Steuerberater-Jahrbuch: Steuerberater-Jahrbuch 2016/2017 9783504385491

Das Steuerberater-Jahrbuch bietet der Beratungspraxis Jahr für Jahr eine detaillierte Auseinandersetzung mit ausgewählte

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Steuerberater-Jahrbuch: Steuerberater-Jahrbuch 2016/2017
 9783504385491

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Steuerberater-Jahrbuch 2016/2017

Steuerberater-Jahrbuch 2016/2017 zugleich Bericht über den 68. Fachkongress der Steuerberater Köln, 25. und 26. Oktober 2016

Herausgegeben im Auftrag des Fachinstituts der Steuerberater von

Prof. Dr. Thomas Rödder

Prof. Dr. Rainer Hüttemann

Steuerberater, Wirtschaftsprüfer

Universitätsprofessor

Zitierempfehlung: Verfasser, StbJb. 2016/2017, Seite …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISSN 0081-5519 ISBN 978-3-504-62663-1 ©2017 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort Der 68. Fachkongress der Steuerberater, den das Fachinstitut am 25. und 26. Oktober 2016 in der Industrie- und Handelskammer zu Köln veranstaltete, widmete sich – wie in den letzten Jahren – am Vormittag des ersten Tages unter dem Leitthema Unternehmenssteuerrecht 1 den „Rechtsprechungs-Highlights“ bei der Besteuerung von Personen- und Kapitalgesellschaften. Der nachfolgende Beitrag über „aktuelle steuerpolitische Entwicklungen“ gab einen Überblick über anstehende Gesetzgebungsvorhaben und Entwicklungen zur Unternehmensbesteuerung einschließlich einer Nachlese zur Reform des Unternehmenserbschaftsteuerrechts. Das Leitthema Unternehmenssteuerrecht 2 wurde mit einem Vortrag zum „Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen“ sowie ersten Hinweisen zum neuen § 8d KStG eröffnet. Neuere Entwicklungen und Fragestellungen bei der Organschaft, die sich in 2016 in der Rechtsprechung, Verwaltung und Literatur ergeben haben, bildeten den Gegenstand des zweiten Beitrags. Im Fokus des dritten Beitrags dieses Leitthemas standen „Praxisfragen des § 6a GrEStG“, die Gegenstand verschiedener anhängiger Revisionsverfahren sind. Im Mittelpunkt des Leitthemas Unternehmenssteuerrecht 3 standen dieses Jahr vor allem erste Rechts- und Gestaltungsüberlegungen zum neuen Unternehmenserbschaftsteuerrecht. Weitere Themen dieses Leitthemas bildeten „aktuelle Fragen des Umwandlungssteuerrechts“ sowie „aktuelle Brennpunkte der Besteuerung von unternehmensnahen Stiftungen“. Im Rahmen des Leitthemas Bilanzsteuerrecht widmete sich der Fachkongress ausgehend von neueren BFH-Entscheidungen „Fragen des wirtschaftlichen Eigentums in der Steuerbilanz“. Der nachfolgende zweite Beitrag setzte sich erstmals mit „steuerbilanziellen Fragen von Bewertungseinheiten“ auseinander. Wie jedes Jahr wurde der bilanzrechtliche Vormittag mit einem Überblick über „aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts“ abgeschlossen. Das Leitthema Internationales Steuerrecht wurde in diesem Jahr wieder mit einem Beitrag zu den „Rechtsprechungs-Highlights“ eröffnet. Der nachfolgende Vortrag stellte ausgewählte Änderungen im Internationalen Steuerrecht durch das „Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EUAmtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen GewinnkürV

Vorwort

zungen und -verlagerungen“ dar und unterzog diese einer ersten kritischen Würdigung. Aktuelle Entwicklungen des EU-Beihilferechts im Bereich der Unternehmensbesteuerung bildeten den Gegenstand des dritten und letzten Beitrags zu diesem Leitthema. Am Anfang des Leitthemas Umsatzsteuerrecht stand ein Überblick über „Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht“. Die beiden weiteren Vorträge waren den Neuerungen bei der Rechtsanwendung zur Organschaft und der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Gutglaubensschutz und zur Vorsteueraufteilung gewidmet. Den Auftakt des Leitthemas Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken bildete ein kritischer Überblick über die wesentlichen Neuerungen durch das „Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“. Der anschließende Vortrag stellte wesentliche Eckpunkte der neuen „Investmentfondbesteuerung“ dar. Im Mittelpunkt der weiteren Beiträge zu diesem Leitthema standen die Auswirkungen des neuen BMF-Schreibens zu § 153 AO, wobei neben den Anforderungen an ein Tax-ComplianceManagement-System auch Anwendungsfragen zum sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich des § 153 AO diskutiert wurden. Köln, im August 2017 Thomas Rödder

VI

Rainer Hüttemann

Inhalt* Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

1. Leitthema: Unternehmenssteuerrecht 1 Michael Wendt Vorsitzender Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

1. Eintritt in eine Freiberufler-Personengesellschaft . . . . . . . . . . . .

4

2. Ausscheiden gegen Sachwertabfindung und Realteilung . . . . . .

16

3. Neues zu Kapitalkonten von Personengesellschaften . . . . . . . . .

32

Professor Dr. Thomas Rödder Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Bonn Professor Dr. Klaus-Dieter Drüen Ludwig-Maximilians-Universität München Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

I. Rechtsprechungs-Highlights zu § 8b KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

II. Rechtsprechungs-Highlights zu § 8c KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

III. Rechtsprechungs-Highlights zu § 27 KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

IV. Rechtsprechungs-Highlights zur Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . .

53

V. Rechtsprechungs-Highlights zu §§ 20 ff. UmwStG . . . . . . . . . . .

56

* Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.

VII

Inhalt

Ministerialdirigent Dr. Steffen Neumann Finanzministerium NRW, Düsseldorf Aktuelle steuerpolitische Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

A. Nachlese zum Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuerund Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

B. Gesetzesmaßnahmen im Herbst 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

C. Sonstige Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

D. Der Brexit aus steuerlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 E. Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

2. Leitthema: Unternehmenssteuerrecht 2 Dr. Norbert Schneider Rechtsanwalt, Steuerberater, Köln Ausgewählte Neuregelungen durch das „BEPS 1-Umsetzungsgesetz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 B. Gewerbesteuerliche Behandlung von Schachteldividenden bei einer Organschaft (§ 7a GewStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 C. Gewerbesteuerpflicht passiver ausländischer Einkünfte (§ 7 Satz 7–9 und § 9 Nr. 2 Satz 2, Nr. 3 Satz 1 GewStG) . . . . . . . 113 D. Ausweitung der Rückfallregelung gem. § 50d Abs. 9 EStG . . . . . 118 E. Änderungen bei Finanzunternehmen (§ 8b Abs. 7 Satz 2 KStG und § 3 Nr. 40 Satz 3, Halbsatz 2 EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 F. Sonderbetriebsausgabenabzug bei Vorgängen mit Auslandsbezug (Neueinführung § 4i EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 G. Beseitigung der überschießenden Wirkung des § 50i EStG . . . . . 128 H. Beschränkte Steuerpflicht bei Veräußerung von Anteilen an grundbesitzhaltenden Körperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 I. Anwendung von § 12 Abs. 5 UmwStG auf grenzüberschreitende Verschmelzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 J. Weiternutzung von Verlusten (§ 8d KStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 VIII

Inhalt

Dr. Sebastian Benz Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf Oberregierungsrätin Alexandra Pung Landesamt für Steuern, Rheinland-Pfalz Aktuelle Fragen zur Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 II. Steuerlich wichtige Gründe für die vorzeitige Beendigung eines Gewinnabführungsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 III. Rückwirkende Zuordnung der Organgesellschaftsbeteiligung zu einer Betriebsstätte des Organträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 IV. Verspätete Registereintragung und Billigkeitsmaßnahmen . . . 145 V. Rückwirkung und Mindestlaufzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 VI. Wirken gesetzliche Ausschüttungssperren in Organschaftsfällen als Abführungssperren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 VII. Auflösung des Ausgleichspostens bei mittelbarer Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 VIII. Ausgleichsposten bei Einbringungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 IX. Schädlichkeit der Organschaft für den fortführungsgebundenen Verlust gem. § 8d KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Regierungsrätin Julia Schanko Finanzministerium NRW, Düsseldorf Dr. Stefan Behrens Steuerberater, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Frankfurt a.M. Praxisfragen des § 6a GrEStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. In den anhängigen Revisionsverfahren zu § 6a GrEStG zu beantwortende Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. In den anhängigen Revisionsverfahren zu § 6a GrEStG nicht zu beantwortende Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

IX

Inhalt

3. Leitthema: Unternehmenssteuerrecht 3 Ministerialrätin Gerda Hofmann Bundesministerium der Finanzen, Berlin Neues Unternehmenserbschaftsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 II. Wesentliche Aussagen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 III. Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Dr. Christian von Oertzen Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Frankfurt a.M. Die neue Unternehmenserbschaftsteuer – Überblick und erste Rechts- und Gestaltungsfragen – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 II. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 III. Die begünstigungsfähigen Unternehmenseinheiten . . . . . . . . . 226 IV. Vorab-Abschlag für Familienunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 V. Der neue Verwaltungsvermögenstest – das begünstigte Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 VI. Lohnsummentest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 VII. Die Nachsteuertatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 VIII. Verschonungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 IX. Neue Stundungsvoraussetzungen im Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . 235 X. Empfehlungen für Unternehmer bis zur Freigrenze von 26 Mio. Euro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 XI. Gestaltungsüberlegungen für Erwerber jenseits der 26 Mio. Euro-Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 XII. Rückwirkungsfragen des neuen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 XIII. Unternehmenserbschaftsteuerrecht und EU-Beihilferecht . . . 238 XIV. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

X

Inhalt

Regierungsdirektor Dr. Peter Heinemann Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Professor Dr. Andreas Schumacher Steuerberater, Bonn Aktuelle Fragen des Umwandlungssteuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 I. Gewinnausschüttungen und sonstige Gegenleistung (Heinemann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 II. Änderung des § 50i Abs. 2 EStG (Schumacher) . . . . . . . . . . . . . . 247 III. Einbringungsgewinn und Folgeumwandlungen (Heinemann) . 250 IV. Mögliche Änderung des § 12 Abs. 5 UmwStG (Schumacher) . . 253 V. Downstream merger mit ausländischem Gesellschafter (Heinemann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 VI. Verschmelzung und Spaltung von Drittstaatsgesellschaften mit inländischen Gesellschaftern (Schumacher) . . . . . . . . . . . . 258 VII. Einbringung in eine Personengesellschaft mit Einnahmeüberschussrechnung (Heinemann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Professor Dr. Jochen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater und Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf Aktuelle Brennpunkte der Besteuerung von unternehmensnahen Stiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 A. Die Erscheinungsformen der unternehmensnahen Stiftung . . . 273 B. Besteuerung der Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 C. Besteuerung der Begünstigten der unternehmensnahen Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 D. Brennpunkte bei ausländischen Stiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 E. Sondertatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 F. Ausblick und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

XI

Inhalt

4. Leitthema: Bilanzsteuerrecht Dr. Peter Brandis Richter am BFH, München Neue Erkenntnisse zu Fragen des wirtschaftlichen Eigentums in der Steuerbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 2. Rechtsgrundlage und bisherige Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 302 3. Aktuelle Akzentuierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 4. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Professor Dr. Joachim Hennrichs Universität zu Köln Regierungsdirektorin Evelyn Hörhammer Bundesministerium der Finanzen, Berlin Steuerbilanzielle Fragen von Bewertungseinheiten . . . . . . . . . . . . . . . 327 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 II. Ratio legis und Wirkungsweise des § 5 Abs. 1a S. 2 EStG i.V.m. § 254 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 III. Bilanzierung bei Beendigung der Sicherungsbeziehung durch Realisation einer Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 IV. Das Merkmal „zur Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken“ i.S. des § 5 Abs. 1a S. 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Professor Dr. Ulrich Prinz Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Köln Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 I. Zum Einstieg: Aktuelle Trends im Bilanzsteuerrecht . . . . . . . . . 344 II. Neues Aktivierungswahlrecht für steuerbilanzielle Herstellungskosten (§ 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG) – Fall 1 . . . . . . . . . . 346 III. Realisationsprinzip bei Mehrkomponentengeschäften: Der „Gerüstbaufall“ – Fall 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

XII

Inhalt

IV. Steuerbilanzielle Behandlung von Entwicklungskosten: Abgrenzungsfragen bei § 5 Abs. 2 EStG – Fall 3 . . . . . . . . . . . . . . 355 V. Neues zum Investitionsabzugsbetrag (IAB) gem. § 7g EStG – Fall 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 VI. Rückstellungen: Vergangenheits- versus Zukunftsbezug bei Handwerkskammerbeiträgen – Fall 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 VII. Zum Schluss: Weiteres praxisrelevantes BilanzierungsKnow-how . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

5. Leitthema: Internationales Steuerrecht Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am BFH, München Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 II. Das Überschreiben von DBA (Treaty Override) . . . . . . . . . . . . . . 380 III. Finale Verluste ausländischer Betriebsstätten und EU-Recht . . 388 IV. Währungsverluste iZm ausländischen und nach DBA freigestellten Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 V. Anrechnung ausländischer Steuern und Höhe der ausländischen Einkünfte – wirtschaftlicher Zusammenhang i.S.v. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Dr. Xaver Ditz Steuerberater, Bonn Leitender Regierungsdirektor Franz Hruschka München Die Änderungen im internationalen Steuerrecht durch das Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 II. Erweiterung der Verrechnungspreisdokumentationspflichten . 415 III. Einführung von Country-by-Country Reporting . . . . . . . . . . . . . 420 IV. Austausch von sog. Tax Rulings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 XIII

Inhalt

V. Gewerbesteuerpflicht von Hinzurechnungsbeträgen . . . . . . . . 429 VI. Abzug von Sonderbetriebsausgaben gem. § 4i EStG . . . . . . . . . 434 VII. Anpassung von § 50d EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 VIII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Oberregierungsrat Thomas Rupp Ministerium für Finanzen und Wirtschaft, Baden-Württemberg, Stuttgart Professor Dr. Jens Blumenberg Steuerberater, Frankfurt a.M. Aktuelle Entwicklungen des EU-Beihilferechts im Bereich der Unternehmensbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 2. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 3. Aktuelle Entwicklungen im deutschen Unternehmenssteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 4. Tax Rulings (steuerliche Vorabzusagen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 5. Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471

6. Leitthema: Umsatzsteuerrecht Professor Dr. Bernd Heuermann Vorsitzender Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht . . . . . . . . . . . . 475 1. Teil: Umsatzsteuer, Unionsrecht und das Prinzip der Vorherigkeit des Sozialrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 2. Teil: Vorsteueraufteilung bei gemischt genutzten Gegenständen

489

Ministerialrat Stephan Filtzinger Mainz Neues aus der Rechtsanwendung – Organschaft und öffentliche Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 A. Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 B. Besteuerung der Einrichtungen öffentlichen Rechts . . . . . . . . . 510 XIV

Inhalt

Dr. Jan de Weerth Steuerberater, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Frankfurt a.M. Aktuelles zum „Schutz des guten Glaubens“ und Vorsteueraufteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 1. Aktuelles zum „Schutz des guten Glaubens“ . . . . . . . . . . . . . . . . 521 2. Aktuelles zur Vorsteueraufteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530

7. Leitthema: Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken Professor Dr. Roman Seer Ruhr-Universität, Bochum Das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens . . . . . . 539 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 II. Untersuchungsgrundsatz und selbstregulierender Steuervollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 III. Automatischer Steuerbescheid und Risikomanagement . . . . . . 547 IV. Steuererklärungsfristen und Neukonzeption des Verspätungszuschlages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 V. Fortentwicklung des sog. E-Governments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 VI. Defizite: Vernachlässigung der Rechte der Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 Alexander Hagen Rechtsanwalt, Steuerberater, Eschborn Regierungsdirektor Friedbert Lang OFD Karlsruhe Die neue Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds ab dem 1. Januar 2018 und die Übergangsregelungen . . . 573 I. Überblick über die Reform und ihre Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 II. Die neue Besteuerung von Investmentfonds und ihrer (inländischen) Anleger ab 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 III. Übergangsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 IV. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618 XV

Inhalt

Helmut König Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Düsseldorf Auswirkungen des neuen BMF-Schreibens zu § 153 AO . . . . . . . . . . 619 1. Das neue BMF-Schreiben zu § 153 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 2. Tax CMS und innerbetriebliches Kontrollsystem für Steuerzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 3. Eckpunkte eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für steuerliche Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 Alexandra Mack Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht, Köln Praktische Auswirkungen des neuen BMF-Schreibens zu § 153 AO vom 23.5.2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 II. Der Erlass im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 III. Anzeige- und Berichtigungspflicht (Tz. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 IV. Steuerstrafrechtliche Entlastung eines „innerbetrieblichen Kontrollsystems“ (Tz. 2.6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 V. Detailfragen zum sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich des § 153 AO (Tz. 3 und Tz. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . 645 VI. Maßstab der „unverzüglichen“ Korrektur und Rechtsfolgen von verspäteten Anzeigen (Tz. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649

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Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellschaften Michael Wendt Vorsitzender Richter am BFH, München Inhaltsübersicht 1. Eintritt in eine FreiberuflerPersonengesellschaft 1.1. Änderungen des Gesellschafterbestands im Zivilrecht 1.2. Änderungen des Gesellschafterbestands im Einkommensteuerrecht 1.3. Aufnahme von Gesellschaftern im Gewinnvorabmodell (BFH-Urteil vom 27.10.2015 – VIII R 47/12) 1.4. Aufnahme eines Juniorpartners mit beschränkten Rechten (BFH-Urteil vom 3.11.2015 – VIII R 63/13) 1.5. Erprobung eines künftigen Partners (BFH-Urteil vom 3.11.2015 – VIII R 62/13) 2. Ausscheiden gegen Sachwertabfindung und Realteilung 2.1. Unterscheidung zwischen Ausscheiden gegen Sachwertabfindung und Realteilung 2.1.1. Auseinandersetzung der Personengesellschaft durch Aufteilung des Gesellschaftsvermögens 2.1.2. Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters mit Gütern des Gesellschaftsvermögens der fortbestehenden Personengesellschaft 2.2. Anwendung von Realteilungsgrundsätzen auf das Ausscheiden gegen Sachwertabfindung

2.2.1. Das BFH-Urteil vom 17.9.2015 – III R 49/13 2.2.2. Erstreckung der Realteilungsgrundsätze auf alle Fälle des Ausscheidens gegen Sachwertabfindung 2.2.3. Abgrenzung von Spitzenausgleich und Ergänzungsleistungen 2.2.4. Bilanzierungsfragen 2.3. Realteilung bei Einschaltung von Schwestergesellschaften 2.3.1. Das BFH-Urteil vom 16.12.2015 – IV R 8/12 2.3.2. Realteilung in Gesamthandsvermögen als „jeweiliges Betriebsvermögen“ 2.3.3. Unmittelbare Übertragung auf Schwesterpersonengesellschaften? 2.4. Korrektur eines Bilanzierungsfehlers nach Realteilung 2.4.1. Das BFH-Urteil vom 20.10.2015 – VIII R 33/13 2.4.2. Fortführung fehlerhafter Buchwerte 2.4.3. Buchwertfortführung bei Ergänzungsbilanz 3. Neues zu Kapitalkonten von Personengesellschaften 3.1. Gesellschafterkonten bei Personengesellschaften 3.2. Kapitalkonto II repräsentiert keine Gesellschaftsrechte

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Wendt, Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht 3.2.1. Das BFH-Urteil vom 29.7.2015 – IV R 15/14

3.2.2. Folgerungen für Einbringung von Privat- und Betriebsvermögen

1. Eintritt in eine Freiberufler-Personengesellschaft 1.1. Änderungen des Gesellschafterbestands im Zivilrecht Die Dauerhaftigkeit der personalen Struktur der zivilrechtlich als Gesellschaft anerkannten Personenzusammenschlüsse ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Eine Kapitalgesellschaft ist darauf ausgerichtet, vom Bestand ihrer Gesellschafter möglichst unabhängig zu sein, so dass Veränderungen im Gesellschafterbestand nichts Außergewöhnliches sind und im Fall der AG sogar zum Tagesgeschäft gehören. Das Gesellschaftsrecht sieht demgemäß auch keine besonderen Hindernisse für Gesellschafterwechsel vor, sondern sichert die Fungibilität der Beteiligungen ab. Ganz anders verhält es sich bei der Personengesellschaft, die in ihrer Struktur auf Fortbestand des Gesellschafterkreises ausgelegt ist. Ihr Kernelement ist nach der Vorstellung des BGB und HGB eine persönliche Verbindung der Gesellschafter, deren Fortbestand gesichert werden soll. Wechsel im Gesellschafterbestand sind deshalb normativ nicht vorgesehen und wurden früher zum Teil sogar als rechtlich unmöglich betrachtet1. Selbst das Ausscheiden eines Gesellschafters durch Tod hatte nach ursprünglicher Vorstellung des Gesetzgebers das Ende der Personengesellschaft zur Folge, jedenfalls wenn es sich um einen geschäftsführenden und voll haftenden Gesellschafter handelt. Für die BGB-Gesellschaft gilt dies bis heute (§ 727 Abs. 1 BGB), während für Personenhandelsgesellschaften seit 19982 die Fortsetzung der Gesellschaft von den verbleibenden Gesellschaftern den Regelfall bildet (§ 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB). Von der rechtlichen Unmöglichkeit des Gesellschafterwechsels hat sich die heutige Rechtsüberzeugung längst entfernt. Zur gesetzlich vorgesehenen Normalität gehört er aber noch immer nicht. Weder BGB noch HGB enthalten Regeln für die Anteilsübertragung. Die Übertragung muss danach im Gesellschaftsvertrag zugelassen und inhaltlich ausgestaltet werden oder bedarf im Einzelfall der Zustimmung aller Gesellschafter3. Findet die Übertragung statt, tritt der Erwerber mitgliedschafts- und ver1 Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 45 III 2 m.w.N. 2 HRefG v. 22.6.1998, BGBl. I 1998, 1474. 3 Vgl. z.B. BGH, Urt. v. 28.4.1954 – II ZR 8/53, BGHZ 13, 179.

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mögensrechtlich an die Stelle des Übertragenden. Die Übertragung kann sich auch auf nur einen Teil des Anteils des Übertragenden richten. Dann spaltet sich ein Teil der Mitgliedschafts- und Vermögensrechte des Altgesellschafters zugunsten des Erwerbers ab. Vom Gesellschafterwechsel sind Ein- und Austritt von Gesellschaftern zu unterscheiden. Der Eintritt eines weiteren Gesellschafters setzt die Zustimmung aller bisherigen Gesellschafter voraus4, während ein Austritt insbesondere im Fall der Kündigung ohne die Mitwirkung der anderen Gesellschafter stattfinden kann. Mitgliedschaftsrechte entstehen im Fall des Eintritts neu und gehen im Fall des Austritts unter. Vermögensrechtlich führen Ein- oder Austritt eines am Gesellschaftsvermögen beteiligten Gesellschafters zur Ab- oder Anwachsung von Wertanteilen bei den anderen am Gesellschaftsvermögen beteiligten Gesellschaftern (§ 738 Abs. 1 Satz 1 BGB).

1.2. Änderungen des Gesellschafterbestands im Einkommensteuerrecht Das Ertragsteuerrecht reflektiert die unterschiedlich starke zivilrechtliche Verselbständigung der Personenzusammenschlüsse, indem es die Kapitalgesellschaft selbst als Steuerrechtssubjekt behandelt und der KSt unterwirft, während die Personengesellschaft nicht selbst Ertragsteuerrechtssubjekt ist. Vielmehr sieht § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG eine Besteuerung der Gewinnanteile der Personengesellschafter bei deren ESt vor. Die Personengesellschaft selbst ist insoweit transparent. Das Ergebnis der von den Gesellschaftern in ihrer gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit ausgeübten Tätigkeit wird ihnen als Anteil am Gewinn oder Überschuss unmittelbar zugerechnet. Ganz negiert wird die Personengesellschaft allerdings nicht, sondern sie wird nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BFH als Subjekt der Gewinnerzielung, Gewinnermittlung und Einkünftequalifikation angesehen5. Überträgt ein Personengesellschafter seinen Anteil auf einen Dritten, ist dieser Vorgang ähnlich der Übertragung des Betriebs eines Einzelunternehmers als Übertragung der Einkunftsquelle anzusehen. Findet diese gegen Entgelt statt, liegt ein der Betriebsveräußerung ähnlicher Vorgang vor, weshalb § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG die Veräußerung des Mitunterneh4 Vertrag des Eintretenden mit allen Altgesellschaftern, vgl. z.B. BGH, Urt. v. 17.11.1975 – II ZR 120/74, BB 1976, 154. 5 BFH, Beschl. v. 3.7.1995 – GrS 1/93, BStBl. II 1995, 621.

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meranteils der Betriebsveräußerung gleichstellt6. Gleichgestellt sind auch die unentgeltliche Übertragung des Mitunternehmeranteils und des Betriebs in § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG; in beiden Fällen werden die Buchwerte vom Übertragungsempfänger fortgeführt (§ 6 Abs. 3 Satz 3 EStG). Die Gleichstellung von Betrieb und Mitunternehmeranteil bedeutet zugleich, dass wie bei der Übertragung eines Betriebs auch bei der Übertragung eines Mitunternehmeranteils alle zum Betriebsvermögen gehörenden wesentlichen Betriebsgrundlagen mit übertragen werden müssen, wozu im Fall des Mitunternehmeranteils auch wesentliche Betriebsgrundlagen des Sonderbetriebsvermögens gehören. Fehlt es daran, muss von einer Aufgabe des Mitunternehmeranteils ausgegangen werden7, die zur Aufdeckung aller stillen Reserven führt. Was zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehört, bestimmt sich nach dem im Zeitpunkt der Übertragung vorhandenen Betriebsvermögen. So jedenfalls vertritt es der BFH8, während die Finanzverwaltung einer zeitraumbezogenen Betrachtung anzuhängen scheint, ohne allerdings diesen Zeitraum zu konkretisieren und die gesetzliche Grundlage ihrer Auffassung zu nennen9. Die diesbezüglichen Meinungsverschiedenheiten sind auch nach jahrelangem Hin und Her von Urteilen und deren ausdrücklicher oder stillschweigender Nichtanwendung noch immer nicht ausgeräumt. Von ihnen soll hier aber nicht die Rede sein10. Mit der Vorstellung von der vollständigen Übertragung der Einkunftsquelle nicht in Übereinstimmung zu bringen sind Übertragungen von Teilen der Personengesellschaftsbeteiligung. Lange Zeit wurden diese Vorgänge vom Gesetzgeber ignoriert, weshalb Rechtsprechung und Verwaltung lückenausfüllende Lösungen suchen mussten und sich dabei zunächst für eine Gleichbehandlung mit der Übertragung des ganzen Anteils entschieden. Eine Entscheidung des Großen Senats des BFH aus dem Jahr 1999 brachte dann aber erhebliche Unruhe in die zuvor wenig konfliktträchtige Praxis, weil die jahrzehntelange Rechtsprechung zur Tarif6 Zur streitigen Frage, ob die Veräußerung der Einkunftsquelle unmittelbar zu Einkünften aus Gewerbebetrieb nach § 15 Abs. 1 EStG führt oder ob § 16 Abs. 1 EStG konstitutiv die Steuerbarkeit des Veräußerungsgewinns regelt, vgl. etwa Geissler in H/H/R, § 16 EStG Anm. 3. 7 Vgl. z.B. BFH, Urt. v. 10.3.1998 – VIII R 76/96, BStBl. II 1999, 269. 8 BFH, Urt. v. 2.8.2012 – IV R 41/11, DStR 2012, 2118; BFH, Urt. v. 9.12.2014 – IV R 29/14, DStR 2015, 211; BFH, Urt. v. 12.5.2016 – IV R 12/15, DStR 2016, 1518; BFH, Beschl. v. 30.6.2016 – IV B 2/16, BFH/NV 2016, 666. 9 BMF v. 12.9.2013, BStBl. I 2013, 1164. 10 Vgl. aus Vorjahren Wendt in StbJb. 2012/2013, 29; StbJb. 2015/2016, 35, 70 ff.

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begünstigung der Teilanteilsveräußerung für dogmatisch fehlerhaft und nur aus Gründen der Rechtskontinuität beizubehalten erklärt wurde11. Im Anschluss daran wurden auch Fragen zu unentgeltlichen Teilanteilsübertragungen aufgegriffen, wie etwa die Bedeutung anteilig mit zu übertragenden Sonderbetriebsvermögens12. Dies rief den Gesetzgeber auf den Plan, der dann mit Wirkung ab 2001 für unentgeltliche Übertragungen und ab 2002 für entgeltliche Übertragungen ausdrückliche gesetzliche Regelungen schuf13. Die Teilanteilsveräußerung führt danach zu einem nicht tarifbegünstigten Gewinn (§ 16 Abs. 1 Satz 2 EStG), während bei einer unentgeltlichen Teilanteilsübertragung die Buchwerte fortzuführen sind (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 EStG), und zwar grundsätzlich selbst dann, wenn Sonderbetriebsvermögen nicht anteilig mit übertragen wird (§ 6 Abs. 3 Satz 2 EStG). Ertragsteuerlich sind Teilanteilsübertragungen nicht nur die gesellschaftsrechtlich als Gesellschafterwechsel bezeichneten Fälle, in denen ein Altgesellschafter seine Beteiligung aufspaltet und einen Teil auf einen Neugesellschafter überträgt. Auch der gesellschaftsrechtlich als Eintritt bezeichnete Fall der Aufnahme eines Neugesellschafters in eine im Übrigen unveränderte Personengesellschaft ist als Teilanteilsübertragung zu qualifizieren, denn die Abwachsung von Wertanteilen der Altgesellschafter ist ertragsteuerlich gleichbedeutend mit der Übertragung von Vermögensanteilen. Auf der anderen Seite wird das ersatzlose Ausscheiden eines Gesellschafters mit der zivilrechtlichen Anwachsung von Wertanteilen am Vermögen bei den verbleibenden Gesellschaftern nicht als Übertragung jeweils eines Teilanteils auf jeden einzelnen der verbleibenden Gesellschafter angesehen, sondern ist als Veräußerung14 oder Aufgabe15 des gesamten Anteils des Ausscheidenden zu behandeln, sofern der Ausscheidende einen Abfindungsanspruch geltend macht, und als unentgeltliche Übertragung des gesamten Anteils, wenn der Ausscheidende seinen Anteil durch Verzicht auf einen Abfindungsanspruch den verbleibenden Gesellschaftern zuwendet. 11 BFH, Beschl. v. 18.10.1999 – GrS 2/98, BStBl. II 2000, 123. 12 BFH, Urt. v. 24.8.2000 – IV R 51/98, BStBl. II 2005, 173. 13 UntStFG v. 20.12.2001, BGBl. I 2001, 3858; näher dazu etwa Wendt, FR 2002, 127. 14 So BFH, Urt. v. 12.12.1996 – IV R 77/93, BStBl. II 1998, 180; Wacker in Schmidt, EStG, 35. Aufl. 2016, § 16 Rz. 412; Schallmoser in Blümich, § 16 EStG Rz. 219. 15 So etwa Patt in H/H/R, § 16 EStG Anm. 325; Reiß in Kirchhof, EStG, 15. Aufl. 2016, § 16 Rn. 148.

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Welcher Art die unternehmerische Tätigkeit einer Personengesellschaft ist, spielt für die einkommensteuerliche Behandlung von Änderungen im Gesellschafterbestand grundsätzlich keine Rolle. Die gesetzlichen Regelungen gelten entweder unmittelbar (§ 6 Abs. 3 EStG) oder infolge einer Verweisung auf unmittelbar nur auf Einkünfte aus Gewerbebetrieb anwendbare Normen (hier § 16 EStG, auf den in § 14 EStG bzw. § 18 Abs. 3 EStG verwiesen wird). Dass sich dennoch bestimmte Probleme in besonderer Weise bei Freiberufler-Personengesellschaften ergeben, hat einerseits mit der besonderen Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter in Gestalt eines Mandanten- oder Patientenstamms, andererseits mit dem Umstand zu tun, dass die Gewerbesteuerfreiheit von Freiberuflern leicht in Gefahr geraten kann, wenn sich Freiberufler in einer Personengesellschaft organisieren. Grund dafür ist die Abfärbung gewerblicher Teiltätigkeiten auf die gesamten Einkünfte der Personengesellschaft nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG, die durch Überschreitung der Grenzen für die Beschäftigung qualifizierter Personen bei der freiberuflichen Tätigkeit ausgelöst werden kann.

1.3. Aufnahme von Gesellschaftern im Gewinnvorabmodell (BFH-Urteil vom 27.10.2015 – VIII R 47/12) Im Fall des BFH-Urteils vom 27.10.2015 – VIII R 47/1216 war streitig, ob eine privilegierte unentgeltliche Teilanteilsübertragung vorliegt, wenn ein neu eintretender Gesellschafter zwar keinerlei gegenwärtige Leistungen bei Eintritt in die Gesellschaft erbringen muss, aber mittelbar dadurch „bezahlt“, dass er künftig Gewinnanteile mit einer hinter seinem Vermögensanteil zurückbleibenden Quote erhält. Dieses sog. Gewinnvorabmodell war damit erstmals Gegenstand einer BFH-Entscheidung. Drei Ärzte waren in den Jahren 1989 bis 1991 in eine zuvor zweigliedrige Praxis zu Lasten des einen Altgesellschafters aufgenommen worden. Als Gegenleistung war ein fester Betrag vereinbart worden, der durch Verzicht der neuen Gesellschafter auf Gewinnanteile zu erbringen war. Das FA hatte die Gewinnanteile zunächst erklärungsgemäß nach der tatsächlich unter Berücksichtigung der Verzichte vorgenommenen Gewinnverteilung zugerechnet. Nach Tod des Altgesellschafters im Jahr 1996 wand16 BFH, Urt. v. 27.10.2015 – VIII R 47/12, BStBl. II 2016, 600 mit Anm. etwa von Formel, EStB 2016, 126; Fuhrmann, GmbHR 2016, 322; kk, KÖSDI 2016, 19711; Korn, BeSt 2016, 18; Levedag, NWB 2016, 534; ders., HFR 2016, 309; ders., NWB 2016, 1881; ders., FR 2016, 733, 736; Pflüger, GStB 2016, 203; Richter/John, FR 2016, 606; Werth, BFH/PR 2016, 132.

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ten dessen Erben gegen die Gewinnfeststellungsbescheide 1993–1995 ein, dem Altgesellschafter sei nur sein regulärer Gewinnanteil zuzurechnen. Die Mehrbeträge aufgrund der Verzichte der Neugesellschafter seien Kaufpreisraten für die Veräußerung der Mitunternehmeranteile in den Jahren 1989 bis 1991. Zu demselben Ergebnis kam auch ein Zivilgericht aufgrund eines Rechtsstreits zwischen den Erben des Altgesellschafters und den Neugesellschaftern. Das FA folgte dem jedoch nicht und auch das FG, das der Klage gegen die Gewinnfeststellungsbescheide der Höhe nach aus anderen Gründen stattgab17, änderte an der Zurechnung der Gewinne nach den tatsächlich erhaltenen Gewinnanteilen nichts. Die Revision der Erben hatte Erfolg. Der BFH, der nur noch von einem Rechtsstreit über die Gewinnverteilung ausging, rechnete den Neugesellschaftern Gewinnanteile auch in Höhe der Beträge zu, auf die diese zugunsten des Altgesellschafters verzichtet hatten. Dem lag zugrunde, dass deren Aufnahme in die Gesellschaft als entgeltlich und die Verzichtsbeträge als Raten des von den Neugesellschaftern zu zahlenden Kaufpreises gewürdigt wurden. Mit dem Urteil hat der BFH der in der Literatur verbreiteten Meinung widersprochen, das Gewinnvorabmodell führe generell nicht zur Realisierung eines Veräußerungsgewinns18. Die Übertragung eines Teilanteils auf einen Neugesellschafter löst einkommensteuerliche Folgen nur dann nicht aus, wenn die Übertragung unentgeltlich erfolgt. In einem solchen Fall werden nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 EStG die Buchwerte fortgeführt. Unter Fremden ist grundsätzlich allerdings nicht von einer unentgeltlichen Übertragung eines Gesellschaftsanteils auszugehen19. Die vom Neugesellschafter erbrachte Gegenleistung kann etwa auch in einem Verzicht auf einen seinem Vermögensanteil entsprechenden Gewinnanspruch zugunsten des Altgesellschafters bestehen. Dies 17 FG Düsseldorf, Urt. v. 11.10.2012 – 11 K 4736/07 F, EFG 2013, 287. 18 S. die in Rz. 46 des Urteils zitierte Literatur. 19 Soweit § 7 Abs. 7 ErbStG einen fiktiven schenkungsteuerlichen Tatbestand regelt, wenn ein Gesellschafter seinen Anteil oder einen Teilanteil überträgt, ohne eine den erbschaftsteuerlichen Wert des Anteils erreichende Abfindung zu erhalten, betrifft dies nur Fälle der Anwachsung auf die verbleibenden Gesellschafter, nicht die Übertragung auf neue Gesellschafter; außerdem wird auch dort eine objektive Bereicherung verlangt (BFH, Urt. v. 1.7.1992 – II R 12/90, BStBl. II 1992, 25); vgl. zu Fällen eines „naked in – naked out“-Vertrags Esskandari, DStR 2016, 1251.

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ist augenfällig, wenn – wie im vom BFH entschiedenen Fall – ein fester Betrag vereinbart ist, der durch Gewinnverzichte erreicht werden muss. Der Vorgang ist dann als Teilanteilsveräußerung zu beurteilen, die zu einem Gewinn des Veräußerers in Höhe der Differenz zwischen anteilig übertragenem Kapitalkonto und dem kapitalisierten Verzichtsbetrag sowie abzüglich der bei der Übertragung entstandenen Kosten führt. Der Erwerber hat in Höhe des Verzichtsbetrags Anschaffungskosten, die in einer Ergänzungsbilanz auszuweisen sind, soweit sie das übernommene Kapitalkonto übersteigen. Die kapitalisierte Kaufpreisschuld bildet passives Sonderbetriebsvermögen und mindert sich in den Folgejahren jeweils um die als Kaufpreisraten zu verstehenden Gewinnverzichtsbeträge. Ebenfalls nicht unentgeltlich ist eine Übertragung, bei der der Neugesellschafter auf Lebenszeit des Altgesellschafters zu dessen Gunsten auf Gewinnanteile verzichtet. Die ertragsteuerliche Behandlung unterscheidet sich allerdings von Fällen, in denen ein bestimmter Höchstbetrag des Verzichts festgelegt ist, denn der an das Leben des Altgesellschafters geknüpfte Verzicht ist als betriebliche Veräußerungsrente zu behandeln. Diese muss nicht in Höhe des kapitalisierten Werts einen sofort besteuerten Veräußerungsgewinn auslösen. Vielmehr hat der Veräußerer ein Wahlrecht zwischen der Sofortbesteuerung oder einer Versteuerung nach Zufluss20, das im Jahr der Übertragung ausgeübt werden muss. Wird die laufende Versteuerung gewählt, werden die Kapitalanteile in den Verzichtsbeträgen zunächst dem übergegangenen Kapitalkonto gegenübergestellt und führen zu einem laufend zu versteuernden Gewinn, sobald sie das Kapitalkonto übersteigen; die Zinsanteile sind jeweils sofort als nachträgliche Betriebseinnahmen zu erfassen. Noch nicht abschließend geklärt ist, ob diese Grundsätze auch bei Mindest- und Höchstzeitrenten gelten, wenn angesichts der statistischen Lebenserwartung des Berechtigten davon auszugehen ist, dass eine bestimmte Summe der wiederkehrenden Leistungen nicht überschritten wird. Wird ein prozentualer Gewinnverzicht vereinbart, der weder durch einen Mindest- oder Höchstbetrag begrenzt noch an das Leben des Veräußerers geknüpft ist, unterscheidet sich der Fall von dem entschiedenen Fall des BFH im Grunde nur dadurch, dass die Höhe des Gewinnverzichts der 20 EStR R 16 Abs. 11; das Wahlrecht ist gesetzlich nicht geregelt, sondern beruht nach Auffassung des BFH auf einer teleologischen Reduktion der §§ 16, 34 EStG i.V.m. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. z.B. BFH, Urt. v. 11.11.2010 – IV R 17/08, BStBl. II 2011, 716).

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Neugesellschafter nicht wie im Fall des hier besprochenen Urteils absolut, sondern allein relativ bestimmt ist. Wie hoch der Verzichtsbetrag sein wird, ist also nicht vorhersehbar. Eine solche Vereinbarung führt zwingend zu einer laufenden Besteuerung, wobei der auf den Verzicht zurückzuführende Gewinnanteil mit seinem Kapitalanteil zunächst gegen das übernommene Kapitalkonto zu verrechnen ist21. Lässt sich kein unmittelbarer Zusammenhang der vom Vermögensanteil abweichenden Gewinnverteilung mit der Teilanteilsübertragung feststellen, folgt daraus noch nicht, dass eine unentgeltliche Übertragung stattgefunden hat. Vielmehr ist bei einer unter Fremden erfolgten Übertragung zu vermuten, dass diese entgeltlich war22. Es bedürfte eines besonderen sachlichen Grundes dafür, dass der Übertragende einen erhöhten Gewinnanteil gegenüber dem Eintretenden erhält und die Übertragung selbst unentgeltlich sein soll. Derartige Umstände müssten vom Altgesellschafter vorgetragen und notfalls nachgewiesen werden. Tritt der neue Gesellschafter der Gesellschaft nicht aufgrund eines Vertrags mit einem seinen Anteil reduzierenden Gesellschafter, sondern aufgrund eines Vertrags mit der ganzen Gesellschaft bei, wird dieser Vorgang als Einbringung der Altgesellschafter nach § 24 UmwStG beurteilt und zwar selbst dann, wenn der neue Gesellschafter keine Einlage in das Gesamthandsvermögen leistet23. § 24 UmwStG ist eine spezialgesetzliche Regelung für bestimmte Veräußerungstatbestände des § 16 EStG, mit der die Aufdeckung der stillen Reserven trotz Erhalt einer Gegenleistung bei entsprechender Antragstellung vermieden werden kann, indem der Buchwert fortgeführt wird. Hat der Neugesellschafter keine Einlage zu leisten, was bei Freiberuflergesellschaften nicht selten in Verbindung mit der Verpflichtung zum Ausscheiden ohne Abfindung vorkommt, ist eine Gewinnverteilungsabrede unter Abweichung von den Vermögensanteilen zwar als Entgelt zu beurteilen, weil die überhöhten Gewinnanteile der Altgesellschafter in deren Vermögen gelangen. Ob dieses Entgelt, soweit es unterhalb der Grenzen des heutigen § 24 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG n.F. bleibt, unschädlich ist, auch wenn die Gewinnanteile vom Altgesellschafter entnommen werden, erscheint zweifelhaft.

21 BFH, Urt. v. 14.5.2001 – VIII R 8/01, BStBl. II 2002, 532; Wacker in Schmidt, EStG, 35. Aufl. 2016, § 16 Rz. 229. 22 Ebenso Werth, BFH/PR 2016, 132; a.A. Korn, BeSt 2016, 18, 19. 23 BFH, Urt. v. 6.7.1999 – VIII R 17/95, BFH/NV 2000, 34.

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1.4. Aufnahme eines Juniorpartners mit beschränkten Rechten (BFH-Urteil vom 3.11.2015 – VIII R 63/13) Der Fall des Urteils vom 3.11.2015 – VIII R 63/1324 betrifft eine ursprünglich aus zwei Ärzten bestehende Gemeinschaftspraxis. Im Jahr 1998 vereinbarten die Ärzte mit einer jungen Berufskollegin die Errichtung einer GbR, an der die Ärztin zunächst „zu Null“ beteiligt sein sollte. Nach drei Jahren sollte die Ärztin das Recht haben, ihre Beteiligung gegen Zahlung eines von einem Gutachter zu ermittelnden Kaufpreises auf ein Drittel aufzustocken („ein Drittel der Praxis zu erwerben“). Bis dahin sollte der Ärztin ein Gewinnanteil in Höhe von 37 % des von ihr erwirtschafteten Honorarumsatzes bis 200 000 DM und 42 % ihres darüber hinausgehenden Honorarumsatzes zustehen, sofern ein entsprechender Gewinn erzielt worden war. Nach Aufstockung des Anteils sollte der Ärztin ein der Beteiligung entsprechender Anteil am Gewinn und Verlust der Gesellschaft zustehen. Bis dahin waren alle Reparatur- und Wartungskosten am Inventar der Praxis von den Altgesellschaftern zu tragen. Die Ärztin hatte ihrerseits so lange keinen Zugriff auf die Gesellschaftskonten. Bei Ausscheiden aus der Gesellschaft bestanden keine vertraglichen Abfindungsansprüche. Die Ärztin machte von der Möglichkeit zur Aufstockung der Beteiligung keinen Gebrauch. Im Jahr 2011 veräußerte einer der Altgesellschafter seinen Anteil an einen anderen Arzt. Im Anschluss daran erwarb die Ärztin von jenem und von dem verbliebenen Altgesellschafter jeweils einen Gesellschaftsanteil von 2,5 %. Für das Streitjahr 2007 ging das FA zunächst erklärungsgemäß von einer Mitunternehmerstellung der Ärztin aus. Nach einer Außenprüfung schloss es sich jedoch der Auffassung des Prüfers an, wonach nur eine zweigliedrige Mitunternehmerschaft ohne die Ärztin bestanden habe, und erließ einen geänderten Bescheid, mit dem eine gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die dreigliedrige Mitunternehmerschaft abgelehnt wurde.

24 BFH, Urt. v. 3.11.2015 – VIII R 63/13, BStBl. II 2016, 383 mit Anm. Carlé, BeSt 2016, 33; Haunhorst, HFR 2016, 514; kk, KÖSDI 2016, 19790; Kempermann, FR 2016, 671; Kraft/Schreiber, NWB 2016, 1492; Levedag, FR 2016, 733; Lüken, DStR 2016, 889; Rogge, BB 2016, 1252; Schimmele, EStB 2016, 161; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 21/2016 Anm. 1; Werth, BFH/PR 2016, 177.

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Weder Klage25 noch Revision der Altgesellschafter hatten Erfolg. Der BFH entschied26, die Ärztin habe so eingeschränkt Mitunternehmerrisiko getragen, dass von einer Mitunternehmerstellung nur bei besonders ausgeprägter Mitunternehmerinitiative ausgegangen werden könne. Daran fehle es aber, weil auch die Geschäftsführungsbefugnisse der Ärztin beschränkt gewesen seien. Das Urteil betrifft eine insbesondere bei Freiberufler-Personengesellschaften nicht selten vorkommende Variante zur schrittweisen Aufnahme neuer Gesellschafter. Während einer Erprobungsphase erhält der Aufnahmekandidat zunächst nur eine symbolische Gesellschaftsbeteiligung, die mit einer erfolgswirksamen Beteiligung am von ihm selbst erzielten Umsatzerlös verbunden wird. Später kann dann auf eine der Stellung der Altgesellschafter entsprechende Beteiligung aufgestockt werden. Ob und welche Leistungen für die Aufstockung vom Neugesellschafter zu erbringen sind, war im Urteilsfall ohne Bedeutung. Es ging nur um die Erprobungsphase, die hier von dem Anwärter durch jahrelange Nichtausübung des Rechts auf Aufstockung aus freien Stücken verlängert worden war. Die Rechtsgrundsätze, an denen sich die Entscheidung orientiert, entsprechen der bisherigen Rechtsprechung des BFH. Eine Mitunternehmerschaft fordert Mitunternehmerrisiko und Mitunternehmerinitiative. Hier war ein Mitunternehmerrisiko nur rudimentär vorhanden, weil die Eintrittskandidatin prozentual nur an dem von ihr selbst erwirtschafteten Umsatz beteiligt war und den ihr danach zustehenden Betrag nur dann nicht erhalten hätte, wenn und soweit der Gewinn der Gesellschaft hinter diesem Betrag zurück geblieben wäre. Am Praxiswert, auch soweit er von ihr selbst geschaffen wurde, und evtl. vorhandenen stillen Reserven war die Kandidatin nicht beteiligt. Zwar kann geringfügiges Mitunternehmerrisiko durch starke Mitunternehmerinitiative ausgeglichen werden. Die Initiativrechte der Kandidatin waren aber ebenfalls stark beschränkt. Das grundsätzlich dem GbR-Gesellschafter zustehende Recht zur Geschäftsführung war durch Sonderregelungen zugunsten der Altgesellschafter weitgehend ausgehöhlt. Was hätte man besser machen können, um eine Mitunternehmerstellung zu erreichen? Das Mitunternehmerrisiko hätte zumindest um eine (faire) Beteiligung am Praxiswert und eine echte (praktisch vermutlich leer laufende) Verlustbeteiligung ergänzt werden müssen. Außerdem 25 FG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2013 – 11 K 3968/11 F, EFG 2014, 840. 26 Fn. 24.

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hätte die Geschäftsführungsbefugnis nicht ausgehöhlt werden dürfen, nachdem dem Gesellschafter wegen der Nullbeteiligung schon kein Stimmrecht eingeräumt worden war. Die Bemessung des Gewinnanteils an den eigenen Umsatzanteilen dürfte bei einer ausreichenden Beteiligung am Praxiswert und an den stillen Reserven für sich genommen nicht schädlich sein, sofern der prozentuale Anteil nicht völlig unbedeutend ist.27

1.5. Erprobung eines künftigen Partners (BFH-Urteil vom 3.11.2015 – VIII R 62/13) Neben der vorstehenden Entscheidung über einen negativen Gewinnfeststellungsbescheid erging in der gleichen Sache auch ein Urteil des BFH zu einem Gewerbesteuermessbescheid, der gegenüber der aus den Altgesellschaftern bestehenden Gemeinschaftspraxis ergangen war28. Das FA hatte diesen Bescheid auf der Grundlage eines Gewerbeertrags erlassen, der aus dem Gewinn der Gemeinschaftspraxis abzüglich des „Gewinnanteils“ der Ärztin ermittelt worden war. Es war der Auffassung, dass die nur zweigliedrige Mitunternehmerschaft mit dem Bezug von Honoraren aus der Behandlung der Patienten durch die nicht zur Mitunternehmerin gewordene Ärztin gewerbliche Einkünfte erzielt habe, die zur Abfärbung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG führten. Die gegen den Gewerbesteuermessbescheid erhobene Klage der GbR hatte keinen Erfolg. Weil die GbR auch in nicht unerheblichem Umfang Honorare für Behandlungen der Ärztin vereinnahmt habe, die nicht unter leitender und eigenverantwortlicher Beteiligung der Altgesellschafter vorgenommen worden seien, müssten die Einkünfte der GbR nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG insgesamt als solche aus Gewerbebetrieb behandelt werden. Das Urteil zeigt, welche dramatischen Konsequenzen es haben kann, wenn eine Freiberufler-Personengesellschaft Berufsangehörige mit eigenverantwortlich wahrzunehmenden Aufgaben betraut, ohne dass diese in ertragsteuerlicher Hinsicht Mitunternehmer geworden sind. Ein Frei27 Ebenso Kempermann, FR 2016, 671, 672; a.A. wohl Rogge, BB 2016, 1252, 1254. 28 BFH, Urt. v. 3.11.2015 – VIII R 62/13, BStBl. II 2016, 381 mit Anm. insbes. von Kempermann, FR 2016, 671; Levedag, FR 2016, 733; Schimmele, EStB 2016, 162; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 19/2016 Anm. 2; Werth, BFH/PR 2016, 178.

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berufler kann sich fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nur dann unproblematisch bedienen, wenn er dabei aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig ist. Dazu muss er der Leistung im Außenverhältnis noch seinen „persönlichen Stempel aufdrücken“, wie der BFH in ständiger Rechtsprechung formuliert. Für Ärzte bedeutet das, dass sie „aufgrund ihrer Fachkenntnisse durch regelmäßige und eingehende Kontrolle maßgeblich auf die Tätigkeit ihres angestellten Fachpersonals – patientenbezogen – Einfluss nehmen, so dass die Leistung den ‚Stempel der Persönlichkeit‘ des Steuerpflichtigen trägt“29. Der Arzt muss danach jeden Patienten selbst zumindest einmal sehen und im Übrigen konkret auf jeden Patienten bezogen die weiteren Behandlungen dauerhaft überwachen. Werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist die Honorarerzielung durch den betreffenden Mitarbeiter als gewerbliche Tätigkeit des selbständig Tätigen zu qualifizieren. Findet die selbständige Tätigkeit im Rahmen einer Personengesellschaft statt, führt die Erzielung gewerblicher Einkünfte nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 EStG zur Abfärbung auf die freiberuflichen Einkünfte. Dies bedeutet insbesondere, dass die Personengesellschaft mit ihrem ganzen Gewinn der GewSt unterliegt. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Umfang der gewerblichen Tätigkeit äußerst geringfügig ist, was der BFH danach beurteilt, ob die Erlöse aus der gewerblichen Tätigkeit weder mehr als 3 % vom Nettogesamtumsatz noch mehr als 24 500 Euro betragen30. Im hiesigen Urteilsfall hatte die Ärztin ihre Patienten eigenverantwortlich behandelt, was bei der Anstellung von Ärzten häufig der Fall sein wird. Ebenfalls in den meisten Fällen wird – wie hier – auch die Geringfügigkeitsgrenze überschritten sein. Eine Abfärbung ist dann unvermeidlich. Es stellt sich die Frage, ob Anstellungsverhältnisse mit Ärzten, aber auch mit Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Ingenieuren dann überhaupt noch sinnvoll ohne Auslösung von GewSt gestaltet werden können. Sobald keine einzelfallbezogene Kontrolle stattfindet, wird es an der leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit fehlen. Es bleibt dann nur der Weg, den „anzustellenden Mitarbeiter“ zum Mitunternehmer zu machen, was allerdings ebenfalls Probleme bereitet, wenn man ihn nicht mit vollen Rechten ausstatten will31. 29 BFH, Urt. v. 16.7.2014 – VIII R 41/12, BStBl. II 2015, 216. 30 BFH, Urt. v. 27.8.2014 – VIII R 6/12, BStBl. II 2015, 1002; s. dazu auch Wendt in StbJb. 2015/2016, 35 ff. 31 Vgl. das vorstehende Parallelurteil zum hiesigen Fall VIII R 63/13, Fn. 24.

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Kein Ausweg ist es, anstelle von Arbeitnehmern Subunternehmer einzusetzen. Der Begriff der „Arbeitskraft“ ist nach der Rechtsprechung nicht im Sinn von Arbeitnehmern zu verstehen, sondern schließt auch Selbstständige ein32. Schädlich ist selbst die Tätigkeit solcher freier Mitarbeiter, die ihrerseits Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit erzielen33. So wird auch die im hier berichteten Fall mitarbeitende Ärztin freiberufliche Einkünfte erzielt haben, wenn man sie nicht als Arbeitnehmerin ansehen müsste. Der BFH konnte deshalb offenlassen, ob ihre Mitarbeit selbstständig oder nichtselbstständig war. Aus Sicht der Personengesellschaft scheint die Frage nach der Qualifikation der von dem eigenverantwortlich tätigen Mitarbeiter erzielten Einkünfte danach ohne Bedeutung zu sein. Denn es besteht kein Zweifel, dass die Zahlungen an den Mitarbeiter Betriebsausgaben sind. Das gilt auch dann, wenn sie infolge einer Schein-Mitunternehmerschaft als Gewinnanteil bezeichnet wurden. Ein Unterschied besteht aber unter dem Aspekt der Lohnsteuer, weil im Fall einer Arbeitnehmerstellung des Mitarbeiters Lohnsteuer hätte einbehalten werden müssen, so dass wegen des fehlenden Einbehalts eine Haftung nach § 42d EStG besteht. Außerdem wären dann auch sozialversicherungsrechtliche Folgen zu ziehen.

