 2013, 261. 39 Vgl. Leonhardt/Tcherveniachki in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz. 2939.7; Ditz/Tcherveniachki, ISR 2020, 145.

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Personalfunktionen und die Rückkehr zum Veranlassungsprinzip findet der BFH in der Vorschrift des § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 AStG, wonach „die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen … eine andere Behandlung (erfordert)“. Aufgrund der vorstehend dargestellten Zweifel geht der BFH nicht mehr auf die Frage ein, ob die Entstrickungsregelungen auch dann zur Anwendung kommen, wenn das deutsche Besteuerungsrecht durch rein staatliches Handeln (hier: eine gesetzliche Änderung) ausgeschlossen oder eingeschränkt wird (sog. passive Entstrickung).

V. Dreieckssachverhalt und DBA DBA regeln keine trilateralen bzw. multilateralen Sachverhalte. Es können jedoch Dreiecksachverhalte sowohl bei natürlichen als auch bei juristischen Personen vorkommen, bei denen drei oder mehrere Staaten für die Besteuerung relevant sein können. Die Anwendung der DBA führt dabei oft zu unbefriedigenden Resultaten. Ein Beispiel hierfür ist das BFH-Urteil vom 1.6.2022 – I R 30/18. Die Kläger sind verheiratet und wurden in den Jahren 2012 und 2013 (Streitjahre) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen befand sich in ihrer gemeinsamen Wohnung in Deutschland. Der Kläger war seit dem 1.9.2012 in der Schweiz als Altenpfleger tätig und erzielte hieraus Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Anlässlich der Aufnahme dieser Tätigkeit bezog er eine Zweitwohnung in Frankreich, von der aus er arbeitstäglich zu seiner wenige Kilometer entfernten Arbeitsstätte in der Schweiz pendelte. Den Arbeitslohn versteuerte der Kläger in Frankreich. Die Schweiz erhob hierauf keine Steuern. In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre setzten die Kläger den Arbeitslohn des Klägers auf Grundlage des DBA-Schweiz 1971/2010 als steuerfreie Einkünfte an. Das Finanzamt folgte dem nicht und unterwarf diese Einkünfte in den Einkommensteuerbescheiden 2012 und 2013 der inländischen Besteuerung. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt und änderte die angefochtenen Bescheide dahin, dass der Arbeitslohn des Klägers gemäß Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/2010 von der deutschen Besteuerung freigestellt und lediglich dem Progressionsvorbehalt unterworfen wurde.

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Der BFH bestätigt zunächst, dass die Kläger zwar in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sind, die Einkünfte aus der in der Schweiz ausgeübten Tätigkeit des Klägers jedoch aufgrund des abkommensrechtlichen Tätigkeitsortsprinzips nach dem DBA-Schweiz 1971/2010 von der deutschen Besteuerung freigestellt sind. Sodann prüft der BFH die Voraussetzungen unilateraler Rückfallklauseln und verneint deren Vorliegen im Streitfall: Ein Besteuerungsrückfall nach § 50d Abs. 8 EStG scheide bereits deshalb aus, weil im Streitfall feststehe, dass die Schweiz hinsichtlich der streitigen Einkünfte des Klägers auf ihr durch das DBA-Schweiz 1971/2010 zugewiesene Besteuerungsrecht verzichtet habe und dadurch ein Ausnahmetatbestand i.S.d. § 50d Abs. 8 EStG vorliege. Die Besteuerung durch die Schweiz sei nur deshalb unterblieben, weil die Grenzpendlerregelung nach dem DBA zwischen der Schweiz und Frankreich das Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn des Klägers Frankreich zugewiesen habe. Die Voraussetzungen des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG seien deshalb ebenfalls nicht erfüllt. Die Nichtbesteuerung in der Schweiz sei keine Folge der Anwendung und Auslegung des DBA-Schweiz 1971/2010 durch die Schweiz, sondern der Zuweisung des Besteuerungsrechts durch die Grenzpendlerregelung des DBA-Schweiz/Frankreich. Ein Besteuerungsrückfall gemäß § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG komme ebenfalls nicht in Betracht. Die Besteuerung in der Schweiz sei nach dem Einkommensteuerrecht der Schweiz nicht allein deshalb entfallen, weil der Kläger in der Schweiz nicht unbeschränkt steuerpflichtig gewesen sei. Vielmehr würde der Arbeitslohn des Klägers aus seiner in der Schweiz ausgeübten Tätigkeit sowohl im Fall der unbeschränkten als auch im Fall der beschränkten Steuerpflicht einer schweizerischen Besteuerung unterliegen. Diese Besteuerung werde lediglich durch die Grenzpendlerregelung des DBASchweiz/Frankreich ausgeschlossen. Abkommensrechtliche Vorschriften seien aber grundsätzlich auch dann anwendbar, wenn ein Steuerpflichtiger in beiden Vertragsstaaten einen Wohnsitz habe und dort unbeschränkt steuerpflichtig sei, d.h. im Streitfall auch dann, wenn der Kläger einen (weiteren) Nebenwohnsitz in der Schweiz gehabt hätte. Vor diesem Hintergrund bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Grenzpendlerregelung des DBA-Schweiz/Frankreich auf § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG ausstrahle. Entgegen der Auffassung des FA könne die Zuweisung des Besteuerungsrechts an Deutschland durch das DBA-Frankreich 1959/2001 die Steuerfreistellung für den Arbeitslohn des Klägers nach dem DBA568

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Schweiz 1971/2010 nicht aufheben. Wie der BFH bereits entschieden habe,40 beträfen die Regelungen zur Abkommensberechtigung doppelt ansässiger Personen stets nur die Vertragsstaaten des jeweiligen bilateralen DBA. Eine sich auf andere Staaten erstreckende „abkommensübergreifende“ Wirkung komme diesen Normen nicht zu. Dies werde durch das WÜRV bestätigt. Denn nach Art. 34 WÜRV begründet ein Abkommen für einen Drittstaat ohne dessen Zustimmung weder Pflichten noch Rechte. Entsprechendes müsse auch für die Verteilungsnormen der jeweiligen DBA gelten. Daraus folge, dass die Verteilungsnormen der von Deutschland abgeschlossenen Abkommen grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinanderstünden und jeweils autonom und unabhängig voneinander auszulegen seien. Aus der Sicht eines Steuerpflichtigen reiche es somit aus, wenn er nach einem der von Deutschland abgeschlossenen Abkommen – wie im Streitfall nach dem DBA-Schweiz 1971/2010 – die Voraussetzungen einer Freistellung der Einkünfte von der inländischen Besteuerung erfülle. Soweit es sich um ein- und dieselben Einkünfte handle, könne diese Freistellung nicht durch die abweichende Zuweisung des Besteuerungsrechts in einem anderen Abkommen aufgehoben werden. Die abkommensrechtlichen Regelungen der von Deutschland abgeschlossenen Abkommen gelten gleichberechtigt und unabhängig nebeneinander. Dadurch kann sich der Steuerpflichtige grundsätzlich auf jede Begünstigung berufen, die ihm eines dieser Abkommen gewährt. Die Besprechungsentscheidung verdeutlicht, dass in einer solchen Konstellation aufgrund des jeweils nur bilateralen Wirkungskreises der jeweiligen Abkommen kein Konkurrenzverhältnis zwischen mehreren Abkommen besteht, das durch eine Art Gesamtbetrachtung dahingehend aufgelöst werden könnte und müsste, dass immer mindestens einem Staat eine Besteuerungsbefugnis zukommen muss. Der BFH ist damit dem Verständnis der Verwaltung entgegengetreten, wonach der Ansässigkeitsstaat durch die abkommensrechtliche Vereinbarung der Freistellung sein Besteuerungsrecht an den Quellenstaat „überträgt“ und dieser sodann das nämliche Besteuerungsrecht ggf. an den Drittstaat „weiterleitet“. Maßgeblich ist aus Sicht das BFH vielmehr, dass eine abkommensrechtliche Verpflichtung zur Freistellung bestimmter Einkünfte durch ein DBA durch ein von Deutschland mit einem anderen Staat abgeschlossenes DBA nicht tangiert wird. Möchte Deutsch-

40 BFH v. 4.11.2014 – I R 19/13, BFH/NV 2015, 333.

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land die Entstehung sog. „weißer Einkünfte“ ausschließen, könnte dies durch die Verankerung von Subject-to-Tax-Klauseln in den DBA erreicht werden, die die Freistellungsverpflichtung des Ansässigkeitsstaats entfallen lassen, falls der Quellenstaat von seinem Besteuerungsrecht keinen Gebrauch macht.

VI. Konkurrenzen Das FG Münster hatte einen Fall zu entscheiden, in dem eine unüblich niedrige Verzinsung eines Darlehens sowohl eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG als auch eine Hinzurechnung nach §§ 7 ff. AStG auslöst.41 A war Alleingesellschafter von Kapitalgesellschaften im In- und EUAusland, u.a. in der Schweiz und Polen, sowie (jedenfalls) zwischenzeitlich Direktor der Schweizer AG. Die Schweizer AG gewährte der niederländische B-AG verschiedene Darlehen, die nicht fremdüblich verzinst sind. Im Anschluss an steuerstrafrechtliche Ermittlungen ging das FA davon aus, dass die Schweizer AG eine Domizilgesellschaft des A sei. Sie sei als Zwischengesellschaft i. S. des § 8 AStG anzusehen, deren Zinseinkünfte niedrigbesteuert würden und aus passivem Erwerb stammten und deshalb beim Kläger der Hinzurechnungsbesteuerung unterlägen. Zinsansprüche der A-AG seien quasi als „durchgereichte“ Einkünfte beim Kläger nach § 1 AStG zu versteuern. Aber es sei eine angemessene Marge der A-AG (5 v.H.) abzuziehen. Diese Marge unterliege der streitgegenständlichen Hinzurechnungsbesteuerung. Hierdurch sei nach Auffassung des FA eine Doppelbesteuerung der Einkünfte (nach § 7 und § 1 AStG) vermieden worden. Die unüblich niedrige Verzinsung des Darlehens wirkt sich bei der B-AG gewinnerhöhend (passive Einkünfte) aus. Im Ergebnis wird der der B-AG eingeräumte Zinsvorteil beim Kläger doppelt steuererhöhend erfasst (doppelte steuerliche Verlagerung von im Ausland – von der B-AG – erzielten Einkünften ins Inland). Das FG ging im angefochtenen Urteil jedoch davon aus, dass aufgrund der speziellen Berechnung des streitgegenständlichen Hinzurechnungsbetrags durch das FA die Hinzurechnungsbeträge auch bei Berücksichtigung von Ausgaben, die mit den Zinseinnahmen in Zusammenhang stehen, nicht die vom FA festgestellten Hinzurechnungsbeträge unterschreiten und der Kläger damit 41 FG Münster v. 10.12.2020 – 8 K 665/16 F, EFG 2023, 33, Rev. zugelassen I R 38/22.

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nicht beschwert sei. Der Frage, wie das Konkurrenzverhältnis zwischen § 1 AStG und §§ 7 ff. AStG aufzulösen ist, ist das FG damit im Ergebnis ausgewichen. Der Fall weist starke Parallelen zu einem bereits entschiedenen Fall auf. Der BFH hat im Urteil vom 19.3.2002 I R 4/01, FR 2002, 1058 = GmbHR 2002, 98242 entschieden, dass im Fall einer deutschen Gesellschaft, die ihrer ausländischen Enkelgesellschaft ein Darlehen zu einem fremdunüblichen Zins gewährt, deren Einkünfte auch dann nach § 1 AStG zu berichtigen sind, wenn die Einkünfte der Enkelgesellschaft bei ihrer deutschen Muttergesellschaft (deren Anteile wiederum von der Gesellschaft gehalten werden) nach Maßgabe der §§ 7 ff. AStG hinzugerechnet werden. Die Doppelbesteuerung sei dann in der Weise zu vermeiden, dass bei der Ermittlung der Zwischeneinkünfte der Muttergesellschaft eine Gegenberichtigung vorgenommen werde (so jedenfalls die Leitsätze). Der streitgegenständliche Fall unterscheidet sich vom Fall I R 4/01 im Kern lediglich dadurch, dass § 1 AStG und §§ 7 ff. AStG nicht zwei verschiedene Rechtssubjekte betreffen, sondern in Gestalt des Klägers ein und dasselbe Rechtssubjekt. Eine Differenzierung zwischen beiden Gestaltungen wird in einem Literaturbeitrag als weder in der Sache notwendig noch mit dem Postulat einer möglichst einheitlichen und einfachen Rechtsanwendung vereinbar angesehen.43 In Rz. 18 verweist der BFH zur Lösung dieses Problems darauf, dass eine effektive Überbesteuerung nur im Billigkeitswege vermieden werden könne. Im Verfahren I R 4/01 hat der BFH den dortigen Kläger damit auf ein vom Steuerfestsetzungsverfahren getrenntes Verfahren verwiesen. Auch in der streitgegenständlichen Fallkonstellation (ein einziges Rechtssubjekt) wäre ein formaler Vorrang nur dann anzunehmen, wenn bei Anwendung von §§ 7 ff. AStG die gleichzeitige Anwendung von § 1 AStG zu einem Entfallen des Tatbestandsmerkmals der niedrigen Besteuerung44 führen würde, oder bei Anwendung von § 1 AStG die gleichzeitige Anwendung von §§ 7 ff. AStG zu einem Entfallen der Einkünfteminderung45 führen würde. Die Entscheidung des BFH bleibt abzuwarten.

42 BFH v. 19.3.2002 – I R 4/01, BStBl. II 2002, 644 = FR 2002, 1058 = GmbHR 2002, 982. 43 Buciek, IStR 2002, 670. 44 So wohl Schnitger, IStR 2012, 293. 45 Wassermeyer in F/W/B § 1 AStG Rz. 186.

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Grenzüberschreitende Fremdfinanzierung im Konzern Dr. Wendelin Staats, LL.M. Ministerialrat, Berlin Oliver Nussbaum Global Head of Taxes and Duties, Ludwigshafen I. Einführung II. Konkurrenzverhältnis § 1 Abs. 1 AStG und § 8b Abs. 3 S. 7 KStG III. Folgerungen für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen IV. Forderungsverzicht/Teilwertabschreibung

V. Berücksichtigung des Konzernrückhalts VI. Funktionsschwache Finanzierungsgesellschaft VII. Maßgebender Markt VIII. Gewährung zinsloser Darlehen

I. Einführung Die angemessene und konkrete Ausgestaltung von Fremdkapital und Eigenkapital zwischen Konzernunternehmen war in den letzten Jahren Gegenstand einer Reihe von Entscheidungen des I Senats des BFH.1 Dabei hat der BFH seine Rechtsprechung zur Abgrenzung von Fremdkapital und Eigenkapital, zu den Folgen einer fehlenden Besicherung von Konzerndarlehen sowie zur Ermittlung fremdüblicher Zinsen auf Konzerndarlehen bestätigt, präzisiert und teilweise neu ausgerichtet. –

Zum einen ging es um die Frage, ob ein aus einer Darlehensforderung resultierender Substanzverlust durch § 1 AStG korrigiert werden kann, wenn das Darlehen nicht besichert wurde.2 Der BFH hat in seinen Entscheidungen vom 18.5.2021 und vom 9.6.2021 seine

1 BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.180521.IR4.17.0, BStBl. II 2023, 678 = GmbHR 2022, 107 m. Anm. Andresen = ZIP 2021, 2385; v. 18.5.2021 – I R 62/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.180521.IR62.17.0, FR 2023, 366; v. 9.6.2021 – I R 32/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.090621.IR32.17.0, BStBl. II 2023, 686 = GmbHR 2022, 216 = ZIP 2022, 1380; v. 13.1.2022 – I R 15/21, BStBl. II 2023, 675 = GmbHR 2022, 1049. 2 BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.090621.IR32.17.0, BStBl. II 2023, 686 = GmbHR 2022, 216 = ZIP 2022, 1380; v. 13.1.2022 – I R 15/21, BStBl. II 2023, 675 = GmbHR 2022, 1049.

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Rechtsprechung darin bestätigt, dass eine fehlende Darlehensbesicherung zu den „Bedingungen“ iSd. § 1 Abs. 1 AStG gehört, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung durchaus zur Fremdunüblichkeit einer Geschäftsbeziehung führen kann. Der BFH bleibt aber – trotz Kritik in der Literatur3 – bei seiner Auffassung, dass die inländische Einkünfteminderung nicht mit einer Gewinnverlagerung über die Grenze einhergehen muss und nicht Voraussetzung für die Anwendung von § 1 AStG sei. Allerdings könne im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller Umstände auch ein unbesichertes Darlehen fremdüblich sein, wenn eine adäquate Risikokompensation über den Zins erfolgen könne. Vielmehr sei die Einkünftekorrektur in diesen Fällen vorrangig über den Zinssatz vorzunehmen. –

Zum anderen gibt der BFH in seinen Entscheidungen vom 18.5.20214 klare Regelungen zur Bestimmung angemessener Preise für konzerninterne Finanzierungen vor. Für die Ermittlung fremdüblicher Zinsen auf Konzerndarlehen sei vorrangig die Preisvergleichsmethode anzuwenden. Die Bonitätsprüfung einer darlehensnehmenden Konzerngesellschaft ist an ihren individuellen Verhältnissen auszurichten (sog. „Stand alone“-Rating), wobei der (sog.) Konzernrückhalt, ohne Hinzutreten einer rechtlichen Verpflichtung, nicht als fremdübliche (werthaltige) Besicherung des Rückzahlungsanspruchs angesehen werden kann. Die Preisvergleichsmethode gelte aus Sicht des Darlehensnehmers auch dann, wenn das Darlehen von einer funktionsarmen Finanzierungsgesellschaft gewährt wird.

Damit hat der BFH zwar viele Fragen im Zusammenhang mit Konzerndarlehen geklärt, dennoch lohnt sich der Blick auf einige weiterreichenden Fragen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Urteile. Die Finanzverwaltung hat sich erst nach der Tagung zu den zitierten Urteilen positioniert und die zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteile auch im BStBl. II veröffentlicht.5

3 U.a. Gosch, DStR 2019, 2441; Köhler; DStR 2020, 829; Schnitger, IStR 2020, 821. 4 BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.180521.IR4.17.0, BStBl. II 2023, 678 = GmbHR 2022, 107 m. Anm. Andresen = ZIP 2021, 2385 = IStR 2021, 893 m. Anm. Andree/Bärsch/Engelen sowie BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.180521.IR62.17.0, FR 2023, 366 = IStR 2021, 902 m. Anm. Ebeling/Nolden. 5 Vgl. die neuen Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise, BMF v. 6.6.2023 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :003 – DOK 2023/0537819, BStBl. I 2023, 1093. Hierzu

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II. Konkurrenzverhältnis § 1 Abs. 1 AStG und § 8b Abs. 3 S. 7 KStG § 1 AStG kommt als Korrekturvorschrift dann zur Anwendung, wenn die Einkünfte eines inländischen Steuerpflichtigen aus einer Geschäftsbeziehung mit einem ihm nahestehenden Geschäftspartner im Ausland dadurch gemindert werden, dass er seiner Einkünfteermittlung „andere Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise), zugrunde legt, als sie voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten (Fremdvergleichsgrundsatz)“.

Der BFH hat in Abweichung zu seiner bisherigen Rechtsprechung6 entschieden, dass ein aus einer Darlehensforderung (Konzerndarlehen) resultierender Substanzverlust durch § 1 AStG korrigiert werden kann, wenn das Darlehen nicht besichert wurde.7 Mit der Einführung von § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG (ab dem Veranlagungszeitraum 2008) wurde daneben die Abzugsfähigkeit von Substanzverlusten ausdrücklich geregelt. Nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG sind Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilen iSv. § 8b Abs. 2 KStG entstehen, bei der Ermittlung des Einkommens nicht zu berücksichtigen. Zu diesen Gewinnminderungen gehören auch Gewinnminderungen im Zusammenhang mit einer Darlehensforderung oder aus der Inanspruchnahme von Sicherheiten, die für ein Darlehen hingegeben wurden, wenn das Darlehen oder die Sicherheit von einem Gesellschafter gewährt wird, der zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar am Grund- oder Stammkapital der Körperschaft, der das Darlehen gewährt wurde, beteiligt ist oder war. Dies gilt allerdings nach Satz 7 der Norm nicht, wenn nachgewiesen wird, dass auch „ein fremder Dritter das Darlehen bei sonst gleichen Umständen gewährt oder noch nicht zurückgefordert hätte“;

dabei sind nur die eigenen Sicherungsmittel der Gesellschaft zu berücksichtigen. Busch, DB 2023, 1947; Rasch/Wenzel, IWB 2023, 519; Saliger/Staats, IWB 2023, 509. 6 Vgl. BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, FR 2016, 481 = GmbHR 2015, 1107 m. Anm. Roser = DB 2015, 2182; v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261 = FR 2015, 954 = GmbHR 2015, 389. 7 BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.090621.IR32.17.0, BStBl. II 2023, 686 = GmbHR 2022, 216 = ZIP 2022, 1380; v. 13.1.2022 – I R 15/21, BStBl. II 2023, 675 = GmbHR 2022, 1049.

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Aus der Formulierung „unbeschadet anderer Vorschriften“ in § 1 Abs. 1 AStG ergibt sich kein Vorrang des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG. Dies vertritt zumindest der BFH in seiner Entscheidung vom 27.11.2019 zur Normenkonkurrenz § 1 AStG und vGA nach § 8 KStG.8 Beide Vorschriften überlagern einander vielmehr in dem Sinne, dass sich eine Gewinnkorrektur nach der einen Vorschrift erübrigt, wenn sie bereits nach der anderen vollzogen wurde. Der Wortlaut nach § 1 Abs. 1 AStG und der Escape-Regelung nach § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG weichen zwar voneinander ab, betreffen aber in beiden Fällen jeweils fremdvergleichskonformes Verhalten von nahestehenden Personen. Beide Normen sollten daher auf einheitlichen Maßstäben basieren und nicht zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führen. Die in den BFH Urteilen vom 9.6.2021 und 13.1.20229 aufgestellten Grundsätze zu Darlehensforderungen sollten daher auch auf die Auslegung des „Escapes“ nach § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG übertragbar sein, dh. es wäre auch insoweit eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen und einzelne fehlende Bedingungen (zB Sicherheiten) können durchaus fremdüblich sein, wenn sie über eine adäquate Risikokompensation (zB über den Zins) ausgeglichen werden können. Ansonsten würde ein dem Fremdvergleichsgrundsatz nach § 1 AStG grundsätzlich genügendes Darlehensverhältnis ggf. nicht den Anforderungen des § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG entsprechen. Dennoch bleibt für die Praxis unklar, ob und inwieweit die Finanzverwaltung die Grundsätze des BFH10 auch für den Escape nach § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG gelten lassen wird.

III. Folgerungen für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen Gemäß § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG sind Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilen an Körperschaften stehen, deren Leistungen beim Empfänger zu Einnahmen iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 8 Vgl. BFH v 27.11.2019 – I R 14/16, BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19, ECLI:DE: BFH:2019:U.271119.IR40.19.0, GmbHR 2021, 40 = FR 2020, 1106 (zur Normenkonkurrenz § 1 AStG und vGA nach § 8 KStG). 9 BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.090621.IR32.17.0, BStBl. II 2023, 686 = GmbHR 2022, 216 = ZIP 2022, 1380; v. 13.1.2022 – I R 15/21, BStBl. II 2023, 675 = GmbHR 2022, 1049. 10 BFH 13.1.2022 – I R 15/21, BStBl. II 2023, 675 = GmbHR 2022, 1049.

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Buchst. a EStG führen, bei der Ermittlung des Einkommens nicht zu berücksichtigen. Nach § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG gehören zu den Gewinnminderungen iSd. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG auch Gewinnminderungen im Zusammenhang mit einer Darlehensforderung oder der Inanspruchnahme aus Sicherheiten, die für ein Darlehen hingegeben werden, wenn das Darlehen oder die Sicherheit von einem Gesellschafter gewährt wird, der zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar am Grund- oder Stammkapital der Körperschaft, der das Darlehen gewährt wurde, beteiligt ist oder war. Die Sätze 4 und 5 des § 8b Abs. 3 KStG sind gemäß § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG nicht anwendbar, wenn nachgewiesen wird, dass auch ein fremder Dritter das Darlehen bei sonst gleichen Umständen gewährt oder noch nicht zurückgefordert hätte, wobei nur die eigenen Sicherungsmittel der Gesellschaft zu berücksichtigen sind. Nach § 8b Abs. 3 Satz 8 KStG gelten die Sätze 4–7 des § 8b Abs. 3 KStG entsprechend für Forderungen aus Rechtshandlungen, die mit einer Darlehensgewährung wirtschaftlich vergleichbar sind. Nach der Gesetzesbegründung können dies ua. auch Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sein.11 Beispiel M liefert Ware an die russische Vertriebstochtergesellschaft T mit Zahlungsziel 90 Tage. Der Verrechnungspreis ist angemessen. Es sind keine Sicherheiten (ggf. Abtretung der Kundenforderung) hinterlegt, ein nachweisbarer Zins wurde nicht vereinbart. Aufgrund von Sanktionen kann die Forderung von T nicht beglichen werden. M nimmt eine Teilwertabschreibung auf die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen vor.

Nach Auffassung des FG Berlin-Brandenburg stellen Forderungen aus Lieferungen und Leistungen Forderungen aus Rechtshandlungen dar, die dann iSd. § 8b Abs 3 Satz 8 KStG wirtschaftlich einer Darlehensgewährung vergleichbar sind, wenn Gläubiger und Schuldner für eine gewisse Mindestdauer einen Zahlungsaufschub vereinbart haben, so dass der Gläubiger seine Forderung für eine gewisse Mindestdauer nicht beitreiben oder im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen darf.12 In gleicher Weise argumentiert auch das FG Münster in seiner Entscheidung vom 17.8.2016.13

11 Vgl. BT-Drucks. 16/6290, 73. 12 FG Berlin-Brandenburg v. 29.8.2017 – 11 V 11184/17, EFG 2017, 1692, nrkr., Az. BFH I B 102/17. 13 FG Münster v. 17.8.2016 – 10 K 2301/13 K, EFG 2016, 1810, rkr.

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Rein grundsätzlich kann jedes Zahlungsziel wirtschaftlich als Darlehensgewährung angesehen werden. Ggf. wären aber die durch den BFH14 aufgestellten Grundsätze auch für den Escape nach § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG anwendbar (siehe oben unter II. zum Konkurrenzverhältnis § 1 Abs. 1 AStG zu § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG). In diesem Fall wären, soweit die fehlende Besicherung durch eine adäquate Risikokompensation (zB über den Zins) ausgeglichen würden, auch die Voraussetzungen des „Escape“ erfüllt. Im vorliegenden Fall der Lieferung von Waren würde ein angemessener Verrechnungspreis implizit auch einen dem Zahlungsziel korrespondierenden Zins enthalten, der „Escape“ wäre erfüllt.

IV. Forderungsverzicht/Teilwertabschreibung Der BFH15 blieb in seinen Entscheidungen vom 9.6.2021 und 13.1.202216 bei seiner Auffassung, dass die inländische Einkünfteminderung iSd. § 1 AStG keine Gewinnverlagerung über die Grenze voraussetzt. Sollte der Substanzverlust des Darlehens in Deutschland nach § 1 AStG (oder § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG) zu versagen sein und damit eine Teilwertabschreibung steuerlich in Deutschland nicht abzugsfähig sein, führt dies dazu, dass die Verluste in keinem Staat Berücksichtigung finden. Denn der Staat des Schuldners wird die Verluste aus der wertgeminderten Darlehensforderung nicht berücksichtigen können. Im Gegenteil droht hier für den Fall eines Forderungsverzichts die Besteuerung eines Gewinns aus dem Wegfall einer Verbindlichkeit, soweit der ausländische Staat steuerliche Regelungen vorsieht, die der deutschen Rechtsprechung des Großen Senats entsprechen.17 Darüber hinaus können sich weiterreichende Folgen durch die Regelungen der Hinzurechnungsbesteuerung ergeben, wie folgendes Beispiel zeigen soll.

14 BFH. 13.1.2022 – I R 15/21, BStBl. II 2023, 675 = GmbHR 2022, 1049. 15 BFH. v. 18.5.2021 – I R 4/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.180521.IR4.17.0, BStBl. II 2023, 678 = GmbHR 2022, 107 m. Anm. Andresen = ZIP 2021, 2385; v. 18.5.2021 – I R 62/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.180521.IR62.17.0, FR 2023, 366; v. 9.6.2021 – I R 32/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.090621.IR32.17.0, BStBl. II 2023, 686 = GmbHR 2022, 216 = ZIP 2022, 1380; v. 13.1.2022 – I R 15/21, BStBl. II 2023, 675 = GmbHR 2022, 1049. 16 BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.090621.IR32.17.0, BStBl. II 2023, 686 = GmbHR 2022, 216 = ZIP 2022, 1380; v. 13.1.2022 – I R 15/21, BStBl. II 2023, 675 = GmbHR 2022, 1049. 17 BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = FR 1997, 723. = GmbHR 1997, 851 = ZIP 1998, 471.

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Staats/Nussbaum, Grenzüberschreitende Fremdfinanzierung im Konzern Beispiel: Die in Deutschland ansässige M reicht ein unbesichertes Darlehen an T aus. Das Darlehen wird nach einigen Jahren teilweise wertlos. M verzichtet anschließend auf die Rückzahlung des Darlehens. Der hieraus resultierende Aufwand soll nach § 1 AStG oder nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG aufgrund mangelnder Fremdvergleichskonformität in Deutschland steuerlich nicht abzugsfähig sein. Im Ausland soll der Verzicht auf den noch werthaltigen Teil als steuerfreie Einlage behandelt worden sein, der Verzicht aus dem wertlosen Teil analog der deutschen Sichtweise – mit einem Steuersatz unter 25% versteuert worden sein.18 Die ausländische Gesellschaft soll alternativ (a) aktive oder (b) passive Einkünfte haben.

Bei einem Forderungsverzicht stellt nur der werthaltige Teil des Darlehens eine verdeckte Einlage nach § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG dar.19 Der nicht werthaltige Teil des Darlehens ist bei M erfolgswirksam als Aufwand zu erfassen, der steuerlich nicht abzugsfähig ist. Erträge ausländischer Konzerngesellschaften aus Forderungsverzicht sind isoliert betrachtet passiver Natur und fallen nicht in den Aktivitätskatalog nach § 8 Abs. 1 AStG. Im Fall einer Niedrigbesteuerung lägen daher – wie im Beispielsfall – die Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung nach § 7 ff. AStG grundsätzlich vor. Soweit T ausschließlich passive Erträge erzielt, sollte der außerordentliche Ertrag aus dem Verzicht unstreitig passiv und zugleich niedrig besteuert sein (Steuerlast , 25%). Mithin wäre der Substanzverlust der M in Deutschland nicht gewinnmindernd zu berücksichtigen, während der korrespondierende Ertrag aus dem Verzicht auf der Passivseite der T zusätzlich der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen würde. 18 Die Voraussetzungen von steuerfreien Sanierungserträge nach § 3a EStG sollen nicht vorliegen. 19 BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = FR 1997, 723 = GmbHR 1997, 851 = ZIP 1998, 471.

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Es läge eine Doppelbesteuerung vor, die allenfalls im Rahmen einer Billigkeitslösung beseitigt werden könnte.20 Soweit T über aktive Einkünfte verfügt, liegt der Fall nicht eindeutig, da die Erträge isoliert betrachtet zwar passiver Natur sind; die Frage wäre aber, ob ein Ertrag aus dem Verzicht in funktionalem Zusammenhang mit aktiven Einkünften stehen kann bzw. ob Nebenerträge zu den aktiven Einkünften vorliegen können. Einkünfte einer ausländischen Gesellschaft, die – für sich betrachtet – Einkünfte aus passivem Erwerb sind, können nur dann der aktiven Tätigkeit zugeordnet werden, wenn es sich um wirtschaftlich zusammengehörende Tätigkeiten (funktionale Betrachtungsweise) oder betriebliche Nebenerträge handelt.21 Da es sich beim Ertrag auf der Passivseite nicht um eine Tätigkeit im engeren Sinne handelt, könnte die funktionale Betrachtungsweise hier ggf. nicht weiterhelfen. Gleiches gilt für die Einordnung als betriebliche Nebenerträge.

V. Berücksichtigung des Konzernrückhalts Der BFH22 führt weiter aus, dass der Konzernrückhalt eine fehlende Besicherung eines Darlehens nicht ersetzen kann, da insoweit keine rechtliche Verpflichtung besteht, für die Rückzahlung des Darlehens einzustehen. Allerdings soll der Konzernrückhalt wiederum bei der Bemessung der subjektiven Ausfallwahrscheinlichkeit des Darlehens eine Rolle spielen und kann sich damit positiv auf die Bonität des Darlehensnehmers auswirken. So auch bereits das BMF-Schreiben betr. Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise v. 14.7.202123 sowie das dieses Schreiben ersetzende und erst nach der Tagung veröffentlichte neue BMF-Schreiben betr. Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise v. 6.6.202324.

20 BFH v. 19.3.2002 – I R 4/01, BStBl. II 2002, 644 = FR 2002, 1058 = GmbHR 2002, 982; BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001 – DOK 2021/0770780, BStBl. I 2021, 1098 Rz. 1.8. 21 Schreiben betr. Grundsätze zur Anwendung des Außensteuergesetzes (Außensteuererlass), BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004 Sondernr. 1, 3) Rz. 8.02. 22 BFH 13.1.2022 – I R 15/21, BStBl. II 2023, 675 = GmbHR 2022, 1049. 23 BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001 – DOK 2021/0770780, BStBl. I 2021, 1098 Rz. 3.94. 24 BMF v. 6.6.2023 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :003 – DOK 2013/0537819, BStBl. I 2023, 10, 93 Rz. 3.126.

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Staats/Nussbaum, Grenzüberschreitende Fremdfinanzierung im Konzern „Der Konzernrückhalt beschreibt lediglich den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen der Unternehmensverflechtung und stellt keine rechtlich durchsetzbare Sicherheit dar und ist auch nicht stellvertretend hierfür heranzuziehen. Dem Konzernrückhalt kommt jedoch bei der Bemessung der subjektiven Ausfallwahrscheinlichkeit des Darlehensnehmers Bedeutung zu und er wirkt sich damit de facto auf dessen Bonität aus. Je nach der wirtschaftlichen Stellung und Bedeutung des jeweiligen Darlehensnehmers innerhalb der Unternehmensgruppe – auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Darlehensgewährung – würde dieser für den Fall, dass er eine wirtschaftliche Schieflage erleidet, gestützt werden. Je bedeutender also der Darlehensnehmer für die Unternehmensgruppe ist, desto eher würde dieser eine Stützung seitens der Unternehmensgruppe erfahren. Im gleichen Maße tritt die isolierte Betrachtung des Darlehensnehmers bei der Beurteilung der Bonität in den Hintergrund. Das Ausmaß und die Auswirkungen des Konzernrückhalts sind im jeweiligen Einzelfall sachgerecht zu prüfen25“.

Im Ergebnis ist der Konzernrückhalt also doch zu berücksichtigen. Zwar ist er in einem ersten Schritt bei isolierter Betrachtung nicht als Sicherheit zu berücksichtigen (Wegdenken aller Konzernbeziehungen), findet aber dennoch über die Prüfung der Bonität der Konzerntochter implizit seine Berücksichtigung. Die Bonität wiederum ist aber letztlich das Ergebnis der vorhandenen Sicherheiten und des erwarteten Cashflows. Beispiel: M gewährt ein ungesichertes Darlehen an Tochter T und T investiert in eine Produktionsanlage für eine neue Produktionslinie in einem unsicheren Markt. M liefert an T entsprechende Vorprodukte.

Außer der Produktionsanlage selbst könnte T keine werthaltigen Sicherheiten ex-ante erbringen. Die Finanzierung kommt daher einer Projektfinanzierung gleich, bei der der Gläubiger M die Finanzierungsentscheidung primär von den zukünftigen Erfolgsaussichten der geplanten Investition abhängig machen muss. Letztere wird anhand von CashflowSzenarien aufgezeigt, die im Rahmen von Sensitivitätsanalysen ermittelt werden. Die Produktionsanlage selbst bietet dabei keine werthaltige Sicherheit, da der Wert der Anlage durch die erwarteten Cashflows bestimmt wird. Aus Konzernsicht ist hier zudem zu berücksichtigen, dass M auch aus der Lieferung von Vorprodukten Gewinne erzielt, die er ohne T nicht erzielen könnte (Konzernsicht). 25 Zitiert wird das im Zeitpunkt der Tagung maßgebliche BMF-Schreiben. Die nach der Tagung veröffentlichte Neufassung (s. Fn. zuvor) zitiert darüber hinaus BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.180521.IR4.17.0, BStBl. II 2023, 678 = FR 2022, 955 = GmbHR 2022, 107 m. Anm. Andresen = ZIP 2021, 2385; der letzte Satz wurde redaktionell gestrichen.

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Letztlich werden Investitionen zumindest bei übergreifenden Wertschöpfungsketten im Gesamtinteresse des Konzerns getätigt. Je höher der Wertbeitrag einer Gesellschaft, desto höher auch die Bereitschaft zur Stützung im Krisenfall durch die Unternehmensgruppe. Insofern ist es auch gerechtfertigt, den Konzernrückhalt angemessen zu berücksichtigen.

VI. Funktionsschwache Finanzierungsgesellschaft Beispiel: Die ausländische FinCo gewährt ihrer deutschen Schwestergesellschaft T ein unbesichertes Darlehen. FinCo selbst hat nur über geringe Personal- und Sachkosten.

Nach dem BFH vom Urteil vom 18.5.202126 ist für die Ermittlung fremdüblicher Darlehenszinssätze vor Anwendung der sog. Kostenaufschlagsmethode zu prüfen, ob die Vergleichswerte mit Hilfe der Preisvergleichsmethode ermittelt werden können. Das gilt auch für unbesichert gewährte Konzerndarlehen und unabhängig davon, ob die Darlehen von der Muttergesellschaft oder einer als Finanzierungsgesellschaft fungierenden anderen Konzerngesellschaft gewährt worden sind. Dabei ist für die Beurteilung der Bonität nicht die durchschnittliche Kreditwürdigkeit des Gesamtkonzerns, sondern die Bonität der darlehensnehmenden Konzerngesellschaft maßgebend („Stand alone“-Ra26 BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, ECLI:DE:BFH:2021:U.180521.IR4.17.0, BStBl. II 2023, 678 = FR 2022, 955 = GmbHR 2022, 107 m. Anm. Andresen = ZIP 2021, 2385.

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ting). Das gilt auch für Konzerndarlehen, die von einer Finanzierungsgesellschaft ausgereicht werden, die über ein schwaches Funktions- und Risikoprofil verfügt. Dies hat keinen Einfluss auf die Zinsbelastung des Darlehensnehmers. Dies stand allerdings im Widerspruch zur alten Rz. 3.92 der Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise v. 14.7.202127, wonach bei Finanzierungsgesellschaften, die nicht in der Lage sind, das Risiko zu kontrollieren und das Risiko zu tragen, nur eine risikolose Rendite zuzurechnen ist. In diesen Fällen sei nach Auffassung der Finanzverwaltung vorrangig die Kostenaufschlagsmethode anzuwenden. Damit bestand bereits kurz nach Erlass des BMF-Schreibens Änderungsbedarf. Die Finanzverwaltung hat mittlerweile (nach der Tagung) im neuen BMF-Schreiben Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise vom 6.6.2023 versucht, diese Änderungen im Lichte der BFH-Rechtsprechung anzupassen.28

VII. Maßgebender Markt Nach Auffassung des BFH29 ist eine Einkünftekorrektur von Teilwertabschreibungen auf Konzerndarlehen nach § 1 Abs. 1 AStG in Fällen vorzunehmen, wenn entweder das Darlehen mit fremden Dritten überhaupt nicht geschlossen worden wäre oder wenn kein Markt für unbesicherte Darlehen ermittelt werden und damit für den gewährten Darlehensbetrag keine adäquate Risikokompensation über den Zins erfolgen kann. Für die zuletzt genannte Alternative ist entscheidend, ob konkret für das unbesicherte Darlehen ein Markt ermittelt werden kann. Was aber ist der relevante Markt?30 Die Frage bleibt offen, wann ein Markt als üblich gilt und damit für einen Preisvergleich herangezogen werden kann. Auch für den Fall, dass ein konkreter Markt für ein Darlehen nicht vorlieget, wäre zudem zu klären, ob sich eine Korrektur der Einkünfte auf den gesamten Substanzverlust beziehen würde oder ob hier in einem ersten Schritt eine Anpassung sowohl des Zinses als auch des Darlehensbetrags an geeignete Märkte erfolgen muss und erst in einem zweiten Schritt der verbleibende und überschießende Teil des Darlehensbetrags einer Einkünftekorrektur zugänglich wäre. 27 Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise, BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 S 1341/19/10017 :001 – DOK 2021/0770780, BStBl. I 2021, 1098. 28 Vgl. BMF v. 6.6.2023 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :003 – DOK 2013/0537819, BStBl. I 2023, 10, 93 Rz. 3.126. 29 BFH v. 13.1.2022 – I R 15/21, BStBl. II 2023, 675 = GmbHR 2022, 1049. 30 Saliger/Staats, IWB Nr. 14 v. 29.7.2022 – NWB QAAAJ-17962.

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Staats/Nussbaum, Grenzüberschreitende Fremdfinanzierung im Konzern

VIII. Gewährung zinsloser Darlehen Eine spannende Frage stellt sich, ob unter Berücksichtigung der BFHEntscheidungen durch den Steuerpflichtigen auch zinslose Darlehen gewährt werden können. Beispiel: M gründet Tochtergesellschaften grundsätzlich mit 40% Eigenkapital und 60% Fremdkapital. Dies entspricht auch ungefähr dem Verhältnis auf Konzernebene. Aufgrund devisenrechtlicher Beschränkungen in China ist eine zukünftige Rückführung von Eigenkapital allerdings rechtlich und faktisch schwer durchzusetzen. M entscheidet sich daher, statt des üblichen EK von 40% nur 10% EK zuzuführen und iHv. 30% ein zinsloses Darlehen zu gewähren.

Rein grundsätzlich erlaubt § 1 Abs. 1 AStG nicht die Möglichkeit des Nachweises wirtschaftlicher Gründe für das Abweichen vom Fremdvergleichsgrundsatz. Generell sind daher zu gering vergütete bzw. unentgeltliche Leistungsbeziehungen zu Tochtergesellschaften nach § 1 Abs. 1 AStG auf den fremdvergleichskonformen Zinssatz zu korrigieren. Aber nach Rz. 3.93 der Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise vom 14.7.2021 „… kann von an sich gebotenen Beanstandungen abgesehen werden, wenn wegen zwingender Rechtsvorschriften im Ansässigkeitsstaat der nahestehenden Person oder aus ähnlichen Gründen, die außerhalb des Kreditverhältnisses liegen, statt einer an sich gebotenen Zuführung von Eigenkapital ein zinsloses oder zinsgünstiges Darlehen gewährt wird. Wird von dieser Regelung Gebrauch gemacht, kann die Zinslosigkeit oder niedrige Verzinslichkeit als solche keine Teilwertabschreibung des Darlehens begründen.“

Eine vergleichbare Regelung war bereits in den Verwaltungsgrundsätzen aus dem Jahr 1983 vom 23.2.1983 Rz. 4.2.6 (BStBl. I 1982, 218) enthalten. Im neuen, nach der Tagung ergangenen BMF-Schreiben Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise vom 6.6.2023 findet sich diese Aussage allerdings nicht mehr. Zudem hat nach der Entscheidung des EuGH31 in der Rs. HornbachBaumarkt der Steuerpflichtige zumindest bei innergemeinschaftlichen Fällen auf Basis der Niederlassungsfreiheit die Möglichkeit, im Rahmen des § 1 AStG wirtschaftliche Gründe nachzuweisen, die fremdunübliche Konditionen mit Tochtergesellschaften rechtfertigen können; diese kön31 EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16, ECLI:EU:C:2018:366, GmbHR 2018, 746 = ZIP 2019, 458, EuGH v. 31.5.2018 – C 382/16? Hornbach, FR 2018, 596.

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Staats/Nussbaum, Grenzüberschreitende Fremdfinanzierung im Konzern

nen auch aus der Gesellschafterstellung resultieren, soweit damit wirtschaftliche Eigeninteressen verbunden sind. Hier ist aber vieles noch unklar32. Auch inwieweit die im Beispielsfall vorgetragenen wirtschaftlichen Gründe, nämlich die fehlende rechtliche bzw. faktische Rückführungsmöglichkeit von Eigenkapital, von der Finanzverwaltung als ausreichend angesehen werden bliebe abzuwarten. Zumindest scheint der Wortlaut der Verwaltungsgrundsätze die Vorgehensweise zu unterstützen, klare Aussagen finden sich aber weder im alten BMF-Schreiben vom 14.7.2021 noch im neuen BMF-Schreiben vom 6.6.2023.

32 Kritisch zur Hornbach-Entscheidung etwa Schwenke, DB 2018, 2329 (2331 ff.) und Staats, IWB 2018, 838 (846).

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6. Leitthema: Umsatzsteuerrecht

Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht Andreas Treiber Richter am BFH, München I. Umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Überlassung von Kraftfahrzeugen an Arbeitnehmer – viel Lärm um nichts? II. Zuordnung von Gebäuden zum Unternehmensvermögen III. Vorschaltung einer Holding zur Erlangung eines sonst nicht bestehenden Rechts auf Vorsteuerabzug?

IV. Rechnungsberichtigung im vermeintlichen § 13b-Fall – kein rückwirkender Vorsteuerabzug V. Und was ist nun mit der Organschaft? 1. Stimmrechtsmehrheit und Rechtsfolgen? 2. Rechtsfolge und „Entnahme“ in den hoheitlichen Bereich?

Das Jahr 2022 brachte aktuelle Entscheidungen zu Themenbereichen mit großer Breitenwirkung, die praktisch fast alle Unternehmer betreffen.

I. Umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Überlassung von Kraftfahrzeugen an Arbeitnehmer – viel Lärm um nichts? Sachverhalt: Die in Luxemburg ansässige Klägerin überließ ihren beiden im Inland wohnenden Angestellten PS (2013 und 2014) und FL (ab Februar 2014) jeweils ein von ihr geleastes Firmenfahrzeug, das PS und FL auch für Privatfahrten verwenden konnten.1 Mit PS vereinbarte die Klägerin eine Eigenbeteiligung von 2.640 EUR jährlich, die sie aber aufgrund einer vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht einforderte. Vom Gehalt des FL behielt die Klägerin 5.688 EUR ein, da die für das Dienstfahrzeug zu zahlende Leasingrate insoweit das mit dem Mitarbeiter für

1 BFH v. 30.6.2022 – V R 25/21, UR 2022, 846 m. Anm. Monfort = GmbHR 2022, 1205 m. Anm. Erdbrügger = DStR 2022, 2054.

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Treiber, Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht

die Überlassung von Dienstwagen vereinbarte Budget (700 EUR) überschritt. Zudem bestand eine gesonderte Dienstwagenvereinbarung. In Luxemburg wurde weder die Fahrzeugüberlassung besteuert noch kam es dort zu einem Vorsteuerabzug. Die Klägerin reichte beim FA Saarbrücken Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre ein, in denen sie für die beiden Fahrzeugüberlassungen sonstige Leistungen im Inland anmeldete. Gegen ihre Steueranmeldungen legte die Klägerin erfolglos Einspruch ein. Das FG richtete ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH2, über das der EuGH im Jahr 2021 entschied3. Das FG gab daraufhin der Klage weitgehend statt4. Leitsatz: Der für einen steuerbaren Umsatz erforderliche unmittelbare Zusammenhang zwischen der Fahrzeugüberlassung an einen Arbeitnehmer des Steuerpflichtigen zu privaten Zwecken und der (teilweisen) Arbeitsleistung liegt jedenfalls dann vor, wenn die Fahrzeugüberlassung individuell arbeitsvertraglich vereinbart ist und tatsächlich in Anspruch genommen wird (Folgeentscheidung zum EuGH-Urteil Finanzamt Saarbrücken vom 20.1.2021 – C-288/19, ECLI:EU:C:2021:32, UR 2021, 147 m. Anm. Monfort = GmbHR 2021, 328 m. Anm. Erdbrügger, EU:C:2021:32). Zur Lösung des BFH: Der Fall zeigt die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn einer EuGHVorlage ein bestimmtes Vorverständnis zugrunde gelegt wird, ohne den EuGH dazu zu befragen. Das FG ist bei seiner Vorlage von der Grundannahme ausgegangen, dass kein tauschähnlicher Umsatz vorliegt. Es hatte nur gefragt, ob eine unentgeltliche Fahrzeugüberlassung an Arbeitnehmer unter Art. Abs. 2 MwStSystRL fällt. Entscheidend für das FG war, dass der Arbeitnehmer für die Überlassung des Pkw keine Zahlung erbrachte, keinen Teil seiner Barvergütung für die Überlassung des Pkw verwendete und auch keine Vereinbarung zwischen den Parteien bestand, wonach der Anspruch auf Nutzung des Firmenfahrzeugs mit dem Verzicht auf andere Vorteile verbunden war. Der EuGH ließ sich in Rz. 31 f. seines Urteils darauf ein und entschied, dass dann „vorbehalt-

2 Saarl. FG v. 18.3.2019 – 1 K 1208/16, MwStR 19, 759. 3 EuGH v. 20.1.2021 – C-288/19, ECLI:EU:C:2021:32, UR 2021, 147 m. Anm. Monfort = GmbHR 2021, 328 m. Anm. Erdbrügger (FA Saarbrücken) EU:C:2021:32. 4 Saarl. FG v. 29.7.2021 – 1 K 1034/21, DStRE 2022, 926.

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Treiber, Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht

lich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Sachverhaltsprüfungen“ keine Dienstleistung gegen Entgelt vorliege. Ausgeblendet blieb dabei, dass die Gegenleistung für die Lieferung von Gegenständen in einer Dienstleistung bestehen und deren Steuerbemessungsgrundlage im Sinne von Art. 73 MwStSystRL sein kann, vorausgesetzt, es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Lieferung von Gegenständen und der Dienstleistung und der Wert der Dienstleistung kann in Geld ausgedrückt werden5. Gleiches gilt, wenn eine Dienstleistung gegen eine andere Dienstleistung getauscht wird, sofern genau diese Voraussetzungen erfüllt sind6. Bei Tauschverträgen, bei denen die Gegenleistung in einer Sachleistung besteht, und Umsätzen, bei denen die Gegenleistung in Geld erbracht wird, handelt es sich unter wirtschaftlichen und geschäftlichen Gesichtspunkten um zwei gleichartige Situationen7. Der BFH folgte daher in seinem Schlussurteil der Prämisse des FG nicht, sondern bestätigte seine ständige Rechtsprechung, dass die Fahrzeugüberlassung jedenfalls dann ein tauschähnlicher Umsatz ist, wenn die Fahrzeugüberlassung individuell arbeitsvertraglich vereinbart ist. Der Rechtsfehler des FG ergab sich aus Sicht des BFH daraus, dass das FG bei seinem Vorabentscheidungsersuchen die Unentgeltlichkeit der Fahrzeugüberlassung unterstellt hat, ohne dem EuGH eine Frage zur Arbeitsleistung als Sachentgelt zu stellen, um dann das Schweigen des EuGH zu einer von ihm nicht gestellten Frage als Ablehnung eines tauschähnlichen Umsatzes anzusehen. Eine erneute EuGH-Vorlage hielt der BFH insoweit nicht für erforderlich. Das Urteil des BFH darf m.E. nicht dahin gehend missverstanden werden, dass EuGH-Vorlagen der Instanzgerichte vom BFH als „unliebsam“ angesehen werden. Das Gegenteil ist m.E. der Fall, weil eine frühzeitige Klärung durch den EuGH den Beteiligten Zeit und Geld spart. Wenn frühzeitig absehbar ist, dass ein Fall in Luxemburg vorgelegt werden muss, bringt es wenig, ihn auf einen Umweg über München zu schi5 EuGH v. 3.7.2001 – C-380/99, ECLI:EU:C:2001:372, UR 2001, 346 (Bertelsmann), Slg. 2001, I-5163, Rz. 17. 6 EuGH v. 26.9.2013 – C-283/12, ECLI:EU:C:2013:599 (Serebryannay vek), DStRE 2014, 476. 7 EuGH v. 3.7.1997 – C-330/95, ECLI:EU:C:1997:339, UR 1997, 397 (Goldsmiths), Slg. 1997, I-3801, Rz. 23 ff.; v. 19.12.2012 – C-549/11, ECLI:EU:C: 2012:832, UR 2013, 215 (Orfey), Rz. 35.

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cken. Allerdings müssen m.E. alle vorlegenden Gerichte darauf achten, dass sie dem EuGH lieber mehr als weniger Fragen stellen. Dies gilt auch für den BFH. Als Ergebnis für die Praxis bleibt festzuhalten, dass UStAE 15.23 Abs. 8 Satz 1, Abs. 9 Satz 3 und Abs. 12 Satz 1 teilweise bestätigt worden sind, aber zu weit gefasst sein dürften: Der bloße Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis genügt nach Auffassung des BFH für einen tauschähnlichen Umsatz nicht8. Ebenso ist die einkommensteuerrechtliche Beurteilung ohne Bedeutung. Würde der UStAE insoweit geändert, wird dadurch nichts einfacher, sondern die Streitfälle bei der Abgrenzung werden zunehmen. Außerdem kann man um Vereinfachungsregelungen des BMF für Pkw und ihre zutreffende Auslegung mit dem FA nicht vor dem FG oder vor dem BFH streiten9. Der Übergang zur Besteuerung unentgeltlicher Wertabgaben führte außerdem zu einem anderen, grundlegenden Problem: Die ertragsteuerrechtliche 1%-Regelung10 bezieht sich auf alle Kosten, während an sich Abschnitt 15.2c Abs. 2 Satz 2 UStAE zutreffend11 Aufwendungen, die im Zusammenhang mit dem Gebrauch, der Nutzung oder der Erhaltung des Gegenstands stehen, der nur teilweise unternehmerisch genutzt wird, getrennt beurteilt und für diese anteilig den Vorsteuerabzug einschränkt bzw. versagt. Ein FG würde bei Streitigkeiten des Unternehmers mit dem Finanzamt eine unentgeltliche Wertabgabe für den PKW selbst besteuern und daneben anteilig für die Privatfahrten den Vorsteuerabzug für Benzin, Inspektionen, Reparaturen etc. versagen. Diese Lösung verträgt sich nicht mit der – von den Unternehmern gewünschten – einheitlichen Besteuerung bei Einkommensteuer und Umsatzsteuer.

8 BFH v. 30.6.2022 – V R 25/21, UR 2022, 846 m. Anm. Monfort = GmbHR 2022, 1205 m. Anm. Erdbrügger = DStR 2022, 2054, Rz. 27. 9 BFH v. 5.6.2014 – XI R 2/12, BStBl. II 2015, 785 = UR 2014, 981 = GmbHR 2015, 48; v. 25.4.2018 – XI R 21/16, BStBl. II 2018, 505 = UR 2018, 556. 10 Abschnitt 15.23 Abs. 12 UStAE. 11 Vgl. EuGH v. 25.5.1993 – C-193/91, ECLI:EU:C:1993:203, UR 1993, 309 m. Anm. Widmann (Mohsche), Slg. 1993, I-2615; v. 8.3.2001 – C-415/98, ECLI: EU:C:2001:136, UR 2001, 149 (Bakcsi), Slg. 2001, I-1831.

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II. Zuordnung von Gebäuden zum Unternehmensvermögen In zwei Entscheidungen hat der BFH präzisiert, wie die Zuordnung eines gemischt genutzten Gegenstandes zum Unternehmen erfolgt. Sachverhalt 1 – Photovoltaik: Der Kläger (Kläger) erwarb im Jahr 2014 (Streitjahr) eine Photovoltaikanlage. Den seit 22.9.2014 erzeugten Strom verbrauchte er teilweise selbst, teilweise speiste er ihn in das Stromnetz des örtlichen Netzbetreibers (X) ein. Der Einspeisevertrag mit X vom 25.9.2014 sah für den gelieferten Strom eine Vergütung pro kWh zuzüglich Umsatzsteuer vor. Entsprechend wurden am 19.1.2015 die im Streitjahr ausgeführten Stromlieferungen des Klägers an X mit Umsatzsteuer abgerechnet. Gegenüber dem FA gab der Kläger zunächst weder Voranmeldungen noch sonstige Erklärungen zu den Ausgangs- und Eingangsumsätzen aus dem Betrieb der Photovoltaikanlage sowie den unentgeltlichen Wertabgaben ab. Am 29.2.2016 reichte er eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2014 ein und zog darin die Vorsteuer voll ab. Das FA stimmte der Steuererklärung zunächst zu, versagte aber später den Vorsteuerabzug für die Photovoltaikanlage, weil der Kläger nicht rechtzeitig (bis zum 31. Mai des Folgejahres) eine Zuordnungsentscheidung getroffen habe. Der Einspruch blieb erfolglos. Das FG12 wies die Klage ab. Es nahm an, der Kläger habe die Photovoltaikanlage nicht rechtzeitig seinem Unternehmen zugeordnet. Die Zuordnung habe der Kläger gegenüber dem FA als Adressaten dokumentieren müssen. Der BFH rief zunächst den EuGH an13. Nach dem Urteil des EuGH14 hob er das Urteil des FG auf und gab der Klage statt.

12 FG Baden-Württemberg v. 12.9.2018 – 14 K 1538/17, EFG 2019, 2005. 13 BFH v. 18.9.2019 – XI R 7/19, BFHE 266, 472 = BStBl. II 2021, 118 = UR 2020, 271 m. Anm. Dziadkowski. 14 EuGH v. 14.10.2021 – C-45/20 und C-46/20 (Finanzamt N – Mitteilung der Zuordnung), (EU:C:2021:852).

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Leitsätze15: 1. Für die Dokumentation der Zuordnung (grundlegend BFH-Urteil vom 7.7.2011 – V R 42/09, BFHE 234, 519, BStBl. II 2014, 76 = UR 2011, 870) ist keine fristgebundene Mitteilung an die Finanzbehörde erforderlich. Liegen innerhalb der Dokumentationsfrist nach außen hin objektiv erkennbare Anhaltspunkte für eine Zuordnung vor, können diese der Finanzbehörde auch noch nach Ablauf der Frist mitgeteilt werden. 2. Die Tatsache, dass im Laufe des Jahres, in dem eine Photovoltaikanlage erworben wurde, ein Vertrag mit dem Recht zum Weiterverkauf des gesamten von der Anlage erzeugten Stroms zuzüglich Umsatzsteuer abgeschlossen wurde, ist ein Indiz dafür, dass der Steuerpflichtige die Photovoltaikanlage dem Unternehmen voll zugeordnet hat. Zur Lösung des BFH: Die Grundaussage des EuGH, dass das Unionsrecht der Rechtsprechung des BFH zur Zuordnungsentscheidung nicht entgegensteht, es sei denn, die besonderen rechtlichen Modalitäten für die Ausübung dieser Befugnis ließen erkennen, dass sie nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar seien, hat der BFH in der Weise umgesetzt, dass er einerseits an der Zuordnungsfrist als Ausschlussfrist im Bereich der beweglichen Gegenstände, zu dem er auch Photovoltaikanlagen zählt, festgehalten hat. Gleichzeitig hat der BFH aber daran erinnert, dass eine konkludente (implizite) Zuordnung durch „hinreichend eindeutige“ Umstände, die dem FA nicht vor Ablauf der Frist mitgeteilt worden sein müssen, möglich ist. Finanzverwaltung und Finanzgerichte hatten die BFH-Rechtsprechung zu streng verstanden und angewendet. Dies hat ein (zumindest vorläufiges) Ende. Nun droht allerdings ein neuer, für die Beteiligten nicht ungefährlicher Streit: Welche Umstände sind „hinreichend eindeutig“, um von einer (vollen oder anteiligen) Zuordnung auszugehen? Die Zuordnungsfrist sollte daher in der Praxis besser weiter durch Erklärung gegenüber dem FA gewahrt werden. Streitvermeidung ist insoweit die beste Lösung. Für Photovoltaikanlagen hat der BFH die Lösung selbst geliefert: Durch den Einspeisevertrag ist im Streitfall die Photovoltaikanlage voll dem Unternehmen zugeordnet worden. Dies sollte umgekehrt bedacht wer15 BFH v. 4.5.2022 – XI R 29/21 (XI R 7/19), UR 2022, 586 = BFH/NV 2022, 881.

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den, wenn unter Geltung des § 12 Abs. 3 UStG die Besteuerung von unentgeltlichen Wertabgaben vermieden werden soll16. In Vermietungsfällen ist daher z.B. der Abschluss eines Mietvertrags mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer17 als Zuordnungsentscheidung anzusehen18. Offen gelassen hat der BFH, ob die Zuordnungsfrist in aktuellen Jahren aus Gründen der Gleichbehandlung bei allen Steuerpflichtigen nach § 149 Abs. 3 AO zu berechnen ist. Wäre dies der Fall, würde die Problematik der Zuordnungsfrist m.E. weiter an Bedeutung verlieren. Sachverhalt 2 – Büroräume im Wohnhaus: Der Kläger betreibt ein Gerüstbauunternehmen. Im Jahr 2014 plante er die Errichtung eines Einfamilienhauses. In dem Grundriss ist ein 16,57 qm großer Raum im Erdgeschoss mit „Arbeiten“ bezeichnet; die „Nettogrundfläche gesamt“ des Gebäudes ist mit 181,3 qm angegeben. Der Kläger reichte für das Streitjahr (2015) beim FA USt-Voranmeldungen ein, in denen er keinen Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen zur Errichtung des Gebäudes geltend machte. In der Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2014 vom 28.9.2016 machte der Kläger anteilig den Vorsteuerabzug geltend. Mit Schreiben vom 27.2.2017 ergänzte er, dass der unternehmerische Nutzungsanteil nicht (wie zunächst angenommen) 8,91%, sondern 10,28% betrage. Nach einer Außenprüfung nahm das Finanzamt an, dass der geltend gemachte Vorsteuerabzug aus zwei Gründen zu versagen sei: Erstens habe der Kläger das Gebäude nicht zeitnah dem Unternehmen zugeordnet und zweitens sei der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG ausgeschlossen, da die unternehmerische Nutzung des Gebäudes weniger als 10% betrage. Den Einspruch aus dem Jahr 2017, mit dem der Kläger u.a. geltend machte, der abziehbare Anteil steige aufgrund der anteiligen unternehmerischen Nutzung des Gäste-WC auf 12,32%, wies das Finanzamt als unbegründet zurück. Das FG19 wies die Klage ab. Es nahm an, eine zeitnahe Dokumentation der Zuordnungsentscheidung liege nicht vor. 16 Diese nunmehr generell verneinend BMF v. 27.2.2023 – III C 2 - S 7220/22/ 10002 :010 – DOK 2023/0197236, UR 2023, 298 Tz. 6 f. 17 Zum Vertrag als Rechnung s. EuGH v. 29.9.2022 – C-235/21 (Raiffeisen Leasing), EU:C:2022:739. 18 vgl. BFH v. 29.9.2022 – V R 4/20, BFHE 277, 543 = UR 2023, 161. 19 Sächs. FG v. 19.3.2018 – 5 K 249/18, EFG 2019, 1861.

