Steuerberater-Jahrbuch: Steuerberater-Jahrbuch 2020/2021 9783504387365

Das Steuerberater-Jahrbuch bietet der Beratungspraxis Jahr für Jahr eine detaillierte Auseinandersetzung mit ausgewählte

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Steuerberater-Jahrbuch: Steuerberater-Jahrbuch 2020/2021
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Steuerberater-Jahrbuch 2020/2021

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Steuerberater-Jahrbuch 2020/2021 zugleich Bericht über den 72. Fachkongress der Steuerberater Köln, 3. und 4. November 2020

Herausgegeben im Auftrag des Fachinstituts der Steuerberater von

Prof. Dr. Thomas Rödder

Prof. Dr. Marcel Krumm

Steuerberater, Wirtschaftsprüfer

Universitätsprofessor im zweiten Hauptamt Richter am Finanzgericht

Zitierempfehlung: Verfasser, StbJb. 2020/2021, Seite …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISSN 0081-5519 ISBN 978-3-504-62667-9 ©2021 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

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Vorwort Der 72. Fachkongress der Steuerberater wurde vom Fachinstitut der Steuerberater am 3. und 4. November 2020 veranstaltet und mit einem Einführungsvortrag über „Steuerpolitik in Corona-Zeiten“ eröffnet. Am Vormittag des ersten Tages widmete sich der Kongress unter dem Leitthema Unternehmenssteuerrecht 1 den „Rechtsprechungs-Highlights“ bei der Besteuerung von Personen- und Kapitalgesellschaften. Das Leitthema Unternehmenssteuerrecht 2 hatte das neue Optionsmodell und § 34a EStG zum Gegenstand, außerdem die Themen Gesellschafterdarlehen an Kapitalgesellschaften sowie aktuelle Entwicklungen betreffend § 6 AStG. Ein Schwerpunkt des Leitthemas Unternehmenssteuerrecht 3 waren organschaftliche Ausgleichsposten, außerdem standen Regelungen zu hybriden Strukturen auf dem Programm, ferner aktuelle Fragen zur Hinzurechnungsbesteuerung. Im Rahmen des Leitthemas Bilanzsteuerrecht widmete sich der Fachkongress „Rechtsprechungs-Highlights“ zum Bilanzsteuerrecht. Der nachfolgende Beitrag erörterte Anleihen mit Aktienbezug, und wie jedes Jahr wurde dieser Vormittag mit einem Überblick über aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts abgeschlossen. Das Leitthema Internationales Steuerrecht wurde in diesem Jahr wieder mit einem Beitrag zu den „Rechtsprechungs-Highlights“ eröffnet. Die beiden nachfolgenden Vorträge hatten offene Fragen der Finanzierung im Konzern zum Gegenstand, außerdem Aktuelles zu Entstrickung und Verstrickung. Auch am Anfang des Leitthemas Umsatzsteuerrecht stand ein Überblick über die „Rechtsprechungs-Highlights“. Der zweite Vortrag betrachtete ausgewählte Änderungen durch das JStG 2020, und abgeschlossen wurde dieser Themenkomplex mit einem Bericht über Aktuelles aus der Finanzverwaltung. Im Rahmen des Leitthemas Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken wurden Praxisfragen des Sanierungssteuerrechts erörtert und die geplanten Änderungen des Grunderwerbsteuerrechts vorgestellt. Gegenstand war ferner das Verhältnis zwischen Steuerzinsen und dauerhafter Niedrigzinsphase.

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Vorwort

Allen Referenten und Diskutanten gilt großer Dank für ihre Mitwirkung. Sie haben wesentlichen Anteil daran, dass auch der 72. Fachkongress, der Corona-bedingt erstmals weitestgehend virtuell stattfinden musste, auch unter diesen besonderen Umständen eine erfolgreiche Veranstaltung war. Herzlich bedanken möchten wir uns auch bei Herrn Professor Dr. Rainer Hüttemann. Er hat das bilanzsteuerrechtliche Panel über Jahre hinweg maßgeblich geprägt und war seit 2014 Mitherausgeber dieses Jahrbuchs. Mit dem 72. Fachkongress hat er beide Funktionen nunmehr in die Hände von Marcel Krumm gelegt. Köln, im September 2021 Thomas Rödder

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Marcel Krumm

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Inhalt* Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Leitthema: Unternehmensteuerrecht I Michael Wendt Vorsitzender Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

I. Vergütung für Leistungen des Mitunternehmers . . . . . . . . . . . . .

4

II. Anwendung des § 15a EStG bei mehrstöckigen Beteiligungen .

10

III. Umstrukturierungen, Eintritt und Ausscheiden von Mitunternehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Steuerrecht und Öffentliches Recht an der Ludwig-MaximiliansUniversität München Richter am Finanzgericht Düsseldorf (Körperschaftsteuersenat) Prof. Dr. Thomas Rödder Steuerberater/Wirtschaftsprüfer Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Kapitalgesellschaften I. § 8b Abs. 4 KStG und § 9 Nr. 2a GewStG (I R 29/17) . . . . . . . . . .

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II. Genussrechte/Class B-Shares (I R 44/17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

III. Gewerbesteuerpflicht von Einbringungsgewinnen (I R 26/18) . .

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IV. Erträge aus Währungskurssicherungsgeschäften und § 8b KStG (I R 15/19 anh.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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* Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.

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Inhalt

2. Leitthema: Unternehmenssteuerrecht 2 Prof. Dr. Sebastian Benz Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf Tim Hannig, M.C.L., EMBA Regierungsdirektor, Düsseldorf Das Optionsmodell versus § 34a EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG . . . . . . . . . . .

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III. Das Optionsmodell für Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . .

74

IV. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 V. Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Dr. Peter Heinemann Ministerialrat, Düsseldorf Dr. Alexander Bohn Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Köln Gesellschafterdarlehen an Kapitalgesellschaften I. Ausgangspunkt: Neuausrichtung der Rechtsprechung . . . . . . . . 115 II. Reaktion des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Aktuelle Auslegungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 IV. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Dr. Stefanie Beinert Rechtsanwältin, Frankfurt Dr. Eva Oertel Regierungsdirektorin, München Aktuelle Entwicklungen betreffend § 6 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 II. Übersicht über die geplante Reform des § 6 AStG . . . . . . . . . . . . 141 III. Aufhebung der Wegzugsteuer bei Wiederzuzug: Erfordernis einer Rückkehrabsicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

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IV. Aufhebung der Wegzugsteuer bei Wiederzuzug mit (ehemals) alt-einbringungsgeborenen Anteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 V. § 6 AStG-E und Umstrukturierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 VI. Zuzug und Anschaffungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 VII. Wegzugsbesteuerung bei Immobiliengesellschaften . . . . . . . . . 164 VIII. Wertpapierleihe vor Wegzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 IX. Ausschüttungen während der vorübergehenden Abwesenheit („zieh weg, schütt aus, zieh zurück“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 X. Kritik an der Reform des § 6 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 XI. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

3. Leitthema: Unternehmenssteuerrecht 3 Thomas Stimpel Regierungsdirektor, Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen Prof. Dr. Andreas Schumacher Steuerberater, Bonn Organschaftliche Ausgleichsposten (gesetzliche Einlagelösung?) und andere aktuelle Fragen zur Organschaft I. Umwandlungen und Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 II. Anwendung des § 14 Abs. 2 KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 III. Bilanzierung und Durchführung des GAV . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 IV. Gesetzliche Einlagelösung für in organschaftlicher Zeit verursachte Mehr- und Minderabführungen? . . . . . . . . . . . . . . . 200 Dr. Arne Schnitger, CPA/LL.M. Steuerberater, Berlin Dr. Ingo van Lishaut Leitender Ministerialrat, Düsseldorf Hybride Strukturen und der neue § 4k EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 II. Ursachen und Ergebnisse von hybrid mismatches . . . . . . . . . . 207 III. Funktionsweise und Anwendungsfragen des § 4k EStG . . . . . . 208 IX

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IV. Flankierende Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 V. Umsetzung von Art. 9a ATAD II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Dr. Norbert Schneider Rechtsanwalt/Steuerberater, Düsseldorf Franz Hruschka Leitender Regierungsdirektor, München Hinzurechnungsbesteuerung nach dem ATAD-UmsG . . . . . . . . . . . . 243 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 II. Historische Entwicklung der Hinzurechnungsbesteuerung . . 244 III. Niedrigbesteuerung – ein Grund für die „Verzögerung“ des ATAD-UmsG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 IV. Voraussetzungen und Rechtsfolgen nach aktueller Rechtslage und ATAD-UmsG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 V. Beherrschung als neue Voraussetzung der allgemeinen Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 VI. Substanzausnahme/Motivtest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 VII. Passive Einkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 VIII. Nachgeschaltete Zwischengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 IX. Begrenzte Sperrwirkung des InvStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 X. Überblick sonstige Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

4. Leitthema: Bilanzsteuerrecht Dr. Peter Brandis Vorsitzender Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Bilanzsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . 295 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 II. Aktivierung und Bilanzänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 III. Passivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 IV. Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 V. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

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Prof. Dr. Heribert M. Anzinger Universität Ulm Alexandra Pung Leitende Regierungsdirektorin, Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Koblenz Anleihen mit Aktienbezug Stand der Klasse und ausgewählte aktuelle Fragestellungen . . . . . . . 345 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 II. Anleihen, Aktien und strukturierte Finanzinstrumente . . . . . 347 III. Wandelanleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 IV. Optionsanleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 V. Umtauschanleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 VI. Aktienanleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 VII. Umgekehrte Wandelanleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 VIII. Bedingte Wandelanleihe und Pflichtwandelanleihe . . . . . . . . . . 373 IX. Synthetische Umtausch- und Wandelanleihen . . . . . . . . . . . . . . 375 X. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 Prof. Dr. Ulrich Prinz Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Köln Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 I. Zum Einstieg: Kurzer Statusbericht zum Bilanzsteuerrecht . . 380 II. Steuerbilanzierung in der Corona-Pandemie (Fall 1) . . . . . . . . . 381 III. Unternehmenserwerb mit negativem Kaufpreis (Fall 2) . . . . . . 388 IV. Ausgewählte Bilanzierungsfragen bei Steuerstreitigkeiten (Fall 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 V. Anschaffung bei längerfristiger zinsloser Verbindlichkeit (Fall 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 VI. Zum Schluss: Stillstand bilanzsteuerrechtlicher Reformen . . 410

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5. Leitthema: Internationales Steuerrecht Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am BFH, München Aktuelle Rechtsprechung des I. BFH-Senats zum Internationalen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 I. Hinzurechnungsbesteuerung im Drittstaatenfall . . . . . . . . . . . . . 416 II. Verständigungsverfahren nach EU-Schiedsabkommen . . . . . . . . 442 III. EU-Grundfreiheiten: Import finaler Verluste aus ausländischen Betriebsstätten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 IV. Ausfall grenzüberschreitender Darlehen – Nachlese . . . . . . . . . . 473 V. Varia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 Prof. Dr. Stefan Köhler Steuerberater, Eschborn Offene Fragen der Finanzierung im Konzern I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 II. Diskussion ausgewählter Problemfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 Prof. Dr. Xaver Ditz Steuerberater, Bonn Thomas Rupp Regierungsdirektor, Stuttgart Entstrickung und Verstrickung: Aktuelle Fragen und ATADUmsG I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 II. Änderungen der Entstrickung gem. ATADUmsG . . . . . . . . . . . . 537 III. Änderungen der Verstrickung gem. ATADUmsG . . . . . . . . . . . . 540 IV. Passive Entstrickung durch Neuabschluss oder Änderung von DBA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553

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6. Leitthema: Umsatzsteuerrecht Andreas Treiber Richter am Bundesfinanzhof, München Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht I. Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 II. Die feste Niederlassung im Umsatzsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . 565 III. Vorsteuerabzug einer Holding – weitergereichte Leistungen . . 568 IV. Vorsteuerabzug bei mittelbarer Veranlassung und unentgeltliche Wertabgabe aus unternehmerischem Grund . . . . . . . . . . . 571 V. Zinserlass bei unerkanntem § 13b-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 Dr. Matthias Oldiges Rechtsanwalt, Düsseldorf Die Regelungen zum E-Commerce im Jahressteuergesetz 2020: Lieferungen über Online-Marktplätze I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 II. Die Fiktion eines Reihengeschäfts bei Lieferungen des Onlinehändlers über einen Online-Marktplatz . . . . . . . . . . . . . . 578 III. Neuregelungen der Marktplatzhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 Georg von Streit Rechtsanwalt/Steuerberater, Bonn Die Regelungen zum E-Commerce im Jahressteuergesetz 2020: Grenzüberschreitende Dienstleistungen und Fernverkäufe . . . . . . . . 587 I. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 II. Grundlage für die Umsetzung im nationalen Recht . . . . . . . . . . 590 III. Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 IV. Hier behandelte E-Commerce-Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 V. Momentane Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 VI. Neuerungen zum 1.7.2021 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599

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VII. Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612 VIII. Gedanken zur Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612 IX. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 Robert C. Prätzler Steuerberater, Frankfurt Mathias Szabo Regierungsrat, Düsseldorf Umsatzsteuer: Aktuelles aus der Finanzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 619 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 II. BMF-Schreiben zur Rechnungsberichtigung und Rechnungsergänzung vom 18.9.2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 III. BMF-Schreiben zu Neuregelungen bei innergemeinschaftlichen Lieferungen vom 9.10.2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 IV. BMF-Schreiben zur temporären Steuersatzsenkung vom 4.11.2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 V. BMF-Schreiben zu Gutscheinen vom 2.11.2020 . . . . . . . . . . . . . 652 VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664

7. Leitthema: Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken Thorsten Kontny Ministerialrat, Düsseldorf Dr. Alexander Schwahn Rechtsanwalt/Steuerberater, Hamburg § 3a EStG – Sanierungsgewinne in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669 I. Einleitung und rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 II. Fallbeispiele aus der Praxis zu § 3a EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673

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Gerda Hofmann Ministerialrätin, Berlin Dr. Thomas Wagner Steuerberater, Düsseldorf Aktuelle Entwicklungen im Grunderwerbsteuerrecht I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713 II. Geplante gesetzliche Änderungen bei Share Deals . . . . . . . . . . . . 714 III. Wirtschaftliche Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720 IV. § 6a GrEStG – Nichterhebung der Grunderwerbsteuer bei Konzernumstrukturierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722 Prof. Dr. Michael Hendricks Rechtsanwalt/Steuerberater, Bonn Steuerzinsen und dauerhafte Niedrigzinsphase Mögliche Auswirkungen der anstehenden BVerfG-Entscheidung I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729 II. Höhe des gesetzlichen Zinssatzes im Fokus der Kritik . . . . . . . . 731 III. Aktueller Stand der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734 IV. Aktuelle Verwaltungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735 V. Mögliche Tenorierung des BVerfG in den anhängigen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738 VI. Handlungsoptionen in der aktuellen Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 751

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Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellschaften Michael Wendt Vorsitzender Richter am BFH, München I. Vergütung für Leistungen des Mitunternehmers 1. Leistungen des Gesellschafters an die Personengesellschaft 2. BFH-Urteil vom 28.5.2020 – IV R 11/18 (BStBl. II 2020, 641 = GmbHR 2020, 1190) 3. Angemessenheitsprüfung der Gewinnverteilung bei Beteiligung von Körperschaftsteuersubjekten 4. BFH-Urteil vom 6.2.2020 – IV R 5/18 (BStBl. II 2020, 448 = FR 2020, 732) 5. Teilabzugsverbot und Sondervergütungen II. Anwendung des § 15a EStG bei mehrstöckigen Beteiligungen 1. Bedeutung des § 15a EStG 2. BFH-Urteil vom 19.9.2019 – IV R 32/16 (BStBl. II 2020, 199 = FR 2020, 415) 3. § 15a EStG bei Beteiligung an Zebragesellschaft 4. § 15a EStG bei doppelstöckiger mitunternehmerischer Beteiligung III. Umstrukturierungen, Eintritt und Ausscheiden von Mitunternehmern 1. Vorbemerkung

2. Abspaltung bei Kapitalbeteiligung im Sonderbetriebsvermögen a) BFH-Urteil vom 28.5.2020 – IV R 17/17 (BFHE 269, 158 = GmbHR 2020, 1294) b) Gewinnauswirkung einer Abspaltung von im Betriebsvermögen gehaltenen Kapitalanteilen 3. Ergänzungsbilanzen bei Ausscheiden und Aufnahme von Gesellschaftern a) BFH-Beschluss vom 6.8.2019 – VIII R 12/16 (BStBl. II 2020, 378 = GmbHR 2020, 224) b) Anteilserwerb der verbleibenden Gesellschafter durch Tod des Mitgesellschafters c) Übertragung von Teilanteilen an Alt- und Neugesellschafter 4. Ausscheiden eines Fiskalerben mit negativem Kapitalkonto a) BFH-Urteil vom 19.9.2019 – IV R 50/16 (BStBl. II 2020, 57 = FR 2020, 180) b) Fiskus als Erbe eines Personengesellschafters c) Ausscheiden eines Personengesellschafters mit negativem Kapitalkonto

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Wendt, Rechtsprechungs-Highlights zu Personengesellschaften

I. Vergütung für Leistungen des Mitunternehmers 1. Leistungen des Gesellschafters an die Personengesellschaft Der Gesellschafter einer Personengesellschaft erbringt dieser gegenüber nicht selten neben seiner Einlage auch noch weitere Leistungen, etwa durch Zurverfügungstellung von Finanzmitteln, Überlassung von Grundstücken zur Nutzung durch die Gesellschaft oder durch die Übernahme von Geschäftsführungsaufgaben. Eine Verpflichtung zu diesen Leistungen kann sich zB aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben. Der Gesellschaftsvertrag wird dann auch Regelungen dazu enthalten, ob die betreffende Leistung als allgemeiner Gesellschafterbeitrag ohne Auswirkung auf den Gewinnanteil behandelt wird, oder ob der Gesellschafter einen erhöhen Gewinnanspruch aufgrund der Leistung haben soll. Letzterer würde idR durch einen sog. Vorabgewinn gewährleistet, der dem betreffenden Gesellschafter vor der allgemeinen Verteilung des Gewinns zusteht. Dies kann sogar, muss aber nicht auch für den Fall vorgesehen sein, dass der Gewinn der Gesellschaft bereits zur Abdeckung dieses Vorabgewinns nicht ausreicht.1 Die allgemeine Gewinnverteilung würde dann zu einer Verteilung des nach Abzug des Vorabgewinnanteils verbleibenden Verlusts. Leistungen des Gesellschafters für die Gesellschaft können aber auch auf einer schuldrechtlichen Grundlage beruhen, also etwa einem Darlehens-, Miet- oder Dienstleistungsvertrag. Eine darauf beruhende Vergütung des Gesellschafters führt zu einer gewinnmindernden Ausgabe der Gesellschaft, die ungeachtet dessen zu leisten ist, ob die Einnahmen zur Deckung dieser Ausgabe ausreichen. Der Gesellschafter kann seinen Vergütungsanspruch grundsätzlich wie ein Fremder gegenüber der Gesellschaft durchsetzen. Für Zwecke der Einkommensbesteuerung werden gesellschaftsrechtliche und schuldrechtliche Vergütungen im Grundsatz gleich behandelt.2 Der 1 Wie hier zB Groh, DStZ 2001, 358 in Abweichung von der Rspr. des VIII. Senats des BFH (BFH v. 13.10.1998 – VIII R 4/98, BStBl. II 1999, 284 = FR 1999, 135, mit Anm. Gschwendtner, DStR 1999, 105), die später auf den Fall beschränkt wurde, dass gesellschaftsrechtlich ein Dienstleistungsentgelt nicht einlagenschädlich entnommen werden dürfe (BFH v. 23.1.2001 – VIII R 30/99, BStBl. II 2001, 621 = FR 2001, 580: Regelfall). 2 Eine Ausnahme gilt aber etwa im Rahmen des § 15a EStG, weil eine Sondervergütung nicht zu dem Gewinn iS dieser Vorschrift gehört (BFH v. 13.10.1998 – VIII R 78/97, BStBl. II 1999, 163 = FR 1999, 33).

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Wendt, Rechtsprechungs-Highlights zu Personengesellschaften

Gewinnanteil des Personengesellschafters gehört zu seinen Einkünften als Mitunternehmer nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 1 EStG ungeachtet dessen, was die Berechnungsgrundlage für den Gewinnanteil ist. Eine schuldrechtliche Vergütung wird dem Gewinnanteil dadurch gleichgestellt, dass sie nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG als Sondervergütung dem Gewinnanteil auf der zweiten Stufe der einkommensteuerlichen Ermittlung der mitunternehmerischen Einkünfte hinzugerechnet wird. Diese gesetzliche Regelung wird vom BFH dahin interpretiert, dass ein Mitunternehmer ebenso wie ein Einzelunternehmer behandelt werden soll, der mit sich selbst keine schuldrechtlichen Verträge schließen kann (sog. Gleichstellungsthese).3 Die ertragsteuerliche Gleichstellung gesellschaftsvertraglich und schuldrechtlich begründeter Vergütungen von Personengesellschaftern bewirkt, dass die Angemessenheit der Vergütung nicht von Bedeutung ist, denn in jedem Fall ist die Vergütung Bestandteil der mitunternehmerischen Einkünfte. Dies entlastet das Besteuerungsverfahren im Vergleich zur Handhabung bei Vergütungen von Kapitalgesellschaftern, bei denen die Angemessenheit der Vergütung häufig zu Streit mit dem FA führt. Streitfragen in Bezug auf Sondervergütungen können aber unter anderen Aspekten entstehen. Dies zeigen die zwei nachstehend vorgestellten Urteile des BFH.

2. BFH-Urteil vom 28.5.2020 – IV R 11/18 (BStBl. II 2020, 641 = GmbHR 2020, 1190) Das Urteil vom 28.5.2020 – IV R 11/184 betrifft eine GmbH & Co. KG, deren beide Kommanditisten zugleich die Gesellschafter der Komplementär-GmbH waren, die ihrerseits am Vermögen der KG nicht beteiligt war. Die Geschäftsführung der KG oblag der GmbH und wurde tatsächlich von den beiden Doppelgesellschaftern gemeinsam wahrgenommen. Die GmbH erhielt für die Übernahme der Geschäftsführung und die Übernahme der persönlichen Haftung von der KG einen Vorabgewinn. Bei einem niedrigeren Gewinn der KG war der Fehlbetrag aus den Gewinnen folgender Jahre zu leisten. Die Kommanditisten bezogen von 3 ZB BFH v. 25.2.1991 – GrS 7/89, BStBl. II 1991, 691 = GmbHR 1991, 281 unter C.II.3. 4 BFH v. 28.5.2020 – IV R 11/18, BStBl. II 2020, 641 = GmbHR 2020, 1190, mit Anm. Görden, EStB 2020, 421; Korn, NWB 2020, 2720; Meyberg, DStRK 2020, 285; Reddig, jurisPR-SteuerR 44/2020 Anm. 3; Wendt, BFH/PR 2020, 326.

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der GmbH keine Geschäftsführungsvergütung, entnahmen aber monatliche Beträge aus der KG. Das FA erkannte die Leistung des Vorabgewinns an die GmbH mit Ausnahme eines Betrags von 1.250 t (25.000 t × 5%) für die Übernahme der persönlichen Haftung nicht an und bezog den entsprechenden Betrag in die allgemeine Gewinnverteilung ein. Die dagegen erhobene Klage hatte vor dem FG insoweit Erfolg, als die Vereinbarung des Vorabgewinns anerkannt wurde.5 Der BFH gab der Revision des FA statt und verwies das Verfahren an das FG zurück. Nach stRspr. würden Vergütungen des Kommanditisten, die dieser als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH von dieser erhalte, als Sondervergütungen behandelt. Denn der Kommanditist einer GmbH & Co. KG, der zugleich Geschäftsführer und damit Organ der Komplementär-GmbH sei, werde aus einkommensteuerrechtlicher Sicht „im Dienst der Personengesellschaft“ tätig. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG greife jedenfalls insoweit ein, als sich der Unternehmensgegenstand der Komplementär-GmbH auf die Führung der Geschäfte der Personengesellschaft beschränke. Die unternehmerische Leistung der Geschäftsführung der KG werde nicht als solche der KomplementärGmbH, sondern als solche des Kommanditisten behandelt.6 Erhalte die GmbH dafür einen Vorabgewinnanteil, sei dieser dem die Leistung erbringenden Kommanditisten zuzuweisen, ungeachtet dessen, ob ihm ein Entgelt für die Leistung zustehe oder nicht. Aus Sicht der GmbH handele es sich um eine verdeckte Einlage des geschäftsführenden Doppelgesellschafters. Im Streitfall habe der Vorabgewinnanteil neben der Geschäftsführungsvergütung auch eine Vergütung für die Haftung enthalten. Insoweit sei die Gewinnverteilung anzuerkennen. Ob der vom FA angesetzte Betrag zutreffend ermittelt worden sei, habe das FG noch nicht geprüft. Dies sei im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

3. Angemessenheitsprüfung der Gewinnverteilung bei Beteiligung von Körperschaftsteuersubjekten Das Urteil betrifft ein im Schrifttum vorgeschlagenes und im Urteilsfall umgesetztes Modell zur Thesaurierung in einer Personengesellschaft er5 FG Münster v. 23.2.2018 – 1 K 2201/17 F, EFG 2018, 1099 mit Anm. Peters, EFG 2018, 1103. 6 Dies bedeutet nicht etwa eine organschaftliche Geschäftsführung iSv. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG.

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zielter Gewinne in einer Kapitalgesellschaft.7 Mit Hilfe dieses „Thesaurierungsmodells“ sollen Gewinnanteile eines Kommanditisten ohne einkommensteuerliche Belastung in eine GmbH verlagert werden, an der der Kommanditist ebenfalls beteiligt ist. Dazu beteiligt sich die GmbH an der KG, übernimmt die Geschäftsführung gegen einen angemessenen Vorabgewinn und lässt die Geschäfte von dem Doppelgesellschafter führen, ohne ihm dafür eine Vergütung zu zahlen. Der Vorabgewinnanteil der GmbH erhöht damit deren Vermögen, ohne durch eine Vergütung an den Geschäftsführer geschmälert zu werden. Tatsächlich führt es zur Thesaurierung eines Gewinns, wenn der GmbH-Gesellschafter die Geschäfte unentgeltlich führt. Der Gewinn wird nach dem Besteuerungsregime der Kapitalgesellschaften zunächst nur mit KSt. belastet. Die einkommensteuerliche Belastung folgt erst bei Ausschüttung des Gewinns nach dem Teileinkünfteverfahren. Anders ist es bei Personengesellschaften, deren Gewinn mit seiner Entstehung den Gesellschaftern nach dem vereinbarten Schlüssel zugerechnet wird, unabhängig davon, ob ein Gesellschafter auch über ihn verfügen kann.8 Das Thesaurierungsmodell soll nun verhindern, dass der in der Personengesellschaft entstandene Gewinn bei dem Gesellschafter sofort der einkommensteuerlichen Tarifbelastung unterliegt, wenn er ihn stehen lässt. Für thesaurierende Personengesellschaften ist mit § 34a EStG eine Regelung geschaffen worden, die eben diesen Besteuerungseffekt erreichen soll. Andere Methoden sieht das Gesetz nicht vor. Der BFH lässt auch nicht zu, dass über das „Thesaurierungsmodell“ Gewinne von Personengesellschaften ohne vorherige Belastung mit Einkommensteuer in das Besteuerungsregime von Kapitalgesellschaften verlagert werden. Erreicht wird dies im Urteilsfall durch Abweichung der ertragsteuerlichen Gewinnverteilung von den gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen. Grundsätzlich folgt das Ertragsteuerrecht der gesellschaftsvertraglichen Gewinnverteilung. Eine Ausnahme davon gilt aber ua. dann, wenn an der Personengesellschaft eine Kapitalgesellschaft beteiligt ist. Denn die Gewinnverteilung soll nicht zur Steuerarbitrage durch Verschiebung zwischen den Besteuerungsregimen für natürliche Personen und Kapitalgesellschaften genutzt werden können. Deshalb wird beispielweise bei einer Ein-Personen-GmbH & Co. KG die Gewinnverteilung korrigiert, wenn der Doppelgesellschafter auf die ihm als Kommanditist 7 Vgl. dazu etwa Schiffers, DStR 2003, 302. 8 StRspr., etwa BFH v. 15.11.2011 – VIII R 12/09, BStBl. II 2012, 207 = DB 2012, 23; dazu näher Wendt, StbJb. 2012/2013, 29 (30 ff.).

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zustehende Gewinnbeteiligung zugunsten der GmbH verzichtet.9 Umgekehrt kommt es ebenfalls zur Korrektur der Gewinnverteilung, wenn bei einer Ein-Personen-GmbH & atypisch Still die GmbH zugunsten des Stillen auf eine fremdübliche Kapitalbeteiligung verzichtet.10

4. BFH-Urteil vom 6.2.2020 – IV R 5/18 (BStBl. II 2020, 448 = FR 2020, 732) Im Fall des Urteils vom 6.2.2020 – IV R 5/1811 hatte eine GmbH & Co. KG mit Mitteln aus Darlehen von 49 der insgesamt 85 Kommanditisten Aktien einer spanischen Gesellschaft erworben. Im Streitjahr 2010 bestanden die Einnahmen der KG zu 65% aus Dividenden dieser Gesellschaft. Die als Betriebsausgaben der KG gebuchten Zinsen für die Gesellschafterdarlehen wurden bei Abgabe der Gewinnfeststellungserklärung als Sondervergütungen der betreffenden Kommanditisten behandelt. Das FA stellte sich auf den Standpunkt, dass 65% des Gesamthandsgewinns unter Berücksichtigung der Zinsen auf Gesellschafterdarlehen dem Teileinkünfteverfahren unterlägen. Bei den darlehensgebenden Gesellschaftern seien die Zinsen allerdings in voller Höhe als Sonderbetriebseinnahmen zu erfassen. Im betreffenden Gewinnfeststellungsbescheid wurden der Gesamthandsgewinn, als Sonderbetriebseinnahmen zu erfassende Vergütungen sowie in den Einkünften enthaltene laufende Einkünfte, die dem Teileinkünfteverfahren unterliegen, festgestellt. Die KG machte mit Einspruch und anschließender Klage geltend, 65% der Sonderbetriebseinnahmen seien ebenfalls dem Teileinkünfteverfahren zu unterstellen und deshalb nach § 3 Nr. 40 EStG anteilig steuerbefreit. Das FG wies die Klage ab.12 Auch die Revision blieb im Ergebnis erfolglos. Der BFH folgte dem FG darin, dass auf die Sonderbetriebseinnahmen § 3 Nr. 40 EStG nicht anzuwenden sei, weil es sich nicht um Einnahmen iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 9 EStG handele. Dass die Zahlungen mittelbar aus Dividendenbezügen der KG stammten, ändere daran nichts. Statt dessen sei jedoch das Teilabzugsverbot nach § 3c Abs. 2 EStG auf diejenigen mit den Dividenden im Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben der KG nicht an9 BFH v. 23.8.1990 – IV R 71/89, BStBl. II 1991, 172 = GmbHR 1991, 177. 10 BFH v. 18.6.2015 – IV R 5/12, BStBl. II 2015, 935 = FR 2015, 1131; dazu näher Wendt, StbJb. 2015/2016, 39 (50 ff.). 11 BFH v. 6.2.2020 – IV R 5/18, BStBl. II 2020, 448 = FR 2020, 732. 12 FG München v. 25.7.2017 – 2 K 310/16, EFG 2018, 928 mit Anm. Kunze, EFG 2018, 931.

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zuwenden, die als Sondervergütungen der Mitunternehmer im Ergebnis die Einkünfte der Mitunternehmerschaft nicht minderten. Der Gesamthandsgewinn müsse deshalb unter Abzug der vollen Betriebsausgaben festgestellt werden. Im Streitfall sei das allerdings verfahrensrechtlich nicht möglich, weil Klagegegenstand ausschließlich die Sonderbetriebseinnahmen seien.

5. Teilabzugsverbot und Sondervergütungen Das zwischenzeitlich lebhaft diskutierte Urteil13 beruht auf dem Verständnis des BFH von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG, wonach die Hinzurechnung der Sondervergütungen zum Gesamthandsgewinn – ungeachtet ihrer Durchführung auf einer zweiten Stufe der Gewinnermittlung – den betreffenden Betriebsausgabenabzug der Gesamthand neutralisiert.14 Alle sonstigen mit dem Betriebsausgabenabzug verbundenen Rechtsfolgen entfallen damit ebenso. Das hatte der BFH bereits für die Hinzurechnung von Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG entschieden15 und greift diese Argumentation hier wieder auf. Die vom Abzugsverbot des § 3c Abs. 2 EStG vorausgesetzte Situation, in der eine Doppelbegünstigung dadurch verhindert werden soll, dass Einnahmen anteilig steuerbefreit bezogen, zugehörige Ausgaben aber in voller Höhe abgezogen werden,16 liegt in einem solchen Fall nicht vor. Deshalb darf das Teilabzugsverbot auf solche Ausgaben der Gesamthand nicht angewendet werden, die zugleich Sondervergütung ihrer Gesellschafter sind. Nicht zu entscheiden hatte der BFH über die Frage, wie in einem solchen Fall Refinanzierungskosten des Mitunternehmers zu behandeln sind. Wären diese ungekürzt als Sonderbetriebsausgaben abziehbar, ergäbe sich das merkwürdige Ergebnis, dass Refinanzierungskosten bei der Gesellschaft selbst anders behandelt würden als Refinanzierungskosten beim Gesellschafter. Dies stünde im Widerspruch zu der Vorstellung des Gesetzgebers, einen Mitunternehmer möglichst so zu behandeln wie einen Einzelunternehmer, denn Letzterer fiele unter das Teilabzugsverbot des 13 Bernhagen/Nöthen, Ubg. 2020, 573; Frase, BeSt. 2020, 25; Krohn, AktStR 2020, 285; Reddig, jurisPR-SteuerR 27/2020 Anm. 4; Schmitz-Herscheidt, FR 2020, 735; Strahl, NWB 2020, 1600; Weber-Grellet, GmbHR 2020, 786; Weiss, EStB 2020, 287; Wendt, BFH/PR 2020, 211. 14 ZB BFH v. 30.8.2007 – IV R 14/06, BStBl. II 2007, 942 = GmbHR 2007, 1227. 15 BFH v. 12.2.2014 – IV R 22/10, BStBl. II 2014, 621 = FR 2014, 765; s. dazu auch Wendt, StbJb. 2014/2015, 3 (32). 16 BFH v. 18.4.2012 – X R 5/10, BStBl. II 2013, 785 = FR 2012, 868 Rz. 29 ff.

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§ 3c Abs. 2 EStG. Es spricht deshalb mE viel dafür, die Kosten der Refinanzierung durch den Mitunternehmer in dem von § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG vorausgesetzten wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Ausschüttungen der Kapitalgesellschaft zu sehen. Nur so kann auch ein „Steuersparmodell“ durch Ausgliederung von Refinanzierungen aus der Personengesellschaft auf die Gesellschafter vermieden werden.17

II. Anwendung des § 15a EStG bei mehrstöckigen Beteiligungen 1. Bedeutung des § 15a EStG § 15a EStG verfolgt das Ziel, einem beschränkt haftenden Gesellschafter den Ausgleich von Verlustanteilen nur insoweit zu ermöglichen, als der Gesellschafter durch diese wirtschaftlich belastet ist. Ein Kommanditist haftet, wenn er seine Einlage in Höhe der ins Handelsregister eingetragenen Haftsumme erbracht hat, für Schulden der Gesellschaft nur mit dem Betrag seiner „bedungenen“ Einlage (§ 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB). Das ist der Betrag, den er nach dem Gesellschaftsvertrag in das Gesamthandsvermögen zu leisten hat. Ist die Einlage durch Verlustzuweisungen verbraucht, besteht keine Nachschusspflicht für den Kommanditisten. Trotzdem werden seinem Kapitalkonto auch künftige Verlustanteile belastet. Dies hat aber nur zur Folge, dass das Kapitalkonto zunächst wieder mit späteren Gewinnanteilen aufgefüllt worden sein muss, bevor der Kommanditist eine Auszahlung von Gewinnanteilen verlangen kann (§ 167 Abs. 2 HGB). Wirtschaftlich belasten den Kommanditisten deshalb über seine Einlage hinausgehende Verlustanteile nur dann und insoweit, als ihm später wieder Gewinnanteile zuzurechnen sind. Diesem Muster folgt § 15a EStG für den steuerlichen Verlustausgleich. Über die Einlage hinausgehende, also zu einem negativen Kapitalkonto führende Verluste dürfen nicht zum Ausgleich mit anderen positiven Einkünften dienen (§ 15a Abs. 1 Satz 1 EStG), sondern werden als sog. verrechenbare Verluste zum Ausgleich mit späteren Gewinnen aus der nämlichen Gesellschaft vorgemerkt. Der verrechenbare Verlust wird gesondert und einheitlich festgestellt (§ 15a Abs. 4 EStG). § 15a EStG stützt sich demgemäß auf die Innenhaftung des Kommanditisten. Inwieweit der Kommanditist außerdem auch gegenüber Dritten zu Leistungen auf Gesellschaftsschulden verpflichtet ist, hat im Grund17 Ebenso Krohn, AktStR 2020, 285 (296 f.).

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satz keine Bedeutung. Deshalb wird etwa nicht berücksichtigt, ob der Gesellschafter sich für Gesellschaftsschulden verbürgt hat.18 Von dem Grundsatz, dass es auf die Außenhaftung nicht ankommt, macht § 15a Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG allerdings eine Ausnahme. Danach sind Verlustanteile auch insoweit ausgleichsfähig, als der Kommanditist nach § 171 Abs. 1 Halbs. 1 HGB den Gesellschaftsgläubigern unbeschränkt haftet, weil und soweit er seine im Handelsregister eingetragene Einlage nicht vollständig geleistet hat.

2. BFH-Urteil vom 19.9.2019 – IV R 32/16 (BStBl. II 2020, 199 = FR 2020, 415) Im dem vom BFH mit Urteil vom 19.9.2019 – IV R 32/16 entschiedenen Fall19 wurde geltend gemacht, eine neben der beschränkten Kommanditistenhaftung bestehende unbeschränkte Haftung sei auch dann zu berücksichtigen, wenn sie aus einer doppelstöckigen Beteiligungsstruktur herrühre. Dort ging es um den einzigen Kommanditisten einer gewerblich geprägten Einheits-GmbH & Co. KG. Diese hielt 94% der Anteile an einer grundstücksverwaltenden GbR, während die verbleibenden 6% der Anteile an der GbR vom Kommanditisten gehalten wurden. Im Streitjahr erzielte die GbR einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung und auch die KG erwirtschaftete aus eigener Tätigkeit einen Verlust. Das FA behandelte die dem Kommanditisten zugewiesenen Verlustanteile insgesamt als verrechenbar nach § 15a EStG, weil das Kapitalkonto des Kommanditisten schon am Ende des Vorjahrs negativ gewesen war. Gegen die Feststellung der verrechenbaren Verluste wandten sich die KG und der Kommanditist mit dem Argument, § 15a EStG sei nicht anwendbar, soweit ein Verlust aus einer vermögensverwaltenden Gesellschaft, für den der Kommanditist unbeschränkt haftet, durch die KG durchgeleitet werde. Das FG folgte dieser Argumentation nicht und wies die Klage ab.20 Die Revision hatte ebenfalls keinen Erfolg. Der BFH entschied, die wirtschaftliche Belastung eines Kommanditisten aus der Zuweisung von

18 BFH v. 13.11.1997 – IV B 119/96, BStBl. II 1998, 109 = FR 1998, 737. 19 BFH v. 19.9.2019 – IV R 32/16, BStBl. II 2020, 199 = FR 2020, 415 mit Anm. Oertel/Intemann/Stenert, Ubg. 2020, 168; Schimmele, EStB 2020, 78; Strahl, NWB 2020, 515; Wendt, BFH/PR 2020, 123. 20 FG Münster v. 12.4.2016 – 5 K 3838/13 F, EFG 2016, 1253 mit Anm. Kulmsee, EFG 2016, 1255.

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Verlustanteilen sei ausschließlich nach den Verhältnissen auf der Ebene dieser KG zu beurteilen. Deshalb spielten die Haftungsverhältnisse bei der GbR für die Anwendung des § 15a EStG auf Ebene der KG keine Rolle. Neben den aus ihrer eigenen Tätigkeit erwirtschafteten Verlusten seien bei der KG originär auch die Verluste aus der Beteiligung an der vermögensverwaltenden Untergesellschaft angefallen. Denn für vermögensverwaltende Personengesellschaften gelte die Bruchteilsbetrachtung mit der Folge, dass die anteiligen Wirtschaftsgüter im Gesamthandsvermögen der Untergesellschaft als Betriebsvermögen des Gesellschafters, hier der KG, angesehen würden. Eine doppelstöckige Struktur liege deshalb ertragsteuerrechtlich nicht vor.

3. § 15a EStG bei Beteiligung an Zebragesellschaft Der Urteilsfall zeichnete sich ua. durch die Besonderheit aus, dass die doppelstöckige Struktur aus der Beteiligung der Obergesellschaft an einer rein vermögensverwaltenden GbR bestand. Für eine solche vermögensverwaltende Gesellschaft wird einkommensteuerrechtlich zwar wie für eine mitunternehmerische Gesellschaft eine gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte durchgeführt, in der Einkünfte aus Kapitalvermögen und/oder Vermietung und Verpachtung festgestellt werden. Aber bei dieser Qualifikation der Einkünfte bleibt es für solche Gesellschafter nicht, die betrieblich an der Gesellschaft beteiligt sind. Vielmehr sind die anteiligen Einkünfte den betrieblichen Einkünften zuzuordnen. Zugleich werden die ideellen Anteile des Gesellschafters an den Wirtschaftsgütern des Gesamthandsvermögens der vermögensverwaltenden Gesellschaft unter Anwendung der Bruchteilsbetrachtung nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO als Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens des betrieblich beteiligten Gesellschafters angesehen. Dies gilt auch, wenn Gesellschafter eine mitunternehmerische Personengesellschaft ist, die den Anteil im Gesamthandsvermögen hält.21 Man möchte nun auf den ersten Blick meinen, dass bei Beteiligung an einer Zebragesellschaft nie ein Problem mit der Anwendung des § 15a EStG entstehen könnte. Denn es gibt ja nur eine Ebene der gewerblichen Einkunftserzielung im Rahmen der Obergesellschaft. Alle aus der Untergesellschaft bezogenen Einkunftsbestandteile verbinden sich mit dem originär von der Obergesellschaft erzielten Gewinn zu einem einheitli21 Vgl. z.B. BFH v. 26.4.2012 – IV R 44/09, BStBl. II 2013, 142 = FR 2013, 68; näher dazu Wendt, StbJb. 2012/2013, 29 (33 ff.).

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chen einkommensteuerlichen Gewinn, der den Obergesellschaftern zugerechnet wird. Entsteht insgesamt ein Verlust und wird einem beschränkt haftenden Obergesellschafter ein Anteil daran zugewiesen, findet § 15a EStG dort uneingeschränkt Anwendung. Allerdings kann auch die vermögensverwaltende Zebragesellschaft eine KG sein, die dem gewerblich beteiligten und beschränkt haftenden Gesellschafter lediglich verrechenbare Verlustanteile vermittelt. Dann kann es auch auf der Ebene der Zebragesellschaft zur Anwendung des § 15a EStG kommen, weil diese Vorschrift nach § 21 Abs. 1 Satz 2 EStG für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung entsprechend gilt.22 Wie bei doppelstöckigen mitunternehmerischen Beteiligungen muss dann ggf. § 15a EStG auf jeder Ebene und damit doppelt angewendet werden.

4. § 15a EStG bei doppelstöckiger mitunternehmerischer Beteiligung Grundsätzlich ist es auf der Ebene der Obergesellschaft ohne Bedeutung, ob der Verlustanteil des Obergesellschafters aus einem von der Obergesellschaft selbst erwirtschafteten Verlust oder aus Verlustanteilen der Obergesellschaft bei der Untergesellschaft resultiert. Allerdings ergeben sich dann Probleme bei der Anwendung des § 15a EStG auf der Ebene der Obergesellschaft, wenn die Obergesellschaft selbst beschränkt haftende Gesellschafterin bei der Untergesellschaft ist und dort Verlustanteile zugewiesen bekommt, die ihr Kapitalkonto bei der Untergesellschaft negativ werden lassen. Dann werden die nur verrechenbaren Verluste aus der Untergesellschaft an die Gesellschafter der Obergesellschaft als solche weitergeleitet und können nicht mit eigenen Gewinnen der Obergesellschaft verrechnet werden. Sie dürfen dann allerdings nicht zugleich die Kapitalkonten der Obergesellschafter iSd. § 15a Abs. 1 EStG mindern, weil sie sonst bei beschränkt haftenden Obergesellschaftern nochmals eine Verlustausgleichsbeschränkung auf der Ebene der Obergesellschaft auslösen würden. Weil § 15a EStG auf jeder Ebene einer mehrstöckigen Struktur isoliert anzuwenden ist, müssen die Kapitalkonten auf der Ebene der übergeordneten Gesellschaft um den Betrag vermindert werden, der sich aus der spiegelbildlichen Aufnahme des Kapitalkontos der Obergesellschaft bei der Untergesellschaft in die Steuer-

22 Zur sinngemäßen Anwendung s. etwa BFH v. 2.9.2014 – IX R 52/13, BStBl. II 2015, 263 = FR 2015, 657, und BMF v. 15.9.2020 – IV C 1 – S 2253/08/10006 :003 – DOK 2020/0914203, BStBl. I 2020, 919 = FR 2020, 964.

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bilanz der Obergesellschaft ergibt.23 Verluste mindern das so ermittelte Kapitalkonto dann nur auf der jeweiligen Ebene. Kommt es zu verrechenbaren Verlusten auf der Ebene der Untergesellschaft, werden diese an die Obergesellschafter als solche weitergeleitet. Entstehen auch auf der Ebene der Obergesellschaft verrechenbare Verluste, werden für den Obergesellschafter zwei getrennte Teilbeträge aus Unter- und Obergesellschaftsverlusten ermittelt und fortgeführt.

III. Umstrukturierungen, Eintritt und Ausscheiden von Mitunternehmern 1. Vorbemerkung Die ertragsteuerlichen Folgen von Umstrukturierungsmaßnahmen bei Personengesellschaften beschäftigen den BFH ständig. So gab es auch im vergangenen Jahr Entscheidungen zu solchen Umstrukturierungen, von denen insbesondere drei Urteile hervorzuheben sind.

2. Abspaltung bei Kapitalbeteiligung im Sonderbetriebsvermögen a) BFH-Urteil vom 28.5.2020 – IV R 17/17 (BFHE 269, 158 = GmbHR 2020, 1294) Das Urteil vom 28.5.2020 – IV R 17/1724 betrifft die Umstrukturierung einer Unternehmensgruppe, deren Gesellschafter Ehegatten waren. Als Besitzgesellschaft fungierte eine vermögensverwaltende GmbH & Co. KG, an deren Vermögen die Ehegatten je zur Hälfte als Kommanditisten beteiligt waren. Die Ehegatten waren zugleich je zur Hälfte Aktionäre einer AG, deren Aktien als Sonderbetriebsvermögen II bei der Besitz-KG behandelt wurden. Von der AG wurde ein Teilbetrieb auf eine GmbH abgespalten, deren Anteile am Stammkapital von 25.000 t zuvor alleine die Ehefrau hielt. Infolge der Abspaltung wurde das Stammkapital um zwei Anteile von je 100 t erhöht, die die Ehegatten übernahmen. Der Ehemann war dadurch

23 Zur bilanziellen Darstellung s. Ley, KÖSDI 2010, 17148 (17161); IDW (Hrsg.), Doppelstöckige Personengesellschaften, 2017, Rz. 146 ff. 24 BFH v. 28.5.2020 – IV R 17/17, BFHE 269, 158 = GmbHR 2020, 1294 mit Anm. Bünning, BB 2020, 2674; Weiss, EStB 2020, 419.

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anschließend mit 0,4% an der GmbH beteiligt. Die Anteile an der GmbH behandelten die Ehegatten als Privatvermögen. Das FA war der Auffassung, es liege eine disquotale Abspaltung des Teilbetriebs von der AG auf die GmbH vor, die zu einer Wertverschiebung vom Ehemann auf die Ehefrau geführt habe, weil der Ehemann nur einen geringfügigen Anteil an der GmbH erhalten habe. In der Wertminderung der Aktien des Ehemanns sei eine Entnahme aus dessen Sonderbetriebsvermögen zu sehen. Auf dieser Grundlage erließ das FA den Gewinnfeststellungs- und Gewerbesteuermessbescheid für die KG. Nach insoweit erfolglosem Einspruchsverfahren machte die KG mit der Klage geltend, eine Wertverschiebung könne keine Entnahme sein. Diese Argumentation überzeugte das FG, das der Klage deshalb stattgab.25 Der BFH beurteilte die Rechtslage anders, hob das Urteil auf und verwies das Verfahren an das FG zurück. Nach den bisherigen Feststellungen sei nicht klar, ob zwischen der KG und der AG eine Betriebsaufspaltung bestanden habe, wovon die Beteiligten bisher ausgegangen seien. Feststellungen seien auch noch in Bezug darauf zu treffen, ob nach der Abspaltung eine Betriebsaufspaltung zwischen der KG und der GmbH bestanden habe, wovon die Beteiligten bisher nicht ausgegangen seien. Seien die Anteile an der GmbH ebenso wie die an der AG Sonderbetriebsvermögen gewesen, hätte eine nicht verhältniswahrende Abspaltung wegen § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 EStG nicht zur Aufdeckung stiller Reserven geführt. Der Klage sei dann schon deshalb stattzugeben. Im Übrigen habe keine disquotale Abspaltung stattgefunden, weil beide Ehegatten in gleichem Umfang als Gegenleistung Anteile an der GmbH erhalten hätten. Seien die Anteile an der AG wie bisher angenommen notwendiges Sonderbetriebsvermögen II gewesen, wären die als Gegenleistung für die Abspaltung erworbenen neuen GmbH-Anteile zunächst ebenfalls notwendiges Sonderbetriebsvermögen II geworden. Ob der Anteilstausch gewinnwirksam gewesen sei oder zum Buchwert stattgefunden habe, müsse vom FG noch geprüft werden. Im Fall der Buchwertfortführung seien die Anteile anschließend gewinnrealisierend zum Teilwert entnommen worden, wenn keine Betriebsaufspaltung mit der GmbH bestanden habe. Ein Entnahmegewinn sei dann beiden Ehegatten entstanden, wobei im Rahmen des Gewinnfeststellungsverfahrens der Entnahmegewinn der Ehefrau wegen insoweit eingetretener Bestandskraft nicht mehr 25 FG München v. 2.11.2017 – 13 K 1170/15, EFG 2018, 932 mit Anm. Reddig, EFG 2018, 932.

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berücksichtigt werden könnte. Allerdings könne er bis zur Höhe des streitigen Gesamtbetrags im Verfahren gegen den Gewerbesteuermessbescheid noch von Bedeutung sein. b) Gewinnauswirkung einer Abspaltung von im Betriebsvermögen gehaltenen Kapitalanteilen Bei einer Abspaltung erhält der Gesellschafter als Gegenleistung Anteile an der Zielgesellschaft (§ 123 Abs. 2 UmwG). Wie immer, wenn der Unternehmer eine Gegenleistung für die Übertragung eines Wirtschaftsguts des Betriebsvermögens erhält, gehen auch die als Gegenleistung für die Abspaltung erhaltenen Anteile automatisch in das Betriebsvermögen ein. Welche Gewinnauswirkungen sich aus der Abspaltung selbst ergeben, hängt zunächst davon ab, ob der Zielgesellschaft ein Wahlrecht zur Buchwertfortführung nach § 15 Abs. 1 iVm. § 13 Abs. 2 UmwStG zusteht und ob sie davon Gebrauch macht. Ist dies nicht der Fall, gelten Altanteile anteilig als zum gemeinen Wert veräußert und die Anteile an der Zielgesellschaft als mit diesem Wert angeschafft (§ 13 Abs. 1 UmwStG). Die Abspaltung führt dann zur Aufdeckung aller stillen Reserven im abgespalteten Vermögensteil und einem entsprechenden Gewinn im Betriebsvermögen des Anteilseigners. Eine anschließende Entnahme zum Teilwert könnte folglich keine Gewinnauswirkung mehr haben. Kommt es hingegen zur Buchwertfortführung, würde eine anschließende Entnahme die Aufdeckung der auf den Anteilseigner entfallenden stillen Reserven des abgespaltenen Vermögens zur Folge haben. Eine Entnahme der erhaltenen Anteile kann nicht eintreten, wenn diese notwendiges Betriebsvermögen des Anteilseigners sind. Das war im Urteilsfall noch ungeklärt, weil nicht feststand, ob evtl. auch die Zielgesellschaft eine Betriebsgesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung mit der Besitz-KG war. Fehlt es an der Eigenschaft als notwendiges Betriebsvermögen, kommt es zur Entnahme der Anteile, wenn der Anteilseigner sie nicht als gewillkürtes Betriebsvermögen behandeln kann oder sie tatsächlich als Privatvermögen behandelt. Im Urteilsfall befanden sich die Anteile der Ausgangsgesellschaft im Sonderbetriebsvermögen II des Anteilseigners bei der Besitz-KG. Die erhaltenen Anteile an der Zielgesellschaft wurden demnach zwar als Gegenleistung zunächst ebenfalls Sonderbetriebsvermögen II. Wenn sie nicht notwendiges Sonderbetriebsvermögen II waren, konnten sie im Sonderbetriebsvermögen nur verbleiben, wenn sie als gewillkürtes Sonderbetriebsvermögen behandelt worden wären, was hier nicht der Fall war. Bisher ist der BFH da16

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von ausgegangen, dass auch Sonderbetriebsvermögen II gewillkürt werden kann.26 Im hier vorgestellten Urteil lässt er allerdings Zweifel daran erkennen, ob er daran festhalten will. Mangels konkreter Entscheidungserheblichkeit enthält das Urteil aber keine endgültige Aussage zu dieser Frage.

3. Ergänzungsbilanzen bei Ausscheiden und Aufnahme von Gesellschaftern a) BFH-Beschluss vom 6.8.2019 – VIII R 12/16 (BStBl. II 2020, 378 = GmbHR 2020, 224) Aus einer Partnerschaftsgesellschaft von vier Rechtsanwälten schied der Seniorpartner durch plötzlichen Unfalltod aus. Entsprechend den gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen setzten die verbliebenen drei Partner M, S und F die Gesellschaft fort, leisteten eine Abfindung an die Witwe des Verstorbenen und übernahmen dessen negatives Kapitalkonto. Im Rahmen einer Ergänzungsrechnung zur Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung wiesen sie die Abfindung und das negative Kapitalkonto jeweils anteilig als Anschaffungskosten eines Praxiswerts aus. Zu Beginn des folgenden Jahres nahmen die Partner – wie seit dem Tod des Seniorpartners geplant – die bisher angestellte Rechtsanwältin A in die Gesellschaft auf und stockten die Anteile des bisherigen Juniorpartners F auf. Dazu übertrugen M und S die vom Verstorbenen übernommenen Anteile auf A und F, die dafür Zahlungen an M und S leisteten. Von diesem Entgelt zogen M und S die für sie in den Ergänzungsrechnungen ausgewiesenen Praxiswerte in voller Höhe ab und erklärten die sich daraus errechneten Veräußerungsverluste. F und A wiesen die von ihnen gezahlten Beträge in ihren Ergänzungsrechnungen als Praxiswert aus. Das FA vertrat die Auffassung, die vom verstorbenen Partner übernommenen Anteile hätten sich mit den Altanteilen der verbliebenen Partner zu einheitlichen Anteilen vereinigt, von denen M und S dann jeweils Teilanteile veräußert hätten. Die Praxiswerte seien deshalb nur anteilig aufzulösen. Die gegen den Gewinnfeststellungsbescheid von der Gesell-

26 ZB BFH v. 7.7.1992 – VIII R 2/87, BStBl. II 1993, 328 = GmbHR 1992, 822; v. 17.11.2011 – IV R 51/08, BFH/NV 2012, 723 = FR 2012, 635, zum letztgenannten Urteil vgl. auch Wendt, StbJb. 2012/2013, 29 (49 ff.).

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schaft und allen Gesellschaftern erhobene Klage wies das FG als unbegründet ab.27 Die Revision blieb erfolglos.28 Der BFH hielt die Klagen der Gesellschafter A und F für unzulässig, denn diesen habe die Klagebefugnis gefehlt. Gegenstand des Rechtsstreits sei nur die Feststellung von Gewinnen der Gesellschafter M und S aus Anteilsveräußerungen. In Bezug auf jene seien die Gewinne aus Teilanteilsveräußerungen richtig festgestellt worden. Die vom verstorbenen Partner erworbenen Anteile hätten sich mit den bisherigen Anteilen von M und S zu jeweils einem einheitlichen Anteil an der Gesellschaft vereinigt. Dem stehe nicht entgegen, dass M und S von Anfang an beabsichtigt hätten, die hinzuerworbenen Anteile sogleich weiterzuveräußern. M habe als Altgesellschafter anlässlich der Aufnahme der A seinen ganzen Mitunternehmeranteil in eine um die A erweiterte Personengesellschaft gegen Empfang einer Zuzahlung und damit für deren Rechnung eingebracht. Zugleich habe M auch die auf F übergehenden Anteile für dessen Rechnung eingebracht. Mit der Einbringung für fremde Rechnung habe M Teile seines Mitunternehmeranteils gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 iVm. § 18 Abs. 3 EStG veräußert. Den betreffenden Gewinn habe er nicht durch Ausübung eines Bewertungswahlrechts nach § 24 UmwStG vermeiden können. Soweit M hingegen für eigene Rechnung eingebracht habe, sei wegen der Ausübung des Wahlrechts zur Buchwertfortführung kein Gewinn entstanden. Die Abtretung des Teilanteils von S an F sei als Teilanteilsveräußerung zu würdigen. Die Gewinne aus den Teilanteilsveräußerungen seien richtig ermittelt worden. Zutreffend habe das FA die Ergänzungsrechnungen aus dem Anteilserwerb nicht in voller Höhe, sondern nur anteilig zu einem dem übertragenen Bruchteil am Gesellschaftsvermögen entsprechenden Anteil zum Abzug vom Veräußerungserlös zugelassen. Das Mehrkapital aus einer positiven Ergänzungsbilanz oder -rechnung des Veräußerers bilde zusammen mit dem Kapitalanteil in der Gesellschaftsbilanz den 27 FG Nürnberg v. 26.1.2016 – 1 K 773/14, EFG 2016, 812 mit Anm. Durand, EFG 2016, 814. 28 BFH v. 6.8.2019 – VIII R 12/16, BStBl. II 2020, 378 = GmbHR 2020, 224 mit Anm. etwa von Grädler, DStRK 2020, 3; Farwick, StuB 2020, 176; Korn, NWB 2019, 3466; Korn, KÖSDI 2019, 21542; Levedag, HFR 2020, 21; Münch, BB 2019, 2994; Pflüger, GStB 2020, 83; Röhrig/Lindow/Zahn, EStB 2020, 180 und 219; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 49/2019 Anm. 2; Schwetlik, EStB 2020, 38; Werth, BFH/PR 2020, 39.