2. Ausscheiden gegen Sachwertabfindung und Realteilung 2.1. Unterscheidung zwischen Ausscheiden gegen Sachwertabfindung und Realteilung 2.1.1. Auseinandersetzung der Personengesellschaft durch Aufteilung des Gesellschaftsvermögens Gesellschaftsrechtlich kann sich eine Personengesellschaft in der Weise auseinandersetzen, dass das Gesellschaftsvermögen in natura unter den Gesellschaftern aufgeteilt wird. Die Gegenstände des Gesellschaftsvermögens gehen im Wege rechtsgeschäftlicher Einzelübertragung von der Gesamthand auf den jeweiligen Gesellschafter über. Die Naturalteilung ersetzt die Liquidation, nach ihrer Abwicklung ist die Gesellschaft vollbeendet.

32 Z.B. BFH, Urt. v. 20.12.2000 – XI R 8/00, BStBl. II 2002, 478, und v. 14.3.2007 – XI R 59/05, BFH/NV 2007, 1319. 33 Brandt in H/H/R, § 18 EStG Anm. 226.

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Einkommensteuerlich bezeichnete man derartige Vorgänge ursprünglich als Realteilung34, wenn mindestens einer der Gesellschafter eines der erhaltenen Wirtschaftsgüter sogleich in einem anderen Betriebsvermögen zur Einkunftserzielung nutzte. Eine gesetzliche Regelung für die Realteilung gab es bis 1999 nicht. Sie wurde bis 1999 als Betriebsaufgabe der Mitunternehmerschaft behandelt35. Im Wege einer Analogie zu dem damaligen § 7 Abs. 1 EStDV und einer „reziprok“ analogen Anwendung des § 24 UmwStG in seiner damaligen Fassung wurde den Gesellschaftern das Wahlrecht eingeräumt, in ein anderes Betriebsvermögen überführte Teilbetriebe oder Mitunternehmeranteile, aber auch Einzelwirtschaftsgüter zum Buchwert, zum Teilwert oder zu Zwischenwerten anzusetzen. Eine zwingende Gewinnrealisierung fand nur statt, soweit Wirtschaftsgüter ins Privatvermögen überführt wurden, oder im Zusammenhang mit Ausgleichsleistungen zwischen den Gesellschaftern36. Mit dem StEntlG 1999/2000/200237 wurde die Realteilung in § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG erstmals geregelt und dort ausdrücklich als ein Fall der Aufgabe des Mitunternehmeranteils, nicht wie zuvor als Betriebsaufgabe der Mitunternehmerschaft behandelt, wenn die Gesellschafter nur einzelne Wirtschaftsgüter erhielten. Dieser Fall lag nach dem Gesetzeswortlaut nicht vor, wenn mindestens ein Gesellschafter einen Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil erhielt. Dies änderte allerdings nichts daran, dass auch eine solche Fallgestaltung als Aufgabe des Mitunternehmeranteils anzusehen war, die lediglich insoweit nicht zur Gewinnrealisierung führte. Das frühere Wahlrecht zur ganzen oder teilweisen Aufdeckung der stillen Reserven entfiel mit der Neuregelung. Stille Reserven konnten danach nur im Rahmen der Übertragung von Teilbetrieben und Mitunternehmeranteilen auf den empfangenden Realteiler überspringen. Bei Einzelwirtschaftsgütern war das Überspringen stiller Reserven dadurch ausgeschlossen, dass die vom Realteiler übernommenen Wirtschaftsgüter bei der Bemessung des Gewinns aus der Aufgabe seines Mitunternehmer-

34 Der Begriff „Realteilung“ für derartige gesellschaftsrechtliche Vorgänge ist im Steuerrecht geprägt worden. Möglicherweise findet er heute aber auch gesellschaftsrechtlich Verwendung (s. etwa BGH, Urt. v. 12.7.2016 – II ZR 74/14, MDR 2016, 1098). 35 BFH, Urt. v. 19.1.1982 – VIII R 21/77, BStBl. II 1982, 456; BFH, Urt. v. 1.12.1992 – VIII R 57/90, BStBl. II 1994, 607. 36 BFH, Urt. v. 19.1.1982, Fn. 35; BFH, Urt. v. 10.12.1991 – VIII R 69/86, BStBl. II 1992, 385. 37 StEntlG 1999/2000/2002 v. 24.3.1999, BGBl. I 1999, 402, BStBl. I 1999, 304.

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anteils mit ihrem gemeinen Wert, also dem Einzelverkaufspreis anzusetzen waren. Durch das UntStFG38 wurde § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG mit Wirkung ab 2001 geändert und erhielt seine im Wesentlichen heute noch geltende Fassung. In Abkehr von der seit 1999 geltenden Rechtslage ist die Realteilung in Einzelwirtschaftsgüter danach grundsätzlich wieder zum Buchwert möglich, soweit die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist (also nicht bei Übertragungen in eine ausländische Betriebsstätte, wenn Deutschland das Besteuerungsrecht fehlt). Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass kurz zuvor auch die Buchwertübertragung zwischen Mitunternehmer und Mitunternehmerschaft wieder eingeführt worden war39. Es ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber mit der ab 2001 geltenden Regelung an die Handhabung vor der erstmaligen gesetzlichen Regelung ab 1999 anknüpfen wollte. Voraussetzung der Realteilung ist danach, dass mindestens ein Gesellschafter Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens in einem anderen Betriebsvermögen weiter zur Einkunftserzielung nutzt. Unsicherheit entsteht durch die missverständliche Formulierung, die übertragenen Teilbetriebe, Mitunternehmeranteile oder Einzelwirtschaftsgüter müssten „in das jeweilige Betriebsvermögen der einzelnen Mitunternehmer“ übertragen werden. Dies ist nicht dahin zu verstehen, dass der Mitunternehmer schon vor der Realteilung ein Einzelbetriebsvermögen haben müsste, in das die Wirtschaftsgüter übernommen werden. Es reicht vielmehr wie schon vor 1999 aus, wenn das Betriebsvermögen erst im Zuge der Realteilung entsteht. Außerdem muss der Betrieb, in dem das Wirtschaftsgut künftig genutzt wird, kein Einzelunternehmen sein. Auch Sonderbetriebsvermögen bei einer anderen Mitunternehmerschaft ist von der Regelung umfasst40. 2.1.2. Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters mit Gütern des Gesellschaftsvermögens der fortbestehenden Personengesellschaft Ertragsteuerlich ist die Betriebsaufgabe der Mitunternehmerschaft von dem Ausscheiden eines Mitunternehmers aus der fortbestehenden Mitunternehmerschaft zu unterscheiden. Dass das Ausscheiden eines Mit38 UntStFG v. 20.12.2001, BGBl. I 2001, 3858, BStBl. I 2002, 35. 39 § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG in seiner ab 2001 geltenden Fassung. 40 Ebenso BMF v. 28.2.2006, BStBl. I 2006, 228, 229 unter IV. 1.

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unternehmers keine Betriebsaufgabe der Mitunternehmerschaft gem. § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG sein kann, ergibt sich schon daraus, dass mit § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG eine Norm existiert, die tatbestandlich nur den Fall des Ausscheidens betreffen kann; sie wäre ansonsten ohne Anwendungsbereich. Dementsprechend kann das Ausscheiden eines Mitunternehmers aus der fortbestehenden Mitunternehmerschaft keine Realteilung i.S.d. heutigen § 16 Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStG sein, selbst wenn der Abfindungsanspruch ähnlich wie bei einer Realteilung durch Übertragung von Wirtschaftsgütern des Gesamthandsvermögens erfüllt wird. Auch gesellschaftsrechtlich wird zwischen Ausscheiden eines Gesellschafters und Auflösung der Gesellschaft getrennt. Zwar führt die Kündigung eines Gesellschafters einer GbR nach dem Regelstatut des BGB zur Auflösung der Gesellschaft (§ 723, § 736 Abs. 1 BGB). Indessen findet sich in den Gesellschaftsverträgen von GbR meist eine Fortsetzungsklausel. Das HGB sieht heute ohnehin die Fortsetzung der Personenhandelsgesellschaften vor (§ 131 Abs. 3 Nr. 3 HGB für die OHG; entsprechend anwendbar bei der KG). Dasselbe gilt über die Verweisung in § 9 Abs. 1 PartGG für Partnerschaftsgesellschaften. Die Gesellschaft existiert also auch nach Ausscheiden des Gesellschafters fort, sofern nur mindestens zwei Gesellschafter verbleiben. Darüber, wie das Ausscheiden gegen Sachwertabfindung ertragsteuerlich zu behandeln ist, gab es bisher keine einheitliche Auffassung41. Der Vorgang könnte als Übertragung des Mitunternehmeranteils des Ausscheidenden auf die verbleibenden Gesellschafter zu würdigen sein. Eine solche Übertragung hat keine Gewinnauswirkung, wenn die Übertragung unentgeltlich erfolgt (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EStG). Sie hat grundsätzlich eine Aufdeckung der stillen Reserven zur Folge, soweit eine den Buchwert des Kapitalkontos übersteigende Abfindung geleistet wird. Die Abfindung kann auch in der Übertragung von Wirtschaftsgütern des Gesamthandsvermögens bestehen, zu denen etwa ein Kunden- oder Mandantenstamm gehören kann. Danach könnte es etwa bei der „Mitnahme“ von Kunden bzw. Mandanten anders als im Fall der „echten“ Realteilung in Gestalt einer Betriebsaufgabe der Mitunternehmerschaft zu einer Gewinnrealisierung kommen. Die zwangsweise Aufdeckung der stillen Reserven erscheint jedoch als wertungswidersprüchlich im Verhältnis zur „echten“ Realteilung und zur Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern gegen Minderung von Gesellschaftsrechten. Mit dem nachstehend vor41 Zu Fragen der handelsrechtlichen Rechnungslegung s. Schulze-Osterloh, NZG 2016, 161.

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gestellten Grundsatzurteil hat der BFH nun entschieden, dass es nicht zur zwangsweisen Aufdeckung der stillen Reserven kommt, indem die Realteilungsgrundsätze auch auf das Ausscheiden eines Gesellschafters gegen Sachwertabfindung angewendet werden.

2.2. Anwendung von Realteilungsgrundsätzen auf das Ausscheiden gegen Sachwertabfindung 2.2.1. Das BFH-Urteil vom 17.9.2015 – III R 49/13 Der mit Urteil vom 17.9.2015 – III R 49/1342 entschiedene Fall betraf eine von vier Berufsträgern gebildete Wirtschaftsprüfer-, Steuerberater und Rechtsanwaltssozietät. Die Sozietät unterhielt Niederlassungen in den Städten X und Y. Die Gesellschafter vereinbarten, dass eine Gesellschafterin (die Klägerin) die Niederlassung in Y künftig allein betreiben und unter Mitnahme der zugehörigen Wirtschaftsgüter sowie gegen Zahlung einer monatlichen Rente von 5000 Euro über eine Laufzeit von etwas mehr als 10 Jahren aus der Sozietät ausscheiden sollte. Nachdem vereinbarungsgemäß der Bargeldbestand in der Niederlassung Y noch aus Gesellschaftsmitteln um 310 000 Euro aufgestockt worden war, schied die Klägerin zum 2.1.2006 aus der Sozietät aus. Sozietät und Klägerin ermittelten ihre Gewinne durch Einnahmen-Überschussrechnung. Die Sozietät hatte zuvor eine verbindliche Zusage des FA darüber erhalten, dass die Klägerin nach Realteilungsgrundsätzen zum Buchwert ausscheiden und in Bezug auf die Rente die Besteuerung bei Zufluss wählen könne. Bei Abgabe ihrer Gewinnfeststellungserklärung für das Jahr 2006 ging die Sozietät allerdings davon aus, dass die Klägerin einen Veräußerungsgewinn von ca. 623 000 Euro erzielt habe, dem Verluste der verbleibenden Gesellschafter in gleicher Höhe gegenüberständen. Das FA war der Meinung, bei der Sozietät sei im Zusammenhang mit dem Ausschei42 BFH, Urt. v. 17.9.2015 – III R 49/13, DStR 2016, 377 mit Anm. etwa von Altendorf, GmbHStB 2016, 302; Bisle, NWB 2016, 1646; Bünning, BB 2016, 754; Demuth, BeSt 2016, 15; Görke, BFH/PR 2016, 136; Hubert, StuB 2016, 292; Kanzler, FR 2016, 573; Korn, KÖSDI 2016, 19710; ders., NWB 2016, 680; Krohn, AktStR 2016, 255; Kuhr, Ubg 2016, 193; Levedag, GmbHR 2016, R87; ders., GmbHR 2016, 377; ders., FR 2016, 733, 738; Lüken, DStR 2016, 889; Paus, DStZ 2016, 290; Pflaum, HFR 2016, 345; Pflüger, GStB 2016, 239; Richter/John, FR 2016, 606; Schacht, DB 2016, 794; Schmidt/Siegmund, NWB 2016, 1422; Schulze zur Wiesche, BB 2016, 1753; Schwab, DB 2016, M5; Siegel, DB 2016, 2245; Wendt, FR 2016, 536; Wiese/Lukas, DStR 2016, 1078; Wischmann, EStB 2016, 121; Wollweber/Stenert, DStR 2016, 2144.

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den wegen des zwingenden Übergangs zum Betriebsvermögensvergleich ein Übergangsgewinn von gut 604 000 Euro entstanden, der der Klägerin zuzurechnen sei und der wegen des Wechsels zurück zur EinnahmenÜberschussrechnung zugleich einen Übergangsverlust für die verbleibenden Gesellschafter nach sich ziehe. Die Klägerin war damit nicht einverstanden und machte mit der Klage geltend, ihr sei nur der unstreitige Anteil am laufenden Gewinn der Sozietät von 850 Euro zuzurechnen. Gegen das stattgebende Urteil des FG43 legten sowohl das FA als auch zwei der anderen Gesellschafter Revision ein. Das BMF beteiligte sich an dem Verfahren und vertrat die Ansicht, die Klägerin sei nicht erfolgsneutral aus der Sozietät ausgeschieden. Die Revisionen führten zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das FG. Der BFH entschied, dass Realteilungsgrundsätze auch anzuwenden seien, wenn ein Mitunternehmer gegen Übernahme eines Teilbetriebs aus einer fortbestehenden Personengesellschaft ausscheide. Die Buchwerte des Teilbetriebs seien von dem ausscheidenden Gesellschafter fortzuführen. Es führe nicht zu einer Realisierung von Gewinn, wenn zuvor liquide Mittel zwischen den Teilbetrieben umgeschichtet worden seien. Ein Veräußerungsgewinn ergebe sich aber für den ausscheidenden Gesellschafter, wenn diesem eine Versorgungsrente zugesagt werde. Zur Ermittlung des Gewinns müsse im Zeitpunkt des Ausscheidens zwingend eine Bilanz aufgestellt, bei bisheriger Einnahmen-Überschussrechnung also zur Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich übergegangen werden. Der Veräußerungsgewinn ergebe sich aus dem Kapitalwert der Rente zuzüglich der Buchwerte des übernommenen Teilbetriebs abzüglich der Veräußerungskosten und des Kapitalkontos. Ob ggf. aus Billigkeitsgründen ein Wahlrecht zur laufenden Versteuerung der Rentenzahlungen bestehe, sei nicht im Rahmen der Gewinnfeststellung für die Personengesellschaft, sondern erst bei der Einkommensteuerfestsetzung für den ausscheidenden Gesellschafter zu entscheiden. 2.2.2. Erstreckung der Realteilungsgrundsätze auf alle Fälle des Ausscheidens gegen Sachwertabfindung Mit dem Urteil erstreckt der BFH die Grundsätze der erfolgsneutralen Realteilung auf das Ausscheiden eines Mitunternehmers aus einer fortbestehenden Mitunternehmerschaft. Damit wird der bisher von der Recht43 FG Hamburg, Urt. v. 18.4.2012 – 3 K 89/11, EFG 2012, 1744.

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sprechung aufgestellte Grundsatz, als Realteilung sei nur die Betriebsaufgabe der Mitunternehmerschaft zu verstehen, ausdrücklich aufgegeben. Dogmatisch wird die neue Rechtsprechungslinie darauf gestützt, dass das Ausscheiden gegen Sachwertabfindung ein Anwendungsfall der Aufgabe des Mitunternehmeranteils sei, worauf sich die Regelung zur Realteilung in § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG ebenfalls erstrecke44. Über die Reichweite der Entscheidung entsteht eine gewisse Unsicherheit dadurch, dass einerseits ausdrücklich offengelassen wird, ob auch bei Mitnahme von Einzelwirtschaftsgütern in das Betriebsvermögen des ausgeschiedenen Gesellschafters von einer Realteilung auszugehen sei45, andererseits aber ausgeführt wird:46 „Beurteilt man das Ausscheiden mindestens eines Mitunternehmers unter Mitnahme von Gesellschaftsvermögen nicht länger als Veräußerung eines Mitunternehmeranteils, sondern als dessen Aufgabe, erlangt die Bezugnahme des § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG auf § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG eine eigenständige Bedeutung. Damit erhält dieser Aufgabetatbestand einen klaren sachlichen Anwendungsbereich und ist nicht länger vor allem auf jene Fälle beschränkt, in denen der Mitunternehmeranteil neben dem Gesellschaftsanteil auch Sonderbetriebsvermögen umfasst und dieses nicht auf den Erwerber übertragen wird“. Diese Urteilspassage bedeutet, dass alle Fälle des Ausscheidens gegen Sachwertabfindung als Aufgabe des Mitunternehmeranteils angesehen werden. Mangels Entscheidungserheblichkeit konnte der entscheidende Senat aber für die Abfindung mit Einzelwirtschaftsgütern keine abschließenden Aussagen treffen. Für die dogmatische Einordnung als Aufgabe des Mitunternehmeranteils ist die Art der Abfindung ohne Bedeutung, so dass die Urteilsgrundsätze auch auf andere Fälle des Ausscheidens gegen Sachwertabfindung anzuwenden sind47. Es wäre danach bedauerlich, wenn die Finanzverwaltung die allgemeine Anwendung der Urteilsgrundsätze für Fälle der Abfindung mit Einzelwirtschaftsgütern ablehnen sollte. Dies würde die Betroffenen erneut in Rechtsstreite zwingen.

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Kritisch dazu Wollweber/Stenert, DStR 2016, 2144, 2147. So in Rz. 34 der Entscheidungsgründe. Zitat aus Rz. 38 der Entscheidungsgründe. Bisle, NWB 2016, 1646, 1648; Bünning, BB 2016, 754; Paus, DStZ 2016, 290, 291; Schmidt/Siegmund, NWB 2016, 1422, 1425; Wendt, FR 2016, 536, 540; Wiese/Lukas, DStR 2016, 1078, 1080; Wollweber/Stenert, DStR 2016, 2144, 2148.

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2.2.3. Abgrenzung von Spitzenausgleich und Ergänzungsleistungen Eine für alle Fälle der Realteilung wichtige Aussage findet sich in Rz. 44 der Entscheidungsgründe. Dort führt der BFH aus, dass im Rahmen einer Realteilung alle Wirtschaftsgüter des Gesellschaftsvermögens frei unter den Gesellschaftern verteilt werden können. Dies gilt auch für liquide Mittel, so dass Barvermögen genutzt werden kann, um Wertunterschiede in den anderen Wirtschaftsgütern auszugleichen. Dies ist allerdings kein Freibrief dafür, Geldmittel vor der Realteilung durch Einlage oder Kreditaufnahme zu beschaffen. Der BFH lässt ausdrücklich offen, ob er solche Gestaltungen akzeptieren würde48. Denn die Aufstockung von Geldmitteln hätte lediglich den Zweck, einen Spitzenausgleich zu verhindern. Ein Spitzenausgleich führt aber nach bisheriger Rechtsprechung zur Gewinnrealisierung49. In welchem Umfang dabei Gewinn realisiert wird, ist allerdings zweifelhaft, worauf der BFH ausdrücklich hinweist50, ohne die Frage klären zu müssen. Nicht als Spitzenausgleich zu bezeichnen und zu behandeln sind solche Leistungen, die der ausscheidende Gesellschafter zusätzlich zu Gütern des vorhandenen Gesellschaftsvermögens einschließlich der baren Mittel erhält, weil die übertragenen Güter wertmäßig hinter dem Abfindungsanspruch zurückbleiben. Der Abgefundene hat in einem solchen Fall nichts durch Gegenleistung auszugleichen, sondern er erhält zusätzliche Leistungen. Diese führen m.E. insoweit zu einem Gewinn, als sie zusammen mit dem Buchwert der aus dem Gesellschaftsvermögen übertragenen Güter das nach Anpassung für übernommene stille Reserven bereinigte Kapitalkonto des Gesellschafters übersteigen51. Die zusätzlichen Leistungen sind eine Vergütung für den Anteil des Ausscheidenden an den stillen Reserven in den weiter von der Gesellschaft genutzten Wirtschaftsgütern. In welcher Form die Zusatzleistungen erbracht werden, ist ohne Bedeutung. Bei später fälligen Leistungen, wie im Fall von Raten oder einer Rente, ist der Barwert anzusetzen.

48 Auch im Schrifttum werden solche Gestaltungen kritisch gesehen, vgl. etwa Schallmoser in Blümich, § 16 EStG Rz. 420; Kulosa in H/H/R, § 16 EStG Anm. 556; Wacker in Schmidt, EStG, 35. Aufl. 2016, § 16 Rz. 550, jeweils m.w.N. 49 Zu Bilanzierungsfragen auf der Basis der Kapitalkontenanpassungsmethode und der von ihm präferierten Buchwertanpassungsmethode s. Siegel, DB 2016, 2245, 2250 ff. 50 In Rz. 62 ff. der Entscheidungsgründe. 51 Näher Wendt, FR 2016, 536, 541 f.

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Im Fall des hiesigen Urteils waren zusätzliche Leistungen in Form einer Rente mit einer Laufzeit von etwas mehr als zehn Jahren zu erbringen. Damit sollte wohl erreicht werden, dass ein Wahlrecht zur Zuflussbesteuerung ausgeübt werden konnte, was nach bisheriger Rechtsprechung voraussetzt, dass die Rente lebenslang zu zahlen ist oder eine feste Laufzeit von mehr als zehn Jahren hat und primär der Versorgung oder bei besonders langer Laufzeit mindestens auch der Versorgung des Rentenempfängers dient. Um eine Versorgungsrente handelte es sich nach Auffassung des BFH hier nicht52. Der BFH stellte gleichwohl klar, dass ein ggf. und nur aus Billigkeitsgründen bestehendes Wahlrecht zur Besteuerung nach Zufluss allein bei der ESt-Festsetzung des ausscheidenden Mitunternehmers ausgeübt werden könne. In der Gewinnfeststellung der Mitunternehmerschaft muss die Rente in jedem Fall mit dem Kapitalwert angesetzt werden. Besteuerungsfolge war nach Meinung des BFH, dass der kapitalisierte Wert der Rente als Veräußerungsgewinn im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte der Personengesellschaft für das Jahr des Ausscheidens festzustellen sei. M.E. ändert sich an der Behandlung des Vorgangs als Aufgabe des Mitunternehmeranteils nichts dadurch, dass der Ausscheidende zusätzliche Leistungen erhält53. Bei einer Veräußerung lässt sich eine Buchwertfortführung für die übertragenen Wirtschaftsgüter anders als im Fall der Aufgabe nicht mehr mit § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG erklären. Will man die Buchwertfortführung auch bei Zusatzleistungen der verbleibenden Gesellschafter erhalten, wie es der BFH für richtig hielt, muss man auch solche Fälle des Ausscheidens als Aufgabe des Mitunternehmeranteils behandeln. Im Ergebnis kommt es dann zu der vom BFH für zutreffend gehaltenen Rechtsfolge, dass ein Gewinn nur aufgrund der Rente entstanden ist. 2.2.4. Bilanzierungsfragen Im Fall des Ausscheidens gegen Sachwertabfindung ist nach diesem Urteil zwingend eine Zwischenbilanz aufzustellen, auch wenn die Gesellschaft unverändert ihren Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt und auch der ausscheidende Gesellschafter so verfährt. Dies scheint in Widerspruch zu dem früheren Urteil desselben Senats zu stehen, mit dem für eine Realteilung bei Aufgabe des Betriebs der 52 Rz. 50 ff. der Entscheidungsgründe. 53 Ebenso Levedag, GmbHR 2016, 377, 378.

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Mitunternehmerschaft eine Bilanzierungspflicht abgelehnt wurde54. In den Gründen des hiesigen Urteils wird nicht ausdrücklich deutlich gemacht, warum hier auf eine Bilanzierung nicht verzichtet werden konnte. Dies ergibt sich jedoch aus dem zweiten Leitsatz, der darauf hinweist, dass wegen der zusätzlichen Rentenzusage eine Gewinnermittlung erforderlich ist. Im Gegenschluss wird dann anzunehmen sein, dass bei einem Ausscheiden allein gegen Sachwertabfindung aus dem vorhandenen Gesellschaftsvermögen keine Bilanz aufzustellen ist.

2.3. Realteilung bei Einschaltung von Schwestergesellschaften 2.3.1. Das BFH-Urteil vom 16.12.2015 – IV R 8/12 An einer grundstücksverwaltenden GmbH & Co. KG (W-KG) waren zwei Gesellschafter beteiligt (D und K). Sie beschlossen im Jahr 2002, die Grundstücke unter sich aufzuteilen und getrennter Wege zu gehen. Dies wurde dadurch verwirklicht, dass jeder der Gesellschafter eine Ein-MannGmbH & Co. KG gründete und seinen Anteil an der Grundstücks-KG am 31.12.2002 um 12:00 Uhr auf „seine“ Ein-Mann KG übertrug. Um 13:00 Uhr wurde die Grundstücks-KG real geteilt, indem jedem der beiden Gesellschafter – nämlich jetzt den beiden Ein-Mann KG – Grundstücke übertragen wurden. Bilanziell wurden die Buchwerte fortgeführt. Das FA war der Meinung, es habe eine gewinnrealisierende Aufgabe der Grundstücks-KG stattgefunden. Der Vorgang sei auf der Grundlage der sog. Gesamtplanrechtsprechung als Übertragung der Grundstücke aus dem Gesamthandsvermögen der Grundstücks-KG in das Gesamthandsvermögen von Schwestergesellschaften zu werten. Solche Übertragungen seien nicht zum Buchwert möglich. Das FG teilte die Auffassung des FA55. Der BFH hob das Urteil des FG auf und gab der Klage statt56. Dem Wortlaut nach seien die Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG erfüllt, denn Realteiler seien im Zeitpunkt der Teilung die neuen GmbH & Co. 54 BFH, Urt. v. 11.4.2013 – III R 32/12, BStBl. II 2014, 242; dazu näher Wendt in StbJb. 2013/2014, 33, 57. 55 FG Düsseldorf, Urt. v. 9.2.2012 – 3 K 1348/10 F, EFG 2012, 828. 56 BFH, Urt. v. 16.12.2015 – IV R 8/12, DStR 2016, 385 mit Anm. etwa von Altendorf, GmbHStB 2016, 302; Demuth, BeSt 2016, 15; Fischer, jurisPR-SteuerR 19/2016 Anm. 1; Görgen, NWB 2016, 1650; Heß, BB 2016, 882; kk, KÖSDI 2016, 19708; Krämer, EStB 2016, 122; Kuhr, Ubg 2016, 193; Pflüger, GStB 2016, 165; Wendt, BFH/PR 2016, 133; ders., FR 2016, 512.

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KG gewesen. Deren Zwischenschaltung stehe der Buchwertfortführung nicht entgegen. Die Zwischenschaltung sei nicht als Gestaltungsmissbrauch anzusehen, weil es außersteuerliche Gründe dafür gegeben habe. Der Zweck der Buchwertfortführung werde erreicht, weil stille Reserven, wie von § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG vorausgesetzt, bei Betrachtung der hinter den GmbH & Co. KG stehenden Personen nur zwischen den bisherigen Gesellschaftern aufgeteilt worden seien. Ob die Zwischenschaltung von Gesellschaften mit Beteiligung Dritter anders zu beurteilen sei, könne offenbleiben. 2.3.2. Realteilung in Gesamthandsvermögen als „jeweiliges Betriebsvermögen“ Während nach der Rechtslage bis einschließlich 1998 eine buchwertneutrale Realteilung auch in der Weise möglich war, dass sich die Gesellschafter der geteilten Personengesellschaft in mehreren Nachfolge-Personengesellschaften organisierten57, wird nach der ab 2001 durch § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG gesetzlich geregelten Rechtslage teilweise – und insbesondere von der Finanzverwaltung58 – angenommen, dass eine Realteilung zum Buchwert eine Übertragung des vom Realteiler mitgenommenen Gesamthandsvermögens der Realteilungsgesellschaft in ein ihm alleine zuzurechnendes Betriebsvermögen voraussetzt. Dies ist Folge einer engen Auslegung des Gesetzeswortlauts, wonach die Wirtschaftsgüter im Zuge der Realteilung „in das jeweilige Betriebsvermögen der einzelnen Mitunternehmer übertragen“ werden müssen. Gesamthandsvermögen wird nach dieser Meinung nicht als das jeweilige Betriebsvermögen des Mitunternehmers angesehen, so dass eine unmittelbare Übertragung in ein Gesamthandsvermögen schädlich wäre. Mit dem Gesetzeswortlaut wäre aber auch eine andere Auslegung vereinbar, die sich darauf stützen könnte, dass zivilrechtlich das Gesamthandsvermögen ideell anteilig den Gesellschaftern zusteht und ertragsteuerlich die stillen Reserven in den Gütern des Gesamthandsvermögens letztlich den Mitunternehmern zugeordnet werden, weil der jeweilige Mitunternehmer Subjekt der Einkunftserzielung ist und die ihm aus seiner Einkünfte erzielenden Tätigkeit erwachsenen stillen Reserven als Einkünftebestandteil bei ihm der ESt bzw. KSt unterliegen.

57 Vgl. dazu etwa Kulosa in H/H/R, § 16 EStG Anm. 543. 58 BMF v. 28.2.2006, BStBl. I 2006, 228, 229 unter IV. 1.

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Welcher Auslegung zu folgen ist, sollte sich nach dem Zweck der Privilegierung in Gestalt einer Buchwertfortführung trotz Verwirklichung eines grundsätzlich Gewinn realisierenden Tatbestands i.S.d. § 16 EStG richten. Zweck der Vergünstigung ist es, dem Kontinuitätsprinzip Geltung zu verschaffen, wonach stille Reserven zur Vermeidung einer Übermaßbesteuerung so lange nicht zu versteuern sind, wie ein Wirtschaftsgut von demselben Stpfl. ungeachtet des betrieblichen Rahmens weiter zur Erzielung betrieblicher Einkünfte eingesetzt wird. Dem Kontinuitätsprinzip wird mit der Regelung des § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG zugleich Vorrang vor dem Subjektsteuerprinzip eingeräumt, nach dem jeder Stpfl. die von ihm erwirtschafteten Einkünfte einschließlich der im Rahmen der Tätigkeit entstandenen stillen Reserven zu versteuern hat59. Mit seiner Anordnung, dass der Realteiler die Buchwerte der übernommenen Wirtschaftsgüter fortzuführen hat, bewirkt das Gesetz, dass die Realteiler die stillen Reserven nicht ihrem Anteil am Gesellschaftsvermögen entsprechend, sondern entsprechend deren Zusammenhang mit den jeweils übernommenen Wirtschaftsgütern fortführen. Technisch wird die Realteilung deshalb durch Anpassung der Kapitalkonten an die Buchwerte und nicht umgekehrt durch Anpassung der Buchwerte an die Kapitalkonten bewerkstelligt60. Das Gesetz billigt damit eine Verschiebung stiller Reserven zwischen den Realteilern. Mit der Fortführung der Buchwerte in dem jeweiligen Betriebsvermögen des Realteilers verbunden ist aber zugleich, dass Dritte keinen Anteil an den stillen Reserven erhalten. Eine Auslegung des Begriffs des „jeweiligen Betriebsvermögens“ muss die Grundentscheidung des Gesetzgebers respektieren, dass stille Reserven zwar zwischen den Mitunternehmern, nicht aber über diesen Personenkreis hinaus verlagert werden dürfen. Auf dieser Grundentscheidung beruht auch § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG. Demgemäß kann zwar m.E. Gesamthandsvermögen „jeweiliges Betriebsvermögen des Mitunternehmers“ sein, aber nur dann, wenn an diesem Gesamthandsvermögen ausschließlich zu den Realteilern gehörende Personen beteiligt sind. 2.3.3. Unmittelbare Übertragung auf Schwesterpersonengesellschaften? Nicht geklärt ist bisher, ob auch das Gesamthandsvermögen einer Schwestergesellschaft, also einer weiteren Personengesellschaft, an der 59 Näher dazu Wendt in FS Lang, Köln 2010, S. 699 ff. 60 Für eine andere Lösung de lege lata (Bildung von Ausgleichsposten) und de lege ferenda (Anpassung der Buchwerte) plädiert Siegel (DB 2016, 2245).

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ein Realteiler beteiligt ist, Ziel der Übertragung bei Auseinandersetzung der Altgesellschaft sein kann. Die Finanzverwaltung verneint diese Frage61, was Ursache für den hier entschiedenen Rechtsstreit war. Realteiler waren im Zeitpunkt der Teilung die beiden GmbH & Co. KG. Dass deren Betriebsvermögen jeweils Gesamthandsvermögen war, steht selbst bei einer engen Auslegung des Begriffs des „jeweiligen Betriebsvermögens“ der Buchwertfortführung nicht entgegen, denn für eine Personengesellschaft mit Gesamthandsvermögen als Gesellschafterin der real geteilten Personengesellschaft ist ihr Gesamthandsvermögen das dem Einzelbetriebsvermögen einer natürlichen Person entsprechende Betriebsvermögen. Bedenken gegen die Buchwertfortführung bestanden im Urteilsfall nur deshalb, weil die beiden KG anscheinend zum Zweck des Vermögenstransfers auf ihre Gesamthandsvermögen zwischengeschaltet worden waren, weil ein entsprechender Transfer durch die vorher beteiligten natürlichen Personen nicht möglich gewesen wäre. Darin sah das FA eine Umgehung des von ihr angenommenen Verbots einer Übertragung auf Schwestergesellschaften. Die jetzt vom BFH getroffene Entscheidung geht auf das vermeintliche Übertragungsverbot nicht ein, sondern löst den Fall auf anderem Weg. Denn die Realteilung wurde durch Übertragung in die eigenen Betriebsvermögen der Realteiler vollzogen und entsprach damit dem Wortlaut des § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG62. Wenn im Fall einer doppelstöckigen Struktur Gesellschafter der Realteilungsgesellschaft eine andere Personengesellschaft ist, ist deren Gesamthandsvermögen ihr Betriebsvermögen und damit das vom Gesetz gemeinte „Ziel“-Betriebsvermögen. Da an den beiden neu geschaffenen Ein-Mann-KG auch nur die beiden bisherigen Gesellschafter der Realteilungsgesellschaft beteiligt waren, die stillen Reserven nach der Realteilung mittelbar also weiterhin nur diesen Personen zustanden, sah der BFH den Zweck des Buchwertprivilegs erreicht. Dass dies durch Zwischenschaltung weiterer Gesellschaften geschehen war, spielte insoweit keine Rolle. Anders würde der BFH aber möglicherweise urteilen, wenn Dritte an den zwischengeschalteten Gesellschaften beteiligt wären, weil Zweck des Buchwertprivilegs nur die Fortführung der stillen Reserven durch die bisherigen Gesellschafter ist. Eine Ausnahme davon wäre lediglich in Fällen zu machen, in denen eine Über61 BMF v. 28.2.2006, BStBl. I 2006, 228, 229 unter IV. 1. 62 Kritisch dazu Görgen, NWB 2016, 1650, 1656 f., weil die zwischengeschalteten KG wegen ihrer nur einstündigen Beteiligung nicht Mitunternehmer geworden seien.

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tragung auf den Dritten aufgrund einer anderen Norm zum Buchwert durchzuführen wäre, z.B. § 6 Abs. 3 EStG63.

2.4. Korrektur eines Bilanzierungsfehlers nach Realteilung 2.4.1. Das BFH-Urteil vom 20.10.2015 – VIII R 33/13 Obwohl schon im Leitsatz des BFH-Urteils vom 20.10.2015 – VIII R 33/1364 erkennbar wird, dass das Urteil noch die Rechtslage vor der gesetzlichen Regelung der Realteilung betrifft, sollte man die Entscheidung nicht vorschnell als überholt ansehen. Sie enthält ungeachtet des weit zurückliegenden Streitzeitraums auch Ausführungen, die noch heute Aktualität haben. Die klagenden Steuerberater A und B sowie Steuerberater C hatten sich 1975 zu einer Sozietät zusammengeschlossen. Im Jahr 1982 hatten sie Steuerberater D als vierten Gesellschafter aufgenommen und in diesem Zusammenhang von dem Wahlrecht zur Fortführung des Buchwerts nach § 24 UmwStG Gebrauch gemacht. Dies war in der Weise verwirklicht worden, dass die Sozietät in einer Gesamthandsbilanz den Mandantenstamm mit seinem vollen Wert aktiviert und negative Ergänzungsbilanzen für die Altgesellschafter aufgestellt hatte. Abschreibungen auf den Mandantenstamm wurden erst ab 1987 bis zur vollständigen Abschreibung im Jahr 1993 vorgenommen. Die negativen Ergänzungsbilanzwerte blieben unverändert. Im Jahr 1997 teilten sich die Gesellschafter in zwei Sozietäten (AB-GbR und CD-GbR) auf und verteilten die Mandate untereinander. Sämtliche Buchwerte wurden fortgeführt, auch die negativen Ergänzungsbilanzen, die in der Folgezeit unverändert blieben. Im Jahr 2004 veräußerte A seinen Anteil an der AB-GbR an zwei neue Gesellschafter. In diesem Zusammenhang wurde die negative Ergänzungsbilanz des A aufgelöst und der Gewinn als Bestandteil des tarifbegünstigten Veräußerungsgewinns erklärt. Nach einer Außenprüfung vertrat das FA die Meinung, die Ergänzungsbilanzen für A und B seien nach den Grundsätzen des formellen Bilanzenzusammenhangs im ersten noch offenen Jahr (2004) gewinnerhöhend

63 Demuth, BeSt 2016, 15, 18. 64 BFH, Urt. v. 20.10.2015 – VIII R 33/13, BStBl. II 2016, 596 mit Anm. etwa von Dißars, StuB 2016, 624; kk, KÖSDI 2016, 19789; Levedag, GmbHR 2016, R 150; Otto, BB 2016, 1202; Reiter, EStB 2016, 202; Wendt, FR 2016, 774; Werth, BFH/PR 2016, 219.

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aufzulösen. In einem geänderten Gewinnfeststellungsbescheid behandelte das FA den daraus resultierenden Gewinn als Bestandteil der nicht tarifbegünstigten Einkünfte der GbR. Die dagegen von der GbR (Klägerin zu 1) sowie A und B (Kläger zu 2 und 3) erhobene Klage hatte keinen Erfolg65. Der BFH bestätigte das FG-Urteil und wies die Revision zurück. Nach den seinerzeitigen Rechtsgrundsätzen hätten bei einer Teilung der Sozietät in zwei neue Sozietäten die Buchwerte fortgeführt werden können. Dies schließe auch die Fortführung fehlerhafter Buchwerte ein. Werde später der Fehler entdeckt, sei er nach den Grundsätzen des formellen Bilanzenzusammenhangs bei dem buchwertfortführenden Realteiler zu korrigieren. Der Bilanzansatz für ein in der Gesamthandsbilanz vor der Realteilung vollständig abgeschriebenes Wirtschaftsgut sei fehlerhaft, wenn für dieses Wirtschaftsgut in einer darauf bezogenen negativen Ergänzungsbilanz keine korrespondierenden Zuschreibungen erfolgt seien. Die Zuschreibung sei dann auf Grundlage des formellen Bilanzenzusammenhangs in der vom Realteiler fortgeführten Ergänzungsbilanz vorzunehmen. 2.4.2. Fortführung fehlerhafter Buchwerte Eine der Kernaussagen des BFH in diesem Urteil lautet, dass ein Bilanzierungsfehler den Buchwert eines Wirtschaftsguts in der Steuerbilanz dauerhaft infiziert, auch wenn der Buchwert nach einer Realteilung fortgeführt wird. Dies beruht nach Auffassung des BFH auf einer „interpersonelle[n] Geltung der Grundsätze des formellen Bilanzenzusammenhangs“. Diese Grundsätze betreffen nicht nur die Buchwertfortführung nach einer Realteilung, sondern müssen darüber hinausgehend in jedem Fall der Buchwertfortführung nach einem Rechtsträgerwechsel gelten, also heute z.B. auch bei Übertragungen gem. § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG. Wird der Bilanzierungsfehler später entdeckt und kann er nicht mehr in einem Jahr vor der Buchwertübertragung korrigiert werden, trifft eine mit der Korrektur ggf. verbundene Gewinnauswirkung folglich den Übertragungsempfänger. Jener dürfte davon auch nicht überrascht werden, denn er weiß, dass er die Steuerlast aus ggf. vorhandenen stillen Reserven zu tragen hat, wie immer es zu diesen stillen Reserven gekommen ist. Nur ausnahmsweise wird der Buchwert noch rückwirkend bei dem Rechtsvorgänger aufgestockt werden, wie etwa im Zusammenhang mit einer

65 FG Münster, Urt. v. 10.4.2013 – 13 K 521/09 F, EFG 2013, 1203.

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noch zu dessen Lasten möglichen Bilanzberichtigung oder einer Sperrfristverletzung des Rechtsvorgängers nach § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG. 2.4.3. Buchwertfortführung bei Ergänzungsbilanz Mit dem zweiten Leitsatz des hier vorgestellten Urteils hebt der BFH hervor, dass Bestandteil des Buchwerts eines Wirtschaftsguts auch der zugehörige Posten in einer Ergänzungsbilanz sei. Diese Aussage liegt insoweit ganz auf der Linie der bisherigen BFH-Rechtsprechung, als damit bestätigt wird, dass in einer Ergänzungsbilanz nicht Wirtschaftsgüter ausgewiesen werden, sondern nur Wertkorrekturen zu in der Gesellschaftsbilanz ausgewiesenen Wirtschaftsgütern66. Der Buchwert des Wirtschaftsguts ist also die Summe beider Werte, wobei einer der Werte auch Null sein kann (etwa wegen des Bilanzierungsverbots nach § 5 Abs. 2 EStG). Findet ein Buchwerttransfer des Wirtschaftsguts statt, müssen folglich beide Bestandteile des Werts transferiert werden. Dies bedeutet nicht, dass beide Werte getrennt fortgeführt werden, sondern je nach Übertragungsvorgang können die Werte ggf. auch zu einem neuen Buchwert zusammenzufassen sein. Angenommen, ein Neugesellschafter erwirbt den Anteil eines Altgesellschafters einer Personengesellschaft und zahlt einen das Kapitalkonto übersteigenden Kaufpreis wegen stiller Reserven in einem zum Gesellschaftsvermögen befindlichen Wirtschaftsgut (z.B. Immobilie). Die Zuzahlung wird dann in einer Ergänzungsbilanz des Neugesellschafters Niederschlag finden. Wird dem Neugesellschafter das Wirtschaftsgut später zur Nutzung in einem Einzelbetrieb unentgeltlich übertragen, muss der Buchwert nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG im Einzelbetriebsvermögen fortgeführt werden. Dort ist dann der Wert aus der Gesamthandsbilanz zuzüglich des Werts in der Ergänzungsbilanz anzusetzen. Ähnlich verhielte es sich, wenn das Wirtschaftsgut weiter von der Gesellschaft genutzt würde, also aus dem Gesamthandsvermögen in das Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters transferiert würde. Dann wäre im Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters ein aus der Summe der vormaligen Buchwerte in der Gesellschafts- und Ergänzungsbilanz gebildeter Wert fortzuführen. Im Urteilsfall war das Wirtschaftsgut vom Gesamthandsvermögen der real geteilten Personengesellschaft auf das Gesamthandsvermögen der von zwei Realteilern gebildeten neuen Personengesellschaft übergegan66 Zuletzt BFH, Urt. v. 20.11.2014 – IV R 1/11, DStR 2015, 583; näher dazu Wendt in StbJb. 2015/2016, 35, 57.

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gen. Wenn ein solcher Transfer zum Buchwert stattfinden kann, müssen sowohl der Buchwert in der Gesamthandsbilanz als auch die Buchwerte in Ergänzungsbilanzen der Realteiler fortgeführt werden. Im Urteilsfall hat der BFH die Buchwertfortführung entsprechend den für das Jahr der Realteilung (1997) noch geltenden Rechtsgrundsätzen aus der Zeit vor dem StEntlG 1999/2000/2002 auf eine analoge Anwendung des § 24 UmwStG gestützt. Heute müsste sich eine solche Rechtsfolge aus § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG ableiten lassen. Das ist nach den Grundsätzen des vorstehend erläuterten BFH-Urteils vom 16.12.2015 – IV R 8/1267 möglich, soweit an der neuen Gesellschaft – wie im hiesigen Fall – nur Gesellschafter beteiligt sind, die auch an der real geteilten Gesellschaft beteiligt waren. Ansonsten ist ein Buchwerttransfer zwischen Gesamthandsvermögen von Schwesterpersonengesellschaften allenfalls zwischen beteiligungsidentischen Schwestergesellschaften möglich68.

3. Neues zu Kapitalkonten von Personengesellschaften 3.1. Gesellschafterkonten bei Personengesellschaften Anders als ein Einzelunternehmer oder eine Kapitalgesellschaft hat eine Personengesellschaft kein einheitliches Eigenkapital, sondern muss ihr Eigenkapital den jeweiligen Gesellschaftern zuordnen. Anders als bei einem Einzelunternehmer und wie bei einer Kapitalgesellschaft können zivilrechtlich auch Schuldverhältnisse zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern bestehen, die sich bilanziell als Forderungen oder Verbindlichkeiten niederschlagen. Personengesellschaften führen deshalb gesellschafterbezogene Eigenkapital- und Fremdkapitalkonten. Diese Gesellschafterkonten werden so gut wie immer durch den Gesellschaftsvertrag festgelegt, nicht selten später aber praktisch abweichend vom Gesellschaftsvertrag geführt. Für die Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapitalkonto ist die Bezeichnung des Kontos nicht maßgebend. Ausschlaggebend sind vielmehr die auf den jeweiligen Konten gebuchten Geschäftsvorfälle. Werden z.B. Verluste auf dem Konto eines Kommanditisten gebucht, spricht dies für das Vorliegen eines Eigenkapitalkontos, da den Kommanditisten keine Nachschusspflicht trifft. Das Steuerrecht knüpft in einigen Fällen an Eigenkapital oder Fremdkapital an, so dass die Unterscheidung zwischen Eigenkapitalkonten 67 Fn. 56. 68 Zu der Streitfrage vgl. BFH, Beschl v. 10.4.2013 – I R 80/12, BStBl. II 2013, 1004; dazu näher Wendt, StbJb. 2014/2015, 3, 15.

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und Konten, die Fremdkapital (also aus Sicht der Gesellschaft Forderungen bzw. Verbindlichkeiten) ausweisen, steuerrechtlich von erheblicher Bedeutung ist. Bedeutsam kann aber auch die bilanzielle Behandlung des Eigenkapitals selbst sein. Das hängt damit zusammen, dass steuerrechtliche Normen an die Gewährung von Gesellschaftsrechten anknüpfen (insbesondere § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG und § 24 Abs. 2 UmwStG). Diesen Regelungen liegt zugrunde, dass die Gewährung von Gesellschaftsrechten in der Vergangenheit von der Rechtsprechung als eine Leistung der Gesellschaft an den Gesellschafter verstanden worden ist. So heißt es in dem BFHUrteil vom 19.10.1998 – VIII R 69/9569: „Bringt der Gesellschafter einer Personengesellschaft bei deren Gründung ein Wirtschaftsgut seines Privatvermögens (hier: eine wesentliche Beteiligung i.S. von § 17 EStG) in die Personengesellschaft gegen die Gewährung eines Mitunternehmeranteils ein, so handelt es sich um einen tauschähnlichen Vorgang. Die empfangende Personengesellschaft hat als „Anschaffungskosten“ für das eingebrachte Wirtschaftsgut dessen gemeinen Wert zu aktivieren. Entsprechende Grundsätze gelten auch dann, wenn die Einbringung des betreffenden Wirtschaftsguts gegen Gewährung von Personengesellschaftsrechten und ein weiteres Entgelt (z.B. Gutschrift auf einem Forderungskonto des einbringenden Gesellschafters bei der Personengesellschaft) erfolgt.“

Seither stellt sich die Frage, ob jede Buchung auf einem Eigenkapitalkonto als eine Gewährung von Gesellschaftsrechten anzusehen ist. Führt die Gesellschaft mehrere Eigenkapitalkonten, bestimmt grundsätzlich ein Konto den Anteil des Gesellschafters am Vermögen der Gesellschaft. Nach diesem Anteil werden in der Regel auch die Mitwirkungsrechte des Gesellschafters bemessen. Eine Buchung auf diesem meist Kapitalkonto I genannten Konto wird deshalb zweifelsfrei als Anhaltspunkt für gewährte Gesellschaftsrechte herangezogen werden müssen. Anders kann dies aber bei einem sog. Kapitalkonto II sein, wenn dieses variabel ausgestaltet ist und bei der Bemessung des Anteils am Vermögen und Liquidationserlös sowie der Mitwirkungsrechte nicht berücksichtigt wird. Die Finanzverwaltung sah allerdings bislang auch ein solches Kapitalkonto II als Ausweis von Gesellschaftsrechten an70. Mit dieser Frage befassen sich zwei Urteile des BFH in weitgehend parallel gelagerten Fällen71, von denen das erste nachstehend vorgestellt wird. 69 BFH, Urt. v. 19.10.1998 – VIII R 69/95, BStBl. II 2000, 230. 70 BMF, Schr. v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 713. 71 BFH, Urt. v. 29.7.2015 – IV R 15/14, BStBl. II 2016, 593 und v. 4.2.2016 – IV R 46/12, BStBl. II 2016, 607.

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3.2. Kapitalkonto II repräsentiert keine Gesellschaftsrechte 3.2.1. Das BFH-Urteil vom 29.7.2015 – IV R 15/14 Ein Landwirt hatte zum Abbau eines auf einem eigenen Grundstück entdeckten Bodenschatzes eine GmbH & Co. KG gegründet, deren einziger Kommanditist er war. Er übertrug das Grundstück sowie den Bodenschatz auf die KG, und zwar laut Einbringungsvertrag jeweils gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten. Tatsächlich schrieb die KG die vereinbarten Beträge auf dem Kapitalkonto II gut. Welchen Anteil der Gesellschafter am Vermögen der Gesellschaft hatte und welche Gewinnbezugs- und Stimmrechte ihm zustanden, ergab sich allein aus dem Kapitalkonto I. Auf den Buchwert des Bodenschatzes nahm die KG AfS vor. Das FA war der Meinung, AfS dürften nach den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats vom 4.12.2006 GrS 1/0572 nicht vorgenommen werden, weil der Bodenschatz im Privatvermögen entdeckt und dann eingelegt worden sei. Weder die Klage73 noch die Revision hatten Erfolg. Der BFH74 entschied, dass keine Einbringung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten, sondern eine Einlage vorliege, wenn der Kommanditist einer KG dieser ein Wirtschaftsgut gegen Gutschrift des Gegenwerts allein auf seinem Kapitalkonto II übertrage und gesellschaftsvertraglich vereinbart ist, dass sich die maßgeblichen Gesellschaftsrechte nach dem aus dem Kapitalkonto I folgenden festen Kapitalanteil richten. Damit vertrat der BFH ausdrücklich eine andere Meinung als die Finanzverwaltung in dem BMF-Schreiben vom 11.7.201175. 3.2.2. Folgerungen für Einbringung von Privat- und Betriebsvermögen Gesellschaftsrechte werden nach Meinung des BFH nur gewährt, wenn erstmalig ein Gesellschaftsanteil übernommen oder der Kapitalanteil an der Gesellschaft erhöht wird, aus dem sich die Gewinnbezugsrechte er72 BFH, Beschl. v. 4.12.2006 – GrS 1/05, BStBl. II 2007, 508. 73 Niedersächsisches FG, Urt. v. 22.1.2014 – 3 K 314/13, EFG 2014, 900. 74 BFH, Urt. v. 29.7.2015 – IV R 15/14, BStBl. II 2016, 593 mit Anm. etwa von Bode, NWB 2016, 464; Hoffmann, StuB 2016, 485; Kleinmanns, BB 2016, 1906; Kraft, NWB 2016, 996; Krohn, AktStR 2016, 243; Levedag, GmbHR 2016, 464; Otto, BB 2016, 497; Rätke, StuB 2016, 287; Schimmele, GmbH-StB 2016, 63; Schmudlach, NWB 2016, 3305; Schulze-Osterloh, BB 2016, 945; Strahl, BeSt 2016, 13; ders., KÖSDI 2016, 20021; Wendt, BFH/PR 2016, 95. 75 Fn. 70, unter I.2.

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geben. Wird dieser Kapitalanteil nach einem Festkapital auf dem Kapitalkonto I bestimmt, kann eine Erhöhung der Gesellschaftsrechte nur bei einer Erhöhung des Kapitalkontos I vorliegen. Wird dieses Konto – wie im Urteilsfall – bei der Gegenbuchung für die Einbuchung einer Sacheinlage nicht zumindest teilweise erhöht, sind dem Gesellschafter danach keine Gesellschaftsrechte gewährt worden. Damit widerspricht der BFH ausdrücklich der der bisherigen Rechtsansicht des BMF, das auch das Kapitalkonto II als Ausweis von Gesellschaftsrechten ansah76. Mittlerweile hat sich das BMF der Auffassung des BFH angeschlossen77. Danach sind mit der Buchung je nach Qualifikation des Gegenkontos, auf dem bei der Einbringung eines Wirtschaftsguts in das Gesamthandsvermögen gebucht wird, unterschiedliche ertragsteuerliche Folgen verbunden. Einbringung von Privatvermögen gegen Buchung auf einem Gegenkonto: Wird die Gegenbuchung nur auf dem Kapitalkonto I bzw. einem anderen Konto, das Gesellschaftsrechte ausweist, vorgenommen, ist die Einbringung als tauschähnlicher Vorgang anzusehen, bei dem das Entgelt in dem zahlenmäßig durch den gebuchten Betrag bestimmt wird. Befand sich das eingebrachte Wirtschaftsgut zuvor im Privatvermögen, löst der Vorgang dort dann keine Folgen aus, wenn weder § 17 Abs. 1 EStG noch § 20 Abs. 2 EStG noch § 23 Abs. 1 EStG erfüllt sind. Im Wesentlichen wird es sich dabei um die Einbringung von Grundstücken handeln, die länger als 10 Jahre zum Vermögen des Einbringenden gehören. In allen anderen Fällen löst die Einbringung aus dem Privatvermögen ESt beim Einbringenden aus. Wird die Buchung nur auf einem Fremdkapitalkonto vorgenommen, treten bei Einbringungen aus dem Privatvermögen vergleichbare Rechtsfolgen für die ESt des Einbringenden ein. Denn mit der Buchung wird zum Ausdruck gebracht, dass der Einbringende als Gegenleistung eine Forderung gegenüber der Gesellschaft eingeräumt erhalten hat. Auch dies ist ein tauschähnlicher Vorgang. Findet die Gegenbuchung jedoch ausschließlich auf einem Eigenkapitalkonto statt, das keine Gesellschaftsrechte ausweist (häufig bei einem 76 BMF, Schr. v. 11.11.2011, Fn. 70. 77 BMF, Schr. v. 26.7.2016, BStBl. I 2016, 684, zugleich mit einer Übergangsregelung, wonach für Übertragungen bis zum 31.12.2016 auf übereinstimmenden Antrag des Einbringenden und der Personengesellschaft die bisherige Handhabung der Verwaltung weiter Anwendung findet.