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Leitsatz20: 1. Für die Dokumentation der Zuordnung (grundlegend BFH-Urteil vom 7.7.2011 – V R 42/09, BFHE 234, 519 = UR 2011, 870, BStBl II 2014, 76) ist keine fristgebundene Mitteilung an die Finanzbehörde erforderlich. Liegen innerhalb der Dokumentationsfrist nach außen hin objektiv erkennbare Anhaltspunkte für eine Zuordnung vor, können diese der Finanzbehörde auch noch nach Ablauf der Frist mitgeteilt werden. 2. Für eine Zuordnung zum Unternehmen kann bei Gebäuden die Bezeichnung eines Zimmers als Arbeitszimmer in Bauantragsunterlagen jedenfalls dann sprechen, wenn dies durch weitere objektive Anhaltspunkte untermauert wird. So ist es z.B. dann, wenn der Unternehmer für seinen Gerüstbaubetrieb einen Büroraum benötigt, er bereits in der Vergangenheit kein externes Büro, sondern einen Raum seiner Wohnung für sein Unternehmen verwendet hat, und er beabsichtigt, dies in dem von ihm neu errichteten Gebäude so beizubehalten. Zur Lösung des BFH: Der BFH verwies den Rechtsstreit an das FG zurück. Dabei wies er das FG darauf hin, dass es sich um einen Gerüstbaubetrieb ohne externes Büro handele, ein Wohnraum bereits zuvor für das Unternehmen verwendet worden war und in dem neu errichteten Gebäude scheinbar so beibehalten wurde. U.a. führte der BFH aus, dass die Gewinn- und Verlustrechnung des Jahres 2014 Absetzungen für Abnutzung für das neue Haus enthalte, was dafür spreche, dass die tatsächliche Nutzung für unternehmerische Zwecke im Jahr 2014 erfolgt sei. Man sieht daran: Zwar können Baupläne allein keine Zuordnung belegen, aber die tatsächliche Verwendung entsprechend der in den Bauplänen zum Ausdruck kommenden Absicht sehr wohl. Die absichtsgemäße Verwendung für unternehmerische Zwecke kann damit eine Zuordnung sein. Prüfen muss das allerdings das FG (und dabei auch feststellen, ob der Akteninhalt der Realität entspricht). Die fehlenden tatsächlichen Feststellungen kann der BFH insoweit nicht selbst nachholen. Er kann dem FG nur im Rahmen der sog. „Segelanleitung“ Fingerzeige geben. Verneint hat der BFH allerdings eine rechtzeitige Zuordnung des GästeWC. Die Zuordnung durch den Einspruch im Jahr 2017 war verspätet. Die Baupläne insoweit nicht eindeutig. Dies kann dazu führen, dass wegen der 10%-Grenze des § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG der Vorsteuerabzug 20 BFH v. 4.5.2022 – XI R 28/21 (XI R 3/19), UR 2022, 582 = BFH/NV 2022, 878.

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komplett zu versagen ist. Das FG muss prüfen, ob ohne das Gäste-WC die unternehmerische Mindestnutzung erreicht ist oder nicht. Einen wichtigen Hinweis für die interessierten Rechtskreise enthält die Rz. 31 des Urteils. Der BFH lässt es dort mangels Entscheidungserheblichkeit offen, ob eine Vorsteuerberichtigung (§ 15a Abs. 6a UStG) eine vorherige volle Zuordnung des Gebäudes zum Unternehmen voraussetzt, und verweist dazu aus das BFH-Urteil vom 20.10.2021 – XI R 10/2121. Letztlich steht dahinter die Frage, ob § 15 Abs. 1b UStG zumindest wie ein teilweises Zuordnungsverbot wirkt, wofür m.E. einiges spricht. Dass die spätere Berichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen eine vorherige volle Zuordnung voraussetzt, obwohl bei Leistungsbezug der Vorsteuerabzug gemäß Art. 168a MwStSystRL, § 15 Abs. 1b UStG ausgeschlossen war, ergibt sich m.E. aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH nicht. Möglicherweise besteht deshalb auch ein Zuordnungswahlrecht nur für den Teil, für den der Vorsteuerabzug nicht ausgeschlossen war. Er kann, muss aber nicht zugeordnet werden.

III. Vorschaltung einer Holding zur Erlangung eines sonst nicht bestehenden Rechts auf Vorsteuerabzug? Auch im Besprechungszeitraum haben Steuerfragen der Holding die Rechtsprechung beschäftigt. Besonders bedeutsam ist insoweit die (vom EuGH verhinderte) Vorschaltung von Holdings zur Erlangung eines an sich nicht zustehenden Vorsteuerabzugs. Sachverhalt: Die Klägerin, eine GmbH, war jeweils mehrheitlich an zwei Gesellschaften (X und Y) beteiligt. Beide Gesellschaften errichteten Wohngebäude und veräußerten die errichteten Wohnungen überwiegend umsatzsteuerfrei. Mit Ergänzungsvereinbarung zum Gesellschaftsvertrag der X wurde am 31.1.2013 vereinbart, dass der andere Gesellschafter der X ein Aufgeld in Höhe von 600.000 EUR als Gesellschafterbeitrag zu leisten und die Klägerin unentgeltliche Dienstleistungen (z.B. Architekten-, Statik-, Planungs-, Erschließungs- und Generalunternehmer-Leistungen) i.H.v. mindestens 9,4 Millionen EUR an X zu erbringen habe. Diese Leistun21 BFH v. 20.10.2021 – XI R 10/21, ECLI:DE:BFH:2021:U.201021.XIR10.21.0, BFHE 274, 342, Rz. 53 ff. = UR 2022, 300 m. Anm. Küffner.; s. auch BFH v. 10.2.2021 – XI B 24/20, BFH/NV 2021, 549, Rz. 14.

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gen erbrachte die Klägerin teilweise mit eigenem Personal und eigenen Geräten, teilweise mit Hilfe von Subunternehmern. Am gleichen Tag vereinbarten die Klägerin und X, dass die Klägerin im Zusammenhang mit den Bauprojekten entgeltliche Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen an X erbringt. Ausdrücklich ausgenommen von den vereinbarten Geschäftsführungsleistungen waren jene Leistungen, die die Klägerin als Gesellschafterbeitrag zu leisten hatte. Am 10.4.2013 wurde vereinbart, dass die andere Gesellschafterin der Y ein Aufgeld in Höhe von 3,5 Millionen EUR zu leisten und die Klägerin unentgeltliche Dienstleistungen (gleicher Art wie für die X) an Y zu erbringen habe (Bruttogesamtverkehrswert 30,29 Millionen EUR). Auch diese Leistungen erbrachte die Klägerin teilweise mit eigenem Personal und eigenen Geräten, teilweise mit Hilfe von Subunternehmen. Ebenfalls am 10.4.2013 vereinbarten die Klägerin und Y, dass die Klägerin entgeltliche Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen (gleicher Art wie für die X KG) an Y erbringt. Die Klägerin zog die Vorsteuer für Eingangsleistungen, die sie für die Gesellschafterbeiträge an X und Y verwendete, voll ab. Das Finanzamt versagte nach einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung insoweit den Vorsteuerabzug, als die unentgeltlichen Gesellschafterbeiträge der Klägerin an X und Y nichtsteuerbare Tätigkeiten seien, sodass die darauf entfallende Vorsteuer nicht abziehbar sei. Die FG22 gab der Klage statt. Da die Klägerin aufgrund der Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen geschäftsleitende Holding von X und Y sei, sei die Erbringung von Sachleistungen als Gesellschafterbeitrag Teil der unternehmerischen Tätigkeit der aktiven Beteiligungsverwaltung. Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 AO) liege nicht vor, da außersteuerrechtliche Gründe für die gewählte Gestaltung vorlägen. Der BFH23 rief den EuGH an und fragte, ob der Umstand, dass die bezogenen Eingangsleistungen nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Umsätzen der Klägerin, sondern mit den (weitgehend) steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften X und

22 Nds. FG v. 19.4.2018 – 5 K 285/16, EFG 2019, 653. 23 BFH v. 23.9.2020 – XI R 22/18, ECLI:DE:BFH:2020:VE.230920.XIR22.18.0, BStBl. II 2021, 325 = UR 2021, 238 m. Anm. Wernthaler = GmbHR 2021, 388 m. Anm. Monfort = ZIP 2021, 896.

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Y stehen, den Vorsteuerabzug ausschließe. Hilfsweise fragte er, ob die Vorschaltung rechtsmissbräuchlich sei. Leitsatz24: Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Verbindung mit deren Art. 167 ist dahin auszulegen, dass einer Holdinggesellschaft, die steuerpflichtige Ausgangsumsätze an Tochtergesellschaften ausführt, das Recht auf Vorsteuerabzug für Leistungen, die sie von Dritten bezieht und gegen die Gewährung einer Beteiligung am allgemeinen Gewinn in die Tochtergesellschaften einlegt, nicht zusteht, wenn erstens die bezogenen Eingangsleistungen nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Umsätzen der Holdinggesellschaft, sondern mit den weitgehend steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen, zweitens diese Eingangsleistungen in den Preis der an die Tochtergesellschaften erbrachten steuerpflichtigen Umsätze keinen Eingang finden und drittens diese Leistungen nicht zu den allgemeinen Kostenelementen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Holdinggesellschaft gehören. Zur Lösung des EuGH: Der EuGH führte aus, dass unter den im Leitsatz genannten Voraussetzungen der klagenden Holding der Vorsteuerabzug nicht zustehe. Ohne Bedeutung war für ihn, dass die Tochtergesellschaften nur dank der Gesellschafterbeiträge ihre eigenen Tätigkeiten aufrechterhalten und infolgedessen Bedarf für Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen der Holding haben. Das Ziel des Bezugs der Eingangsleistungen durch die Holding habe darin bestanden, den nicht steuerbaren Gesellschafterbeitrag zu ermöglichen. Der BFH ist dieser Auffassung später gefolgt25. Die allgemeine Bedeutung dieser Aussage liegt m.E. darin, dass EuGH und BFH den ausschließlichen Entstehungsgrund als (weiteres) Kriterium für den Vorsteuerabzug berücksichtigen. So „logisch“ dies einem (vom Veranlassungsprinzip geprägten) Ertragsteuerrechtler erscheint, der Umsatzsteuerrechtler fragt sich: Wie können (oftmals vergangenheitsbezogene) „Veranlassungsgesichtspunkte“ in eine (an sich ausschließlich in die Zukunft gerichtete) „Absichts- und Verwendungsbesteuerung“ 24 EuGH v. 8.9.2022 – C-98/21, ECLI:EU:C:2022:645, UR 2022, 812 m. Anm. Höink/Hudasch = UR 2022, 736 = GmbHR 2022, 1098 m. Anm. Monfort (Finanzamt R). 25 BFH v. 15.2.2023 – XI R 24/22 (XI R 22/18), UR 2023, 651 = ZIP 2023, 1745 = DStR 2023, 1531.

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(§§ 15, 15a UStG) überhaupt Eingang finden? Und wie weit reicht eine personenübergreifende Betrachtung in Nicht-Organschafts-Fällen? Die Antwort auf die erste Frage fällt leichter: Der EuGH wählt einen „Umweg“: Das Vorhandensein eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs mit besteuerten Umsätzen bzw. der besteuerten wirtschaftlichen Gesamttätigkeit ist in Anbetracht des objektiven Inhalts des betreffenden Umsatzes zu beurteilen26. Der EuGH hat die Kausalität der unternehmerischen Betätigung für das Bestehen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs nicht genügen lassen27. Auch reicht es nicht aus, dass Eingangsleistungen die Folge eines steuerpflichtigen Ausgangsumsatzes sind28. Selbst eine unternehmerische Notwendigkeit führt nicht dazu, dass ein bestimmter Vorgang nicht trotzdem privaten Zwecken dienen kann29. Maßgebend für den Vorsteuerabzug ist jedoch nicht nur die tatsächliche Verwendung der vom Steuerpflichtigen bezogenen Eingangsleistungen30, sondern auch der ausschließliche Entstehungsgrund des fraglichen Umsatzes, da dieser als ein Kriterium für die Bestimmung des objektiven Inhalts anzusehen ist31. Die Veranlassung darf also mit anderen Worten als Teil des objektiven Inhalts der Eingangsleistung berücksichtigt werden.

26 Vgl. EuGH v. 22.10.2015 – C-126/14, ECLI:EU:C:2015:712, UR 2015, 910 m. Anm. Sterzinger (Sveda), Rz. 29; v. 8.9.2022 – C-98/21, ECLI:EU:C:2022:645, UR 2022, 812 m. Anm. Höink/Hudasch = UR 2022, 736 = GmbHR 2022, 1098 m. Anm. Monfort (Finanzamt R), Rz. 49. 27 EuGH v. 21.2.2013 – C-104/12, ECLI:EU:C:2013:99, UR 2013, 220 (Becker), Rz. 31; s. dazu auch Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Sveda v. 22.4.2015 – EuGH v. 22.10.2015 – C-126/14, ECLI:EU:C:2015: 712, UR 2015, 910 m. Anm. Sterzinger, Rz. 45. 28 Vgl. EuGH v. 8.6.2000 – C-98/98, ECLI:EU:C:2000:300, UR 2000, 342 (Midland Bank), Rz. 31. 29 Vgl. EuGH v. 16.10.1997 – C-258/95, ECLI:EU:C:1997:491, UR 1998, 61 (Fillibeck), Rz. 27; v. 16.2.2012 – C-118/11, ECLI:EU:C:2012:97, UR 2012, 230 m. Anm. Wäger (Eon Aset Menidjmunt OOD), Rz. 51. 30 Vgl. EuGH v. 12.11.2020 – C-42/19, ECLI:EU:C:2020:913, UR 2020, 967 m. Anm. Heinrichshofen (Sonaecom), Rz. 66. 31 Vgl. EuGH v. 21.2.2013 – C-104/12, ECLI:EU:C:2013:99, UR 2013, 220 (Becker), Rz. 29; v. 10.11.2016 – C-432/15, UR 2016, 913 (bastova), Rz. 45; v. 8.11.2018 – C-502/17, ECLI:EU:C:2018:888, UR 2018, 966 m. Anm. Billig (C&D Foods Acquisition), Rz. 37; v. 8.9.2022 – C-98/21, ECLI:EU:C:2022: 645, UR 2022, 812 m. Anm. Höink/Hudasch = UR 2022, 736 = GmbHR 2022, 1098 m. Anm. Monfort (Finanzamt R), Rz. 49.

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Dies wirkt in beide Richtungen: Der Vorsteuerabzug kann, wie im Holding-Fall, wegen des ausschließlichen Entstehungsgrundes im steuerfreien, nichtwirtschaftlichen oder privaten Bereich zu versagen sein32. Umgekehrt kann aber der Vorsteuerabzug wegen des ausschließlichen Entstehungsgrundes im unternehmerischen Bereich trotz der zukünftigen Verwendung für nicht zum Vorsteuerabzug berechtigende Zwecke zu gewähren sein, wie der BFH entschieden hat33. Die Antwort auf die zweite Frage erscheint auf den ersten Blick schwerer: Wann bleibt der Blick nur auf die Holding und ihre Umsätze gerichtet und wann schaut man durch die Holding hindurch auf die Tochtergesellschaften? M.E. lohnt es sich, hierzu die Schlussanträge des GA Pitruzella34 zu lesen. Er legt dar, dass sich in den davor entschiedenen Fällen um Kosten gehandelt hatte, die bei der Holding für Gründung/Erwerb/Erhöhung/Stärkung ihrer Beteiligung erforderlich waren, während es hier um Kosten für Leistungen ging, die selbst in die Tochtergesellschaften eingelegt wurden und bei den Töchtern (= Dritten) der Ausübung ihrer z.T. steuerfreien wirtschaftlichen Tätigkeit dienten. Für eigene „beteiligungsrelevante“ Kosten besteht ein Recht der geschäftsleitenden Holding auf Vorsteuerabzug35. Die Übernahme von Kosten der Gesellschaft durch Einlage einer selbst bezogenen Leistung begründet beim Gesellschafter kein Recht auf Vorsteuerabzug36. Dies gilt auch bei der geschäftsleitenden Holding. Anders wäre es zwar, wenn bezüglich der weitergeleiteten Eingangsleistungen in Wahrheit keine Einlage, sondern ein Leistungsaustausch zwischen Holding und Gesell32 Vgl. auch EuGH v. 8.2.2007 – C-435/05, ECLI:EU:C:2007:87 (Investrand), UR 2007, 225, Rz. 33, 36; BFH v. 13.12.2017 – XI R 3/16, BFHE 261, 84 = BStBl. II 2018, 727, Rz. 28 = UR 2018, 445; v. 18.9.2019 – XI R 19/17, BFHE 267, 98 = BStBl. II 2020, 172, Rz. 31 = UR 2020, 196. = GmbHR 2020, 397 = ZIP 2020, 226. 33 Vgl. BFH v. 30.6.2022 – V R 32/20, BStBl. II 2023, 45 = UR 2022, 863 m. Anm. Esteves Gomes = GmbHR 2023, 40 = ZIP 2022, 2246; BFH v. 7.12.2022 – XI R 16/21, UR 2023, 482 = BFH/NV 2023, 788; Abschnitt 15.2c Abs. 3 Satz 3 UStAE. 34 Schlussanträge v. 3.3.2022 – C-98/21 (EU:C:2022:160, Rz. 56 ff.). 35 Zusammenfassend und bestätigend auch im Fall geringer Ausgangsumsätze EuGH v 16.7.2015 – C-108/14 und C-109/14 (Larentia+Minerva und Marenave Schiffahrt), EU:C:2015:496. 36 S. hierzu auch EuGH v. 13.3.2014 – C-204/13, ECLI:EU:C:2014:147, UR 2014, 353 = ZIP 2014, 1120 (Malburg), MwStR 2014, 270, Rz. 35 f., 42: Kein Vorsteuerabzug des Gesellschafters für einen entgeltlich erworbenen, unentgeltlich eingelegten Kundenstamm.

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schaft vorläge. Dann wären allerdings bei der geschäftsleitenden Holding ggf. steuerpflichtige Ausgangsumsätze37 nachzuerfassen. Die anfallende Umsatzsteuer wäre bei der Tochtergesellschaft gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG nicht als Vorsteuer abziehbar. Zum möglichen Missbrauch: Nicht beantworten mussten EuGH und BFH die Frage, ob bei anderer Sichtweise eine Vorschaltung rechtsmissbräuchlich wäre. Generalanwalt Pitruzella38 hat dazu folgende Auffassung vertreten: Wenn eine geschäftsleitende Holding derart in den Leistungsbezug von Tochtergesellschaften „zwischengeschaltet“ wird, dass sie die Leistungen, für die den Tochtergesellschaften bei unmittelbarem Leistungsbezug kein Recht auf Vorsteuerabzug zustünde, selbst bezieht, in die Tochtergesellschaften gegen Beteiligung an deren Gewinn einlegt und anschließend unter Berufung auf ihre Stellung als geschäftsleitende Holding den vollen Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen geltend macht, stellt dies einen Steuervorteil dar, dessen Gewährung dem mit den Bestimmungen der MwStSystRL über den Vorsteuerabzug verfolgten Ziel zuwiderläuft. Dieser Vorgang stellt einen Rechtsmissbrauch dar, auch wenn er durch außersteuerrechtliche Gründe gerechtfertigt werden kann, sofern ersichtlich ist, dass damit im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird. Die Möglichkeit, dass die Sichtweise des Generalanwalts richtig sein könnte (aber nicht richtig sein muss), könnte in anderen Vorschalt-Fällen Bedeutung erlangen. Zu beachten gilt es dabei, dass ein Missbrauch nur in Betracht kommt, wenn der geltend gemachte Vorsteuerabzug dem mit den Bestimmungen der MwStSystRL verfolgten Ziel zuwiderläuft. Allgemein beachtet werden sollte, dass es ausreicht, dass „im Wesentlichen“ ein Steuervorteil bezweckt wird39.

37 Ggf. unter Berücksichtigung der Mindestbemessungsgrundlage des § 10 Abs. 5 UStG. 38 Schlussanträge v. 3.3.2022 – C-98/21, EU:C:2022:160, Rz. 64 ff., 84. 39 S. dazu auch EuGH v. 18.6.2020 – C-276/18, ECLI:EU:C:2020:485, UR 2020, 549 m. Anm. Monfort (KrakVet Marek Batko), Rz. 89 ff.

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IV. Rechnungsberichtigung im vermeintlichen § 13b-Fall – kein rückwirkender Vorsteuerabzug Trotz des an sich klaren Wortlauts der Art. 178 MwStSystRL, § 15 UStG, dass der Steuerpflichtige eine ordnungsgemäß ausgestellte Rechnung besitzen muss, um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, reißen die Diskussionen um die Bedeutung der Rechnung nicht ab. Die Urteile „Senatex“40 und „Barlis 06“41 haben zwar in der Diskussion die Gewichte verschoben, aber nicht zu einer Beruhigung geführt. Die Rechtssache „Vadan“42 hat eher für Verwirrung gesorgt als Klarheit gebracht. Im Berichtszeitraum hat das Besprechungsurteil erneut gezeigt, dass das Rechnungserfordernis für den Vorsteuerabzug nicht ausgedient hat. Sachverhalt: Die Klägerin ist eine zum Vorsteuerabzug berechtigte Kapitalgesellschaft nach luxemburgischen Recht. Sie ist Teil der Unternehmensgruppe X. Es besteht keine Organschaft. Aufgrund des statutarischen Sitzes der Klägerin im Ausland und unter Anwendung des § 3a Abs. 2 UStG wurden Leistungen von anderen Konzerngesellschaften an die Klägerin ohne Steuerausweis abgerechnet. (z.T.: „Mehrwertsteuer 0%, 0 t“, z.T. „steuerfrei“, z.T. „reverse charge“). Eine Außenprüfung ergab, dass der Ort der Geschäftsleitung der Klägerin nicht in Luxemburg, sondern im Inland lag. Außerdem betrafen einige Rechnungen Umsätze, auf die § 3a Abs. 2 UStG gar nicht anwendbar war. Die Klägerin schloss sich dieser Beurteilung an. Die Schwestergesellschaften der Klägerin erteilten daraufhin der Klägerin im Jahr 2016 berichtigte Rechnungen mit offenem deutschem Steuerausweis für im Streitjahr (2012) bezogenen Leistungen. Nicht klar ist, ob die nachberechnete Umsatzsteuer nachgezahlt worden ist. Eventuell wurde sie auch aus dem gezahlten Betrag herausgerechnet. Die Klägerin begehrte den Vorsteuerabzug rückwirkend für das Jahr 2012. Das FA nahm an, das Recht auf Vorsteuerabzug könne nicht 2012, sondern allenfalls 2016 ausgeübt werden. 40 EuGH v. 15.9.2016 – C-518/14, ECLI:EU:C:2016:691, UR 2016, 800 (Senatex). 41 EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14, ECLI:EU:C:2016:690, UR 2016, 795 m. Anm. Maunz (Barlis 06 – Investimentos Imobiliários e Turísticos). 42 EuGH v. 21.11.2018 – C-664/16 (Vadan), EU:C:2018:933, HFR 2019, 65, Rz. 41.

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Das FG43 gab der Klage statt. Die Rechnungsberichtigungen im Jahr 2016 wirkten auf das Streitjahr 2012 zurück. Dem stehe nicht entgegen, dass der BFH die Rückwirkung der Rechnungsberichtigung davon abhängig gemacht habe, dass bereits die ursprünglich erteilte Rechnung einen Steuerausweis enthalte. Vorliegend sei dies aufgrund der Angabe „0% und 0 t“ zu bejahen. Daher könne die Klägerin die Vorsteuer im Jahr 2012 abziehen. Im Übrigen sei nicht erkennbar, dass die Klägerin erstmals durch die berichtigten Rechnungen mit Umsatzsteuer belastet worden sei; denn die Klägerin habe aufgrund der angenommenen „reverseCharge“ Situationen luxemburgische Umsatzsteuer selbst als Steuerschuldnerin in Luxemburg geschuldet. Leitsatz: Erteilt ein Unternehmer in der Annahme einer Leistungserbringung im Ausland eine Ausgangsrechnung ohne inländischen Steuerausweis, kann er diese nicht in der Weise berichtigen, dass dem späteren Ausweis inländischer Umsatzsteuer Rückwirkung für den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers zukommt. Zur Lösung des BFH: Das Besprechungsurteil wiederholt, dass die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nach Art. 178 Buchst. a MwStSystRL erst möglich ist, sobald der Steuerpflichtige im Besitz einer Rechnung ist, obwohl das Recht auf Vorsteuerabzug gemäß Art. 167 MwStSystRL bereits gleichzeitig mit dem Steueranspruch entstanden ist. Ein Dokument ist keine „Rechnung“, wenn es so fehlerhaft ist, dass der nationalen Steuerverwaltung die erforderlichen Angaben fehlen44. Es besteht dann auch kein Recht auf Vorsteuerabzug entsprechend dem EuGH-Urteil Barlis 0645. Zudem kann nach Auffassung des BFH ein Steuerpflichtiger nicht beanspruchen, einen Steuerbetrag abzuziehen, der ihm nicht in Rechnung gestellt wurde und den er folglich nicht auf den Endverbraucher abgewälzt hat46. Der BFH hält deshalb „jedenfalls nach den Verhältnissen des Streitfalls“ weiter daran fest, dass eine Rechnung berichtigungsfähig ist, wenn sie 43 Nds. FG v. 17.9.2020 – 11 K 324/19, EFG 2021, 76. 44 EuGH v. 21.10.2021 – C-80/20, ECLI:EU:C:2021:870, UR 2021, 876 (Wilo Salmson France), Rz. 81. 45 Fn. 40. 46 EuGH v. 13.1.2022 – C-156/20, ECLI:EU:C:2022:2, UR 2022, 104 m. Anm. Heinrichshofen (Zipvit), Rz. 31.

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Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthält. Er fügt neu hinzu, dass eine Rechnung, die nicht über eine Leistung im Inland abrechnen sollte (und daher keinen inländischen Steuerausweis enthält), nicht mit Rückwirkung berichtigungsfähig ist. Auch wenn die Finanzverwaltung eine Fehlbeurteilung zum Leistungsort selbst entdeckt, darf sie die Angabe zum Steuerausweis oder zum Steuerschuldner nicht selbst ersetzen, da es nicht nur um die Behebung einer Unklarheit gehe, sondern ein zentrales Rechnungsmerkmal fehle. M.E. muss man bei der Einordnung der Entscheidung mit im Blick haben, dass nach dem übereinstimmenden Willen der an den entgeltlichen Leistungen Beteiligten weder die Klägerin noch die leistenden Unternehmer deutsche Umsatzsteuer zahlen sollten. Anders gesagt: Der 2012 vereinbarte und gezahlte Preis war zivilrechtlich ein Nettopreis. Die Klägerin hatte dementsprechend im Streitjahr 2012 auch keine inländische Mehrwertsteuer gezahlt. Ob sie sie später gezahlt hat, war aus Sicht des BFH für das Streitjahr 2012 nicht entscheidungserheblich. Dass die Klägerin nach ihren Angaben in Luxemburg auf die Umsätze das sog. reverse-charge-Verfahren angewendet hatte, ist nach dem im Streitjahr (und gegenwärtig) bestehenden Stand der mehrwertsteuerrechtlichen Harmonisierung unbeachtlich. Es stellt sich die Frage, ob dies überhaupt zu einer Zahlung von Luxemburgischer Mehrwertsteuer geführt hat oder ob sich Umsatzsteuer und Vorsteuer ausgeglichen haben. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, sehen Art. 171 MwStSystRL und die Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12.2.2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige keine Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Vorsteuerabzugs vor. Der BFH hält es deshalb nicht gerechtfertigt, die Versteuerung durch den Leistungsempfänger im Ausland einer Versteuerung im Inland gleichzustellen. Der BFH sieht insoweit einen Unterschied zu Fallgestaltungen, bei denen die Finanzverwaltung für den Fall, dass der Leistungsempfänger im Inland die Besteuerung nach § 13b UStG und § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG durchgeführt hat, eine rückwirkende Einfügung eines offenen Steuerausweises zulässt47. 47 BMF v. 18.9.2020 – III C 2 - S 7286-a/19/10001 :001 – DOK 2020/0920350, BStBl. I 2020, 976, Rz. 23.

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Dadurch, dass der BFH eine rückwirkende Rechnungsberichtigung verneint hat, musste sich er sich nicht dazu äußern, ob möglicherweise ein Mehrwertsteuerbetrugsfall48 vorlag. In Konstellationen, in denen sich herausstellt, dass Angaben einer Unternehmensgruppe zur Ansässigkeit einer Tochtergesellschaft im Ausland unrichtig waren, erscheint dies nicht unmöglich. Sogar fakultative Bestimmung des Steuerpflichtigen durch die Rechnung (§ 25b UStG): Ein späteres EuGH-Urteil zu den Besteuerungsfolgen des § 25b UStG49 bestätigt die Sichtweise des BFH zur fehlenden Rückwirkung einer solchen Rechnungsberichtigung: Art. 42 Buchst. a und Art. 197 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL sind dahin auszulegen, dass der Enderwerber im Rahmen eines innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts nicht wirksam als Schuldner der Mehrwertsteuer bestimmt worden ist, wenn die vom Zwischenerwerber ausgestellte Rechnung nicht die Angabe „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ (Art. 226 Nr. 11a MwStSystRL) enthält. Das Weglassen der nach Art. 226 Nr. 11a MwStSystRL erforderlichen Angabe „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ in einer Rechnung kann nach Auffassung des EuGH nicht rückwirkend durch Ergänzung eines Hinweises darauf berichtigt werden, dass diese Rechnung ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft betreffe und die Steuerschuldnerschaft übergehe. Der EuGH legt zur Begründung dar, dass die in den Art. 42, 141 MwStSystRL vorgesehene Ausnahmeregelung fakultativ ist. Nur die nach Art. 226 Nr. 11a MwStSystRL erforderliche Formalität könne daher sicherzustellen, dass der Endempfänger der Lieferung Kenntnis von seinen steuerlichen Pflichten hat. Es dürfe keine Unsicherheit darüber bestehen, dass zwischen dem Lieferer und dem steuerpflichtigen Abnehmer keine Mehrwertsteuerzahlung erfolgt, weil der Abnehmer die Steuer für die Lieferung zu entrichten habe, d.h. Steuerschuldner werde50. Die spätere Ergänzung der Angabe „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ ist keine Berichtigung der Rechnung, weil zuvor eine notwendige Voraussetzung für die Annahme eines innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts gefehlt hat. Das nachträgliche Erfüllen einer für die 48 S. dazu heute § 25f UStG. 49 EuGH v. 8.12.2022 – C-247/21 (Luxury Trust Automobil GmbH), EU:C:2022: 966. 50 EuGH v. 8.12.2022 – C-247/21 (Luxury Trust Automobil GmbH), EU:C:2022: 966; Rz. 55.

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Steuerschuldverlagerung auf den Empfänger einer Lieferung notwendigen Tatbestandsvoraussetzung sei keine Rechnungskorrektur. Es handele sich um die erstmalige Ausstellung der erforderlichen Rechnung, die keine Rückwirkung entfalte51. Fazit: Man sieht m.E., dass eine Ausübungsvoraussetzung für das Recht auf Vorsteuerabzug einerseits mehr ist als eine formelle Voraussetzung, aber andererseits auch weniger als eine materielle Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs. Die rechtliche Einordnung einer Ausübungsvoraussetzung mag Zivilrechtlern, die es von Hause aus gewohnt sind, zwischen der Entstehung und der Fälligkeit eines Anspruchs zu unterscheiden, leichter fallen als Steuerrechtlern. Gleiches gilt für die Akzeptanz der Aussage, dass in einer Situation, in der eine Leistungszeit durch Gesetz bestimmt ist, der Schuldner sie zwar vorher bewirken, aber der Gläubiger die Leistung nicht vor ihrer Fälligkeit verlangen kann52. Für den nach Art. 167 MwStSystRL entstandenen Anspruch des Steuerpflichtigen gegen den Fiskus auf Abzug der Vorsteuer gilt wegen Art. 178 MwStSystRL m.E. nichts anderes.

V. Und was ist nun mit der Organschaft? Erst nach dem Fachkongress hat der EuGH zwei Vorabentscheidungsersuchen des BFH entschieden.

1. Stimmrechtsmehrheit und Rechtsfolgen? Die erste vom EuGH beurteilte Vorlage stammte vom XI. Senat des BFH.53 Sachverhalt: Die Beteiligten streiten darüber, ob im Jahr 2005 (Streitjahr) eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft zwischen A als Organträgerin und der

51 EuGH v. 8.12.2022 – C-247/21 (Luxury Trust Automobil GmbH), EU:C:2022: 966, Rz. 61. 52 Im deutschen Zivilrecht § 271 Abs. 2 BGB. 53 BFH v. 11.12.2019 – XI R 16/18, BFHE 268, 240 = UR 2020, 338 m. Anm. Reiß = GmbHR 2020, 553 m. Anm. Scholz/Fetzer = ZIP 2020, 2240; EuGH v. 1.12.2022 – C-141/20, ECLI:EU:C:2022:943, GmbHR 2023, 178 (Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie).

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Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) als Organgesellschaft bestand. Die Klägerin ist eine GmbH. Gesellschafter der Klägerin sind die Körperschaft A (zu 51%) und der C e.V. (zu 49%). Alleiniger Geschäftsführer der Klägerin war im Streitjahr E, der zugleich alleiniger Geschäftsführer der A und geschäftsführender Vorstand des C e.V. war. Nach dem im Jahr 2005 beurkundeten Gesellschaftsvertrag verfügte A über keine Stimmrechtsmehrheit. Eine noch im Jahr 2005 beschlossene Änderung wurde erst im Jahr 2010 formwirksam vorgenommen und ins Handelsregister eingetragen. Nach einer Außenprüfung verneinte das FA das Vorliegen einer Organschaft im Streitjahr. Das FG54 gab der Klage statt. Das FA habe zu Unrecht das Vorliegen einer Organschaft zwischen der Klägerin als Organgesellschaft und A als Organträgerin abgelehnt. Die finanzielle Eingliederung liege auch ohne Stimmrechtsmehrheit vor. Ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft sei keine notwendige Voraussetzung für die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe i.S. des Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL. Die Mehrheitsbeteiligung der A an der Klägerin ermögliche die rechtssichere Bestimmung der A als Organträgerin, da der C e.V. als Minderheitsgesellschafter von der Stellung als Organträger ausgeschlossen sei. Leitsätze: 1. Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 2000/65/EG des Rates vom 17.10.2000 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, zum einzigen Steuerpflichtigen einer Gruppe von Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, den Organträger dieser Gruppe zu bestimmen, wenn dieser in der Lage ist, seinen Willen bei den anderen Mitgliedern dieser Gruppe durchzusetzen, und unter der Voraussetzung, dass diese Bestimmung nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führt. 54 Schl.-Holst. FG v. 6.2.2018 – 4 K 35/17, EFG 2018, 1138.

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2. Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2000/65 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Möglichkeit einer Einheit, mit dem Unternehmen des Organträgers eine Gruppe von Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zu bilden, an die Bedingung knüpft, dass der Organträger zusätzlich zu einer Mehrheitsbeteiligung an dieser Einheit über eine Stimmrechtsmehrheit bei ihr verfügt. 3. Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2000/65 geänderten Fassung ist in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388 in geänderter Fassung dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht gestattet, Einheiten im Wege der Typisierung als nicht selbständig anzusehen, wenn sie finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in den Organträger einer Gruppe von Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, eingegliedert sind. Zur Lösung des EuGH: Der EuGH bestätigt mit seinen Antworten die deutschen Vorschriften weitgehend. Er wählt zwar mit der Antwort auf Frage 3 nicht den Weg, einer Gesellschaft, die keinen eigenen Willen hat, die Selbständigkeit oder Unabhängigkeit abzusprechen. Er erlaubt es aber mit der Antwort auf die Fragen 1 und 2, dass Deutschland den Organträger als Stellvertreter der Gruppe zum Steuerpflichtigen bestimmt, wenn die in der Antwort genannten weiteren Voraussetzungen vorliegen. Diese Möglichkeit hat der BFH genutzt55. Mit der Antwort auf Frage 3 mahnt der EuGH eine Lockerung der bisherigen BFH-Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung an. Das Merkmal der finanziellen Beziehungen darf nicht restriktiv ausgelegt werden. Eine solche erfordert nach Auffassung des EuGH bei bestehender Anteilsmehrheit nicht zusätzlich das Vorliegen einer Stimmrechtsmehr-

55 BFH v. 18.1.2023 – XI R 29/22 (XI R 16/18), UR 2023, 334 m. Anm. Zitzl = DStR 2023, 638, Leitsatz 1.

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heit. Dieser Mahnung ist der BFH nach einer erfolgreichen Divergenzanfrage (§ 11 FGO) gefolgt56.

2. Rechtsfolge und „Entnahme“ in den hoheitlichen Bereich? Ebenfalls entschieden hat der EuGH über eine Vorlage des V. Senats des BFH.57 Sachverhalt: Die Klägerin und Revisionsbeklagte, eine Stiftung des öffentlichen Rechts, ist Trägerin einer Universität mit Universitätsklinikum und Organträgerin einer GmbH (O-GmbH). Die O-GmbH erbrachte Leistungen an die Klägerin, die die Klägerin sowohl für den unternehmerischen Klinikteil als auch für den hoheitlichen Ausbildungsteil des Universitätsklinikums verwendete. Klägerin und FA gingen aufgrund der Organschaft von nicht steuerbaren Innenumsätzen aus. Das FA setzte allerdings für die Innenumsätze, soweit sie auf hoheitlich genutzte Hörsäle etc. entfallen, eine unentgeltliche Wertabgabe an. Der hiergegen gerichteten Klage gab das FG58 statt, wies aber darauf hin, dass entsprechend § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG kein Recht auf Vorsteuerabzug bestehe, soweit eine Organgesellschaft Leistungen an den nichtunternehmerischen Bereich des Organträgers erbringe. Im Streitfall führe dies allerdings zu keinem anderen Ergebnis, weil die Klägerin ausschließlich steuerfreie Umsätze ausführe. Leitsätze: 1. Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, zum einzigen Steuerpflichtigen einer Gruppe von Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, den Organträger dieser Gruppe zu bestimmen, wenn dieser in der Lage ist, sei56 BFH v. 18.1.2023 – XI R 29/22 (XI R 16/18), UR 2023, 334 m. Anm. Zitzl = DStR 2023, 638, Leitsatz 2. 57 BFH v. 7.5.2020 – V R 40/19, BFHE 270, 166 = UR 2020, 541 m. Anm. Küffner/ Kirchinger/Widmann = GmbHR 2020, 909; EuGH v. 1.12.2022 – C-269/20, ECLI:EU:C:2022:944, GmbHR 2023, 183 = ZIP 2023, 691 (Finanzamt T). 58 Nds FG v. 16.10.2019 – 5 K 309/17, EFG 2020, 881.

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nen Willen bei den anderen Mitgliedern dieser Gruppe durchzusetzen, und unter der Voraussetzung, dass diese Bestimmung nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führt. 2. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass im Fall einer Einheit, die die einzige Steuerpflichtige einer Gruppe von Personen ist, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, und die zum einen wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt, für die sie der Steuer unterliegt, und zum anderen Tätigkeiten im Rahmen der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben, für die sie gemäß Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie nicht als mehrwertsteuerpflichtig gilt, die Erbringung einer Dienstleistung im Zusammenhang mit dieser hoheitlichen Tätigkeit durch ein Mitglied dieser Gruppe nicht gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie besteuert werden darf. Zur Lösung des EuGH: Mit seiner Antwort auf Frage 1 bestätigt der EuGH m.E. die Regelungen der deutschen Organschaft. Mit der Antwort auf Frage 2 bestätigt der EuGH m.E. die EuGH-Urteile VNLTO59 und Landkreis Potsdam-Mittelmark60. Zu „Problemen“ hat aber geführt, dass die Ausführungen des EuGH dazu, dass die O-GmbH an die Klägerin Dienstleistungen gegen Entgelt erbracht habe61, zu Missverständnissen im Hinblick auf die Behandlung der Innenumsätze einladen. Der BFH hat den Fall darum erneut vorgelegt62. M.E. sind Innenumsätze nicht steuerbar63. Die Steuerpflicht des Organträgers erstreckt sich zwar auf die Leistungen, die von allen Mitgliedern und an alle Mitglieder der Mehrwertsteuergruppe erbracht werden, und

59 EuGH v. 12.2.2009 – C-515/07, ECLI:EU:C:2009:88 (Vereniging Noordelijke Land- en Tuinbouw Organisatie), UR 2009, 199. 60 EuGH-Urteil v. 15.9.2016 – C-400/15, UR 2016, 840 m. Anm. Sterzinger (Landkreis Potsdam-Mittelmark), EU:C:2016:687. 61 EuGH v. 1.12.2022 – C-269/20, ECLI:EU:C:2022:944, GmbHR 2023, 183 = ZIP 2023, 691 (Finanzamt T), Rz. 60 ff. 62 BFH v. 26.1.2023 – V R 20/22 (V R 40/19), UR 2023, 325 m. Anm. Widmann/ Zitzl, BStBl II 2023, 530. 63 S, auch Treiber, DStR 2023, 643 f.; Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 2 Rz. 262, 285 ff.

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umfasst die sich daraus ergebende Steuerschuld64. Nach Art. 2 Abs. 1 MwStSystRL unterliegen der Mehrwertsteuer aber nur Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt. Dies ist bei Innenumsätzen nicht der Fall, weil Organgesellschaften (untergeordnete Einheiten) nicht als Steuerpflichtige gelten65 und die Verschmelzung zu einem einzigen Steuerpflichtigen es ausschließt, dass die Mitglieder der Mehrwertsteuergruppe innerhalb und außerhalb ihrer Gruppe weiter als Steuerpflichtige angesehen werden66. Die Umsetzung von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 Richtlinie 77/388/EWG (Art. 11 MwStSystRL) ist deshalb von der Einführung eines Systems vereinfachter Erklärung und Zahlung der Mehrwertsteuer zu unterscheiden67. Es mag sich deshalb bei den Reinigungsleistungen zwar um Dienstleistungen gegen Entgelt handeln. Sie werden aber nicht von einem Steuerpflichtigen erbracht und sind daher nicht steuerbar. Von der Option der Art. 18, 27 MwStSystRL hat Deutschland keinen Gebrauch gemacht. Diese Sichtweise entspricht der Auffassung der Kommission68 sowie der Generalanwälte van Gerven69 und Jääskinen70: Wegen ihrer finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Verbundenheit sind die Gruppenmitglieder bei der Anwendung der Mehrwertsteuer als eine Einheit zu behandeln, so dass die Umsätze zwischen den beiden Einheiten kein Anlass für die Erhebung oder Verrechnung von Mehrwertsteuer sind. Umsätze, die zwischen den einzelnen Mitgliedern der Gruppe bewirkt werden und somit innerhalb der Gruppe verbleiben, gelten als Insichgeschäfte der Gruppe. Die gruppeninternen Umsätze sind demzufol64 EuGH v. 1.12.2022 – C-269/20, ECLI:EU:C:2022:944, GmbHR 2023, 183 = ZIP 2023, 691 (Finanzamt T), Rz. 51. 65 EuGH v. 1.12.2022 – C-269/20, ECLI:EU:C:2022:944, GmbHR 2023, 183 = ZIP 2023, 691 (Finanzamt T), Rz. 39. 66 EuGH v. 1.12.2022 – C-269/20, ECLI:EU:C:2022:944, GmbHR 2023, 183 = ZIP 2023, 691 (Finanzamt T), Rz. 40. 67 EuGH v. 22.5.2008 – C-162/07, ECLI:EU:C:2008:301, UR 2008, 534 m. Anm. Nieskens (Ampliscientifica und Amplifin), Rz. 21. 68 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Option der Mehrwertsteuer-Gruppe gem. Art. 11 MwStSystRL (nationale Organschaftsregelungen), UR 2009, 632, Tz. 3.4.3. 69 Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven v. 24.4.1991 – C-60/90 (Polysar Investments Netherlands BV), EU:C:1991:171, Rz. 9. 70 Schlussanträge v. 27.11.2012 – C-85/11 (Kommission/Irland), EU:C:2012:753, Rz. 42, 45 und 47–49; v. 27.11.2012 – C-480/10 (Kommission/Schweden), EU:C:2012:751, Rz. 40, 44 und 45.

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ge mehrwertsteuerrechtlich nicht existent. Sie liegen „außerhalb des Geltungsbereichs“. Daraus folgt, dass die Option der MehrwertsteuerGruppe sich positiv auf den Cash-Flow der an ihr beteiligten Unternehmen auswirken kann. Und selbst wenn man trotzdem von unionsrechtlichen Zweifeln an der Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen ausginge: Innenumsätze sind (mit einer kurzen Unterbrechung nach dem 2. Weltkrieg) seit mehr als 100 Jahren nach deutschem Recht nicht steuerbar. Mittlerweile steht dies auch im Gesetz (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 und 3 UStG). Eine Berufung der Finanzverwaltung auf für sie möglicherweise günstigeres Unionsrecht scheidet bei dieser nationalen Gesetzeslage aus. Man darf gespannt sein, was der EuGH daraus macht …

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§ 25f UStG – Folgen der Beteiligung an einer Umsatzsteuerhinterziehung Axel Jansen Steuerberater, Neuss I. Beteiligung an einer Steuerhinterziehung i.S.d. § 25f UStG 1. Rechtliche Grundlagen der Vorschrift a) Umsatzsteuerbetrug b) EG-rechtliche Grundlagen c) Rechtsprechung d) § 25f UStG als Spezialnorm des UStG 2. § 25f UStG im Einzelnen a) „Wusste von der Hinterziehung oder hätte Wissen müssen“ b) Steuerhinterziehung im Inland und im EU-Ausland

c) Versagung der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen d) Versagung des Vorsteuerabzugs e) Versagung der Vereinfachungen für Dreiecksgeschäfte f) Kumulationswirkung durch Verlust der Steuerbefreiung und des Vorsteuerabzugs II. Das BMF-Schreiben vom 15.6.2022 III. Auswirkungen in der Praxis

I. Beteiligung an einer Steuerhinterziehung i.S.d. § 25f UStG 1. Rechtliche Grundlagen der Vorschrift a) Umsatzsteuerbetrug Das System der „Allphasenumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug“1 sieht die Belastung jedes Umsatzes in der Unternehmerkette mit Umsatzsteuer vor, wobei eine Kumulationswirkung durch eine Belastung mit Steuer auf allen Produktions- und Handelsstufen durch den Vorsteuerabzug des unternehmerischen Leistungsempfängers vermieden wird. Grenzüberschreitende Lieferungen (Ausfuhren ins Drittland und innergemeinschaftliche Lieferungen an Unternehmer in der EU) werden von der Um-

1 Vgl. dazu Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, Stand 2022, Rz. 9 zum „Wesen der USt“.

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satzsteuer befreit, wobei dem liefernden Unternehmer die Vorsteuer aus seinen Leistungsbezügen erstattet wird. Dies führt dazu, dass Unternehmer, die überwiegend Waren ins Ausland verkaufen, ihre Vorsteuerüberhänge vom Finanzamt erstattet bekommen. Dies brachte Betrüger auf die Idee, grenzüberschreitende Lieferungen vorzutäuschen, um sich die Vorsteuer vom Finanzamt erstatten zu lassen und dann die Waren trotzdem im Inland z.B. auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen, wobei die Nichtversteuerung niedrigere Preise ermöglicht, die das Geschäft steuerehrlicher Unternehmer schädigen. Eine andere Möglichkeit des Umsatzsteuerbetrugs besteht darin, dass der Unternehmer, der seinen Abnehmern Umsatzsteuer in Rechnung stellt, diese nicht an das Finanzamt abführt. Umsatzsteuerbetrug kann daher auch in rein inländischen Lieferketten erfolgen, allerdings erschwert die grenzüberschreitende Gestaltung das Aufdecken durch die betroffenen Finanzbehörden, da der Informationsaustausch über die Grenze sowohl technisch als auch sprachlich aufwändiger und zeitintensiver ist, als die Abstimmung der Steuerfahndung im Inland. Mit Betrugsabsicht aufgesetzte sog. „Umsatzsteuerkarusselle“, bei denen die Ware über mehrere Grenzen hinweg befördert und an mehreren Stellen Umsatzsteuer hinterzogen wird, sind daher geeignet, bei hohen Umsatzvolumina in kurzer Zeit eine hohe Schädigung des Umsatzsteueraufkommens zu bewirken. Es handelt sich um Fälle der organisierten Kriminalität. Das nachstehende Schaubild zeigt den steuerehrlichen Unternehmer B, der Ware von dem betrügerisch handelnden Lieferanten A erwirbt und diese an den mit A ebenfalls in Betrugsabsicht zusammenwirkenden Abnehmer C verkauft. A entrichtet die für die Inlandslieferung an B in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht an sein Finanzamt und C erklärt keinen innergemeinschaftlichen Erwerb in seinem Sitzland, womit er die Aufdeckung durch die Behörden erschwert. Zwischen C und A können weitere Betrüger eingeschaltet sein, um an weiteren Stellen und in weiteren Mitgliedstaaten Umsatzsteuer zu hinterziehen, womöglich unter Einbindung weiterer ahnungsloser Unternehmer, um das Karussell besser verschleiern zu können.

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Karusselle mit Drittlandsbezug sind eher unüblich, da es aufwändiger ist, Zollpapiere zu fälschen, als die Nachweise für innergemeinschaftliche Lieferungen. Solche Karussellgeschäfte werden üblicherweise mit Waren, also körperlichen Gegenständen, umgesetzt.2 Dennoch ist auch Umsatzsteuerbetrug mit Dienstleistungen möglich, wobei hier die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger in grenzüberschreitenden und ausgewählten inländischen Sachverhalten die Betrugsmöglichkeiten einschränkt (sog. „Reverse Charge“, § 13b UStG). Da Steuerschuld und Vorsteuerabzug bei demselben Steuerpflichtigen zusammenfallen, kommt es zu keiner Auszahlung von Vorsteuern durch die Finanzbehörden. Das Reverse Charge-Verfahren (Steuerschuldumkehr) wird daher zunehmend durch den Gesetzgeber bei Sachverhalten angewendet, die als besonders betrugsanfällig angesehen werden. Der Katalog in § 13b Abs. 2 UStG wird regelmäßig verlängert.3 Die EU-Kommission ermittelt in regelmäßigen Berichten die sog. „MwSt-Lücke“, die die Differenz zwischen dem auf Basis volkswirtschaftlicher Daten errechneten und dem tatsächlich vereinnahmten 2 Zu Karussellgeschäften vgl. Nacke, NWB 2015, 3396 ff.; Gehm, NWB 2012, 3237 ff.; Hammerl/Newe, NWB 2022, 2758 f. 3 Zu § 13b in Inlandsfällen vgl. Jansen in Birkenfeld/Wäger, Das große USt-Handbuch, Stand 2020, Rz. 170 ff. zu § 13b.

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Umsatzsteueraufkommen aller EU-Mitgliedstaaten darstellt.4 Für 2019 wurde ein Fehlbetrag (Lücke) von 134 Mrd. t ermittelt, wobei man schätzt, dass etwa ein Drittel davon auf Umsatzsteuerbetrug entfällt. Die Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs ist daher im Interesse aller steuerehrlichen Unternehmer und Steuerzahler, da die fehlenden Milliarden aus anderen Haushaltsmitteln ersetzt werden müssen und damit wünschenswerte Projekte aus Geldmangel nicht umgesetzt werden können. b) EG-rechtliche Grundlagen Die MwSt-Systemrichtlinie sieht in Art. 131 vor, dass Steuerbefreiungen unter Anwendung der Bedingungen gelten, die die Mitgliedstaaten „zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen“. Art. 394 und 395 MwSt-SystRili regeln die Möglichkeit der EU-Kommission, Mitgliedstaaten zu besonderen Maßnahmen zu ermächtigen, die diese zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen ergreifen wollen. Die Ermächtigung an einzelne Mitgliedstaaten, die Steuerschuldumkehr (Reverse Charge) für bestimmte inländische Sachverhalte anzuwenden, ist Ausfluss dieser Vorschrift. Um zukünftig schneller auf erkannte Betrugsmodelle reagieren zu können, und nicht die zeitraubende Einzelgenehmigung durch die EU-Kommission abwarten zu müssen, wurde der sog. „Schnellreaktionsmechanismus“ in Art. 199b der MwSt-SystRL eingeführt, der mit § 13b Abs. 10 UStG in deutsches Recht umgesetzt wurde.5 c) Rechtsprechung In der Vergangenheit stellte der EuGH in ständiger Rechtsprechung fest, dass der Missbrauch von Vorschriften des Umsatzsteuerrechts zur Erlangung eines Steuervorteils zu verhindern ist.6 Die Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug ist zwar nicht in einer konkreten Vorschrift in der MwSt-Systemrichtlinie oder der zuvor gültigen 6. EG-Richtlinie ver4 Der Bericht für 2019 ist abrufbar unter: https://taxation-customs.ec.europa.eu/ business/vat/vat-gap_de. 5 Vgl. Brandl in Bunjes, UStG, Stand 2022, Rz. 170 ff. zu § 13b; Jansen in Birkenfeld/Wäger, USt-Handbuch, Stand 2020, Rz. 375 f. zu § 13b. 6 Einen Überblick über die Missbrauchsrechtsprechung geben Spatscheck/Spilker in UStB 2022, 323 ff., sowie unter Einbeziehung der BGH-Rspr. Grommes, UR 202, 136 f., Hammerl/Newe, NWB 2022, 2760.

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ankert, wurde vom EuGH jedoch als ein weiteres Grundprinzip des Umsatzsteuerrechts herausgearbeitet.7 Diese inhaltliche Erweiterung der EG-rechtlichen Vorschriften durch den EuGH ist nicht unbedenklich.8 Der BFH hat sich der Auslegung durch den EuGH angeschlossen, da „(…) die Mitgliedstaaten unionsrechtlich nach Art. 325 Abs. 1 AEUV Betrügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen mit Maßnahmen zu bekämpfen (haben), die wirksam und abschreckend sind. Dabei umfassen die finanziellen Interessen der Union auch die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer“.9 In der Praxis führte dies regemäßig zu Unsicherheiten, da unklar war, wann ein Missbrauch vorliegt, wann ein Beteiligter insbesondere an einer längeren Kette von Lieferungen (Reihengeschäfte) mit nachteiligen Konsequenzen zu rechnen hatte und ob sich die „Bestrafung“ eines an der Steuerhinterziehung Beteiligten nur auf die Versagung des Vorsteuerabzugs aus der Lieferung an ihn oder die Versagung der Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung beziehen durfte oder sogar auf beides. Ein wesentliches Kriterium der Rechtsprechung, um einen Beteiligten an einer Lieferkette als Steuerstraftäter einzustufen, ist das „Wissen oder hätte Wissen müssen“.10 D.h., selbst wenn ein Beteiligter keine positive Kenntnis von der Steuerhinterziehung eines Vorlieferanten oder eines Abnehmers hat, kann er mit der Versagung von Vorsteuerabzug oder Steuerbefreiung bestraft werden, wenn er den Steuerbetrug hätte er-

7 Vgl. Pflaum in Wäger, UStG2, Rz. 3 zu § 25f UStG mit Hinweis auf EuGH v. 21.2.2006 – C-255/02 (Halifax), ECLI:EU:C:2006:121, UR 2006, 232 m. Anm. Wäger, Rz. 68, 70; EuGH v. 18.12.2014 – C-131 u.a. (Italmoda), EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13, C-164/13, ECLI:EU:C:2014:2455, DStR 2015, 573 mit Anm. Winter, insbes. Rz. 42 f. 8 Vgl. Winter in FG Köln v. 1.10.2014 – 2 K 542/11, DStR 2015, 579, Anm. zum EuGH-Urt. „Italmoda“. 9 BFH v. 20.10.2021 – XI R 19/20, ECLI:DE:BFH:2021:B.211021.XIR19.20.0, UR 2022, 420 mit Anm. Grommes, hier Rz. 28 u. 31. 10 Z.B. EuGH v. 6.7.2006 – C-439/04 und C-440/04 (Kittel und Recolta Recycling), EuGH v. 6.7.2006 – C-439/04, C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446, UR 2006, 594 m. Anm. Wäger; v. 18.5.2017 – C-624/15 (Litdana), ECLI:EU:C:2017:389, UR 2017, 552, Rz. 32 f., 37, m.w.N.; v. 18.12.2014, – C-131/13 u.a. (Italmoda), EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13, C-164/13, ECLI:EU:C:2014:2455, DStR 2015, 573 mit Anm. Winter.

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kennen können. Wichtig ist hierbei, dass nicht der Unternehmer selbst die Steuerhinterziehung begangen hat, sondern ein anderer Unternehmer in der Lieferkette auf einer vorangehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe. Der unbestimmte Rechtsbegriff des „Wissen Müssens“ wurde durch Einzelfallrechtsprechung des EuGH, BFH11 und zuletzt durch die deutsche Finanzverwaltung in einem BMF-Schreiben12 zu § 25f UStG konkretisiert. Obwohl grundsätzlich die Beweislast dafür, dass ein Beteiligter von der Steuerhinterziehung wusste, bei der Finanzverwaltung liegt, wird diese Beweislast umgekehrt, wenn ausreichende Indizien dafür vorliegen, dass der Steuerpflichtige die Unredlichkeit anderer Beteiligter hätte erkennen können. In der Praxis führt dies naturgemäß zu unterschiedlichen Ansichten des Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung darüber, ab wann ein Geschäft ausreichende Indizien aufweist, um als betrügerisch eingestuft zu werden bzw. wie weit die Aufklärungs- und Untersuchungspflichten des Steuerpflichtigen gehen. Dies wird zusätzlich dadurch erschwert, dass im Geschäftsalltag nicht alle Geschäftsbeziehungen eindeutig als „zweifelsfrei unbedenklich“ eingestuft werden können. Obwohl die Rechtsprechung tendenziell den Unternehmer, der einen Steuerbetrug hätte erkennen können, mit wenig Nachsicht behandelt, gibt es auch Gerichtsentscheidungen, die nicht in jedem Fall das Umsatzsteuerrisiko auf den Unternehmer abwälzen. Wenn kein Betrug vorliegt und der Lieferant seine Umsatzsteuer aufgrund von „finanziellen Schwierigkeiten oder Zahlungsunfähigkeit“ nicht entrichten konnte, wird dessen Abnehmer nicht mit der Versagung des Vorsteuerabzugs bestraft. Die Entrichtung der Umsatzsteuer durch den Leistenden ist keine Voraussetzung für den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers.13

11 Vgl. z.B. BFH v. 2.7.2021 – XI R 40/19, UStB 2022, 43; FG Hamburg v. 16.1.2018 – 6 V 120/17, DStRE 2018, 1435, rkr.; BFH v. 18.2.2013 – XI B 117/11, BFH/NV 2013, 981. 12 BMF v. 15.6.2022 – III C 5 - S 7429-b/21/10003 :001 – DOK 2022/0594965, BStBl. I 2022, 1001 = UR 2022, 559, umgesetzt in Abschn. 25f UStAE. 13 Vgl. EuGH v. 15.9.2022 – C-227/21, ECLI:EU:C:2022:687, UR 2022, 804 m. Anm. Monfort (UAB HA.EN), DStRE 2022, 1258.

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d) § 25f UStG als Spezialnorm des UStG Die Vorschrift wurde mit Wirkung zum 1.1.2020 neu in das UStG aufgenommen.14 Sie setzt im Ergebnis die bisherige Rechtsprechung des EuGH und des BFH um.15 Die Vorschrift bezieht sich auf die Steuerhinterziehung anderer Beteiligter. Eine Steuerhinterziehung durch den Steuerpflichtigen selbst wird bereits über § 370 AO verfolgt und muss daher nicht zusätzlich in der Spezialvorschrift des § 25f UStG geregelt werden16 bzw. kann durch Rückgriff auf die Missbrauchsrechtsprechung des EuGH und der deutschen Gerichtsbarkeit erfasst werden. § 25f UStG verweist dennoch auf § 370 AO, allerdings für den Fall, dass ein anderer als der Unternehmer die Steuerhinterziehung begangen hat. Da § 25f UStG die Rechtsprechung des EuGH umsetzen soll, ist der Verweis auf § 370 AO, sowie § 26a und § 26c UStG insgesamt nötig, um das weite Verständnis der Schädigung des Umsatzsteueraufkommens durch den EuGH zu erfassen.17 Die Haftung für den Steuerbetrug anderer, wenn der Steuerpflichtige an der Tat beteiligt war, wird durch § 71 AO erfasst. § 25f UStG schafft jedoch die gesetzliche Grundlage, um mit der Versagung des Vorsteuerabzugs und ggf. der Steuerbefreiung über den Umfang einer reinen Haftung hinauszugehen und die durch die Rechtsprechung etablierte Sanktionierung des Unternehmers, der die Beteiligung an einem Umsatzsteuerbetrug zumindest hätte erkennen müssen, zu ermöglichen. § 25f UStG stellt daher eine besondere Vorschrift des UStG dar, um ein wirksames Instrument der Finanzverwaltung zur Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellen mit Rückgriff auf mehrere Beteiligte zu etablieren, die über den engen Anwendungsbereich der AO hinausgeht. Nach Auffassung des BMF ist die zusätzliche Anwendung der Haftung nach § 71 AO nicht ausgeschlossen (Abschn. 25f.1 Abs. 6 S. 4 UStAE). Dies mag verwundern, da die Haftungsschuld grundsätzlich auf die Hö-

14 Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, BGBl. I 2019, 2451, insbes. 2473. 15 Zur steuerstrafrechtlichen Einordnung vgl. Grommes, UR 2020, 135 ff. 16 AA: Grommes, Anm. zu BFH v. 20.10.2021 – XI R 19/20, ECLI:DE:BFH:2021: B.211021.XIR19.20.0, EuGH v. 5.5.2022 – C-570/20, ECLI:EU:C:2022:348, UR 2022, 430, Punkt 3, m.w.N. 17 Zum Vergleich des Verständnisses des EuGH und der deutschen Vorschriften zum Steuerbetrug vgl. ausführlich Pflaum, UR 2021, 454 f.

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he des Steuerschadens begrenzt ist,18 so dass bei einer Steuerschuld nach § 25f UStG der Schaden des Fiskus bereits gedeckt ist und kein Raum für eine zusätzliche Inanspruchnahme nach Haftungsgrundsätzen besteht.19 Da die negativen Folgen für den Unternehmer dann eintreten, wenn ein anderer Unternehmer in der Kette eine Steuerhinterziehung begeht, ist dies im Ergebnis mit einer Haftung des Unternehmers für die Schädigung des Steueraufkommens durch einen anderen vergleichbar. Wobei der Unternehmer durch den gleichzeitigen Verlust von Vorsteuerabzug und Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung sogar doppelt soviel Aufwand tragen muss, wie der einzelne Hinterzieher dem Fiskus vorenthält. Der betroffene Unternehmer „haftet“ damit für mehrere Steuerbetrüger gleichzeitig (Vorlieferanten und Abnehmer). Da die Vorschrift nicht nur auf einen einzelnen Unternehmer anzuwenden ist, sondern auch bei mehreren Unternehmern angewendet kann, die die Voraussetzungen des „Wissen oder wissen Müssens“ erfüllen (vgl. Abschn. 25f.2 Abs. 6 S. 3 UStAE), kann der Fiskus die Steuern mehrfach bei den Unternehmern einfordern, die nicht die erforderliche Sorgfalt angewendet haben, um ihre Verwicklung in den Umsatzsteuerbetrug zu vermeiden. Ob dies mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Übermaßverbot vereinbar ist, erscheint fraglich. § 25f Abs. 1 UStG verweist auf § 26a und § 26c UStG, also auf Vorschriften des nationalen Rechts, die sich auf die Schädigung des Umsatzsteueraufkommens durch Nichtentrichtung festgesetzter Steuern, andere Ordnungswidrigkeiten und den bandenmäßigen Steuerbetrug beziehen. § 26b, der als eigenständige Vorschrift bis zum 30.6.2021 die Schädigung des Umsatzsteueraufkommens als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu t 50.000 belegte, wurde mit Wirkung zum 1.7.2021 aufgehoben und durch die Regelungen in § 26a Abs. 1 und 3 UStG ersetzt; die nicht vollständige oder nicht rechtzeitige Entrichtung festgesetzter Umsatzsteuer kann jetzt mit einer Geldbuße von bis zu t 30.000 geahndet werden. Ein Steuerpflichtiger, der Steuern gar nicht erst anmeldet, so dass es zu keiner festgesetzten Steuer kommen kann, fällt als Steuerhinterzieher unter § 370 AO, auf den § 25f UStG ebenfalls Bezug nimmt. Durch diese Ausrichtung am nationalen Steuerrecht können 18 Vgl. Rüsken in Klein, AO16, Rz. 9 zu § 69 AO. Rüsken spricht sich allerdings in Rz. 10 zu § 71 AO gegen eine Begrenzung der Haftungsschuld auf den tatsächlichen Steuerschaden in Karussellgeschäftsfällen aus, selbst im Fall einer Überkompensation des Steuerschadens. 19 Krit. zur zusätzlichen Haftung nach § 71 AO Pflaum, UR 2021, 457 ff.