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Buchwert des einheitlichen Mitunternehmeranteils. Eine überquotale Auflösung der positiven Ergänzungsrechnung und Berücksichtigung des Mehrkapitals anlässlich der Veräußerung eines Teilanteils sei nicht zulässig. b) Anteilserwerb der verbleibenden Gesellschafter durch Tod des Mitgesellschafters Der Beschluss bestätigt die zivil- und steuerrechtlich hM, dass der Gesellschafter einer Personengesellschaft nur einen Anteil an der Gesellschaft haben kann, auch wenn er nach dem Erwerb des ersten Anteils noch einen weiteren Anteil hinzuerworben hat. Beide Anteile vereinigen sich zu einem einheitlichen Anteil. Dies betrifft auch alle Bestandteile der Gesellschafterkonten bei der Gesamthand sowie Sonder- und Ergänzungsbilanzen. Wird ein Anteil gegen Zahlung eines über das Kapitalkonto hinausgehenden Kaufpreises erworben, errechnet sich der Mehrpreis zwar nach dem erworbenen Anteil an den Gütern des Gesamthandsvermögens. In der Hand des Erwerbers verteilt er sich aber auf den ganzen von ihm gehaltenen Anteil am Gesellschaftsvermögen. Veräußert der Erwerber den hinzuerworbenen Anteil kurzfristig weiter, ändert dies nichts daran, dass sich hinzuerworbener und bisheriger Anteil zu einem einheitlichen Anteil vereinigt haben. Die in diesem Zusammenhang gebildete Ergänzungsbilanz ist dem ganzen Anteil zuzuordnen. Aus der maßgebenden Perspektive bei der Weiterveräußerung stellt sich der Vorgang als Teilanteilsveräußerung dar. Für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns ist folgerichtig auch nur die anteilige Ergänzungsbilanz aufzulösen. Der dadurch eintretende und im Schrifttum treffend als „Verwässerung“ bezeichnete Effekt29 konnte im Urteilsfall nicht vermieden werden. Scheidet ein Gesellschafter nicht durch Tod, sondern zu Lebzeiten aus der Personengesellschaft aus, kann eine „Verwässerung“ ggf. dadurch vermieden werden, dass der ausscheidende Gesellschafter seine Anteile auf einen Dritten überträgt, dessen Anteile nicht mit denen eines Altgesellschafters zusammenzurechnen sind. Dies würde etwa auf eine von einem Altgesellschafter gegründete Ein-Personen-GmbH & Co. KG zutreffen. Wird dann der Anteil später weiterveräußert, ist auch die zugehörige Ergänzungsbilanz ganz aufzulösen. Soweit die Personengesellschaft gewerbliche Einkünfte erzielt, würde die Veräußerung dann allerdings nach § 7 Satz 2 GewStG der GewSt. unterlie29 Korn, NWB 2019, 3466; Korn, KÖSDI 2019, 21542.

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gen. Bei Freiberuflern kommt die Einschaltung einer GmbH & Co. KG idR nicht in Betracht, weil diese als Gewerbetreibende gilt und damit zur Umqualifizierung der Freiberufler-Mitunternehmerschaft in eine gewerbliche Mitunternehmerschaft führen würde.30 Zutreffend sind FG und BFH davon ausgegangen, dass die Anwachsung von Gesellschaftsanteilen bei Ausscheiden eines Gesellschafters gegen Abfindung für die Altgesellschafter als Erwerbsvorgang anzusehen ist. Übersteigt die Abfindung das Kapitalkonto, kommt es zur Aufdeckung anteiliger stiller Reserven, die dann in Ergänzungsbilanzen (bzw. bei Einnahmen-Überschussrechnung in einer Ergänzungsrechnung) der Altgesellschafter auf die vorhandenen Wirtschaftsgüter einschließlich eines selbst geschaffenen (hier aber insoweit erworbenen) Geschäfts- oder Praxiswerts zu verteilen sind. Für den ausscheidenden Gesellschafter, der eine Abfindung nur aus dem Gesellschaftsvermögen bekommt, stellt sich der Vorgang nach heutiger Auffassung des BFH als Aufgabe des Mitunternehmeranteils durch den Ausscheidenden dar.31 Früher – nämlich vor der Rspr. zur unechten Realteilung – war der BFH noch von einer Anteilsveräußerung ausgegangen. Ob von der Neuausrichtung auch Fälle betroffen sind, in denen die Abfindung allein aus dem eigenen Vermögen der Altgesellschafter erbracht wird, war bislang nicht geklärt. Im hiesigen Fall verhielt es sich so, weil die Abfindung zwar vom Gesellschaftskonto geleistet, den Gesellschaftern aber auf ihren Verrechnungskonten belastet wurde. Der BFH bezeichnet den Vorgang hier als Anteilsveräußerung, allerdings nur unter Hinweis auf ältere Rspr. und ohne Auseinandersetzung mit den neuen Grundsätzen zur Anteilsaufgabe. ME sollten alle Fälle der Anwachsung als Aufgabe des Mitunternehmeranteils behandelt werden. Es handelt sich allerdings nur um eine dogmatische Frage, denn die Höhe des Gewinns unterscheidet sich nicht (s. § 16 Abs. 3 Satz 6 EStG) und auch in Bezug auf eine Tarifbegünstigung gibt es keine Unterschiede. c) Übertragung von Teilanteilen an Alt- und Neugesellschafter Zur Aufnahme der neuen Gesellschafterin in die Personengesellschaft heißt es in dem Beschluss, die Übertragung von Anteilen des M auf die neu eintretende A gegen Zahlung der A an M sei als Einbringung nach

30 Zu anderen Gestaltungsvarianten s. Schwetlik, EStB 2020, 38. 31 BFH v. 2.10.2018 – IV R 24/15, BFH/NV 2019, 516 = GmbHR 2019, 498 Rz. 48.

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§ 24 UmwStG zu würdigen. Dieser Betrachtung ist mE nach den Umständen des entschiedenen Falls nicht beizupflichten. Zwar sieht die Rspr. die Aufnahme eines Gesellschafters in eine bestehende Gesellschaft ertragsteuerlich als Gründung einer neuen Mitunternehmerschaft an, in die die Altgesellschafter ihre Anteile an der bisherigen Mitunternehmerschaft einbringen, und wendet auf diesen Vorgang § 24 UmwStG an.32 Diese Vorschrift setzt aber den Erwerb neuer Gesellschaftsrechte voraus. Sie kann deshalb nur angewendet werden, wenn mit der Einbringung auch eine Kapitalerhöhung stattfindet, die dann zumindest teilweise vom neuen Gesellschafter übernommen wird. Veräußert aber lediglich ein Gesellschafter einen Teil seiner Beteiligung an einen neuen Gesellschafter, verändert sich der Umfang der Gesellschaftsrechte nicht; der Vorgang ist deshalb als reine Teilanteilsveräußerung des Altgesellschafters zu behandeln. In ähnlicher Weise ist auch die entgeltliche Teilanteilsübertragung des Mehrheitsgesellschafters M auf den bisherigen Minderheitsgesellschafter F zu beurteilen. Es handelt sich um eine bloße Teilanteilsveräußerung, die sich nicht von derjenigen unterscheidet, die mit der Übertragung von S auf F verwirklicht worden ist und die der BFH dort auch zutreffend als Vorgang iSd. § 16 Abs. 1 Satz 2 EStG bezeichnet.

4. Ausscheiden eines Fiskalerben mit negativem Kapitalkonto a) BFH-Urteil vom 19.9.2019 – IV R 50/16 (BStBl. II 2020, 57 = FR 2020, 180) Der Fall des BFH-Urteils vom 19.9.2019 – IV R 50/1633 betraf eine Immobilienfonds-KG, bei deren Kommanditisten die Kapitalkonten sämtlich negativ waren. Zwei Kommanditisten waren nach Ausschlagung der Erbschaft durch die Erben vom Fiskus in Gestalt des jeweiligen Bundeslands, in dem der Erblasser seinen letzten Wohnsitz hatte, beerbt worden. Im Streitjahr 2010 schieden die betroffenen Bundesländer als Rechtsnachfolger der Kommanditisten aus, ohne die negativen Kapitalkonten auffüllen zu müssen. Das FA ermittelte für die Ausscheidenden Aufga-

32 ZB BFH v. 20.9.2007 – IV R 70/05, BStBl. II 2008, 265. 33 BFH v. 19.9.2019 – IV R 50/16, BStBl. II 2020, 57 = FR 2020, 180 mit Anm. zB von Dötsch, jurisPR-SteuerR 1/2020 Anm. 4; Kleinmanns, BB 2020, 114; Krohn, AktStR 2020, 199; Nöcker, FR 2020, 183; Ossinger, DStRK 2020, 32; Riedesser, NWB 2020, 1918; Wendt, BFH/PR 2020, 65.

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begewinne in Höhe der negativen Kapitalkonten und bezog diese bei der Festsetzung des GewSt.-Messbetrags in den Gewerbeertrag ein. Mit der Klage gegen den GewSt.-Messbescheid machte die KG geltend, die Verstorbenen seien natürliche Personen gewesen, weshalb Aufgabegewinne in ihrer Person nicht Bestandteil des Gewerbeertrags gewesen wären. Durch Erbschaft des Fiskus dürfe sich daran nichts ändern. Das FG folgte dem nicht und wies die Klage ab.34 Der BFH gab der Revision in dem beantragten Umfang statt. Zwar seien die Fiskalerben Mitunternehmer geworden und ein Gewinn bei ihrem Ausscheiden infolge der Nichtauffüllung der negativen Kapitalkonten erhöhe den Gewerbeertrag der KG. Insgesamt habe sich der Gewerbeertrag durch das Ausscheiden aber nicht erhöht. Denn die negativen Kapitalkonten der Ausgeschiedenen seien von den verbleibenden Gesellschaftern übernommen worden, was für diese zu einem Verlust führe. b) Fiskus als Erbe eines Personengesellschafters Verstirbt jemand, ohne einen Erben zu hinterlassen, bzw. so überschuldet, dass alle Erben die Erbschaft ausschlagen, wird der Fiskus in Gestalt eines Bundeslandes gesetzlicher Erbe. Der Fiskus tritt dann auch an die Stelle des Verstorbenen als Gesellschafter einer Personengesellschaft, wenn dort gesellschaftsvertraglich bei Tod der Eintritt des Rechtsnachfolgers vorgesehen ist (sog. Nachfolgeklausel). Scheidet der Fiskus später aus, handelt es sich gewerbesteuerrechtlich um das Ausscheiden einer nicht natürlichen Person. Seit dem Jahr 2002 wird der Gewinn aus der Veräußerung oder Aufgabe eines Mitunternehmeranteils durch eine nicht natürliche Person gem. § 7 Satz 2 Nr. 2 GewStG der GewSt. unterworfen. Weil Schuldner der GewSt. die Gesellschaft ist, tragen wirtschaftlich die verbleibenden Gesellschafter die GewSt.-Last. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden35 und macht zivilrechtliche Vereinbarungen erforderlich, um die GewSt.-Last wirtschaftlich auf den ausgeschiedenen Gesellschafter zu verlagern. Auch der Fiskus als nicht natürliche Person ist von dieser Regelung nicht ausgenommen. Die anderen Gesellschafter tragen dann die GewSt. auf den Gewinn, wenn gesellschaftsvertraglich keine Vorsorge durch Erstattungsverpflichtungen getroffen worden ist. Dass der Fiskus als Rechts34 FG Berlin-Brandenb. v. 6.9.2016 – 6 K 6066/13, EFG 2016, 1896 mit Anm. Rätke, EFG 2016, 1898. 35 BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, BStBl. II 2018, 303 = FR 2018, 427.

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nachfolger an die Stelle einer natürlichen Person getreten ist, ändert an der gewerbesteuerlichen Handhabung nichts. c) Ausscheiden eines Personengesellschafters mit negativem Kapitalkonto Scheidet ein Gesellschafter aus einer Personengesellschaft aus, ohne ein negatives Kapitalkonto auffüllen zu müssen, ergibt sich daraus für ihn ein Gewinn.36 Wer an Stelle des Ausscheidenden tritt, hat das negative Kapitalkonto fortzuführen. Ist der Gesellschaftsanteil veräußert worden, hat der Erwerber (auch) in Höhe des negativen Kapitalkontos Anschaffungskosten, die in einer Ergänzungsbilanz abzubilden sind. Im Fall des schlichten Ausscheidens eines Gesellschafters ohne Abfindung wächst das anteilige Vermögen des Ausscheidenden einschließlich seines negativen Kapitalkontos den verbleibenden Gesellschaftern an. Diesen entstehen dabei keine Anschaffungskosten, sondern ihnen ist in dieser Höhe ein Verlust zuzurechnen. Stille Reserven werden dabei entgegen einer aus Verwaltungssicht vertretenen Meinung37 nicht aufgedeckt. Es kommt also nicht darauf an, ob und ggf. in welchen Wirtschaftsgütern im Zeitpunkt des Ausscheidens stille Reserven vorhanden waren. Einkommensteuerlich, aber nicht gewerbesteuerlich,38 ist bei Kommanditisten § 15a EStG zu beachten. Einem negativen Kapitalkonto wird idR ein verrechenbarer Verlust nach § 15a Abs. 2 EStG gegenüberstehen, mit dem der Aufgabegewinn ausgeglichen wird. Übernimmt ein Kommanditist mit bereits negativem Kapitalkonto zusätzlich ein negatives Kapitalkonto des Ausscheidenden, ist der ihm dadurch zugerechnete Verlust idR lediglich mit künftigen Gewinnen verrechenbar, erhöht also den bis dahin bereits festgestellten verrechenbaren Verlust.

36 Zur Veräußerung des Anteils zB BFH v. 9.7.2015 – IV R 19/12, BStBl. II 2015, 255 = ZIP 2015, 2375; zum Ausscheiden des Kommanditisten zB BFH v. 30.3.2017 – IV R 3/15, BFH/NV 2017, 1019. 37 Riedesser, NWB 2020, 1918. 38 AA wohl Dötsch, jurisPR-SteuerR 1/2020 Anm. 4.

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Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Kapitalgesellschaften Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Steuerrecht und Öffentliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München Richter am Finanzgericht Düsseldorf (Körperschaftsteuersenat) Prof. Dr. Thomas Rödder Steuerberater/Wirtschaftsprüfer I. § 8b Abs. 4 KStG und § 9 Nr. 2a GewStG (I R 29/17) 1. § 8b KStG als „Herzstück des neuen Körperschaftsrechts“ 2. Kein Gleichheitsverstoß durch die Ausklammerung von Streubesitzdividenden a) § 8b Abs. 4 KStG b) § 9 Nr. 2a GewStG

II. Genussrechte/Class B-Shares (I R 44/17) III. Gewerbesteuerpflicht von Einbringungsgewinnen (I R 26/18) IV. Erträge aus Währungskurssicherungsgeschäften und § 8b KStG (I R 15/19 anh.)

I. § 8b Abs. 4 KStG und § 9 Nr. 2a GewStG (I R 29/17) Darstellung Rödder: Mit Urteil v. 18.12.2019 – I R 29/17 hat der BFH einen einfachen Sachverhalt entschieden. Eine Kapitalgesellschaft war mit 8,4 bzw. 9,6% an einer AG beteiligt und vereinnahmte von dieser am 2.10.2013 Dividenden.

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Drüen/Rödder, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften

Fraglich war, ob die volle körperschaftsteuerliche und gewerbesteuerliche Belastung der Dividenden verfassungskonform ist oder nicht. Der BFH urteilte wie folgt: „§ 8b Abs. 4 KStG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20.10.2011 in der Rechtssache C-284/09 vom 21.03.2013 (BGBl I 2013, 561, BStBl I 2013, 344) sowie § 9 Nr. 2a GewStG i.d.F. des UntStRefG 2008 vom 14.08.2007 (BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630) sind mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.“

Der erkennende Senat könne offen lassen, ob sich § 8b KStG als finanzund wirtschaftspolitische Lenkungsnorm oder aber als Fiskalzwecknorm darstelle, denn jedenfalls seien die an Letztere zu stellenden strengeren verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllt. § 8b Abs. 4 KStG durchbreche zwar iS einer nicht folgerichtigen Ausgestaltung die in § 8b Abs. 1 KStG zum Ausdruck kommende Grundentscheidung des Gesetzgebers. Indessen sei die Herstellung einer europarechtskonformen Rechtslage zur Abgrenzung der Besteuerungshoheiten der betroffenen Fisci als hinreichender Rechtfertigungsgrund iS eines qualifizierten Fiskalzwecks anzusehen, auch wenn im Gesetzgebungsverfahren die Frage der Haushaltskonsolidierung im Vordergrund gestanden haben mag. Kommentar Drüen:

1. § 8b KStG als „Herzstück des neuen Körperschaftsrechts“ Vorwegzuschicken ist eine allgemeine Vorbemerkung, die zugleich ein Schlaglicht auf alle Rechtsprechungsfälle zu § 8b KStG wirft: Ach, wie schön war unser altes Anrechnungsverfahren, nur leider erkennbar nicht unionsrechtskompatibel.1 Es ist daran zu erinnern, dass vor der Abschaffung des Anrechnungsverfahrens im Jahre 2000 78 Professoren der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre einen Appell „Verteidigt das Anrechnungsverfahren gegen unbedachte Reformen!“ veröffentlicht haben.2 Das Anrechnungsverfahren war das Verfahren, das dem Postulat der rechtsformneutralen Besteuerung am nächsten kam. Seine Aufgabe und die Rückkehr zu einem klassischen System stellen daher aus systematischer Sicht einen Rückschritt dar.3 Nunmehr soll § 8b KStG die wirt1 EuGH v. 6.3.2007 – C-292/04 (Meilicke I), IStR 2007, 247 = ZIP 2007, 525, im Anschluss an EuGH v. 7.9.2004 – C-319/02 (Manninen), IStR 2004, 680 = ZIP 2004, 2278. 2 Siegel/Bareis/Herzig/Schneider/Wagner/Wenger u.a., BB 2000, 1269. 3 Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, Vor § 1 Einführung in das Körperschaftsteuersystem Rz. 66 (Sept. 2017).

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schaftliche Doppelbesteuerung bei mehrstöckigen Gruppenstrukturen vermeiden. Die Vorschrift soll als „Herzstück des neuen Körperschaftsrechts“ bei mehrstufigen Beteiligungsstrukturen Doppel- und Mehrfachbelastungen mit Körperschaftsteuer in Gestalt sog. Kaskadeneffekte vermeiden.4 Die Gesetzesbegründung rechtfertigt die Freistellung von Veräußerungsgewinnen an Kapitalgesellschaften ausdrücklich mit der körperschaftsteuerlichen Vorbelastung.5 Die Vorschrift führt zu einer Fülle von Auslegungsfragen und ins teleologische Grenzgebiet. Darum ist es kein Wunder, dass sie bei den diesjährigen „Höhepunkten“ aus der Rspr. zum Unternehmenssteuerrecht der Kapitalgesellschaften gleich mit drei Fällen vertreten ist.

2. Kein Gleichheitsverstoß durch die Ausklammerung von Streubesitzdividenden a) § 8b Abs. 4 KStG Im ersten Fall (I R 29/17)6 erachtet der I. Senat § 8b Abs. 4 KStG (2013) sowie § 9 Nr. 2a GewStG – entgegen namhafter Stimmen im Schrifttum7 – für mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Aus Sicht des BFH durchbreche § 8b Abs. 4 KStG zwar iS einer nicht folgerichtigen Ausgestaltung die in § 8b Abs. 1 KStG zum Ausdruck kommende Grundentscheidung des Gesetzgebers. Er sieht „die Herstellung einer europarechtskonformen Rechtslage zur Abgrenzung der Besteuerungshoheiten der betroffenen Fisci als hinreichende[n] Rechtfertigungsgrund im Sinne eines qualifizierten Fiskalzwecks“ an (Rz. 24). Das Urteil bemüht – nach der Zinsschranke – wieder einmal den ominösen qualifizierten Fiskalzweck. Dabei wirft die Figur des „qualifizierten Fiskalzwecks“8 als Rechtfertigungsgrund9 schon für sich weitergehende Fra4 Zuletzt Gosch, KStG4, § 8b Rz. 1. 5 Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen zum Steuersenkungsgesetz, BTDrucks. 14/2683, 96; bestätigend auch Antwort der Bundesregierung zur Steuerfreiheit der Gewinne aus Unternehmensveräußerungen, BT-Drucks. 16/2196, 2. 6 BFH v. 18.12.2019 – I R 29/17, BFHE 268, 21 = BStBl. II 2020, 690 = DB 2020, 2217. 7 Hey, KSzW 2013, 353 (357 ff.). 8 Zur Frage „Was ist eigentlich ein ‚qualifizierter Fiskalzweck‘?“ bereits Heuermann, DB 2014, Heft 50, M5; zur Rechtfertigungswirkung Prinz, DB 2013, 1571. 9 Frühzeitig zur Mindestbesteuerung Desens, FR 2011, 745 (749).

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gen auf,10 die an dieser Stelle nicht zu vertiefen sind. Das Besprechungsurteil löst einen Zusammenprall von Verfassungs- und Unionsrecht auf, führt aber zu der tiefsinnigen Frage, inwieweit die verfassungsrechtlich geforderte Folgerichtigkeit unionsrechtlich „gebrochen“ werden kann und darf.11 Aus Sicht des Senats stehe es dem Gesetzgeber frei, den beschriebenen Zielkonflikt unter Einbeziehung von Streubesitzdividenden in die Steuerpflicht aufzulösen (Rz. 24). Nach gefestigter Verfassungsrechtsprechung verlangt das Gebot der Folgerichtigkeit, dass der Steuergesetzgeber bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig iSd. Belastungsgleichheit umsetzen muss (Rz. 12 mwN). Diese Rspr. ist auf viel Zustimmung,12 aber durchaus auch auf Kritik gestoßen.13 Diese betont den Kompromisscharakter demokratischer Entscheidungen, die oft einander widersprechende Ziele und Wünsche miteinander verbinden müssten.14 Der Rationalitätsgewinn des Folgerichtigkeitsansatzes wird hinterfragt wegen der Schwierigkeit, rational zu bestimmen, welche Einzelregelungen in einem Normenkomplex zu Teilen des Systems und welche zu dessen Durchbrechungen zählen.15 Nicht immer lässt sich zweifelfrei die gesetzgeberische Grundentscheidung identifizieren,16 an die die nachfolgenden Steuerregelungen gebunden sind. Wenngleich die Kritik dem berechtigten Ansatz der Folgerichtigkeitsjudikatur allgemein nichts anhaben kann,17 stimmen diese Einwände gerade 10 Vgl. Schwetlik, GmbH-StB 2020, 344 (346): „Leerformel“. 11 Näher zur „Folgerichtigkeit im Mehrebenensystem – ein frei aufzulösender Zielkonflikt?“ Horstmann/Lenhart, IStR 2021, 91. 12 Stellvertretend P. Kirchhof, in Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 Rz. 404 ff. (Sept. 2015) mwN. 13 Kischel in Epping/Hillgruber, GG3, Art. 3 Rz. 134 ff.; Lepsius, JZ 2009, 260 ff.; Droege, StuW 2011, 105 (111 f.); Droege, Die Kodifikationsidee in der Steuerrechtsordnung, in Schön/Röder, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts II, 2014, 69 (82 f.); Payandeh, AöR 136 (2011), 585 ff., 610 ff. 14 Tappe, JZ 2016, 27 (32 f.). 15 Diese Möglichkeit apriori bestreitend Kischel in Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Art. 3 Rz. 96 (Mai 2019) mwN. 16 Dazu Chr. Schmidt, Steuerliche Systembildung und Systemwechsel in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Bd. 5, 2019, 303 (321 ff.) mwN. 17 Näher Drüen, Ubg. 2020, 241 (245–247).

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beim körperschaftsteuerrechtlichen Grundproblem der wirtschaftlichen Doppelbelastung der ausgeschütteten Gewinne der Körperschaft nachdenklich. Denn auf dieses Grundproblem lassen sich steuerpolitisch – das belegt der interperiodische wie der internationale Rechtsvergleich18 – ganz unterschiedliche Antworten geben. Betont das BVerfG in stRspr. die weitgehende Gestaltungsfreiheit des Steuergesetzgebers,19 so kommt ihm mE ein großer Gestaltungsfreiraum bei der Vermeidung wirtschaftlicher Doppelbelastung auf den beiden Besteuerungsebenen von Körperschaft und ihren Anteilseignern zu. Es besteht insoweit verfassungsrechtlich kein Muss, eine wirtschaftliche Doppelbelastung bei verschiedenen Steuersubjekten stets und ausnahmslos zu vermeiden. Systematisch wäre natürlich ein einheitliches und umfassendes Konzept zur Vermeidung einer wirtschaftlichen Doppelbelastung ohne Brüche wünschenswert. Verfassungsrechtlich zwingend ist dies nicht. Allenfalls ein klassisches System ohne jede Abmilderung würde die altbekannte Verfassungsfrage nach einer Höchstgrenze des staatlichen Steuerzugriffs20 aufwerfen. Darum darf der Gesetzgeber bereits aus nationaler Verfassungssicht die Schwelle festlegen, ab der er verschiedene Steuersubjekte trotz seiner Grundentscheidung für das Trennungsprinzip als verbunden erachtet und eine wirtschaftliche Doppelbelastung ausschließen will. Er darf die Grenze des sog. „Schachtelprivilegs“ bestimmen. Besteht insoweit schon legislative Freiheit im ersten Schritt, so bedarf es keiner besonderen Rechtfertigung durch die Rücksichtnahme auf das Unionsrecht. Damit verdient die Entscheidung des BFH zu § 8b Abs. 4 KStG im Ergebnis Zustimmung, ohne dass es auf eine unionsrechtliche „Verbiegung“ des Folgerichtigkeitsdenkens ankommt. b) § 9 Nr. 2a GewStG Bei der Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 2a GewStG betont der I. Senat den weiten Gestaltungsspielraum, der dem Gesetzgeber bei der Normierung des Schachtelprivilegs als „Steuerbegünstigungstatbestand“ zukommt (Rz. 28). Während er bei § 8b KStG offenlässt, ob es sich um eine finanz- und wirtschaftspolitische Lenkungsnorm oder aber eine Fiskal18 Dazu Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, Vor § 1 Einführung in das Körperschaftsteuersystem Rz. 32 ff., 143 (Sept. 2017). 19 ZB BVerfG v. 8.6.1988 – 2 BvL 9/85, 2 BvL 3/86, BVerfGE 78, 249 (287); v. 14.12.1993 – 1 BvL 25/88, BVerfGE 89, 329 (338); v. 10.4.1997 – 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1 (8) = FR 1997, 571 (573). 20 Zuletzt Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 3.184, 3.189 ff. mwN.

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zwecknorm handelt,21 weil jedenfalls die strengeren verfassungsrechtlichen Anforderungen für Fiskalzwecknorm erfüllt sind (Rz. 11), bekennt er bei § 9 Nr. 2a GewStG Farbe. Auch wenn der Zweck der Vermeidung einer gewerbesteuerlichen Doppelbelastung durchaus für eine Kürzung um Gewinne aus Anteilen an Kapitalgesellschaften ohne Rücksicht auf die Höhe der Beteiligung spreche, habe sich der Gesetzgeber eben anders entschieden. Das Ergebnis beanstandet der BFH nicht, weil „die Bedenken gegen die Konsequenz und Folgerichtigkeit […] jedenfalls nicht die Höhe der verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit [erreichen]“ (Rz. 28). Unter Verweis auf eigene Präjudizien betont der BFH zuvor, dass die Festlegung und Anhebung einer Mindestbeteiligungsquote mit den Vorgaben des Verfassungsrechts vereinbar ist, selbst wenn sie offenbar vor allem aus fiskalischen und haushalterischen Erwägungen erfolgte. Die Freiheit des Gesetzgebers bei steuerlichen Lenkungsnormen scheint bei dieser Sicht Beliebigkeit aus fiskalischer Opportunität zu eröffnen. Da aber rein fiskalische Finanzierungszwecke für sich genommen keinen rechtfertigenden Grund zur Abkehr vom Folgerichtigkeitsgebot abgeben,22 verlässt die Argumentation selbst bei den niedrigeren Rechtfertigungsanforderungen für Lenkungsnormen bei Lichte betrachtet den Boden der Folgerichtigkeitsjudikatur. In der Sache betont der I. Senat bei der Gewerbesteuer die legislative Freiheit, die relevante Schwelle für den Ausschluss einer wirtschaftlichen Doppelbelastung auch aus Budgeterwägungen festzulegen. Dem ist zuzustimmen. Diese Freiheit gilt aber mE ebenso für die Körperschaftsteuer (s.o. zu 2.a).

II. Genussrechte/Class B-Shares (I R 44/17) Darstellung Rödder: Mit Urteil v. 14.8.201923 hat der BFH einen interessanten Fall entschieden, bei dem in einem ersten relevanten Sachverhaltsteil eine deutsche Kapitalgesellschaft an einer kanadischen Kapitalgesellschaft nicht nur mit 100% beteiligt war, sondern auch von der kanadischen Kapitalgesellschaft ausgegebene Genußrechte hielt. Die entsprechende Finanzierungsstruktur wurde in mehreren Schritten gestaltet. 21 Näher zur Qualifikation von § 8b Abs. 2 KStG als „Mehrfachzwecknorm“ Seer/Drüen, Vertrauensschutz bei steuerfreien Anteilsveräußerungen, GmbHR 2002, 1093 (1098 f.). 22 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 = FR 2017, 577 Rz. 150; Nußberger in Sachs, GG8, Art. 3 Rz. 145 mwN. 23 BFH v. 14.8.2019 – I R 44/17, ZIP 2020, 1708.

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Die Genußrechte wiesen folgende Ausstattung auf: –

Feste Laufzeit bis 2043 mit vollständiger Rückzahlung des Kapitals.



Ausschluss einer vorzeitigen Rückzahlung des Kapitals, aber Recht des Genussrechtsinhabers, im Fall einer Leistungsstörung seine Ansprüche vorzeitig fällig zu stellen.



Zusätzlich einseitiges Kündigungsrecht des Genussrechtsinhabers bei Änderung der Steuergesetzgebung, wozu auch eine von der steuerlichen Beurteilung der Parteien abweichende Steuerfestsetzung durch die deutschen oder kanadischen Finanzbehörden gehören sollte.



Genussrechtsausschüttungen auf der Grundlage eines sich im Zeitablauf reduzierenden Prozentsatzes an dem jährlich nach bestimmten Vorgaben zu errechnenden Nettogewinn der X-A, wobei eine Mindestverzinsung iHv. 4% und eine Maximalverzinsung von 16% des Genussrechtskapitals vorgesehen war (durchschnittliche geschätzte Gewinnerwartung 8,59% des Genussrechtskapitals, tatsächlich in den Jahren 2004 bis 2009 10,6%).



Recht der X-A zur Ausschüttung von Aktien, falls der tatsächliche Nettogewinn geringer als die Mindestverzinsung sein sollte.



Recht des Genussrechtsinhabers, am Fälligkeitstag (auch im Fall einer vorzeitigen Fälligkeit) statt der Rückzahlung des Kapitals Aktien der X-A zu erwerben (Wandlungsrecht), deren Zahl sich während der Laufzeit des Vertrags verringert.



Nachrangigkeit der Genussrechte gegenüber den Gläubigern der X-A im Fall der Insolvenz oder Auflösung der X-A.



Genussrechtsinhaber hat nicht die Rechte eines Gesellschafters, insbes. kein Stimmrecht.

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Die Klägerin behandelte die Genussrechtsausschüttungen als steuerfreie Beteiligungserträge iSd. § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG. Von kanadischer Seite wurden die Genussrechte dagegen als Fremdkapital eingestuft. Dadurch waren die im Streitjahr an die Klägerin geleisteten Ausschüttungen bei der X-A steuerlich abzugsfähiger Zinsaufwand. Es wurde eine 10%ige kanadische Quellensteuer einbehalten. Die FinVerw. behandelte dagegen die Genussrechtsausschüttungen bei der Klägerin als steuerpflichtige Zinsen iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. In einem zweiten Sachverhaltsteil ging es um sog. Class B-Shares, die in einer komplexen Finanzierungsstruktur, die in mehreren Schritten gestaltet wurde, eine Rolle spielten.

Die Veräußerin der Class B-Shares (Veräußerung in 2005), die X-I, behandelte den Vorgang in ihrer US-GAAP-Bilanz nicht als Abgang vom Beteiligungskonto, sondern wies zum einen weiterhin die Anteile an der X-B und zum anderen eine Darlehensverbindlichkeit gegenüber der X-H GmbH aus. Die X-I hatte der X-H GmbH das Recht eingeräumt, ihr die erworbenen Class B-Shares 2014 (unter bestimmten Voraussetzungen auch früher) zum Rückkauf anzudienen (Put Option bzw. Andienungsrecht). Darüber hinaus verpflichtete sich die X-F GmbH in einer Terminverkaufsvereinbarung, sämtliche Anteile der X-H GmbH 2015 (unter bestimmten Voraussetzungen auch früher) an die X-I zu veräußern. In beiden Fällen war für die Class B-Shares ein Preis zuzüglich 5,64% Zinsen p.a. und abzüglich bezogener Ausschüttungen festgelegt. Die X-H GmbH hat von dem Andienungsrecht keinen Gebrauch gemacht. Das Termingeschäft wurde dagegen in 2015 abgewickelt. 32

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Die Class B-Shares wiesen folgende Ausstattung auf: –

Erstrangigkeit gegenüber den übrigen Anteilen in Bezug auf Dividenden („Class B Preferred Dividends“) sowie in Bezug auf Liquidation, Auflösung und Abwicklung („Class-B Liquidation Preference“).



Vorzugsdividende iHv. 5,64% der Class B-Liquidation Preference.



Sofern auch die Class A-Shares 5,64% Dividende erhalten haben, anteiliger Anspruch der Class A- und Class B-Shares auf verbleibendes Ausschüttungspotential („Überdividende“).



Class B-Shares vermitteln keine Stimmrechte und sind nicht einziehbar.

Die Klägerin behandelte die im Streitjahr von der X-B gezahlte Vorzugsdividende als steuerfreie Bezüge iSd. § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 iVm. § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG, die das Einkommen der Klägerin lediglich in Höhe des pauschalen Betriebsausgabenabzugsverbots gem. § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG erhöhten. Von amerikanischer Seite wurde dagegen ein steuerlich abzugsfähiger Zinsaufwand der X-I angenommen. Auf die von der X-B gezahlte Vorzugsdividende fiel in den USA keine Quellensteuer an. Die FinVerw. behandelte die von der X-B an die X-H GmbH gezahlte Vorzugsdividende als steuerpflichtigen Zins iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Das wirtschaftliche Eigentum an den Class B-Shares sei nicht auf die X-H GmbH übergegangen, so dass die Kaufpreiszahlung als ein der X-I verdeckt gewährtes Darlehen mit Sicherungsübereignung der Class B-Shares zu qualifizieren sei. Der BFH urteilte zu den Genussrechten wie folgt: Genussrechte führen nur dann zu Bezügen iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn der Genussrechtsinhaber kumulativ sowohl am Gewinn als auch am Liquidationserlös beteiligt ist (sog. beteiligungsähnliche Genussrechte). Nur wenn beide Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, vermitteln die Genussrechte aus steuerrechtlicher Sicht eine gesellschafterähnliche Rechtsstellung, die zu Einkünften iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG führt. Fehle eine der beiden Voraussetzungen, lägen dagegen keine beteiligungsähnlichen, sondern obligationsähnliche Genussrechte vor, aus denen Einkünfte iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG erzielt werden. Für die Beteiligung am Liquidationserlös ist auf das Abwicklungsendvermögen iSd. § 11 KStG, dh. auf die Beteiligung an einem etwaigen Liquidations(mehr)erlös und die damit verbundene Beteiligung des Genussrechtsinhabers an den stillen Reserven abzustellen, nicht hingegen auf 33

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die Gewinnabhängigkeit der Genussrechtsausschüttungen, die Stellung eines Alleingesellschafters, die lange Laufzeit des Genussrechts oder auf ein Wandlungsrecht des Genussrechtsinhabers zum Erwerb von Gesellschaftsanteilen, selbst wenn dessen Ausübung wahrscheinlich ist. Im Streitfall fehle eine Beteiligung der Klägerin am Liquidationserlös. Auch eine bloße Nachrangvereinbarung, durch die der Genussrechtsinhaber im Liquidationsfall hinter die übrigen Gläubiger zurücktritt, sei nicht ausreichend. Im Streitfall sei nach der Genussrechtsvereinbarung nur eine Rückzahlung des Genussrechtskapitals zum Nennbetrag vorgesehen. Dies gelte sowohl für den Fall einer Liquidation als auch für jeden anderen Fälligkeitszeitpunkt. Die Rspr. des erkennenden Senats zu Wandelschuldverschreibungen,24 wonach sich aus Sicht der Gesellschaft, die eine Wandelschuldverschreibung ausgegeben hat, die steuerrechtliche Qualifizierung in Fremdkapital oder Eigenkapital erst mit der Ausübung des Wandlungsrechts ändert, sei auf Genussrechte mit Wandlungsrecht zu übertragen und gelte auch für die Abgrenzung der Einkünfte des Genussrechtsinhabers nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 7 EStG. Welche rechtlichen Wirkungen ein wirtschaftlicher Zwang zur Ausübung des Wandlungsrechts in dem Sinne hätte, dass ein vernünftiger Gesellschafter unter keinen denkbaren Umständen auf dessen Ausübung verzichten würde,25 konnte nach Auffassung des BFH vorliegend offen bleiben. Lasse sich nicht ausschließen, dass der Genussrechtsinhaber sein Wandlungsrecht nicht ausüben, sondern die Rückzahlung des Nennbetrags des Genussrechtskapitals verlangen wird, liege aus vermögensrechtlicher Sicht jedenfalls keine gesellschafterähnliche Stellung des Genussrechtsinhabers vor.26 Nach dem DBA-Kanada 2001 stehe Deutschland auch das Besteuerungsrecht an den nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG steuerpflichtigen Genussrechtsausschüttungen aus obligationsähnlichen Genussrechten zu. Art. 10 Abs. 3 Buchst. a DBA-Kanada beschränke sich insgesamt auf Beteiligungsrechte bzw. beteiligungsähnliche Rechte. Bei der Beurteilung, ob ein Terminverkauf zu einer gesicherten Rechtsposition auf Rückerwerb von Anteilen führt, müsse zwischen einzelnen juristischen Vermögensebenen unterschieden werden: Der Erwerb des Anteils an einer Kapitalgesellschaft könne – vorbehaltlich eines etwai24 Vgl. BFH v. 21.2.1973 – I R 106/71, BStBl. II 1973, 460. 25 Vgl. BMF v. 8.12.1986 – IV B 7 - S 2742 - 26/86, BB 1987, 667. 26 AA FG Rh.-Pf. v. 1.3.1990 – 1 K 2375/89, nv.

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gen Gestaltungsmissbrauchs gem. § 42 AO – nicht mit dem Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums an den Anteilen einer ihrer Tochtergesellschaften gleichgesetzt werden. Hinsichtlich der von der Organgesellschaft X-H GmbH erzielten Vorzugsdividenden aus den Class B-Shares liegen dagegen nach Auffassung des BFH steuerfreie Bezüge gem. § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG iVm. § 8b Abs. 1 und 5 KStG sowie § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG vor. Die Put Option und der Terminverkauf führten – weder einzeln noch in der Gesamtschau – zu einer gesicherten Rechtsposition der X-I auf Rückerwerb der Class B-Shares. Hinsichtlich der Put Option folge dies bereits daraus, dass es sich lediglich um ein Andienungsrecht der X-H GmbH handelte. Hinsichtlich des Terminverkaufs sei entscheidend, dass Gegenstand dieser Vereinbarung nicht die Class B-Shares, sondern die Anteile an der X-H GmbH waren. Auch wenn die Class B-Shares dadurch zumindest mittelbar erfasst worden seien, müsse zwischen den einzelnen juristischen Vermögensebenen unterschieden werden. Der Erwerb des Anteils an einer Kapitalgesellschaft (hier X-H GmbH) könne – vorbehaltlich eines etwaigen Gestaltungsmissbrauchs gem. § 42 AO – nicht mit dem Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums an den Anteilen einer ihrer Tochtergesellschaften (hier Class B-Shares) gleichgesetzt werden. Der Würdigung des FG, die Zwischenschaltung der X-H GmbH sei ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 42 AO mit der Folge, dass die Vorzugsdividenden trotz Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums der Class-B Shares als steuerpflichtige Zinsen iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG anzusehen seien, sei nicht zu folgen. Kommentar Drüen: Dividende oder Zins – das ist hier die Frage. Diese Abgrenzungsfrage stellt sich national wie international bei verschiedenen hybriden Finanzierungsformen. Wolfgang Schön hat mit seinem MPI zum Steuer- und Gesellschaftsrecht eine großangelegte Studie „Eigenkapital und Fremdkapital“ mit instruktivem Rechtsvergleich erarbeitet.27 Ausgangspunkt der steuerrechtlichen Beurteilung einer Finanzierung ist der gesellschaftswie steuerrechtlich geltende Grundsatz der Finanzierungsfreiheit.28 Danach gibt es – trotz der unterschiedlichen steuerrechtlichen Rechtsfolgen – insbes. keine Vorgaben für die Ausstattung einer Tochtergesell27 Schön (Hrsg.), Eigenkapital und Fremdkapital. Steuerrecht – Gesellschaftsrecht – Rechtsvergleich – Rechtspolitik, 2013. 28 Zuletzt Roser in Gosch, KStG4, § 8 Rz. 131b „Darlehen“ mwN.

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schaft mit Eigen- oder Fremdkapital.29 Die Rechtsfolgen für Dividenden bestimmt § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG iVm. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, während Zinsen steuerpflichtig sind. Die Abgrenzung der Finanzierungsformen erfolgt typologisch. Während abstrakte Gesetzesbegriffe nur erfüllt sind, wenn alle Begriffsmerkmale gegeben sind, ist typologisch im Einzelfall anhand aller den Typus repräsentierenden Merkmale gewichtend zu beurteilen, ob ein Sachverhalt dem Typus zugeordnet werden kann.30 Statt einer (begrifflichen) „klaren Kante“ ist eine einzelfallbezogene Abwägung vorzunehmen. Für die Gestaltungspraxis bietet sich einerseits das „Spiel“ mit den Kriterien an, auf der anderen Seite steht aber der Preis der langjährigen Rechtsunsicherheit. Das belegt der Besprechungsfall des BFH, in dem es um das Streitjahr 2005 ging. Der Wortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG erfasst (wie auch § 8 Abs. 3 Satz 2 Var. 2 KStG) nur diejenigen Genussrechte, bei denen der Genussrechtsinhaber sowohl am Gewinn als auch am Liquidationserlös beteiligt ist. Den Mitunternehmer iSd. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG stuft die Rspr. explizit als Typusbegriff ein und versteht Mitunternehmerrisiko als gesellschaftsrechtliche oder wirtschaftlich vergleichbare Teilnahme am Erfolg oder Misserfolg eines gewerblichen Unternehmens im Regelfall durch Beteiligung am Gewinn und Verlust sowie an den stillen Reserven des Anlagevermögens einschließlich eines Geschäftswerts.31 Das Risiko ist mithin nicht nur für die einzelne Periode, sondern für die Totalperiode der Beteiligung zu beurteilen. Dasselbe gilt für die typologische Abgrenzung zwischen beteiligungs- und obligationsähnlichen Genussrechten, für die es ebenfalls auch auf den Liquidationserlös ankommt. Denn, so der BFH zu Recht, „anderenfalls hat der Genussrechtsinhaber keine mit einem Gesellschafter vergleichbare[n] Vermögensrechte“ (Rz. 40). Wie beim Mitunternehmer ist die Teilhabe an der langfristigen Unternehmensentwicklung und den stillen Reserven erforderlich. Zum 2. Teil der Entscheidung, den Class B-Shares, ist nur anzumerken, dass der BFH nicht der Qualifikation des FG Baden-Württemberg gefolgt ist, das unter Annahme eines Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkei29 Vgl. Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2015, § 8b Rz. 296. 30 Zu typologischem Denken im Steuerrecht und der Kritik daran Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz. 395 ff. (Okt. 2020) mwN. 31 BFH v. 10.10.2012 – VIII R 42/10, BStBl. II 2013, 79 = FR 2013, 281 Rz. 21 mwN.

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ten (§ 42 AO) die Vorzugsdividenden als steuerpflichtige Zinsen iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG eingestuft hatte (Rz. 60). Stattdessen betont er seine Linie, dass die Erzielung von Steuervorteilen im Ausland keine für § 42 AO relevante Steuerminderung sei (Rz. 63 mwN). Diese Aussagen haben ebenso wie die zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an Anteilen nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO (Rz. 54 ff.) weit über den konkreten Fall hinaus Relevanz.

III. Gewerbesteuerpflicht von Einbringungsgewinnen (I R 26/18) Darstellung Rödder: Der BFH hat mit Urteil v. 11.7.201932 über die Gewerbesteuerpflicht von Einbringungsgewinnen entschieden. Es ging um die Teilveräußerung von nach § 22 Abs. 1 UmwStG sperrfristbehafteten Aktien nach Einbringung eines Mitunternehmeranteils in eine AG.

Der BFH urteilte: „Bringt eine natürliche Person ihren gesamten Anteil an einer gewerblichen Mitunternehmerschaft in eine Kapitalgesellschaft (hier: Aktiengesellschaft) zum Buchwert ein und veräußert der Einbringende oder sein Erbe einen Teil der erhaltenen Anteile (hier: Aktien) innerhalb der Sperrfrist, so unterliegt der hierdurch ausgelöste Einbringungsgewinn I nicht der Gewerbesteuer, wenn auch die Einbringung zum gemeinen Wert nicht gewerbesteuerpflichtig gewesen wäre.“

Die Sichtweise, der Einbringungsgewinn I sei deshalb der Gewerbesteuer zu unterwerfen, weil der Erbe lediglich einen Teil der vom Einbringenden beim Formwechsel erhaltenen Aktien veräußert habe und auch die ursprüngliche Einbringung bei einer nur teilweisen Veräußerung des Betriebs oder des Mitunternehmeranteils und einer nicht vollständigen 32 BFH v. 11.7.2019 – I R 26/18, FR 2020, 463.

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Einstellung der gewerblichen Tätigkeit nicht gewerbesteuerfrei gewesen wäre, sei fiktiv und deshalb zurückzuweisen.33 Kommentar Drüen: Die Gewerbesteuer belastet grundsätzlich nur den Gewerbeertrag aus einem „stehenden“ Gewerbebetrieb. Diese Abgrenzung dient nicht nur der Abgrenzung zum Reisegewerbebetrieb (§ 35a GewStG), sondern verengt zugleich den Gewerbeertrag bei Personenunternehmen auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Veräußerungs- und Aufgabegewinne (§ 16 EStG) sind kein Ertrag aus dem „stehenden“ Gewerbe, sondern durch die Verwertung der Vermögenssubstanz des Gewerbebetriebs. Wegen des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer sind Veräußerungs- und Aufgabegewinne natürlicher Personen aus dem Gewerbeertrag iSd. § 7 Satz 1 GewStG herauszurechnen.34 Allerdings gehören nach § 7 Satz 2 GewStG Veräußerungs- und Aufgabegewinne, soweit sie nicht auf eine natürliche Person als unmittelbar beteiligten Mitunternehmer entfallen, zum Gewerbeertrag. Die rechtsformabhängige Ungleichbehandlung durch § 7 Satz 2 GewStG ist nach der Rspr. mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar.35 Auch wenn § 7 Satz 2 GewStG Umgehungsgestaltungen verhindern sollte, ist die insoweit (überschießend) typisierende Norm nicht auf Fälle tatsächlicher Missbrauchsabwehr beschränkt.36 Selbst wenn im konkreten Fall das Vorliegen eines Umgehungsgeschäfts fernliegt, nimmt die Rspr. keine einschränkende Auslegung des § 7 Satz 2 Nr. 2 GewStG vor.37 Insoweit war nicht abzusehen, ob und wie weit die Rspr. bei Umwandlungsvorgängen einschränkende Lösungen sucht. Die Gewerbesteuerpflicht der Einbringungsgewinne I und II war bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Der BFH ist erklärtermaßen der ganz hM gefolgt (Rz. 22 mwN). Danach hängt die Gewerbesteuerpflicht da33 S. auch das BFH-Urteil v. 11.7.2019 – I R 13/18, FR 2020, 461 zur entsprechenden Frage beim Einbringungsgewinn II: Es werden von der eingebrachten Mitunternehmerschaft gehaltene Anteile an einer Kapitalgesellschaft veräußert. 34 Drüen in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 7 GewStG Rz. 106, 122 ff., 125 ff. (Juni 2020). 35 Nachweise und Kritik bei Drüen in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 7 GewStG Rz. 106 (Juni 2020). 36 BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 = FR 2018, 427 Rz. 121 ff.; zu Recht kritisch Roser, FR 2018, 421 (422 f.). 37 BFH v. 19.9.2019 – IV R 50/16, BStBl. II 2020, 57 = FR 2020, 180 Rz. 24 zum Fiskalerben.

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von ab, ob der ursprüngliche Einbringungsvorgang selbst gewerbesteuerpflichtig ist.38 Danach besteht keine Gewerbesteuerpflicht des Einbringungsgewinns I, wenn eine natürliche Person ihren gesamten Anteil an einer gewerblichen Mitunternehmerschaft in eine Kapitalgesellschaft zum Buchwert einbringt und der Einbringende oder sein Erbe einen Teil der erhaltenen Anteile innerhalb der Sperrfrist veräußert, sofern auch die Einbringung zum gemeinen Wert nicht gewerbesteuerpflichtig gewesen wäre.39 Denn in diesem Fall bedarf es keiner Absicherung gegen Gestaltungen durch Annahme einer Gewerbesteuerpflicht. Dasselbe gilt, wenn eine natürliche Person ihren gesamten Anteil an einer gewerblichen Mitunternehmerschaft in eine Kapitalgesellschaft zum Buchwert einbringt und diese einen miteingebrachten Kapitalgesellschaftsanteil innerhalb der Sperrfrist veräußert: Der hierdurch ausgelöste Einbringungsgewinn II unterliegt nicht der Gewerbesteuer, wenn auch die Einbringung zum gemeinen Wert nicht gewerbesteuerpflichtig gewesen wäre.40 Beide, sich ergänzenden Entscheidungen vom 11.7.2019 fußen auf demselben Argument der Nichtbesteuerungswürdigkeit mit Blick auf die Ausgangslage bei der Ursprungseinbringung. Diese Auslegung ist sachgerecht und verdient Zustimmung.41 Soweit ein Vergleich vor und nach der Umwandlung keine umwandlungsbedingten „Statusvorteile“ bei der Gewerbesteuer offenlegt, besteht kein Anlass zur Belastung von Einbringungsgewinnen mit Gewerbesteuer.

IV. Erträge aus Währungskurssicherungsgeschäften und § 8b KStG (I R 15/19 anh.) Darstellung Rödder: Mit Urteil v. 10.4.201942 hatte der BFH einen Fall zu entscheiden, bei dem eine US-Beteiligung mit Devisentermingeschäften gesichert erworben wurde. Im Erwerbszeitpunkt bestand schon eine Wiederveräußerungsabsicht. Es wurde eine Bewertungseinheit zwischen Beteiligung und Sicherungsgeschäft gebildet. Die Devisentermingeschäfte wurden 38 Zuletzt Wagner in Glanegger/Güroff, GewStG10, 2021, Anhang § 7 Rz. 1676 f., 1773. 39 BFH v. 11.7.2019 – I R 26/18, DStR 2020, 441 = FR 2020, 463. 40 BFH v. 11.7.2019 – I R 13/18, DStR 2020, 444 = FR 2020, 461; dazu näher Breier, StuB 2020, 384; Kerstedt/Echternach, DStR 2020, 1281. 41 Drüen in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 7 GewStG Rz. 148 „Einbringungsgeborene Anteile“ (Juni 2020). 42 BFH v. 10.4.2019 – I R 20/16, BStBl. II 2020, 674 = FR 2020, 1061.

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bis zum Verkauf der Beteiligung revolviert. Als die Beteiligung verkauft wurde, wurden aus den Sicherungsgeschäften Gewinne erzielt.

Der BFH urteilte wie folgt: „Bei der Bemessung des nach § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG steuerfreien Veräußerungsgewinns aus einem in Fremdwährung abgewickelten Anteilsverkauf ist der Ertrag aus einem Devisentermingeschäft, das der Veräußerer vor der Veräußerung zum Zweck der Minimierung des Währungskursrisikos in Bezug auf den Veräußerungserlös abgeschlossen hat, als Bestandteil des Veräußerungspreises iS des § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG gewinnerhöhend zu berücksichtigen (Abgrenzung zum BFHUrteil vom 02.04.2008 – IX R 73/04, BFH/NV 2008, 1658).“

In Konstellationen eines „antizipativen“ Sicherungsgeschäfts sei der erforderliche Veranlassungszusammenhang nur dann gegeben, wenn das Sicherungsgeschäft aus Sicht des späteren Veräußerers ausschließlich auf Minimierung des Währungskursrisikos in Bezug auf die konkret erwarteten Veräußerungserlöse ausgerichtet ist („Micro Hedges“). Unspezifische globale Absicherungen für Währungskursrisiken einer Vielzahl von Grundgeschäften („Macro“- oder „Portfolio Hedges“) seien nicht zu berücksichtigen. Welchen Einfluss eine steuerbilanziell anzuerkennende Bewertungseinheit bei Beendigung der Bewertungseinheit durch Erfüllung des Grundund des Sicherungsgeschäfts (hier: durch Veräußerung der Aktien und Ausführung der Devisentermingeschäfte) auf die steuerliche Gewinnbzw. Einkommensermittlung hat, werde unterschiedlich beurteilt. Der Senat halte es – jedenfalls für die Zeit vor Geltung des § 5 Abs. 1a EStG nF – für zutreffend, dass die Regelungen des § 8b Abs. 2 KStG jeweils isoliert auf die in die Bewertungseinheit einbezogenen Wirtschaftsgüter anzuwenden sind.

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Verluste aus Devisentermingeschäften, die ausschließlich zum Ausschluss bzw. zur Minderung des Währungskursrisikos einer konkret geplanten, in Fremdwährung abzuwickelnden Anteilsveräußerung abgeschlossen worden sind, mindern nach Auffassung des BFH als Bestandteil der Veräußerungskosten iSv. von § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG den Veräußerungsgewinn. Eine „asymmetrische“ Einbeziehung nur von Verlusten aus zur Währungskurssicherung abgeschlossenen Geschäften, nicht aber von spiegelbildlichen Gewinnen in die Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 2 KStG würde die Kapitalverkehrsfreiheit beschränken, weil sie einen potentiellen Anleger davon abhalten könnte, in ausländische Beteiligungen zu investieren. Das vorstehend erläuterte Urteil ist schon auf dem letztjährigen Fachkongress besprochen worden. Dazu hat sich nun das BMF mit Schreiben v. 5.10.2020 wie folgt positioniert:43 Der erforderliche Veranlassungszusammenhang liege nur vor, wenn der Steuerpflichtige bei Abschluss des jeweiligen Sicherungsgeschäfts ausschließlich den späteren konkret erwarteten Erlös aus der Veräußerung von Anteilen iSd. § 8b Abs. 2 KStG vor Währungskursschwankungen absichern wollte. Sofern bereits ein Verpflichtungsgeschäft über eine spätere Übertragung von Anteilen gegen Zahlung eines Kaufpreises in einer Fremdwährung abgeschlossen wurde, könne der erforderliche Veranlassungszusammenhang vergleichsweise einfach dadurch nachgewiesen werden, dass der vereinbarte Veräußerungspreis der Höhe des abgesicherten Betrags entspricht und die Laufzeit des Sicherungsgeschäfts sich am Zeitpunkt der Fälligkeit des Kaufpreises orientiert. Wenn im Zeitpunkt des Abschlusses des Sicherungsgeschäfts noch kein wirksames Verpflichtungsgeschäft abgeschlossen ist, aber bereits Vertragsverhandlungen mit möglichen Käufern begonnen haben bzw. Verhandlungen angebahnt sind, stehen der konkrete spätere Veräußerungspreis und der Zeitpunkt der Fälligkeit nicht sicher fest, so dass der Stpfl. anhand von Angeboten, Vertragsentwürfen oder anderen Dokumenten nachweisen müsse, dass er mit dem Sicherungsgeschäft ausschließlich den zukünftigen Veräußerungspreis absichern wollte.

43 BMF v. 5.10.2020 – IV C 2 - S 2750-a/19/10005 :002 – DOK 2020/0973310, BStBl. I 2020, 1033 = FR 2020, 1066.

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Eine lediglich unspezifische Veräußerungsabsicht begründe dagegen nicht den erforderlichen Veranlassungszusammenhang zwischen Grundund Sicherungsgeschäft. Denn Gewinne aus Währungskurssicherungsgeschäften wiesen nur dann eine größere Nähe zur Anteilsveräußerung als zum laufenden Gewinn auf, wenn das „auslösende Moment“ für die Entstehung solcher Gewinne in dem konkreten Plan des Stpfl. liege, bei einer konkret beabsichtigten Veräußerung den zu erwartenden Erlös unbeeinflusst von Währungskursschwankungen zu vereinnahmen. Der Zweck des Sicherungsgeschäfts müsse aus Sicht des Veräußerers ausschließlich auf Minimierung des Währungskursrisikos in Bezug auf die konkret erwarteten Veräußerungserlöse aus der Anteilsveräußerung ausgerichtet sein. Sofern ein Sicherungsgeschäft dagegen der allgemeinen Absicherung gegen Währungskursschwankungen oder der Finanzierung eines in einer Fremdwährung abgeschlossenen Anteilserwerbs diene, sei der für die Anwendung des § 8b Abs. 2 KStG erforderliche Veranlassungszusammenhang nicht gegeben. Bei jeder späteren Änderung oder Anpassung des Währungssicherungsgeschäfts (zB Verlängerung der Laufzeit des Sicherungsgeschäfts) muss erneut durch äußere Merkmale nachgewiesen werden, dass weiterhin ausschließlich das Währungskursrisiko in Bezug auf den Veräußerungspreis der geplanten konkreten Anteilsveräußerung abgesichert werden soll. Wenn bei Abschluss des Währungssicherungsgeschäfts der erforderliche Veranlassungszusammenhang entsprechend den vorstehenden Grundsätzen nicht vorlag, könne diese fehlende Voraussetzung nicht rückwirkend dadurch geheilt werden, dass im Rahmen einer späteren Änderung oder Anpassung des Sicherungsgeschäfts erstmals eine konkrete Veräußerungsabsicht durch äußere Merkmale nachgewiesen wird. Sofern die spätere Anpassung oder Änderung des Sicherungsgeschäfts ohne Realisierung der bis zu diesem Zeitpunkt eingetretenen Währungskursdifferenzen erfolgt, sei der für die Anwendung des § 8b Abs. 2 KStG erforderliche Veranlassungszusammenhang insgesamt nicht gegeben. Denn in dieser Konstellation liege der Zweck des Sicherungsgeschäfts nicht ausschließlich darin, den Erlös aus einer konkret geplanten Anteilsveräußerung unbeeinflusst von Währungskursschwankungen vereinnahmen zu können. Falls dagegen zum Zeitpunkt der Anpassung oder Änderung des Sicherungsgeschäfts die bis dahin bereits eingetretenen Währungsdifferenzen realisiert werden, sei diese besondere Form der Vertragsanpassung quali42

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tativ mit dem Abschluss eines neuen Währungssicherungsgeschäfts vergleichbar. Der BFH wird sich im anhängigen Revisionsverfahren I R 15/19 zu Währungssicherungsgeschäften als Teil eines Anteilsveräußerungsgeschäfts (und zum Betriebsausgabenabzug einer Kartellbuße) auf der Grundlage der erstinstanzlichen Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz erneut mit dem Thema beschäftigen.44 Kommentar Drüen: Die Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz betrifft angesichts der verbreiteten Absicherungspraxis des Verkaufspreises bei Fremdwährungsgeschäften zahlreiche Fälle. Der Gewinn aufgrund der Anteilsveräußerung als solcher ist nach § 8b Abs. 2 Satz 1, Satz 2, Abs. 3 Satz 1 KStG zu 95% steuerbefreit. Wechselkursschwankungen bis zum Zeitpunkt der Anteilsübertragung schlagen vollumfänglich auf den Veräußerungspreis und damit auf den Veräußerungsgewinn nach § 8b Abs. 2 Satz 1 und 2 KStG durch. Die im vergangenen Jahr an dieser Stelle erörterte Entscheidung des I. Senats, wonach der Ertrag aus einem Währungskurssicherungsgeschäft den steuerfreien Veräußerungsgewinn aus einem Anteilsverkauf erhöht,45 weist in die richtige Richtung, löst aber noch nicht alle Fragen und Fallgestaltungen. ME gehört auch der Gewinn aus den Währungssicherungsgeschäften regelmäßig zu dem zu 95% steuerbefreiten Veräußerungsgewinn iSd. § 8b Abs. 2 Satz 1 und 2 KStG.46 Zu diesem Ergebnis führen drei verschiedene Argumentationswege, die nebeneinander stehen und sich gegenseitig bestärken:47 Zum Ersten führt eine zwischen dem Veräußerungsgeschäft und den Absicherungsgeschäften bestehende

44 Auch Hinweis auf das Urteil des BFH v. 27.3.2019 – I R 20/17, BStBl. II 2020, 685 = FR 2021, 232, das die Bilanzierung von Umtauschanleihen bei Deckungsbestand sowie den Anwendungsbereich von § 8b KStG im Fall der Ausübung von Umtauschanleihen bei Deckungsbestand beim Emittenten betrifft, sowie auf LfSt. Nds. v. 15.4.2020 – S 2750a-113-St 241, StEK KStG § 8b Nr. 72 zu § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG zu Darlehenswertverlusten aufgrund von Wechselkursveränderungen und gegenläufigen Erträgen aus Sicherungsgeschäften. 45 BFH v. 10.4.2019 – I R 20/16, BStBl. II 2020, 674 = FR 2020, 1061. 46 Ebenso (mit anderer Begründung) bereits Rödder/Schumacher, DStR 2018, 705. 47 Vertiefend, auch zum Folgenden zur Steuerbefreiung eines veräußerungspreisbezogenen Währungssicherungsgewinns nach § 8b Abs. 2 KStG Drüen, DK 2019, 156 mwN.