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Kapitalkonto II anzunehmen, außerdem etwa bei Buchung auf dem Konto „Gesamthänderisch gebundene Rücklage“), ist der Vorgang als unentgeltlich zu behandeln und folgt damit den Grundsätzen für eine Einlage. Einbringung von Privatvermögen gegen Buchung auf mehreren Gegenkonten: Wird sowohl auf einem Fremdkapitalkonto als auch auf einem Gesellschaftsrechte ausweisenden Eigenkapitalkonto gebucht, ist die Einbringung als tauschähnlicher Vorgang zu werten, bei dem sich die Gegenleistung aus der Addition der auf beiden Konten gebuchten Beträge ergibt. Insoweit ergeben sich keine Besonderheiten gegenüber der Buchung auf nur einem solchen Konto. Im Ergebnis ebenso verhält es sich, wenn teils auf einem Konto gebucht wird, das Gesellschaftsrechte ausweist und teils auf einem anderen Eigenkapitalkonto. Bisher hat der BFH solche Vorgänge als entgeltlich in Höhe der Summe aus beiden Gegenbuchungen beurteilt78, und zwar unabhängig davon, in welcher absoluten oder relativen Höhe die Buchung auf dem Gesellschaftsrechte ausweisenden Konto stattfindet. Die Finanzverwaltung hat sich dieser Auffassung unter Aufgabe der von ihr zuvor vertretenen Meinung angeschlossen79. Danach ist es möglich, einen Vorgang als voll entgeltlich erscheinen zu lassen, wenn auch nur in Höhe von 1 Euro Gesellschaftsrechte gewährt werden. Im Urteil vom 29.7.2015 – IV R 15/1480 hat der BFH die Frage ausdrücklich angesprochen, ohne erneut darüber entscheiden zu müssen. Er ließ dabei offen, ob er angesichts der jetzt gefundenen Einordnung des Kapitalkontos II an seiner Sichtweise bei gemischten Buchungen festhalten wird. Wird teilweise auf einem Gesellschaftsrechte ausweisenden Konto und teilweise auf einem Fremdkapitalkonto gebucht, ist unzweifelhaft von einem Entgelt in Höhe der Summe der Gegenbuchungen auszugehen. Zweifel können sich nur bei Buchungen auf einem anderen Eigenkapitalkonto sowie einem Fremdkapitalkonto ergeben. Ob man auch insoweit von einem in Höhe der Summe der Gegenbuchungen entgeltlichen Vorgang ausgehen kann, ist deshalb diskussionswürdig, weil anders als bei Buchungen auf zwei verschiedenartigen Eigenkapitalkonten nicht auf den Grundsatz des einheitlichen Kapitalanteils zurückgegriffen werden kann. Hier ist m.E. von einem Entgelt nur in Höhe der Buchung auf

78 BFH, Urt. v. 24.1.2008 – IV R 37/06, BStBl. II 2011, 617. 79 BMF, Schr. v. 11.11.2011, Fn. 70. 80 Fn. 74.

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dem Fremdkapitalkonto auszugehen, was wohl auch die Meinung der Finanzverwaltung sein dürfte81. Einbringung von Betriebsvermögen: Hat der Einbringende das Wirtschaftsgut bisher in einem anderen Betriebsvermögen gehalten, sind die Regelungen des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG zu beachten. Soweit eine Übertragung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten erfolgt, ist der Vorgang m.E. wie eine unentgeltliche Übertragung zu behandeln, weil die Übertragung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten der unentgeltlichen Übertragung gleichgestellt wird. Der BFH hat zwar zur Rechtslage vor Einführung des § 6 Abs. 5 EStG eine andere Auffassung vertreten82. Diese ist m.E. aber durch die ausdrückliche Gleichstellung unentgeltlicher Übertragungen und solcher gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten in § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG überholt. Gleichwohl will die Finanzverwaltung die Grundsätze jener Entscheidung auch nach heutiger Rechtslage weiter anwenden. Sie behandelt danach die Übertragung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten nach denselben Kriterien, die auch bei der Gewährung eines anderen Entgelts anzuwenden sind. Ein solches anderes Entgelt ist auch in der Buchung auf einem Fremdkapitalkonto zu sehen. Diese führt nach dem Verständnis des IV. Senats des BFH von der Trennungstheorie dazu, dass ein Gewinn im abgebenden Betriebsvermögen entsteht, soweit die Gegenbuchung den Buchwert des Wirtschaftsguts übersteigt. Ob diese Auffassung zutrifft, ist streitig und wird vom Großen Senat des BFH zu klären sein83.

81 BMF, Schr. v. 11.11.2011, Fn. 70, unter II.1. 82 BFH, Urt. v. 11.12.2001 – VIII R 58/98, BStBl. II 2002, 420. 83 BFH, Beschl. v. 27.10.2015 – X R 28/12, BStBl. II 2016, 81.

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Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Kapitalgesellschaften Professor Dr. Thomas Rödder Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Bonn Professor Dr. Klaus-Dieter Drüen Ludwig-Maximilians-Universität München Inhaltsübersicht I. Rechtsprechungs-Highlights zu § 8b KStG 1. Veräußerungskosten nach § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG bei ausschließlich auf Anteilsveräußerungen ausgerichtetem Geschäftsbetrieb 2. Private Equity-Gesellschaft als Finanzunternehmen i.S.d. § 8b Abs. 7 KStG II. Rechtsprechungs-Highlights zu § 8c KStG III. Rechtsprechungs-Highlights zu § 27 KStG IV. Rechtsprechungs-Highlights zur Organschaft 1. Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages auf mindestens fünf Jahre bei rückwirkender Teilbetriebsausgliederung auf erworbene Vorratsgesellschaft

2. Organschaft: Auskunftsgebühr bei doppelter Antragstellung V. Rechtsprechungs-Highlights zu §§ 20 ff. UmwStG 1. Buchwertaufstockung bei Einbringung eines Mitunternehmeranteils mit negativem Kapitalkonto in eine Kapitalgesellschaft; keine Saldierung bei Einbringung mehrerer Anteile in einem einheitlichen Vorgang 2. Negativer Geschäftswert bei Einbringung 3. Besteuerung des Einbringungsgewinns II nach einer Aufwärtsverschmelzung

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I. Rechtsprechungs-Highlights zu § 8b KStG 1. Veräußerungskosten nach § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG bei ausschließlich auf Anteilsveräußerungen ausgerichtetem Geschäftsbetrieb Im Urteil vom 15.6.20161 hat der BFH zum Ausdruck gebracht, dass zu den Veräußerungskosten i.S.v. § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG alle Aufwendungen gehören, die durch die Veräußerung der Anteile veranlasst sind2. Hiernach sind auch Gemeinkosten jedenfalls dann als Veräußerungskosten zu qualifizieren, wenn der Geschäftszweck einer Kapitalgesellschaft ausschließlich darin besteht, Vorratsgesellschaften zu gründen und die hierbei erlangten Anteile zu veräußern. Der entschiedene Sachverhalt stellt sich wie folgt dar:

Der Geschäftsgegenstand der A-AG und ihrer Organgesellschaften bestand ausschließlich in der Gründung und dem Vertrieb von Vorratsgesellschaften, bei denen es sich nahezu ausnahmslos um Kapitalgesellschaften handelte. Im Streitjahr erklärte die A-AG aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen unter § 8b Abs. 2 KStG fallende und damit steuerfreie Gewinne, welche im Rahmen der bestehenden Organschaft der Klägerin (AG [OT]) zugerechnet wurden. Bei der Berechnung dieser Veräußerungsgewinne berücksichtigte die A-AG Notarkosten, Gerichtskosten, etwaige 1 I R 64/14, DStRE 2016, 2335. 2 S. auch BFH v. 12.3.2014 – I R 45/13, BStBl. II 2014, 719, sowie v. 9.4.2014 – I R 52/12, BStBl. II 2014, 861.

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Sonderkosten (wie z.B. IHK-Beiträge oder Kosten für den elektronischen Bundesanzeiger) sowie die Kapitaleinlagen als Veräußerungskosten i.S.d. § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG. Ihre sonstigen Verwaltungsaufwendungen wie z.B. Mieten für Geschäftsräume, Personalkosten und sonstige laufende Aufwendungen ihres Geschäftsbetriebs wurden demgegenüber als allgemeine Betriebsausgaben der Gesellschaft behandelt und minderten insoweit das der Klägerin zuzurechnende (steuerpflichtige) Einkommen der A-AG. Im Wesentlichen begründete der BFH seine Entscheidung wie folgt3: –

Der Veräußerungsgewinn i.S.v. § 8b Abs. 2 S. 1 KStG ist nach Satz 2 der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Buchwert übersteigt.



Es kommt bei der Bestimmung der von § 8b Abs. 2 KStG erfassten Veräußerungskosten nicht darauf an, ob Kosten in „unmittelbarer sachlicher Beziehung“ zur Veräußerung stehen, sondern auf den Veranlassungszusammenhang zu der Veräußerung. Das „auslösende Moment“ für die Entstehung der Kosten und ihre größere Nähe zur Veräußerung oder zum laufenden Gewinn sind relevant.



Danach sind auch sog. Gemeinkosten, z.B. allgemeine Verwaltungs-, Raum- oder Personalkosten, als Veräußerungskosten zu qualifizieren, soweit sie bei der gebotenen wertenden Zuordnung eine größere Nähe zu einzelnen Veräußerungsvorgängen als zum allgemeinen Geschäftsbetrieb aufweisen. Besteht der Geschäftsbetrieb ausschließlich darin, Kapitalgesellschaftsanteile zu gründen und die hierbei erlangten Anteile zu veräußern, handelt es sich bei den Gemeinkosten des Geschäftsbetriebs zugleich um Kosten, die den einzelnen Veräußerungsvorgängen (in ihrer Gesamtheit) zuzuordnen sind.4



Die 5 %-Regelung des § 8b Abs. 3 S. 1 KStG steht dem nicht entgegen.

Nach hier vertretener Auffassung ist die Entscheidung des BFH – wenn auch aus Sicht des Stpfl. problematisch – im Grundsatz nachvollziehbar und hat auch seine Fortsetzung in einer jüngeren Entscheidung zu § 34c 3 Es war kein § 8b Abs. 7 KStG-Fall gegeben, da es sich bei der Gründung von Vorratsgesellschaften um keinen „abgeleiteten Anteilserwerb“ handelte. S. auch schon BFH v. 3.5.2006 – I R 100/05, BStBl. II 2007, 60; v. 12.10.2010 – I B 82/10, BFH/NV 2011, 69. 4 Tatsächlich hatte das FA 95 % der Gemeinkosten § 8b Abs. 2 KStG zugeordnet, weil in geringem Umfang auch Personengesellschaftsanteile veräußert wurden. Der BFH bezeichnete dies als vernachlässigbar.

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Abs. 1 S. 4 EStG gefunden.5 In wertender Sicht liegt die Zuordnung von Gemeinkosten nahe, wenn der Stpfl. nichts anderes als die Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen macht. Einer Zuordnung zu einer einzelnen konkreten Veräußerung bedürfe es dann (aber auch nur dann) nicht. Der BFH hält dementsprechend das Gegenargument, dass Gemeinkosten auch dann anfallen, wenn keine Beteiligungen veräußert werden, nicht für relevant. Das ändere nichts an einer veranlassungsbezogenen Zuordenbarkeit. Auch die Rechtsprechung zu fehlgeschlagenen Veräußerungskosten, die eine Zuordnung zu § 8b Abs. 2 KStG bei nicht erfolgter Veräußerung ablehnt,6 stehe dem nicht entgegen. Wichtig ist, dass es sich um eine Entscheidung zu dem Sonderfall handelt, dass der Stpfl. im Wesentlichen nur Kapitalgesellschaftsanteile veräußert hat. In anderen Fällen dürfte die Zuordnung von Gemeinkosten zu konkreten einzelnen Veräußerungsvorgängen schwieriger sein (s. nun aber auch die o.a. jüngere Entscheidung des BFH zu § 34c Abs. 1 S. 4 EStG). Sehr interessant ist auch der Organschaftsbezug im entschiedenen Fall. Der BFH beurteilt explizit trotz der Bruttomethode isoliert nur den Sachverhalt auf Ebene der Organgesellschaft. Kosten auf Ebene des Organträgers werden also offensichtlich nicht in die Berechnung des § 8b Abs. 2 KStG-Gewinns auf Ebene der Organgesellschaft einbezogen. Diese Aussage hat für die Praxis eine große Bedeutung. Anmerkung Drüen: Das Urteil des Bundesfinanzhofs I R 64/14 betrifft einen besonderen Fall, in dem der Geschäftszweck der Kapitalgesellschaft ausschließlich darin besteht, Vorratsgesellschaften zu gründen und deren Anteile später zu veräußern. Diese Besonderheit des Einzelfalles mit der besonderen Zwecksetzung der Gesellschaft steht einer allgemeinen Übertragbarkeit auf andere Fälle entgegen. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, dass auch Gemeinkosten, die nicht spezifisch einem Geschäftsfeld oder einzelnen Transaktionen zuzuordnen sind, als Veräußerungskosten zu qualifizieren sind, gilt aus meiner Sicht nur für diese besondere Konstellation. Verallgemeinerungsfähig ist dagegen der Rechtsmaßstab zur Abgrenzung der Veräußerungskosten nach § 16 Abs. 2 S. 1 EStG von den laufenden Betriebsausgaben. Der Bundesfinanzhof grenzt nicht danach ab, ob diese in unmittelbarer sachlicher Beziehung zum Veräußerungsgeschäft stehen, sondern danach, ob ein Veranlas5 BFH v. 6.4.2016 – I R 61/14, BStBl. II 2017, 48. 6 BFH v. 19.5.2005 – IV R 17/02, BStBl. II 2005, 637.

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sungszusammenhang zu der Veräußerung besteht. Abzustellen ist danach auf das „auslösende Moment“. Die Zuordnung nach dem Veranlassungszusammenhang setzt eine wertende Betrachtungsweise voraus. Das Veranlassungsprinzip ist dafür im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht der allgemeine Wertungsmaßstab. Die Zuordnung von Veräußerungskosten zu Veräußerungsgewinnen muss aber bei § 8b Abs. 2 S. 1 KStG nicht zwingend deckungsgleich mit der bei § 3c EStG sein. Allgemein ist Veranlassung nicht zwingend monokausal oder monofinal. Vielfach sind auch multikausale oder multifinale Veranlassungszusammenhänge denkbar, die eine besonders begründete Wertung im Einzelfall erfordern. Für den Urteilsfall I R 64/14 weicht der I. Senat bei seiner wertenden Zuordnung ausdrücklich von der Wertung des früheren Vorsitzenden Dietmar Gosch ab. Da der Geschäftsbetrieb ausschließlich auf die Veräußerung von Kapitalgesellschaften gerichtet ist, sind die Gemeinkosten bei der gebotenen wertenden Betrachtung – entgegen der Einschätzung von Gosch zur Vorinstanz – als durch die Veräußerungsvorgänge veranlasst anzusehen. Während Gosch keine konkrete Zuordnung zu einzelnen Vorgängen annimmt, sieht es der I. Senat unter den beschriebenen Umständen anders.

2. Private Equity-Gesellschaft als Finanzunternehmen i.S.d. § 8b Abs. 7 KStG In seinem Urteil vom 30.9.20147 statuierte das Finanzgericht München, dass auch Private Equity-Gesellschaften Finanzunternehmen i.S.d. KWG und damit des § 8b Abs. 7 KStG sein können, wenn sie als Geschäftszweck auch den Erwerb und das Halten von Beteiligungen haben. Dass die Tätigkeit des Erwerbs und Haltens von Beteiligungen bei mehreren unterschiedlichen zugleich ausgeübten Tätigkeitsbereichen die „Haupttätigkeit“ i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 KWG a.F. darstellt, kann sich danach daraus ergeben, dass der überwiegende Teil der erzielten Bruttoerträge hierauf entfällt und die Werte der Beteiligungen den überwiegenden Teil des Aktivvermögens bilden. Weiter führt das FG aus, dass für die Frage, ob eine Eigenhandelsabsicht vorliegt, sich eine weisungsgebundene Tochtergesellschaft das Wissen der Konzernmutter zurechnen lassen muss, und dass es für die Bejahung der Eigenhandelsabsicht genügt, wenn der Geschäftsführer bereits im Erwerbszeitpunkt der Aktien weiß, dass grundsätzlich ein Weiterverkauf 7 6 K 1766/11, DStRE 2016, 1036.

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der Aktien in Betracht kommt, ohne dass er bereits im Detail darüber informiert sein muss. Der entschiedene Sachverhalt gestaltete sich wie folgt:

In den Jahren 2000 bis 2010 erwarb die GmbH insgesamt 13 Beteiligungen, die sie durchweg im Anlagevermögen bilanzierte. Fünf dieser Beteiligungen veräußerte die GmbH wieder, davon eine mit Gewinn und zwei innerhalb von 12 Monaten. Mit Kaufvertrag vom November 2004 erwarb die GmbH Stückaktien an der X-AG (Anteil von 1,02 %). Die Aktien bilanzierte die GmbH als Anlagevermögen. In 2005 erfolgte der Börsengang der X-AG. Die GmbH veräußerte die Aktien im Zuge des IPO mit Gewinn. Im Einzelnen begründete das Finanzgericht seine Entscheidung wie folgt: –

Die GmbH war Finanzunternehmen i.S.v. § 8b Abs. 7 S. 2 KStG i.V.m. § 1 Abs. 3 Nr. 1 KWG a.F., da Hauptzweck der Erwerb und das Halten von Beteiligungen war und überwiegend Bruttoerträge hieraus (über mehrere Jahre unter Einbezug der Veräußerungserlöse) bezogen wurden sowie Beteiligungswerte den überwiegenden Teil der Aktiva ausmachten.



Diese Abgrenzung gelte auch für PE-Gesellschaften.



Die X-Aktien wurden mit dem Ziel der Erzielung eines kurzfristigen Eigenhandelserfolgs erworben. Die Buchung im Anlagevermögen war kein gegenläufiges Indiz, da sie erst nach dem Verkauf erfolgt ist.

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Befolgt der Geschäftsführer eine Weisung des Gesellschafters, kommt es bei der Frage der kurzfristigen Eigenhandelserfolgsabsicht auf den Gesellschafterwillen an.



Der Gesellschafter kannte das IPO-Vorhaben. Es reicht für die Bejahung der Absicht der Erzielung eines Eigenhandelserfolgs aus, wenn im Erwerbszeitpunkt die Weiterveräußerung der Aktien in Betracht kam.

Nach hier vertretener Auffassung ist die Entscheidung des FG München zum Teil nachvollziehbar, zum Teil ist sie überraschend und zu weit. Die Abgrenzung des Finanzunternehmens ist auf der Grundlage der einschlägigen BFH-Rechtsprechung8 genauso nachvollziehbar wie die Prüfung der Eigenhandelserfolgsabsicht anhand der Auswertung von Indizien.9 Nachvollziehbar ist auch das Abstellen auf den Willen des Gesellschafters, wenn der Geschäftsführer des Stpfl. dessen Weisung befolgt. Überraschend und zu weit ist dagegen die Annahme einer Eigenhandelserfolgserzielungsabsicht, wenn der Stpfl. nur weiß, dass eine Weiterveräußerung in Betracht kommt, dass sie möglich war; von einer konkreten Planung war nämlich nicht die Rede. Seit dem 1.1.2017 hat die Entscheidung wegen der gesetzgeberischen Änderung des § 8b Abs. 7 KStG indessen nur noch in Ausnahmefällen Bedeutung. Anmerkung Drüen: Die Ausnahme vom Freistellungsverfahren nach § 8b Abs. 1 und 2 KStG für Finanzunternehmen i.S.v. § 8b Abs. 7 KStG ist auf Initiative des Bankenverbandes eingeführt worden. Ihre Reichweite ist umstritten. Da die Rechtsfolgen ambivalent sind, streitet mal die Finanzverwaltung für die Anwendung von § 8b Abs. 7 KStG, mal umgekehrt der Steuerpflichtige. Die rechtskräftige Entscheidung des Finanzgerichts begründet kein Private Equity-Sonderrecht. Auch Private EquityGesellschaften können Finanzunternehmen sein, wenn sie auch den Erwerb oder das Halten von Beteiligungen zum Geschäftszweck haben. Für die Qualifikation als Haupttätigkeit i.S.d. § 1 Abs. 3 S. 1 KWG a.F. 8 BFH v. 14.1.2009 – I R 36/08, BStBl. II 2009, 671; v. 12.10.2010 – I B 82/10, BFH/ NV 2011, S. 69; v. 26.10.2011 – I R 17/11, BFH/NV 2012, 613; v. 16.10.2012 – I B 63/12, BFH/NV 2013, 255. 9 Es geht um die Feststellung einer im Erwerbszeitpunkt bestehenden Handelsabsicht mit dem Zweck des kurzfristigen Wiederverkaufs aus dem eigenen Bestand, die darauf gerichtet ist, bestehende oder erwartete Unterschiede zwischen Kauf- und Verkaufspreis zu nutzen und dadurch einen Eigenhandelserfolg zu erzielen.

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kommt es auf eine ertrags- und vermögensorientierte Relation an. Grundlegend sind die Aussagen zur Beurteilung der Eigenhandelsabsicht. Absichten und innere Tatsachen zu beurteilen, stellt den Rechtsanwender, nicht nur im Steuerrecht, immer wieder vor Probleme. Subjektive Merkmale bedürfen einer Verobjektivierung, indem aus objektiven und sichtbaren Umständen versucht wird, einen Rückschluss auf die subjektiven Merkmale zu ziehen. Das Finanzgericht München hat entschieden, dass für die Frage der Eigenhandelsabsicht der weisungsgebundenen Tochtergesellschaft das Wissen der Konzernmutter zuzurechnen ist. Wenn das Gericht weiter darauf abstellt, ob grundsätzlich ein Weiterverkauf der Aktien in Betracht kommt, so stellt sich das allgemeine Problem der rückschauenden Betrachtung und Beurteilung. Judging in hindsight bringt erhebliche Risiken. Steuerrechtlich kommt es auf die Tatbestandsverwirklichung an, entscheidend ist der Handlungszeitpunkt, nicht der spätere Zeitpunkt der Tatbestandswürdigung. Im Übrigen ist der Definitionsansatz, ob ein Weiterverkauf in Betracht kommt, nicht deckungsgleich mit der im Gesetz vorausgesetzten Absicht, die zielgerichtetes Handeln voraussetzt. Wenn es dagegen ausreichen soll, dass ein Weiterverkauf „in Betracht kommt“, so wird anstelle der Absicht die bloße Möglichkeit der Veräußerung gesetzt. Das Finanzgericht hat die Revision nicht zugelassen, weil die innere Tatsache allein der tatrichterlichen Würdigung des Finanzgerichtes vorbehalten sei. Sicherlich ist die Frage, ob im konkreten Fall die erforderliche Absicht vorliegt, der Revision durch den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO entzogen. Allerdings ist die Maßstabsfrage von allgemeiner Bedeutung. Befolgt der Geschäftsführer eine Weisung des Gesellschafters, soll es bei der Frage der kurzfristigen Eigenhandelserfolgsabsicht auf den Gesellschafterwillen ankommen. Diese Durchbrechung des Trennungsprinzips wirft Fragen auf: Wäre statt der Weisung des Gesellschafters ein gegebenenfalls davon abweichender Beschluss der Gesellschafterversammlung maßgebend? Welchen indiziellen Wert hat die buchmäßige Behandlung? Kommt es nur auf die Befolgung der Weisung oder auch auf die buchmäßige Abbildung an? Diese allgemeinen Fragen bleiben einstweilen offen, weil das Urteil rechtskräftig ist.

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II. Rechtsprechungs-Highlights zu § 8c KStG Wegfall des Verlustabzugs bei Anteilsübertragung im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge Nach der angefochtenen Entscheidung des FG Münster vom 4.11.201510 führt die Übertragung von mehr als der Hälfte der Geschäftsanteile an einer GmbH bei dieser auch dann zum Wegfall des Verlustabzuges,11 wenn die Anteilsübertragung im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge erfolgt. Rn. 4 des BMF-Schreibens vom 4.7.200812 begründet danach keinen Anspruch auf einen Billigkeitserlass nach § 163 AO bei Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. Denn eine vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommene Härte des Gesetzes könne nicht durch eine Billigkeitsregelung der Finanzverwaltung, sondern nur durch eine Korrektur des Gesetzes behoben werden. Der entschiedene Sachverhalt stellt sich wie folgt dar:

Mit notarieller Urkunde vom 17.12.2008 beschlossen bzw. vereinbarten V und S1 eine Kapitalerhöhung sowie die Teilung und Abtretung eines Geschäftsanteils. Das Stammkapital wurde verhältniswahrend erhöht. Nachfolgend wurde der Geschäftsanteil des V in zwei Geschäftsanteile aufgeteilt und ein Geschäftsanteil von V im Wege der vorweggenommenen Erbfolge mit Wirkung zum 31.12.2008 unentgeltlich auf S1 (S2?) übertragen (. 50 % Nennkapital). Die Zuwendung sollte im Rahmen einer Erbauseinandersetzung nicht gem. §§ 2050, 2052 BGB zur Ausgleichung zu bringen sein; der Empfänger hatte sich die Zuwendung jedoch zum heutigen Verkehrswert, ohne Berücksichtigung eines Geldwertverlustes, im Zeitpunkt des Todes des Veräußerers auf seinen Pflichtteil am Nachlass des Zuwendenden anrechnen zu lassen.

10 9 K 3478/13 F, DStRE 2016, 480, Rev. eingelegt, Az. BFH I R 6/16. 11 Im entschiedenen Fall war die Stille Reserven-Klausel des § 8c KStG noch nicht einschlägig. 12 IV C 7 – S 2745 - a/08/10001, BStBl. I 2008, 736.

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Im Einzelnen begründete das FG Münster seine Entscheidung wie folgt: –

§ 8c Abs. 1 Satz 2 KStG (ggf. i.V.m. § 10a GewStG) in der im Streitjahr 2008 geltenden Fassung versagt den näher bezeichneten Verlustabzug bei Körperschaften vollständig, „wenn innerhalb von fünf Jahren … mehr als 50 % des gezeichneten Kapitals … an einer Körperschaft an einen Erwerber … übertragen werden …“. Ausgehend vom Gesetzeswortlaut fallen alle rechtsgeschäftlichen entgeltlichen oder unentgeltlichen Übertragungen unter § 8c KStG. Damit werden nach dem Wortlaut des § 8c KStG auch Erwerbe im Wege einer vorweggenommenen Erbfolge von diesem erfasst.



Auch aus der Gesetzeshistorie und nach dem Telos der Norm sei die Unschädlichkeit der Anteilsübertragung im Wege vorweggenommener Erbfolge nicht erkennbar. § 8c KStG sei jedenfalls in der a.F. nicht nur Mißbrauchsvermeidungsnorm.



Auch bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften gehe der Verlustabzug bei Übertragungen im Wege vorweggenommener Erbfolge unter. Und eine Gleichbehandlung von Erbfall13 und vorweggenommener Erbfolge bei § 8c KStG sei nicht zwingend.



Eine Billigkeitsmaßnahme sei nicht geboten, da der Gesetzgeber die Härte bewusst in Kauf genommen habe. Auch sei keine von den Gerichten zu beachtende Selbstbindung der Finanzverwaltung gegeben.14

Nach hier vertretener Auffassung ist die Entscheidung des FG Münster bedauerlich, wenn sie auch in ihrem Teil betreffend die Zulässigkeit einer Billigkeitsmaßnahme „Rückenwind“ durch die Entscheidung des GrS zum Sanierungserlass15 bekommen haben dürfte. Die Anteilsübertragung im Wege vorweggenommener Erbfolge (auf eine natürliche Person oder auch auf eine Stiftung) ist kein Sachverhalt, der zum Untergang von Verlustvorträgen und Verlusten in der Kapitalgesellschaft führen sollte, an der die Anteile bestehen. Es liegt eindeutig kein „besteuerungswürdi-

13 Insoweit sei der Gesetzgeber von einer Ausnahme im Verwaltungswege ausgegangen. 14 Im Fall aus Sicht des FG schon deshalb, weil die vorweggenommene Erbfolgeregelung im Sachverhalt nicht den Vorgaben der Finanzverwaltung in Tz. 4 des o.a. BMF-Schreibens entsprochen habe. 15 BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, DStR 2017, 305.

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ger“ Sachverhalt vor.16 Das FG meint offensichtlich, dem sei, wenn überhaupt, nur verfassungsrechtlich beizukommen.17 Demgegenüber sollte noch einmal darüber nachgedacht werden, ob nicht doch auch schon einfachgesetzlich die These der telosfreien Norm in Frage gestellt und auch für die vorweggenommene Erbfolge eine teleologische Reduktion erreicht werden kann. Anmerkung Drüen: Die Frage, ob der Verlust der Verlustvorträge nach § 8c KStG auch bei dem Anteilseignerwechsel im Rahmen vorweggenommener Erbfolge gilt, wird kontrovers beantwortet. Das BMF-Schreiben nimmt eine tatbestandliche Eingrenzung vor, deren Rechtsgrund fragwürdig ist. Das illustriert ein allgemeines Problem des zu weitreichenden Gesetzes, das auf administrativem Wege wieder eingegrenzt werden soll. Insoweit stellt sich die Frage des Vertrauensschutzes, weil administrative Hilfen gegenüber überschießenden gesetzlichen Regelungen nicht gerichtsfest sind. Das zeigt auch die Entscheidung des Finanzgerichts Münster. Hinzu kommt eine unionsrechtliche Dimension, weil die behördliche Hilfe gegenüber dem zu strengen Gesetz eine binnenmarkverfälschende Beihilfe sein kann. Dem Finanzgericht Münster ist insoweit zuzustimmen, dass der weitgefasste Wortlaut alle rechtsgeschäftlichen, und damit auch unentgeltliche, Übertragungen erfasst, so dass auch Erwerbe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge grundsätzlich unter § 8c KStG fallen. Inwieweit eine teleologische Restriktion der Norm möglich ist, ist und bleibt umstritten, weil die Norm zumindest im Übergangszeitraum einen Missbrauchsvermeidungs-Telos kaum erkennen ließ. Ob dieser durch die Neufassung ab 2009 wieder gefunden ist, wird zum Teil angenommen, allerdings sind inverse Zweckbestimmungen durch Rückausnahmen des Gesetzes mit Zweifeln behaftet. Rechtssichere Rechtsanwendungsvorgaben sehen anders aus. Das Argument des Gerichtes, dass auch bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften der Verlustabzug untergehe, überzeugt nicht recht. Denn die Problemlage ist unterschiedlich. Der Rechtsträgerwechsel ist unter Geltung des Subjektsteuerprinzips nur bei Körperschaften möglich. Das Gesetz hebt allein auf den Anteilseignerwechsel ab. Ein Wechsel im „persönlichen Substrat“ bei einer natürlichen Person scheidet dagegen aus. Insoweit hält auch das Finanzgericht Einzelunternehmen und Personengesell16 Zumal die Aussage des FG, bei vorweggenommener Erbfolge gehe auch bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften der Verlustvortrag unter, einkommensteuerlich nicht zutreffend ist. 17 Das FG hatte diese Frage nicht zu behandeln.

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schaften nicht ohne Weiteres für vergleichbar mit einer Kapitalgesellschaft. Dass die verfassungsrechtlichen Fragen allein unter Verweis auf den Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Hamburg offenbleiben, überzeugt indes nicht recht, weil die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung oder Reduktion unangesprochen bleibt. Schließlich bleibt der Ausblick auf die neue Regelung zu fortführungsgebundenen Verlusten durch § 8d KStG. Allerdings schafft der Gesetzgeber dadurch nur eine neue Verlust-Subkategorie und unternimmt keinen aus verfassungsrechtlicher und systematischer Sicht vorzugswürdigen grundlegenden Neustart bei der körperschaftssteuerlichen Verlustkompensation.

III. Rechtsprechungs-Highlights zu § 27 KStG Besteuerung eines ausländischen sog. „Spin-off“-Besteuerung der Einlagenrückgewähr einer Drittstaatengesellschaft verstößt gegen Unionsrecht Der BFH hat in mehreren Urteilen vom 13.7.201618 zum Ausdruck gebracht, dass die Übertragung von Aktien im Rahmen eines US-amerikanischen „Spin-off“ grundsätzlich zu Kapitaleinkünften i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG führt. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG sei danach allerdings unter Fortführung des BFH-Urteils vom 20.10.201019 unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass eine Einlagenrückgewähr auch von einer Gesellschaft getätigt werden kann, die in einem Drittstaat ansässig ist und für die kein steuerliches Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG geführt wird. Eine Rückgewähr von Eigenkapital i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG im Rahmen eines „Spin-off“ einer US-amerikanischen Kapitalgesellschaft liegt danach vor, soweit die Leistungen der Kapitalgesellschaft im Wirtschaftsjahr das Nennkapital und den im Vorjahr festgestellten ausschüttbaren Gewinn übersteigen oder wenn sich dies aus der Bilanz der ausschüttenden Gesellschaft ergibt.

18 VIII R 47/13, BFHE 254, 390 und VIII R 73/13, BFHE 254, 404. 19 I R 117/08, BFHE 232, 15.

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Es ging um folgenden Sachverhalt:

Die Klägerin (n.P.) erwarb im Jahr 2006 500 Aktien der A zu einem Kurs von 59,75 Euro je Aktie. Die A, die ihren Sitz in den USA hat, löste aufgrund eines Beschlusses des Verwaltungsrats (Board of Directors) vom 30.1.2008 ihre Beteiligung an der B zu 100 % aus ihrem Unternehmen heraus. Die Ausgliederung (sog. „Spin-off“) erfolgte zum Stichtag 19.3.2008. Mit Zuteilung vom 28.3.2008 erhielt jeder Anteilseigner für jede A-Aktie eine B-Aktie. Zum 31.3.2008 wurden in das Depot der Klägerin 500 B-Aktien zum Wert von je 31,30 Euro pro Aktie eingebucht. Der Kurswert der A-Aktie sank am 31.3.2008 von 47,22 Euro auf 14,39 Euro. Im Einzelnen argumentiert der BFH wie folgt: –

Im vorliegenden Fall sind Einkünfte aus Kapitalvermögen denkbar. Das Argument, es handelte sich um eine bloße Vermögensumverteilung, überzeuge nicht. Es liegen Einnahmen in Form einer Sachausschüttung vor.



Keine Einnahmen sind allerdings gegeben, soweit für die Ausschüttung Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto nach § 27 KStG verwendet wurden.



Zwar ist ein steuerliches Einlagekonto nur bei unbeschränkt stpfl. Kapitalgesellschaften und nach § 27 Abs. 8 KStG bei EU-Körperschaften explizit geregelt. Der Wortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG, der lediglich „sinngemäß“ auf die Regelung des § 27 KStG verweist, und die Regelung des § 27 KStG selbst schließen eine Einlagenrückgewähr bei einer in einem Drittstaat ansässigen Körperschaft jedoch nicht ausdrücklich aus. Auch der Gesetzgeber hat im Rahmen der Neuregelung des § 27 KStG den Willen, eine nicht steuerbare Einlagenrückgewähr durch eine in einem Drittstaat ansässige Kapitalgesellschaft gänzlich ausschließen zu wollen, nicht klar zum Ausdruck gebracht. 51

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Eine Einlagenrückgewähr könne deshalb auch bei einer Kapitalrückzahlung vorliegen, die von einem Rechtssubjekt gewährt wird, das nicht im Inland oder in einem Mitgliedstaat der EU, sondern in einem Drittstaat ansässig ist. Sonst käme es bei einer Einlagenrückgewähr durch eine in einem Drittstaat ansässige Körperschaft zu einer systemwidrigen Besteuerung der Einlagen. Eine solche würde einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG und die Kapitalverkehrsfreiheit darstellen.



Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Voraussetzungen für eine Einlagerückgewähr rechtfertigen die Ungleichbehandlung nicht. Eine Rückgewähr von Einlagen liege im Rahmen eines „Spin-off“ einer USamerikanischen Kapitalgesellschaft vor, soweit die Leistungen der Kapitalgesellschaft im Wirtschaftsjahr das Nennkapital und den im Vorjahr festgestellten ausschüttbaren Gewinn übersteigen oder wenn sich dies aus der Bilanz der ausschüttenden Gesellschaft ergibt. Ein formales Feststellungsverfahren sei insoweit nicht erforderlich.

Nach hier vertretener Auffassung ist die Entscheidung des BFH zutreffend. Der Verzicht auf ein formales Feststellungsverfahren und damit auch auf die Einhaltung von Fristen bedeutet allerdings eine Besserstellung der Drittstaatenfälle ggü. den Inlands- und den EU-Fällen. Besonders gravierend wäre die Besserstellung auch, wenn die Entscheidung des BFH so zu verstehen sein sollte, dass die in § 27 KStG vorgesehene Verwendungsreihenfolge nicht einzuhalten sein sollte und es bspw. auf die bilanzielle Abbildung der Sachausschüttung in der Drittstaatenkapitalgesellschaft ankommen sollte. Dies ist aber nicht wirklich klar. Anmerkung Drüen: Die Einlagenrückgewähr in Drittstaatenfällen und ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht wird immer wieder diskutiert. Nunmehr hat der Bundesfinanzhof zur Fassung des § 27 KStG nach Einführung des Halbeinkünfteverfahrens und des SEStEG entschieden. Das Einlagekonto ist ein rechtstechnischer Speicher, der gewährleistet, dass Vermögenszugänge durch Kapitaleinlagen der Gesellschafter neutral in die Gesellschaft eingehen und später als Nicht-Einnahmen i.S.d. § 20 EStG steuerneutral auch wieder ausgekehrt werden können. Dieses Einlagekonto ist allerdings ein nationales Instrument. Bei ausländischen Gesellschaften treten naturgemäß Schwierigkeiten ein, das „Leben“ einer ausländischen Gesellschaft in den Kategorien des deutschen Einlagekontos nachzuvollziehen und abzubilden. Dabei ist bei der Anwendung des deutschen Steuerrechts auf ausländische Sachverhalte eine rechtsvergleichende Qualifikation der ausländischen Einkünfte nach deutschem 52

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Recht vorzunehmen. Maßstab ist das deutsche Recht. Dabei gilt unionsrechtsgetrieben ein Gebot der Gleichbehandlung von Auslandsgesellschaften. Der Bundesfinanzhof sieht in der unterschiedlichen Behandlung einer in einem Drittstaat ansässigen Körperschaft einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Das führt zu einem Zusammenwirken der höherrangigen Maßstäbe, denen das einfache Gesetz genügen muss: Auf der einen Seite hat der Gesetzgeber das europäische Unionsrecht mit einem Anwendungsvorrang, auf der anderen Seite den nationalen Gleichheitssatz zu wahren. Beides kombiniert führt zu einer Maßstabserweiterung und -verschärfung. Dabei hat die Kapitalverkehrsfreiheit weitreichende Bedeutung, weil sie auch Drittstaaten-Sachverhalte erfasst. Allein administrative Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Voraussetzung für eine Einlagenrückgewähr in Fällen, in denen in Drittstaaten ansässige Gesellschaften betroffen sind, erkennt der Bundesfinanzhof nicht als Rechtfertigungsgrund an. Am Rande ist hervorzuheben, dass das Finanzgericht bei der Beurteilung der Frage einer Einlagenrückgewähr seine Entscheidung auf ein von ihm eingeholtes Gutachten über die US-amerikanische Rechtslage gestützt hat. Schließlich ist für die Rechtspraxis bei der Durchsetzung einer belegten Einlagenrückgewähr wichtig, dass ein formelles Feststellungsverfahren nicht erforderlich sein soll. Da im Verfahrensrecht kein Feststellungsverfahren gesetzlich angeordnet ist, wäre es nach dem Grundsatz gesetzlicher Feststellungsklarheit auch nicht zulässig.

IV. Rechtsprechungs-Highlights zur Organschaft 1. Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages auf mindestens fünf Jahre bei rückwirkender Teilbetriebsausgliederung auf erworbene Vorratsgesellschaft Das FG Düsseldorf hat in seinem angefochtenen Urteil vom 3.3.201520 entschieden, dass § 14 Abs. 1 KStG für die steuerliche Anerkennung von Gewinnabführungsverträgen keine fünfjährige finanzielle Eingliederung fordert, sondern eine fünfjährige Mindestdauer des Gewinnabführungsvertrages. Die fünfjährige Mindestdauer gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG sei ein auf tatsächliche Umstände abstellendes Tatbestandsmerkmal, das einer fiktiven Rückbeziehung nicht zugänglich sei.

20 6 K 4332/12 K F, Rev. eingelegt, Az. BFH I R 19/15.

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Der Sachverhalt stellt sich wie folgt dar:



Gründung der B-GmbH im Februar 2005 und Erwerb der Anteile an der B-GmbH durch die A-GmbH im August 2005.



Ausgliederung eines Teils des Vermögens der A-GmbH mit Rückwirkung zum 1.1.2005 auf die B-GmbH.



Abschluss eines EAV im August 2005 mit Beginn zum 1.1.2005 zwischen A- und B-GmbH, Kündigungsmöglichkeit mit Ablauf des 31.12.2009.

Im Einzelnen begründete das FG Düsseldorf seine Entscheidung wie folgt: –

Der EAV sei nicht auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen, § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG sei deshalb nicht erfüllt.



Die Bemessung der Mindestdauer erfolgte nach Zeitjahren, nicht nach Wirtschaftsjahren.



Zwar sei nach dem Wortlaut des EAV die fünf Jahre Mindestvertragsdauer gegeben, die Organgesellschaft sei aber erst in 02/05 gegründet worden.



Die Anerkennung der rückwirkenden finanziellen Eingliederung durch den BFH21 sei von der Mindestdauer des EAV zu unterscheiden.



Die Mindestdauer sei ein eigenständiges Merkmal, das auf tatsächliche Umstände abstelle. Ein fiktiver Rückbezug nach § 2 Abs. 1 UmwStG setze zumindest die Existenz des übernehmenden Rechtsträgers voraus, falls er auf die Berechnung der Mindestdauer überhaupt Anwendung finde.

Nach hier vertretener Auffassung ist es zwar zutreffend, dass die fünfjährige Mindestvertragsdauer nach Zeitjahren zu bemessen ist22 und dass die Mindestvertragsdauer neben dem Merkmal der finanziellen Eingliederung steht. Es ist aber so, dass das gesamte seit dem 1.1.2005 auf 21 BFH v. 28.7.2010 – I R 89/09, BStBl. II 2011, 528. 22 BFH v. 12.1.2011 – I R 3/10, BStBl. II 2011, 727.

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den ausgegliederten Teilbetrieb entfallende handelsrechtliche Ergebnis im vorliegenden Fall Gegenstand der Gewinnabführung war und der in der Anforderung der Mindestvertragslaufzeit verkörperte Willkürvermeidungsgedanke23 deshalb keine Veranlassung bietet, den Abschluss des EAV mit Wirkung auf einen Tag vor der Gründung der Organgesellschaft steuerlich zu ignorieren. Anmerkung Drüen: Die Entscheidung des Finanzgerichts Düsseldorf 6 K 4332/12 K, F betrifft eine rückwirkende Teilbetriebsausgliederung. Die Frage des Zusammenwirkens von Umwandlungssteuergesetz und § 14 KStG ist spannend, zumal rechtskonstruktiv verschiedene Lösungen möglich erscheinen. Die Organschaft wurde als Rechtsinstitut ursprünglich durch die Rechtsprechung entwickelt und erst spät 1977 in den §§ 14 ff. KStG geregelt. Bei dieser Kodifikation wurden die ertragsteuerliche Organschaft und ihre Rechtsfolgen mitunter nicht hinreichend mit anderen Regelungsbereichen gesetzlich verzahnt und abgestimmt. Konkret geht es um die Frage, wie weit die Rückwirkung nach § 2 Abs. 1 UmwStG reicht. Das Urteil stammt vom Körperschaftsteuersenat des Finanzgerichts Düsseldorf (hausinterne Anmerkung von Graw, EFG 2015, 953), dem ich angehöre, so dass ich mir Zurückhaltung auferlege. Das Urteil enthält neue Aussagen zum Erfordernis der Existenz der Gesellschaft im Rückwirkungszeitraum, die zum Teil als „überraschend“ angesehen werden (so Brühl, DStR 2015, 1896, 1897). Das Erfordernis einer fünfjährigen Mindestlaufzeit statt der fünfjährigen finanziellen Eingliederung wird in der Literatur bereits bezweifelt (Walter, GmbHR 2015, 545, 546). Dagegen hat die Entscheidung in dem Punkt Zuspruch gefunden, dass die fünfjährige Mindestlaufzeit des Ergebnisabführungsvertrages ein auf tatsächliche Umstände abstellendes Tatbestandsmerkmal ist, das einer fiktiven Rückbeziehung nicht zugänglich ist (Walter, GmbHR 2015, 545, 546). Die höchstrichterlich noch offene und entscheidende Frage ist, ob § 14 Abs. 1 S. 2 KStG in Verbindung mit § 20 Abs. 5 UmwStG eine Rückwirkung eröffnet. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit der abstrakte Zweck der Missbrauchsverhinderung einen Rückbezug auch dann verhindert, wenn sich konkret der Steuerstatus durch die Umstrukturierung nicht verbessert. Der Senat bejaht diese Frage mit dem Argument der typisierenden Missbrauchsabwehr. Diese Auslegung ist möglich, aber nicht zwingend, weil trotz der gesetzlichen Typisierung des Zeitraums auf 60 Monate § 2 Abs. 1 UmwStG Anwendung finden könnte. Überdies könnte die Typisierung im Einzelfall bei fehlender Manipulati23 BFH, a.a.O.

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on durchaus als widerlegbar anzusehen sein. Darüber hat der BFH nunmehr zu befinden. Die Revision ist anhängig (I R 19/15).

2. Organschaft: Auskunftsgebühr bei doppelter Antragstellung Der BFH entschied im Urteil vom 9.3.201624, dass, wenn sowohl der Organträger als auch die Organgesellschaft einer ertragsteuerlichen Organschaft eine verbindliche Auskunft in Bezug auf den gleichen Sachverhalt beantragen,25 bei beiden Antragstellern eine Auskunftsgebühr anfällt. Dazu ist anzumerken, dass die Annahme der Organschaft für einen der beiden Stpfl. nachteilig sein kann, weshalb es nahegelegen hätte, jedenfalls nicht zwei Gebühren nach Gegenstandswerten für zutreffend zu halten. Das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens hat nun entsprechend in § 89 Abs. 3 AO geregelt, dass nur noch eine Gebühr anfällt. Anmerkung Drüen: Das Ergebnis der Vorinstanz, des Finanzgerichts Köln, hat der Gesetzgeber in Korrekturgesetzgebung zugunsten der Steuerpflichtigen nunmehr in § 89 AO gesetzlich verankert. Das ist überzeugend.

V. Rechtsprechungs-Highlights zu §§ 20 ff. UmwStG 1. Buchwertaufstockung bei Einbringung eines Mitunternehmeranteils mit negativem Kapitalkonto in eine Kapitalgesellschaft; keine Saldierung bei Einbringung mehrerer Anteile in einem einheitlichen Vorgang Im angefochtenen Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 10.2.201626 entschied dieses Folgendes: Übersteigen bei der Einbringung eines Mitunternehmeranteils in eine Kapitalgesellschaft die Passivposten des eingebrachten Betriebsvermögens die Aktivposten, sind die stillen Reserven bis zur Höhe des negativen steuerlichen Eigenkapitals durch Aufstockung der Buchwerte aufzudecken.

24 I R 66/14, DStR 2016, 1416. 25 Es ging um die Frage einer organschaftsunschädlichen Rücklagenbildung auf Ebene der Organgesellschaft. 26 11 K 12073/15, DStRE 2016, 1116, Rev. eingelegt, Az. BFH I R 19/16.

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Bei gleichzeitiger Einbringung von Anteilen an mehreren Mitunternehmerschaften sind die Sacheinlagen i.S.d. § 20 Abs. 1 Satz 1 UmwStG jeweils gesondert nach Maßgabe des § 20 Abs. 2 UmwStG zu bewerten. Bei Einbringung mehrerer Sacheinlagegegenstände in einem einheitlichen Vorgang durch dieselben Personen kann nicht (ausnahmsweise) von einer Buchwertaufstockung abgesehen werden27. Nach hier vertretener Auffassung ist die Entscheidung des FG BerlinBrandenburg zutreffend und entspricht auch dem Verständnis der Praxis. Sie hat aktuell weitergehende Bedeutung durch die gesetzliche Begrenzung der unschädlichen anderen Gegenleistungen erlangt. Anmerkung Drüen: Die Entscheidung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg 11 K 12073/15 divergiert offen gegenüber dem Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 28. Juli 2010 (2 K 322/10). Aus Sicht des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg scheidet eine Gesamtbetrachtung bzw. Saldierung der Kapitalkonten aus (zustimmend Graw, EFG 2016, 955, 956). Dagegen hatte das Sächsische Finanzgericht bei Übertragung mehrerer Sacheinlagegegenstände in einem einheitlichen Vorgang entschieden, dass der Übertragende keinen Ausgleich seines negativen Kapitals erhält, weil dieses bereits durch Verrechnung des negativen Kapitals des einen Betriebs mit positivem Kapital des anderen ausgeglichen wird. Wörtlich heißt es in dieser Entscheidung: „Ein Gewinn in Form des Ausgleichs des negativen Kapitals wird in diesem Fall nicht realisiert, so dass für eine Besteuerung kein Anlass besteht.“ Die Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg ist beim Bundesfinanzhof anhängig (I R 19/16).

2. Negativer Geschäftswert bei Einbringung Der BFH entschied mit Urteil vom 28.4.201628: Übersteigt der Gesamtwert des im Wege der Sacheinlage nach § 20 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 1995 eingebrachten Betriebsvermögens aufgrund eines sog. negativen Geschäftswerts nicht dessen Buchwert, darf die übernehmende Kapitalgesellschaft die Buchwerte der einzelnen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens auch dann nicht auf höhere Werte aufstocken, wenn deren Teilwerte die jeweiligen Buchwerte überschreiten.

27 Entgegen FG Sachsen v. 28.7.2010 – 2 K 322/10, DStRE 2011, 1262. 28 I R 33/14, DStR 2016, 1801.

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Nach hier vertretener Auffassung ist die Entscheidung zutreffend, wenn auch die Praxis zum UmwStG 1995 zum Teil von einem anderen Verständnis geprägt war. Wahrscheinlich ist, dass dies der BFH auch im aktuell geltenden UmwStG (bezogen auf gemeine Werte statt Teilwerte) so sehen wird. Wahrscheinlich (wenn auch durch den BFH im entschiedenen Fall offen gelassen) ist auch, dass die Obergrenze des Wertansatzes den (?) Gesamtwert der Sacheinlage29 auch dann als relevant ansehen wird, wenn dies zu einer Verlustrealisation führt. Dies entspricht auch der Verwaltungsauffassung (Tz. 03.12 Umwandlungssteuer-Erlass). Anmerkung Drüen: Das zentrale Argument des BFH-Urteils 1 R 33/14 ist, dass das „Privileg“ des umwandlungssteuerrechtlichen Bewertungswahlrechts den Übergang eines strukturierten Organismus voraussetzt. Derartige Sachgesamtheiten zeichnen sich danach indes regelmäßig dadurch aus, dass ihr Gesamtwert nicht mit der Summe der Einzelwerte (Teilwerte) der zugehörigen Wirtschaftsgüter identisch ist. Der Gesamtwert dieser Einheit ist das eingebrachte Vermögen als Gesamtheit.

3. Besteuerung des Einbringungsgewinns II nach einer Aufwärtsverschmelzung Das FG Hamburg hat mit angefochtenem Urteil vom 21.5.201530 entschieden: Umwandlungen erfüllen grundsätzlich als tauschähnliche Vorgänge den Veräußerungsbegriff des § 22 Abs. 2 UmwStG 2006. Für Fälle der Verschmelzung auf den Anteilseigner (Aufwärtsverschmelzung) ist jedoch eine einschränkende Auslegung des Veräußerungsbegriffs geboten: Aus Sicht des übertragenden Rechtsträgers fehlt es an einer Gegenleistung, weil dieser ohne Abwicklung untergeht und es nicht zu einer missbräuchlichen Ausnutzung einer Statusverbesserung kommen kann – gegen BMF-Schreiben vom 11.11.2011 – Umwandlungssteuererlass –. Nach hier vertretener Auffassung ist der Entscheidung des FG Hamburg zuzustimmen. Anmerkung Drüen: Das Urteil des Finanzgerichts Hamburg 2 K 12/13 betrifft den Veräußerungsbegriff nach § 22 Abs. 2 UmwStG. Diese Entscheidung ist dringend der Lektüre der Steuerberaterschaft anzuraten. Sie begreift § 22 Abs. 2 UmwStG als typisierende Missbrauchsvorschrift 29 Es wird also kein Stille-Lasten-Test pro Wirtschaftsgut durchgeführt. 30 2 K 12/13, DStR 2015, 2377, Rev. eingelegt.