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sich Fragen der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht in der Auslegung durch den EuGH ergeben.20 Der Verweis auf § 26a UStG ohne weitere Einschränkung mag zunächst überraschen. Da sich § 26a Abs. 1 UStG auf die Beurteilung der nicht vollständigen oder nicht rechtzeitigen Entrichtung festgesetzter Umsatzsteuer als Ordnungswidrigkeit bezieht, wäre ein Verweis auf diesen Absatz zu erwarten gewesen. Durch den Verweis auf die gesamte Vorschrift stellt sich die Frage, ob ein Unternehmer auch dann bestraft werden kann, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass ein anderer Unternehmer in der Lieferkette Ordnungswidrigkeiten nach § 26a Abs. 2 UStG begeht. Dies umfasst z.B. die Nichtausstellung oder Nichtaufbewahrung von Rechnungen, Fehler oder Falschangaben bei Zusammenfassenden Meldungen u.ä. Andererseits gehen Umsatzsteuerhinterziehungen oft mit der Fälschung entsprechender Belege oder dem Verstoß gegen Meldepflichten einher, so dass die entsprechende Erweiterung des Rahmens für die Kenntnis des Unternehmers von betrügerischem Handeln eines Anderen und damit der Verweis auf § 26a UStG ohne Einschränkung konsequent ist. Der Verweis auf § 26c UStG (bandenmäßige Steuerhinterziehung) ist ebenfalls folgerichtig. Fraglich ist, ob § 25f UStG eng auszulegen ist, d.h., ob die Finanzbehörden nur in den dort ausdrücklich geregelten Fällen einem Unternehmer Steuerbefreiung oder Vorsteuerabzug versagen dürfen. Da die Missbrauchsrechtsprechung des EuGH neben der Vorschrift weiterhin Bestand hat, sollte die Vorschrift unter Berücksichtigung ihrer Zielsetzung ausgelegt werden, d.h. in nachgewiesenen Betrugsfällen auch über den Wortlaut hinausgehende Sanktionierungen des Unternehmers ermöglichen. § 25f UStG ist daher nicht abschließend zu verstehen.21 Hierbei darf jedoch der europarechtlich durch den EuGH vorgegebene Rahmen nicht überschritten werden.

2. § 25f UStG im Einzelnen § 25f Abs. 1 Satz 1 UStG versagt dem Unternehmer bestimmte Rechte, die ihm üblicherweise im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit zustehen, sofern er die gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt: 20 Vgl. Wäger, UR 2020, 45; Pflaum, UR 2021, 455. 21 Vgl. Pflaum in Wäger2, § 25f UStG Rz. 51, und Nieskens in Rau/Dürrwächter, 193. Lfg. (2021), § 25f UStG Rz. 273.

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Vorsteuerabzug trotz Besitz einer formell ordnungsgemäßen Rechnung



Umsatzsteuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen trotz Vorliegens der Buch- und Belegnachweise

Die Vorschrift setzt ihrem Wortlaut nach einen „Umsatz“ voraus. Dies sollte aber nicht zu der Annahme berechtigen, dass bei rein fiktiven Geschäften, bei denen also gar kein tatsächlicher Umsatz stattgefunden hat, die Vorschriften nicht greifen würden. Ohne Umsatz besteht von vornherein keine Grundlage für Steuerbefreiung oder Vorsteuerabzug.22 a) „Wusste von der Hinterziehung oder hätte Wissen müssen“ Durch § 25f UStG wird für einen Unternehmer, der „wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit der von ihm erbrachten Leistung oder seinem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, bei dem (…) ein anderer Beteiligter (…) in eine begangene Hinterziehung von Umsatzsteuer (…) einbezogen war“ gesetzlich bestimmt, dass diesem Unternehmer der Vorsteuerabzug aus seiner Vorlieferung und (!) – soweit anwendbar – die Steuerbefreiung der von ihm ausgeführten innergemeinschaftlichen Lieferung (nicht Ausfuhrlieferung!) zu versagen ist. Das „Wusste oder hätte wissen müssen“ reicht demnach aus, um den Steuerpflichtigen selbst als Tatbeteiligten einzustufen, auch, wenn er selbst die Hinterziehung nicht begangen hat.23 Die Formulierung des „Wusste oder hätte wissen müssen“ entstammt der ständigen Rechtsprechung des EuGH und ist diesem folgend vom BFH übernommen worden. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff ist im Gesetz nicht definiert, so dass es in der Praxis immer wieder zu unterschiedlichen Auffassungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung kommen wird, was der Unternehmer hätte wissen müssen und wie weit er seine Aufklärungspflichten noch hätte verfolgen müssen, wenn ihm an einem Geschäft etwas Ungewöhnliches hätte auffallen können bzw. müssen. Da die Rechtsprechung immer Einzelfälle beurteilt, ist es für den Gesetzgeber schwierig, eine allgemeingültige Definition dessen zu formulieren, was für die Kenntnis des Unternehmers von einer Steuerhin22 Vgl. auch Pflaum in Wäger, UStG2, Rz. 5.1 zu § 25 f. 23 EuGH v. 14.4.2021 – C-108/20 (Finanzamt Wilmersdorf), ECLI:EU:C:2021: 266, UR 2021, 433 m. Anm. Pflaum Rz. 26 f., zitiert in BFH v. 20.10.2021 – XI R 19/20, ECLI:DE:BFH:2021:B.211021.XIR19.20.0, UR 2022, 425, Rz. 33.

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terziehung in der Lieferkette erforderlich ist. In der Praxis wird die Kenntnis des Unternehmers anhand von Indizien beurteilt, da nur in Ausnahmefällen die positive Kenntnis des Unternehmers vom Betrug eines anderen nachweisbar sein wird. Die Rechtsprechung hat daher darauf abgestellt, dass die Nichtbeachtung der vernünftigerweise gebotenen Sorgfaltspflichten durch den Unternehmer dazu führt, dass er den Betrug hätte erkennen können. Auch die Berücksichtigung der Gesamtumstände und der handelsüblichen und branchenspezifischen Risiken24 werden von der Rechtsprechung gefordert. Der BFH hat in mehreren jüngeren Urteilen und unter Bezugnahme auf die umfangreiche EuGHRechtsprechung Anhaltspunkte für die entsprechenden Anforderungen zusammengetragen.25 Obwohl hierdurch der unbestimmte Rechtsbegriff des „hätte wissen müssen“ durch andere ebenfalls wenig greifbare Formulierungen eingegrenzt werden soll (vernünftigerweise gebotene Sorgfaltspflichten, branchenspezifische Risiken), ist diese Bezugnahme auf die genauen Umstände des Einzelfalls zu begrüßen. Je nach Branche können von den beteiligten Unternehmern unterschiedliche Maßnahmen zur Untersuchung neuer oder auch langjähriger Geschäftspartner erwartet werden. Ein Goldhändler oder ein Händler mit anderen hochpreisigen Luxusartikeln mit wenigen Lieferanten oder Kunden unterliegt höheren Anforderungen als der Groß- oder Einzelhändler mit einem Massengeschäft mit hunderten von Lieferanten und ggf. zehntausenden von Kunden. Trotzdem obliegen auch im Massengeschäft dem Unternehmer Sorgfaltspflichten bei der Anlage von Neukunden oder neuen Lieferanten, um sich gegen die Einbindung in Umsatzsteuerbetrugsmodelle zu schützen.

24 Insoweit überrascht der Beschluss des BFH v. 3.7.2019 – XI B 17/19, BFH/NV 2019, 1351, UStB 2019, 327. Dort verweist der BFH den Fall eines Goldhändlers an das FG zurück, damit dieses prüft, ob tatsächlich eine Steuerhinterziehung durch Vorlieferanten vorlag. Nach entsprechender Nachholung der Feststellungen durch das FG entschied der BFH dann im zweiten Rechtsgang mit Beschluss BFH v. 20.10.2021 – XI R 19/20, ECLI:DE:BFH:2021:B.211021.XIR 19.20.0, BFH/NV 2022, 429, UR 2022, 420, mit ausführl. Anm. Grommes, gegen den Goldhändler, da dieser aufgrund von Anhaltspunkten für Unregelmäßigkeiten bzw. einen Mehrwertsteuerbetrug weitere Auskünfte über seine Vorlieferanten hätte einholen müssen. 25 Vgl. z.B. BFH v. 20.10.2021 – XI R 19/20, ECLI:DE:BFH:2021:B.211021.XIR 19.20.0, BFH/NV 2022, 429, UR 2022, 420 (Goldhandel) mit Anm. Grommes; v. 2.7.2021 – XI R 40/19, BFH/NV 2022, 140, UStB 2022, 43 (Zuckerhandel).

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Das BMF hat mit Schreiben vom 15.6.2022 eine Liste von Indizien zur Verfügung gestellt, die auf Unregelmäßigkeiten in der Geschäftsanbahnung hindeuten sollen. Dies ist zu begrüßen, wirft an einzelnen Stellen aber auch Fragen auf (siehe dazu das Kapitel II. dieses Beitrags). Zwar liegt die Beweislast dafür, dass der Unternehmer die Unregelmäßigkeiten hätte wissen müssen, bei der Finanzverwaltung. Diese verlagert die Beweislast jedoch auf den Steuerpflichtigen zurück, indem sie von ihm verlangt, dass er die vernünftigerweise in seiner Branche erwarteten Sorgfaltspflichten erfüllt. Der Unternehmer muss also in seinem Betrieb Vorsorge treffen, dass er über eine ausreichende Dokumentation der Prüfungshandlungen verfügt, die er bei einem betroffenen Geschäftspartner vorgenommen hat. Dabei kann die Finanzverwaltung ihre eigenen Prüfungshandlungen nicht dem Unternehmer auferlegen, dem dazu normalerweise auch die Mittel in Form von Zeit, geschultem Personal und Datenbankzugängen fehlen. Insofern erscheint die Formulierung in Abschn. 25f.1 Abs. 4 S. 1 UStAE problematisch, dass nur „ein Unternehmer, der alle Maßnahmen getroffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können (…)“, um die Einbeziehung in eine Umsatzsteuerhinterziehung zu vermeiden, nicht befürchten muss, Vorsteuerabzug oder Steuerbefreiung zu verlieren. „Alle Maßnahmen“ geht deutlich über das hinaus, was ein Unternehmer im Tagesgeschäft leisten kann, da er sich auf seine unternehmerische Tätigkeit konzentrieren muss und in der Regel keine ausufernden Ressourcen für die Analyse von Geschäftsbeziehungen mit allen denkbaren Mitteln bereitstellen kann. Der Steuerpflichtige wird sich auf die „vernünftigerweise“ zumutbaren Maßnahmen beschränken, während „alle“ Maßnahmen kein für die Praxis tauglicher Begriff ist und die Finanzverwaltung nicht auf Kosten des Steuerpflichtigen von ihrer eigenen Sachverhaltsaufklärung entlastet werden soll. Auch der EuGH lässt nur solche Maßnahmen zu, die nicht über das hinausgehen, was zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen erforderlich ist, wobei sich die Maßnahmen im unionsrechtlich vorgegebenen Rahmen bewegen müssen.26 Im Ergebnis muss den steuerehrlichen Unternehmern dringend geraten werden, Maßnahmen zu ergreifen und interne Kontrollen im Unternehmen zu etablieren, um die Mitarbeiter mit Kontakt zu Lieferanten und Kunden für die Risiken zu sensibilisieren, die sich aus leichtfertig ein26 Vgl. EuGH v. 13.2.2014 – C-18/13, ECLI:EU:C:2014:69, UR 2014, 861 (Maks Pen), insbes. Rz. 41 ff., HFR 2014, 380.

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gegangen Geschäftsbeziehungen ergeben können. Verdachtsmomente sind dann weiter zu verfolgen und aufzuklären. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind zu dokumentieren – dies insbesondere dann, wenn eine Geschäftsbeziehung trotz erkannter Risiken eingegangen wird. Da sich der Unternehmer die Kenntnis seiner Mitarbeiter zurechnen lassen muss,27 genügt es nicht, nur die Geschäftsführung oder obere Führungsebenen zu informieren. Es muss auch sichergestellt sein, dass die Informationen alle betroffenen Mitarbeiter erreichen, also z.B. in Einkauf, Vertrieb, Stammdatenpflege oder Buchhaltung. Hierbei ist allerdings nur auf die Kenntnisse abzustellen, die der Mitarbeiter im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit erlangt hat.28 b) Steuerhinterziehung im Inland und im EU-Ausland Fraglich ist, ob der Unternehmer nur für die Hinterziehung inländischer Steuer durch einen anderen in Anspruch genommen werden kann oder ob auch die Hinterziehung von Umsatzsteuer im Ausland zur Anwendung der Vorschrift berechtigt. Weder der Wortlaut der Vorschrift noch das BMF-Schreiben zur Einfügung von Abschnitt 25f in den UStAE29 gehen darauf ausdrücklich ein. Aus der Rechtsprechung des EuGH kann jedoch geschlossen werden, dass die Hinterziehung von Umsatzsteuer in einem anderen Mitgliedstaat ebenfalls zur Sanktionierung des Unternehmers im Inland führt, da der Schutz des Steueraufkommens der Europäischen Union das Ziel der Missbrauchsbekämpfungsvorschriften ist, nicht der Schutz der Geldmittel eines einzelnen Mitgliedstaates. In seinem Urteil „Italmoda“ versagt der EuGH einem Unternehmer ausdrücklich die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen, obwohl der Steuerbetrug in einem anderen Mitgliedstaat erfolgte.30 Durch die Verweiskette in § 25f Abs. 1 auf § 26a Abs. 1 und dort auf §§ 18, 18i, 18j und 18k UStG, die sich auf Erklärungspflichten ausländischer Unternehmer oder die Meldung von im Ausland steuerbaren 27 Abschn. 25f.1 Abs. 2 S. 2 UStAE. Vgl. dazu allerdings das anhängige EuGHVerfahren C-442/22, in dem es um die Ausstellung falscher Rechnungen durch einen Mitarbeiter ohne Kenntnis des Unternehmers geht und die Frage, wer die Steuer aus den Rechnungen schuldet. 28 Vgl. Pflaum, UR 2021, 456. 29 BMF v. 15.6.2022 – III C 5 - S 7429-b/21/10003 – DOK 2022/0594965, BStBl. I 2022, 1001, UR 2022, 559. 30 EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C-164/13, (Italmoda), hier Rz. 65 u. 69, EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13, C-164/13, ECLI:EU: C:2014:2455, UR 2015, 106 = DStR 2015, 573 mit Anm. Winter.

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Umsätzen durch inländische Unternehmer (One Stop Shop-Verfahren) beziehen, werden Sachverhalte mit EU-Auslandsbezug erfasst. Um dem Charakter des § 25f UStG als Sanktionsnorm bei Umsatzsteuerkarussellen Rechnung zu tragen, kann davon ausgegangen werden, dass eine dem Unternehmer bekannte Umsatzsteuerhinterziehung irgendwo in der EU durch einen Vor- oder Nachunternehmer dazu führt, dass er die nachteiligen Folgen der Vorschrift zu tragen hat. Da der EuGH31 und der BFH32 ausdrücklich die Schädigung des Steueraufkommens eines Staates außerhalb der EU nicht als Grund für die Versagung dieser Rechte ansehen, kann eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs von § 25f UStG auf Karusselle mit Steuerhinterziehung im Drittland ausgeschlossen werden. Inländische Unternehmer, die in einen Umsatzsteuerbetrug im Drittland involviert sind, werden daher grundsätzlich nicht mit der Versagung der Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen nach § 4 Nr. 1 a) i.V.m. § 6 UStG) bestraft.33 Auch für das Steuerstrafrecht ist die generelle Anwendung der Missbrauchsrechtsprechung auf Ausfuhrlieferungen mangels gesetzlicher Grundlage nicht zulässig.34 c) Versagung der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen Sofern der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass ein Umsatzsteuerbetrug in der Lieferkette erfolgt ist, wird ihm die Steuerbefreiung für seine innergemeinschaftliche Lieferung versagt. Dies gilt auch dann, wenn der Betrug nur auf einer vorgelagerten Umsatzstufe, also z.B. bei einem inländischen Vorlieferanten, stattgefunden hat und nicht bei dem im EU-Ausland ansässigen Abnehmer. In Fällen, in denen 31 Vgl. dazu Pflaum in Wäger, UStG2, Rz. 44 zu § 25f mit Hinweis auf weitere Rechtsprechung des EuGH. 32 BFH v. 12.3.2020 – V R 20/19, BStBl. II 2020, 608 = UR 2020, 718 m. Anm. Widmann = DStR 2020, 1725 mit Anm. Heuermann. 33 Vgl. dazu Pflaum in Wäger, UStG2, Rz. 44 zu § 25f mit Hinweis auf folgende Rechtsprechung: EuGH v. 19.12.2013 – C-563/12 (BDV Hungary Trading), ECLI:EU:C:2013:854, HFR 2014, 182, Rz. 40; v. 17.10.2019 – C-653/18, ECLI: EU:C:2019:668 (Unitel), ECLI:EU:C:2019:876, UR 2019, 849, Rz. 35; BFH v. 12.3.2020 – V R 20/19, BStBl. II 2020, 608 = UR 2020, 718, Rz. 28; FG Rheinland-Pfalz v. 28.5.2019 – 3 K 1391/17, EFG 2019, 1634 m. Anm. Martini; Spatscheck/Spilker, UStB 2022, 324 mit Verweis auf EuGH v. 20.6.2018 – C-108/ 17 (Enteco Baltic), MwStR 2018, 704 Rz. 94. 34 Vgl. Grommes, UR 2020, 139 f.

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nachweisbar ist, dass die EU-Kunden nicht in den Steuerbetrug verwickelt waren, wird man zumindest darüber nachdenken können, ob die Versagung der Steuerbefreiung dann verhältnismäßig ist, obwohl sie vom Wortlaut des § 25f UStG gedeckt ist. Bei professionell aufgesetzten Umsatzsteuerkarussellen kann man allerdings davon ausgehen, dass auch im Ausland ansässige Unternehmer daran beteiligt sind. Die Vorschrift umfasst keine Ausfuhrlieferungen, da im Falle von Umsatzsteuerbetrug im Drittland das Steueraufkommen der EU nicht gefährdet ist (siehe vorangehendes Kapitel). Es ist allerdings denkbar, dass ein Unternehmer Waren aus dem Drittlandsgebiet importiert und einer seiner nachfolgenden Abnehmer Umsatzsteuer hinterzieht, entweder im Einfuhrland oder im Rahmen von innergemeinschaftlichen Reihengeschäften in einem anderen Mitgliedstaat. Sollte der Einführer dies wissen oder erkennen können, so könnte nach der Gesamtlogik des § 25f UStG und der zugrunde liegenden Rechtsprechung auch der Vorsteuerabzug für die Einfuhrumsatzsteuer versagt werden. Ähnliches gilt, wenn der Einführer die Ware unmittelbar in einen anderen EU-Mitgliedstaat weiterliefert, in dem dann der USt-Betrug erfolgt. Der Einführer kann dann die EUSt-Befreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG geltend machen, die bei seiner Kenntnis von der nachfolgenden Steuerhinterziehung zu versagen wäre.35 In § 25f UStG findet sich hierfür jedoch keine Grundlage. Dort wird der Vorsteuerabzug nur für die explizit aufgezählten Fälle versagt, zu denen die Einfuhrumsatzsteuer nicht zählt. Näheres dazu findet sich im nächsten Kapitel. Durch § 25f UStG wird dem innergemeinschaftlich liefernden Unternehmer die Steuerbefreiung für seine Lieferung selbst dann versagt, wenn er die Buch- und Belegnachweise im Sinne der Vorschriften der §§ 17a ff. UStDV vorlegen kann. Dies entspricht dem EuGH-Grundsatz, dass sich ein Steuerpflichtiger nicht missbräuchlich auf Unionsrecht berufen darf.36 § 25f weitet diese Folgen von dem Steuerhinterzieher selbst 35 Vgl. Wäger, UR 2020, 54; EuGH v. 14.2.2019 – C-531/17, ECLI:EU:C:2019: 114 (Vetsch Int. Transporte), UR 2019, 389 hat entschieden, dass die EUSt-Befreiung für eine innergemeinschaftliche Anschlusslieferung nicht zu versagen ist, sofern der Einführer nichts von dem nachgelagerten USt-Betrug wusste. 36 Vgl. EuGH v. 31.1.2013 – C-642/11, ECLI:EU:C:2013:54 (Kittel und Recolta Recycling), Rz. 54, DB 2013, 439; v. 3.3.2005 – C-32/03, ECLI:EU:C:2005:128 (Fini H), Rz. 32, UR 2005, 433; v. 13.2.2014 – C-18/13, ECLI:EU:C:2014:69 (Maks Pen)“, Rz. 26, HFR 2014, 380.

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jetzt auch auf andere Beteiligte aus, denen der Betrug bekannt war oder hätte bekannt sein müssen. Ein in Betrugsfälle verwickelter Unternehmer genießt daher keinen Vertrauensschutz, sofern er nicht alle angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, um seine Beteiligung an dem Betrug zu verhindern. Die Versagung der Steuerbefreiung führt zu einer entsprechenden Nachversteuerung des Umsatzes und damit ggf. zur Festsetzung von Nachzahlungszinsen. Weitere Strafen wie z.B. Bußgelder sieht § 25f UStG selbst nicht vor, diese können sich allerdings aus den Vorschriften des § 26a und § 26c UStG ergeben, deren Anwendung durch die Versagung der Steuerbefreiung nicht ausgeschlossen ist. d) Versagung des Vorsteuerabzugs Bei positiver Kenntnis oder Kennenmüssen des Unternehmers, dass er in einen Umsatzsteuerbetrug involviert ist, wird der Vorsteuerabzug aus der Eingangsrechnung seines inländischen Vorlieferanten versagt. Dies gilt selbst dann, wenn nicht der Vorlieferant, sondern ein anderer Beteiligter in der Lieferkette die Umsatzsteuerhinterziehung begangen hat. Allerdings ist anzunehmen, dass in der Praxis das „Kennenmüssen“ eines Unternehmers schwieriger zu belegen ist, je weiter er in der Unternehmerkette von dem Betrüger entfernt ist, solange keine ausdrückliche Absprache zum Betrug vorliegt. Der Vorsteuerabzug entfällt nicht nur aus inländischen Rechnungen, in denen die Steuer offen ausgewiesen ist, sondern auch, wenn die Steuer aufgrund der Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger nach § 13b UStG erfolgt (was sowohl Leistungsbezüge aus dem Ausland betrifft als auch Inlandsfälle nach § 13b Abs. 2 Nr. 2 bis 12 UStG unter den jeweiligen Voraussetzungen)37 oder wenn es sich um den Vorsteuerabzug aus innergemeinschaftlichen Erwerben handelt. Gerade der Verweis auf § 13b UStG ist von Bedeutung, da diese Vorschrift auch der Verhinderung von Umsatzsteuerausfällen bei inländischen Sachverhalten dient, die von Finanzverwaltung und Politik als besonders betrugsanfällig eingestuft werden. Da der organisierte Umsatzsteuerbetrug sich immer wieder neue Geschäftsfelder aussucht, ist es wenig verwunderlich, dass die Liste in § 13b Abs. 2 UStG fortlaufend länger wird. Für die steuerehrlichen Unternehmer bedeutet dies einen 37 Zur Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG vgl. Jansen in Birkenfeld/Wäger, USt-Handbuch, Stand 2020.

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zunehmenden Aufwand, um die von § 13b erfassten Sachverhalte zu erkennen und in ihren Warenwirtschaftssystemen so zu steuern, dass sie der zutreffenden Umsatzversteuerung unterworfen werden. Die Anwendung des Umsatzsteuerrechts wird dadurch zunehmend komplexer und damit für den Anwender fehleranfälliger, was dem Gedanken zuwiderläuft, dass der Unternehmer nur die Steuern für den Staat einsammeln soll und die Umsatzsteuer für den vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer grundsätzlich neutral ist. Da beim Reverse Charge-Verfahren (§ 13b UStG) und dem innergemeinschaftlichen Erwerb (§ 1a UStG) die Steuerschuld und der Vorsteuerabzug bei demselben Unternehmer zusammenfallen und es zu keiner Auszahlung von Vorsteuer durch das Finanzamt kommt, wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass der Vorsteuerabzug aus diesen beiden Vorschriften nicht versagt werden darf, wenn der Unternehmer auf der Ausgangsseite Steuern hinterzieht.38 Da § 25f UStG nicht auf den Steuerbetrug des Unternehmers selbst abzielt, sondern auf seine Kenntnis von Betrug auf vor- oder nachgelagerten Umsatzstufen, hat die Versagung des Vorsteuerabzugs m.E. Sanktionscharakter, für den es keinen Unterschied machen darf, wer die Steuer entrichtet und die Vorsteuer abgezogen hat. Die Regelung in § 25f UStG auch bei § 13b und innergemeinschaftlichen Erwerben ist daher konsequent. Die Versagung des Abzugs der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer ist in § 25f UStG nicht ausdrücklich geregelt. Sofern der Einführer weiß, dass auf einer nachgelagerten Umsatzstufe ein Umsatzsteuerbetrug begangen wird, müsste vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung auch hier der Vorsteuerabzug zu versagen sein.39 Betroffene Unternehmer können sich allerdings auf den Wortlaut der Vorschrift berufen, die die zu versagenden Vorsteuertatbestände explizit aufzählt. Bei Steuerhinterziehung durch den Einführer selbst greift die Vorschrift hingegen nicht, da § 25f auf den Umsatzsteuerbetrug durch andere Beteiligte in der Lieferkette abstellt.40

38 Spatscheck/Spilker, UStB 2022, 326. 39 A.A. Spatscheck/Spilker, UStB 2022, 326 f. 40 Vgl. ausführlich zur EUSt in Missbrauchsfällen: Spatscheck/Spilker, UStB 2022, 325 ff.

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e) Versagung der Vereinfachungen für Dreiecksgeschäfte In § 25f Abs. 2 UStG wird außerdem die Nichtanwendung eines Teils der Vereinfachungsregelungen für innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte i.S.v. § 25b UStG festgelegt: Der Erwerb des mittleren Unternehmers gilt nicht mehr nach § 25b Abs. 3 als besteuert und der letzte Abnehmer verliert den Vorsteuerabzug aus der auf ihn verlagerten Steuerschuld nach § 25b Abs. 5 UStG. Ansonsten bleibt die Vorschrift anwendbar. Das innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäft ist von seiner rechtlichen Wirkung zwar auf drei Beteiligte begrenzt, da jedoch auch bei Lieferketten mit mehr als drei Beteiligten die Vereinfachung auf diejenigen Unternehmer angewendet werden kann,41 bei denen die Voraussetzungen des § 25b UStG vorliegen, können die Vorteile des § 25b UStG m.E. auch dann versagt werden, wenn der Betrug außerhalb dieser drei Unternehmer stattgefunden hat. Das Entfallen der Vereinfachungen aus § 25b Abs. 3 und 5 UStG kann sich nur auf die Wirkungen in Deutschland beziehen, da die EU-Vorschrift grundsätzlich nicht mit Wirkung für andere Mitgliedstaaten aufgehoben werden kann. Bei positiv festgestellten Missbrauchsfällen kann aber davon ausgegangen werden, dass auch die anderen betroffenen Mitgliedstaaten die Vereinfachungen des Art. 141 MwSt SystRiLi für Dreiecksgeschäfte nicht mehr anwenden. Dies führt dazu, dass sich der mittlere Unternehmer im Bestimmungsmitgliedstaat für Umsatzsteuerzwecke registrieren lassen muss, um dort seine Lieferung an den letzten Unternehmer zu versteuern. Die nachträgliche Registrierung kann neben dem administrativen Aufwand im Ausland zu weiteren Bußgeldern führen. Da der mittlere Unternehmer bisher unter der USt ID-Nummer seines Ansässigkeitsstaates aufgetreten ist, muss er gemäß § 3d Satz 2 UStG auch dort den innergemeinschaftlichen Erwerb versteuern, ohne jedoch zum Vorsteuerabzug berechtigt zu sein, bis er die Versteuerung im Bestimmungsland nachgewiesen hat. Das BMF-Schreiben vom 15.6.2022 sieht in Abschn. 25f.2 Abs. 2 UStAE vor, dass die Steuerschuld für die Inlandslieferung trotzdem vom mittleren auf den letzten Unternehmer übertragen wird und diesem letzten 41 Vgl. Abschn. 25b.1 Abs. 2 S. 2 UStAE für drei Unternehmer am Ende der Lieferkette; Jansen in Birkenfeld/Wäger, USt-Handbuch, Stand 10/2021, Rz. 18 f. zu § 25b UStG.

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Unternehmer kein Vorsteuerabzug zusteht. Dies kann m.E. nur dann gelten, wenn der letzten Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass einer seiner Vorlieferanten einen Umsatzsteuerbetrug begangen hat. f) Kumulationswirkung durch Verlust der Steuerbefreiung und des Vorsteuerabzugs Wenn die Voraussetzungen des § 25f UStG erfüllt sind, verliert der betroffenen Unternehmer sowohl den Vorsteuerabzug aus Eingangsrechnungen als auch die Steuerbefreiung für seine nachfolgende innergemeinschaftliche Lieferung, so dass er den Umsatzsteuerschaden doppelt zahlt, einschließlich der Steuer auf seine Marge aus dem Weiterverkauf. Diese in erheblichem Maße belastende Rechtsfolge ist vom Wortlaut der Vorschrift gedeckt und wurde durch den EuGH hat in seinem Urteil „Italmoda“ ebenfalls entsprechend entschieden.42 Das BMF-Schreiben vom 15.6.2022 sieht im neuen Abschn. 25f.1 Abs. 6 Satz 2 UStAE vor, dass das Finanzamt für den Fall, dass dem Unternehmer die Kenntnis des Umsatzsteuerbetrugs in der Lieferkette nachgewiesen wurde, den Vorsteuerabzug und die Steuerbefreiung für eine etwaige innergemeinschaftliche Lieferung „in voller Höhe“ zu versagen hat. Dem Finanzamt steht demnach kein Ermessenspielraum zu, um die noch zuvor im BMF-Schreiben angeführten Gesamtumstände des Einzelfalls ggf. mindernd zu berücksichtigen. Satz 3 derselben Vorschrift sieht außerdem vor, dass diese Versagungen auch bei mehreren Beteiligten vorzunehmen sind, sofern bei diesen die Voraussetzungen des § 25f vorliegen. Im Extremfall erhebt der Fiskus damit die Umsatzsteuer nicht nur bei einem einzelnen Unternehmer doppelt, sondern gleich mehrfach, wenn auf eine Mehrzahl von beteiligten Unternehmern zugegriffen wird. Da es sich nach dem Wortlaut der Vorschrift hierbei um Unternehmer handelt, die nicht selbst den Umsatzsteuerbetrug begangen haben, sondern um andere Unternehmer, die womöglich nur nicht die aus Sicht der Finanzverwaltung erforderliche Sorgfalt bei der Prüfung ihrer Geschäftspartner haben walten lassen, fließt dem Fiskus ein Mehrfaches des eingetretenen Steuerschadens zu.43 Sofern der Steuerschaden im Ausland 42 EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C-164/13 (Italmoda), ECLI: EU:C:2014:2455, UR 2015, 106 = DStR 2015, 573 mit Anm. Winter. 43 Vgl. Pflaum, UR 2021, 456 m.w.N. in Fn. 39.

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eingetreten ist, erzielt der Fiskus dann Steuereinnahmen, die ihm bei einem ordentlichen Geschäftsablauf unter zum vollen Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmern überhaupt nicht zugeflossen wären.44 Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und dem Übermaßverbot ist diese Mehrfacherhebung umstritten, wurde aber durch den EuGH bestätigt.45 Da den Finanzämtern durch den Wortlaut des UStAE enge Grenzen gesetzt sind, was eine Minderung der nachzuerhebenden Steuer anbelangt, wird sich der betroffene Unternehmer entweder auf einen (sofern möglich) zumindest teilweisen Billigkeitserlass berufen oder den Rechtsweg beschreiten müssen. Des weiteren können – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – auch die Bußgelder nach § 26a UStG (Ordnungswidrigkeiten z.B. durch Verstöße gegen Vorschriften betreffend Rechnungen und andere Belege) und die Strafen gemäß § 26c UStG (bandenmäßiger Steuerbetrug) anfallen.46 Der EuGH hatte zuletzt in einem „verunglückten Reihengeschäft“ entschieden, dass eine doppelte Erhebung der Umsatzsteuer nicht mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Neutralität der Umsatzsteuer vereinbar ist.47 Allerdings lag im Urteilsfall keine Hinterzie44 Vgl. entsprechend Hummel, UR 2014, 258 ff. 45 Vgl. Hummel, UR 2014, 261 ff., der sich für eine Begrenzung der Mehrfacherhebung durch die Auslegung der Vorgängervorschrift § 25d UStG als gesamtschuldnerische Haftung ausspricht; auch das FG Berlin-Brandenburg hatte Bedenken, einen nicht unmittelbar an der Steuerhinterziehung Beteiligten heranzuziehen, und hatte daher den EuGH mit Vorlagebeschl. FG Berlin-Brandenburg v. 5.2.2020 – 5 K 5311/16, UR 2020, 474 angerufen – der EuGH teilte die Bedenken des FG nicht und bestätigte die Inanspruchnahme des Unternehmers, der von dem Betrug hätte wissen müssen, ohne direkt daran beteiligt zu sein; vgl. EuGH v. 14.4.2021 – C-108/20, ECLI:EU:C:2021:266, UR 2021, 433 mit Anm. Pflaum; EuGH v. 24.11.2022 – C-596/21, ECLI:EU:C: 2022:921, Rz. 38–40, DStR 2022, 2560 bestätigt, dass der Vorsteuerabzug des Abnehmers in voller Höhe zu versagen ist, obwohl die hinterzogene Steuer deutlich niedriger ist; krit. zur Kumulationswirkung auch Wäger, UR 2020, 55 f. Für die Möglichkeit einer Überkompensation in Karussellgeschäften spricht sich Rüsken aus in Klein, AO16, Rz. 10 zu § 71 AO. 46 Auch EuGH v. 24.11.2022 – C-596/21, ECLI:EU:C:2022:921, UR 2022, 942 m. Anm. Monfort = DStR 2022, 2560, Rz. 36 unterscheidet zwischen der Versagung des Vorsteuerabzugs und den sonstigen Sanktionen, die die Mitgliedstaaten nach Art. 273 MwStSystRiLi vorsehen können. 47 EuGH v. 7.7.2022 – C-696/20, ECLI:EU:C:2022:528 (Dyrektor Izby Skarbowej w W.), UR 2022, 622, Rz. 54 f.

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hungsabsicht vor, so dass fraglich ist, ob der EuGH in einem Betrugsfall ebenso entscheiden würde, wenn die doppelte Steuerbelastung nicht den Hinterzieher selbst trifft, sondern einen anderen Unternehmer, der den Betrug hätte erkennen können. Vor dem Hintergrund des bereits erwähnten „Italmoda“-Urteils (dort Rn. 50) und des Urteils vom 24.11.2022 muss befürchtet werden, dass der EuGH die Mehrfacherhebung der Steuer auch bei mehreren Beteiligten als mit dem Unionsrecht vereinbar einstufen könnte.48 In der Praxis wird sich die Diskussion dann womöglich auf die Frage vorverlagern, ob der Unternehmer von der Einbindung in einen Betrug tatsächlich hätte wissen müssen und was von ihm im laufenden Tagesgeschäft vernünftigerweise an Prüfungspflichten verlangt werden kann.49

II. Das BMF-Schreiben vom 15.6.2022 Das BMF-Schreiben vom 15.6.202250 führt einen neuen Abschnitt 25f in den UStAE ein, der die zum Teil unbestimmten Regelungen des Gesetzes konkretisieren und den Finanzbeamten die Anwendung der Vorschrift in der Praxis erleichtern soll. Auch betroffene Unternehmer können sich an der Verwaltungsanweisung orientieren, um durch Erfüllung der dort genannten Voraussetzungen ihre Risiken aus der Einbindung in Umsatzsteuerbetrugshandlungen weitestmöglich zu reduzieren. Wie nachfolgend dargestellt wird, sind die Ausführungen des UStAE jedoch recht weitgehend und lassen in der Praxis erneut Spielraum für Diskussionen in zukünftigen Betriebsprüfungen. Die Unternehmenswirklichkeit ist im Geschäftsleben nicht so Schwarz und Weiß, wie es das BMF-Schreiben suggerieren möchte. Obwohl die Finanzverwaltung der Rechtsprechung folgt und konstatiert, dass das Finanzamt nachweisen muss, dass der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er an einem Umsatzsteuerbetrug 48 Der EuGH hat seine strenge Rechtsprechung in Hinterziehungsfällen in EuGH v. 14.4.2021 – C-108/20, ECLI:EU:C:2021:266, UR 2021, 433 mit Anm. Pflaum bestätigt; EuGH v. 24.11.2022 – C-596/21, ECLI:EU:C:2022:921, DStR 2022, 2560. 49 Zugunsten des Stpfl. urteilte das FG Baden-Württemberg v. 23.6.2016 – 1 V 1044/16, rkr, openJur 2016, 9762 (AdV); die Versagung des Vorsteuerabzugs bei Bösgläubigkeit befürwortete hingegen das FG Hessen v. 7.2.2022 – 1 V 1585/21, BeckRS 2022, 30020. 50 BMF v. 15.6.2022 – III C 5 - S 7429-b/21/10003 – DOK 2022/0594965, BStBl. I 2022, 1001, UR 2022, 559, DStR 2022, 1275.

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beteiligt war (Abschn. 25f.1 Abs. 3 und 6 UStAE), wird andererseits vom Unternehmer gefordert, dass er „alle Maßnahmen getroffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in eine Umsatzsteuerhinterziehung (…) einbezogen sind“, um sich auf Vertrauensschutz berufen zu können (Abschn. 25f.1 Abs. 3 UStAE). Was unter „alle Maßnahmen“ und „vernünftigerweise“ zu verstehen ist, dürfte im Einzelfall von Finanzamt und Steuerpflichtigem unterschiedlich beurteilt werden. Im Ergebnis dreht die Finanzverwaltung die Beweislast zu Lasten des Unternehmers um. Die Liste der Anhaltspunkte, die auf einen Steuerbetrug hinweisen sollen (Abschn. 25f.1 Abs. 5 UStAE) ist lang und schießt stellenweise über das Ziel hinaus. Man muss allerdings anerkennen, dass die Beispiele praxisnah sind und den Unternehmern die Möglichkeit geben, die Prüfungsschritte ihres internes Kontrollsystems an diesen Anhaltspunkten auszurichten. Nachstehend werden einzelne Punkte des BMF-Schreibens betrachtet, die von der Finanzverwaltung als Anhaltspunkte für das „Wissen müssen“ angesehen werden und die den Unternehmer zu weitergehenden Prüfungen seiner Geschäftspartner veranlassen sollen. Die Liste des BMF ist nur beispielhaft („insbesondere“). –

Ein Dritter gibt die Rahmenbedingungen des Geschäftes vor. So unwahrscheinlich sich diese Konstellation zunächst anhört, kommt es in der Praxis tatsächlich vor, dass Betrüger sich an ahnungslose Unternehmer wenden und deren Unkenntnis der umsatzsteuerlichen Folgen ausnutzen, indem sie ihnen Lieferungen an bereits feststehende Abnehmer vorschlagen und eine vermeintlich risikolose kleine Marge auf hohe Umsätze versprechen.51



Feststellung von Mehrfachdurchläufen von Waren Wenn der Unternehmer feststellt, dass ihm nach ein paar Wochen dieselbe Ware geliefert wird, die er zuvor selbst verkauft hatte, legt dies nahe, dass er sich in einem USt-Karussell befindet. Die Feststellung, dass es sich um dieselbe Ware handelt, ist im Tagesgeschäft

51 Vgl. hierzu ein Betrugsgeschäft mit Zucker, der nach Polen geliefert wurde, BFH v. 2.7.2021 – XI R 40/19, BFH/NV 2022, 140, UStB 2022, 43 mit Anm. Wohlfart. Im Urteilsfall hatte der Unternehmer die USt ID Nr. seines poln. Abnehmers nicht geprüft.

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mit Massengütern jedoch schwierig (z.B. Zucker oder Speiseöl52 sind beliebte Karussell-Produkte, da sie nicht verderblich sind und beliebig ausgetauscht werden können). Eine solche Identifizierung wird sich eher bei Luxusgütern feststellen lassen, wenn teure Armbanduhren oder Luxusautos anhand von Fahrgestellnummern oder anderen Merkmalen identifizierbar sind – derartige Güter werden daher normalerweise nicht in kriminellen Karussellstrukturen verwendet. –

Angebot unter dem Marktpreis Diese Anforderung ist für die Praxis wenig geeignet. Dies würde bedeuten, dass der Unternehmer besonders günstige Angebote kritisch hinterfragen und ggf. ablehnen müsste, wodurch er sich um Geschäftschancen bringt und die preiswerte Ware den Wettbewerbern überlässt. Auch in Zeiten volatiler Preise und steigender Inflation wird sich der Marktpreis zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses nicht immer verlässlich bestimmen lassen – es sei hier an die erheblichen Schwankungen der Gaspreise im Jahre 2022 aufgrund des Krieges Russlands gegen die Ukraine erinnert.



Unübliche Barzahlungen bzw. Zahlungsabwicklung Aufgrund der Regelungen zur Geldwäsche sollten hohe Barzahlungen ohnehin kritisch hinterfragt werden, insbesondere wenn diese sich regelmäßig knapp unter den offiziellen oder unternehmensinternen Meldeschwellen bewegen. Auch Konten in bekannten Steuerparadiesen sollten mit Vorsicht betrachtet werden, wenngleich es nicht verboten ist, Bankverbindungen z.B. in der Karibik zu unterhalten.



Wechselnde Ansprechpartner Diese betrifft sowohl häufig wechselnde Kontaktpersonen zu demselben Lieferanten oder Abnehmer, als auch dieselbe Person, die alle paar Monate für eine andere Firma auftritt. Hier ist es wichtig, die Mitarbeiter im Einkauf, Vertrieb oder der Warenannahme für die Problematik zu sensibilisieren.



Fehlende Branchenkenntnisse Wenn ein Geschäftspartner erst seit kurzem am Markt ist und durch sein Verhalten oder das falsche Verwenden von Fachbegriffen auffällt, während gleichzeitig hohe Volumina von Waren in kurzer Zeit gehandelt werden sollen, sollte eine gründliche Überprüfung der Per-

52 So zuletzt in dem Fall des EuGH v. 1.12.2022 – C-512/21, ECLI:EU:C:2022: 950, UR 2023, 166.

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son und der Firma erfolgen, womöglich auch durch Besuche durch Vertriebsmitarbeiter vor Ort. Schlichte Webseiten, die keine vertieften Informationen zu Produkten oder wahrscheinlich gefälschte Referenzen aufweisen, sollten ebenfalls misstrauisch machen. –

Widersprüchliche Angaben im Handelsregister53 In Deutschland sind Handelsregisterauszüge inzwischen kostenlos online abrufbar. Bei Zweifeln, ob womöglich ein gefälschter HR-Auszug vorgelegt wurde, kann dieser mit dem wirklichen HR-Auszug abgeglichen werden. Auch im Ausland sind Unternehmens- und Registerdaten oft öffentlich zugänglich, wobei allerdings die Sprachbarriere ein Hindernis darstellen kann. Diese Unterlagen sollten daher nicht ungeprüft zu den Akten genommen, sondern aufmerksam durchgeschaut werden.



Geschäftsräume an ungeeigneter Adresse, Briefkastenfirmen Hier können bereits Internetrecherchen, z.B. mit Luftbildaufnahmen der angegeben Geschäftsadresse, einen ersten Eindruck liefen, ob es sich um angemessene Geschäfts- und Lagerräume handelt oder nicht. Andererseits benötigt ein Zwischenhändler keine eigenen Lagerräume und kann sein Geschäft aus einem einfachen Büro mit Computer und Telefon abwickeln. Es liegt in der Natur eines Reihengeschäfts, dass der mittlere Unternehmer die Ware nicht zu Gesicht bekommt, die unmittelbar vom ersten zum letzten Unternehmer in der Lieferkette befördert wird.



Unprofessionelle Webseite oder unglaubwürdige Angaben Webseiten ohne Impressumsangabe oder ohne tiefergehende Produktinformationen, sowie E-Mailadressen, die eher im Privatbereich üblich sind, sollten zu Zweifeln an der Ernsthaftigkeit des vorgeblichen Unternehmers Anlass geben.



Unübliche Mengen im Vergleich zur Unternehmensgröße Dies betrifft insbesondere neu gegründete Unternehmen. Hier sollte im Handelsregisterauszug auch darauf geachtet werden, ob bei länger zurückliegenden HR-Eintragungen ggf. eine Vorratsgesellschaft vorliegt oder ob der Geschäftszweck in jüngerer Vergangenheit grundlegend geändert wurde.

53 Vgl. BFH v. 20.10.2021 – XI R 19/29, UR 2022, 423 mit Anm. Grommes; in der Sachverhaltsbeschreibung des FG bezog der Kläger Altgoldlieferungen von einem Unternehmer, dessen Geschäftszweck in „Mietwagen-, Krankenund Rollstuhlfahrdiensten“ bestand, was Anlass zu Zweifeln hätte geben müssen.

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Die zuvor dargestellten Punkte können von einer zukünftigen Betriebsprüfung mit den ihr zur Verfügung stehenden technischen Mitteln und vor allem der verfügbaren Zeit für Prüfungshandlungen naturgemäß gründlicher geprüft werden, als von Mitarbeitern im Tagesgeschäft, die sich in erster Linie auf Umsatz und Kundenzufriedenheit konzentrieren werden. Hier gilt es, in der Unternehmenspraxis ein Bewusstsein bei den Mitarbeitern für mögliche Problemfälle zu schaffen, die bei ersten Verdachtsanzeichen den Vorgang an andere Abteilungen im Unternehmen weitergeben können, die dann eine genauere Untersuchung des neuen Geschäftspartners vornehmen können. Dies kann z.B. die interne Revision oder die Steuerabteilung sein. Da auch dort die Ressourcen in der Regel begrenzt sind, ist zu hoffen, dass die Betriebsprüfer mit Augenmaß vorgehen und die Gesamtumstände des Geschäfts des betroffenen Unternehmers berücksichtigen. Ein einzelner der oben genannten Punkte sollte noch nicht ausreichen, um den Unternehmer bösgläubig zu machen. Er sollte aber Anlass dazu geben, auch die anderen Punkte genauer zu untersuchen und das Ergebnis der Prüfung und dessen Begründung zu dokumentieren. Es muss dem Unternehmer zugemutet werden, dass er bei einer Mehrzahl von sich verdichtenden Verdachtsmomenten auf ein zunächst lukrativ wirkendes Geschäft verzichtet. Die erheblichen umsatzsteuerlichen Nachteile, die ihn durch die Anwendung der Sanktionen des § 25f UStG treffen können, sollten bei der Entscheidung über eine Geschäftsbeziehung immer berücksichtigt werden.

III. Auswirkungen in der Praxis Der Steuerpflichtige, dem ein besonders lukratives Geschäft angeboten wird oder der erstmalig in Geschäftsbeziehung mit einem neuen Großkunden oder Lieferanten tritt, steht vor dem Problem, wie genau er die Bedingungen des Geschäftes untersuchen soll. Konditionen, die im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses als noch marktüblich beurteilt werden mögen, können durch die Betriebsprüfung in der Zukunft ganz anders eingestuft werden. Dabei hat die Betriebsprüfung den Vorteil, dass sie den Sachverhalt erst Jahre später prüft und dann über zukünftige Erkenntnisse und Informationen verfügt, die dem Unternehmer im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses noch nicht vorliegen konnten. Darüber hinaus ist es für die Betriebsprüfung mit den ihr zur Verfügung stehenden technischen Mitteln, Datenbanken und ausreichender Zeit 639

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zur Prüfung eines Sachverhaltes wesentlich leichter, Ungereimtheiten aufzuspüren und sorgfältig zu analysieren. Im Tages- und Massengeschäft der meisten Unternehmer stehen für solche Lieferanten- und Kundenanalysen weniger Ressourcen zur Verfügung, sowohl in zeitlicher, als auch in personeller und technischer Hinsicht. Sobald ein Unternehmer die handelsüblichen und branchenspezifischen Überprüfungen seiner Geschäftspartner vorgenommen und keine ausreichenden Anhaltspunkte für Steuerhinterziehungen gefunden hat, sollte er dies nachvollziehbar dokumentieren und die Dokumentation archivieren, damit sie bei einer zukünftigen Betriebsprüfung zur Verfügung steht. Ergeben sich im Rahmen der Prüfung deutliche Hinweise darauf, dass das Geschäft nur dann wirtschaftlich sinnvoll ist, wenn in der Lieferkette ein Umsatzsteuerbetrug stattfindet oder ergeben sich andere eindeutige Anhaltspunkte für die steuerliche Unzuverlässigkeit von Geschäftspartnern, so kann dem Unternehmer nur davon abgeraten werden, sich an diesem Geschäft zu beteiligen. Auch die Ablehnung von Geschäftsbeziehungen sollte dokumentiert werden. In der Praxis werden oft Fälle auftreten, in denen es zwar einzelne Verdachtsmomente gibt, jedoch keine eindeutigen Belege für einen Steuerbetrug entdeckt werden können. Dies stellt den Unternehmer vor die schwierige Entscheidung, auf ein gewinnbringendes Geschäft zu verzichten, das dann ggf. ein Konkurrent abschließt und das sich im Nachhinein als risikolos herausstellt. Sollte der Unternehmer das Risiko eingehen, Geschäfte auch mit teilweise verdächtigen Geschäftspartnern abzuschließen, muss er sich ggf. in einer zukünftigen Betriebsprüfung den Vorwurf gefallen lassen, dass er von den Unregelmäßigkeit wusste oder bei weiteren Nachforschungen hätte wissen müssen.54 In einem solchen Umfeld ist es für Unternehmer, die in der Vergangenheit in Steuerhinterziehungen verwickelt und womöglich sogar verurteilt waren und die danach versuchen, ein ehrliches Unternehmen aufzubauen, schwierig, ihren vorsichtigen Geschäftspartnern ihren Sinneswandel glaubhaft zu machen. Der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ wird nicht jeden Geschäftspartner oder Betriebsprüfer überzeugen.

54 Vgl. Abschn. 25f.1 Abs. 4 Satz 3 f. UStAE.

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Im täglichen Geschäft der Unternehmen werden hier gelegentlich Entscheidungen auftreten, die sich nachträglich als falsch herausstellen. Die Finanzverwaltung ist aufgerufen, in solchen Fällen mit Augenmaß und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Möglichkeiten im praktischen Alltag zu entscheiden. Andernfalls würde man Unternehmen zu einem übervorsichtigem Verhalten zwingen und damit den Verzicht auf Geschäftschancen fördern, was keine Grundlage für dauerhaft erfolgreiches Unternehmertum sein kann. In jedem Fall ist den Unternehmern zu empfehlen, ihre Entscheidungen in nachvollziehbarer Weise zu begründen und zeitnah zu dokumentieren. Auch die Implementierung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems (IKS) ist zu empfehlen, um nachzuweisen, dass der Unternehmer das tut, was vernünftigerweise vom ihm verlangt werden kann.55 Das IKS USt darf sich nicht nur auf die Steuerabteilung oder Buchhaltung beschränken, sondern muss auch die operativen Bereiche des Unternehmens einbeziehen, da der Unternehmer sich das Wissen seiner Mitarbeiter zurechnen lassen muss.56 Es empfiehlt sich, das IKS von einem externen Steuerberater mit Erfahrung in grenzüberschreitenden Umsätzen prüfen zu lassen57 und die relevanten Mitarbeiter regelmäßig zu schulen.

55 Vgl. zum IKS USt Trejo/Jaitner, MwStR 2022, 261, mit Schwerpunkt auf die IT-technische Umsetzung der Steuerfindung. 56 Lt. Abschn. 25f.1 Abs. 2 Satz 2 UStAE analog § 166 BGB u. BFH v. 19.5.2010 – XI R 78/07, UR 2010, 952 NV, DStRE 2010, 1263. Vgl. dazu allerdings das anhängige EuGH-Verfahren C-442/22 zur Ausstellung falscher Rechnungen durch einen Mitarbeiter ohne Kenntnis des Unternehmers. 57 Ein geprüftes IKS soll dem Steuerpflichtigen in zukünftigen Betriebsprüfungen Erleichterungen gewähren, vgl. Bartelt/Geberth, DStR 2022, 236 zum Gesetz zur Modernisierung des Steuerverfahrensrechts.

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Umsatzsteuerliche Fallstricke bei innergemeinschaftlichen Lieferungen Robert C. Prätzler Steuerberater, Kronberg I. Einleitung II. Innergemeinschaftliche Lieferungen – aktuelle Entwicklungen 1. Änderung der Rechtslage zum 1.1.2020 2. BMF-Schreiben vom 9.10.2020 3. Entwicklungen im Jahr 2022 4. Aktuelle Problemfelder der Praxis a) Nachträglich erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer

b) Innergemeinschaftliches Verbringen c) Rechnung und Vorsteuerabzugsrecht III. Reihengeschäfte – Entwurf eines BMF-Schreibens zur Neuregelung 1. Änderung der Rechtslage zum 1.1.2020 2. Entwurf eines BMF-Schreibens aus 2022 a) Kernelemente b) Kritische Betrachtung IV. Abschlussbemerkung

I. Einleitung Innergemeinschaftliche Lieferungen sind im Übergangssystem für den innergemeinschaftlichen Warenverkehr seit dem 1.1.1993 grundsätzlich von der Umsatzsteuer befreit.1 Die Umsatzsteuerschuld meldet der Lieferungsempfänger als innergemeinschaftlichen Erwerb2 im Bestimmungsmitgliedstaat an. Die Unternehmenspraxis zeigt allerdings, dass die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen nicht immer gewährt wird, obwohl tatsächlich eine Ware aus einem Mitgliedstaat in einen anderen gelangt und beide Beteiligte umsatzsteuerliche Unternehmer sind. Problematisch sind dabei meist Elemente der Nachweisführung, d.h. solche rein formeller Natur. Verschärfungen des Unionsrechts zum 1.1.20203 und deren Umsetzung im nationalen Recht zum gleichen Zeitpunkt sind zu1 Vgl. Art. 138 MwStSystRL und § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG. 2 Vgl. § 1a UStG und Art. 20 MwStSystRL. 3 Durch RL (EU) 2018/1910.

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sätzlich zu beachten, da nunmehr andere materiell-rechtliche Voraussetzungen gelten. Das BMF hat mehrfach schriftlich zur Anwendung der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen Stellung genommen. Der folgende Beitrag geht auf ein Schreiben des Jahres 2022 im Schwerpunkt ein, mit dem verschiedene Unklarheiten beseitigt wurden. Außerdem erfolgt ein Update zur Neuregelung der Reihengeschäfte, die seit dem 1.1.2020 gilt. Zu dieser Gesetzesänderung, die ebenfalls auf eine Anpassung des Unionsrechts zurückgeht, ist bedauerlich, dass die Finanzverwaltung es bisher nicht geschafft hat, den UStAE zu aktualisieren. Immerhin wurde im Jahr 2022 ein Entwurf eines Anwendungsschreibens zur Diskussion an Verbände und andere Stakeholder versendet. Dieses Schreiben bildet den zweiten Themenabschnitt des vorliegenden Beitrags. Es wurde im April 2023 in inhaltlich leicht abgewandelter Form final veröffentlicht.4

II. Innergemeinschaftliche Lieferungen – aktuelle Entwicklungen 1. Änderung der Rechtslage zum 1.1.2020 In Umsetzung einer sog. Sofortmaßnahme der Europäischen Union5, die zu einer Änderung von Art. 138 MwStSystRL führte, musste das UStG geändert werden.6 Nach einer neu eingeführten Nr. 4 in § 6a Abs. 1 UStG gehört zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung nunmehr zusätzlich, dass „der Abnehmer im Sinne der Nummer 2 Buchstabe a oder b (…) gegenüber dem Unternehmer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet.“ Zusätzlich sieht § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG vor, dass der Unternehmer seiner Pflicht zur Abgabe der Zusammenfassenden Meldung (§ 18a) nachgekommen sein muss. Soweit die ZM im Hinblick auf die jeweilige 4 Vgl. BMF v. 25.4.2023 – III C 2 - S 7116-a/19/10001 :003 – DOK 2023/0380817, BStBl. I 2023, 778. 5 Vgl. RL (EU) 2018/1910. 6 Durch Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 12.12.2019 (BGBl. I 2019, 2451).

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Lieferung unrichtig oder unvollständig abgegeben wurde, ist die Steuerbefreiung nicht zu gewähren. Ein Satz 2 regelt weiterhin, dass § 18a Abs. 10 unberührt bleibt. Bis zum 31.12.2019 kam es hingegen nur auf eine Warenbewegung in einen anderen Mitgliedstaat und den Verkauf an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt an. Der EuGH7 und der BFH8 hatten dementsprechend mehrfach innergemeinschaftliche Lieferungen auch dann anerkannt, wenn der Lieferungsempfänger keine gültige ausländische EUUmsatzsteuer-Identifikationsnummer mitgeteilt hatte. Diese Nummer wurde als rein formelle Voraussetzung angesehen. Der Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung9 war grundsätzlich mit allen Beweismitteln möglich. Hintergrund der Änderung waren im Wesentlichen Bedenken der Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission, dass das Kontrollsystem für den innergemeinschaftlichen Warenhandel10 durch die großzügigere EuGH-Rechtsprechung ausgehebelt wurde, wodurch es zu mehr Steuerhinterziehungen als ohnehin schon kommen könnte.11

2. BMF-Schreiben vom 9.10.2020 Das BMF nahm u.a. mit Schreiben vom 9.10.202012 Stellung zur Anwendung der Neuregelung. Neben zahlreichen Ausführungen zur Frage der Verwendung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer sowie zur Neufassung der §§ 17a–17d UStDV, die nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrags sind13, äußerte sich das BMF zum Themenkomplex der Zusammenfassenden Meldung. 7 Vgl. EuGH v. 27.9.2012 – C-587/10, ECLI:EU:C:2012:592 (VSTR), UR 2012, 832; v. 20.10.2016 – C-24/15 (Plöckl), UR 2016, 882. 8 Vgl. BFH v. 21.5.2014 – V R 34/13, BStBl. II 2014, 914 = UR 2014, 774; v. 21.1.2015 – XI R 5/13, BStBl. II 2015, 724 = UR 2015, 265. 9 Vgl. § 17a ff. UStDV, Buch- und Belegnachweis. 10 Im Wesentlichen verkörpert durch die Meldung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers und der Bemessungsgrundlage, mit Datenaustausch hierzu zwischen den Mitgliedstaaten. 11 Vgl. zum Problem die regelmäßigen Veröffentlichungen der Europäischen Kommission zur sog. Mehrwehrsteuerlücke, letztmals Dezember 2022: https://taxa tion-customs.ec.europa.eu/taxation-1/value-added-tax-vat/vat-gap_de abgerufen am 28.12.2022. 12 BMF v. 9.10.2020 – III C 3 - S 7140/19/10002 :007 – DOK 2020/1027480 BStBl. I 2020, 1038. 13 Vgl. zu einer ausführlichen Darstellung Prätzler/Szabo, StbJb 2020/21, 619.

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Allerdings blieben fundamentale Fragen unklar. Das BMF führte seinerzeit aus, dass grundsätzlich nach § 18a Abs. 10 UStG eine fehlerhafte ZM innerhalb eines Monats zu berichtigen sei. Weiterhin wurde erläutert, dass die Korrektur, damit sie die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung nicht gefährdet, stets für jenen Meldezeitraum vorzunehmen sei, in dem die Lieferung ausgeführt wurde. Es fehlte jedoch eine klare und eindeutige Aussage zu der Frage, ob eine vollständig unterlassene Abgabe der ZM ebenfalls berichtigt werden kann, oder ob in diesem Fall die Lieferung endgültig steuerpflichtig bleibt. Weiterhin äußerte sich das BMF nicht eindeutig zu einer eventuell zu beachtenden Frist. Der Verweis auf § 18a Abs. 10 UStG in § 4 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 UStG sowie das im BMF-Schreiben verwendete Fallbeispiel14 konnten durchaus so verstanden werden, dass die Korrektur der ZM zwingend innerhalb eines Monats nach Erkennen des Fehlers (nicht eines Monats nach Abgabe, aber dennoch eine sehr kurze Frist) zu erfolgen hatte. Diese Auslegung hätte z.B. bedeutet, dass bei Vorbereitung der Umsatzsteuer-Jahreserklärung durch einen Steuerberater und Erkennen eines Fehlers durch diesen sehr zeitnah eine berichtigte ZM abzugeben gewesen wäre.

3. Entwicklungen im Jahr 2022 Das BMF hat sich am 20.5.2022 abermals schriftlich geäußert und dabei den UStAE angepasst.15 Nunmehr macht das BMF deutlich, dass auch die unterlassene Abgabe der ZM heilbar ist, d.h. die nachgeholte ZM lässt die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung rückwirkend aufleben.16 Voraussetzung ist allerdings, dass die Festsetzungsfrist für die entsprechende Jahresumsatzsteuer noch nicht abgelaufen sein darf. Ein Bußgeldverfahren wegen des Verstoßes im Hinblick auf die ZM17 bleibt explizit möglich. Auch betont das BMF, dass die Berichtigungspflicht für die ZM unabhängig von der Monatsfrist des § 18a Abs. 10

14 Vgl. Abschn. 4.1.2 Abs. 3 UStAE. 15 Vgl. BMF v. 20.5.2022 – III C 3 - S 7140/19/10002 :011 – DOK 2022/0515243, BStBl. I 2022, 738. 16 Vgl. v.a. Abschn. 4.1.2 Abs. 3 Satz 8–10 UStAE. 17 Vgl. § 26a Abs. 2 Nr. 5 UStG.