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bilanzielle Bewertungseinheit dazu, dass diese Geschäfte auch für Zwecke der Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 2 und 3 KStG als Einheit zu behandeln sind. Zum Zweiten sind die Währungsgewinne unabhängig von den Folgen der Bildung einer bilanziellen Bewertungseinheit jedenfalls mangels rechtlicher und wirtschaftlicher Eigenständigkeit Teil des Veräußerungspreises und damit auch des Veräußerungsgewinns nach § 8b Abs. 2 Satz 1 und 2 KStG. Denn ein Absicherungsgewinn ist aufgrund fehlender wirtschaftlicher und rechtlicher Eigenständigkeit der Absicherungsgeschäfte gegenüber der eigentlichen Anteilsveräußerung Teil des Veräußerungspreises nach § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG und damit steuerbefreit. Zuletzt sollten die Währungssicherungsgewinne jedenfalls als negative Veräußerungskosten in den steuerbefreiten Veräußerungsgewinn nach des § 8b Abs. 2 Satz 1 und 2 KStG einfließen. Bei der erforderlichen, wertenden Betrachtung stehen die Währungssicherungsgeschäfte in engem zeitlichen, sachlichen und teleologischen Veranlassungszusammenhang mit dem Veräußerungsvorgang der Anteile. Dafür spricht der Zeitpunkt und Zeitraum der Absicherung und auch der Grund, weil sich erst im Laufe der Verkaufsverhandlungen die Erfüllung der Kaufpreisforderung in der Eigenwährung als unverhandelbar abgezeichnet hat und erst dadurch das Absicherungsbedürfnis für ein Fremdwährungsgeschäft ausgelöst wurde. Gerade in Abgrenzung zu anderen Präjudizien stehen die veräußerungsabsichernden Währungssicherungsgeschäfte in abgrenzbarem Gegensatz zu abstrakten Sicherungsgeschäften des laufenden Unternehmensalltags. Dabei wurden das Veräußerungsgeschäft und die Währungssicherungsgeschäfte bilanziell zu Bewertungseinheiten verklammert. Dies alles spricht dafür, bei wertender Betrachtung die Sicherungsgeschäfte auch bei der Anwendung des § 8b Abs. 2 KStG als Veranlassungseinheit zu behandeln. Durch den engen Veräußerungsbezug werden die Währungssicherungsgeschäfte in beiden Richtungen, bei einem Währungsgewinn oder -verlust, dem Sonderregime für Anteile des § 8b KStG unterstellt. Das verhindert imparitätische Rechtsfolgen, bei Gewinn § 8b KStG anzuwenden und bei Verlust einen Vollabzug vorzunehmen. Dadurch wird auch keine „Besteuerung nach Wahl“48 eröffnet. Eine Steuerbefreiung nach Wahl ist insbes. bei Veräußerungsgeschäften nicht zu befürchten, wenn der Abschluss von Währungssicherungsgeschäften nach allgemeinen Vorgaben der Unternehmensleitung zur unabdingbaren Voraussetzung des Veräu48 Zur „Besteuerung nach Wahl“ als verfassungsrechtlichem Problem bereits Birk, NJW 1984, 1325.

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ßerungsgeschäfts gemacht wird. Jedenfalls unter diesen Voraussetzungen scheidet eine situative und steueroptimierte Gestaltung im Einzelfall aus. Die Argumente sind mithin entfaltet. Ob der BFH sich dem anschließt, bleibt abzuwarten. Daneben stellt sich im Revisionsverfahren auch noch die weiterhin umstrittene Frage der Abzugsfähigkeit von Kartellbußen. Der XI. Senat des BFH hat unlängst eine eigene steuerrechtliche Beurteilung der Abschöpfungswirkung der Bußgeldentscheidung gefordert.49 Allein der regelmäßig vorgetragene Ahndungswille der Bußgeldbehörde, die erklärtermaßen nicht abschöpfen will, sperrt danach nicht bereits den Betriebsausgabenabzug.50 Nunmehr stellt sich auch im Revisionsverfahren des I. Senats die weitere Frage der (materiellen) Abschöpfungswirkung der Kartellbuße der Höhe nach.51 Hierzu sind erstinstanzlich weitere Verfahren anhängig.

49 BFH v. 22.5.2019 – XI R 40/17, BStBl. II 2019, 663 = FR 2021, 35. 50 Zum Urteil des XI. Senats bereits näher Brandis, StbJb. 2019/2020, 341 ff. 51 Dazu aus kartellrechtlicher Sicht vertiefend Drüen/Kersting, Steuerrechtliche Abzugsfähigkeit von Kartellgeldbußen des Bundeskartellamtes, 2016, 141 ff.

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Das Optionsmodell versus § 34a EStG Prof. Dr. Sebastian Benz Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf Tim Hannig, M.C.L., EMBA1 Regierungsdirektor, Düsseldorf I. Einführung II. Die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG 1. Historische Entwicklung 2. Zielsetzung und Bedeutung der Vorschrift 3. Konzeption de lege lata 4. Belastungswirkungen – Theorie und Praxis 5. Kritik a) Grundlagen b) Hohe effektive Thesaurierungsbelastung c) Starrer Nachversteuerungssatz d) Lock-in Effekt e) Umstrukturierungshemmnis 6. Vorschläge zur Modernisierung des § 34a EStG a) Ausgangslage b) Leitlinien für eine Reform des § 34a EStG c) Angleichung der effektiven Thesaurierungsbelastung d) Personalisierung des Nachversteuerungskonzepts e) Flexibilisierung der Verwendungsreihenfolge f) Erleichterung von Umstrukturierungen

g) Verfahrensrechtliche Erleichterungen III. Das Optionsmodell für Personengesellschaften 1. Historie und gesetzliche Einführung des § 1a KStG 2. Konzeption und steuerliche Wirkungen a) Regelung b) Persönlicher Anwendungsbereich c) Optionsausübung und steuerliche Wirkung der Option d) Besteuerung der optierenden Gesellschaft e) Besteuerung der Gesellschafter f) Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter g) Rückoption h) Fiktionswirkung nur für ertragsteuerliche Zwecke 3. Allgemeine Kritik a) Partielle Zielverfehlung b) Erhöhung der Rechtsunsicherheit und Komplexität c) Eingeschränkter Anwenderkreis d) Verlust der steuerlichen Vorteile der Personengesellschaft

1 Die Ausführungen von Hannig sind nicht in dienstlicher Eigenschaft gefertigt und geben ausschließlich die persönliche Sichtweise des Verfassers wieder.

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Benz/Hannig, Das Optionsmodell versus § 34a EStG e) Mögliche Aufkommensverschiebungen 4. Ausgewählte Problemfelder a) Behandlung des Sonderbetriebsvermögens b) Optierte Personengesellschaft als Organgesellschaft? c) Verzahnung der Option mit § 34a EStG

d) Option im Internationalen Steuerrecht e) Verlustvorträge und thesaurierte Gewinne als Rückoptionshemmnis f) Verfassungsrechtliche Aspekte IV. Bewertung V. Schlussbemerkung

I. Einführung Die Unternehmensbesteuerung in Deutschland ist durch ein dualistisches System gekennzeichnet. Nach dem herrschenden Dualismus der Unternehmensbesteuerung2 unterliegen Körperschaften aufgrund ihrer zivilrechtlichen Verselbstständigung als eigenständige Steuersubjekte der Körperschaftsbesteuerung und werden nach dem Trennungsprinzip besteuert, während sich die Ertragsbesteuerung von Personengesellschaften nach den einkommensteuerrechtlichen Regelungen orientiert (Transparenzprinzip). Aus diesen systematischen Unterschieden folgen auch entsprechende steuerliche Belastungsunterschiede.3 So unterliegen Unternehmensgewinne von Körperschaften bei ihrer Entstehung der Besteuerung zum proportionalen Körperschaftsteuersatz von 15% und werden auf der Ebene der Gesellschafter erst bei erfolgter Dividendenausschüttung besteuert. Hinzu kommt die Gewerbesteuer, so dass sich – in den größeren Ballungsgebieten – eine Besteuerung von 32% der Gewinne ergibt. Unter Zugrundelegung des Transparenzprinzips werden die von Personengesellschaften erwirtschafteten Gewinne – auch im Thesaurierungsfall – steuerlich unmittelbar den Gesellschaftern zugerechnet und entsprechend zum individuellen (progressiven) Einkommensteuersatz und damit oftmals zum Spitzensteuersatz von 45% besteuert. Aufgrund der begrenzten Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer resultiert hieraus eine Gesamtbelastung von etwa 47% (ohne Solidaritätszuschlag [SolZ] und Kirchensteuer).4 Eine solche Belastung ergibt sich in der Summe bei Kapitalgesellschaften erst dann, wenn der 2 Hierzu Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 10.1 ff. 3 Vgl. BT-Drucks. 19/28656, 1. 4 Im Hinblick auf die Steuerlast bei Personengesellschaften vgl. unter II.2. dieses Beitrags.

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Gewinn an die Gesellschafter ausgeschüttet wird. Demzufolge müssen Investitionen bei Personengesellschaften aus hoch versteuerten Gewinnen finanziert werden, während Kapitalgesellschaften aufgrund der günstigeren Thesaurierungsbesteuerung mehr liquide Mittel zur Verfügung stehen. Die Rechtsformabhängigkeit der Unternehmensbesteuerung und die dadurch ausgelöste unterschiedliche Besteuerung ist seit jeher Gegenstand politischer Diskussion. Eine Auflösung der Ungleichheit sollte durch die Einführung einer Thesaurierungsbegünstigung auch für Personengesellschaften durch das Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 (UntStRefG 2008) erreicht werden. Wie zu zeigen sein wird, hat der damals eingefügte § 34a EStG dieses Ziel nicht erreicht. Damit werden Personengesellschaften weiterhin hoch, im internationalen Vergleich sogar zu hoch besteuert.5 Während sich die Steuerpolitik in Deutschland in den vergangenen Jahren im Wesentlichen mit Steuertransparenz und der Verhinderung von missbräuchlichen Steuergestaltungen beschäftigt hat,6 haben andere Länder ihre Steuersysteme wesentlich reformiert und hierdurch Investitionsanreize geschaffen.7 Die entsprechenden Steuersenkungen lösten zwangsläufig eine Veränderung der internationalen Wettbewerbssituation aus. Gerade auf der Grundlage dieser internationalen Entwicklungen ist es von wesentlicher Bedeutung, die Steuerlast der Unternehmen nunmehr an das internationale Niveau anzupassen, um Deutschland weiterhin als attraktiven und konkurrenzfähigen Wirtschaftsstandort zu erhalten.8 Dabei sind vor allem auch Anpassungen für Personengesellschaften vorzunehmen, damit eine angestrebte Modernisierung der Unternehmensbesteuerung auch ihnen zugutekommt.9 Schließlich werden bedeutend viele Unternehmen – sowohl mittelständische als auch große – in der 5 Vgl. Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Beschluss v. 5.11.2019, 2, abrufbar unter https://www.cducsu.de/sites/default/files/201911/Positionspapier%20zur%20Modernisierung%20der%20Unternehmensbe steuerung_17102019…pdf. 6 Vgl. Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Beschluss v. 5.11.2019, 2 ff. 7 So ua. die USA mit ihrer US-Steuerreform „Tax Cuts and Jobs Act“ v. 22.12.2017, vgl. Ehlermann/Köhler, ISR 2018, 37. 8 Dies betonend die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD, vgl. BTDrucks. 19/29849, 29. Vgl. auch Linnemann/Weiß, IStR 2019, 692 (697); Wünnemann, DB 2019, M4. 9 Wacker, DStR 2019, 585.

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Rechtsform der Personengesellschaft geführt und sind damit für die deutsche Wirtschaft von wesentlichem Wert.10 Durch die hohe steuerliche Gesamtbelastung sind diese jedoch im internationalen Wettbewerb nicht mehr konkurrenzfähig. Vor diesem Hintergrund haben sich zwei wesentliche Vorschläge zur Modifizierung des Besteuerungssystems für Personengesellschaften herauskristallisiert. So wird zum einen der Ansatz vertreten, die Regelung des § 34a EStG so zu verbessern, dass Personenunternehmen annähernd gleich zu Kapitalgesellschaften belastet werden und damit die Regelung von wesentlich mehr Personengesellschaften als bisher genutzt werden kann. Der zweite Ansatz sieht eine rechtsformneutrale Besteuerung durch die Einführung eines Optionsmodells vor, so dass Personengesellschaften sich wie eine Kapitalgesellschaft besteuern lassen können. Der Gesetzgeber hat sich (vorläufig) für die gesetzliche Umsetzung des letztgenannten Vorschlags entschieden: Das Optionsmodell wurde durch das Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts (KöMoG) vom 25.6.202111 in § 1a KStG gesetzlich verankert. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit diesem Optionsmodell, zeigt aber zugleich die immer noch notwendigen Verbesserungen bei der Thesaurierungsbegünstigung auf, von denen zu hoffen ist, dass sie in der kommenden Legislaturperiode umgesetzt werden.

II. Die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG 1. Historische Entwicklung Die Thesaurierungsbegünstigung ist Ausfluss der Unternehmensteuerreform 2008 und das Ergebnis umfassender Diskussionen über eine möglichst rechtsform- und finanzierungsneutrale Konzeption der Besteuerung von Unternehmen.12 Der Gesetzgeber hat § 34a EStG als flankierende Maßnahme zur Absenkung des Körperschaftsteuertarifs von

10 Vgl. Köster/Kettler, FR 2020, 19. Gerade erfolgreiche Familienunternehmen werden in der Rechtsform einer KG oder OHG geführt, vgl. Mitteilung des BMF im Hinblick auf den Gesetzentwurf zum KöMoG, abrufbar unter https:// www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Geset zesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/19_Legislaturperiode/Gesetze_Verord nungen/2021-04-19-KoeMoG/0-Gesetz.html. 11 BGBl. I 2021, 2050. 12 Vgl. Ratschow in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 34a EStG Rz. 2 (Juni 2020).

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zuvor 25% auf 15% im Rahmen des UntStRefG 2008 vom 14.8.200713 eingeführt. Durch die Absenkung der tariflichen Steuerbelastung für Kapitalgesellschaften bestand Handlungsbedarf, um die Tarifspreizung zwischen Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen nicht weiter auszuweiten. Grundidee der Thesaurierungsbegünstigung ist, die für die thesaurierten Gewinne geltenden Tarifbedingungen der Kapitalgesellschaften auf Personenunternehmen zu übertragen, indem Personenunternehmen die Möglichkeit erhalten sollen, einbehaltene Gewinne einem begünstigten Sondertarif zu unterwerfen. Der Gesetzgeber hat sich mit der Thesaurierungsbegünstigung letztendlich für ein einkommensteuerrechtliches Integrationsmodell entschieden,14 dh. die Angleichung der Belastungsunterschiede zwischen Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften findet lediglich auf der Tarifebene statt (Tariflösung). Weitergehende Reformvorschläge zur Herstellung von Belastungs- bzw. Rechtsformneutralität, wie sie im Vorfeld der Unternehmensteuerreform 2008 ebenfalls diskutiert worden waren, konnten sich aufgrund von erwarteten Implementierungsproblemen und haushalterischen Gründen nicht durchsetzen.15

2. Zielsetzung und Bedeutung der Vorschrift Mit der Einführung des § 34a EStG hat der Gesetzgeber nicht nur am bestehenden System einer dualen Unternehmensbesteuerung festgehalten, sondern er fügte diesem System mit der Thesaurierungsbegünstigung noch eine weitere Komponente hinzu.16 Die strukturellen Abweichungen in der Besteuerung von Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften werden durch § 34a EStG nicht beseitigt, da keine echte Trennung zwischen Unternehmens- und Gesellschaftersphäre erfolgt. § 34a EStG stellt mithin eine reine Tariflösung dar, die annähernde Belastungsgleichheit, jedoch keine Rechtsformneutralität erreichen kann. Nach der Gesetzesbegründung verfolgt der Gesetzgeber mit der Sondertarifierung verschiedene Zwecke.17 Dabei ist primäres Ziel, annähernde Belastungs13 BGBl. I 2007, 1912. 14 Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 13.182. 15 Vgl. BR-Drucks. 220/07, 2; Überblick zu den Vorschlägen bei Stapperfend, FR 2005, 74 ff.; Schneider/Wesselbaum-Neugebauer, FR 2011, 166 (168 f.); s. auch Brühler Empfehlungen zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Schriftenreihe des BMF, Heft 66, 1999, 72 ff. 16 Wacker, DStR 2019, 585 (586) spricht in diesem Zusammenhang vom Trialismus der Unternehmensbesteuerung. 17 Vgl. BT-Drucks. 16/4841, 1–2, 62.

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gleichheit von Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften herzustellen. Daneben geht es dem Gesetzgeber auch darum, die Eigenkapitalausstattung von Personenunternehmen zu stärken sowie die Investitionsmöglichkeiten von Personenunternehmen zu verbessern. § 34a EStG wurde nicht für die breite Masse von Personenunternehmen konzipiert. Adressat der Thesaurierungsbegünstigung sind nach der klar formulierten Vorstellung des Gesetzgebers die ertragsstarken und im internationalen Wettbewerb stehenden Personenunternehmen,18 die der Progression mit dem Spitzensteuersatz unterfallen. Kleine und mittlere (ertragsschwächere) Personenunternehmen gehören nicht zur Zielgruppe der Begünstigungsnorm.19 Das ist im Grundansatz richtig, da ertragsschwache Personenunternehmen regelmäßig vom progressiven Einkommensteuertarif profitieren, der zu einer – verglichen mit Kapitalgesellschaften – geringeren Steuerbelastung führt.20 Aufgrund seiner konzeptionellen Ausrichtung auf große profitable Personenunternehmen wird § 34a EStG in der Praxis grundsätzlich auch nur von einem begrenzten Anwenderkreis in Anspruch genommen.21 Mit Blick auf das nachversteuerungspflichtige Volumen von über 5 Mrd. t pro Jahr22 ist gleichwohl zu konstatieren, dass § 34a EStG für diese Zielgruppe eine gegenüber der Regelbesteuerung rentable Option darstellt.23 Die komplexe Handhabung der Vorschrift, der mit der Vorteilhaftigkeitsanalyse verbundene Prognose- und Beratungsaufwand sowie die ungeklärten Anwendungsfragen werden dabei vom Anwenderkreis in Kauf genommen. Allerdings verhindern diese auch eine weite Inanspruchnahme der Begünstigung, so dass das gesetzliche Ziel, die Verbesserung der Finanzsituation von Personengesellschaften, nur sehr unzureichend erreicht wird.

3. Konzeption de lege lata Die Besteuerungsmechanik des § 34a EStG unterscheidet sich insofern grundlegend von der Körperschaftsteuer, als die Thesaurierungsbegünstigung nicht auf Gesellschaftsebene greift, sondern aufgrund des Trans18 19 20 21

Vgl. BT-Drucks. 16/4841, 1–2. Vgl. BT-Drucks. 19/6308, 9. Vgl. Schneider/Wesselbaum-Neugebauer, FR 2011, 166 (167). Vgl. BT-Drucks. 19/6308, 7, wonach die Vorschrift pro Jahr im Durchschnitt in rd. 6 500 Fällen zur Anwendung gelangt. 22 Vgl. BT-Drucks. 19/6308, 9. 23 So auch Blöchle/Menninger, DStR 2016, 1974; Prinz, FR 2010, 741.

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parenzprinzips erst auf Gesellschafterebene.24 Die Anlehnung an die zwei Besteuerungsebenen der Kapitalgesellschaft ist dennoch offenkundig: § 34a EStG ist als zweistufiger Sondertarif ausgestaltet, der sich aus einer Thesaurierungssteuer und einer späteren Nachsteuer zusammensetzt. Auf der Thesaurierungsebene können nicht entnommene Gewinne auf Antrag des Stpfl. einer gesonderten Thesaurierungssteuer von 28,25% (zzgl. SolZ) unterworfen werden (§ 34a Abs. 1 Satz 1 EStG), was in etwa der aus Körperschaft- und Gewerbesteuer zusammengesetzten Thesaurierungsbelastung bei Kapitalgesellschaften entspricht. Kommt es in späteren Veranlagungszeiträumen zu „gewinnübersteigenden“ Entnahmen (§ 34a Abs. 4 Satz 1 EStG) oder wird ein entnahmeunabhängiger Nachversteuerungstatbestand erfüllt (§ 34a Abs. 6 Satz 1 EStG), sind die begünstigt besteuerten Gewinne nach § 34a Abs. 4 Satz 2 EStG – in Anlehnung an den Abgeltungsteuersatz bei Dividenden – mit einem pauschalen Steuersatz von 25% (zzgl. SolZ) nachzuversteuern. Damit ergibt sich unter Berücksichtigung der Nachversteuerung eine nominale Gesamtbelastung von 48,29% (ab VZ 2020: 47,55%) bei Anwendung von § 34a EStG gegenüber einer Gesamtbelastung von 47,44% (ab VZ 2020: 46,70%) bei Regelversteuerung.25 Auf den ersten Blick mag verwundern, dass sich bei Inanspruchnahme der Thesaurierungsbegünstigung eine höhere Gesamtsteuerbelastung ergibt als bei regulärer Besteuerung. Eine solche statische Sichtweise berücksichtigt jedoch nicht, dass § 34a EStG keine echte Steuerminderung bewirkt, sondern der Vorteil bei Thesaurierung in der Stundungswirkung durch die später eintretende Endbesteuerung und dem daraus resultierenden Zinseffekt besteht.26 Die Thesaurierungsbegünstigung ist als antragsgebundenes Wahlrecht ausgestaltet. Antragsberechtigt sind nur natürliche Personen, die als Einzelunternehmer oder Mitunternehmer ihre Gewinne nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG ermitteln.27 Auch Gewinnanteile des persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA sind begünstigt. § 34a EStG ist darüber hinaus betriebs-, personen- und veranlagungszeitraumbezogenen kon24 Hey in Stiftung Familienunternehmen (Hrsg.), Belastung thesaurierender Personenunternehmen, 2000, 6. 25 Zum Belastungsvergleich und den gesetzten Annahmen s. Übersicht unter II.4. Bei der ermäßigenden Berücksichtigung der GewSt. bei der ESt. nach § 35 EStG ist der Faktor ab dem VZ 2020 von 3,8 auf 4,0 angehoben worden. 26 Vgl. Kessler/Pfuhl in Festschrift Horst Kary, 2009, 59 (70). 27 Bei Mitunternehmern besteht die Einschränkung, dass ihr Gewinnanteil mehr als 10% betragen oder 10.000 t übersteigen muss (§ 34a Abs. 1 Satz 3 EStG). Zum Hintergrund der sog. „Fondsklausel“ vgl. BT-Drucks. 16/4841, 63.

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zeptioniert.28 Der Stpfl. kann die Begünstigung für jeden Betrieb oder Mitunternehmeranteil und für jeden Veranlagungszeitraum gesondert beantragen. Die Antragstellung erfolgt unabhängig von der Entscheidung der anderen Mitunternehmer. Auch eine Mindestbindungsfrist besteht nicht. Dass der Antrag darüber hinaus bis zur Unanfechtbarkeit (formelle Bestandskraft) des Einkommensteuerbescheids für den nächsten Veranlagungszeitraum zurückgenommen werden kann, unterstreicht die hohe Flexibilität des Instruments der Thesaurierungsbegünstigung.29

4. Belastungswirkungen – Theorie und Praxis Bei Betrachtung der nominalen Steuersätze von Thesaurierungssteuer und Nachsteuer liegt der Schluss nahe, dass der Gesetzgeber die Zielvorgabe annähernder Belastungsgleichheit sowohl der auf Thesaurierungsals auch auf der Nachbelastungsebene erreicht hat. Insbes. aufgrund der speziellen Ausgestaltung des § 34a Abs. 2 EStG hinsichtlich der Ermittlung des „nicht entnommenen Gewinns“ ergibt sich indes in der Praxis eine weit höhere Effektivbelastung auf der Thesaurierungsebene als die vom Gesetz implizierte Nominalbelastung von 29,77% (ab VZ 2020: 29,03%). Einen Gewerbesteuerhebesatz von 400%, eine Anrechnung der GewSt. mit dem Faktor 3,8 nach der bisherigen Fassung des § 35 EStG (bis VZ 2019) und die Anwendung des Einkommensteuerspitzensatzes von 45% auf (Mit-)Unternehmerebene unterstellt, entstehen folgende Belastungswirkungen (ohne Kirchensteuer, ohne Steuervorauszahlungen) im Vergleich zur Kapitalgesellschaft (mit Abgeltungsteuer);30 in Klammern sind jeweils die Werte bei Anrechnung der Gewerbesteuer mit dem geänderten Faktor von 4,0 nach § 35 EStG nF31 (ab VZ 2020) angegeben, sofern diese abweichen:

28 Vgl. Wacker in Schmidt, EStG40, § 34a Rz. 21. 29 Hey, DStR 2007, 925 (929); Kessler/Pfuhl in Festschrift Horst Kary, 2009, 59 (63). 30 Vgl. auch die Berechnungen bei Förster, Ubg. 2008, 185; Kessler/Pfuhl in Festschrift Horst Kary, 2009, 59 (66 f., 70 f.). 31 Vgl. Zweites Corona-Steuerhilfegesetz v. 29.6.2020, BGBl. I 2020, 1512 ff.

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Benz/Hannig, Das Optionsmodell versus § 34a EStG Ohne § 34a EStG

Mit § 34a Mit § 34a EStG EStG (nominal) GewSt. (effektiv)

Mit § 34a EStG Steuerentnahmen (effektiv)

Kapitalgesellschaft (mit Abgeltungsteuer)

100,00

100,00

100,00

100,00

100,00

./. 14,00

./. 14,00

./. 14,00

./. 14,00

./. 14,00

Begünstigungsbetrag

100,00

86,00

63,84

ESt. § 34a EStG

./. 28,25

./. 24,30

./. 18,03

./. 6,30

./. 16,27

13,30 [14,00]

13,30 [14,00]

13,30 [14,00]

./. 31,70 ./. 14,95 [./. 31,00] [./. 14,25]

./. 17,30 [./. 16,60]

./. 21,01 [./. 20,30]

./. 0,82 [./. 0,78]

./. 0,95 [./. 0,91]

./. 1,15 [./. 1,16]

./. 0,83

./. 47,44 ./. 29,77 [./. 46,70] [./. 29,03]

./. 32,25 [./. 31,51]

./. 36,16 [./. 35,46]

./. 29,83

70,23 [70,97]

67,75 [68,49]

63,84 [64,54]

70,17

Nachzuversteuernder Betrag

70,20

60,37

44,82

ESt. 25% + SolZ

./. 18,52

./. 15,92

./. 11,82

./. 18,51

./. 47,44 ./. 48,29 [./. 46,70] [./. 47,55]

./. 48,17 [./. 47,43]

./. 47,98 [./. 47,28]

./. 48,34

Gewinn vor Steuer GewSt.

ESt. Regelbesteuerung/ KSt. abzgl. GewSt.Anrechnung ESt. nach Anrechnung SolZ (5,5%) Thesaurierungsbelastung ausschüttungsfähig

Gesamtsteuerbelastung

./. 45,00

13,30 [14,00]

./. 1,74 [./. 1,70]

52,56 [53,30]

./. 15,00

5. Kritik a) Grundlagen Die derzeitige Ausgestaltung des § 34a EStG offenbart – gemessen an dem Primärziel, annähernde Belastungsgleichheit mit der Kapitalgesell57

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schaft herzustellen – Schwächen in konzeptioneller und technischer Hinsicht, die die Anwendbarkeit und Wirkung der Vorschrift in der Praxis einschränken. Auf diese Mängel weisen Literatur und Praxis schon seit langem hin.32 Hauptursache dafür, dass die Thesaurierungsbegünstigung ihr Potential nicht voll entfalten kann, ist ihre naturgemäß konzeptionelle Verhaftung im System der Einkommensteuer. Das Ziel annähernder Belastungsgleichheit wird nicht konsequent genug umgesetzt; die strukturellen Unterschiede zur Besteuerungssystematik von Kapitalgesellschaften bleiben im Kern bestehen. b) Hohe effektive Thesaurierungsbelastung Ausgangspunkt der Kritik ist die hohe effektive Thesaurierungsbelastung, die dazu führt, dass die Nachteile der thesaurierenden Personengesellschaft gegenüber Kapitalgesellschaften de facto nicht vollständig beseitigt werden.33 Der nominal vom Gesetzgeber vorgesehene Thesaurierungssatz suggeriert, dass sich die Thesaurierungsbelastung annähernd wie bei Kapitalgesellschaften auswirkt. Theorie und Praxis weichen allerdings aufgrund der besonderen, am Besteuerungssystem von Personenunternehmen orientierten Konzeption des § 34a EStG voneinander ab. Ursächlich für diese Spreizung zwischen Nominal- und Effektivbelastung auf der Thesaurierungsebene ist die Begriffsdefinition des nicht entnommenen Gewinns in § 34a Abs. 2 EStG, die für die Ermittlung des begünstigungsfähigen Gewinns nicht an den steuerpflichtigen Gewinn, sondern den Steuerbilanzgewinn anknüpft. Nicht abziehbare Betriebsausgaben, insbes. die GewSt., zählen daher nicht zum nicht entnommenen Gewinn; sie sind dementsprechend zum Regelsatz zu versteuern. Auch die zur Begleichung der Thesaurierungssteuer entnommenen Beträge mindern als Entnahme nach der Konzeption des § 34a Abs. 2 EStG den begünstigungsfähigen Gewinn. Hintergrund für diese gesetzliche Ausgestaltung ist die an sich zutreffende Sichtweise, dass nicht abziehbare Betriebsausgaben und gezahlte Steuern tatsächlich verausgabt sind und somit für eine Thesaurierung nicht zur Verfügung stehen können.34 Andererseits wird dadurch die Möglichkeit zur begünstigten Vollthesau32 Statt vieler Dörfler/Fellinger/Reichl, Beihefter zu DStR 29/2009, 69 ff.; Fechner/Bäuml, DB 2008, 1652 ff.; aktuell auch Hey in Stiftung Familienunternehmen (Hrsg.), Belastung thesaurierender Personenunternehmen, 2000, 8 ff. 33 Vgl. Fechner/Bäuml, DB 2008, 1652 (1653) mwN; Ratschow in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 34a EStG Rz. 5 (Juni 2020). 34 Vgl. BT-Drucks. 16/4841, 63.

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rierung faktisch ausgeschlossen; die effektive Steuerbelastung steigt – unter den oben gesetzten Annahmen – von 29,77% [ab VZ 2020: 29,03%] auf bis zu 36,16% [ab VZ 2020: 35,46%] an.35 Während bei der vollthesaurierenden Kapitalgesellschaft nach Abzug von Ertragsteuern und SolZ 70,17% für Reinvestitionen zur Verfügung steht, sind es bei einem Personenunternehmen, das § 34a EStG in Anspruch nimmt, nur 63,84% [ab VZ 2020: 64,54%].36 Das Ziel des Gesetzgebers, annähernde Belastungsneutralität auf der Thesaurierungsebene herzustellen, wird faktisch verfehlt.37 Es ist zwar zu berücksichtigen, dass durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz vom 29.6.202038 der Anrechnungsfaktor in § 35 Abs. 1 Satz 1 EStG für die GewSt. ab dem VZ 2020 von dem 3,8 fachen auf das 4 fache des Gewerbesteuermessbetrags erhöht wurde, was unter den gesetzten Annahmen auch zu leicht verbesserten Belastungswerten bei der Thesaurierungsbegünstigung führt. Der effektive Thesaurierungsvorteil von Kapitalgesellschaften bleibt allerdings auch unter diesen für Personenunternehmen leicht verbesserten Bedingungen evident. Der effektive Thesaurierungsnachteil bei Personenunternehmen im Rahmen des § 34a EStG wird auch nicht durch die (theoretische) Möglichkeit kompensiert, dass Entnahmen für die Thesaurierungssteuer aus steuerfreien Gewinnen finanziert werden können. Steuerfreie Gewinne sind aufgrund der Anknüpfung an den Steuerbilanzgewinn formal im begünstigungsfähigen Betrag enthalten, können jedoch wegen ihrer Steuerfreiheit tatsächlich keiner ermäßigten Besteuerung unterliegen. Entnahmen werden daher vorrangig von den steuerfreien Gewinnanteilen des laufenden Wj. abgezogen.39 Durch die implizite Verrechnung steuerfreier Gewinne mit Entnahmen kann der Umfang des begünstigungsfähigen Betrags optimiert werden. Diese Möglichkeit kann allerdings nur von den Personenunternehmen genutzt werden, die über ausreichend steuerfreie Gewinne aus Freistellungsbetriebsstätten oder durch das Teilein35 Zu einem weiteren Anstieg der Effektivbelastung auf rd. 38% kommt es, wenn Steuervorauszahlungen aus Entnahmen bestritten werden müssen. Denn auch diese mindern den begünstigungsfähigen Gewinn iSd. § 34a Abs. 2 EStG. Andererseits sind Begünstigungsbeträge iSd. § 34a Abs. 3 Satz 1 EStG im Rahmen der Einkommensteuer-Vorauszahlungen gem. § 37 Abs. 3 Satz 5 nicht zu berücksichtigen. 36 S.o. II.4. 37 Vgl. Hey, DStR 2007, 925 ff.; Ratschow in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 34a EStG Rz. 5 (Juni 2020). 38 BGBl. I 2020, 1513. 39 Vgl. BT-Drucks. 16/4841, 63.

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künfteverfahren befreite Dividenden oder Veräußerungsgewinne verfügen.40 c) Starrer Nachversteuerungssatz Der Umstand, dass begünstigt versteuerte Gewinne bei späterer Entnahme nachbelastet werden, ist folgerichtig und im Grundansatz nicht zu beanstanden. Insofern wollte der Gesetzgeber auch nur diejenigen Gewinne begünstigen, die im Unternehmen verbleiben und dort für Reinvestitionen unmittelbar zur Verfügung stehen. Kritikpunkt ist allerdings der starre Nachversteuerungssatz von 25%.41 Dieser orientiert sich offenkundig an dem Abgeltungsteuersatz für Dividendenausschüttungen, wobei jedoch keine Option zur Besteuerung nach dem individuellen Steuersatz besteht. Zwischen dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Thesaurierungsbegünstigung und dem Entnahmezeitpunkt kann sich die individuelle Steuersituation des Unternehmers allerdings ändern und sich seine Leistungsfähigkeit verschlechtern. Bei einer starren Nachbelastung von 25% wird einer (temporär) verminderten Leistungsfähigkeit im Entnahmezeitpunkt nicht hinreichend Rechnung getragen. Die Höhe der Nachversteuerung bedingt insgesamt eine höhere Belastung als sie bei regulärer Sofortversteuerung ohne § 34a EStG entstanden wäre. Das führt, zusammen mit der hohen effektiven Thesaurierungsbelastung im Ergebnis dazu, dass die Thesaurierungsbegünstigung regelmäßig nur für dem Spitzensteuersatz unterliegende Stpfl. mit keinem oder geringem Entnahmebedarf vorteilhaft ist.42 Je weiter sich der individuelle Steuersatz vom Spitzensatz entfernt, desto länger müssen die thesaurierten Gewinne im Unternehmen belassen werden, um den Nachversteuerungsnachteil über die Thesaurierungsdauer (Zinseffekt) zu kompensieren.43 Bei einem persönlichen Steuersatz von unter 42% kann realistischerweise aufgrund der hohen Thesaurierungsdauer eine Vorteilhaftigkeit des § 34a EStG nicht mehr angenommen werden.44 40 Dörfler/Fellinger/Reichl, Beihefter zu DStR 29/2009, 69 (70). 41 Vgl. Hey in Stiftung Familienunternehmen (Hrsg.), Belastung thesaurierender Personenunternehmen, 2000, 15; Ratschow in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 34a EStG Rz. 5 (Juni 2020). 42 Vgl. Knief/Nienhaber, BB 2007, 1309 (1312 ff.); Niehus/Wilke in Herrmann/ Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 34a EStG Rz. 4 (Okt. 2017). 43 Vgl. Kessler/Pfuhl in Festschrift Horst Kary, 2009, 59 (72 f.). 44 Vgl. Niehus/Wilke in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 34a EStG Rz. 4 (Okt. 2020) mwN.

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Das bedingt zumindest eine Schlechterstellung von ertragsstarken (Mit-)Unternehmern mit niedrigerem persönlichen Einkommensteuersatz;45 ertragsschwache Personenunternehmen profitieren dagegen in jedem Fall vom progressiven Einkommensteuertarif. Zudem dürfte das Risiko einer zeitnahen Nachversteuerung ohne Berücksichtigung der individuellen steuerlichen Verhältnisse des Stpfl. im Entnahmezeitpunkt viele Stpfl. von vornherein davon abhalten, die Thesaurierungsbegünstigung in Anspruch zu nehmen. Bei Anteilseignern von Kapitalgesellschaften findet die persönliche Steuersituation hingegen stärkere Berücksichtigung: Im System der Abgeltungsteuer wird die persönliche Steuersituation durch die Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG berücksichtigt; wenn die Beteiligung im Betriebsvermögen gehalten wird, wird der Belastungssituation des Stpfl. im Rahmen des Teileinkünfteverfahrens Rechnung getragen. Eine Gleichbehandlung mit Kapitalgesellschaften sollte daher auch bei einer späteren Entnahme der thesaurierten Gewinne stattfinden. Ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung ist nicht erkennbar. d) Lock-in Effekt Mit der Intention, die Eigenkapitalausstattung von Personenunternehmen zu stärken, hat der Gesetzgeber die Verwendungsfreiheit von Gewinnentnahmen eingeschränkt. Nach der in § 34a Abs. 4 Satz 1 EStG festgeschriebenen Verwendungsreihenfolge gilt stets vorrangig der Nachversteuerungsbetrag als entnommen, sobald der Saldo aus Entnahmen und Einlagen den laufenden Gewinn übersteigt. Die Verwendungsreihenfolge des positiven Saldos aus Entnahmen und Einlagen ist wie folgt aufgebaut:46 1. positiver steuerfreier Gewinn des laufenden Jahres, 2. positiver steuerpflichtiger Gewinn des laufenden Jahres, 3. nicht entnommene und nach § 34a EStG begünstigte Gewinne der Vorjahre, 4. steuerfreie und nicht entnommene mit dem persönlichen Steuersatz versteuerte Gewinne der Vorjahre.

45 Vgl. Hey in Stiftung Familienunternehmen (Hrsg.), Belastung thesaurierender Personenunternehmen, 2000, 15. 46 BMF v. 11.8.2008 – IV C 6 - S 2290-a/07/10001 – DOK 2008/0431405, BStBl. I 2008, 838 = FR 2008, 930 Rz. 29.

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Gewinnübersteigende Entnahmen lösen demnach zwangsläufig eine Nachversteuerung aus, obwohl ggf. regelbesteuerte Gewinne und/oder steuerfreie Gewinne aus früheren Veranlagungszeiträumen vorhanden sind. Lediglich im Jahr der Gewinnentstehung können regelbesteuerte Gewinne und steuerfreie Gewinne nachbelastungsfrei aus dem Unternehmen entnommen werden. Thesaurierte regelbesteuerte und steuerfreie Gewinne bleiben demnach solange im Unternehmen „eingeschlossen“, bis der Nachversteuerungsbetrag verbraucht ist. Bei der Schaffung der Verwendungsreihenfolge ging der Gesetzgeber wohl von der zweifelhaften Prämisse aus, dass im Unternehmen „eingesperrte“ Gewinne volkswirtschaftlich nützlicher sind als entnommene Gewinne.47 Auch Vereinfachungsüberlegungen mögen den Gesetzgeber dazu verleitet haben, eine Verwendungsreihenfolge in das Gesetz zu schreiben. Der Einsperreffekt erweist sich aus zwei Gründen als problematisch. Zum einen kann er volkswirtschaftlich zu schädlichen Fehlallokationen führen. Denn der Unternehmer wird de facto daran gehindert, die regelversteuerten Gewinne eines unter Renditegesichtspunkten vorteilhafteren Investments zuzuführen. Zum anderen setzt der Einsperreffekt dem Zweck der Eigenkapitalbildung zuwiderlaufende Entnahmeanreize.48 Um die Einschließung steuerfreier und regelversteuerter Gewinne zu vermeiden, behilft sich die Praxis mit Ausweichgestaltungen. Solche Gewinne werden daher regelmäßig nicht im Unternehmen belassen, sondern vorsorglich im Jahr der Gewinnentstehung nachversteuerungsfrei entnommen und das Kapital an anderer Stelle geparkt.49 Das gesetzgeberische Ziel, die Eigenkapitalausstattung von Personenunternehmen zu fördern, wird durch solche Vorwegentnahmen konterkariert. e) Umstrukturierungshemmnis Aufgrund der gesetzlich in § 34a Abs. 6 Satz 1 EStG angeordneten Zwangsnachversteuerung bei bestimmten Umstrukturierungsmaßnahmen (zB Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft, Einbringung der Mitunternehmeranteile in eine Kapitalgesellschaft, § 6 Abs. 3 EStG) ist der thesaurierende Unternehmer in seiner Unternehmensstruktur weitgehend „gefangen“. Denn betrieblich notwendige Umstrukturierungen müssen, sofern dadurch ein Nachversteuerungstatbestand ausgelöst wird, mit der sofortigen und vollständigen Nachbelastung des Thesaurie47 Vgl. Reddig in Kirchhof, EStG20, § 34a Rz. 73. 48 Vgl. Hey, DStR 2007, 925 (929). 49 Vgl. Kessler/Pfuhl in Festschrift Horst Kary, 2009, 59 (75) mwN.

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rungsvolumens „erkauft“ werden. Die im Gesetz in § 34a Abs. 6 Satz 2 EStG vorgesehene Stundungsmöglichkeit greift nur in Härtefällen ein und dürfte damit im Regelfall keine Hilfe darstellen. Hintergrund für eine entnahmeunabhängige Nachversteuerung in den Fällen des Formwechsels, der Einbringung oder der unentgeltlichen Übertragung eines Mitunternehmeranteils auf eine Körperschaft ist, dass mit diesen Umstrukturierungsmaßnahmen ein Wechsel des Besteuerungsregimes einhergeht.50 Um die Nachbelastung noch im System des § 34a EStG, der als einkommensteuerliche Tarifvorschrift nur für natürliche Personen gilt, sicherstellen zu können, ordnet der Gesetzgeber eine Schlussbesteuerung im Regime der Einkommensteuer an. Der Gedanke ist nachvollziehbar, sofern davon ausgegangen wird, dass eine Nachbelastung im kapitalistischen Besteuerungsregime nicht in gleicher Weise sichergestellt ist wie im System der Einkommensteuer. Die Ersatznachversteuerung läuft jedoch der Zielsetzung des Umwandlungssteuergesetzes diametral entgegen, betriebswirtschaftlich sinnvolle Umstrukturierungen steuerlich nicht zu belasten, wenn die begünstigten Gewinne in der betrieblichen Sphäre steuerverhaftet bleiben. Neben der hohen Effektivbelastung dürfte die aus der Vorschrift resultierende faktische Umwandlungssperre ein weiterer Grund für die zurückhaltende Inanspruchnahme der Thesaurierungsbegünstigung sein. Die Praxis behilft sich in diesen Fällen mit einem Fortbestand der thesaurierenden Personengesellschaft, indem 99,99% der Kapitalanteile an der Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft eingebracht werden und ein kleiner Splitteranteil zurückbehalten wird. Dies reicht aus, um eine Nachbesteuerung zu verhindern.51

6. Vorschläge zur Modernisierung des § 34a EStG a) Ausgangslage Forderungen nach einer Verbesserung der Thesaurierungsbegünstigung existieren schon lange. Sie haben durch den Entschließungsantrag des 50 Vgl. BT-Drucks. 16/4841, 64; BT-Drucks. 18/12128, 29. 51 Vgl. BMF v. 11.8.2008 – IV C 6 - S 2290-a/07/10001 – DOK 2008/0431405, BStBl. I 2008, 838 = FR 2008, 930 Rz. 42, 43; Niehus/Wilke in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 34a EStG Rz. 97 (Okt. 2017): Eine Nachversteuerung wird nicht ausgelöst, wenn ein Restbetriebsvermögen des Einbringenden verbleibt. In diesem Fall bestehe schließlich auch künftig die Möglichkeit einer Nachversteuerung, vgl. Niehus/Wilke, DStZ 2009, 14 (26).

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Landes Nordrhein-Westfalen im Bundesrat aus dem Jahr 201852, das Positionspapier „Modernisierung der Unternehmensbesteuerung in Deutschland“ der CDU/CSU-Fraktion vom 5.11.201953 sowie die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Altmaier für eine mögliche Reform der Unternehmensbesteuerung54 wieder an politischer Aktualität gewonnen. b) Leitlinien für eine Reform des § 34a EStG Der derzeitige § 34a EStG ist hinsichtlich seiner Zielsetzung mehrdimensional ausgerichtet und versucht Belastungsangleichungsziele, fiskalische Ziele sowie Lenkungsziele (Förderung der Eigenkapitalausstattung, Verbesserung von Investitionsmöglichkeiten) miteinander zu verbinden. Hinzu kommt, dass § 34a EStG konzeptionell in das System der Einkommensteuer eingebettet ist und das Ziel annähernder Belastungsgleichheit nicht konsequent genug umgesetzt wird. Diese Umstände mindern die Vorteilhaftigkeit der Thesaurierungsbegünstigung erheblich und verhindern eine breitere Inanspruchnahme durch den Mittelstand. Die hier beschriebenen Vorschläge zur Modernisierung des § 34a EStG gehen von der ursprünglichen Idee aus, annähernde Belastungsgleichheit von Personenunternehmen mit Kapitalgesellschaften herzustellen und orientieren sich weitestgehend an den nachfolgend aufgeführten Leitlinien: –

Ausrichtung am prioritären Ziel der Belastungsgleichheit, wobei die Besteuerung von thesaurierten Gewinnen auf der Thesaurierungsebene der wichtigste Ansatzpunkt für eine belastungsgleiche Besteuerung bildet.



Stärkere Einbeziehung der Besteuerungssystematik von Kapitalgesellschaften als Referenzsystem.



Verzicht auf Lenkungsziele.



Steuervereinfachung und möglichst keine weitere Verkomplizierung des § 34a EStG.

52 BR-Drucks. 310/18. 53 Vgl. Fn. 5. 54 Vgl. Pressemitteilung des BMWI v. 15.11.2019, abrufbar unter https://www. bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2019/20191115-altmaier-benenntkernelemente-unternehmenssteuerreform.html.

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c) Angleichung der effektiven Thesaurierungsbelastung Prioritäres Reformziel sollte sein, die derzeit im System des § 34a EStG bestehenden Unterschiede zur Kapitalgesellschaft in der Effektivbelastung auf der Thesaurierungsebene zu beseitigen.55 Denn nur dann kann § 34a EStG das ursprüngliche Ziel erreichen und annähernde Belastungsgleichheit herstellen. Technisch könnte das anhand von zwei Stellschrauben umgesetzt werden: –

die Gewerbesteuer als nicht abziehbare Betriebsausgabe wird dem begünstigungsfähigen Betrag hinzugerechnet und



die Thesaurierungssteuer auf den thesaurierten Gewinn wird nicht als Entnahme behandelt.56

Zwar sind die Beträge für die gezahlten Ertragsteuern tatsächlich verausgabt und stehen für eine Thesaurierung tatsächlich nicht zur Verfügung. Jedoch handelt es sich bei der gezahlten Thesaurierungssteuer und der Gewerbesteuer um betrieblich ausgelöste Aufwendungen, die auch nicht zum privaten Konsum verwendet werden können. Hinzu kommt, dass die Gewerbesteuer als nicht abziehbare Betriebsausgabe bei der Kapitalgesellschaft auch nur der Besteuerung auf der Ebene der Gesellschaft unterliegt.57 Die Erhöhung des Begünstigungsbetrags auf die Gewerbesteuer als nicht abziehbare Betriebsausgabe zu beschränken und nicht auf weitere außerbilanzielle Korrekturen auszuweiten, erscheint auch der FinVerw. sachgerecht, da diese im Gegensatz zur Gewerbesteuer keine öffentliche Abgabe darstellen; der Gewerbesteuer kann sich der Unternehmer nicht entziehen. Auch erscheint es aus Vereinfachungsgesichtspunkten angezeigt, § 34a EStG weiterhin nicht im Vorauszahlungsverfahren steuermindernd zu berücksichtigen (vgl. § 37 Abs. 3 Satz 5 EStG).58 Zwar mindert sich auch insoweit der begünstigungsfähige Gewinn, als Vo55 So auch Hey in Stiftung Familienunternehmen (Hrsg.), Belastung thesaurierender Personenunternehmen, 2000, 17. 56 Vgl. Fechner/Bäuml, DB 2008, 1652 (1654); Dörfler/Fellinger/Reichl, Beihefter zu DStR 29/2009, 69 (70), wobei diese sämtliche außerbilanziellen Korrekturen in den Begünstigungsbetrag einbeziehen wollen. 57 Vgl. Hey in Stiftung Familienunternehmen (Hrsg.), Belastung thesaurierender Personenunternehmen, 2000, 14. 58 Für eine Berücksichtigung allerdings Dörfler/Fellinger/Reichl, Beihefter zu DStR 29/2009, 69 (71).

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rauszahlungen aus Entnahmen finanziert werden müssen.59 Andererseits würde sich der administrative Aufwand für alle Beteiligten erhöhen, wenn das geplante Thesaurierungsvolumen für Zwecke von Vorauszahlungsminderungen im Rahmen des § 37 EStG anhand der unternehmerischen Finanzplanung den Finanzbehörden schlüssig dargelegt werden müsste.60 Durch die beschriebenen technischen Korrekturen in § 34a Abs. 2 EStG würde es auf der Thesaurierungsebene zu einer idealtypischen Belastung von 29,77% (ab VZ 2020: 29,03%) kommen, was nahezu punktgenau der Belastung von thesaurierenden Kapitalgesellschaften entspricht (29,83%). Alternativ, aber nicht kumulativ, zu den dargestellten technischen Korrekturen des § 34a Abs. 2 EStG ist denkbar, den Thesaurierungssatz in § 34a Abs. 1 Satz 1 EStG auf 21% abzusenken. Auch hierdurch würde die Thesaurierungsbelastung auf ein Niveau absinken (29,64%), das dem von thesaurierenden Kapitalgesellschaften nahezu entspricht.61 Weitergehend wäre die Forderung der Unternehmen, in § 34a Abs. 2 EStG auf den steuerlichen Gewinn abzustellen, dh. der Thesaurierungssatz würde auf den Gewinn nach Berücksichtigung aller nicht abziehbaren Betriebsausgaben angewendet. Nach dieser Auffassung wäre eine weitergehende Gleichstellung mit Kapitalgesellschaften erreicht, da bei diesen der Körperschaftsteuersatz gleichfalls auf den steuerlichen Gewinn (in Form des Einkommens) abstellt und nicht auf den Steuerbilanzgewinn. d) Personalisierung des Nachversteuerungskonzepts Um eine Gleichbehandlung mit Kapitalgesellschaften auch bei einer späteren Entnahme zu gewährleisten, wäre die Nachversteuerungstechnik des § 34a EStG enger an die Besteuerung der Anteilseigner von Kapitalgesellschaften heranzurücken und die Steuersituation des Unternehmers im Zeitpunkt der Nachversteuerung stärker zu berücksichtigen. Zu prä59 Vgl. Dörfler/Fellinger/Reichl, Beihefter zu DStR 29/2009, 69 (71). 60 Das tatsächliche Thesaurierungsvolumen steht regelmäßig erst mit Abgabe der Steuererklärung für den vergangenen Veranlagungszeitraum fest. 61 Vgl. Gerner, ifst Jahrestagung v. 4.6.2019, Steuerstandort Deutschland – Reformbedarf und Handlungsoptionen, Folie 27, abrufbar unter https://www.ifst. de/wp-content/uploads/2019/04/ifst-Jahrestagung_04_06_2019_Homepage. pdf.

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ferieren ist dabei der Vorschlag, in Anlehnung an das Teileinkünfteverfahren, 60% des Nachversteuerungsbetrags dem individuellen Einkommensteuertarif zu unterwerfen.62 Die Einbeziehung von nachversteuerungspflichtigen Entnahmen in das Teileinkünfteverfahren statt in die Abgeltungsteuer (mit Günstigerprüfung) entspricht nicht nur besser dem Prinzip der Leistungsfähigkeit, sondern fügt sich auch passgenauer in die Besteuerungssystematik von Kapitalgesellschaften ein, bei denen Ausschüttungen aus im Betriebsvermögen gehaltenen Anteilen ebenfalls nur zu 60% dem persönlichen Steuersatz des Anteilseigners unterliegen. Insofern dem von Wacker entgegengehalten wird, dass ein solches modifiziertes Nachversteuerungskonzept die gezielte Verlagerung von Entnahmen in Veranlagungszeiträume fördert, in denen ein besonders niedriger Grenzsteuersatz gegeben ist,63 spricht dies nicht zwingend gegen eine Konzeptumstellung. Denn auch bei Kapitalgesellschaften können Ausschüttungen zeitlich gezielt gesteuert und in andere Zeiträume verschoben werden. Zu überlegen ist jedoch, die Umstellung auf eine Nachversteuerung nach den Grundsätzen des Teileinkünfteverfahrens mit der Option zu kombinieren, für die Nachversteuerung weiterhin den pauschalen Satz von 25% anwenden zu können. Ein solches Wahlrecht – in Anlehnung an die Günstigerprüfung bei der Abgeltungsteuer – widerspräche zwar der Besteuerungssystematik beim Teileinkünfteverfahren. Jedoch würde dadurch vermieden, dass die am Spitzensteuersatz liegenden Unternehmen gegenüber der Behandlung nach geltendem Recht hinsichtlich der Höhe der Nachbelastung schlechter gestellt würden. Zudem würden sich bei der Einräumung eines Wahlrechts keine komplizierten Übergangsprobleme stellen. e) Flexibilisierung der Verwendungsreihenfolge Bei der Reformierung der Verwendungsreihenfolge gilt es, sich zunächst von der Intention des Gesetzgebers zu lösen, dass § 34a EStG auch lenkend die Eigenkapitalausstattung von Personenunternehmen fördern soll. Eine solche Lenkungsfunktion ist kritisch zu sehen, da sie volkswirtschaftlich zu schädlichen Fehlallokationen führen kann. Ob einbe62 Vgl. Fechner/Bäuml, DB 2008, 1652 (1654); Hey in Stiftung Familienunternehmen (Hrsg.), Belastung thesaurierender Personenunternehmen, 2000, 27 f.; so auch der Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen v. 27.6.2018, BR-Drucks. 310/18, 4. 63 Wacker, DStR 2019, 585 (591 f.).

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haltene Gewinne im Unternehmen reinvestiert werden oder besser für eine Investition außerhalb des Betriebs verwendet werden sollen, sollte der freien Entscheidung des Unternehmers obliegen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass sämtliche Überlegungen, die Verwendungsreihenfolge des § 34a EStG zu flexibilisieren, zu unterschiedlichen Folgeproblemen führen. Vorschläge, die Verwendungsreihenfolge komplett aufzugeben (volle Verwendungsfreiheit),64 setzen sich in Widerspruch zur Besteuerungssystematik von Kapitalgesellschaften. Denn auch bei Kapitalgesellschaften existiert eine gesetzliche Verwendungsreihenfolge für Ausschüttungen (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 3 und Satz 5 KStG). Zudem unterliegen steuerfreie Gewinne auch bei der Kapitalgesellschaft einer Nachbelastung. Auch Überlegungen, in Anlehnung an die Besteuerungssystematik von Kapitalgesellschaften lediglich eine partielle Verwendungsfreiheit hinsichtlich der nicht entnommenen regelbesteuerten Gewinne zuzulassen, könnten sich Bedenken ausgesetzt sehen. Zum einen würde dies zu einer erheblichen Verkomplizierung des Nachversteuerungssystems führen, weil dadurch eine technische Trennung der einzelnen Eigenkapital-Positionen erforderlich wäre;65; verwaltungsseitig wäre zudem eine gesonderte Feststellung der nachversteuerungsfreien Gewinne vorzunehmen. Zum anderen kann eine nur hinsichtlich bestimmter Gewinnanteile geltende Verwendungsreihenfolge in der Praxis stets, wie bislang auch, durch nachversteuerungsfreie Vorwegentnahmen umgangen werden. Schließlich können auch Kompromissvorschläge zur Schaffung einer volumenmäßig begrenzten Entnahmemöglichkeit66 von eingeschlossenen Gewinnen in der Praxis nicht vollends überzeugen, da sie als Pauschallösung die persönliche Entnahmesituation des (Mit-)Unternehmers unberücksichtigt lassen. In Anbetracht dieser Ausgangslage und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es der Praxis über Vermeidungsstrategien derzeit erfolgreich gelingt, die Folgen des Einschließungseffekts zu umgehen oder zumindest abzumildern,67 muss einer Reform der Verwendungsreihenfolge

64 Vgl. Dörfler/Fellinger/Reichl, Beihefter zu DStR 29 2009, 69; wohl auch Hey in Stiftung Familienunternehmen (Hrsg.), Belastung thesaurierender Personenunternehmen, 2000, 31 f. 65 Vgl. Wacker, DStR 2019, 585 (593); Hey in Stiftung Familienunternehmen (Hrsg.), Belastung thesaurierender Personenunternehmen, 2000, 31. 66 Vgl. BR-Drucks. 310/18, 4. 67 Vgl. Wacker, DStR 2019, 585 (592); Kessler/Pfuhl in Festschrift Horst Kary, 2009, 59 (75).