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und sieht es als möglich an, den Begriff der Veräußerung i.S.d. Regelungszwecks einschränkend dahingehend auszulegen, dass eine Folgeumwandlung wie eine Aufwärtsverschmelzung, bei der es nicht zu einer missbräuchlichen Ausnutzung im Sinne einer Statusverbesserung kommen kann, nicht unter die Tatbestandsvoraussetzung fällt. Dahinter steht eine grundlegende Frage, die für eine Vielzahl von Missbrauchsverhinderungsvorschriften Bedeutung hat: Ist die jeweilige Norm abstrakt oder konkret missbrauchsverhindernd? Oder anders gewendet: Kann in dem Falle, in dem ein Missbrauch im konkreten Fall ausgeschlossen ist, auf die Anwendung der Norm trotz ihres weiten Wortlauts verzichtet werden? Das Finanzgericht Hamburg nimmt Letzteres mit guten Gründen an. Es geht den Weg einer teleologisch eingrenzenden Auslegung und hat diesen als Muster auch für andere Fälle überzeugend aufgezeigt. Bei § 22 UmwStG ist der weit gefasste Veräußerungsbegriff für jeden einzelnen Übertragungsfall teleologisch daraufhin zu prüfen, ob der Vorgang einen entgeltlichen Charakter hat. Im Rahmen einer Einzelanalyse ist die Einzelübertragung mit den gesetzlich geregelten Fällen abzugleichen. Diese geben insoweit einen Wertungsmaßstab vor. Bei der Aufwärtsverschmelzung kommt das Finanzgericht Hamburg mit guten Gründen nicht zu einer Gleichstellung. Das Urteil hat Ausstrahlungswirkung und der aufgezeigte Weg sollte in anderen Fällen typisierender Missbrauchsvorschriften parallel zu beschreiten sein. Die anhängige Revision beim BFH (I R 45/15) ist freilich abzuwarten. Sie hat wahrlich grundsätzliche Bedeutung.

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Aktuelle steuerpolitische Entwicklungen Ministerialdirigent Dr. Steffen Neumann Finanzministerium NRW, Düsseldorf Inhaltsübersicht Einleitung A. Nachlese zum Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes I. Das Gesetzgebungsverfahren II. Inhalte der Einigung im Vermittlungsverfahren III. Eigene Einschätzung B. Gesetzesmaßnahmen im Herbst 2016 I. Vorschriften zur Gewinn- und Einkommensermittlung 1. Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerrechtlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften a) Tatbestandsvoraussetzungen des § 8d KStG b) Rechtsfolge c) Anwendungszeitpunkt d) Zweck der Regelung e) Schwäche der Regelung: Nämlichkeit des fortgeführten Geschäftsbetriebs 2. Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen („BEPS I-Gesetz“) a) § 4i EStG – neu – b) § 50i EStG c) § 7 Satz 7 bis 9 GewStG – neu – d) § 7a GewStG – neu –

3. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Zweites Bürokratieentlastungsgesetz) II. Vorschriften zur Verbesserung der Transparenz der Unternehmensbesteuerung und zur Vermeidung von Steuerbetrug und missbilligten Steuergestaltungen 1. Nochmals: Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EUAmtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen („BEPS I-Gesetz“) a) Länderbezogene Berichterstattung b) Vermeidung hybrider Strukturen c) Lizenz-/Patentboxen d) Transparenz bei der Erteilung von Vorbescheiden 2. Entwurf eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen 3. Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen („Registrierkassen“) 4. Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften („Panama Papers“) 5. Anzeigepflicht für Steuergestaltungen

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Neumann, Aktuelle steuerpolitische Entwicklungen III. Reform der Grundsteuer: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes 1. Stufe 2. Stufe C. Sonstige Entwicklungen I. Nochmals: Entwurf eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen 1. Förderung von Wagniskapital

2. Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen 3. Geringwertige Wirtschaftsgüter II. Cum-Cum-Gestaltungen III. Gewerbesteuer 1. Reisebranche 2. Gewinnverlagerungen im Inland IV. Grunderwerbsteuer – share deals D. Der Brexit aus steuerlicher Sicht E. Schlussbemerkung

Einleitung Der Herbst 2016 verlief entgegen der anfänglichen Erwartung in der Steuergesetzgebung, die einen Bezug zur Unternehmensbesteuerung haben, recht munter und bescherte eine Fülle von Änderungen, die teils wie in jedem Jahr in letzter Minute noch vor Jahresende ihren Weg in das Bundesgesetzblatt gefunden haben. Darüber hinaus sind etliche Maßnahmen in Gang gesetzt, die noch in den ersten Monaten des Jahres 2017 abgeschlossen werden sollen, bevor die Politik dann angesichts etlicher Landtagswahlen (Saarland, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen) und der Bundestagswahl im September 2017 in die entscheidende Phase des Wahlkampfes eintreten wird. Bevor der Autor in einem Überblick die steuerlichen Änderungen bis zum Ende des Jahres 2016 und die steuerpolitischen Entwicklungen des Jahres 2017 einzuordnen versucht1, erlaubt er sich mit der Nachlese zur erbschaft- und schenkungssteuerlichen Behandlung von Unternehmensnachfolgern einen Rückblick auf den 22. September 2016. Das war der Tag der Einigung im Vermittlungsausschuss zu diesem Gesetzeswerk.

1 Nach dem Stand der Fertigstellung dieses Beitrags am 2.5.2017.

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A. Nachlese zum Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes2 I. Das Gesetzgebungsverfahren Nach der Entscheidung des BVerfG vom 17.12.20143, die insbesondere die bisherige Verschonung von sehr großen Betriebsvermögen von der Erbschaft- und Schenkungsteuer als gleichheitswidrig erachtete, bemühte sich das Bundesministerium der Finanzen (BMF) in seinem Regierungsentwurf vom 6.7.2015 zu einer verfassungsgemäßen Ausformung der Verschonungsregelungen durchaus um eine zielgenaue Änderung des Gesetzes, um den Vorgaben des BVerfG gerecht zu werden. Als Hauptstreitpunkt zwischen Bund und den Ländern erwies sich dabei nicht etwa die Frage, ob der Entwurf den Anforderungen des BVerfG gerecht wird, sondern der völlig unnötige Versuch des BMF, das steuerlich nicht (mehr) zu begünstigende Verwaltungsvermögen in der Form zu identifizieren, dass fortan das begünstigungsfähige Vermögen gesetzlich umschrieben wird (sog. Hauptzweckansatz). Vornehmlich von Seiten der Lobby der Familienunternehmen entwickelte sich ein in dieser Intensität selten erlebter Abwehrkampf gegen die gesetzgeberischen Pläne der Bundesregierung. Dabei war bei allem Respekt vor einer berechtigten Wahrnehmung der Interessen allerdings bemerkenswert, dass bei den Kampagnen die verfassungsrechtlichen Vorgaben schlichtweg ausgeblendet blieben. Die Bemühungen hatten gepaart mit großer Unterstützung vornehmlich durch die CSU letztlich einen Teilerfolg. Nach einer Einigung der die Bundesregierung stützenden Koalitionsfraktionen Mitte Februar 2016 beschloss der Deutsche Bundestag das Gesetz am 22.6.2016, also acht Tage vor Ende der vom BVerfG gesetzten Frist zur Nachbesserung des Gesetzes und wohlwissend, dass aufgrund der bestehenden Sitzungstermine eine Zustimmung des Bundesrats zum Gesetz schon aufgrund technischer Gegebenheiten ausgeschlossen war. Die Frist des BVerfG konnte damit nicht eingehalten werden. In dem Gesetzesbeschluss sind eine Reihe von Vorgaben des BVerfG umgesetzt worden. Der Kreis der Unternehmen, der künftig die Lohnsum2 BVerfG v. 4.11.2016, BGBl. I 2016, 2464; vgl. auch BT-Drs. 18/8911: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 18/5923, 18/6279, 18/6410 Nr. 4). 3 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BGBl. I 2015, 4.

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menregelung zu beachten hat, wurde erweitert. Bei Erwerben von großen Vermögen ist grundsätzlich eine Steuerpflicht für das gesamte Betriebsvermögen mit der Möglichkeit des Erlasses der Steuer, die auf das begünstigte Vermögen entfällt, nach einer Bedürfnisprüfung vorgesehen. Alternativ bietet das Gesetz eine Abschmelzung der Verschonung an. Die vom BVerfG beanstandete Unschädlichkeitsgrenze von 50 % Verwaltungsvermögen ist entfallen. Frühere steuerliche Vorteile durch Kaskadeneffekte in Konzernfällen sind beseitigt. Auch Gestaltungsmöglichkeiten mithilfe einer Betriebsaufspaltung sind beseitigt. Der Bundesrat rief am 8.7.2016 gleichwohl aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken den Vermittlungsausschuss an. Angesichts der schon zuvor geführten Diskussion kam diese Entscheidung nicht überraschend. Nach der parlamentarischen Sommerpause wurden die Streitpunkte in einer vom Vermittlungsausschuss eingesetzten Arbeitsgruppe erörtert. Schließlich gelangen am 22.9.2016 in einer Nachtsitzung der Durchbruch und die Einigung. Die Akteure wollten ein politisches Scheitern verhindern. Der Vorsitzende des 1. Senats des BVerfG, Herr Prof. Dr. F. Kirchhof, hatte nämlich mit Schreiben vom 12.7.2016 an den Präsidenten des Bundesrats daran erinnert, dass das BVerfG den Gesetzgeber beauftragt habe, den Gleichheitsverstoß bis spätestens zum 30.6.2016 zu beseitigen. Er kündigte zugleich an, dass das BVerfG unter dem Aspekt, ob wegen der Fristversäumnis eine Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG angezeigt sei, die Angelegenheit am 27. und 28.9.2016 erörtern werde. Das Risiko einer solchen Vollstreckungsanordnung, deren Inhalt wegen einer Reihe von denkbaren Entscheidungsmöglichkeiten zudem nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden konnte, wollte man nicht eingehen. Auch wäre der politische Schaden angesichts der dann gezeigten Schwäche, als Gesetzgeber zu einer konsensualen Lösung nicht fähig zu sein, erheblich gewesen. Andererseits kann der Autor seine Neugier, wie das BVerfG in einem solchen Falle entschieden hätte, nicht leugnen. Der Bundestag nahm am 29.9.2016 die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses an, und der Bundesrat stimmte diesem Ergebnis am 14.10.2016 letztlich zu.

II. Inhalte der Einigung im Vermittlungsverfahren Folgende wesentlichen Abweichungen des Gesetzesbeschlusses von dem Entwurf der Bundesregierung sind unbeanstandet geblieben:

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Der Verschonungsabschlag von 85 % bzw. 100 % wird nur gewährt, wenn der Erwerb begünstigten Vermögens insgesamt 26 Mio. Euro nicht übersteigt (§ 13a Abs. 1 ErbStG).



Die Prüfung einer Mindestlohnsumme erfolgt erst dann, wenn der Betrieb mehr als fünf Beschäftigte hat (§ 13a Abs. 3 ErbStG).



Bei sog. Familienunternehmen, bei denen die Satzung Beschränkungen in Bezug auf die Entnahme oder Ausschüttung von Gewinnanteilen und die Möglichkeit der Verfügung über den Gesellschaftsanteil vorsehen, wird ein Vorababschlag vom Wert der Beteiligung gewährt. Die Höhe des Abschlags bemisst sich an der in der Satzung vorgesehenen Minderung der Abfindung im Falle des Ausscheidens aus der Gesellschaft gegenüber dem gemeinen Wert seines Gesellschaftsanteils, höchstens jedoch 30 %. Die satzungsmäßige Bindung muss zwei Jahr vor dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer und 20 Jahre nach diesem Zeitpunkt bestehen (§ 13a Abs. 9 ErbStG).



Besteht der gemeine Wert des Betriebsvermögens zu 90 % und mehr aus nicht begünstigtem Vermögen, kommt eine Begünstigung schlechthin nicht in Betracht (§ 13b Abs. 2 ErbStG).



Die Abgrenzung des begünstigten vom nicht begünstigten Vermögen erfolgt in Abkehr vom Hauptzweckansatz wie bisher weiterhin negativ durch die Aufnahme eines Katalogs von Gegenständen, die dem nicht begünstigten Verwaltungsvermögen zuzurechnen sind (§ 13b Abs. 4 ErbStG). Die Grenze beim Finanzmitteltest wird von bisher 20 % auf 15 % des anzusetzenden Werts des Betriebsvermögens (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG) abgesenkt.



Es wird eine Investitionsklausel in Erbfällen eingeführt, nach der an sich schädliche Finanzmittel zum begünstigten Betriebsvermögen zählen, wenn sie in Befolgung eines Plans des Erblassers für eine Ersatzbeschaffung innerhalb des begünstigten Vermögens oder für anstehende, nicht anderweitig mit Eigenmittel zu finanzierende Lohnzahlungen verwendet werden (§ 13b Abs. 5 ErbStG).



Es wird ein Verwaltungsvermögensfreibetrag in Höhe von 10 % des begünstigten Betriebsvermögens (§ 13b Abs. 7 ErbStG) eingeführt.



Wird die Erwerbsschwelle von 26 Mio. Euro überschritten, kann der Steuerpflichtige anstelle der Verschonungsprüfung nach § 28a ErbStG einen Verschonungsabschlag nutzen. Die Regelverschonung von 85 % und Optionsverschonung von 100 % wird in Schritten von 750 000 Euro oberhalb der Erwerbsschwelle um je 1 % gekürzt. Der 65

Neumann, Aktuelle steuerpolitische Entwicklungen

Abschmelzkorridor wird nach oben auf 90 Mio. Euro begrenzt (§ 13c Abs. 1 ErbStG). In folgenden Punkten änderte der Vermittlungsausschuss den Gesetzesbeschluss des Bundestages: –

§ 13a Abs. 9 ErbStG: Der Vorwegabschlag für Anteile an sog. Familiengesellschaften in Höhe von bis zu 30 % wird an engere Kriterien geknüpft. Die Satzung, deren Inhalte von den Gesellschaftern auch „gelebt“ werden müssen, muss eine Beschränkung der Entnahme bzw. Ausschüttung des Gewinns auf 37,5 % des Gewinnanteils nach Berücksichtigung der hierauf für den Gesellschafter anfallenden Steuern vom Einkommen (Einkommensteuer und wohl auch die Zuschlagssteuern wie Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) vorsehen. Die satzungsmäßige Verfügungsbeschränkung muss den Kreis, auf den der Gesellschaftsanteil übertragen werden kann, auf Angehörige i.S. des § 15 AO, auf eine Familienstiftung oder auf Mitgesellschafter, die keine Angehörigen des Erblassers/Schenkers sein müssen, begrenzen. Die Abfindung im Falle des Ausscheidens muss einen Wert vorsehen, der unter dem gemeinen Wert der Beteiligung liegt. Ein Mindestbetrag der Unterschreitung wird allerdings nicht vorgeschrieben.



§ 13a Abs. 10 ErbStG: Die Optionsverschonung von 100 % wird nicht nur von der Erhöhung der Lohnsummen und der Verlängerung von Behaltefristen abhängig gemacht. Zusätzlich ist erforderlich, dass der Anteil des Verwaltungsvermögens 20 % des gemeinen Werts des Betriebs nicht übersteigt.



§ 13b Abs. 3 ErbStG: Es wird klargestellt, dass Finanzmittel, die ausschließlich und dauerhaft der Erfüllung von Schulden aus Altersvorsorgeverpflichtungen dienen und dem Zugriff anderer Gläubiger entzogen sind, nur bis zur Höhe des gemeinen Werts der Schulden der Altersvorsorgeverpflichtungen begünstigt sind.



§ 13b Abs. 4 Nr. 1 lit. e ErbStG: Verpachtete Grundstücke gehören dann zum begünstigten Vermögen, wenn sie im Rahmen von Lieferungsverträgen dem Absatz von eigenen Erzeugnissen und Produkten dienen. Gedacht sind dabei vor allem an Tankstellen und Brauereigaststätten.

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§ 13 Abs. 4 Nr. 3 ErbStG: Der Katalog von Luxusgegenständen, die schädliches Verwaltungsvermögen darstellen, wird erweitert. Oldtimersammlungen, Yachten, Segelflugzeuge und sonstige der persönlichen Lebensführung dienende Gegenstände können nicht als begünstigtes Betriebsvermögen behandelt werden.



§ 13 Abs. 4 Nr. 5 ErbStG: Der Freibetrag von Finanzmitteln in Höhe von 15 % wird davon abhängig gemacht, dass das begünstigungsfähige Vermögen des Betriebs nach seinem Hauptzweck einer land- und forstwirtschaftlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit dient. Durch diese Einschränkung soll vermieden werden, dass sog „Cash-GmbHs“, die solche Zwecke nicht originär verfolgen, zumindest teilweise steuerlich begünstigt werden. Ihnen steht nach dieser gesetzlichen Einschränkung der Finanzmittelfreibetrag nicht zu.



§ 28 Abs. 1 ErbStG: Steuerpflichtige, die einen abgeschmolzenen Verschonungsbetrag begehren oder den Erlass nach § 28a ErbStG beantragen und gleichwohl nicht in der Lage sind, die auf das begünstigte Vermögen entfallende Steuer bezahlen zu können, können im Erbfall die Stundung nach § 28 Abs. 1 ErbStG zusätzlich beanspruchen. Der geschuldete Steuerbetrag ist – das Gesetz sagt dies allerdings nicht ausdrücklich – in sieben gleichen Teilbeträgen über einen Zeitraum von sieben Jahren zu leisten. Die erste Rate ist nach einem Jahr fällig und wird nicht verzinst. Die Nachfolgeraten sind nach dem ersten Jahr mit 6 % zu verzinsen. Der Verweis auf § 222 AO bewirkt, dass die üblichen in der Praxis sehr engen Voraussetzungen, die für ein Stundung erforderlich sind, auch hier vorliegen müssen. Außerdem endet die Stundung, wenn die Behaltefristen und Lohnsummenbeschränkungen in dem Fünf- bzw. Siebenjahreszeitraum missachtet werden. Wird nach Ablauf der Fünfjahresfrist im sechsten Jahr der Betrieb verkauft, endet ebenfalls die Stundung.



§ 203 BewG: Im vereinfachten Ertragswertverfahren nach § 200 BewG, das nach § 199 Abs. 2 BewG nur dann eröffnet ist, wenn es nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt, bestimmt sich der Kapitalisierungsfaktor nach § 203 Abs. 1 BewG. Nach bisherigem Recht ergab er sich aus der Summe des Basiszinssatzes und einem festen Zuschlag 67

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von 4,5 %. Da der Basiszinssatz i.S. des § 203 Abs. 2 BewG für das Jahr 2016 lediglich 1,1 % beträgt4, ist der Kapitalisierungssatz folglich 5,6 %, aus dem sich dann ein Kapitalisierungsfaktor von 100 : 5,6 = 17,85 errechnet. Da dieser als unrealistisch hoch gebrandmarkt wurde, sah der Gesetzesbeschluss eine Festschreibung des Basiszinssatzes für Zwecke der Bewertung in einem Korridor von 3,5 % bis 5,5 % vor. Hieraus hätte sich angesichts des derzeitigen niedrigen Zinsniveaus ein Kapitalisierungsfaktor von 100 : (4,5 + 3,5) = 12,5 errechnet. Da der Bundesrat eine Wertabsenkung, die sich auch auf Bewertungsvorgänge im Bereich der Ertragsteuern auswirkt, von 17,85 um rd. 30 % auf 12,5 nicht akzeptieren wollte, hat sich der Vermittlungsausschuss schließlich auf eine feste Größe geeinigt. Der Kapitalisierungsfaktor beträgt nun 13,75. § 203 Abs. 2 BewG enthält in seiner Neufassung eine Verordnungsermächtigung für das Bundesministerium der Finanzen, um den Faktor „an die Entwicklung der Zinsstrukturdaten“ anpassen zu können. Einzelheiten zu den maßgeblichen Details der Zinsstrukturdaten enthält das Gesetz jedoch nicht. Ob dieser dürftige Hinweis den Anforderungen für eine Verordnungsermächtigung nach Art. 80 Abs. 1 GG genügt, muss sich erst erweisen. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Einschränkung des § 199 Abs. 2 BewG unverändert geblieben ist. Der Steuerpflichtige hat danach dann, wenn die Besteuerung nach dieser Bewertungsregelung offenkundig zu keinen zutreffenden Ergebnissen führt, keinen Anspruch darauf, dass § 203 BewG zu seinen Gunsten anzuwenden ist. Die Neuregelung des ErbStG tritt mit Wirkung vom 1.7.2016 in Kraft. Die Änderung der Bewertungsregelung ist allerdings schon auf Bewertungsstichtage nach dem 31.12.2015 anzuwenden.

III. Eigene Einschätzung Das Gesetzeswerk ist wahrlich kein Beitrag für eine Steuervereinfachung und beweist wieder einmal, dass eine Gesetzesnorm durchaus dann den allerhöchsten Grad an Komplexität zum Zwecke der größtmöglichen Steuerschonung erlangen kann und darf, wenn dabei die Ziele der hieran interessierten Vertreter und Lobbyisten erreicht werden. Es stellt sich die Frage, ob das ErbStG nach dieser letzten Gesetzgebungsprozedur Bestand haben wird. Hieran sind Zweifel angebracht. Die SPD und Bündnis

4 Vgl. BMF, Schr. v. 4.1.2016 – IV C 7 – S 3102/07/10001, BStBl. I 2016, 5.

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90/Die Grünen weisen darauf hin, dass sie den Kompromiss zwar tragen, dass sie aber damit ihre steuerpolitischen Vorstellungen nicht gewahrt sehen, weil sie die Begünstigung der Unternehmenserwerber weiterhin als viel zu weitreichend erachten. Sollten sich die politischen Verhältnisse nach der Bundestagswahl 2017 nachhaltig verändern, wird das ErbStG wohl wieder auf der politischen Agenda stehen. Die Frage, ob dieses Gesetz zumindest den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, ist ebenfalls nicht eindeutig zu beantworten. Die vom BVerfG monierten Gestaltungen zur Vermeidung der Erbschaftsteuer sind zwar beseitigt. Jedoch wird das neue Gesetz nur dann verfassungsfest sein, wenn die Besteuerung der Unternehmenserben ohne Gleichheitsverstoß erfolgen wird. Drei Schwachstellen tun sich hierbei auf: –

Das BVerfG erklärte bereits mit seinem Beschluss vom 7.11.20085 die damaligen Bewertungsbestimmungen als verfassungswidrig und gab dem Gesetzgeber auf, auf der Ebene der Bewertung für eine sachgerechte Einschätzung der verschiedenen Vermögensbestandteile des Erblassers bzw. Schenkers im Vergleich zueinander zu sorgen. Eine Verschonung bestimmter Vermögensarten könne bei sachgerechter Begründung durchaus vorgenommen werden, müsse aber auf der nächstfolgenden Ebene der Gesetzesanwendung vorgenommen werden, nicht etwa schon auf der Bewertungsebene. Die vereinfachte Ertragswertbewertung gem. §§ 199 ff. BewG nimmt jetzt eine Abwertung um knapp 23 % vor. Ob hiermit ein sachgerechter Wert für das Betriebsvermögen ermittelt wird, kann man nur durch einen Abgleich mit tatsächlichen Unternehmensverkäufen herausfinden. Sollte sich dabei herausstellen, dass der Kapitalisierungsfaktor in bedenklicher Weise zu niedrig ist, ist das BMF gefordert, eine entsprechende Anpassung im Verordnungswege vorzunehmen. Unterbleibt dies, ist die Finanzbehörde nicht gezwungen, den § 203 Abs. 1 BewG anwenden zu müssen. Der wahre Wert muss dann gutachterlich bestimmt werden. Damit dürfte der Regelungsinhalt des § 203 BewG bei sachgerechter Handhabung auch dann keinen Einfluss auf die Verfassungsmäßigkeit des ErbStG haben, wenn der gesetzlich- vorgegebene Kapitalisierungsfaktor völlig unrealistisch ist.



Der Vorwegabschlag für sog. Familienunternehmen soll Ausdruck einer zutreffenden Bewertung von solchen Anteilen sein, die mit sat-

5 BVerfG v. 7.11.2008, BVerfGE 117, 1.

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zungsmäßigen Beschränkungen versehen sind. Der Einwand, dass wegen der Beschränkungen für den betreffenden Gesellschafter kein Marktwert in der Größenordnung erzielbar wäre, der sich ohne diese Beschränkungen ergeben würde, ist nicht von der Hand zu weisen. Auf der anderen Seite entspricht § 9 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 BewG, der insbesondere Verfügungsbeschränkungen zu den persönlichen Verhältnissen zählt, die bei einer Bewertung unbeachtlich sind, einer gängigen Bewertungspraxis. Die grundsätzliche Beeinflussbarkeit der Gesellschafter in Bezug auf die Beschränkungen ihrer Anteile soll damit nicht wertbestimmend sein. Dieser Grundansatz wird jetzt für das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht durchbrochen, so dass nach dem neuen Recht die Merkwürdigkeit zu beobachten sein wird, dass der Wert der Summe aller Gesellschaftsanteile geringer als der Wert des Unternehmens als solches ist. Wenig nachvollziehbar ist dabei zudem, dass auch ein einziger Kommanditist, auf den sich im Wege der Schenkung oder des Erbfalls sämtliche Kommanditanteile und alle Anteile an der Komplementär-GmbH vereinigt haben, in den Genuss des Vorwegabschlags kommt. –

Auf der anderen Seite sieht das Gesetz beträchtliche zeitliche Vorgaben in Bezug auf den Bestand der satzungsmäßigen Beschränkungen vor. Ein Zeitraum von 22 Jahren, in denen die nämlichen Bestimmungen beibehalten werden müssen, ist schon erheblich. Es wird Fürsprecher geben, die mit guten Gründen aus dieser mehr als zwei Jahrzehnte andauernden Bindungszeitspanne eine qualitative Modifizierung des § 9 Abs. 2, Abs. 3 BewG für gerechtfertigt erachten.



Der dritte Schwachpunkt ist die Kumulierung sämtlicher steuerlicher Vergünstigungen für das Betriebsvermögen. Das an sich schädliche und uneingeschränkt zu besteuernde Verwaltungsvermögen wird an etlichen Stellen in begünstigtes Vermögen umgemünzt. Die Verschonungsregelungen bleiben, und Bewertungsabschläge von erheblichem Gewicht werden zugestanden. Letztlich kann der maßgebliche Steuerbetrag ganz erlassen oder großzügig gestundet werden. Auch wenn jede Maßnahme für sich gesehen verfassungsrechtlich hinnehmbar erscheint, stellt sich die Frage, ob die Aneinanderreihung dieser Vergünstigungen immer noch zu einem Gesamtergebnis führt, das verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Aber aufgrund dieses Befundes zu dem jetzigen Zeitpunkt schon eine hinreichende Prognose zur Verfassungsfestigkeit abzugeben, fällt schwer.

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B. Gesetzesmaßnahmen im Herbst 2016 I. Vorschriften zur Gewinn- und Einkommensermittlung 1. Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerrechtlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften Der Deutsche Bundestag verabschiedete am 1.12.2016 einen neu geschaffenen § 8d KStG, der die Einführung eines sog. fortführungsgebundenen Verlustvortrags vorsieht.6 Der Bundesrat stimmte diesem Gesetzesbeschluss am 16.12.2016 zu.7 Diese Gesetzesänderung knüpft an § 8c KStG an, der den teilweisen oder vollständigen Wegfall eines Verlustvortrags der Körperschaft bei einem Anteilseignerwechsel in einem Umfang von mindestens 25 % zur Folge hat. Der Verlust bleibt jedoch trotz eines qualifizierten Wechsels der Beteiligung nach bisherigem Recht nur dann erhalten, wenn die Körperschaft über genügend stille Reserven verfügt (§ 8c Abs. 1 Satz 6 ff. KStG) oder die Konzernklausel (§ 8c Abs. 1 Satz 5 KStG) greift. Mit § 8d KStG – neu – wird eine weitere Ausnahmereglung zum Erhalt des Verlustvortrags geschaffen. a) Tatbestandsvoraussetzungen des § 8d KStG Folgende Voraussetzungen sind für den Erhalt des Verlustvortrags nach der Neuregelung vorgesehen: –

Ein schädlicher Beteiligungserwerb nach § 8c KStG hat stattgefunden.



Die Körperschaft unterhält seit ihrer Gründung oder zumindest seit dem Beginn des dritten vorangegangenen Wirtschaftsjahrs denselben Geschäftsbetrieb. –

Ein Geschäftsbetrieb wird definiert als von einer einheitlichen Gewinnerzielungsabsicht getragenen, nachhaltigen, sich gegenseitig ergänzenden und fördernden Betätigungen der Körperschaft.



Ob der Geschäftsbetrieb derselbe ist, wird nach qualitativen Merkmalen in einer Gesamtbetrachtung bestimmt. Qualitative Merkmale in diesem Sinne sind insbesondere die angebotenen Dienst-

6 BT-Drs. 18/9986, 18/10348, 18/10495. 7 BR-Drs. 719/16 (Beschluss).

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leistungen oder Produkte, der Kunden- und Lieferantenkreis, die bedienten Märkte und die Qualifikation der Arbeitnehmer. –

Einer der Tatbestände des § 8d Abs. 2 KStG darf in dem dreijährigen Beobachtungszeitraum nicht erfüllt werden.



Eine bestehende Mitunternehmer- oder Organträgerstellung vor dem Beginn des dreijährigen Beobachtungszeitraums muss zu diesem Zeitpunkt von der Körperschaft aufgegeben worden sein.



Die Körperschaft muss einen Antrag auf Anwendung des § 8d KStG stellen.

b) Rechtsfolge Sind die genannten Voraussetzungen erfüllt, wird aus dem bisherigen Verlustvortrag der Körperschaft ein sog. fortführungsgebundener Verlustvortrag. Der fortführungsgebundene Verlust ist als solcher gesondert festzustellen. Er wird nach den üblichen Regeln mit künftigen Gewinnen der Körperschaft verrechnet. Sofern bei der Körperschaft später erneute Verlustvorträge entstehen, wird der noch bestehende fortführungsgebundene Verlustvortrag vorrangig vor den neuen Verlustvorträgen mit später entstehenden Gewinnen verrechnet. Findet in der nachfolgenden Zeit wiederum ein weiterer schädlicher Gesellschafterwechsel statt und stellt die Gesellschaft erneut einen Antrag, um die Rechtsfolge des § 8d KStG herbeizuführen, geht der ab dem vorangegangenen Gesellschafterwechsel aufgebaute neue Verlustvortrag wohl in einen neuen fortführungsgebundenen Verlustvortrag über und ist als solcher ebenfalls gesondert festzustellen, so dass nunmehr zwei Verlusttöpfe dieser Art nebeneinander bestehen. Mit späteren Gewinnen ist dann in erster Linie der zuerst gebildete fortführungsgebundene Verlusttopf zu verrechnen. Es wird der gesamte Verlustvortrag der Gesellschaft zu einem fortführungsgebundenen Verlustvortrag, also nicht etwa nur derjenige, der in dem dreijährigen Beobachtungszeitraum vor dem Gesellschafterwechsel aufgebaut worden ist. Eine Sperre besteht allerdings insoweit, als dass nur solche Verluste genutzt werden können, die während einer ununterbrochenen Geschäftstätigkeit in der Vergangenheit erwirtschaftet wurden. War der Geschäftsbetrieb jedoch in der Vergangenheit eingestellt worden oder hat er geruht, können Verluste aus der Zeit vor der Einstellung oder Ruhendstellung nicht genutzt werden. Unklar ist, ob Verluste, die z.B. nach den §§ 2a, 15 Abs. 4, 15a EStG oder gem. § 15 Satz 1 KStG in ihrer Nutzbarkeit Beschränkungen unterlie72

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gen, zu unbeschränkt nutzbaren fortführungsgebundenen Verlusten mutieren oder ob sich die Nutzungsbeschränkung fortsetzt. Das Gesetz gibt hierzu keine Antwort. Der fortführungsgebundene Verlustvortrag entfällt nachträglich – bei mehreren Verlusttöpfen zuerst der zuletzt gebildete –, wenn folgende Bedingungen bei der Körperschaft eintreten (§ 8d Abs. 2 KStG): –

Einstellung des Geschäftsbetriebs



Ruhen des Geschäftsbetriebs



Änderung der Zweckbestimmung des bisherigen Geschäftsbetriebs



Aufnahme eines zusätzlichen Geschäftsbetriebs



Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft



Erlangung der Stellung als Organträger



Erwerb von Wirtschaftsgütern zu einem geringeren als dem gemeinen Wert

Eine zeitliche Grenze, bis zu der diese Maßnahmen tunlichst zu unterlassen sind, sieht das Gesetz nicht vor. Unschädlich werden daher solche Maßnahmen erst dann sein, wenn der fortführungsgebundene Verlustvortrag vollständig infolge einer Verrechnung mit künftigen Gewinnen aufgebraucht ist oder wenn genügend stille Reserven vorhanden sind (vgl. hierzu § 8d Abs. 2 Satz 1 KStG). Eine vergleichbare Regelung wird auch für Zwecke der Gewerbesteuer in § 10a Satz 10 GewStG geschaffen. c) Anwendungszeitpunkt Die Neuregelung tritt mit Wirkung vom 1.1.2016 in Kraft und ist gem. §§ 34 Abs. 6a KStG, 36 Abs. 2c GewStG grds. erstmals auf schädliche Beteiligungserwerbe nach § 8c KStG anzuwenden, die nach dem 31.12.2015 erfolgen. d) Zweck der Regelung Zweck dieser Regelung ist nach der Gesetzesbegründung, dass die bisherigen Verluste weiterhin genutzt werden können sollten, wenn der Geschäftsbetrieb nach dem Anteilseignerwechsel fortgeführt wird und eine anderweitige Verlustnutzung auszuschließen ist. In diesen Fällen sei der Untergang der Verluste aus wirtschaftlichen Erwägungen nicht gerechtfertigt und aus systematischen Gründen auch nicht erforderlich. § 8c 73

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KStG sei die Nachfolgeregelung zu § 8 Abs. 4 KStG a.F., die seinerzeit den Handel mit Verlustmänteln zu unterbinden versuchte. Die völlige Streichung des Verlustvortrags in Fällen der Geschäftsfortführung sei gemessen an der ursprünglichen Intention und dem unverändert mit § 8c KStG verfolgten Zweck, einen Verlusthandel zu unterbinden, allerdings zu restriktiv. § 8d KStG soll nach der Gesetzesbegründung eine den § 8c KStG ergänzende, jedoch eigenständige Regelung sein. M.E. hat § 8d KStG vielmehr eine Auffangfunktion. Wenn trotz eines schädlichen Anteilseignerwechsels der Verlust deshalb nicht wegfällt, weil die Körperschaft über hinreichende stille Reserven verfügt oder weil es sich um einen konzerninternen Vorgang handelt, macht die Anwendung des § 8d KStG keinen Sinn. Sie kann erst dann ins Spiel kommen, wenn nach Anwendung des § 8c KStG die weitere Verlustnutzung ausgeschlossen wäre. Die Notwendigkeit der Anwendung des § 8d KStG von einem Antrag der Körperschaft wird wohl deshalb vom Gesetzgeber gesehen, weil nach der Rechtsfolge der Norm offensichtlich der gesamte Altverlust zum fortführungsgebundenen Verlust werden soll. Treten die Voraussetzungen des § 8d Abs. 2 KStG für einen Wegfall des gesamten Verlustvortrags ein, dürfte dies auch dann gelten, wenn der Anteilseignerwechsel lediglich zwischen mehr als 25 % und 50 % stattgefunden hatte, so dass im Falle der Anwendung des § 8c KStG nur ein anteiliger Verlustentfall eingetreten wäre. Mit der Antragstellung soll dem Steuerpflichtigen diese mögliche negative Konsequenz seiner Entscheidung vor Augen geführt werden. Es wäre m.E. dann allerdings sachgerecht, dem Steuerpflichtigen zu gestatten, seinen Antrag wieder zurückzunehmen, um dann in den Anwendungsbereich des § 8c KStG zu gelangen, solange der Veranlagungszeitraum, in dem der Beteiligtenwechsel stattgefunden hat, verfahrensrechtlich noch offen ist. Aber diese Möglichkeit ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Einiges bleibt insoweit im Unklaren. e) Schwäche der Regelung: Nämlichkeit des fortgeführten Geschäftsbetriebs Zentrales Tatbestandsmerkmal ist die Nämlichkeit des Geschäftsbetriebs, der fortgeführt wird. Was einen fortgeführten Geschäftsbetrieb ausmacht, bleibt nach der Gesetzeslektüre schwammig. Unstreitig ist jedoch, dass ein unternehmerischer Strukturwandel bei Änderung der bisherigen Zweckbestimmung schädlich ist. Die Kritik, inwieweit bei dieser Einschränkung die Neuregelung gerade bei Engagements neuer 74

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Investoren in Start-up-Unternehmen und sanierungsbedürftigen Unternehmen hilfreich sein kann, ist nicht von der Hand zu weisen. Offen ist zudem, wie mit den Fällen umzugehen ist, in denen das Unternehmen mehrere verschiedene Geschäftsbetriebe mit unterschiedlichen Verlustquellen hat. Es soll wohl so sein, dass die Zuführung von neuem Betriebsvermögen anlässlich des Gesellschafterwechsels – anders als zu Zeiten des § 8 Abs. 4 KStG a.F. – nicht schädlich ist. Es ist also durchaus denkbar, dass die Körperschaft sich auf einem bestimmten Gebiet in einem nur sehr kleinen Umfang engagiert hatte, der Erwerber hingegen in dieser Branche eine deutlich stärkere Position einnimmt. Er kann dann nach Erwerb der Anteile den bisherigen Geschäftsbetrieb der Körperschaft durch Einlagen, Gesellschafterdarlehen etc. stärken, somit sich unverändert auch in der neu erworbenen Gesellschaft betätigen und damit eine Refinanzierung seines Engagements durch Steuerrückflüsse in der Körperschaft aufgrund der künftig nutzbaren Verlustvorträge bewirken. Ein Handel mit Verlustmänteln wird dann also eingeschränkt wieder möglich werden. Die Attraktivität des beschriebenen Verlusthandels besteht trotz aller gesetzlicher Hürden in der Nutzbarkeit des gesamten vorhandenen Verlustvortrags der Körperschaft aus ihrer unmittelbar vorangegangenen aktiven Zeit. 2. Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen („BEPS I-Gesetz“) Ebenfalls am 1.12.2016 verabschiedete der Deutsche Bundestag dieses Gesetz8, dem der Bundesrat am 16.12.2016 zustimmte.9 Das Gesetz enthält im Kern die Umsetzung der auf EU-Ebene vorgesehenen länderbezogenen Berichterstattung, die wiederum auf einen Vorschlag der OECD im Rahmen der BEPS-Maßnahmen zurückzuführen ist. Die Einzelheiten hierzu werden später unter Punkt B.II.1. dargestellt. Unter dem Blickwinkel der steuerlichen Gewinnermittlung sind folgende, ebenfalls in diesem Gesetz vorgesehene Regelungen von besonderem Interesse:

8 BT-Drs. 18/9536, 18/9956, 18/10506. 9 BR-Drs. 717/16 (Beschluss).

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a) § 4i EStG – neu – Diese Neuregelung dient der Verhinderung des doppelten Betriebsausgabenabzugs bei Personengesellschaften und setzt damit den Aktionspunkt 2 des BEPS-Projekts der OECD zur Verhinderung hybrider Gestaltungen um. Das dem § 4i EStG zugrunde liegende Problem ist eine deutsche Besonderheit und somit hausgemacht. Leistet etwa ein in einem ausländischen DBA-Staat ansässiger Kommanditist in eine inländische Kommanditgesellschaft, an der er beteiligt und die eine Mitunternehmerschaft ist, eine Einlage, die er im Wege eines Darlehens von einer Bank seines Ansässigkeitsstaats refinanziert, so kann er die für das Darlehen zu erbringenden Schuldzinsen im Inland als Sonderbetriebsausgaben geltend machen. Kann er diesen Zinsaufwand ebenfalls in seinem Ansässigkeitsstaat steuerlich geltend machen, kommt es zu einem doppelten Betriebsausgabenabzug. Die Zielrichtung des § 4i EStG geht dahin, in einer solchen Konstellation den Betriebsausgabenabzug im Inland zu unterbinden. § 4i EStG kann überschießende Wirkungen haben. Deshalb ist vorgesehen, dass der Steuerpflichtige den doppelten Betriebsausgabenabzug beanspruchen kann, wenn er nachweist, dass er auch die Erträge aus der Kommanditgesellschaft in seinem Heimatstaat ebenfalls (doppelt) versteuern muss. Diese Situation kann eintreten, wenn der ausländische Staat die inländischen Einkünfte im Falle der Steueranrechnungsmethode oder bei einem fehlenden DBA ebenfalls der dortigen Besteuerung unterwirft. § 4i EStG wird ab dem Veranlagungszeitraum 2017 erstmals anwendbar sein. b) § 50i EStG Mit der Neufassung vornehmlich des § 50i Abs. 2 EStG soll die bisherige überschießende Wirkung des § 50i Abs. 2 EStG beseitigt werden. Bislang ist dies auf dem Verwaltungswege erreicht worden. Die in dem BMFSchreiben v. 21.12.201510 hierfür gefundene Lösung wird nunmehr in das Gesetz übernommen. Sie besteht darin, dass das inländische Besteuerungsrecht in der Ausgangskonstellation des § 50i Abs. 1 EStG nur dann besteht, wenn bei einer Einbringung von Wirtschaftsgütern oder Anteilen gem. § 17 EStG in gewerblich geprägte Personengesellschaften gem. § 15 Abs. 3 EStG sowie bei Einbringungen nach § 20 UmwStG das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland ausgeschlossen oder gefähr10 BMF v. 21.12.2015 – IV B 5 – S 1300/14/10007, BStBl. I 2016, 7.

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det wäre. Solange das nicht der Fall ist, sind Umstrukturierungsmaßnahmen unschädlich. Im Gefolge der Neukonzeption des § 50i EStG wird auch § 6 Abs. 3 EStG neugefasst. Ohne dass hiermit eine Neuregelung verbunden sein soll, wird deutlich gemacht, dass die steuerneutrale Buchwertübertragung in den Fällen des § 6 Abs. 3 EStG nur dann gelingt, wenn die inländische Besteuerung der stillen Reserven gesichert ist, also das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland gewahrt bleibt. § 50i Abs. 2 EStG in der Neufassung ist rückwirkend erstmals auf Einbringungen anzuwenden, bei denen der Einbringungsvertrag nach dem 31.12.2013 geschlossen worden ist (§ 52 Abs. 48 Satz 4 EStG). c) § 7 Satz 7 bis 9 GewStG – neu – Der BFH ist der Auffassung, dass der Hinzurechnungsbetrag nach § 10 AStG zum Gewinn nach § 7 GewStG gehört, der auf eine Betriebsstätte entfällt, die nicht im Inland liegt. Er kommt daher zu dem Schluss, dass der Gewerbeertrag um den Hinzurechnungsbetrag nach § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG gekürzt werden muss.11 Die Finanzverwaltung vertritt die Auffassung, dass es sich bei dem Hinzurechnungsbetrag nicht um ausländische Einkünfte handelt. Mit dem Hinzurechnungsbetrag soll der Verlagerung passiver Einkünfte in ein Niedrigsteuergebiet entgegen gewirkt werden. Deshalb soll es zu einer entsprechenden Besteuerung im Inland kommen. Aus diesem Grund zähle der Hinzurechnungsbetrag nicht zu den ausländischen, sondern zu den inländischen Einkünften. Die Neuregelung als ein Nichtanwendungsgesetz will diese Auffassung klarstellen und unterwirft die Einkünfteteile ab dem Erhebungszeitraum 2017 (§ 36 Abs. 2a GewStG) aufgrund der Hinzurechnung (wieder) der inländischen Gewerbesteuer. d) § 7a GewStG – neu – Der BFH entschied mit Urteil vom 17.12.2014 – I R 39/1412, Folgendes: Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG soll die Organgesellschaft gewerbesteuerlich zwar bloß eine unselbständige Betriebsstätte des Organträgers sein. Jedoch werden nach der sog. gebrochenen Einheitstheorie vergleichbar der körperschaftsteuerlichen Organschaft die Gewerbeerträge auf der Ebene der Organgesellschaft und des Organträgers in ei11 BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BStBl. II 2015, 1049. 12 BFH v. 17.12.2014 – I R 39/14, BStBl. II 2015, 1052.

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nem ersten Schritt getrennt voneinander nach den Regeln der §§ 7 ff. GewStG ermittelt. In einem zweiten Schritt wird der Gewerbeertrag im Wege der Bruttomethode des § 15 Satz 1 Nr. 2 KStG behandelt. Das bedeutet: Auf Dividendeneinkünfte einer Organgesellschaft an einer ausländischen Beteiligung ist auf der Ebene der Organgesellschaft § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 KStG anzuwenden. Das heißt, dass auf dieser Ebene die Dividendeneinkünfte steuerfrei zu erfassen sind, allerdings ohne dass § 8b Abs. 5 KStG die Erfassung von 5 % der Dividenden als nicht abziehbare Betriebsausgabe anordnet. Erst auf der Ebene des Organträgers, dem die Dividendeneinkünfte der Organgesellschaft zugerechnet werden, soll entschieden werden, ob – abhängig davon, ob der Organträger eine natürliche Person ist bzw. eine Personengesellschaft, an der natürliche Personen beteiligt sind, oder ob der Organträger eine Körperschaft ist – das Teileinkünfteverfahren anzuwenden ist oder ob die Steuerfreiheit nach § 8b Abs. 1 KStG verbunden mit der Betriebsausgabenkürzung um 5 % der Dividenden eingreift. Der BFH entschied in dem genannten Urteil jedoch, dass aufgrund der bisherigen verunglückten Fassung des § 9 Nr. 2a, 7 oder 8 GewStG es bereits auf der Ebene der Organgesellschaft zu einer Kürzung der Dividendenerträge komme (Grundsatz: ausländische Einkünftebestandteile unterliegen nicht der Gewerbesteuer), so dass die Dividendenerträge dann nicht auf der Ebene des Organträgers von § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 ff. KStG erfasst werden. Das heißt, es kommt damit zu einer vollkommenen Freistellung der Dividendenbezüge von der Gewerbesteuer, wobei zudem die Kürzung der Betriebsausgaben um 5 % des Dividendenbezugs unterbleibt. Die Neuregelung des § 7a GewStG ändert an der bisherigen Systematik der sog. gebrochenen Einheitstheorie nichts. Die Neuregelung ordnet allerdings an, dass in Organschaftsfällen schon auf der Ebene der Organgesellschaft der § 15 Satz 1 Nr. 2 KStG entsprechend anwendbar ist. Bereits auf der Ebene der Organgesellschaft erfolgt dann die Kürzung der Betriebsausgaben in Höhe von 5 % der Dividenden, wenn der Organträger eine Körperschaft ist. Somit wird die Erhöhung des Gewerbeertrags schon bei der Organgesellschaft erfasst, der dann dem Organträger zugerechnet wird. Sind an der Organgesellschaft natürliche Personen beteiligt, bleibt es bei der vollständigen Kürzung der ausländischen Dividendenbezügen aus dem Gewerbeertrag. Mit dieser Gesetzesänderung, die eine Nichtanwendung der o.g. BFHEntscheidung bedeutet, wird eine Gleichstellung mit der körperschaftsteuerlichen Organschaft erreicht. Auch entfällt die vom BFH bewirkte 78

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Besserstellung im Vergleich mit den Fällen, in denen eine inländische Körperschaft, die keine Organgesellschaft ist, eine ausländische Beteiligung hält. Die Neureglung ist gem. § 36 Abs. 2b GewStG erstmals auf Gewinne aus einschlägigem Beteiligungsbesitz anwendbar, die nach dem 31.12.2016 zufließen, und auf Aufwendungen, die nach diesem Zeitpunkt gewinnwirksam werden und in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Beteiligungsertrag stehen. 3. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Zweites Bürokratieentlastungsgesetz) Diese Gesetzesinitiative entstammt der Feder des Bundeswirtschaftsministers und enthält folgende steuerliche Regelungsvorschläge: –

Verkürzung der steuerlichen Aufbewahrungsfrist von Lieferscheinen, die keine Buchungsbelege darstellen (§ 147 AO); die Aufbewahrungsfrist soll mit dem Erhalt der Rechnung enden. Bislang beträgt die Aufbewahrungsfrist grds. sechs Jahre.



Anhebung der Grenze für die vierteljährliche Abgabe von Lohnsteueranmeldungen von derzeit 4000 Euro auf 5000 Euro (§ 41a Abs. 2 Satz 2 EStG).



Anhebung der Grenze für die Erteilung einer vereinfachten Rechnung für umsatzsteuerliche Zwecke ohne Angabe des Empfängers der Lieferung bzw. Leistung von bisher 150 Euro Gesamtbetrag auf 200 Euro (§ 33 UStDV).

Die Gesetzesinitiative wird derzeit noch beraten. Der Finanzausschuss des Bundesrats zeigte sich gegenüber diesen Vorschlägen skeptisch, weil die Verkürzung der Aufbewahrungsfrist für Lieferscheine den Bemühungen zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs zuwiderlaufe. Lieferscheine seien zudem vielfach der einzige Hinweis auf erhaltene Lieferungen bei Bargeschäften. Der Einwand des Finanzausschusses ist nachvollziehbar. Jedoch ist es m.E. unwahrscheinlich, dass der Betrüger die Lieferscheine aufbewahrt, die erhaltene Rechnung hingegen vernichtet. Die Anhebung der Grenze für die Erteilung einer vereinfachten Rechnung ohne Hinweis auf den Empfänger ermöglicht ebenfalls potentiell den Umsatzsteuerbetrug, weil derartige Rechnungen von solchen Personen genutzt werden können, die die Rechnung selbst nicht bezahlt ha79

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ben, aber vorsteuerabzugsberechtigt sind. Eine Anhebung der Betragsgrenze erweitert damit das Volumen der nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzugsbeträge. Allerdings nimmt im Wirtschaftsleben die Neigung, Bargeschäfte zu tätigen und hierüber Rechnungen ohne Ausweis des Empfängers der Lieferung/Leistung auszustellen, mit der zunehmenden Höhe des Rechnungsbetrags ab. Der Ausgang des Verfahrens bleibt abzuwarten.

II. Vorschriften zur Verbesserung der Transparenz der Unternehmensbesteuerung und zur Vermeidung von Steuerbetrug und missbilligten Steuergestaltungen 1. Nochmals: Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen („BEPS I-Gesetz“) Bei der Umsetzung des umfänglichen Maßnahmenkatalogs der OECD gegen Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) bestehen aus nationaler Sicht lediglich folgende Schwerpunkte: –

Länderbezogene Berichterstattung (country-by-country-reporting): Diese dient dem Ziel, dass die Steuerverwaltungen, die grenzüberschreitende Unternehmen zu betreuen haben, einen globalen Überblick über die Verteilung der Umsätze und der Erträge bzw. Aufwendungen auf die einzelnen Staaten, in denen das Unternehmen agiert, erhalten.



Vermeidung hybrider Strukturen: Bestimmte Formen der Finanzierung von Fremdkapital oder Gesellschaftsformen ziehen in den verschiedenen Staaten unterschiedliche steuerliche Folgen nach sich. Dieser Aktionspunkt der OECD zielt darauf zu verhindern, dass im Ergebnis eine an sich gebotene Besteuerung in keinem der beteiligten Staaten stattfindet oder dass Betriebsausgaben doppelt abgezogen werden können.



Lizenzschranken: Lizenzeinnahmen werden in vielen Staaten privilegiert besteuert. Ziel der Bemühungen der OECD ist es insoweit, dass eine Privilegierung künftig nur in den Fällen erlaubt ist, in denen die Lizenzen aufgrund einer Forschung in dem betreffenden Staat erwirtschaftet werden.