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UStG besteht, um die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG zu erhalten. Das BMF passt zusätzlich das verwendete Fallbeispiel an und nimmt ein weiteres auf. Ebenfalls angepasst werden Überschriften und weitere Formulierungen. Beispiel: Grundfall: Der deutsche Unternehmer D liefert im März 2022 eine Maschine an den französischen Unternehmer F für 100.000 t. Dieser gibt eine gültige französische UStID-Nummer an. Durch ein Versehen in der Buchhaltung wird die Lieferung nicht im Datensatz für die ZM März 2022 erfasst. Diesen Fehler bemerkt erst der Steuerberater des D bei der Vorbereitung der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2022 im August 2023. Wenn D im September 2023 eine berichtigte ZM für März abgibt, in der die Lieferung an den F enthalten ist, kann diese Lieferung als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung behandelt werden. Abwandlung: Der Fehler wird erst bei einer steuerlichen Außenprüfung, die u.a. den Veranlagungszeitraum 2022 betrifft, im Jahr 2025 von der Finanzverwaltung erkannt. Wenn D daraufhin eine berichtigte ZM für März abgibt, in der die Lieferung an den F enthalten ist, kann diese Lieferung als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung behandelt werden.

Die geänderte Verwaltungsmeinung gilt rückwirkend ab dem 1.1.2020 und damit seit Wirksamwerden der verschärften Voraussetzungen für innergemeinschaftliche Lieferungen.18 Im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2022 wurde weiterhin § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG geändert.19 Der Satz 2, der einen Verweis auf § 18a Abs. 10 UStG enthält, wurde ersatzlos gestrichen. Damit soll die Auslegung der Norm eindeutiger werden. Insgesamt sind diese Änderungen aus Sicht der Unternehmen zu begrüßen. Sie erhöhen die Rechtssicherheit, zumal es in der Praxis nicht ungewöhnlich ist, dass Fehler bei ZMs geschehen. Dabei ist der Regelfall nicht die unterlassene Abgabe, sondern die fehlerhafte Meldung (oder unterlassene Meldung einer Lieferung bzw. Meldung mit unzutreffender Bemessungsgrundlage). 18 Vgl. BMF, Abschnitt II. 19 Vgl. JStG 2022, BGBl. I 2022, 2294.

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Die deutsche Verwaltungsmeinung steht grundsätzlich im Einklang mit der (nicht rechtsverbindlichen) Auffassung der Europäischen Kommission zur Thematik.20

4. Aktuelle Problemfelder der Praxis Aus der Praxis zeigen sich eine Reihe bekannter weiterer Problemfelder bei der Anwendung der Neuregelung seit dem 1.1.2020. Diese werden im Folgenden kursorisch betrachtet. a) Nachträglich erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer Es ist nicht ungewöhnlich, dass es bei der Abwicklung von Transaktionen zu Fehlbeurteilungen kommt. Insbesondere Reihengeschäfte21 oder Dreiecksgeschäfte22 werden teilweise unzutreffend gewürdigt, und es stellt sich erst später heraus, dass ein Unternehmer in einem anderen EU-Mitgliedstaat einen Umsatzsteuertatbestand verwirklicht. Ist der Unternehmer in diesem Staat noch nicht für Umsatzsteuerzwecke erfasst, muss er eine entsprechende Registrierung nachholen. Beispiel: Der deutsche Unternehmer D1 verkauft Fenster an den belgischen Unternehmer B. Die Fenster transportiert D1 direkt auf eine Baustelle in Colmar, Frankreich. B ist in Frankreich nicht umsatzsteuerlich erfasst, da die von ihm bewirkte Werklieferung an den französischen Unternehmer F unter die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach französischem Recht fällt. B hat jedoch übersehen, dass er mit dem Erwerb der Fenster einen innergemeinschaftlichen Erwerb in Frankreich verwirklicht. Er kann die in Belgien durch Verwendung seiner belgischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer entstandene Erwerbsteuer nicht als Vorsteuer abziehen. Den Vorgang beanstandet ein belgischer Umsatzsteuerprüfer erst 2 Jahre später. B erklärt daraufhin, dass er nicht mehr unter der belgischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer gegenüber D1 auftritt.

20 Vgl. Erläuterungen zu den MwSt-Änderungen in der EU, welche die Konsignationslagerregelung, Reihengeschäfte und die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen von Gegenständen betreffen („2020 Quick Fixes“) aus Dezember 2019, 4.3.6, abrufbar unter https://taxation-customs.ec. europa.eu/commission-guidelines_de. 21 Vgl. § 3 Abs. 6a UStG. 22 Vgl. § 25b UStG.

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Prätzler, Umsatzsteuerliche Fallstricke bei innergemeinschaftlichen Lieferungen Falls es B nun nicht mehr gelingt, rückwirkend auf den Lieferzeitpunkt eine gültige französische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erhalten, droht D1 in Deutschland die Umsatzsteuerpflicht für die Lieferung an B.

Während die deutsche Finanzverwaltung grundsätzlich bei einer nachträglichen Registrierung die Umsatzsteuernummer auf den entsprechenden Zeitpunkt gültig stellt, ist dies in der EU keineswegs die Regel. Hieraus kann sich ein erhebliches Problem ergeben: Die deutsche Finanzverwaltung fordert ausdrücklich, dass die verwendete Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers im Zeitpunkt der Lieferung gültig sein muss. Falls der ausländische Registrierungsstaat die Nummer jedoch im MIASSystem23 nicht rückwirkend als gültig einspielt, verweigert Deutschland die Steuerbefreiung. Die Europäische Kommission geht für entsprechende Sachverhalte von der rückwirkenden Erteilung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer als Regelfall aus.24 b) Innergemeinschaftliches Verbringen Das innergemeinschaftliche Verbringen, d.h. der Transport eigener Gegenstände durch einen Unternehmer in einen anderen Mitgliedstaat zur dortigen Verwendung, ist sowohl nach dem Unionsrecht25 als auch nach dem Umsatzsteuergesetz26 einer entgeltlichen Lieferung gleichgestellt. Die Steuerbefreiung als innergemeinschaftliche Lieferung ist entsprechend möglich. Unklar ist jedoch, ob die strengeren Anforderungen seit dem 1.1.2020 bezogen auf die Verwendung einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer27 und die Meldung in der Zusammenfassenden Meldung28 auch für das Verbringen gelten. Dies steht nicht zweifelsfrei fest. Insbesondere verweist Art. 138 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL nicht auf den neu eingefügten Abs. 1a der Vorschrift. In der Literatur29 wird daher teilweise vertreten, dass ein inner-

23 24 25 26 27 28 29

Auch „VIES“, https://ec.europa.eu/taxation_customs/vies/#/vat-validation. Vgl. Erläuterungen aus Dezember 2019, 4.3.2 und 4.3.3. Vgl. Art. 138 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL. Vgl. § 3 Abs. 1a und § 6a Abs. 2 UStG. Vgl. § 6a Abs. 1 Nr. 4 UStG. Vgl. § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG. Vgl. Connemann/Meyer-Burow, MwStR 2022, 531.

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gemeinschaftliches Verbringen auch ohne gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aus einem anderen EU-Mitgliedstaat steuerfrei sein kann. Die Verwaltung hat sich hierzu bisher nicht explizit geäußert. c) Rechnung und Vorsteuerabzugsrecht Falls der Leistungsempfänger nicht unter einer gültigen UmsatzsteuerIdentifikationsnummer aus einem anderen EU-Mitgliedstaat auftritt, geht die Finanzverwaltung davon aus, dass die Lieferung an ihn nicht als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei sein kann. Damit schuldet der liefernde Unternehmer grundsätzlich deutsche Umsatzsteuer. Es ist jedoch weiterhin unklar, ob und wann ein Leistungsempfänger eine in entsprechenden Fällen berechnete deutsche Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend machen kann. Für Veranlagungszeiträume bis 31.12.2019 wurde in Betriebsprüfungen regelmäßig vertreten, dass Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis für innergemeinschaftliche Warenbewegungen, bei denen lediglich der Buchund Belegnachweis unvollständig war, den Tatbestand des § 14c Abs. 1 UStG erfüllten30 und daher nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten. Explizit wurde dies allerdings weder von der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung noch von der Finanzverwaltung so eindeutig gesehen. Im UStAE fand sich seit Ende 201531 lediglich folgende Passage: „Nicht vergütet werden Vorsteuerbeträge, die in Rechnungen über Ausfuhrlieferungen oder innergemeinschaftliche Lieferungen gesondert ausgewiesen werden, wenn feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 bis 3a UStG bzw. § 6a Abs. 1 und 2 UStG vorliegen. In diesen Fällen handelt es sich für die Beurteilung des Vergütungsanspruchs im Vorsteuer-Vergütungsverfahren um eine unrichtig ausgewiesene Steuer nach § 14c Abs. 1 UStG, die vom Leistungsempfänger nicht als Vorsteuer abgezogen (vgl. Abschnitt 14c.1 Abs. 1 Satz 5 Nr. 3 und Satz 6 sowie Abschnitt 15.2 Abs. 1 Sätze 1 und 2) und die demnach im Vorsteuer-Vergütungsverfahren nicht vergütet werden kann.“32

30 Vgl. auch Abschn. 14c.1 Abs. 1 Nr. 3 UStAE, der „steuerfreie Leistungen“ bei Abrechnung mit Steuerausweis unter § 14c Abs. 1 UStG subsumiert. 31 Vgl. BMF v. 16.2.2016 – III C 3 - S 7359/10/10003 – DOK 2016/0112341, BStBl. I 2016, 239. 32 Abschn. 18.11 Abs. 1a UStAE.

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Das Unionsrecht enthält in Art. 171 Abs. 3 MwStSystRL eine Regelung, der zufolge die Richtlinien 79/1072/EWG33 und 86/560/EWG34 nicht anzuwenden auf „Lieferungen von Gegenständen, die von der Steuer befreit sind oder gemäß Artikel 138 befreit werden können, wenn die gelieferten Gegenstände vom Erwerber oder für dessen Rechnung versandt oder befördert werden.“ Diese Norm bezieht sich nur auf die Vorsteuervergütung, nicht aber das Veranlagungsverfahren. Da es an einer expliziten Regelung für das Veranlagungsverfahren fehlt, spricht sehr viel dafür, dass der Vorsteuerabzug in diesem Verfahren zu gewähren ist. Hierzu passt, dass die zitierte Verwaltungsmeinung im UStAE sich ebenfalls nur auf Vergütungsfälle bezieht. Ab dem 1.1.2020 ist die Rechtslage insoweit eine andere, als dass die gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers nunmehr eine materiell-rechtliche Voraussetzung der Steuerfreiheit sein soll. Somit müsste eine fehlende Umsatzsteuer-Identifikationsnummer sicher zur Steuerpflicht führen. Der UStAE wurde jedoch nicht angepasst. Durch das JStG 2022 wurde die bisherige Verwaltungsmeinung in § 18 Abs. 9 UStG mit einem eher unglücklichen Wortlaut übernommen. Der Gesetzeswortlaut lautet nunmehr: „Von der Vergütung ausgeschlossen sind in Rechnung gestellte Steuerbeträge für Ausfuhrlieferungen, bei denen die Gegenstände vom Abnehmer oder einem von ihm beauftragten Dritten befördert oder versendet wurden, die nach § 4 Nummer 1 Buchstabe a in Verbindung mit § 6 steuerfrei sind, oder für innergemeinschaftliche Lieferungen, die nach § 4 Nummer 1 Buchstabe b in Verbindung mit § 6a steuerfrei sind oder in Bezug auf § 6a Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 steuerfrei sein können.“ Problematisch ist der letzte Satzteil, d.h. „steuerfrei sein können“. Dem nationalen Gesetzgeber ist kein Vorwurf zu machen, da er den Wortlaut aus dem Unionsrecht übernommen hat. Dennoch bleibt die Bedeutung unklar – eine Lieferung „kann“ bei bloßen Mängeln der Buch- und Belegnachweise bekanntlich steuerfrei sein, falls diese Mängel geheilt werden. Fraglich ist, ob diese Heilungsmöglichkeit vorrangig anzuwenden ist.

33 Sog. 8. Richtlinie, ersetzt durch Richtlinie 2008/9/EG, dort entsprechende Regelung in Art. 4 Buchst. b, interessanterweise behandelt der Buchst. a dieser Norm „fälschlich in Rechnung gestellte Mehrwertsteuerbeträge“. 34 Sog. 13. Richtlinie, weiter relevant für Vergütungsanträge aus Drittstaaten.

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Abschließend sei ergänzt, dass sich aus der Gesetzesbegründung35 ein durchaus valides Argument für eine unterschiedliche Behandlung von Vergütungsverfahren36 entnehmen lässt: werden für innergemeinschaftliche oder Ausfuhrlieferungen zunächst Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis gestellt, und diese Vorsteuer an den ausländischen Abnehmer vergütet, später aber die Voraussetzungen der Steuerfreiheit nachgeholt und die Steuerschuld des Lieferers berichtigt, so droht ein Kontrolldefizit in Bezug auf die eigentlich vom Abnehmer zurückzuzahlende Umsatzsteuer.

III. Reihengeschäfte – Entwurf eines BMF-Schreibens zur Neuregelung 1. Änderung der Rechtslage zum 1.1.2020 Reihengeschäfte sind im deutschen Umsatzsteuergesetz definiert als Umsatzgeschäfte (seit 1.1.2020: „Liefergeschäfte“37) mit mindestens drei Beteiligten, bei denen der Liefergegenstand unmittelbar vom ersten Lieferer zum letzten Abnehmer befördert oder versendet wird. Jede dieser Lieferungen ist umsatzsteuerlich eigenständig zu betrachten. Aus deutscher Sicht kann nur eine der Lieferungen als innergemeinschaftliche oder Ausfuhrlieferung steuerbefreit sein, nämlich jene Lieferung, der die Warenbewegung zuzuordnen ist.38 Unionsrechtlich gab es bis zum 31.12.2019 keine vergleichbare Regelung in der MwStSystRL. Der EuGH hatte in einer Vielzahl von Fällen39 entschieden, dass bei einem Reihengeschäft mit grenzüberschreitender Warenbewegung nur eine der Lieferungen als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei sein kann. Zur Ermittlung dieser Lieferung kam er zu dem – aus Unternehmenspraxis nutzlosen und für das Massengeschäft unbrauchbaren – 35 36 37 38

Vgl. JStG 2022, RegE, 126. Vgl. § 18 Abs. 9 UStG und §§ 59 ff. UStDV. Vgl. § 3 Abs. 6a Satz 1 UStG. Vgl. dazu Abschn. 3.14 Abs. 13 und 14 UStAE, ebenso EuGH v. 6.4.2006 – C-245/04, ECLI:EU:C:2006:232, UR 2006, 342 (EMAG Handel Eder), Slg. 2006, I-3227. 39 Vgl. u.a. EuGH v. 27.9.2012 – C-587/10, ECLI:EU:C:2012:592 (VSTR), UR 2012, 832; v. 26.7.2017 – C-386/16 (Toridas), MwStR 2017, 779; v. 21.2.2018 – C-628/16, ECLI:EU:C:2018:84 (Kreuzmayr), UR 2018, 282 = MwStR 2018, 308.

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Schluss, es sei eine umfassende Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Der BFH verarbeitete diese Rechtsprechung mehrmals40. Schriftliche Verwaltungsreaktionen erfolgten nicht und der Abschn. 3.14 UStAE blieb ebenso wie § 3 Abs. 6 und 7 UStG bis zum 31.12.2019 unverändert. In Reaktion auf die Kritik und den Wunsch, die Rechtssicherheit bei Reihengeschäften zu erhöhen, wurde mit Art. 36a MwStSystRL erstmals eine Vorschrift zur Bestimmung der bewegten Lieferung in Reihengeschäften im Unionsrecht eingeführt. Allerdings betrifft sie nur innergemeinschaftliche Warenbewegungen und nur solche, bei denen der mittlere Unternehmer („Zwischenhändler“) den Transport übernimmt. Es gilt im Grundsatz, dass die Lieferung an den Zwischenhändler die bewegte Lieferung ist, es sei denn, dieser verwendet eine UmsatzsteuerIdentifikationsnummer aus dem Abgangsmitgliedstaat. Der deutsche Gesetzgeber ging bei der Umsetzung sehr viel weiter.41 So regelte er zum 1.1.2020 anders als Art. 36a MwStSystRL für alle Fallkonstellationen die Zuordnung der Warenbewegung (also auch bei Transport durch den ersten Lieferer42 oder den letzten Abnehmer43). Weiterhin enthält § 3 Abs. 6a UStG zusätzlich im Unionsrecht nicht ausdrücklich enthaltene Vorschriften zur Zuordnung der Warenbewegung bei Transport durch den mittleren Unternehmer und Warenbewegung aus dem Drittlandsgebiet44 oder in das Drittlandsgebiet.45 Dabei wird für Ausfuhrreihengeschäfte analog zur Systematik für innergemeinschaftliche Reihengeschäfte den Zwischenhändler die Möglichkeit eingeräumt, durch Verwendung einer deutschen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder Steuernummer Empfänger einer ruhenden Inlandslieferung zu sein. Bei Warenbewegung aus dem Drittland in das Inland soll auf den zollrechtlichen Anmelder abgestellt werden. Der Abschnitt 3.14 UStAE blieb zunächst unverändert. Damit enthielt und enthält er zahlreiche leerlaufende Verweise wegen der neuen Struktur des § 3 UStG und es fehlen jegliche Aussagen zur Anwendung des neuen Rechts. 40 Vgl. u.a. BFH v. 25.2.2015 – XI R 30/13, BFHE 249, 336 = UR 2015, 402; v. 28.5.2013 – XI R 11/09, UR 2013, 756 = DStR 2013, 1597. 41 Vgl. dazu ausführlich Körner, StbJb. 2019/20, 677. 42 Vgl. § 3 Abs. 6a Satz 2 UStG. 43 Vgl. § 3 Abs. 6a Satz 3 UStG. 44 Vgl. § 3 Abs. 6a Satz 7 UStG. 45 Vgl. § 3 Abs. 6a Satz 6 UStG.

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2. Entwurf eines BMF-Schreibens aus 2022 Das BMF hat im Frühjahr 2022 den Entwurf eines Anwendungsschreibens zur Neuregelung vorgestellt. Ursprünglich hatte dieses Schreiben noch in 2022 final veröffentlicht werden sollen. Die Veröffentlichung in leicht abgewandelter Form erfolgte im April 2023.46 a) Kernelemente Neben der notwendigen umfassenden redaktionellen Überarbeitung der Verweise auf den geänderten § 3 UStG enthält der Entwurf eine Reihe erwähnenswerter Aussagen. Hinweise zur Zuordnung der Warenbewegung wegen der Beförderung oder Versendung durch einen der Beteiligten In Abschn. 3.14 Abs. 7 UStAE geht der Entwurf auf die Frage ein, wie die Transportverantwortlichkeit festzustellen ist. Hier soll es, wie bisher, grundsätzlich auf die Auftragserteilung an den selbständigen Beauftragten ankommen. Neu ist, dass das BMF alternativ akzeptiert, dass ein Unternehmer eine Beförderung bzw. Versendung auf Rechnung eines anderen Unternehmers in der Reihe ausführen kann. Dabei soll es darauf ankommen, dass dieser tatsächlich die Gefahr des zufälligen Untergangs des Gegenstands während des Transports getragen hat47. Diese Sichtweise entspricht jener der Europäischen Kommission.48 Umfangreiche Ausführungen zu reinen Inlandssachverhalten In einem neuen Abschn. 3.14 Abs. 9 UStAE nimmt der Entwurf umfassend und mit zwei Fallbeispielen zur Zuordnung der Warenbewegung bei einer Beförderung durch den Zwischenhändler in reinen Inlandssachverhalten Stellung. Der praktische Nutzen dieses Abschnitts bleibt dabei rätselhaft: bei einem reinen Inlandssachverhalt spielt es für die Umsatzsteuer als bundeseinheitlich erhobene Steuer überhaupt keine Rolle, welche der im Inland steuerbaren und steuerpflichtigen Lieferungen bewegt oder ruhend ist.

46 Vgl. BMF v. 25.4.2023 – III C 2 - S 7116-a/19/10001 :003 – DOK 2023/0380817, BStBl. I 2023, 778. 47 Vgl. Abschn. 3.14 Abs. 7 Satz 6 UStAE. 48 Vgl. Erläuterungen aus Dezember 2019, 3.6.5 und 3.6.6.

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Prätzler, Umsatzsteuerliche Fallstricke bei innergemeinschaftlichen Lieferungen

Für grenzüberschreitende Sachverhalte wiederum spielen die in Abs. 9 diskutierten Kriterien für die Lieferereigenschaft, wie Lieferkonditionen oder Kostenübernahmen des Transports, wegen der zwingenden Anknüpfung an verwendete (oder nicht verwendete) Steuernummer bzw. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder an Inhalte von zollrechtlichen Erklärungen überhaupt keine Rolle. Abweichende Zuordnung der Warenbewegung bei Transport durch den Zwischenhändler Bei innergemeinschaftlichen Reihengeschäften und Transport durch den Zwischenhändler verlangen sowohl das Unionsrecht als auch das UStG ein Auftreten des Zwischenhändlers unter einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aus dem Abgangsmitgliedstaat, damit die Lieferung des Zwischenhändlers als die bewegte Lieferung behandelt werden kann. Der Entwurf geht zunächst auf innergemeinschaftliche Reihengeschäfte ein und fordert ausdrücklich, dass diese Verwendung „bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung“ erfolgen muss.49 Spätere Änderungen sollen ohne Auswirkung auf die Zuordnung der Warenbewegung bleiben. Zusätzlich verweist das BMF im Entwurf für den Begriff der „Verwendung“ der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer auf die in Abschn. 3a.2 Abs. 10 Satz 2–6 UStAE enthaltenen Grundsätze. Dies bedeutet, dass zwar grundsätzlich der Zwischenhändler aktiv handeln muss („positives Tun“). Jedoch kann es ausreichen, bei der erstmaligen Erfassung der Stammdaten eines Leistungsempfängers auch die verwendete Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aufzuzeichnen, wie auch jede andere Form einer objektiv nachvollziehbaren Dokumentation. Negativ abgrenzend reicht eine im Briefkopf oder anderweitig formularmäßig eingedruckte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nicht aus. Der folgende Absatz des BMF-Entwurfs bezieht sich auf Reihengeschäfte mit Warenbewegung in das oder aus dem Drittlandsgebiet. Er enthält für die Verwendung einer Steuernummer oder Umsatzsteuer-Identifikationsnummer dieselben Grundsätze und Einschränkungen.50 Im Hinblick auf die zollrechtlichen Angaben bei der Einfuhr gehen die Ausführungen im BMF-Entwurf nicht über eine Wiedergabe des Geset-

49 Vgl. 3.14 Abs. 10 UStAE-E. 50 Vgl. 3.14 Abs. 11 UStAE-E.

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zeswortlauts hinaus. Allerdings ist kein Bedarf für weitergehende Erläuterungen erkennbar. Nichtbeanstandung bei abweichender Zuordnung der Warenbewegung Durchaus überraschend sieht der Entwurf vor, dass die Nichtbeanstandungsregelung des Abschn. 3.14 Abs. 19 UStAE beibehalten werden soll. Dieser Abschnitt regelt, dass Deutschland grundsätzlich bereit ist, eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats vorgenommene von der deutschen Auffassung abweichende Zuordnung einer Warenbewegung – und damit insbesondere der steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung – für Zwecke der deutschen Umsatzsteuer zu übernehmen. Man hätte erwartet, dass angesichts der nunmehr klareren Regelungen im Unionsrecht die Verwaltung diese Regelung für obsolet erklärt, aber aus Sicht der Unternehmen ist ihre Erhaltung begrüßenswert. Allerdings muss nach Erfahrungen der Vergangenheit ergänzt werden, dass es nur in Ausnahmefällen gelingt, diese Regelung erfolgreich anzuwenden, da die Finanzverwaltung in der Regel einen Nachweis der abweichenden Zuordnung nach dem ausländischen Recht verlangt. Dieser wiederum ist schwierig zu führen, denn meistens stellt sich heraus, dass die Zuordnung gerade nicht im nationalen Recht oder schriftlichen Verwaltungsanweisungen ausdrücklich abweichend erfolgt, sondern dies eher „gelebte Praxis“ ist. b) Kritische Betrachtung In weiten Teilen ist der Entwurf sinnvoll und brauchbar. Insbesondere wird er dazu beitragen, die Rechtssicherheit bei Reihengeschäften zu verbessern. Dennoch sind einige Aspekte diskussions- und kritikwürdig. Reine Inlandssachverhalte Die Ausführungen zu reinen Inlandsreihengeschäften sind überflüssig. Sie sind zwar technisch gesehen richtig, helfen aber keinem Unternehmen, Berater oder Finanzbeamten bei der Arbeit weiter. „Verwendung“ einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer Der Entwurf geht abermals von einer Verwendung als aktivem Handeln des Zwischenhändlers aus. Dies ist einerseits verständlich, da es der Verwaltungsmeinung zu innergemeinschaftlichen Lieferungen oder sonstigen Leistungen entspricht, andererseits können sich hieraus Um656

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setzungsprobleme ergeben. Andere EU-Staaten sind teilweise weniger streng in den Anforderungen. Auch die Europäische Kommission lässt es grundsätzlich für Zwecke des Art. 36a MwStSystRL ausreichen, wenn eine Rechnung an eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aus dem Abgangsmitgliedstaat ausgestellt und in dieser Rechnung entsprechend Mehrwertsteuer des Abgangsmitgliedstaats ausgewiesen wird.51 Die Europäische Kommission lässt ebenso Sammelverwendungen, einmalige Mitteilungen für alle zukünftigen Lieferungen oder jede Form der Mitteilung einschließlich E-Mail-Kommunikation genügen.52 Nachträgliche Verwendung von Steuernummern oder UmsatzsteuerIdentifikationsnummern Besonders kritisch ist die Ablehnung der nachträglichen Verwendung einer Steuernummer oder Umsatzsteuer-Identifikationsnummer durch den Zwischenhändler zu sehen. Das folgende Beispiel macht dies deutlich: Beispiel: Der deutsche Unternehmer D1 verkauft eine Ware an den deutschen Unternehmer D2. Dieser verkauft unmittelbar weiter an den spanischen Unternehmer ES1. Die Ware wird aus Deutschland nach Spanien transportiert. D2 beauftragt den Spediteur. Er gibt gegenüber D1 keine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer an. Rechtsfolgen: Unternehmer D1 bewirkt eine bewegte Lieferung an D2, die mangels ausländischer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer im Inland umsatzsteuerpflichtig ist. D2 muss sich in Spanien registrieren lassen und einen innergemeinschaftlichen Erwerb anmelden. Seine Anschlusslieferung fällt unter die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach dem spanischen Recht. Die deutsche Finanzverwaltung versagt ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit53 den Vorsteuerabzug aus der Rechnung des D1. Hätte D2 dagegen unmittelbar seine deutsche Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet, wäre die Lieferung des D1 ruhend im Inland gewesen, somit ebenfalls umsatzsteuerpflichtig, aber mit sicherem Vorsteuerabzug des D2. Die Anschlusslieferung des D2 wäre eine bewegte innergemeinschaftliche Lieferung aus Deutschland nach Spanien gewesen. Eine spanische Umsatzsteuerregistrierung des D2 wäre nicht notwendig.

51 Vgl. Erläuterungen aus Dezember 2019, 3.6.2012. 52 Vgl. Erläuterungen aus Dezember 2019, 3.6.2011. 53 Vgl. dazu Abschnitt II.1. dieses Beitrags.

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Betrachtet man dieses Beispiel, entsteht ein erhebliches Störgefühl, wenn man dem D2 die nachträgliche Verwendung der deutschen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer versagt. Die Europäische Kommission will eine nachträgliche Verwendung jedenfalls bei Vorliegen eines Fehlers zulassen. Jedoch beziehen sich ihre Ausführungen explizit nur auf den umgekehrten Fall, d.h. die fehlende Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aus einem anderen Mitgliedstaat als dem Abgangsland.54 Außerdem hat der EuGH zwischenzeitlich entschieden, dass innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte nicht mit Rückwirkung herbeigeführt werden können, wenn in der Rechnung des mittleren Unternehmers der Hinweis auf die Steuerschuldnerschaft des letzten Abnehmers55 fehlt.56 Dieses unter Neutralitätsaspekten wenig befriedigende Urteil könnte die seitens des BMF vertretene Rechtsauffassung stützen.

IV. Abschlussbemerkung Die Änderungen der Verwaltungsmeinung und des Gesetzeswortlauts im Hinblick auf die Berichtigung von Angaben in den Zusammenfassenden Meldungen bezogen auf die Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen trägt den Bedürfnissen der Unternehmen Rechnung. Sie hilft, eine systemwidrige Besteuerung zu verhindern. Besonders positiv ist die Klärung der Thematik der unterlassenen ZM-Abgabe. Dennoch bleiben bei innergemeinschaftlichen Lieferungen Anwendungsprobleme bestehen. Diese sind nur teilweise einzelstaatlich in Deutschland begründet und lösbar. Vielmehr besteht auch unionsrechtlich Klärungsbedarf.

54 Vgl. Erläuterungen aus Dezember 2019, 3.6.2014. 55 Vgl. § 25b Abs. 2 Nr. 3 UStG und Art. 226 Nr. 11a MwStSystRL. 56 Vgl. EuGH v. 8.12.2022 – C-247/21 (Luxury Trust Automobil), ECLI:EU:C: 2022:966, UR 2023, 83.

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Hochaktuelles aus der Rechtsprechung zum Umsatzsteuerrecht Dr. Mirko Wolfgang Brill Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Köln/München Mathias Szabó Dipl.-Finanzwirt, Düsseldorf 1 I. Einführung II. (Nicht-)Teilbarkeit von umsatzsteuerlichen Leistungen 1. EuGH „Stadion Amsterdam“ 2. EuGH-Vorlage des BFH „Betriebsvorrichtungen“ 3. Aktueller Streitfall vor dem BFH „Hotels“ 4. AdV-Entscheidung des BFH 5. Einordnung in den umsatzsteuerlichen Gesamtzusammenhang 6. Auswirkungen für die Praxis III. Abhängigkeit des Vorsteuerabzuges von der Steuerentstehung 1. Zum Hintergrund 2. Der Streitfall 3. Die Vorlagefragen des FG Hamburg 4. Die Entscheidung des EuGH 5. Einordnung in den umsatzsteuerlichen Gesamtzusammenhang 6. Zum Hintergrund IV. Pfand als Entgelt von Dritter Seite? 1. Zum Hintergrund 2. Der Urteilsfall 3. Die Lösung des BFH

4. Einordnung in den umsatzsteuerlichen Gesamtzusammenhang 5. Auswirkungen für die Praxis V. Umsatzsteuerbefreiung für Kostenteilungsgemeinschaften 1. Zum Hintergrund 2. Übersicht über die Norm 3. Klarstellungen durch das BMF-Schreiben 4. Verbleibende offene Fragen 5. Einschätzungen zur Praxis VI. Die umsatzsteuerliche Organschaft 1. Zum Hintergrund 2. Fragen der jüngeren Vergangenheit 3. Die aktuellste EuGH-Rechtsprechung 4. Konsequenzen für die Praxis VII. Zuordnungsentscheidung von Gegenständen zum Unternehmen 1. Zum Hintergrund 2. Die beiden Urteilsfälle 3. Die Urteilsgründe 4. Beurteilung für die Praxis VIII. Fazit

1 Der Beitrag wurde nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst.

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I. Einführung Auch im Jahr 2022 haben sich grundlegende Entscheidungen von BFH und EuGH ergeben und die Verwaltung hat einige teilweise bereits länger erwartete BMF-Schreiben veröffentlicht. Der folgende Beitrag stellt die wesentlichen Elemente dieser Urteile und neuen Verwaltungsauffassungen vor und ordnet sie in den rechtlichen Gesamtzusammenhang ein. Zudem wird im Beitrag ein Ausblick gegeben, wo – insbesondere vor dem Hintergrund der Ende 2022 ergangenen EuGH-Rechtsprechung – die Zukunft der umsatzsteuerlichen Organschaft liegen könnte.

II. (Nicht-)Teilbarkeit von umsatzsteuerlichen Leistungen 1. EuGH „Stadion Amsterdam“ Eine Gesellschaft, die das Fußballstadion Amsterdam mit den dazugehörigen Einrichtungen und ein Fußballmuseum betreibt, begehrte für entgeltliche Besichtigungstouren aus einem geführten Stadionrundgang sowie einem nicht geführten Besuch des Fußballmuseums insgesamt den ermäßigten Steuersatz für kulturelle Dienstleistungen. Bei den Touren gelangen die Teilnehmer in Begleitung eines Führers auf die Tribüne, das Fußballfeld und in den Presse- und Regieraum. Am Ende des geführten Rundgangs hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, auf eigene Faust das Museum des AFC Ajax zu besuchen. Es war nicht möglich, dieses Museum zu besuchen, ohne an dem geführten Stadionrundgang teilzunehmen. Hierzu entschied der EuGH,2 dass eine einheitliche Leistung, die aus einem Haupt- und einem Nebenbestandteil besteht, für die bei getrennter Erbringung unterschiedliche Mehrwertsteuersätze gälten, nur zu dem für diese einheitliche Leistung geltenden Mehrwertsteuersatz zu besteuern ist, der sich nach dem Hauptbestandteil richtet. Dies gilt auch dann, wenn der Preis jedes Bestandteils, der in den vom Verbraucher für die Inanspruchnahme dieser Leistung gezahlten Gesamtpreis einfließt, bestimmt werden kann. Diese Grundsatzentscheidung des EuGH zieht nunmehr immer weitere Kreise und führt in vielen Fällen zur Verunsicherung. Fraglich ist, ob der 2 EuGH v. 18.1.2018 – C-463/16, ECLI:EU:C:2018:22 (Stadion Amsterdam), UR 2018, 200.

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vom EuGH aufgestellte Grundsatz, dass eine einheitliche Leistung stets einem einheitlichen Steuersatz unterliegt, durch gesetzgeberische Maßnahmen (z.B. das Aufteilungsgebot des § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG) durchbrochen werden kann.

2. EuGH-Vorlage des BFH „Betriebsvorrichtungen“ Im Streitfall verpachtete die Klägerin in den Jahren 2010–2014 Stallgebäude zur Aufzucht von Puten. In dem Gebäude waren Vorrichtungen und Maschinen, die speziell auf die Nutzung abgestimmt waren, für eine dauerhafte Nutzung eingebaut und ausdrücklicher Gegenstand der vertraglichen Beziehung. Die Betriebsvorrichtungen dienten der optimalen Versorgung mit Fütterungsmitteln, der Herstellung des erforderlichen Stallklimas sowie Ausleuchtung. Der Klägerin ging davon aus, dass die Vermietung des Gebäudes und der Betriebsvorrichtungen als einheitliche Leistung insgesamt steuerfrei sei. Das Finanzamt sah hingegen 20% des Entgelts als auf die Betriebsvorrichtungen entfallend an und behandelte dieses umsatzsteuerpflichtig. Der BFH legt – insbesondere vor dem Hintergrund des Urteils „Stadion Amsterdam“ (vgl. 1.) zur einheitlichen Besteuerung von einheitlichen Leistungen – dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob d die Steuerpflicht von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen gemäß Art. 135 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL [§ 4 Nr. 12 Satz 2 UStG] nur die isolierte (eigenständige) Vermietung derartiger Vorrichtungen und Maschinen umfasst oder auch die Vermietung (Verpachtung) derartiger Vorrichtungen und Maschinen, die aufgrund einer zwischen denselben Parteien erfolgenden Gebäudeverpachtung (und als Nebenleistung zu dieser) nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL [§ 4 Nr. 12 Satz 1 UStG] steuerfrei ist.3 Der BFH ist der Auffassung, dass die Gebäudeverpachtung nicht der Umsatzsteuer unterliegt, da dieses ein in das Erdreich eingelassene Konstruktion darstellt und weder leicht demontiert noch versetzt werden kann.4 Auch ist die Überlassung der Betriebsvorrichtungen nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL steuerfrei, da die Überlassung von für den Betrieb erforderlichen Sachanlagen und Inventargegenständen zusam3 BFH v. 26.5.2021 – V R 22/20, ECLI:DE:BFH:2021:VE.260521.VR22.20.0, UR 2021, 707. 4 EuGH v. 16.1.2003 – C-315/00, ECLI:EU:C:2003:23, UR 2003, 86 = UR 2003, 189 m. Anm. Grünwald/Pogodda (Maierhofer), Rz. 30 ff., 40, UVR 2003, 206.

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men mit der Grundstücksvermietung eine einheitliche Leistung darstellt, wobei das Grundstücksüberlassung die Hauptleistung ist. Eine Trennung darf nicht möglich sein.5 Diese Auslegung wird durch den inzwischen in Kraft getretenen Art. 13b Buchst. d MwStDVO bestätigt, wonach „Sachen, Ausstattungsgegenstände oder Maschinen, die auf Dauer in einem Gebäude installiert sind und nicht bewegt werden können, ohne dieses zu verändern“ als Grundstücke gelten. Weiterhin unterstützt wird diese Sichtweise durch die zivilrechtliche Einordnung als wesentliche Grundstücksbestandteile,6 auch wenn dem nationalen Zivilrecht im Hinblick auf die autonom-unionsrechtliche Auslegung des Grundstücksbegriffs keine Bindungswirkung zukommt. Insbesondere der Vergleich mit dem PKW-Stellplatz bei einer Wohnungsvermietung7 zeigt die Notwendigkeit des Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH auf. Es erscheint nur schwerlich zu rechtfertigen, aus welchem Grund einerseits eine einheitliche Leistung vorliegen soll, andererseits eine Trennung von Überlassung des Grundstücks bzw. Gebäude und der Betriebsvorrichtung vorgenommen wird. Vielfach wird für eine bestimmungsgemäße Nutzung des Grundstücks die Betriebsvorrichtung noch eine wesentlichere Bedeutung als ein PKW-Stellplatz haben. Daher kann das Urteil mit Spannung erwartet werden. Sieht der EuGH eine einheitliche Leistung, könnte eine Steuerpflicht von Betriebsvorrichtungen nur erhalten bleiben, wenn nicht ohnehin schon geschehen, indem nach § 9 UStG auf die Steuerbefreiung verzichtet wird. Ansonsten profitieren Unternehmer ohne Möglichkeit des Vorsteuerabzugs, wie z.B. – vermutlich wie auch im vorliegenden Fall – die Pauschalversteuerung nach § 24 UStG8 anwendende Unternehmer. Entsprechende Fälle sollten daher offengehalten werden. Der EuGH hat mit dieser Vorlage die Möglichkeit, seine Rechtsprechung zu Aufteilungsgeboten weiter zu präzisieren. Demzufolge sollten

5 EuGH v. 19.12.2018 – C-17/18, UR 2019, 97 (Mailat), Rz. 39, 41, MwStR 2019, 317. 6 BFH v. 14.7.2010 – XI R 9/09, Rz. 22 f., UR 2011, 63 DStR 2010, 2240. 7 BFH v. 10.12.2020 – V R 41/19, BFH v. 16.6.2020 – VIII R 4/20, ECLI:DE:BFH: 2020:U.160620.VIIIR4.20.0, BFH/NV 2021, 94; EuGH v. 13.7.1989 – C-173/88, ECLI:EU:C:1989:329, UR 1990, 273 = UR 1991, 42 (Henriksen), Rz. 17, UVR 1989, 336. 8 Hierbei sei auf die zum 1.1.2022 wesentlich eingeschränkte Anwendung des § 24 UStG hingewiesen, so dass sich ein Nutzen für diese Fallgestaltungen aufgrund der Steuerpflicht in der Zukunft wohl nicht ergeben wird.

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auch Fälle, die nicht die Steuerpflicht von Betriebsvorrichtungen betreffen, offengehalten werden, um von den möglichen neuen Erkenntnissen auch in anderen Themenfeldern zu profitieren.

3. Aktueller Streitfall vor dem BFH „Hotels“ Im Streitfall betrieb die Antragstellerin, eine GmbH, ein Hotel und Restaurant. Alle Hotelgäste erhielten zur Übernachtung auch ein Frühstück sowie Zugang zur hoteleigenen Badelandschaft (Spa). Strittig war, ob die Leistungen insgesamt als einheitliche Leistungen dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Das Finanzamt lehnte die beantragte Aussetzung der Vollziehung der strittigen Beträge unter Hinweis auf das durch die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG normierte Aufteilungsgebot ab.

4. AdV-Entscheidung des BFH In der Vergangenheit hatte der BFH noch die unterschiedliche Besteuerung von Hotelübernachtungen einerseits und der damit verbundenen Leistungen andererseits unter Berufung auf die EuGH-Rechtsprechung für unionsrechtskonform erklärt.9 Der BFH entschied nunmehr, dass es ernstlich zweifelhaft sei, ob das in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG im nationalen Recht angeordnete Aufteilungsgebot für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, mit Unionsrecht vereinbar ist, und gewährte die beantragte AdV der Beträge.10

5. Einordnung in den umsatzsteuerlichen Gesamtzusammenhang Nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7% für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, sowie die kurzfristige Vermietung von Campingflächen. Dies gilt nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.

9 BFH v. 24.4.2013 – XI R 3/11, BStBl. II 2014, 86, zu Frühstücksleistungen; v. 1.3.2016 – XI R 11/14, BStBl. II 2016, 753 zu Parkplatzumsätzen. 10 BFH v. 7.3.2022 – XI B 2/21 (AdV), UR 2022, 463.

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Die Vorschrift wurde mit Wirkung vom 1.1.2010 neu in das UStG eingefügt. Nach der Gesetzesbegründung wurde hierdurch von der Option in Art. 98 Unterabs. 1 i.V.m. Anhang III Kategorie 12 MwStSystRL Gebrauch gemacht. In Anhang III Kategorie 12 MwStSystRL heißt es: „Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen, einschließlich der Beherbergung in Ferienunterkünften, und Vermietung von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen von Wohnwagen“. Zu beachten ist auch, dass die aufgrund der Corona-Pandemie befristete Mehrwertsteuersenkung auf Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen auch entsprechende Frühstücksleistungen der Hotels betrifft, die seitdem aus diesem Grund (ohne Getränke) auch dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Grundsätzlich lief diese Maßnahme zum 31.12.2022 aus. Durch das „Achte Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen“ wurde die Steuerermäßigung bis zum 31.12.2023 verlängert.

6. Auswirkungen für die Praxis Frühstücksleistungen gehören zu den Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen und deshalb von der Steuersatzermäßigung ausgenommen sind. Dies gilt nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH auch, soweit diese weiteren Leistungen als Nebenleistungen zu der ermäßigt zu besteuernden Übernachtungsleistung, der Hauptleistung, erbracht werden; auch insoweit normiert § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG ein durch den BFH bisher als unionsrechtskonform angesehenes Aufteilungsgebot. Es ist nach Ansicht des BFH inzwischen jedoch fraglich, ob an dieser Rechtsprechung des Senats nach Ergehen des EuGH-Urteils Stadion Amsterdam festzuhalten ist. Der EuGH hatte hierin entschieden, dass eine einheitliche Leistung, die aus zwei separaten Bestandteilen besteht, für die bei getrennter Erbringung unterschiedliche Mehrwertsteuersätze gälten, nur zu dem für diese einheitliche Leistung geltenden Mehrwertsteuersatz zu besteuern ist, der sich nach dem Hauptbestandteil richtet. Hieraus könnte für das gesetzliche Aufteilungsgebot in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG folgen, dass bei unselbständigen Nebenleistungen die gesamte einheitliche Leistung dem ermäßigten Steuersatz der Hauptleistung „Übernachtung“ zu unterwerfen ist. Die sich aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung ergebende Rechtsfolge, dass die unselbständige Nebenleistung stets das Schicksal der Hauptleistung

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zu teilen hat, könnte insoweit das Aufteilungsgebot aus § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG verdrängen. Die veröffentlichte Rechtsprechung der FG geht ebenso wie das FG Nürnberg in der Vorentscheidung davon aus, dass das Aufteilungsgebot i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG auch unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils Stadion Amsterdam den unionsrechtlichen Vorgaben genüge. Dagegen wird im Schrifttum teilweise die Auffassung vertreten, dass auch Nebenleistungen zu Übernachtungsleistungen im Hotelgewerbe an der Steuerermäßigung teilhaben müssten, und teilweise, dass dem gesetzlichen Aufteilungsgebot auch nach dem EuGH-Urteil Vorrang gegenüber den aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung resultierenden Rechtsfolgen einzuräumen sei, weil damit zum allgemeinen Grundsatz der gesonderten Betrachtung jeder einzelnen Leistung zurückgekehrt werde. Nach Auffassung des BFH bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nunmehr, nachdem der V. Senat des BFH den EuGH um Vorabentscheidung dazu ersucht hat, ob das nationale Aufteilungsgebot des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG zur Umsatzsteuerpflicht der Mitvermietung von Betriebsvorrichtungen mit Unionsrecht vereinbar ist (vgl. unter 2.). Die vom EuGH in diesem Vorabentscheidungsersuchen heranzuziehenden Grundsätze könnten auf die den Streitfall betreffende Frage zu übertragen sein. Angesichts dieser ungeklärten und auch in der Literatur umstrittenen Rechtslage gewährte der BFH durch Beschluss die beantragte AdV. Entsprechende Fälle sollten aufgrund der ungeklärten Rechtslage offengehalten werden. Zu beachten ist jedoch, dass eine nach der aktuellen Rechtslage erfolgte Rechnungsstellung seitens der Hotelbetreiber (d.h. anteilig 7%, anteilig 19%) bei rückwirkender Anwendung einer derartigen Rechtsprechung eine Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 1 UStG nach sich ziehen würde.

III. Abhängigkeit des Vorsteuerabzuges von der Steuerentstehung 1. Zum Hintergrund Nach nationalem Recht hat die Vorschrift der Istbesteuerung in § 20 UStG keine Auswirkungen auf den Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs des

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Leistungsempfängers. Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht stets, wenn die Lieferung oder sonstige Leistung ausgeführt worden ist. Die MwStSystRL sieht folgende Regelungen vor: –

Artikel 167: Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.



Artikel 167a: Die Mitgliedstaaten können im Rahmen einer fakultativen Regelung vorsehen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug eines Steuerpflichtigen, bei dem ausschließlich ein Steueranspruch gemäß Artikel 66 Buchstabe b [Istversteuerung] eintritt, erst dann ausgeübt werden darf, wenn der entsprechende Lieferer oder Dienstleistungserbringer die Mehrwertsteuer auf die dem Steuerpflichtigen gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen erhalten hat.

2. Der Streitfall Vorliegend streiten die Beteiligten darum, ob der Vorsteuerabzugsanspruch des Leistungsempfängers bereits mit der Ausführung der Leistung oder erst mit der Entrichtung des Entgelts entsteht, wenn der Leistungserbringer die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten berechnet (Istversteuerer): Im Streitfall erzielte die Klägerin Umsätze mit der Vermietung eines Gewerbegrundstücks, das sie ihrerseits gemietet hatte. Sowohl die Klägerin als auch ihre Vermieterin hatten wirksam zur Umsatzsteuer optiert. Beiden war die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten gestattet. Ab dem Jahr 2004 wurden die Mietzahlungen der Klägerin teilweise gestundet, so dass die Klägerin in den Streitjahren 2013–2016 Zahlungen für die Grundstücksüberlassung in den Jahren 2009–2012 leistete. Sie machte ihren Vorsteuerabzugsanspruch immer in dem Voranmeldezeitraum bzw. Kalenderjahr geltend, in dem die Zahlung erfolgte. Nach Auffassung des Finanzamts war der Vorsteuerabzug bereits mit der Ausführung des Umsatzes entstanden und hätte daher jeweils für den entsprechenden Zeitraum geltend gemacht werden müssen, der nunmehr jedoch teilweise verjährt war.

3. Die Vorlagefragen des FG Hamburg Das FG Hamburg legte daraufhin dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor: 1. Steht Art. 167 MwStSysRL einer nationalen Regelung entgegen, nach der das Recht zum Vorsteuerabzug auch dann bereits im Zeit666

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punkt der Ausführung des Umsatzes entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Leistenden nach nationalem Recht erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht? 2. Für den Fall, dass Frage 1 verneint wird: Steht Art. 167 MwStSystRL der nationalen Regelung entgegen, wonach das Recht zum Vorsteuerabzug nicht für den Besteuerungszeitraum geltend gemacht werden kann, in dem das Entgelt bezahlt worden ist, wenn der Steueranspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht, die Leistung bereits in einem früheren Besteuerungszeitraum erbracht worden ist und eine Geltendmachung des Vorsteueranspruchs für diesen früheren Steuerzeitraum nach nationalem Recht wegen Verjährung nicht mehr möglich ist?

4. Die Entscheidung des EuGH Der EuGH entschied, dass Art. 167 MwStSystRL der nationalen Regelung entgegensteht, nach der das Recht auf Vorsteuerabzug bereits im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer nach einer nationalen Abweichung erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht und dieses noch nicht gezahlt worden ist. Die Klägerin war somit tatsächlich erst im Zeitpunkt der Zahlung und damit in den Streitjahren zum Vorsteuerabzug berechtigt. Für den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers nach nationalem Recht ist es unerheblich, ob er selbst nach vereinbarten oder nach vereinnahmten Entgelten besteuert wird. Der deutsche Gesetzgeber hat von der in Art. 167a MwStSystRL vorgesehenen Möglichkeit, den Vorsteuerabzug bei Ist-Versteuerern von der Entrichtung des Entgelts abhängig zu machen, keinen Gebrauch gemacht. Das Finanzgericht Hamburg sieht systematische Gründe, die dafür sprechen, dass es sich bei Art. 167 MwStSystRL, wonach der Vorsteueranspruch des Leistungsempfängers erst entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht, nicht um eine strikte Vorgabe, sondern um eine Leitidee handelt, von der die Mitgliedstaaten abweichen können. In diesem Fall wäre die Rechtslage nach nationalem Recht mit Art. 167 MwStSystRL vereinbar. Der EuGH folgt diesem Gedanken jedoch nicht. Die unionsrechtliche Regelung von Art. 167 MwStSystRL sei unzweideutig und stelle die all667

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gemeine Regel auf, dass das Recht des Erwerbers oder Dienstleistungsempfängers auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer auf die entsprechende abziehbare Steuer entsteht. Um die Regelungen der Istversteuerung und des Vorsteuerabzugs miteinander in Einklang zu bringen, muss somit in Fällen, in denen der Steueranspruch erst bei der Vereinnahmung des Preises entsteht (Istversteueung), auch das Recht auf Vorsteuerabzug zu diesem Zeitpunkt der Vereinnahmung des Preises entstehen. Der Steuerpflichtige kann das Recht auf Vorsteuerabzug nämlich erlangen, sobald der Steueranspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer entsteht. Hiermit sei auch dem Neutralitätsgrundsatz genügt.

5. Einordnung in den umsatzsteuerlichen Gesamtzusammenhang Zur Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung sind jedoch gesetzliche Änderungen notwendig: Die Rechnungsangaben in § 14 Abs. 4 UStG bedürfen einer Ergänzung. Entsprechend Art. 226 Nr. 7a MwStSystRL ist die Angabe „Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten“ bereits bisher zwingend. Diese Rechnungsangabe müsste auch auf Kleinbetragsrechnungen (§§ 33, 34 UStDV) enthalten sein. In § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG ist es erforderlich erforderlich, die Rechtsänderung zur Abhängigkeit des Vorsteuerabzuges von der Steuerentstehung eindeutig darstellen (z.B. „… die entstandene und gesetzlich geschuldete Steuer …“). Die Fallgestaltung, dass der leistende Unternehmer (Istversteuerer) die erforderliche Rechnungsangabe unterlässt und damit der Leistungsempfänger (unwissentlich) den Vorsteuerabzug bereits bei Rechnungserhalt und nicht erst bei Zahlung vornimmt, muss ebenfalls betrachtet werden. Hierzu böte sich ggf. ein neuer Bußgeldtatbestand für die Erstellung einer Rechnung mit fehlenden oder unzutreffenden Angaben an (analog zur nicht bzw. nicht rechtzeitigen Erstellung einer Rechnung nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 UStG).

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6. Zum Hintergrund Aus der Entscheidung des EuGH ergeben sich weitreichende Konsequenzen für sämtliche Unternehmen, die (auch) Leistungen von Istversteuerern beziehen. Diese haben in Zukunft zu differenzieren, ob der Vorsteuerabzug bereits bei Erhalt der Rechnung (Leistung eines Sollversteuerers) oder erst bei Zahlung (Leistung eines Istversteuerers) vorgenommen werden kann. Die bisherige Verwaltungsauffassung in Kombination mit der aktuellen gesetzlichen Regelung bilden ein Gerüst des Vertrauensschutzes auf die bisherige Handhabung bis zu einer derartigen gesetzlichen Änderung, für die es auch einer langfristigen Übergangsregelung bedarf, um den Unternehmen Zeit zu geben, die nunmehr notwendige Differenzierung in ihren IT-Systemen zu implementieren.

IV. Pfand als Entgelt von Dritter Seite? 1. Zum Hintergrund Der Umsatzsteuer unterliegen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG entgeltliche Leistungen mit einem Rechtsverhältnis zwischen Leistendem und Leistungsempfänger, das darauf gerichtet ist, eine Leistung zu empfangen und daraufhin eine Vergütung als Gegenwert zu leisten. Diese müssen in einem unmittelbaren Zusammenhang zueinanderstehen und es muss zu einem Verbrauch im Sinne des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führen. Maßgeblich sind allein die vom Unionsrecht geprägten Maßstäbe, wobei das nationale Zivilrecht nicht zu berücksichtigen ist. Daher stellen Entschädigungen oder Schadenersatzzahlungen kein Entgelt für eine Leistung dar, da die Zahlung nicht auf den Erhalt eines Vorteils gerichtet ist, sondern weil der Zahlende gesetzlich oder vertraglich für einen Schaden einzustehen hat.

2. Der Urteilsfall Im Streitfall entwickelte und vertrieb der Unternehmer (B) bargeldlose Zahlungssysteme im Soft- und Hardwarebereich. Dazu wurden den Besuchern von Stadien elektronische Zahlungskarten (E-Karten) zur bargeldlosen Zahlung von Speisen und Getränken in den Stadien überlassen. Die AGB regelten die Nutzung der Karten im Detail, die u.a. vorsahen, dass die E-Karten mit Geld aufgeladen werden konnten und bei den Akzeptanzstellen damit bargeldlos bezahlten werden kann. Bei der erstmaligen Ausgabe ist ein Kartenpfand von 2 t zu hinterlegen. Der Stadion669

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betreiber und Caterer zahlten Provisionen an B, die u.a. von der Größe des Stadions und den Besucherzahlen abhängig waren. Der Service umfasste auch, dass B die Kartenlesegeräte bereitstellte und mit eigenem Personal den Vertrieb bzw. das Aufladen der E-Karten organisierte. Die Provisionen unterwarf B der Umsatzsteuer, das Kartenpfand sah sie als umsatzsteuerfrei an. Das Finanzamt besteuerte nach einer Außenprüfung das Kartenpfand als umsatzsteuerpflichtige Leistung, nach dem die zweijährige Umtauschfrist abgelaufen war und erhöhte die Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG um das nicht eingelöste Kartenpfand. Einspruch und Klage blieben erfolglos.11

3. Die Lösung des BFH Der BFH12 entschied, dass es sich bei dem im Rahmen eines bargeldlosen Zahlungssystems für die Überlassung elektronischer Zahlungskarten in Stadien erhobenen Kartenpfand nicht um pauschalierten (durch die Kartenrückgabe auflösen bedingten) Schadenersatz handelt, sondern um eine steuerbare sonstige Leistung, die nach § 4 Nr. 8 Buchst. d UStG als Umsatz im Zahlungs- und Überweisungsverkehr steuerfrei ist, wenn der leistende Unternehmer selbst die Übertragung von Geldern vornimmt.

4. Einordnung in den umsatzsteuerlichen Gesamtzusammenhang Zwischen B und dem Stadionbesucher kann es entsprechend den AGB zu einem Nutzungsvertrag über die E-Karte, auf dessen Grundlage es zu einem Rechtsverhältnis kam, in dessen Rahmen B dem Besucher eine E-Karte überlassen und der Nutzer Zugang zum bargeldlosen Bezahlsystem hatte. Der Karteninhaber konnte über das aufgeladene Guthaben mit Ausnahme des Pfandbetrags verfügen und konnte zudem verlangen, dass nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der E-Karte (Rücktauschfrist von zwei Jahren) das nicht verbrauchte Guthaben wieder ausgezahlt wurde. Soweit in der Regel auf die die Erhebung des Pfands nicht verzichtet wurde, hatte der Inhaber bei der Rückgabe der Karte einen Anspruch auf den Pfandbetrag. 11 FG Hamburg v. 7.2.2017 – 2 K 14/16, UR 2017, 714 = EFG 2017, 783. 12 BFH v. 26.1.2022 – XI R 19/19 (XI R 12/17), BStBl. II 2022, 582 = UR 2022, 538 m. Anm. Jacobs.

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Der Pfandbetrag steht damit in unmittelbarem Zusammenhang mit der E-Karte und ist für die Inanspruchnahme des Zahlsystems unabdingbar. Er stellt den tatsächlichen Gegenwert für die Überlassung der E-Karte dar und ist für den Karteninhaber mit einem verbrauchsfähigen Vorteil verbunden. Damit handelt es sich bei den verbleibenden Pfandbeträgen nicht um einen echten Schadenersatz, sondern um ein bei der Ausgabe der E-Karten zur Teilnahme erzielten Entgelt. Zudem mangelt es an dem schädigenden Ereignis. Die Überlassung der Karte gegen das Pfand ist keine selbständige Leistung, sie ist so eng mit der bargeldlosen Zahlung verbunden, dass ein objektiv unzertrennbarer wirtschaftlicher Vorgang mit Dienstleistung „Zahlsystem“ besteht.13 Das FG hat bei seiner Würdigung nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Karteninhaber ausschließlich an der bargeldlosen Zahlung interessiert waren. Der Erwerb einer E-Karte stand nicht im Mittelpunkt der Interessen, sondern war lediglich Mittel zur Teilnahme an dem Zahlungssystem. Damit war der Erwerb der Karte untrennbar mit der sonstigen Leistung verknüpft, die nach § 4 Nr. 8 Buchst. d UStG steuerbefreit ist. Zweck der Befreiung von Finanzgeschäften ist, Schwierigkeiten mit der Bestimmung der Gegenleistung sowie Höhe der abzugsfähigen Mehrwertsteuer zu beseitigen.14 Die Erbringung von Finanzumsätzen setzt die Eigenschaft, eine Bank oder Finanzinstitut zu sein, nicht voraus. Entscheidend ist die Natur der Dienstleistung.15 Diese muss darin bestehen, dass Gelder übertragen sowie rechtliche und finanzielle Änderungen herbeigeführt werden.16 Im Streitfall bestand die Leistung des B auch in der Zusage, dass vom Kartenutzer aufgeladene Kartenguthaben zur Tilgung der Kaufpreisforderung auszureichen. Dieser Vorgang führt unmittelbar zu einer rechtlichen und finanziellen Änderung beim Karteninhaber, so dass die Umsätze steuerfrei sind. Auf damit einhergehende administrative, organisatorische und technische verbundene Dienstleistungen kommt es nicht an.

13 Vgl. EuGH v 15.5.2019 – C-235/18, UR 2019, 461 (International Car Transport and Logistic), Rz. 41, DStR 2019, 1082. 14 BFH v. 16.11.2016 – XI R 35/14, Rz. 22, UR 2017, 194 m. Anm. Jacobs. 15 BFH v. 16.11.2016 – XI R 35/14, Rz. 23, UR 2017, 194 m. Anm. Jacobs. 16 BFH v. 10.12.2020 – V R 4/19, Rz. 15, UR 2021, 413 m. Anm. Jacobs.

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5. Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung zeigt – wieder einmal – die Schwierigkeiten der Abgrenzung von einheitlicher Leistung, Haupt- und Nebenleistung und selbständigen Leistungen, die für die umsatzsteuerliche Einordnung und das Ergebnis aber ganz wesentlich sind. So hatte das FG noch selbständige Leistungen angenommen, die folgerichtig zu einer Steuerpflicht des Pfands geführt hatten, während der BFH bei einer einheitlichen Leistung den Umsatz von der Steuer befreit. Angesichts der Unbestimmtheit ist es stets ratsam, nach entschiedenen vergleichbaren Fällen zu suchen, um Argumente für die eine oder andere Sichtweise zu gewinnen und ggf. noch gestalterisch eingreifen zu können. Auch der Sachverhaltsermittlung und -darstellung im gerichtlichen Verfahren kommt hier eine große Bedeutung zu.

V. Umsatzsteuerbefreiung für Kostenteilungsgemeinschaften 1. Zum Hintergrund Zum 1.1.2020 wurde durch das JStG 2019 die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 29 UStG eingeführt, die unter bestimmten Bedingungen Dienstleistungen von Personenzusammenschlüssen (sog. Kostenteilungsgemeinschaften) an deren Mitglieder vorsieht. Eine entsprechende Steuerbefreiung bestand bis zum 31.12.2019 in § 4 Nr. 14 Buchst. d UStG, allerdings beschränkt auf den medizinischen Sektor (sog. Apparategemeinschaften). Diese Beschränkung wurde seitens des deutschen Gesetzgebers mit Wettbewerbsgesichtspunkten gerechtfertigt, der EuGH hielt sie demgegenüber für europarechtswidrig. Aufgrund eines gegen Deutschland durch die EU-Kommission angestrengten Vertragsverletzungsverfahrens wurde § 4 Nr. 29 UStG, der in seinem Anwendungsbereich grundsätzlich unbeschränkt ist, eingeführt. Mit Datum vom 19.7.2022 – also 21/2 Jahre nach Inkrafttreten der Norm – erließ das BMF ein Anwendungsschreiben17 zur Norm, mit dem Verschiedenes geklärt wird, aber viele Fragen unbeantwortet bleiben.

17 BMF v. 19.7.2022 – III C 3 - S 7189/20/10001 :001 – DOK 2022/0744072, DStR 2022, 1497.

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2. Übersicht über die Norm Bei § 4 Nr. 29 UStG handelt es sich um eine Vorschrift zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen, die ihren Grund in der Entstehung von Umsatzsteuer auf der Eingangsseite bestimmter Unternehmen haben: Große Unternehmen, die steuerfreie oder nichtunternehmerische Ausgangsumsätze erzielten und damit über keinen Vorsteuerabzug verfügen, sind häufig in der Lage sämtliche für die Erzielung ihrer Umsätze erforderlichen „Zutaten“ aus unternehmenseigenen Ressourcen zu beziehen. Sie müssen also keine – regelmäßig umsatzsteuerpflichtigen – Eingangsleistungen von Dritten beziehen, womit auf der Eingangsseite keine Umsatzsteuer entsteht. Kleine Unternehmen im gleichen Tätigkeitsfeld verfügen regelmäßig nicht über entsprechende unternehmenseigene Ressourcen und müssen diese unter Entstehung von EingangsUmsatzsteuer von Dritten beziehen. Mangels Vorsteuerabzug ergibt sich hieraus für die „kleinen Unternehmen“ eine nachteilige wirtschaftliche Belastung aus der Umsatzsteuer. § 4 Nr. 29 UStG verhindert dies durch eine Steuerbefreiung zugunsten der „leistenden Dritten“ bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen. So muss der leistende Unternehmer ein selbständiger sog. Personenzusammenschluss sein. Hierunter fallen nach den Ausführungen im BMF-Schreiben rechtsformunabhängig sämtliche aus mindestens zwei Mitgliedern bestehende Zusammenschlüsse von Personen (z.B. Personen- und Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine, Zweckverbände, Berufsverbände und Anstalten des öffentlichen Rechts).18 Umsatzsteuerfrei sind nur Leistungen des Personenzusammenschlusses an seine Mitglieder, wobei diese die vom Zusammenschluss bezogenen Leistungen dem Gemeinwohl dienend für steuerfreie oder nicht steuerbare Ausgangsumsätze verwenden müssen. Leistungen, die der Personenzusammenschluss für steuerpflichtige Leistungen seiner Mitglieder oder Dritte (z.B. Leistungen an Nichtmitglieder) erbringt, sind nicht umsatzsteuerfrei. Es muss ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Leistung des Zusammenschlusses und dem damit erzielten Ausgangsumsatz des Mitglieds bestehen.19 Die gemeinwohlfördernde Tätigkeit der Mitglieder muss entweder umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 11b, 14 bis 18, 20 bis 25 oder 27 UStG sein oder nicht unternehmerisch (z.B. hoheitlich). Zudem ist die Umsatzsteuer18 BMF v. 19.7.2022 – III C 3 - S 7189/20/10001 :001 – DOK 2022/0744072, DStR 2022, 1497, Ziff. 1.1. 19 BMF v. 19.7.2022 – III C 3 - S 7189/20/10001 :001 – DOK 2022/0744072, DStR 2022, 1497, Ziff. 1.4.