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nicht zwingend Priorität eingeräumt werden. Soll gleichwohl eine Flexibilisierung der Verwendungsreihenfolge reformmäßig umgesetzt werden, spricht insbes. die Möglichkeit von Ausweichgestaltungen dafür, zukünftig, jedoch nicht rückwirkend in Bezug auf Altjahre vor der Systemumstellung, auf eine Verwendungsreihenfolge ganz zu verzichten. Zwar wird man auch bei dieser Lösung nicht ohne eine gesonderte Feststellung des nachversteuerungsfreien Entnahmebetrags auskommen, jedoch ließe sich diese Feststellung verfahrenstechnisch ohne weiteres in die gesonderte Feststellung nach § 34a Abs. 10 EStG einbetten.68 f) Erleichterung von Umstrukturierungen Unter ökonomischen Gesichtspunkten erscheint es wegen der Entscheidungsneutralität der Besteuerung problematisch, wirtschaftlich sinnvolle Umstrukturierungen durch eine Zwangsnachversteuerung zu „bestrafen“, wenn kein Besteuerungssubstrat verloren geht. Maßgeblich sollte deshalb nicht sein, ob der Stpfl. nach der Umwandlung weiterhin dieselbe betriebliche Einheit unterhält,69 sondern ob das Kapital steuerverstrickt weiterhin für betriebliche Zwecke in Form von Eigenkapital zur Verfügung steht und somit das Innenfinanzierungspotential des „neuen“ Unternehmens stärkt. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass § 34a EStG als zweistufiger Sondertarif ausgestaltet ist, der als „Kehrseite“ der Begünstigung zwingend eine spätere Nachbelastung der begünstigt besteuerten Gewinne vorsieht. Bei Überlegungen zur Beseitigung von Hemmnissen im Rahmen von Umwandlungen von § 34a EStG-Gesellschaften ist folglich stets die (theoretische) Sicherstellung der Nachversteuerung – auch im Veräußerungsfall – im Blick zu behalten. Um eine (zunächst) steuerneutrale Lösung bei Umstrukturierung der § 34a EStG-Einheit zu erreichen, wird in der Literatur vorgeschlagen, die Nachversteuerung in das Besteuerungsregime der Kapitalgesellschaft zu integrieren, indem der nachversteuerungspflichtige Betrag insgesamt auf den Gesamtrechtsnachfolger übergehen soll.70 Dabei gehen die Vorschläge dahin, den nachversteuerungspflichtigen Betrag entweder in die Kapitalrücklage einzustellen oder auf einem neu einzurichtenden Eigenkapi-

68 So auch Dörfler/Fellinger/Reichl, Beihefter zu DStR 29 2009, 69. 69 So aber die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drucks. 16/4841, 64. 70 Cordes, WPg. 2007, 530; Ley/Brandenberg, FR 2008, 1106; in diese Richtung gehend auch BR-Drucks. 310/18, 4.

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tal-Sonderkonto auszuweisen.71 Die Nachversteuerung soll dann durch die Gewinnausschüttungen auf der Gesellschafterebene über eine modifizierte Verwendungsreihenfolge sichergestellt werden.72 Schließlich wäre denkbar, den Nachversteuerungsbetrag gar nicht gesondert zu erfassen, dh. auch nicht im steuerlichen Einlagekonto. Als Teil des ausschüttbaren Gewinns würde er sodann an der „normalen“ Nachbesteuerung (in Form der Dividendenbesteuerung) auf der Ebene der Gesellschafter teilhaben. Kritik gegen eine solche Integration der Nachversteuerung in das System der Kapitalgesellschaft rührt aus mehreren Gesichtspunkten. Zu bedenken ist bei dieser Lösung zunächst, dass das Einlagekonto einer Kapitalgesellschaft nach § 27 Abs. 1 KStG einheitlich für die Kapitalgesellschaft festgestellt wird. Die Minderung des steuerlichen Einlagekontos und die im Verwendungszeitpunkt hiermit einhergehende vorrangige Verwendung eines „erhöhten“ ausschüttbaren Gewinns betrifft zwar ebenfalls im Ergebnis die Gesellschafterebene, allerdings nicht nur die im Rahmen der Umwandlung neu hinzutretenden Gesellschafter, sondern ebenfalls die Altgesellschafter der Kapitalgesellschaft bzw. solche Mitunternehmer, die in der Vergangenheit die Thesaurierungsbegünstigung gar nicht in Anspruch genommen haben. Es kommt mithin zu einer Überwälzung des ehemals gesellschafterbezogenen, nachversteuerungspflichtigen Betrags auf andere Steuersubjekte.73 Gestalterisch kann dem zwar durch entsprechende Maßnahmen (zB disquotale Gewinnausschüttung) Rechnung getragen werden,74 was andererseits wiederum den Beratungsaufwand erhöht. Dieser Nachteil könnte aber hingenommen werden, da es in der Hand der Gesellschafter der formwechselnden Personengesellschaft liegt, ob es eine Nachversteuerung, und zwar für alle Kapitalgesellschafter, geben soll. Die Situation wäre in diesem Fall der Gewerbesteuerbelastung bei einer Personengesellschaft vergleichbar, bei der das Verhalten eines Gesellschafters den Gewerbeertrag für alle Gesellschafter erhöht und damit den entnehmbaren Gewinn mindert. Die Praxis behilft sich insoweit mit Gewerbesteuerklauseln im Gesellschaftsvertrag. Ähnliches wäre vorlie71 Hey in Stiftung Familienunternehmen (Hrsg.), Belastung thesaurierender Personenunternehmen, 2000, 32; Dörfler/Fellinger/Reichl, Beihefter zu DStR 29 2009, 69 (73). 72 Für eine Nachversteuerung auf Gesellschaftsebene allerdings Bindl, DB 2008, 949 (955). 73 So auch Bindl, DB 2008, 949 (955). 74 Vgl. Bindl, DB 2008, 949 (955).

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gend auch durch Ausgabe von Vorzugsanteilen oder die genannten disquotalen Gewinnausschüttungen denkbar. Damit wäre zumindest eine steuerneutrale Umwandlung möglich, die heute ausgeschlossen ist und einen der wesentlichen Gründe dafür darstellt, warum § 34a EStG in der Praxis nicht oder nur selten genutzt wird. Grundsätzliche Schwierigkeiten entstehen, wenn der Einbringende im Ausland ansässig ist oder nach Einbringung in das Ausland verzieht, so dass Deutschland ganz oder teilweise das Recht zur Besteuerung des in Ausschüttungspotential umgewandelten nachversteuerungspflichtigen Betrags sowohl im Ausschüttungs- als auch im Veräußerungsfall verlieren könnte.75 Diesem Nachteil könnte aber durch ein einseitiges Quellensteuerrecht Deutschlands (in Form der Kapitalertragsteuer) begegnet werden. Wirtschaftlich wäre dies das richtige Ergebnis, da es die Nachbesteuerung zuvor begünstigt besteuerter Gewinne sicherstellt. Der damit ggf. einhergehende formale Treaty Override wäre hinzunehmen und verfassungsrechtlich auch zulässig.76 Sofern durch die Umstrukturierungsmaßnahme die § 34a EStG-Mitunternehmerschaft als betriebliche Einheit fortbesteht, was bei Einbringung oder unentgeltlicher Übertragung des Mitunternehmeranteils in/ auf eine Kapitalgesellschaft grundsätzlich der Fall wäre, könnte in Anlehnung an das Urteil des FG Münster vom 27.1.201777 auch ein anderer Weg beschritten werden. Es könnte überlegt werden, den Anwendungsbereich des § 34a Abs. 7 Satz 1 EStG de lege ferenda auf Einbringungen und unentgeltliche Übertragungen des Mitunternehmeranteils auf/in juristische Personen auszuweiten. Die juristische Person hätte die latente Steuerlast für eine vom Rechtsvorgänger in der Vergangenheit – nämlich zu Zeiten der Geltung des Einkommensteuerrechts – in Anspruch genommene Begünstigung nach § 34a EStG zu übernehmen. Eine hierauf beruhende – mögliche – Nachversteuerungspflicht würde dann rechtsformunabhängig zum Tragen kommen. Denn grundsätzlich kann – so jedenfalls das FG Münster in der oben zitierten Entscheidung – auch eine dem System der Körperschaftsteuer unterliegende juristische Person als Rechtsnachfolgerin die Nachversteuerungspflicht erfüllen. Technisch 75 Vgl. Wacker, DStR 2019, 585 (593). 76 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 = FR 2016, 326. Zur Entwicklung und zum Überblick vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 2 AO Rz. 5a ff. (Apr. 2017); Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz, DBA2, Systematik der Doppelbesteuerungsabkommen Rz. 180 f. 77 FG Münster v. 27.1.2017 – 4 K 56/16 F, EFG 2017, 477, rkr.

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betrachtet würde sich die Nachversteuerung iHv. 25% nur als zusätzlicher Rechnungsposten zur Körperschaftsteuer auf die (neuen) Gewinne/ Gewinnanteile der rechtsnachfolgenden juristischen Person darstellen; die Nachversteuerung würde sich weiterhin nach § 34a Abs. 4 und Abs. 6 EStG richten und wäre durch den Rechtsnachfolger auf der Ebene der Körperschaft selbst zu erfüllen (gesellschaftsbezogene Nachversteuerung). Gegen diese Lösung spricht zunächst ebenfalls das Problem der Überwälzung der Nachversteuerungslast auf eventuell vorhandene andere Gesellschafter der Körperschaft. Auch wenn die Nachversteuerung auf der Ebene der Gesellschaft selbst erfolgen soll, kommt es mittelbar zur Vergemeinschaftung der Nachversteuerungslast im Gesellschafterkreis, weil sich die Vorbelastung der Ausschüttung für alle Gesellschafter erhöht. In tatsächlicher Hinsicht stellt sich zudem das Problem, dass eine künftige Möglichkeit der Nachversteuerung beim Rechtsnachfolger in bestimmten Konstellationen ausgeschlossen erscheint. Die ursprünglich angelegte Nachversteuerungslast würde sich dann im Ergebnis als faktisch bedeutungslos erweisen. Das kann insbes. dann der Fall sein, wenn eine Stiftung als Rechtsnachfolgerin aufgrund ihrer Vermögensausstattung auf „ewig“ nicht veranlasst ist, thesaurierte Gewinnanteile ihres Rechtsvorgängers verwenden zu müssen. Diese Sonderfälle könnten aber gesetzlich ausgeschlossen werden. Darüber hinaus wären wohl weitere Anpassungen in der Norm des § 34a EStG vorzunehmen, um das (verfahrenstechnische) Funktionieren der Nachversteuerungstatbestände bei juristischen Personen als Mitunternehmer sicherzustellen und mit dem derzeitigen System zu verzahnen. Aufgrund der zuvor dargestellten Verkomplizierungen würde sich – unabhängig vom Gegenstand der Einbringung/Übertragung – alternativ eine Lösung auf der Erhebungsebene unter Öffnung der Stundungsregel in § 34a Abs. 6 Satz 2 EStG anbieten. An einer Nachversteuerung aufgrund eines Wechsels des Besteuerungssystems wäre festzuhalten, jedoch würde bei der bisherigen Stundungslösung in den Umstrukturierungsfällen des § 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1–3 EStG auf das Merkmal „erhebliche Härte“ verzichtet werden. Aus der Nachversteuerung resultierende Umstrukturierungshindernisse könnten dadurch erheblich abgemildert, allerdings nicht vollständig beseitigt werden. Aus Unternehmenssicht wäre dies aber (wohl) nur die zweitbeste Lösung.

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g) Verfahrensrechtliche Erleichterungen Das Verfahrensrecht des § 34a EStG ist vielschichtig und verwaltungsintensiv.78 Die Reformüberlegungen sollten deshalb auch dazu genutzt werden, über verfahrensrechtliche Erleichterungen nachzudenken.79 Eine Vereinfachung des Verfahrensrechts könnte an § 34a Abs. 10 EStG anknüpfen. Gemäß § 34a Abs. 3 Satz 3 EStG wird für jede betriebliche § 34a EStG-Einheit, für deren nicht entnommenen Gewinn der Stpfl. einen Antrag auf begünstigte Besteuerung gestellt hat, ein nachversteuerungspflichtiger Betrag gesondert festgestellt. Zuständig für diese Feststellung ist das für die Einkommensbesteuerung zuständige Wohnsitz-FA (§ 34a Abs. 9 Satz 1 EStG). Für den Fall, dass Wohnsitz- und FeststellungsFA auseinanderfallen, sieht § 34 Abs. 10 EStG ein weiteres, eigenständiges Feststellungsverfahren vor: Hat ein Feststellungs-FA die Gewinneinkünfte nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 AO gesondert festzustellen, kann dieses FA gem. § 34a Abs. 10 Satz 1 und Satz 2 EStG aufgrund gegebener Sachnähe auch die für die Inanspruchnahme der Thesaurierungsbesteuerung relevanten Besteuerungsgrundlagen gesondert feststellen (fakultative Feststellung). Der Feststellungsbescheid nach § 34a Abs. 10 EStG ist gegenüber dem Feststellungsbescheid nach § 180 Abs. 1 Satz 1 AO ein eigenständiger Bescheid, der lediglich förmlich mit diesem verbunden werden kann. Die Trennung der beiden Feststellungsverfahren erhöht die verfahrensrechtliche Komplexität der Norm.80 Denn der Feststellungsbescheid nach § 180 Abs. 1 Satz 1 AO (Ebene 1) ist gem. § 182 Abs. 1 AO bindender Grundlagenbescheid für den Feststellungsbescheid nach § 34a Abs. 10 EStG (Ebene 2), der wiederum Grundlagenbescheid sowohl für die Festsetzung der Einkommensteuer als auch für die Feststellung des nachversteuerungspflichtigen Betrags ist (Ebene 3). Bei erstmaligem Erlass oder Änderung der Bescheide sind die die jeweiligen Folgebescheide sämtlich anzupassen (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Die Komplexität könnte dadurch abgeschwächt werden, dass auf die Trennung der Ebenen 1 und 2 verzichtet wird.81 Das Feststellungs-FA würde dann in einem einheitlichen Feststellungsbescheid sowohl die Feststellungen nach § 180 Abs. 1 Satz 1 AO treffen als auch die für die 78 Überblick über die verfahrensrechtlichen Zusammenhänge bei Bodden, FR 2011, 829. 79 Vgl. Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen, BR-Drucks. 310/18, 4; zustimmend Wacker, DStR 2019, 585 (593). 80 Wacker in Schmidt, EStG40, § 34a Rz. 99. 81 Vgl. Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen, BR-Drucks. 310/18, 4.

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Tarifermittlung nach § 34a EStG erforderlichen Besteuerungsgrundlagen verbindlich feststellen. Damit würde zugleich auch eine Erleichterung für den Stpfl. im Rechtsschutzverfahren eintreten, weil er sich nicht mit der mitunter schwierigen Frage auseinandersetzen muss, welcher Bescheid zur Entscheidung welcher Streitfragen angefochten werden muss. In der Praxis führt diese Problematik nämlich häufig dazu, dass der Stpfl. vorsorglich die Bescheide beider Stufen anficht,82 was aus prozessökonomischer Sicht nicht effizient ist. Bei einem einheitlichen Feststellungsbescheid würde eine doppelte Anfechtung obsolet. Verfahrensrechtlich müsste allerdings gewährleistet sein, dass der Feststellungsbescheid nachträglich um die für die Tarifermittlung nach § 34a EStG erforderlichen Besteuerungsgrundlagen ergänzt werden darf, da in der Praxis der Antrag nach § 34a Abs. 1 Satz 1 EStG der Feststellung nach § 180 Abs. 1 Satz 1 AO regelmäßig zeitlich nachfolgt. Die für die Feststellung nach § 180 Abs. 1 Satz 1 AO erforderlichen Informationen müsste das Wohnsitz-FA dem Feststellungs-FA – sofern dort nicht bekannt – mitteilen.

III. Das Optionsmodell für Personengesellschaften 1. Historie und gesetzliche Einführung des § 1a KStG Bereits in der Frühzeit des Ertragsteuerrechts bestanden Überlegungen, dass Personengesellschaften zur Körperschaftsteuer optieren können sollten sowie Körperschaften zur Einkommensteuer.83 Dies wurde allerdings zunächst nicht umgesetzt. Erst 1951 wurde die Idee der Optionsbesteuerung wieder aufgegriffen und Stpfl. die Möglichkeit gegeben, auf ihre Gewinne aus Gewerbebetrieb den Körperschaftsteuersatz anzuwenden.84 Diese einkünftebezogene Optionsmöglichkeit wurde allerdings 1953 wieder abgeschafft. Erst im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2000 wurde erneut eine rechtsformbezogene Optionsmöglichkeit diskutiert. Der Gesetzentwurf zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (StSenkG) enthielt in § 4a KStG-E 82 Vgl. Wacker in Schmidt, EStG40, § 34a Rz. 99. 83 Becker/Lion, Ist es erwünscht, das Einkommen aus Gewerbebetrieb nach gleichmäßigen Grundsätzen zu besteuern, ohne Rücksicht auf die Rechtsform, in der das Gewerbe betrieben wird? Referat zum 33. DJT, 1925, 433 ff. und 465 ff. 84 Vgl. § 32b EStG 1951. Hierzu mwN Desens in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Einf. KStG Rz. 550 (Stand 02/2020).

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einen konkreten Gesetzesvorschlag dahingehend, ein solches Optionsmodell gesetzlich zu verankern.85 Die Umsetzung scheiterte jedoch aufgrund der Erkenntnis, dass es durch die Option zu systematischen Verwerfungen kommen würde, sowie der Kritik der Bundesländer.86 2017 wurde die die Diskussion um die Körperschaftsteueroption für Personengesellschaften durch ein Positionspapier des IdW erneut entfacht, das 2019 noch einmal grundlegend überarbeitet wurde.87 Das Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion zur Modernisierung der Unternehmensbesteuerung in Deutschland vom 5.11.201988 nahm diesen Vorschlag auf, ebenso das Papier des Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier zur angestrebten Unternehmensteuerreform.89 Der Koalitionsausschuss der Bundesregierung beschloss schließlich im Rahmen des Konjunkturpakets zur Bewältigung der Corona-Krise vom 8.3.2020 die Einführung einer Option zur Körperschaftsbesteuerung.90 In der Folge hat das BMF den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts (KöMoG) veröffentlicht, der als Kernstück die Einführung eines solchen Optionsmodells vorsah. Der Entwurf wurde am 24.3.2021 durch das Bundeskabinett beschlossen.91 85 Entwurf eines Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung in der Fassung der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses v. 16.5.2000, BT-Drucks. 14/3366; der Gesetzesvorschlag beruhte seinerseits weitgehend auf dem Modell 1 der Brühler Empfehlungen zur Unternehmenssteuerreform, vgl. BMF, Brühler Empfehlungen, Bericht der Kommission, 1999, 19 (72 ff.). 86 BT-Drucks. 14/3760, 7; BR Plenarprotokoll 752 v. 9.6.2000; vgl. Wacker, DStR 2019, 585 (588). 87 IdW, Positionspapier zum Einstieg in eine rechtsformneutrale Besteuerung („Optionsmodell“) vom 13.11.2019, 2. Auflage. 88 Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Beschluss v. 5.11.2019. 89 Vgl. Pressemitteilung des BMWI v. 15.11.2019, abrufbar unter https://www. bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/0-9/4-kernelemente-fuer-eine-umfassen de-unternehmenssteuerreform.pdf?__blob=publicationFile&v=8. 90 Abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Stan dardartikel/Themen/Schlaglichter/Konjunkturpaket/2020-06-03-eckpunktepa pier.pdf?__blob=publicationFile. 91 Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts v. 17.3.2021. Der Gesetzentwurf für das KöMoG wurde von der politischen Spitze des BMF lange Zeit zurückgehalten, um sich damit wohl die Zustimmung der Unions-Fraktion zu dem ATADUmsG zu „erkaufen“; kritisch zu dieser Vorgehensweise der Bundesrat in seinem Beschluss v. 7.5.2021 (BRDrucks. 244/21 [B], Nr. 1). Die Spitze des BMF hielt es daher auch nicht für

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Nach mehreren Änderungsvorschlägen des Bundesrats im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens,92 die der Finanzausschuss des Bundestags in seine Beschlussempfehlung teilweise entsprechend aufgenommen hat,93 wurde das KöMoG vom Bundestag am 21.5.2021 beschlossen. Mit zeitnah erfolgter Zustimmung des Bundesrats am 25.6.2021 wurde schließlich das KöMoG noch an diesem Tag im Bundesgesetzblatt verkündet.94 Grundsätzlich tritt das KöMoG erst am 1.1.2022 in Kraft. Allerdings wird für das Optionsmodell in § 1a KStG und ebenfalls für die mit der Körperschaftsoption einhergehenden Folgeänderungen eine Ausnahmeregelung dahingehend statuiert, dass diese bereits am Tag nach der Verkündung in Kraft treten.95 Dadurch wird optionsberechtigten Gesellschaften ermöglicht, den Antrag bereits im Kj. 2020 (unter Beachtung der Einmonats-Frist) mit Wirkung für Wj. ab dem 1.1.2022 zu stellen.

2. Konzeption und steuerliche Wirkungen a) Regelung Das Optionsmodell ist in der durch das KöMoG eingeführten Vorschrift des § 1a KStG gesetzlich verankert.96 Damit wird die rechtliche Grundlage für Personenhandels- sowie Partnerschaftsgesellschaften geschaffen, sich wahlweise der Körperschaftsbesteuerung zu unterwerfen.

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angezeigt, die notwendigen und sinnvollen Ergänzungen des § 34a EStG in das KöMoG aufzunehmen, so dass durch das KöMoG zunächst nur das Optionsmodell umgesetzt wurde. Ein am 21.5.2021 eingebrachter Entschließungsantrag mit der Anregung, zusätzlich die Thesaurierungsbegünstigung zu verbessern, wurde im Bundestag abgelehnt, vgl. zum Antrag BT-Drucks. 19/ 28766. Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates v. 26.4.2021, BR-Drucks. 244/1/21. Beschlussempfehlung des Bundestags-Finanzausschusses v. 19.5.2021, BTDrucks. 19/29843. Vgl. zum Gesetzgebungsverfahren ebenfalls Dreßler/Kompolsek, Ubg. 2021, 301 (306 f.). BGBl. I 2021, 2050. BT-Drucks. 19/29843, Art. 12 Abs. 2. Analyse der gesetzlichen Ausgestaltung des Optionsmodells auf der Grundlage des Gesetzentwurfs bei Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348; Cordes/ Kraft, FR 2021, 401; Kölbl/Luce, Ubg. 2021, 264. Zum vom Bundestag beschlossenen KöMoG vgl. Dreßler/Kompolsek, Ubg. 2021, 301.

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b) Persönlicher Anwendungsbereich In persönlicher Hinsicht qualifiziert § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG sowohl Personenhandels-97 als auch Partnerschaftsgesellschaften98 als optionsfähige Gesellschaften und räumt diesen entsprechend das Wahlrecht ein, zur Körperschaftsbesteuerung zu optieren und sich hierdurch steuerlich wie eine Kapitalgesellschaft behandeln zu lassen. Hierdurch wird eine Parallele zu den umwandlungsrechtlichen Vorschriften über den Formwechsel geschaffen, da Personenhandels- und Partnerschaftsgesellschaften ebenfalls als formwechselnde Rechtsträger fungieren können.99 Erfasst werden demnach alle Gesellschaften, die auch einen tatsächlichen Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft gemäß den Regelungen der §§ 190 ff. UmwG vornehmen könnten. Da maßgeblich auf eine gesellschaftsrechtliche Abgrenzung abgestellt wird, sind grds. auch vermögensverwaltende und gewerblich entprägte Personengesellschaften, die in der Rechtsform einer eingetragenen Personenhandelsgesellschaft betrieben werden, optionsberechtigt. Wegen des Verweises in § 1a Abs. 2 Satz 2 KStG auf die entsprechend anwendbaren Vorschriften über den Formwechsel nach § 25 UmwStG ist jedoch davon auszugehen, dass bei diesen Gesellschaftsformen – mangels einer steuerlichen Mitunternehmerschaft – ein Buchwert- oder Zwischenwertansatz nicht in Betracht kommt. Ausländische Personengesellschaften können ebenfalls von der Optionsmöglichkeit Gebrauch machen,100 sofern sie mit einer Personenhandels- oder Partnerschaftsgesellschaft nach deutschem Recht vergleichbar sind und sie gem. § 1a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 KStG in ihrem Geschäftsleitungsstaat einer der deutschen unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegen (doppelter Prüfungsvorbehalt). Auf der Grundlage dieser Begrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs werden insbes. Einzelunternehmen, stille Gesellschaften und nicht zuletzt die Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR) von der Körperschaftsoption ausgeschlossen.101 97 Erfasst werden die OHG, die KG sowie vergleichbare ausländische Gesellschaften, vgl. BR-Drucks. 244/21, 18; vgl. auch Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (351). 98 Im Folgenden der Einfachheit halber zusammenfassend als Personengesellschaft oder Personenunternehmen bezeichnet. 99 Vgl. BT-Drucks. 19/28656, 19. 100 Vgl. Regierungsentwurf v. 19.4.2021, BT-Drucks. 19/28656, 21. 101 Zu der Fragestellung, inwiefern beschränkt körperschaftsteuerpflichtige Gesellschaften optionsfähig sind vgl. Haase, Ubg. 2021, 193 (194 f.).

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c) Optionsausübung und steuerliche Wirkung der Option Die Körperschaftsoption erfolgt gem. § 1a Abs. 1 Satz 2 KStG durch einen unwiderruflichen Antrag102 der Personenhandels- oder Partnerschaftsgesellschaft – grundsätzlich nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung103 – bei dem für die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte nach § 180 AO zuständigen FA.104 Als Antragstellerin fungiert die Personengesellschaft selbst.105 Der Antragstellung muss ein entsprechend wirksamer Gesellschafterbeschluss zugrunde liegen, da sich die Optionsausübung unmittelbar auf die Besteuerung sämtlicher Gesellschafter auswirkt. In diesem Zusammenhang wird die entsprechende Anwendung des § 217 Abs. 1 UmwG angeordnet, der das Beschlusserfordernis für die Vornahme eines tatsächlichen Formwechsels einer Personengesellschaft normiert (§ 1a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 KStG). Demnach ist im Hinblick auf die Antragstellung eine Mehrheitsentscheidung der Gesellschafter – sofern eine entsprechende Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist – als ausreichend zu erachten; eines einstimmigen Beschlusses bedarf es insoweit nicht. Allerdings muss diese Mehrheit mindestens drei Viertel sämtlicher abgegebenen Stimmen betragen. Der Antrag zur Optionsausübung ist gem. § 1a Abs. 1 Satz 2 KStG spätestens einen Monat vor Beginn des Wj., ab dem die körperschaftsteuerliche Besteuerung erfolgen soll, zu stellen. Auf diese Weise wird den FÄ ein längerer Vorlauf zur Vorbereitung der mit der Körperschaftsoption verbundenen verwaltungsseitigen Schritte gewährt.106 Hieraus folgt gleichsam, dass eine Optierung mit steuerlicher Rückwirkung nicht vorgesehen ist.107 Im Zusammenhang mit dem Ausschluss der steuerlichen Rückwirkung wird auf die Vermeidung von Gestaltungsmöglichkeiten und den ohnehin fehlenden Vereinfachungseffekt verwiesen.108

102 Eine konkludente Antragstellung ist nicht vorgesehen, vgl. Lüdicke/Eiling, BB 2021, 1439 (1441). 103 In Härtefällen soll ein schriftlicher Antrag nach amtlichem Muster als ausreichend erachtet werden, vgl. BT-Drucks. 19/29843, 44. 104 § 1a Abs. 1 Satz 2–5 KStG enthält umfangreiche Regelungen hinsichtlich der Zuständigkeit. 105 Antragstellerin ist die Personengesellschaft, vgl. BT-Drucks. 19/29843, 9. 106 BT-Drucks. 19/29843, 44. 107 Vgl. auch BT-Drucks. 19/29843, 44. 108 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts (Bearbeitungsstand: 17.3.2021), 22.

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Die Ausübung der Option wirkt sich dahingehend aus, dass in ertragsteuerlicher Hinsicht ein Rechtsformwechsel in eine Kapitalgesellschaft fingiert wird, völlig unabhängig davon, ob die Voraussetzungen eines zivilrechtlichen Formwechsels gegeben sind oder nicht. Gemäß § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG wird die optierende Gesellschaft für Zwecke der Besteuerung nach dem Einkommen und infolge der Änderung des § 1 Abs. 2 Satz 2 GewStG auch nach der Gewerbesteuer sowohl materiell-rechtlich als auch verfahrensrechtlich wie eine Kapitalgesellschaft behandelt; die Gesellschafter werden wiederum den nicht persönlich haftenden Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft gleichgestellt.109 Damit geht auch einher, dass sämtliche Regelungen des KStG, des EStG, des UmwStG, des InvStG, des AStG oder des ZerlG, die auf Kapitalgesellschaften oder auf Körperschaften Bezug nehmen, ebenfalls zur Anwendung gelangen.110 Die Regelung des § 1a Abs. 1 Satz 6 KStG normiert jedoch gewisse Ausnahmen von der Optierungsmöglichkeit zur Körperschaftsbesteuerung. So soll die Option ua. für Investmentfonds iSd. des Investmentsteuergesetzes,111 aber insbes. auch für ausländische Gesellschaften, die nach Optionsausübung im Geschäftsleitungsstaat keiner der deutschen unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht vergleichbaren Besteuerung unterliegen, keine Anwendung finden – diese Gesellschaften sind nicht optionsfähig. Die steuerliche Behandlung dieses fiktiven Formwechsels infolge der Option zur Körperschaftsbesteuerung erfolgt durch eine entsprechende Heranziehung der umwandlungssteuerrechtlichen Vorschriften der §§ 1 und 25 UmwStG, die wiederum eine entsprechende Anwendung der Grundsätze zur Einbringung eines Unternehmensteils in eine Kapitalgesellschaft gem. §§ 20–23 UmwStG anordnen und somit grundsätzlich eine steuerrechtliche Buchwertfortführung ohne Aufdeckung stiller Reserven unter den entsprechenden Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG ermöglichen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 KStG). Allerdings wird die in § 25 Satz 2 UmwStG vorgesehene entsprechende Anwendung des § 9 Satz 3 UmwStG ausgeschlossen, mit der Folge, dass eine rückwirkende Ausübung der Option versagt wird.

109 BT-Drucks. 19/28656, 21. 110 BT-Drucks. 19/28656, 21. 111 Die Folgen aus dem Optionsmodell für die Investmentbesteuerung darstellend Haug, FR 2021, 410.

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Die erfolgte Option zur Körperschaftsbesteuerung löst unmittelbar keine zeitliche Bindungswirkung aus.112 Insofern ist eine Rückoptierung zur Transparenzbesteuerung ohne Bindungsfrist möglich, so dass flexible Reaktionen auf Änderungen der unternehmerischen Entwicklung und der Ertragslage grundsätzlich möglich bleiben und nicht gehemmt werden. Ob allerdings die Ausübung der Rückoption innerhalb von sieben Jahren seit Optionsausübung zu einer rückwirkenden, ratierlich abschmelzenden Einbringungsgewinnbesteuerung nach § 22 UmwStG führt und damit zumindest faktisch eine siebenjährige Bindungsfrist an die Optionsausübung besteht, ist derzeit noch unklar.113 Die Beantwortung der Frage hängt maßgeblich davon ab, ob der fiktive Formwechsel – wie der reguläre Formwechsel – als veräußerungsgleicher Umwandlungsvorgang zu werten ist. d) Besteuerung der optierenden Gesellschaft Infolge der wirksamen Optionsausübung wird im Zuge der ertragsteuerlichen Gleichstellung die Personengesellschaft wie eine fiktive Kapitalgesellschaft behandelt. Entsprechend sind auch die Einkünfte, die durch das optierende Personenunternehmen erwirtschaftet werden, gem. § 8 Abs. 2 iVm. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG – letztere Regelung wurde um die optierende Gesellschaft ergänzt – umfassend als solche aus Gewerbebetrieb zu qualifizieren. Das Einkommen, das durch die optierende Gesellschaft erzielt wird, ist unter Zugrundelegung der Vorschriften des KStG und gem. § 8 Abs. 1 KStG auch solchen des EStG zu ermitteln. Dem folgend muss die steuerliche Gewinnermittlung der optierten Gesellschaft – unabhängig von einer handels- oder gesellschaftsrechtlichen Buchführungspflicht – durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1, § 5 EStG) erfolgen. Die handelsrechtlichen Buchführungs- und Bilanzierungsvorschriften kommen indes nicht zur Anwendung, da diese nur für zivilrechtliche – und somit gerade nicht für fiktive – Kapitalgesellschaften gelten. Die erwirtschafteten Unternehmensgewinne des Personenunternehmens unterliegen sodann auf der Ebene der Gesellschaft der Kör112 Das IdW hatte eine Bindungsfrist von sieben Jahren vorgeschlagen, vgl. IdW, Positionspapier zum Einstieg in eine rechtsformneutrale Besteuerung („Optionsmodell“), 13.11.2019, 2. Auflage, 7. 113 Die Gesetzesbegründung schweigt hierzu. Die Anwendung von § 22 UmwStG tendenziell bejahend Brühl/Weiss, DStR 2021, 945 (950 ff.); Cordes/Kraft, FR 2021, 401 (409); Dreßler/Kompolsek, Ubg. 2011, 301 (312); ablehnend hingegen Kußmaul/Gottfreund, StB 2021, 161 (164).

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perschaftsteuer zum Körperschaftsteuertarif von 15%. Hält die optierende Personengesellschaft Anteile an Kapitalgesellschaften, so kommt die Regelung des § 8b KStG mit der Maßgabe zur Anwendung, dass bezogene Dividenden und Veräußerungsgewinne steuerfrei sind und 5% als nicht abziehbare Betriebsausgaben gelten. Da die fiktive Kapitalgesellschaft nunmehr dem Besteuerungsregime der Körperschaften unterliegt, gilt auch für sie das Konzept des steuerlichen Trennungsprinzips. Demnach werden die von dem optierten Personenunternehmen erwirtschafteten Verluste nicht mehr den Mitunternehmern zugewiesen, weshalb ein Verlustausgleich durch diese nicht mehr möglich ist. Vielmehr sind die Verluste durch ihren Verbleib auf der Ebene der Gesellschaft „nur noch“ dem körperschaftsteuerlichen Verlustabzug zugänglich (mit einer entsprechenden Anwendung von § 8c und § 8d KStG).114 Weitere Ausprägung der Geltung des steuerlichen Trennungsprinzips im Hinblick auf die optierende Personengesellschaft ist, dass Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter steuerlich anzuerkennen sind. Hieraus folgt ebenfalls, dass die begründeten Leistungsbeziehungen den Grundsätzen der Angemessenheit entsprechen müssen. Anderenfalls sind nach den nunmehr Anwendung findenden Regelungen über die vGA gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG sowie die verdeckte Einlage gem. § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG entsprechende Korrekturen vorzunehmen. Erfolgt eine Entnahme aus der Personengesellschaft, so gilt diese als fiktive Gewinnausschüttung, so dass entsprechend Kapitalertragsteuer iHv. 25% einzubehalten ist, soweit nicht das steuerliche Einlagekonto als verwendet gilt.115 Unter Heranziehung des § 1a Abs. 3 Satz 5 KStG ist jedoch insofern keine Ausschüttung von Gewinnanteilen anzunehmen, als diese laut Handelsbilanz noch nicht entnommen wurden und deren Auszahlung aufgrund von gesetzlichen oder vertraglich geregelten Bestimmungen gar nicht erst verlangt werden kann. Auf dieser Grundlage wird auch den optierenden Gesellschaften die Möglichkeit eingeräumt, Gewinne steuerlich zu thesaurieren.116

114 Dies sei kein Nachteil der Körperschaftsoption, sondern lediglich die konsequente Folge der Wahl des Besteuerungssystems der Kapitalgesellschaften, vgl. Schiffers, GmbH-StB 2021, 56 (61). 115 Vgl. auch Brühl/Weiss, DStR 2021, 945 (946). 116 BT-Drucks. 19/28656, 24. Nicht entnommene Gewinne lösen demnach keine Kapitalertragsteuer aus, vgl. BR-Drucks. 244/21, 21.

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In der Praxis muss überprüft werden, ob die Personengesellschaft im Vorfeld der Optionsausübung durch eine Änderung der Entnahmebestimmungen des Gesellschaftsvertrags optionstauglich gemacht werden muss. Zum einen sind insoweit die zivilrechtlichen Besonderheiten zur Gewinnverwendung bei Personengesellschaften zu beachten (Grundsatz der Vollausschüttung), die auch nach der Optionsausübung fortgelten.117 Zum anderen ist, soweit eine Entnahmebeschränkung bereits vorgesehen ist, regelmäßig berücksichtigt, dass der Gesellschafter die Einkommensteuer auf seinen gesamten Gewinnanteil zu tragen hat. Würde wie bisher entnommen, würde dies im ersteren Fall zu keinem Vorteil führen, da bei der Vollausschüttung sowohl auf Gesellschafts- als auch auf Gesellschafterebene Steuern anfallen würden, die in Summe in etwa wieder der Besteuerung der Personengesellschaft vor Option entsprechen würden. Selbst wenn bereits eine Entnahmebeschränkung besteht (im zweiten Fall), würde der Gesellschaft zu wenig an Kapital verbleiben, da nach der Option sie die Ertragsteuern trägt und nicht mehr der Gesellschafter. Folglich muss nicht mehr so viel an Gewinn entnommen werden, wie vor der Option; entsprechend wäre die Entnahmequote herabzusetzen. Der zu thesaurierende Teil sollte gesellschaftsvertraglich als Gutschrift auf einem gesamthänderisch gebundenen Rücklagenkonto erfasst werden; diese Gutschrift löst, da es sich nicht um eine zugeflossene „Ausschüttung“ handelt, keine Belastung mit Kapitalertragsteuer aus.118 Es müsste noch der Umstand hinzutreten, dass der Gesellschafter die Auszahlung auch gesetzlich oder rechtlich verlangen kann. Für Gutschriften des entsprechenden Gewinnanteils auf einem als Fremdkapital ausgestalteten Konto des Mitunternehmers gilt jedoch, dass diese eine Gewinnausschüttung darstellen. Die zu erhebende Kapitalertragsteuer entsteht in diesem Fall – trotz der grundsätzlichen Vereinnahmung des Gewinns auf den Schluss des Wj. der Gewinnerzielung – erst mit Feststellung des Jahresabschlusses, da zu diesem Zeitpunkt auch die Höhe der Gewinnanteile konkretisiert werden kann. e) Besteuerung der Gesellschafter Die gesetzliche Fiktion wirkt sich auch auf der Ebene der Gesellschaft dahingehend aus, dass die Mitunternehmer mit Wirksamwerden der Op-

117 IdW, Positionspapier zum Einstieg in eine rechtsformneutrale Besteuerung („Optionsmodell“), 13.11.2019, 2. Auflage, 8. 118 Vgl. Cordes/Kraft, FR 2021, 401 (405).

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tionsausübung nunmehr die Stellung der nicht persönlich haftenden Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft sowohl im Hinblick auf laufende Einkünfte als auch für Veräußerungsgewinne einnehmen. Im Grundsatz ist festzuhalten, dass sämtliche Einnahmen, die der Gesellschafter einer optierenden Gesellschaft erlangt, gewerbliche Einkünfte darstellen. Mit der Optierung zur Körperschaftsbesteuerung werden die Einnahmen auf der Ebene der Gesellschaft umqualifiziert. Eine nicht abschließende Aufzählung sieht die Regelung des § 1a Abs. 3 Satz 2KStG vor. Demnach sind insbes. Gewinnausschüttungen der fiktiven Kapitalgesellschaft beim Gesellschafter als durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Einnahmen als Einkünfte aus Kapitalvermögen iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu qualifizieren, sofern diese die Beteiligung im Privatvermögen halten (§ 1a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KStG). Wird die Beteiligung hingegen im Betriebsvermögen gehalten, gilt für die Besteuerung der Entnahme das Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 EStG bei natürlichen Personen als unmittelbare oder mittelbare Gesellschafter, § 8b KStG bei juristischen Personen als unmittelbare oder mittelbare Gesellschafter).119 Einnahmen, die der Gesellschafter für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft bezieht, sind den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit nach § 19 EStG zuzuordnen. Erzielt der Gesellschafter Einnahmen aus der Hingabe von Darlehen, so führen diese zu Einkünften aus Kapitalvermögen iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 7 oder § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG. Schließlich sind Einnahmen aus der Überlassung von Wirtschaftsgütern als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gem. § 21 EStG oder als sonstige Einkünfte iSd. § 22 EStG zu qualifizieren. f) Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter Entsprechend der Fiktion einer Kapitalgesellschaft werden die Gesellschafter des optierenden Personenunternehmens den Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft gleichgestellt. Daraus erwächst die steuerliche Anerkennung von schuldrechtlichen Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern. Bezieht der Gesellschafter Vergütungen aus der fiktiven Kapitalgesellschaft für das Tätigwerden im Betrieb, für die Gewährung von Darlehen oder für die Überlassung von Wirtschaftsgütern, so sind diese auf der Ebene des Unternehmens als Betriebsausgaben zu qualifizieren und im Rahmen der steuerlichen Vorschriften

119 Vgl. Brühl/Weiss, DStR 2021, 945 (946).

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abzugsfähig.120 Beim Gesellschafter hingegen können die Vergütungen zu Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 1a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 KStG), aus Kapitalvermögen (§ 1a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 KStG) oder aus Vermietung und Verpachtung bzw. zu sonstigen Einkünften (§ 1a Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KStG) führen und sind unter Anwendung der allgemeinen Besteuerungsgrundsätze zu besteuern. Dies gilt jedoch gem. § 1a Abs. 3 Satz 4 KStG nur, soweit vergleichbare Leistungen einer echten Kapitalgesellschaft steuerlich ebenso behandelt werden würden. Für die steuerliche Anerkennung der schuldrechtlichen Leistungsbeziehung wird demnach – wie für Kapitalgesellschaften auch – die Einhaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes vorausgesetzt. An eine entsprechende Anerkennung sind zusätzlich weitergehende Anforderungen zu stellen, die auch bei einer Kapitalgesellschaft gelten: die schuldrechtliche Vereinbarung über die Gewährung der Vergütung muss im Voraus klar und eindeutig formuliert und schriftlich festgehalten sein.121 Wegen der grundsätzlichen steuerlichen Anerkennung schuldrechtlicher Leistungsbeziehungen zwischen optierter Personengesellschaft und ihren Gesellschaftern ist davon auszugehen, dass bei optierten Personengesellschaften vGA-Themen verstärkt an Bedeutung gewinnen werden. Dem könnte in der Praxis dadurch vorgebeugt werden, dass vor Ausübung der Option die entsprechenden Leistungsbeziehungen auf Fremdvergleichskonformität überprüft und ggf. angepasst werden. Wird dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht Genüge geleistet, führen die unangemessenen Vergütungen als verdeckte Gewinnausschüttungen zu Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG.122 Eine steuerneutrale Einlage in das Betriebsvermögen der Personengesellschaft sowie eine steuerneutrale Entnahme nach § 6 Abs. 5 EStG sind aufgrund der Fiktion der Personengesellschaft als Körperschaftsteuersubjekt nicht mehr möglich. Gleiches gilt für die Anwendung der Realteilungsgrundsätze des § 16 Abs. 3 Satz 2 ff. EStG.

120 Vgl. Entwurf zum StSenkG, § 4a Abs. 2 Satz 2 KStG-E, BT-Drucks. 14/3366, 57. 121 Vgl. Entwurf zum StSenkG, § 4a Abs. 2 Satz 3 KStG-E, BT-Drucks. 14/3366, 57. 122 Vgl. auch Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (355).

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g) Rückoption Schließlich muss die Möglichkeit einer Rückkehr zum ursprünglichen Besteuerungsregime der Einkommensteuer eingeräumt werden. Anderenfalls würde der fiktive Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft infolge der Optionsausübung im Vergleich zu einem umwandlungssteuerrechtlichen – und damit tatsächlichen – Formwechsel, bei der ein Rückformwechsel zulässig ist, nachteiliger sein.123 Die Rückkehr zur transparenten Besteuerung nach Personengesellschaftsgrundsätzen wird in § 1a Abs. 4 KStG normiert. Eine zeitliche Bindungsfrist für die Rückoption ist gesetzlich nicht vorgesehen, wobei jedoch bei einer Rückoption innerhalb von sieben Jahren seit Wirksamwerden der Option möglicherweise eine rückwirkende Einbringungsgewinnbesteuerung nach § 22 UmwStG droht.124 Hinsichtlich der Voraussetzungen gelten die Grundsätze zur Optionsausübung: Es ist grundsätzlich ein Antrag zur Rückoption vor Beginn des Wj., ab dem das Besteuerungsregime wieder umgestellt werden soll, erforderlich. Das Erfordernis eines Gesellschafterbeschlusses wird in Ermangelung eines Verweises auf eine entsprechende Anwendung des § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG – jedenfalls im Gesetzestext – nicht explizit vorgesehen. Steuerlich bewirkt die Rückoption einen fiktiven Rechtsformwechsel in eine Personengesellschaft iSd. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwStG, auf den die gesetzlichen Regelungen des § 9 UmwStG für den Formwechsel von Kapitalgesellschaften in Personengesellschaften entsprechende Anwendung finden.125 Mithin gelten die umwandlungssteuerrechtlichen Regelungen der §§ 3–8, 10 und 18 UmwStG. Parallel zur Optierung wird allerdings § 9 Satz 3 UmwStG für nicht anwendbar erklärt und hebt damit die Möglichkeit eines steuerlich rückwirkenden Wechsels zur Transparenzbesteuerung auf. Unabhängig von einem Antrag kommt es auch dann zu einer zwingenden Rückoption kraft Gesetzes, sofern die Voraussetzungen für die Optionsausübung zur Körperschaftsbesteuerung gem. § 1a Abs. 1 KStG entfallen.

123 Vgl. IdW, Positionspapier zum Einstieg in eine rechtsformneutrale Besteuerung („Optionsmodell“), 13.11.2019, 2. Auflage, 10. 124 Zur Problematik und zum Meinungsstand s. unter III.2.b). 125 Zu den steuerlichen Rechtsfolgen einer Rückoption, vgl. Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (364); Brühl/Weiss, DStR 2021, 945 (950); Kölbl/Luce, Ubg. 2021, 264 (271).

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Dies umfasst in etwa den Fall, dass sich die optierende Gesellschaft in eine GbR umwandelt, so dass der persönliche Anwendungsbereich der Option nicht mehr gegeben ist. Eine obligatorische Beendigung der Optionswirkung erfolgt ebenfalls in den Konstellationen, in denen der vorletzte Gesellschafter während der Optionszeit aus der Gesellschaft ausscheidet, mit der Folge, dass die Personengesellschaft nach zivilrechtlichen Grundsätzen beendet wird (Anwachsung). Die steuerlichen Konsequenzen, die hieraus erwachsen, hängen maßgebend davon ab, ob der verbleibende Gesellschafter in den persönlichen Anwendungsbereich des UmwStG fällt. Erfüllt der verbleibende Gesellschafter die persönlichen Voraussetzungen eines übernehmenden Rechtsträgers für Umwandlungsvorgänge einer Kapitalgesellschaft iSd. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 4 UmwStG, so gilt die optierende Gesellschaft als auf den verbleibenden Rechtsträger verschmolzen. Im Fall des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UmwStG gilt wiederum das Vermögen der optierenden Gesellschaft als auf den verbleibenden Gesellschafter übertragen. Werden die genannten persönlichen Voraussetzungen eines übernehmenden Rechtsträgers einer Umwandlung nicht erfüllt, gilt die optierende Gesellschaft als aufgelöst und ihr Vermögen als an die Gesellschafter ausgeschüttet. Auf letztere Konstellation findet die Regelung zur Liquidationsbesteuerung gem. § 11 KStG entsprechende Anwendung. h) Fiktionswirkung nur für ertragsteuerliche Zwecke Die Optionsausübung und die damit einhergehende Fiktion eines Formwechsels in eine Kapitalgesellschaft findet nur für Zwecke der Ertragsteuer Beachtung. Auf die Grunderwerbsteuer,126 Umsatzsteuer und die Erbschaft- und Schenkungsteuer127 sollen sowohl die Option als auch die Rückoption keine Auswirkungen entfalten.128 Die am Schnittpunkt liegende Regelung des § 6 Abs. 3 EStG kann dann jedoch konsequenterweise keine Anwendung finden.

126 Auswirkungen des KöMoG auf die Grunderwerbsteuer vgl. Brühl, GmbHR 2021, 749; Dreßler/Kompolsek, Ubg 2021, 301 (304 f.). 127 Zu den Auswirkungen auf die Erbschaftsteuer vgl. Cordes/Kraft, FR 2021, 401 (407); Kölbl/Luce, Ubg 2021, 264 (270). 128 Vgl. Bochmann/Bron, NZG 2021, 613 (615).

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3. Allgemeine Kritik a) Partielle Zielverfehlung Mit der gesetzlichen Einführung eines Optionsmodells soll eine rechtsformneutrale Unternehmensbesteuerung129 geschaffen und auf diese Weise zugleich Wettbewerbsneutralität gewährleistet werden130 – so zumindest die Zielvorstellung des Steuergesetzgebers.131 Allerdings vermag die Optionslösung – aufgrund ihrer Ausgestaltung als Wahlrecht – keine rechtsformunabhängige Besteuerung der unternehmerischen Tätigkeit völlig losgelöst von der Rechtsform herzustellen.132 Vielmehr bleibt es im Grundsatz bei der Aufrechterhaltung des Dualismus der Unternehmensbesteuerung mit dem neuen weiteren Zusatz, dass nunmehr die Gesellschafter über das anzuwendende Besteuerungssystem entscheiden dürfen. Eine grundlegende und tatsächliche Rechtsformneutralität wird mit dem Optionsmodell folglich nicht angegangen.133 Da die fiktive Kapitalgesellschaft nur für Zwecke der Besteuerung nach dem Einkommen der Kapitalgesellschaft gleichgestellt wird und eine Gleichstellung über das Ertragsteuerrecht ausbleibt, stellt sich erst recht die Frage nach der Verwirklichung von Rechtsformunabhängigkeit. b) Erhöhung der Rechtsunsicherheit und Komplexität Infolge der Aufnahme des Optionsmodells in § 1a KStG wird zudem Rechtsunsicherheit bei den Stpfl. hervorgerufen. Schließlich wurden völlig neue gesetzliche Regelungen geschaffen, die überdies wegen der erforderlichen Anpassung der Körperschaftsbesteuerung auf die Mitunternehmerschaft in nicht unerheblichem Maße komplex ausgestaltet sind, wie es das KöMoG darlegt. Gesellschafter von Personenunternehmen stehen erstmals unbekannten Vorschriften gegenüber, die zunächst weder durch die Wissenschaft noch durch die Rspr. oder Verwaltung im Hinblick auf Unklarheiten und Schwächen hinreichend erforscht sind.134 Hierdurch 129 BT-Drucks. 19/28656, 15. 130 Mitteilung des BMF im Hinblick auf den Gesetzesentwurf, abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Geset ze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/19_Legislaturperiode/Geset ze_Verordnungen/2021-04-19-KoeMoG/0-Gesetz.html. 131 Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Beschluss v. 5.11.2019, 5. 132 Wacker, DStR 2019, 585, (589). 133 Sieker, DStJG Bd. 25, 2002, 145 (171); Schiffers, GmbHR 1999, 741 (746). 134 Kußmaul/Schäfer, BB 2000, 901 (904).

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verstärkt sich die Prognoseunsicherheit im Rahmen der Unternehmensbesteuerung entsprechend.135 Korrespondierend hierzu wird der steuerliche und gesellschaftsrechtliche Beratungsbedarf erheblich steigen.136 Die Beurteilung der Vorteilhaftigkeit der Optionsausübung kann und wird nur individuell und unter Berücksichtigung der konkreten Einzelumstände möglich sein. Wurden Berater zuvor im Zuge der optimalen Rechtsformwahl tätig, so werden sie sich nunmehr wegen der Optionserwägung einschalten. Daraus folgt nicht nur eine Verlagerung des Beratungsfelds,137 sondern entsprechend einer völlig neuen gesetzlichen Konzeption und der damit einhergehenden rechtlichen Unklarheiten auch ein höherer Aufwand. Nicht zu vernachlässigen sind überdies die hieraus folgenden hohen Informationsund Transaktionskosten für die Stpfl.138 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die fiktive Kapitalgesellschaft gesellschaftsrechtlich weiterhin als Personengesellschaft behandelt wird, der allein für steuerliche Zwecke mittels Fiktion eine Besteuerung nach körperschaftsteuerlichen Grundsätzen „übergestülpt“ wird. Damit das Optionsmodell in der Praxis seine Wirkung überhaupt entfalten kann, muss der Gesellschaftsvertrag vor der Optionsausübung „optionsfähig“ gemacht werden.139 Für die gesellschaftsrechtliche Optionsberatung entsteht zusätzlicher Beratungsaufwand. c) Eingeschränkter Anwenderkreis Einen zur Verkomplizierung des Steuerrechts hinzutretenden weiteren Kritikpunkt bildet der eingeschränkte Anwenderkreis des vorgeschlagenen Optionsmodells. So wird die Möglichkeit zur Optionsausübung dem Einzelunternehmen140 erst gar nicht gewährt. Lediglich Personenhandels- und Partnerschaftsgesellschaften fallen in den persönlichen Anwendungsbereich der Körperschaftsoption. Gleichwohl wird in der Praxis ein Großteil der kleinen und mittleren Personenunternehmen das Wahlrecht 135 136 137 138 139 140

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Vgl. auch Wacker, DStR 2019, 585 (589). Wacker, DStR 2019, 585 (589). Löhr, StuW 2000, 33 (41). Hey, DStJG 24 (2001), 155 (216); Sieker, DStJG 25 (2002), 145 (171). Seibt, DStR 2000, 825 (833 f.). Der Einzelunternehmer könnte jedoch sein Einzelunternehmen steuerneutral auf eine Ein-Mann-GmbH & Co. KG übertragen und mit dieser dann zur Körperschaftsteuer optieren. Dies dürfte allerdings nicht zu einer Vereinfachung des Steuerrechts beitragen. Vgl. auch Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (351).

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hinsichtlich des Wechsels zur intransparenten Besteuerung voraussichtlich nicht in Anspruch nehmen, da die Option für diese Gesellschaften ohnehin als unvorteilhaft und unpraktikabel erscheinen wird.141 Die Körperschaftsbesteuerung kommt daher – wenn überhaupt – lediglich für ertragsstarke Personengesellschaften in Betracht, die konstant höhere Gewinne erzielen, einen geringen Ausschüttungsbedarf haben und sich die Informationskosten, die mit dem erforderlichen Beratungsaufwand einhergehen, leisten können.142 d) Verlust der steuerlichen Vorteile der Personengesellschaft Mit der Körperschaftsteueroption geht auch der Verlust der für das transparente Besteuerungssystem der Personengesellschaften typischen steuerlichen Vorteile einher. Das für Personenunternehmen geltende Transparenzprinzip eröffnet den Mitunternehmern den Weg zum personenbezogenen Verlustausgleich und ermöglicht so die Verrechnung von betrieblichen und privaten Einkünften.143 Darüber hinaus sind die gesetzlich eingeräumten Mittel im Hinblick auf steuerneutrale Übertragungen und Überführungen von Einzelwirtschaftsgütern gem. § 6 Abs. 5 EStG oder § 16 Abs. 3 Satz 2 ff. EStG nicht zu vergessen. Mit der Ausübung der Option zur intransparenten Besteuerung gehen diese Vorteile zwingend unter. e) Mögliche Aufkommensverschiebungen Durch die Option zur Körperschaftsteuer können sich zusätzlich Probleme in der Verteilung des Steueraufkommens ergeben. Denn zum einen wird die Körperschaftsteuer von dem FA am Sitz der (fiktiven) Körperschaft vereinnahmt, während die Einkommensteuer an das FA am Sitz des Personengesellschafters gezahlt wird. Zum anderen gelten für die Verteilung der Körperschaftsteuer auf die beteiligten Gebietskörperschaften andere Regelungen als für die Verteilung der Einkommensteuer.144 Schließlich wird mit Blick auf das Kirchensteueraufkommen zu 141 So auch DStV-Präsident Elster, nachzulesen in Stbg. 2020, 193. 142 Lang, GmbHR 2000, 453 (460). 143 Vgl. Wacker, DStR 2019, 585 (588); Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (352); Schiffers, GmbH-StB 2021, 56 (61). 144 Das Steueraufkommen der Körperschaftsteuer und der Einkommensteuer steht gem. Art. 106 Abs. 3 GG dem Bund und den Ländern grds. hälftig zu. Anders als am Körperschaftsteueraufkommen erhalten die Gemeinden einen Anteil am Gesamtaufkommen der Einkommensteuer gem. Art. 106 Abs. 5

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berücksichtigen sein, dass mit der Abkehr von der transparenten Besteuerung die Gewinnentstehung auf der Ebene der fiktiven Kapitalgesellschaft unmittelbar keine Kirchensteuer bei den Gesellschaftern auslöst. Erst wenn ggf. zu einem viel späteren Zeitpunkt die Gewinne ganz oder teilweise an die Gesellschafter der fiktiven Kapitalgesellschaft ausgeschüttet werden, kann die Kirchensteuer erhoben werden, sofern es sich bei den Gesellschaftern um kirchensteuerpflichtige Personen handelt.145

4. Ausgewählte Problemfelder a) Behandlung des Sonderbetriebsvermögens Das Sonderbetriebsvermögen ist eine Besonderheit der Mitunternehmerschaft und demnach der Körperschaftsbesteuerung völlig fremd. Dies führt letztlich dazu, dass sich die Existenz von Sonderbetriebsvermögen als ein nicht unerhebliches Problem im Rahmen der Optierung zur Körperschaftsbesteuerung darstellt und zugleich ein nicht unerhebliches Hindernis mit Blick auf den Wechsel des Besteuerungsregimes begründet.146 Gleichwohl sollte das Sonderbetriebsvermögen gegenüber der gesetzlichen Fiktion eines steuerneutralen Formwechsels in eine Kapitalgesellschaft zu Buchwerten kein unüberwindbares Hindernis bilden.