In diesen drei Bereichen zeichnet sich folgende nationale Entwicklung ab: 80

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a) Länderbezogene Berichterstattung Die Pflicht zur nicht öffentlichen länderbezogenen Berichterstattung hat die EU bereits Mitte 2016 durch Änderung der Amtshilferichtlinie vollzogen mit der Verpflichtung, dass die Mitgliedstaaten für eine Umsetzung in das nationale Recht bis Ende 2016 zu sorgen haben. In dem Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen („BEPS-I Gesetz“) wird dieser Anforderung entsprochen. In einem neuen § 138a AO wird im Einzelnen geregelt, welche Unternehmen zur Mitteilung verpflichtet sind, welche konkreten Inhalte der länderbezogene Bericht haben muss, in welcher Frist die Berichte zu erstellen sind und dass diese Berichte an das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) zu übermitteln sind. Das BZSt ist dann berechtigt, den erhaltenen Bericht an die jeweils zuständige Finanzbehörde im Inland wie im Ausland weiterzuleiten, ohne das betroffene Unternehmen hierzu vorher anhören zu müssen. Die Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 138a AO stellt eine Steuergefährdung und damit eine Ordnungswidrigkeit gem. § 379 AO dar. § 90 Abs. 3 AO wird neu gefasst. Dort wird bestimmt, dass ein Steuerpflichtiger über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen i.S. des § 1 Abs. 4 AStG Aufzeichnungen erstellen muss. Dies gilt besonders für die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen von Verrechnungspreisen. Ist der Steuerpflichtige Teil einer „multinationalen Unternehmensgruppe“, hat es Rechenschaft über die Art der Geschäftstätigkeit und zu den Grundlagen der Verrechnungspreise im Bezug zu den anderen Teilen der multinationalen Unternehmensgruppe abzulegen. Die Verletzung des § 90 Abs. 3 AO führt zu den bereits schon jetzt normierten Folgen des § 162 Abs. 3 und 4 AO (Hinzuschätzung, Festsetzung eines Zuschlags). Beide Regelungen, also insbesondere auch die Erteilung eines länderbezogenen Berichts, gelten für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2015 beginnen, so dass schon für das Jahr 2016 besondere Vorkehrungen unternehmensintern getroffen sein sollten, damit die verlangten Mitteilungen zeitgerecht erfolgen können. Von der in § 138a AO vorgesehenen Berichtspflicht ist die Absicht der EU-Kommission zu unterscheiden, auf der Grundlage einer weiteren Richtlinie multinationalen Unternehmen und großen Einzelunternehmen auferlegen zu wollen, vergleichbare Berichtsinhalte für interessierte 81

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Kreise einsehbar zu veröffentlichen. Die Diskussion zu diesem Vorschlag, der heftig kritisiert wird, ist auf EU-Ebene noch nicht abgeschlossen. b) Vermeidung hybrider Strukturen Der Bundesrat hatte bereits Ende 2014 einen Gesetzesvorschlag unterbreitet, der zum Ziel hatte zu verhindern, dass infolge von Besteuerungsunterschieden der jeweiligen Staaten Einkünfte letztlich gänzlich unbesteuert bleiben oder nicht regulär besteuert werden. Hauptanwendungsfälle sind dabei Zahlungen, die bei dem zahlenden Steuerpflichtigen als Betriebsausgaben abgezogen werden und bei dem empfangenden Steuerpflichtigen in einem anderen Staat nicht als reguläre Einkünfte versteuert werden, weil sie dort z.B. als Dividenden oder als Einlagenrückgewähr qualifiziert und deshalb nicht oder zumindest ermäßigt besteuert werden. Die Bundesregierung griff diesen Vorschlag bislang nicht auf und übernahm ihn auch nicht in das nunmehr verabschiedete „BEPS-I Gesetz“. Nach ihren Planungen soll eine solche Regelung in einem späteren Gesetz aufgenommen werden, sofern es gelingt, eines Gesetzesfassung zu formulieren, die der sehr differenzierten Betrachtung der OECD zu allen Spielvarianten einer hybriden Finanzstruktur gerecht wird. Für das BEPS I-Gesetzesvorhaben machten die Länder auf Initiative von Hessen und Nordrhein-Westfalen wiederum einen Vorschlag zur Verhinderung hybrider Strukturen. Er befasste sich diesmal allein mit dem Problem des doppelten Betriebsausgabenabzugs bei einer Mitunternehmerschaft, bei der ein ausländischer Gesellschafter seine Kosten einmal im Ausland steuerlich geltend machen und dann noch einmal im Inland als Sonderbetriebsausgaben erfolgreich absetzen kann. Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags griff diese Anregung des Bundesrats im Unterschied zur Bundesregierung auf und hat mit § 4i EStG nunmehr eine Regelung geschaffen, diese Form der hybriden Steuergestaltung zu unterbinden (vgl. oben zu Punkt B.I.2.a). Damit verbleibt noch die Verhinderung sog. weißer Einkünfte. Es bleibt abzuwarten, ob mit einer entsprechenden nationalen Abwehrmaßnahme etwa in einem „BEPS II-Gesetz“ vor der Bundestagswahl gerechnet werden kann. c) Lizenz-/Patentboxen Deutschland ist vom Nexus-Ansatz aufgrund einer OECD-Empfehlung nicht betroffen, weil Deutschland keine Regelung hat, die eine ermäßigte Besteuerung von Lizenz- und Patenteinkünften vorsieht. Derzeit ist 82

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auch nicht erkennbar, dass Deutschland einem solchen Vorhaben auch unter dem Aspekt einer Förderung von Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen näher treten könnte. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Die Staaten, die über Patentboxregelungen verfügen und die an sich gehalten sind, die OECD-Empfehlungen umzusetzen, weigern sich mit den unterschiedlichsten Begründungen, dem nachzukommen. Die Umsetzung des Nexus-Ansatzes ist damit gefährdet. Das ist Anlass, dass Deutschland mit einer entsprechenden Abwehrgesetzgebung hierauf reagieren könnte. Hierzu bestehen Überlegungen der Bunderegierung, die unten unter B. II. 2. näher vorgestellt werden. d) Transparenz bei der Erteilung von Vorbescheiden Zur Erhöhung der Transparenz hinsichtlich der steuerlichen Behandlung international agierender Unternehmen wird mit dem „BEPS I-Gesetz“ auch das EU-Amtshilfegesetz um Regelungen ergänzt, nach denen sich die betroffenen Mitgliedstaaten der EU über jeweils dem Unternehmen erteilte Vorbescheide zu grenzüberschreitenden Aktivitäten sowie zu Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltungen unterrichten müssen. Die dort im Einzelnen getroffenen Regelungen erweitern nicht den Pflichtenrahmen des Steuerpflichtigen. Er muss sich jedoch auf die dem deutschen Fiskus eingeräumten Offenbarungsbefugnisse einstellen und damit rechnen, dass in allen anderen Mitgliedstaaten die EUAmtshilferichtlinie gleichermaßen umgesetzt wird. 2. Entwurf eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen In einem neu einzuführenden § 4j EStG plant die Bundesregierung mit einem derzeit vorliegenden Referentenentwurf, den Betriebsausgabenabzug für Zahlungen aufgrund der Überlassung der Nutzung oder des Rechts auf Nutzung von Rechten oder Erfahrungen einzuschränken oder auszuschließen. Der Neuentwurf zielt dabei insbesondere auf die Nutzung von Urheberrechten und gewerblichen Schutzrechten sowie von gewerblichen, technischen, wissenschaftlichen oder ähnlichen Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten, die über die Überlassung von Plänen, Mustern und Verfahren vermittelt werden können. Weitere Voraussetzung ist, dass die mit den Betriebsausgaben korrespondierenden Einnahmen bei dem Empfänger der Zahlungen nicht oder nur niedrig besteuert werden. Eine niedrige Besteuerung liegt nur dann vor, wenn die Besteue83

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rung von der im Sitzstaat des Gläubigers der Zahlung bestehenden Regelbesteuerung aufgrund eines besonderen Regelungswerkes (z.B. niedrigere Steuersätze, Steuergutschriften, fiktive Betriebsausgaben etc.) zu seinen Gunsten abweicht und dabei zu einer Ertragsteuerbelastung von weniger als 25 % führt. Gemessen an diesen Voraussetzungen wäre z.B. eine Besteuerung von Lizenzeinkünften in Irland zu dem dort üblichen Körperschaftsteuersatz von 12,5 % unschädlich. Werden Forschungsvorhaben nach anderen als steuerlichen Regeln begünstigt wie z.B. durch Direktförderungen, ist dies ebenfalls unschädlich. Nach der Gesetzesfassung muss nicht der unmittelbare Empfänger die Vorteile einer Lizenzbox nutzen. Es reicht aus, wenn der Letztempfänger der Zahlungen die nicht regelgerechte Besteuerung nutzt. Dies zielt darauf, Umweggestaltungen solcher Art, dass Zahlungen zunächst an einen Empfänger in einem regulär besteuernden Staat fließen, der die Zahlungen an einen anderen Empfänger in einem Staat mit einer Lizenzbox weiterleitet und seine Zahlung als Betriebsausgabe uneingeschränkt geltend machen kann, zu unterbinden. Es werden nur Zahlungen zwischen nahestehenden Personen i.S. des § 1 Abs. 2 AStG der Abzugsbeschränkungen unterworfen. Zahlungen von inländischen Steuerpflichtigen für die Rechtenutzung an einen ihm nicht nahestehenden Inhaber der Rechte, der die Vergünstigung der Lizenzbox für sich in Anspruch nimmt, bleiben uneingeschränkt abziehbar. Damit wird deutlich, dass das missbilligte Gestaltungselement, das insbesondere zwischen sich nahestehenden Personen umsetzbar ist und dort der Steueroptimierung innerhalb eines Gesamtverbundes (z.B. Konzern) dient, Ziel der neuen steuerlichen Regelung ist. Der Kern des Problems, nämlich die Existenz der Lizenzbox als solche, bleibt damit unangetastet. Finden die Zahlungen nicht zwischen verschiedenen Rechtspersonen, die untereinander nahestehend sind, sondern unter dem Dach nur eines Steuerpflichtigen allerdings zwischen seinen verschiedenen Betriebsstätten statt, gelten die soeben beschriebenen Grundsätze entsprechend. Die geplante Neuregelung billigt dem ausländischen Staat, der eine Lizenzbox unterhält, die von der Regelbesteuerung abweichende Besteuerung dann zu, wenn er den Nexus-Ansatz verfolgt. Wird also nur die entgeltliche Überlassung solcher Rechte steuerlich begünstigt, die auf einer im Hoheitsgebiet des die Begünstigung gewährenden Staates vorgenommenen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit des dortigen begünstigten Steuerpflichtigen zurückzuführen ist, bleibt der Abzug der an den Rechteinhaber geleisteten Zahlung als Betriebsausgabe unangetastet. 84

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Das Kernanliegen des Nexus-Ansatzes ist einfach. In der Praxis wird die Nachvollziehbarkeit einer sachgerechten Forschungs- und Entwicklungsbegünstigung jedoch erhebliche Probleme bereiten, weil die Entwicklung der auf dem Markt verwertbaren Rechte vielfach aus einer Fülle von einzelnen Komponenten hervorgeht, die von unterschiedlicher Herkunft ist. Nun gilt es, nur diejenigen Teile des forschenden und entwickelnden Steuerpflichtigen herauszufiltern, die er für die Rechteentstehung selbst beigetragen hat, und diese in Beziehung zu dem Entgelt zu setzen, das der Steuerpflichtige für die Überlassung des Rechtes erhält. Der Nexus-Ansatz ist nämlich nur dann methodengerecht umgesetzt, wenn lediglich das auf die eigene Forschungs- und Entwicklungsleistung entfallende Teilentgelt steuerlich begünstigt, im Übrigen jedoch regulär besteuert wird. Die Begründung des Gesetzentwurfs nimmt hierzu breiten Raum für eine Erläuterung ein und stützt sich dabei auf die von der OECD bereits entwickelten Grundsätze zu deren BEPS-Aktionspunkt 5. Es liegt auf der Hand, dass die Nachprüfung, ob diese beschriebenen Anforderungen in einem ausländischen Fiskus mit Lizenzbox sachgerecht umgesetzt worden sind, vielfach unmöglich sein dürfte. Unter kooperativen Staaten mag dies wenngleich mit Unschärfen denkbar sein. Befindet sich die Lizenzbox hingegen in einem Staat, der für sich die angebliche Wahrung des Nexus-Ansatzes in Anspruch nimmt, aber in Bezug auf die hinreichende Verifizierung nicht kooperativ ist, werden die Grenzen des gesetzlichen Ansatzes deutlich. Praktisch umsetzbar und wirkungsvoll wäre er nur dann, wenn die Feststellungslast insoweit beim inländischen Steuerpflichtigen, der den uneingeschränkten Betriebsausgabenabzug begehrt, läge. Hierzu nimmt der bisherige Gesetzentwurf keine klare Position ein. Sind die Voraussetzungen für einen nur eingeschränkten Betriebsausgabenabzug erfüllt, ist er in Abhängigkeit der tatsächlichen Belastung infolge der Lizenzbox zu ermitteln. Die Formel in § 4j Abs. 3 EStG bewirkt, dass bei einem Präferenzsteuersatz von 0 % der Betriebsausgabenabzug vollends versagt wird, bei einem Präferenzsteuersatz von 25 % hingegen uneingeschränkt gewährt wird und bei einem Steuersatz dazwischen entsprechend prozentual gekürzt wird. Diese Lösung ist m.E. elegant, wirft jedoch die Frage auf, auf welche Weise die hiesige Finanzbehörde die hierfür notwendigen Parameter erfahren kann. Das Gesetz lässt auch hier die Frage offen, ob auch insoweit der inländische Steuerpflichtige auskunftspflichtig ist oder nicht.

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Das Kernanliegen, das die Neuregelung verfolgt, ist uneingeschränkt zu begrüßen. Der Teufel steckt jedoch im Detail, weil die Fragen, auf welche Weise den hiesigen Finanzbehörden die notwendigen Informationen für die Voraussetzungen des begehrten Betriebsausgabenabzugs sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach erfahrbar gemacht werden sollen, nicht beantwortet werden. Es müsste in der Neuregelung deutlich gemacht werden, wer die erforderlichen Informationen beizubringen hat, und wie die Risikoverteilung ist, wenn die Informationen ausbleiben. Sollte im Falle des non liquet die Entscheidung zugunsten des inländischen Steuerpflichtigen ausfallen, wäre m.E. die gesetzliche Neuregelung gescheitert, weil sie von den Finanzbehörden kaum mit vernünftigem Aufwand umgesetzt werden könnte. Wenn sich also der Gesetzgeber nicht mutig entscheidet, die Darlegungslast umfassend bei dem Steuerpflichtigen anzusiedeln, sollte er auf diese Regelung besser gänzlich verzichten. 3. Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen („Registrierkassen“) Schon lange befindet sich das Vorhaben in der Diskussion, das das Problem der Einnahmeverkürzungen in der sog. Bargeldbranche (Gaststätten, Taxi, Friseur u.a.) mit Hilfe von computergestützten Kassensystemen angehen will. Die Angelegenheit wurde vor geraumer Zeit von NRW angestoßen. Lange wurde gerungen, in welcher Weise man das Problem effektiv lösen kann. Zwei Meinungen standen sich bislang gegenüber. Die einen plädierten dafür, eine bestimmte technische Methode, nämlich das INSIKA13-Verfahren, das das Problem schon kurzfristig angehen könnte, gesetzlich für die Verwendung von gegenwärtigen und künftigen Registrierkassensystemen vorzuschreiben. Die Gegenmeinung wollte sich gesetzlich nicht einem technischen Konzept alleine unterwerfen, sondern die Technologieoffenheit wahren. Das vom Deutschen Bundestag am 15.12.2016 angenommene Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundauszeichnungen14, dem der Bundesrat am 16.12.2016 zustimmte,15 enthält zur Lösung des Problems nunmehr folgende Regelungsbestandteile:

13 Integrierte Sicherheitslösung für messwertverarbeitende Kassensysteme. 14 BR-Drs. 407/16, BT-Drs. 18/9535, 18/9957. 15 BR-Drs. 764/16.

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In einem neuen § 146a AO wird vorgeschrieben, dass derjenige Steuerpflichtige, der aufzeichnungspflichtige Geschäftsvorfälle mit Hilfe eines elektronischen Aufzeichnungssystems – hierunter fallen auch die elektronischen Registrierkassen – aufzeichnet, dafür zu sorgen hat, dass dieses System in der Lage ist, jeden aufzeichnungspflichtigen Geschäftsvorfall einzeln, vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet zu erfassen. Außerdem hat der Steuerpflichtige dafür zu sorgen, dass die mit dem von ihm benutzten elektronischen System gemachten Aufzeichnungen durch eine zertifizierte Sicherheitseinrichtung, die bestimmte Sicherheitsanforderungen zu erfüllen hat, geschützt werden. Die Einzelheiten der Sicherungsmaßnahmen werden in einer noch zu erlassenden Verordnung des Bundestags bestimmt. Vorgesehen ist auch, dass die Einhaltung der Anforderungen durch eine Zertifizierung durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zwingend festzustellen ist. In der Gesetzesbegründung wird klargestellt, dass auch das INSIKA-Verfahren ein solches ist, das der Zertifizierung zugänglich ist. Darüber hinaus bleibt der Wunsch nach Technologieoffenheit gewahrt, so dass auch andere Systeme zertifiziert und eingesetzt werden können.



Um eine wirkungsvolle Kontrolle durch die Finanzbehörden zu ermöglichen, ob der Steuerpflichtige ausschließlich gesetzlich vorgeschriebene Aufzeichnungssysteme einsetzt, muss er dem für ihn zuständigen Finanzamt mitteilen, welche Aufzeichnungssysteme (Registrierkassen) in welcher Anzahl in seinem Geschäftsbetrieb zum Einsatz kommen (§ 146a Abs. 4 AO). Eine solche Auskunft verbessert das Instrument der Kassenaufsicht in Fällen einer Abweichung zwischen den gemeldeten und tatsächlich benutzten Kassen.



Flankiert werden diese Maßnahme durch eine neu eingeführte Kassen-Nachschau (§ 146b AO), eine erweiterte Prüfmöglichkeit der gespeicherten Kassendaten durch die Finanzverwaltung (§ 147 Abs. 6 S. 3 AO) und durch eine Sanktionierung als Ordnungswidrigkeit im Falle eines Pflichtenverstoßes gegen § 146a AO (§ 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4–6 AO).

Anwendbar ist das Gesetz gem. Art. 97 § 30 EGAO erstmals für Wirtschaftsjahre nach dem 31.12.2019. Ist vom Steuerpflichtigen nach dem 25.11.2010 eine Registrierkasse angeschafft worden oder wird sie von ihm bis zum 31.12.2019 noch angeschafft, die bautechnisch nicht nachrüstbar ist und deshalb die Anforderungen des § 146a AO nicht erfüllen kann, verlängert sich die Übergangsfrist bis zum 31.12.2022. Die Länder 87

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haben dieser erheblichen Ausweitung der Übergangsfrist zwar zunächst widersprochen, letztlich aber akzeptiert. Für ältere Registrierkassen wird die Übergangsregelung relevant sein, währenddessen es m.E. Schwierigkeiten bereiten wird, nunmehr bis Ende 2019 noch eine fabrikneue Registrierkasse zu erwerben, die nicht nachrüstbar ist. Der Ausgang des Gesetzgebungsverfahrens hing letztlich von der Entscheidung ab, ob zusätzlich zu den Inhalten des Regierungsentwurfes eine Registrierkassenpflicht und eine Belegausgabepflicht normiert werden sollten. Der Gesetzentwurf sah beides m.E. aus guten Gründen nicht vor. Die Registrierkassenpflicht träfe viele kleine Unternehmen und darunter auch gemeinnützige Vereine im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe, wenn dort Bargeld vereinnahmt wird. Es entstünde also der Zwang, in Härtefällen Ausnahmen (offene Ladenkasse) zuzulassen, wobei deren Inhalte sowie die Abgrenzung zu den von der Ausnahmevorschrift nicht begünstigten Steuerpflichtigen stets streitanfällig sein werden. Die Pflicht, jedermann, der einen Bareinkauf tätigt, einen Zahlungsbeleg (Kassenbon) aushändigen zu müssen, schießt m.E. ebenfalls über das Ziel hinaus. Die Intention der Anhänger dieser Verpflichtung besteht in der dadurch beabsichtigten Abschreckung, eine nicht ordnungsgemäß arbeitende Registrierkasse zu verwenden. Die Gefahr der Entdeckung sei besonders hoch, wenn eine sehr große und vom Steuerpflichtigen nicht beherrschbare Menge von Kassenbons, aus denen die Fehlerhaftigkeit der Kasse, aus der sie stammen, für Fachleute erkennbar ist, im Umlauf sind. Ob hierdurch das Entdeckungsrisiko tatsächlich steigt, ist fraglich, da die weit überwiegende Zahl von Kunden diese allenfalls für private Zwecke brauchbaren Belege wegwerfen wird. Interessant sind in erster Linie solche Belege, die der Kunde für eigene steuerliche Zwecke benötigt, sie deshalb einfordert und die von der Finanzverwaltung bei der Bearbeitung ihres Steuerfalls für eine Überprüfung verwendet werden können. Auch bieten sich Testkäufe durch Prüfer der Finanzverwaltung an. Der Erhalt von Zahlungsbelegen ist in diesen Fällen durch die bislang vorgesehene Belegerteilungspflicht auf Verlangen des Kunden gewährleistet und zur Zweckerreichung völlig ausreichend. Gleichwohl hat der Gesetzgeber in § 146a Abs. 2 AO eine Belegausgabepflicht normiert, die von den betroffenen Steuerpflichtigen ab 2020 zu beachten ist.

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4. Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften („Panama Papers“) Anfang April 2016 wurde in der deutschen, aber auch internationalen Presselandschaft durch ein Journalistennetzwerk Bericht erstattet über die Praxis zu den sog. Briefkastenfirmen in Panama, die wegen eines Datenlecks bei der auf solche Geschäftsmodelle spezialisierten Anwaltskanzlei Mossack Fonseca zutage getreten waren. Der Bundesrat forderte die hieran wesentlich involvierten Presseorgane, an erster Stelle die Süddeutsche Zeitung auf, deren Informationen an die Steuer- und Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben, damit – soweit Inländer betroffen sind – entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden können. Dies hat vornehmlich die Süddeutsche Zeitung mit der Begründung, die berechtigten Schutzbelange ihres Informanten wahren zu wollen, zurückgewiesen. Damit ist die steuerliche Bedeutung dieser Aktion bis heute begrenzt geblieben. Auch im Übrigen ist es um diese Geschichte mittlerweile recht ruhig geworden, nachdem zunächst einzelne spektakuläre Enthüllungen weltweit die Schlagzeilen bestimmt hatten. Die Politik hat auf diese als Sensation aufgemachte Aktion der Presse prompt reagiert, sich parteiübergreifend öffentlich empört und angekündigt, eine Reihe von wirksamen Gegenmaßnahmen zur Bekämpfung von illegalen Geschäften über anonyme Briefkastengesellschaften ergreifen zu wollen. Dabei ist das Phänomen „Briefkastenfirma“ wahrlich nicht neu, sondern trat in der Vergangenheit in unregelmäßigen Abständen immer wieder auf, ohne dass hierbei ein umfassender gesetzgeberischer Handlungsbedarf gesehen wurde. Das ist diesmal anders. Das BMF ging mit einem 10-Punkte-Programm in Vorlage. Anschließend erarbeiteten Vertreter der Länder und das BMF einen Diskussionsentwurf für ein Gesetz mit einer Reihe von Anzeigepflichten und sonstigen gesetzlichen Einschränkungen des Steuerpflichtigen. Mit dem jetzt vorliegenden Referentenentwurf liegen die konkret geplanten Gesetzesänderungen auf dem Tisch. Kernanliegen dieses Gesetzes ist, dass Transparenz über beherrschende Geschäftsbeziehungen inländischer Steuerpflichtiger zu Personengesellschaften, Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen mit Sitz und Geschäftsleitung in Staaten oder Territorien außerhalb der Europäischen Union und außerhalb der Europäischen Freihandelsassoziation geschaffen wird. Folgende Gesetzesänderungen sind zur Erreichung dieses Ziels u.a. im Einzelnen geplant: 89

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Abschaffung des § 30a AO;



Erleichterung der Möglichkeit eines Sammelauskunftsersuchens gem. § 93 Abs. 1a AO – neu –, –

wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Steuerverkürzung oder für das Erlangen nicht gerechtfertigter Steuervorteile vorliegen oder



wenn Erfahrungen aus vergleichbaren Sachverhalten eine Steuerverkürzung oder das Erlangen nicht gerechtfertigter Steuervorteile naheliegend erscheinen lassen;



Erweiterung des Kontenabrufverfahrens, um Sachverhalte zu ermitteln, in denen inländische Steuerpflichtige verfügungsberechtigt oder wirtschaftlich berechtigt an einem ausländischen Konto oder Depot sind;



Auskunftspflicht von Steuerpflichtigen in Bezug auf Erwerb oder Gründung oder Veräußerung von ausländischen Gesellschaften, Betrieben oder Betriebsstätten, auch wenn der Einfluss nur aufgrund tatsächlicher Gegebenheit mittelbar oder unmittelbar ausgeübt werden kann (§ 138 Abs. 2 bis 5 AO – neu –). Eine vergleichbare Auskunftspflicht soll in solchen Beteiligungsverhältnissen auch für die bestehenden Geschäftsbeziehungen zu Domizilgesellschaften normiert werden (§ 138 Abs. 3 AO);



Mitteilungspflicht von solchen Personen, die nach dem Geldwäschegesetz auskunftsverpflichtet sind (z.B. Banken), über die von ihnen vermittelten Geschäftsbeziehungen eines Steuerpflichtigen zu einer von ihm unmittelbar oder mittelbar rechtlich oder tatsächlich beherrschten ausländischen Gesellschaft (§ 138b AO – neu –)



Erweiterung der Legitimationsprüfung nach § 154 AO auch auf das steuerliche Identifikationsmerkmal;



die Festsetzungsverjährungsfrist für Steuern auf Einkünfte oder Erträge in Zusammenhang mit einer Geschäftsbeziehung mit einer beherrschten Drittstaat-Gesellschaft beginnt frühestens mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem diese Beziehung bekannt geworden ist. Die Verletzung der Anzeigepflicht führt damit zu einer Hemmung des Verjährungsablaufs (§ 170 Abs. 6 AO – neu –). Die Festsetzungsverjährungsfrist endet jedoch spätestens zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist (§ 176 Abs. 6 AO – neu –). Die Zahlungsverjährungsfrist wird ebenfalls entsprechend verlängert;

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eine Steuerhinterziehung unter Verwendung einer Drittstaat-Gesellschaft soll eine schwere Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 Satz 2 AO werden. Damit gilt für diese Fälle die zehnjährige Frist für die Strafverfolgung.

5. Anzeigepflicht für Steuergestaltungen Auf der EU-Ebene wird geprüft, wie eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen aussehen könnte. Mit einem Richtlinienvorschlag zu diesem Thema wird im Sommer 2017 gerechnet. Auch in Deutschland ist die Forderung nach einer Anzeigepflicht für Steuergestaltungen wieder sehr aktuell, obgleich ein entsprechender Anlauf in 2008 bereits schon einmal gescheitert war. Politisch besteht jedoch das Bedürfnis, von neuen aggressiven Steuergestaltungen frühzeitig Kenntnis zu erlangen, um rechtzeitig gesetzgeberische Maßnahmen hiergegen einleiten zu können. Überlegungen, die zur Zeit in einer Facharbeitsgruppe zwischen Bund und den Ländern angestellt werden, sollen noch in diesem Jahr zu einem Gesetzesvorschlag führen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass eine Realisierung dieses Vorhabens noch vor der Bundestagswahl ausgeschlossen ist. Jedoch könnte ein bis dahin entwickelter Vorschlag durchaus Eingang in die Koalitionsverhandlungen der neuen Bundesregierung finden und dann bis Ende dieses Jahres doch noch Gesetz werden.

III. Reform der Grundsteuer: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes Der Koalitionsvertrag aus dem Herbst 2013, den die derzeitige Bundesregierung wohl noch restlos abarbeiten will, traf folgende Aussage zur Grundsteuer: „Die Grundsteuer wird unter Beibehaltung des Hebesatzrechtes für Kommunen zeitnah modernisiert. Wir fordern die Länder auf, nach Abschluss der laufenden Prüfprozesse rasch zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Ziel der Reform ist es, die Grundsteuer als verlässliche kommunale Einnahmequelle zu erhalten, d.h. das Aufkommen zu sichern und Rechtssicherheit herzustellen.“

Die derzeitige Grundsteuer ist wegen der völlig veralteten Stichtage für die Einheitswerte zum 1.1.1964 (alte Bundesländer) bzw. 1.1.1935 (neue Bundesländer), zu denen die Grundstückswerte zu ermitteln sind, verfassungsrechtlich gefährdet. Vorlagenbeschlüsse des BFH haben das Problem, ob wegen der überkommenen Bewertungen eine gleichheitsmäßige Besteuerung gewährleistet ist, bereits vor geraumer Zeit beim BVerfG 91

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adressiert16. Es hat sich zur Grundsteuer bislang nicht geäußert. Eine Terminierung der anhängigen Verfahren steht zwar noch aus; sie sind allerdings in seinem Terminplan für 2017 aufgeführt. Damit besteht die Wahrscheinlichkeit, dass das BVerfG sich alsbald der Sache annimmt. Sollte es zu dem Schluss kommen, dass das Grundsteuergesetz gleichheitswidrige Auswirkungen hat, und fordert es – wie üblich in solchen Fällen – den Gesetzgeber dazu auf, eine verfassungskonforme Regelung innerhalb einer bestimmten Frist zu schaffen, ist zu befürchten, dass die üblicherweise vom BVerfG eingeräumte Frist für ein sehr umfangreiches Projekt wie die Reform der Grundsteuer zu kurz bemessen sein könnte. Deshalb haben viele Bundesländer stets dazu geraten, mit Reformvorschlägen früh zu beginnen und nicht von der Entscheidung des BVerfG überrascht zu werden. Wenn das BVerfG gewahr wird, dass ernsthaft an einem tragfähigen Reformmodell gearbeitet wird, könnte das BVerfG diesen Umstand bei der Ausgestaltung seiner Entscheidung möglicherweise würdigen. Die Länder haben inzwischen ein Gesamtmodell erarbeitet und vorgelegt, das für die Fortentwicklung der Grundsteuer tauglich sein könnte. Dieses Modell, das die Länder Hessen und Niedersachsen als Bundesratsinitiative in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht haben, sieht eine Umsetzung in mehreren Stufen vor. 1. Stufe Zunächst gilt es, die bundesweit vorhandenen rd. 35 Mio. Bewertungseinheiten neu zu bewerten und dabei zu verfassungsrechtlich haltbaren Ergebnissen zu gelangen. Wegen der Menge der vorhandenen Bewertungseinheiten ist eine Wertfeststellung zu einem Hauptfeststellungszeitpunkt ausgeschlossen. Es müssen also andere Datenquellen (Vermessung- und Katasterverwaltung, Gutachterausschüsse, Grundbuchverwaltung) erschlossen und genutzt werden. Die Bewertung des Grundbesitzes allein auf der Basis von Verkehrswerten ist technisch nicht zu leisten. Das Modell nimmt daher bei der Bewertung des unbebauten wie bebauten Grundbesitzes eine Trennung vor und bewertet das Grundstück als solches und das auf ihm aufstehende Gebäude gesondert. Für das Grundstück werden die von den Gutachterausschüssen der Kommunen entwickelten Werte übernommen, die die Ausschüsse aus tatsächlichen Verkaufsvorgängen ableiten. Die Gebäude werden aufgrund 16 Verfahren 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12.

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typisierter Gebäudeherstellungskosten (sog. Kostenwert) bewertet, wobei diese Werte vergröbernd lediglich für drei Altersklassen zugrunde gelegt werden. Diese Werte werden bekanntgegeben und laufend fortgeschrieben werden. So wird z.B. bei Ein- und Zweifamilienhäusern ein Kostenwert von 735 Euro je qm Bruttogrundfläche bei einem Baujahr vor 1995, von 845 Euro bei einem Baujahr in der Zeit 1995–2004 und 1020 Euro bei einem Baujahr ab 2005 zugrunde gelegt werden. Je nach Alter wird von dem Wert ein Abschlag vorgenommen; 30 % des typisierten Gebäudewerts können jedoch nicht unterschritten werden. Die Daten für die Bruttogrundfläche und das Alter des Gebäudes können durch Steuererklärung und damit durch die eigene Angabe des Steuerpflichtigen gewonnen werden. Denkbar sind allerdings auch technische Verfahren wie z.B. ein Überfliegen der Objekte und die mittels der Erkenntnisse aus dem Überfliegen eigenständige Ermittlung der Bruttogeschossfläche, die dann eine gesonderte Erklärung durch den Steuerpflichtigen überflüssig macht. Der für die Grundsteuer maßgebliche Wert ergibt sich aus der Summe von Grundstücks- und Gebäudewert. Damit wird zwar nicht der Verkehrswert des Gesamtobjekts abgebildet. Aber die Berücksichtigung der Daten der Gutachterausschüsse bei den Grundstücksflächen lässt Elemente des Verkehrswerts des Objekts in die Ermittlung der grundsteuerlichen Bemessungsgrundlage einfließen. Damit wird es auch weiterhin so sein, dass dem Grundbesitz in einer bevorzugten Wohnlage auch dann immer ein höherer Wert beigelegt werden wird als einem bebauten Grundstück in einer weniger bevorzugten Wohnlage, auch wenn die aufstehenden Gebäude wegen gleicher Größe und Alters in beiden Stadtteilen denselben Kostenwert haben werden. Bei der Land- und Forstwirtschaft bleibt es bei der verkehrswertorientierten Bewertung, indem dort wie bisher der Ertragswert des Betriebs die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer bildet. Die Bewertung aller Objekte nach diesem Modell soll in einem ersten Schritt bis zum Jahr 2025 abgeschlossen sein. 2. Stufe Wenn nach dem Bewertungsverfahren feststeht, wie hoch der Gesamtwert aller Immobilien und aller Betriebe der Land- und Forstwirtschaft bundesweit ist, sollen die bundesweit geltenden Steuermesszahlen bestimmt werden. Diese sollen nach den heutigen Vorstellungen bewirken, dass das bundesweite Gesamtaufkommen aus der Grundsteuer gleich bleibt. Das Messbetragsvolumen soll nicht anwachsen (Aufkommens93

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neutralität). Sollte sich also nach Abschluss der Neubewertung z.B. herausstellen, dass sich der Gesamtwert der zu bewertenden Einheiten gegenüber den jetzigen Einheitswerten verdreifacht, sollte die Messzahl um 2/3 gesenkt werden. Den Ländern soll dabei noch die Möglichkeit gegeben werden, eine übermäßige Steigerung des Volumens durch landesspezifische Messzahlen zu korrigieren. Auch soll den Ländern die Möglichkeit eingeräumt werden, für bestimmte Grundstücksarten, insbesondere für Mietwohngrundstücke besondere Messzahlen anwenden zu können, wenn etwa das Ziel verfolgt wird, das Wohnen wegen ansonsten gestiegener Grundsteuerbelastung nicht zu verteuern. Der mit Hilfe des Produktes aus Kostenwert des Grundbesitzes und Messzahl ermittelte Wert, der Messbetrag, wird dann wie bislang der Kommune mitgeteilt, die anschließend durch Anwendung des kommunalen Hebesatzes die Grundsteuerfestsetzung vornimmt. Auch ist hier eine weitere Differenzierung denkbar, indem der Kommune das Recht eingeräumt wird, verschiedene Hebesätze innerhalb der Gemeinde anzuwenden, um insbesondere im Bereich des Mietwohnungswesens lenkend agieren zu können. Diese soeben beschriebenen Maßnahmen stehen erst dann an, wenn die Bewertung abgeschlossen ist. Das wäre von heute an gerechnet in etwa zehn Jahren der Fall. Fazit: Nach den Plänen der (meisten) Länder ist es möglich, eine verfassungsfeste Bewertung des gesamten Grundbesitzes in Deutschland für Zwecke der Grundsteuer durchzuführen. Die Gesamtreform der Grundsteuer ist allerdings in Stufen angelegt und wird nicht vor Ablauf der kommenden zehn Jahre abgeschlossen sein. Da lediglich eine Aufkommensneutralität bezweckt wird, wegen der verfassungsrechtlich bedenklichen Wertverschiebungen eine Belastungsneutralität im Einzelfall nicht erreicht werden kann, sind heute verlässliche Aussagen, wie sich die Reform im Detail auf den jeweiligen Steuerpflichtigen auswirken wird, schlechthin nicht möglich, auch wenn dies interessierte Kreise zu suggerieren versuchen. Diese haben allerdings erreicht, dass das Gesetzesvorhaben ins Stocken geraten ist, so dass eine Umsetzung noch in dieser Legislaturperiode vor der Bundestagswahl im September 2017 ausgeschlossen sein dürfte.

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C. Sonstige Entwicklungen I. Nochmals: Entwurf eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen Dieses Gesetzesvorhaben, das ursprünglich nur der Einführung des § 4j EStG zur Umsetzung einer BEPS-Initiative vorbehalten war (s. B. II. 1.), hat der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags in seiner Beschlussempfehlung v. 26.4.201717 noch um folgende weitere wichtige Gesetzesinitiativen und -änderungen erweitert, von denen zu erwarten ist, dass der Bundestag sie beschließen und der Bundesrat ihnen zustimmen wird: 1. Förderung von Wagniskapital Die Bezuschussung von Wagniskapital privater Investoren für junge innovative Unternehmen aus einer öffentlichen Kasse ist gem. § 3 Nr. 71 EStG in den dort genannten Grenzen steuerfrei. Durch die Verbesserung der Fördermöglichkeiten durch das INVEST-Programm werden die Rahmenbedingungen für die Steuerfreiheit des Zuschusses erweitert. 2. Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen Die Entscheidung des Großen Senats des BFH, dass der sog. Sanierungserlass mit BMF-Schreiben v. 27.3.200318 gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoße und deshalb rechtswidrig sei19, hat den Gesetzgeber zu einer schnellen Reaktion veranlasst, um an der bisherigen Rechtspraxis nichts ändern zu müssen. Ein neuer § 3a EStG soll künftig gesetzlich vorsehen, dass sog. Sanierungsgewinne, die aufgrund eines Schuldenerlasses zum Zwecke einer unternehmensbezogenen Sanierung entstehen, steuerfrei sind. Abweichend vom Grundsatz, dass nur unternehmensbezogene Sanierungen begünstigt sind, sieht der Gesetzentwurf auch vor, dass insbesondere Erträge aus einer Restschuldbefreiung gem. §§ 286 ff. InsO zugunsten des Schuldners und vergleichbare Schuldenbereinigungsmaßnahmen zugunsten einer natürlichen Person ebenfalls an der Steuerbefreiung teilnehmen sollen. Zur Vermeidung einer doppelten Begünstigung wird gesetzlich angeordnet, dass vorhandene Verlustausgleichspotentiale um die Sanierungser-

17 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drs. 18/12128. 18 BMF-Schr. v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl. 2003, 240. 19 BFH, Beschl. v. 28.11.2016 – GrS 1/15.

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träge gemindert werden müssen. Ein Vorschlag der Länder sah vor, den Sanierungsgewinn auf Antrag steuerfrei zu stellen und im Gegenzug das vorhandene Verlustausgleichspotential vollständig zu streichen, auch wenn es höher als der Sanierungsgewinn ist. Die Bundesregierung erachtete die vollständige Streichung als zu weitgehend mit der Folge, dass nunmehr eine komplizierte Verrechnung mit den vorhandenen Verlustausgleichstöpfen in einer bestimmten gesetzlich vorgegebenen Reihenfolge vorzunehmen sein wird. Darüber hinaus ist eine Minderung des Aufwands nach § 4f EStG und bei Zinsaufwendungen bzw. Zins- und EBITDA-Vorträgen gem. § 4h EStG vorgesehen. Der Gesetzentwurf lehnt sich an die Technik des Teileinkünfteverfahrens an und unterscheidet daher zwischen Sanierungserträgen und den mit diesen zusammenhängenden Sanierungsaufwendungen, deren auch veranlagungsjahrübergreifende eingeschränkte Abziehbarkeit in einem neuen § 3c Abs. 4 EStG geregelt ist. Eine entsprechende Steuerbefreiung ist auch für die Gewerbesteuer in einem neuen § 7b GewStG vorgesehen. Damit wirkt sich die Begünstigung der Sanierungsmaßnahme stets auch auf die Gewerbesteuer aus. Das bisher bestehende Problem, dass der Billigkeitserweis aufgrund des BMF-Schreibens v. 27.3.2003 sich nicht auf die Gewerbesteuer bezog, so dass die betroffenen Gemeinden jeweils selbstständig entscheiden konnten, ob sie auch für die Gewerbesteuer eine Billigkeitsmaßnahme gewähren wollten, hat sich damit erledigt. Weitere Folgeänderungen ergeben sich im Körperschaftsteuerrecht in §§ 8, 8c, 8d und 15 KStG. Die gesetzliche Neuregelung ist auf alle Fälle anzuwenden, in denen Schulden nach dem 8.2.2017, dem Tag der Veröffentlichung des Beschlusses des Großen Senats des BFH, erlassen werden, die zu einem begünstigten Sanierungsertrag führen. Für bereits erfolgte Schuldenerlasse in der Zeit davor will die Verwaltung mit einem großzügigen Erlass zumindest in den Fällen, in denen verbindliche Auskünfte erteilt worden sind, helfen.20 3. Geringwertige Wirtschaftsgüter Die Grenze für die sofortige Abschreibung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder Einlagewerte für geringwertige Wirtschaftsgüter des

20 BMF v. 27.4.2017 – IV C 6 – S 2140/13/10003.

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Anlagevermögens ist seit 1964 unverändert bei 800 DM bzw. 410 Euro21 geblieben und soll nunmehr für Anschaffungs-, Herstellungs- und Einlagefälle ab 2018 auf 800 Euro angehoben werden. Diese Anhebung ist zu begrüßen, auch wenn sie nicht einmal ansatzweise einen Ausgleich für den inflationsbedingten Wertverzehr darstellt. Bedauerlich ist allerdings, dass der Gesetzgeber sich nicht dazu durchringen konnte, die neue Grenze auf 1000 Euro hochzusetzen und im Gegenzug als Beitrag zur Steuervereinfachung die unbeliebte Poolabschreibung gänzlich abzuschaffen.

II. Cum-Cum-Gestaltungen Es handelt sich hierbei um Gestaltungen, die darauf abzielen, dass ausländischen Anteilseignern einer inländischen Kapitalgesellschaft die Möglichkeit eröffnet wird, sich im Wesentlichen die Erstattung des gesamten inländischen Kapitalertragsteuerabzugs von der auszuschüttenden Dividende zu sichern. Je nach rechtlicher Ausgangssituation können ausländische Investoren sich von der Kapitalertragsteuer, die auf die auszuschüttende Dividende einbehalten wird (zzgl. SolZ), vom Bundeszentralamt für Steuern 10 % bzw. 15 % erstatten lassen. Um in einen höheren Genuss der Kapitalertragsteuer zu kommen, übertragen solche Anteilseigner vor dem Dividendenstichtag ihre Anteile auf eine inländische Bank, die als zivilrechtliche Eigentümerin zum Dividendenstichtag die gesamte einbehaltene Kapitalertragsteuer im Wege der Erstattung oder Anrechnung nutzen kann. Nach dem Dividendenstichtag wird kurze Zeit später der Anteilsbesitz wieder auf den ausländischen Investor zurückübertragen zusammen mit der erhaltenen Bardividende zuzüglich der gesamten Kapitalertragsteuer sowie abzüglich einer Marge für die Durchführung des Geschäftes. Solche Dividendenstrippingverfahren sind nicht neu. Zur Zeit der Geltung des körperschaftlichen Anrechnungsverfahrens wurden von der Finanzverwaltung mehrere Anläufe unternommen, die beschriebene Gestaltung als Verstoß gegen § 42 AO zu würdigen. Jedoch ist der BFH dieser Betrachtung nicht gefolgt, weil die damaligen Sonderregelungen im Anrechnungsverfahren zur Verhinderung von Dividendenstrippingmodellen (§ 50c EStG a.F.) als Sonderregelung zu § 42 AO erachtet wurde, die den Rückgriff auf § 42 AO in Sachverhalten, die nicht spezialgesetzlich erfasst sind, sperren. 21 Mit Ausnahme der Veranlagungszeiträume 2008 und 2009 mit jeweils einer Grenze von 150 Euro.

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Mittlerweile hat sich die gesetzliche Ausgangssituation durch Abschaffung des Anrechnungsverfahrens und aller in diesem Zusammenhang erforderlicher Regelungen geändert. Der BFH22 hat in einem Rechtsstreit, der allerdings noch zu einer qualifizierten Wertpapierleihe geführt wurde und in dem die beteiligten Parteien nur über die Frage nach dem Anwendungszeitpunkt des § 8b Abs. 10 KStG stritten, letztlich für viele Akteure überraschend geurteilt, dass in dem konkreten Fall es auf die zeitliche Anwendung des § 8b Abs. 10 KStG nicht ankomme, weil schon das wirtschaftliche Eigentum auf den inländischen Steuerpflichtigen nicht übergegangen, sondern bei dem ausländischen Investor verbleiben sei. Es stelle sich auch nicht die Frage, ob § 42 AO anzuwenden sei, weil in dem Fall § 39 AO der Anwendung der allgemeinen Missbrauchsvorschrift vorgehe. Der BFH hat in dem entschiedenen Sachverhalt eine Reihe von Kriterien aufgezählt, die deutlich machen, dass das Eigentum in seinem wirtschaftlichen Kern in dem entschiedenen Fall nicht auf den inländischen Steuerpflichtigen übertragen worden war. Obgleich die Entscheidung nicht zu einem typischen Cum-Cum-Geschäft der jüngeren Zeit ergangen ist, stellt sich gleichwohl die Frage, ob die in dem Urteil aufgestellten allgemeinen Grundsätze für die Einschätzung der jetzigen Geschäfte zu gelten haben. Diese Frage ist deshalb berechtigt, weil die Bedingungen, zu denen die Gesellschaftsanteile an die inländische Bank übertragen werden, durchaus vergleichbar sind. Das zur Zurechnung von Wertpapiergeschäften ergangene BMF-Schreiben vom 11.11.201623, das die BFH-Entscheidung vom 18.8.2015 und deren Anwendung auf die Praxis der Finanzverwaltung erläutert, vermittelt mit seinen Ausführungen jedoch einen anderen Eindruck. Aus meiner Sicht steht die Finanzverwaltung zu Recht unter besonderer Beobachtung. Hinzuweisen ist auf den Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, der die Umstände zu den sog. Cum-Ex-Geschäften untersucht. Zweifellos bestehen zu diesen erhebliche Unterschiede, weil die Mehrfacherstattung einer nur einmal gezahlten oder sogar überhaupt nicht gezahlten Kapitalertragsteuer strafrechtliche Relevanz hat. Jedoch gerät in diesem Zusammenhang auch die Art der konkret durchgeführten Cum-Cum-Geschäfte in den politischen Fokus, zumal vielen Cum-Ex-Geschäften ein Cum-Cum-Geschäft vorausging allein zu dem

22 BFH v. 18.8.2015 – I R 88/13, BStBl. II 2016, 961. 23 BMF-Schr. v. 11.11.2016 – IV C 6 – S 2134/10/10003-02, BStBl. 2016, 1324.

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Zweck, sich eine hinreichend große Anzahl von Anteilen an inländischen, Dividenden auszahlenden Kapitalgesellschaften zu beschaffen. Die Diskussion hierzu dauert noch an. Sie berührt zwar lediglich Fälle der Vergangenheit, da der neue § 36a EStG in der Fassung des Investmentsteuergesetzes Cum-Cum-Gestaltungen ab dem Jahr 2017 unattraktiv machen wird. In den noch offenen Altfällen im Bankenbereich zu CumCum-Strukturen, die von der Finanzverwaltung noch nicht abschließend beurteilt worden sind, können die wirtschaftlichen Auswirkungen beträchtlich sein, sollten die Grundsätze des BFH in seiner Entscheidung vom 18.8.2015 von der Finanzverwaltung letztlich doch allgemein angewendet werden und zu dem Ergebnis führen, dass vielfach in den üblichen Cum-Cum-Fällen das wirtschaftliche Eigentum an den übertragenen Anteilen bei dem ausländischen Investor verblieben ist.

III. Gewerbesteuer 1. Reisebranche Im Streit sind die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen innerhalb der Reisebranche. Betroffen sind Unternehmen, die Ferienreisen als Pauschalreisen anbieten und deshalb zum Zwecke der Zusammenstellung solcher Angebote Hotelleistungen einkaufen. Die Finanzverwaltung steht auf dem Standpunkt, dass die Zahlungen für den Hoteleinkauf Mietzahlungen darstellen und deshalb der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung unterliegen. In einem Musterverfahren hat das FG Münster mit Urteil v. 4.2.201624 der Finanzverwaltung im Kern Recht gegeben.25 Es vertritt die Auffassung, dass die Hinzurechnung der Aufwendungen für die reine Anmietung von Hotelkontingenten rechtens sei. Nicht hinzuzurechnen seien die Kosten für Nebenleistungen wie z.B. eingepreiste Kosten für die Rezeption, Kosten für Heizung der Zimmer oder Kosten für die Klimatisierung etc. Besondere zu separierende Kosten z.B. für die Verpflegung und Unterhaltung der Hotelgäste waren – bei Nachweis durch den Steuerpflichtigen – schon bislang nicht hinzugerechnet worden. Anders sah dies die Finanzverwaltung jedoch bei den engeren Nebenkosten der Anmietung von Hotelkontingenten. Gleichwohl wäre die Finanzverwaltung bereit gewesen, die Entscheidung des FG Münster in 24 FG Münster v. 4.2.2016 – 9 K 1472/13 G, Rev. eingelegt BFH I R 28/16. 25 Vgl. auch FG München v. 8.6.2015 – 7 K 3250/12, das die kurzfristige Anmietung von Messeflächen ebenfalls als Hinzurechnungstatbestand ansieht, Rev. eingelegt BFH I R 57/15.

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der Sache zu akzeptieren. Da jedoch die Klägerin die vom FG Münster zugelassene Revision eingelegt hat, hat das zuständige Finanzamt in Bezug auf die steuerliche Behandlung von Nebenkosten Anschlussrevision eingelegt. Die Klägerin begründet ihren Schritt mit der fehlenden Sachgesetzlichkeit der Hinzurechnung von Leistungen, die einem Wareneinsatz beim Handel gleichkomme. Außerdem beklagt sie eine gleichheitswidrige Schlechterstellung zu solchen Reiseunternehmen, die Hotelleistungen lediglich vermitteln. Die Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen haben über den Bundesrat schon einmal einen Versuch unternommen, wenigstens für die Zukunft eine Lösung zur Abhilfe zu finden. NRW hat dabei eine gesetzliche Regelung vorgeschlagen, wonach kurzfristige Anmietungen von der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung ausgenommen werden sollen. Eine politische Mehrheit konnte für diesen Vorschlag bislang nichtgefunden werden. Damit bleibt die Entwicklung des Revisionsverfahrens vor dem BFH abzuwarten, um ggf. hieraus weitergehende Erkenntnisse zu gewinnen. 2. Gewinnverlagerungen im Inland International wie national werden Anstrengungen unternommen, nicht sachgerechte Verlagerungen des Besteuerungssubstrats und damit Gewinnverschiebungen in das Ausland zu verhindern. Es herrscht die Vorstellung vor, dass derjenige Fiskus für die Besteuerung zuständig ist, in dem das maßgebliche Besteuerungssubstrat auch erwirtschaftet worden ist. Dabei spielen Patente und Lizenzen eine besondere Rolle, die leicht für eine Gewinnverschiebung in das niedrig besteuernde Ausland nutzbar gemacht werden können. Auf die oben zu Punkt B.I.2. gemachten Ausführungen in Bezug auf den Nexus-Ansatz und eine denkbare Abwehrgesetzgebung durch Einführung einer Lizenzschranke wird hingewiesen. Ausgehend von diesem Standpunkt geraten auch inländische Steuersubstratverschiebungen mit allein gewerbesteuerlichen Auswirkungen in die politische Diskussion. Auslöser ist die mittlerweile vorzufindende erhebliche Spreizung der Gewerbesteuerhebesätze unter den Kommunen. Dazu trägt die unheilvolle Entwicklung bei, dass die Kommunalaufsichtsbehörden bei Kommunen, deren finanzielle Situation besonders angespannt ist, darauf drängen, dass zur Verbesserung der kommunalen Einnahmen die Hebesätze für Gewerbesteuer und Grundsteuer immer weiter angehoben werden. Während dies bei der Grundsteuer noch über100

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wiegend gefahrlos vorgenommen werden kann, weil Grundstücke ortsgebunden sind, führen die erheblichen gewerbesteuerlichen Belastungen zu Verhaltensreaktionen der Steuerpflichtigen. Als eine solche Verhaltensreaktion ist zu beobachten, dass fungible Wirtschaftsgüter wie z.B. Lizenzen und Patente auf konzerneigene Personengesellschaften zu Buchwerten nach § 6 Abs. 5 EStG übertragen werden. Die Lizenznehmerin wird in einer Gemeinde ansässig sein, deren Gewerbesteuersätze hoch sind, während die die Lizenzzahlungen empfangende Gesellschaft in einer Gemeinde ansässig ist, deren Gewerbesteuersätze niedrig sind. Die Vorteile aus der Nutzung niedriger Gewerbesteuerhebeätze überwiegen dabei deutlich die Nachteile aus der Hinzurechnung bei der zahlenden Gesellschaft. Wegen der damit verbundenen gewerbesteuerlichen Auswirkungen zulasten negativ betroffener Kommunen wurden schon öffentlich Streitgespräche z.B. zwischen den Kämmerern der Städte Monheim (Gewerbesteuerhebesatz 265 %) und Oberhausen (Gewerbesteuerhebesatz 550 %) geführt26. In der Politik sind solche Verhaltensreaktionen der Steuerpflichtigen bereits aufgefallen, und es wird der Ruf laut, dem Einhalt zu gebieten, weil sich in Kommunen mit den hohen Hebesätze zumeist hergebrachte Industriestandorte befinden, die kostenintensive Infrastrukturmaßnahmen erfordern. Es könne nach Auffassung der Politik daher nicht sein, dass das Besteuerungssubstrat, das in solchen Standorten von dem jeweiligen Unternehmen erwirtschaftet wird, mittels des Vehikels Patent- oder Lizenzrecht in Standorte mit niedrigen Gewerbesteuersätzen verlagert werde. Der Bundesrat hat mit seiner Entschließung vom 16.12.2016 die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzesvorschlag zur Unterbindung der beschriebenen Gestaltungsmodelle mit innerdeutschen Lizenzzahlungen vorzulegen, durch den eine angemessene Verteilung des Besteuerungssubstrats zwischen den Gemeinden gewährleistet wird.27 Der Ausgang dieser Diskussion ist noch offen. Patentrezepte sind nicht erkennbar. Das kommunale Hebesatzrecht soll ein Instrument der Kommunen sein, hiermit nicht nur ihre Einnahmebasis zu sichern, sondern auch Ansiedlungspolitik betreiben zu können. Wenn die Kommunen im gesetzlichen Rahmen diese Instrumentarium nutzen, kann ihnen dies m.E. nicht ernstlich vorgehalten werden. Es erweist sich auch aus deutscher Sicht volkswirtschaftlich als nützlich, wenn ausländische Investoren sich von solchen Erwägungen in ihrer Ansiedlungsentscheidung leiten lassen. Überlegun26 WAZ v. 10.10.2016. 27 BR-Drs. 635/16 (Beschluss).

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gen, den Mindesthebesatz von derzeit 200 % deutlich anzuheben, dürften damit mehr schaden als nützen. Damit bleibt nur der Ansatz, dass den Gewinnverlagerung zwischen nahestehenden Personen (z.B. innerhalb von Konzernen) mittels der Nutzung von Patenten und Lizenzen Schranken gesetzt werden mit dem Ziel, gewerbesteuerlich die entsprechenden Zahlungen nicht zum Abzug zuzulassen.

IV. Grunderwerbsteuer – share deals In einigen Bundesländern – darunter Nordrhein-Westfalen – sind in den letzten Jahren die Steuersätze für die Grunderwerbsteuer beträchtlich angehoben worden. Im Rahmen der parlamentarischen Anhörung zu der jüngsten Anhebung des Steuersatzes auf 6,5 % in Nordrhein-Westfalen wurde einmal mehr deutlich, dass Verkäufer und Käufer insbesondere von Großimmobilien von der Anhebung des Steuersatzes in deutlich geringerem Maße als gemeinhin angenommen betroffen sein werden, weil sie regelmäßig die Möglichkeiten des share-deals für Grundstücksübertragungen nutzen. Grundbesitz dieser Art wird i.d.R. von Kapitalgesellschaften als Eigentümern gehalten. Eine Veräußerung einer Beteiligung an einer solchen Gesellschaft von unter 95 % löst keine Grunderwerbsteuer aus (§ 1 Abs. 1a GrEStG). Vielfach lassen sich die Mehrheitsgesellschafter mit Anteilen von üblicherweise 94,9 % von dem Gesellschafter der restlichen 5,1 % der Anteile noch das Recht zur Ausübung von dessen Stimmrecht übertragen, so dass eine vollständige Beherrschung der Grundbesitz haltenden Gesellschaft gesichert ist. Derartige schuldrechtliche Vereinbarungen zur Ausübung des Stimmrechtes sind nach geltender Rechtslage unschädlich und führen nicht zu einer Anteilsvereinigung von mindestens 95 % der Anteile. Steuerpolitisch ist dieser Umstand von mehreren Bundesländern aufgegriffen worden, weil eine nicht hinzunehmende Schieflage gesehen wird zwischen solchen Großinvestoren und dem Normalbürger, der bei dem Erwerb einer zu eigenen Zwecken genutzten Immobilie keinerlei Umgehungsmöglichkeiten hat. Derzeit werden im Länderkreis Überlegungen angestellt, wie solche Gestaltungen eingedämmt werden können. Dabei wird auch die Herabsetzung der Beteiligungsgrenze auf etwa 75 % diskutiert, ab der bei Fehlen einer (aktienrechtlich) vorhandenen Sperrminorität die Beherrschungssituation als derart stark angenommen werden kann, dass hieraus grunderwerbsteuerliche Konsequenzen gezogen werden könnten. Die Beratungen sind hierzu allerdings noch nicht abgeschlossen. 102

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D. Der Brexit aus steuerlicher Sicht In 2016 war das Referendum im Vereinigten Königreich Großbritannien mit der Befürwortung, die EU zu verlassen, eines der bemerkenswertesten Entscheidungen in Europa. Der Antrag, die EU verlassen zu wollen, ist am 28.3.2017 gestellt worden, so dass sich nunmehr die Austrittsverhandlungen anschließen, die eine Zeitspanne von zwei Jahren in Anspruch nehmen können (Art. 50 Abs. 3 EUV). Bis dahin bleibt es bei der Mitgliedschaft von GB in der EU, so dass sich steuerlich bis dahin auch nichts ändert. Steuerliche Konsequenzen sind damit erst langfristig in den Blick zu nehmen, weil mit dem Austritt europarechtliche Regelungen auf dem Gebiet der direkten und indirekten Steuern nicht mehr im Verhältnis zu GB gelten werden.28 Es handelt sich dabei im Wesentlichen um folgende Bestimmungen: –

Wegfall der Mutter-Tochter-Richtlinie, so dass Dividendenausschüttungen an ein Mutterunternehmen in GB dann dem Kapitalertragsteuerabzug unterworfen sind. Die Höhe des Abzugs bestimmt sich nach dem DBA-GB, das an die Stelle der europarechtlichen Regeln treten wird. Denkbar ist allerdings, dass GB mit Deutschland die DBA-Bestimmungen zu seinen Gunsten verbessern möchte. Jedenfalls werden entsprechende bilaterale Regelungen notwendig werden. Bezogene Dividenden von einem Unternehmen in GB unterliegen im Grundsatz dem § 8b KStG. Ein Schachtelprivileg knüpft das DBA-GB aber an bestimmte Aktivitätsklauseln, die dann erfüllt sein müssen.