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freiheit der Leistungen der Kostenteilungsgemeinschaft nur gegen Erstattung der tatsächlich entstandenen Kosten durch die Mitglieder abhängig. Die Kostenteilungsgemeinschaft soll grundsätzlich keine Gewinne erwirtschaften dürfen.20 Durch die Umsatzsteuerfreiheit der Leistungen des Personenzusammenschlusses darf es jedoch zu keinen Wettbewerbsverzerrungen kommen, d.h. die Anwendung der Befreiung darf nicht dazu führen, dass anderen Marktteilnehmern, die gleichartige steuerpflichtige Leistungen wie der Personenzusammenschluss erbringen, ein Wettbewerbsnachteil entsteht. Das Merkmal ist restriktiv anzuwenden, da die Norm des § 4 Nr. 29 UStG ja gerade der Beseitigung durch die Umsatzsteuerpflicht der Eingangsleistungen entstehender Wettbewerbsnachteile der Mitglieder dient.21

3. Klarstellungen durch das BMF-Schreiben Das Anwendungsschreiben des BMF ist 21/2 Jahre nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelungen veröffentlicht worden. Man hätte aufgrund dieses Umstands erwartet, dass es Spektakuläres enthält, dessen Klärung und Abstimmung zeitintensive Diskussionen verursachte. Tatsächlich enthält das BMF-Schreiben aber zum großen Teil lediglich die Wiedergabe der Gesetzesbegründung und daneben wenige weitergehende Klarstellungen. So stellt das BMF fest, dass der Begriff des Zusammenschlusses erfordere, das sich mindestens zwei Mitglieder zusammenschließen.22 Damit ist eine GmbH mit nur einem Gesellschafter als Kostenteilungsgemeinschaft unmöglich. Daneben genügt auch eine bloße Vereinbarung zur Kostenteilung unter mehreren Unternehmern bzw. Nichtunternehmern (sog. Aufwandspool) nicht den Erfordernissen des § 4 Nr. 29 UStG.23 Über eine bloß vertragliche Verbindung muss also stets eine mitgliedschaftliche bzw. mitgliedschaftsähnliche Verbundenheit zwischen den Beteiligten (Mitglieder und Zusammenschluss bzw. zwischen den Mitgliedern) bestehen. Welche Anforderungen an diese zu stellen sind (z.B. aktive oder passive Mitgliedschaft beim Verein, stimmrechtslose Aktionäre bei der AG) bleibt offen. Es dürfte aber davon auszugehen sein, dass eine aktive 20 BMF v. 19.7.2022 – III C 3 - S 7189/20/10001 :001 – DOK 2022/0744072, DStR 2022, 1497, Ziff. 3. 21 BMF v. 19.7.2022 – III C 3 - S 7189/20/10001 :001 – DOK 2022/0744072, DStR 2022, 1497, Ziff. 2. 22 BMF v. 19.7.2022 – III C 3 - S 7189/20/10001 :001 – DOK 2022/0744072, DStR 2022, 1497, Ziff. 1.1. 23 BMF v. 19.7.2022 – III C 3 - S 7189/20/10001 :001 – DOK 2022/0744072, DStR 2022, 1497, Ziff. 1.1.

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Mitwirkung der Mitglieder an Entscheidungen des Zusammenschlusses nicht erforderlich ist. Hierfür ergeben sich weder Hinweise aus dem Gesetz selbst noch aus der Gesetzesbegründung. Nicht erforderlich ist es – so das BMF weiter –, dass der Personenzusammenschluss seine Leistungen ausschließlich an seine Mitglieder erbringt. Ebenso wenig müssen die Mitglieder ausschließlich eine steuerfreie oder nichtunternehmerische Tätigkeit ausüben.24 Auch sonst ist keine Mindesttätigkeit des Personenzusammenschlusses oder der Mitglieder im Sinne der Norm nachzuweisen, was seinen Grund darin hat, dass die Steuerbefreiung nur „insoweit“ greift, als die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt werden. In den Bereichen, in denen dies nicht der Fall ist, kommt es zur Steuerpflicht des Personenzusammenschlusses, regelmäßig aber verbunden mit einem seitens des Mitglieds existierenden Vorsteuerabzugs. Das BMF stellt darüber hinaus klar, dass zu den dem Gemeinwohl dienenden nicht steuerbaren Leistungen der Mitglieder unter anderem die nach den § 2, 2b UStG nicht unternehmerischen Tätigkeiten der Kommunen, der Länder und des Bundes gehören, soweit diese z.B. ihre vom Landes- oder Bundesrecht zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen.25 Zur Unmittelbarkeit zwischen der vom Personenzusammenschluss bezogenen Dienstleistung und dem (steuerfreien oder nicht umsatzsteuerbaren) Ausgangsumsatz des Mitglieds (Leistungsempfängers) nennt das BMF die Beispiele aus dem früheren Anwendungsschreiben zum § 4 Nr. 14 Buchst. d UStG a.F.26 Auf die Bedürfnisse zugeschnittene Leistungen werden als begünstigt, allgemeine Verwaltungsleistungen des Personenzusammenschlusses (z.B. Buchführung, Eingabe und Pflege von Stammdaten oder Bestandsdaten, Tätigkeiten bei Erstellung und Verarbeitung von Rechnungen, Rechtsberatung, Tätigkeiten im Supportbereich, allgemeine Reinigungs- und Verpflegungsleistungen, allgemeine Aufgaben im Bereich der Organisation und Raumüberlassungen) werden hingegen als nicht steuerbefreit beurteilt. Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsverzerrung, zu der es durch die Steuerbefreiung der Kostenteilungsgemeinschaft nicht kommen dürfe, führt das BMF aus, dass nur eine restriktive Auslegung der Wettbewerbsklausel in Betracht komme, die insbesondere der Vermeidung von 24 BMF v. 19.7.2022 – III C 3 - S 7189/20/10001 :001 – DOK 2022/0744072, DStR 2022, 1497, Ziff. 1.2. 25 BMF v. 19.7.2022 – III C 3 - S 7189/20/10001 :001 – DOK 2022/0744072, DStR 2022, 1497, Ziff. 1.3 und Abschn. III. 26 BMF v. 19.7.2022 – III C 3 - S 7189/20/10001 :001 – DOK 2022/0744072, DStR 2022, 1497, Ziff. 1.4; v. 26.6.2009 – IV B 9 - S 7170/08/10009 – DOK 2009/0404615, UR 2009, 566, Ziff. 5.

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Missbräuchen entgegenwirke.27 Zum Erfordernis der genauen Erstattung der dem Personenzusammenschluss entstandenen Kosten durch die Mitglieder führt das BMF aus, dass eine verursachergerechte Umlegung der Kosten (insbesondere anhand des Umfangs oder der Häufigkeit der Inanspruchnahme der Leistungen) nötig sei. Zulässig sei daneben eine Aufteilung der Kosten nach der Anzahl der Mitglieder oder anhand der Höhe der (gesellschaftlichen) Beteiligung am Zusammenschluss, wenn sich hieraus kein „gravierendes Missverhältnis“ zur tatsächlichen Inanspruchnahme der Leistungen des Personenzusammenschlusses durch die einzelnen Mitglieder ergibt.28 Schädlich für die Steuerbefreiung sei hingegen ein pauschaler Aufschlag auf die tatsächlichen Ausgaben für die Erbringung der Leistung. Das BMF lässt es zu, wenn jährlich auf der Basis des durchschnittlichen Umsatzes eine Umlage erhoben wird und später genau abgerechnet wird, wozu sich der Personenzusammenschluss des verkürzten Abrechnungswegs im Namen eines Mitglieds gegenüber einem Dritten bedienen darf. Der Personenzusammenschluss darf weder einen Gewinn erzielen noch über eine entsprechende Absicht verfügen. Werden (ausnahmsweise) Gewinner erzielt, sind diese unschädlich, wenn sie ausschließlich dazu bestimmt sind, der Finanzierung künftiger Investitionen zu dienen.29

4. Verbleibende offene Fragen Die Ausführungen im BMF-Schreiben lassen zum einen Fragen unbeantwortet, zum anderen ergeben sich aus diesen weitere (Folge-)Fragen sowie Unstimmigkeiten bzw. Ungereimtheiten. Insbesondere hätte man sich gewünscht, dass sich das BMF zu den Rechtsfolgen der Nichterfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm äußert. So ist etwa ungewiss, ob sich der Wegfall der (Umsatz-)Steuerbefreiung der Leistungen des Personenzusammenschlusses lediglich auf die betroffene Leistungsbeziehung beschränkt oder ob die Steuerbefreiung des Personenzusammenschlusses insgesamt entfällt. Haben etwa nur zwei von fünf Mitgliedern eine Leistung bezogen, hinsichtlich derer zu den entstandenen Kosten ein Gewinnzuschlag vereinnahmt wurde, stellt sich 27 BMF v. 19.7.2022 – III C 3 - S 7189/20/10001 :001 – DOK 2022/0744072, DStR 2022, 1497, Ziff. 2. 28 BMF v. 19.7.2022 – III C 3 - S 7189/20/10001 :001 – DOK 2022/0744072, DStR 2022, 1497, Ziff. 3. 29 BMF v. 19.7.2022 – III C 3 - S 7189/20/10001 :001 – DOK 2022/0744072, DStR 2022, 1497, Ziff. 3.

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die Frage, ob die Steuerbefreiung nur für die von den zwei Mitgliedern bezogenen Leistungen entfällt oder auch für sämtliche weitere Leistungen des Personenzusammenschlusses im maßgeblichen Zeitraum. Diese Frage dürfte im Sinne einer Beschränkung der Wirkung auf den jeweiligen Umsatz zu beantworten sein, da § 4 Nr. 29 UStG eine umsatzbezogene Steuerbefreiung darstellt. Nur die in der Norm näher bezeichneten und sämtliche Voraussetzungen erfüllenden „sonstige Leistungen“ sind steuerbefreit, nicht hingegen sämtliche Ausgangsumsätze des Zusammenschlusses. Das zeigt z.B. auch der Umstand, dass der Zusammenschluss neben diesen steuerbefreiten Umsätzen auch steuerpflichtige Umsätze sowohl an Mitglieder als auch an Nichtmitglieder erbringen kann. Mithin ist somit jeder einzelne Umsatz des Personenzusammenschlusses gesondert zu beurteilen, so dass etwaige „Tatbestandsverstöße“ sich lediglich auf den durch diese betroffenen Einzelumsatz und auf das durch diese „betroffene“ Mitglied beschränken. Im Zusammenhang mit den Tatbestandsverstößen stellt sich daneben eine weitere Frage, nämliche diejenige nach der Bestimmung des „maßgeblichen Zeitraums“. Bei der Umsatzsteuer handelt es sich gem. § 16 Abs. 1 Satz 2 UStG um eine Jahressteuer, wenngleich unterjährig (vierteljährlich oder monatlich) Steuererklärungen in Gestalt von Voranmeldungen abzugeben sind.30 Mithin stellt sich die Frage, ob die Nichterfüllung von Tatbestandsvoraussetzungen der Steuerbefreiungsnorm des § 4 Nr. 29 UStG (z.B. Zahlung eines Gewinnzuschlags) auf den gesamten Besteuerungszeitraum „ausstrahlen“ oder sich auf den jeweiligen Voranmeldungszeitraum beschränken. Nach Treiber ergibt sich aus den Regelungen der MwStSystRL, dass unionsrechtlich bereits die Voranmeldung die obligatorische Steuererklärung iSd Art. 250 MwStSytRL ist und der Voranmeldungszeitraum der Steuerzeitraum iSd Art. 252 MwStSystRL.31 Ausgehend davon sieht er die bisherige Sicht auf die Bedeutung des Voranmeldungsverfahrens und seines Verhältnisses zum Besteuerungsverfahren nach § 18 Abs. 3 UStG auf der Grundlage des Unionsrechts für überprüfungsbedürftig.32 Jedenfalls wäre die Besteuerung im Voranmeldungsverfahren in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht vorläufig, sondern endgültig. Die Steueranmeldung für das Kalenderjahr ersetze zwar mehrere Steueranmeldungen für mehrere Steuerzeiträume, die Zeiträume blie-

30 Vgl. zum Besteuerungsverfahren § 18 UStG sowie Abschn. 18.1 ff. UStAE. 31 Vgl. Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 18 Rz. 55 (März 2021). 32 Vgl. Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 18 Rz. 55 (März 2021).

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ben jedoch selbständig.33 Hieraus ließe sich dann aber zugleich folgern, dass etwaige „Tatbestandsverstöße“ sich als materiell-rechtliche Folgen nur auf den jeweiligen von diesen betroffenen Voranmeldungszeitraum auswirken können. Grundsätzlicher Voranmeldungszeitraum ist gem. § 18 Abs. 2 Satz 1 UStG das Kalendervierteljahr. Beträgt die Umsatzsteuer für das vorangegangene Kalenderjahr mehr als 7.500 t ist gem. § 18 Abs. 2 Satz 2 UStG der Kalendermonat Voranmeldungszeitraum. Ergab sich für das vorangegangene Kalenderjahr ein Vorsteuerüberhang von mehr als 7.500 t, steht dem Unternehmer ein Wahlrecht hinsichtlich des Monats als Voranmeldungszeitraums zu. Da die Kostenteilungsgemeinschaft gegenüber ihren Mitgliedern umsatzsteuerfreie Ausgangsumsätze erbringt, kann sie nur durch Umsätze, die sie an Nichtmitglieder erbringt, einen entsprechenden Vorsteuerüberhang erzielen. Ein von der Höhe der Umsatzsteuer bzw. der Vorsteueransprüche im vorangegangenen Kalenderjahr unabhängiges Wahlrecht hin zum monatlichen Voranmeldungszeitraum existiert hingegen nicht. Selbst wenn also der Personenzusammenschluss zur „Begrenzung“ der Folgen etwaiger Tatbestandsverstöße ein Interesse an einem möglichst kurzen Auswirkungszeitraum in Gestalt des Voranmeldungszeitraums haben sollte, kann ein monatlicher Voranmeldungszeitraum nur bei Vorliege der Voraussetzungen gewählt werden. Gestalterische Überlegungen könnten aber im Hinblick auf die Wahl möglichst kurzzeitiger Abrechnungszeiträume gerichtet werden. Wird unterstellt, dass die Steuerbefreiung nur im Hinblick auf die betroffene Leistung entfällt kann diese durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen definiert werden. Beispiel: Eine Kostenteilungsgemeinschaft erbringt an drei verschiedene Mitglieder A, B und C Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Forschungsgeräts. Vertraglich wurde eine wöchentliche Inrechnungstellung der Kosten vereinbart, Voranmeldungszeitraum ist der Kalendermonat. Die erste Abrechnung des Monats April gegenüber A enthält über die bloße Kostenerstattung hinaus einen Gewinnzuschlag, die Abrechnungen an B und C enthalten ausschließlich die Inrechnungstellung der tatsächlich entstandenen Kosten. Aufgrund dieses Tatbestandsverstoßes im Verhältnis zu A entfällt die Umsatzsteuerbefreiung für diese an den A erbrachte Dienstleistung. Die übrigen im Voranmeldungszeitraum erbrachten Leistungen an B und C bleiben umsatzsteuersteuerfrei.

33 Vgl. Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 18 Rz. 55 (März 2021); ebenso Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 18 Rz. 39, 302 (Sept. 2022).

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Es stellt sich die weitere Frage, ob die Rechnung des Personenzusammenschlusses korrigiert und der die Steuerbefreiung beseitigende Gewinnzuschlag entfallen kann und ob eine entsprechende Rechnungskorrektur Rückwirkung im Hinblick auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 29 UStG entfaltet. Hiervon dürfte nach der Rechtsprechung des EuGH auszugehen sein.34

5. Einschätzungen zur Praxis Trotz der vorgenannten offenen Fragen stellt die Kostenteilungsgemeinschaft für die Praxis eine durchaus für die Praxis geeignete Gestaltung zur Vermeidung einer Umsatzsteuerlast dar. Das gilt insbesondere für die öffentliche Hand, die sich mit dem verbindlichen Inkrafttreten des § 2b UStG und der damit einhergehenden Neugestaltung der Umsatzbesteuerung von jPdöR vermehrt Belastungen durch entstehende Umsatzsteuer gegenübersieht. Bei entsprechender Gestaltung des Sachverhalts lässt sich in den klassischen Sachverhalten der sog. Beistandsleistungen die umsatzsteuerliche Situation optimieren. Es existieren jedoch noch zahlreiche offene Fragen, die trotz des Anwendungsschreibens der Finanzverwaltung noch nicht geklärt sind. Es sollte daher vor Umsetzung einer Kostenteilungsgemeinschaft unbedingt ein Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft beim zuständigen Finanzamt gestellt werden.

VI. Die umsatzsteuerliche Organschaft 1. Zum Hintergrund Die umsatzsteuerliche Organschaft stellt für die Praxis ein entscheidendes Gestaltungsinstrument dar, wenn es darum geht, die Umsatzsteuer insbesondere für Empfänger, die über keinen Vorsteuerabzug verfügen oder insgesamt in Unternehmens- und Konzernstrukturen zu vermeiden. Wie so oft im Umsatzsteuerrecht existieren aber Diskrepanzen zwischen der europäischen Rechtslage in Gestalt der Vorschriften der MwStSystRL und der nationalen Transformation derselben im deutschen Umsatzsteuergesetz. In den vergangenen Jahren war daher die umsatzsteuerliche Organschaft vermehrt Gegenstand von Vorabentscheidungsanfragen deut34 Vgl. EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14 (Barlis 06), UR 2016, 795 m. Anm. Maunz = DStR 2016, 2216; v. 15.9.2016 – C-518/14, ECLI:EU:C:2016:691 (Senatex), DStR 2016, 2211; v. 12.4.2018 – C-8/17, ECLI:EU:C:2018:249, UR 2018, 399 m. Anm. Heinrichshofen (Biosafe), DStR 2018, 787.

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scher Finanzgerichte an den EuGH und daraus folgend der EuGH-Rechtsprechung. Die Fragen hatten sowohl Themen der Tatbestands- als auch der Rechtsfolgenebene der umsatzsteuerlichen Organschaft zum Gegenstand. Zum 1.1.2022 ergingen die vorerst letzten Urteile zu laufenden durch deutsche Gerichte angestoßene Vorabentscheidungsersuchten, die grundsätzliche Fragen aufwarfen, wie die Frage, ob der Organträger überhaupt der „richtige“ Steuerpflichtige ist. Trotz der mehrfachen Befassung des EuGH mit den deutschen Organschaftsregelungen sind weiterhin Fragen ungeklärt.

2. Fragen der jüngeren Vergangenheit Im Jahr 2013 richtete der BFH die Frage an den EuGH, ob die Beschränkung der umsatzsteuerlichen Organschaft auf juristische Personen als Organgesellschaft nach nationalem Recht mit dem Europarecht vereinbar ist (vgl. BFH v. 11.12.2013 – XI R 38/12 und XI R 17/11, DStR 2014, 466). Die europarechtliche Grundlage der deutschen Organschaftsregelung – Art. 11 MwStSystRL – enthält keine Einschränkung dahingehend, dass es Personengesellschaften entsprechend der deutschen Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG versagt wäre, Bestandteil einer Mehrwertsteuergruppe zu sein. Vielmehr spricht die Vorschrift offen von „ansässigen Personen“, ohne diese weiter zu konkretisieren oder einzuschränken.35 Mit seinen Urt. v. 16.7.2015 – C-108/14 und C-109/14 (Larentia + Minerva und Marenave Schifffahrt) äußerte sich der EuGH zu den Vorabentscheidungsersuchen des XI. Senats des BFH, in denen insgesamt drei Vorlagefragen gestellt wurden, von denen die beiden letzten die Frage der Einbeziehung von Personengesellschaften betrafen. Der EuGH stellte klar, das Verlangen des Vorliegens einer juristischen Person als Organgesellschaft und deren Eingliederung in den Organträger durch ein Unterordnungsverhältnis verstoße gegen EU-Recht, es sei denn, dass beide Anforderungen Maßnahmen darstellen, die zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung erforderlich und geeignet sind. Entsprechendes ist von den nationalen Gerichten zu prüfen.36 Nachdem der V. und der XI. Senat

35 Vgl. hierzu Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 Rz. 809 (Juli 2014). 36 Vgl. EuGH v. 16.7.2015 – C-108/14 und C-109/14 (Larentia und Marenave Schifffahrt), ECLI:EU:C:2015:496, BStBl. II 2017, 604 = UR 2015, 722 m. Anm. Heinrichshofen = ZIP 2015, 1971 = UR 2015, 671 m. Anm. Hummel.

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die EuGH-Rechtsprechung unterschiedlich auslegten37 und die FinVerw. mittels BMF-Schreibens38 dem V. Senat folgte, konnte der EuGH seine Rechtsprechung auf im Rahmen eines erneuten Vorabentscheidungsersuchens des FG Berlin-Brandenburg39 weiter konkretisieren. Der EuGH tenorierte, dass Art. 11 einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Möglichkeit für eine Personengesellschaft, zusammen mit dem Unternehmen des Organträgers eine Organschaft zu bilden, davon abhängig macht, dass Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die in dieses Unternehmen finanziell eingegliedert sind. Damit ist der Verwaltungsansicht in Abschn. 2.8 Abs. 5a S. 1 UStAE ebenso der Boden entzogen wie der Rechtsprechung des V. BFH-Senats in seinem Urt. V R 25/13 v. 2.2.2015.

3. Die aktuellste EuGH-Rechtsprechung Mit Vorlagebeschl. vom 11.12.2019 legte der XI. Senat des BFH dem EuGH Fragen zur Europarechtskonformität der nach nationalem Recht angeordneten Rechtsfolgen der umsatzsteuerlichen Organschaft – insbesondere nach dem alleinigen Steuerpflichtigen im Fall vorhandener Organschaft – vor.40 Der V. Senat zielte mit einem eigenen Vorlagebeschluss v. 7.5.2020 in die gleiche Richtung:41 Beide BFH-Senate warfen die Frage auf, ob unter Zugrundelegung der MwStRL der Organträger oder ob nicht vielmehr die Organschaft als solche alleiniger Steuerpflichtiger sein muss und ob die deutsche Regelung – abhängig vom jeweiligen Ergebnis – gegen das europäische Recht verstoße. Der EuGH beantwortete diese und weitere Fragen mit den beiden am 1.12.2022 ergangenen Urteilen C-269/20, ECLI:EU:C:2022:944, GmbHR 2023, 183 = ZIP 2023, 691 (Stiftung S/FA T) und C-141/20 (Norddeutsche Gesell-

37 Vgl. BFH v. 2.12.2015 – V R 25/13, GmbHR 2016, 245 = UR 2016, 185 = ZIP 201, GmbHR 2016, 240 = UR 2016, 192 = ZIP 2016, 5686, 463 = DStR 2016, 219; v. 2.12.2015 – V R 15/14, DStR 2016, 226; v. 19.1.2016 – XI R 38/12, GmbHR 2016, 426 = UR 2016, 312 = ZIP 2016, 1378 = DStR 2016, 587. 38 Vgl. BMF v. 26.5.2017 – III C – 2 S 7105/15/10002 – DOK 2017/0439168, UR 2017, 522. 39 Vgl. FG Berlin-Brandenburg v. 21.11.2019 – 5 K 5044/19, UR 2020, 145 m. Anm. Marchal = DStR 2020, 281. 40 Vgl. BFH v. 11.12.2019 – XI R 16/18, GmbHR 2020, 553 m. Anm. Scholz/Fetzer = UR 2020, 338 m. Anm. Reiß = ZIP 2020, 2240 = DStR 2020, 645. 41 Vgl. BFH v. 7.5.2020 – V R 40/19, GmbHR 2020, 909 = UR 2020, 541 m. Anm. Küffner/Kirchinger/Widmann = DStR 2020, 1367.

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schaft für Diakonie).42 Er sieht die deutsche Regelung, nach welcher der Organträger alleiniger Steuerpflichtiger, ist als europarechtskonform an, weil dieser seinen Willen in den Organgesellschaften durchsetzen kann und keine Steuerverluste drohen. Ein Steuerpflichtiger muss gegenüber der Finanzverwaltung in Erscheinung treten, das könne unter Berücksichtigung der deutschen Ausgestaltung – insbesondere wegen der Haftungsregelung nach § 73 AO, nach der die Organschaften für Steuerschulden des Organträgers haften – auch der Organträger sein.43 Daneben hat der EuGH klargestellt, dass für das Vorliegen einer finanziellen Eingliederung nicht die Stimmrechtsmehrheit erforderlich ist, wenn die Kapitalmehrheit gegeben ist.44 Schließlich hat der EuGH aber untersagt, dass aufgrund der Erfüllung der Organschaftsvoraussetzungen zwangsläufig und typisierend von einer Unselbständigkeit der Organgesellschaft auszugehen.45 Am 23.3.2022 wurde ein Urteil des XI. Senats46 und ein Vorlagebeschluss an den EuGH des V. Senats des BFH47 veröffentlicht. Bei dem Urteil handelt es sich um das Folgeurt. des EuGH-Urt. C-141/20 (Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie), beim Vorlagebeschluss an den EuGH um die zweite Vorabanfrage im Verfahren C-269/20 (S/Finanzamt T). Der XI. Senat greift vor allem die Feststellung des EuGH auf, wonach die deutsche Regelung, nach welcher der Organträger alleiniger Steuerpflichtiger einer umsatzsteuerlichen Organschaft ist, nicht mit dem EURecht kollidiert. Konsequenzen muss der BFH aus dem diesbezüglichen EuGH-Verdikt für seine Rechtsprechung nicht ziehen. Anders ist dies aber im Hinblick auf die zweite Feststellung des EuGH, dass nämlich eine finanzielle Eingliederung entgegen dem deutschen Recht keine 42 EuGH v. 1.12.2022 – C-269/20, ECLI:EU:C:2022:944, GmbHR 2023, 183 = ZIP 2023, 691 (Stiftung S/FA T), DStR 2022, 2488; v. 1.12.2022 – C-141/20 (Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie), MwStR 2022, 880. 43 EuGH v. 1.12.2022 – C-141/20 (Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie), MwStR 2022, 880 Rz. 55 ff. (59); v. 1.12.2022 – C-269/20, ECLI:EU:C:2022: 944, GmbHR 2023, 183 = ZIP 2023, 691 (Stiftung S/FA T), DStR 2022, 2488, Rz. 48 ff. (52). 44 EuGH v. 1.12.2022 – C-141/20 (Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie), MwStR 2022, 880 Rz. 63 ff. (dritte Vorlagefrage). 45 EuGH v. 1.12.2022 – C-141/20 (Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie), MwStR 2022, 880 Rz. 72 ff. (vierte Vorlagefrage). 46 Vgl. BFH v. 18.1.2023 – XI R 29/22 (XI R 16/18), UR 2023, 334 m. Anm. Zitzl = DStR 2023, 638. 47 Vgl. BFH v. 26.1.2023 – V R 20/22 (V R 40/19), UR 2023, 325 m. Anm. Widmann/Zitzl = DStR 2023, 632.

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Stimmrechtsmehrheit des Organträgers im Hinblick auf die Organgesellschaft erfordere. Der XI. Senat folgert hieraus, dass eine finanzielle Eingliederung auch dann vorliege, wenn die erforderliche Willensdurchsetzung des Organträgers bei der Organgesellschaft dadurch gesichert sei, dass dieser zwar über nur 50% der Stimmrechte verfüge, er aber eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft halte und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stelle. Der V. Senat wirft in seinem nunmehr zweiten Vorlagebeschluss in ein- und demselben Revisionsverfahren an den EuGH die grundsätzliche Frage auf, ob Innenumsätze im Organkreis umsatzsteuerbar sind oder ob diese unter Berücksichtigung des europäischen Rechts entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BFH als nicht steuerbar beurteilt werden können. Er äußert die klare Tendenz, dass es insbesondere im Fall eines nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Leistungsempfängers durch eine Behandlung der Innenumsätze als nicht steuerbar zu Steuerausfällen komme. Das zeige der Vergleich mit entsprechenden Umsätzen außerhalb einer umsatzsteuerlichen Organschaft, in denen diese umsatzsteuerbar wären.

4. Konsequenzen für die Praxis Durch die Urteile des EuGH erlangt der Steuerpflichtige und Rechtsanwender weitere Klarheit im Hinblick auf die Voraussetzungen der Organschaft (Einbeziehung von Personengesellschaften als Organgesellschaften, finanzielle Eingliederung). Zudem hat der EuGH in seinen Urteilen vom 1.12.2022 endgültig die Europarechtskonformität der deutschen Ausgestaltung der Mehrwertsteuergruppen-Besteuerung ausgesprochen. Zugleich hat er aber weitere Anwendungsfragen aufgeworfen, die in der Praxis zu Verunsicherung führen dürften: Insbesondere ist unklar, was die Folge der Aussagen des EuGH sind, wonach eine typisierende Annahme der Unselbständigkeit der Organgesellschaft im Falle des Erfüllens sämtlicher Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft (finanzielle, organisatorische und wirtschaftliche Eingliederung) ausscheide. In Bezug auf den Sachverhalt, der dem EuGH-Urt. zugrunde lag, stellte der EuGH darauf ab, dass die Mitglieder der Mehrwertsteuergruppe die mit ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Tätigkeit „einhergehenden wirtschaftlichen Risiken“ selbst getragen haben. Der EuGH gelangt zum Ergebnis, dass bei derartigen Sachverhalten trotz Zugehörigkeit zur Mehrwertsteuergruppe nicht typisierend von einer Unselbständigkeit der Organgesellschaft ausgegangen werden dürfe. Auch 683

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im Rahmen einer Mehrwertsteuergruppe sei es nämlich möglich, weiterhin wirtschaftlich selbständige und damit umsatzsteuerbare Leistungsaustauschbeziehungen zwischen den Mitgliedern zu begründen.48 Die Wertungen dieser Aussagen im Schrifttum reichen von der Einschätzung, die deutsche umsatzsteuerliche Organschaft müsse fundamental neu geordnet werden,49 über die Einschätzung, die Urteile vom 1.12.2022 führten zu keinerlei Änderungen50 bis hin zur Einordnung, der Anwendungsbereich der Organschaft werde aufgrund des Verzichts auf eine Stimmrechtsmehrheit im Rahmend der finanziellen Eingliederung erweitert.51 Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH sich zeitnah insbesondere erneut zur Frage äußern kann, ob trotz Erfüllung der Organschaftsvoraussetzungen bei einer entsprechenden wirtschaftlichen Selbständigkeit der Organgesellschaften vom Vorliegen umsatzsteuerbarer Umsätze auszugehen ist. Das hätte zur Folge, dass die Selbständigkeit der Organgesellschaften in jedem Einzelfall unabhängig von der Erfüllung der drei Eingliederungsvoraussetzungen überprüft werden müsste. Gewissermaßen ergäbe sich damit ein „An- und Ausschalter“ der Organschaftswirkungen für den Fall, dass über die Eingliederung der Organgesellschaften hinaus weiterhin von einer wirtschaftlichen Selbständigkeit derselben ausgegangen werden kann. Nach den Ausführungen des EuGH ist das der Fall, wenn die Mitglieder der Organschaft die mit ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Tätigkeit einhergehenden wirtschaftlichen Risiken (weiterhin) selbst tragen.52 Wann das der Fall ist, lässt der EuGH in seinem Urteil allerdings offen. Es muss zunächst die weitere Rechtsprechung des EuGH abgewartet werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der weiteren Vorlagefrage des V. Senats in seinem Urt. V R 20/22 vom 26.1.2023 (veröffentlicht am 23.3.2023), wo es mit der Frage der Steuerbarkeit der Innenumsätze um eine der wesentlichen Grundfragen der deutschen Organschaftsfolgen geht.

48 EuGH v. 1.12.2022 – C-141/20, ECLI:EU:C:2022:943, GmbHR 2023, 178 (Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie), MwStR 2022, 880 Rz. 72 ff. (vierte Vorlagefrage). 49 Ismer/Endres-Reich, MwStR 2022, 880 (887), Erste Einordnung 1. 50 Oelmaier, MwStR 2022, 880 (888), Erste Einordnung 2. 51 Sterzinger, MwStR 2022, 880 (889), Erste Einordnung 3. 52 EuGH v. 1.12.2022 – C-141/20, ECLI:EU:C:2022:943, GmbHR 2023, 178 (Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie), MwStR 2022, 880 Rz. 72 ff. (vierte Vorlagefrage).

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VII. Zuordnungsentscheidung von Gegenständen zum Unternehmen 1. Zum Hintergrund Ein Vorsteuerabzug ist auf Eingangsleistungen nur dann möglich, wenn diese vom Empfänger für unternehmerische Zwecke genutzt werden. Wird ein erworbener Gegenstand sowohl für unternehmerische als auch für nichtunternehmerische Zwecke genutzt, steht dem Unternehmer ein Zuordnungswahlrecht zu. Die (vollständige oder teilweise) Zuordnung des Gegenstands zum Unternehmen Nach dem Grundsatz des Sofortabzugs der Vorsteuer muss bereits bei Bezug des Eingangsumsatzes beurteilt werden, für welche Zwecke dieser verwendet wird. Grundsätzlich wird hierbei die Verwendungsabsicht maßgeblich sein. Darüber hinaus muss der erworbene Gegenstand oder die bezogene Leistung dem unternehmerischen Bereich zugeordnet werden. Das setzt eine sog. Zuordnungsentscheidung des Steuerpflichtigen voraus, die dem Finanzamt mitzuteilen ist. Die Zuordnungsentscheidung kann nach Ansicht der Rechtsprechung und der Finanzverwaltung spätestens und mit endgültiger Wirkung noch in einer „zeitnah“ (in Bezug auf den Zeitpunkt des Bezugs der Eingangsleistung) erstellten Umsatzsteuererklärung für das Jahr, in das der Leistungsbezug fäll, wenn frühere Anhaltspunkte für eine vollständige oder teilweise Zuordnung der bezogenen Leistungen zum Unternehmen fehlen.53 Eine als erforderlich angesehene zeitnahe gesonderte Dokumentation der Zuordnungsentscheidung soll hiernach vorliegen, wenn sie bis zur gesetzlichen Regelabgabefrist für Steuererklärungen (31.7. des Folgejahres, § 149 Abs. 2 Satz 1 AO) vorliegt. Fristverlängerungen für die Abgabe der Steuererklärungen haben darauf keinen Einfluss.54 Der BFH hatte den EuGH im Rahmen zweier Vorabentscheidungsersuchen unter anderem um Beantwortung der Frage gebeten, ob eine Fristsetzung für die Dokumentation der Zuordnungsentscheidung mit dem EU-Recht vereinbar erscheint und ob die Abgabefrist der Steuererklärung des betreffenden Jahres hierzu geeignet erscheint.55

53 Vgl. Abschn. 15.2c Abs. 16 Satz 4 UStAE; BFH v. 7.7.2011 – V R 42/09, BStBl. II 2014, 76 = UR 2011, 870. 54 Vgl. Abschn. 15.2c Abs. 16 Satz 5 UStAE; BFH v. 7.7.2011 – V R 42/09, UR 2011, 870, BStBl. 2014 II, 76. 55 Vgl. BFH v. 18.9.2019 – XI R 7/19, UR 2020, 271 m. Anm. Dziadkowski = DStR 2020, 220; EuGH v. 14.10.2021 – C-45/20 (FA N) und C-46/20 (FA G), DStR 2021, 2404.

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2. Die beiden Urteilsfälle Im Sachverhalt, der dem Urteil XI R 29/21 zugrunde liegt, streiten die Beteiligten über den Vorsteuerabzug aus der Errichtung einer Photovoltaikanlage. Der Kläger und Revisionskläger (Kl.) erwarb im Jahr 2014 (Streitjahr) eine Photovoltaikanlage. Den seit dem 22.9.2014 erzeugten Strom verbrauchte er teilweise selbst, teilweise speiste er ihn in das Stromnetz eines Netzbetreibers (X) ein. Der Einspeisevertrag mit X v. 25.9.2014 sieht für den gelieferten Strom eine Vergütung pro kWh zzgl. USt. vor. Gegenüber dem FA gab der Kl. zunächst weder UmsatzsteuerVoranmeldungen noch sonstige Erklärungen zu den Ausgangs- und Eingangsumsätzen aus dem Betrieb der Anlage oder etwaigen unentgeltlichen Wertabgaben ab. Im Februar 2016 gab er eine Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr ab und zog darin die von ihm gezahlte Vorsteuer ab. Dem Urteil XI R 28/21 lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Der Kläger (Kl.) betreibt seit dem Jahr 1999 einen Gerüstbaubetrieb als Einzelunternehmen. Im Jahr 2014 plante der Kl. die Errichtung eines Einfamilienhauses. In dem vom Planungsbüro erstellten Grundriss v. Juli 2014 ist ein 16,57 qm großer Raum im Erdgeschoss mit „Arbeiten“ bezeichnet. Die „Nettogrundfläche gesamt“ des Gebäudes ist mit 181,3 qm angegeben. Der Kl. reichte im Jahr 2015 (Streitjahr) beim FA monatliche Umsatzsteuer-Voranmeldungen ein; einen Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen zur Errichtung des Gebäudes machte er darin nicht geltend. Erstmals in der im September 2016 beim FA eingegangenen Umsatzsteuererklärung machte er für die Errichtung des Zimmers anteilig den Vorsteuerabzug geltend. Nach Durchführung einer UmsatzsteuerSonderprüfung versagte der Prüfer den geltend gemachten Vorsteuer-abzug u.a. deshalb, weil der Kl. das Gebäude nicht zeitnah dem Unternehmen zugeordnet habe. Einspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos, so dass sich der Kl. mit seiner Revision an den BFH wandte. Dieser setzte das Verfahren aus und wandte sich ebenfalls im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens an den EuGH, vgl. XI R 3/19 v. 18.9.2019, DStRE 2020, 291. Der EuGH entschied beide Vorabentscheidungsersuchen durch das EuGH-Urt. C-45/20 (FA N) und C-46/20 (FA G) v. 14.10.2021, DStR 2021, 2404.56

56 Vgl. EuGH v. 14.10.2021 – C-45/20 (FA N) und C-46/20 (FA G), DStR 2021, 2404.

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3. Die Urteilsgründe Der BFH entschied in seinen Folgeurteilen beide Fälle dahingehend, dass eine Dokumentation der Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Unternehmen keine fristgebundene Mitteilung an das FA erfordere. Vielmehr reiche es aus, dass innerhalb der Dokumentationsfrist entsprechende objektiv erkennbare Anhaltspunkte für eine solche (erfolgte) Zuordnung vorliegen. Diese Anhaltspunkte können auch noch nach Ablauf der Frist zur Abgabe der Umsatz-steuererklärung das Jahr der Anschaffung betreffend dem FA mitgeteilt werden. Der Abschluss eines Einspeisevertrags (XI R 29/21) sowie die Bezeichnung eines Zimmers in Bauantragsunterlagen (XI R 28/21) können solche objektiv erkennbaren Anhaltspunkte für eine Zuordnung darstellen. Daneben führt der BFH aus, das Handeln als Steuerpflichtiger sei der Zuordnung zum Unternehmen gleichzusetzen. Der Senat verstehe daher die Begriffe „Zuordnung zum Unternehmen“ und „Handeln als Steuerpflichtiger“ synonym. Das Handeln als Steuerpflichtiger könne auch konkludent (durch schlüssiges Verhalten) erfolgen. Neben dem Geltendmachen des Vorsteuerabzugs kommen weitere Beweisanzeichen für ein solches Handeln in Betracht: das Auftreten des Unternehmers beim An- und Verkauf des gemischt genutzten Gegenstands unter seinem Firmennamen, die betriebliche Versicherung eines Gegenstands oder die bilanzielle Behandlung des Gegenstands. Fehle es an objektiv erkennbaren Anhaltspunkten für eine Zuordnung zum Unternehmen könne diese jedoch nicht unterstellt werden.

4. Beurteilung für die Praxis Mit den beiden Urteilen ordnet der BFH die unternehmerische Zuordnung gemischt zu nutzender Gegenstände im Vergleich zur bisherigen Verwaltungspraxis neu: Musste bislang innerhalb der Frist (bis zum Ablauf der Abgabefrist der Umsatzsteuerjahreserklärung das Jahr der Anschaffung betreffend) eine (ausdrückliche) Zuordnungsentscheidung dem Finanzamt mitgeteilt werden. Nach der nunmehr ergangenen Rechtsprechung bedarf des innerhalb dieser Frist (lediglich) des Vorhandenseins objektiv erkennbarer Anhaltspunkte für eine Zuordnung des Gegenstands zum Unternehmen. Diese Anhaltspunkte sollten dokumentiert werden oder sie ergeben sich ggf. aus objektiven Umständen (Vertragsunterlagen, Bauplänen, Finanzierungsplanungen usw.). Eine Mitteilung dieser objektiv vorliegenden Anhaltspunkte an das Finanzamt muss hingegen nicht innerhalb der Frist erfolgen. Vielmehr kann die Dokumentation auch noch nach Fristablauf – bis zum Ende der mündlichen FG-Verhandlung 687

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(Tatsacheninstanz) – erfolgen. Vorrangig ist diese Rechtsprechung wohl von Interesse für Sachverhalte, in denen eine (fristgerechte) Mitteilung an das Finanzamt (z.B. ausdrücklich oder mittels Geltendmachung des Vorsteuerabzugs bei Anschaffung) nicht erfolgte. Idealiter sollte (weiterhin) eine ausdrückliche (fristgerechte) Zuordnungsentscheidung an das Finanzamt gerichtet werden. Wird dies versäumt, kann sich eine Auffangposition aus der ergangenen Rechtsprechung ergeben. Wird z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung das Fehlen einer ausdrücklichen Zuordnungsentscheidung beanstandet, kann der Steuerpflichtige objektiv erkennbare Anhaltspunkte (die innerhalb der Zuordnungsfrist vorgelegen haben müssen) noch im Rahmen der Betriebsprüfung (oder später im Einspruchs- oder Klageverfahren) noch vorlegen.

VIII. Fazit Die vorstehend dargestellte Rechtsprechungsentwicklung hält für die Praxis erhebliche Neuerungen und zum Teil auch für den Steuerpflichtigen vorteilhafte Klarstellungen bereit. Mit der EuGH-Rechtsprechung zur Nichtteilbarkeit von umsatzsteuerlichen Leistungen bzw. der Frage nach der Zulässigkeit (nationaler) gesetzlicher Aufteilungsgebote, der Frage des Vorsteuerabzugs bei Ist-Besteuerung und der Frage der weiteren Entwicklung der umsatzsteuerlichen Organschaft stellen sich grundlegende Fragen. Die Kostenteilungsgemeinschaft stellt sich als geeignetes Gestaltungsmodell dar, um bei den dem Gemeinwohl dienenden Beteiligten, die über keinen Vorsteuerabzug verfügen, die Umsatzsteuerbelastung zu reduzieren bzw. auszuschließen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Neugestaltung der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand kann sich dies als Gestaltung empfehlen. Die Rechtsprechung zur Zuordnungsentscheidung gemischt genutzter Gegenstände wirkt sich in erster Linie positiv für den Steuerpflichtigen aus und sollte (insbesondere in Abwehrsituationen) im Hinterkopf behalten werden. Sämtliche behandelten Themen zeigen, dass es zahlreiche – zum Teil grundlegende – Entwicklungen in der Umsatzsteuer gibt und dass es sich bei dieser um ein komplexes, aber äußerst praxisrelevantes Steuerrechtsgebiet handelt, dem unbedingt Beachtung geschenkt werden muss.

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7. Leitthema: Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken

§ 42 AO im Lichte der neueren Rechtsprechung Dr. Alexander Mann Ministerialrat, Wiesbaden Dr. Georg Roderburg Rechtsanwalt/Steuerberater, Düsseldorf I. Einleitung II. Verhältnis von § 42 AO zu spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften III. Aktuelle Entwicklungen der Rechtsprechung des BFH 1. Rechtsprechungsübersicht a) BFH v. 23.4.2021 – IX R 8/20, BStBl. II 2021, 743 aa) Sachverhalt bb) Rechtliche Würdigung b) BFH v. 9.6.2021 – I R 52/17, BFH/NV 2022, 210 aa) Sachverhalt bb) Rechtliche Würdigung c) BFH v. 17.11.2020 – I R 2/18, BStBl. II 2021, 580 aa) Sachverhalt bb) Rechtliche Würdigung d) BFH v. 11.8.2021 – I R 39/18, BFH/NV 2022, 297 aa) Sachverhalt bb) Rechtliche Würdigung 2. Kernpunkte der Rechtsprechungsentwicklung a) Kernpunkte der Rechtsprechungsentwicklung aus der Beratungsperspektive (Dr. Georg Roderburg)

b) Kernpunkte der Rechtsprechungsentwicklung aus der Finanzverwaltungsperspektive (Dr. Alexander Mann) IV. Auswirkungen des Unionsrechts auf nationale Missbrauchsvorschriften 1. Verhältnis von § 42 AO zum Unionsrecht a) Unionsrechtlicher Grundsatz des Verbots des Rechtsmissbrauchs b) Verhältnis von § 42 AO zum Primärrecht c) Einfluss des Sekundärrechts aa) Mutter-Tochter-Richtlinie, Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie bb) ATAD-Richtlinie 2. Kernpunkte der unionsrechtlichen Entwicklungen a) Kernpunkte der unionsrechtlichen Entwicklungen aus Beraterperspektive (Dr. Georg Roderburg) b) Kernpunkte der unionsrechtlichen Entwicklungen aus Finanzverwaltungsperspektive (Dr. Alexander Mann) V. Fazit

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I. Einleitung Seit jeher ist das Verhältnis zwischen der allgemeinen Missbrauchsvorschrift des § 42 AO und spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften umstritten. Dabei geht es im Kern um die Frage, ob § 42 AO als lex generalis noch zur Anwendung gelangen kann, wenn eine spezialgesetzliche Missbrauchsvorschrift tatbestandlich nicht eingreift. Diese Frage beschäftigt Gesetzgeber, Finanzverwaltung, Gerichte und die Wissenschaft, sowie Steuerpflichtige und deren Rechtsanwälte und Steuerberater in ihrer täglichen Praxis, weshalb eine Auseinandersetzung mit aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich für jeden Berufstätigen des Steuerrechts unerlässlich ist. Daneben ist vor dem Hintergrund sich weiterentwickelnder EuGH-Rechtsprechung und EU-Richtlinien bemerkenswert, dass auch das Unionsrecht Auswirkungen auf die allgemeine Missbrauchsvorschrift des § 42 AO haben kann. So ist auch der Streit um das Verhältnis von allgemeinen zu spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften auf europäischer Ebene angekommen. Im Folgenden wird zunächst einführend der Stand der Diskussion zum Verhältnis von § 42 AO zu spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften erläutert (dazu II.). Sodann werden die aktuelle Rechtsprechung in diesem Bereich eingehend vorgestellt und aus dieser Rechtsprechung Leitlinien für die Rechtspraxis aus Berater- und Finanzverwaltungssicht abgeleitet (dazu III.). Anschließend wird auf bestimmte unionsrechtliche Auswirkungen auf nationale Missbrauchsvorschriften, ebenfalls aus Berater- und Finanzverwaltungssicht, eingegangen (dazu IV.). Der Beitrag endet mit einem Fazit (dazu V.).

II. Verhältnis von § 42 AO zu spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften § 42 AO in seiner Ursprungsfassung aus dem Jahr 19771, der auf § 6 StAnpG aus dem Jahr 19342 beruhte, enthielt die folgende Regelung: Durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so ent-

1 § 42 AO i.d.F. der Abgabenordnung 1977 (AO 1977) v. 16.3.1976, BGBl. I 1976, 613. 2 § 6 i.d.F. des Steueranpassungsgesetzes 1934 (StAnpG 1934) v. 16.10.1934, RGBl. I 1934, 925.

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steht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Der BFH entschied schon zu § 42 AO 19773 sowie seiner Vorgängerregelung des § 6 StAnpG4, dass die Frage nach der abstrakt bestehenden, idealen Gesetzeskonkurrenz zwischen Spezialnormen einerseits und der Allgemeinnorm andererseits generell zugunsten einer ausschließlichen und abschließenden Anwendung der Spezialnormen zu beantworten war. In Reaktion auf diese Rechtsprechung ergänzte der Gesetzgeber im Rahmen des StÄndG 20015 § 42 AO um einen aus seiner Sicht klarstellenden zweiten Absatz, nach welchem § 42 Abs. 1 AO immer dann anwendbar sein sollte, wenn seine Anwendbarkeit gesetzlich nicht ausdrücklich ausgeschlossen war.6 Der BFH ließ sich von dieser Klarstellung nicht beeindrucken und hielt daran fest, dass spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften eine „Abschirmwirkung“ gegenüber der generellen Missbrauchsvorschrift des § 42 AO zukomme („abschließender Schutzcharakter“). Daran ändere auch der neu eingeführte § 42 Abs. 2 AO nichts, da es „aufgrund des spezialgesetzlichen Wertungsvorrangs bereits an einem Missbrauchsvorwurf i.S.d. § 42 Abs. 1 AO fehle“.7 3 BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026 zu §§ 7 ff. AStG; v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029 zu = GmbHR 1993, 53 §§ 7 ff. AStG; v. 23.10.1996 – I R 55/95, BStBl. II 1998, 90 zu = FR 1997, 222 m. Anm. Kempermann = GmbHR 1997, 324 § 50c EStG 1987/1990; v. 15.12.1999 – I R 29/97, BStBl. II 2000, 527 zu = FR 2000, 446 m. Anm. Fischer § 50c EStG 1987/1990; v. 19.1.2000 – I R 94/97, BStBl. II 2001, 222 zu = FR 2000, 453 m. Anm. Kempermann §§ 7 ff. AStG; v. 17.5.2000 – I R 19/98, BStBl. II 2000, 619 zu § 50c Abs. 1 EStG 1987/1990. 4 BFH v. 13.12.1989 – I R 118/87, BStBl. II 1990, 474 zu = FR 1990, 491 = GmbHR 1990, 369 § 24 Abs. 2 UmwStG 1969. 5 Art. 8 Nr. 9 Steueränderungsgesetz 2001 (StÄndG 2001) v. 20.12.2001, BGBl. I 2001, 3794. 6 BT-Drucks. 14/6877, 52; BT-Drucks. 14/7341, 17 f. 7 BFH v. 20.11.2007 – I R 85/05, BStBl. II 2013, 287 zu = FR 2009, 481 § 50c EStG 1987; vgl. auch BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50 zu = FR 2002, 1077 m. Anm. Fischer = GmbHR 2002, 862 §§ 7 ff. AStG; v. 29.1.2008 – I R 26/06, BStBl. II 2008, 978 zu = FR 2008, 672 m. Anm. Wagner/Fischer = GmbHR 2008, 612 m. Anm. Rehm/Nagler § 50d Abs. 1a EStG 1990; v. 18.12.2013 – I R 25/12, GmbHR 2014, 605 = BFH/NV 2014, 904 zu § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG 2002 und § 8 Abs. 4 KStG 2002; v. 17.1.2017 – VIII R 7/13, BStBl. II 2017, 700 = FR 2017, 1019; v. 26.4.2018 – IV R 33/15, BStBl. II 2020, 645 zu = FR 2018, 1145 m. Anm. Riedel § 15b EStG.

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In Reaktion auf diese Rechtsprechung passte der Gesetzgeber § 42 AO im Jahr 2007 erneut an.8 Mit der Änderung sollte nach Auffassung des Gesetzgebers wiederum „klargestellt“ werden, dass § 42 AO neben speziellen Missbrauchsvorschriften anwendbar bleibe, insbesondere wenn die Voraussetzungen dieser Vorschriften im Einzelfall nicht vorlägen.9 § 42 Abs. 1 AO wurde geändert, während § 42 Abs. 2 AO in der Fassung des StÄndG 2001 gestrichen wurde. Stattdessen wurde der Begriff des Missbrauchs erstmals in § 42 Abs. 2 AO gesetzlich definiert. § 42 AO lautet seitdem wie folgt (Änderungen im Vergleich zur vorherigen Fassung sind hervorgehoben): (1) Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift. Anderenfalls entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne des Absatzes 2 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. (2) Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind. Nach der aktuellen Rechtslage können drei Fallgruppen bei der Beurteilung des Verhältnisses von § 42 AO zu spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften unterschieden werden: (1) Klare Nichtanwendbarkeit des § 42 AO bei tatbestandlich erfüllten spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften § 42 Abs. 1 Satz 2 AO bestimmt ausdrücklich, dass sich die Rechtsfolgen allein aus einer spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschrift ergeben, wenn der Tatbestand einer solchen Vorschrift erfüllt ist. Die „positive Spezialität von einzelsteuergesetzlichen Umgehungsvorschriften“10 ist

8 Art. 14 Nr. 2 Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008) v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150. 9 BT-Drucks. 16/6290, 81; vgl. auch BT-Drucks. 16/7036, 34. 10 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 30 (Sept. 2022).

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im Gesetz mithin nun ausdrücklich normiert.11 Ob es sich bei einer spezialgesetzlichen Vorschrift um eine Regelung im Sinne des § 42 Abs. 1 Satz 2 AO handelt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, ist unter Umständen schwierig zu beurteilen.12 (2) Klare Anwendbarkeit des § 42 AO in bestimmten Fällen (z.B. bei unechter spezialgesetzlicher Missbrauchsvorschrift oder Missbrauch der spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschrift) § 42 AO bleibt hingegen neben spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften anwendbar, wenn die spezialgesetzliche Vorschrift lediglich beispielhaften Charakter hat und keine abschließende Regelung trifft (sogenannte unechte spezialgesetzliche Missbrauchsvorschriften).13 Ebenfalls anwendbar bleibt § 42 AO, wenn die Voraussetzungen einer echten spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschrift selbst missbräuchlich vermieden werden.14 (3) Subsidiäre Anwendbarkeit des § 42 AO bei tatbestandlich nicht erfüllter spezialgesetzlicher Missbrauchsvorschrift Nach dem Wortlaut des § 42 Abs. 1 Satz 3 AO ist darüber hinaus nunmehr von einer (subsidiären) Anwendbarkeit des § 42 AO auszugehen,

11 AEAO zu § 42 Nr. 1; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 30 (Sept. 2022); Ratschow in Klein, AO16, § 42 AO Rz. 90; Horn in Schwarz/Pahlke/ Keß, AO/FGO, § 42 AO Rz. 45 (Juni 2021). 12 Siehe dazu: AEAO zu § 42 AO Nr. 1; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 29 (Sept. 2022); Stöber in Gosch, AO/FGO, § 42 AO Rz. 56 ff. (Jan. 2023); Horn in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 42 AO Rz. 36 ff. (Juni 2021); Hey, DStJG 33 (2010), 139, 145. 13 FG München v. 20.10.2020 – 12 K 3102/17, EFG 2021, 459, nrkr. Rev. Az. BFH v. 30.11.2022 – VIII R 30/20, FR 2023, 428; FG Hessen v. 29.11.2017 – 4 K 127/15, EFG 2018, 486; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 33 (Sept. 2022); Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 42 AO Rz. 283 (Nov. 2022); Meier, DStR 2019, 2231 (2233); Hey, DStJG 33 (2010), 139, 145. 14 FG Hamburg v. 27.6.2017 – 6 K 127/16, EFG 2017, 1718; offenlassend BFH v. 9.6.2021 – I R 52/17, GmbHR 2022, 374 = BFH/NV 2022, 210; FG Düsseldorf v. 29.3.2019 – 1 K 2163/16 E, F, FG Düsseldorf v. 29.3.2019 – 1 K 2163/17 E, F, EFG 2019, 1389, nrkr., Rev. Az. BFH VIII R 15/19; FG München v. 20.10.2020 – 12 K 3102/17, EFG 2021, 459, nrkir., Rev. Az. BFH VIII R 30/20; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 33 (Sept. 2022); Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 5.124; Stöber in Gosch, AO/FGO, § 42 AO Rz. 54 (Jan. 2023); Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 42 AO Rz. 283 (Nov. 2022); Meier, DStR 2019, 2231 (2233); Hey, DStJG 33 (2010), 139, 146.

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wenn der Tatbestand einer echten spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschrift nicht erfüllt ist. Die Finanzverwaltung leitet daraus ab, dass ein genereller Rückgriff auf § 42 AO möglich sei. Allein das Vorliegen einer einzelgesetzlichen Regelung, die der Verhinderung von Steuerumgehungen diene, schließe die Anwendbarkeit des § 42 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 AO nicht aus.15 Das überwiegende Schrifttum akzeptiert zwar die vom Wortlaut des § 42 Abs. 1 Satz 3 AO vorgegebene subsidiäre Prüfung des § 42 AO, möchte indes die Wertungen der spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschrift im Rahmen der Prüfung berücksichtigen.16 Unterfällt ein Lebenssachverhalt bzw. eine Gestaltung grundsätzlich dem von der Missbrauchsnorm umschriebenen Tatbestand, sind jedoch einzelne Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt, habe der Gesetzgeber seinen Wertungsspielraum bereits dahingehend ausgeübt, als er eine gesetzliche Typisierung des § 42 AO geschaffen hat, die die Unangemessenheit und damit den Missbrauch in sachlicher, zeitlicher und persönlicher Hinsicht konkretisiere.17 Die Wirkung spezialgesetzlicher Vorschriften auf die Prüfung des § 42 AO wird in der Literatur als „Wertungsvorgabe“18, „Wertungsstandard“19, „Wertungsrückschlag“20 oder „Wertungsvorrang“21 bezeichnet, den auch die Neufassung des § 42 AO nicht verhindern könne.22

III. Aktuelle Entwicklungen der Rechtsprechung des BFH Der BFH hat zuletzt mehrere Entscheidungen zum Verhältnis von § 42 AO zu spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften veröffentlicht. Die15 AEAO zu § 42 Nr. 1; vgl. auch BT-Drucks. 16/7036, 24; BT-Drucks. 16/6290, 81. 16 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 31 ff. (Sept. 2022); Horn in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 42 AO Rz. 53 (Juni 2021); Ratschow in Klein, AO16, § 42 AO Rz. 91; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/ FGO, § 42 AO Rz. 280 f. (Nov. 2022); Drüen, Ubg 2022, 61 (64 f.); Eilers/Roderburg, ISR 2022, 303 (307); Stöber in Gosch, AO/FGO, § 42 AO Rz. 53 (Jan. 2023, bejaht weiterhin eine Abschirmwirkung); a.A. Koenig, in Koenig, AO4, § 42 Rz. 6, 15; Mosler/Münzler/Schulze, DStR 2021, 193 (196). 17 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 32 (Sept. 2022). 18 Drüen Ubg 2022, 61 (65). 19 Gosch in Kirchhof/Seer, EStG21, § 50d EStG Rz. 33e. 20 Drüen in Tipke/Kruse, § 42 AO Rz. 32; (Sept. 2022) vgl. auch Heintzen, FR 2009, 599 (603): „Wertungen schlagen auf die Generalklausel durch.“ 21 Demleitner, AO-StB 2010, 174 (175). 22 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 32 (Sept. 2022).

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se haben zwar teilweise noch § 42 AO in der Fassung des StÄndG 2001 zum Gegenstand, jedoch lassen sich aus ihnen trotzdem Leitlinien für die Beurteilung des Verhältnisses zwischen § 42 AO in der aktuellen Fassung und speziellen Missbrauchsvermeidungsvorschriften ableiten. Sie enthalten wichtige Erkenntnisse für alle drei der oben genannten Fallgruppen, die nach aktueller Rechtslage unterschieden werden können. Im Folgenden werden zunächst die Entscheidungen des BFH vorgestellt (dazu 1.) und sodann die sich aus den Entscheidungen ergebenden Leitlinien sowohl aus Sicht der Beratung als auch aus Sicht der Finanzverwaltung analysiert (dazu 2.).

1. Rechtsprechungsübersicht a) BFH v. 23.4.2021 – IX R 8/20, BStBl. II 2021, 743 In seinem Urteil vom 23.4.2021 beschäftigte sich der BFH mit der Besteuerung eines Gewinns aus einem privaten Veräußerungsgeschäft nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG und damit zusammenhängend mit dem Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO in seiner aktuellen Fassung. aa) Sachverhalt Der Sachverhalt lässt sich vereinfacht wie folgt darstellen:

A kaufte im Jahr 2011 ein Grundstück. Dieses übertrug sie im Jahr 2012 jeweils zu hälftigem Miteigentum auf ihre Tochter (B) und ihren Sohn (C). B und C verkauften das Grundstück mit Vertrag vom selben Tag sodann an D. A führte die Vertragsverhandlungen mit D. 697

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A erklärte in ihrer Steuererklärung für das Jahr 2012 keine Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft. Das Finanzamt setzte hingegen im Einkommensteuerbescheid Veräußerungseinkünfte fest mit der Begründung, dass der Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf des Grundstücks an D der A zuzurechnen sei, da ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gegeben sei. Die Klage vor dem Finanzgericht blieb erfolglos. bb) Rechtliche Würdigung Der BFH hob die Entscheidung des Finanzgerichts auf und gab der Klage statt. Zunächst verneinte er knapp das Vorliegen des Tatbestands eines privaten Veräußerungsgeschäfts der A im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG mangels entgeltlicher Veräußerung. Sodann beschäftigte er sich mit der Frage, ob ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO gegeben war, der zu einer Entstehung des Steueranspruchs aus der Veräußerung des Grundstücks bei A hätte führen können. Der BFH lehnte einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nach § 42 AO ab. Aus § 42 Abs. 1 Satz 2 AO ergebe sich, dass sich die Rechtsfolgen allein nach einer spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschrift bestimmen würden, wenn ein Sachverhalt dieser Vorschrift unterfalle. Daneben komme die Annahme eines Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 AO nicht in Betracht. Es handele sich bei § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG um eine solche spezialgesetzliche Missbrauchsvorschrift, deren Tatbestand auch erfüllt sei. Der BFH äußerte sich in seinem Urteil mithin zu der oben vorgestellten ersten Fallgruppe der klaren Nichtanwendbarkeit des § 42 AO bei tatbestandlich erfüllten spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften (siehe dazu oben unter II.). Dieser Grundsatz gilt nach Auffassung des BFH auch und insbesondere dann, wenn die Erfüllung des Tatbestands keine Besteuerung auslöst. b) BFH v. 9.6.2021 – I R 52/17, BFH/NV 2022, 210 In seinem Urteil vom 9.6.2021 beschäftigte sich der BFH mit der Besteuerung eines Veräußerungsgewinns aus einem Verkauf von Gesellschaftsanteilen und damit zusammenhängend mit dem Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO in der Fassung des StÄndG 2001.