Satz 1 GG, der von den Ländern an ihre Gemeinden weitergeleitet wird. Am Körperschaftsteueraufkommen sind die Gemeinden nicht unmittelbar beteiligt, vgl. hierzu Kube in Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Art. 106 Rz. 33. Weitere Unterschiede ergeben sich auch auf der Ebene der Verteilung des Länderanteils am Steueraufkommen unter den Ländern gem. Art. 107 Abs. 1 GG iVm. den Regelungen des ZerlG. Während die Körperschaftsteuer vornehmlich nach dem Betriebsstättenprinzip zerlegt wird (§§ 2–6 ZerlG), steht der Anteil am Einkommensteueraufkommen den Ländern zu, der in ihrem Gebiet vereinnahmt worden ist. 145 In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass für die fiktive Kapitalgesellschaft – anders als für Personengesellschaften – das neue Kirchensteuerabzugsverfahren gilt, wonach bei Ausschüttungen neben der abzuführenden Kapitalertragsteuer auch die darauf entfallende Kirchensteuer einzubehalten und an das FA abzuführen ist (vgl. § 51a Abs. 2c EStG). Kommt die fiktive Kapitalgesellschaft ihrer Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Kirchensteuer ihrer Gesellschafter nicht ordnungsgemäß nach, kann sie als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden (§ 51a Abs. 2c Satz 5 iVm. § 44 Abs. 5 EStG). 146 Vgl. auch Dreßler/Kompolsek, Ubg. 2021, 301 (310).

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Zunächst ist festzustellen, dass sich die Schwierigkeit nur durch die Existenz von fortbestehendem Sonderbetriebsvermögen im Zeitpunkt der Optionsausübung ergibt. Wird dieses jedoch zeitgleich in einem einheitlichen Vorgang mit der Optionsausübung (steuerneutral) nach Maßgabe der §§ 25, 20 UmwStG147 in das Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft übertragen, erübrigen sich diese, da das Sonderbetriebsvermögen im Zuge der Option steuerverstrickt bleibt.148 Offen bleibt hingegen, wie die zeitgleiche Übertragung des Sonderbetriebsvermögens in das Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft konkret ausgestaltet werden soll, da anders als bei einem regulären Formwechsel nach § 25 UmwStG im Fall der Option zur Körperschaftsteuer kein zivilrechtlicher Umwandlungsakt stattfindet, bei dem auch der Übergang einzelner Wirtschaftsgüter in das Vermögen der „übernehmenden“ Kapitalgesellschaft mit geregelt werden kann.149 Alternativ kann das Sonderbetriebsvermögen gem. § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG auch (steuerneutral) in ein anderes Betriebsvermögen des Mitunternehmers oder wiederum in ein anderes Sonderbetriebsvermögen desselben Mitunternehmers bei einer anderen Mitunternehmerschaft überführt werden.150 Dies sollte auch dann möglich sein, wenn das Sonderbetriebsvermögen eine funktional-wesentliche Betriebsgrundlage enthält.151 Denn diese muss zwar zwingend bei einer Einbringung gem. § 20 UmwStG mit eingebracht werden; insofern wird an den Erfordernissen des § 20 UmwStG auch bei der Option uneingeschränkt festgehalten, um eine Gleichbehandlung von optierenden und tatsächlich formwechselnden Gesellschaften zu 147 Der Anwendungsbereich der §§ 25, 20 UmwStG – und nicht von § 6 Abs. 5 EStG – dürfte eröffnet sein, wenn die Übertragung des Sonderbetriebsvermögens zeitgleich in einem einheitlichen Vorgang mit der Optionsausübung erfolgt. Zur Behandlung der „Miteinbringung“ von Sonderbetriebsvermögen im Rahmen des regulären Formwechsels vgl. Rabback in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 25 Rz. 50. 148 Eine zeitlich der Optionsausübung vorgelagerte Übertragung des Sonderbetriebsvermögens in das Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft nach § 6 Abs. 5 EStG birgt hingegen die Gefahr, dass die Sperrfristen nach § 6 Abs. 5 Satz 4 und Satz 6 EStG ausgelöst werden; vgl. Cordes/Kraft, FR 2021, 401 (408). 149 Denkbar ist, dass Mitunternehmer und Personengesellschaft die Übertragung in einer vertraglichen Zusatzvereinbarung regeln, die aufschiebend bedingt mit Optionsausübung wirksam wird. 150 Ein solcher Vorschlag wurde bereits im Rahmen der rechtswissenschaftlichen Diskussion zum Entwurf zum StSenkG präsentiert. So in etwa durch Mentel/Schulz, DStR 2000, 489 (493). 151 Vgl. Brühl/Weiss, DStR 2021, 889 (894); Köbl/Luce, Ubg. 2021, 264 (265 f.).

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wahren.152 Wird die funktional wesentliche Betriebsgrundlage jedoch zuvor dauerhaft in ein anderes Betriebsvermögen übertragen, so soll dies nach der höchstrichterlichen Rspr. für die Steuerneutralität der Einbringung auch nach den Grundsätzen des Gesamtplans unschädlich sein.153 Sofern zwischen dem Unternehmer und dem optierten Personenunternehmen die Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung erfüllt sind, so dass das ursprüngliche Sonderbetriebsvermögen nunmehr als Betriebsvermögen des Besitzunternehmens zu qualifizieren ist und daher steuerverstrickt bleibt, könnte die Option ebenfalls weiterhin steuerneutral erfolgen.154 Dies wäre allerdings, wie aufgezeigt, nur dann möglich, wenn das Wirtschaftsgut im Sonderbetriebsvermögen nicht eine funktionalwesentliche Betriebsgrundlage darstellt und zur Erlangung der Buchwertneutralität auf die optierte Personengesellschaft übertragen wird. Problematisch wird es zusätzlich, wenn das Sonderbetriebsvermögen infolge mangelnder Übertragung oder Überführung im Vorfeld der Optionsausübung nicht mehr steuerverstrickt ist (und keine funktional-wesentliche Betriebsgrundlage ist).155 Infolge der Optionsausübung kommt es zum Wegfall der Sonderbetriebsvermögen-Eigenschaft; schließlich verliert auch der Gesellschafter seine Mitunternehmerstellung, weshalb er kein Sonderbetriebsvermögen mehr bilden kann.156 Damit fallen die entsprechenden Wirtschaftsgüter – wenn sie nicht überführt oder übertragen worden sind – entweder in das Privatvermögen der natürlichen Person oder in den Eigenbetrieb einer Körperschaft oder anderen Mitunternehmerschaft zurück.157 Sofern das ursprüngliche Sonderbetriebsvermögen nunmehr dem Privatvermögen einer natürlichen Person zuzuordnen ist,

152 Vgl. BR-Drucks. 244/21, 20. 153 BFH v. 25.11.2009 – I R 72/08, BStBl. II 2010, 471 = FR 2010, 381; vgl. Schmitt in Schmitt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG9, § 20 UmwStG Rz. 22; eine andere Auffassung vertritt derzeit noch die Finanzverwaltung, vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978 b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 20.07. 154 Vgl. auch Schulze zur Wiesche, FR 1999, 698 (700). 155 Im Entwurf zum StSenkG sollte das Sonderbetriebsvermögen, sofern es nicht Betriebsvermögen des Mitunternehmers bleibt, als entnommen gelten mit der Folge der Aufdeckung stiller Reserven, § 4a Abs. 3 Satz 10 KStG-E; vgl. BT-Drucks. 14/3366, 57. 156 Vgl. Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 20 UmwStG Rz. 257 (März 2021). 157 Vgl. Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 25 UmwStG Rz. 38 (Juni 2019) und § 20 UmwStG Rz. 257 (März 2021).

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kommt es infolge einer Entnahme dieses Wirtschaftsguts zu einer Aufdeckung der stillen Reserven des Sonderbetriebsvermögens.158 Um die hiermit einhergehende steuerliche Belastung abzuschwächen und dem Umstand, dass dem realisierten Buchgewinn keine tatsächliche Liquiditätssteigerung folgt, Rechnung zu tragen, hätte eine Stundungsregelung dahingehend eingeführt werden können, dass die auf den Entnahmegewinn entfallende Ertragsteuer auf Antrag zinslos gestundet wird. Allerdings existiert auch beim regulären Formwechsel eine solche Stundungsregel nicht. Ein weiterer Ansatz zur Vermeidung von steuerlichen Belastungswirkungen bei Zurückbehaltung des Sonderbetriebsvermögens wäre die Einräumung einer gesetzlichen Möglichkeit zur steuerneutralen Überführung in ein fiktives Betriebsvermögen, sozusagen ein Rest-Betriebsvermögen des Mitunternehmers, gewesen, wobei ohnehin dogmatisch fraglich gewesen wäre, ob es ein Rest-Betriebsvermögen ohne aktiven Betrieb überhaupt geben kann.159 Eine Realisierung der stillen Reserven wäre jedenfalls in diesem Fall erst im Zeitpunkt einer tatsächlichen Veräußerung erfolgt, was den fiktiven Formwechsel jedoch im Vergleich zum regulären Formwechsel begünstigt hätte. Solche oder vergleichbare Lösungsansätze im Zusammenhang mit der Problematik des Sonderbetriebsvermögens statuiert das Optionsmodell nach § 1a KStG jedenfalls nicht. Die nachfolgenden Beispiele veranschaulichen die Probleme des Sonderbetriebsvermögens im Zusammenhang mit dem Optionsmodell. Beispiel 1: Behandlung des Sonderbetriebsvermögens I A und B sind natürliche Personen und zu jeweils 50% an der deutschen AB-GmbH & Co. KG beteiligt. A ist Eigentümer eines Grundstücks, das einen Buchwert von 1 Mio. t (Verkehrswert 6 Mio. t) hat. Dieses verpachtet er zu 100% an die ABGmbH & Co. KG, die es als Betriebsgrundstück nutzt. Das Grundstück ist demzufolge bei A seinem Sonderbetriebsvermögen I zuzuordnen. Das Eigenkapital der AB-GmbH & Co. KG liegt bei 10 Mio. t. A und B überlegen sich, ob nicht die ABGmbH & Co KG zur Körperschaftsteuer optieren soll.

158 Vgl. Dreßler/Kompolsek, Ubg. 2021, 301 (304); Brühl/Weiss, DStR 2021, 889 (894); Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 20 UmwStG Rz. 257 (März 2021). 159 Bejahend BFH v. 4.12.2012 – VIII R 41/09, BStBl. II 2014, 288 = FR 2013, 462, wobei es sich in dem entschiedenen Fall um funktional nicht wesentliches Abwicklungsvermögen gehandelt hat.

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Die Optionsausübung würde zu einem fiktiven Formwechsel führen, auf den die Regelungen des § 25 Satz 1 iVm. § 20 UmwStG entsprechende Anwendung fänden. Die Steuerbegünstigung des Formwechsels gem. § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG erfordert, dass das Sonderbetriebsvermögen, das den funktional-wesentlichen Betriebsgrundlagen zuzurechnen ist, in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Umwandlung auf die Kapitalgesellschaft übertragen werden muss.160 Geschieht dies nicht, kommt es zu einer Aufdeckung aller stillen Reserven, sowohl im Betriebsvermögen als auch im Sonderbetriebsvermögen.161 Insofern müsste A zur Wahrung der Steuerneutralität das Betriebsgrundstück, das typischerweise eine funktional-wesentliche Betriebsgrundlage bildet, in das Betriebsvermögen der fiktiven Kapitalgesellschaft einbringen. Würde A nun für die Übertragung seines Grundstücks nicht zusätzliche Kapitalrechte an der Personengesellschaft erhalten, würden 50% des Werts des Grundstücks (= 3 Mio. t) auf B überspringen. Dies wird A nicht wollen, weshalb er zusätzliche Anteile an der AB-GmbH & Co. KG verlangen wird. Damit wird aber die 50:50-Beteiligung von A und B gestört, was vermutlich B nicht will. 160 Vgl. Rabback in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 25 Rz. 50. 161 Vgl. Rabback in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 25 Rz. 51.

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Im Ergebnis stehen A und B damit vor demselben Dilemma, vor dem sie stünden, wollten sie die Personengesellschaft tatsächlich in eine Kapitalgesellschaft formwechseln. Beispiel 2: Behandlung des Sonderbetriebsvermögens II Die Grundkonstellation entspricht der in Beispiel 1 geschilderten Ausgangslage. Gesellschafter B hatte mehrere Jahre zuvor ein Darlehen iHv. 1 Mio. t bei der Bank aufgenommen, um die Gesellschaftsanteile an der AB-GmbH & Co. KG zu erwerben. Diese eingegangene Verpflichtung zur Finanzierung der Beteiligung ist dem passiven Sonderbetriebsvermögen II des B zuzuordnen.

Bringt B die Darlehensverbindlichkeit freiwillig im Zuge des fiktiven Formwechsels in die fiktive Kapitalgesellschaft ein, so wirkt sich dies ebenfalls auf das Kapital der Gesellschaft aus. Das Eigenkapital der ABGmbH & Co. KG betrug vor Optionsausübung 10 Mio. t. Das Grund-

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kapital liegt aber nunmehr nach der Option durch die entsprechende Verrechnung mit der Darlehensforderung des B von 1 Mio. t bei insgesamt 9 Mio. t. Dies beeinflusst den Wert der Gesellschaftsanteile des A. Während A zuvor über einen Anteil im Wert von 5 Mio. t verfügte, sind diese nunmehr nur noch 4,5 Mio. t wert. Die Differenz könnte dahingehend ausgeglichen werden, dass Gesellschafter B an A weitere 5,5% seiner Anteile überträgt (bei einer Anteilsgröße des A von 55,5%, wären die Anteile wieder gleich viel wert). Hierdurch würde wie in Beispiel 1 das Anteilsverhältnis gestört, was vermutlich nicht gewollt ist. Bringt B die Darlehensverbindlichkeit nicht in das Betriebsvermögen der fiktiven Kapitalgesellschaft ein, so wirkt sich dies wiederum auf die steuerliche Abzugsfähigkeit seiner Zinsaufwendungen aus. Vor Optionsausübung konnte B die an die Bank entrichteten Zinsen zu 100% als Sonderbetriebsausgaben geltend machen, da die Mitunternehmeranteile fremdfinanziert erworben wurden.162 Da der Gesellschafter B nunmehr infolge der Option an einer fiktiven Kapitalgesellschaft beteiligt ist und Einkünfte aus Kapitalvermögen iSd. § 20 EStG erzielt, sind die Zinsaufwendungen als Werbungskosten zu qualifizieren und können nur noch iHv. 801 t abgezogen werden (Sparer-Pauschbetrag). Der Abzug der tatsächlichen Werbungskosten ist indes nicht mehr zulässig. Möglich wäre die Option zum Teileinkünfteverfahren gem. § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG, wodurch die Zinsen zumindest zu 60% abzugsfähig wären (§ 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 2, § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG). b) Optierte Personengesellschaft als Organgesellschaft? Beispiel 3: Die deutsche M-OHG ist alleinige Gesellschafterin sowohl der X-GmbH & Co. KG als auch der Y-GmbH & Co. KG. Durch entsprechende Optionsausübung zur Körperschaftsbesteuerung wird die Y-GmbH & Co. KG in ertragsteuerlicher Hinsicht einer Kapitalgesellschaft gleichgestellt – sie gilt als fiktive Kapitalgesellschaft. Nunmehr möchte die M-OHG ein Organschaftsverhältnis zu ihrer optierten Tochtergesellschaft Y-GmbH & Co- KG iSd. §§ 14, 17 KStG begründen.

162 Vgl. BFH v. 9.4.1981 – IV R 178/80, BStBl. II 1981, 621; Tiede in Herrmann/ Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15 EStG Rz. 550 (Aug. 2017).

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Während die Organträgerfähigkeit einer optierten Personengesellschaft grundsätzlich unverändert fortbesteht (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG), ist ihre Fähigkeit als Organgesellschaft im Rahmen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft zweifelhaft.163 Zentrale Vorschrift ist die Regelung des § 17 KStG, nach der Organgesellschaft neben den in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG genannten Rechtsformen nur eine Kapitalgesellschaft iSd. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem EU-/EWR-Mitgliedstaat sein kann. Optierte Personengesellschaften würden dann nicht erfasst, wenn sie nicht diesen Kapitalgesellschaften gesetzlich gleichgestellt wären. Allerdings könnte die infolge der Option geltende Fiktion so weit reichen, dass das Personenunternehmen als fiktive Kapitalgesellschaft in den persönlichen An163 Auf diese unklare Problematik ebenfalls hinweisend Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (353); Cordes/Kraft, FR 2021, 401 (406); Bochmann/Bron, NZG 2021, 613 (615).

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wendungsbereich des § 17 KStG fällt. Hiergegen spricht jedoch im Wesentlichen, dass die Beurteilung der Gesellschaftsform im Körperschaftsteuerrecht maßgeblich nach zivilrechtlichen Kriterien erfolgt.164 Die Qualifizierung eines Rechtsgebildes richtet sich einzig nach der Ordnungsstruktur des Zivilrechts.165 Entscheidend ist demzufolge die zivilrechtliche Rechtsform, die jedoch durch die Optionsausübung nicht angetastet wird. Schließlich gilt die Fiktion eines Rechtsformwechsels in eine Kapitalgesellschaft nur für ertragsteuerliche Zwecke. Ohnehin stellt sich jedoch die Frage, ob sich eine optierte Personengesellschaft zivilrechtlich als Organgesellschaft wirksam zur Gewinnabführung iSd. § 17 Abs. 1 KStG durch den Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags (iSd. § 291 AktG) verpflichten kann.166 Bereits für die GmbH besteht keine entsprechende Regelung für den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags.167 Nach gefestigter Rspr. finden allerdings die aktienrechtlichen Regelungen der §§ 291 ff. AktG weitgehend – unter Beachtung der Strukturunterschiede – analoge Anwendung.168 Nichtsdestotrotz stellt sich auch hier das bereits aufgezeigte Problem, dass optierte Personenunternehmen trotz steuerrechtlicher Fiktion aus zivilrechtlicher Sicht mangels eines tatsächlichen Rechtsformwechsels nach wie vor als Personengesellschaften zu qualifizieren sind, mit der Folge, dass die analoge Anwendung der §§ 291 ff. AktG auf fiktive Kapitalgesellschaften ausscheiden sollte. Gleichwohl sollen Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge iSd. § 291 AktG mit beherrschten Personengesellschaften nicht generell un-

164 Neumann in Gosch, KStG4, § 17 KStG Rz. 3 stellt auf das inländische Zivilrecht ab. 165 Klein in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 1 KStG Rz. 30 (Feb. 2020). 166 Hierzu schon Mentel/Schulz, DStR 2000, 489 (497 f.). Zur Diskussion, ob Verträge iSd. § 291 AktG mit abhängigen Personengesellschaften abgeschlossen werden dürfen vgl. Altmeppen in MünchKomm. AktG5, § 291 Rz. 20 f. mwN.; dies bejahend ua. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht9, vor § 291 AktG Rz. 12; nur für den Fall bejahend, dass keine natürliche Person an der Personengesellschaft beteiligt ist, Holger/Peres in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht5, § 291 AktG Rz. 30. 167 Krumm in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 17 KStG Rz. 8 (Juli 2020). 168 Vgl. BFH v. 8.8.2001 – I R 25/00, BStBl. II 2003, 923 = FR 2002, 514; Krumm in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 17 KStG Rz. 8 (Juli 2020); Altmeppen in MünchKomm. AktG5, § 291 Rz. 19 mwN.

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zulässig sein.169 Ein generelles Verbot konzernierter Personengesellschaften dürfte sich nicht mehr begründen lassen,170 so dass Personengesellschaften wohl als beherrschte Untergesellschaften im Rahmen eines Vertragskonzerns fungieren können.171 Der wirksame Abschluss eines solchen Gewinnabführungsvertrags bedarf jedoch, da dieser eine Vertragsänderung bewirkt, der Zustimmung aller Gesellschafter.172 Insgesamt besteht aber noch keine vollständige Klarheit, ob und wie der für die Anwendung der §§ 14, 17 KStG geforderte Gewinnabführungsvertrag mit einer Personengesellschaft als beherrschtem Unternehmen abgeschlossen werden kann, da es sowohl an einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage als auch einer entsprechend zustimmenden höchstrichterlichen Entscheidung eines Zivilgerichts fehlt. Die Registergerichte dürften angesichts dieser Ausgangslage ebenfalls Zurückhaltung bei der Eintragung von Gewinnabführungsverträgen mit beherrschten Personengesellschaften walten lassen. c) Verzahnung der Option mit § 34a EStG Eine Verzahnung der Option mit der Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG ist nicht möglich. Denn die Option bewirkt für steuerliche Zwecke eine fiktive Umwandlung der optierenden Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft. Damit ist der Anwendungsbereich des § 34a EStG nicht mehr eröffnet. Zugleich bewirkt die Option nach geltendem Recht bei einer Personengesellschaft, die die Thesaurierungsbegünstigung in Anspruch genommen hat, dass der Nachversteuerungsbetrag zu versteuern ist, da durch die Ausübung der Option eine (gedachte) Einbringung der Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft bewirkt wird, die nach § 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 EStG zu einer Nachversteuerung führt.173 Die Nachversteuerung der Altrücklagen stellt ein wesentliches Hemmnis im Hinblick auf die Option dar.174 Der Vorschlag, eine gesetzliche Regelung zur Vermei-

169 Keller/Otto, Beck-Hdb. PersGes.5, § 24 Rz. 42; Roth in Baumbach/Hopt, HGB39, § 105 Rz. 105; Schäfer in Staub, HGB5, Anh. § 105 Rz. 12. 170 So Schäfer in Staub, HGB5, Anh. § 105 Rz. 12. 171 Vgl. auch Mentel/Schulz, DStR 2000, 489 (498). 172 Keller/Otto, Beck-Hdb. PersGes.5, § 24 Rz. 43; Schäfer in Staub, HGB5, Anh. § 105 Rz. 12. 173 Vgl. BR-Drucks. 244/21, 20. 174 Vgl. auch Dreßler/Kompolsek, Ubg. 2021, 301 (311).

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dung einer Nachversteuerung zu schaffen, wonach der nachversteuerungspflichtige Betrag auf die – in diesem Fall fiktive – Kapitalgesellschaft übergeht und dort den ausschüttbaren Gewinn des § 27 KStG erhöht, wurde vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen.175 d) Option im Internationalen Steuerrecht Mit Blick auf das Internationale Steuerrecht und die steuerrechtliche Behandlung von grenzüberschreitenden Konstellationen kann die Einführung eines Optionsmodells ebenfalls zu nicht unerheblichen Schwierigkeiten führen.176 Es ist unzweifelhaft, dass die einem grundsätzlich transparent besteuerten Rechtsgebilde eingeräumte Möglichkeit zum Wechsel des Besteuerungsregimes Qualifikationskonflikte auslösen wird.177 Zwar ist anzuerkennen, dass mit Ausübung der Option das Sonderbetriebsvermögen wegfällt, weshalb solche Qualifikationskonflikte, die sich grundsätzlich durch die Qualifikation der Einkünfte des Sonderbetriebsvermögens ergeben haben, ausbleiben;178 allerdings können sich im Gegenzug neue (positive und negative) Qualifikationskonflikte ergeben. Der Gesetzgeber adressiert indessen in § 1a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 KStG nur das Problem ausländischer hybrider Gesellschaften, die von der Option ausgeschlossen sind, wenn die Gesellschaft im Geschäftsleitungsstaat nicht der Besteuerung mit Körperschaftsteuer unterliegt. Zunächst stellt sich die Frage nach der Abkommensberechtigung von optierten Personengesellschaften. Hierzu lässt sich ausführen, dass Personengesellschaften, die in ihrem Sitzstaat intransparent besteuert werden und dort als unbeschränkte Körperschaftsteuersubjekte gelten, entsprechend dem als eindeutig zu wertenden Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 OECD-MA179 iVm. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a OECD-MA als „ansässige Per-

175 Vgl. BT-Drucks. 19/29843, 4; Bochmann/Bron, NZG 2021, 613 (616); Cordes/ Kraft, FR 2021, 401 (408); IdW, Positionspapier zum Einstieg in eine rechtsformneutrale Besteuerung („Optionsmodell“), 13.11.2019, 2. Auflage, 9. 176 Lauterbach, Ein neues Unternehmenssteuerrecht für Deutschland, 2007, 112 bezeichnet diese als „unlösbare Probleme“. 177 Zum Optionsmodell im Internationalen Steuerrecht und den damit einhergehenden Problemfeldern vgl. Haase, Ubg. 2021, 193; Krabbe, FR 2000, 545 (hinsichtlich des zuvor geplanten Optionsmodells in Form des § 4a KStG-E 2000). 178 IdW, Positionspapier zum Einstieg in eine rechtsformneutrale Besteuerung („Optionsmodell“), 13.11.2019, 2. Auflage, 10. 179 OECD Model Tax Convention 2017.

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sonen“ zu qualifizieren sind und sdem folgend als abkommensberechtigt gelten.180 Dies trifft auf die optierte Personengesellschaft zu, die infolge der Optionsausübung unbeschränkt der Körperschaftsbesteuerung unterliegt.181 Gleichwohl ist nicht bekannt, wie die Vertragspartner Deutschlands zu dem Wechsel des Besteuerungssystems stehen werden, so dass es möglich sein könnte, dass andere Staaten auch entsprechend abweichende Qualifikationsmethoden heranziehen.182 Wird diese Hürde der Abkommensberechtigung überwunden, so ergeben sich im Anschluss jedoch auch Qualifikationskonflikte im Rahmen der Verteilungsartikel. Beispiel 4: Qualifikationskonflikte Die C-SA ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in einem anderen DBA-Staat. Sie ist zu 50% an der deutschen D-GmbH & Co. KG beteiligt, die über ein eigenes operatives Geschäft verfügt und über 2 000 Mitarbeiter beschäftigt. Weitere Anteilseignerin ist die natürliche Person A, die ihren Wohnsitz in Deutschland hat und somit gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig ist. Nunmehr ist durch die Optionsausübung im Jahr 2021 die D-GmbH & Co. KG nach nationalem Steuerrecht wie eine fiktive Kapitalgesellschaft zu behandeln und unterliegt der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht. Im darauf folgenden Jahr schüttet die D-GmbH & Co. KG erwirtschaftete Unternehmensgewinne an die F-SA aus.

Zwischen Deutschland und dem besagten anderen DBA-Staat besteht ein Doppelbesteuerungsabkommen, das dem OECD-MA entspricht.

180 Prokisch in Vogel/Lehner, DBA7, Art. 1 OECD-MA Rz. 31; Schaumburg/ Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.179; Schmidt, IStR 2010, 413 (425) mwN; so auch Krabbe, FR 2000, 545 (546 f.), der auf den OECD-Bericht über die Behandlung von Personengesellschaften verweist, vgl. OECD, The Application of the OECD Model Tax Convention to Partnerships, Paris 1999. 181 Vgl. Haase, Ubg. 2021, 193 (196); Krabbe, FR 2000, 545 (547). 182 Zur Vorgehensweise bei subjektiven Qualifikationskonflikten im Hinblick auf die optierende Gesellschaft vgl. Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (356).

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Wird die D-GmbH & Co. KG als zur Körperschaftsbesteuerung optierte Personengesellschaft gem. Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, b OECDMA als eine im Vertragsstaat ansässige Person anerkannt, stellt sich die Anschlussfrage, wie die Bezüge aus der D-GmbH & Co. KG steuerlich zu behandeln sind. Denkbar wäre die Qualifizierung als Dividenden gem. Art. 10 OECD-MA.183 Es handelt sich um aus sonstigen Gesellschaftsanteilen stammende Einkünfte, die nach dem (Steuer-)Recht des Staats, in dem die ausschüttende Gesellschaft ansässig ist, wie Ausschüttungen behandelt werden bzw. den Einkünften aus Aktien gleichgestellt sind, und erfüllt damit die Voraussetzungen der Dividendendefinition in Art. 10 Abs. 3 OECD-MA. Infolgedessen sind die Bezüge als Dividenden im Ansässigkeitsstaat der empfangenden Gesellschaft – der X-SA – zu besteuern. Die Kapitalertragsteuer in Deutschland auf diese als „Schachteldividenden“ zu qualifizierenden Bezüge ist sodann gem. Art. 10 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA auf 5%184 beschränkt. 183 Vgl. Mayer/Käshammer, NWB 18/2021, 1300 (1307). 184 Dies unterstellt eine Absenkung der Kapitalertragsteuer nach dem DBA auf 5%. Handelt es sich bei der X-SA jedoch um eine EU-Kapitalgesellschaft, käme aus deutscher Sicht sogar die EU Mutter-/Tochter-Richtlinie zur Anwendung, dh. die Entnahmen würden gar keiner deutschen Kapitalertragsteuer

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Kann der Ansässigkeitsstaat der X-SA hingegen die Option zur intransparenten Besteuerung nicht nachvollziehen und erkennt daher die D-GmbH & Co. KG nicht als eine im Vertragsstaat ansässige Person und damit als abkommensberechtigt an, so führt dies zu Qualifikationskonflikten. Nach deutscher Betrachtungsweise kommt es zunächst zu keiner Abweichung, da die Gewinnausschüttung weiterhin als eine „Dividendenausschüttung“ iSd. Art. 10 OECD-MA zu qualifizieren ist, mit der Folge, dass das Besteuerungsrecht nach wie vor dem anderen DBAStaat zugewiesen wird. Da der andere DBA-Staat die Behandlung als fiktive Kapitalgesellschaft allerdings nicht feststellt, wird jedoch davon ausgegangen, dass die an der D-GmbH & Co. KG beteiligte X-SA über eine Betriebsstätte in Deutschland verfügt. Infolgedessen werden die durch diese „Betriebsstätte“ erwirtschafteten Erträge als Unternehmensgewinne qualifiziert. Das entsprechende Besteuerungsrecht an diesen Unternehmensgewinnen wird gem. Art. 7 Abs. 1 Halbs. 2, Abs. 2, Art. 23A OECD-MA Deutschland als „Betriebsstättenstaat“ zugewiesen. Diese divergierende Zuweisung der Besteuerungsrechte kann damit zur Entstehung sog. weißer Einkünfte führen.185 Sofern jedoch die optierte Personengesellschaft als abkommensberechtigt anerkannt würde, hätte diese auch Vorteile: Sie könnte anders als heute Lizenzverträge abschließen und von der Steuerfreiheit der Lizenzgebühren im Ansässigkeitsstaates des Schuldners iSv. Art. 12 OECD-MA profitieren. Ohne die Option und damit verbunden die Abkommensberechtigung wäre auf sämtliche Gesellschafter der Personengesellschaft abzustellen, was faktisch dazu führt, dass Personengesellschaften mit einer Vielzahl von Gesellschaftern heute keine Lizenzen vergeben. Beispiel 5: Wegzugsbesteuerung Die Ausgangskonstellation entspricht grundsätzlich der in Beispiel 4. Ergänzend sei angemerkt, dass die D-GmbH & Co. KG über genügend Substanz (Mitarbeiter, Wirtschaftsgüter, eigener Umsatz) verfügt, um in Deutschland eine steuerliche Betriebsstätte zu begründen, in der sämtliche Wirtschaftsgüter steuerverstrickt bleiben. Nach Ausübung der Option der D-GmbH & Co. KG entschließt sich der Ge-

unterliegen. Denn nach § 43b EStG iVm. Anlage 2 Nr. 1 Buchst. f unterliegen Ausschüttungen aus einer Gesellschaft auch dann nicht der deutschen Kapitalertragsteuer, wenn diese durch „andere nach deutschem Recht gegründete Gesellschaften, die der deutschen Körperschaftsteuer unterliegen“ erfolgen. Für solche Ausschüttungen müsste dann entweder eine Freistellungsbescheinigung vorliegen oder das Erstattungsverfahren durchgeführt werden. 185 Vgl. Wacker, DStR 2019, 585 (589).

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Benz/Hannig, Das Optionsmodell versus § 34a EStG sellschafter A, in das Ausland auszuwandern, und gibt hierfür sein Leben in Deutschland vollständig auf.

Ohne eine entsprechende Ausübung der Option zur Körperschaftsbesteuerung durch die D-GmbH & Co. KG hätte das Auswandern des A keine Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG nach sich gezogen. Da die Anteile des A an der D-GmbH & Co. KG keine Anteile an einer Kapitalgesellschaft iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG darstellen, ist der sachliche Anwendungsbereich der Wegzugsbesteuerung nicht eröffnet, so dass die Aufhebung der unbeschränkten Steuerpflicht unerheblich ist. Schließlich bleibt das deutsche Besteuerungsrecht bezüglich eines späteren Veräußerungsgewinns aus der Beteiligung an der Mitunternehmerschaft oder an den entsprechenden Wirtschaftsgütern auch nach Wegzug des A gem. Art. 13 Abs. 2 OECD-MA auf der Grundlage der Abschirmwirkung der Betriebsstätte erhalten.186 Eine Entstrickung gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, die grundsätzlich zur Besteuerung der realisierten stillen Reserven führt, scheidet insofern aus. 186 Vgl. hierzu Reimer in Vogel/Lehner, DBA7, Art. 13 OECD-MA Rz. 83.

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Die Optionsausübung löst jedoch bei Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht durch Wohnsitzwechsel ins Ausland die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG aus.187 Infolge der Option ist der Anwendungsbereich nunmehr eröffnet: A ist an einer fiktiven Kapitalgesellschaft beteiligt und hält Anteile iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG. § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG wurde dahingehend angepasst, dass auch Anteile an einer optierenden Gesellschaft iSd. § 1a KStG von § 17 EStG erfasst werden. Durch den Wegzug des A ist auch das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinne aus einer späteren Veräußerung der Anteile nicht mehr gegeben. Die optierte Personengesellschaft D-GmbH & Co. KG wird in Deutschland intransparent besteuert und gilt daher selbst als abkommensberechtigt. Demnach obliegt gem. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA das Besteuerungsrecht dem anderen DBA-Staat als Ansässigkeitsstaat des A.188 Der Wegzug des A bewirkt damit eine Realisierung der stillen Reserven. e) Verlustvorträge und thesaurierte Gewinne als Rückoptionshemmnis Ein weiteres praktisches Problemfeld betrifft die Rückoption, insbes. vor dem Hintergrund des Umgangs mit den während der Optionszeit erwirtschafteten Verlusten. Da die Rückoption gem. § 1 Abs. 4 Satz 2 KStG als ein Formwechsel einer Kapital- in eine Personengesellschaft iSd. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwStG gilt, mit der Maßgabe, dass die Regelung des § 9 UmwStG zur Anwendung kommt, gehen sämtliche Verlust- und Zinsvorträge nach den allgemeinen Regeln mit Ausübung der Rückoption unter (§ 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG), was sich als schwerwiegendes Rückoptionshindernis erweisen kann.189 Ein weiteres Rückoptionserschwernis besteht, wenn die fiktive Kapitalgesellschaft während der Optionszeit Gewinne thesauriert hat. Diese wären bei Rückkehr in das Besteuerungsregime der Personengesellschaft nach der allgemeinen Systematik des UmwStG zu versteuern (vgl. § 7 UmwStG).

187 Vgl. Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (356); Kölbl/Luce, Ubg. 2021, 264 (270). 188 Reimer in Vogel/Lehner, DBA7, Art. 13 OECD-MA Rz. 83a mwN. 189 Vgl auch Dreßler/Kompolsek, Ubg. 2021, 301 (306); Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (365).

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f) Verfassungsrechtliche Aspekte Schließlich begegnet das Optionsmodell auch verfassungsrechtlichen Zweifeln.190 Im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG ist bedenklich, dass die Körperschaftsoption nach § 1a KStG einen Besteuerungswechsel nur für Personenhandels- und Partnerschaftsgesellschaften einräumt, während Einzelunternehmer und GbR vom subjektiven Anwendungsbereich ausgeschlossen werden, und ebenso Kapitalgesellschaften kein entsprechendes Wahlrecht zur Option zur Einkommensbesteuerung eingeräumt wird. Die einseitige Optionsmöglichkeit für Personengesellschaften führt demnach zu einer diskriminierenden Ungleichbehandlung von Einzelunternehmen, nicht optionsfähigen Personengesellschaften sowie Körperschaften. Für Einzelunternehmer könnte der Wechsel zur Körperschaftsbesteuerung ebenfalls mit steuerlichen Vorteilen einhergehen. Für ertragsschwache Körperschaften hingegen kann es wiederum in steuerlicher Hinsicht vorteilhaft sein, in das Besteuerungssystem der Einkommensteuer zu wechseln und sich einem progressiven individuellen Steuersatz zu unterwerfen.191 Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet die Einräumung einer weit gefassten Optionsmöglichkeit, sowohl für Einzelunternehmen192 als auch für Kapitalgesellschaften – anderenfalls führt das Optionsrecht mit einem eingeschränkten subjektiven Anwendungsbereich zu einer Diskriminierung und letztlich auch zu einer weiteren Rechtsformabhängigkeit.193 Weitere verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine optionale Besteuerung von Personengesellschaften wurden jedenfalls im Hinblick auf die Körperschaftsoption in Gestalt des § 4a KStG-E194 dahingehend begründet, dass eine Optionsmöglichkeit zu einer Verschärfung der Ungleichbehandlung von Einkunftsarten führe:195 Die Vorgängerversion des Optionsmodells § 4a KStG-E sah ein Optionsrecht für Einzelunternehmer und Mitunternehmerschaften vor, die in einem inländischen Betrieb Einkünfte aus Land- und Fortwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbstständiger Arbeit erzielten. Im Zusammenhang mit dieser geplanten Eingren190 Hierzu Stein, BB 2020, 1879. 191 Stein, BB 2020, 1879 (1881). 192 So Desens in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Einf. KStG Rz. 170 (Feb. 2020), der sich auf das Gebot der Rechtsformneutralität beruft. 193 Stein, BB 2020, 1879 (1882). 194 Referentenentwurf eines StSenkG v. 15.2.2000, BT-Drucks. 14/2683. 195 Pelka, StuW 2000, 389 (397).

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zung des Kreises der Optionsberechtigten wurde die Auffassung vertreten, dass Stpfl., die wiederum Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen oder Vermietung und Verpachtung erzielten, nicht an einem (ggf.) niedrigeren Körperschaftsteuersatz partizipieren könnten.196 Insofern würde eine wesentlich erheblichere Ungleichbehandlung geschaffen werden.197 Allerdings kann dem entgegengehalten werden, dass die Körperschaftsoption gem. § 1a KStG keinen Ausschluss von bestimmten Einkunftsarten vorsieht, sondern sämtliche Personenhandels- und Partnerschaftsgesellschaften als optionsfähige Gesellschaften – unabhängig von der Einkunftsquelle – qualifiziert. Demzufolge vermag der Einwand einer tiefgreifenderen Ungleichbehandlung von Gewinn- und Überschusseinkunftsarten vorliegend nicht zu überzeugen. Zentrales verfassungsrechtliches Problemfeld bildet jedoch die Ausgestaltung des Optionsmodells als ein steuerliches Rechtsfolgen-Wahlrecht. Durch die Einführung eines Optionsmodells überlässt der Gesetzgeber dem Stpfl. selbst die Wahl hinsichtlich der steuerlichen Rechtsfolge dahingehend, dass dieser die Steuerlast trotz gleichbleibender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit frei gestalten kann.198 Die Höhe der Steuer wird so letztlich in das Belieben des Stpfl. gestellt.199. Dies dürfte jedoch dem Gebot gleichmäßiger Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip entgegenstehen.200 Es obliegt einzig und allein dem Gesetzgeber, die steuerrechtlichen Rechtsfolgen so zu gestalten, dass diese eine gleichmäßige Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bewirken.201

IV. Bewertung Unter Beibehaltung der dualistischen Unternehmensbesteuerung verfolgen beide Instrumente das Ziel, eine (annähernd) belastungsgleiche Besteuerung von Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften herbeizuführen. Während für die Inanspruchnahme des Optionsmodells ein 196 Pelka, StuW 2000, 389 (397). 197 Vgl. hierzu auch Stein, BB 2020, 1879 (1881). 198 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I2, 516; Hey, DStJG 24 (2001), 155 (216). 199 Desens in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Einf. KStG Rz. 185 (Feb. 2020). 200 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I2, 516; Hey, DStJG 24 (2001), 155 (216); zustimmend Stein, BB 2020, 1879 (1883). 201 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I2, 516.

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Wechsel des Besteuerungsregimes erforderlich ist, stellt § 34a EStG eine in die Einkommensteuer integrierte Lösung dar. Als reine Tariflösung kann § 34a EStG das zweistufige kapitalistische Regime zwar tariflich simulieren und grundsätzlich – abhängig von der konkreten Ausgestaltung – eine annähernde Tarifangleichung herstellen. Da die rechtsformabhängigen Besteuerungsunterschiede allerdings nicht beseitigt werden, vermag § 34a EStG eine rechtsformneutrale Besteuerung nicht zu leisten.202 Aber auch das Optionsmodell verwirklicht das Ziel einer rechtsformneutralen Besteuerung nur partiell.203 Als Rechtsfolgen-Wahlrecht ausgestaltet, obliegt es ausschließlich der Entscheidung der Gesellschafterversammlung, ob von der Option Gebrauch gemacht werden soll oder nicht. Optiert die Gesellschaft nicht, bleibt es bei der transparenten Besteuerung nach dem Mitunternehmerkonzept und den entsprechenden Belastungsunterschieden. Auch insofern Einzelunternehmer und Gesellschaften bürgerlichen Rechts von der Option ausgenommen sind, ist das Optionsmodell nicht rechtsformneutral. Mit dem Wechsel des Besteuerungsregimes büßt die optierte Personengesellschaft sämtliche steuerlichen Vorteile der Personengesellschaft ein (zB steuerneutrale Übertragung/Überführung von Einzelwirtschaftsgütern nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG, steuerfreies „Durchschleusen“ von Auslandsgewinnen auf Gesellschafterebene, Abschirmwirkung der Betriebsstätte vor Wegzugsbesteuerung). Der als Tariflösung ausgestaltete § 34a EStG setzt hingegen auf dem für Personenunternehmen geltenden Besteuerungssystem auf. Insbes. bei den Möglichkeiten der Verlustverrechnung ergeben sich beim Optionsmodell, als logische Konsequenz des Wechsels des Besteuerungsregimes, Restriktionen. Verluste werden der fiktiven Kapitalgesellschaft zugerechnet und sind entsprechend nur auf Gesellschaftsebene innerhalb des Verlustverrechnungskreises der Gesellschaft gem. § 10d EStG verrechenbar; die §§ 8c, 8d KStG finden ebenfalls auf die fiktive Kapitalgesellschaft Anwendung. Ob eine Verlustverrechnung – auch mit Blick auf die Gewerbesteuer – über eine ertragsteuerliche Organschaft begründet werden kann, ist zudem höchst fraglich und wird im Ergebnis – ohne gesellschaftsrechtliche Folgeänderungen – wohl abzulehnen sein. Innerhalb der Thesaurierungsbegünstigung ist zwar ein Ausgleich von negativen Einkünften mit ermäßigt besteuerten Gewinnen versagt, im Übrigen können jedoch Verluste der Gesellschaft

202 Vgl. Hey, DStR 2007, 925 (926). 203 Vgl. Wacker, DStR 2019, 585 (589).

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mit den Gewinnen der Gesellschafter nach den allgemeinen Grundsätzen verrechnet werden. Optionsmodell und Thesaurierungsbegünstigung sind beide als antragsgebundenes Wahlrecht ausgestaltet. Bei der Wirkung des Antrags bestehen jedoch erhebliche Unterschiede. Der Optionsantrag ist unwiderruflich und wirkt für und „gegen“ alle Mitunternehmer. Entscheidet sich die qualifizierte Mehrheit der Gesellschafter – gegen das Votum des Minderheitsgesellschafters – für die Ausübung der Option, kann dies für den Minderheitsgesellschafter mit funktional wesentlichem Sonderbetriebsvermögen erhebliche negative Konsequenzen haben; denn es droht die Zwangsaufdeckung der in seinem Mitunternehmeranteil enthaltenen stillen Reserven, sofern dieser sein Sonderbetriebsvermögen zurückbehält. Ein weiterer Nachteil der Option ist die systematisch bedingte eingeschränkte Flexibilität bei der Rückkehr in das transparente Besteuerungsregime. Es droht nicht nur eine rückwirkende (anteilige) Einbringungsgewinnbesteuerung nach § 22 UmwStG, sofern die Rückoption innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist erfolgt,204 sondern auch die Ausschüttungsfiktion nach § 7 UmwStG für die während der Optionsdauer thesaurierten Gewinne. Dabei ist zu beachten, dass die Rückoption beim Eintritt bestimmter Ereignisse (zB Umwandlung der optierenden Personengesellschaft in GbR, keine Körperschaftsteuerpflicht mehr im Geschäftsleitungsstaat der optierenden Gesellschaft, Anwachsungsfall) auch ohne Antrag kraft Gesetzes ausgelöst wird (vgl. § 1a Abs. 4 Satz 4 ff. KStG). Demgegenüber erweist sich § 34a EStG als wesentlich flexibleres Instrument. Die Thesaurierungsbegünstigung ist betriebs- und personenbezogen konzipiert; der Antrag kann mithin für jeden Betrieb und für jeden Mitunternehmeranteil separat gestellt werden. Auch ist für jeden Veranlagungszeitraum eine gesonderte Antragstellung möglich; eine (faktische) Bindungsfrist an den Antrag besteht nicht. Die hohe Flexibilität der Vorschrift wird zusätzlich dadurch hervorgehoben, dass der Antrag bis zur Unanfechtbarkeit (formelle Bestandskraft) des Einkommensteuerbescheids für den nächsten Veranlagungszeitraum vom Stpfl. ganz oder teilweise zurückgenommen werden kann (§ 34a Abs. 1 Satz 4 EStG). Die gesellschafterbezogene Ausgestaltung des § 34a EStG wirkt sich ferner bei Gesellschaften mit heterogenen Gesellschafterstrukturen mit unterschiedlichen steuerlichen Verhältnissen vorteilhaft aus, da jeder Mitunternehmer individuell über die Antragstellung – nach Prüfung der 204 Zum Streitstand hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 22 UmwStG vgl. Fn. 112.

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persönlichen Steuersituation – entscheiden kann.205. Beim Optionsmodell hingegen wirkt der Optionsantrag für und „gegen“ alle Gesellschafter. Bei heterogenen Gesellschafterstrukturen sind Interessenkonflikte damit vorprogrammiert. Hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs erfasst das Optionsmodell nur Personenhandels- und Partnerschaftsgesellschaften. Damit bleiben Einzelunternehmer und auch GbR von der Optionsmöglichkeit ausgeschlossen, was zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Ungleichbehandlung innerhalb der Personenunternehmen führt.206 Demgegenüber sind bei § 34a EStG grundsätzlich alle natürlichen Personen, die als Einzelunternehmer oder Mitunternehmer ihre Gewinne nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG ermitteln, antragsberechtigt. In ihrer jetzigen Ausgestaltung ist die Thesaurierungsbegünstigung, im Einklang mit den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen, lediglich für einen bestimmten Nutzerkreis zugeschnitten: dazu gehören die ertragsstarken und im internationalen Wettbewerb stehende Personenunternehmen, die dem Einkommensteuerspitzensatz unterliegen. Kleine und mittlere Personenunternehmen zählen in seiner derzeitigen Ausgestaltung nicht zur Zielgruppe des § 34a EStG. Jedoch ist auch das Optionsmodell kein Produkt für den „Massenmarkt“. Zwar hängt die Inanspruchnahme des Optionsmodells letztendlich von der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung sowie den Ertragsaussichten und Gewinnverwendungsabsichten der jeweiligen Stpfl. im Einzelfall ab.207 Im Ergebnis dürfte das Optionsmodell, nicht zuletzt auch wegen des im Vorfeld der Optionsausübung erforderlichen Prognoseaufwands, nur für ertragsstarke, größere Mittelständler und Personengesellschaftskonzerne in Betracht kommen,208 hinter denen natürliche Personen als Gesellschafter stehen.209 Die Zielgruppe 205 Hieraus folgt eine höhere Flexibilität, vgl. Schiffers, GmbH-StB 2021, 56 (58). 206 Stein, BB 2020, 1879 (1881 f.); grundlegend zur Problematik Jachmann, DStJG 23 (2000), 9. 207 BT-Drucks. 19/22845, 2. 208 IdW, Positionspapier zum Einstieg in eine rechtsformneutrale Besteuerung („Optionsmodell“), 13.11.2019, 2. Auflage, 4; Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (367); Schiffers, DStZ 2020, 266 (273). 209 Sind Kapitalgesellschaften Mitunternehmer von Personengesellschaften, sind Gewinne aus der Personengesellschaft bereits heute mit dem Körperschaftsteuersatz von 15% belastet. Da bei Option die Ausschüttung zusätzlich nach § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG mit 5% belastet würde, wäre eine Option eher nachteilig.

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der Option unterscheidet sich damit nicht wesentlich von dem derzeitigen Nutzerkreis des § 34a EStG. Bei Personengesellschaften umfasst der nicht entnommene Gewinn iSv. § 34a Abs. 1 EStG auch die Ergebnisse der Sonderbilanzen der Mitunternehmer.210 Insoweit ergeben sich keine Besonderheiten. Allerdings kann das vorhandene Sonderbetriebsvermögen von einzelnen Mitunternehmern beim fiktiven Formwechsel ein Optionshindernis darstellen.211 Der Gesetzgeber weicht insofern nicht von dem Erfordernis, alle wesentlichen Betriebsgrundlagen des Sonderbetriebsvermögens im Zuge des (fiktiven) Formwechsels zur Vermeidung der Realisierung stiller Reserven zu übertragen, ab, sieht allerdings auch keine alternativen Ansätze vor, die der mangelnden Liquiditätssteigerung infolge der Optierung Rechnung tragen könnten. Aufgrund der gesetzlichen Nachversteuerungstatbestände in § 34a Abs. 6 Satz 1 EStG erweist sich die Thesaurierungsbegünstigung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung als Umstrukturierungshindernis. Das gilt allerdings für das Optionsmodell in ähnlicher Weise. Zum einen finden die Vorschriften des UmwStG auf die fiktive Kapitalgesellschaft Anwendung. Der Querstand zwischen Gesellschaftsrecht und Steuerrecht erweist sich hier als besondere Herausforderung, zumal das UmwStG hinsichtlich des Anwendungsbereichs grundsätzlich an das UmwG anknüpft. Lediglich für den Fall, dass sich die fiktive Kapitalgesellschaft nach Ausübung der Option auch zivilrechtlich in eine Körperschaft umwandelt, stellt § 1a Abs. 4 Satz 7 KStG sicher, dass diese Umwandlung steuerrechtlich wie eine Umwandlung von zwei Körperschaftsteuersubjekten behandelt wird; weitere gesetzliche Sonderregeln dürften jedoch erforderlich werden, um für Umwandlungsvorgänge von optierten Gesellschaften in allen Bereichen Rechtsklarheit zu schaffen.212 Zum anderen erweist sich eine Rückoption dann als Hindernis, wenn bei der optierten Personengesellschaft während der Optionszeit körperschaftsteuerliche Verluste entstanden sind bzw. Gewinne thesauriert wurden. Nach den entsprechend anzuwendenden Regelungen gehen solche Verluste mit Ausübung der Rückoption unter (§ 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG) bzw. es kommt aufgrund 210 Vgl. BMF v. 11.8.2008 – S 2290-a/07/10001 – DOK 2008/0431405, BStBl. I 2008, 838 = FR 2008, 930 Rz. 12. 211 Vgl. auch Dreßler/Kompolsek, Ubg. 2021, 301 (310 f.). 212 Es stellt sich zB die Frage, ob die Umwandlung einer Kapitalgesellschaft unmittelbar in eine optierte Personengesellschaft möglich ist. Dies wird wohl im Ergebnis wegen der Regelungen zur Antragsfrist zu verneinen sein.

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des Wechsels in das transparente Besteuerungssystem zu einer Nachversteuerung der ab Optionsausübung thesaurierten Gewinne (§ 7 Satz 1 UmwStG). Bei internationalen Sachverhalten kann das deutsche Mitunternehmerkonzept zu Friktionen führen; als Folge drohen Nicht- oder Doppelbesteuerung. Mit Optionsausübung wird die Mitunternehmerschaft beendet und das Sonderbetriebsvermögen entfällt. Damit erledigen sich auch die damit verbundenen Qualifikationskonflikte. Neue Qualifikationskonflikte entstehen bei der Option allerdings dadurch, dass die optierte Personengesellschaft ein hybrides Gebilde darstellt. Erkennt der andere Staat aufgrund des Typenvergleichs die fiktive Kapitalgesellschaft nicht an und geht er nach seinem innerstaatlichen Recht von einer Personengesellschaft aus, sind auch beim Optionsmodell Besteuerungsinkongruenzen möglich. Dass diese Besteuerungsinkongruenzen alle durch die noch umzusetzenden Anti-Hybrid-Regelungen der ATAD213 beseitigt werden, ist fraglich. Zum einen ist aufgrund des bestehenden Umsetzungsspielraums schon kein einheitliches und geschlossenes Anti-Hybrid-Regelungsregime innerhalb der EU-/EWR-Staaten zu erwarten; zudem ist fraglich, ob Drittstaaten die auf OECD-Ebene bestehenden Anti-HybridRegeln überhaupt umsetzen werden. Zum anderen adressieren die AntiHybrid-Regelungen als spezielle Missbrauchsvorschriften primär das Problem der Nichtbesteuerung und des doppelten Betriebsausgabenabzugs. Doppelbesteuerungsprobleme stehen hingegen nicht im Regelungsfokus. Ein weiterer Nachteil des Optionsmodells ergibt sich bei international mobilen Gesellschafterkreisen. Mit der Optionsausübung entfällt die Abschirmwirkung der Personengesellschaft als Betriebsstätte. Der Wegzug von Gesellschaftern bzw. das Vorhandensein von im Ausland ansässigen Gesellschaftern löst die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG aus, weshalb in der Praxis das Optionsmodell für im Inland ansässige Konzernobergesellschaften, die als Personengesellschaft organisiert sind, idR nicht in Betracht kommen dürfte. Im Rahmen des § 34a EStG wird die steuerliche Behandlung von Mitunternehmerschaften als anteilige Betriebsstätten der Gesellschafter hingegen nicht berührt. Die Thesaurierungsbegünstigung kann zudem auch von beschränkt Stpfl. in Anspruch genommen werden. Schlussendlich ist ein Reformvorschlag auch immer daran zu messen, ob er rechtssicher ausgestaltet werden kann und er in der praktischen 213 Richtlinie (EU) 2017/952 v. 29.5.2017, ABl. L 144/1.

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Anwendung auch Rechtssicherheit verbürgt. Mit einem Check-the-boxVerfahren bestehen in Deutschland bislang keinerlei praktische Erfahrungen. Gleichzeitig wird ein Rückgriff auf Rspr. und abgestimmte Verwaltungsmeinungen in den ersten Jahren nach Einführung der Option noch nicht möglich sein. Hinzu kommt, dass die durch das Optionsmodell bedingte Systemumstellung tiefgreifend ist und eine Vielzahl von Folgefragen aufgeworfen werden, was – zumindest in den Anfangsjahren – zu einer Erhöhung des steuerlichen und zivilrechtlichen Beratungsaufwands führen dürfte. Anders stellt sich die Ausgangslage bei der Thesaurierungsbegünstigung dar, die seit mehr als zwölf Jahren gelebte Rechtspraxis verkörpert. Bei § 34a EStG besteht nicht nur weitgehende Einigkeit über die erforderlichen Reformmaßnahmen; die notwendigen Korrekturen könnten technisch auch relativ einfach implementiert werden.214

V. Schlussbemerkung Eine alte indianische Weisheit besagt: „Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steige ab!“. Das Bild vom Reiter auf dem toten Pferd mag mit Blick auf das Optionsmodell überzeichnet daherkommen. Gleichwohl muss konstatiert werden, dass sich ein Optionsrecht zur Körperschaftsteuer bislang weder in Gestalt des alten § 32b EStG 1951215 noch im Entwurfsgewand des § 4a Abs. 1 KStG-E216 im Zuge des Steuersenkungsgesetzes durchsetzen konnte. Ob ein neues, verbessertes Optionsmodell entscheidend zur Weiterentwicklung eines modernen Unternehmensteuerrechts beitragen kann, bleibt angesichts der fortbestehenden Grundprobleme, dessen Komplexität, des hohen Prognoseund Beratungsaufwands und des begrenzten potentiellen Anwenderkreises ungewiss. Einen Beitrag zur Steuervereinfachung und Bürokratieentlastung leistet das Optionsmodell sicherlich nicht. Um bei dem Bild vom Reiter und dem toten Pferd zu bleiben: Auch die Thesaurierungsbegünstigung wäre, ginge es nach Stimmen in der Wissenschaft, schon kurz nach deren Einführung wieder abgeschafft worden.217 Im Kreise 214 Vgl. Hey in Stiftung Familienunternehmen (Hrsg.), Belastung thesaurierender Personenunternehmen, 2000, V. 215 § 32b EStG 1951 war nur für zwei Veranlagungszeiträume anwendbar und musste wegen praktischer Undurchführbarkeit aufgehoben werden. 216 Referentenentwurf eines StSenkG v. 15.2.2000, BT-Drucks. 14/2683. 217 So die Forderung von 37 Hochschulprofessoren, vgl. Knirsch/Maiterth/ Hundsdoerfer, DB 2008, 1405.

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seiner Anwender zeigt sich der § 34a EStG indessen – trotz seiner Mängel – lebendig und bietet für ertragsstarke, am Spitzensteuersatz liegende Personenunternehmen ein attraktives Instrument zur begünstigten Besteuerung von thesaurierten Gewinnen. Das verdeutlicht, dass die Grundidee der Thesaurierungsbegünstigung durchaus Potential besitzt. Dieses Potential könnte durch minimal-invasive technische Korrekturen abgerufen und damit der ursprünglichen Zielsetzung des Gesetzgebers, annähernde Belastungsgleichheit von ertragsstarken Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften herzustellen, tatsächlich Geltung verschafft werden. Wettbewerbsnachteile, die Personenunternehmen bei der Thesaurierung von Gewinnen im Verhältnis zu Kapitalgesellschaften bisher haben, könnten so relativ einfach im Sinne der mittelständischen Wirtschaft abgemildert werden. Angesichts dieses Befunds hätte sich in gesetzgeberischer Hinsicht ein abgestuftes Vorgehen angeboten: In einem ersten Schritt hätte die Thesaurierungsbegünstigung gezielt verbessert werden können. Nach einem festgelegten Zeitraum hätte diese Maßnahme dann einer Ex-Post-Evaluation unterzogen werden können, um festzustellen, ob die beabsichtigten Wirkungen erreicht worden sind.218 Hätte sich dann herausgestellt, dass weiterer Handlungsbedarf besteht, hätte – nach einer zuvor durchgeführten Machbarkeits- und Vorteilhaftigkeitsanalyse – ggf. das Optionsmodell reaktiviert werden können. Der Gesetzgeber hat sich jedoch anders entschieden: Durch das KöMoG wurde vorrangig das Optionsmodell gesetzlich in Form des § 1a KStG umgesetzt, die Nachbesserungen zu § 34a EStG waren hingegen schon im Regierungsentwurf zum KöMoG nicht mehr enthalten. Damit liegen nunmehr im Ergebnis zwei Systeme vor, die jeweils Schwächen aufweisen. Es bleibt abzuwarten, ob dem Mittelstand in der Rechtsform der Personengesellschaften damit wirklich geholfen ist.