Wegfall der Fusionsrichtlinie, so dass eine Einbringung von strukturiertem Betriebsvermögen in Deutschland durch eine in GB ansässige Gesellschaft nicht begünstigt ist, also nicht zu Buchwerten möglich sein wird.



Der Wegzug von Kapitalgesellschaften in einen Drittstaat wird als Auflösung der Gesellschaft angesehen und führt zur Schlussbesteuerung in Deutschland (§ 11 KStG). Ist GB ebenfalls ein Drittstaat, würde hier dieselbe Rechtsfolge eintreten.



Übertragungen von Wirtschaftsgütern aus einem hiesigen Betriebsvermögen in eine Betriebsstätte in GB führen zur Aufdeckung aller stillen Reserven und zu deren Sofortversteuerung ohne Aufschubmöglichkeiten.

28 Vgl. hierzu die instruktive Darstellung von Peykan/Hanten/Gegusch, DB 2016, 1526.

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Das europäische Mehrwertsteuersystem wird in Bezug auf GB nicht mehr anwendbar sein. Die Liefer- und Leistungsbeziehungen werden dann nach dem geltenden Recht für Ausfuhren und Einfuhren zu beurteilen sein. Mit dem Austritt ist auch das Ausscheiden aus der europäischen Zollunion verbunden.

E. Schlussbemerkung Als der Verfasser diese Zeilen niederschrieb, konkretisierten die politischen Parteien teils bereits ihre steuerpolitischen Vorstellungen, mit denen sie die Wähler für die Bundestagswahl 2017 gewinnen wollen. Die CDU legte sich auf ihrem Parteitag am 6.12.2017 fest, dass keine Steuererhöhung vorgenommen werde, und schränkte ihren bislang eingenommen Spielraum, lediglich die Höhe der in Deutschland bestehenden Steuerquote nicht ansteigen zu lassen, deutlich ein. Auch traf sie die Aussage, die Schenkungs- und Erbschaftsteuer unberührt zu lassen, zumindest sie nicht anzuheben zu wollen. Die anderen derzeit im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien führen demgegenüber eine Debatte der Steuergerechtigkeit, die sich mit der steuerlichen Lastenverteilung auseinandersetzt. Dabei stehen außer der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und der Eindämmung steuermindernder Gestaltungen im unternehmerischen Bereich auch die schenkungs- und erbschaftsteuerliche Besteuerung von Übernehmern von Unternehmensanteilen, die Veränderung des Einkommensteuertarifs mit Entlastungen im unteren und Belastungen im höheren Einkommenssegment und sogar die Wiederbelebung der Vermögensteuer zur Debatte. Sehr still geworden ist es hingegen um Bemühungen, das Steuerrecht zu vereinfachen, zu entschlacken und in einer verstehbaren Form zu präsentieren. Die Idee, das Steuerrecht zu vereinfachen, ist kein Wahlkampfschlager. Schade!

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Ausgewählte Neuregelungen durch das „BEPS 1-Umsetzungsgesetz“ Dr. Norbert Schneider1 Rechtsanwalt, Steuerberater, Köln Inhaltsübersicht A. Einleitung B. Gewerbesteuerliche Behandlung von Schachteldividenden bei einer Organschaft (§ 7a GewStG) I. Bisherige Rechtslage II. Rechtslage nach Einführung von § 7a GewStG III. Anmerkungen und Kritik C. Gewerbesteuerpflicht passiver ausländischer Einkünfte (§ 7 Satz 7–9 und § 9 Nr. 2 Satz 2, Nr. 3 Satz 1 GewStG) I. Bisherige Rechtslage II. Änderung von § 7 Sätze 7–9 und § 9 Nr. 2 Satz 2, Nr. 3 Satz 1 GewStG III. Anmerkungen und Kritik IV. Fragliche Konstellationen V. Fazit D. Ausweitung der Rückfallregelung gem. § 50d Abs. 9 EStG I. Bisherige Rechtslage II. Neuregelung § 50d Abs. 9 Satz 1 und 4 EStG III. Anmerkungen und Kritik

E. Änderungen bei Finanzunternehmen (§ 8b Abs. 7 Satz 2 KStG und § 3 Nr. 40 Satz 3, Halbsatz 2 EStG) F. Sonderbetriebsausgabenabzug bei Vorgängen mit Auslandsbezug (Neueinführung § 4i EStG) I. Hintergrund II. § 4i EStG III. Anmerkungen und Kritik G. Beseitigung der überschießenden Wirkung des § 50i EStG I. Rechtslage bis 2017 II. § 50i EStG n.F. III. Anmerkungen und Kritik H. Beschränkte Steuerpflicht bei Veräußerung von Anteilen an grundbesitzhaltenden Körperschaften I. Anwendung von § 12 Abs. 5 UmwStG auf grenzüberschreitende Verschmelzungen J. Weiternutzung von Verlusten (§ 8d KStG) I. Überblick über die Regelung des § 8c KStG

1 RA/StB Dr. Norbert Schneider ist Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP im Rheinland Büro und Leiter der Steuerpraxis Deutschland/Österreich. Der Beitrag beruht auf dem Vortrag beim 68. Fachkongress der Steuerberater 2016 am 25.10.2016 gemeinsam mit Herrn Dr. Rolf Möhlenbrock aus dem Bundesministerium der Finanzen zum seinerzeitigen Gesetzesentwurf. Der Verfasser bedankt sich bei Herrn Max Nosthoff-Horstmann und Frau Nina Erm, wissenschaftliche Mitarbeiter bei Freshfields, für die wertvolle Mitarbeit bei der Vorbereitung des Beitrags.

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Schneider, Ausgewählte Neuregelungen durch das „BEPS 1-Umsetzungsgesetz“ II. Ausnahmen: Kein Untergang der Verluste 1. Konzernklausel (§ 8c Abs. 1 S. 5 KStG) 2. Stille-Reserven-Klausel (§ 8c Abs. 1 S. 6–9 KStG) 3. Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG)

III. Überblick über die Neuregelung des § 8d KStG IV. Tatbestandsvoraussetzungen des § 8d KStG V. Zentraler Begriff: Geschäftsbetrieb VI. Rechtsfolge bei schädlichem Ereignis VII. Abschließende Würdigung

A. Einleitung Am 20.12.2016 ist das Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EUAmtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen (hierin vereinfacht als BEPS 1-Gesetz bezeichnet) verabschiedet worden.2 Wie der offizielle Name bereits vermuten lässt, beinhaltet das Gesetz erste Umsetzungsschritte im Hinblick auf die Empfehlungen des OECD BEPS-Projektes. Das betrifft insbesondere die Einführung des sog. Country by Country Reporting (CbCR). Noch nicht enthalten sind Maßnahmen im Hinblick auf die erst später beschlossene Anti Tax Avoidance Richtlinie3 (sog. ATAD). Daneben beinhaltet das Gesetz aber auch eine ganze Reihe von einzelnen rechtsprechungskorrigierenden Gesetzesänderungen, die mit BEPS nichts zu tun haben. Diese betreffen u.a. Verschärfungen im Bereich der Gewerbesteuer (Einführung von § 7 Satz 7 ff. und § 7a GewStG) sowie eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Rückfallregelung aus § 50d Abs. 9 EStG. Durch Empfehlungen des Bundesrates haben auch – z.T. sehr substanzielle – Regelungsvorschläge Eingang in das Gesetzeswerk gefunden. Mit § 4i EStG ist eine, von den OECD-Empfehlungen und der ATAD unabhängige Vorschrift zur Bekämpfung von hybriden Gestaltungen bei Personengesellschaften geschaffen worden. Ebenso ist die lang erwartete gesetzliche Entschärfung des § 50i EStG mit aufgenommen worden. Insgesamt stellt sich das Gesetz damit als eine Art Jahressteuergesetz 2016 dar. Dieser Beitrag soll auf Grundlage des Vortrages beim 68. Fachkongress der Steuerberater am 25.10.2016 (zusammen mit Dr. Rolf Möhlenbrock aus dem Bundesministerium der Finanzen) die wichtigsten Änderungen des BEPS 1-Gesetz außerhalb der Umsetzung des CbCR im 2 BGBl. I. 2016, 3000. 3 Richtlinie des Rates (EU) 2016/1164, ABl. L 193/1.

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Überblick erläutern und einige kritische Anmerkungen dazu machen. Abschließend wird etwas umfassender auf den neuen § 8d KStG eingegangen, der mit recht kurzem Vorlauf durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften4 am 20.12.2016 verabschiedet wurde.

B. Gewerbesteuerliche Behandlung von Schachteldividenden bei einer Organschaft (§ 7a GewStG) I. Bisherige Rechtslage Erfolgt eine Dividendenzahlung an eine Kapitalgesellschaft aus einer Schachtelbeteiligung (10 % Beteiligung notwendig, vgl. § 8b Abs. 4 KStG) ist die Dividende körperschaftsteuerlich steuerfrei (§ 8b Abs. 1 KStG); lediglich 5 % zählen gem. § 8b Abs. 5 KStG als nicht abziehbare Betriebsausgaben, so dass sich faktisch eine 95 %ige Steuerbefreiung und eine 5 %ige Steuerpflicht ergibt. Grundsätzlich gilt dies auch gewerbesteuerlich: In der Kombination aus der gewerbesteuerlichen Kürzung und partiellen Hinzurechnung nach § 9 Nr. 2a Satz 4 i.V.m. § 8 Nr. 5 GewStG unterliegen die 5 % auch der Gewerbesteuer. Fraglich ist ob dies genauso gilt, wenn die Dividendenempfängerin eine Organgesellschaft ist. Der Gewerbeertrag einer Organgesellschaft wird aufgrund der Betriebsstättenfiktion aus § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG auf Basis der sog. gebrochenen Einheitstheorie ermittelt.5 Zunächst wird für die Organgesellschaft isoliert der Gewerbeertrag ermittelt und anschließend mit dem Gewerbeertrag des Organträgers zusammengerechnet. Für Schachteldividenden vertrat die Finanzverwaltung die Auffassung, dass die 5 %-„Schachtelstrafe“ ebenfalls bei Organgesellschaften anzuwenden sei. Der BFH ist dieser Praxis jedoch mit seiner Entscheidung vom 17.12.2014 entgegengetreten.6 Die „Bruttomethode“ des § 15 Satz 1 Nr. 2 KStG finde auch im Falle der gewerbesteuerlichen Organschaft Anwendung. Infolgedessen bleibe § 8b KStG bei der Gewinnermittlung außer Betracht, wodurch die Dividenden in voller Höhe in den Gewerbeertrag nach § 7 GewStG einfließen. Die Kürzung des Gewerbeertrages nach § 9 Nr. 2a, 7 oder 9 GewStG bleibe hingegen von § 15 Satz 1 Nr. 2 4 BGBl. I. 2016, 2998. 5 Ständige Rechtsprechung des BFH, zuletzt Urteil v. 18.5.2011 – X R 4/10, BStBl. II 2011, 887. 6 BFH, Urt. v. 17.12.2014 – I R 39/14, BStBl. II 2015, 1052.

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KStG unberührt, sodass es zu einer vollen Kürzung der Schachteldividenden aus dem Gewerbeertrag der Organgesellschaft kommt. Folge ist die volle Gewerbesteuerfreiheit auf Ebene der Organgesellschaft. Zwar wird der Gewerbeertrag dem Organträger später zugerechnet, jedoch enthält dieser Betrag keine Schachteldividenden mehr, womit eine Anwendung des § 8b Abs. 5 KStG auf Ebene des Organträgers ausscheidet. Die Vereinnahmung bleibt demzufolge letztlich gewerbesteuerfrei. Nach einigen Diskussionen über die Handhabung dieses Urteils hat die Finanzverwaltung sich mit Veröffentlichung im Bundessteuerblatt der Ansicht des BFH angeschlossen.7

II. Rechtslage nach Einführung von § 7a GewStG Mit Einführung des § 7a GewStG reagiert der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des BFH. Inhaltlich handelt es sich dabei um ein Nichtanwendungsgesetz, dass der alten Auffassung der Finanzverwaltung nunmehr eine Grundlage für die Zukunft bereitet. Ziel ist es, die gewerbesteuerliche Besserstellung von Organgesellschaften beim Bezug von Schachteldividenden zu beseitigen.8 Umgesetzt wird dies durch eine zweistufige Prüfung im Rahmen von § 7a GewStG. Stufe 1: Bei Ermittlung des Gewerbeertrages der Organgesellschaft soll gem. § 7a Abs. 1 GewStG sowohl die Kürzung des Gewerbeertrages gem. § 9 Nr. 2a, 7 oder 8 GewStG als auch die Hinzurechnung von Aufwendungen, die mit den Schachteldividenden in unmittelbarem Zusammenhang stehen (§ 8 Nr. 1 GewStG), ausscheiden. Somit verbleiben die bezogenen Dividenden zunächst zu 100 % in der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage. Stufe 2: Für den so ermittelten Gewerbeertrag sollen auf zweiter Stufe gem. § 7a Abs. 2 Satz 1 GewStG die Bruttomethode nach § 15 Satz 1 Nr. 2 Sätze 2–4 KStG, die Hinzurechnungen gem. § 8 Nr. 1 und 5 sowie die Kürzung gem. § 9 Nr. 2a, 7 oder 8 GewStG bei Ermittlung des Gewerbeertrags der Organgesellschaft „entsprechend“ angewendet werden. Dies bedeutet, dass § 8b Abs. 1 und 5 KStG bzw. §§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2 EStG entsprechend der Rechtsform des Organträgers bei der Ermittlung des Gewerbeertrages be7 Prinz, GmbHR 2016, R 289, R 290. 8 BT-Drs. 18/9536, 60.

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rücksichtigt werden. Im Ergebnis soll so die 5 %-Steuerpflicht sichergestellt werden. Die Schachtelstrafe entfaltet ihre Wirkung damit auch bei Dividendenvereinnahmung durch eine Organgesellschaft. § 7a Abs. 2 Satz 2 soll zudem klarstellen, dass auf dieser zweiten Stufe der Gewerbeertragsbestimmung die Hinzurechnungsbeträge nach § 8 Nr. 1 GewStG „unter Berücksichtigung der Korrekturbeträge“ aus § 7a Abs. 1 und 2 Satz 1 GewStG zu berechnen sind.9 Diese Vorgehensweise gilt gem. § 7 Abs. 3 GewStG entsprechend bei Freistellungen aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen.

III. Anmerkungen und Kritik Während das Ziel des Gesetzgebers, die Besserstellung von Organgesellschaften bei der Vereinnahmung von Schachteldividenden zu beseitigten, nachvollziehbar ist, gilt dies für den Wortlaut der Regelung nicht uneingeschränkt. Verwirrend ist insbesondere der Zusammenhang zwischen § 7a Abs. 1 und 2 GewStG. Nachdem § 7a Abs. 1 GewStG die Kürzung des Gewerbeertrages gem. § 9 Nr. 2a GewStG ausschließt, ordnet § 7a Abs. 2 GewStG die entsprechende Anwendung von § 9 Nr. 2a, 7 oder 8 GewStG bei Ermittlung des Gewerbeertrages auf Ebene der Organgesellschaft wieder an. Hierbei handelt es sich allerdings nicht, wie zunächst vermutet, um ein Versehen des Gesetzgebers.10 Ausweislich der Gesetzesbegründung soll die Einführung von § 7a GewStG die Grundsätze der gebrochenen Einheitstheorie zur Ermittlung der Gewerbesteuer in einer Organschaft unangetastet lassen.11 Die Gewerbeerträge werden also weiterhin getrennt für Organgesellschaft und Organträger ermittelt und erst danach zusammengerechnet.12 Hier liegt die Ursache für die schwer verständliche Konzeption des § 7a GewStG. Eine direkte Anwendung des § 8b KStG auf Ebene der Organgesellschaft scheidet aus, da dies die Bruttomethode des § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 KStG unterlaufen würde. Ebenso scheidet die Anwendung auf Ebene des Organträgers über § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 ff. KStG samt entsprechender gewerbesteuerlicher Kürzungsvorschriften aus. Zu diesem Zeitpunkt wären die Schachteldividenden bereits vollständig aus dem zuzurechnenden Gewerbeertrag der Organge9 10 11 12

BT-Drs. 18/9536, 60. Schnitger, IStR 2016, 637, 644; Prinz, GmbHR 2016, R 289, R 290. BT-Drs. 18/9536, 60. Pieper in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 7a GewStG Rz. 3.

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sellschaft herausgekürzt worden. Deshalb muss die Anwendung von § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 ff. KStG sowie der §§ 9 Nr. 2a, 3, 7 und 8 Nr. 1 GewStG „entsprechend“ der Verhältnisse des Organträgers bereits auf Ebene der Organgesellschaft stattfinden. Dadurch kann erreicht werden, dass 5 % der Dividendenerträge im Gewerbeertrag der Organgesellschaft erhalten bleiben.13 Dementsprechend dürfte es sich bei der Anordnung des § 7a Abs. 2 Satz 1 GewStG, die genannten Vorschriften entsprechend bei der Ermittlung des Gewerbeertrages der „Organgesellschaft“ anzuwenden, nicht um einen redaktionellen Fehler handeln. Es liegt vielmehr eine u.E. missverständliche Regelung vor, die für die §§ 8b KStG, 9 Nr. 2a, 3, 7 und 8 Nr. 1 GewStG materiell auf die Verhältnisse des Organträgers abstellt, ohne dass dieser in der Norm benannt wird.14 Die Ausgestaltung des § 7a GewStG ist darüber hinaus in unnötiger Weise unsystematisch. Anstatt die Bruttomethode aus § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 KStG konsequent für die Gewerbesteuer umzusetzen, wird durch eine entsprechende Anwendung der Vorschriften, basierend auf den Verhältnissen des Organträgers, eine „Netto“-Zurechnung vollzogen. Der Gleichlauf der körperschaft- und gewerbesteuerlichen Organschaft wird dadurch verpasst. Zudem hängen die Wirkungen des § 7a GewStG im Wesentlichen vom Steuerstatus des Organträgers und den unmittelbaren Finanzierungsaufwendungen i.S.v. § 8 Nr. 1 GewStG ab. So könnte die Abzugsfähigkeit von bisher im Rahmen der Gewerbeertragsermittlung abziehbaren Finanzierungsaufwendungen auf Ebene der Organgesellschaft beeinträchtigt werden. Zwar sieht § 7a Abs. 2 Satz 2 GewStG die Berücksichtigung von sog. „Korrekturbeträgen“ vor, jedoch werden diese nicht weiter präzisiert, sodass eine Durchleuchtung der auf den verschiedenen Ebenen anfallenden Finanzierungsaufwendungen angezeigt ist.15 Zuletzt wirkt die Regelung nur punktuell. Die Behandlung von Streubesitzanteilen und Veräußerungsgewinnen bleibt unberührt.16 Die Motive für die Einführung des § 7a GewStG sind damit zwar nachvollziehbar, eine konsequente Umsetzung der „Bruttomethode“, unter Abkehr von der gebrochenen Einheitstheorie, wäre jedoch vorzugswürdig gewesen.

13 Zutreffend Benz/Böhmer, DB 2016, 1531, 1532. 14 S. hierzu die Prüfbitte des Bundesrates, Beschl. v. 23.9.2016, BR-Drs. 406/16, 35. 15 Prinz, GmbHR 2016, R 289, R 290. 16 Benz/Böhmer, DB 2016, 1531, 1532.

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C. Gewerbesteuerpflicht passiver ausländischer Einkünfte (§ 7 Satz 7–9 und § 9 Nr. 2 Satz 2, Nr. 3 Satz 1 GewStG) I. Bisherige Rechtslage Der Gewerbeertrag als Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer ermittelt sich gem. § 7 Satz 1 GewStG in zwei Schritten. Die Ausgangsgröße bildet der nach den Vorschriften des Einkommen- oder Körperschaftsteuergesetzes ermittelte Gewinn. In einem zweiten Schritt wird diese Größe um Hinzurechnungen und Kürzungen gem. §§ 8, 9 GewStG korrigiert. Dabei knüpft die Gewerbesteuer als territoriale Objektsteuer gem. § 2 Abs. 1 GewStG grundsätzlich an inländische Gewerbebetriebe an. Gewinnanteile ausländischer Betriebsstätten werden aus der Bemessungsgrundlage herausgekürzt (vgl. § 9 Nr. 3 GewStG). Im Falle des BFH-Urteils vom 11.3.2015 (I R 10/14) stand die Gewerbesteuerpflicht eines Hinzurechnungsbetrags i.S.d. § 10 AStG im Streit. Der inländische beherrschende Gesellschafter war an dieser Zwischengesellschaft beteiligt, und – da letztere passive niedrig besteuerte Einkünfte erzielt hatte – erhielt einen entsprechenden Hinzurechnungsbetrag zugerechnet.17 Dieser Betrag ist einkommen- bzw. körperschaftsteuerlich zu erfassen, weshalb er auch zunächst im Gewerbeertrag nach § 7 Satz 1 GewStG enthalten ist. Streitig war, ob die Kürzung nach § 9 Nr. 3 GewStG griff, weil ausländische Betriebsstätteneinkünfte vorlagen. Der BFH bejahte diese Kürzung, und zwar einerseits weil seiner Meinung nach nur „eine“ ausländische Betriebsstätte vorliegen müsse, diese aber nicht zwingend dem inländischen Gewerbetreibenden gehören müsse (die eigentliche ausländische Betriebsstätte ist tatsächlich der Zwischengesellschaft zuzurechnen). Daneben hält er die Kürzung aber auch aus systematischen Gründen für gerechtfertigt, weil ansonsten eine Ungleichbehandlung gegenüber dem Erzielen solcher passiver Einkünfte über eine echte Betriebsstätte des inländischen Steuerpflichtigen erfolgte – denn in einem solchen Fall ordnete § 20 Abs. 2 AStG lediglich den Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode vor; ein eigentlicher Hinzurechnungsbetrag wird nicht erfasst; gewerbesteuerlich ordnete § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG unmissverständlich die Kürzung des Gewerbeertrages für diesen Teil der Erträge an. Im Ergebnis sind damit nach Ansicht des BFH ausländische passive Einkünfte nicht gewerbesteuerpflichtig unabhängig davon, ob sie über eine Zwischengesellschaft 17 BFH, Urt. v. 11.3.2015 – I R 10/14, BStBl. II 2015, 1049.

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oder Betriebsstätte erzielt werden. Die Finanzverwaltung hat nach einiger Bedenkzeit auf die Entscheidung mit einem Nichtanwendungserlass reagiert.18

II. Änderung von § 7 Sätze 7–9 und § 9 Nr. 2 Satz 2, Nr. 3 Satz 1 GewStG Mit entsprechenden Änderungen der §§ 7 und 9 GewStG will der Gesetzgeber die von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung bestätigen und „klarstellen“, dass Hinzurechnungsbeträge für von ausländischen Zwischengesellschaften erzielte passive Einkünfte der Gewerbesteuer unterliegen. Damit wird die Rechtslage angepasst an die bisherige Auffassung der Finanzverwaltung. Jedoch geht die Gesetzesänderung darüber hinaus und ordnet – nunmehr erstmalig – die Erfassung passiver Einkünfte ausländischer Betriebsstätten bei der Gewerbesteuer an. § 7 Satz 7 GewStG ordnet nunmehr an, dass Hinzurechnungsbeträge i.S.d. § 10 Abs. 1 AStG Einkünfte darstellen, die in einer inländischen Betriebsstätte anfallen. Dem Wortlaut nach ist das Bestehen einer inländischen Betriebsstätte notwendige Voraussetzung für die inländische Gewerbesteuerpflicht der über die ausländische Zwischengesellschaft erzielten passiven Einkünfte. Nach § 7 Satz 8 GewStG gelten jetzt auch Einkünfte i.S.d. § 20 Abs. 2 AStG als in einer inländischen Betriebsstätte angefallen. Dies gilt unabhängig davon, ob kein DBA besteht oder ein bestehendes DBA explizit die Anwendung der Anrechnungsmethode vorschreibt. Anders als § 7 Satz 7 GewStG arbeitet der Gesetzgeber in § 7 Satz 8 GewStG mit einer Fiktion. Der Wortlaut lässt die Auslegung zu, dass eine inländische Betriebsstätte für die Gewerbesteuerpflicht nicht notwendig ist. Diesbezüglich käme § 7 Satz 8 GewStG steuerbegründende Wirkung zu.19 § 7 Satz 9 GewStG sieht eine Ausnahme für § 7 Satz 8 GewStG vor. Eine Gewerbesteuerpflicht der über eine ausländische Betriebsstätte bezogenen passiven ausländischen Einkünfte scheidet aus, wenn eine Gewerbesteuerpflicht bei Bezug über eine ausländische Zwischengesellschaft gem. § 8 Abs. 2 AStG ausscheiden würde; dies betrifft EU/EWR-Fälle, in denen – in Anlehnung an die Cadbury Schweppes-Entscheidung des EuGH – eine ausreichende tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit nachgewiesen werden kann. 18 Gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 14.12.2015, BStBl. I 2015, 1090. 19 Böhmer/Bärsch, DB 2016, 1531, 1533; verneinend Schnitger, IStR 2016, 637, 643.

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§ 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG ist mit Blick auf die Auslegung des BFH dahingehend ergänzt worden, dass für die Kürzung nun ausdrücklich der Anfall von Einkünften in einer eigenen Betriebsstätte erforderlich ist. Zusätzlich ist in § 9 Nr. 2 Satz 2 Halbsatz 2 GewStG klarstellend eingefügt worden, dass eine Kürzung für Beträge i.S.d. § 7 Satz 8 GewStG ausscheidet. Anwendung finden die Vorschriften jeweils ab dem Veranlagungszeitraum 2017. Dabei ist zu beachten, dass hinsichtlich der Hinzurechnungsbeträge nach Auffassung der Finanzverwaltung schon vorher eine Gewerbesteuerpflicht bestand, die Änderung also nur klarstellend ist – das steht aber im Widerspruch zu der oben dargestellten Entscheidung I R 10/14 des BFH. Im Ergebnis wird die vom BFH geforderte Gleichbehandlung von Zwischengesellschaften und Betriebsstätten damit gesetzlich bewahrt bzw. hergestellt, nur anders als gedacht. Letztlich hat der Gesetzgeber eine umfassende Gewerbesteuerpflicht (außerhalb der § 8 Abs. 2 AStG-Fälle) für passive ausländische Einkünfte statuiert.

III. Anmerkungen und Kritik Der vom BFH eingeschlagene Weg, die Ungleichheit bei der Gewerbesteuerbelastung von Zwischengesellschaften und eigenen ausländischen Betriebsstätten zu beseitigen ist durch die Neureglung umgekehrt worden. Folge ist die Gewerbesteuerpflicht sämtlicher passiver ausländischer Einkünfte unabhängig davon, ob sie über eine Zwischengesellschaft oder eine eigene ausländische Betriebsstätte erzielt werden. Nur ein erfolgreicher Nachweis i.S.v. § 8 Abs. 2 AStG führt zu einem anderen Ergebnis. Bedenklich ist diese Entwicklung deshalb, weil sie einen Bruch mit tragenden Prinzipien der Gewerbesteuer darstellt. Zum einen wird durch die Gewerbesteuerpflicht von Hinzurechnungsbeträgen (§ 7 Satz 7 GewStG) und Betriebsstätteneinkünften (§ 7 Satz 8 GewStG) das Territorialitätsprinzip als verfassungsrechtliche Grundlage der Gewerbesteuer untergraben.20 Demgegenüber ist eine Möglichkeit zur Anrechnung ausländischer Steuern auf die inländische Gewerbesteuer nicht geschaffen worden.21 Es entsteht das Risiko der Doppelbelastung. § 8 AStG geht von niedrig besteuerten Einkünften bereits ab einem ausländischen Steuersatz unter 25 % aus. Dementsprechend kann es für Körperschaften bei ei20 Zur Bedeutung der Prinzipien für die Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer s. Schnitger, IStR, 637, 641 f.; Sommer/Retzer, ISR 2016, 283, 291. 21 Sommer/Retzer, ISR 2016, 283, 290 f.

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ner ausländischen Steuerbelastung über dem deutschen Körperschaftssteuerniveau schnell zu Anrechnungsüberhängen kommen.22 Für Mitunternehmer bietet sich gem. § 35 EStG zwar die Chance, die erhöhte Gewerbesteuerbelastung auf die Einkommenssteuer anzurechnen, jedoch reduziert dies gleichzeitig den anrechnungsfähigen Betrag ausländischer Einkünfte gem. § 34c EStG.23 Die inkonsequente Handhabung des Territorialitätsprinzips schließt demzufolge keine Besteuerungslücken, sondern birgt die Gefahr teils erheblicher Mehrbelastungen.24 Zum anderen verstößt § 7 Satz 8 GewStG, sofern man eine steuerbegründende Wirkung der Norm annimmt, gegen das Objektsteuerprinzip. Die Gewerbesteuer wird von persönlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen abhängig gemacht, da § 20 Abs. 2 AStG eine unbeschränkte Steuerpflicht voraussetzt. Handelt es sich dagegen um nur eine beschränkt steuerpflichtige Person, kommt § 20 Abs. 2 AStG und demnach eine Gewerbesteuerpflicht nach § 7 Satz 8 GewStG nicht in Betracht.25 Darüber hinaus stellt sich im Rahmen von § 7 Satz 8 GewStG die Frage, ob Verluste einer ausländischen Betriebsstätte für die Gewerbesteuer zu berücksichtigten sind. Die Norm stellt mit dem Begriff der „Einkünfte“ auf eine Saldogröße ab, die grundsätzlich auch negativ sein kann.26 Aufgrund der (partiell) vergleichbaren steuerlichen Behandlung von in- und ausländischen Betriebsstätten durch die Neuregelung, würde dies zudem der unionrechtlichen Verpflichtung zur Berücksichtigung von finalen ausländischen Betriebsstättenverlusten entsprechen.27 Eine derartige Nutzung von ausländischen Verlusten ist dagegen für Zwischengesellschaften nicht vorgesehen. § 8 Nr. 8 GewStG sieht weiterhin die Hinzurechnung für Verluste von Zwischengesellschaften vor, die den Gewerbeertrag gemindert haben. Während des Gesetzgebungsverfahrens ist dies noch für ein Versehen gehalten worden, welches jedoch nicht beseitigt worden ist. Dadurch verstärkt sich der Eindruck, dass fiskalische Interessen keine unbedeutende Rolle bei der Gesetzesänderung gespielt haben.28

22 23 24 25

Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 572 f. Schnitger, IStR 2016, 637, 643. Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 572 f. Zur Bedeutung der Prinzipien für die Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer s. Schnitger, IStR, 637, 641. 26 Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 573. 27 Schnitger, IStR 2016, 637, 641 ff.; Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 573. 28 Schnitger, IStR 2016, 637, 642; so auch Wassermeyer, IStR 2016, 517, 518.

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Allerdings besteht für Zwischengesellschaften u.U. die Möglichkeit, dass die Hinzurechnungsbeträge über § 9 Nr. 7 GewStG aus dem Gewerbeertrag gekürzt werden. Dieser in der Literatur29 diskutierte Ansatz fußt darauf, dass zumindest für Gesellschaften im Geltungsbereich der Mutter-Tochter-Richtlinie eine Kürzung unabhängig von deren wirtschaftlicher Tätigkeit erfolgt (§ 9 Nr. 7 Satz 1 Halbsatz 2 GewStG). Der Anwendungsbereich der Kürzung ergibt sich durch § 10 Abs. 2 Satz 1 AStG, der den Hinzurechnungsbetrag als Kapitaleinkünfte i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG definiert. Im Übrigen sind die Wechselwirkungen zwischen den vorgenommenen Änderungen des Gewerbesteuergesetzes und den bei grenzüberschreitenden Fällen in Betracht kommenden Missbrauchsvermeidungsvorschriften unklar. Der Bundesrat hat bzgl. des Verhältnisses zu den Vorschriften §§ 20 Abs. 2, 8 Abs. 2 AStG und 50d Abs. 9, 10 EStG eine entsprechende Prüfbitte formuliert.30 Hier besteht das Risiko einer Doppelerfassung, welches im Falle einer Mehrbelastung über das Ziel der Missbrauchsvermeidung hinausschießen würde.

IV. Fragliche Konstellationen Die Neuregelungen werfen zudem Fragen hinsichtlich der Behandlung von mehrstöckigen Beteiligungsstrukturen auf. Hält ein Steuerpflichtiger die Anteile an der ausländischen Zwischengesellschaft über eine aktive ausländische Betriebsstätte oder Personengesellschaft, ist unklar, ob derartige Fälle von § 7 Satz 7 GewStG überhaupt erfasst werden.31 Fraglich ist insoweit, ob es für § 7 Satz 7 GewStG darauf ankommt, ob der inländische Unternehmer als Gewerbesteuersubjekt Hinzurechnungsbeträge vereinnahmt oder die ausländische Personengesellschaft bzw. Betriebsstätte. Ist Letzteres der Fall, ließe sich § 7 Satz 7 GewStG mit verhältnismäßig geringem Aufwand umgehen. Hält ein Steuerpflichtiger Anteile an einer inländischen gewerblich tätigen Personengesellschaft im Betriebsvermögen und bezieht diese wiederum passive Einkünfte über eine ausländische Betriebsstätte, könnte es aufgrund der Neuregelung zu einer Mehrfachbelastung im Bereich der Gewerbesteuer kommen. Zunächst unterliegen die passiven ausländischen 29 Rödder, IStR 2009, 873, 876; Ruf/Wolfarth, Ubg 2009, 496 ff.; Schnitger, IStR 2016, 642. 30 BR-Drs. 406/16, 34. 31 S. Schnitger, IStR 2016, 637, 642.

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Einkünfte gem. § 7 Satz 8 GewStG der Gewerbesteuerpflicht bei der inländischen Personengesellschaft. Der Gewerbeertrag des inländischen Gesellschafters würde um die Einkünfte aus dieser Personengesellschaft gem. § 9 Nr. 2 GewStG gekürzt. Durch die Ergänzung des § 9 Nr. 2 Satz 2 Halbsatz 2 GewStG stellt sich allerdings die Frage, ob die Kürzung nur für den Teil des Gewinns vorgenommen wird, der nicht aus passiven ausländischen Betriebsstätteneinkünften besteht. Wird dieser Teil der Einkünfte von der Kürzung ausgeschlossen, käme es zu einer gewerbesteuerlichen Doppelbelastung.32

V. Fazit Im Ergebnis stellt insbesondere die Einführung des § 7 Satz 8 GewStG einen Systembruch und eine unsachgemäße Verschärfung der Rechtslage dar, die über das Ziel der Missbrauchsvermeidung hinausschießt. Wenn dies beibehalten wird, sollte zumindest eine Möglichkeit geschaffen werden, ausländische Steuern auch auf die inländische Gewerbesteuer anzurechnen. Die drohende Überbesteuerung ließe sich so vermeiden.

D. Ausweitung der Rückfallregelung gem. § 50d Abs. 9 EStG I. Bisherige Rechtslage Doppelbesteuerungsabkommen sehen oft für Fälle, in denen Einkünfte im Ausland erzielt werden, die Freistellung der Einkünfte von der inländischen Besteuerung (ggf. unter bestimmten Voraussetzungen) vor. Die Einkünfte werden dann nur im Ausland entsprechend dem dortigen Steuerniveau besteuert und im Inland von der Bemessungsgrundlage ausgenommen. Zweck ist zum einen die Gewährleistung von Wettbewerbsneutralität und zum anderen die Vereinfachung der Besteuerung von im Ausland erzielten Einkünften. § 50d Abs. 9 EStG sieht auf unilateraler Ebene allerdings in bestimmten Konstellationen eine Versagung der DBA-Freistellungen vor. Stellt der andere Staat aufgrund einer abweichenden Anwendung des DBA die Einkünfte ebenfalls von der Besteuerung frei oder besteuert diese nur mit einem geringen Steuersatz (§ 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG) oder scheidet eine Besteuerung im anderen Staat mangels unbeschränkter Steuerpflicht der Einkünfte erzielenden 32 Zum Risiko einer gewerbesteuerlichen Doppelbesteuerung s. Schnitger, IStR 2016, 637, 643.

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Person aus (§ 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG), kommt es zu einem Wechsel zur Anrechnungsmethode (sog. Switch Over Klausel). Die Einkünfte werden weiterhin in die inländische Bemessungsgrundlage einbezogen und eine Doppelbesteuerung durch die Anrechnung der ausländischen Steuer über § 34c Abs. 6 Satz 5 EStG vermieden. Viele der von Deutschland abgeschlossenen DBA sehen ähnliche Regelungen vor, die bei Freistellung durch den Vertragsstaat einen Rückfall des Besteuerungsrechtes vorsehen (sog. Rückfallklauseln). Für § 50d Abs. 9 hat der BFH entschieden, dass eine für die Gewährung der DBA-Freistellung ausreichende Besteuerung durch den anderen Staat schon dann vorliegt, wenn das Besteuerungsrecht im Ausland nur für einen Teil der Einkünfte wahrgenommen wird. Im Ergebnis läge zwar eine geringe Besteuerung der Einkünfte vor, jedoch sei der Wortlaut des § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG a.F. eindeutig. Die Verwendung des Begriffs „wenn“ zeige, dass es allein darauf ankomme, dass der andere Staat von einem Besteuerungsrecht Gebrauch mache; auf den Umfang der Besteuerung komme es nicht an.33 Ebenso soll auch eine Aufteilung von Einkünften im Rahmen der Gewährung von DBA-Freistellungen nicht erfolgen.34

II. Neuregelung § 50d Abs. 9 Satz 1 und 4 EStG Das BEPS 1-Gesetz ändert diese Rechtslage nunmehr ab und stellt sich daher auch insoweit als ein Nichtanwendungsgesetz hinsichtlich einer missliebigen BFH-Entscheidung dar. Der Wortlaut des § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG wurde angepasst und „wenn“ durch „soweit“ ersetzt. Dadurch wird eine Aufteilung der Einkünfte im Rahmen von § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG möglich, soweit ein Qualifikationskonflikt (§ 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG) oder keine beschränkte Steuerpflicht im Vertragsstaat besteht (§ 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG). Zudem sah die Finanzverwaltung ihre Handhabung der DBA-Regelungen bedroht. Nach § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG sind die Freistellungsregelungen aus den jeweiligen DBA nur noch für die Teile der ausländischen Einkünfte zu gewähren, für die die Freistellungsvoraussetzungen erfüllt werden. Die Aufsplittung in verschie33 BFH, Urt. v. 20.5.2015 – I R 68/14, BStBl. II 2016, 90 sowie BFH, Urt. v. 20.5.2015 – I R 69/14, BFH/NV 2015, 1395 und BFH, Urt. v. 21.1.2016 – I R 49/14, BStBl. II 2017, 107. 34 BFH, Urt. v. 27.8.1997 – I R 127795, BStBl. II 1998, 58; zur Auffassung der Finanzverwaltung s. BMF-Schr. v. 12.11.2008, BStBl. I 2008, 988 (aufgehoben durch BMF-Schr. v. 14.3.2016, BStBl. I 2016, 290), vgl. auch Gebhardt, IStR 2016, 1009.

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dene Einkommensteile erfolgt im Rahmen von § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG im Gegensatz zu § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG generell und nicht nur im Falle einer Besteuerungslücke. Teilweise sehen neuere DBA bereits selbst vergleichbare Regelungen zur teilweisen Gewährung von Freistellungen vor. Für alle anderen DBA ohne eine solche Regelung stellt § 50d Abs. 9 Satz eine einseitige Änderung der Vertrages von deutscher Seite dar (sog. Treaty Override).

III. Anmerkungen und Kritik Die Gesetzesänderung als Reaktion auf die Urteile des BFH muss kritisch gesehen werden. Die Gewährung von Freistellungen „soweit“ keine Qualifikationskonflikte oder Besteuerungslücken bestehen nach Satz 1 sowie die Gewährung von Freistellungen nur für die Teile von Einkünften nach Satz 4, machen eine Aufsplittung der Einkünfte notwendig. Dabei ist unklar in welchen Fällen eine teilweise Nichtbesteuerung von Einkünften i.S.v. § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG vorliegen soll. Anders als im Referentenentwurf sind Beispiele in der Gesetzesbegründung nicht mehr enthalten. Die Gesetzesbegründung legt zudem ein Verständnis dahingehend nahe, dass von einer teilweisen Nichtbesteuerung schon dann ausgegangen werden kann, wenn die Besteuerung nicht auf deutschem Niveau erfolgt.35 Folge eines derartigen Verständnisses von § 50d Abs. 9 EStG wäre die nicht unerhebliche Ausweitung des Anwendungsbereiches der Vorschrift. Infolgedessen käme es faktisch zu einer schleichenden Ablösung des Freistellungsverfahrens durch die Anrechnungsmethode.36 Liegt die Besteuerung im Ausland über dem deutschen Niveau besteht zwischen Anrechnungs- und Freistellungsmethode kein Unterschied. Liegt die Besteuerung hingegen unter deutschem Niveau, wird für den niedriger besteuerten Teil die Belastung durch den Rückfall auf die Anrechnungsmethode dem deutschen Steuerniveau angepasst. Ebenso ist nicht genauer definiert was unter „Teilen von Einkünften“ zu verstehen ist. Einkünfte bilden eine Saldogröße bestehend aus Erträgen und Aufwendungen. Ungeklärt ist dementsprechend, ob Verluste von § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG erfasst werden und unter Umständen im Inland nutzbar gemacht werden können. Die „Atomisierung“ der Einkünfte führt in der Praxis dazu, dass die Ermittlung der ausländischen Einkünfte nach ausländischem Recht genau nachvollzogen werden muss. Dies 35 Benz/Böhmer, DB 2016, 1531, 1534. 36 Benz/Böhmer, DB 2016, 1531, 1534.

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bedeutet einen erheblichen Mehraufwand für den Steuerpflichtigen und die Finanzverwaltung und steht dem Zweck der Freistellungsmethode, die Besteuerung ausländischer Einkünfte zu vereinfachen, entgegen.37 Darüber hinaus stellt sich die Frage nach dem sachlichen Grund für die „Atomisierung“ der ausländischen Einkünfte. Es wird nicht deutlich, warum in Deutschland Einkünfte nachversteuert werden sollten, die im Ausland nur teilweise und nicht vollständig von der Besteuerung freigestellt sind.38 So erfasst § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG selbst Fälle bei denen es im anderen Staat aufgrund von innerstaatlichem Recht zu einer Freistellung der Einkünfte kommt.39 Die vom Vertragsstaat verfolgten Lenkungsinteressen für die jeweilige Freistellung werden dabei nicht beachtet. Zudem dient die Freistellungsmethode neben der Vereinfachung auch der Gewährleistung der Wettbewerbsneutralität, welche durch eine Hochschleusung auf das deutsche Steuerniveau nicht mehr gewährleistet ist.40 Zusätzlich bedeutet die Verankerung einer Auslegungsregel für DBA in § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG einen völkerrechtlichen Verstoß, mit dem Deutschland gegen vertraglich ausgehandelte Bedingungen verstößt. Die grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines solchen Treaty Overrides ist zwar vom BVerfG bestätigt worden, allerdings nur für den Fall, dass Regelungen unilateral außer Kraft gesetzt wurden.41 Unabhängig davon ist der vielfache Gebrauch von Treaty Overrides allgemein als sehr bedenklich einzustufen, und man darf sich nicht wundern, wenn auch die Vertragspartner eine Bindung an die DBA selbst nicht uneingeschränkt gelten lassen oder es gar zu Aufkündigungen kommen könnte.42 Im Ergebnis kommt es zu einer weiteren Steuerverschärfung durch die Änderungen im Rahmen von § 50d Abs. 9 EStG. Insbesondere die weite Fassung des § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG erhöht das Risiko einer Doppelbesteuerung.

37 Schnitger, IStR 2016, 637, 640; Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 571. 38 Schnitger, IStR 2016, 637, 640. 39 Bei § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG sind dagegen nur Freistellungen aufgrund eines DBA oder mangels beschränkter Steuerpflicht erfasst. 40 Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 571. 41 Sommer/Retzer, ISR 2016, 283, 290; Benz/Böhmer, DB 2016, 1531, 1535. 42 Benz/Böhmer, DB 2016, 1531, 1535.

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E. Änderungen bei Finanzunternehmen (§ 8b Abs. 7 Satz 2 KStG und § 3 Nr. 40 Satz 3, Halbsatz 2 EStG) Eine Neuregelung haben die Vorschriften über die Sonderbehandlung von Einkünften aus Kapitalgesellschafts-Beteiligungen im Bereich der Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute erfahren. Liegen die entsprechenden Voraussetzungen vor, sind gem. § 8b Abs. 7 Satz 1 KStG die § 8b Abs. 1 bis 6 KStG bei der Gewinnermittlung von Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten nicht anwendbar. Dividenden (o.ä.) und Veräußerungsgewinne sind dann voll steuerpflichtig, Verluste voll abzugsfähig. § 3 Nr. 40 Satz 3 EStG sieht eine entsprechende Regelung für einkommensteuerpflichtige Personen vor. Nach § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG a.F. bzw. § 3 Nr. 40 Satz 3 Halbsatz 2 EStG a.F. sollten die Bestimmungen auch für Anteile gelten, die von Finanzunternehmen mit dem Ziel der kurzfristigen Erzielung eines Eigenhandelserfolges erworben werden. Die Anlehnung an einen Begriff des Aufsichtsrechts (KWG) hat – womöglich unintendiert – dazu geführt, dass jede Holdingsgesellschaft persönlich unter den Anwendungsbereich der Vorschriften fallen konnte. Die Anwendung der Regel hing dann lediglich von dem rein subjektiven Merkmal der im Erwerbszeitpunkt gegebenen Absicht der Erzielung eines kurzfristigen Eigenhandelserfolges ab. Angeblich wurden diese Vorschriften für Gestaltungen genutzt, die über sog. Industrieholdings Verluste aus Beteiligungsveräußerungen voll nutzbar machen sollten. Der Gesetzgeber hat deshalb entsprechende Korrekturen vorgenommen.43 § 8b Abs. 7 Satz 1 KStG n.F. stellt nicht mehr auf eine aufsichtsrechtliche Einordnung der Anteile ab, sondern macht die Anwendbarkeit von § 8b Abs. 1 bis 6 KStG von der handelsrechtlichen Zuordnung der Anteile zum Umlaufvermögen abhängig. Der Vorteil dieser Anknüpfung an das Handelsrecht liegt darin, dass anders als im Aufsichtsrecht Umwidmungen grundsätzlich durch § 340e Abs. 3 Satz 2 HGB unterbunden werden.44 Die steuerliche Gestaltbarkeit wird somit begrenzt. Darüber hinaus fallen zukünftig nicht mehr alle Holdinggesellschaften unter den Anwendungsbereich der Norm. Nach § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG n.F. werden nur noch Finanzunternehmen i.S.d. Kreditwesengesetzes erfasst, an denen Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitute unmittelbar oder mittelbar zu mehr als 50 % beteiligt sind. Statt dem Ziel einen kurzfristigen Ei43 Zur Vereinfachung wird im Folgenden ausschließlich auf § 8b Abs. 7 KStG eingegangen. Die Ausführungen gelten für § 3 Nr. 40 EStG entsprechend. 44 Benz/Böhmer, DB 1531, 1536 m.w.N.

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genhandelserfolg zu erzielen, kommt es hier ebenfalls auf die handelsrechtliche Zuordnung der Anteile zum Umlaufvermögen an. Bisher galt dies lediglich als ein Indiz dafür, dass ein kurzfristiger Eigenhandelserfolg erzielt werden soll.45 Zudem bewirkt die Anknüpfung an die handelsrechtliche Zuordnung, dass der Zeitpunkt des Zugangs zum Betriebsvermögen zentrale Bedeutung erhält. Dabei wird nicht unterschieden auf welchem Wege die Anteile in das Betriebsvermögen gelangen. Eine Unterscheidung zwischen Erwerb und Neugründung von Vorratsgesellschaften wird damit obsolet.46 Als Folge erweitert sich somit der Anwendungsbereich der Vorschrift, trotz der restriktiveren Handhabung des Adressatenkreises.47 Die Neuregelung ist insgesamt zu begrüßen, da die Anwendbarkeit von § 8b Abs. 7 KStG in der Vergangenheit mit vielen Unsicherheiten behaftet war. So musste auch bei konzerninternen Beteiligungsverschiebungen oft vor einer Veräußerung der Anteile § 8b Abs. 7 KStG beachtet werden.48 Die Anwendung erfolgt allerdings nur für Anteile, die nach dem 31.12.2016 dem Betriebsvermögen zugehen. Die Probleme bzgl. der vor Jahresende angeschafften Anteile bestehen damit dem Grunde nach weiterhin.

F. Sonderbetriebsausgabenabzug bei Vorgängen mit Auslandsbezug (Neueinführung § 4i EStG) I. Hintergrund Unterschiede zwischen den nationalen Besteuerungssystemen können durch den Einsatz hybrider Gestaltungen genutzt werden. Finanzinstrumente und Gesellschaften können ggf. so strukturiert sein, dass grenzüberschreitende Zahlungen z.B. in beiden Staaten als Betriebsausgaben geltend gemacht werden können oder die Zahlung zwar nur in einem Staat steuerlich abgezogen werden kann, dafür aber im anderen Staat nicht (oder nur sehr begrenzt) mit in die Bemessungsgrundlage einbezogen wird. Im Rahmen der OECD BEPS Initiative sieht der Aktionspunkt 2 Maßnahmen zur Verhinderung von hybriden Gestaltungen vor. Die Behandlung von Zahlungen als Betriebsausgabe sollte danach ggf. durch sog. „linking rules“ von der Behandlung im anderen Staat abhängig ge45 46 47 48

BFH, Urt. v. 12.10.2011 – I R 4/11, BFH/NV 2012, 45. BFH, Urt. v. 3.5.2006 – I R 100/05, BStBl. II 2007, 60. Benz/Böhmer, DB 1531, 1536. Benz/Böhmer, DB 1531, 1536.

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macht werden. Die EU hat mit Art. 9 eine entsprechende Regelung in die ATAD aufgenommen. Allerdings bezieht sich die Norm der Richtlinie ausdrücklich nur auf Körperschaften, womit § 4i EStG keine Umsetzung von EU Recht darstellt.49 Grund hierfür ist die Sonderstellung der Besteuerung von Mitunternehmerschaften in Deutschland, die im internationalen Kontext durchaus häufiger Fragen aufwirft. Im Jahre 2009 wurde bereits § 50d Abs. 10 EStG eingefügt, um die deutsche Besteuerung von Sondervergütungen sicherzustellen, die an in DBA-Staaten ansässige Mitunternehmer gezahlt werden. Ungeklärt blieb hierbei die Frage in welchen Fällen § 50d Abs. 10 EStG dazu geeignet ist, eine Abzugsfähigkeit von Sonderbetriebsausgaben in Deutschland zu begründen. Gegenstand der Diskussion waren ausländische Mitunternehmer deutscher Personengesellschaften, die ihre Beteiligungen fremdfinanzieren oder aufgenommenes Fremdkapital an die Mitunternehmerschaft weiterleiten. Der Zinsaufwand könnte dann im Ausland als reguläre Betriebsausgabe geltend gemacht werden sowie im Inland als Sonderbetriebsausgabe.50 Im Jahr 2014 hat der Bundesrat mit § 4 Abs. 5a EStG-E51 schon einmal einen Vorschlag zur Bekämpfung hybrider Gestaltungen im Bereich der Personengesellschaften gemacht. Dieser wurde jedoch seinerzeit nicht umgesetzt, u.a. wegen Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit der Kapital- und Niederlassungsfreiheit.52 Mit § 4i EStG hat der Bundesrat erneut einen Vorschlag unterbreitet, der dieses Mal in den endgültigen Gesetzestext aufgenommen wurde.

II. § 4i EStG Zur Verhinderung eines doppelten Betriebsausgabenabzugs in den genannten Konstellationen sieht § 4 Satz 1 EStG vor, dass Aufwendungen eines Gesellschafters einer Personengesellschaft in Deutschland nicht als Sonderbetriebsausgaben abgezogen werden dürfen, soweit die Aufwendungen auch die Steuerbemessungsgrundlage in einem anderen Staat mindern. Der persönliche Anwendungsbereich beschränkt sich aufgrund der Anknüpfung an den Begriff des Sonderbetriebsvermögens auf Mitunternehmerschaften. Der Wortlaut grenzt den Anwendungsbereich zu49 Art. 1 Richtlinie des Rates (EU) 2016/1164, ABl. L 193/1. 50 BMF-Schr. v. 26.9.2014, BStBl. I 2014, 1258 Rz. 5.1.2 Bsp. 2; a.A. Gebhardt, IStR 2015, 808, 810; Prinz, FR 2016, 589, 594. 51 BT-Drs. 18/3158, 7. 52 S. zu den unionsrechtlichen Bedenken Kahlenberg, ISR 2015, 91, 95 sowie Milanin, IStR, 861, 868.

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dem ein auf Gesellschafter von Personengesellschaften. Im ursprünglichen Vorschlag des Bundesrates wurde dagegen noch generell auf Mitunternehmer abgestellt.53 Mitunternehmerschaften, die keine Personengesellschaften sind, sollten deshalb nicht von § 4i EStG erfasst werden.54 In Betracht kommen hierbei atypische stille Beteiligungen oder Unterbeteiligungen. Sachlich werden nur Sonderbetriebsausgaben erfasst. Für Aufwendungen aus der Sphäre des Gesamthandvermögens gilt § 4i EStG nicht. Allerdings finden Sonderbetriebsausgaben im Rahmen der Gewinnermittlung auf Ebene der Gesellschaft Berücksichtigung, womit eine Auswirkung auf die anderen Gesellschafter zumindest im Rahmen der Gewerbesteuer gegeben ist. Der doppelte Abzug im In- und Ausland muss nicht im gleichen Veranlagungszeitrum stattfinden.55 Unter den Voraussetzungen des § 4i Satz 2 EStG kann von der Anwendung des Abzugsverbotes ausnahmsweise abgesehen werden, soweit der doppelte Abzug auch mit einer doppelten Steuerpflicht verbunden ist, d.h. Erträge desselben Steuerpflichtigen in beiden Staaten der Besteuerung unterliegen. Über die tatsächliche Besteuerung im anderen Staat muss der Steuerpflichtige einen Nachweis erbringen. Ziel ist es eine überschießende Wirkung der Norm im Falle einer „Doppelsteuerpflicht“ zu vermeiden. Beschrieben werden Situationen in denen entweder kein DBA mit dem Staat besteht, in dem der Mitunternehmer ansässig ist, oder der andere Staat die Anrechnungsmethode anwendet. Der Begriff der Erträge als Bruttogröße ist u.E. etwas missverständlich; besser wäre die Formulierung Einkünfte gewesen. Erforderlich ist, dass es sich um Erträge/Einkünfte desselben Steuerpflichtigen handelt; dies kann z.B. zu Problemen führen, wenn der Steuerpflichtige Teil einer Gruppenbesteuerung ist.56

III. Anmerkungen und Kritik Das Vorgehen gegen die Nutzung von hybriden Gestaltungen zur Steueroptimierung ist grundsätzlich nachvollziehbar. Jedoch wirft sie einige wesentliche Grundsatzfragen auf; unabhängig davon bestehen Schwächen im Detail, die noch nachzubessern sind.