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aa) Sachverhalt Der Sachverhalt lässt sich vereinfacht wie folgt darstellen:

Die A-GmbH hielt 100% der Anteile an der B-GmbH, die wiederum 100% der Anteile an der C-GmbH hielt. Zwischen den Gesellschaften bestand eine körperschaftsteuerliche mehrstufige Organschaft, deren oberste Organträgerin die A-GmbH war. Im Jahr 2004 übertrug die C-GmbH einen Teilbetrieb im Wege einer Ausgliederung zur Neugründung auf die D-GmbH. Die Ausgliederung erfolgte steuerlich zu Buchwerten, weshalb die Anteile an der D-GmbH nach § 8b Abs. 4 KStG in der Fassung des Korb II-Gesetzes23 (im Folgenden: § 8b Abs. 4 KStG a.F.) als einbringungsgeborene Anteile sperrfristbehaftet waren. Die C-GmbH und die D-GmbH schlossen einen Ergebnisabführungsvertrag.

23 Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz (Korb II-Gesetz) v. 22.12.2003, BGBl. I 2003, 2840.

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Im Jahr 2007 gliederte die D-GmbH den Teilbetrieb zur Neugründung auf die F-GmbH aus. Der Ergebnisabführungsvertrag zwischen der C-GmbH und der D-GmbH wurde – mithin vor Ablauf der (steuerlichen) Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren – aufgehoben. Die Parteien vereinbarten eine Abschlagszahlung auf den für das Geschäftsjahr 2007 gemäß dem Gewinnabführungsvertrag voraussichtlich abzuführenden Gewinn, die die D-GmbH aufgrund der Aufhebung des Gewinnabführungsvertrags als verdeckte Gewinnausschüttung behandelte. Die C-GmbH veräußerte ihre Gesellschaftsanteile an der D-GmbH an die E-KG. Der zunächst vereinbarte Kaufpreis wurde unter anderem aufgrund der geleisteten Abschlagszahlungen erheblich herabgesetzt. Die A-GmbH und das Finanzamt waren sich im Rahmen der Festsetzung des der A-GmbH als oberste Organträgerin zuzurechnenden Einkommens ihrer Organgesellschaften zwar darüber einig, dass die Veräußerung der Anteile an der D-GmbH aufgrund der Verletzung der Sperrfrist des § 8b Abs. 4 KStG a.F. voll steuerpflichtig war, jedoch setzten sie jeweils unterschiedliche Kaufpreise für die Veräußerung der Gesellschaftsanteile an der D-GmbH an. Das Finanzamt begründete den Ansatz eines höheren Kaufpreises mit einem Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO. Die Klage vor dem Finanzgericht blieb erfolglos. bb) Rechtliche Würdigung Der BFH hob das Urteil des Finanzgerichts auf und wies die Sache an das Finanzgericht zurück. Er beschäftigt sich in seiner Entscheidung unter anderem mit dem Verhältnis von speziellen Missbrauchsvorschriften zu § 42 AO in der Fassung des StÄndG 2001. Zunächst bestätigte der BFH seine ständige Rechtsprechung, dass der Rückgriff auf § 42 AO in der Fassung des StÄndG 2001 grundsätzlich durch spezialgesetzliche Missbrauchsvorschriften gesperrt würde, woran auch die Einfügung des § 42 Abs. 2 AO in der Fassung des StÄndG 2001 nichts geändert habe. Bei § 8b Abs. 4 KStG a.F. handele es sich auch um eine solche spezialgesetzliche Missbrauchsvorschrift. Während das Finanzgericht noch darauf abgestellt hatte, dass trotz Vorliegens einer speziellen Missbrauchsvorschrift die allgemeine Missbrauchsvorschrift des § 42 AO ausnahmsweise eingreifen könne, wenn die Spezialvorschrift ihrerseits missbraucht werde, ließ der BFH diese Frage dahinstehen. 700

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Auch der BFH kam jedoch zu dem Ergebnis, dass in dem konkreten Urteilssachverhalt § 8b Abs. 4 KStG a.F. keine Sperrwirkung gegenüber § 42 AO in der Fassung des StÄndG 2001 zukam. Nach Auffassung des BFH konnte es schon gar nicht zu einer Sperrwirkung kommen, da es an einer Kollision der speziellen Missbrauchsvorschrift mit § 42 AO gefehlt habe. Die streitgegenständlichen vertraglichen Gestaltungen hätten sich außerhalb des Anwendungsbereichs der speziellen Missbrauchsvorschrift ausgewirkt. Sie hätten nicht dazu geführt, dass § 8b Abs. 4 KStG a.F. tatbestandlich nicht einschlägig gewesen sei. Vielmehr sei allein aufgrund der Aufhebung des Ergebnisabführungsvertrags vor Ablauf der steuerrechtlichen Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren die Abschlagszahlung als verdeckte Gewinnausschüttung zu 95% steuerbefreit gewesen (§ 8b Abs. 1 KStG) und infolgedessen ein niedriger Veräußerungsgewinn nach § 8b Abs. 4 KStG a.F. steuerpflichtig gewesen. Die Anwendung von § 42 AO habe im Streitfall weder zu einer Erweiterung des Tatbestands noch der Rechtsfolgen der speziellen Missbrauchsbekämpfungsvorschrift des § 8b Abs. 4 KStG a.F. geführt. Der BFH erweiterte mit diesem Urteil die oben vorgestellte zweite Fallgruppe der klaren Anwendbarkeit des § 42 AO (siehe dazu oben unter II.) um die Fälle, in denen die Steuergestaltung außerhalb des Anwendungsbereichs einer speziellen Missbrauchsvorschrift liegt. Die Sperrwirkung kann nur so weit reichen, wie es überhaupt zu einer Kollision des Anwendungsbereichs von § 42 AO einerseits und der speziellen Missbrauchsvorschrift andererseits kommt. Dieser Grundsatz dürfte auch auf § 42 AO in seiner aktuellen Fassung übertragbar sein. Zur Anwendbarkeit des § 42 AO, wenn die Spezialvorschrift ihrerseits missbraucht wird, brauchte der BFH keine Stellung mehr zu nehmen, jedoch bestätigte das Finanzgericht den Grundsatz, dass § 42 AO in diesen Fällen ebenfalls anwendbar ist. c) BFH v. 17.11.2020 – I R 2/18, BStBl. II 2021, 580 In seinem Urteil vom 17.11.2020 beschäftigte sich der BFH mit der steuerlichen Anerkennung einer rückwirkenden Verschmelzung einer Gewinngesellschaft auf eine Verlustgesellschaft und damit zusammenhängend mit dem Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO in seiner aktuellen Fassung.24 24 Siehe zu dem Urteil auch Blumenberg/Bernard, DB 2021, 1491; Drüen, Ubg 2022, 61; Strahl, NWB 2021, 1643 (1645); Trossen, Ubg 2021, 480; Wargowske, Ubg 2021, 481; Schlücke, Ubg 2021, 483; Pfirrmann, BFH/PR 2021, 335 (336).

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aa) Sachverhalt Der Sachverhalt lässt sich vereinfacht wie folgt darstellen:

Die A-GmbH befand sich Ende 2008 in Liquiditätsschwierigkeiten. Es handelte sich um eine Verlustgesellschaft. Die C-Corp bot der A-GmbH zum Zwecke der Finanzierung an, eine 100%ige Tochtergesellschaft der C-Corp, die D-GmbH, zu erwerben. Die D-GmbH war eine wirtschaftlich inaktive Gesellschaft, die in den Jahren 2008 und 2009 Gewinne aus Finanzgeschäften erzielte. Es handelte sich um eine Gewinngesellschaft. Im Januar 2009 schüttete die D-GmbH ihren handelsrechtlichen Gewinn aus dem Jahr 2008 an die C-Corp aus und leistete zudem Mitte Februar 2009 eine Vorabausschüttung auf ihren handelsrechtlichen Gewinn für das Jahr 2009 an die C-Corp. Mit notariellem Kaufvertrag vom 23.2.2009 erwarb die A-GmbH sodann von der C-Corp sämtliche Anteile an der D-GmbH. Zu diesem Zeitpunkt bestand das Vermögen der D-GmbH im Wesentlichen aus liquiden Mitteln in Form von Bankguthaben sowie Steuererstattungsansprüchen. Sie hatte in ihrer Bilanz zudem Steuerrückstellungen gebildet. Mit Verschmelzungsvertrag vom 24.2.2009 wurde die D-GmbH auf die A-GmbH verschmolzen. Die Verschmelzung erfolgte rückwirkend auf den 1.7.2008 unter Zugrundelegung der auf den 30.6.2008 erstellten Schlussbilanz der D-GmbH und steuerlich zu Buchwerten. Die Verschmelzung führte dazu, dass im Rückwirkungszeitraum die negativen Einkünfte der A-GmbH mit den positiven Einkünften der D-GmbH verrechnet werden konnten. Infolgedessen wurden bei der D-GmbH Steuerrückstellungen aufgelöst und es kam zu einem Liquiditätszufluss bei der A-GmbH. Das Finanzamt ging davon aus, dass das von der D-GmbH zwischen dem 1.7.2008 und dem 23.2.2009 (Rückwirkungszeitraum) erzielte Ein702

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kommen von ihr als Steuersubjekt zu versteuern sei, weil der Anteilsübertragung und der sich anschließenden Verschmelzung nach § 42 AO die steuerliche Anerkennung zu versagen sei. Die Klage vor dem Finanzgericht hatte Erfolg. Das Finanzgericht lehnte einen Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO mit der Begründung ab, dass den spezialgesetzlichen Vorschriften der § 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG und § 8c Satz 2 KStG in der Fassung vom Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 (im Folgenden § 8c Satz 2 KStG a.F.)25, die den umgekehrten Fall der Verschmelzung einer Verlust- auf eine Gewinngesellschaft betreffen, eine Abschirmwirkung gegenüber der Vorschrift des § 42 AO zukomme.26 bb) Rechtliche Würdigung Der BFH wies die Revision des Finanzamts zwar zurück, begründete seine Entscheidung jedoch abweichend von der Begründung des Finanzgerichts. Im Unterschied zu früheren Fassungen enthalte § 42 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO nunmehr eine ausdrückliche Regelung zum Verhältnis spezialgesetzlicher Missbrauchsvorschriften gegenüber der allgemeinen Missbrauchsklausel des § 42 AO. Nach dem eindeutigen Wortlaut werde § 42 AO nicht verdrängt, wenn spezialgesetzliche Missbrauchsvorschriften tatbestandlich nicht einschlägig seien. Für eine automatische Abschirmwirkung der spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschrift bleibe kein Raum mehr. Damit erkannte der BFH erstmals die Möglichkeit eines generellen Rückgriffs auf § 42 AO an. Jedoch seien diejenigen Wertungen des Gesetzgebers, die den von ihm geschaffenen spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften zugrunde liegen, zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen bei der Prüfung des Vorliegens eines Missbrauchs nach § 42 Abs. 2 AO im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen. Dies gelte insbesondere bei solchen Vorschriften, die strikte und damit Rechtssicherheit gewährleistende Abgrenzungsmerkmale enthielten, wie dies beispielsweise bei einer typisierenden Festlegung, dass bei Veräußerungen nach Ablauf einer bestimmten Frist keine Umgehungsgestaltung vorliege, der Fall sei (z.B. § 22 UmwStG).

25 Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912, 1928. 26 Für Umwandlungen/Einbringungen nach dem 6.6.2013 gilt § 2 Abs. 4 Satz 3 ff. UmwStG.

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Der BFH ordnete im Gegensatz zum Finanzgericht die Regelungen des § 12 Abs. 3 Halbs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG und des § 8c S. 2 KStG a.F. nicht als spezialgesetzliche Missbrauchsvorschriften ein. Dies wirke sich jedoch nicht auf das Ergebnis aus, da § 42 AO nunmehr sowohl bei gänzlichem Fehlen einer spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschrift als auch bei einer tatbestandlich nicht erfüllten Missbrauchsvorschrift zur Anwendung gelange. Die gesetzgeberischen Wertungen aller einschlägigen Vorschriften seien unabhängig von der Einordnung als spezialgesetzliche Missbrauchsvorschriften im Rahmen der Auslegung nach § 42 Abs. 2 AO zu berücksichtigen. Der BFH sah in der rückwirkenden Verrechnung eigener Verluste einer Verlustgesellschaft mit positiven Einkünften aus einer erworbenen inaktiven Gesellschaft keinen Missbrauch im Sinne des § 42 Abs. 2 AO. In seiner Entscheidung beschäftigte sich der BFH erstmals mit dem Verhältnis von spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften zu § 42 AO in seiner aktuellen Fassung, wenn diese tatbestandlich nicht erfüllt sind. Das Urteil betrifft mithin die oben vorgestellte dritte Fallgruppe der Subsidiären Anwendbarkeit des § 42 AO bei tatbestandlich nicht erfüllter spezialgesetzlicher Missbrauchsvorschrift (siehe dazu oben unter II.). Mit der Entscheidung des BFH wird die Unterscheidung zwischen der zweiten und dritten Fallgruppe weitgehend obsolet, da § 42 AO nunmehr immer dann zu prüfen ist, wenn eine spezialgesetzliche Missbrauchsvorschrift tatbestandlich nicht erfüllt ist. Dies gilt unabhängig davon, ob eine echte oder unechte spezialgesetzliche Missbrauchsvorschrift vorliegt, ob die Steuergestaltung innerhalb oder außerhalb des Anwendungsbereichs einer speziellen Missbrauchsvorschrift liegt oder ob ein Missbrauch der spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschrift vorliegt. d) BFH v. 11.8.2021 – I R 39/18, BFH/NV 2022, 297 In seinem Urteil vom 11.8.2021 beschäftigte sich der BFH mit der Besteuerung eines Übertragungsgewinns infolge einer Abspaltung und damit zusammenhängend mit dem Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO in der Fassung des StÄndG 2001.27

27 Siehe zu dem Urteil auch Schumacher, BFH v. 11.8.2021 – I R 39/18, ECLI: DE:BFH:2021:U.110821.IR39.18.0, GmbHR 2022, 268 m. Anm. Binnewies/ Cleve = FR 2022, 215; Graw/Weißberger/Kölbl, Ubg 2022, 159; Broemel/Kölle, DStR 2022, 513.

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aa) Sachverhalt Der Sachverhalt lässt sich vereinfacht wie folgt darstellen:

Die GmbH 1 hielt 100% der Anteile an der GmbH 2. Mit Kaufvertrag vom 23.11.2007 vereinbarten die Anteilseigner der GmbH 1 als Verkäufer und die E-KG als Käuferin den Kauf von Anteilen an einer noch zu gründenden GmbH 3, in die die GmbH 1 noch vor dem Closing auf Geheiß ihrer Anteilseigner sämtliche Anteile an der GmbH 2 einzubringen hatte. Mit Vertrag vom 2.6.2008 und steuerlicher Wirkung zum 31.12.2007 spaltete die GmbH 1 ihre 100%ige Beteiligung an der GmbH 2 auf die am selben Tag neu gegründete GmbH 3 gegen Gewährung von Anteilen an der GmbH 3 zu Gunsten ihrer Anteilseigner ab. Die GmbH 3 war damit Schwestergesellschaft der GmbH 1. Der Wert der GmbH 2-Anteile machten zum 31.12.2007 nicht mehr als 20% des Gesamtwerts der GmbH 1 aus. Einen Monat später übertrugen die Anteilseigner der GmbH 3 ihre Anteile an der GmbH 3 auf die E-KG. Die GmbH 1 beantragte für die Abspaltung der GmbH 2-Anteile auf die GmbH 3 die Buchwertfortführung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 UmwStG i.V.m. § 11 Abs. 2 UmwStG. Diese lehnte das Finanzamt mit der Begründung ab, dass durch die Abspaltung die Voraussetzungen für eine Veräußerung geschaffen worden seien und deshalb die sog. Nachspaltungsveräußerungssperre des § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG greife. § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG sei ein eigenständiger Tatbestand, der neben § 12 705

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Abs. 2 S. 4 UmwStG anwendbar sei. Die Klage vor dem Finanzgericht blieb erfolgslos. bb) Rechtliche Würdigung Der BFH hob die Entscheidung des Finanzgerichts auf und gab der Klage statt. Er stellte zunächst fest, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Buchwertfortführung des § 15 Abs. 1 UmwStG i.V.m. § 11 Abs. 2 UmwStG erfüllt waren (Übertragung eines Teilbetriebs in Form einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft von der GmbH 1 auf die GmbH 3, Verbleib eines Teilbetriebs bei der GmbH 1; Antrag auf Buchwertfortführung; Spaltung i.S.d. § 123 Abs. 1 Nr. 2 UmwG). Die Buchwertfortführung sei auch nicht nach § 15 Abs. 2 S. 3 UmwStG ausgeschlossen gewesen. Nach § 15 Abs. 2 Satz 2 UmwStG ist die Buchwertfortführung ausgeschlossen, wenn durch die Spaltung die Veräußerung an außenstehende Personen vollzogen wird. Das Gleiche gilt nach Satz 3, wenn durch die Spaltung die Voraussetzungen für eine Veräußerung geschaffen werden. Davon ist nach Satz 4 auszugehen, wenn innerhalb von fünf Jahren nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag Anteile an einer an der Spaltung beteiligten Körperschaft, die mehr als 20% der vor Wirksamwerden der Spaltung an der Körperschaft bestehende Anteile ausmachen, veräußert werden. Nach Auffassung des BFH bildet § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG nur die Grundlage für die Vermutung des Satzes 4 und ist kein eigenständiger Ausschlussgrund für eine Buchwertfortführung. Es handele sich um eine einheitliche Missbrauchsvermeidungsregelung bestehend aus den Sätzen 3 und 4. Die Voraussetzungen dieser Missbrauchsvermeidungsregelung seien nicht erfüllt gewesen, da die in § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG genannte 20% Wertgrenze nicht erreicht worden sei. Sodann setzte sich der BFH mit einem Rückgriff auf § 42 AO in der Fassung des StÄndG 2001 auseinander. Er bestätigte seine ständige Rechtsprechung zur Sperrwirkung von spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften und hielt erneut fest, dass daran auch die Einführung des § 42 Abs. 2 AO in der Fassung des StÄndG 2001 nichts geändert habe. Bei § 15 Abs. 2 Satz 3, 4 UmwStG handele es sich auch um eine spezialgesetzliche Missbrauchsvorschrift, der eine entsprechende Sperrwirkung zukomme. Die aktuelle Fassung des § 42 AO dürfte zu keinem anderen Ergebnis führen. Zwar besteht keine Sperrwirkung von spezialgesetzlichen Vor706

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schriften mehr. Allerdings sind die Wertungen des Gesetzgebers, die den von ihm geschaffenen spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften zugrunde liegen, zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen im Rahmen der Auslegung von § 42 Abs. 2 AO zu berücksichtigen (siehe dazu oben unter c). Nach § 15 Abs. 2 Satz 3, 4 UmwStG stellen Veräußerungen bis zur 20%-Grenze und nach Ablauf der Fünfjahresfrist ausdrücklich keinen Gestaltungsmissbrauch dar.28

2. Kernpunkte der Rechtsprechungsentwicklung a) Kernpunkte der Rechtsprechungsentwicklung aus der Beratungsperspektive (Dr. Georg Roderburg) Aus der aktuellen Rechtsprechung des BFH, die in engem zeitlichem Zusammenhang ergangen ist, ergibt sich ein einheitliches Konzept zur Beurteilung des Verhältnisses von spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften zu der generellen Missbrauchsvorschrift des § 42 AO nach aktueller Rechtslage. Es wird deutlich, dass die letzte gesetzgeberische Änderung des § 42 AO nicht zu einer substantiellen Veränderung im Vergleich zu der Rechtslage vor Inkrafttreten des JStG 2008 führte. Ein Rückgriff auf § 42 AO ist ausgeschlossen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen einer spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschrift erfüllt sind. Unerheblich ist, ob die Erfüllung des Tatbestands eine Besteuerung auslöst oder nicht. Diese „positive Spezialität von einzelsteuergesetzlichen Umgehungsvorschriften“29 ist im Gesetz mittlerweile ausdrücklich normiert (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO), wobei es sich indes um eine deklaratorische Klarstellung handelt. In seinem Urteil vom 23.4.2021 bestätigte der BFH den Grundsatz (siehe dazu oben unter 1.a). In allen anderen Fällen kann auf § 42 AO zurückgegriffen werden. Dies gilt – nach wie vor – in Fällen, in denen unechte spezialgesetzliche Missbrauchsvorschriften betroffen sind oder spezialgesetzliche Missbrauchsvorschriften selbst umgangen werden sowie in Fällen, in denen die Steuergestaltung außerhalb des Anwendungsbereichs der speziellen Missbrauchsvorschrift liegt. Letzteres bestätigte der BFH in seinem Urteil vom 9.6.2021 (siehe dazu oben unter 1.b).

28 So auch Schumacher, BFH v. 11.8.2021 – I R 39/18, ECLI:DE:BFH:2021: U.110821.IR39.18.0, GmbHR 2022, 268 m. Anm. Binnewies/Cleve = FR 2022, 215 (220). 29 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 30 (Sept. 2022).

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Auch darüber hinaus entfalten spezialgesetzliche Missbrauchsvorschriften gegenüber § 42 AO nach dem eindeutigen Wortlaut des § 42 Abs. 1 Satz 3 AO keine automatische Sperrwirkung mehr. Jedoch sind diejenigen gesetzgeberischen Wertungen, die den von ihm geschaffenen spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften zugrunde liegen, bei der Prüfung des Missbrauchs im Sinne des § 42 Abs. 2 AO zu berücksichtigen. Dies hielt der BFH in seinem Urteil vom 17.11.2020 fest (siehe dazu oben unter 1.c). Im Ergebnis hat der BFH seine ständige Rechtsprechung zum Verhältnis des § 42 AO zu spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften zur alten Rechtslage vor Inkrafttreten des JStG 2008 kaum geändert. Er hat lediglich die Begründung angepasst.30 Bei Bestehen von spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften bleibt kaum Raum für eine echte Missbrauchsprüfung im Sinne des § 42 Abs. 2 AO. Die Schwelle für die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs ist damit sehr hoch. Dies gilt insbesondere bei Anwendbarkeit solcher Vorschriften, die strikte und damit Rechtssicherheit gewährleistende Abgrenzungsmerkmale enthalten. Als eine solche Vorschrift dürfte der BFH vor dem Hintergrund seines Urteils vom 11.8.2021 auch § 15 Abs. 2 Satz 3, 4 UmwStG einordnen (siehe dazu oben unter 1.d). Bemerkenswert ist, dass der BFH ausdrücklich auch die gesetzgeberische Wertung berücksichtigen möchte, die anderen spezialgesetzlich ausdifferenzierten Normensystemen zugrunde liegt, wie z.B. den Vorschriften zur Behandlung von steuerlichen Verlusten (§ 12 Abs. 3 Halbs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG und des § 8c KStG).31 Insoweit führt die Rechtsprechung zu einer gesteigerten Planungssicherheit für Steuerpflichtige. Dennoch ist nicht zu verkennen, dass die neue Rechtsprechung des BFH, die erstmals die subsidiäre Anwendbarkeit des § 42 AO neben spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften anerkennt, der Finanzverwaltung einen größeren Beurteilungsspielraum bei der Prüfung des Missbrauchs nach § 42 AO eröffnen könnte. § 42 AO ist nunmehr zumindest abstrakt neben spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften anwendbar.32 Die Finanzverwaltung könnte geneigt sein, die Grenzen der Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs vor dem Hintergrund der aktuel30 So auch Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 32 (Sept. 2022); Drüen, Ubg 2022, 61 (64); Pfirrmann, BFH/PR 2021, 335 (336); Blumenberg/Bernard, DB 2021, 1491 (1495); a.A. wohl Strahl, NWB 2021, 1643 (1645), der von einer Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 42 Abs. 2 AO ausgeht. 31 Eilers/Roderburg, ISR 2022, 303 (307). 32 Vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 32 (Sept. 2022); Drüen, Ubg 2022, 61 (64).

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len Gesetzesfassung und dem Urteil des BFH vom 17.11.2020 weiter zu stecken als bisher, indem sie die gesetzgeberischen Wertungen hinter spezialgesetzlichen Vorschriften in Frage stellt. So weist Wargowkse darauf hin, dass Streit zukünftig „vor allem über die „Reichweite“ der jeweiligen spezialgesetzlichen Vorschrift und die möglichen Ausnahmetatbestände bestehen [dürfte], auf Grund derer ausnahmsweise eine an sich angemessene Gestaltung als unangemessen qualifiziert werden kann.“33 Zudem könnte die Rechtsprechung unter Umständen zu Lasten des Steuerpflichtigen wirken, wenn der Gesetzgeber den Willen zur Verhinderung von Steuerumgehung in spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften eindeutig zum Ausdruck bringt, so dass diese gesetzgeberische Wertung im Rahmen der Prüfung eines Missbrauchs nach § 42 AO zu berücksichtigen wäre. Insoweit folgt aus der aktuellen Gesetzesfassung und Rechtsprechung zugleich eine gewisse Planungsunsicherheit für Steuerpflichtige. b) Kernpunkte der Rechtsprechungsentwicklung aus der Finanzverwaltungsperspektive (Dr. Alexander Mann) Aus Sicht der Finanzverwaltung ist zu begrüßen, dass der BFH sich nunmehr erstmalig mit der Auslegung des § 42 AO i.d.F. des JStG 2008 befasst und der Praxis klare Leitlinien an die Hand gegeben hat, an denen sich auch die Finanzverwaltung orientieren wird. Mit bewundernswerter Deutlichkeit bestätigt der BFH in seiner Entscheidung vom 17.11.2020 zunächst die Wirksamkeit der Neufassung des § 42 AO durch das JStG 2008. Der Wortlaut der Vorschrift lasse „keinen Zweifel daran“, dass einzelsteuergesetzliche Vorschriften die Anwendung des § 42 AO nur verdrängen, wenn sie tatbestandlich einschlägig sind. Ist dies nicht der Fall, findet § 42 AO Anwendung. Damit verwirft der BFH für § 42 AO i.d.F. des JStG 2008 seine langjährige Sperrwirkungsrechtsprechung und folgt der Auffassung der Finanzverwaltung. Anders als auf den ersten Blick zu vermuten wäre, führt dies aber nicht zu einer gänzlichen Neujustierung des Verständnisses von § 42 AO innerhalb der Steuerrechtsordnung, sondern nur zu einer Verlagerung der Prüfung auf eine andere Ebene. Im Ergebnis wird man allerdings festhalten müssen, dass die Anwendung des § 42 AO durch die Fi33 Wargowske, BFH v. 17.11.2020 – I R 2/18, ECLI:DE:BFH:2020:U.171120.IR 2.18.0, ZIP 2021, 1864 = GmbHR 2021, 946 = FR 2021, 695 m. Anm. Bärsch = Ubg 2021, 476 (482).

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nanzverwaltung in einer größeren Zahl von Fällen möglich wird. Wie die Finanzverwaltung mit dieser neuen „Freiheit“ umgeht, bleibt abzuwarten. Der richtige Weg scheint auch künftig eine zurückhaltende Anwendung des § 42 AO auf echte Missbrauchsfälle. Sind die Voraussetzungen einer spezialgesetzlichen Missbrauchsvermeidungsvorschrift nicht erfüllt, und ist § 42 AO daher zu prüfen (§ 42 Abs. 1 Satz 3 AO), will der BFH bei der konkreten Prüfung des § 42 AO gesetzgeberische Wertungen berücksichtigen. Dabei wird man den BFH so verstehen müssen, dass dies nicht nur die Wertungen der im Streitfall nicht einschlägigen spezialgesetzlichen Missbrauchsvermeidungsvorschrift sind, sondern – dies belegt das Urteil vom 11.8.2021 – auch sonstige Wertungen des Gesetzgebers (zu Wertungen des europäischen Gesetzgebers vgl. IV.). Das ist folgerichtig und wurde – auch von der Finanzverwaltung – bisher schon so vertreten. Wirft der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen vor, sich mit einer bestimmten Gestaltung außerhalb der Rechtsordnung zu bewegen, müssen deren Wertungen bei der Prüfung des § 42 AO herangezogen werden. Allein auf die subjektive Vorstellung des Steuerpflichtigen kann die Anwendung des § 42 AO nicht gestützt werden. Für die Praxis bedeutet dies, dass insbesondere, soweit das Gesetz klare und eindeutige Abgrenzungskriterien (z.B. Fristen) enthält, sich der Gesetzgeber diese auch entgegenhalten lassen muss. Wartet der Steuerpflichtige die typisierende Frist einer spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschrift ab, muss er sich grundsätzlich nicht mehr dem Vorwurf aussetzen, sein Vorgehen sei rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 42 AO. Ausdrücklich entschieden hat der BFH dies mit Urteil vom 11.8.2021 für die Fünf-Jahres-Frist des § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG. Man wird diese Aussage aber auf andere Fristen innerhalb des UmwStG (z.B. § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG) oder in anderen Gesetzen (z.B. § 36a Abs. 5 Nr. 2 EStG) übertragen können. Bedeutsam aus Sicht der Finanzverwaltung ist weiter, dass die neuere Rechtsprechung des BFH in beide Richtungen wirkt. Muss sich die Finanzverwaltung gesetzgeberische Wertentscheidungen entgegenhalten lassen, gilt dies umgekehrt auch für den Steuerpflichtigen. Ist dem Gesetz daher eine gesetzgeberische Wertung zu entnehmen, wäre eine Gestaltung, die diese Wertung missachtet, nach der Rechtsprechung des BFH als missbräuchlich i.S.d. § 42 AO einzuordnen. Es bleibt abzuwarten, ob der BFH seine Rechtsprechung in diesem Sinne folgerichtig fortentwickelt. Jedenfalls wird der Gesetzgeber künftig noch stärker darauf 710

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achten müssen, von ihm intendierte Wertungen klar und deutlich herauszuarbeiten. In die aktuelle Diskussion um mehr Planungssicherheit bei der Anwendung des § 42 AO ist auch die Figur des „Gesamtplans“ einzuordnen, die insbesondere im UmwStG unverändert zu strittigen Diskussionen zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung führt. Nimmt man die vorgenannte BFH-Rechtsprechung zum Maßstab, könnte Rechtsund Planungssicherheit für alle Beteiligten erreicht werden, wenn der Gesetzgeber – ausgehend von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise – für das gesamte UmwStG typisierend anordnet, dass innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (z.B. zwei Jahre) verschiedene Einzelschritte zusammen zu betrachten sind. Nach Ablauf einer solchen Frist wäre aufgrund der klaren gesetzgeberischen Wertung die Prüfung des § 42 AO dann grundsätzlich ausgeschlossen. Dem Ziel der Rechts- und Planungssicherheit für alle Beteiligten gegenläufig wäre es allerdings, wenn dem Steuerpflichtigen innerhalb dieser Frist die Möglichkeit eines Gegenbeweises eingeräumt wird. Dann müsste folgerichtig auch die Finanzverwaltung außerhalb der gesetzlichen Frist die Möglichkeit haben, einen Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO anzunehmen. Das tatsächliche Ziel – Rechts- und Planungssicherheit – würde verfehlt.

IV. Auswirkungen des Unionsrechts auf nationale Missbrauchsvorschriften Nicht nur hinsichtlich des Verhältnisses von § 42 AO zu spezialgesetzlichen nationalen Missbrauchsvorschriften, auch hinsichtlich des Verhältnisses von § 42 AO zum Unionsrecht ergeben sich zahlreiche rechtliche Fragestellungen, von denen Einige im Folgenden kurz aufgezeigt werden sollen (dazu 1.). Die Kernpunkte der unionsrechtlichen Entwicklung werden anschließend aus Berater- und Finanzverwaltungsperspektive betrachtet (dazu 2.).

1. Verhältnis von § 42 AO zum Unionsrecht a) Unionsrechtlicher Grundsatz des Verbots des Rechtsmissbrauchs Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH gilt im Unionsrecht der allgemeine Grundsatz des Missbrauchsverbots. Danach kann sich ein Steuerpflichtiger nicht betrügerisch oder missbräuchlich auf die Vorschriften

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des Unionsrechts berufen.34 Die Anwendung der Unionsvorschriften kann nicht so weit reichen, dass Vorgänge geschützt werden, die zu dem Zweck durchgeführt werden, betrügerisch oder missbräuchlich in den Genuss von im Unionsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen.35 Daraus folgt, dass ein Mitgliedstaat angehalten ist, die Anwendung von Vorschriften des Unionsrechts zu verweigern, wenn diese nicht geltend gemacht werden, um die Ziele der Vorschriften zu verwirklichen, sondern um in den Genuss eines im Unionsrecht vorgesehenen Vorteils zu gelangen, obwohl die entsprechenden Voraussetzungen lediglich formal erfüllt sind.36 Nach der Rechtsprechung des EuGH setzt die Feststellung eines Missbrauchs zum einen eine Gesamtheit objektiver Umstände voraus, aus denen sich ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde, zum anderen ein subjektives Element, nämlich die Absicht, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden. Ob die Tatbestandsmerkmale eines Missbrauchs vorliegen, insbesondere, ob Transaktionen vorliegen, die jeder wirtschaftlichen und geschäftlichen Rechtfertigung entbehren, die nur pro forma oder künstlich durchgeführt worden sind und deren Hauptzweck die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils ist, ist im Wege einer Analyse des gesamten Sachverhalts zu ermitteln.37

34 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, FR 1999, 449 m. Anm. Dautzenberg = GmbHR 1999, 474 = ZIP 1999, 438 (Centros), Abl. EG 1999, Nr. C 136, 3–4, Rz. 24; v. 21.2.2006 – C-255/02, ECLI:EU:C:2006:121, UR 2006, 232 m. Anm. Wäger (Halifax u.a.), Abl. EU 2006, Nr. C 131, 1, Rz. 68; v. 12.9.2006 – C 196/04 (Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas), Abl. EU 2006, C 281, 5, Rz. 35; v. 22.11.2017 – C-251/16, ECLI:EU:C: 2017:881, UR 2018, 241 (Cussens u.a.), Abl. EU 2018, Nr. C 22, 10–11, Rz. 27; 11.7.2018 – C-356/15 (Kommission/Belgien), Abl. EU 2018, Nr. C 319, 2, Rz. 99. 35 EuGH v. 5.7.2007 – C-321/05, ECLI:EU:C:2007:408, GmbHR 2007, 880 m. Anm. Rehm/Nagler (Kofoed), Abl. EU 2007, Nr. C 199, 6–7, Rz. 38; v. 22.11.2017 – C-251/16, ECLI:EU:C:2017:881, UR 2018, 241 (Cussens u. a.), Abl. EU 2018, Nr. C 22, 10–11, Rz. 27; v. 11.7.2018 – C 356/15 (Kommission/ Belgien), Abl. EU 2018, Nr. C 319, 2, Rz. 99. 36 EuGH v. 26.2.2019 – C-116/16 und C-117/16 (CT Danmark und Y Denmark Aps), Abl. EU 2019, Nr. C 139, 7–8, Rz. 72. 37 EuGH v. 26.2.2019 – C-116/16 und C-117/16 (CT Danmark und Y Denmark Aps), Abl. EU 2019, Nr. C 139, 7–8, Rz. 97 ff.

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Dem allgemeinen Grundsatz des Missbrauchsverbots kommt zunächst im Primärrecht eine grundlegende Bedeutung zu, da es der Berufung auf die Grundfreiheiten unmittelbar Grenzen setzt, und sich deshalb auch bei der Anwendung und Auslegung von § 42 AO auswirkt (dazu b). Darüber hinaus enthält das Sekundärrecht teilweise selbst Missbrauchsvorschriften, die es national umzusetzen gilt und die zum allgemeinen Grundsatz des Missbrauchsverbots in Beziehung zu setzen sind (dazu c.). b) Verhältnis von § 42 AO zum Primärrecht Die Anwendung von § 42 AO auf grenzüberschreitende Sachverhalte stellt eine Beschränkung der jeweils einschlägigen Grundfreiheit, etwa der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV), der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) oder der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) dar, die einer Rechtfertigung bedarf. Die Anwendung des § 42 AO wirkt in grenzüberschreitenden Sachverhalten beschränkend, da die Vorschrift, zwar ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit anwendbar ist, jedoch geeignet ist, die Ausübung der jeweils einschlägigen Grundfreiheit zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.38 Eine solche beschränkende mitgliedstaatliche Maßnahme kann nur gerechtfertigt werden, wenn sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entspricht und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet ist und nicht über das erforderliche Maß hinausgeht.39 Ein anerkanntes Ziel des Allgemeininteresses ist die Missbrauchsverhinderung.40 Missbräuchlich ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH eine Gestaltung jedoch nur, wenn es sich um eine 38 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, FR 1999, 449 m. Anm. Dautzenberg = GmbHR 1999, 474 = ZIP 1999, 438 (Centros), ABl. EG 1999, Nr. C 136, 3–4, Rz. 34; v. 12.12.2002 – C-324/00, ECLI:EU:C:2002:749, FR 2003, 182 = GmbHR 2003, 44 = ZIP 2003, 208 (Lankhorst-Hohorst), ABl. EG 2003, Nr. C 31, 2, Rz. 32; v. 14.10.2004 – C-299/02 (Kommission/Niederlande), ABl. EU 2004, Nr. C 300, 9, Rz. 15; v. 18.7.2007 – C-231/05, ECLI:EU:C:2007: 439 (Oy AA), ABl. EU 2007, Nr. C 235, 3–4, Rz. 39. 39 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, FR 1999, 449 m. Anm. Dautzenberg = GmbHR 1999, 474 = ZIP 1999, 438 (Centros), ABl. EG 1999, Nr. C 136, 3–4, Rz. 34; v. 11.3.2004 – C-9/02 (De Lasteyrie du Saillant), ABl. EU 2004, Nr. C 94, 5–6, Rz. 49; v. 13.12.2005 – C-446/03, ECLI:EU:C:2005: 763, FR 2006, 177 = GmbHR 2006, 153 = ZIP 2005, 2313 (Marks & Spencer), ABl. EU 2006, Nr. C 36, 5–6, Rz. 35. 40 EuGH v. 21.1.2010 – C-311/08, ECLI:EU:C:2010:26 (SGI), ABl. EU 2010, Nr. C 63, 8, Rz. 65.

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rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktion handelt, deren Zweck im Wesentlichen nicht die Verfolgung wirtschaftlicher Ziele, sondern die Erlangung eines ungerechtfertigten Steuervorteils ist.41 Die skizzierten Grundsätze des EuGH sind aufgrund des Anwendungsvorrangs des Primärrechts bei der Anwendung von § 42 AO auf grenzüberschreitende Sachverhalte zu berücksichtigen. Ein grenzüberschreitender Sachverhalt darf nicht als missbräuchlich im Sinne des § 42 AO erkannt werden, wenn er nach den Grundsätzen des EuGH nicht als missbräuchlich einzustufen ist.42 c) Einfluss des Sekundärrechts aa) Mutter-Tochter-Richtlinie, Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie Einige EU-Richtlinien enthalten steuerrechtliche Missbrauchsbekämpfungsvorschriften, wie z.B. die Mutter-Tochter-Richtlinie in Art. 1 Abs. 2, 343 und die Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie in Art. 5 Abs. 244. Darüber hinaus sehen Richtlinien ausdrücklich das Recht der Mitgliedstaaten vor, nationale Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehung

41 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, FR 2006, 987 m. Anm. Lieber = GmbHR 2006, 1049 m. Anm. Kleinert = ZIP 2006, 1817 (Cadbury Schweppes), ABl. EU 2006, Nr. C 281, 5, Rz. 55; v. 21.1.2010 – C-311/08, ECLI:EU:C:2010:26 (SGI), ABl. EU 2010, Nr. C 63, 8, Rz. 66. 42 Stöber in Gosch AO/FGO, § 42 AO Rz. 27 (Jan. 2023); Hennigfeld in BeckOK AO, § 42 AO Rz. 57 (Okt. 2022); Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 84 (Sept. 2022); Horn in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 42 AO Rz. 19 (Juni 2021); Eilers/Roderburg, ISR 2022, 303 (308); vgl. auch BT-Drucks. 16/7036, 24; BFH v. 25.2.2004 – I R 42/02, BStBl. II 2005, 14 = FR 2004, 1064 m. Anm. Fischer = GmbHR 2004, 1234 m. Anm. Roser, juris-Rn. 24 (Dublin Docks III); AEAO zu § 42 Nr. 2.2. 43 Richtlinie (EU) 2011/96/EU des Rates vom 30.11.2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, Abl. EU 2011, Nr. L 345/8, zuletzt geändert durch die Richtlinie (EU) 2015/121 des Rates vom 27.1.2015 zur Änderung der Richtlinie 2011/96/EU über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU 2015, Nr. L 21, 1. 44 Richtlinie (EU) 2003/49/EG des Rates vom 3.6.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU 2003, Nr. L 157/49.

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und Missbräuchen anzuwenden (z.B. Art. 1 Abs. 4 Mutter-Tochter-Richtlinie; Art. 5 Abs. 1 Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie). Ist in Umsetzung einer Richtlinie eine spezialgesetzliche Missbrauchsvorschrift in das nationale Recht aufgenommen worden, richtet sich die Versagung der steuerlichen Anerkennung missbräuchlicher Gestaltungen nach dieser Vorschrift.45 Im Übrigen ist auf die allgemeine Missbrauchsvorschrift des nationalen Rechts, in Deutschland mithin auf § 42 AO, zurückzugreifen, die jedoch wiederum unionsrechtskonform auszulegen ist.46 Der EuGH hat zudem entschieden, dass auch wenn eine nationale Missbrauchsvermeidungsvorschrift in Gänze fehlt, auf den unionsrechtlichen Grundsatz des Missbrauchsverbots zurückzugreifen ist. Zunächst hat er in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass es auch im Bereich der direkten Steuern den unionsrechtlichen Grundsatz des Verbots des Rechtsmissbrauchs gibt.47 Das Fehlen von einzelstaatlichen oder vertraglichen Bestimmungen zur Verhinderung von Betrug und Missbrauch ändere nichts an der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Anwendung der Unionsvorschriften zu verweigern, wenn diese betrügerisch oder missbräuchlich geltend gemacht werden.48 Umstritten ist die Rechtsnatur dieses allgemeinen Missbrauchsprinzips.49 Da im deutschen Steuerrecht immer auf § 42 AO in seiner aktuellen Fassung zurückgegriffen werden kann, dürfte ein unmittelbarer Rückgriff auf den

45 Stöber in Goch, AO/FGO, 172. Lfg. 01/2023, § 42 AO Rz. 33. 46 BFH v. 9.11.2006 – V R 43/04, BStBl. II 2007, 344 = UR 2007, 111; Stöber in Goch, AO/FGO, 172. Lfg. 01/2023, § 42 AO Rz. 33; Hennigfeld in BeckOK AO, § 42 AO Rz. 183 (Okt. 2022); Horn in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 42 AO Rz. 20 f.; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 2018, § 2 Rz. 96; vgl. auch EuGH v. 26.2.2019 – C-115/16 (N Luxembourg 1), ABl EU 2019, Nr. C 139, 5–6, Rz. 115 f.; v. 26.2.2019 – C-116/16 und 117/16 (T Danmark und Y Denmark Aps), ABl. EU 2019, Nr. C 139, 7–8, Rz. 87 f.; BFH v. 16.6.2015 – XI R 17/13, BStBl. II 2015, 1024 = UR 2015, 835. 47 EuGH v. 26.2.2019 – C-116/16 und 117/16 (T Danmark und Y Denmark Aps), ABl. EU 2019, Nr. C 139, 7–8, Rz. 77 ff.; Hennigfeld in BeckOK AO, § 42 AO Rz. 48 (Okt. 2022). 48 EuGH v. 26.2.2019 – C-116/16 und 117/16 (T Danmark und Y Denmark Aps), ABl. EU 2019, Nr. C 139, 7–8, Rz. 83. 49 Vgl. dazu Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 82 (Sept. 2022); Heintzen in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht2, § 42 AO Rz. 13; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 2018, § 2 Rz. 74; Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 12.46.

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europarechtlichen Grundsatz des Verbotes eines Rechtsmissbrauchs regelmäßig nicht notwendig sein.50 bb) ATAD-Richtlinie Art. 6 der Anti Tax Avoidance Directive (ATAD)51 enthält eine unionsrechtliche allgemeine steuerrechtliche Missbrauchsbekämpfungsvorschrift, wobei der Anwendungsbereich auf die Körperschaftsteuer beschränkt ist. Ungeklärt ist bisher, ob der in Art. 6 ATAD enthaltene Missbrauchsbegriff dem durch den EuGH entwickelten unionsrechtlichen Missbrauchsbegriff entspricht.52 Es besteht weitgehend Einigkeit, dass Art. 6 ATAD sich inhaltlich kaum von § 42 AO unterscheidet und daher zur Umsetzung keine Gesetzesänderung erforderlich ist.53 § 42 AO ist unionsrechtskonform in Lichte des Art. 6 ATAD anzuwenden.54 Eine Auslegung des Art. 6 ATAD dahingehend, dass dieser weniger streng ist als § 42 AO, würde jedoch nicht dazu führen, dass § 42 AO entsprechend „mild“ ausgelegt werden müsste, denn die ATAD etabliert nur ein Mindestschutzniveau (Art. 3 ATAD-RL). Nach Art. 6 Abs. 1 ATAD kann ausdrücklich auch eine „unangemessene Abfolge von Gestaltungen“ als missbräuchlich anzusehen sein. Dies dürfte der sogenannten Gesamtplanrechtsprechung des BFH zu § 42 AO 50 Hennigfeld in BeckOK AO, § 42 AO Rz. 183 (Okt. 2022). 51 Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes, ABl. EU 2016, Nr. L 193, 1, geändert durch Richtlinie (EU) 2017, 952 des Rates vom 29.5.2017 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/1164 bezüglich hybrider Gestaltungen mit Drittländern, ABl. EU 2017, Nr. L 144, 1. 52 Eine Diskrepanz erkennen: Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 2018, § 2 Rz. 91; Heintzen in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht2, § 42 AO Rz. 12; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 90 (Sept. 2022); Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 17.63; Eilers/Oppel, IStR 2016, 312 (316); Hey, StuW 2017, 248 (260). 53 Vgl. ATAD-Umsetzungsgesetz v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035; AEAO zu § 42 AO Nr. 2.7; Hennigfeld in BeckOK AO, § 42 AO Rz. 49 (Okt. 2022); Ratschow in Klein, AO16, § 42 AO Rz. 16; Stöber in Gosch, AO/FGO, § 42 AO Rz. 35 (Jan. 2023); Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 42 AO Rz. 99 (Nov. 2022); Hey, StuW 2017, 248 (263); vgl. auch Drüen in Tipke/Kruse, AO/ FGO, § 42 AO Rz. 98 (Sept. 2022). 54 Hennigfeld in BeckOK AO, § 42 AO Rz. 49 (Okt. 2022); Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 99 (Sept. 2022).

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entsprechen.55 Nach Drüen steht dahinter „statt einer eigenen Rechtsfigur eines Gesamtplans […] die zutreffende Erkenntnis, dass die finanzbehördliche Missbrauchskontrolle nicht auf einen Einzelakt verengt werden darf, sondern Beurteilungshorizont auf zusammengehörige oder aufeinander bezogene Gestaltungsakte zeitlich und sachlich zu erstrecken ist.“56 Zum Verhältnis von Art. 6 ATAD zu speziellen Missbrauchsvermeidungsvorschriften bestehen dieselben Unklarheiten wie hinsichtlich des Verhältnisses von § 42 AO zu speziellen Missbrauchsvermeidungsvorschriften. Art. 6 ATAD dürfte danach nicht zur Anwendung kommen, wenn eine spezialgesetzliche Vorschrift einschlägig ist.57

2. Kernpunkte der unionsrechtlichen Entwicklungen a) Kernpunkte der unionsrechtlichen Entwicklungen aus Beraterperspektive (Dr. Georg Roderburg) Dem allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz des Missbrauchsverbots kommt, wie gezeigt, eine grundlegende Bedeutung bei der Anwendung und Auslegung von § 42 AO zu. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der stetigen Weiterentwicklung der Rechtsprechung des EuGH und des Sekundärrechts relevant. Es bleibt insbesondere abzuwarten, wie sich Art. 6 ATAD in die Rechtsprechung des EuGH zum unionsrechtlichen Grundsatz des Missbrauchsverbots einfügen wird und sich auf die Anwendung der nationalen Missbrauchsvorschrift des § 42 AO auswirken wird. So kann bezweifelt werden, ob Art. 6 ATAD dem unionsrechtlichen Missbrauchsbegriff entspricht oder nicht vielmehr weiter auszulegen ist. Auch könnte Art. 6 ATAD durch die Bezugnahme auf eine „unangemessene Abfolge von Gestaltungen“ zu einer weitergehenden Art „Gesamtbetrachtung“ für einzelne Teilschritte führen. Darüber hinaus könnte die von der EU-Kommission vorgeschlagene Richtlinie zur Bekämpfung der missbräuchlichen Nutzung von sog. 55 Hey, StuW 2017, 248 (263); Stöber in Gosch, AO/FGO, § 42 AO Rz. 36 (Jan. 2023); Horn in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 42 AO Rz. 23 (Juni 2021). 56 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 91 (Sept. 2022). 57 Siehe zum Ganzen: Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 95 (Sept. 2022). Eine Verdrängungswirkung bzw. Wertungsvorrang nehmen an: Stöber in Gosch, AO/FGO, § 42 AO Rz. 37 (Jan. 2023); Drüen in Tipke/Kruse, AO/ FGO, § 42 AO Rz. 95 (Sept. 2022); Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 17.66.

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Briefkastenfirmen58 sich auf das unionsrechtliche und damit auch nationale Verständnis des Gestaltungsmissbrauchs auswirken. Die Richtlinie identifiziert potentiell substanzlose Briefkastenfirmen anhand sogenannter Gateways (objektive Indikatoren). Folgende Gateways werden in der Richtlinie genannt:59 –

Mindestmaß an relevanten Einkünften: 75% der Einnahmen aus den beiden vorangegangenen Wirtschaftsjahren stammen aus sog. „relevanten“ Einkünften, wie beispielsweise Dividenden oder Beteiligungsveräußerungen, Zinsen, Lizenzgebühren, Finanzierungsleasing, unbeweglichem Vermögen, Versicherungs-, Bank- und andere Finanzgeschäften;



Grenzüberschreitende Tätigkeit: Mehr als 60% des Buchwerts der Vermögenswerte besteht aus Immobilienvermögen oder nicht betrieblichen Zwecken dienendem beweglichen Vermögen, das sich in den vorangegangenen zwei Jahren außerhalb der EU befand, oder mindestens 60% der relevanten Einkünfte werden durch grenzüberschreitende Transaktionen erzielt oder werden im Rahmen grenzüberschreitender Transaktionen gezahlt.



Auslagerung der Verwaltung: Die Verwaltung des Tagesgeschäfts und die Entscheidungsfindung in Bezug auf wichtige Funktionen wurde in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren im Wesentlichen ausgelagert.

Die identifizierten potentiellen Briefkastenfirmen sind sodann auf ihre Substanz hin zu prüfen. Substanzkriterien sind (1) der Besitz oder die exklusive Nutzung von (eigenen) Räumlichkeiten, (2) ein eigenes und aktives Bankkonto in der EU, (3) das Vorliegen von bestimmten Merkmalen betreffend die Geschäftsführung, und/oder Mitarbeiter.60 Sollte die Richtlinie verabschiedet werden, könnte dies dazu führen, dass sich der in der Richtlinie vorgesehene Substanzstandard als unions-

58 EU-Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften zur Verhinderung der missbräuchlichen Nutzung von Briefkastenfirmen für Steuerzwecke und zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU vom 22.12.2021, COM (2021) 565 final, 2021/0434 (CNS). 59 Art. 6 der vorgeschlagenen Richtlinie zur Bekämpfung der missbräuchlichen Nutzung von sog. Briefkastenfirmen; vgl. auch Graßl/Kemmer, IStR 2022, 226 (228 f.). 60 Art. 7 der vorgeschlagenen Richtlinie zur Bekämpfung der missbräuchlichen Nutzung von sog. Briefkastenfirmen.

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rechtlicher Missbrauchsstandard etabliert. Nationale Missbrauchsvorschriften, die die Nutzung von substanzlosen Gesellschaften zu verhindern versuchen (z.B. § 8 Abs. 2 AStG, § 50d Abs. 3 KStG), wären unionsrechtskonform entsprechend diesem Missbrauchsstandard auszulegen. Dies würde zugleich einen Rückgriff auf die Basisgesellschaften-Rechtsprechung des EuGH im Rahmen von § 42 AO sperren. Nicht nur, dass auch im Rahmen von § 42 AO die Vorgaben der Richtlinie zu beachten wären. Auch würden die Wertungen etwaiger spezialgesetzlicher Vorschriften, die sich wiederum an der Richtlinie zu orientieren hätten, auf § 42 AO durchschlagen. b) Kernpunkte der unionsrechtlichen Entwicklungen aus Finanzverwaltungsperspektive (Dr. Alexander Mann) Die Bedeutung des Unionsrechts für die Missbrauchsbekämpfung hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Bereits jetzt ist absehbar, dass sich diese Entwicklung noch beschleunigen wird. Zwar hat der nationale Gesetzgeber im Hinblick auf Art. 6 ATAD keine Notwendigkeit für eine sprachliche Anpassung des § 42 AO gesehen. Die Vorgaben von Art. 6 ATAD wird man bei der Auslegung des § 42 AO künftig aber berücksichtigen müssen. Dies gilt insbesondere für die in Art. 6 Abs. 1 ATAD angelegte Gesamtbetrachtung („unangemessene Gestaltung oder eine unangemessene Abfolge von Gestaltungen“). Für Körperschaften, die in den Anwendungsbereich der ATAD fallen (Art. 1 ATAD), ist seit Inkrafttreten der ATAD daher zwingend ein Gesamtplan zu prüfen. Noch weitergehender wirkt das Unionsrecht über seine Wertungen in die Anwendung des § 42 AO hinein. Will der BFH in seiner neueren Rechtsprechung (folgerichtig) gesetzgeberische Wertungen bei der Prüfung des § 42 AO berücksichtigen, kann dies nicht auf Wertungen des nationalen Gesetzgebers beschränkt sein, sondern muss auch Wertungen des europäischen Gesetzgebers einschließen. Trifft etwa die ATAD eine klare Wertentscheidung gegen Besteuerungsinkongruenzen aufgrund hybrider Gestaltungen (Deduction/Non-Inclusion oder Double-Deduction), müsste der BFH entsprechende Besteuerungsinkongruenzen, soweit der Anwendungsbereich einer nationalen Missbrauchsvermeidungsvorschrift (z.B. § 4k EStG) nicht erfüllt ist, nach § 42 AO (z.B. durch Versagung des Betriebsausgabenabzugs) neutralisieren. Ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH zur Vor- bzw. Sperrwirkung von Richtlinien, nach der ein Mitgliedstaat nach Inkrafttreten einer Richtlinie auch vor 719

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deren Umsetzung in nationales Recht keine den Zielen der Richtlinie gegenläufigen gesetzgeberischen Maßnahmen erlassen darf, wird man die Wertung europäischer Richtlinien sogar bereits unmittelbar nach ihrem Inkrafttreten (auch mehrere Jahre vor dem in der Richtlinie vorgegebenem Umsetzungstermin) für die Auslegung des § 42 AO heranziehen müssen. Inwieweit der BFH dieser Auslegung folgt, bleibt abzuwarten.

V. Fazit Der vorliegende Beitrag hat die Bedeutung der Auseinandersetzung mit der generellen Missbrauchsvorschrift des § 42 AO, spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften sowie deren Verhältnis zueinander für die steuerliche Praxis aufgezeigt. Zwar hat die Finanzverwaltung das Urteil des BFH vom 17.11.2020 zum Verhältnis des § 42 AO in seiner aktuellen Fassung zu spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften mittlerweile im Bundessteuerblatt veröffentlicht. Es verbleibt jedoch Unsicherheit, wie sie mit den vom BFH aufgestellten Rechtsgrundsätzen in der Praxis umgehen wird. Abzuwarten bleibt auch, ob der Gesetzgeber erneut reagieren wird, entweder durch eine erneute Anpassung des § 42 AO oder durch die Normierung gesetzgeberischer Wertungen in spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften. Auch die unionsrechtlichen Implikationen auf nationale Missbrauchsvorschriften gilt es im Blick zu behalten. Trotz der zu begrüßenden Klarstellungen des BFH wird § 42 AO mithin in Zukunft für Gesprächsstoff sorgen.

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Aktuelle Steuerfragen zur Verlustverwertung Dipl.-Finw. Dr. Martin Klein Rechtsanwalt/Steuerberater, Frankfurt I. Vorbemerkungen II. Ausgewählte aktuelle Aspekte der Verlustverwertung 1. Realisierung von Erträgen zur Verwertung von Verlusten a) Standardfälle b) Insbesondere: Zinsloses (Gesellschafter)Darlehen 2. Verwertung von Verlusten in Umwandlungsfällen und vergleichbaren Fällen a) Aufstockung bei Formwechsel aa) Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft bb) Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft

cc) Option einer Personengesellschaft zur Körperschaftsteuer nach § 1a KStG b) Übergang eines vortragsfähigen Gewerbeverlusts bei Einbringung des Betriebs einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft c) Verschmelzung aa) Verschmelzung der Verlustgesellschaft bb) Verschmelzung auf eine Verlustgesellschaft 3. Sonstiges Aktuelles zur Verlustverwertung im Unternehmensverbund a) Organschaft b) (Kein) Abzug von Verlusten einer Freistellungsbetriebsstätte III. Fazit

I. Vorbemerkungen Das kodifizierte deutsche Ertragsteuerrecht verwendet nicht den Begriff der Verlustverwertung. Vorgesehen ist stattdessen ein Verlustausgleich, das heißt die Verrechnung positiver und negativer Posten.1 Dies geschieht zunächst horizontal, indem positive und negative Ergebnisse einzelner Einkunftsquellen bei der Ermittlung der Einkünfte aus einer einzelnen Einkunftsart saldiert werden (sog. horizontaler Verlustausgleich) und sodann vertikal durch den grundsätzlich zulässigen Ausgleich positiver und negativer Ergebnisse verschiedener Einkunftsarten 1 Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 2 EStG Rz. 570.

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(sog. vertikaler Verlustausgleich).2 Negative Einkünfte, die nicht auf diese Weise ausgeglichen werden können, münden in einem Verlustabzug.3 Der einkommensteuerliche (§ 10d EStG) und körperschaftsteuerliche (§ 10d EStG iVm. § 8 Abs. 1 KStG) Verlustabzug besteht in einem begrenzten Verlustrücktrag und einem grds. zeitlich und betragsmäßig unbegrenzten Verlustvortrag (§ 10d EStG), bei dem allerdings die Regeln der Mindestbesteuerung (§ 10d Abs. 2 EStG) zu beachten sind. Für die Gewerbesteuer regelt § 10a GewStG den Rücktrag und Vortrag von Fehlbeträgen. Aktuell ist dabei von Bedeutung, dass die Begrenzung des Verlustrücktrags zuletzt mit dem Vierten Corona-Steuerhilfegesetz vom 19.6.2022 auch für die Veranlagungszeiträume 2022 und 2023 auf 10 Mio. t bzw. 20 Mio. t im Fall einer Zusammenveranlagung erhöht wurde und erst ab dem Veranlagungszeitraum 2024 wieder eine Begrenzung auf 1 Mio. t bzw. 2 Mio. t gelten soll.4 Für Zwecke dieses Beitrags soll der Begriff der Verlustverwertung verstanden werden als eine Berücksichtigung von Verlusten bei der Ermittlung einer dann um diese Verluste ganz oder teilweise geminderten Bemessungsgrundlage. Eine solche Berücksichtigung ist zum einen zahlreichen gesetzlichen Beschränkungen ausgesetzt, die entweder schon einem Ausgleich des Verlusts entgegenstehen5 oder aber insbesondere in Fällen struktureller Veränderungen von Unternehmen zum Untergang von Verlustvorträgen führen.6 Darüber hinaus muss sich eine Berücksichtigung von Verlusten in der Praxis gelegentlich der Frage stellen, ob, auch wenn sie vordergründig den geltenden Regeln entspricht, missbräuchlich erfolgt und ihr damit die steuerliche Anerkennung versagt bleibt (§ 42 AO). Die Berücksichtigung von Verlusten ist von nicht zu überschätzender wirtschaftlicher Bedeutung. Für das Jahr 2016 wird das Gesamtvolumen allein der körperschaftsteuerlichen Verlustvorträge deutscher Unterneh-

2 Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 2 EStG Rz. 570. 3 § 10d Abs. 1 EStG: „Negative Einkünfte, die nicht … ausgeglichen werden, sind … abzuziehen.“ 4 S. Art. 3 Nr. 5 und Nr. 8 sowie Art. 4 des Vierten Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise v. 19.6.2022, BGBl. I 2022, 911. 5 Wie z.B. § 15b EStG oder § 20 Abs. 6 EStG. 6 Wie z.B. die § 8c KStG, § 10a Satz 1 GewStG, §§ 4 Abs. 2 Satz 2, 12 Abs. 3, 18 Abs. 1 Satz 2, 19 Abs. 2 und 23 Abs. 5 UmwStG.

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men auf 641 Mrd. t beziffert.7 Dabei ist der Wert solcher Verluste in hohem Maße abhängig von dem für diese geltenden Rechtsrahmen.8 Dieser Beitrag widmet sich ohne Anspruch auf Vollständigkeit ausgewählten aktuellen Steuerfragen zur Verlustverwertung.

II. Ausgewählte aktuelle Aspekte der Verlustverwertung 1. Realisierung von Erträgen zur Verwertung von Verlusten a) Standardfälle Es liegt nahe, bestehende Verluste zB9 dadurch zu verwerten, dass Erträge generiert werden, die dann nicht in zusätzlichen zu zahlenden Ertragsteuern münden, wenn sie mit Verlusten ausgeglichen oder wenn von ihnen Verluste abgezogen werden. Zumindest theoretisch bieten sich dazu der Erwerb bzw. der Aufbau gewinnbringender Aktivitäten an. In aller Regel sollte das im Hinblick auf die Verlustverwertung unproblematisch sein. Zu beachten ist aber, dass zB § 8d KStG den Fortbestand eines Verlustvortrags einer Körperschaft nach einem ansonsten nach § 8c KStG schädlichen Anteilseignerwechsel davon abhängig macht, dass die Körperschaft ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb fortführt und insbesondere auch keinen zusätzlichen Geschäftsbetrieb aufnimmt. Realisieren lassen sich (zusätzliche) Erträge je nach den Umständen des Einzelfalls zB nach einer Überprüfung der bislang angewandten Verrechnungspreise oder dadurch, dass stille Reserven realisiert werden. Für letzteres kommen zB die Veräußerung (ggf. mit anschließendem Zurückleasen) oder die Entnahme von Wirtschaftsgütern oder deren Überführung in eine Auslandsbetriebsstätte in Betracht. Auch die Auflösung von Bewertungseinheiten kann (vorzeitig) Erträge realisieren und dazu 7 Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Schlaglichter November 2021, „Mit Schwung aus der Krise“ unter Berufung auf die Körperschaftsteuerstatistik. 8 Illustriert wird das zB dadurch, dass die Jahreswirkung von § 8c KStG, einer der Hürden, die für die Verlustverwertung bestehen und die ursprünglich mit 1,475 Mrd. t beziffert worden war, um 1,34 Mrd. t allein dadurch gemindert wurde, dass vor einigen Jahren die Vorschrift um eine Konzern- und Stille Reserven-Klausel ergänzt wurde, s. Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/ KStG, § 8c KStG Rz. 4. 9 Zu einem umfassenden Kanon möglicher Wege der Verlustnutzung s. Altvater in Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht3, Rz. 250 ff.