218 Vgl. § 44 Abs. 7 GGO.

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Gesellschafterdarlehen an Kapitalgesellschaften Dr. Peter Heinemann Ministerialrat, Düsseldorf Dr. Alexander Bohn Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Köln I. Ausgangspunkt: Neuausrichtung der Rechtsprechung 1. Ausfall von Gesellschafterdarlehen im Privatvermögen vor MoMiG 2. Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts und Einführung der Abgeltungsteuer 3. Änderung der Rechtsprechung infolge der Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts II. Reaktion des Gesetzgebers

III. Aktuelle Auslegungsfragen 1. Zeitliche Anwendung 2. Bewertung der nachträglichen Anschaffungskosten 3. Spezifizierter Rangrücktritt 4. Abtretung von Bürgschaftsregressforderungen 5. Konkurrenzverhältnis zwischen §§ 17 und 20 EStG 6. Mittelbare Beteiligungsverhältnisse IV. Ausblick

I. Ausgangspunkt: Neuausrichtung der Rechtsprechung 1. Ausfall von Gesellschafterdarlehen im Privatvermögen vor MoMiG Vor der Änderung des sog. Eigenkapitalersatzrechts durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)1 konnte der Ausfall der Darlehensforderung einer natürlichen Person gegenüber einer Kapitalgesellschaft, an der diese natürliche Person als Gesellschafter beteiligt ist, nicht im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 EStG Berücksichtigung finden. Der steuerliche Abzug des Verlusts war allenfalls bei den Sonstigen Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften iSd. § 22 Nr. 2 iVm. § 23 EStG oder – im Fall einer wesentlichen Beteiligung – bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb iSd. § 17 EStG aF möglich.

1 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008, BGBl. I 2008, 2026.

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Heinemann/Bohn, Gesellschafterdarlehen an Kapitalgesellschaften

Im Rahmen des § 17 EStG aF führten nach stRspr. des BFH neben offenen und verdeckten Einlagen auch nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung zu nachträglichen Anschaffungskosten, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungs- oder Auflösungskosten waren.2 So hat der BFH nachträgliche Anschaffungskosten ua. beim Ausfall des Gesellschafters mit seinem Anspruch auf Rückzahlung eines der Gesellschaft gewährten Darlehens oder bei Zahlung des Gesellschafters auf eine Bürgschaft und Wertlosigkeit des gegen die Gesellschaft gerichteten Rückgriffsanspruchs angenommen, wenn die Hingabe des Darlehens oder die Übernahme der Bürgschaft durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst waren.3 Für die Beurteilung, ob eine Finanzierungshilfe durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst war, hat der BFH entscheidend darauf abgestellt, ob sie eigenkapitalersetzend ist.4 Eigenkapitalersetzend ist eine Finanzierungshilfe nach diesen Grundsätzen, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft zu einem Zeitpunkt, in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute nur noch Eigenkapital zugeführt hätten (Krise der Gesellschaft), stattdessen ein Darlehen gewährt, eine Bürgschaft zur Verfügung gestellt oder eine wirtschaftlich entsprechende andere Rechtshandlung iSd. § 32a Abs. 1 und 3 GmbHG aF vorgenommen hat (sog. funktionelles Eigenkapital).5 Die vorgenannten Rechtsprechungsgrundsätze zur steuerlichen Berücksichtigung der Aufwendungen aus einer Finanzierungshilfe des Gesellschafters fanden ihre Grundlage im Eigenkapitalersatzrecht. Die bei eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistungen nach altem Recht eintretende Kapitalbindung und das zusätzliche Haftungsrisiko des Gesell-

2 Siehe zB BFH v. 23.5.2000 – VIII R 3/99, BFH/NV 2001, 23; v. 22.4.2008 – IX R 75/06, BFH/NV 2008, 1994. 3 Vgl. zum Darlehen BFH v. 4.11.1997 – VIII R 18/94, BStBl. II 1999, 344 = FR 1998, 104; v. 19.8.2008 – IX R 63/05, BStBl. II 2009, 5 = FR 2009, 289; zur Bürgschaft BFH v. 24.4.1997 – VIII R 23/93, BStBl. II 1999, 342 = FR 1997, 904; v. 6.7.1999 – VIII R 9/98, BStBl. II 1999, 817 = FR 1999, 1371; v. 20.8.2013 – IX R 1/13, BFH/NV 2014, 310 = GmbHR 2014, 263. 4 ZB BFH v. 23.5.2000 – VIII R 3/99, BFH/NV 2001, 23; v. 2.4.2008 – IX R 76/06, BStBl. II 2008, 706 = FR 2008, 1117; v. 19.8.2008 – IX R 63/05, BStBl. II 2009, 5 = FR 2009, 289. 5 Vgl. BFH v. 2.4.2008 – IX R 76/06, BStBl. II 2008, 706 = FR 2008, 1117; v. 7.12.2010 – IX R 16/10, BFH/NV 2011, 778 = GmbHR 2011, 557.

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schafters rechtfertigten es, den Ausfall einer Forderung ausnahmsweise steuerlich zu berücksichtigen. Jenseits der zivilrechtlichen Rechtsfolgen bestand hingegen kein Anlass, den Gesellschafter steuerlich anders zu behandeln als einen Drittgläubiger.6 Mit einem Darlehen oder einer Bürgschaft, die der Gesellschafter der Gesellschaft wie ein fremder Dritter gewährte, unterfiel der Gesellschafter dem Anwendungsbereich des § 20 EStG.7 Daher erfolgte insbes. auch keine Beurteilung des Veranlassungszusammenhangs nach allgemeinen steuerrechtlichen Kriterien (zB anhand des Fremdvergleichs) losgelöst vom Eigenkapitalersatzrecht.8 Zur Bewertung der ausgefallenen Forderungen wurde nach den Grundsätzen des Eigenkapitalersatzrechts folgende Differenzierung vorgenommen:9 Darlehen und Bürgschaften, die in der Krise der Gesellschaft hingegeben oder von vornherein in die Finanzplanung der Gesellschaft einbezogen waren, führten zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung in Höhe des Nennwerts des ausgefallenen Anspruchs. Finanzierungshilfen, die dagegen erst aufgrund des Eintritts der Krise, zB in Verbindung mit der Nichtausübung der Rechte nach § 775 Abs. 1 Nr. 1 BGB, den Status einer eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfe erlangt haben, wurden mit dem im Zeitpunkt des Eintritts der Krise beizulegenden Wert angesetzt. In der Praxis ging jedenfalls die FinVerw. bei diesen „stehen gelassenen“ Darlehen regelmäßig von einem Wert von 0 t aus.10 Der bis zum Eintritt der Krise eingetretene Wertverlust fiel dann in der (steuerlich) unbeachtlichen privaten Vermögenssphäre an.11

6 BFH v. 2.4.2008 – IX R 76/06, BStBl. II 2008, 706 = FR 2008, 1117. 7 BFH v. 10.11.1998 – VIII R 6/96, BStBl. II 1999, 348 = FR 1999, 463. 8 Vgl. BFH v. 6.7.1999 – VIII R 9/98, BStBl. II 1999, 817 = FR 1999, 1371; v. 22.4.2008 – IX R 75/06, BFH/NV 2008, 1994. 9 Vgl. BFH v. 10.11.1998 – VIII R 6/96, BStBl. II 1999, 348 = FR 1999, 463; v. 6.7.1999 – VIII R 9/98, BStBl. II 1999, 817 = FR 1999, 1371; v. 26.1.1999 – VIII R 50/98, BStBl. II 1999, 559 = FR 1999, 761; v. 15.5.2006 – VIII B 186/04, BFH/ NV 2006, 1472 = GmbHR 2006, 834. 10 Vgl. auch BMF v. 8.6.1999 – IV C 2 - S 2244 - 12/99, BStBl. I 1999, 545 = FR 1999, 827. 11 Vgl. BFH v. 6.7.1999 – VIII R 9/98, BStBl. II 1999, 817 = FR 1999, 1371; Gschwendtner, DStR-Beih. 32/1999, 1 (18).

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2. Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts und Einführung der Abgeltungsteuer Durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)12 wurde das Eigenkapitalersatzrecht aufgehoben und – vorbehaltlich des sog. Kleinanlegerprivilegs des § 39 Abs. 5 InsO – durch den gesetzlichen Nachrang sämtlicher Gesellschafterfinanzierungen im Insolvenzfall (vgl. Art. 9 MoMiG, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) ersetzt (sog. „insolvenzrechtliches Institut der Nachrangigkeit“).13 Die FinVerw. brachte mit BMF-Schreiben vom 21.10.201014 zum Ausdruck, dass die vor dem MoMiG aufgestellten Grundsätze – unter Heranziehung der bereits bekannten vier Fallgruppen (Krisendarlehen, „stehen gelassenes“ Darlehen, Finanzplandarlehen und krisenbestimmtes Darlehen) – im Wesentlichen unverändert Anwendung finden sollen; Ausgangspunkt sollte damit das Verhalten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers in der Krise der Gesellschaft bleiben. Hinsichtlich der Frage der Auswirkungen der Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts auf die steuerliche Berücksichtigungsfähigkeit von Aufwendungen aus Gesellschafterdarlehen ergab sich im Schrifttum kein einheitliches Meinungsbild.15 Im Grundlegenden reichte das Spektrum von einer Fortführung der bisherigen Grundsätze (entsprechend der Verwaltungsauffassung) bis hin zu der Auffassung, dass Forderungsausfälle gem. § 20 Abs. 2 EStG nur noch bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu erfassen sind. Daneben wurde die Auffassung vertreten, dass die bisherigen Grundsätze nicht beizubehalten sind, aber Forderungsausfälle

12 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008, BGBl. I 2008, 2026. 13 Forderungen des Gesellschafters aus Gesellschafterdarlehen und vergleichbaren Finanzierungshilfen erfahren damit eine Sonderbehandlung im Insolvenz- und Anfechtungsrecht (vgl. § 135 Abs. 1 InsO). Sie werden aber nicht mehr gesellschaftsrechtlich verstrickt und außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht mehr wie haftendes Eigenkapital behandelt (Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, InsO19, § 39 Rz. 27, 31; Groh, FR 2008, 264 [267]; Bode, DStR 2009, 1781 [1782]; Moritz, DStR 2014, 1636 [1638]; vgl. auch Begründung zum Entwurf des MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, 42). 14 BMF v. 21.10.2010 – IV C 6 - S 2244/08/10001 – DOK 2010/0810418, BStBl. I 2010, 832 = FR 2010, 1058. 15 Siehe hierzu etwa die Gegenüberstellung in BFH v. 11.7.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019, 208 = FR 2017, 1152 Rz. 27 ff.

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auch in Zukunft in gewissem Umfang im Rahmen des § 17 EStG steuerlich berücksichtigt werden sollten.16 Eine weitere entscheidende gesetzgeberische Entwicklung im Kontext der Gesellschafterdarlehen war die Einführung der Abgeltungsteuer durch das Unternehmensteuerreformgesetz 200817 mit Wirkung zum 1.1.2009. Hiermit einher ging die Erfassung sämtlicher Wertveränderungen bei nach dem 31.12.2008 erworbenen Kapitalanlagen durch § 20 Abs. 2 Abs. 2 EStG nF, was die steuersystematische Rechtfertigung des § 17 EStG fraglich erscheinen lässt.

3. Änderung der Rechtsprechung infolge der Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts Infolge der Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts vollzog der BFH eine Änderung seiner Rspr. in Bezug auf die steuerliche Behandlung von Aufwendungen aus Gesellschafterdarlehen.18 In der wegweisenden Entscheidung des BFH vom 11.7.2017 – IX R 36/15, welche die Berücksichtigung von Aufwendungen aus der Inanspruchnahme als Bürge zum Gegenstand hatte,19 stellte der IX. Senat des BFH heraus, dass die bisherige Rspr. als Reaktion auf die Rechtsfolgen des Eigenkapitalersatzrechts eine Ausnahme von dem Grundsatz darstellt, dass eine im Privatvermögen gehaltene Kapitalforderung des Gesellschafters aus einem Gesellschafterdarlehen oder einer zugunsten der Gesellschaft übernommenen Bürgschaft dem Anwendungsbereich des § 20 EStG und nicht dem des § 17 EStG unterfällt. Diese durch das Eigenkapitalersatzrecht begründete Ausnahme führte zu einer Durchbrechung der Trennung von steuerlich unbeachtlicher Vermögens- und steuerbarer Erwerbssphäre. Nach Aufhebung des

16 Insoweit wurden insbes. eine umfassende Berücksichtigung sämtlicher Beteiligungsaufwendungen, insolvenzrechtliche Lösungsansätze und eine eigenständige steuerliche Beurteilung des gesellschaftlichen Veranlassungszusammenhangs diskutiert. 17 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912 = BStBl. I 2007, 630. 18 BFH v. 11.7.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019, 208 = FR 2017, 1152; s. auch BFH v. 6.12.2017 – IX R 7/17, BStBl. II 2019, 213 = FR 2018, 372; v. 20.7.2018 – IX R 5/15, BStBl. II 2019, 194 = FR 2019, 1107; v. 14.1.2020 – IX R 9/18, BStBl. II 2020, 490 = FR 2020, 931. 19 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Februar 2011, das mangels Masse im Mai 2011 abgelehnt wurde, leistete der Kläger in 2011 aufgrund der von ihm in 2006 eingegangenen Bürgschaften Zahlungen an die Kreditinstitute.

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Eigenkapitalersatzrechts fehle dafür aber die rechtliche Grundlage.20 Entgegen der Auffassung der FinVerw. sei eine Fortgeltung der bisherigen Grundsätze darüber hinaus mit dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 und 4 EStG nicht zu vereinbaren und lasse sich nicht mehr mit einer normspezifischen steuerrechtlichen Auslegung des Anschaffungskostenbegriffs rechtfertigen.21 Die Entscheidung des BFH wurde damit auf neue Grundsätze gestützt: Hiernach ist – in Ermangelung einer abweichenden Definition im EStG – der handelsrechtliche Begriff der Anschaffungskosten auch für Zwecke des § 17 Abs. 2 und 4 EStG maßgeblich.22 Grundsätzlich können nur solche Aufwendungen des Gesellschafters den (nachträglichen) Anschaffungskosten der Beteiligung zugeordnet werden, die nach handels- und bilanzsteuerrechtlichen Grundsätzen zu einer offenen oder verdeckten Einlage in das Kapital der Gesellschaft führen;23 darunter fallen insbes. Nachschüsse iSd. §§ 26 ff. GmbHG, sonstige Zuzahlungen nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB wie Einzahlungen in die Kapitalrücklage24, Barzuschüsse25 oder der Verzicht auf eine noch werthaltige Forderung26. Aufwendungen aus Fremdkapitalhilfen wie der Ausfall eines vormals „krisenbedingten“, „krisenbestimmten“ oder „in der Krise stehen gelassenen“ Darlehens oder der Ausfall mit einer Bürgschaftsregressforderung führen hingegen grundsätzlich nicht mehr zu Anschaffungskosten der Beteiligung.27 Bei Anwendung dieser allgemeinen Grundsätze sind Aufwen20 BFH v. 11.7.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019, 208 = FR 2017, 1152 unter II.3.a. 21 BFH v. 11.7.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019, 208 = FR 2017, 1152 unter II.3.b. 22 BFH v. 11.7.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019, 208 = FR 2017, 1152 unter II.4.a. 23 BFH v. 11.7.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019, 208 = FR 2017, 1152 unter II.4.b mit Verweis auf BFH v. 27.1.2016 – X R 33/13, BFH/NV 2016, 1002 Rz. 46. 24 BFH v. 27.4.2000 – I R 58/99, BStBl. II 2001, 168 = FR 2000, 1281; v. 14.3.2011 – I R 40/10, BStBl. II 2012, 281 = FR 2011, 902. 25 BFH v. 28.4.2004 – I R 20/03, BFH/NV 2005, 19 = GmbHR 2004, 1484 zum Sanierungszuschuss als verdeckte Einlage. 26 Grundlegend BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = FR 1997, 723; nachfolgend BFH v. 20.4.2005 – X R 2/03, BStBl. II 2005, 694 = FR 2005, 1149 unter II.2.a. 27 BFH v. 11.7.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019, 20 = FR 2017, 1152, unter II.4.c. Etwas anderes könne sich ergeben, wenn die vom Gesellschafter gewährte Fremdkapitalhilfe aufgrund der vertraglichen Abreden mit der Zuführung einer Einlage in das Gesellschaftsvermögen wirtschaftlich vergleichbar ist; zB bei einem Gesellschafterdarlehen, dessen Rückzahlung auf der Grundlage

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dungen aus der Inanspruchnahme aus einer Gesellschafterbürgschaft unabhängig davon, ob die Bürgschaft krisenbestimmt oder in der Krise der Gesellschaft übernommen worden ist, im zeitlichen Anwendungsbereich des MoMiG grundsätzlich nicht mehr den nachträglichen Anschaffungskosten der Beteiligung i Sd. § 17 Abs. 2 und 4 EStG zuzurechnen.28 Aus Gründen des Vertrauensschutzes räumte der BFH den Stpfl. indes eine Übergangsregelung dergestalt ein, dass die bisherigen Grundsätze weiterhin Anwendung finden konnten, wenn der Gesellschafter eine eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfe bis zum Tag der Veröffentlichung dieses Urteils (27.9.2017) geleistet hatte oder wenn eine Finanzierungshilfe des Gesellschafters bis zu diesem Tag eigenkapitalersetzend geworden war.29 Die FinVerw. schloss sich der vorgenannten Entscheidung und den diesen nachfolgenden Entscheidungen des BFH30 mit BMF-Schreiben vom 5.4.201931 vollumfänglich, dh. sowohl hinsichtlich der Anwendung der neuen Grundsätze als auch in Bezug auf die Übergangsregelung32, an.

28 29

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der von den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen – wie beispielsweise der Vereinbarung eines Rangrücktritts iSd. § 5 Abs. 2a EStG – im Wesentlichen denselben Voraussetzungen unterliegt wie die Rückzahlung von Eigenkapital (vgl. hierzu BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10, BStBl. II 2012, 332 = FR 2012, 582). In einem solchen Fall käme dem Darlehen auch bilanzsteuerrechtlich die Funktion von zusätzlichem Eigenkapital zu (BFH v. 15.4.2015 – I R 44/14, BStBl. II 2015, 769 = FR 2015, 995; v. 10.8.2016 – I R 25/15, BStBl. II 2017, 670 = FR 2017, 390). BFH v. 11.7.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019, 208 = FR 2017, 1152 unter II.4.d. BFH v. 11.7.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019, 208 = FR 2017, 1152 unter II.5.; s. zur Übergangsregelung aus Vertrauensschutzgründen auch BFH v. 2.7.2019 – IX R 13/18, BStBl. II 2020, 89 = GmbHR 2020, 109. BFH v. 6.12.2017 – IX R 7/17, BStBl. II 2019, 213 = FR 2018, 372; v. 20.7.2018 – IX R 5/15, BStBl. II 2019, 194 = FR 2019, 1107. BMF v. 5.4.2019 – IV C 6 - S 2244/17/10001 – DOK 2019/0225994, BStBl. I 2019, 257 = FR 2019, 788. Durch Verweis auf Anwendung von BMF v. 21.10.2010 – IV C 6 - S 2244/ 08/10001 – DOK 2010/0810418, BStBl. I 2010, 832 = FR 2010, 1058 in allen offenen Fällen, bei denen auf die Behandlung des Darlehens/der Bürgschaft die Vorschriften des MoMiG anzuwenden sind, wenn die bisher als eigenkapitalersetzend angesehene Finanzierungshilfe bis einschließlich 27.9.2017 gewährt wurde oder wenn die Finanzierungshilfe bis einschließlich 27.9.2017 eigenkapitalersetzend geworden ist.

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Nach hM im Schrifttum können Stpfl. auf die Anwendung der Übergangsregelung für bis zum 27.9.2017 geleistete eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfen verzichten, vor allem um ggf. bei Beteiligungen von mindestens 10% in den Anwendungsbereich des § 20 iVm. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG zu gelangen.33 In weiteren für die Behandlung von Finanzierungshilfen eines Gesellschafters maßgeblichen Entscheidungen stellte der BFH klar, dass Wertminderungen bei nach dem 31.12.2008 – dh. nach Einführung der Abgeltungsteuer (s.o. zu I.2. aE) – gewährten Gesellschafterdarlehen in der privaten Vermögenssphäre zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG führen können.34 Steuersystematisch wird dies mit der vollständigen Erfassung aller Wertveränderungen im Zusammenhang mit Kapitalanlagen und der damit verbundenen Aufgabe der traditionellen quellentheoretischen Trennung von Vermögens- und Ertragsebene für Einkünfte aus Kapitalvermögen durch Einführung der Abgeltungsteuer gerechtfertigt.35 Die FinVerw. hat dies mit BMF-Schreiben vom 3.6.2021, welches das BMF-Schreiben betreffend

33 Vgl. Werth, FR 2020, 530 (535); BFH v. 27.10.2020 – IX R 5/20, BFH/NV 2021, 961 unter II.2.a. Die Frage der Möglichkeit eines Verzichts auf die Übergangsregelung ist für Altfälle nicht durch § 17 Abs. 2a iVm. § 52 Abs. 25a Satz 2 EStG überholt, da dieser für Veräußerungen iSv. § 17 Abs. 1, 4 oder 5 EStG vor dem 31.7.2019 einen Antrag des Stpf. auf Anwendung des § 17 Abs. 2a Satz 1–4 EStG voraussetzt; vgl. BFH v. 14.1.2020 – IX R 9/18, BStBl. II 2020, 490 = FR 2020, 931. 34 BFH v. 24.10.2017 – VIII R 13/15, BStBl. II 2020, 831 = FR 2018, 1062; v. 27.10.2020 – IX R 5/20, BFH/NV 2021, 961 zum Forderungsausfall; BFH v. 6.8.2019 – VIII R 18/16, BStBl. II 2020, 833 = FR 2021, 128 zum Forderungsverzicht. 35 Dies sei ausdrücklich in der Übergangsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbs. 2 EStG niedergelegt, wonach Kapitalforderungen iSd. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG in der am 31.12.2008 anzuwendenden Fassung künftig auch dann vorliegen, „wenn eine Trennung zwischen Ertrags- und Vermögensebene möglich erscheint“. Die Rückzahlung einer Kapitalforderung unterhalb des Nennwerts des Darlehens (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2 EStG) wird hiernach mit dem Verlust bei der Veräußerung der Forderung gleichgestellt, wenn endgültig feststeht, dass (über bereits geleistete Beträge hinaus) keine weiteren Rückzahlungen (mehr) erfolgen werden.

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Einzelfragen zur Abgeltungsteuer36 ändert, sowie Veröffentlichung der Entscheidungen im Bundessteuerblatt II zwischenzeitlich anerkannt.37

II. Reaktion des Gesetzgebers Mit dem Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.201938 reagierte der Gesetzgeber auf die vorstehend beschriebene Rechtsentwicklung und führte mit § 17 Abs. 2a EStG einen normspezifischen Anschaffungskostenbegriff ein. Hiernach sind Anschaffungskosten die Aufwendungen, die geleistet werden, um Anteile iSd. § 17 Abs. 1 EStG zu erwerben. Hierzu gehören auch Nebenkosten und nachträgliche Anschaffungskosten (§ 17 Abs. 2a Satz 2 EStG). Zu den nachträglichen Anschaffungskosten im Sinne der Vorschrift gehören nach § 17 Abs. 2a Satz 3 EStG insbes. –

offene oder verdeckte Einlagen,



Darlehensverluste, soweit die Gewährung des Darlehens oder das Stehenlassen des Darlehens in der Krise der Gesellschaft gesellschaftsrechtlich veranlasst war, und



Ausfälle von Bürgschaftsregressforderungen und vergleichbaren Forderungen, soweit die Hingabe oder das Stehenlassen der betreffenden Sicherheit gesellschaftsrechtlich veranlasst war.

Leistet der Stpfl. über den Nennbetrag seiner Anteile hinaus Einzahlungen in das Kapital der Gesellschaft, sind die Einzahlungen bei der Ermittlung der Anschaffungskosten gleichmäßig auf seine gesamten Anteile einschließlich seiner im Rahmen von Kapitalerhöhungen erhaltenen neuen Anteile aufzuteilen (§ 17 Abs. 2a Satz 5 EStG). Eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung im vorstehenden Sinne soll gem. § 17 Abs. 2a Satz 4 EStG regelmäßig vorliegen, wenn ein fremder Dritter das Darlehen oder Sicherungsmittel iSd. § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 36 BMF v. 18.1.2016 – IV C 1 - S 2252/08/10004 :017 – DOK 2015/0468306, BStBl. I 2016, 85. 37 BMF v. 3.6.2021 – IV C 1 - S 2252/19/10003 :002 – DOK 2021/0005928, BStBl. I 2021, 723 mit Änderungen zu Rz. 60 (betreffend den Forderungsausfall) und Rz. 61 (betreffend den Forderungsverzicht) von BMF v. 18.1.2016 – IV C 1 - S 2252/08/10004 :017 – DOK 2015/0468306, BStBl. I 2016, 85. 38 Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 12.12.2019, BGBl. I 2019, 2451 = BStBl. I 2020, 17.

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oder 3 EStG bei sonst gleichen Umständen zurückgefordert oder nicht gewährt hätte. Der zeitliche Anwendungsbereich der Vorschrift erstreckt sich nach § 52 Abs. 25a EStG auf Veräußerungen oder gleichgestellte Fälle iSv. § 17 Abs. 4 oder 5 EStG nach dem 31.7.2019 oder bei früheren Veräußerungen oder gleichgestellten Fällen auf Antrag des Stpfl. Ausweislich der Gesetzesbegründung39 sollte durch die Gesetzesänderung die steuerliche Berücksichtigung der ausgefallenen Finanzierungshilfen „abweichend von den BFH-Urteilen vom 11. Juli 2017 (IX R 36/15, BStBl 2019 II S. 208) und vom 20. Juli 2018 (IX R 5/15, BStBl 2019 II S. 194)“

durch gewinnmindernde Berücksichtigung sichergestellt werden. Offenbar sollten zuvor geltende Rechtsprechungsgrundsätze grundsätzlich weiter Anwendung finden.40 Im Schrifttum wurde darauf hingewiesen, dass die nicht abschließende Aufzählung („insbesondere“) von Fallgruppen in § 17 Abs. 2a Satz 3 EStG künftig Erweiterungen durch die Rspr. ermögliche.41 Eine Neuerung im Vergleich zu der zuvor geltenden Rechtslage (vor dem MoMiG) ergab sich daraus, dass nachträgliche Anschaffungskosten auch für Beteiligungen , 10% unabhängig von den Geschäftsführungsbefugnissen des Gesellschafters möglich werden.42 Mit dem Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen vom 21.12.201943 wurde durch § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG zudem eine gestreckte und damit eingeschränkte Berücksichtigung von Verlusten aus Kapitalvermögen eingeführt. Hiernach dürfen Verluste aus Kapitalvermögen wegen –

der ganzen oder teilweisen Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung,

39 Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. BT-Drucks. 19/13436, 111. 40 AA Ratschow, GmbHR 2020, 569; Werth, FR 2020, 530 (540); Graw, DB 2020, 690 (694): neuer normspezifischer Ansatz. 41 Ratschow, GmbHR 2020, 569 (570). 42 Abweichend von BMF v. 21.10.2010 – IV C 6 - S 2244/08/10001 – DOK 2010/0810418, BStBl. I 2010, 832 = FR 2010, 1058. 43 Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen vom 21.12.2019, BGBl. I 2019, 2875 = BStBl. I 2020, 127.

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der Ausbuchung wertloser Wirtschaftsgüter iSd. § 20 Abs. 1 EStG,



der Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter iSd. § 20 Abs. 1 EStG auf einen Dritten oder



einem sonstigen Ausfall von Wirtschaftsgütern iSd. § 20 Abs. 1 EStG

nur in Höhe von 10.000 t mit Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden (§ 20 Abs. 6 Satz 6 Halbs. 1 EStG idF des Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen). Die künftige Verlustverrechnung erfolgt nach § 20 Abs. 6 Sätze 2 und 3 EStG sinngemäß mit der Maßgabe, dass nicht verrechnete Verluste je Folgejahr nur bis zur Höhe von 10.000 t mit Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden dürfen (§ 20 Abs. 6 Satz 6 Halbs. 2 EStG idF des Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen). Die vorgenannte Grenze von 10.000 t für die Verlustberücksichtigung wurde zwischenzeitlich durch das Jahressteuergesetz 2020 vom 21.12.202044 auf 20.000 t angehoben. Die gestreckte Berücksichtigung von Verlusten aus Kapitalvermögen ist auf Verluste anzuwenden, die nach dem 31.12.2019 entstehen (§ 52 Abs. 28 Satz 26 EStG).

III. Aktuelle Auslegungsfragen 1. Zeitliche Anwendung In der Rechtsanwendung führt das Zusammenspiel aus gesetzlichen Anwendungsvorschriften und der von der Rspr. eingeräumten und der FinVerw. akzeptierten Vertrauensschutzregelung für bis zum 27.9.2017 gewährte eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfen45 zu einer erhöhten Komplexität und in Einzelfällen zu Zweifelsfragen. Hinsichtlich der zeitlichen Anwendungsfragen ist im Einzelnen nach dem Zeitpunkt sowohl der Gewährung und dem Ausfall der Finanzierungshilfe als auch der Veräußerung des Gesellschaftsanteils iSd. § 17 EStG zu differenzieren.46

44 Jahressteuergesetz 2020 (JStG 2020) v. 21.12.2020, BGBl. I 2020, 3096 = BStBl. I 2021, 6. 45 Siehe hierzu oben unter I.3.; BFH v. 11.7.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019, 208 = FR 2017, 1152 unter II.5.; BMF v. 5.4.2019 – IV C 6 - S 2244/17/10001 – DOK 2019/0225994, BStBl. I 2019, 257 = FR 2019, 788. 46 Siehe ausführlich auch Werth, FR 2020, 530 (538 f.).

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Bei vor dem 1.1.2009 gewährten Finanzierungshilfen scheidet eine Berücksichtigung des Darlehensverlusts nach § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG aus, da die im Zusammenhang mit der Einführung der Abgeltungsteuer stehende Vorschrift nur auf Forderungen Anwendung findet, die nach dem 31.12.2008 erworben wurden (§ 52 Abs. 28 Satz 15, 16 EStG). Der Ausfall einer solchen Finanzierungshilfe fällt somit in die private Vermögenssphäre und ist steuerlich nicht zu berücksichtigen,47 sofern bzw. soweit nicht nachträgliche Anschaffungskosten iSd. § 17 EStG vorliegen. Bei einer Veräußerung des Gesellschaftsanteils nach dem 31.7.2019 ist zwingend § 17 Abs. 2a EStG zu beachten. In solchen Fällen greift für nach dem 31.12.2008 gewährte Finanzierungshilfen der Grundsatz der Subsidiarität nach § 20 Abs. 8 EStG, demzufolge eine Berücksichtigung des Verlusts im Rahmen des § 20 EStG nur dann möglich ist, wenn § 17 EStG nicht zur Anwendung kommt (s. zu Zweifelsfragen hinsichtlich des Konkurrenzverhältnisses zwischen §§ 17 und 20 EStG ausführlich unten III. 5).48 Auf Veräußerungen von Gesellschaftsanteilen iSd. § 17 EStG vor dem 1.8.2019 findet § 17 Abs. 2a EStG nicht zwingend Anwendung; hier besteht für den Stpfl. ein Antragswahlrecht (§ 52 Abs. 25a EStG). Hinzuweisen ist darauf, dass der Wortlaut des § 52 Abs. 25a Satz 2 EStG zu diesem Antragswahlrecht wohl verunglückt ist, da der Antrag für „Veräußerungen im Sinne von § 17 Absatz 1, 4 oder 5 vor dem 31. Juli 2019 anzuwenden“ sein soll. Gemeint ist aber offensichtlich der 1.8.2019, da anderenfalls § 17 Abs. 2a EStG auf Veräußerungen am 31.7.2019 weder nach § 52 Abs. 25a Satz 1 EStG noch auf Antrag nach Satz 2 anzuwenden wäre. Im Weiteren ist bei Veräußerungen von Gesellschaftsanteilen iSd. § 17 EStG vor dem 1.8.2019 nach dem Zeitpunkt der Gewährung der Finanzierungshilfe zu differenzieren. Wurde sie in dem Zeitraum vom 1.1.2009 bis einschließlich zum 27.9.2017 gewährt, ist die bereits oben beschriebene Vertrauensschutzregelung49 grundsätzlich anwendbar. Nach hM kann der Gesellschafter indes auf die Anwendung der Vertrauensschutzrege-

47 BFH v. 9.7.2019 – X R 9/17, BStBl. II 2021, 418 = FR 2020, 94; Werth, FR 2020, 530 (539). 48 Im Schrifttum wird diskutiert, ob hierin eine unzulässige echte Rückwirkung liegt, wenn der Darlehensverlust vor dem 1.1.2019 eingetreten ist; vgl. Ott, DStR 2020, 314 (318); Werth, FR 2020, 530 (542). 49 Siehe hierzu oben unter I.3.; BFH v. 11.7.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019, 208 = FR 2017, 1152 unter II.5.; BMF v. 5.4.2019 – IV C 6 - S 2244/17/10001 – DOK 2019/0225994, BStBl. I 2019, 257 = FR 2019, 788.

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lung und damit des § 17 EStG aF verzichten, wenn dies für ihn günstiger ist.50 Da auch die Anwendung des § 17 Abs. 2a Satz 1–4 EStG für Veräußerungen iSv. § 17 Abs. 1, 4 oder 5 EStG vor dem 31.7.2019 (Gesetzeswortlaut) bzw. 1.8.2019 (Sinn und Zweck der Vorschrift) einen Antrag des Stpfl. voraussetzt, kann durch den Steuerpflichtigen in der vorgenannten Konstellation bewusst eine Zuordnung des Darlehensverlusts zum § 20 EStG herbeigeführt werden.51 Dies könnte insbes, dann in Betracht kommen, wenn der Gesellschafter zu mindestens 10% beteiligt ist und der Ausfall der Finanzierungshilfe – entsprechend den Grundsätzen der Rspr. des BFH52 – zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG führt. Denn bei einer Beteiligung von mindestens 10% wird die Auffassung vertreten, dass die Verluste nach § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b, Satz 2 EStG zu 100% mit tarifbesteuerten Einkünften verrechnet werden können,53 was aufgrund einer gesetzlichen Neuregelung allerdings allenfalls noch bis zum VZ 2023 möglich ist (s. ausführlich unten zu IV.). Gegen die Anwendung des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b, Satz 2 EStG könnte indes sprechen, dass nach dessen Wortlaut Voraussetzung ist, dass die Kapitalerträge iSd. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 „von einer Kapitalgesellschaft […] an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 Prozent an der Gesellschaft […] beteiligt ist“. Insbesondere bei der Abtretung einer Darlehensforderung unter Nennwert an einen Dritten fließen die (negativen) Kapitalerträge aber nicht von der Kapitalgesellschaft an den Gesellschafter. Andererseits würde eine streng am Wortlaut orientierte Auslegung die Frage nach dem Differenzierungsgrund aufwerfen, warum eine Rückzahlung des Darlehens unter dem Nennwert anders zu behandeln sein soll als die Abtretung/Veräußerung 50 Siehe nur Förster, DB 2018, 336 (340); Uhländer, DB 2017, 2761 (2764); Ott, DStR 2020, 313 (318) mwN.; Desens, DStR 2019, 1071 (1072); Förster/ von Cölln/Lentz, DB 2020, 353 (359) mwN; Werth, FR 2020, 530 (535) mwN. 51 Die Frage der Möglichkeit eines Verzichts auf die Übergangsregelung ist für Altfälle damit auch nicht durch § 17 Abs. 2a EStG iVm. § 52 Abs. 25a Satz 2 EStG überholt; vgl. BFH v. 14.1.2020 – IX R 9/18, BStBl. II 2020, 490 = FR 2020, 931. 52 BFH v. 24.10.2017 – VIII R 13/15, BStBl. II 2020, 831 = FR 2018, 1062; v. 27.10.2020 – IX R 5/20, BFH/NV 2021, 961 zum Forderungsausfall; BFH v. 6.8.2019 – VIII R 18/16, BStBl. II 2020, 833 = FR 2021, 128 zum Forderungsverzicht. 53 Förster/von Cölln/Lentz, DB 2020, 353 (357); Werth, FR 2020, 530 (535); Ott, StuB 2020, 85 (90); Fuhrmann, NWB 2020, 150 (156 f.); Ott, StuB 2020, 777 (778 f.); vgl. auch Demuth, KÖSDI 2020, 21771 (21776), str.

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eines Darlehens an einen Dritten. Soweit ersichtlich, hat sich die FinVerw. zu dieser offenen Frage noch nicht offiziell positioniert. Bei Anwendung des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b, Satz 2 EStG käme jedenfalls die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG nicht zur Anwendung (§ 32d Abs. 2 Satz 2 EStG). Demgegenüber würde die Anwendung des § 17 EStG aF oder auf Antrag des § 17 Abs. 2a EStG infolge der Erfassung als nachträgliche Anschaffungskosten iSd. § 17 EStG zu einer Verlustberücksichtigung unter Anwendung des Teileinkünfteverfahrens (§ 3c Abs. 2 Satz 1 EStG) führen und damit nur zu 60% steuerwirksam sein. Bei einer Beteiligung des Gesellschafters von weniger als 10% wirkt sich ein Verlust iSd. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG nach § 32d Abs. 1 EStG nur zu einem Steuersatz von 25% zuzüglich Solidaritätszuschlag aus. Hier kann die Ausübung des Wahlrechts bei hohen persönlichen Steuersätzen des Gesellschafters vorteilhaft sein, um den Verlust unter Anwendung des Teileinkünfteverfahrens der tariflichen Einkommensteuer zu unterstellen. Wurde die ausgefallene Finanzierungshilfe nach dem 27.9.2017 gewährt und der Gesellschaftsanteil vor dem 1.8.2019 veräußert, kann sich der Stpfl. nicht auf die Vertrauensschutzregelung berufen. Der Ausfall der Finanzierungshilfe ist in diesem Fall grundsätzlich nach § 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 EStG zu berücksichtigen. Alternativ ist ein Antrag nach § 52 Abs. 25a Satz 2 EStG auf Anwendung des § 17 Abs. 2a EStG möglich. Für nach dem 31.12.2019 ausgefallene Finanzierungshilfen, die nicht in den Anwendungsbereich des § 17 Abs. 2a EStG fallen, ist zu berücksichtigen, dass die Verluste iSd. § 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 EStG nach § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG jährlich nur noch iHv. 20.000 t verrechnet werden können. Der überschießende Betrag ist als Verlust vorzutragen. Die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG gilt jedoch nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung wiederum nicht, wenn der Gesellschafter zu mindestens 10% an der Gesellschaft beteiligt ist, da § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG die Anwendung des § 20 Abs. 6 EStG ausschließt.54 Allerdings ist im Zuge des Jahressteuergesetzes 2020 der Anwendungsbereich des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG jedenfalls für Verluste aus Darlehensforderungen des Gesellschafters gegenüber seiner Gesellschaft ab dem VZ 2024 beseitigt worden.55 54 Werth, FR 2020, 530 (538). 55 Siehe ausführlich unten IV.

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Einen Überblick über die grundlegende steuerliche Einordnung einer ausgefallenen Finanzierungshilfe gibt die nachfolgende Abbildung:56 Forderungserwerb

Vor 1.1.2009 (keine Abgeltungsteuer)

Nach 31.12.2008 (mit Abgeltungsteuer)

Forderung

Anwendung des § 17 Abs. 2a EStG

Keine Anwendung des § 17 Abs. 2a EStG

Werthaltiger Teil (Teilwert)

Nachträgliche AK iHv. 60% §§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c, 3c Abs. 2 Satz 1 EStG

Nicht steuerwirksam

Nicht werthaltiger Teil

Nicht steuerwirksam

Nicht steuerwirksam

Werthaltiger Teil (Teilwert)

Nachträgliche AK iHv. 60% §§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c, 3c Abs. 2 Satz 1 EStG

Forderungsausfall § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2 EStG (BFH VIII R 13/15)

Nicht werthaltiger Teil

Forderungsausfall § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2 EStG, str.57

Forderungsausfall § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2 EStG (BFH VIII R 13/15)

Abbildung 1: Überblick zum Ausfall von Finanzierungshilfen

2. Bewertung der nachträglichen Anschaffungskosten Auffallend ist, dass § 17 Abs. 2a EStG keine gesetzliche Regelung zur Bewertung der ausgefallenen Finanzierungshilfen als nachträgliche Anschaffungskosten iSd. § 17 Abs. 2a, 4 EStG bereitstellt. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob die von der BFH-Rspr. zur Rechtslage vor dem MoMiG entwickelten Fallgruppen (Krisendarlehen, krisenbestimmtes Darlehen, Finanzplandarlehen und stehen gelassenes Darlehen) weiter Geltung haben werden.58 Insbesondere für stehen gelassene Darlehen ist die Wertansatzfrage offen. Abweichend von Stimmen, die weiterhin den gemeinen Wert zum 56 In Anlehnung an Förster/von Cölln/Lentz, DB 2020, 353. 57 Vgl. die Diskussion hierzu unter III. 5. 58 Graw, DB 2020, 690 (694); Werth, FR 2020, 530 (541); Ratschow, GmbHR 2020, 569 (572).

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Zeitpunkt des Kriseneintritts heranziehen wollen,59 verbreitet sich vermehrt die Auffassung, dass der volle Nennwert des stehen gelassenen Darlehens als nachträgliche Anschaffungskosten iSd. § 17 Abs. 2a, 4 EStG anzusetzen ist.60 Für die erstgenannte Auffassung spricht, dass der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung wohl zu der Rechtslage zurückkehren wollte, die vor den BFH-Urteilen vom 11.7.201761 und vom 20.7.201862 gegolten hat. Für die zweitgenannte Ansicht spricht zum einen, dass vor der Krise gewährte Darlehen bzw. Finanzierungshilfen mit Eintritt der Krise gesellschaftsrechtlich veranlasst sind, weil ein fremder Dritter diese zurückgefordert hätte,63 und zum anderen, dass auf diese Weise die ursprünglich entwickelten Fallgruppen eine Gleichbehandlung erfahren.

3. Spezifizierter Rangrücktritt Im Weiteren stellt sich die Frage, ob und inwieweit ein sog. spezifizierter Rangrücktritt zu nachträglichen Anschaffungskosten iSd. § 17 Abs. 2a EStG führen kann. Bei einem spezifizierten Rangrücktritt sieht die Rangrücktrittsvereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger vor, dass eine Rückzahlung der Verbindlichkeit nur dann zu erfolgen hat, wenn der Schuldner dazu aus zukünftigen Gewinnen oder aus einem Liquidationsüberschuss künftig in der Lage ist und der Gläubiger mit seiner Forderung im Rang hinter alle anderen Gläubiger zurücktritt.64 Abweichend von der Definition eines einfachen Rangrücktritts iS des BMF-Schreibens vom 8.9.200665 ist beim spezifizierten Rangrücktritt damit die Tilgung aus anderem Vermögen – dem sog. freien Vermögen – ausgeschlossen. Die Vereinbarung eines spezifizierten Rangrücktritts im vorstehenden Sinne hat zur Folge, dass auf der Ebene der GmbH (= Darlehensschuldnerin) wegen der fehlenden Bezugnahme auf die Möglichkeit einer Tilgung 59 Jachmann-Michel, BB 2020, 727 (733 f.); Werth, FR 2020, 530 (542). 60 Strahl, KÖSDI 2019, 21392 (21396); Korn/Strahl, NWB 2019, 3538 (3554); Ott, DStR 2020, 313 (317); Ott, StuB 2020, 85 (90); Demuth, KÖSDI 2020, 21771 (21777). 61 BFH v. 11.7.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019, 208 = FR 2017, 1152. 62 BFH v. 20.7.2018 – IX R 5/15, BStBl. II 2019, 194 = FR 2019, 1107. 63 Werden Finanzierungshilfen erst in der Krise gewährt, resultiert die gesellschaftsrechtliche Veranlassung daraus, dass ein fremder Dritter die Finanzierungshilfen zu diesem Zeitpunkt nicht gewährt hätte. 64 Vgl. zum Begriff des spezifizierten Rangrücktritts BFH v. 15.4.2015 – I R 44/14, BStBl. II 2015, 769 = FR 2015, 995. 65 BMF v. 8.9.2006 – IV B 2 - S 2133 - 10/06, BStBl. I 2006, 497 = FR 2006, 946.

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auch aus sonstigem freien Vermögen gem. § 5 Abs. 2a EStG keine Verbindlichkeit oder Rückstellung passiviert werden kann.66 Gegebenenfalls kann der durch den Wegfall der Verbindlichkeit ausgelöste Buchgewinn in Höhe des werthaltigen Teils durch den Ansatz einer Einlage neutralisiert werden.67 Für den nicht werthaltigen Teil kommt ggf. eine Steuerfreiheit als Sanierungsertrag nach § 3a EStG, § 7b GewStG in Betracht. Bei gesellschaftsrechtlicher Veranlassung der getroffenen Rangrücktrittsvereinbarung findet nach hier vertretener Auffassung auf der Ebene des Gesellschafters § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 1 EStG Anwendung.68 So hat der BFH zur Rechtslage nach dem MoMiG klargestellt, dass solche Finanzierungshilfen zu nachträglichen Anschaffungskosten führen (können), die aufgrund der vertraglichen Abreden mit der Zuführung einer Einlage in das Gesellschaftsvermögen wirtschaftlich vergleichbar sind.69 Dies könne der Fall sein bei einem Gesellschafterdarlehen, dessen Rückzahlung auf der Grundlage der von den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen – wie beispielsweise der Vereinbarung eines Rangrücktritts iSd. § 5 Abs. 2a EStG – im Wesentlichen denselben Voraussetzungen unterliegt wie die Rückzahlung von Eigenkapital.70 Wird die Rangrücktrittsvereinbarung bereits bei Darlehenshingabe abgeschlossen, ist entsprechend der Rechtsprechungsgrundsätze zur Rechtslage vor Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts der Nennwert des Darlehens als nachträgliche Anschaffungskosten anzusetzen.71 Wird der Rangrücktritt erst bei Kriseneintritt vereinbart, führt der werthaltige 66 BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10, BStBl. II 2012, 332 = FR 2012, 582; v. 15.4.2015 – I R 44/14, BStBl. II 2015, 769 = FR 2015, 995; BMF v. 8.9.2006 – IV B 2 - S 2133 - 10/06, BStBl. I 2006, 497 = FR 2006, 946 Rz. 6. 67 Vgl. BFH 10.8.2016 – I R 25/15, BStBl. II 2017, 670 = FR 2017, 390; v. 15.4.2015 – I R 44/14, BStBl. II 2015, 769 = FR 2015, 995 entgegen BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10, BStBl. II 2012, 332 = FR 2012, 582. 68 Förster, DB 2018, 336 (342); Ott, DStR 2020, 313 (316); Krumm, FR 2020, 197 (201); Werth, FR 2020, 530 (541); vgl. auch BMF v. 5.4.2019 – IV C 6 - S 2244/17/10001 – DOK 2019/0225994, BStBl. I 2019, 257 = FR 2019, 788 zu § 17 EStG aF. 69 BFH v. 11.7.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019, 208 = FR 2017, 1152 unter II.4.c. 70 Vgl. hierzu BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10, BStBl. II 2012, 332 = FR 2012, 582. In einem solchen Fall käme dem Darlehen auch bilanzsteuerrechtlich die Funktion von zusätzlichem Eigenkapital zu; BFH v. 15.4.2015 – I R 44/14, BStBl. II 2015, 769 = FR 2015, 995; v. 10.8.2016 – I R 25/15, BStBl. II 2017, 670 = FR 2017, 390. 71 Werth, FR 2020, 530 (541).

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Teil der Forderung im Zeitpunkt der Vereinbarung des Rangrücktritts, dh. im Zeitpunkt des Kriseneintritts, zu nachträglichen Anschaffungskosten. Bei einer Darlehensvergabe nach dem 31.12.2008 könnte dann der Verlust des nicht werthaltigen Teils der Forderung nach § 20 Abs. 2 Nr. 7, Abs. 4 EStG steuerlich zu berücksichtigen sein.72

4. Abtretung von Bürgschaftsregressforderungen Zweifelsfragen zur Anwendung des § 17 Abs. 2a EStG ergeben sich ferner im Zusammenhang mit Bürgschaftsregressforderungen. Vom Wortlaut des § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 3 EStG erfasst ist der Ausfall einer Bürgschaftsregressforderung, dh. die Konstellation, in der ein iS des § 17 EStG an der GmbH beteiligter Gesellschafter aus einer Bürgschaft zugunsten der GmbH in Anspruch genommen wird und die daraus resultierende Bürgschaftsregressforderung gegen die GmbH (endgültig) ausfällt. In diesen Fällen entstehen nachträgliche Anschaffungskosten iSd. § 17 Abs. 2a EStG, soweit die Hingabe oder das Stehenlassen der Bürgschaft (in der Krise) gesellschaftsrechtlich iSd. § 17a Abs. 2a Satz 4 EStG veranlasst war.73 Strittig ist dagegen die Frage, ob auch Verluste aus der Abtretung einer Bürgschaftsregressforderung in den Anwendungsbereich des § 17 Abs. 2a EStG fallen. Derartige Verluste sind jedenfalls nicht vom Wortlaut des § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 3 EStG erfasst.74 Der Sinn und Zweck der Vorschrift sowie die Tatsache, dass die Aufzählung in Abs. 2a Satz 3 des § 17 EStG nicht abschließend ist („insbesondere“), sprechen indes für nachträgliche Anschaffungskosten aus entsprechenden Abtretungsverlusten, soweit die Hingabe oder das Stehenlassen der Bürgschaft (in der Krise) gesellschaftsrechtlich iSd. § 17a Abs. 2a Satz 4 EStG veranlasst war.75

72 Förster, DB 2018, 336 (342); Werth, FR 2020, 530 (541); str., zum Konkurrenzverhältnis zwischen §§ 17 und 20 EStG s. unter III.5. 73 Noch nicht höchstrichterlich geklärt ist die Frage, ob der Ausfall der Regressforderung eines Gesellschafter-Bürgen gem. § 774 BGB darüber hinaus unter § 20 EStG fällt. Dies wird von der hM in der Literatur bejaht; Ott, DStR 2020, 313 (321); Jachmann-Michel, BB 2018, 2329 (2330); Kahlert, DStR 2018, 229 (232); Trossen, GmbH-StB 2019, 105 (109); Krumm, FR 2020, 197 (205). 74 Vgl. Förster/von Cölln/Lentz, DB 2020, 353 (356); Ott, DStZ 2020, 189 (197). 75 Ratschow, GmbR 2020, 569 (571).

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5. Konkurrenzverhältnis zwischen §§ 17 und 20 EStG Nicht abschließend geklärt und im Fachschrifttum eingehend diskutiert wird die Frage, wie das in bestimmten Konstellationen auftretende Konkurrenzverhältnis zwischen §§ 17 und 20 EStG aufzulösen ist, dh. inwieweit durch die Subsidiarität nach § 20 Abs. 8 EStG eine sog. „Sogwirkung“ des § 17 EStG auftritt.76 Rechtsfolgenseitig ist hierzu zunächst zu berücksichtigen, dass Verluste als nachträgliche Anschaffungskosten iSd. § 17 Abs. 2a EStG im Ergebnis zu 60% steuerlich berücksichtigungsfähig sind (Anwendung des Teileinkünfteverfahrens; § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c, § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG). Zudem hat der BFH die steuerliche Berücksichtigungsfähigkeit von Wertminderungen im Rahmen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz. 2, Abs. 4 EStG für nach dem 31.12.2008 gewährte Gesellschafterdarlehen sowohl für einen Forderungsausfall77 als auch für einen Forderungsverzicht78 konstatiert. Die FinVerw. erkennt die vorgenannte Rspr. durch zwischenzeitliche Anpassung des BMF-Schreibens betreffend Einzelfragen zur Abgeltungsteuer79 sowie Veröffentlichung im Bundessteuerblatt II offenkundig nunmehr an. Meinungen im Schrifttum gehen zudem davon aus, dass bei einer Mindestbeteiligung von 10% entsprechende Verluste infolge der Anwendung von § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG im Grundsatz zu 100% mit anderen Einkünften verrechenbar sind,80 wobei nunmehr für nach dem 31.12.2019 entstandene Verluste die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG zu beachten ist. Einschränkend ist jedoch darauf hinzuweisen, dass (spätestens) ab dem VZ 2024 eine vollständige Verrechenbarkeit mit tarifbesteuerten Einkünften ausscheidet, da der Anwendungsbereich des § 32d Abs. 2 Satz 1

76 Vgl. zur Diskussion Jachmann-Michel, BB 2020, 727; Förster/von Cölln/ Lentz, DB 2020, 353 (357 ff.); Krumm, FR 2020, 197 (204 f.); Ott, DStR 2020, 314 (318); Ott, DStZ 2020, 189 (197); Levedag, GmbHR 2020, 114 (117 f.); Graw, DB 2020, 690 (696 f.); Werth, FR 2020, 530 (542 f.); Dorn, Ubg. 2020, 450; Demuth, KÖSDI 2020, 21771 (21776 f.); Ott, StuB 2020, 777 (779 f.). 77 BFH v. 24.10.2017 – VIII R 13/15, BStBl. II 2020, 831 = FR 2018, 1062; v. 27.10.2020 – IX R 5/20, BFH/NV 2021, 961 unter II.2.a. 78 BFH v. 6.8.2019 – VIII R 18/16, BStBl. II 2020, 833 = FR 2021, 128. 79 Änderung der Rz. 60 (betreffend den Forderungsausfall) und Rz. 61 (betreffend den Forderungsverzicht) von BMF v. 18.1.2016 – IV C 1 - S 2252/08/10004 :017 – DOK 2015/0468306, BStBl. I 2016, 85 durch BMF v. 3.6.2021 – IV C 1 - S 2252/19/10003 :002; DOK 2021/0005928, BStBl. I 2021, 723. 80 Siehe oben unter III.1.

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Nr. 1 Buchst. b EStG durch das Jahressteuergesetz 2020 stark eingeschränkt wurde (s. ausführlich hierzu unten IV.). Kein Konkurrenzverhältnis besteht in den folgenden Fällen der Nichtanwendung von § 17 EStG: –

keine Beteiligung iSd. § 17 EStG, dh. der Gesellschafter und ggf. der Rechtsvorgänger war während der gesamten letzten fünf Jahre zu weniger als 1% an der Kapitalgesellschaft beteiligt;



keine gesellschaftsrechtliche Veranlassung der Darlehensgewährung oder des Stehenlassens in der Krise und damit keine Anwendung von § 17 Abs. 2a EStG oder kein Verlust aus der Darlehensgewährung;



Veräußerungen von Gesellschaftsanteilen iSd. § 17 EStG vor dem 1.8.2019, für die kein Antrag nach § 52 Abs. 25a Satz 2 EStG gestellt wird, wenn die ausgefallene Finanzierungshilfe bis einschließlich zum 27.9.2017 gewährt wurde und die von der Rspr. eingeräumte Vertrauensschutzregelung81 vom Stpfl. nicht in Anspruch genommen wird;



Verzicht auf eine nicht werthaltige Forderung oder den wertlosen Teil stehen gelassener Darlehen, soweit für den Erwerb der Forderung insoweit Aufwendungen getragen wurden,82 wenn die nachträglichen Anschaffungskosten nicht ohnehin aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung der Darlehensgewährung oder des Stehenlassens von § 17 Abs. 2a EStG erfasst werden und ggf. mit dem Nennwert der Forderung zu bewerten sind (s.o. unter III.2.);83



(ggf.) bei lediglich mittelbarer Beteiligung über eine andere Kapitalgesellschaft (s. nachfolgend unter III.6.).

81 Siehe hierzu oben unter I.3.; BFH v. 11.7.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019, 208 = FR 2017, 1152 unter II.5; BMF v. 5.4.2019 – IV C 6 - S 2244/17/10001 – DOK 2019/0225994, BStBl. I 2019, 257 = FR 2019, 788. 82 Vgl. BFH v. 6.8.2019 – VIII R 18/16, BStBl. II 2020, 833 = FR 2021, 128. 83 Hiervon abzugrenzen ist der nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG iVm. § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c EStG steuerlich zu 40% nicht berücksichtigungsfähige Teil der nachträglichen Anschaffungskosten iSd. § 17 Abs. 2a EStG, der nicht (zusätzlich) nach § 20 EStG Berücksichtigung finden kann. Dies ist sachgerecht, da in diesem Fall § 17 EStG den § 20 EStG über § 20 Abs. 8 EStG dem Grunde nach vollständig verdrängt und das Teileinkünfteverfahren erst auf der Ebene der Einkünfteermittlung der Höhe nach ansetzt.

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Der Grundsatz der Subsidiarität nach § 20 Abs. 8 EStG und damit eine Sogwirkung des § 17 EStG greift indes, soweit § 17 Abs. 2a EStG anwendbar ist. Dies gilt zumindest dann, wenn der Darlehensverlust in demselben Veranlagungszeitraum wie der Beteiligungsverlust anfällt. Differenziert ist die Betrachtung hingegen, wenn sich die Realisationszeitpunkte für die Verluste aus der Beteiligung und dem Darlehen bzw. der Finanzierungshilfe voneinander unterscheiden. Findet der Forderungsverzicht oder -verkauf vor der Realisierung des Beteiligungsverlusts statt, ist zunächst zwischen dem werthaltigen und dem nicht werthaltigen Teil der Forderung zu differenzieren. Verzichtet der Gesellschafter auf einen Teil seiner Darlehensforderung, führt dies zu einer Einlage iSd. § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG, soweit der Gesellschafter auf den werthaltigen Teil der Forderung verzichtet.84 Dies setzt voraus, dass der Verzichtsbetrag den Nennwert des nicht werthaltigen Teils der Forderung übersteigt. Es entsteht kein Einlagegewinn oder -verlust iSd. § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG, soweit dem durch die Einlage bewirkten Zufluss Anschaffungskosten in gleicher Höhe gegenüberstehen. Insoweit entstehen nachträgliche Anschaffungskosten nach § 17 Abs. 2a EStG. Hinsichtlich des nicht werthaltigen Teils der Forderung entsteht ein Abtretungsverlust nach § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG, soweit Anschaffungskosten gegenüberstehen. Fraglich ist, ob vorrangig § 17 Abs. 2a EStG anzuwenden ist, auch wenn der Beteiligungsverlust erst später realisiert wird. Nach hier vertretener Auffassung tritt eine sofortige Erfassung als nachträgliche Anschaffungskosten ein, soweit die übrigen Voraussetzungen des § 17 Abs. 2a EStG gegeben sind, so dass § 20 EStG insoweit verdrängt wird.85 Nach dieser Sichtweise stellt sich anschließend die Frage, ob hierin eine unzulässige echte Rückwirkung liegt, wenn der Darlehensverlust vor dem 1.1.2019 eingetreten ist.86 Wird dagegen der Beteiligungsverlust vor dem Forderungsverzicht oder -verkauf realisiert, ist ungeklärt, ob hinsichtlich des Verlusts aus der Forderung vorrangig § 17 Abs. 2a EStG oder – mangels einer Beteiligung iSv.

84 BFH v. 6.8.2019 – VIII R 18/16, BStBl. II 2020, 833 = FR 2021, 128. 85 Abweichend davon wird in Teilen des Schrifttums aber auch eine zwischenzeitliche Besteuerung nach § 20 EStG als möglich erachtet. 86 Vgl. Ott, DStR 2020, 314 (318); Werth, FR 2020, 530 (542).