53 54 55 56

BR-Drs. 406/1/16, 3. So auch Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 568. BR-Drs. 406/1/16, 5. Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 568.

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Grundlegend sind u.E. Bedenken angebracht, das die Norm an die Besteuerung beim Zahlenden ansetzt. § 4i EStG soll die Maßnahmen der OECD zur Bekämpfung von hybriden Gestaltungen auf Ebene der Personengesellschaften ergänzen.57 Systematisch verfolgt § 4i Satz 1 EStG jedoch den alleinigen Ansatz, den Zahlenden im Quellenstaat zu sanktionieren und den Betriebsausgabenabzug einzuschränken. Dies ist nach dem Konzept der OECD nur als letztes mögliches Mittel (sog. Abwehrmaßnahme) vorgesehen. Das Problem für die doppelte Abzugsfähigkeit wird eher im Wohnsitzstaat des Gesellschafters gesehen, weshalb dieser vorrangig tätig werden sollte.58 Zwar beschränkt sich die Vorschrift auf das Sonderbetriebsvermögen, womit eine Auswirkung auf die anderen Gesellschafter ausgeschlossen wird59, jedoch wäre eine systematisch konsequente Umsetzung der OECD-Maßnahmen dennoch zu bevorzugen. Aus diesem Ansatz ergeben sich im Kern auch Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der Neuregelung mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht. Anknüpfend an die Ansässigkeit des Gesellschafters (bzw. seine steuerliche Behandlung im Wohnsitzstaat) wird ein Sonderbetriebsausgabenabzug im Quellenstaat versagt. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH60 in der Sache „Phillips Electronics“ könnte deshalb eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit gegeben sein.61 Allerdings könnte ein Verstoß durch eine zielgenaue Anwendung auf Missbrauchsfälle gerechtfertigt sein.62 Maßgeblich wäre dann ggf., welche Anforderungen an einen Nachweis i.S.v. § 4 Satz 2 EStG als zumutbar zu erachten sind. Zudem könnte § 4i EStG aufgrund einer versteckten Diskriminierung auch gegen das abkommensrechtliche Diskriminierungsverbot aus Art. 24 OECD-MA verstoßen.63 Schwächen im Detail ergeben sich u.a. daraus, dass Mitunternehmerschaften nicht ausnahmslos erfasst werden, sondern nur Gesellschafter von Personengesellschaften. Das eröffnet die Möglichkeit, die Regelung 57 So ausdrücklich in der Gesetzesbegründung BR-Drs. 406/1/16, 4. 58 Vgl. OECD-BEPS-Projekt Abschlussbericht zu Actionpoint 2 Empfehlung 6, 77 ff. 59 Sofern die Gewerbesteuerwirkung des Sonderbetriebsausgabenabzugsverbotes außer Acht gelassen wird. 60 EuGH v. 6.9.2012 – C-18/11, Philips Electronics. 61 Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit Unionsrecht vgl. Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 568 f. 62 S. Kanzler, NWB 2017, 326, 327. 63 Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 568.

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mit verhältnismäßig einfachen Mitteln zu umgehen.64 Es sollte ausreichen, wenn eine mehrstöckige Struktur installiert wird. Hält der ausländische Mitunternehmer die Beteiligung an der inländischen Gesellschaft nur mittelbar in der Rolle eines atypisch stillen Gesellschafters einer inländischen Obergesellschaft kommt § 4 Satz 1 EStG nicht zur Anwendung. § 4i Satz 1 EStG stellt für das Abzugsverbot auf den jeweiligen Gesellschafter der Personengesellschaft ab. Das Abzugsverbot greift in beschriebenem Fall nicht ein, da die beteiligungshaltende Obergesellschaft keine korrespondierenden Betriebsausgaben abzieht. Ein „Hindurchschauen“ auf den atypisch still Beteiligten ist nicht möglich. Hätte man dagegen, wie ursprünglich vom Bundesrat vorgesehen, auf die Mitunternehmerschaft abgestellt, stünde der mittelbare Mitunternehmer dem unmittelbaren gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG gleich. Diese Lücke im Regelwerk ist erkannt worden und ein dementsprechender Vorschlag unterbreitet worden.65 Gestaltungen unter Verwendung einer atypischen stillen Gesellschaft wäre damit die Grundlage entzogen.66 Zudem ergeben sich Probleme mangels des Erfordernisses einer zeitlichen Übereinstimmung des (Sonder-)Betriebsausgabenabzugs in § 4i EStG. Zum Zwecke der Verhinderung von Umgehungsgestaltungen mag dies einleuchten. Allerdings stellen sich dadurch für den grundsätzlich nachweispflichtigen Steuerpflichtigen u.U. schwierige Probleme. Er muss die tatsächliche Besteuerung der Erträge im anderen Staat nachweisen, damit das Abzugsverbot nicht zur Anwendung kommt. Dadurch wird eine genaue Würdigung des ausländischen Rechts dahingehend erforderlich, ob und in welchem Umfang die entsprechenden Aufwendungen abziehbar sind. Dabei sind insbesondere die Steuerbarkeit und auch persönliche Steuerbefreiungen mit in die Prüfung einzubeziehen.67 Bedenkt man zudem, dass hierbei mehrere Veranlagungszeiträume zu überblicken sind, wird der Umfang der anzustellenden Überprüfungen deutlich. Hier liegt zwar die Beweislast beim Steuerpflichtigen, welcher einen Nachweis für eine „tatsächliche Besteuerung“ erbringen muss. Was genau darunter zu verstehen ist, wird durch das Gesetz selbst nicht bestimmt. Probleme können sich z.B. auch ergeben, wenn die Besteuerung im Ausland noch nicht feststeht, z.B. bei Rechtsstreiten darüber. Unklar ist zudem wie sich die Erbringung eines späteren Nachweises bei abwei64 65 66 67

So auch Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 568. BR-Drs. 816/16, 11 f. Vgl. Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 568. Bergmann, FR 2017, 126, 128.

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chenden Veranlagungszeiträumen auswirkt.68 Die Handhabung der Vorschrift erscheint damit aus praktischer Sicht nur schwer zu bewältigen, die aufgrund der Beweislast in der Regel zulasten des Steuerpflichtigen gehen dürfte.69 Ferner bereitet die personelle Kongruenz, die für § 4 Satz 2 EStG erforderlich ist, Bedenken. Es muss sich um Aufwendungen handeln, die Erträge desselben Steuerpflichtigen mindern, die „bei ihm“ sowohl der inländischen als auch ausländischen Besteuerung unterliegen. Dabei sind Fälle denkbar, bei denen die Versteuerung bei einer anderen Person erfolgt, ohne dass die Anwendung von § 4i Satz 1 EStG gerechtfertigt wäre.70 Ob sich hier eine teleologische Reduktion durchsetzt oder eine rein formale Betrachtung angestrebt wird bleibt abzuwarten.71 Im Ergebnis begegnet die Norm einer ganzen Reihe von Bedenken, sowohl grundlegend als auch im Detail. Ob die Regelung in der Praxis zu beherrschen ist, bleibt abzuwarten.

G. Beseitigung der überschießenden Wirkung des § 50i EStG I. Rechtslage bis 2017 Zweck des § 50i EStG ist die Verhinderung der steuerneutralen Entstrickung von Anteilen i.S.d. § 17 EStG oder Wirtschaftsgütern, die in das Betriebsvermögen einer gewerblich geprägten bzw. infizierten Personengesellschaft vor dem 29.6.2013 übertragen oder überführt worden sind, sofern es zu einem Wegzug gekommen war. Dazu dehnt § 50i Abs. 1 EStG das deutsche Besteuerungsrecht entgegen etwaiger DBA auf die Zeit nach dem Wegzug aus und besteuert fortlaufend Einkünfte aus der Beteiligung und den Gewinn aus einer Veräußerung oder Entnahme der Wirtschaftsgüter oder Anteile. Mit der Ergänzung des § 50i Abs. 2 EStG im Jahre 2014 sollten zudem durch den Ausschluss der Buchwertfortführung (zwingender Ansatz der Wirtschaftsgüter und Anteile zum gemeinen Wert) befürchtete Umgehungsgestaltungen verhindert werden. Betroffen sind hiervon insbesondere Umwandlungen und Einbringungen nach dem UmwStG, Überführungen oder Übertragungen nach § 6 Abs. 3 68 Zu den Alternativen Kanzler, NWB 2017, 326, 330. 69 Hierzu Bergmann, FR 2017, 126, 129; Sommer/Retzer, ISR 2016, 377, 381 f. 70 Zu möglicherweise betroffenen Konstellationen Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 568. 71 Zur teleologischen Reduktion Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 568.

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und 5 EStG sowie Umstrukturierungen in eine originär gewerblich tätige Personengesellschaft. Es ergab sich jedoch eine deutlich überschießende Wirkung des § 50i Abs. 2 EStG; der entsprechenden Kritik entsprach zunächst die Finanzverwaltung, indem sie Ende 2015 die Anwendung der Regelung durch ein BMF-Schreiben72 inhaltlich abmilderte.73 Mit dem BEPS 1-Gesetz ist auf Empfehlung des Bundesrates74 nun die fällige Änderung der gesetzlichen Regelung vorgenommen worden.

II. § 50i EStG n.F. Durch die Neufassung des § 50i EStG wird der Anwendungsbereich des ersten Absatzes auf Altregelungen begrenzt. Zu einer Ausdehnung des deutschen Besteuerungsrechtes durch § 50i EStG kommt es nur noch, wenn die Wirtschaftsgüter oder Anteile vor dem 29.6.2013 in das Betriebsvermögen einer Personengesellschaft gem. § 15 Abs. 3 EStG zu Buchwerten überführt oder übertragen, eine Besteuerung der stillen Reserven bislang unterblieben ist und das deutsche Besteuerungsrecht vor dem 1.1.2017 beschränkt oder ausgeschlossen wurde. Nach § 50i Abs. 1 Satz 2 EStG n.F. gilt für die Gewährung neuer Anteile an eine Personengesellschaft im Rahmen der Einbringung einer Sachgesamtheit gem. § 20 UmwStG das Gleiche. Danach sollen die allgemeinen Entstrickungsregeln Anwendung finden. Dementsprechend entfällt nach dem 1.1.2017 auch die allgemeine Verstrickungswirkung des § 50i EStG, die bislang das ein Eingreifen der allgemeinen Entstrickungsregeln verhinderte.75 Der Anwendungsbereich des § 50i Abs. 2 EStG wird in sachlicher Hinsicht beschränkt. Zu einer Aufdeckung von stillen Reserven soll es nur noch für den Fall kommen, dass die Beteiligung an einer von § 50i EStG erfassten Personengesellschaft gem. § 20 UmwStG in eine Kapitalgesellschaft eingebracht wird. Zuvor war aufgrund des offenen Wortlautes nahezu jede Umwandlungsform von der Vorschrift erfasst worden und hatte de facto eine Umwandlungssperre zur Folge. Vor allem ist § 50i EStG von nun an nicht mehr auf den reinen Inlandsfall anwendbar. § 50i Abs. 2 EStG a.F. war seinem Wortlaut nach auch dann anwendbar, wenn das deutsche Besteuerungsrecht nach der Umwandlung erhalten blieb. Diesbezüglich sah die Finanzverwaltung in der Regel zwar von der Besteue72 BMF, Schr. v. 21.12.2015, BStBl. I 2016, 7. 73 Ausführlich zu den ursprünglichen Problemen und den Auswirkungen des BMF-Schreibens s. Pung/Schneider, StbJb 2015/2016, S. 133 ff. 74 Vgl. Beschluss zur Stellungnahme v. 23.9.2016, BR-Drs. 406/16, 6 ff. 75 Vgl. Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 569.

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rung ab, jedoch nur aufgrund einer Billigkeitsregelung.76 Durch eine präzisere Formulierung des Gesetzes wird diese Billigkeitsregelung jetzt obsolet. Die Änderung des § 50i Abs. 2 EStG bewirkt zudem, dass die Sicherung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich zweier Ansatzpunkte gewährleistet sein muss, um eine Buchwertfortführung zu ermöglichen. Einerseits muss das deutsche Besteuerungsrecht am eingebrachten Betriebsvermögen gem. § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG gesichert sein, andererseits muss das deutsche Besteuerungsrecht an den erhaltenen neuen Anteilen gesichert sein. Anwendbar ist § 50i Abs. 2 EStG für Umwandlungen, bei denen der Einbringungsvertrag nach dem 31.12.2013 geschlossen wurde. Es kommt zu einer Rückwirkung ab dem Datum der Einführung. Neben den Änderungen des § 50i EStG wurde zudem § 6 Abs. 3 EStG angepasst. Bei unentgeltlichen Übertragungen sind die Werte anzusetzen, die sich nach den Vorschriften über die Gewinnermittlung ergeben, „soweit die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt“ ist.

III. Anmerkungen und Kritik Insgesamt ist die lange geforderte Entschärfung des § 50i EStG zu begrüßen. Die doppelte steuerliche Verhaftung stiller Reserven bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist vor dem Hintergrund des Unionsrechts jedoch kritisch zu sehen. Der EuGH hat in der Rs. DMC77 geurteilt, dass eine einfache steuerliche Verhaftung der stillen Reserven beim übertragenden Rechtsträger genügt.78 Diese Problematik hat auch der Gesetzgeber gesehen, hält sein Vorgehen allerdings für gerechtfertigt.79 Zunächst dürfe eine Einbringung nicht geeignet sein die Steuerverhaftung zu lösen. Darüber hinaus läge schon kein vergleichbarer Fall zur Rs. DMC vor. Bedenklich erscheint mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH vor allem, dass § 50i EStG keine Möglichkeit zur Streckung der anfallenden Steuerbelastung bei Verstoß vorsieht.80 Die weitere Entwicklung bleibt hier abzuwarten.

76 77 78 79 80

Vgl. BMF v. 21.12.2015, BStBl. I 2016, 7. EuGH v. 23.4.2014 – Rs. C-164/12, FR 2014, 466. Hierzu Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 569 f. Ausführlich BR-Drs. 406/1/16, 10 f. Vgl. Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567, 569.

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H. Beschränkte Steuerpflicht bei Veräußerung von Anteilen an grundbesitzhaltenden Körperschaften Der Gesetzentwurf sah auch einige Regelungen vor, die letztlich nicht (jedenfalls jetzt noch nicht durch das BEPS 1-Gesetz) umgesetzt wurden. Da sie auf dem Fachkongress behandelt wurden, werden sie hier – unter Punkt H. und I. kurz angesprochen. Eine betrifft die nationale Steuerpflicht für Veräußerungsgewinne aus (vereinfacht) Immobiliengesellschaften. Art. 13 Abs. 4 des OECD-Musterabkommens regelt die Besteuerung von Gewinnen aus Anteilsverkäufen, deren Wert überwiegend unmittelbar oder mittelbar auf Grundvermögen im Quellenstaat beruht; das Besteuerungsrecht wird dem Quellenstaat zugewiesen. Seit Einführung in das Musterabkommen schließt Deutschland vermehrt DBA ab, die eine solche oder entsprechende Regelung enthalten.81 Bislang fehlt es allerdings an einer nationalen Regelung, die – sofern Deutschland der Quellenstaat ist – das zugewiesene Besteuerungsrecht ausschöpft. Auf Vorschlag des Bundesrates sollte dazu § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchstabe c1 EStG in den Gesetzestext aufgenommen werden, um die Besteuerung entsprechender Fälle, unabhängig von der Beteiligungsquote an der jeweiligen Gesellschaft und ihrem Sitz oder Ort der Geschäftsleitung, zu ermöglichen. Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer Körperschaft, deren Gesellschaftsvermögen zu mehr als 50 % aus inländischem unbeweglichem Vermögen besteht, wären als Kapitaleinkünfte i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 1 EStG beschränkt steuerpflichtig i.S.d. § 1 Abs. 4 EStG. Die Durchführung der Besteuerung sollte im Wege des Kapitalertragsteuerabzuges stattfinden.82 Der Vorschlag wies allerdings die Schwäche auf, dass eine Ermittlung der Tatbestandsvoraussetzungen, insbesondere bei mehrstöckigen Beteiligungsstrukturen, äußerst aufwändig ist. Zudem ist bei einem ausländischen Verkäufer der Kapitalertragsteuerabzug nicht gesichert.83 Von einer Aufnahme in den Gesetzestext wurde letztlich abgesehen. Die vereinbarten DBA-Regelungen, die Deutschland das Besteuerungsrecht zuweisen, laufen damit weiterhin leer, sofern nicht bereits nach anderen Regeln inländische Einkünfte vorliegen (insbesondere unter den

81 Unter anderem in den DBA mit Dänemark, Österreich, Polen und Türkei enthalten, vgl. BR-Drs. 406/16, 23. 82 BR-Drs. 406/16, 23. 83 Vgl. Sommer/Retzer, ISR 2016, 377, 383 f.

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Voraussetzungen des § 17 EStG bei inländischem Sitz oder Ort der Geschäftsleitung der verkauften Gesellschaft, vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 e) aa)).

I. Anwendung von § 12 Abs. 5 UmwStG auf grenzüberschreitende Verschmelzungen Ebenfalls vorgeschlagen im Entwurf, aber nicht umgesetzt, wurde eine Regelung zur Einführung einer Kapitalertragsteuerpflicht bei insbesondere grenzüberschreitenden Verschmelzungen. Geht bei einer Verschmelzung auf eine andere Körperschaft das Vermögen in den nicht steuerpflichtigen oder steuerbefreiten Bereich der übernehmenden Körperschaft über, muss gem. § 12 Abs. 5 UmwStG der Teil des in der Steuerbilanz ausgewiesenen Eigenkapitales, der das Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG nach Anwendung von § 29 Abs. 1 KStG übersteigt, als Einnahme i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 KStG versteuert werden. Nach ganz herrschender Meinung in der Literatur betrifft diese Regelung nicht grenzüberschreitende Verschmelzungen, wenn die übernehmende Gesellschaft in ihrem Sitzstaat nicht steuerbefreit ist oder steuerfreie Bereiche hat.84 Der Bundesrat hat diesbezüglich vorgeschlagen den Wortlaut dahingehend zu ergänzen, dass in grenzüberschreitenden Fällen ein Kapitalertragsteuerabzug erfolgt.85 Diesen Vorschlag hat der Bundesrat als „klarstellend“ bezeichnet, was er aber eindeutig nicht gewesen wäre – denn nach ganz h.M. sind diese Fälle bisher nicht erfasst.86 Im Ergebnis ist der Vorschlag des Bundesrates nicht in den endgültigen Gesetzestext aufgenommen worden. Damit bleibt es bei der bisherigen Rechtslage und dem Befund, dass grenzüberschreitende Verschmelzungen in aller Regel nicht dem Kapitalertragsteuerabzug unterworfen sind.

J. Weiternutzung von Verlusten (§ 8d KStG) Durch ein weiteres Gesetzgebungsverfahren wurden zudem die Regelungen für den Untergang steuerlicher Verluste nach § 8c KStG ergänzt.

84 Vgl. Wisniewski in Haritz/Menner, UmwStG, 4. Aufl. 2015, § 12 Rz. 113; Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 2. Aufl., § 12 Rz. 120 m.w.N. Jüngst nochmals ausführlich dargelegt de lege lata von Herbort/Schwenke, IStR 2016, 567 ff. 85 Vgl. BR-Drs. 406/16, 43. 86 Vgl. Sommer/Retzer, ISR 2016, 377, 382 sowie die Nachweise in Fn. 84.

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I. Überblick über die Regelung des § 8c KStG Ein schädlicher Beteiligungserwerb durch einen Erwerber führt nach § 8c Abs. 1 S. 1 KStG dazu, dass steuerliche Verluste ganz oder teilweise nicht mehr abziehbar sind. Ein solcher schädlicher Beteiligungserwerb liegt vor, wenn innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 25 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diesem nahestehende Person übertragen werden oder ein vergleichbarer Sachverhalt vorliegt. Der persönliche Anwendungsbereich ist damit sehr weit gefasst. Als Rechtsfolge sieht die Norm vor, dass nicht ausgeglichene oder abgezogene negative Einkünfte (nicht genutzte Verluste) insoweit nicht abziehbar sind. Ein quotaler Erwerb von mehr als 25 % und weniger als 50 % führt damit zu einem anteiligen Wegfall der Verluste.87 Werden mehr als 50 % innerhalb des 5-Jahreszeitraums erworben, kommt es zum vollständigen Wegfall der Verluste (§ 8c Abs. 1 S. 2 KStG). Vom Wegfall sind Verlustvorträge, laufende Verluste (KSt/GewSt) sowie Zinsvorträge erfasst. Aufgrund der weiten Fassung der Norm bestehen verfassungsrechtliche Bedenken.88 Das BVerfG hat allerdings die seit nunmehr fast sechs Jahren anhängige Richtervorlage des FG Hamburg noch immer nicht entschieden.

II. Ausnahmen: Kein Untergang der Verluste Ausnahmsweise tritt kein Untergang der Verluste ein, wenn die Konzernklausel, die Stille-Reserven-Klausel oder die Sanierungsklausel eingreift. 1. Konzernklausel (§ 8c Abs. 1 S. 5 KStG) In 2009 wurde nachträglich eine Konzernklausel eingefügt89, die durch das Steueränderungsgesetz 2015 neu gefasst wurde.90 Vereinfacht sind 87 Bsp.: Ein Erwerb von 35 % der Anteile führt zu einem Wegfall von 35 % der Verluste. 88 Vgl. nur das anhängige Verfahren beim BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, Vorinstanz FG Hamburg, Vorlagebeschluss v. 4.4.2011 – 2 K 33/10, EFG 2011, 1891. 89 Eingeführt durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz v. 30.12.2009, BGBl. I 2009, 3950. 90 BGBl. I 2015, 1834. Die Neuregelung gilt gem. § 34 Abs. 6 S. 5 KStG rückwirkend für Beteiligungserwerbe nach dem 31.12.2009.

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100 %-Verbindungen zwischen übertragendem und übernehmendem Rechtsträger notwendig; aufgrund der Neufassung in 2015 sind nunmehr auch Übertragungen durch bzw. an die Konzernspitze begünstigt.91 2. Stille-Reserven-Klausel (§ 8c Abs. 1 S. 6–9 KStG) Nach § 8c Abs. 1 S. 6 KStG92 ist das durch einen schädlichen Erwerb i.S.d. § 8c Abs. 1 S. 1, 2 KStG ausgelöste Abzugsverbot eingeschränkt, soweit der Verlust bei einem quotalen schädlichen Beteiligungserwerb (mehr als 25 % bis 50 %) die anteiligen stillen Reserven und bei einem vollen schädlichen Beteiligungserwerb (mehr als 50 %) die gesamten stillen Reserven des im Inland steuerpflichtigen Betriebsvermögens der Körperschaft nicht übersteigt. Damit bleiben die Verluste trotz eines schädlichen Beteiligungserwerbs abziehbar, soweit ihnen zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs inländische steuerpflichtige stille Reserven gegenüberstehen. Eine Legaldefinition für die stillen Reserven sieht § 8c Abs. 1 S. 7 KStG vor. 3. Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG) Die EU-Kommission hat mit einer Entscheidung vom 26.1.2011 die Sanierungsklausel als europarechtswidrige Beihilfe qualifiziert. Seitdem wird die Sanierungsklausel nicht mehr angewendet. Die Klage Deutschlands beim EuG auf Nichtigerklärung der Kommissionsentscheidung war unzulässig. Die Norm wird nur wieder aufleben, wenn der EuG in anhängigen Verfahren von betroffenen Unternehmen den Nicht-Beihilfecharakter der Sanierungsklausel feststellen wird.93

III. Überblick über die Neuregelung des § 8d KStG § 8d KStG wurde mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften eingeführt.94 Etwas überraschend hatte die Bundesregierung einen entsprechenden Entwurf im 91 Näher zur neuen Fassung Brandis in Blümich, KStG, § 8c Rz. 47b [März 2016]. 92 Eingeführt durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz v. 30.12.2009, BGBl. I 2009, 3950. 93 Zur Frage einer möglichen europarechtswidrigen Beihilfe im Hinblick auf die Neuregelung § 8d KStG s. von Wilcken, NZI 2016, 996 sowie Förster/von Cölln, DStR 2017, 8, 18 f. 94 Gesetz v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 2998.

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Herbst 2016 vorgelegt95, der sogleich Gegenstand ausführlicher Erörterungen in der Fachwelt wurde.96 Im Gesetzgebungsverfahren wurden noch einige wenige Änderungen vorgenommen, die Norm dann aber bereits Ende 2016 beschlossen. § 8d KStG gilt rückwirkend ab dem 1.1.2016.97 § 8d KStG stellt eine Ausnahme vom (ganzen oder partiellen) Verlustuntergang nach § 8c KStG dar. Ziel der Neuregelung soll die Beseitigung steuerlicher Hemmnisse bei der Unternehmensfinanzierung durch einen Neueintritt oder einen Wechsel von Anteilseignern sein.98 Insbesondere Start up-Unternehmen sollen von der Neuregelung profitieren. Die Voraussetzungen der Norm sind sehr eng. Daher müssen Unternehmen und ihre Berater genau prüfen, ob eine Antragstellung nach § 8d KStG steuerlich sinnvoll ist oder jedenfalls die ausreichend sichere Erwartung dafür besteht. Denn möglicherweise kann eine Verschlechterung gegenüber dem § 8c KStG Regime eintreten.99

IV. Tatbestandsvoraussetzungen des § 8d KStG § 8d KStG setzt zunächst voraus, dass überhaupt ein schädlicher Beteiligungserwerb i.S.d. § 8c KStG vorliegt (§ 8d Abs. 1 S. 1 KStG). Die Norm verweist auf den gesamten § 8c KStG, so dass beide Fälle des § 8c KStG – der partielle Untergang nach § 8c Abs. 1 S. 1 KStG als auch der vollständige Untergang nach § 8c Abs. 1 S. 2 KStG – gleichermaßen erfasst sind. Die Anwendung des § 8d KStG ist antragsgebunden. Der Antrag ist gem. § 8d Abs. 1 S. 5 KStG in der Steuererklärung für die Veranlagung des Veranlagungszeitraums zu stellen, in den der schädliche Beteiligungserwerb fällt.100 Schließlich enthält die Regelung in § 8d Abs. 1 KStG eine Reihe von Grundvoraussetzungen, damit ein fortführungsgebundener Verlustvortrag überhaupt in Anspruch genommen werden kann. Diese sind: –

Die Körperschaft muss ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb unterhalten, und zwar entweder seit ihrer Gründung oder – sofern die-

95 96 97 98 99

Vgl. BT-Drs. 18/9986 v. 17.10.2016. Vgl. nur Frey/Thürmer, GmbHR 2016, 1083 ff.; Korn, SteuK 2016, 399 ff. S. § 34 Abs. 6a KStG. Vgl. BT-Drs. 18/9986, 9. Näher zur Wahlrechtsausübung von § 8d KStG Förster/von Cölln, DStR 2017, 8, 17 f. 100 Näher zum Antragserfordernis Förster/von Cölln, DStR 2017, 8, 10; Bakeberg/Krüger, BB 2016, 2967, 2969.

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se länger zurückliegt – seit dem Beginn des dritten Veranlagungszeitraums, der dem Veranlagungszeitraum des schädlichen Beteiligungserwerbs vorausgeht. Es gilt also eine Art „Beobachtungsphase vor Antragstellung“. Maximal beträgt sie knapp vier Jahre (z.B. bei einem schädlichen Beteiligungserwerb im Dezember 2016 würde die „Beobachtungsphase“ beginnen am 1.1.2013). Besonders relevant und problematisch ist – für die ganze Norm – das neue Merkmal des „Geschäftsbetriebs“, welcher in § 8b Abs. 1 S. 3 KStG legal definiert wird101. –

In diesem Zeitraum der „Beobachtungsphase“ darf kein Ereignis i.S.d. § 8d Abs. 2 KStG eintreten.102 Solche Ereignisse sind die Einstellung des Geschäftsbetriebs, die Ruhendstellung des Geschäftsbetriebs, die Zuführung einer andersartigen Zweckbestimmung, die Aufnahme eines zusätzlichen Geschäftsbetriebs, die Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft, die Stellung als Organträger sowie die Übertragung von Wirtschaftsgütern auf die Körperschaft unter dem gemeinen Wert. Die gleichen Ereignisse dürfen schon gar nicht in der „Beobachtungsphase“ vor Antragstellung vorliegen, sonst ist ein Antrag bereits ausgeschlossen.



Zu Beginn der rund dreijährigen „Beobachtungsphase“ darf die Gesellschaft nach § 8d Abs. 1 S. 2 KStG weder Organträger sein noch an einer Mitunternehmerschaft beteiligt sein.

Liegen die Voraussetzungen der Norm vor, kann auf entsprechenden Antrag der Körperschaft, um deren Verlustvortrag es geht, der Verlustvortrag als sog. fortführungsgebundener Verlustvortrag ermittelt und verfahrensrechtlich gesondert festgestellt werden. Maßgebend ist der Verlustvortrag, der zum Schluss des Veranlagungszeitraums verbleibt, in den der schädliche Beteiligungserwerb fällt. Allerdings findet § 8d KStG gem. § 8d Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KStG keine Anwendung auf Verluste aus der Zeit vor einer Einstellung oder Ruhendstellung des Geschäftsbetriebs (sog. Altverluste). Wird der Antrag gestellt, greift § 8c KStG insgesamt nicht ein, d.h. es kommt insofern nicht zu einem Untergang der Verluste gem. § 8c KStG, sondern fortan richtet sich die Behandlung für diesen nunmehr zum

101 Näher zum Merkmal des Geschäftsbetriebs unter V. 102 Näher zu den Ausschlussvoraussetzungen Förster/von Cölln, DStR 2017, 8, 12 f.

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fortführungsgebundenen Verlustvortrag gewordenen Betrag ausschließlich nach § 8d KStG.

V. Zentraler Begriff: Geschäftsbetrieb § 8d KStG verwendet als zentrales Merkmal den Begriff des Geschäftsbetriebs. Ein Geschäftsbetrieb umfasst nach der Legaldefinition des § 8d Abs. 1 S. 3 KStG die von einer einheitlichen Gewinnerzielungsabsicht getragenen, nachhaltigen, sich gegenseitig ergänzenden und fördernden Betätigungen der Körperschaft und bestimmt sich nach qualitativen Merkmalen in einer Gesamtbetrachtung. Qualitative Merkmale sind nach § 8d Abs. 1 S. 4 KStG insbesondere die angebotenen Dienstleistungen oder Produkte, der Kunden- und Lieferantenkreis, die bedienten Märkte und die Qualifikation der Arbeitnehmer. Der Begriff des Geschäftsbetriebs ist in mehrfacher Hinsicht relevant: damit ein Antrag überhaupt zulässig ist, muss im rund dreijährigen Beobachtungszeitraum vor dem schädlichen Beteiligungserwerb „ausschließlich derselbe Geschäftsbetrieb“ unterhalten werden; zudem fällt ein festgestellter fortführungsgebundener Verlustvortrag nach § 8d Abs. 2 KStG weg, wenn zukünftig dieser Geschäftsbetrieb eingestellt, ruhend gestellt oder er einer andersartigen Zweckbestimmung zugeführt wird oder zu dem bestehenden Geschäftsbetrieb ein „zusätzlicher Geschäftsbetrieb“ aufgenommen wird. Es ist bereits jetzt absehbar, dass die inhaltliche Auslegung des neuen Rechtsbegriffs „Geschäftsbetrieb“ künftig zu erheblichen Streitigkeiten führen wird.103 Die Legaldefinition des Geschäftsbetriebs in Abs. 1 S. 3 ist sehr abstrakt gehalten. Die in Abs. 1 S. 4 aufgezählten Merkmale bieten ebenfalls Interpretationsspielraum (z.B. die Merkmale „Qualifikation der Arbeitnehmer“ und der „Kundenkreis“). U.E. ist jedenfalls ein Branchenwechsel schädlich.104 Nach dem Gesetz ist diese Aufzählung auch nicht abschließend, da das Gesetz diese Merkmale nur mit „insbesondere“ einleitet. Es ist zudem unklar, wie die Gesamtbetrachtung der verschiedenen (im Gesetz aufgezählten, gegebenenfalls auch weiterer) Merkmale konkret erfolgen soll; unklar ist z.B. in welchem Verhältnis die qualitativen Merkmale zueinander stehen und ob sie alle gleich103 Gleiche Einschätzung Kenk, BB 2016, 2844, 2848; Korn, SteuK 2016, 399, 400. 104 Vgl. zum Branchenwechsel auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9986, 14.

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wertig sind. Praktisch denkbar wäre, dass die Finanzverwaltung die im Gesetz explizit aufgezählten qualitativen Merkmale im konkreten Fall zählt und anschließend eine Entscheidung auf Basis des zahlenmäßigen Überwiegens (geändert/nicht geändert) der Merkmale trifft. Ein zeitnah erlassenes BMF-Schreiben zur Handhabung der Gesamtbetrachtung wäre nicht nur hilfreich105, sondern erscheint zwingend notwendig.

VI. Rechtsfolge bei schädlichem Ereignis Ein einmal festgestellter fortführungsgebundener Verlustvortrag kann wieder entfallen, wenn vor seinem vollständigen Verbrauch ein schädliches Ereignis i.S.d. § 8d Abs. 2 KStG eintritt. Da der Verlustvortrag insgesamt (schädliche sowie unschädliche Verluste) zum fortführungsgebundenen Verlustvortrag umqualifiziert wird, geht dieser auch insgesamt unter, wenn ein schädliches Ereignis i.S.d. § 8d Abs. 2 KStG eingetreten ist. Jedoch gilt – wie auch im § 8c KStG – eine partielle Abmilderung, soweit stille Reserven vorhanden sind. Für die stille ReservenVerschonung gelten nach § 8d Abs. 2 S. 1 KStG die Grundsätze des § 8c Abs. 1 S. 6–9 KStG entsprechend. Maßgebender Zeitpunkt für den Test ist der Schluss des dem schädlichen Ereignis i.S.d. § 8d Abs. 2 KStG vorangegangenen Veranlagungszeitraums.106

VII. Abschließende Würdigung Das Regelungsziel des § 8d KStG ist grundsätzlich zu begrüßen. Jedoch verbleibt voraussichtlich nur ein sehr enger Anwendungsbereich für die Norm wegen der sehr engen Voraussetzungen für die grundsätzliche Berechtigung als insbesondere auch das Weiterführen. Zudem sind die Tatbestandsmerkmale an zentralen Stellen nicht ausreichend klar und damit streitanfällig. Wenn der Gesetzgeber schon etwas Neues schafft, hätte er die Regelung klarer und nicht so extrem eng formulieren sollen.107

105 Vgl. in diesem Zusammenhang zum sog. Typenvergleich das BMF-Schreiben zur LLC, BStBl. I 2004, 411. 106 Weitergehend zur Problematik der stillen Reserven Förster/von Cölln, DStR 2017, 8, 16. 107 Weitergehende Literatur zu § 8d KStG: Bakeberg/Krüger, BB 2016, 2967 ff.; Bergmann/Süß, DStR 2016, 2185 ff.; Förster/von Cölln, DStR 2017, 8 ff.; Frey/Thürmer, GmbHR 2016, 1083 ff.; Kenk, BB 2016, 2844 ff.; Korn, SteuK 2016, 399 ff.; Ortmann-Babel/Bolik, DB 2016, 2984 ff.; von Wilcken, NZI 2016, 996 ff.

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Aktuelle Fragen zur Organschaft Dr. Sebastian Benz Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf Oberregierungsrätin Alexandra Pung Landesamt für Steuern, Rheinland-Pfalz Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Steuerlich wichtige Gründe für die vorzeitige Beendigung eines Gewinnabführungsvertrags 1. Änderung der KStR 2. Ursache für die KStR-Änderung: BFH I R 45/12 3. Einzelfallprüfung weiter notwendig III. Rückwirkende Zuordnung der Organgesellschaftsbeteiligung zu einer Betriebsstätte des Organträgers IV. Verspätete Registereintragung und Billigkeitsmaßnahmen V. Rückwirkung und Mindestlaufzeit

VI. Wirken gesetzliche Ausschüttungssperren in Organschaftsfällen als Abführungssperren? 1. Problemstellung 2. Lösung 3. Ansprüche bei Zuvielabführung VII. Auflösung des Ausgleichspostens bei mittelbarer Organschaft VIII. Ausgleichsposten bei Einbringungen IX. Schädlichkeit der Organschaft für den fortführungsgebundenen Verlust gem. § 8d KStG 1. Allgemeines zum Gesetz 2. Wegfall der Verlustvorträge bei Einnahme einer Organträgerstellung

I. Einleitung Die Organschaft bietet dank ihres Zusammenspiels mit anderen Regelungen aus dem Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht, dem Umwandlungssteuerrecht sowie ihrer Anbindung an das Handels- und Gesellschaftsrecht stets Stoff für Diskussionen zu neu aufkommenden Fragen. Neuere Entwicklungen und Fragestellungen, die sich im Jahr 2016 in der Rechtsprechung der Finanzgerichte, den Verlautbarungen der Finanzverwaltung sowie der steuerrechtlichen Literatur ergeben haben, sind Gegenstand des folgenden Beitrags.

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II. Steuerlich wichtige Gründe für die vorzeitige Beendigung eines Gewinnabführungsvertrags 1. Änderung der KStR § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG gibt den Rahmen für die vorzeitige Beendigung eines Gewinnabführungsvertrags ohne Auslösung steuerrechtlicher Nachteile vor. Danach ist die vorzeitige Beendigung durch Kündigung unschädlich, wenn ein wichtiger Grund die Kündigung rechtfertigt. Liegt ein solcher wichtiger Grund nicht vor, führt dies zur rückwirkenden Nichtanerkennung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft. Unter einem wichtigen Grund sind auch nach Auffassung der Finanzverwaltung die Veräußerung oder Einbringung der Organbeteiligung, die Verschmelzung, Spaltung oder Liquidation des Organträgers oder der Organgesellschaft zu fassen.1 Dies gilt allerdings nicht, wenn bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses feststeht, dass der Gewinnabführungsvertrag vor Ablauf der ersten fünf Jahre beendet werden wird.2 Hier ist es durch den Erlass der Körperschaftsteuerrichtlinien 2015 zu einer Änderung gekommen, die offensichtlich auf die Rechtsprechung des BFH zurückzuführen ist. Während R 60 Abs. 6 Satz 4 KStR 2004 noch den Hinweis enthielt, die Verschmelzung, Spaltung oder Liquidation der Organgesellschaft (nicht des Organträgers) sei auch dann ein wichtiger Grund, wenn sie bereits bei Abschluss des GAV feststand, ist dieser Hinweis in den neuen KStR 2015 nicht mehr enthalten, obwohl die Regelungen zur betreffenden Problematik im Übrigen unverändert enthalten sind. Die neuen KStR 2015 sind insoweit auch enger als der Umwandlungssteuer-Erlass 2011, der auf die Vorhersehbarkeit solcher Umwandlungsmaßnahmen nicht abstellt.3

2. Ursache für die KStR-Änderung: BFH I R 45/12 Ursache für diese Änderungen ist (wohl) das Urteil des BFH vom 13.11.2013 zur konzerninternen Veräußerung einer Organbeteiligung.4 1 R 14.5 Abs. 6 Satz 2 KStR 2015. 2 R 14.5 Abs. 6 Satz 3 KStR 2015. 3 Vgl. Tz. Org. 26 des BMF-Schreibens v. 11.11.2011 – IV C 2 – S 1978-b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314; hierzu auch Pohl, NWB 2016, 2424, 2427; Blumenberg/ Kring, DB 2015, 1435. 4 BFH v. 13.11.2013 – I R 45/12, BStBl. II 2014, 486.

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Nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt ging es um die konzerninterne Veräußerung einer Organgesellschaft an eine deutsche Holdinggesellschaft. Die Konzernmuttergesellschaft war in Großbritannien ansässig und an der deutschen Holding über eine niederländische Zwischengesellschaft beteiligt. Es handelte sich insoweit um einen Sonderfall, als die Organschaft nach den Feststellungen des Finanzgerichts zunächst dazu diente, Verlustvorträge zu verbrauchen, und ansonsten von der konzerntypischen Beteiligungszuordnung abwich. Faktisch sei der Gewinnabführungsvertrag unter die (zeitlich ungewisse) auflösende Bedingung des vollständigen Verlustverbrauchs gestellt worden. Danach sei die konzerninterne Veräußerung der Organgesellschaft an die deutsche Holding notwendig gewesen, um Änderungen des niederländischen Steuerrechts entgegenzuwirken, die bei der britischen Muttergesellschaft zu negativen Steuerfolgen (aufgrund der britischen Hinzurechnungsbesteuerung) geführt hätten. Nach Auffassung des BFH hatten die betroffenen Gesellschaften versucht, durch die konzerninterne Veräußerung bewusst einen wichtigen Grund zu schaffen, wobei die Struktur tatsächlich nur durch das Motiv getragen gewesen sei, Verlustvorträge zu verbrauchen. Das Gericht betonte, der wichtige Grund für die Beendigung des Gewinnabführungsvertrags stehe anders als im Zivilrecht nicht im Belieben der Parteien. Dabei stünde zwar die Vereinbarung im Gewinnabführungsvertrag, dass auch die Veräußerung einer Beteiligung ein wichtiger Kündigungsgrund sei, nicht einer festen Vertragslaufzeit von fünf Jahren i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG entgegen, obwohl dieser Grund von den Parteien beeinflussbar sei. Der wichtige Grund für die Vertragsbeendigung müsse aber ex post nach eigenen steuerrechtlichen Maßstäben (ohne Rückgriff auf die Wertungen des Zivilrechts) vorliegen.5 Dem sei nicht so, wenn die Rechtsfolgen der Organschaft mittels einer Vertragsaufhebung zeitlich begrenzt werden sollten, um die fünfjährige Mindestlaufzeit zu unterlaufen. Dies sei im Urteilsfall wegen der (vom Finanzgericht festgestellten) Begrenzung auf den Verbrauch der Verlustvorträge der Fall gewesen. In seiner Besprechung dieses BFH-Urteils geht Gosch noch einen Schritt weiter. Seiner Ansicht nach ist ein wichtiger Grund nur ein solcher, der die Fortsetzung des Gewinnabführungsvertrags als „objektiv unzumutbar“ erscheinen lasse.6 Er äußert sich allerdings nicht näher zu der Frage, was genau „objektiv unzumutbar“ ist. 5 So auch Lange, GmbHR 2011, 807, 809. 6 Gosch, BFH/PR 2014, 200, 201.

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Hingegen geht die Finanzverwaltung davon aus, dass es sich um einen von besonderen Umständen geprägten Einzelfall handelt; denn an der bisherigen Formulierung in den KStR, dass die Veräußerung der Organbeteiligung ein wichtiger Grund sein kann, ist festgehalten worden. Die dort aufgelisteten Sachverhalte können somit auch künftig als steuerlich wichtige Gründe anzusehen sein.

3. Einzelfallprüfung weiter notwendig Das FG Hessen urteilte zuletzt, nicht jede Einbringung sei ein wichtiger Grund.7 Ein solcher liege auch nicht bereits deshalb vor, weil die Einbringung in R 60 Abs. 6 Satz 2 KStR 2004 genannt sei. Sofern die Einbringung Teil einer wirtschaftlich nachvollziehbaren Umstrukturierung (hier der Schaffung einer Spartenstruktur) und der Errichtung einer Zwischenholding diene, könne dies aber als ein wichtiger Grund zu qualifizieren sein. Das Gericht differenzierte insofern klar zu dem Urteil des BFH aus 2013, in dem die Beteiligungsveräußerung nur ein vorgeschobener Grund für die Beendigung der Organschaft war. In der Praxis dürfte damit eine sorgfältige Einzelfallprüfung notwendig sein, auch wenn nach den obigen Ausführungen im Grundsatz von steuerlich wichtigen Gründen ausgegangen werden kann. Kritisch zu sehen ist allerdings die Einschränkung des FG Hessen, wonach ein wichtiger Grund im konkreten Fall zweifelhaft gewesen wäre, hätte nicht von vornherein festgestanden, dass die Organschaft nach der Einbringung in zweistufiger Form fortgeführt werden sollte. In dem dem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt hatte die Organträgerin die Anteile an der Organgesellschaft in eine andere Tochtergesellschaft, die Zwischenholding, eingebracht und zunächst bis Ablauf des Wirtschaftsjahres die ursprüngliche Organschaft (mittelbar) fortgeführt. Nach der Kündigung schloss die Organgesellschaft wie geplant einen neuen Gewinnabführungsvertrag mit der Zwischenholding und diese wiederum einen weiteren Gewinnabführungsvertrag mit der Muttergesellschaft. Hierin kann tatsächlich ein weiteres Indiz für das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu sehen sein. Die Begründung eines neuen Organschaftsverhältnisses kann aber keine Voraussetzung für einen wichtigen Grund sein.8 7 Hessisches FG v. 28.5.2015 – 4 K 677/14, EFG 2015, 2100; zu diesem Urteil auch Philipp/Kröger, DB 2015, 2783. 8 So auch Brühl, GmbHR 2016, 79, 80, der sogar davon ausgeht, dass der Gewinnabführungsvertrag steuerrechtlich nicht gekündigt worden sei, da wegen des Abschlusses der zwei neuen Gewinnabführungsverträge die Organschaft tat-

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Insgesamt ist in der Praxis dazu zu raten, vor entsprechenden Umstrukturierungen eine verbindliche Auskunft zum Vorliegen eines wichtigen Grundes einzuholen.9

III. Rückwirkende Zuordnung der Organgesellschaftsbeteiligung zu einer Betriebsstätte des Organträgers In der Fassung des KStG vor dessen Internationalisierung setzte eine Organschaft i.S. der §§ 14, 17 KStG voraus, dass der Organträger Sitz und Geschäftsleitung im Inland hatte. Nach der Neufassung des § 14 KStG muss der Organträger nur noch seine Geschäftsleitung im Inland haben; allerdings muss die Beteiligung an der Organgesellschaft ununterbrochen während der gesamten Dauer der Organschaft einer inländischen Betriebsstätte des Organträgers zuzuordnen sein (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 4 KStG). Dies kann problematisch sein, wenn die Zuordnung aufgrund von Umwandlungen oder Einbringungen unterjährig wechselt, da dann die Beteiligung dem Organträger nicht während des gesamten Wirtschaftsjahres tatsächlich zuzuordnen war. Beispiel 1:

sächlich fortgesetzt worden sei – und zwar unter Anrechnung der bisherigen Laufzeit. 9 Vgl. auch Herzberg, GmbHR 2014, 502, 504; Marx/Scheifele, DStR 2014, 1793, 1801; Füger/Rieger/Schell, DStZ 2015, 404, 411.

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Benz/Pung, Aktuelle Fragen zur Organschaft Die A GmbH bringt die Anteile an der B GmbH und den Teilbetrieb 1 am 10.8.2016 in die C GmbH gem. § 20 UmwStG mit Rückwirkung zum 31.12.2015 ein. Dabei sind die Anteile an der B GmbH dem Teilbetrieb 1 zuzuordnen. Stellt § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 4 KStG auf die tatsächliche Zuordnung ab oder bewirkt die Rückwirkungsfiktion auch eine Zuordnungsfiktion? Bewirkt die steuerliche Rechtsnachfolge die notwendige Zuordnung?

In Beispiel 1 war der übernehmende Rechtsträger (C GmbH) im Zeitpunkt des steuerrechtlichen Übertragungsstichtags (31.12.2015) noch nicht tatsächlich an der B GmbH beteiligt. Die Beteiligung kann seiner Betriebsstätte tatsächlich erst ab dem Zeitpunkt des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums (Einbringungszeitpunkt) zugeordnet werden (10.8.2016). Danach wäre die Begründung einer Organschaft erst ab 2017 möglich und nicht rückwirkend bereits ab dem 1.1.2016. Allerdings wäre dieses Ergebnis nicht sachgerecht, weil es im Widerspruch zur umwandlungssteuerrechtlichen Rechtsnachfolge stünde (§§ 12 Abs. 3, 23 Abs. 1 UmwStG). Nach Auffassung des BFH ist das Tatbestandsmerkmal der finanziellen Eingliederung jedenfalls nicht personenbezogen aufzufassen (die Frage, ob es sich um ein tatsächliches oder rechtliches Merkmal handelt, hat das Gericht offengelassen).10 Aus diesem Grund muss nicht auf die tatsächlichen Verhältnisse beim Organträger abgestellt werden, sondern es genügt, wenn die Beteiligung zum Übertragungsstichtag dem übertragenden und danach dem übernehmenden Rechtsträger zuzuordnen ist (Fußstapfentheorie). Der ursprünglichen Auffassung der Finanzverwaltung, dass eine nahtlose Begründung einer Organschaft im Anschluss an die Einbringung nur möglich ist, wenn die umwandlungssteuerliche Rückwirkungsfiktion auch für die Zuordnung der Beteiligung anwendbar ist, hat der BFH damit eine Absage erteilt.11 Eine rückwirkende finanzielle Eingliederung wäre somit nicht nötig, vielmehr wäre die umwandlungssteuerliche Rechtsnachfolge umfassend. Die Finanzverwaltung hat diese Rechtsprechung in Rz. Org.02 des Umwandlungssteuererlasses nur bedingt übernommen, indem sie die steuerliche Rechtsnachfolge nur bis zum steuerlichen Übertragungsstichtag gelten lässt. Aber auch dies würde im vorliegenden Fall ausreichen, um die fiktive Zuordnung der Beteiligung an der B GmbH zum Betriebsvermögen der C GmbH zum 31.12.2015 zu ermöglichen. Demnach ist eine Zuordnung der Beteiligung i.S. des § 14 KStG seit Beginn 2016 zu beja10 BFH v. 28.7.2010 – I R 89/09, BStBl. II 2011, 528. 11 So auch Rödder/Liekenbrock, Ubg 2015, 445, 447 mit weiteren Beispielen.

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hen, so dass eine Organschaft bereits ab diesem Zeitpunkt besteht. Im Ergebnis kommt es damit nicht auf die tatsächliche, sondern auf die fiktive Zuordnung an. Dies muss auch dann gelten, wenn die A GmbH eine ausländische Gesellschaft, z.B. eine niederländische A BV wäre, da die steuerliche Rechtsnachfolge des § 23 Abs. 1 UmwStG nicht auf die Person des Einbringenden abstellt; entsprechend missbräuchliche Gestaltungen wären dann über § 2 Abs. 3 UmwStG zu korrigieren. Dennoch dürfte sich, da sich weder BFH, noch die Finanzverwaltung in einer offiziellen Verlautbarung mit der Frage Zuordnung von Beteiligungen i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 4 KStG, sondern nur mit dem Merkmal der finanziellen Eingliederung befasst hat, in der Praxis die Einholung einer verbindlichen Auskunft empfehlen.

IV. Verspätete Registereintragung und Billigkeitsmaßnahmen In der Praxis kann die erfolgreiche Errichtung von Organschaften auch an verfahrens- und Formfehlern oder Fehlern der beteiligten Behörden scheitern. So setzt ein wirksamer Gewinnabführungsvertrag nicht nur steuerrechtlich den Abschluss auf mindestens exakt fünf Zeitjahre voraus, sondern handelsrechtlich die Eintragung ins Handelsregister. Das Risiko von Formfehlern liegt meist beim Steuerpflichtigen selbst, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen sollen. Beispiel 2: Zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft soll mit Wirkung ab dem 1.1.2002 eine Organschaft begründet werden. Der Gewinnabführungsvertrag sieht eine Laufzeit vom 1.1.2002 bis zum 31.12.2006 mit automatischer Verlängerung um jeweils ein Jahr vor, falls der Vertrag nicht bis zum 30.9. des jeweiligen Vorjahres gekündigt wird. Obwohl der Gewinnabführungsvertrag dem Registergericht bereits im Oktober 2002 vorgelegt wurde, wird er durch vom Gericht zu vertretende Fehler erst im Februar 2003 in das Handelsregister eingetragen. Ist die Organschaft bereits für das Jahr 2002 anzuerkennen?

Für die Wirksamkeit des Gewinnabführungsvertrags ist die Eintragung in das Handelsregister zivilrechtlich konstitutiv (§ 294 Abs. 2 AktG). Nach § 26 HRV ist i.d.R. innerhalb von 21 Tagen nach Eingang der vollständigen Anmeldung einzutragen und bekannt zu machen. Steuerrechtlich ist der Gewinnabführungsvertrag auf mindestens fünf Jahre abzuschließen und während seiner gesamten Geltungsdauer durchzuführen 145

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(§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG). Dabei ist nach § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG das Einkommen der Organgesellschaft dem Organträger erstmals für das Kalenderjahr zuzurechnen, in dem das Wirtschaftsjahr der Organgesellschaft endet, in dem der Gewinnabführungsvertrag wirksam wird. Somit ist die gesetzliche Regelung eindeutig: Sie unterscheidet nicht danach, warum der Gewinnabführungsvertrag verspätet eingetragen worden ist. Im Beispielsfall wäre bereits für das Jahr 2002 eine Organschaft anzuerkennen gewesen, wenn die Eintragung bis zum 31.12.2002 erfolgt wäre. Da dies aber erst im Februar 2003 geschah, kann die Organschaft mangels fünfjähriger Laufzeit von vornherein nicht anerkannt werden. Die Rechtsprechung ist in dieser Hinsicht allerdings nicht eindeutig. Während das FG Niedersachsen12 eine Ausnahme von dieser oben geschilderten gesetzlichen Regelung auch bei einem Verschulden des Registergerichts abgelehnt hat, hat das FG Düsseldorf13 eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen bei Behördenverschulden bejaht. In den Entscheidungen des FG Düsseldorf hatte einmal das zuständige Registergericht die Eintragung rechtswidrig versagt, im anderen Fall gab es eine Computerpanne auf den Servern des Justizministeriums. Ausdrücklich lehnte jedoch das FG Baden-Württemberg14 eine Billigkeitsmaßnahme ab, obwohl der Sachverhalt denjenigen des FG Düsseldorf ähnlich war. Hier hatte das Registergericht, auch aufgrund hoher Arbeitsbelastung, den Eintragungsantrag „verschleppt“. FG Baden-Württemberg und FG Niedersachsen begründeten ihre strenge Sichtweise mit der Gesetzeshistorie: Die Möglichkeit der rückwirkenden Anerkennung eines Gewinnabführungsvertrags für den Fall, dass er bis zum Ende des vorangehenden Jahres zivilrechtlich wirksam abgeschlossen würde, habe der Gesetzgeber mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz 2003 abgeschafft. Dabei sei sich der Gesetzgeber der Möglichkeit einer verzögerten Eintragung bewusst gewesen. Dann aber sei kein Raum mehr für eine teleologische Auslegung des § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG. Der BFH hat

12 Niedersächsisches FG v. 13.12.2007 – 6 K 411/07, EFG 2008, 885 (Nichtzulassungsbeschwerde abgelehnt durch Beschluss des BFH v. 12.6.2008, I B 20/08). 13 FG Düsseldorf v. 25.11.2003 – 6 K 3001/01 K, und v. 17.5.2011 – 6 K 3100/09 K, G, AO. Die Nichtzulassungsbeschwerden wurden durch Beschlüsse des BFH v. 4.11.2004 – I B 43/04 und v. 23.4.2012 – I B 100/11 abgelehnt. 14 FG Baden-Württemberg v. 21.4.2015 – 6 K 1284/14, EFG 2015, 2156, Rev.-Az. beim BFH I R 80/15.