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führen, dass der korrespondierende Aufwand erst in späteren Perioden anfällt.10 b) Insbesondere: Zinsloses (Gesellschafter)Darlehen Eine weitere Möglichkeit, einen Ertrag zu generieren, der dann mit einem Verlust verrechnet werden konnte und so half, einen Verlust zu verwerten, bestand in der Vergangenheit in dem Empfang und der dann zwingenden Abzinsung eines zinslosen (nicht nur kurzfristigen) Darlehens. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 EStG aF war eine solche Darlehensverbindlichkeit mit 5,5% p.a. abzuzinsen und die Differenz als Ertrag auszuweisen. Hierzu ist auf zwei aktuelle Aspekte hinzuweisen: –

Nach dem Beschluss des BVerfG11 zur Verfassungswidrigkeit der früheren Vollverzinsung von Steuerforderungen gem. §§ 233a, 238 Abs. 1 Satz 1 AO mit 6% drängte sich die Frage auf, ob ein Abzinsungssatz von 5,5% angesichts des jahrelangen Umfelds von Niedrigzinsen und sogar negativen Zinsen angemessen ist. Das FG Münster bejaht das in einem Urteil v. 18.1.202212 jedenfalls (noch) für den VZ 2013.



Relevanter für die Planung einer Verlustverwertung mittels eines zinslosen Darlehens ist, dass § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG durch Art. 3 Nr. 3 des Vierten Corona-Steuerhilfegesetzes v. 19.6.202213 neu gefasst und die Regelung zur Abzinsung unverzinslicher Verbindlichkeiten dabei aufgehoben wurde. Begründet wurde das damit, dass ein Abzinsungsgebot bei Verbindlichkeiten sachlich nur gerechtfertigt werden könne, wenn eine Verpflichtung zwar formal unverzinslich ist, aber tatsächlich auch einen Zinsanteil enthalte, in Zeiten von Marktzinsen von null Prozent oder sogar mit negativen Verzinsungen aber nicht mehr darstellbar sei, dass unverzinslichen Verbindlichkeiten ein Zinsanteil innewohne. Außerdem sei der Wegfall des Abzinsungsgebots auch ein wichtiger Beitrag zum Bürokratieabbau und zur Steuervereinfachung.14 Ersteres war jahrelang eine berechtigte Überlegung, bei Aufhebung des Abzinsungsgebots im Sommer 2022 aber angesichts des stark gestiegenen Zinsniveaus schon überholt. Und letzteres, also der Bürokratieabbau und die Steuervereinfachung

10 11 12 13 14

S. Altvater in Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht3, Rz. 303. BVerfG v. 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 2888. FG Münster v. 12 K 700/18 G, F, EFG 2022, 483, rkr. BGBl. I 2022, 911. BTDrucks. 20/1906, 45.

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sind aus Sicht des Steuerpflichtigen immer zu begrüßen. Da allerdings in der Vergangenheit eine Abzinsung schon durch die Vereinbarung einer minimalen Verzinsung „nahe 0%“ abgewendet werden konnte,15 also nicht etwa eine solche iHv. 5,5% oder mehr erforderlich war, wird der mit der Neufassung von § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG einhergehende Verlust der Gestaltungsmöglichkeit wohl eher nur begrenzt durch das Entfallen einer tendenziell belastenden Regelung kompensiert. Die Neufassung (ohne die Abzinsungsregelung) ist nach § 52 Abs. 12 Satz 2 EStG erstmals zwingend anzuwenden für Wj., die nach dem 31.12.2022 enden. Auf Antrag kann sie indes nach § 52 Abs. 12 Satz 3 EStG auch für frühere Wj. angewendet werden. Diese Flexibilität ist zu begrüßen, die praktische Relevanz wegen der Möglichkeit, ein Eingreifen der Abzinsung durch die Vereinbarung eines Mindestzinses zu verhindern, aber möglicherweise gering. Bei der Planung einer Verlustverwertung ist hingegen der zusätzliche Aufwand, der aus der „Aufstockung“ zinsloser Darlehen in Wj. nach 2022 zwingend resultiert, zu beachten.

2. Verwertung von Verlusten in Umwandlungsfällen und vergleichbaren Fällen a) Aufstockung bei Formwechsel aa) Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft Beim Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft verbleiben einkommensteuerliche Verlustvorträge beim Mitunternehmer, gewerbesteuerliche vortragsfähige Fehlbeträge gehen unter (§§ 25, 23 Abs. 5 UmwStG). Der Formwechsel erlaubt es allerdings, stille Reserven durch den Ansatz von gemeinen Werten oder Zwischenwerten zu realisieren (§§ 25, 20 Abs. 2, 3 UmwStG) und sodann Verluste zu verwerten, um die Bemessungsgrundlage wieder zu mindern. Künftige Abschreibungen werden dann von den aufgestockten Werten vorgenommen, der Aufwand so also in die Zukunft verschoben. Zu beachten ist dabei allerdings die Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG und § 10a Satz 2 GewStG, nach denen 1 Mio. t übersteigende Einkünfte bzw. ein 1 Mio. t übersteigender Gewerbeertrag durch Verluste nur um 60% gemindert werden können. Anders als die Obergrenze für einen Verlustrücktrag, die zuletzt bis zum Veranlagungszeitraum 2023 15 Kiesel in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6 EStG Rz. 711.

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vervielfacht wurde, um Unternehmen bei der Bewältigung der CoronaKrise zu helfen (s. oben), wurden die Regelungen zur Mindestbesteuerung, die eine Nutzung von Verlustvorträgen erschweren, nicht ebenso gelockert. In der Praxis würde allerdings – neben einer weiteren Lockerung der Rücktragsmöglichkeiten – eine zumindest temporäre Lockerung, besser aber noch ein Abbau der Mindestbesteuerung als wesentliche Hilfe bei der Bewältigung der Krisen der letzten Jahre begrüßt. bb) Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft Ähnliches gilt für den Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft. Verlustvorträge gehen nicht über (§§ 9, 4 Abs. 2 UmwStG), aber auch in diesem Fall können stille Reserven durch Ansatz von gemeinen Werten oder Zwischenwerten realisiert (§§ 9, 3 Abs. 1, 2 UmwStG) und sodann Verluste genutzt werden, um die Bemessungsgrundlage wieder zu mindern. Auch dabei ist die Mindestbesteuerung (s.o.) zu beachten. cc) Option einer Personengesellschaft zur Körperschaftsteuer nach § 1a KStG Eine dem Formwechsel vergleichbare Möglichkeit der Verlustverwertung bietet nunmehr die Option einer Personengesellschaft zur Körperschaftsbesteuerung nach dem mit dem KöMoG vom 25.6.202116 eingeführten § 1a KStG17. Der Übergang zur Körperschaftsbesteuerung gilt als Formwechsel der Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KStG) und die §§ 1 und 25 UmwStG sind entsprechend anzuwenden (§ 1 Abs. 2 Satz 2 KStG). Deshalb verbleiben auch dabei einkommensteuerliche Verlustvorträge beim Mitunternehmer und gewerbesteuerliche vortragsfähige Fehlbeträge gehen unter (§§ 25, 23 Abs. 5 UmwStG). Es lassen sich aber durch den Ansatz von gemeinen Werten oder Zwischenwerten stille Reserven realisieren (§§ 25, 20 Abs. 2, 3 UmwStG) und dadurch zur Verlustverwertung (im Rahmen der Mindestbesteuerung, s.o.) nutzen.

16 KöMoG v. 25.6.2021, 2021, 2050; 2021, 889. 17 S. dazu Tiede in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 1a KStG Rz. 2.

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b) Übergang eines vortragsfähigen Gewerbeverlusts bei Einbringung des Betriebs einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft Einen besonderen Fall einer Verlustverwertung betrifft das Urteil des FG Köln vom 27.10.2021 – 3 K 2815/16.18 Im dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt hatte eine ausländische Kapitalgesellschaft ihren in einer Betriebsstätte in Deutschland unterhaltenen Betrieb in eine Personengesellschaft, eine GmbH & Co KG, eingebracht und sich danach darauf beschränkt, als Kommanditistin ihre Mitunternehmerstellung zu verwalten und Anteile an der Komplementärin zu halten. Die Kapitalgesellschaft verfolgte keine weiteren gewerblichen Aktivitäten in Deutschland. Das FG Köln gestattete es der GmbH & Co KG, den von der Kapitalgesellschaft erlittenen Gewerbeverlust zu berücksichtigen. Es bejahte dazu sowohl die Unternehmensidentität also auch die Unternehmeridentität unter der Voraussetzung, dass (i) sich Kapitalgesellschaft auf die Verwaltung ihrer Mitunternehmerstellung beschränkt und (ii) die Personengesellschaft den eingebrachten Betrieb fortgeführt hatte. Das veröffentlichte Urteil des FG Köln verrät nicht, ob an der GmbH & Co KG weitere Gesellschafter beteiligt waren. Das FG Köln grenzt seinen Entscheidungsfall ab von dem Urteil des BFH vom 17.1.2019 – III R 35/17.19 Darin hatte der BFH den Übergang des Verlusts von der Kapitalgesellschaft (im Wege einer Ausgliederung) auf eine Personengesellschaft abgelehnt, weil die Kapitalgesellschaft drei weitere Beteiligungen an ausländischen Tochterkapitalgesellschaften hielt. Offen gelassen hatte der BFH, ob ein Verlust übergegangen wäre, wenn die ihren Betrieb übertragende Kapitalgesellschaft sich fortan auf die Verwaltung ihrer Mitunternehmerstellung beschränkt hätte. Die nicht rechtskräftige Entscheidung des FG Köln ist zu begrüßen, denn sie verhindert ein Leerlaufen des bei der Kapitalgesellschaft entstandenen Verlustvortrags. In Zukunft entsteht nämlich bei der Kapitalgesellschaft wegen der Kürzung nach § 9 Nr. 2 GewStG kein zur Verrechnung geeigneter Gewerbeertrag mehr.20 Der Ausgang des Rechtsstreits bleibt 18 FG Köln v. 27.10.2021 – 3 K 2815/16, EFG 2022, 951, nrkr., Az. des BFH IV R 26/21. 19 BFH v. 17.1.2019 – III R 35/17, GmbHR 2019, 848 = ZIP 2019, 1666 = FR 2019, 660 mit Anmerkung Wendt. 20 S. Wendt, Anm. zu BFH v. 1III R 35/17, GmbHR 2019, 848 = ZIP 2019, 1666 (FR 2019, 660) = FR 2019, 663.

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abzuwarten. Sollte das Urteil des FG Köln Bestand haben, bietet sich in vergleichbaren Fällen eine begrüßenswerte Möglichkeit der Verlustnutzung, die die Gesellschafter von Personengesellschaften in ihrem Gesellschaftsvertrag berücksichtigen sollten. c) Verschmelzung aa) Verschmelzung der Verlustgesellschaft Die Verschmelzung einer Verlustgesellschaft führt nicht dazu, dass ihre Verluste nach der Verschmelzung von der aufnehmenden Gesellschaft verwertetet werden können. Die Verluste gehen nicht über, sondern unter (§ 12 Abs. 3 iVm § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG). Eine begrenzte Verlustverwertung kommt insoweit in Betracht, als im Zuge der Verschmelzung durch den Ansatz von gemeinen Werten oder Zwischenwerten stille Reserven gewinnerhöhend aufgedeckt und dann wiederum Verluste genutzt werden können, um die Bemessungsgrundlage zu mindern. bb) Verschmelzung auf eine Verlustgesellschaft Anders ist es, wenn einen Gewinn erzielende Gesellschaft auf eine Verlustgesellschaft verschmolzen wird. Ein solcher – allerdings nach alter Rechtslage zu beurteilender – Fall war Gegenstand des Urteils des BFH vom 17.11.2020 – I R 2/18.21 Konkret ging es um die Verschmelzung einer Gesellschaft mit Gewinnen im umwandlungssteuerlichen Rückwirkungszeitraum auf eine Gesellschaft mit Verlustvorträgen und die anschließende Verrechnung der Gewinne mit Verlusten der aufnehmenden Verlustgesellschaft für das Jahr 2008. Nach heute geltender Rechtslage, genauer gesagt im Fall von nach dem 6.6.2013 zum Handelsregister angemeldeten Umwandlungen und Einbringungen können positive Einkünften im Rückwirkungszeitraum nicht mehr mit Verlusten des übernehmenden Rechtsträgers ausgeglichen oder verrechnet werden (§ 2 Abs. 4 Satz 3 iVm. § 27 Abs. 12 UmwStG). Im für den Urteilsfall des BFH relevanten Streitjahr 2008 war das noch nicht gesetzlich ausgeschlossen. Der BFH hatte deshalb zu prüfen, ob die Verrechnung der Gewinne mit Verlusten des übernehmenden Rechtsträgers einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten 21 BFH v. 17.11.2020 – I R 2/18, ECLI:DE:BFH:2020:U.171120.IR2.18.0 = FR 2021, 695 m. Anm. Bärsch = GmbHR 2021, 946 = ZIP 2021, 1864.

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darstellte, der zur Folge gehabt hätte, dass die Verrechnung steuerlich nicht anerkannt worden wäre. Aus heutiger Sicht, also für die Rechtslage nach der Ergänzung von § 2 Abs. 4 UmwStG um ua. den heutigen Satz 4 sind primär die Überlegungen des BFH zu dieser Frage, nämlich der Missbräuchlichkeit der gesetzlich nicht ausgeschlossenen Verlustnutzung von besonderem Wert, in deren Zusammenhang der BFH auch auf das Verhältnis von § 42 AO zu vermeintlichen einzelgesetzlichen Missbrauchsverhinderungsvorschriften und deren Wirkung auf die Anwendbarkeit von § 42 AO eingeht.22 Der Wortlaut von § 42 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO lasse keinen Zweifel daran, dass solche einzelsteuergesetzlichen Vorschriften die Anwendung des § 42 AO nur dann verdrängen, wenn sie tatbestandlich einschlägig seien. Seien sie tatbestandlich nicht einschlägig („anderenfalls“), dann werde § 42 AO nicht verdrängt. Allerdings seien bei der Prüfung des Vorliegens eines Missbrauchs iSd. § 42 Abs. 2 AO diejenigen Wertungen des Gesetzgebers, die den von ihm geschaffenen einzelsteuergesetzlichen Umgehungsverhinderungsvorschriften zugrunde liegen, zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen. Die vom FA angeführten § 12 Abs. 3 Halbs. 2 iVm. § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG 2006 und § 8c Abs. 2 KStG seien aber – anders als noch vom FG angenommen – keine (einzelsteuergesetzlichen) Regelungen zur Verhinderung von Umgehungen, da sie nicht erkennen lassen, welche als unangemessen bewertete Gestaltungen unterbunden werden sollen. Auf die Beurteilung des Urteilsfalls wirke sich das indes nicht aus: „Die fehlerhafte Qualifizierung der genannten Regelungen durch das FG wirkt sich auf das Ergebnis der Entscheidung nicht aus. Denn § 42 AO kommt in dem einen – gänzliches Fehlen einer Umgehungsverhinderungsvorschrift in einem Einzelsteuergesetz – wie dem anderen Fall – einzelsteuergesetzliche Regelung existiert, ist tatbestandlich nicht erfüllt, entfaltet aber wegen § 42 Abs. 1 Satz 3 AO keine Sperre – ohnehin zur Anwendung. Gesetzgeberische Wertungen, die § 12 Abs. 3 Halbs. 2 iVm. § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG 2006 sowie § 8c KStG zugrunde liegen, sind unabhängig von der Einordnung dieser Vorschriften als einzelsteuergesetzliche Umgehungsverhinderungsvorschriften bei der Bestimmung des Angemessenen iSd. § 42 Abs. 2 AO zu berücksichtigen, weil

22 S. dazu auch Stahl, NWB 2022, 1644 f.

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der Rechtsanwender diesen Wertungen im Rahmen der systematischen und teleologischen Auslegung Beachtung zu schenken hat.“23 Zu der damit aufgeworfenen spannenden Frage, ob die im Urteilsfall zu beurteilende Verschmelzung einer Gewinngesellschaft auf eine Verlustgesellschaft als Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO zu beanstanden ist, stellt der BFH fest: „ … Gestaltungen, die darauf abzielen, dem Steuerpflichtigen die Nutzung eines von ihm erwirtschafteten Verlusts zu ermöglichen, sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung in zahlreichen Entscheidungen nicht als rechtsmissbräuchlich bewertet worden (…). Da das Herbeiführen eines Verlustausgleichs im Kern mit den gesetzlichen Zielsetzungen (Leistungsfähigkeitsprinzip, § 10d EStG) übereinstimmt, ist der Senat zudem davon ausgegangen, dass entsprechende Gestaltungen grundsätzlich nicht durch weitere außersteuerliche Motive gerechtfertigt werden müssen (…).“ Zu beachten ist dabei, dass der BFH auf die Qualität der Verluste abstellt, also Wert darauf legt, dass es sich bei den Verlusten der übernehmenden Gesellschaft um selbst erwirtschaftete, „echte“ betriebswirtschaftliche Verluste und nicht um eingekaufte „Fremdverluste“ handelte.

3. Sonstiges Aktuelles zur Verlustverwertung im Unternehmensverbund a) Organschaft Die (körperschaftsteuerliche) Organschaft erlaubt es, ein negatives Einkommen der Organgesellschaft auf der Ebene des Organträgers zu berücksichtigen und so Verluste mit positivem Einkommen des Organträgers oder anderer Organgesellschaften zu verrechnen. Die Organschaft ermöglicht es aber nicht, vororganschaftliche Verlustvorträge einer Organgesellschaft während der Organschaft zu nutzen; die Verlustvorträge der Organgesellschaft sind quasi eingefroren (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG). Verwertet werden können solche Verluste also nur dadurch, dass die Wirkungen der Organschaft hinausgeschoben werden, bis die Verluste aufgezehrt sind.

23 BFH v. 17.11.2020 – 1I R 2/18, ECLI:DE:BFH:2020:U.171120.IR2.18.0, I 2021, 580 = FR 2021, 695 m. Anm. Bärsch = GmbHR 2021, 946 = ZIP 2021, 1864.

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Eine aktuelle, wenngleich die Vergangenheit betreffende Frage im Zusammenhang mit der Verlustverwertung in Organschaftsfällen gilt dem mit der sog. kleinen Organschaftsreform durch das UntStReiseKG v. 20.2.2013 geänderten § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG (idF v. 20.2.2013).24 Danach bleiben negative Einkünfte des Organträgers oder der Organgesellschaft bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt, soweit sie in einem ausländischen Staat im Rahmen der Besteuerung des Organträgers, der Organgesellschaft oder einer anderen Person berücksichtigt werden. Die Norm soll also eine Doppelberücksichtigung von negativem Einkommen des Organträgers oder der Organgesellschaft verhindern. Nach einem Urteil des FG Düsseldorf v. 30.3.202225 konnte die Norm im Jahre 2013 allerdings nicht mit Rückwirkung auch für noch offene Vorjahre eingeführt werden. Nach Auffassung des FG ist § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG idF des UntStVereinfG, der den zeitlichen Anwendungsbereich des geänderten § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG regelt, verfassungskonform einschränkend dahin zu verstehen, dass § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG jedenfalls keine Anwendung findet, wenn noch nicht bestandskräftig abgeschlossene Veranlagungen für Veranlagungszeiträume vor 2013 solcher Steuerpflichtiger betroffen sind, die ihren Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Inland hatten und deshalb gerade nicht aufgrund der Änderung des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG (UntStVereinfG) erstmals als Organgesellschaft anerkennungsfähig geworden sind. b) (Kein) Abzug von Verlusten einer Freistellungsbetriebsstätte Eine letzte hier zu betrachtende aktuelle Frage der Verwertung von Verlusten adressiert das Urteil des EuGH vom 22.9.2022 – C-538/20, FA B/W AG.26 Fraglich war, ob die Nichtberücksichtigung eines in einer ausländischen Betriebsstätte erlittenen Verlusts im Inland mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 und 54 AEUV) vereinbar sind, wenn nach 24 UntStReiseKG v. 20.2.2013; s. dazu Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 4 KStG. 25 FG Düss. v. 30.3.2022 – 7 K 905/19, K, G, F, EFG 2022, 1226, nrkr., Az. des BFH I R 20/22. 26 EuGH v. 22.9.2022 – C-538/20 FA B/W AG, DStR 2022, 1993 mit Anm. Ismer; s. dazu inzwischen auch die Nachfolgeentscheidung des BFH v. 22.2.2023 – I R 35/22, FR 2023, 610 m. Anm. Dautzenberg = DB 2023, 1139 sowie BFH v. 12.4.2023 – I R 44/22 (I R 49/19, I R 17/16), FR 2023, 760 m. Anm. Dautzenberg.

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dem anwendbaren DBA eine Doppelbesteuerung des Betriebsstättenergebnisses durch seine Freistellung im Wohnsitzstaat des Steuerpflichtigen erreicht wird. Der EuGH bejaht das und entschied, Art. 49 und 54 AEUV stünden einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der eine Gesellschaft die endgültigen Verluste ihrer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte von ihrem steuerpflichtigen Gewinn nicht abziehen kann, wenn der Ansässigkeitsmitgliedstaat aufgrund eines DBA auf seine Befugnis zur Besteuerung der Einkünfte dieser Betriebsstätte verzichtet habe. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit scheide aus, weil eine Gesellschaft mit einer gebietsänsässigen Betriebsstätte und eine solche mit einer gebietsfremden Betriebsstätte in diesem Fall, also wenn der Ansässigkeitsmitgliedstaat der Gesellschaft aufgrund eines DBA darauf verzichtet habe, seine Besteuerungsbefugnis hinsichtlich der Ergebnisse der gebietsfremden, in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte dieser Gesellschaft auszuüben, nicht vergleichbar seien. Nach der Entscheidung des EuGH wird bereits gefolgert, die Berücksichtigung finaler Verluste sei angesichts der Vielzahl der von Deutschland abgeschlossenen DBA praktisch nunmehr endgültig abschlägig beschieden worden.27 Tatsächlich verbleiben aber nicht zuletzt aufgrund der zu Recht als „dünn“ wahrgenommenen28 Begründung der Entscheidung des EuGH Fragen,29 insbesondere im Hinblick auf Verluste in Fällen, in denen kein DBA gilt, in dem die Freistellung von Betriebsstättengewinnen vereinbart worden ist, eine Freistellung aber nach innerstaatlichem Recht vorgesehen ist.30 Fraglich ist zudem, was in Fällen gilt, in denen die in einem DBA vereinbarte Freistellungsmethode unilateral durch Switch-over-Klauseln oder Subject-to-Tax-Klauseln ausgehebelt wird.

III. Fazit Die Betrachtung aktueller Fragen zur Verlustverwertung offenbart, dass Details der Verlustverwertung einem stetigen Wandel ausgesetzt sind. 27 Mitschke, Anm. zu EuGH v. 22.9.2022 – C-538/20 (IStR 2022, 767), IStR 2022, 771. 28 Schnitger, Anm. zu EuGH v. 22.9.2022 – C-538/20 (IStR 2022, 767), 769. 29 S. Retzer/Bernhardt, Ubg. 2022, 601–608; mit grundsätzlicher Kritik an der Rspr. des EuGH, illustriert an der Rspr. zu den sog. finalen Verlusten Haase, Ubg. 2023, 1. 30 Schnitger, Anm. zu EuGH v. 22.9.2022 – C-538/20 (IStR 2022, 767), IStR 2022, 769 f.

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Nicht übersehen werden sollte dabei jedoch, dass, auch wenn eine verfassungsrechtliche Fundierung des objektiven Nettoprinzips in der Rspr. bislang zwar ausdrücklich offengelassen ein wurde,31 der Abzug von Verlusten einer am Leistungsfähigkeitsprinzip orientierten und in diesem Sinne „gerechten“ Gesamtbesteuerung entspricht.32 Eine, wenn nicht die wesentliche Erkenntnis aus der Betrachtung aktueller Fragen zur Verlustverwertung dürfte damit sein, dass die Nutzung eines von einem Steuerpflichtigen erwirtschafteten Verlusts durch den Steuerpflichtigen sowie Gestaltungen, die dies ermöglichen, nicht per se missbräuchlich sind und grundsätzlich nicht durch weitere außersteuerliche Motive gerechtfertigt werden müssen.33

31 BVerfG v. 22 BvL 6/11, I 2017, 1082 BVerfGE 145, 1070, 19 = FR 2017, 577 m. Anm. Suchanek = GmbHR 2017, 710 = ZIP 2017, 1009 Dabei kann offenbleiben, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Gleichheitssatz () nach dem Grundsatz der Ausrichtung der Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit generell die Möglichkeit eines veranlagungszeitraumübergreifenden Verlustabzugs im Sinne von erfordert.; s auch Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStG Rz. 6. 32 BFH v. 1I R 76/99, I 2002, 487 = FR 2001, 1051 m. Anm. Strnad. 33 BFH v. 17.11.2020 – 1I R 2/18, ECLI:DE:BFH:2020:U.171120.IR2.18.0, I 2021, 580 = FR 2021, 695 m. Anm. Bärsch = GmbHR 2021, 946 = ZIP 2021, 1864.

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Aktuelle Steuerfragen rund um Private Equity Franz Hruschka Leitender Regierungsdirektor, München Christian Schatz Rechtsanwalt/Steuerberater, München I. Hybride Strukturen und Private Equity (Franz Hruschka) 1. Einführung 2. Ausgangsfall 3. Behandlung des Fonds im Inund Ausland als transparentes Vehikel a) Vermögensverwaltender Fonds b) Gewerblicher Fonds c) Ausländischer Fonds 4. Behandlung des Fonds im Inland als transparentes und im Ausland als intransparentes Vehikel (umgekehrt hybride Struktur) a) Vermögensverwaltender Fonds b) Gewerblicher Fonds c) Ausländischer Fonds 5. Behandlung des Fonds im Inland als intransparentes und im Ausland als transparentes Vehikel (hybride Struktur) a) Vermögensverwaltender Fonds b) Gewerblicher Fonds c) Ausländischer Fonds 6. Gesellschafterdarlehen und Abzugsverbot

a) Sonderbetriebsausgabenabzug bei Vorgängen mit Auslandsbezug b) Betriebsausgabenabzugsverbot bei Besteuerungsinkongruenzen aa) Vermögensverwaltender Fonds bb) Gewerblich tätiger Fonds oder optierte Personenhandelsgesellschaft cc) Ausländischer Fonds 7. Zusammenfassung II. Management Incentives (RA/StB Christian Schatz) 1. Einführung 2. Gehaltsbezogene Incentives: Exit-Bonus a) Ausgangsfall b) Steuerliche Behandlung des Managements c) Steuerliche Behandlung der Arbeitgeber GmbH d) Steuerliche Behandlung beim Gesellschafter 3. Anteilsbezogene Incentives a) Ausgangsfall b) Generelle Anerkennung c) Sweet Equity d) Geldwerter Vorteil e) Hurdle oder Growth Shares

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Hruschka/Schatz, Aktuelle Steuerfragen rund um Private Equity

I. Hybride Strukturen und Private Equity (Franz Hruschka) 1. Einführung Im Jahr 2003 hat das BMF definiert, unter welchen Voraussetzungen Private Equity Engagements noch als private Vermögensverwaltung anzusehen sind.1 Spätestens seitdem ist die gewerblich entprägte Personengesellschaft in der Form der GmbH & Co KG das übliche Investitionsvehikel für Private Equity Engagements in Deutschland. Dessen ungeachtet stellen auch gewerblich tätige Fonds in der Rechtsform der gewerblich geprägten Personengesellschaft durchaus typische Investitionsvehikel dar. Werden derartige Fonds im Ausland aufgelegt, wird üblicherweise auch dort die Rechtsform einer Personengesellschaft mit beschränkter Haftung für die Investoren gewählt. Personengesellschaften sind nach deutschem Steuerrecht weder einkommen- noch körperschaftsteuerpflichtig.2 Dem entsprechend gelten sie steuerlich als transparente Vehikel. Die von ihnen gehaltenen Wirtschaftsgüter bzw. erzielten Einkünfte werden den Gesellschaftern anteilig zugerechnet. Dies folgt für vermögensverwaltende Personengesellschaften aus § 39 Abs. 2 Nr. 2 EStG3 und für Mitunternehmerschaften aus § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Mit dem Gesetz zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb und zur Änderung weiterer Gesetze v. 25.6.20214 wurde Personenhandelsgesellschaften in § 1a KStG das Recht eingeräumt, mit Wirkung ab 1.1.2022 zur Körperschaftsteuer zu optieren, d.h. sich (ausschließlich) für Zwecke der Besteuerung als Kapitalgesellschaft behandeln zu lassen. Dieses Recht wird unter bestimmten Voraussetzungen auch nach ausländischem Recht gegründeten Personengesellschaften eingeräumt.5 Wegen der mit der Qualifizierung als Kapitalgesellschaft verbundenen eigenständigen Steuerpflicht, gelten diese Gesellschaften als steuerlich intransparent. 1 BMF v. 16.12.2003 – IV A 6 - S 2240 - 153/03, BStBl. I 2004, 40. 2 BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.1.1. 3 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 77/17, ECLI:DE:BFH:2021:B.180521.IR77.17.0, BStBl. II 2022, 114 Rz. 23 = GmbHR 2022, 227; v. 9.5.2000 – VIII R 41/99, BStBl. II 2000, 686 = FR 2000, 1081 m. Anm. Weber-Grellet = GmbHR 2000, 1059. 4 BGBl. I 2021, 2050. 5 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004 – DOK 2021/1162290, BStBl. I 2021, 2212 Tz. 3.

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Hruschka/Schatz, Aktuelle Steuerfragen rund um Private Equity

Beteiligte an derartigen Investments sind üblicherweise natürliche Personen und Körperschaften aus dem In- und Ausland. Als Folge daraus sind diese Gestaltungen nicht nur durch die deutsche, sondern auch durch die ausländische „Steuerbrille“ zu beurteilen. Da Personengesellschaften steuerlich im In- und Ausland nicht identisch beurteilt werden, kann es bei internationaler Beteiligung an solchen Fondsgestaltungen zu Qualifikationskonflikten kommen. Unter welchen Voraussetzungen welche Rechtsfolgen eintreten sowie der Frage, unter welchen Voraussetzungen, an den Fonds gezahlte Darlehenszinsen vom Darlehensnehmer abgezogen werden dürfen, soll im Weiteren nachgegangen werden.

2. Ausgangsfall Die Realität grob vereinfachend wird für die weitere Abhandlung folgender Sachverhalt angenommen. Die Fondsgesellschaft –

hat als Gesellschafter (Investoren) in DBA-Staaten ansässige, beschränkt steuerpflichtige natürliche Personen und Körperschaften,



wird in der Rechtsform einer Personengesellschaft errichtet,



unterhält eigene Geschäftsräume, in denen die Tätigkeit verrichtet wird,



investiert in unbeschränkt steuerpflichtige Zielgesellschaften in der Rechtsform von Kapitalgesellschaften und



gewährt den Zielgesellschaften Darlehen

Aus den Zielgesellschaften erzielt der Fonds Einkünfte in Form von Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinnen.

3. Behandlung des Fonds im In- und Ausland als transparentes Vehikel a) Vermögensverwaltender Fonds Aus deutscher Sicht begründen die eigenen Geschäftsräume, über die ein vermögensverwaltender Fonds verfügt, zwar eine feste Geschäftseinrichtung, jedoch keine Betriebsstätte i.S.v. § 12 AO, da die vermögensverwaltende Tätigkeit des Fonds mangels Gewerblichkeit i.S.v. § 15 Abs. 2 EStG keinem Betrieb dient. Die Vermögensgegenstände der Gesamthand werden den Gesellschaftern entsprechend ihrer Beteiligung

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nach Bruchteilen anteilig zugerechnet (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 AO).6 Ebenso gilt dies für die Einkünfte (sog. Bruchteilsbetrachtung).7 Im Ergebnis sind die Einkünfte so zu beurteilen, als ob sie von den Gesellschaftern anteilig unmittelbar bezogen worden wären. Die von den Zielgesellschaften an den Fonds gezahlten Zinsen unterliegen bei den ausländischen Gesellschaftern keiner beschränkten Steuerpflicht, da die Gesellschafter des Fonds gem. § 1 Abs. 4 EStG bzw. § 2 KStG beschränkt steuerpflichtig und die Darlehen i.d.R nicht durch inländische Grundpfandrechte besichert sind (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c EStG). Dessen ungeachtet ist der Kapitalertragsteuereinbehalt gem. §§ 43 ff. EStG durchzuführen. Damit ist die Steuer abgegolten (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG bzw. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG). Als Ansässigen i.S. eines DBA steht den Gesellschaftern allerdings die Möglichkeit offen, gem. § 50c Abs. 3 EStG i.V.m. Art. 11 Abs. 1 des anzuwendenden DBA8 die Ermäßigung der Quellensteuer auf 0% zu verlangen.9 Hinsichtlich der Dividenden beziehen die Gesellschafter beschränkt steuerpflichtige, inländische Einkünfte i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Durch den Kapitalertragsteuereinbehalt gem. §§ 43 ff. EStG ist die Steuer abgegolten (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG bzw. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG). Als Ansässigen i.S. eines DBA steht den Gesellschaftern allerdings die Möglichkeit offen, gem. § 50c Abs. 3 EStG i.V.m. Art. 10 Abs. 2 Buchst. b OECD-MA die Ermäßigung der Quellensteuer auf 15% zu verlangen.10 Eine Berufung der körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschafter auf das DBA-Schachtelprivileg (Art. 10 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA) bzw. § 43b EStG scheitert in derartigen Konstellationen regelmäßig an der hierfür erforderlichen Mindestbeteiligung, da die Beteiligungshöhe in Bezug auf jeden Gesellschafter getrennt zu ermitteln ist.11 Sind diese Voraussetzungen jedoch erfüllt, kann der Investor auch eine Ermäßigung auf 0% verlangen.

6 Vgl. BFH v. 9.5.2000 – VIII R 41/99, BStBl. II 2000, 686 = FR 2000, 1081 m. Anm. Weber-Grellet = GmbHR 2000, 1059. 7 BMF v. 16.12.2003 – IV A 6 - S 2240 - 153/03, BStBl. I 2004, 40. 8 Siehe Art. 11 der deutschen Verhandlungsgrundlage 2013. 9 Beschränkt steuerpflichtigen Körperschaften steht diese Möglichkeit auch in Nicht-DBA-Fällen offen (§ 44a Abs. 9 EStG). 10 Beschränkt steuerpflichtigen Körperschaften steht diese Möglichkeit auch in Nicht-DBA-Fällen offen (§ 44a Abs. 9 EStG). 11 So: BFH v. 9.5.2000 – VIII R 41/99, BStBl. II 2000, 686 = FR 2000, 1081 m. Anm. Weber-Grellet = GmbHR 2000, 1059.

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Die Veräußerungsgewinne unterliegen ggf. beschränkten Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG. i.V.m. §§ 17, 3 Nr. 40 EStG bzw. § 8b Abs. 2 KStG. Gem. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA hat jedoch ausschließlich der Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht für diese Gewinne. Ein Quellensteuereinbehalt ist in diesen Fällen nicht vorzunehmen. Behandelt der Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter den Fonds ebenfalls als transparent, rechnet er die Einkünfte unmittelbar anteilig den Gesellschaftern zu. Für die Zinsen und Veräußerungsgewinne hat er gem. Art. 11 Abs. 1 OECD-MA bzw. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA das alleinige Besteuerungsrecht. Soweit die Gesellschafter Dividenden beziehen, ist der Ansässigkeitsstaat verpflichtet die von Deutschland einbehaltene Quellensteuer i.H.v. bis zu 15% anzurechnen (Art. 23B OECD-MA). Im Ergebnis kommt es bei im In- und Ausland gleichermaßen als transparent qualifizierten, vermögensverwaltenden Fonds zu keiner Doppelbesteuerung. Wegen der Abgeltungswirkung des Quellensteuereinbehalts bestehen für die beschränkt steuerpflichtigen Investoren keine Erklärungspflichten in Deutschland. b) Gewerblicher Fonds Wird der Fonds nach deutschem Verständnis gewerblich tätig, qualifiziert die Personengesellschaft als Mitunternehmerschaft i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Die feste Geschäftseinrichtung begründet eine Betriebsstätte i.S.v. § 12 Satz 1 AO der Mitunternehmerschaft, da diese dem Unternehmen dient. Diese wird anteilig den Gesellschaftern zugerechnet.12 Gem. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 BsGaV sind die Einkünfte (Zinsen, Dividenden, Veräußerungsgewinne) der Betriebsstätte zuzurechnen, da die Einkünfte in einem funktionalen Zusammenhang mit der Tätigkeit in der Betriebsstätte stehen. Abkommensrechtlich stellen die eigenen Geschäftsräume ebenfalls eine Betriebsstätte i.S.v. Art. 5 Abs. 1 OECDMA dar, da angenommen wird, dass der Fonds durch sie wenigstens teilweise seine Haupttätigkeit verrichtet. Die Einkünfte, die die Personengesellschaft erzielt, gehören tatsächlich zu ihrer Betriebsstätte (vgl. Art. 11 Abs. 4, 10 Abs. 4, 13 Abs. 2 OECD-MA), da die Tätigkeiten in

12 Siehe z.B. Hruschka in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 5 Rz. 76 m.w.N.

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der Betriebsstätte in einem funktionalen Zusammenhang13 mit den Tätigkeiten in den Zielgesellschaften stehen. Wegen der Transparenz werden den Gesellschaftern die Einkünfte der Gesamthand anteilig zugerechnet.14 Damit erzielen die Gesellschafter anteilig beschränkt steuerpflichtige, gewerbliche Einkünfte durch eine im Inland belegene Betriebsstätte gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Dies gilt gleichermaßen für die Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinne. Der Gewinn der Personengesellschaftsbetriebsstätte unterliegt der Gewerbesteuer (§ 2 Abs. 1 S. 3 GewStG). Allerdings sind bei der Ermittlung des Gewerbeertrags § 3 Nr. 40 EStG bzw. § 8b KStG zu berücksichtigen (§ 7 Abs. 1. Satz 4 GewStG). Gem. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 5 OECD-MA hat für diese der Quellenstaat das Besteuerungsrecht. Steuerlich werden die Einkünfte in Abhängigkeit von der Rechtsnatur der Gesellschafter wie folgt behandelt. Sofern Investor eine natürliche Person ist, unterliegen die Einkünfte im Falle von Zinsen in vollem Umfang der beschränkten Einkommensteuerpflicht. Auf Dividenden und Veräußerungsgewinne kommt indes das Teileinkünfteverfahren zur Anwendung (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d bzw. Buchst. a EStG). In Folge dessen sind nur 60% dieser Einkünfte steuerpflichtig. Handelt es sich bei dem Gesellschafter um eine Kapitalgesellschaft, unterliegen die Zinsen in vollem Umfang der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Sofern ihm Dividenden bzw. Veräußerungsgewinne zuzurechnen sind, unterliegen diese der Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 1, Abs. 5 KStG bzw. gem. § 8b Abs. 2 KStG. Im Ergebnis werden damit 95% dieser Einkünfte freigestellt. Etwaige einbehaltene Kapitalertragsteuer wird ggf. auf die Steuer der Gesellschafter angerechnet (§ 36 Abs. 2 Nr. 2b EStG). Allerdings sind die Gesellschafter gehalten, eine Erklärung zur beschränkten Steuerpflicht abzugeben (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. i.V.m. § 25 Abs. 3, Abs. 4 EStG). Behandelt der Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter den Fonds ebenfalls als gewerblich und transparent, sind die Einkünfte dort zwar ebenfalls anteilig den Gesellschaftern zuzurechnen. Wegen der Zurechnung der Einkünfte zur Betriebsstätte ist der Ansässigkeitsstaat i.d.R. gem. Art. 23A OECD-MA i.V.m. Art, 7 Abs. 1 Satz 2, Art. 5 Abs. 1 OECD-MA

13 Tz. 2.2.4.1. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258 ff. 14 Hruschka in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 5 Rz. 76.

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jedoch verpflichtet, diese Einkünfte von der dortigen Besteuerung15 freizustellen.16 Im Ergebnis kommt es bei einem doppelt als transparent qualifizierten, gewerblich tätigen Fonds ausschließlich in Deutschland zu einer Besteuerung. Allerdings sind die Gesellschafter gehalten, in Deutschland Steuererklärungen abzugeben. c) Ausländischer Fonds Ist der Fonds im Ausland angesiedelt und wird das Geschäft von dort belegenen Räumlichkeiten betrieben, unterhält er unabhängig von der Art seiner Tätigkeit, d.h. unabhängig davon ob er nur vermögensverwaltend oder aber gewerblich tätig ist, im Inland keine Betriebsstätte, der etwaige Einkünfte zugerechnet werden können. Damit unterliegen die Zinsen mangels grundpfandrechtlicher Besicherung keiner beschränkten Steuerpflicht i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c EStG, die Dividenden sind beschränkt steuerpflichtig gem. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG17 und gem. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b OECD-MA i.H.v 15% besteuerbar18 sowie die Veräußerungsgewinne sind zwar beschränkt steuerpflichtig (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG, jedoch dürfen diese ausschließlich vom Ansässigkeitsstaat besteuert werden (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). Deutschland behält allerdings Quellensteuer auf Zinsen und Dividenden ein. Diese sind ggf. im Wege des Erstattungsverfahrens zurück zu verlangen.19 Im Ergebnis kommt es bei einem doppelt transparenten, ausländischen Fonds in Deutschland zu einem Quellensteuereinbehalt für Zinsen und Dividenden. Inländische Erklärungspflichten bestehen für die Gesellschafter des Fonds nicht.

15 Ggf. unter Einbeziehung in den Progressionsvorbehalt. 16 Ausnahme hiervon sind z.B. die USA, die mit Deutschland die Anrechnungsmethode vereinbart haben (Art. 23 Abs. 1 DBA USA 1989). 17 Eine etwaige Betriebsstättenzurechnung gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wird gem. § 49 Abs. 2 EStG ignoriert, da es sich hierbei um ein im Ausland verwirklichtes Besteuerungsmerkmal handeln würde. 18 Der Betriebsstättenvorbehalt i.S.v. Art. 10 Abs. 4 OECD-MA greift in dieser Konstellation nicht, da der im Ausland ansässige Gesellschafter nicht im Insondern im Ausland über eine anteilige Betriebsstätte verfügt. Auf die Zurechnung nach funktionalen Kriterien kommt es daher nicht an. 19 Siehe oben: I.3.a.

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4. Behandlung des Fonds im Inland als transparentes und im Ausland als intransparentes Vehikel (umgekehrt hybride Struktur) Vorbehaltlich einer Option i.S.v. § 1a KStG werden Personengesellschaften im deutschen Steuerrecht als transparente Vehikel angesehen.20 Ausländische Staaten sind an diese Beurteilung nicht gebunden, da diese Einordnung dem Recht des jeweiligen Anwendestaates obliegt.21 Für das folgende Kapitel wird unterstellt, dass der ausländische Staat die Personengesellschaft steuerrechtlich als intransparent qualifiziert. Beispielsweise wird diese Sichtweise insbesondere in Bezug auf Kommanditisten vertreten, wenn Anwendestaaten die Niederlande, Tschechien, Spanien oder Portugal sind.22 Gleiches kann aber passieren, wenn die Personengesellschaft für Zwecke des US-Steuerrechts nach den Regeln zur „Entity Classification Rule“23 als Körperschaft qualifiziert wird. In Bezug auf inländische Fonds handelt es sich hierbei um eine „umgekehrt hybride Struktur“, da die Gesellschaft steuerrechtlich am Ort ihrer Geschäftsleitung24 als transparent und im anderen Staat25 als intransparent behandelt wird.26 a) Vermögensverwaltender Fonds Ist der Fonds aus deutscher Sicht transparent und vermögensverwaltend, werden die Einkünfte der beschränkt steuerpflichtigen Investoren wie 20 BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258 Tz. 2.2.; Reinhold in Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht3, Rz. 434. 21 Lex-Fori Regel, z.B. Martini, IStR 2021, 37 (37); Debatin in Beihefter zu DStR 23 1992, (6). 22 BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Anlage: Besonderheiten einzelner DBA zur Abkommensberechtigung von Personengesellschaften und Hinweise zu einzelnen Gesellschaftsformen. 23 https://www.irs.gov/pub/int_practice_units/ore_c_19_02_01.pdf. 24 Bei einer Personengesellschaft in Form einer Leitungsbetriebsstätte i.S.v. § 12 Satz 2 Nr. 1 AO (vgl. BFH v. 23.3.2022 – III R 35/20, FR 2022, 892 m. Anm. Nöcker = GmbHR 2022, 1161 = DStR 2022, 1661 [1665]). 25 I.d.R. der Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters. 26 OECD (2014a), Public Discussion Draft, BEPS Action 2: Neutralise the effects of hybrid mismatch arrangements (Recommendations for Domestic Laws), 19.3.2014 (http://www.oecd.org/ctp/aggressive/hybrid-mismatch-arrange ments-discussion-draft-domestic-laws-recommendations-march-2014.pdf) S. 56, Rz 198, Abb. 11.

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folgt behandelt: Zinsen unterliegen keiner Steuerpflicht,27 Dividenden können in Deutschland mit 15% auf die Einnahmen besteuert werden sowie schließlich die Veräußerungsgewinne unterliegen zwar der beschränkten Steuerpflicht, dürfen jedoch abkommensrechtlich nicht besteuert werden.28 Gleichwohl entfalten gem. §§ 43 ff. EStG einbehaltene Kapitalertragsteuern Abgeltungswirkung (§ 50 Abs. 2 EStG). Den beschränkt steuerpflichtigen Gläubigern der Kapitalerträge steht jedoch das Erstattungsverfahren gem. § 50c Abs. 3 EStG offen. Bei einem umgekehrt hybriden Vehikel ist für die Ermäßigung des Quellensteuereinbehalts § 50d Abs. 11a EStG zu beachten, der speziell für solche Gestaltungen geschaffen worden ist.29 Ist hiernach Gläubiger der Kapitalerträge eine Person, der die Kapitalerträge entweder nach inländischem oder nach ausländischem Recht nicht zugerechnet werden, steht das Erstattungsverfahren (gem. § 50c Abs. 3 EStG) nur demjenigen offen, dem die Einkünfte als ansässiger Person nach dem ausländischen Recht zugerechnet werden. Anders formuliert bedeutet dies, dass für die Quellensteuerermäßigung bei (umgekehrt) hybriden Strukturen die Einordnung der Gesellschaft und damit die Zurechnung nach ausländischem Recht Vorrang vor der nach inländischem Recht genießt.30 Behandelt der ausländische Staat den Fonds als Körperschaft ist damit ausschließlich der Fonds selbst antragsberechtigt. Behandelt Deutschland diesen als transparente Personengesellschaft, scheidet eine Erstattung aus. Denn es fehlt dem Fonds an der nach § 50d Abs. 11a EStG erforderlichen Ansässigkeit. Denn für diese Frage kommt es auf die Qualifizierung im Staat der Geschäftsleitung an (Art. 4 Abs. 1 OECD-MA). Da er aber in Deutschland als transparentes Vehikel nicht steuerpflichtig ist, ist er auch nicht ansässig. Damit scheitert bei einer umgekehrt hybriden, vermögensverwaltenden Struktur die Ermäßigung der Kapitalertragsteuer an den Voraussetzungen zur Antragstellung.31 Im Ergebnis fällt damit die Kapitalertragsteuer in Deutschland in ungeminderter Höhe an. Ist der Fonds aus ausländischer Perspektive als Körperschaft zu qualifizieren (intransparent), berühren die Einkünfte, die der Fonds von den

27 28 29 30 31

Siehe oben I.3.a. Siehe oben I.3.a. BT-Drucks 19/27632 v. 17.3.2021, 61. Ebenso Wagner in Brandis/Heuermann, § 50d EStG Rz. 179, 180. A.A. wohl Wagner in Brandis/Heuermann, § 50d EStG Rz. 179, der in diesem Fall trotz § 50d Abs. 11a EStG eine Antragstellung durch den (hinter dem Fonds) stehenden abkommensberechtigten Gläubiger für möglich hält.

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Zielgesellschaften bezieht (Zinsen, Dividenden, Veräußerungsgewinne), die steuerliche Sphäre der beschränkt steuerpflichtigen Investoren nicht. Sofern diese Einkünfte vom Fonds an die Gesellschafter „ausgeschüttet“ werden, stellen diese aus Sicht des ausländischen Staates Gewinnauskehrungen (i.d.R. Dividenden) dar, die nach dortigem nationalem Recht besteuert werden können. Eine Anrechnung deutscher Quellensteuer scheidet nach dem OECD-MA aus, da die Gewinnauskehrungen keine Dividenden i.S.v. Art 10 Abs. 3 OECD-MA darstellen. Denn wegen seiner Transparenz gilt der Fonds nicht als in Deutschland ansässige Person i.S.v. Art. 4 Abs. 1 OECD-MA, welche nämlich die Steuerpflicht vor Ort wegen ihres dort befindlichen Orts der Geschäftsleitung verlangt. Dies ist nicht der Fall.32 Damit handelt es sich abkommensrechtlich bei den Dividenden um sonstige Einkünfte i.S.v. Art. 21 OECD-MA, für die ausschließlich der Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht hat. In einzelnen Fällen hat Deutschland allerdings im Wege von Konsultationsvereinbarungen Ausnahmen zugestimmt.33 Insgesamt kommt es bei einer vermögensverwaltenden, umgekehrt hybriden Struktur zu einer ungeminderten Kapitalertragsteuer auf Zinsen und Dividenden in Deutschland und zu einer nochmaligen Besteuerung der an die Gesellschafter ausgekehrten Beträge im Ausland. Sofern das Ausland hierfür keine steuerliche Milderung vorsieht, kommt es hierdurch zu einer Doppelbesteuerung. b) Gewerblicher Fonds Ist der Fonds aus deutscher Sicht transparent und gewerblich tätig, unterliegen die von ihm erwirtschafteten Einkünfte (Zinsen, Dividenden, Veräußerungsgewinne) als inländische Betriebsstättegewinne der beschränkten Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG.34 Der Gewinn der Personengesellschaftsbetriebsstätte unterliegt der Gewerbesteuer (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG). Allerdings sind bei der Ermittlung des Gewerbeertrags § 3 Nr. 40 EStG bzw. § 8b KStG zu berücksichtigen (§ 7 Abs. 1. Satz 4 GewStG). Abkommensrechtlich erhält Deutschland das Besteuerungsrecht für sämtliche Einkünfte, da es sich insoweit um Betriebsstätteneinkünfte i.S.v. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA i.V.m. 32 Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 4.1.4.2. 33 Z.B. in Bezug auf die Niederlande: BMF v. 23.1.2020 – IV B 3 - S 1301-NDL/ 19/10010:001 – DOK 2020/0035907, IStR 2020, 156. 34 Siehe oben I.3.b.

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Art. 5 Abs. 1 OECD-MA handelt. Mit diesen Einkünften sind die Gesellschafter erklärungspflichtig gem. § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 35 Abs. 3, Abs. 4 EStG), da sich das Verfahrensrecht nach dem Recht des Anwendestaats richtet. Ist der Fonds aus ausländischer Sicht intransparent werden ihm und nicht den Gesellschaftern die Einkünfte zugerechnet. Kommt es zu Gewinnauskehrungen an die Gesellschafter, können diese im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter besteuert werden.35 Bei dieser Gestaltung kann es zu Doppelbesteuerungen hinsichtlich sämtlicher Einkünfte (Zinsen, Dividenden, Veräußerungsgewinne) kommen, da diese einerseits als Betriebsstättengewinne im Inland und zum anderen als Ausschüttungen ohne Anrechnungsmöglichkeit im Ausland behandelt werden.36 c) Ausländischer Fonds Befindet sich der Ort der Geschäftsleitung des Fonds im Ausland und wird er in Deutschland als transparent sowie im Ausland als intransparent behandelt, liegt gem. Definition der OECD kein „umgekehrt hybrides“37 sondern ein „hybrides“38 Vehikel vor. Für Deutschland als Quellenstaat ist dies unbeachtlich. Unabhängig davon, ob der Fonds vermögensverwaltend oder gewerblich tätig ist, sind auf die von den Zielgesellschaften an den Fonds gezahlten Zinsen bzw. Dividenden Quellensteuern einzubehalten. Für etwaige Ermäßigungsansprüche gem. § 50c Abs. 3 EStG ist insbesondere § 50d Abs. 11a EStG zu berücksichtigen.39 Nach dieser Vorschrift ist das ausländische Recht für die Zurechnung der Einkünfte und für die Antragstellung maßgeblich. Anders als bei Situierung des Fonds im Inland40 ist der Fonds selbst in diesem Fall antragsberechtigt, da er nach dem ausländischen Recht als (dort) ansässige Person gilt. Damit sind die Voraussetzungen des § 50d Abs. 11a EStG im Fall einer hybriden Struktur erfüllt. Hinsichtlich der Voraussetzungen i.S.v. § 50c Abs. 3 EStG, insbesondere der dort geforderten beschränkten Steuerpflicht des Antragstellers, regelt § 50d Abs. 11a EStG nichts. Insoweit ist auf die hinter dem Fonds stehenden Gesellschafter abzustel35 36 37 38 39 40

Siehe oben I.4.a. Siehe oben: I.4.a. OECD (2014a) a.a.O. Fn. 26, S. 56 Rz. 198, Abb. 11. OECD (2014a) a.a.O. Fn. 26, S. 44 Rz. 164, Abb. 6. Siehe oben: I.4.a. Siehe oben: I.4.a.

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len.41 Dem entsprechend sind die Quellensteuern auf Antrag des Fonds hinsichtlich der Zinsen auf 0% und hinsichtlich der Dividenden die Ermäßigung der Quellensteuer auf 15% bzw. 0%42 zu ermäßigen.

5. Behandlung des Fonds im Inland als intransparentes und im Ausland als transparentes Vehikel (hybride Struktur) Wird der Fonds am Ort seiner Geschäftsleitung43 im Inland als intransparent und im anderen Staat44 als transparent qualifiziert, handelt es sich um eine „hybride Struktur“ i.S.d. OECD-Definition.45 Mit Deutschland als Staat, in dem sich der Ort der Geschäftsleitung befindet, kann es seit 2022 zu solchen Konstellationen kommen, wenn der Fonds in der Rechtform einer Personenhandelsgesellschaft, z.B. einer GmbH & Co KG, errichtet worden ist. Denn in solchen Fällen steht dem Fonds die Möglichkeit offen, gem. § 1a KStG zur Besteuerung als Körperschaft zu optieren. Unbeachtlich ist, ob die Personenhandelsgesellschaft gewerblich oder vermögensverwaltend tätig ist.46 Eben so wenig kommt es darauf an, wie der inländische Fonds im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter qualifiziert wird.47 Weitere Voraussetzung für eine hybride Struktur ist, dass der ausländische Staat, in dem der Gesellschafter des Fonds ansässig ist, die Personenhandelsgesellschaft als transparent qualifiziert. Hierzu kann es kommen, wenn der ausländische Staat entweder kein Optionsmodell i.S.d. § 1a KStG kennt und im Übrigen Personengesellschaften als transparente Vehikel qualifiziert48 oder zwar die Option kennt, jedoch deren Ausübung unabhängig von der Ausübung in Deutschland zulässt.49

41 Ebenso Wagner in Brandis/Heuermann, § 50d EStG Rz. 179, 180. 42 Bei entsprechender Beteiligung des Fonds (Art. 10 Abs. 2 OECD-MA). 43 Bei einer Personengesellschaft in Form einer Leitungsbetriebsstätte i.S.v. § 12 Satz 2 Nr. 1 AO (vgl. BFH v. 23.3.2022 – III R 35/20, FR 2022, 892 m. Anm. Nöcker = GmbHR 2022, 1161 = DStR 2022, 1661 [1665]). 44 i.d.R. der Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters. 45 OECD (2014a), a.a.O. Fn. 26, S. 44 Rz. 164, Abb. 6. 46 BMF v. 23.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001 :004 – DOK 2021/1162290, BStBl. I 2021, 2212 Rz. 2. 47 Dies folgt aus § 1a Abs. 6 Satz 6 Nr. 2 KStG, der für diese Frage ausschließlich auf den Geschäftsleitungsstaat der Gesellschaft abstellt. 48 So z.B. Österreich. 49 So z.B. USA, Entity Classification Selection gem. Form 8832.

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a) Vermögensverwaltender Fonds Hat der Fonds in Deutschland gem. § 1a KStG optiert, unterliegen die von ihm erwirtschafteten Einkünfte (Zinsen, Dividenden, Veräußerungsgewinne) auf Ebene der Gesamthand der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht. Gem. § 8 Abs. 2 KStG handelt es sich bei diesen zwingend um gewerbliche Einkünfte, da die optierte Gesellschaft wie eine Kapitalgesellschaft behandelt wird.50 Dividenden sind gem. § 8b Abs. 1, Abs. 5 KStG zu 95% steuerfrei, sofern die Gesamthand mehr als 10% der Anteile an der Zielgesellschaft hält. Die Veräußerungsgewinne sind gem. § 8b Abs. 2, Abs. 3 KStG ebenfalls zu 95% steuerbefreit. GewSt entfällt auf die Zinsen. Dividenden inländischer Gesellschaften sind ab einer Beteiligung von 15% befreit (§ 9 Nr. 2a GewStG). Die Veräußerungsgewinne unterliegen gem. § 7 Satz 1 GewStG i.V.m. § 8b Abs. 2 KStG keiner GewSt.51 Einbehaltene Kapitalertragsteuer auf Zinsen (§ 43 Abs. 1 Nr. 7 EStG) und Dividenden (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) ist auf die Körperschaftsteuer der optierten Personenhandelsgesellschaft anzurechnen (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Hingegen stehen den ausländischen Gesellschaftern des Fonds – unabhängig von abweichenden DBA-Regelungen – keine Erstattungsansprüche zu (§ 50d Abs. 14 EStG).52 Werden die Gewinne der Gesamthand an die Gesellschafter ausgereicht, handelt es sich steuerrechtlich um Dividenden, auf welche 25% Kapitalertragsteuer (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG) einzubehalten und abzuführen ist.53 In Abhängigkeit von Rechtsform und Beteiligung der Gesellschafter ist die Quellensteuer auf Antrag gem. § 50c Abs. 3 EStG i.V.m. Art. 10 Abs. 2 OECD-MA auf 15%54 bzw. 0%55 zu ermäßigen. Ist die optierte, vermögensverwaltende Personenhandelsgesellschaft aus ausländischer Sichtweise als transparente Gesellschaft anzusehen, wer50 BMF v. 23.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004 – DOK 2021/1162290, BStBl. I 2021, 2212 Rz. 50. 51 Vgl. BMF v. 23.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004 – DOK 2021/1162290, BStBl. I 2021, 2212 Rz. 29. 52 BMF v. 23.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004 – DOK 2021/1162290, BStBl. I 2021I, 2212 Rz. 79. 53 BMF v. 23.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004 – DOK 2021/1162290, BStBl. I 2021, 2212 Rz. 76. 54 Alternativ bei Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 44a Abs. 9 EStG. 55 Alternativ bei Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 43b EStG.

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den die Einkünfte der Gesamthand dort unmittelbar anteilig den Gesellschaftern zugerechnet. Etwaige Quellensteuern, die von Zielgesellschaften bei Zahlung von Zinsen bzw. Dividenden an den Fonds einbehalten und abgeführt worden sind, stellen aus ausländischer Sicht Quellensteuern dar, die zu Lasten der dort ansässigen Gesellschafter erhoben worden sind. Die Frage, in welchem Umfang dort eine Ermäßigung der Quellensteuer gem. Art. 23B OECD-MA i.V.m. Art. 10 Abs. 2 OECD-MA in Frage kommt, hängt von der normativen Umsetzung der Anrechnungsmethode im Ausland und der dortigen Vergleichbarkeit der deutschen Körperschaftsteuer mit der ausländischen Steuer ab.56 Im Fall einer mit § 34c EStG vergleichbaren Regelung im Ausland würde dann die deutsche Körperschaftsteuer der optierten Gesellschaft eine Steuer des Gesellschafters darstellen. Werden die Einkünfte von der optierten Gesellschaft an die Gesellschafter ausgekehrt, handelt es sich – bei unterstellter Bruchteilsbetrachtung57 – nach ausländischem Verständnis lediglich um eine Umbuchung vom anteiligen Gesamthandkonto auf das persönliche Konto des Gesellschafters. Denn da die Gesellschaft vermögensverwaltend tätig ist, fehlt es an einer betrieblichen Sphäre, aus der das Geld gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG entnommen werden könnte. Eine auf die Auskehrung in Deutschland erhobene Quellensteuer kann nach dem Prinzip des § 34c EStG nicht angerechnet werden, da die „Umbuchung“ zu keinen Einkünften führt, auf die im Ausland Steuer anfällt, auf welche ggf. angerechnet werden kann.58 Im Ergebnis besteuert Deutschland die Einkünfte des Fonds auf Ebene der optierten Personengesellschaft. Erkennt das Ausland die deutsche Körperschaftsteuer als Steuer des Gesellschafters an, kann zwar diese im Ausland angerechnet werden. Die in Deutschland erhobene Quellensteuer auf die Ausschüttung des Fonds kann hingegen nicht angerechnet werden, da im Ausland insoweit keine Einkünfte entstehen. b) Gewerblicher Fonds Wie soeben ausgeführt, bezieht eine unbeschränkt steuerpflichtige, optierte Gesellschaft nach deutschem Verständnis ausschließlich gewerb56 Zu einer vergleichbaren Problematik siehe: BMF v. 28.5.1998 – IV C 5 - S 1301 Spa – 2/98, BStBl. I 1998, 557 Tz. 3. 57 Siehe oben: I.3.a. 58 Vgl. BMF v. 28.5.1998 – IV C 5 - S 1301 Spa – 2/98, BStBl. I 1998, 557 Tz. 3.

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liche Einkünfte (§ 8 Abs. 2 KStG). Die zum vermögensverwaltenden Fonds vorgenommenen Ausführungen gelten entsprechend.59 Ist der Fonds gewerblich tätig und aus Sicht des anderen Staates transparent, begründet die feste Geschäftseinrichtung, durch die er tätig wird, eine Betriebsstätte, die den an ihm beteiligten Gesellschaftern anteilig zugerechnet wird.60 Diese Betriebsstättengewinne sind im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter i.d.R. gem. Art. 23A, OECD-MA i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Art. 5 Abs. 1 OECD-MA freizustellen. Etwaige Quellensteuern, die Deutschland auf die ausgeschütteten Gewinne der optierten Gesellschaft einbehält, sind hiernach nicht anrechenbar, da die Freistellungsmethode keine Anrechnung vorsieht.61 Im Ergebnis werden die Einkünfte in Deutschland auf Ebene der optierten Gesellschaft abschließend besteuert. Steuern im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter fallen bei dortiger Anwendung der Freistellungsmethode nicht an. c) Ausländischer Fonds Die Option ist auch Gesellschaften ausländischer Rechtsform eröffnet, die den in § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG genannten Gesellschaftsformen vergleichbar sind. Die Vergleichbarkeit mit einer Personenhandelsgesellschaft ist in der Regel gegeben, wenn die ausländische Gesellschaft, die nach dem Rechtstypenvergleich als Personengesellschaft einzustufen ist62, bei Zugrundelegung deutscher Maßstäbe ein Handelsgewerbe i.S.d § 1 HGB betreibt.63 Im Unterschied zu den inländischen Gesellschaften ist nicht die zivilrechtliche Rechtsform, sondern die Tätigkeit der Personengesellschaft entscheidend. Wegen dieser Maßgabe können ausländische vermögensverwaltende Fonds nicht optieren. Neben dem Betrieb eines Handelsgewerbes ist weitere Voraussetzung für die Option, dass die ausländische Gesellschaft in dem Staat ihrer Geschäftsleitung einer der deutschen unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt (§ 1 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2 KStG). Denkbar ist dies in Staaten, die entweder Personengesellschaften als solche der Körper-

59 60 61 62 63

Siehe oben: I.5.a. Siehe oben: I.3.b. Vgl. BMF v. 28.5.1998 – IV C 5 - S 1301 Spa – 2/98, BStBl. I 1998, 557 Tz. 2. vgl. hierzu: BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 01.27. BMF v. 23.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. 2021 I, 2212 Rz. 3.