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§ 17 EStG – allein § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG (unter Berücksichtigung von § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG) anzuwenden ist.87

6. Mittelbare Beteiligungsverhältnisse Zweifelsfragen stellen sich ebenfalls in mehrstufigen Beteiligungsverhältnissen. Konkret stellt sich die Frage, ob § 17 Abs. 2a EStG auf einen Verlust aus einer Darlehensforderung Anwendung findet, die der Gesellschafter gegen eine GmbH (Tochtergesellschaft) hat, an der er nur mittelbar über eine andere Kapitalgesellschaft (Muttergesellschaft) beteiligt ist. Nach alter Rechtslage war der Darlehensausfall nicht von § 17 EStG aF umfasst, da der Verlust nicht durch das Gesellschaftsverhältnis mit der unmittelbaren Beteiligungsgesellschaft veranlasst ist. Nach derzeit geltender Rechtslage könnte aber ein neues Verständnis geboten sein, sofern die gesellschaftsrechtliche Veranlassung nach § 17 Abs. 2a Satz 4 EStG eigenständig, dh. vom alten Eigenkapitalersatzrecht losgelöst zu beurteilen ist. In der beschriebenen Konstellation könnte sich die gesellschaftsrechtliche Veranlassung beispielsweise aus einer Beherrschung der Muttergesellschaft durch den Gesellschafter ableiten. Soweit ersichtlich wird im Schrifttum indes davon ausgegangen, dass mittelbar über Kapitalgesellschaften beteiligte Darlehensgeber nicht von § 17 Abs. 2a EStG erfasst sind.88 Ist dem zu folgen, würden entsprechende Darlehensverluste grundsätzlich dem Regime des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG unterfallen (soweit die Darlehen nach dem 31.12.2008 gewährt wurden) und es ergäbe sich keine Konkurrenz zu § 17 EStG.

IV. Ausblick Durch das Jahressteuergesetz (JStG) 2020 vom 21.12.202089 wurde zwischenzeitlich § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG dahingehend geändert, dass von einer Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft an einen zu mindestens 10% beteiligten Anteilseigner gezahlte Kapital87 Für die Anwendung allein von § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG Ott, DStZ 2020, 189 (197). 88 Vgl. Ott, StuB 2020, 85 (92); Werth, FR 2020, 530 (543). Hingewiesen wird auch darauf, dass sich mittelbare Beteiligungsverhältnisse durch einen Anteilstausch nach § 21 UmwStG – ohne Darlehensübertragung – herbeiführen lassen; Ott, DStZ 2020, 180 (201). 89 Jahressteuergesetz 2020 (JStG 2020) v. 21.12.2020, BGBl. I 2020, 3096 = BStBl. I 2021, 6.

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erträge iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 4 und 7 sowie Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und 7 EStG nur noch insoweit von der Abgeltungsteuer ausgenommen sind, als „die den Kapitalerträgen entsprechenden Aufwendungen beim Schuldner Betriebsausgaben oder Werbungskosten im Zusammenhang mit Einkünften sind, die der inländischen Besteuerung unterliegen und § 20 Absatz 9 Satz 1 zweiter Halbsatz keine Anwendung findet“.90 Nach § 52 Abs. 33b Satz 1 EStG ist die Gesetzesänderung auf Kapitalerträge anzuwenden, die nach dem 31.12.2020 erzielt werden. Auf Kapitalerträge aus Darlehen an die Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft, deren rechtliche Grundlage vor dem 1.1.2021 begründet wurde, ist die Neuregelung ab dem VZ 2024 anzuwenden (§ 52 Abs. 33b Satz 2 EStG). Die gesetzliche Neuregelung des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG wird damit begründet, dass der Ausschluss des Abgeltungsteuertarifs für „Verluste oder Gewinne aus der Veräußerung einer Darlehensforderung des Gesellschafters gegenüber seiner Gesellschaft […] insoweit nicht gerechtfertigt [sei], als den betreffenden Einkünften des Gesellschafters auf Seiten der Gesellschaft keine Betriebsausgaben gegenüberstehen“.91 Im Übrigen soll die Vorschrift nicht genutzt werden, um „künstlich erzeugte Verluste iSd. § 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 7 EStG in voller Höhe mit tariflich versteuerten Einkünften zu verrechnen“.92 Dass die Neuregelung für Verluste aus der Veräußerung oder dem Untergang von vor dem 1.1.2021 begründete Darlehensforderungen des Gesellschafters gegenüber seiner Gesellschaft erst ab dem VZ 2024 greifen soll, begründet der Gesetzgeber mit den durch die Neuregelung verbundenen Nachteilen für die Stpfl. und der begrenzten Ausgleichsfähigkeit der Verluste infolge § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG.93 Ab dem VZ 2024 werde „auch für diese Kapitaleinkünfte pauschalierend unterstellt, dass der Anlass für ihre Entstehung erst nach dem 31. Dezember 2020 eingetreten ist“.94

90 Vgl. hierzu auch Ott, StuB 2020, 777. 91 Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2020, BT-Drucks. 19/22850, 81. 92 Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2020, BT-Drucks. 19/22850, 81. Den Verlusten liegen in der Praxis meist korrespondierende positive Kapitalerträge zugrunde, die dem günstigen Abgeltungsteuertarif unterliegen. 93 Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2020, BT-Drucks. 19/22850, 84. 94 Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2020, BT-Drucks. 19/22850, 84. Das gelte insbes. für Verluste aus der Veräußerung oder dem Untergang von Darlehensforderungen des Gesellschafters gegenüber seiner Gesellschaft.

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Heinemann/Bohn, Gesellschafterdarlehen an Kapitalgesellschaften

Die vom Bundesrat geforderten weiter gehenden Anpassungen in Gestaltung einer Streichung des § 17 Abs. 2a EStG (zugunsten einer Erfassung entsprechender Verluste im Bereich der Einkünfte aus Kapitalvermögen) und der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Sätze 5 und 6 EStG95 haben dagegen keinen Eingang in das verabschiedete Jahressteuergesetz 2020 gefunden.

95 Siehe Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2020, BT-Drucks.19/23551, 10 ff.

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Aktuelle Entwicklungen betreffend § 6 AStG Dr. Stefanie Beinert Rechtsanwältin, Frankfurt Dr. Eva Oertel* Regierungsdirektorin, München I. Einführung II. Übersicht über die geplante Reform des § 6 AStG 1. Straffung des Tatbestands (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG-E) 2. Erstmalige Normierung der Zeitpunkte der (fiktiven) Gewinnrealisation 3. Unbeschränkte Steuerpflicht (§ 6 Abs. 2 AStG-E) 4. Vorübergehende Abwesenheit (§ 6 Abs. 3 AStG-E) 5. Steuerstundung (§ 6 Abs. 4 AStG-E): One-fits-all-Lösung III. Aufhebung der Wegzugsteuer bei Wiederzuzug: Erfordernis einer Rückkehrabsicht? 1. Drittstaatenfälle 2. EU/EWR-Fälle 3. Rückkehrabsicht und § 6 AStG-E IV. Aufhebung der Wegzugsteuer bei Wiederzuzug mit (ehemals) alteinbringungsgeborenen Anteilen V. § 6 AStG-E und Umstrukturierungen 1. Wegzug ins EU/EWR-Ausland vor Umstrukturierung a) Zielsetzung

b) Derzeitige Rechtslage c) Rechtslage nach § 6 AStG-E 2. Wegzug ins EU/EWR-Ausland nach Umstrukturierung a) Fragestellung b) Derzeitige Rechtslage c) Rechtslage nach § 6 AStG-E 3. Ersatzrealisationstatbestand des § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG bei Wegzug nach Schenkung VI. Zuzug und Anschaffungskosten 1. Fragestellung 2. Berücksichtigung ausländischer Wegzugsteuer 3. Risiko der Doppelbesteuerung 4. Berücksichtigung nicht aufgehobener inländischer Wegzugsteuer auf Anteile iSv. § 17 EStG a) Derzeitige Rechtslage b) Rechtslage nach § 6 AStG-E VII. Wegzugsbesteuerung bei Immobiliengesellschaften VIII. Wertpapierleihe vor Wegzug

* Die Autorin ist Regierungsdirektorin im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, München. Der Beitrag ist nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst.

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Beinert/Oertel, Aktuelle Entwicklungen betreffend § 6 AStG IX. Ausschüttungen während der vorübergehenden Abwesenheit („zieh weg, schütt aus, zieh zurück“) X. Kritik an der Reform des § 6 AStG

1. Europarechtlich bedenkliche Verschärfung des Stundungskonzepts 2. Grundsätzliche Bedenken XI. Ausblick

I. Einführung Art. 5 ATAD1 verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Aufdeckung und (auf Antrag ratierlichen) Besteuerung stiller Reserven bei der grenzüberschreitenden Überführung von Wirtschaftsgütern, der Verlagerung von Betrieben oder dem Wegzug von Körperschaften (sog. Entstrickungsbesteuerung). Nach dem Regierungsentwurf des ATAD-Umsetzungsgesetzes vom 19.4.2021 soll die Umsetzung von Art. 5 ATAD in § 4 Abs. 1 Satz 3 und 9 – neu –, § 4g, § 6 Abs. 1 Nr. 4, 5a und 5b, § 9 Abs. 5 Satz 2 und § 36 Abs. 5 EStG sowie § 12 Abs. 1 und 1a KStG erfolgen.2 Neben den aufgrund von Art. 5 ATAD erforderlichen Änderungen sieht der Regierungsentwurf eine Neufassung des § 6 AStG vor. Diese soll erstmals für Sachverhalte gelten, die nach dem 31.12.2021 verwirklicht werden (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 AStG-E, S. 78).3 Nach einer Übersicht über die geplante Reform des § 6 AStG wird auf ausgewählte Fragen des derzeitigen § 6 AStG sowie der Reform eingegangen, gefolgt von Ausführungen zur derzeit zentralen Frage der EU-Widrigkeit des Entwurfs.

1 Anti-Steuervermeidungs-Richtlinie (ABl EU 2016 Nr. L 193, 1), geändert durch Art. 1 der Richtlinie (EU) 2017/952 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/1164 bezüglich hybrider Gestaltungen mit Drittländern (ABl EU 2017 Nr. L 144, 1). 2 Vgl. den Beitrag von Ditz/Rupp auf S. 535 ff. 3 Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf v. 24.3.2020 ergeben sich neben dem Anwendungszeitpunkt nur aus der Streichung des sog. verunglückten Wegzugs nach § 6 Abs. 3 Satz 6 AStG-RefE (Entfall des Steueranspruchs zur Vermeidung von Härten), wenn der Stpfl. entgegen seiner ursprünglichen Absicht innerhalb von drei Jahren nach dem Wegzug wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird und die übrigen Voraussetzungen des Abs. 3 Satz 1 vorliegen.

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Beinert/Oertel, Aktuelle Entwicklungen betreffend § 6 AStG

II. Übersicht über die geplante Reform des § 6 AStG 1. Straffung des Tatbestands (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG-E) Während § 6 Abs. 1 AStG in seiner aktuellen Fassung im Grundtatbestand (Satz 1) auf die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht durchAufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts abstellt und in Satz 2 vier Ersatztatbestände auflistet, sieht der Regierungsentwurf eine Zusammenfassung der relevanten Wegzugsereignisse in drei Nummern vor. Die bisherigen Ersatztatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 (Wechsel der DBA-Ansässigkeit des Gesellschafters) und Nr. 3 (Anteilseinlage in ein ausländisches Betriebsvermögen) AStG entfallen. Soweit die beiden Ereignisse jedoch zu einer Einschränkung des deutschen Besteuerungsrechts führen, bleiben sie im Ergebnis über den Auffangtatbestand in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG-E erfasst.4 Insgesamt sind es daher zwar weniger Tatbestände, aber der Anwendungsbereich bleibt grundsätzlich5 derselbe.6 Die Begründung des Regierungsentwurfs spricht von „Straffung“.7 4 Bron, IStR 2020, 361 (362); Wilke, IStR 2020, 366 (369); Schiefer, ISR 2020, 84 (85); Kahlenberg, IStR 2020, 378 (381). 5 Die Tatbestandslücke für Anteilsschenkungen an unbeschränkt steuerpflichtige, aber im Ausland DBA-ansässige Personen wird geschlossen, vgl. Bron, IStR 2020, 361 (363); Kahlenberg, IStR 2020, 378 (382); wohl auch Keilen/Köbl, IStR 2020, 171 (174 f.). Zur Frage der Gesetzeslücke in der derzeitigen Rechtslage s. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 6 AStG Rz. 213, 358 (April 2020). 6 Wie Bron, IStR 2020, 361 (363) zu Recht anmerkt, werden Diskussionen vermieden, ob ein Wechsel der DBA-rechtlichen Ansässigkeit eines Gesellschafters aus dem Inland ins Ausland (derzeit § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG) oder die Einlage eines Anteils in ein ausländisches Betriebsvermögen (derzeit § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AStG) auch dann tatbestandsmäßig ist, wenn es (ausnahmsweise) nicht zu einer Einschränkung des deutschen Besteuerungsrechts kommt. Diese Fälle werden zukünftig von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG-E erfasst, der seinem Wortlaut nach den Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts voraussetzt. Die beiden anderen Tatbestandsalternativen des § 6 AStG-E (die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht und die unentgeltliche Übertragung auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person) sehen dem Wortlaut nach keine solche Eingrenzung vor, so dass sich hier – nach wie vor – die Frage nach einer teleologischen Reduktion stellt, dazu Beinert/Süßmann/Ferrenberg, Ubg 2020, 479 (491 f.). Zur Diskussion über ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der „Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts“ in der derzeitigen Rechtslage vgl. FG Köln v. 28.3.2019 – 15 K 2159/15, EFG 2019, 1361, nrkr., Rev. Az. BFH I R 30/19. 7 BT-Drucks. 19/28652, 48.

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Beinert/Oertel, Aktuelle Entwicklungen betreffend § 6 AStG

In der Entwicklungsgeschichte der Vorschrift gab es unterschiedliche Anknüpfungen für die Stundungsregeln in Abs. 5, wie etwa die bekannte Diskussion um die spanischen und Luxemburger Immobilienkapitalgesellschaften und die Entstrickung infolge der Revision des jeweiligen DBA. Dies erfüllte nach (strittiger) Ansicht der FinVerw.8 den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG, dessen Wortlaut kein aktives Tun oder Gestalten voraussetzt, sondern nur den Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts. Für diesen Tatbestand war vor der Gesetzesänderung vom 22.12.2014 keine Stundung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 AStG vorgesehen. Da die Stundung nun vereinheitlicht wird, kann auch der Tatbestand des § 6 Abs. 1 AStG gestrafft werden.

2. Erstmalige Normierung der Zeitpunkte der (fiktiven) Gewinnrealisation § 6 Abs. 1 Satz 2 AStG-E hebt klar heraus, in welchem Zeitpunkt die Rechtsfolgen des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG (Gewinnrealisation ohne Veräußerung) eingreifen, nämlich unmittelbar vor Eintritt der Beschränkung oder des Ausschlusses des Besteuerungsrechts.9 Dies erscheint folgerichtig und ordnet die Entstrickung buchstäblich der „letzten juristischen Sekunde“ zu. Es beugt zugleich Fehlinterpretationen vor, wonach beispielsweise bei einer passiven Entstrickung durch den Abschluss bzw. die Neufassung eines DBA10 die Rechtsfolgen des § 6 AStG-E durch DBA-Regelungen „überlagert“ werden könnten.11 Der Regierungsentwurf weicht in § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AStG-E dabei von der bisherigen Verwaltungsposition ab. Bisher hatte sich die Verwal8 BMF v. 26.10.2018 – IV B 5 - S 1348/07/10002-01 – DOK 2018/0734820, BStBl. I 2018, 1104 = DB 2018, 2721. Ablehnend ua. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 6 AStG Rz. 357 (April 2020); Strunk/Kaminski in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 6 AStG Rz. 112 (Jan. 2020); Kessler/Spychalski, IStR 2019, 193. Zur Diskussion vgl. Wagner/ Oertel, StbJb. 2018/2019, 659 (689 ff.). 9 Heurung/Ferdinand/Kremer, IStR 2020, 90 (92); Wilke, IStR 2020, 366 (369); Kahlenberg, IStR 2020, 378 (383). 10 UE erfasst § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG-E auch die sog. passive Entstrickung zB aufgrund einer DBA-Änderung, vgl. Deutschländer, NWB 2021, 56 (60 f.); Kühn/Weiss, IWB 2020, 46 (49); offen lassend Bron, IStR 2020, 361 (363). 11 Abweichend von BMF v. 26.10.2018 – IV B 5 - S 1348/07/10002-01 – DOK 2018/0734820, BStBl. I 2018, 1104 = DB 2018, 2721 gilt als fiktiver Gewinnrealisationstatbestand bereits der Zeitpunkt unmittelbar vor Eintritt des Ausschlusses bzw. der Beschränkung des Besteuerungsrechts.

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tung dahingehend positioniert, dass die Rechtsfolgen der Entstrickung (erst) im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendbarkeit eines neu abgeschlossenen oder revidierten DBA eintreten – also in der ersten logischen Sekunde des neuen DBA.12 Im AStG-E wird die gegenteilige Auffassung gesetzlich festgeschrieben, nämlich die Entstrickung unmittelbar vor Ausschluss oder Beschränkung des Besteuerungsrechts – also in der letzten logischen Sekunde des alten DBA.13 Die Steuer wird also im Veranlagungsjahr des Auslaufens des alten DBA erfasst. Für die Vergangenheit gilt das alte Recht unter Beachtung der Rechtsauffassung der FinVerw. Es wird durch die Regelung auch erreicht, dass bei Rückwirkung des maßgeblichen Ereignisses auch die Wegzugsbesteuerung rückwirkend ausgelöst wird.14

3. Unbeschränkte Steuerpflicht (§ 6 Abs. 2 AStG-E) Der Schwellenwert soll herabgesetzt werden auf sieben Jahre (derzeit zehn Jahre) unbeschränkte Steuerpflicht iSv. § 1 Abs. 1 EStG bei gleichzeitiger Begrenzung des Beobachtungszeitraums auf zwölf Jahre vor Wegzug (§ 6 Abs. 2 Satz 1 AStG-E). § 6 Abs. 2 Satz 4 AStG-E soll dabei Umgehungsgestaltungen verhindern, bei denen mittels der Rückkehrerregelung des § 6 Abs. 3 AStG-E ein neuer Beobachtungszeitraum „geschaffen“ und dieser sodann zu einem steuerfreien Wegzug genutzt wird.

4. Vorübergehende Abwesenheit (§ 6 Abs. 3 AStG-E) Es soll eine pragmatischere Regelung für Rückkehrwillige geschaffen werden durch Ausweitung der Rückkehroption von fünf auf sieben Jahre und Reduzierung der Nachweispflichten bei Wegzug (die derzeit erforderliche „Glaubhaftmachung“ der Rückkehrabsicht entfällt).15 Die Rückkehroption gilt entsprechend bei unentgeltlicher Übertragung auf eine zuziehende natürliche Person (§ 6 Abs. 3 Satz 5 AStG-E) und bei nur vorü-

12 BMF v. 26.10.2018 – IV B 5 - S 1348/07/10002-01 – DOK 2018/0734820, BStBl. I 2018, 1104 = DB 2018, 2721; dazu Wagner/Oertel, StbJb. 2018/2019, 659 (693 f.). 13 Hierzu Wagner/Oertel, StbJb. 2018/2019, 659 (689 ff.). 14 Kahlenberg, IStR 2020, 378 (383), zB Formwechsel einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft). 15 Hörnicke/Quilitzsch, ISR 2020, 152 (157); Wilke, IStR 2020, 366 (369); Schiefer, ISR 2020, 84 (88).

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bergehendem Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts (§ 6 Abs. 3 Satz 4 AStG-E). Eine Verlängerung um fünf weitere Jahre ist möglich (§ 6 Abs. 3 Satz 3 AStG-E: keine beruflichen Gründe mehr nötig; nur fortbestehende Rückkehrabsicht). Damit wird insbes. auf eine Forderung von Familienunternehmern eingegangen (Anteilsübertragung auf Kinder führte in der Praxis bei ausbildungsbedingten Auslandsaufenthalten gelegentlich zu Entstrickungsproblemen). § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 3 AStG-E definiert Ausschlusskriterien.16 –

Die Rückkehrerregelung wird grundsätzlich ausgeweitet auf Beschenkte (zuvor nur Erben). Es besteht die Möglichkeit des Entfalls der Steuer bei unentgeltlicher Übertragung auf eine zunächst im Ausland ansässige und anschließend zuziehende Person (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 iVm. § 6 Abs. 3 Satz 5 AStG-E). Allerdings ist die Übertragung von Anteilen während des Rückkehrzeitraums im Rahmen einer Schenkung (im Gegensatz zu einer Übertragung von Todes wegen) schädlich (arg. ex § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AStG-E). Hier besteht eine Inkonsistenz.17



Die Anteile dürfen nach Wegzug nicht veräußert, übertragen oder in ein Betriebsvermögen eingelegt werden (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AStG-E). Laut der Begründung des Regierungsentwurfs18 entfällt der Steueranspruch insbes. im Fall der verdeckten Einlage, des Anteilstauschs oder der Übertragung auf Stiftungen.



Von der Rückkehrerregelung kann nicht Gebrauch gemacht werden, soweit nach Wegzug die Dividendenausschüttungen und Einlagenrückgewähr19 insgesamt mehr als 25% des gemeinen Werts der Anteile betragen (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AStG-E). Obwohl von einem „soweit“ die Rede ist, kommt es bei einer Überschreitung der Grenze nach der Begründung des Regierungsentwurfs20 wohl zu einer vollständigen Versagung des Wegfalls der festgesetzten Wegzugsteuer.21

16 17 18 19

Bron, IStR 2020, 361 (362); Schiefer, ISR 2020, 84 (88). Kühn/Weiss, IWB 2020, 46 (52). BT-Drucks. 19/28652, 49. Derzeit führen allein Vorgänge nach § 17 Abs. 4 EStG wie die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos zum Widerruf der Stundung nach § 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 AStG. 20 BT-Drucks. 19/28652, 49. 21 So die Befürchtung von Schiefer, ISR 2020, 84 (89).

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Anm. Beinert: Vom Gesetzeswortlaut „soweit“ ist dieses Verständnis nicht gedeckt.22 Sinn und Zweck der Wegzugsbesteuerung ist die Absicherung deutschen Steuersubstrats – soweit dieses nicht entfällt, scheint eine Besteuerung unverhältnismäßig, zumal Liquidität zur Bezahlung der Wegzugsteuer allenfalls in Höhe der (Netto)ausschüttungen zur Verfügung steht. Es kommt zur kumulativen Belastung mit Ausschüttungsbesteuerung (inkl. Quellenbesteuerung) und (zeitverzögert) mit Wegzugsbesteuerung. –

Bei der Rückkehr muss das Besteuerungsrecht im gleichen Umfang wie vor dem Wegzug wiederhergestellt werden. Damit ist uE das Besteuerungsrecht dem Grunde nach, aber nicht der Höhe nach gemeint, so dass Wertminderungen in den Anteilen – soweit diese nicht Folge von Ausschüttungen oder einer Einlagenrückgewähr von mehr als 25% nach Nr. 2 sind – in der Abwesenheit unschädlich sind.23

Beim Wegzug muss Rückkehrwille bestanden haben, wobei es keiner Glaubhaftmachung der Rückkehrabsicht bedarf, sondern eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ genügt.24 Was das genau bedeutet, ist unklar. Da die Anforderungen, verglichen mit der jetzigen Rechtslage, abgesenkt werden sollen und nicht erhöht, ist jedenfalls weiter die Aussage richtig, dass die Anforderungen an den Nachweis nicht besonders hoch angelegt werden dürfen.25 In der Praxis ist es dennoch ratsam, geeignete Nachweise bereitzuhalten, die eine Rückkehrabsicht belegen (etwa wegen sozialer Beziehungen, sonstigem Vermögen, gewissen privaten oder beruflichen Interessen). Bei Eintritt eines schädlichen Ereignisses entfällt die Steuerstundung nach § 6 Abs. 4 Satz 5 AStG-E und ist nach § 6 Abs. 4 Satz 8 AStG-E eine Verzinsung nach § 234 AO über den Zeitraum der Inanspruchnahme der „Rückkehrerstundung“ vorzunehmen, um eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme der Rückehroption zu verhindern. Das wird im Schrifttum als überschießendes Mittel für EU-widrig angesehen, da jede vorü22 23 24 25

Bron, IStR 2020, 361 (362 Fn. 6). Kühn/Weiss, IWB 2020, 46 (51). BT-Drucks. 19/28652, 49. Kahlenberg, IStR 2020, 378 (386) unter Verweis auf FG Münster v. 30.10.2019 – 1 K 3448/17 E, EFG 2020, 19, nrkr., Rev. Az. BFH I R 55/19. Peters, DB 2020, 256 rechnet mit einer Beweismaßerleichterung für den Stpfl. Hörnicke/Quilitzsch, ISR 2020, 152 (157) und Häck, IStR 2020, 108 (120) befürchten hingegen eine Verschärfung der Beweisanforderungen und lehnen (auch) deshalb im Ergebnis das Erfordernis einer Rückkehrabsicht ab.

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bergehende Abwesenheit mit schädlichem Ereignis nachträglich als ungerechtfertigte Inanspruchnahme der Rückkehroption eingestuft wird,26 zumal im vergleichbaren Inlandsfall, der keine Entstrickung auslöst, keine Zinsschuld entsteht.27

5. Steuerstundung (§ 6 Abs. 4 AStG-E): One-fits-all-Lösung Die unbefristete Stundung ohne Sicherheitsleistung in EU/EWR-Konstellationen (§ 6 Abs. 5 AStG) soll entfallen.28 Mit der Neuregelung wird künftig nicht mehr differenziert, ob der Stpfl. EU/EWR Staatsangehöriger ist und in einen dieser Staaten oder in einen Drittstaat wegzieht. Unabhängig vom zukünftigen Wohnsitzstaat des Stpfl. wird die Steuer nunmehr auf Antrag ratierlich über einen Zeitraum von sieben Jahren gestundet („One-fits-all-Lösung“). Für jeden, der einen Antrag stellt, besteht die Möglichkeit, die Steuer in sieben gleichen Jahresraten zu entrichten. Eine Verzinsung der Jahresraten ist nicht vorgesehen.29 „In der Regel“ geschieht die Stundung nur gegen Gestellung von Sicherheiten (§ 6 Abs. 4 Satz 2 AStG-E). Oftmals dürfte ein Wegzug hierdurch zu erheblich höheren finanziellen Lasten führen, als dies derzeit der Fall ist. In § 6 Abs. 4 Satz 5 AStG-E werden Ereignisse normiert, die zur Fälligkeit des Restbetrags der noch nicht entrichteten Steuer innerhalb eines Monats nach Eintritt eines dieser Ereignisse führt. In diesen Fällen ist der gesamte verbleibende Steuerbetrag zu entrichten. Dazu gehören Fälle, in denen der Stpfl. gegen seine Pflichten verstößt, indem er die Jahresrate nicht fristgerecht zahlt oder er seinen Mitwirkungspflichten iSv. § 6 Abs. 5 AStG-E nicht nachkommt (§ 6 Abs. 4 Satz 5 Nr. 1–2 AStG-E). Außerdem wird der Restbetrag der noch nicht entrichteten Steuer innerhalb eines Monats fällig, wenn das Steueraufkommen als gefährdet gilt. Dazu gehören gem. § 6 Abs. 4 Satz 5 Nr. 3–5 AStG-E Fälle, in denen der Stpfl. Insolvenz anmeldet, die Anteile veräußert oder übertragen30 wer26 Schiefer, ISR 2020, 84 (89); Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 6 AStG Rz. 157 (April 2020); Hagemann/Kahlenberg/ Höppner/Schuh, FR 2019, 427 (430). 27 Kahle/Beinert, FR 2015, 585 (590). 28 Zur fehlenden Anwendung auf alt-einbringungsgeborene Anteile Patt, GmbHStB 2020, 360 (366). 29 Heurung/Ferdinand/Kremer, IStR 2020, 90 (94); Bron, IStR 2020, 361 (362); Kahlenberg, IStR 2020, 378 (383); Hörnicke/Quilitzsch, ISR 2020, 152 (158); Schiefer, ISR 2020, 84 (86). 30 Unentgeltliche Übertragungen von Todes wegen bleiben unbeachtlich und es kommt insoweit auf den Rechtsnachfolger an (§ 6 Abs. 4 Satz 6 AStG-E).

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den oder soweit Gewinnausschüttungen oder Einlagenrückgewähr erfolgen, die 25% des gemeinen Werts der Anteile übersteigen.31

III. Aufhebung der Wegzugsteuer bei Wiederzuzug: Erfordernis einer Rückkehrabsicht? 1. Drittstaatenfälle Bei einem Drittstaatenfall iSv. § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG stellt sich für die Aufhebung der Wegzugsteuer bei Wiederzuzug die Frage, ob (subjektiv) die Glaubhaftmachung einer Rückkehrabsicht erforderlich ist,32 man allein (objektiv) darauf abstellt, dass der Stpfl. innerhalb der Fünfjahresfrist zurückkehrt33 oder eine Rückkehrabsicht bei fristgemäßer Rückkehr zumindest als gegeben34 oder gesetzlich vermutet35 ansieht. Die FinVerw. will eine Rückkehr nur dann als „vorübergehende Abwesenheit“ ansehen, „wenn bereits im Zeitpunkt des Wegzugs die Rückkehrabsicht bestand“.36 Das FG Münster meint, es bedürfe des subjektiven Elements des – von Anfang an bestehenden –Rückkehrwillens. Dieses setze voraus, „dass bereits bei Wegzug der Wille des Stpfl. zur (Wieder-)Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht innerhalb eines Zeitraums von längstens fünf Jahren bestand“. § 6 Abs. 3 AStG sei keine „Reparaturvorschrift“ für steuerlich „missglückte“ Wegzüge.37 Die Anforderungen an den Nachweis dürften, so das FG Münster, nicht überspannt werden und dieser Nachweis könne auch bei Rückkehr noch geführt werden. Der Stpfl. sei nicht verpflichtet, bereits im Zeitpunkt des Wegzugs dem FA gegenüber 31 32 33 34

Kahlenberg, IStR 2020, 378 (385). Gropp in Lademann, EStG, § 6 AStG Rz. 67 (Juli 2019). Kraft in Kraft, AStG2, § 6 Rz. 435. Pohl in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 6 AStG Rz. 73 (Mai 2019) („ohne weiteres gegeben“); Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.430 („indiziert“); Weber-Grellet, DStR 2007, Beihefter zu Heft 39, 40 (43: „so behandelt, als habe er Rückkehrabsicht gehabt“). 35 Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 6 AStG Rz. 442 (April 2020); Möller-Gosoge in Haase, AStG/DBA3, § 6 AStG Rz. 142. 36 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004 Sondernummer 1/2004, 3 = StEK AStG Vor § 1 Nr. 16 Tz. 6.4.1. 37 FG Münster v. 31.10.2019 – 1 K 3448/17 E, EFG 2020, 19, nrkr., Rev. Az. BFH I R 55/19. Zustimmend Binnewies/Mückl/Olbing, GmbHR 2020, 1309 (1324).

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seine Rückkehrabsicht zu erklären und glaubhaft zu machen. Der Stpfl. müsse substantiiert Tatsachen darlegen und glaubhaft machen, nach denen das Bestehen einer Rückkehrabsicht bei Wegzug als überwiegend wahrscheinlich anzusehen sei. Gegen die Rückkehrabsicht sprechende Indizien hat das FG Münster in seinem Urteil aufgelistet. Dazu gehören insbes. die Aufgabe jeglicher eigenen Wohnmöglichkeit in Deutschland und die Ablösung bestehender Pensionszusagen. Anm. Oertel: Das Urteil des FG Münster verdient Zustimmung. Aus einfacher verfahrensrechtlicher Sicht ist der Begriff „Absicht“ eine subjektive Tatsache, die durch objektive Umstände nach außen erkennbar werden muss (Rechtsmittelführer im Revisionsverfahren ist der Stpfl.). Anm. Beinert: Mit der Wiederbegründung des deutschen Besteuerungsrechts wird dem Sinn und Zweck der Wegzugsbesteuerung, der Sicherung des deutschen Besteuerungssubstrats, genüge getan. § 6 Abs. 3 Satz 2 AStG sagt nichts darüber aus, zu welchem Zeitpunkt die Rückkehrabsicht erstmals gebildet worden sein muss. Dass der Gesetzgeber in Satz 1 mit der „vorübergehenden Abwesenheit“ ein eigenes Tatbestandsmerkmal einer subjektiven Rückkehrabsicht begründen wollte, ist keineswegs eindeutig.

2. EU/EWR-Fälle UE ist in EU/EWR-Fällen für eine Aufhebung der Wegzugsteuer bei Wiederzuzug keine Rückkehrabsicht erforderlich.38 Das Gesetz spricht in § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG davon, dass zwingend zu stunden ist. Die einzigen Voraussetzungen hierfür sind der Wegzug (und das Verbleiben) im EU/EWR-Raum und die tatsächliche Gewährung von Amtshilfe (was durch die DAC in Europa seit Jahren sichergestellt ist). Das objektive Merkmal der zeitlichen Begrenzung in § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG (fünf Jahre) wird für Rückkehrfälle aus einem EU/EWR-Staat durch Satz 4 ausdrücklich ausgeschlossen („ohne die darin genannte zeitliche Begrenzung“).39 Liegt aber kein objektives Merkmal vor, das Bezugspunkt (Rückkehrzeitpunkt) für das subjektive Merkmal der Rückkehrabsicht sein kann, kann ein subjektives Merkmal nicht gefordert

38 Offen lassend Pung, StbJb. 2018/2019, 218. 39 Möller-Gosoge in Haase, AStG/DBA3, § 6 AStG Rz. 134 stellt darauf ab, dass im Rahmen des § 6 Abs. 3 Satz 4 AStG eine „vorübergehenden Abwesenheit“ nicht erforderlich ist.

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werden.40 Eine Rückkehrabsicht ohne einen konkret begrenzten Zeitraum erscheint nicht nur kaum vorstellbar, sondern auch kaum nachweisbar. Die angeordnete entsprechende Geltung des Satzes 1 erfordert es nicht, sämtliche Anforderungen zu übertragen. Stattdessen ist Satz 1 nur insoweit anzuwenden, wie der Sinn und Zweck des Satzes 4 dies erfordern.41 In allen Varianten des Satzes 4 kommt es aber nur auf die Wiederverstrickung der stillen Reserven, und nicht auf die Umstände beim Wegzug, an. Die offensichtliche Sinnlosigkeit des Verlangens nach einer Rückkehrabsicht zeigt sich insbes. beim Zuzug des Rechtsnachfolgers (§ 6 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 Alt. 2 AStG). Der Rechtsnachfolger war ggf. nie in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig oder unterfiel bei Wegzug nicht § 6 AStG.42

3. Rückkehrabsicht und § 6 AStG-E Eine Rückkehrabsicht ist für ein Entfallen des Steueranspruchs nach § 6 Abs. 3 AStG-E immer erforderlich (auch in EU/EWR-Fällen), nicht aber deren Glaubhaftmachung (hinreichende Wahrscheinlichkeit der Rückkehr genügt nach der Begründung des Regierungsentwurfs43). Ohne Rückkehrabsicht ist die Steuer zu zahlen und nur auf Antrag eine ratierliche Zahlung nach § 6 Abs. 4 Satz 1 AStG-E möglich. Schon bei Wegzug ist eine Dokumentation der Rückkehrabsicht sinnvoll; soweit möglich, sollten zB sämtliche inländischen Verträge (wie Versicherungsverträge) nicht gekündigt werden. Es stellt sich die Frage, ob man in Fällen, in denen – zur Vermeidung weiterer Zinsen – innerhalb der Siebenjahresfrist der Entfall der Rückkehrabsicht der FinVerw. mitgeteilt wird, für den noch ausstehenden Betrag eine (von nun an zinsfreie) ratierliche Zahlung beantragen kann. Wir meinen, dass dem so ist. § 6 Abs. 4 Satz 7 AStG-E besagt, dass in diesem Fall die Steuer innerhalb eines Monats fällig wird. Fälligkeit bedeutet, dass die Steuer grundsätzlich zu zahlen ist, im nächsten Schritt kann 40 Beinert/Süßmann/Ferrenberg, Ubg. 2020, 479 (482); Kraft in Kraft, AStG2, § 6 Rz. 436. 41 So auch Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 6 AStG Rz. 488, 497 (April 2020). 42 Beinert/Süßmann/Ferrenberg, Ubg. 2020, 479 (482). 43 BT-Drucks. 19/28652, 49.

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Stundung (oder eine andere verfahrensrechtliche Erleichterung) gewährt werden. Es wäre nicht verständlich, warum ein Wegziehender, dessen Rückkehrwillen später entfällt, schlechter gestellt werden sollte als jemand, der von Anfang an keine Rückkehrabsicht hatte (und deswegen die ratierliche Zahlung nutzen kann). Es stellt sich weiter die Frage, ob ein Nicht-Rückehrwilliger den Antrag auf Entfall der Erhebung von Jahresraten nach § 6 Abs. 4 Satz 7 AStG stellen kann. Nach der Begründung zum Regierungsentwurf 44 enthalten die Sätze 7 und 8 eine Sonderregelung für die Rückkehrerfälle. Durch die Verzinsung soll eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme der Rückkehroption verhindert werden. Unklar ist, ob damit eine Inanspruchnahme der Rückkehroption durch einen Nicht-Rückehrwilligen, der bereit ist, den Nachteil der Verzinsung zu tragen, ausgeschlossen ist. Es mag Fälle geben, in denen der Stpfl. ein Interesse daran hat, zB, wenn er die Raten zunächst nicht leisten könnte, er aber davon ausgeht, in naher Zukunft, zB aufgrund einer Schenkung, wieder über Mittel zu verfügen. Anm. Beinert: Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, dass bei einem Antrag nach § 6 Abs. 4 Satz 7 AStG die Rückkehrabsicht glaubhaft zu machen wäre. Dies ist auch nicht erforderlich, weil ein Gestaltungsmissbrauch hinlänglich durch die Verzinsung vermieden wird. Im Schrifttum wird die Stundungsregelung zwar regelmäßig nur in Verbindung mit einer vorübergehenden Abwesenheit iSv. § 6 Abs. 3 AStG-E genannt.45 Das schließt aber nicht aus, dass auch ein Stpfl. ohne Rückkehrabsicht diese Option in Anspruch nehmen kann.46 Dafür spricht, dass § 6 Abs. 4 Satz 8 AStG-E von einem (antragsgebundenen) „Verzicht“ des Stpfl. auf die Zahlung von Jahresraten ausgeht. Dem liegt die Vorstellung einer gewissen Entscheidungshoheit des Stpfl. zugrunde. Anm. Oertel: Entscheidend ist nicht die Glaubhaftmachung, sondern ob die innere Tatsache „Rückkehrabsicht“ vorliegt, oder nicht. Wenn feststeht, dass keine Rückkehrabsicht besteht, liegen die Voraussetzungen des Abs. 3 nicht vor und damit auch nicht die Voraussetzungen des § 6 44 BT-Drucks. 19/28652, 50. 45 Kühn/Weiß, IWB 2020, 46 (52 f.); Schiefer, ISR 2020, 84 (88). 46 In diese Richtung evtl. Kahlenberg, IStR 2020, 378 (386): „Nach § 6 Abs. 4 Satz 7 AStG-E steht dem Stpfl. die Möglichkeit offen, auf die Entrichtung der sieben Jahresraten zu verzichten. Sollte die Wegzugsteuer aber später nicht aufgrund einer nur vorübergehenden Abwesenheit entfallen, ist der gewährte Zahlungsaufschub für die gewährte Dauer entsprechend zu verzinsen (§ 6 Abs. 4 Satz 8 AStG-E iVm. § 234 AO).“

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Abs. 4 Satz 7 AStG-E. Anders als im Klausursachverhalt gibt es im echten Leben keinen „Allwissenden Erzähler“. Daher zielt die Diskussion auf die Frage des Nachweises bzw. der äußeren Manifestation von Absichten ab. Entscheidend sind hier die allgemeinen Beweislastkriterien für den Nachweis innerer Tatsachen.

IV. Aufhebung der Wegzugsteuer bei Wiederzuzug mit (ehemals) alt-einbringungsgeborenen Anteilen Für alt-einbringungsgeborene Anteile iSv. von § 21 Abs. 1 Satz 1 UmwStG aF, dh. für Anteile, die aus einer steuerbegünstigten Einbringung betrieblicher Sachgesamtheiten oder einem Anteilstausch bis zum 31.12.2006 hervorgegangen sind und deren stille Reserven bisher noch nicht besteuert wurden, gelten im Fall einer Wegzugsbesteuerung Sonderregelungen. § 21 Abs. 2 Satz 1 UmwStG aF ist im Hinblick auf den Entstrickungssachverhalt gegenüber § 6 AStG lex specialis.47 § 6 Abs. 1 Satz 3 AStG bzw. § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG-E stellen dies ausdrücklich klar. § 21 UmwStG aF enthält allerdings keine § 6 Abs. 3 AStG entsprechende Regelung. Die Sonderreglung für EU/EWR-Fälle in § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG verweist zwar ausdrücklich auf § 6 Abs. 5–7 AStG, nicht aber auf § 6 Abs. 3 AStG. Einige Autoren lehnen daher eine Anwendung des § 6 Abs. 3 AStG in Bezug auf alt-einbringungsborene Anteile ab.48 Wir meinen, dass § 6 Abs. 3 AStG anzuwenden ist. Die Anwendbarkeit von § 6 Abs. 3 AStG folgt uE aus § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG, der seinem klaren Wortlaut nach („unter den dort genannten Voraussetzungen“) einen Rechtsgrundverweis auf die Stundungsregelung des § 6 Abs. 5 AStG enthält.49 Der Entfall des Steueranspruchs nach § 6 Abs. 3 Satz 4 AStG knüpft an die Tatbestandsverwirklichung des § 6 Abs. 5 47 Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 43/86, BStBl. II 1990, 615 = DB 1990, 1597. Nach Patt, GmbH-StB 2020, 360 (365) ergibt sich das bereits daraus, dass alt-einbringungsgeborene Anteile nicht zugleich Anteile iSv. § 17 EStG sind. 48 Patt, GmbH-StB 2020, 360 (366); Pung/Gläßer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 27 UmwStG Rz. 15 (Feb. 2020); Pung, StbJb. 2018/2019, 183 (218 f.); Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 21 UmwStG (vor SEStEG) Rz. 160 (Juni 2018). 49 Claß in Dürrschmidt/Mückl/Weggenmann, BeckOK UmwStG, § 27 Rz. 51 (Feb. 2020); Klein/Rippert, IStR 2019, 439; Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 21 UmwStG (vor SEStEG) Rz. 225b (Juni 2018); Altenburg in Eisgruber, UmwStG Kommentar Online, § 27 Rz. 68 (Nov. 2017).

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AStG an; das gilt auch, wenn die Stundung nach § 6 Abs. 5 AStG auf einer gesetzlich angeordneten Anwendung – wie hier in § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG – beruht.50 Ein ausdrücklicher Verweis auf § 6 Abs. 3 AStG in § 27 Abs. 3 Nr. 3 UmwStG ist daher nicht erforderlich. Der Entfall des Steueranspruchs ist nicht Teil des in § 21 Abs. 2 Satz 1 UmwStG aF abschließend geregelten Entstrickungstatbestands. Dieser bleibt unverändert, es ändern sich nur die Rechtsfolgen. Mit der Entstrickung haben die Anteile (irreversibel) den Status als alt-einbringungsgeboren verloren und teilen das Schicksal der Anteile, die von vornherein § 17 EStG unterfallen.51 Die Herkunft der Anteile sollte daher unerheblich für das weitere Schicksal des Steueranspruchs sein.52 Die Besteuerung des (alten) Einbringungsgewinns wird dadurch nicht verhindert; dieser wird lediglich in den § 17 EStG inkorporiert. Aus der Verweistechnik des § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG ergibt sich nichts Anderes. § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG verweist neben § 6 Abs. 5 AStG ausdrücklich auch auf § 6 Abs. 6 und 7 AStG. § 6 Abs. 6 AStG knüpft durch die (rückwirkende) Anpassung des Wertansatzes unmittelbar an die Besteuerung der Entstrickung an, § 6 Abs. 7 AStG regelt administrative Folgen der Stundung. Ohne den Verweis auf diese Absätze würden diese nicht gelten. § 6 Abs. 3 AStG knüpft dagegen schlicht an die Stundung an, so dass es keines Verweises bedarf.53 Sollte man § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG anders verstehen, ist vom Vorliegen einer Gesetzeslücke in Form eines Fehlers in der Verweistechnik auszugehen. Durch § 27 Abs. 3 Nr. 3 UmwStG sollte die Privilegierung von Wegzügen in EU/EWR-Staaten auf alt-einbringungsgeborene Anteile übertragen werden. Die Vermutung liegt nahe, dass die Sonderregelung des § 6 Abs. 3 AStG schlicht nicht bedacht wurde und im Wege einer Analogie anzuwenden ist.54 Der BFH korrigiert bei § 6 AStG Feh-

50 Beinert/Süßmann/Ferrenberg, Ubg. 2020, 479 (480); Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 6 AStG Rz. 48 (April 2020); Möller-Gosoge in Haase, AStG/DBA3, § 6 AStG Rz. 163 Fn. 274; Häck, IStR 2015, 267 (272); Häck, Ubg. 2014, 171 (175). 51 Patt, GmbH-StB 2020, 360 (366); Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 21 UmwStG (vor SEStEG) Rz. 207 (Aug. 2014); Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 21 UmwStG Rz. 494 ff. (April 2007). 52 Beinert/Süßmann/Ferrenberg, Ubg. 2020, 479 (481). 53 Beinert/Süßmann/Ferrenberg, Ubg. 2020, 479 (481). 54 Beinert/Süßmann/Ferrenberg, Ubg. 2020, 479 (481).

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ler in der Verweistechnik durch teleologische Erwägungen;55 das muss auch für § 27 UmwStG gelten. Es fällt auch an anderer Stelle auf, dass der Gesetzgeber die Verweise in § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG nicht adäquat ausgestaltet. So hat der Gesetzgeber mit dem Brexit-Steuerbegleitungsgesetz vom 15.3.2019 zwar § 6 Abs. 8 AStG geschaffen, wonach der Brexit allein zu keinem Widerruf der Stundung führt, § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG aber nicht verändert. Ginge man davon aus, dass die Regelung des § 6 Abs. 8 AStG konstitutiv ist, dh. ohne sie der Brexit zum Widerruf der Stundung berechtigte, muss man den Verweis des § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG auf die Stundung nach § 6 Abs. 5 AStG entweder auch auf § 6 Abs. 8 AStG erstrecken oder die Verweistechnik über den Telos „reparieren“.56

V. § 6 AStG-E und Umstrukturierungen 1. Wegzug ins EU/EWR-Ausland vor Umstrukturierung a) Zielsetzung Bei grenzüberschreitenden Umwandlungen zu Buchwerten muss nach EU-Recht ein Besteuerungsaufschub bis zur tatsächlichen Anteilsveräußerung gewährt werden; es soll keine Besteuerung eines Veräußerungsgewinns ausgelöst werden.57 b) Derzeitige Rechtslage § 6 Abs. 5 Satz 5 AStG sieht vor, dass Umwandlungs- und Einbringungsvorgänge, die unter §§ 11, 15, 21 UmwStG fallen, auf Antrag nicht als stundungsschädliche Veräußerungen gelten, wenn der Stpfl. die Anteile nicht in einem Betriebsvermögen hält und die Umwandlung zu Buchwerten stattfindet (§ 13 Abs. 2 bzw. § 21 Abs. 2 UmwStG). Der Gesetzgeber ging bei der Kodifizierung von § 6 Abs. 5 Satz 5 AStG erkennbar davon aus, in Umsetzung der Vorgaben aus Art. 8 Fusionsrichtlinie zu 55 BFH v. 28.2.1990 – I R 43/86, BStBl. II 1990, 615 = DB 1990, 1597. Vgl. auch den zutreffenden Hinweis von Müller/Schüttpelz, IStR 2021, 100, 102 auf BVerfG v. 17.12.2013 – 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1 = FR 2014, 326. 56 Vgl. Müller/Schüttpelz, IStR 2021, 100 (102). Alternativ denkbar wäre anzunehmen, dass der Brexit auch ohne den § 6 Abs. 8 AStG nicht zum Widerruf der Stundung berechtigt, vgl. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 6 AStG Rz. 47 (April 2020). 57 Erwägungsgründe 1, 3 und 4 der RL 2009/133/EG.

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handeln.58 Er hat – richtigerweise – angenommen, die Fusionsrichtlinie untersage das Fälligstellen der Wegzugsteuer wegen eines Umwandlungsoder Einbringungsvorgangs. c) Rechtslage nach § 6 AStG-E Eine vergleichbare Regelung fehlt in § 6 AStG-E. Veräußerungen sind grundsätzlich stundungsschädlich und führen zu einer sofortigen Fälligkeit der (noch nicht bezahlten) Wegzugsteuer (§ 6 Abs. 4 Satz 5 Nr. 4 AStG-E). Für Umwandlungen/Einbringungen gilt nichts Anderes, so dass nach dem Gesetzeswortlaut Wegzugsteuer vorzeitig fällig wird, wenn der Vorgang innerhalb von sieben Jahren nach dem Wegzug stattfindet. Mit Blick auf Art. 8 Abs. 1 iVm. Abs. 4 Fusionsrichtlinie59 bedarf es einer unionsrechtskonformen Auslegung. Die Fusionsrichtlinie gebietet es uE, sämtliche Besteuerungen, die durch einen Umwandlungs- oder Einbringungsvorgang ausgelöst werden, zu unterlassen und ist nicht auf die unmittelbare Besteuerung des Umwandlungs- oder Einbringungsvorgangs beschränkt.60 Damit steht es nicht in Einklang, wenn durch den in § 6 Abs. 4 Satz 5 AStG-E angeordnete Widerruf der Stundung wegen eines Umwandlungs- oder Einbringungsvorgangs die festgesetzte Wegzugsteuer fällig gestellt wird.61 Die Vorgaben der Fusionsrichtlinie sind für rein innerstaatliche Sachverhalte allerdings nur dann beachtlich, wenn der Gesetzgeber dies ausdrücklich anordnet.62 Daran fehlt es bei § 6 AStG-E.63 Es ist daher zu hoffen, dass hier eine Klarstellung erfolgt, ggf. abermals in Form eines Verweises auf die Regelungen des UmwStG in § 6 Abs. 5 Satz 5 AStG-E.

58 BT-Drucks. 16/2710, 54. So ua. auch Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/ Schönfeld, Außensteuerrecht, § 6 AStG Rz. 601 (April 2020); Strunk/Kaminski in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 6 AStG Rz. 281.2 (Jan. 2020); Wilke in AStG – eKommentar, § 6 Rz. 97 (März 2019); Scholten/Waldens, DStR 2018, 383 (385); Lohmann/Heerdt, IStR 2014, 153 (154). 59 RL 2009/133/EG. 60 Beinert/Süßmann/Ferrenberg, Ubg. 2020, 479 (486). Im Ergebnis wohl auch (ohne nähere Begründung) Bron, IStR 2020, 361 (366) sowie Kahlenberg, IStR 2020, 378 (385). 61 Anders Kahlenberg, IStR 2020, 378 (385). 62 EuGH v. 15.11.2016 – C-268/15, ABl. EU 2017 Nr. C 14, 9; v. 22.3.2018 – C-327/16, C-421/16, IStR 2018, 316. 63 Anders wohl Kahlenberg, IStR 2020, 378 (386).

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2. Wegzug ins EU/EWR-Ausland nach Umstrukturierung a) Fragestellung Gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG kommt es zur rückwirkenden Besteuerung des sog. Einbringungsgewinns I, wenn der Einbringende die erhaltenen Anteile an der Kapitalgesellschaft innerhalb eines Siebenjahreszeitraums veräußert. Es stellt sich die Frage, ob der Wegzug zu einem Sperrfristverstoß nach § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG führt. b) Derzeitige Rechtslage Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG ist § 17 EStG auch „ohne Veräußerung anzuwenden“. Es handelt sich bei § 6 AStG also gerade um keinen Realisationstatbestand iSv. § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG, sondern um einen Rechtsgrund- und Rechtsfolgenverweis auf § 17 EStG.64 § 6 AStG ersetzt das Tatbestandsmerkmal der „Veräußerung“ durch bestimmte Sachverhalte mit Fokus auf eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich der in Deutschland entstandenen Wertzuwächse.65 Ein Sperrfristverstoß wird daher nicht ausgelöst. c) Rechtslage nach § 6 AStG-E Das sollte auch nach der Reform gelten. Zwar heißt es in § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG-E, die in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 AStG-E normierten Tatbestände „stehen bei unbeschränkt Steuerpflichtigen der Veräußerung […] zum gemeinen Wert gleich“. Ferner spricht § 6 Abs. 1 Satz 2 AStG-E von einer „Veräußerung im Sinne des Satzes 1“. UE ist – trotz des geänderten Wortlauts – aber weiterhin von einem Rechtsgrund- und Rechtsfolgenverweis und nicht von einer Veräußerungsfiktion auszugehen.66 In der Begründung des Regierungsentwurfs67 heißt es, dass die in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 AStG-E aufgezählten Tatbestände einen Veräußerungstatbestand „für Zwecke des § 17 EStG“ auslösen, nicht einen Veräußerungstatbestand im Sinne des § 17 EStG. 64 Strunk/Kaminski in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 6 AStG Rz. 20 (Jan. 2020). Vgl. auch Deutschländer in Kanzler/Kraft/Bäuml, EStG (Online), § 17 Rz. 312 (Sept. 2020). 65 Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 6 AStG Rz. 21 (April 2020). 66 Beinert/Süßmann/Ferrenberg, Ubg. 2020, 479 (496). Für Rechtsfolgenverweis Kahlenberg, IStR 2020, 378 (383). 67 BT-Drucks. 19/28652, 48.

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Selbst wenn man – aufgrund des geänderten Wortlauts – annehmen wollte, dass es sich um eine Veräußerungsfiktion handelt, gilt diese nur „für Zwecke des § 17 EStG“. Der Begründung des Regierungsentwurfs kann nicht entnommen werden, dass mit der Neufassung weitreichende Änderungen im Rahmen des UmwStG (oder anderer Vorschriften, die Sperrfristen vorsehen wie zB § 13a Abs. 6 ErbStG) beabsichtigt sind. Es wird uE lediglich klargestellt, dass bei der natürlichen Person, die einen Tatbestand iSd. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 AStG-E verwirklicht, der Vermögenszuwachs so zu besteuern ist, als hätte sie einen Veräußerungsgewinn iSv. § 17 EStG realisiert.68 Das führt zur Anwendung der Freibetragsregelung des § 17 Abs. 3 EStG und zur Besteuerung nach dem Teileinkünfteverfahren, auch wenn § 3 Nr. 40 EStG nicht ausdrücklich auf § 6 AStG verweist. Im Übrigen lehnt die überwiegende Meinung im Schrifttum einen Sperrfristverstoß durch Veräußerungsfiktionen zu Recht ab.69 Der Begriff der Veräußerung iSv. § 22 Abs. 1 UmwStG ist auf entgeltliche Übertragungen des wirtschaftlichen Eigentums an den Anteilen auf einen anderen Rechtsträger beschränkt.70 Spätestens daran fehlt es bei einem Wegzug einer natürlichen Person.71

3. Ersatzrealisationstatbestand des § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG bei Wegzug nach Schenkung Es stellt sich die Frage, ob der Ersatzrealisationstatbestand gem. § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG durch den Wegzug des ursprünglich Einbringenden oder den Wegzug seines Rechtsnachfolgers verwirklicht wird, wenn die Anteile zwischenzeitlich unentgeltlich übertragen wurden. Die Frage ist strittig:

68 Beinert/Süßmann/Ferrenberg, Ubg. 2020, 479 (496). 69 Ua. Beinert/Süßmann/Ferrenberg, Ubg. 2020, 479 (496); Schmitt in Schmitt/ Hörtnagl, UmwG/UmwStG9, § 22 UmwStG Rz. 48; Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 22 Rz. 81; Häck, IStR 2018, 929 (930). 70 Zum Veräußerungsbegriff des § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG BFH v. 24.1.2018 – I R 48/15, BStBl. II 2019, 45 = FR 2018, 752. 71 So auch Häck, IStR 2018, 929 (930). Nur bei einer Einlage in eine (ausländische) Gesellschaft gegen Gewährung von Anteilen wäre eine Entgeltlichkeit anzunehmen, BFH v. 4.2.2016 – IV R 46/12, BStBl. II 2016, 607 = FR 2016, 896.

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Nach einer Ansicht wird § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG bei Wegzug des Schenkers ausgelöst.72 Nach § 22 Abs. 6 UmwStG gilt bei unentgeltlicher Rechtsnachfolge der Rechtsnachfolger als „Einbringender“ iSd. § 22 Abs. 1–5 UmwStG. Der Rechtsvorgänger soll aber seinen Status als „Einbringender“ nicht verlieren, so dass auch er den Ersatztatbestand des § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG verwirklichen könne. Dafür spreche, dass § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG eine Besteuerung „als Gewinn des Einbringenden iSv. § 16 EStG“ anordne. Das bleibe auch nach Übertragung der Rechtsvorgänger. Die Ermittlung der stillen Reserven orientiere sich am Zeitpunkt der Einbringung, zudem werde die Besteuerung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 UmwStG verfahrensrechtlich rückwirkend durchgeführt.73 Wenn aber die Steuer beim ursprünglich Einbringenden anfalle, sei der Telos des § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG erfüllt, wenn ein Zugriff auf diesen infolge seines Wegzugs nicht mehr möglich sei.74 Dass sich die Anteile weiterhin bei dem Beschenkten in Deutschland befinden, sichere den steuerlichen Zugriff Deutschlands nicht, da dieser nicht für die Steuern hafte. Zugleich soll die Norm für den Wegzug des Rechtsnachfolgers einschränkend auszulegen sein, da ein Zugriff auf den unbeschränkt steuerpflichtigen Rechtsvorgänger möglich sei und kein Anlass für eine rückwirkende Besteuerung bestehe. Nach anderer, uE zutreffender Ansicht wird § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG bei Wegzug des Schenkers nicht ausgelöst.75 Der Rechtsnachfolger tritt vollständig in die Fußstapfen des Rechtsvorgängers ein. Der Verweis des § 22 Abs. 6 UmwStG erfasst auch § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG und würde in Bezug auf diese Vorschrift leerlaufen, wenn man den Rechtsnachfolger aus teleologischen Gründen nicht als maßgeblich ansähe und stattdessen auf den Rechtsvorgänger als Einbringenden abstellte. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er dies so geregelt. Eine andere Betrachtung würde zu einer gespaltenen Auslegung des Begriffs des „Einbringenden“ führen. Rechtsvorgänger und Rechtsnachfolger würden als „Einbringender“ behandelt, bei der Anwendung von § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG aber nur der Rechtsvorgänger.

72 Bilitewski in Haritz/Menner/Bilitewski, UmwStG5, § 22 Rz. 210a. 73 Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 22 UmwStG Rz. 106 (Feb. 2020). 74 Zur Frage der Besteuerung des Einbringungsgewinns I beim ursprünglich Einbringenden oder beim Rechtsnachfolger ua. Schmitt in Schmitt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG9, § 22 UmwStG Rz. 178. 75 Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 22 UmwStG Rz. 50 f. (Juni 2019); Häck, IStR 2018, 929 (935).

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Die FinVerw. führt im Umwandlungssteuererlass den Einbringenden und den Rechtsnachfolger getrennt auf,76 woraus abgeleitet werden könnte, dass nach ihrer Ansicht auch der Wegzug des Rechtsvorgängers den Ersatzrealisationstatbestand auslösen könne. Eindeutig ist dies aber nicht. Das „oder“ könnte einerseits so verstanden werden, dass sowohl der Rechtsvorgänger als auch der Rechtsnachfolger den Tatbestand verwirklichen können. Andererseits könnte es sich aber auch auf alternative Fälle beziehen, so dass es als „oder im Fall der Rechtsnachfolge der Rechtsnachfolger“ zu lesen wäre. Dann käme es ausschließlich auf den Rechtsnachfolger an. Eine verbindliche Abstimmung in der FinVerw. hat dazu bislang im Bund-Länder-Verhältnis nicht stattgefunden.

VI. Zuzug und Anschaffungskosten 1. Fragestellung Bei einer zukünftigen Realisation (zB Veräußerung der Anteile) stellt sich die Frage, welche Anschaffungskosten zugrunde zu legen sind. Grundsätzlich sind dies die historischen Anschaffungskosten (bei unentgeltlichem Erwerb die Anschaffungskosten des Rechtsvorgängers, § 17 Abs. 2 Satz 5 EStG).

2. Berücksichtigung ausländischer Wegzugsteuer Nach § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG kommt es zum Step-up der Anschaffungskosten hinsichtlich der dem Stpfl. nach § 39 AO zugerechneten Anteile, wenn die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland nach § 1 Abs. 1 EStG begründet wird. So wird der Stpfl. vor einer doppelten Besteuerung von Wertzuwächsen geschützt. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Zuzug nach Deutschland aus einem EU/EWR-Staat oder einem Drittstaat erfolgt. Es gibt aber folgende gravierende Einschränkungen, die durch die Reform des § 6 AStG nicht beseitigt werden: Es stellt sich die Frage, ob eine tatsächliche Zahlung der ausländischen Wegzugsteuer erforderlich ist. § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG verlangt, dass der bis dahin entstandene Vermögenszuwachs „im Wegzugsstaat einer der Steuer nach § 6 des Außensteuergesetzes vergleichbaren Steuer unterle76 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 22.27: „Erfüllt der Einbringende oder in den Fällen der Ketteneinbringung auch die übernehmende Gesellschaft oder der jeweilige unentgeltliche Rechtsnachfolger (…)“.

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gen“ hat.77 Die Anforderungen an die Vergleichbarkeit sind dabei nicht zu überdehnen, dh. es muss keine Parallelität zu den Anforderungen des § 6 AStG geben.78 Es stellt sich die zentrale Frage, was „unterlegen“ haben bedeutet. Das FG Düsseldorf 79 geht restriktiv davon aus, dass eine Besteuerung dem Grunde nach durchgeführt und die ausländische Steuer (wenn auch nicht in festgelegter Höhe) gezahlt worden sein muss.80 Dies wird im Schrifttum teilweise ebenso gesehen.81 Ein Verstoß gegen Art. 13 Abs. 6 DBA-Niederlande liege, so das FG Düsseldorf, nicht vor. Führe der Wegzugsstaat eine Besteuerung durch und erhebe Steuern, sei der Ansässigkeitsstaat daran gebunden und dürfe den Wertzuwachs nicht erneut besteuern. Im Umkehrschluss bedeute das, dass der Ansässigkeitsstaat (voll) besteuern darf, wenn im Wegzugsstaat keine Besteuerung erfolgt. Anm. Beinert: Eine gestundete Steuer sollte genügen, eine tatsächliche Zahlung sollte nicht erforderlich sein. Der Gesetzeswortlaut „unterlegen“ bedeutet mE nicht „festsetzen und zahlen“. Gesetzliche Regelungen, die das fordern, bringen dies klar zum Ausdruck (zB § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG). Dabei ist auch82 auf die Begründung des Regierungsentwurfs83 zu § 6 Abs. 1 Satz 3 AStG-E hinzuweisen. Nach neuer Rechtslage kommt es (nur) im Fall einer tatsächlichen Zahlung der Wegzugsteuer zu einer Aufstockung der Anschaffungskosten, während bei der Stundung 77 Zur fehlenden Bindung an die Anwendung der ausländischen Regeln im ausländischen Bescheid Gosch in Kirchhof, EStG20, § 17 Rz. 81. 78 Frotscher in Frotscher, EStG, § 17 Rz. 280 (Mai 2010): die Mindestdauer unbeschränkter Steuerpflicht ist nicht zu übertragen. 79 Auf die Frage, ob der Sachverhalt des FG Düsseldorf überhaupt zeitlich dem § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG unterfiel, wird nachfolgend nicht eingegangen, zu dieser Frage Weiss, IStR 2020, 593 (597). 80 FG Düss. v. 1.7.2020 – 7 K 2991/19 E, EFG 2020, 1307, nrkr., Rev. Az. BFH IX R 13/20. 81 Trossen in BeckOK EStG, § 17 Rz. 536b (Okt. 2020); Karrenbrock in Littmann/ Bitz/Pust, EStG, § 17 Rz. 241 (Aug. 2020); Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 17 EStG Rz. 233 (Aug. 2018); Oellerich in Bordewin/ Brandt, EStG, § 17 Rz. 351 (Sept. 2017); Frotscher in Frotscher, EStG, § 17 Rz. 283 (Mai 2010). 82 Weiss, IStR 2020, 593 (598) argumentiert mit § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 EStG, der die Abgeltungswirkung der Kapitalertragsteuer nur insoweit anordnet, als die Kapitalerträge „der Kapitalertragsteuer unterlegen haben“. Es ist derzeit strittig, ob es dafür einer Anmeldung und Abführung der KapErtrSt. durch den Entrichtungsschuldner bedarf (vgl. Levedag in Schmidt, EStG40, § 43 Rz. 31). 83 BT-Drucks. 19/28652, 48.

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die Anteile weiterhin als zu den ursprünglichen Anschaffungskosten erworben gelten. Der Regierungsentwurf bezeichnet dies als konzeptionelle Neuregelung. Diese Aussage bezieht sich mE nicht nur auf den Wechsel von der Anrechnung zum Step-up, sondern auch auf das Erfordernis einer tatsächlichen Zahlung. Denn der Gesetzgeber verweist für die Neuregelung auf § 23 UmwStG (und nicht auf § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG) als vergleichbare Regelung. Bei § 23 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 UmwStG ist die Berücksichtigung eines Erhöhungsbetrags aber nur möglich, wenn die Steuer „entrichtet“ wurde. Im Umkehrschluss ist daraus zu schließen, dass es nach der derzeitigen Rechtslage keiner Steuerzahlung bedarf. Anm. Oertel: ME ist aus der Begründung des Regierungsentwurfs zu entnehmen: Wird die Steuer gestundet, gelten die Anteile weiterhin als zu den ursprünglichen Anschaffungskosten erworben, wobei es sicher auch Gründe gibt, die für die andere Auffassung sprechen: Im Zivilrecht wird auch zwischen Vertragsschluss und tatsächlicher Zahlung differenziert. Vorgänge können auch später richtiggestellt werden, wenn Zahlungen ausfallen. Rechtsfolge des § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG ist, dass anstelle der historischen Anschaffungskosten bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns der Wert zugrunde zu legen ist, der in dem Wegzugsstaat der Wegzugsbesteuerung als Veräußerungspreis zugrunde gelegt worden ist. Dieser Wert kann vom gemeinen Wert im Zuzugszeitpunkt abweichen. Es kann aber höchstens der gemeine Wert angesetzt werden.84 Ein Wertansatz unterhalb der Anschaffungskosten scheidet uE allerdings aus, selbst wenn das ausländische Steuerrecht im Rahmen seiner Wegzugsbesteuerung eine Verlustberücksichtigung erlaubt; § 17 Abs. 2 Satz 2 EStG verlangt, dass der Wertzuwachs einer Besteuerung unterlegen hat.85 Es kommt zu keinem Step-up der Anschaffungskosten, wenn gem. § 6 Abs. 3 AStG die frühere inländische Wegzugsteuer entfällt (§ 17 Abs. 2 Satz 4 EStG). § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG leidet daran, dass die Vorschrift nur bei Zuzug iS einer Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 84 Trossen in BeckOK EStG, § 17 Rz. 536d (Okt. 2020); Vogt in Blümich, EStG/ KStG/GewStG, § 17 EStG Rz. 746 (Mai 2019). Kritisch Karrenbrock in Littman/Bitz/Pust, Einkommensteuerrecht, § 17 Rz. 243 (Aug. 2020). 85 Gosch in Kirchhof, EStG20, § 17 Rz. 81; Jäschke in Lademann, EStG, § 17 Rz. 212 (Juni 2018); Benecke/Schnitger, IStR 2006, 765 (768); aA Weber-Grellet in Schmidt, EStG40, § 17 Rz. 179; Trossen in Beck OK EStG, § 17 Rz. 536d (Okt. 2020).

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EStG gilt.86 Anderweitige Verstrickungssituationen werden nicht erfasst.87 Das ist bedenklich, da es so zu einer Besteuerung in Deutschland von Vermögenszuwächsen kommt, die während eines Zeitraums erzielt wurden, in dem der Stpfl. nicht im Inland unbeschränkt steuerpflichtig war. Ob und ggf. wie eine dadurch entstehende Doppelbesteuerung88 beseitigt werden kann, ist unklar.89 § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG schränkt die Bedeutung von § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG noch weiter ein.

3. Risiko der Doppelbesteuerung Folgende, allerdings teils unzulängliche Lösungsmöglichkeiten bestehen zur Vermeidung des Risikos einer Doppelbesteuerung:90 86 S. zB Karrenbrock in Littman/Bitz/Pust, Einkommensteuerrecht, § 17 Rz. 241 (Aug. 2020), der voraussetzt, dass die unbeschränkte Steuerpflicht „erstmalig begründet wird“; Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 17 EStG Rz. 231 (Aug. 2018) spricht von einer „Begründung eines Wohnsitzes (§ 8 AO) oder eines gewöhnlichen Aufenthalts (§ 9) im Inland“. 87 S. Beispiele bei Gosch in Kirchhof, EStG20, § 17 Rz. 81a, der insoweit ein „gleichheitsrechtl. Problem“ für möglich hält, sowie bei Trossen in BeckOK EStG, § 17 Rz. 536a (Okt. 2020). Als Beispiele werden der (spätere) Anteilserwerb eines seit jeher Doppelansässigen (Hineinwachsen in die Beteiligungsgrenze) genannt, der Wegzug eines im Ausland ansässigen Anteilseigner an einer inländischen Kapitalgesellschaft aus einem DBA-Staat in einen NichtDBA-Staat mit der Folge der inländischen Steuerpflicht, Art. 13 Abs. 5 OECDMA, der Anteilseigner wird nur beschränkt steuerpflichtig oder die Kapitalgesellschaft verlegt ihren Sitz nach Deutschland. Weiteres Beispiel wäre die Verlagerung der abkommensrechtlichen Ansässigkeit nach Deutschland (explizit zur Verlagerung der Ansässigkeit Weiss, IStR 2020, 593, [597]). 88 Karrenbrock in Littman/Bitz/Pust, Einkommensteuerrecht, § 17 Rz. 242 (Aug. 2020). 89 Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 17 EStG Rz. 231 (Aug. 2018) meint in Bezug auf einen Umzug eines Anteilseigners an einer inländischen Kapitalgesellschaft von einem ausländischen Staat in einen anderen ausländischen Staat, dass die „im Rahmen des Abs. 2 Satz 3 verbleibende sinnwidrige Gesetzeslücke […] auch nicht ohne Weiteres im Wege der Auslegung, insbes. auch nicht durch eine erweiternde Auslegung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e geschlossen werden“ könne. 90 Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 6 Rz. 434 (April 2020). Das Problem zwar ansprechend, aber keine Lösungsvorschläge anbietend Belz, IStR 2020, 302 (304); Karrenbrock in Littmann/Bitz/ Pust, Einkommensteuerrecht, § 17 Rz. 242 (Aug. 2020); Schmidt in Herrmann/ Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 17 EStG Rz. 234 (Aug. 2018); Pung/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt, § 17 EStG Rz. 268 (Nov. 2017); Töben/Reckwardt, FR 2007, 159 (168).

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Zwar scheidet eine Anrechnung der ausländischen Wegzugsteuer nach § 34c Abs. 1 EStG auf einen später erzielten Realisationsgewinn aus, da es sich bei den Einkünften nicht um ausländische Einkünfte iSv. § 34d Nr. 4 Buchst. b EStG handelt. Eine analoge Anwendung käme aber in Betracht. Dem ist der Vorrang einzuräumen vor einem Steuerabzug nach § 34c Abs. 3 EStG, der sich sinnvollerweise nur auf den Teil der Steuer des ausländischen Staats beziehen kann, der auf den Vermögenszuwachs zwischen Wegzug und Wiederzuzug entstanden ist. Da es nur zu einem Abzug der ausländischen Steuer von der deutschen Bemessungsgrundlage kommt, wird die Doppelbesteuerung zwar abgemildert, aber nicht verhindert. In einigen DBA finden sich sog. Wegzugsklauseln, die anordnen, dass der Zuzugsstaat den im Ausland besteuerten Vermögenszuwachs als Anschaffungskosten zu berücksichtigen hat. § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG qualifiziert dabei nicht als treaty override. Diese DBA-Regelungen gelten aber nicht universell und greifen nur in Fällen des „Wegzugs“, also des Wechsels der abkommensrechtlichen Ansässigkeit, und damit in den Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 AStG (nicht aber in Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 4 AStG).91 Sollte keine Abhilfe in Betracht kommen, ist es ggf. vorteilhaft, die Anteile vor Zuzug zu verkaufen, insbes. wenn der ausländische Staat eine eigene Wegzugsbesteuerung hat und § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG im konkreten Fall nicht zur Anwendung kommt.92 Zu prüfen ist gerade bei einer Holding auch eine Veräußerung (der Beteiligungsgesellschaften) durch die Holding und anschließende Gewinnausschüttung an die Gesellschafter vor Zuzug, um so den Wertzuwachs im Ausland zu besteuern.93 Diese Gestaltung soll künftig allerdings durch § 6 Abs. 3 AStG-E eingeschränkt werden.

91 Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 6 Rz. 127 (April 2020). 92 Belz, IStR 2020, 302 (304). 93 Belz, IStR 2020, 302 (304) unter Verweis auf Schütz, SteuK 2013, 331 (333), der empfiehlt, die Gesellschaft vor Zuzug „leerzuschütten“.

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4. Berücksichtigung nicht aufgehobener inländischer Wegzugsteuer auf Anteile iSv. § 17 EStG a) Derzeitige Rechtslage Nach § 6 Abs. 1 Satz 5 AStG ist ein späterer Veräußerungsgewinn bei Anteilen, für die Wegzugsteuer festgesetzt wurde, um den nach § 6 AStG besteuerten Vermögenszuwachs zu kürzen. Es stellt sich die Frage, wie im Fall Wegzug-Zuzug-Wegzug zu verfahren ist und ob bei der Festsetzung der Wegzugsteuer des zweiten Wegzugs eine (gestundete, dh. nicht nach § 6 Abs. 3 AStG aufgehobene) erste Wegzugsteuer anzurechnen ist. Dies ist uE der Fall. Der Gesetzeswortlaut macht keine klaren Vorgaben und spricht nicht von „gezahlt“ – dem Wortlaut nach kann also auch gestundete Wegzugsteuer erfasst sein. Sinn und Zweck der Vorschrift, die Vermeidung von Doppelbesteuerung, spricht für die Berücksichtigung der beim ersten Wegzug festgesetzten Wegzugsteuer im Rahmen der zweiten Festsetzung. Anderenfalls käme es bei einer späteren Veräußerung zu einer Doppelbesteuerung, da die Anteilswerte des ersten Wegzugs bei beiden Festsetzungen berücksichtigt würden. b) Rechtslage nach § 6 AStG-E § 6 Abs. 1 Satz 3 AStG-E sieht zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung eine Erhöhung der Anschaffungskosten (sog. Step-up) vor, soweit die vorangegangene Wegzugsteuer entrichtet wurde. Es stellt sich die Frage, ob § 6 Abs. 1 Satz 3 AStG-E auch Anwendung findet, wenn Wegzugsteuer nach bisherigem Recht festgesetzt wurde. Nach dem Wortlaut und der Anwendungsregelung des § 21 AStG-E regelt § 6 Abs. 1 Satz 3 AStG-E nur die Anschaffungskosten von Anteilen, die einer Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG-E unterlegen haben. Eine entsprechende Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 3 AStG-E auf Anteile, bei denen es noch vor dem Anwendungszeitpunkt der Reform zu einer Entstrickung nach § 6 AStG kam/kommt (Altfälle), scheidet aus. Anderenfalls käme es faktisch zu einem Widerruf der nach § 6 Abs. 5 AStG gewährten Stundung. Die stillen Reserven, die der gestundeten Wegzugsteuer zugrunde lagen, würden auf einmal einer grundsätzlich nicht zu stundenden Wegzugsteuer unterliegen.94 Ein solcher Widerruf „durch die Hintertür“ 94 Zwar kann die Wegzugsteuer nach § 6 Abs. 4 Satz 1 AStG-E auf Antrag in sieben Jahresraten entrichtet werden; dies würde diese Rechtsfolge aber nur unwesentlich abmildern, auch vor dem Hintergrund, dass eine Ratenzahlung

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würde § 21 Abs. 2 AStG-E widersprechen, wonach § 6 Abs. 5 AStG und damit auch die unbefristete Stundung auf Altfälle weiterhin anzuwenden ist. Es bleibt die analoge Anwendung von § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG.95 § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG regelt einen Step-up, soweit der Stpfl. im Ausland einer der deutschen Wegzugsteuer vergleichbaren Steuer unterlegen hat. Zu einem vergleichbaren Step-up muss es erst recht kommen, wenn der Stpfl. einer inländischen Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG unterlegen hat. Dabei kommt es nicht auf die Zahlung der Wegzugsteuer an, zumal im Inland nicht die Gefahr besteht, dass der Vermögenszuwachs im Ergebnis unbesteuert bleibt.

VII. Wegzugsbesteuerung bei Immobiliengesellschaften Das FG Köln hatte in seiner Entscheidung vom 28.3.2019 über einen Fall einer Anteilsschenkung zu entscheiden. Es kam zu keinem Wegfall des deutschen Besteuerungsrechts, da der Beschenkte – es ging um die Beteiligung an einer Immobilienkapitalgesellschaft – nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG beschränkt steuerpflichtig wurde, wobei Deutschland nach der Art. 13 Abs. 4 OECD-MA nachempfundenen Regelung des einschlägigen DBA (weiter) das Besteuerungsrecht hatte.96 Das FG Köln wendete § 6 Abs. 1 Satz 2 AStG an, also die Übertragung der Anteile auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person. Es lehnte eine teleologische Reduktion wegen fortbestehendem Besteuerungsrecht ab, weil eine spätere Umschichtung des Gesellschaftsvermögens zu einem Verlust der Eigenschaft als Immobilienkapitalgesellschaft führen würde und damit das deutsche Besteuerungsrecht verloren ginge. Der Verlust der Eigenschaft als Immobilienkapitalgesellschaft iSd. DBA würde aber keinen Wegzugsteuertatbestand auslösen.97

gem. § 6 Abs. 4 Satz 2 AStG-E nur gegen Sicherheitsleistung gewährt würde. 95 So Beinert/Süßmann/Ferrenberg, Ubg. 2020, 479 (488). 96 FG Köln v. 28.3.2019 – 15 K 2159/15, EFG 2019, 1361, nrkr., Rev. Az. BFH I R 30/19. 97 Hinzu käme, dass regelmäßig weder der Anteilseigner noch das für die Einkommensbesteuerung zuständige FA Kenntnis von der Umschichtung des Gesellschaftsvermögens erlangten.

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Im Schrifttum wird das Urteil des FG Köln unterschiedlich bewertet.98 Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass zur Frage einer einschränkenden Auslegung des § 6 Abs. 1 AStG bei fortbestehendem deutschem Besteuerungsrecht ohnehin unterschiedliche Auffassungen vertreten werden. UE ist dem Urteil nicht zu folgen. Es entsteht ein Widerspruch zum Sinn und Zweck der Wegzugsbesteuerung, nach dem die in Deutschland gebildeten stillen Reserven zu besteuern sind, bevor das entsprechende Wirtschaftsgut entstrickt wird.99 An der Entstrickung fehlt es hier aber. Die Wegzugsteuer verfolgt mit der Besteuerung stiller Reserven, die während der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland gebildet wurden, zwar ein legitimes Ziel; sie ist aber dann als unverhältnismäßig anzusehen, wenn auch solche stille Reserven besteuert würden, an denen Deutschland weiterhin ein Besteuerungsrecht zusteht.100 Bestätigt wird dies uE durch § 6 AStG selbst. § 6 Abs. 3 Satz 4 AStG setzt für den Wegfall des Steueranspruchs voraus, dass ein ausgeschlossenes oder beschränktes deutsches Besteuerungsrecht wieder begründet wird.101 Es ist dann aber konsequenterweise zu verlangen, dass es bei der Anspruchsentstehung zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts gekommen sein muss. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG besagt, dass Wegzugsteuer bei „[…] Ausschluss oder Beschränkung […] aufgrund anderer als der in Satz 1 oder der in den Nummern 1–3 genannten Ereignisse“ ausgelöst wird. Daraus ist uE abzuleiten, dass es auch in den Fällen von Satz 1 und Satz 2 Nr. 1–3 auf einen Ausschluss oder eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ankommt.

VIII. Wertpapierleihe vor Wegzug Ein Wertpapierdarlehen führt nach hM (auch wenn der Entleiher zivilrechtlicher und wirtschaftlicher Eigentümer der Anteile wird) zu keiner 98 Kritisch Häck, IStR 2019, 672 (674); Kahlenberg, FR 2019, 820 (822). Zustimmend Cloer/Kutac, DStRK 2020, 29; Weiss, ISR 2019, 293 (295); Hennigfeld, EFG 2019, 1361 (1363). Offen lassend Schulz-Trieglaff, IWB 2020, 36. 99 Zum Sinn und Zweck der Wegzugsbesteuerung Möller-Gosoge in Haase, AStG/DBA3, § 6 AStG Rz. 1. 100 Beinert/Süßmann/Ferrenberg, Ubg. 2020, 479 (490); Hörnicke/Quilitzsch, ISR 2020, 152 (153); vgl. auch Häck, IStR 2019, 672 (675) sowie Kraft in Kraft, AStG2, § 6 Rz. 37. 101 Strunk/Kaminski in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 6 AStG Rz. 207 (Jan. 2020); Möller-Gosoge in Haase, AStG/DBA3, § 6 AStG Rz. 164.

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Realisation nach § 17 EStG, da mit der Übertragung der Wertpapiere ein gleichwertiger Anspruch auf Rückerstattung entsteht.102 Es stellt sich aber die Frage, ob eine Anwartschaft nach § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG in Form eines Rückforderungsanspruchs vorliegt. Eine Anwartschaft nach § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG ist nach dem BFH eine rechtlich bereits mehr oder weniger gesicherte Aussicht auf den Anfall eines subjektiven Rechts, die darauf beruht, dass der normale Erwerbstatbestand eines solchen Rechts schon teilweise verwirklicht ist und seine Vollendung mit einiger Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann.103 Da das Anwartschaftsrecht nach § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG den Anteilen iSv. § 17 EStG gleichsteht, wird § 6 AStG ausgelöst. Das FG Schleswig-Holstein bejahte in seiner Entscheidung vom 12.9.2019104 das Vorliegen einer Anwartschaft bei einem durch die Leihe begründeten Rückforderungsanspruch; es sei unschädlich, dass die Rückübertragung der Aktien gleicher Art und Güte in dinglicher Hinsicht noch nicht teilverwirklicht sei.105 Gosch ist dem entgegengetreten.106 Ziel des § 6 AStG sei die abschließende Besteuerung der stillen Reserven im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht. Dieses Ziel würde – so das FG Schleswig-Holstein – nicht erreicht, wenn bei Abschluss eines Wertpapierdarlehensvertrags keine Besteuerung nach § 17 EStG und beim Wegzug keine Besteuerung nach § 6 AStG angenommen würde. Würde der BFH das Urteil bestätigen, würde sich die Frage stellen, ob neben einer Wertpapierleihe auch die Vereinbarung von Optionsrechten107 oder über Bezugsrechte auf neue Anteile Wegzugsteuer auslösen wür-

102 Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 17 EStG Rz. 70 „Wertpapierleihe“ (Sept. 2017); Weber-Grellet in Schmidt, EStG40, § 5 Rz. 270 „Wertpapierleihe“; BMF v. 11.11.2016 – IV C 6 - S 2134/10/10003-02 – DOK 2016/1026048, BStBl. I 2016, 1224 = FR 2017, 159. Vgl. auch FG Nürnberg v. 13.12.2016 – 1 K 1214, EFG 2017, 1606, nrkr., Rev. Az. BFH I R 40/17. 103 BFH v. 19.12.2007 – VIII R 14/06, BStBl. II 2008, 475 = FR 2008, 1067. 104 FG Schl.-Holst. v. 12.9.2019 – 4 K 113/17, EFG 2020, 37, nrkr., Rev. Az. BFH I R 52/19. Zustimmend Brender, jurisPR-BKR 5/2020 Anm. 5. 105 Auf rein nationaler Ebene führt die Lösung des FG Schleswig-Holstein über die Annahme einer Anwartschaft zu dem Ergebnis, dass zB die entgeltliche Abtretung des Rückgewähranspruchs durch den Darlehensgeber nach § 17 EStG einkommensteuerlich zu erfassen ist, Hütte, EFG 2020, 37. 106 Gosch in Kirchhof, EStG20, § 17 Rz. 17. 107 H 17 Abs. 2 „Optionsrecht“ EStH.

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de.108 Richtiger erscheint uns, solche Fälle über den Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO) zu lösen.109

IX. Ausschüttungen während der vorübergehenden Abwesenheit („zieh weg, schütt aus, zieh zurück“) Die Wegzugsteuer wird gem. § 6 Abs. 5 AStG bei Wegzug ins EU/EWRAusland zinslos und unbefristet gestundet. Ein Widerruf der Stundung erfolgt nicht, solange sich der Stpfl. im EU/EWR-Raum bewegt und seine Anteile nicht veräußert/überträgt. Bei der Rückkehr entfällt die deutsche Wegzugsteuer gem. § 6 Abs. 3 AStG. Für künftige Veräußerungen gilt der gemeine Wert im Zeitpunkt der dann vorgenommenen Veräußerung. Dies gilt unabhängig davon, ob während der vorübergehenden Abwesenheit im Ausland Ausschüttungen oder Einlagenrückgewähr erfolgten und ermöglichte eine Gestaltung, wonach Gesellschaften im Ausland „leergeschüttet“ werden. Auf die Ausschüttungen fällt lediglich die Dividendenbesteuerung an, die teilweise im Rahmen des reduzierten DBA-Satzes nur 15% beträgt.110 Bei Substanzverlusten sollen im Fall einer späteren Veräußerung sogar daraus resultierende Verluste unter den Voraussetzungen von § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG nutzbar gemacht werden können.111 Nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AStG-E112 hindern Ausschüttungen und Einlagenrückgewähr von mehr als einem Viertel des gemeinen Werts bei Rückkehr ein Entfallen des Steueranspruchs und führen zur Fälligkeit der Wegzugsteuer (zum Begriff des „soweit“ s.o. II.4.). Zudem kommt es nach § 6 AStG-E – abweichend von § 6 Abs. 6 AStG – zu keiner Berücksichti-

108 Weiss, ISR 2020, 122 (124). 109 Hütte, EFG 2020, 37. 110 Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, AStG, § 6 Rz. 208 (April 2020); Schütz, SteuK 2013, 331 (334). Das Besteuerungsrecht liegt grundsätzlich beim ausländischen Wohnsitzstaat. Allerdings enthalten viele DBA Regelungen wie in Art. 10 Abs. 2 OECD-MA, wonach auch der Staat, in dem die ausschüttende Gesellschaft ansässig ist, die Dividenden besteuern darf, jedoch nur bis zu einer Höhe von 15%. Erhebt der ausländische Staat keine Steuer auf Dividenden oder beträgt seine Steuer ebenfalls nicht mehr als 15%, kommt es im Ergebnis zu einer Steuerlast von 15% auf die Dividenden. 111 Schütz, SteuK 2013, 331 (334). 112 Zu Zweifeln an der EU-Rechtskompatibilität Schütz, SteuK 2013, 331 (334).

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gung von nachträglichen Wertminderungen nach erfolgtem Wegzug, sofern diese nicht im Zuzugsstaat berücksichtigt werden.113 Anm. Beinert: § 6 AStG soll die inländische Steuerverhaftung der bis zum Wegzugszeitpunkt entstandenen stillen Reserven in den Anteilen sicherstellen, wenn Deutschland das Besteuerungsrecht verliert (und nicht wiedergewinnt), nicht aber die Dividendenbesteuerung sichern. Um diese scheint es hier aber zu gehen. Jedenfalls müsste die Steuerlast auf die Ausschüttungen berücksichtigt werden, die insoweit nicht zur Finanzierung der Wegzugsteuer eingesetzt werden können.114

X. Kritik an der Reform des § 6 AStG 1. Europarechtlich bedenkliche Verschärfung des Stundungskonzepts Es kommt zur undifferenzierten Gleichbehandlung von Wegzügen in EU/ EWR-Staaten einerseits und Drittstaaten andererseits. Anm. Beinert: Dem Antrag auf Ratenzahlung soll „in der Regel“ nur gegen Sicherheitsleistung stattgegeben werden (§ 6 Abs. 4 AStG-E). Dies widerspricht der Rspr. des EuGH,115 wonach eine Sicherheitengestellung nur ausnahmsweise verlangt werden darf, weil sie den Stpfl. an der Nutzung der betreffenden Vermögenswerte hindert und damit beschränkende Wirkung hat. Nur bei Bestehen eines Nichteinbringungsrisikos ist die Stellung von Sicherheiten gerechtfertigt. Aufgrund der Amtshilfeund Beitreibungshilferichtlinien ist ein Nichteinbringungsrisiko in EUFällen aber nicht gegeben.116 Für Fälle der Entstrickung aus dem Betriebsvermögen bildet Art. 5 Abs. 3 ATAD die Rspr. entsprechend ab. Es ist nicht ersichtlich, warum nach § 6 AStG-E für Anteile im Privatvermögen schärfere Regelungen gelten sollen. Dies gilt auch für Wegzüge in einen EWR- und Drittstaat117, sofern bilaterale Vereinbarungen zur Beitreibung 113 Nach § 21 Abs. 2 Satz 2 AStG-E sollen Minderungen des Vermögenszuwachses nach dem 31.12.2019 auch bei gewährten Stundungen nach § 6 Abs. 5 AStG nicht mehr zu berücksichtigen sein. 114 Kahlenberg, IStR 2020, 378 (385). 115 Kahlenberg, IStR 2020, 378 (384); Hörnicke/Quilitzsch, ISR 2020, 152 (159); Schiefer, ISR 2020, 84 (88). 116 EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17 (Wächtler), HFR 2019, 439 Rz. 66; v. 23.1.2014 – C-164/12 (DMC), FR 2014, 466 Rz. 65–67; v. 29.11.2011 – C-371/10 (National Grid Indus BV), FR 2012, 25 Rz. 74. 117 Für Drittstaatenfälle kommt es darauf an, ob die Kapitalverkehrsfreiheit auf Wegzugsfälle Anwendung findet, woran aufgrund der Entscheidung des

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von Steuern das Nichteinbringungsrisiko ausschließen (zB durch Art. 26 und 27 OECD-MA nachgebildete Klauseln).118 Die entscheidende Frage dürfte sein, ob die Wächtler-Entscheidung impliziert, dass für Anteile, die im Privatvermögen gehalten werden, eine unbefristete Stundung zu gewähren ist, oder ob – wie für Anteile im Betriebsvermögen – eine ratierliche Zahlung verhältnismäßig ist (= Gleichbehandlung). Nach der Rspr. des EuGH in der Sache Kommission/Portugal119 wurde im Schrifttum teilweise angenommen, dass Anteile im Betriebsvermögen und im Privatvermögen gleich zu behandeln seien und dass für beide Fallgestaltungen eine ratierliche Zahlung verhältnismäßig sei.120 Der EuGH hat in der Entscheidung aber keine ausdrückliche Aussage zum Privatvermögen getroffen.121 Die Wächtler-Entscheidung lässt die Gleichstellung Betriebsvermögen und Privatvermögen jedenfalls zweifelhaft erscheinen. Es ging um einen Wegzug in die Schweiz und den § 6 Abs. 4 Satz 1 AStG, wonach die geschuldete Einkommensteuer in regelmäßigen Teilbeträgen über einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren gezahlt wird. Nach Ansicht des EuGH ist im Verhältnis zur Schweiz auf Basis des Freizügigkeitsabkommens eine unbefristete Stundung zu gewähren, weil ein anderenfalls bestehender Liquiditätsnachteil nicht verhältnismäßig sei. Im Schrifttum wird ganz überwiegend davon ausgegangen, dass das Wächtler-Urteil so zu verstehen ist, dass bei Wegzügen mit

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EuGH v. 23.2.2006 – C-513/03 (van Hilten-van der Heijden), ZErb 2006, 166 Zweifel bestehen. Die überwiegende Ansicht im Schrifttum geht von einer Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit aus, vgl. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, AStG, § 6 Rz. 164 (April 2020); Strunk/Kaminski in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 6 AStG Rz. 39.5 (Jan. 2020); Hagemann/Kahlenberg/Höppner/Schuh, FR 2019, 427 (434); Kraft in Kraft, AStG2, § 6 Rz. 110 ff. Kahlenberg, IStR 2020, 378 (384); Hörnicke/Quilitzsch, ISR 2020, 152 (159); Häck, ISR 2018, 189 (195); vgl. auch Schiefer, ISR 2020, 84 (88). EuGH v. 16.12.2016 – C-503/14 (Kommission/Portugal), EuZW 2017, 180. Wacker, IStR 2017, 926 (928); Musil, EuZW 2017, 180 (187); aA Häck, ISR 2018, 189 (193), der eine Gleichbehandlung auch nach dieser Entscheidung (Kommission/Portugal) verneint. Wilke, IStR 2020, 366 (370); Schiefer, ISR 2020, 84 (87); Hagemann/Kahlenberg/Höppner/Schuh, FR 2019, 427 (432); Micker/Schwarz, IWB 2017, 344 (350). Eine Anwendbarkeit der Rspr. für Anteile im Privatvermögen bejahend Wacker, IStR 2017, 926 (928); wohl auch Musil, EuZW 2017, 180 (187); Mitschke, IStR 2017, 74 (76).

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Beinert/Oertel, Aktuelle Entwicklungen betreffend § 6 AStG

Anteilen im Privatvermögen eine dauerhafte Stundung zu gewähren und eine ratierliche Zahlung europarechtswidrig ist.122 Das BMF hatte angesichts des Wächtler-Urteils versucht, eine Unionsrechtskonformität des deutschen Rechts zu gewährleisten.123 Es wollte eine Stundungsmöglichkeit abweichend von § 6 Abs. 4 Satz 1 AStG eröffnen. Die Stundung sollte in fünf gleichen Jahresraten aufgelöst werden, die nach § 234 AO zu verzinsen sein sollten, ohne dass es auf eine unbillige Härte bei alsbaldiger Einziehung ankommen sollte. Grundsätzlich sollte die Stundung ohne Sicherheitsleistung gewährt werden, es sei denn der Steueranspruch erscheine gefährdet. Es stellte sich aber die ganz grundsätzliche Frage, ob eine solche nur befristete Stundungsmöglichkeit und die daneben vorgesehene Verzinsung mit den Vorgaben des EuGH-Urteils in Einklang stehen, da der EuGH in Rz. 68 des Wächtler-Urteils ausdrücklich festgehalten hat, dass eine Ratenzahlung den durch § 6 AStG eintretenden Liquiditätsnachteil nicht beseitigen könne. Das FG Baden-Württemberg hat mittlerweile die Verwaltungsauffassung im BMF-Schreiben unter Hinweis auf die Rspr. des EuGH für unzureichend erklärt und hält eine automatische, dauerhafte und zinslose Stundung für erforderlich. Revision ist anhängig.124 Anm. Beinert: Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, innerhalb der EU restriktivere Maßnahmen zu ergreifen als bei einem Drittstaat-Sachverhalt.125 Das Wächtler-Urteil wurde von der Großen Kammer gefasst, was die herausgehobene Bedeutung der Entscheidung unterstreicht.126 Der Aussage in Rz. 68, wonach eine Ratenzahlung den durch § 6 AStG ausgelösten Liquiditätsnachteil nicht beseitigt, hätte es für den konkreten Sachverhalt nicht bedurft, da sich die Vorlagefrage nur auf die Stundungsmöglichkeit bezog. Daraus folgt aber nicht, dass diese Aussage für

122 Häck, ISR 2020, 17 (18); Hörnicke/Quilitzsch, ISR 2020, 152 (158); Wilke, IStR 2020, 366 (370); Bron, IStR 2020, 361 (362); Kühn/Weiss, IWB 2020, 46 (53); Hohenwarter-Mayr, EWS 2019, 129 (137); Hagemann/Kahlenberg/ Höppner/Schuh, FR 2019, 427 (435 ff.); wohl ebenfalls Schiefer, ISR 2020, 84 (87); Escher/Grzella, BB 2020, 540 (543). 123 BMF v. 13.11.2019 – IV B 5 - S 1325/18/10001 :001 – DOK 2019/0995000, BStBl. I 2019, 1212 = FR 2019, 1160. 124 FG Bad.-Württ. v. 31.8.2020 – 2 K 835/19, EFG 2021, 20, nrkr., Rev. Az. BFH I R 35/20. Zustimmend Oellerich, EFG 2021, 20 (25). 125 Hohenwarter-Mayr, EWS 2019, 129 (137). 126 Kahlenberg, IStR 2020, 378 (384).

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die Praxis ohne Konsequenzen ist.127 Richtig ist das Gegenteil. Der EuGH trifft hier bewusst eine Aussage, deren Brisanz ihm sicher vollkommen bewusst war. Die Annahme liegt nahe, dass man seitens des EuGH die Entscheidung (und auch die Besetzung als Große Kammer) nutzen wollte, „eine Botschaft zu schicken“.128 Teilweise wird demgegenüber im Schrifttum angenommen, dass das Wächtler-Urteil keine allgemeinen Grundsätze enthalte bzw. damit keine Rechtsprechungsänderung verglichen mit dem Urteil Kommission/ Portugal129 verbunden sei;130 eine ratierliche Stundung sei unionrechtskonform.131 Anm. Beinert: Die Begründung des Regierungsentwurfs132 verweist auf Wächtler, bezeichnet aber gleichzeitig unter Verweis auf die zum Betriebsvermögen ergangenen Urteile DMC und Verder LabTec eine zeitlich begrenzte ratierliche Stundung als unionsrechtskonform.133 Das ist ein Zirkelschluss, weil unterstellt (und nicht begründet) wird, dass die zum Betriebsvermögen ergangenen EuGH-Urteile relevant sind.

2. Grundsätzliche Bedenken Ein Wegfall der dauerhaften Stundungsmöglichkeit bedeutet eine definitiv eintretende Liquiditätsbelastung ohne Einkünftezufluss. Durch § 6 AStG-E käme es zur Versteuerung von Scheingewinnen ohne Markttransaktion.134 Die Bezahlung der Wegzugsteuer wäre in vielen Fällen nicht ohne Veräußerung der Anteile realisierbar; eine solche aber wird gerade im Mittelstand nicht immer umsetzbar sein.135 Dieser massive Liquiditätsabfluss würde auch Wegzüge ins EU/EWR-Ausland belasten. Eine Rückkehr von Gesellschaftern, die unter das aktuelle Regime fallen, also bereits der Wegzugsteuer unterliegen, scheint ausgeschlossen, da sie durch die Verschärfung dann in Deutschland „gefangen“ wären. 127 Hummel, ISR 2019, 436 (438); wohl auch Eisendle/Henze, ISR 2020, 23 (27). 128 Häck, ISR 2020, 17 (18: „Segelanweisung“). 129 EuGH v. 21.12.2016 – C-503/14 (Kommission/Portugal), EuZW 2017, 180 Rz. 52 ff. 130 Hummel, ISR 2019, 436 (438); Eisendle/Henze, ISR 2020, 23 (27). 131 Deutschländer, IWB 2021, 56 (66 f.). 132 BT-Drucks. 19/28652, 47. 133 So bereits BMF v. 13.11.2019 – IV B 5 - S 1325/18/10001 :001 – DOK 2019/0995000, BStBl. I 2019, 1212 = FR 2019, 1160. 134 Heurung/Ferdinand/Kremer, IStR 2020, 90 (94). 135 Escher/Grzella, BB 2020, 540 (542).

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Auch blieben Wertminderungen nach dem Wegzug (final) unberücksichtigt.136 Bislang bestand nach Auffassung des BFH keine Möglichkeit einer Realisierung von Wertminderungen im Wegzugszeitpunkt.137 Nach § 6 Abs. 6 AStG werden aber nachträgliche Wertminderungen nach Wegzug berücksichtigt, sofern diese nicht im Zuzugsstaat berücksichtigt werden.138 Anm. Beinert: Der EuGH hat zwar entschieden, dass eine Berücksichtigung von Wertminderungen aus EU-Gründen nicht geboten ist.139 Dies gilt mE aber nur für (abnutzbare) Wirtschaftsgüter im Betriebsvermögen, bei denen die laufende Abschreibung die Höhe des steuerpflichtigen Gewinns der Gesellschaft nach Entstrickung beeinflusst. Ein solcher Werteverzehr ist bei Anteilen im Privatvermögen nicht erkennbar.140 Dem ist mE der Vorrang zu geben vor dem Stichtagsgedanken der Wegzugsbesteuerung.141 Die Neufassung des § 6 AStG-E verändert den von der Wegzugsbesteuerung erfassten Personenkreis. Es werden auch Personen erfasst, die gegenwärtig (und bezogen auf den künftigen Zwölf-Jahreszeitraum) noch keine zehn Jahre, aber bereits mehr als sieben Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sind. Es kommt zu einer „Steuerverstrickung“ ohne Übergangsregelung.142 Die Eingrenzung auf einen zwölfjährigen Betrachtungszeitraum führt in umgekehrter Richtung zu einer Verkleinerung des erfassten Personenkreises.

136 Dies gilt gem. § 21 Abs. 2 Satz 2 AStG-E auch für Wertminderungen nach dem 31.12.2019 bei nach § 6 Abs. 5 AStG gewährten Stundungen. 137 BFH v. 28.2.1990 – I R 43/86, BStBl. II 1990, 615 = DB 1990, 1597. Dies gilt auch, wenn im Wegzugszeitpunkt sowohl wertgeminderte als auch werterhöhte Anteile gehalten werden, BFH v. 26.4.2017 – I R 27/15, BStBl. II 2017, 1194 = GmbHR 2017, 1167; kritisch Klein/Rippert, IWB 2018, 457 (465); zu Gestaltungsoptionen Deutschländer, IWB 2021, 56 (63). 138 Zur Nichtberücksichtigung einer Wertminderung im Zuzugsstaat iSv. § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG FG Münster v. 17.9.2020 – 5 K 3356/17 E, EFG 2020, 1645, nrkr., Rev. Az. BFH I R 39/20. 139 EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10 (National Grid Indus), FR 2012, 25 Rz. 73 f. 140 Schiefer, ISR 2020, 84 (89); im Ergebnis auch Wilke, IStR 2020, 366 (370), der ebenfalls zwischen Anteilen im Betriebs- und Privatvermögen unterscheidet, allerdings ohne sich explizit mit EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10 (National Grid Indus), FR 2012, 25 auseinanderzusetzen. 141 Gegen eine EU-Widrigkeit Kahlenberg, IStR 2020, 378 (388); vgl. auch Hagemann/Kahlenberg/Höppner/Schuh, FR 2019, 427 (431 f.). 142 Kahlenberg, IStR 2020, 378 (382).

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Anm. Beinert: Eine Regelung, die die Mobilität ihrer Bürger innerhalb der EU/EWR massiv behindert, trägt protektionistische Züge, die nicht zum Image Deutschlands als führendem Wirtschaftsstandort und als Motor der europäischen Integration passen. Es müsste im eigenen Interesse Deutschlands als einer der führenden Exportnationen der Welt liegen, dem unternehmerischen Nachwuchs umfassend die Möglichkeit der Internationalisierung durch Auslandsstudien, Auslandsaufenthalte etc. zu bieten.

XI. Ausblick Bei Drucklegung wird das Gesetz verkündet sein; entgegen einer breiten Erwartungshaltung wurde die Reform des § 6 AStG weder aus dem ATAD-Umsetzungsgesetz herausgenommen noch eine Kompromissfassung gefunden. Klar ist, dass die Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG dem Grunde nach Bestandteil der deutschen Rechtsordnung bleiben wird. Eine vollständige Abschaffung der als „lex Horten“ bekannten Norm ist politisch nicht denkbar. Im Gesetzgebungsverfahren waren indes längst nicht alle Beteiligten übereinstimmend der Auffassung, dass § 6 AStG nF die bestmögliche Lösung für die Wegzugsbesteuerung darstellt. Die fachlichen und auch die steuerpolitischen Diskussionen über die konkrete Ausgestaltung der Norm werden vermutlich anhalten – vielleicht sogar weiter Fahrt aufnehmen. Sie sollten jedenfalls aufmerksam verfolgt werden. Zielführende Diskussionsbeiträge können aber immer nur auf das „Wie“ der Wegzugsbesteuerung, nicht auf das „Ob“ gerichtet sein. Es ist davon auszugehen, dass § 6 AStG nF dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt werden wird.

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Organschaftliche Ausgleichsposten (gesetzliche Einlagelösung?) und andere aktuelle Fragen zur Organschaft Thomas Stimpel Regierungsdirektor, Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen Prof. Dr. Andreas Schumacher Steuerberater, Bonn I. Umwandlungen und Organschaft 1. Veranlassung von Mehrabführungen 2. Fortführung einer bestehenden Organschaft bei Verschmelzung des Organträgers 3. Finanzielle Eingliederung bei Einbringungen a) Allgemeines b) Fallkonstellationen in der Praxis und aktuelle Rechtsprechung II. Anwendung des § 14 Abs. 2 KStG

1. Unzulässigkeit gewinnabhängiger Ausgleichszahlungen nach der Rechtsprechung des BFH 2. Gesetzliche Regelung und Auslegung durch die Finanzverwaltung III. Bilanzierung und Durchführung des GAV 1. Allgemeines 2. Urteilsfall des Revisionsverfahrens I R 37/19 IV. Gesetzliche Einlagelösung für in organschaftlicher Zeit verursachte Mehr- und Minderabführungen?

I. Umwandlungen und Organschaft 1. Veranlassung von Mehrabführungen Sofern es in Organschaftsfällen auf der Ebene der Organgesellschaft betragsmäßige Abweichungen zwischen dem handelsrechtlichen Gewinn (vor Berücksichtigung der Ergebnisabführung) und dem Gewinn laut Steuerbilanz gibt, kommt es zu sog. Mehr- oder Minderabführungen. Hierbei handelt es sich nach der begrifflichen Definition des § 14 Abs. 4 Satz 6 KStG um betragsmäßige Abweichungen zwischen dem abgeführ-

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Stimpel/Schumacher, Organschaftliche Ausgleichsposten ua.

ten Gewinn und dem Steuerbilanzgewinn.1 Demnach ist eine Mehrabführung anzunehmen, wenn der abgeführte Jahresüberschuss höher ist als der Steuerbilanzgewinn der Organgesellschaft, und im umgekehrten Fall eine Minderabführung ist der abgeführte Jahresüberschuss niedriger als der Steuerbilanzgewinn der Organgesellschaft. Beim Vorliegen derartiger Mehr- bzw. Minderabführungen kommt es entscheidend darauf an, ob eine organschaftliche oder eine vororganschaftliche Veranlassung besteht.2 In beiden Fällen erfolgt die Leistung der Mehr- bzw. Minderabführung während des Bestehens der Organschaft. Als Unterscheidungskriterium für die Annahme einer vororganschaftlichen oder während der Organschaftszeit verursachten Mehr- bzw. Minderabführung ist der maßgebende Geschäftsvorfall heranzuziehen. Demnach liegt eine vororganschaftliche Mehr- bzw. Minderabführung vor, wenn der maßgebende Geschäftsvorfall zeitlich vor Begründung der Organschaft liegt (zB der Grund für die Bildung einer Drohverlustrückstellung). Soweit die Verursachung innerhalb der organschaftlichen Zeit fällt, ist eine organschaftlichen Mehr- bzw. Minderabführung anzunehmen (§ 14 Abs. 4 KStG). Regelungszweck des § 14 Abs. 3 KStG ist die Abgrenzung der Organschaftsbesteuerung von der Dividendenbesteuerung. Demnach kann nur das Einkommen der Organgesellschaft, das diese in organschaftlicher Zeit erwirtschaftet hat, dem Organträger zugerechnet werden. Dagegen kann ein in organschaftlicher Zeit weitergeleitetes Einkommen der Organgesellschaft, das die bereits in vororganschaftlicher Zeit erwirtschaftet und versteuert hat, nur an den Organträger als Dividende ausgeschüttet werden.3 Demnach gelten Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, als Gewinnausschüttungen der Organgesellschaft an den Organträger (§ 14 Abs. 3 Satz 1 KStG) und vororganschaftliche Minderabführungen als Einlage des Organträgers in die Organgesellschaft (§ 14 Abs. 3 Satz 2 KStG). 1 Zu Abgrenzungen in Sonderfällen siehe BFH v. 29.8.2012 – I R 65/11, BStBl. II 2013, 555 = GmbHR 2012, 1308; v. 15.3.2017 – I R 67/15, BFH/NV 2017, 1276 = ZIP 2017, 2298; BMF v. 15.7.2013 – IV C 2 - S 2770/07/10004 :004 – DOK 2013/0457677, BStBl. I 2013, 921 = FR 2013, 772. 2 Die Begrifflichkeit der Mehr- bzw. Minderabführung wird für die vororganschaftlich veranlasste Variante in § 14 Abs. 3 KStG nicht explizit definiert, da insoweit keine Besonderheiten bestehen. Es kann also auf die allgemeine Begriffsdefinition des § 14 Abs. 4 Satz 6 KStG zurückgegriffen werden. 3 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt., § 14 KStG Rz. 857.

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Der Regelungsinhalt des § 14 Abs. 4 KStG ist die Verhinderung einer doppelten bzw. Nichtversteuerung des in organschaftlicher Zeit erwirtschafteten Einkommens der Organgesellschaft.4 Der Organträger hat im Fall einer in organschaftlicher Zeit verursachten Mehr- bzw. Minderabführung in seiner Steuerbilanz im Verhältnis zu seiner Beteiligung an der Organgesellschaft einen besonderen Ausgleichsposten zu bilden. Im Fall einer organschaftlichen Mehrabführung ist ein passiver Ausgleichsposten zu bilden, während beim Vorliegen von organschaftlichen Minderabführungen ein aktiver Ausgleichsposten zu bilden ist (§ 14 Abs. 4 Satz 1 KStG). Die Bildung der entsprechenden Ausgleichsposten ist jeweils sachverhaltsbezogen.5 Im Gegensatz zu § 14 Abs. 3 KStG besteht bei der Anwendung des § 14 Abs. 4 KStG die Besonderheit, dass grundsätzlich jeder Minderabführung in späteren Jahren eine Mehrabführung gegenübersteht, weil die Ursache für die ursprüngliche Abführungsdifferenz wieder wegfällt. Dies gilt ebenso für Mehrabführungen, die durch Minderabführungen später ausgeglichen werden. Nach Rz. Org. 33 des UmwSt.-Erlasses6 ist das Merkmal der vororganschaftlichen Veranlassung nicht nur zeitlich, sondern auch sachlich zu verstehen. Die hierunter fallenden Mehr- und Minderabführgen gelten dabei als außerorganschaftlich veranlasst und unterliegen nach Verwaltungsauffassung den Regelungen des § 14 Abs. 3 KStG. Diese Rechtsauffassung wird im steuerlichen Schrifttum einschließlich verwaltungsnaher Stimmen durchweg kritisch gesehen.7 Dieser ablehnenden Kritik folgend hat auch das FG Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 10.9.20198 entschieden, dass auf diese Mehrabführungen § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG keine Anwendung findet. Insbesondere erteilt das FG der Sichtweise eine klare Absage, dass die Bewertungsdifferenzen aufgrund der unterschiedlichen Wertansätze in Handels- und Steuerbilanz deshalb vororganschaftlich verursacht seien, weil sie auf in vororganschaftlicher Zeit gebildete stille Reserven zurückzuführen seien. Hierbei werde nämlich übersehen, dass die bloße Existenz von stillen Reserven, die sich weder handels- noch steuerbilanziell ausgewirkt haben, keine der Mehrabführung zugrunde

4 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt., § 14 KStG Rz. 911. 5 BFH v. 27.11.2013 – I R 36/13, BStBl. II 2014, 651 = FR 2014, 979. 6 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314. 7 Siehe hierzu Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt., Anhang 1 Rz. 64 mwN. 8 FG Rh.-Pf. v. 10.9.2019 – 1 K 1418/18, EFG 2020, 61 = FR 2020, 214.

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liegende Ursache iSv. § 14 Abs. 3 KStG darstellen kann.9 Die gegen dieses Urteil von der FinVerw. eingelegte Revision ist beim BFH unter dem Az. I R 51/19 anhängig.10

27*PE+ 

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2**PE+ 

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;*PE+ Im Streitfall erzielt die OG-GmbH aufgrund einer Höherbewertung nach § 24 UmwG aus der Aufwärtsverschmelzung der X-GmbH handelsrechtlich einen höheren Übernahmegewinn. Während die oa. Literaturstimmen und das FG Rheinland-Pfalz diesen Vorgang in der organschaftlichen Zeit verorten, nimmt die FinVerw. nach der oa. Org. 33 des UmwSt.-Erlasses eine vororganschaftliche Veranlassung an; dies aus der Erwägung, dass hier Vermögen von außerhalb der Organschaft in den Organkreis hereintransferiert wird. Dies ist indes uE nicht überzeugend, da der upstream-merger bezogen auf die OG-GmbH eine Veräußerung der Beteiligung an ihrer Tochtergesellschaft X-GmbH darstellt und dies einen solitären Geschäftsvorfall in organschaftlicher Zeit darstellt. Diese Wertung ist auch für das FG Rheinland-Pfalz ein tragender Grund für die Ablehnung der Verwaltungsauffassung. Der Umstand, dass die in der Beteiligung vorhandenen stillen Reserven in der organschaftlichen Zeit gebildet worden sind, ist diesbezüglich völlig unmaßgeblich. Letztlich ergibt sich hier nur deshalb eine eine Mehrabführung veranlassende Bewertungsdifferenz, weil für den Ansatz des im Zuge der Aufwärtsverschmelzung übergehenden Vermögens im UmwG und UmwStG abweichende und voneinander unabhängige Bewertungsnormen existieren. 9 Siehe hierzu auch Adrian, StuB 2020, 653, Weiss, StuB 2020, 215 und die Urteilsanmerkungen von Heerdt, FR 2020, 218. 10 Zu dieser gleichen Rechtsfrage ist zudem auch beim FG Münster ein Klageverfahren unter dem Az. 10 K 1737/18 K, F anhängig.

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Fraglich könnte sein, ob der oa. Dissens zwischen hM und Auffassung der FinVerw. auch in folgenden zwei Fallkonstellationen besteht: ďǁĂŶĚůƵŶŐϭ͗

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In Abwandlung 1 führt die Höherbewertung in der Handelsbilanz auch unter Zugrundelegung der Verwaltungsauffassung (Org. 33 des UmwSt.Erlasses11) zu keiner vororganschaftlichen Mehrabführung, da die übertragende X-GmbH zum Organkreis gehört und daher keine andere Gesellschaft iSv. Org. 33 des UmwSt.-Erlasses ist. Hier ist der Organkreis als Ganzes zu betrachten.12 In Abwandlung 2 erfolgt keine Abführung des Aufstockungsbetrags, da beim side-stream-merger eine Einstellung in die Kapitalrücklagen erfolgt (s. hierzu auch Org. 30 Nr. 2 des UmwSt.-Erlasses).13 Mithin liegt begrifflich keine Mehrabführung vor. Die FinVerw. wird indes Differenzen der Folgejahre aus der Fortentwicklung der unterschiedlichen Wertansätze der Wirtschaftsgüter und der Auflösung der Kapitalrücklage in konsequenter Anwendung der Grundsätze von Org. 33 des UmwSt-Erlasses als vororganschaftlich iSv. § 14 Abs. 3 KStG werten. Anders sieht es jedoch im Grundfall der Aufwärtsverschmelzung einer nicht organschaftlich angebundenen Tochtergesellschaft auf eine Organgesellschaft aus, wenn die Abweichung von handels- und steuerrechtlichem Übernahmeergebnis darauf zurückzuführen ist, dass das Vermögen der Übertragerin in Handels- und Steuerbilanz mit unterschiedlichen Wert-

11 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. II 2011, 1314. 12 Siehe auch Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt., Anhang 1 Rz. 66. 13 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. II 2011, 1314.

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ansätzen bilanziert worden ist. Hier kommt es zu einer Differenz, die sich in der Folgezeit in der Totalbetrachtung gegenläufig neutralisiert. Die hieraus resultierenden Mehr- bzw. Minderabführungen werden nach der insoweit zutreffenden Verwaltungsauffassung als vororganschaftlich veranlasst angesehen; dies deshalb, da hier Vermögen mit bestehenden Wertdifferenzen in die Organschaft transferiert wird.14

2. Fortführung einer bestehenden Organschaft bei Verschmelzung des Organträgers Geht das Vermögen des Organträgers auf ein anderes gewerbliches Unternehmen über, so führt dies auch zum Übergang der Beteiligung an der Organgesellschaft und des Gewinnabführungsvertrags auf den Übernehmer im Wege der Gesamtrechtsnachfolge.15 Fraglich und derzeit in drei Revisionsverfahren (s.u.) streitig ist indes, ab welchem Zeitpunkt der Übernehmer in das bestehende ertragsteuerliche Organschaftsverhältnis eintritt und ob es hierbei im ungünstigsten Fall zu einer Unterbrechung der Organschaft kommen kann. Die FinVerw, rechnet nach Org. 02 des UmwSt.-Erlasses16 dem Übernehmer die Organbeteiligung erst ab dem steuerlichen Übertragungsstichtag der Verschmelzung zu und nimmt erst ab diesem Zeitpunkt eine finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft zum übernehmenden Rechtsträger (= neuer Mehrheitsgesellschafter) an. Die Zurechnung der bereits zuvor im Verhältnis zum übertragenden Rechtsträger bestehenden finanziellen Eingliederung aufgrund des Rechtsnachfolgeprinzips (§ 12 Abs. 3 iVm. § 4 Abs. 2 Satz 1 UmwStG) wird von der FinVerw. ohne nachvollziehbare Gründe abgelehnt. Dies ist indes immer dann im Ergebnis unproblematisch, wenn der gewählte steuerliche Übertragungsstichtag identisch ist mit dem regulären Abschlussstichtag der Organgesellschaft. Hier kommt es auch auf der Grundlage dieser engen Sichtweise der FinVerw. zur nahtlosen Fortsetzung des Organschaftsverhältnisses.

14 Siehe hierzu auch Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt., Anhang 1 Rz. 63 mwN. 15 So auch BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. II 2011, 1314 Org. 01. 16 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. II 2011, 1314.

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