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schaftsteuer unterwerfen oder diesen eine vergleichbare Optionsmöglichkeit einräumen.64 Wird der Fonds65 in der steuerlichen Rechtsform einer optierten Personengesellschaft im Ausland wie eine Körperschaft behandelt, liegt keine hybride Struktur mehr vor. Vielmehr besteht unter diesen Voraussetzungen ein Gleichklang der beteiligten Staaten, vermöge dessen das Fondsvehikel als ausländische Körperschaft in inländische Zielgesellschaften investiert und von diesen Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinne erzielt. Für das Erstattungsverfahren gem. § 50c Abs. 3 EStG gilt der Fonds als beschränkt steuerpflichtiger Gläubiger. Keinem weiteren Ermäßigungsanspruch unterliegende deutsche Quellensteuern sind ggf. auf die ausländischen Steuer anzurechnen.

6. Gesellschafterdarlehen und Abzugsverbot Als Ausfluss aus dem BEPS-Prozess der OECD66 hat Deutschland mit § 4i EStG67 und § 4k EStG68 zwei Regelungen geschaffen, mit denen unerwünschte Steuervorteile bei (umgekehrt) hybriden Strukturen vermieden werden sollen. Im Kern versagen diese den Abzug von Betriebsausgaben im Inland, sofern entweder die mit der Ausgabe korrespondierende Einnahme im Ausland steuerfrei gestellt69 ist oder dieselbe Ausgabe im Ausland ein zweites Mal abgezogen70 werden kann. a) Sonderbetriebsausgabenabzug bei Vorgängen mit Auslandsbezug § 4i EStG regelt den Sonderbetriebsausgabenabzug bei Vorgängen mit Auslandsbezug. Grundvoraussetzung hierfür ist das Vorliegen einer Mitunternehmerschaft.71 Vermögensverwaltende Fonds scheiden damit aus der weiteren Betrachtung aus.72 Sonderbetriebsausgaben sind Aufwendungen, die der Mitunternehmer selbst in wirtschaftlichem Zusammenhang mit seinem Mitunternehmeranteil oder Sonderbetriebsvermögen 64 65 66 67 68 69 70 71 72

Siehe oben I.4. Unabhängig von der Art seiner Tätigkeit. Siehe: https://www.oecd.org/ctp/beps-2015-final-reports.htm. mWv VZ 2017 durch G v. 20.12.2016 (BGBl. I S. 3000). mWv VZ 2020 durch G v. 25.6.2021 (BGBl. I S. 2035). Sog. Deduction/No Inclusion. Sog. Double Deduction. Vgl. Bode in Brandis/Heuermann, EStG § 15 Rz. 458. BFH v. 7.4.1987 – IX R 103/85, BStBl. II 1987, 707 = FR 1987, 567; Tulloch/Wellisch, DStR 1999, 1093.

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trägt.73 In Betracht kommen insoweit Darlehenszinsen, die der Gesellschafter entweder für die Finanzierung seiner Beteiligung oder seines Sonderbetriebsvermögens aufwendet. Handelt es sich um einen ausländischen Gesellschafter eines inländischen gewerblichen Fonds, werden die Finanzierungsaufwendungen als Sonderbetriebsausgaben nach Veranlassungskriterien, welche ggf. nach Maßgabe des AOA eingeengt werden,74 der inländischen Betriebsstätte zugeordnet und können daher im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht steuermindernd geltend gemacht werden. Können diese Aufwendungen mangels Kenntnis des deutschen Mitunternehmerkonzepts im Ausland ein weiteres Mal zum Abzug gebracht werden, versagt § 4i Satz 1 EStG deren Ansatz im Inland. Hiervon ist im Regelfall auszugehen, wenn der ausländische Staat auf den deutschen Betriebsstättengewinn die Freistellungsmethode anwendet. Etwas anderes gilt nur, wenn mit den Ausgaben Erträge einhergehen, welche ebenfalls im In- und Ausland angesetzt werden. Dies ist z.B. der Fall, wenn der ausländische Staat, wie z.B. die USA75, auf die Betriebsstättengewinne die Anrechnungsmethode anwendet. In diesem Fall erlaubt § 4i Satz 2 den Abzug der Sonderbetriebsausgaben im Inland. b) Betriebsausgabenabzugsverbot bei Besteuerungsinkongruenzen Gem. § 4k EStG können Betriebsausgaben mit Wirkung vom Veranlagungszeitraum 2020 nicht mehr abgezogen werden, wenn – grob vereinfacht – die korrespondierenden Einnahmen bei einer nahestehenden Person im Ausland keiner Besteuerung unterliegen76 oder von dieser ebenso, d.h. ein zweites Mal, zum Abzug gebracht werden können77. Will man die Vorschrift auf den hier untersuchten Sachverhalt anwenden, geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Zinsen, die die Zielgesellschaften auf die vom Fonds ausgereichten Darlehen bezahlen, als Betriebsausgabe abgezogen werden können. Entscheidend dafür ist, dass diese weder beim Empfänger als korrespondierender Ertrag in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen sind (z.B. § 4k Abs. 1 und 2 EStG) noch von der nämlichen bzw. einer anderen (nahe73 Vgl. BFH v. 25.1.2000 – VIII R 50/97, BStBl. II 2000, 393 = FR 2000, 767 m. Anm. Kempermann. 74 van Lishaut, BB 2018, 791; so wohl auch Wacker, IStR 2017, 278, 287; Wacker, BB 2018, 2519, 2527. 75 Z.B. Art. 23Abs. 1 DBA USA 1989. 76 Sog. Deduction/No inclusion (D/NI). 77 Sog. Double Deduction (D/D).

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stehenden) Person ein zweites Mal abgezogen werden können (§ 4k Abs. 5 EStG). Voraussetzung für die Anwendbarkeit von § 4k EStG ist allerdings, dass die missbilligten Effekte bei nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG78 eintreten (§ 4k Abs. 6 Satz 1 EStG) oder durch abgestimmtes Verhalten zusammenwirkender Personen erreicht werden (§ 4k Abs. 6 Satz 2 EStG). Nahestehend i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AStG ist eine Person u.a. dann, wenn die (un-)mittelbare Beteiligung zwischen den beiden Personen mindestens 25% der Kapitalanteile oder vergleichbarer Rechte umfasst. Dies gilt auch für vermögensverwaltende Personengesellschaften. Denn § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AStG stellt für die Frage des Nahestehens auf die Personengesellschaft bzw. Mitunternehmerschaft ab. Zuerst Genannte kann auch vermögensverwaltend sein.79 Die bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften geltende Bruchteilsbetrachtung80 ändert an diesem Ergebnis nichts, da § 4k Abs. 6 Satz 1 EStG ausdrücklich auf § 1 Abs. 2 AStG verweist, der wiederum für die Frage, wer Steuerpflichtiger bzw. eine Person i.S.d. Abs. 2 ist, auf § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG Bezug nimmt. Im Übrigen erfüllt der vermögensverwaltende Fonds in jedem Fall die Voraussetzungen i.S.v. § 4k Abs. 6 Satz 2 EStG. Nach dieser Vorschrift sind für Zwecke des § 4k EStG die Beteiligung, die Stimmrechte und die Gewinnbezugsrechte der anderen Person zuzurechnen, wenn die Personen durch abgestimmtes Verhalten zusammenwirken (acting in concert81). Hiervon ist m.E. stets auszugehen, wenn der Fonds einheitlich mit Wirkung für seine Gesellschafter handelt. Denn in diesem Fall koordiniert der Fondsmanager mit seinem Verhalten das Zusammenwirken der Gesellschafter, die steuerrechtlich als Bruchteilseigner i.S.v. § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO angesehen werden. Dieses Zusammenwirken stellt bei Personengesellschaften den Regelfall dar, da gem. § 705 BGB Gegenstand des Gesellschaftsvertrags das Fördern des gemeinsamen Zwecks ist. Die Regelung des § 4k Abs. 6 Satz 2 EStG geht sogar noch über diese gesetzlich normierte Form des Zusammenwirkens hinaus, indem sie auch rein schuldrechtlich vereinbartes oder gar faktisches Zusammen78 79 80 81

Oder Betriebsstätten. BR-Drucks 302/12, 102. Siehe oben: 1.3.a. S. OECD, BEPS-Abschlussbericht 3 (Designing Effective Controlled Foreign Company Rules), 2015, Tz. 39 f.; s. hierzu auch Kortendick/Ekinci, IStR 2020, 615 (621).

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wirken in den Anwendungsbereich mit einbezieht.82 Im Ergebnis ist daher für die Frage des Nahestehens i.S.v. § 4k auf die Beteiligungshöhe des Fonds an den Zielgesellschaften abzustellen. aa) Vermögensverwaltender Fonds Ist der inländische Fonds steuerlich transparent und ist er vermögensverwaltend tätig, gilt für die steuerliche Zurechnung der Vermögensgegenstände und Einkünfte – anders als für die Frage des Nahestehens83 – die Bruchteilsbetrachtung.84 Dies hat zur Folge, dass für das § 4k EStG geregelte Betriebsausgabenabzugsverbot neben der steuerlich intransparenten Zielgesellschaft auf die steuerliche Behandlung des Zinses bei dem ausländischen Gesellschafter des Fonds geblickt werden muss. Unterliegt etwa der Gesellschafter einem Regime, innerhalb dessen erhaltene Darlehenszinsen unter bestimmten Voraussetzungen steuerbefreit sind85, untersagt § 4k Abs. 1 EStG den Abzug des Zinses bei der Zielgesellschaft im Inland. Behandelt der Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters den Fonds und die Zielgesellschaft als transparent, kann zu einem Doppelabzug des von der Zielgesellschaft gezahlten Zinses kommen. In diesem Fall verbietet § 4k Abs. 5 EStG den Abzug im Inland bei der inländischen Zielgesellschaft. bb) Gewerblich tätiger Fonds oder optierte Personenhandelsgesellschaft Handelt es sich um einen gewerblich tätigen, transparenten, inländischen Fonds, gehören die von den inländischen Zielgesellschaften an den Fonds gezahlten Zinsen nach deutschem Recht zu den inländischen Betriebsstättengewinnen. Dort unterliegen sie der beschränkten Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Im Fall der Option des inländischen Fonds gem. § 1a KStG gehören die Zinsen zu den unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen, gewerb82 83 84 85

Grotherr, IStR 2020, 773 (778). Siehe oben: I.6.b. Siehe oben: I.3.a. Siehe hierzu: Kahlenberg/Kopec, Abweichendes Rechtsverständnis von steuerlichem Eigenkapital innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten als Ursache aggressiver Steuergestaltungen mithilfe hybrider Finanzinstrumente und politischer Reaktionismus auf OECD- und EU-Ebene, 2015.

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lichen Gewinnen der optierten Gesellschaft (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG i.V.m. § 8 Abs. 2 KStG).86 n beiden Fällen unterliegen die korrespondierenden Zinserträge der inländischen Besteuerung mit der Folge, dass § 4k EStG dem Grunde nach nicht greift, d.h. die Zielgesellschaften können den Zinsabzug steuerlich geltend machen. cc) Ausländischer Fonds Wird das Darlehen an die inländische Zielgesellschaft von einem ausländischen Fonds gewährt, kommt es für die Frage des Abzugsverbots gem. § 4k EStG auf die steuerliche Behandlung des Zinsertrags bzw. -aufwands auf Ebene des Fonds oder des Gesellschafters an. Insoweit geltend die Ausführungen zum Betriebsausgabenabzugsverbot bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften entsprechend.87

7. Zusammenfassung Private Equity Fonds werden i.d.R. in der Rechtsform einer steuerlich transparenten Personengesellschaft mit Haftungsbeschränkung (z.B. GmbH & Co KG) aufgelegt. Diese kann vermögensverwaltend oder gewerblich tätig sein. Wird der Fonds im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter ebenfalls als transparent angesehen, kommt es zu keinen Doppelbesteuerungen. Sieht das Ausland den Fonds als intransparent an, wird die Auskehrung der von ihm erwirtschafteten Einkünfte als steuerpflichtige Ausschüttung an den Gesellschafter angesehen. Hierdurch kann es zu Doppelbesteuerungen kommen. Optiert der Fonds in Deutschland zur Körperschaftsteuer (§ 1a KStG) und sieht das Ausland den Fonds als transparentes Vehikel an, wird in Deutschland auf die Gewinnausschüttung an die Gesellschafter Kapitalertragsteuer erhoben. Diese kann i.d.R. im Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters nicht angerechnet werden. Finanziert der Gesellschafter seine Beteiligung an einem transparenten, gewerblich tätigen Fonds fremd, wird der Abzug der Refinanzierungskosten im Inland versagt, wenn auf den inländischen Betriebsstättengewinn die Freistellungsmethode anzuwenden ist (§ 4i S. 1 EStG). Gewährt der Fonds der Zielgesellschaft Darlehen, unterliegen die hierauf gezahlten Zinsen einem Abzugsverbot, wenn der transparente Fonds vermögensverwaltend ist und die korrespondierenden Erträge beim Gesellschafter freigestellt 86 Siehe oben: I.4.a. 87 Siehe oben: I.6.b.aa.

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sind (§ 4k Abs. 1 EStG). Insgesamt hat die Untersuchung gezeigt, dass inkongruente Qualifzierungen im In- und Ausland steuerliche Risiken mit sich bringen.

II. Management Incentives (RA/StB Christian Schatz) 1. Einführung Management Incentives haben bei Private Equity Beteiligungen eine große Bedeutung. Die Entwicklung eines Beteiligungsunternehmens hängt maßgeblich vom Engagement des Managements ab. Das Management soll durch Management Incentives motiviert werden, nach besten Möglichkeiten den Unternehmenswert zu steigern. Diese bei einem Verkauf des Beteiligungsunternehmens realisierte Wertsteigerung ist die Rendite des Private Equity Investors. Um eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmens zu erreichen, ist der Fokus sehr stark auf Managementbeteiligungen ausgerichtet: Das Management soll zusammen mit dem Private Equity Investor als Mitgesellschafter „in einem Boot“ sitzen. Dies bewirkt einen Interessengleichlauf und eine langfristige Bindung an das Beteiligungsunternehmen, aber auch das ein „geteiltes Risiko“ zwischen Private Equity Investor und Management vorliegt. Entwickelt sich das Beteiligungsunternehmen schlecht, leidet auch das Management als Mitgesellschafter mit.88 Das Management hat ein gleichläufiges Interesse. Da sein Handeln auf die Realisation einer Unternehmenswertsteigerung ausgerichtet ist, möchte es auch an den Exit-Erlösen partizipieren. Die steuerliche Motivlage der Parteien ist ebenso identisch: Der Private Equity Investor ist bereit, diese Management Incentives aus Exit-Erlösen zu finanzieren, ohne dass weitere nachteilige steuerliche Folgen zu befürchten sind. Eine Besteuerung soll erst bei Realisation derselbigen erfolgen. Das Management hat ebenso kein Interesse vor einem CashFlow von Exiterlösen besteuert zu werden (Stichwort geldwerter Vorteil/ dry income). Wenn die Besteuerung des Managements mit Veräußerungsgewinnen oder anderen Kapitaleinkünften und damit niedriger als

88 Zur Motivlage des Private Equity Investors z.B. Mackensen in Eilers/Koffka/ Mackensen/Paul/Josenhans, Private Equity4, Kapitel VI Rz. 2 ff.; Richter in Meyer-Sparenberg/Jäckle, Beck’sches M&A-Handbuch2, § 58 Rz. 1 ff.

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mit Einkünften nach § 19 EStG erfolgen kann, wird die incentivierende Wirkung durch Steuern weniger gemindert.89 Diese steuerliche Motivlage kann – zumindest nach derzeitigem Stand – nicht mit den zur Verfügung stehenden Formen der Managementbeteiligung vollumfänglich erreicht werden. Zwar verhindern gehaltsbezogene Incentives wie Exit Boni oder Virtual Stock Option Plans eine Besteuerung bei Gewährung, führen aber mangels Eigenkapitalbeteiligung zu Einkünften nach § 19 EStG.90 Bei den Eigenkapitalbeteiligung kann zwar steuerlich ein Veräußerungsgewinn ermöglicht werden, dafür treten aber oft nicht leicht lösende Themen wie geldwerter Vorteil auf Grund hoher Unternehmensbewertungen oder noch nicht einheitlich gesehen Steuerrechtsfragen auf. Die Bundesregierung hat die Bedeutung von Managementbeteiligungen und die Schwächen des deutschen Steuerrechts erkannt. Im Regierungsentwurf zum Gesetz zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen (Zukunftsfinanzierungsgesetz – ZuFinG)91 fokussiert es sich auf wichtige steuerliche, derzeit nicht optimal gelöste Aspekte der Besteuerung von Managementbeteiligungen. Der Fokus dieses Gesetzgebungsverfahrens ist es, die Thematik geldwerter Vorteil bei Managementbeteiligungen zu entschärfen, indem Freibeträge, aber auch Steuerstundungen und Begünstigungen erweitert werden sollen.92

2. Gehaltsbezogene Incentives: Exit-Bonus a) Ausgangsfall Die Arbeitgeber GmbH gewährt dem Manager einen sog. Exit Bonus auf arbeitsvertraglicher Grundlage. Variante 1: Der Anspruch auf den Exit Bonus entsteht mit dem Verkauf der Arbeitgeber GmbH in Abhängigkeit vom erzielten Erlös und wird nach Erhalt des Exiterlöses durch die Gesellschafter bei der Arbeitgeber GmbH zur Zahlung fällig.

89 Zur steuerlichen Motivlage Mackensen in Eilers/Koffka/Mackensen/Paul/Josenhans, Private Equity4, Kapitel VI Rz. 9. 90 Andere Motive wie die Bindung an das Unternehmen werden aber weniger erreicht (siehe z.B. Koch-Schulte, BB 2020, 1131, 1134). 91 Siehe https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/RegE/ RegE_Zukunftsfinanzierungsgesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=2. 92 Siehe Regierungsentwurf (Fn. 91) S. 152.

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Variante 2: Der Anspruch auf den Exit Bonus entsteht bei Überschreiten eines durch eine Bewertung ermittelten Unternehmenswertes. Lediglich die Fälligkeit des Anspruchs wird durch den Verkauf der Arbeitgeber GmbH ausgelöst. b) Steuerliche Behandlung des Managements Die steuerliche Behandlung des Managements ist in diesen Fällen eindeutig: Durch den arbeitsrechtlichen Bezug werden Einkünfte im Sinne von § 19 EStG93 erzielt, da kein Eigenkapitalbeteiligung verkauft wird.94 c) Steuerliche Behandlung der Arbeitgeber GmbH Da Arbeitslohn vorliegt, hat die Arbeitgeber GmbH den Exit-Bonus lohnsteuerlich abzuwickeln. Die Arbeitgeber GmbH kann auch in Erwägung ziehen, entsprechend Lohnaufwand nach § 4 Abs. 4 EStG geltend zu machen, soweit sie den Exit-Bonus wirtschaftlich getragen hat.95 Abhängig von der Ausgestaltung könnte die Finanzverwaltung einwenden, dass die Leistung des Exit-Bonus eher im Interesse der Gesellschafter als der Gesellschaft ist und daher eine verdeckte Gewinnausschüttung annehmen.96 Diese Frage wird derzeit bei der Variante 1 häufig diskutiert. Gegen eine verdeckte Gewinnausschüttung wird eingewandt, dass auch bei Variante 1 ein zu berücksichtigendes Interesse der Gesellschaft auf Unternehmenswertsteigerung und daher ein hinreichender betrieblicher Veranlassungszusammenhang besteht. Bei Variante 2 wird dieser Veranlassungszusammenhang sicherlich deutlicher, da der Anspruch auf Bonus schon allein durch die Unternehmenswertsteigerung, die auch im Interesse der Arbeitgeber GmbH ist, entsteht.97 93 Siehe z. B. FG Münster, v. 12.12.2014 – 4 K 1918/13 E, DStRE 2016, 611 (bei gleichzeitiger Eigenkapitalbeteiligung des Managers), siehe hierzu auch Fry/ Schmid, DStR 2015, 1094. 94 Zusammenfassend Ettinger in Beck’sches Handbuch Unternehmenskauf im Mittelstand3, E. Rz. 96; Weitnauer, GWR 2022, 39; eine Umwandlung in Eigenkapitalbeteiligungen führt zur Besteuerung, siehe Schrade/Denninger, DStR 2019, 2615; Weitnauer, GWR 2022, 39. 95 Entweder trägt die Gesellschaft den Betrag aus eigenen Mittel oder die verkaufenden Gesellschafter stellen ihr diese zur Verfügung. Siehe hierzu Stenzel, DStR 2018, 82. 96 Siehe hierzu Ettinger in Beck’sches Handbuch Unternehmenskauf im Mittelstand3, E. Rz. 96. 97 Siehe auch BFH v. 15.3.2017 – I R 11/15, ECLI:DE:BFH:2017:U.150417.IR 11.15.0, BStBl. II 2017, 1043 = FR 2018, 231 m. Anm. Weber-Grellet = ZIP

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Anmerkung Hruschka: Nach meinem Verständnis bestehen im Fall der Buchung von Lohnaufwand für den Exit-Bonus keine Zweifel an der Veranlassung desselben durch das Gesellschaftsverhältnis und damit der Annahme einer vGA. Denn der Bonus wird ausschließlich für die Wertsteigerung der Anteile des Unternehmens gezahlt. Und diese Wertsteigerung der Anteile erfolgt ausschließlich im Interesse des Gesellschafters, der allein (und nicht die Gesellschaft) den Vorteil in Form des höheren Veräußerungspreises erhält. Über diese Frage musste der BFH bisher noch nicht entscheiden. Er hat sich lediglich mit der (fehlenden) Erlaubnis der Rückstellungsbildung für Lohnaufwand bei Mitarbeiteraktienoptionsprogrammen auseinandergesetzt.98 Um dieser Unsicherheit der steuerlichen Behandlung zu entgehen, wird regelmäßig vereinbart, dass der Gesellschafter den Exit-Bonus trägt. Dies wird entweder dadurch bewirkt, dass eine schuldrechtliche Regelung zum sog. Vorteilsausgleich99 vor Entstehen der Exit-Bonus-Ansprüche eingegangen wird oder schuldbefreiend der Gesellschafter die Verpflichtungen der Arbeitgeber GmbH auf Zahlung eines Exit-Bonus übernimmt.100 In beiden Fällen wirkt sich die Zahlung des Exit-Bonus nicht mehr ergebnismindernd bei der Arbeitgeber GmbH aus, entweder weil eine gegenläufige Betriebseinnahme vorliegt oder der Aufwand gar nicht mehr von ihr getragen wird. Dies geschieht in der Praxis101 immer dann, wenn die Parteien die steuerlichen Vorteile aus der Geltendma-

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2017, 1561, der nur die Bildung einer rückwärtsgewandten Rückstellung verneint, die Bezugnahme auf die Wertentwicklung als Beleg für den subjektiven Veranlassungszusammenhang im Sinne von § 4 Abs. 4 EStG wohl aber für möglich erachtet. Siehe auch Frey/Schmid, DStR 2015, 1094. Siehe: BFH v. 15.3.2017 – I R 11/15, ECLI:DE:BFH:2017:U.150417.IR 11.15.0, BStBl. II 2017, 1043 = FR 2018, 231 m. Anm. Weber-Grellet = ZIP 2017, 1561; v. 25.8.2010 – I R 103/09, FR 2011, 231 m. Anm. Buciek, BStBl. 2011, II 215. Zu den Anforderungen an einen steuerlich wirksamen Vorteilsausgleich Gosch in Gosch, KStG4, § 8 Rz. 261. Um eine hinreichende wirtschaftliche Einheitlichkeit zu erreichen, muss frühzeitig eine solche Regelung getroffen werden. Da der Exit-Bonus arbeitsrechtlich vereinbart ist, kann eine solche schuldbefreiende Vertragsübernahme die Zustimmung des Bonusberechtigten erfordern. Diese steuerlichen Risiken können allenfalls mit einer speziellen Steuerversicherung versichert werden, siehe z. B. Sradj, DStR 2022, 568.

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chung der Betriebsausgabe geringer werten als die Risiken einer verdeckten Gewinnausschüttung.102 d) Steuerliche Behandlung beim Gesellschafter Da die Arbeitgeber GmbH regelmäßig nicht über die Mittel verfügt bzw. weil wirtschaftlich der Gesellschafter der Arbeitgeber GmbH die Aufwendungen für den Exit-Bonus trägt, stellt sich die Frage der steuerlichen Behandlung der wirtschaftlichen Tragung des Exit-Bonus durch den Arbeitgeber. Häufig wird der Exit-Bonus sogar im abgekürzten Zahlungsweg direkt vom Käufer and die Berechtigten gezahlt.103 Die verkaufenden Gesellschafter übernehmen die Zahlungen, da dies zur erfolgreichen Durchführung des Exits erforderlich ist. Der Verkäufer will die Verpflichtungen in der Regel nicht übernehmen, da er z. B. ein eigenes Management Incentive anstrebt und die Gesellschaft soll die Verpflichtungen nicht tragen.104 Da diese Aufwendungen in einem sachlichen Zusammenhang mit der Veräußerung stehen – in der Regel auch dokumentiert durch entsprechende Vereinbarungen im Anteilskaufvertrag – liegen Veräußerungskosten im Sinne von § 17 Abs. 4105, § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG106, § 8b Abs. 2 Satz. 2 KStG107, aber keine Werbungskosten oder Betriebsausgaben im Sinne von § 20 Abs. 9 EStG, § 8b Abs. 3 Satz 2 KStG vor.108 Auch Zahlungen zu einem Vorteilsausgleich109 dürften Veräußerungs102 Wegen der gesellschafterbezogenen Auswirkungen einer verdeckten Gewinnausschüttung wird nicht nur auf die Geltendmachung der Betriebsausgabe verzichtet. 103 Diese Fälle des Drittzahlung führen regelmäßig nicht dazu, dass die Arbeitgeber GmbH nicht zum Lohnsteuerabzug verpflichtet bleibt. Da die Berechtigten in der Regel (teil-)personenidentisch mit der Geschäftsführung der anstellenden Gesellschaft ist, liegt ein Drittlohn im Sinne von § 38 Abs. 1 Satz 3 EStG vor. Zur Möglichkeit der Enthaftung der Gesellschaft siehe § 38 Abs. 4 EStG. 104 Siehe oben I.2.c) Steuerliche Behandlung der Arbeitgeber GmbH. 105 Zum Begriff der Veräußerungskosten bei § 17 EStG z.B. Levedag in Schmidt, EStG42, § 17 Rz. 130. 106 Zum Begriff der Veräußerungskosten bei § 20 EStG z.B. B. Schmidt in BeckOK EStG, 15. Edition § 20 Rz. 1286. 107 Zum Begriff der Veräußerungskosten bei § 8b KStG z.B. Gosch in Gosch, KStG4, § 8b Rz. 195a. 108 So FG Münster v. 12.12.2014 – 4 K 1918/13 E, DStRE 2016, 611. 109 Zum Vorteilsausgleich siehe I.2.c) Steuerliche Behandlung der Arbeitgeber GmbH.

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kosten darstellen, da auch diese auf einer durch die Veräußerung ausgelösten, verbindlich werdenden Vereinbarung geleistet werden.110

3. Anteilsbezogene Incentives a) Ausgangsfall Für anteilsbezogene Incentives gibt es mehrere Durchführungswege. Neben der Direktbeteiligung am Beteiligungsunternehmen111 werden im Markt auch andere Formen der Beteiligung wie z.B. stille oder Unterbeteiligungen genutzt. In den meisten Fällen wird aber eine Direktbeteiligung über ein Investitionsvehikel (z.B. in Form einer vermögensverwaltenden Kommanditgesellschaft bevorzugt. Das Investitionsvehikel dient einer Vielzahl von Gründen, z.B. können damit mehrere Manager gebündelt (Verwaltungsvereinfachung), Beurkundungspflichten bei Einräumung besser ausgesteuert und eine höhere Exit-Sicherheit erreicht werden (KG als Mitgesellschafter und nicht individueller Manager). Ziel der Direktbeteiligung – auch bei Verwendung eines Investitionsvehikels – ist, dass steuerlich ein Veräußerungsgewinn nach § 17, § 20 EStG, § 8b Abs. 2 KStG112 erzielt wird.113 Da die zur Veräußerung vorgesehene Beteiligungsunternehmen in der Regel als Kapitalgesellschaften ausgestaltet sind, werden die Investitionsvehikel (MEP KG) je nach steuerlicher Überlegung als vermögensverwaltende oder gewerbliche Kommanditgesellschaft errichtet. b) Generelle Anerkennung Der angestrebte Veräußerungsgewinn kann nur vorliegen, wenn keine Einkünfte im Sinne von § 19 EStG anzunehmen sind. Hierzu muss der erzielte Veräußerungserlös nicht als Gegenleistung für geleistete Arbeit, sondern als aufgrund einer Kapitalbeteiligung als eigenständige Erwerbsgrundlage erzielt zu beurteilen sein (sog. Sonderrechtsbeziehung). Die 110 Siehe Gosch in Gosch, KStG4, § 8b Rz. 195a. 111 Zu rechtlichen Aspekten bei Kapitalgesellschaften z.B. Stenzel, DStR 2018, 139 und bei Kommanditgesellschaften (selten) z.B. Denga, RFamU 2023, 13. 112 Manager beteiligen sich häufig gerne über eine Vermögensverwaltungs-Kapitalgesellschaft. Wegen der geringen Beteiligungshöhen wäre eine Gewinnausschüttung nachteilig (§ 8b Abs. 4 KStG, § 9 Nr. 2a, Nr. 7 GewStG). 113 Mackensen in Eilers/Koffka/Mackensen/Paul/Josenhans, Private Equity4, Kapitel VI Rz. 10.

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Rechtsprechung des BFH hat seit 2016114 eine gefestigte Rechtsprechung115 entwickelt, dass eine Kapitalbeteiligung, die nur Arbeitnehmern angeboten wird und sog. (Good/Bad) Leaver-Regelungen, dies sind insbesondere Veräußerungspflichten bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis, eine solche Sonderrechtsbeziehung darstellt.116 Wesentlich ist, dass der Manager wirtschaftliches Eigentum im Sinne von § 39 AO an der Kapitalbeteiligung hält und damit die Chancen und Risiken der Beteiligung sowie die Stimm- und sonstigen Gesellschafterrechte wahrnehmen kann.117 Mit dieser Rechtsprechung hat der BFH auch Unsicherheiten in Folge eines 2014 veröffentlichten Urteils118 beseitigt, in dem eine entscheidende Bedeutung der Leaver-Regelung zukam. Auch wenn diesem Urteil ein sehr besonderer Sachverhalt zugrunde lag, wurde dennoch befürchtet, dass der BFH generelle Bedenken bei Vorhandensein von Leaver-Regelungen habe. Entscheidend119 dürfte aber vielmehr gewesen sein, dass der Kläger nur das Genussrecht durch Veräußerung an den Arbeitgeber bei Ablauf der Laufzeit realisieren konnte.120 Es bleibt abzuwarten, ob der BFH seine Rechtsprechung weiter ausdifferenziert. Mit dem Fondsstandortgesetz121 hat der Gesetzgeber mit § 19a EStG eine Regelung in das EStG zur steuerlichen Behandlung von geldwerten Vorteilen bei Einräumung von Mitarbeiterbeteiligungen aufgenommen. Der Gesetzgeber will damit die Attraktivität von Mitarbei114 Siehe BFH v. 4.10.2016 – IX R 43/15, ECLI:DE:BFH:2016:U.041016.IXR43. 15.0, BStBl. II 2017, 790 = FR 2017, 637 m. Anm. Korff = GmbHR 2017, 256 = ZIP 2017, 609. 115 Siehe BFH v. 1.12.2020 – VIII R 40/18, ECLI:DE:BFH:2020:U.011220.VIIIR 40.18.0, FR 2021, 1035 m. Anm. Kanzler = ZIP 2021, 191, FR 2021, 989 m. Anm. Kanzler = GmbHR 2021, 9419 = BFH/NV 2021, 970; v. 1.12.2020 – VIII R 21/17, BFH/NV 2021, 965. 116 Siehe z.B. Lechner, JbFfSt 2017/2018, 207–18; Korff, FR 2017, 639; Wiese/Leo, GmbHR 2017, 690; Rödding, DStR 2017, 437, 439; Plewka, NJW 2017, 705, 708; Binnewies/Finke, AG 2018, 789; Weber-Grellet, FR 2022, 694; KochSchulte/de Toma, BB 2021, 215 und BB 2021, 2839. 117 Mackensen in Eilers/Koffka/Mackensen/Paul/Josenhans, Private Equity4, Kapitel VI Rz. 10; Koch-Schulte/de Toma, BB 2021, 215 und BB 2021, 2839; Weber-Grellet, FR 2022, 694. 118 BFH v. 5.11.2013 – VIII R 20/11, BStBl. II 2014, 275 = FR 2014, 426 = GmbHR 2014, 334. 119 Siehe Rz. 20 des Urteils (Fn. 118). 120 Siehe auch Levedag, RdF 2015, 144; Rödding, DStR 2017, 437. 121 BGBl. I 2021, 1498.

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terbeteiligungen erhöhen, da in vielen Fällen (insbesondere bei Bewertungsunsicherheiten) die Mitarbeiter von einer Beteiligung aufgrund der gegebenenfalls nicht absehbaren wirtschaftlichen Belastungen aus einem geldwerten Vorteil absahen.122 Diese Regelung soll nach dem Vorschlag der Bundesregierung123 mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz sogar noch weiter zugunsten der Arbeitnehmer verbessert werden.124 Neben der generellen Ausweitung der Stundungsmöglichkeiten ist eine Kappung des geldwerten Vorteils auf den Rückkaufpreis im Leaver-Fall begrenzt125. Damit nicht verknüpft ist aber, dass die Mitarbeiterbeteiligung nicht als Sonderrechtsverhältnis anerkannt werden soll. Es wird vielmehr im EStG ausdrücklich angeordnet, dass der tatsächlich besteuerte Arbeitslohn als Anschaffungskosten im Sinne der § 17 und § 20 EStG gelten (§ 19a Abs. 4 Satz 5 EStG). Diese Regelung belegt ausdrücklich die Unschädlichkeit des geldwerten Vorteils für die steuerliche Behandlung der nachfolgenden Veräußerung der Mitarbeiterbeteiligung. Alles andere würde das gesetzgeberische Ziel der Förderung der Mitarbeiterbeteiligung ins Gegenteil verkehren. In die bisherige BFH-Rechtsprechung konnte diese in § 19a EStG in Fassung des Fondsstandortgesetzes seit 2021 enthaltene gesetzgeberische Aussage nicht einfließen, aber konsequenterweise müsste der BFH nunmehr den verbilligten Erwerb nicht mehr als schädlich ansehen. Auf Grundlage dieser soliden derzeitigen Rechtsprechung des BFH ist aber vorerst weiterhin eine Gesamtschau jedes Einzelfalls vorzunehmen. Insbesondere ist darauf zu achten, dass ein Erwerb der Kapitalbeteiligung zum Verkehrswert erfolgt und eine umfassende wirtschaftliche Eigentümerposition (Verlustrisiko) besteht. c) Sweet Equity Bei Private Equity Strukturen erbringt der Private Equity Investor anders als das Management meist neben der Beträge für das Stammkapital des Beteiligungsunternehmens höhere Finanzierungsbeiträge in Form von Zahlungen in die (sog. präferierte) Kapitalrücklage oder von Gesellschafterdarlehen. Im Exit-Fall führt dies in der Regel dazu, dass der Private Equity Investor – vereinfacht dargestellt – seine „Sonderbeiträge“ erhält 122 Zusammenfassend z.B. Bleschik in Beck OK EStG, 15. Edition, § 19a EStG Rz. 1 ff. 123 Siehe Fn. 91. 124 Siehe Regierungsentwurf (Fn. 91) S. 152. 125 Siehe § 19a Abs. 4 S. 4 EStG-Regierungsentwurf.

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und der verbleibende Exiterlös dann pro rata zwischen dem Private Equity Investor und dem Management aufgeteilt wird.126 Da die Gesamtfinanzierung die Investition ermöglicht, kann sich ein Hebeleffekt zugunsten der Beteiligung des Managements ergeben. Dieser wirtschaftliche Effekt qualifiziert die Mitarbeiterbeteiligung daher aus dem Blickwinkel des Managements als sog. sweet equity.127 Die steuerliche Relevanz dieser wirtschaftlich bedingten Struktur wurde von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung uneinheitlich gesehen.128 Der VIII. Senat des BFH hat Ende 2020 in zwei Urteilen zu § 18 EStG129 und zu § 19 EStG130 entschieden, dass eine erhöhte Gewinn126 Diese Verteilungsabrede ergibt sich schon aus der den Finanzierungsbeiträgen zugrunde liegenden rechtlichen Strukturen (Vorzugsanteile, Vorzugsrücklagen, Gesellschafterdarlehen) und wird auch regelmäßig in Gesellschaftervereinbarungen festgehalten. 127 Koch-Schulte/de Toma, BB 2021, 2839. 128 FG Münster v. 15.7.2015 – 11 K 4149/12 E, DStR 2016, 1489: Indiz § 19 EStG; FG Baden-Württemberg v. 26.6.2017 – 8 K 4018/14, DStRE 2019, 5: Indiz § 19 EStG, FG Baden-Württemberg v. 9.5.2017 – 5 K 3825/14, DStRE 2018, 1092: kein Indiz; FG Baden-Württemberg v. 26.2.2022 – 2 K 1774/17, BeckRS 2020, 15959: kein Indiz; FG Baden-Württemberg v. 26.2.2020 – 2 K 1731/17, BeckRS 2020, 48252: kein Indiz. 129 BFH v. 1.12.2020 – VIII R 21/17, BStBl. II 2021, 609 = FR 2021, 989 m. Anm. Kanzler = GmbHR 2021, 941 (zu § 18 EStG) Rz. 32: „Auch die Tatsache, dass der Kläger eine im Verhältnis zu den Investoren deutlich erhöhte Rendite erlangen konnte, weil er anders als diese keine Einzahlungen in die Kapitalrücklage II vornehmen und auch keine Gesellschafterdarlehen zur Verfügung stellen musste, kann nicht als Beleg für einen Veranlassungszusammenhang des erzielten Veräußerungserlöses mit der selbständigen Tätigkeit angesehen werden. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des FG erfolgte die Veräußerung der Beteiligung zum Marktwert. Es bestehen daher keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger eine nicht marktübliche, erhöhte Rendite erzielt hat, die als zusätzliche Bonuszahlung für seine Beratertätigkeit qualifiziert werden könnte. Vielmehr sollte der gesamte beim „Exit“ erzielte Veräußerungserlös zunächst für die Rückzahlung bestehender Verbindlichkeiten und sonstiger Kosten verwendet und erst das verbleibende Nettovermögen unter den Gesellschaftern entsprechend ihren jeweiligen Gewinnberechtigungsquoten verteilt werden. Der Kläger hat daher ausschließlich den auf seinen Anteil an der Holding entfallenden „Exit“-Erlös erhalten.“ 130 BFH v. 1.12.2020 – VIII R 40/18, ECLI:DE:BFH:2020:U.011220.VIIIR40.18.0, FR 2021, 1035 m. Anm. Kanzler = ZIP 2021, 1919 = BFH/NV 2021, 970 (zu § 19 EStG, Vorinstanz FG Düsseldorf v. 9.10.2018 – 13 K 1257/17 E, EFG 2019, 970) Rz. 26: „(…) Seine Begründung, für einen Veranlassungszusammenhang des erzielten Veräußerungserlöses mit dem Arbeitsverhältnis spre-

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chance nicht schädlich ist. Dies ist auch richtig, denn die weiteren Finanzierungsbeiträge des Private Equity Managers sind bei diesem verblieben und die erhöhte Gewinnchance reflektiert nur die durch die wirtschaftliche Entwicklung des Beteiligungsunternehmens entstandene Wertentwicklung, die sich auf die Kapitalbeteiligungen des Private Equity Investors und des Managements entsprechend ihrer Beteiligungsquoten verteilt.131 Derzeit sind noch zwei Revisionsverfahren beim VI. Senat des BFH anhängig.132 Angesichts der Klarheit der Rechtsprechung des VIII. Senats aus 2020 verwundert dies, insbesondere ist offen, worauf der VIII. Senat sein Stattgeben der beiden erforderlichen Nichtzulassungsbeschwerden der Finanzverwaltung stützt.133 Es könnte sein, dass der 6. Senat auf Grundlage der Rechtsprechung zur generellen Anerkennung einen Revisionsgrund sieht, denn Rev. VI R 1/21 liegt wohl ein Fall zugrunde, bei dem die Beteiligung verbilligt erworben wurde. Dies könnte gegen eine Sonderrechtsbeziehung sprechen.134 Der Vorinstanz zu Rev. VI R 2/21 lag aber wohl nicht ein solcher Sachverhalt zugrunde. Leider verbleibt daher eine Unsicherheit bis zur Entscheidung des VI. Senats in beiden Verfahren.

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che, dass die Beteiligung nur einem ausgewählten Kreis von Arbeitnehmern angeboten worden sei, der Kläger nicht über die vollen Beteiligungsrechte verfügt habe, er angesichts der geringen Anschaffungskosten der Beteiligung kein erhebliches Verlustrisiko getragen habe und gleichwohl eine außerordentlich hohe Rendite habe erzielen können, greift jedenfalls nicht durch. Der Umstand, dass die Beteiligungsmöglichkeit nur leitenden Angestellten eröffnet worden war, schließt es nicht aus, dass der vom Kläger erzielte Gewinn seine Ursache allein in der Kapitalbeteiligung hatte und damit als ein nicht aus dem Arbeitsverhältnis resultierender Vorteil zu qualifizieren ist (BFH v. 21.10.2014 – VIII R 44/11, BFHE 247, 308, BStBl. II 2015, 593 = GmbHR 2015, 155 = FR 2015, 558 m. Anm. Kanzler). Da der Kläger seine Beteiligung an der C2 zu marktüblichen Konditionen (und nicht etwa verbilligt) erworben und veräußert hat, spielt es – wovon das FG zutreffend ausgegangen ist – auch keine Rolle, dass für den Kläger mit der Möglichkeit, sich an der C2 zu beteiligen, eine erhöhte Gewinnchance verbunden war, da eine solche Chance grundsätzlich jeder Kapitalbeteiligung innewohnt.“ So auch Koch-Schulte/de Toma, BB 2021, 2839; Kanzler, FR 2021, 994. Rev. VI R 1/21 (Vorinstanz: FG Baden-Württemberg v. 26.2.2022 – 2 K 1774/17, BeckRS 2020, 15959) und VI R 2/21 (FG Baden-Württemberg v. 26.2.2022 – 2 K 1731/17, BeckRS 2020, 48252), beide nach NZB der Finanzverwaltung. Koch-Schulte/de Toma, BB 2021, 2839, 2844. Siehe generelle Anerkennung I.3.b.

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d) Geldwerter Vorteil Diese Revisionsverfahren rücken aber auch die weiterhin135 praxisbedeutsamste Frage in den Fokus: Wie ist eine Managementbeteiligung zu bewerten und wann ist ggf. ein Erwerb unter Wert anzunehmen? Bei Managementbeteiligungen ergeben sich keine Besonderheiten. Wie auch der BFH bestätigt, ist auch eine Managementbeteiligung nach § 9, § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG zu bewerten, d.h. der Wert der Beteiligung ist unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten zu schätzen.136 Dies bedeutet auch, dass der Wert aus Verkäufen ableitbar ist (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Da vor oder zeitgleich mit einer Mitarbeiterbeteiligung in der Regel ein Erwerb des Beteiligungsunternehmens durch den Private Equity Investor von einem Dritten erfolgt, kann aus diesem Erwerb auch der Wert der Managementbeteiligung abgeleitet werden.137 Dabei sind Vinkulierungen138 ebenso nicht wertmindernd zu berücksichtigen wie Vesting- oder Leaver-Regelungen. Leaver-Regelungen139 sind Rückkaufsrechte, die auf den Anteilen lasten, und der Rückkaufspreis kann sich nach der Qualität des Leaver-Events (Good oder Bad Leaver?) bestimmen, diese Regelungen werden aber erst mit Eintritt einer Bedingung (z.B. Beendigung des Arbeitsverhältnisses) relevant. Vorher ist der Manager Gesellschafter und profitiert auch von allen Chancen der Beteiligung. Vesting-Regelungen bestimmen den Umfang der Rück135 § 19a EStG in seiner jetzigen Fassung hat bisher keine Entspannung bewirkt, da insbesondere der Entfall der Stundung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses weitern ein Damoklesschwert für den Arbeitnehmer darstellt. Dies würde sich zugunsten der Abreitnehmer mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz ändern, siehe I.3.b. 136 BFH v. 15.3.2018 – VI R 8/16, FR 2019, 86 m. Anm. Kanzler = GmbHR 2018, 932 = ZIP 2018, 2440, DStRE 2018, 900. 137 Der BFH hat in dem Urteil (siehe Fn. 137, dort Tz. 38) entschieden, dass bei einem Verkauf von Beteiligungen an andere (insoweit unscharf der Hinweis von Intemann, NZA 2019, 26) Arbeitnehmer eine Vermutung besteht, dass der Verkauf „(…) nicht unter den Bedingungen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage unter Heranziehung objektivierter Wertmaßstäbe (…) erfolgte. Ein Verkauf an einen anderen Mitarbeiter ist daher in der Regel kritisch zu bewerten. 138 Siehe Fn. 137. 139 Siehe oben generelle Anerkennung I.3.b) zur Maßgeblichkeit für die Annahme des erforderlichen Sonderrechtsverhältnisses.

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kaufsrechte, denen der Manager unterliegt, sie beeinflussen aber bis zu ihrem Eintritt ebenso nicht die steuerliche Eigentümerstellung.140 In der Literatur wird thematisiert141, dass der BFH bisher keine umfassenden Aussage dazu getroffen hat, in wie weit der Sweet Equity Effekt hier relevant sein könnte.142 Dies ist auch nicht erforderlich, denn dieser Effekt ist schon jetzt in der Bewertung berücksichtigt. Die unterschiedlichen Finanzierungsbeiträge lasten aufgrund der rechtlichen Strukturen auf den Anteilen des Managements und werden in der Bewertung entsprechend berücksichtigt.143 In der Bewertung fließen auch die zu erwartenden Cash Flows unter Berücksichtigung der rechtlichen Strukturen des Investments und vor allem des Anteils des Private Equity Investors ein. Einer besonderen Aussage zu Sweet Equity seitens des BFH bedarf es daher nicht.144 e) Hurdle oder Growth Shares Bewertungsrelevant sind dagegen die Merkmale von sog. Hurdle oder Growth Shares, die mittlerweile sehr häufig insbesondere bei Fällen mit Bewertungsunsicherheiten oder hohen Unternehmenswerten zum Einsatz kommen.145 Hurdle oder Growth Shares sind Geschäftsanteile mit den üblichen Mitwirkungsrechten, die aber mit einer sog. negativen Präferenz belegt sind. Diese negative Präferenz bewirkt, dass diese Anteile erst bei Erreichen eines bestimmten Schwellenwertes gewinnberechtigt werden. Im Falle einer Veräußerung reflektiert sich diese negative Präferenz in einem entsprechend geminderten Veräußerungserlös. Ziel dieser sog. Hurdle oder Growth Shares ist, im Vergleich zu den anderen Anteilen wertgemindert Anteile zur Verfügung zu haben, um einen geldwerten Vorteil schon nicht entstehen zu lassen. Die Ausgestaltung als Hurdle oder Growth Shares steht der Anerkennung als Sonderrechtsverhältnis zur Abgrenzung zum Arbeitslohn nicht 140 141 142 143 144 145

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So auch Geserich, DStR 2018, 2304. Koch-Schulte/de Toma, BB 2021, 2839, 2843. So auch Koch-Schulte/de Toma, BB 2021, 2839, 2843. Beispielhaft: Ein Gesellschafterdarlehen mindert den Eigenkapitalwert. So wohl auch Koch-Schulte/de Toma, BB 2021, 2839, 2844. Zur Ausgestaltung; Weitnauer in Weitnauer Venture Capital-HdB7, F. Rz. 133; Schönhaar, GWR 2020, 313; Kuntz/Engelhardt, ZGR 2021, 349; Haaase/Dubiel, BB 2022, 1993; Mertes/Gottgetreu/Klaas/Neef, DStR 2023, 1450; Friedberg/Rolvering, DStR 2023, 1578; Lay/Schäfer, AG 2023, R156.

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entgegen. Diese Anteile sind Geschäftsanteile, die entsprechend der anerkannten Grundsätze vom Arbeitsverhältnis abgrenzbar sind.146 Die negative Präferenz hat insoweit keine Auswirkungen. Sie führt auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage zu einer Einschränkung der mit den Anteilen verbundenen Vermögensrechte. Damit ist aber schon keine Begünstigung des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer hält aber auch weiterhin einen Geschäftsanteil, der dem Arbeitnehmer die Chancen und Risken einer Unternehmensbeteiligung vermittelt.147 Nach § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG148 bleiben zwar ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse bei der Wertaufteilung jedoch außen vor. Ausgestaltungen von Anteilen fallen aber typischerweise nicht darunter, denn nach dem Verständnis des BFH149 sind all die Gegebenheiten, mit denen der Geschäftsverkehr bei der Schätzung des Wertes eines Wirtschaftsguts üblicherweise nicht rechnet, nicht unüblich. Vielmehr kommt es darauf an, dass diese Verhältnisse aus der Eigenart des Anteils, also insbesondere der rechtlichen, gesellschaftsvertraglichen Ausgestaltung resultieren. So werden z. B. Liquidationspräferenzen als wertbeeinflussendem Faktor auch von der Finanzverwaltung berücksichtigt. Aber auch schuldrechtliche Klauseln zu einer disquotalen Verteilungsabreden sind zu berücksichtigen150. Diese Beurteilung reflektiert auch die Rechtsprechung zur Anerkennung disquotaler Gewinnausschüttungen.151 Die Hurlde oder Growth Shares haben somit einen niedrigeren anzuerkennenden Wert und können daher ohne einen geldwerten Vorteil auszulösen zu diesem Wert übertragen werden. Würde § 19a EStG in der Fassung des Regierungsentwurfs zum Zukunftsfinanzierungsgesetz verabschiedet werden, würde sich die Proble146 Siehe I.3.b. 147 So wohl auch Grisar/Zantopp, DStR 2020, 1768; Kuntz/Engelhardt, ZGR 2021, 348; Mertes/Gottgetreu/Klaas/Neef, DStR 2023, 1450; Briese, BB 2023, 1434; Ostermann/Kluck, Ubg 2023, 206, 2011. 148 Nach BFH v. 16.11.2022 – X R 17/20, DStRE 2023, 604 kann entgegen der bisherigen Praxis nicht auf § 97 Abs. 1b BewG Bezug genommen werden. 149 BFH v. 16.11.2022 – X R 17/20, DStRE 2023, 604; so auch Mertes/Gottgetreu/ Klaas/Neef, DStR 2023, 1450; Friedberg/Rolvering, DStR 2023, 1578. 150 Grisar/Zantopp, DStR 2020, 1768, 1775; Kuntz/Engelhardt, ZGR 2021, 348; Mertes/Gottgetreu/Klaas/Neef, DStR 2023, 1450; Friedberg/Rolvering, DStR 2023, 1578. 151 Zuletzt z.B. BFH v. 28.9.2022 – VIII R 20/20, FR 2023, 181 m. Anm. Liekenbrock/Liedgens = GmbHR 2023, 127 m. Anm. Obser = ZIP 2022, 2604 = BFH/NV 2023, 196.

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matik geldwerter Vorteil weiter entschärfen, da in mehr Fällen eine Stundung erreicht werden könnte. Auch sollte sich die Frage der generellen Anerkennung entspannen.152 Hurdle oder Growth Shares werden aber weiterhin ein probates Mittel der Ausgestaltung von Mitarbeiterbeteiligungen bleiben.

152 Siehe oben II.3.b.

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Stichwortverzeichnis

B

etriebsaufgabe – Teilauseinandersetzung 66 ff. Betriebsaufspaltung – Beherrschungsidentität 35 ff. – personelle Verflechtung 35 f. – Rechtsprechungsentwicklung 37 ff. – sachliche Verflechtung 35 Betriebsunterbrechung – zeitliche Erstreckung 63 ff. Bilanzsteuerrecht 379 ff. – Abzinsung 526 ff. – Anteil an vermögensverwaltender Personengesellschaft 415 ff. – Entwicklungstendenzen 547 ff. – Fremdwährungsdarlehen 396 ff., 402 ff. – Kundenbindungsprogramme 532 ff. – Mehrwegpaletten im Pfandsystem 542 ff. – Nachbetreuungskosten 390 ff. – Nachweis der betrieblichen Nutzung 439 – neue und alte Diskussionen – Nutzungsvoraussetzungen bei § 7g EStG 434 ff. – Probebetrieb bei Windkraftanlagen 538 ff. – Rechtsprechungs-Highlights 379 ff. – Sendelizenz 380 ff. – tatsächliche Nutzungsdauer 409 ff. – Teilwertzuschreibung 396 ff., 402 ff. – Verfahrensrecht und § 6b EStG 423 ff. – Zuordnung von Wirtschaftsgütern s. dort Börsenklausel 267 ff. – Inhalt und Zweck 267 f. – sachlicher Anwendungsbereich 268 ff. – zeitlicher Anwendungsbereich 268

Gesetzgebungsvorhaben

101 ff. DAC 7-Umsetzungsgesetz 125 ff. Einkommensentlastung 118 f. Entlastungspaket III 104 ff. EU-Amtshilfegesetz 141 f. Gaspreisbremse 105 ff. Jahressteuergesetz 2022 143 ff. Modernisierung des Personengesellschaftsrechts 161 ff. – Plattformen-Steuertransparenzgesetz 142 f. – Strompreisbremse 105 ff. – Umsatzsteuer auf Gaslieferungen 104 f. – Viertes Corona-Steuerhilfegesetz 157 ff. – Zweites AO-Änderungsgesetz 152 ff. Gewerbesteuer – Veräußerungsgewinn 56 ff. – Weiternutzung einer wesentlichen Betriebsgrundlage 57 ff. Globale Mindestbesteuerung 3 ff., 123 ff. – Alternativen 29 ff. – Auswirkungen auf das Steueraufkommen 11 ff. – Berechnung des effektiven Steuersatzes 9 ff. – bestehende Anti-Missbrauchsregelungen 22 ff. – CbC-Reports 14 ff. – Ergänzungssteuer 6 ff. – EU-Richtlinie 6 ff. – Gewinnermittlung 26 f. – Herausforderungen innerhalb der EU 21 ff. – Konsequenzen 17 ff., 28 f. – Kosten 19 ff. – nationale Ergänzungssteuer 7 f., 27 – Präferenzregime 24 f., 29 f. – – – – – – –

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Stichwortverzeichnis – Steueraufkommensverluste 11 ff. – Steuerplanung 11 ff. – Steuerwettbewerb 24 ff. – Subventionen 27 – Tax Rulings 25 Grunderwerbsteuer 243 ff. – Closing 251 ff. – Beteiligungsketten 246 ff. – Börsenklausel 267 ff.; s. auch dort – Ebenen-Betrachtung 257 ff. – Ewigkeitsbetrachtung 255 ff – Formwechsel 263 f. – neue Ländererlasse 243 ff. – Signing 251 ff. – Treuhänderwechsel 264 f. – Treuhanderwerb 265 ff. – Übergangsregelung 255

Innergemeinschaftliche Lieferung 643 ff. aktuelle Entwicklungen 644 ff. Anpassung des UStAE 646 ff. gesetzliche Änderung 644 ff. innergemeinschaftliches Verbringen 649 f. – naträgliche USt.-IdNr. 648 f. – Rechnung und Vorsteuerabzug 650 ff. Internationales Steuerrecht 553 ff. – DBA 567 ff. – Entstrickung 564 ff. – finale Verluste 562 ff. – Konkurrenzen 570 ff. – Konzernfinanzierung 553 ff.; s. auch dort – Rechtsprechungs-Highlights 553 ff. – – – –

Kapitalgesellschaft – KGaA-Besteuerung 73 ff. – Mäanderstruktur und § 50d Abs. 3 EStG 86 ff. – Mehrabführungen 78 ff. – mittelbare vGA 93 ff. – Nach-Spaltungs-Veräußerungssperre 82 ff. – Rechtsprechungs-Highlights 73 ff.

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Konzernfinanzierung 553 ff. – Finanzierungsgesellschaft 582 f. – Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 576 f. – Forderungsverzicht 578 ff. – grenzüberschreitende 573 ff. – Konkurrenzen 575 f. – Konzernrückhalt 580 ff. – maßgebender Markt 583 – Teilwertabschreibungen 553 ff., 578 ff. – Zinshöhe 560 ff. – zinslose Darlehen 584 f.

M

indestbesteuerung – globale s. „Globale Mindestbesteuerung Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO) 691 ff. – aktuelle Entwicklungen der BFHRechtsprechung 696 ff. – ATAD-Richtlinie 716 ff. – Auswirkungen des Unionsrechts 711 ff. – subsidiäre Anwendbarkeit des § 42 AO 708 f. – Verhältnis zu spezialgesetzlichen Missbrauchsvorschriften 692 ff.

Optionsmodell – – – – – – – – – – – – – – –

165 ff. Aufnahme in der Praxis 173 ff. Ausgestaltung 168 Beendigung der Option 235 ff. Bestandsaufnahme 181 ff. Einlagekonto 213 ff. Ergänzungsbilanzen 210 ff. Evaluierung 179 ff. Grundkonzeption 167 ff. Hürden für Optionsausübung 175 ff. hybride Struktur 171 f. internationale Aspekte 230 ff. laufende Besteuerung 220 ff. Nachversteuerung 216 ff. Organschaft 226 ff. praktische Anwendung 172 f.

Stichwortverzeichnis – Sonderbetriebsvermögen 195 ff. – Sperrfristen 215 f. – Übergang zur Körperschaftsbesteuerung 191 ff. – Umstrukturierungen 229 f. – Verluste 216, 726 – Vorabausgliederungsmaßnahmen 206 ff. – Wirkung 169 f. Organschaft 343 ff. – Änderungsbedarf 367 f. – Aufspaltungsgewinn 368 ff. – Ausgleichsposten-Methode 346 ff. – Einlagelösung 346 ff., 358 ff. – EuGH-Rechtsprechung 609 f., 680 ff. – Finanzverwaltung 372 ff. – Kapitalgesellschaft als Organträger 358 f. – Mehrabführung 371 f. – mittelbare 362 ff. – Mitunternehmerschaft als Organträger 359 ff. – Verlustverwertung 730 f.

Personengesellschaft – Betriebsaufspaltung 35 ff. – Rechtsprechungs-Highlights 33 ff., 60 ff. – Sonderbetriebsvermögen 50 ff. – Teilwertansatz bei § 6 Abs. 5 EStG 40 ff. Private Equity 735 ff. – Abzugsverbot 750 ff. – anteilsbezogene Incentives 760 ff. – ausländischer Fonds 741, 745, 749 f., 754 – Besteuerungsinkongruenzen 751 f. – gehaltsbezogene Incentives 756 ff. – Gesellschafterdarlehen 750 ff. – gewerblicher Fonds 739 ff., 744 f., 748 f., 753 f. – hybride Strukturen 736 ff., 746 ff. – Management Incentives 755 ff. – Sonderbetriebsausgabenabzug 750 f.

– umgekehrt hybride Strukturen 742 ff. – vermögensverwaltender Fonds 737 ff., 742 ff., 747 f., 753

Realteilung – Betriebsveräußerung 60 ff. Reihengeschäft 652 ff. – Anpassung des UStAE 654 ff. – gesetzliche Änderung 652 f.

Sonderbetriebsvermögen – Kapitalbeteiligung 50 ff. – notwendiges 51 f. – Veranlassungszusammenhang 52 Steuerhinterziehung 615 ff. – Beteiligung i.S.d. § 25f UStG 615 ff. – Ergänzung des UStAE 635 ff. – Indizien 636 ff. – Inland und EU-Ausland 627 f. – Karussell 616 ff. – Kumulationswirkung der Sanktionen 633 ff. – Spezialnorm § 25f UStG 621 ff. – Umsatzsteuerbetrug 615 ff. – Versagung des Vorsteuerabzugs 630 f. – Wissen oder wissen müssen 624 ff.

Umsatzsteuerrecht

589 ff. – innergemeinschaftliche Lieferung 643; s. auch dort – Kostenteilungsgemeinschaft – Organschaft 607 ff., 679 ff. – Rechnungsberichtigung 603 ff. – Rechtsprechungs-Highlights 589 ff. – Reihengeschäft 652 ff.; s. auch dort – Steuerhinterziehung 615 ff.; s. auch dort – (Nicht-)Teilbarkeit von Leistungen 660 ff. – Pfand 669 ff. – Überlassung von Kfz. an Arbeitnehmer 589 ff. – Vorschaltung einer Holding 597 ff.

771

Stichwortverzeichnis – Vorsteuerabzug und Steuerentstehung 665 ff. – Zuordnung von Gegenständen 593 ff., 685 ff. Umstrukturierungen 275 ff. – aktuelle Entwicklungen 275 ff. – Anteilsveräußerung 275 ff. – Anwendungsbereich 308 f. – ausländische 297 – Buchwertfortführung 321 ff. – Einlagekonto 339 ff. – Europarecht 299 ff. – fiktiver Formwechsel 281 ff. – Formwechsel 308 f. – Gesamtrechtsnachfolge 315 ff. – Globalisierung 310 ff. – grenzüberschreitende 297 ff. – Körperschaftklausel 289 ff. – Rechtstypenvergleich 329 ff. – sonstige Gegenleistung 292 ff. – Spaltung 306 ff. – steuerlicher Übertragungsstichtag 334 ff. – Verschmelzung 302 ff. – Zuordnung von Betriebsvermögen 325 ff.

Teilwertansatz bei § 6 Abs. 5 EStG 40 ff. – Anteil 41 f.

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– Rechtsprechungsunterschiede 48 f. – rückwirkender 43 ff. – Sperrfristverstoß 47 f.

Veräußerungsgewinn – Gewerbesteuer 56 ff. Verlustverwertung 721 ff. – Ertragsrealisation 723 ff. – Freistellungsbetriebsstätte 731 f. – Organschaft 730 f. – Umwandlungsfälle 725 ff. – zinsloses Darlehen 724 f.

Zufluss – gespaltene Gewinnverwendung 89 ff. Zuordnung von Wirtschaftsgütern 447 ff. – Filmverwertungsverträge 464 ff., 475 ff. – gesetzliche Maßstäbe 451 ff. – Kriterien 455 ff. – Kryptowährungen 516 ff. – Leistungsschutzrechte 465 ff. – Lizenzverträge 467 ff. – Medienerlass 480 ff. – Nutzungsrechte 462 ff. – Software 495 ff. – Token 516 ff.