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diese strenge formal-zivilrechtliche Sichtweise auch für den Fall der nachträglichen Änderung eines Gewinnabführungsvertrags vertreten.15 Einen weiteren Fall für diese Problematik enthält das nachfolgende Beispiel. Beispiel 3 (nach FG Niedersachsen)16:

Durch mehrfaches Verschulden sowohl des Notars als auch des Registergerichts wird der mit Wirkung ab dem 1.1.2013 abgeschlossene Gewinnabführungsvertrag erst im Januar 2014 in das Handelsregister eingetragen. Weil er erst Anfang 2014 wirksam wurde und eine Gewinnabführungsverpflichtung deshalb für 2013 nicht bestand, war der handelsrechtliche Jahresabschluss der T AG zwingend ohne einen „Aufwand aus dem GAV“ aufzustellen. Dementsprechend wurde mit Beschluss vom März 2014 der Gewinn 2013 zu 94,9 % an die M AG und zu 5,1 % an die X AG offen ausgeschüttet. Von Unternehmensseite wurde im Einspruchsverfahren die Anerkennung der Organschaft für 2013 aus Gründen sachlicher Billigkeit gefordert, vom FA jedoch abgelehnt.

Das FG Niedersachsen verpflichtete das Finanzamt, im Wege der abweichenden Steuerfestsetzung die KStR 2013 aus Billigkeitsgründen so festzusetzen, als ob der Gewinnabführungsvertrag bereits im Jahr 2013 steuerrechtlich wirksam gewesen wäre. Es stellt sich die Frage, ob dies das Finanzamt auch zur Anerkennung der Organschaft für 2013 verpflichtet. Das könnte man mit Hinweis auf 15 BFH v. 22.10.2008 – I R 66/07, HFR 2009, 272. Ähnlich auch BFH v. 23.1.2013 – I R 1/12, BFH/NV 2013, 989. Hierzu auch Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Körperschaftsteuer, § 14 Rz. 556. Nachträgliche klarstellende Vereinbarungen können an der Fehlerhaftigkeit eines Gewinnabführungsvertrags bzgl. der Mindestlaufzeit ebenfalls nichts ändern, vgl. Walter in Ernst & Young, KStG, § 14 Rz. 636 m.w.N. 16 Niedersächsisches FG, Urteil v. 24.3.2015 – 6 K 397/14. Die Entscheidung ist rechtskräftig, aber nicht veröffentlicht.

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die fehlende tatsächliche Durchführung verneinen, so dass eine Umdeutung der an die M AG geleisteten Ausschüttung in eine Gewinnabführung und die Umdeutung der an die X AG geleisteten Ausschüttung in eine Ausgleichszahlung nicht in Betracht käme. Dann jedoch liefe das Urteil des FG Niedersachsen letztendlich ins Leere. Es bleibt insgesamt festzuhalten, dass eine Billigkeitsregelung nach der Mehrzahl der finanzgerichtlichen Entscheidungen ausgeschlossen ist.17 Selbst wenn man sie grundsätzlich für möglich erachtet, müsste sie auf solche Fälle beschränkt sein, in denen dem Steuerpflichtigen oder seinem Steuerberater oder dem Notar keinerlei Verschulden an der verspäteten Registereintragung zuzurechnen ist. Es ist nicht Sinn einer Billigkeitsmaßnahme, eine bestehende Verschuldenshaftung zu ersetzen. In der Praxis ist es ratsam, Gewinnabführungsverträge unbedingt frühzeitig abzuschließen, um ihre rechtzeitige Eintragung besser sicherstellen zu können, sowie die rechtzeitige und richtige Eintragung zu überwachen. Zu denken wäre darüber hinaus an einen dynamischen Beginn des Gewinnabführungsvertrags ab Eintragung im Handelsregister.18

V. Rückwirkung und Mindestlaufzeit Eine wesentliche Rolle bei Umstrukturierungen in der Praxis spielt die umwandlungssteuerrechtliche Rückwirkung. Im Detail sind Umfang und Folgen dieser Rückwirkung jedoch immer noch umstritten, wie das nachfolgende Beispiel verdeutlicht. Beispiel 4 (nach FG Düsseldorf)19:

17 Vgl. auch Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Körperschaftsteuer, § 14 Rz. 346 ff. 18 Vgl. Walter in Ernst & Young, KStG, § 14 Rz. 637; Scheifele/Marx, DStR 2014, 1793, 1795. 19 FG Düsseldorf v. 3.3.2015 – 6 K 4332/12 K, F, EFG 2015, 951, Rev.-Az.: BFH I R 19/15.

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Benz/Pung, Aktuelle Fragen zur Organschaft Die B GmbH wird im Februar 2005 als Vorratsgesellschaft gegründet. Die A GmbH erwirbt die Anteile an der B GmbH im August 2005. Sie gliedert mit Rückwirkung zum 1.1.2005 einen Teil ihres Vermögens auf die B GmbH aus. A GmbH und B GmbH schließen im August 2005 einen Gewinnabführungsvertrag beginnend zum 1.1.2005 ab, eine Kündigungsmöglichkeit soll erstmalig mit Ablauf des 31.12.2009 bestehen. Nach Auffassung des Finanzamts war die Mindestlaufzeit von fünf Jahren nicht eingehalten.

Das FG Düsseldorf schloss sich der Auffassung der Finanzverwaltung, der Gewinnabführungsvertrag sei nicht auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen worden, an. Es stellte zunächst in Anknüpfung an die Rechtsprechung des BFH20 fest, die Mindestdauer bemesse sich nach Zeitjahren, nicht nach Wirtschaftsjahren. So sollten gezielte Manipulationen, eine willkürliche Beeinflussung der Besteuerung oder der Abschluss bzw. die Beendigung von Gewinnabführungsverträgen von Fall zu Fall verhindert werden. Im vorliegenden Fall sei zwar der Gewinnabführungsvertrag nach seinem Wortlaut auf fünf Jahre abgeschlossen, jedoch sei die Organgesellschaft erst im Februar 2005 gegründet worden. Der BFH habe sich in seinem Urteil zur Rechtsnachfolge bzgl. der finanziellen Eingliederung21 nicht zur Mindestdauer geäußert. Diese sei ein eigenständiges Merkmal, das auf tatsächliche Umstände abstelle.22 Ein fiktiver Rückbezug nach § 2 Abs. 1 UmwStG setze zumindest die Existenz des übernehmenden Rechtsträgers voraus, sofern er überhaupt möglich sei. Auf die Frage, ob eine finanzielle Eingliederung ab dem 1.1.2005 gegeben war, geht das FG nicht ein. Die Entscheidung ist in der steuerrechtlichen Literatur kritisiert worden.23 Ab dem 1.1.2005 hätten – aufgrund der Rückwirkung – sämtliche übertragenen Vermögensgegenstände und Handlungen als für Rechnung der B GmbH vorgenommen gelten müssen. Das gesamte auf den Teilbetrieb entfallende Ergebnis des Jahres der Ausgliederung habe somit der

20 21 22 23

BFH, Urteil v. 12.1.2011 – I R 3/10, BStBl. II 2011, 727. BFH v. 28.7.2010 – I R 89/09, BStBl. II 2011, 528. Zustimmend Walter in Ernst & Young, KStG, § 14 Rz. 637. Vgl. z.B. Hölzer, DB 2015, 1249; Brühl, DStR 2015, 1896; zustimmend Graw, EFG 2015, 953; Krumm in Blümich, KStG, § 14 Rz. 130; Walter, GmbHR 2015, 544. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Körperschaftsteuer, § 14 Rz. 540, sieht keinen Widerspruch des Urteils zu Tz. Org. 13 des UmwSt-Erlasses.

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Gewinnabführung unterlegen. Deshalb sei es im konkreten Fall nicht um die Mindestlaufzeit gegangen, so dass die Frage, ob diese ein tatsächliches Merkmal darstelle, irrelevant gewesen sei. Vielmehr sei es nur um die Zurechnung des handelsrechtlichen Ergebnisses im Rückwirkungszeitraum gegangen, also eine Voraussetzung rechtlicher Art.24 Zudem wird kritisiert, dass das Urteil auf die Rückwirkung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG und Rn. Org.13 des Umwandlungssteuer-Erlasses 2011 nicht eingehe. § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG i.V.m. § 20 Abs. 5 UmwStG würde aber zeigen, dass diese Form der Rückwirkung gesetzlich akzeptiert sei. Eine steuerliche Statusverbesserung der A GmbH liege letztlich auch nicht vor, da sie nach wie vor das gesamte Einkommen versteuere; Manipulationsvorwürfe seien deshalb unbegründet. Daneben wird ein Vergleich mit dem Urteil des FG Köln vom 10.6.201025 herangezogen: Dort hatte eine Muttergesellschaft unterjährig eine Tochtergesellschaft gegründet und mit dieser einen Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen, der ausdrücklich zunächst von einem Rumpfgeschäftsjahr der Tochter ausgegangen war. In demselben Jahr war dann eine Ausgliederung eines Teilbetriebs zum vorhergehenden 1.1. auf die Tochtergesellschaft erfolgt. Das FG Köln legte hier der Gewinnabführungsverpflichtung das gesamte Jahresergebnis zugrunde. Das Urteil stieß jedoch nicht nur auf Kritik. So hält Walter26 die Einschätzung, die Mindestlaufzeit sei ein tatsächliches, der fiktiven Rückbeziehung nicht zugängliches Tatbestandsmerkmal, für richtig. Er schlägt für solche Fälle vor, dass die Mindestlaufzeit entsprechend länger zu fassen sei, auch wenn die finanzielle Eingliederung ihrerseits zurückbezogen werden könne. U.E. kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob die nach § 14 KStG geforderte Mindestlaufzeit gegeben war. Denn es dürfte bereits an der finanziellen Eingliederung zum 1.1.2005 scheitern. Da die A GmbH die Anteile an der B GmbH erst im August 2005 erworben hat, war eine solche finanzielle Eingliederung nicht gegeben. Daher sind entsprechende Fallkonstellationen stets über das (fehlende) Kriterium der finanziellen Eingliederung zu lösen; die vom FG Düsseldorf aufgeworfene Fragestellung kann sich demnach gar nicht stellen. Hätte die A GmbH die

24 So Hölzer, DB 2015, 1249, 1251. 25 13 K 416/10, EFG 2010, 2029. 26 Walter in Ernst & Young, KStG, § 14 Rz. 637.

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Anteile an der B GmbH zum 1.1.2005 bereits besessen, wäre es auf die Ausgliederung grundsätzlich nicht mehr angekommen. Die Mindestlaufzeit hätte ab diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen. Das steuerliche Einkommen der B GmbH seit dem 1.1.2005 wäre der A GmbH zuzurechnen gewesen. In diesem wäre (auch) das Einkommen enthalten gewesen, das der ausgegliederte Teilbetrieb in der Zeit zwischen dem 1.1.2005 und dem Wirksamwerden der Ausgliederung erzielt hätte. Dieses war gem. § 20 Abs. 5, 6 UmwStG unstreitig der B GmbH zuzurechnen, d.h. originärer Teil ihres Einkommens. Es bleibt abzuwarten, wie der BFH in dem anhängigen Revisionsverfahren entscheiden wird.

VI. Wirken gesetzliche Ausschüttungssperren in Organschaftsfällen als Abführungssperren? 1. Problemstellung Nach § 301 AktG kann eine Gesellschaft als ihren Gewinn höchstens den ohne die Gewinnabführung entstehenden Jahresüberschuss, vermindert um einen vororganschaftlichen Verlustabzug, um den Betrag, der nach § 300 AktG in die gesetzlichen Rücklagen einzustellen ist, und den nach § 268 Abs. 8 HGB ausschüttungsgesperrten Betrag (Ausweis freier Rücklagen i.H. der in der Handelsbilanz ausgewiesenen selbst geschaffenen immateriellen Wirtschaftsgüter) abführen. Wird der ausschüttungsgesperrte Betrag handelsrechtlich abgeführt, gilt der Gewinnabführungsvertrag als i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG nicht durchgeführt; die steuerliche Organschaft wird dadurch gefährdet. Neben der Ausschüttungssperre des § 268 Abs. 8 HGB gibt es jedoch noch weitere in § 301 AktG nicht ausdrücklich genannte Ausschüttungssperren die in Organschaftsfällen als Abführungssperre zu beachten sein könnten. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang:27 –

die Ausschüttungssperre bei vereinfachter Kapitalherabsetzung (§ 233 AktG, § 58d GmbHG): Im Anschluss an eine Kapitalherabsetzung darf

27 Beispiele bei Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Körperschaftsteuer, § 14 Rz. 396 ff.

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Gewinn erst wieder ausgeschüttet werden, wenn die Summe an gesetzlichen Rücklagen und Kapitalrücklagen 10 % des Nennkapitals erreicht hat; –

die Ausschüttungssperre gem. § 272 Abs. 4 HGB zur Bildung einer Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Unternehmen;28



die Ausschüttungssperre gem. § 272 Abs. 5 HGB zur Sicherung der phasengleichen Vereinnahmung von Beteiligungsergebnissen;29



die zuletzt eingeführte Ausschüttungssperre gem. § 253 Abs. 6 HGB hinsichtlich der Gewinne, die sich aus Abzinsungsgewinnen bei der Neuberechnung von Pensionsrückstellungen nach § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB i.d.F. des ÄndG. vom 11.3.201630 ergeben;31 der Gewinn entsteht hier aufgrund der Tatsache, dass Rückstellungen nicht mehr auf Basis des durchschnittlichen Marktzinssatzes der letzten sieben, sondern der letzten zehn Wirtschaftsjahre berechnet werden (§ 253 Abs. 2 HGB).

Beispiel 5: Die Organgesellschaft A gewährt ihren Mitarbeitern eine Betriebsrente. Im Jahr 2015 beträgt die Rückstellung 160. Im Jahr 2016 beträgt sie hingegen nur noch 145. Darf A den Abzinsungsgewinn i.H.v. 15 an den Organträger abführen?

2. Lösung Wohl überwiegend wird in der Literatur vertreten, dass solche zwingend zu beachtenden gesetzlichen Ausschüttungssperren in Organschaftsfällen auch ohne ausdrückliche Erwähnung in § 301 AktG als Abführungssperre wirken.32 Dies dient dem Gläubigerschutz und ist folgerichtige Konsequenz der Tatsache, dass die Erträge allein auf einer Gesetzesänderung und nicht auf Geschäftstätigkeit beruhen. Auf diese Weise soll ein 28 Vgl. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Körperschaftsteuer, § 14 Rz. 397, 459. 29 Vgl. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Körperschaftsteuer, § 14 Rz. 398. 30 BGBl. I 2016, 396, 408. Die Neuregelung gilt grundsätzlich für Jahresabschlüsse, die nach dem 31.12.2015 enden. Für in 2015 endende Wirtschaftsjahre gilt ein Wahlrecht (Art. 75 Abs. 6 und 7 EGHGB). 31 Vgl. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Körperschaftsteuer, § 14 Rz. 386, 399. 32 Vgl. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Körperschaftsteuer, § 14 Rz. 386; Küting/Eichenlaub/Toebe, GmbHR 2011, 1; Walter, GmbHR 2016, 354; Suchanek/Herbst, GmbHR 2006, 966, 969.

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zusätzlicher Liquiditätsabfluss verhindert werden.33 Zudem soll speziell § 253 Abs. 6 HGB der Stärkung des Eigenkapitals dienen.34 Demgegenüber geht die Verwaltung zu § 253 Abs. 6 HGB davon aus, dass eine analoge Anwendung der Ausschüttungssperre nicht in Betracht kommt, d.h. die Gewinne vollständig (einschließlich des ausschüttungsgesperrten Teils) an den Organträger abzuführen sind.35 Weiter ist eine pauschale Einstellung des ausschüttungsgesperrten Betrags in eine Gewinnrücklage nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 KStG nicht zulässig; vielmehr muss dies nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung wirtschaftlich begründet sein. Ist entgegen den o.a. Ausführungen eine Abführung unterlassen worden, besteht eine Heilungsmöglichkeit nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Sätze 4, 5 KStG.36 Hierauf weist das o.a. BMF-Schreiben auch ausdrücklich für vor dem 23.12.2016 unterlassene Abführungen hin.

3. Ansprüche bei Zuvielabführung Soweit die Ausschüttungssperre auch als Abführungssperre gilt, stellt sich die Frage, was die zivilrechtliche Folge einer solchen Zuvielabführung ist. Sofern die Heilungsmöglichkeit, wie vorstehend unter 2. beschrieben, nicht eingreift, kommen sowohl Ansprüche der Organgesellschaft gegen den Organträger, als auch Ansprüche der Organgesellschaft gegen Vorstand oder Geschäftsführer sowohl von Organträger als auch von Organgesellschaft in Betracht. Der Organträger muss ggf. nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften (§ 280 BGB) Schadensersatz leisten, sofern ein schuldhaftes Verhalten seinerseits ursächlich für die Zuvielabführung geworden ist. Daneben kommt eine Rückerstattung wegen ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 ff. BGB) in Betracht.

33 Rödder/Liekenbrock in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 14 Rz. 130. 34 Walter, GmbHR 2016, 354, 355; a.A. Freiberg, StuB 2016, 257, der in dem fehlenden Verweis in § 301 AktG auf § 253 HGB keine planwidrige Regelungslücke sieht. 35 Vgl. BMF, Schr. v. 23.12.2016 (BStBl. I 2017, 41). Hierzu auch Fuhrmann, NWB 2017, 1003 und Oser/Wirtz, DB 2017, 261. 36 Vgl. nur Walter, GmbHR 2016, 354, 356.

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Der Vorstand bzw. Geschäftsführer des Organträgers haftet gem. § 309 AktG für Weisungen.37 Danach muss er bei der Erteilung von Weisungen gegenüber dem beherrschten Unternehmen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anwenden. Daneben ordnet § 310 AktG jedoch ausdrücklich die Haftung der gesetzlichen Vertreter der Organgesellschaft selbst an, wobei der Sorgfaltsmaßstab derselbe ist.38 Es ist somit eine Frage des Einzelfalls, auf wessen Anweisungen und Verhalten die fälschliche Zuvielabführung zurückzuführen ist und wer aus diesem Grund hierfür haftet. Umstritten ist, ob in Fällen, in denen der abführungsgesperrte Betrag höher als der Jahresüberschuss der Organgesellschaft ist, die Organgesellschaft einen Ausgleichsanspruch aus § 302 AktG gegen den Organträger hat. Walter befürwortet dies unter Hinweis darauf, dass die Verlustübernahme der Erhaltung des Vermögens der Organgesellschaft dient.39 Dem wird entgegengehalten, die Abführungssperre wirke periodenübergreifend und die Aktivierung sperrbehafteter Vermögensgegenstände reduziere damit auch zukünftige Gewinnabführungen. Für einen Ausgleichsanspruch bestünde keine Rechtsgrundlage, allenfalls aus Vorsichtsgründen sei ein freiwilliger Ausgleich ratsam.40

VII. Auflösung des Ausgleichspostens bei mittelbarer Organschaft Hinsichtlich der Auflösung von Ausgleichsposten bei mittelbaren Organschaften im Falle von Umwandlungen ergeben sich aufgrund von aktueller Rechtsprechung und den neuen KStR 2015 neue Fragestellungen, für die hier zunächst ein erläuternder Beispielsfall folgen soll.

37 Hierzu bspw. Altmeppen in Münchener Kommentar zum AktG, § 309 Rz. 48 ff., 75 ff. 38 Hierzu bspw. Altmeppen in Münchener Kommentar zum AktG, § 310 Rz. 20 f. 39 Walter in Ernst & Young, KStG, § 14 Rz. 584. 40 Rödder/Liekenbrock in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 14 Rz. 135.

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Benz/Pung, Aktuelle Fragen zur Organschaft Beispiel 6:

Es besteht eine mittelbare Organschaft zwischen der M GmbH und der E GmbH. Aufgrund einer (handelsrechtlichen) Mehrabführung hat die M GmbH auf die Beteiligung an der T GmbH (Zwischengesellschaft) einen passiven Ausgleichsposten gebildet. In 2016 kommt es zu einer Veräußerung sämtlicher Anteile an der E GmbH durch die T GmbH an die K AG. Der Gewinnabführungsvertrag zwischen M GmbH und E GmbH wird auf den Übertragungszeitpunkt aufgehoben (sog. „Mitternachtsgeschäft“). Was passiert mit dem Ausgleichsposten?

Nach R 14.8 Abs. 3 Satz 7 KStR 2015 sind bei einer mittelbaren Beteiligung an der Organgesellschaft die Ausgleichposten aufzulösen, wenn der Organträger die Beteiligung an der Zwischengesellschaft veräußert. Im Beispielsfall wäre danach der Ausgleichsposten nicht aufzulösen, da nicht die Anteile an der Zwischengesellschaft T GmbH, sondern die Anteile an der E GmbH veräußert werden. Fraglich ist allerdings, ob das auch gelten soll, wenn gleichzeitig eine Organschaft zwischen der Zwischengesellschaft und dem Organträger besteht (im Beispielsfall zwischen der M GmbH und der T GmbH).41 Ein solcher Fall lag dem nachstehend dargestellten Urteil des FG Münster vom 19.11.2015 zugrunde.42 41 Nach Auffassung von von Freeden/Joisten, DB 2016, 1099, 1103, ist aus R 14.8 Abs. 3 Satz 7 KStR 2015 der Umkehrschluss zu ziehen, dass in solchen Fällen aus Sicht der Finanzverwaltung der Ausgleichsposten nicht aufzulösen ist, und zwar unabhängig davon, ob die veräußernde Zwischengesellschaft selbst Organgesellschaft ist. 42 FG Münster v. 19.11.2015 – 9 K 3400/13 K, F, EFG 2016, 594, Rev.-Az. BFH I R 16/16.

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Benz/Pung, Aktuelle Fragen zur Organschaft Beispiel 7:

In dem dem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt bestand eine unmittelbare Organschaft zwischen der Klägerin (M AG) und ihrer Tochtergesellschaft T GmbH sowie zwischen der T GmbH und der Enkelgesellschaft E GmbH. Ferner hatten die T GmbH und die Urenkel-Gesellschaft UE GmbH einen Gewinnabführungsvertrag geschlossen. Bei der UE GmbH fand eine Wertberichtigung in der Handelsbilanz auf ihre Beteiligung an der ausländischen Kapitalgesellschaft F statt. Aufgrund der Organschaft kam es zu einer Übernahme des handelsbilanziellen Verlusts der UE GmbH durch die T GmbH und aufgrund einer fehlenden steuerlichen Berücksichtigung der Wertberichtigung zu einer Minderabführung. Dies führte insgesamt zur Bildung eines aktiven Ausgleichspostens bei der T GmbH. Hiernach wurde die UE GmbH auf die E GmbH verschmolzen. Es stellte sich die Frage, ob der Ausgleichsposten bei der T GmbH infolge der Verschmelzung von UE GmbH auf E GmbH aufzulösen wäre.

Würde man den KStR strikt folgen, wäre der Ausgleichsposten nicht aufzulösen, da die Anteile an der Zwischengesellschaft auch hier nicht veräußert wurden. Das sah das FG Münster anders und entschied, der Ausgleichsposten sei bereits bei der Verschmelzung der Organgesellschaft aufzulösen, da diese Verschmelzung wie eine Veräußerung wirke, soweit bei der Zwischengesellschaft in entsprechender Höhe ein Verschmelzungsgewinn entstanden sei und zwischen Organträger und Zwischengesellschaft eine unmittelbare Organschaft bestanden habe. Da der 156

Benz/Pung, Aktuelle Fragen zur Organschaft

Ausgleichsposten wie ein Korrekturposten zum Beteiligungsansatz aufzufassen sei und deshalb dessen Schicksal teile, komme es zu einer erfolgswirksamen Auflösung des Ausgleichspostens, soweit in dem dem Organträger zugerechneten Einkommen der Zwischengesellschaft Einkommensteile enthalten seien, die auf dem Übernahmegewinn der Zwischengesellschaft beruhen, und zu einer erfolgsneutralen Auflösung, soweit der Gewinn, zu dessen Neutralisierung der aktive Ausgleichsposten gebildet worden ist, entstanden und an den Organträger wirtschaftlich weitergeleitet worden, aber steuerfrei geblieben sei. Das Gericht begründet dies zum einen mit der besonderen Konstellation des zugrundeliegenden Sachverhalts, nämlich der Tatsache, dass die T GmbH sowohl mit der E GmbH als auch mit der UE GmbH einen Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen hatte, und zum anderen mit dem Rechtscharakter des Ausgleichspostens. Zu letzterem nimmt es Bezug auf das Urteil des BFH aus dem Jahr 201243, wonach ein aktiver Ausgleichsposten eine steuerliche Bilanzierungshilfe sei, die in Form eines steuerbilanziellen Merkpostens eine zweifache Besteuerung des zugerechneten Einkommens vermeiden solle. Nach Auffassung des FG Münster schließt dies eine Behandlung des Ausgleichspostens wie einen technischen Korrekturposten zum Beteiligungsbuchwert in Veräußerungsund gleichgestellten Fällen nicht aus.44 Dafür spreche auch ein Vergleich mit dem Fall, dass die Organgesellschaft den Gewinn tatsächlich erst an den Organträger abführe und dieser den entsprechenden Betrag dann wieder in die Organgesellschaft einlege. Dann lägen unstreitig nachträgliche Anschaffungskosten des Organträgers bzgl. seiner Beteiligung an der Organgesellschaft vor. Die Nichtabführung des steuerlichen Gewinns könne als verkürzter Vorgang im Vergleich zu der vorgenannten Abführung und Einlage angesehen werden, so dass eine gleiche Behandlung sachgerecht erscheine. In der vorliegenden Konstellation sei der Ausgleichsposten deshalb bereits bei Verschmelzung der Organgesellschaft aufzulösen, weil aufgrund der Zurechnung des Einkommens der Zwischengesellschaft E GmbH bei dem Organträger T GmbH nicht nur das Veräußerungsergebnis bei der T GmbH zu erfassen sei, sondern in deren Steuerbilanz auch der Ausgleichsposten zu bilden war. Das Ergebnis wäre also möglicherweise anders ausgefallen, hätte kein Gewinnabführungsvertrag zwischen der T

43 BFH v. 29.7.2012 – I R 65/11, BStBl. II 2013, 555. 44 Vgl. bereits FG Münster v. 23.5.2015 – 9 K 4074/11, G, EFG 2016, 587.

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Benz/Pung, Aktuelle Fragen zur Organschaft

GmbH und der E GmbH bestanden, aufgrund dessen das Ergebnis der Verschmelzung letztlich bei der T GmbH zuzurechnen war.45 Der Senat ließ es dahinstehen, ob der Übernahmegewinn – wie in der Literatur diskutiert – nach der Bruttomethode in der Organschaftskette durchzuleiten ist oder nur in Höhe des nicht gem. § 12 Abs. 2 UmwStG steuerfreien Teils. Dennoch erörtert er diesen Streit zuvor ausführlich und lässt dabei anklingen, dass er wohl eher eine einschränkende Wirkung des § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG und die Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG befürwortet. Er verweist hierbei auf die Intention des Gesetzgebers, Veräußerungs- und Umwandlungsfälle gleichzustellen. Zwischenzeitlich ist durch die Neufassung der KStR in 2015 seitens der Finanzverwaltung klargestellt worden, dass für die Anwendung des § 8b KStG bzw. der §§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2 EStG die Ausgleichsposten mit dem in der Steuerbilanz ausgewiesenen Buchwert der Organbeteiligung zusammenzufassen sind und dies auch für die Ermittlung eines Veräußerungsergebnisses entsprechend gilt (vgl. R 14.8 Abs. 3 Satz 4 und 6 KStR 2015). Hierdurch kommt § 8b KStG erst zur Anwendung, nachdem die aufgelösten Ausgleichsposten bereits mit dem Veräußerungsgewinn verrechnet wurden. Hierauf hatte auch das FG Münster in seiner Entscheidung bereits hingewiesen.

VIII. Ausgleichsposten bei Einbringungen Der Umgang mit Ausgleichsposten kann bei der Einbringung oder Ausgliederung einer Organgesellschaft samt Gewinnabführungsvertrag in eine andere Gesellschaft von Bedeutung sein. Auch hier stellt sich die Frage nach Fortführung oder Auflösung des Ausgleichspostens.46

45 von Freeden/Joisten, DB 2016, 1099, 1102 f., sind der Auffassung, dass es keine Rolle spielen könne, ob es sich bei der Zwischengesellschaft um eine Organgesellschaft handele. § 14 Abs. 4 Satz 2 KStG bestimme nicht, dass es sich bei der Veräußerung der Organbeteiligung um eine unmittelbare Veräußerung durch den Organträger handeln müsse. Die Veräußerung durch die Zwischengesellschaft sei (unabhängig von einer Organschaft der Zwischen- mit der Muttergesellschaft) eine mittelbare Veräußerung der Organbeteiligung und schon deshalb tatbestandsmäßig. 46 Vgl. Tz. Org. 16 i.V.m. Org. 05 des BMF-Schr. v. 11.11.2011 – IV C 2 – S 1978-b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314.

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Benz/Pung, Aktuelle Fragen zur Organschaft Beispiel 8:

Es besteht eine Organschaft zwischen der M KG und der E GmbH. Aufgrund einer (handelsrechtlichen) Mehrabführung hat die M KG auf die Beteiligung an der E GmbH einen passiven Ausgleichposten gebildet. Die M KG bringt die Anteile an der E GmbH und den Gewinnabführungsvertrag in die T GmbH zu Buchwerten ein. Was hat mit dem Ausgleichsposten auf Ebene der M KG bzw. ihrer Mitunternehmer zu geschehen?

Für den vorliegenden Fall bestehen drei Lösungsmöglichkeiten. In der ersten Variante fällt der Ausgleichsposten bei der M KG ersatzlos weg, da er schließlich „mit eingebracht“ wurde, d.h. auf die T GmbH übertragen wurde und von ihr fortgeführt wird. In der zweiten Variante wandelt sich der Ausgleichsposten in Anschaffungskosten um, so dass sich der eigentliche Buchwert für die Anteile an der T GmbH, die die M KG im Zuge der Einbringung erhielt, um den Betrag des passiven Ausgleichpostens mindert. Zuletzt besteht die Möglichkeit, dass der Ausgleichsposten auch auf Ebene der M KG fortgeführt wird, wodurch es letztlich zu einer Verdoppelung des Ausgleichspostens kommt. Die Finanzverwaltung wird wohl zur dritten Lösungsmöglichkeit, der Verdoppelung des Ausgleichspostens, tendieren. Jedoch ermöglicht keine der drei Varianten eine wirklich „befriedigende“ Lösung: Eine gewinnwirksame Auflösung des Ausgleichspostens ist nicht gewollt, da die Übertragung zu Buchwerten kein Realisierungsvorgang ist.47 Ein gewinnneutraler Wegfall (außerbilanzielle Korrektur des weggefallenen Ausgleichspostens) kann gleichfalls keine Lösung sein. In diesem Fall könnte die M KG oder deren Gesellschafter die Anteile an der T GmbH ver47 Vgl. auch Tz. Org. 05 des BMF-Schr. v. 11.11.2011 – IV C 2 – S 1978-b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314.

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Benz/Pung, Aktuelle Fragen zur Organschaft

äußern, ohne dass sich der passive Ausgleichsposten bei der Veräußerung gewinnerhöhend ausgewirkt hätte. Die M KG bzw. deren Gesellschafter hätten die Mehrabführung vereinnahmt, ohne dass sich dies steuerrechtlich ausgewirkt hätte. Dies ist vom Gesetz nicht gewollt. Das Problem bei der zweiten Lösungsvariante ist, dass, obgleich dies die von § 21 UmwStG vorgesehene Lösung wäre, es hierbei zu einem (steuerbilanziell) negativen Buchwert kommen kann, wenn der ursprüngliche Ausgleichsposten höher ist als der Buchwert der Anteile an der T GmbH. Letztlich verbleibt dann nur die Verdoppelung des Ausgleichspostens, auch wenn dies gesetzlich so (ebenfalls) nicht vorgesehen ist. Es bleibt abzuwarten, ob es hierzu zukünftig noch zu Verfahren vor den Finanzgerichten kommt und wie sich die Finanzverwaltung positionieren wird.

IX. Schädlichkeit der Organschaft für den fortführungsgebundenen Verlust gem. § 8d KStG Durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften vom 20.12.2016 ist § 8d KStG („fortführungsgebundener Verlustvortrag“) eingefügt und das GewStG entsprechend geändert worden. Zweck ist der Erhalt von steuerlichen Verlusten oder Verlustvorträgen bei Start up-Unternehmen im Fall des Beitritts von Business Angels oder Venture Capital-Fonds.

1. Allgemeines zum Gesetz Nach § 8c KStG entfallen nicht genutzte Verluste einer Körperschaft teilweise oder ganz, wenn es zu einem Anteilseignerwechsel von mind. 25 % innerhalb von fünf Jahren kommt. Es sind zwar Ausnahmen von dieser Grundregel vorgesehen, nämlich bei konzerninternen Veräußerungen und sofern die ungenutzten Verluste nicht die (anteiligen) stillen Reserven der Körperschaft übersteigen. Diese Ausnahmen sind jedoch in einer Vielzahl von Fällen nicht anwendbar. Insbesondere bei den erwähnten Start up-Unternehmen steht in den Anfangsjahren eine erhebliche Summe ungenutzter Verluste der Notwendigkeit einer Aufnahme neuer Gesellschafter oder des Wechsels von Gesellschaftern gegenüber.48

48 Vgl. Neumann/Heuser, GmbHR 2017, 281 f.

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Benz/Pung, Aktuelle Fragen zur Organschaft

Die Neuregelung lautet wie folgt: „§ 8d (Fortführungsgebundener Verlustvortrag) (1) § 8c ist nach einem schädlichen Beteiligungserwerb auf Antrag nicht anzuwenden, wenn die Körperschaft seit ihrer Gründung oder zumindest seit dem Beginn des dritten Veranlagungszeitraums, der dem Veranlagungszeitraum nach Satz 5 vorausgeht, ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb unterhält und in diesem Zeitraum bis zum Schluss des Veranlagungszeitraums des schädlichen Beteiligungserwerbs kein Ereignis im Sinne von Absatz 2 stattgefunden hat. Satz 1 gilt nicht: 1. Für Verluste aus der Zeit vor einer Einstellung oder Ruhendstellung des Geschäftsbetriebs oder 2. wenn die Körperschaft zu Beginn des dritten Veranlagungszeitraums, der dem Veranlagungszeitraum nach Satz 5 vorausgeht, Organträger oder an einer Mitunternehmerschaft beteiligt ist. Ein Geschäftsbetrieb umfasst die von einer einheitlichen Gewinnerzielungsabsicht getragenen, nachhaltigen, sich gegenseitig ergänzenden und fördernden Betätigungen der Körperschaft und bestimmt sich nach qualitativen Merkmalen in einer Gesamtbetrachtung. Qualitative Merkmale sind insbesondere die angebotenen Dienstleistungen oder Produkte, der Kunden und Lieferantenkreis, die bedienten Märkte und die Qualifikation der Arbeitnehmer. Der Antrag ist in der Steuererklärung für die Veranlagung des Veranlagungszeitraums zu stellen, in das der schädliche Beteiligungserwerb fällt. Der Verlustvortrag, der zum Schluss des Veranlagungszeitraums verbleibt, in den der schädliche Beteiligungserwerb fällt, wird zum fortführungsgebundenen Verlust (fortführungsgebundener Verlustvortrag). Dieser ist gesondert auszuweisen und festzustellen; § 10d Absatz 4 des Einkommensteuergesetzes gilt entsprechend. Der fortführungsgebundene Verlustvortrag ist vor dem nach § 10d Absatz 4 des Einkommensteuergesetzes festgestellten Verlustvortrag abzuziehen. (2) Wird der Geschäftsbetrieb im Sinne des Absatzes 1 eingestellt, geht ein nach Absatz 1 festgestellter fortführungsgebundener Verlustvortrag unter; § 8c Absatz 1 Satz 6 bis 9 gilt bezogen auf die zum Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorhandenen stillen Reserven entsprechend. Gleiches gilt, wenn 1. der Geschäftsbetrieb ruhend gestellt wird, 2. der Geschäftsbetrieb einer andersartigen Zweckbestimmung zugeführt wird, 3. die Körperschaft einen zusätzlichen Geschäftsbetrieb aufnimmt, 4. die Körperschaft sich an einer Mitunternehmerschaft beteiligt, 5. die Körperschaft die Stellung eines Organträgers im Sinne des § 14 Absatz 1 einnimmt oder 6. auf die Körperschaft Wirtschaftsgüter übertragen werden, die sie zu einem geringeren als dem gemeinen Wert ansetzt.“

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Benz/Pung, Aktuelle Fragen zur Organschaft

Die Neuregelung ist nach § 34 Abs. 6a KStG rückwirkend auf schädliche Beteiligungserwerbe i.S. des § 8c nach dem 31.12.2015 anzuwenden.49 § 10a Satz 10 GewStG wurde insoweit ergänzt, als auf Fehlbeträge §§ 8c und 8d KStG entsprechend anzuwenden ist. Im Wesentlichen sollen nach dieser Konzeption die steuerlichen Verluste oder Verlustvorträge nicht gemäß § 8c KStG bzw. § 10a GewStG wegfallen, sofern der bisherige Geschäftsbetrieb beibehalten wird, sog. fortführungsgebundener Verlust. Das soll eine Nutzung der Verluste und Verlustvorträge durch Verrechnung mit Einkünften des fortgeführten Geschäftsbetriebs ermöglichen. Die Anwendbarkeit der Vorschrift erfordert die Antragstellung durch die betroffene Körperschaft (gemeinsam mit der Steuererklärung für den Veranlagungszeitraum, für den die Regelung erstmalig genutzt werden soll), was für die Verwaltung mit der Schaffung eines neuen Antragsverfahrens und entsprechendem Prüfungsaufwand einhergeht.50 Dennoch soll die Vorschrift dem Ziel einer leichten Administrierbarkeit und einem hohen Maß an Rechtssicherheit verpflichtet sein.51 Dieser Zweck dürfte angesichts der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nur schwer zu erreichen sein. Denn zentrales Tatbestandsmerkmal des Entwurfs ist der Begriff „Geschäftsbetrieb“. Dieser muss in den drei Wirtschaftsjahren vor Antragstellung bzw. seit ihrer Gründung ununterbrochen in derselben Art und Weise bestanden haben. Nach dem Anteilseignerwechsel ist der Geschäftsbetrieb unverändert fortzuführen, um einen Untergang der Verlustvorträge zu verhindern. Was ein „Geschäftsbetrieb“ ist, soll sich nach der Entwurfsbegründung anhand qualitativer Merkmale bestimmen lassen. Nach der Definition des Entwurfs, der sich damit von anderen Verwendungen des Begriffs Geschäftsbetrieb in Steuergesetzen abgrenzt, umfasst er „die von einer einheitlichen Gewinnerzielungsabsicht getragenen, nachhaltigen, sich gegenseitig ergänzenden und fördernden Betätigungen der Körperschaft“52. Dabei sei die Zuführung neuen Betriebsvermögens anders als früher nicht maßgeblich. Das kann aber nicht darüber hinweghelfen, dass unklar bleibt, was „sich gegenseitig ergänzende und fördernde Betätigungen“ sein sollen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein Branchenwechsel oder die Aufnahme eines weiteren Geschäftsbetriebs antragsschädlich sein sollen. 49 50 51 52

Förster/von Cölln, DStR 2017, 8; Moser/Witt, DStZ 2017, 235. Neumann/Heuser, GmbHR 2017, 281, 284 f. So der Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/9986, 11. BT-Drs. 18/9986, 12.

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Benz/Pung, Aktuelle Fragen zur Organschaft

Das macht die eindeutige Bestimmung der Art des Geschäftsbetriebs umso wichtiger. Dabei soll es nach dem Entwurf u.a. auf folgende Merkmale ankommen: –

die von einem Unternehmen angebotenen Produkte/Dienstleistungen,



den Kunden- und Lieferantenkreis,



die vom Unternehmen bedienten Märkte,



die Arbeitnehmerschaft, wobei nicht auf die Zahl der Arbeitnehmer, sondern auf deren Qualifikationsprofil abzustellen sein soll.

Nach Bergmann/Süß soll diese Definition möglichst umfassend sein, so dass auch mehrere Teilbetriebe unter einem einzigen Geschäftsbetrieb zusammenzufassen sein können.53 Bedenkt man, dass gerade Start up-Unternehmen in ihrer Anfangszeit ihr Geschäftsmodell laufend überarbeiten (müssen) und dass z.B. die Erschließung weiterer oder anderer Kundenkreise für das Unternehmen notwendig oder jedenfalls geschäftspolitisch sinnvoll sein kann, erscheinen diese Merkmale zu eng und könnten in der weiteren Entwicklung junger Unternehmen sogar zu Behinderungen oder gar einer Erstarrung des Unternehmens führen, da sich die Geschäftsführung angesichts eines drohenden Untergangs von Verlustvorträgen genötigt sehen könnte, von Änderungen des Geschäftsmodels o.ä. Abstand zu nehmen oder diese zu verzögern.54 Insbesondere erscheint es zweifelhaft, wieso die Aufnahme eines zusätzlichen Geschäftsbetriebs schädlich sein soll, vor allem wenn das Unternehmen auf diese Weise aus eigener Kraft wächst, ohne Zukäufe oder ähnliche Maßnahmen.55 Auch die Abgrenzung zwischen der schädlichen Aufnahme eines weiteren Geschäftsbetriebs und der unschädlichen Aufnahme ergänzender Tätigkeiten dürfte streitanfällig sein, was auch der Bundesrat bereits kritisch angemerkt hat.56 Der Entwurf nennt diese Merkmale zudem nur als Beispiel, so dass keinesfalls von einer erhöhten Rechtssicherheit für den Steuerpflichtigen die Rede sein kann. Da § 8d KStG Missbrauchsgestaltungen über eine 53 Bergmann/Süß, DStR 2016, 2185, 2186 f. 54 So auch Neyer, FR 2016, 928, 930; Bergmann/Süß, DStR 2016, 2185, 2189; Frey/Thürmer, GmbHR 2016, 1083, 1086; Dreßler/Rogall, DB 2016, 2375, 2377. 55 So auch Neyer, FR 2016, 928, 930. 56 Dreßler/Rogall, DB 2016, 2375, 2377; Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf v. 4.11.2016, BR-Drs. 544/16, 3.

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Benz/Pung, Aktuelle Fragen zur Organschaft

Änderung bzw. Erweiterung des Geschäftsbetriebs verhindern will, sollte die Definition unter diesen Gesichtspunkten entsprechend ausgelegt werden.57 Da der Steuerpflichtige den Betrieb selbst und ununterbrochen fortführen soll, sind sowohl eine zeitweise Ruhendstellung als auch eine Verpachtung schädlich. Der fortführungsgebundene (körperschaft- und/oder gewerbesteuerrechtliche) Verlustvortrag wird vor dem nach § 10d Abs. 4 EStG festgestellten Verlustvortrag verwendet. Zudem werden im Gegensatz zu § 8c KStG, bei dem Verluste nur anteilig untergehen, solange der Anteilseignerwechsel unterhalb der 50 %-Marke liegt, von den Restriktionen des § 8d KStG die gesamten Verlustvorträge erfasst.58 Der Steuerpflichtige hat damit die Wahl, entweder nach § 8c KStG Verluste nur anteilig (endgültig) untergehen zu lassen, anschließend aber ungehindert den Geschäftsbetrieb ändern zu können, oder aber den Erhalt aller Verluste als fortführungsgebundene Verluste zu beantragen, was zu den oben beschriebenen Bindungen führen würde.59 Um sich Gestaltungsfreiheit zu erhalten, könnten Steuerpflichtige deshalb von einem Antrag nach § 8d KStG absehen. Tritt im Prüfungszeitraum eines der in Abs. 2 genannten schädlichen Ereignisse ein, mildert die Stille-Reserven-Klausel des § 8c Abs. 1 Satz 6 KStG den Untergang des Verlustvortrags, so dass die fortführungsgebundenen Verluste i.H. der stillen Reserven nicht untergehen.60

2. Wegfall der Verlustvorträge bei Einnahme einer Organträgerstellung Wie geschildert entfallen die ungenutzten Verluste bei Eintritt eines schädlichen Ereignisses i.S. des Abs. 2 des neuen § 8d KStG. Eine spezielle Bestimmung enthält § 8d KStG insofern für Fälle, in denen die Körperschaft nach dem Anteilseignerwechsel die Stellung eines Organträgers i.S. des § 14 Abs. 1 KStG einnimmt. Auch dies soll einer Einstellung des Geschäftsbetriebs gleichstehen. 57 So auch Bergmann/Süß, DStR 2016, 2185, 2188. 58 Vgl. hierzu auch Frey/Thürmer, GmbHR 2016, 1083, 1084; Bergmann/Süß, DStR 2016, 2185, 2188; Geberth/Bartelt, GmbHR 2016, R 294; Dreßler/Rogall, DB 2016, 2375, 2377; Moser/Witt, DStZ 2017, 235, 236. 59 Förster/von Cölln, DStR 2017, 8, 17; Neyer, BB 2017, 415, 418; Moser/Witt, DStZ 2017, 235, 237. 60 Dreßler/Rogall, DB 2016, 2375, 2377 f.

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Benz/Pung, Aktuelle Fragen zur Organschaft Beispiel 9:

Die T GmbH hat Verlustvorträge. Im Jahr 2016 werden 100 % der Anteile an der T GmbH an die K AG veräußert und übertragen; zum Zeitpunkt der Übertragung weist die T GmbH keine stillen Reserven in ihren Wirtschaftsgütern aus. Im Jahr 2017 schließt die T GmbH mit der E GmbH einen Ergebnisabführungsvertrag und wird damit Organträgerin.

Nach der bisherigen Gesetzeslage gehen die Verlustvorträge in 2016 grundsätzlich gem. § 8c KStG unter. Wegen der Fortführung des Geschäftsbetriebs bleiben die Verlustvorträge nach der Neufassung (auf Antrag) jedoch erhalten (§ 8d Abs. 1 Satz 1 KStG). Allerdings könnte dann ein Jahr später die Eingehung der Organschaft mit der E GmbH wie eine Einstellung des Geschäftsbetriebs wirken, der zum Untergang der Verlustvorträge in 2017 führen würde (§ 8d Abs. 2 Satz 2 KStG). Zweifelhaft ist hieran, dass § 8d Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 KStG nur auf die Organträgerstellung i.S. des § 14 KStG verweist, hier allerdings eine Organträgerstellung i.S. des § 17 KStG vorliegt (Organgesellschaft ist eine GmbH und keine AG, wie dies § 14 KStG erfordert)). Eine solche Einschränkung dürfte vom Gesetzgeber nicht intendiert sein, entspricht aber dem eindeutigen (und insoweit nicht auslegungsfähigen) Gesetzeswortlaut. Beispiel 10:

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Benz/Pung, Aktuelle Fragen zur Organschaft Sachverhalt wie im vorhergehenden Beispiel. Die Organschaft zwischen T GmbH und E GmbH bestand allerdings bereits seit dem 1.1.2013, also drei Jahre vor dem Anteilseignerwechsel.

§ 8d Abs. 1 KStG findet in dieser Konstellation keine Anwendung, da die Tatbestandsvoraussetzungen nicht gegeben sind. Die T GmbH war zu Beginn des dritten Veranlagungszeitraums, der dem schädlichen Beteiligungserwerb (in 2016) vorausging (1.1.2013), Organträger (§ 8d Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG). Die Verlustvorträge gehen also wie nach bisheriger Rechtslage unter. Fraglich ist, ob dies auch dann der Fall ist, wenn die Organschaft erst zum 1.1.2014 begründet wurde. Nach dem reinen Wortlaut wäre diese Frage zu verneinen. Denn zum maßgeblichen Zeitpunkt war die T GmbH noch kein Organträger. Im Hinblick auf eine vom heutigen Gesetzeswortlaut abweichende Formulierung im Gesetzgebungsverfahren (Einnehmen einer Organträgerstellung innerhalb des Dreijahreszeitraums) wird die Finanzverwaltung diese Frage jedoch vermutlich trotz des Wortlautes bejahen. Ziel der Einschränkung war es, den fortführungsgebundenen Verlust nicht durch zugerechnetes Einkommen einer Organgesellschaft zu mindern. Daher sollte vor und nach dem Beteiligungserwerb eine Organschaft schädlich sein. Dementsprechend wäre es unerheblich, ob die Organschaft bereits zum maßgeblichen Stichtag (1.1.2013) bestand oder erst danach begründet wurde. Bestand die Organschaft allerdings nur bis zum Beginn des Dreijahreszeitraumes, d.h. wurde die Organschaft zwischen T GmbH und E GmbH im Beispielsfall zum 31.12.2012 beendet, ist dies für die Verlustnutzung unschädlich. Wird die Organschaft allerdings über den 1.1.2013 hinweg fortgeführt, läge wiederum ein schädlicher Fall i.S. des § 8d Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG vor. Aufgrund des geänderten Wortlauts, nach dem nur noch auf das Bestehen einer Organschaft zum Stichtag abgestellt wird, ist dies eindeutig; bei der zuvor verwandten Gesetzesformulierung (Einnehmen einer Organträgerstellung) war dies noch fraglich gewesen.

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Praxisfragen des § 6a GrEStG Regierungsrätin Julia Schanko Finanzministerium NRW, Düsseldorf Dr. Stefan Behrens Steuerberater, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Frankfurt a.M. Inhaltsübersicht 1. In den anhängigen Revisionsverfahren zu § 6a GrEStG zu beantwortende Fragen 1.1 Unter welchen Voraussetzungen ist ein Rechtsträger „herrschendes Unternehmen“ i.S.v. § 6a Satz 3 GrEStG? 1.2 Wenn es auf die umsatzsteuerliche Unternehmerschaft ankommt: Muss die Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft dem unternehmerischen Bereich des „herrschenden Unternehmen“ zugeordnet sein? Ist die sog. Verbundbeendigung begünstigungsfähig, auch wenn innerhalb der Nachbehaltensfrist nur ein einziger Rechtsträger verbleibt? 1.3 Ist die sog. Verbundbeendigung begünstigungsfähig, wenn innerhalb der Nachbehaltensfrist mindestens eine abhängige Gesellschaft verbleibt (auch wenn diese nicht zum Verbund im Sinne der Definition der Finanzverwaltung gehört)? 1.4 Ist die sog. Verbundbegründung begünstigungsfähig? 1.5 Anwendbarkeit von § 6a GrEStG bei Abspaltung zur Neugründung 1.6 Handelt es sich bei § 6a GrEStG um eine neu eingeführte Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV?

2. In den anhängigen Revisionsverfahren zu § 6a GrEStG nicht zu beantwortende Fragen 2.1 Identifizierung des „herrschenden Unternehmens“ in Beteiligungsketten 2.1.1 Gibt es nur das eine „herrschende Unternehmen“? 2.1.2 Bedeutung der Bestimmung des „herrschenden Unternehmens“ für die Wahrung der Fünf-Jahres-Fristen 2.1.3 Methode der Berechnung der mindestens 95 %igen Beteiligung in Beteiligungsketten 2.2 Zweifelsfragen zu den seit dem 7.6.2013 begünstigungsfähigen Erwerbsvorgängen „Einbringung“ und „anderer Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage“ 2.2.1 Formwechsel der grundbesitzenden Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft als „anderer Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage“? 2.2.2 Anwachsung als „anderer Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage“?

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Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG 2.2.3 Setzt die „Einbringung“ i.S.v. § 6a Satz 1 GrEStG die Ausgabe neuer Anteile voraus? 2.2.4 „Einbringung“ aufgrund des Rechts eines EU-/EWRMitgliedsstaats: Auf welches Recht ist bei grenzüberschreitenden Einbringungen abzustellen?

2.2.5 Erweiterung des Begriffs „verbundgeborene Gesellschaften“ durch im Wege der Einbringung geschaffene Gesellschaften? 3. Zusammenfassung

Derzeit sind beim BFH insgesamt sechs Revisionsverfahren zu § 6a GrEStG anhängig1. In diesen Verfahren wird der BFH voraussichtlich zur Auslegung des Merkmals „herrschendes Unternehmen“ in § 6a Satz 3 GrEStG und der Fünf-Jahres-Mindesthalte-Fristen in § 6a Satz 4 GrEStG Stellung nehmen müssen, insbesondere zur Frage der Begünstigung der sog. Verbundbegründung und der sog. Verbundbeendigung nach § 6a GrEStG sowie zur Frage, ob § 6a GrEStG eine nicht notifizierte EUrechtswidrige Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt. Damit decken die Revisionsverfahren nur einen Teilbereich der derzeit zu § 6a GrEStG offenen Rechtsfragen ab. Insbesondere die Frage, welche Rechtsträger in Beteiligungsketten „herrschende Unternehmen“ sein können und wie die mindestens 95 %ige Beteiligung bei mittelbaren Beteiligungen zu berechnen ist, wird ebenso wie diverse Zweifelsfragen zu den erst mit Wirkung ab 7.6.2013 in das GrEStG eingefügten Begünstigungstatbeständen „Einbringung“ und „anderer Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage“ zunächst ungeklärt bleiben.

1 Der Beitrag beruht auf dem Stand April 2017. Insbesondere der EuGH-VorlageBeschluss des BFH v. 30.5.2017 – II R 62/14 – konnte noch nicht berücksichtigt werden.

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Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

1. In den anhängigen Revisionsverfahren zu § 6a GrEStG zu beantwortende Fragen 1.1 Unter welchen Voraussetzungen ist ein Rechtsträger „herrschendes Unternehmen“ i.S.v. § 6a Satz 3 GrEStG? Nach Auffassung der Finanzverwaltung muss das herrschende Unternehmen selbst Unternehmer im umsatzsteuerlichen Sinne sein2. Das FG Hamburg3 und das FG München4 waren der Finanzverwaltung gefolgt, ebenso zunächst die Kommentarliteratur5. So hatte das FG Hamburg mit Urteil vom 26.11.2013 entschieden, dass herrschendes Unternehmen i.S.v. § 6a Satz 3 GrEStG eine natürliche Person sein könne, wenn sie Unternehmerin im umsatzsteuerlichen Sinne und die Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft dem unternehmerischen Bereich zuzurechnen sei. Es bestehe kein Grund dafür, die aktienrechtliche Definition des herrschenden Unternehmens im Rahmen von § 6a GrEStG heranzuziehen. Der Grundsatz der Einheit der (Steuer-)Rechtsordnung spreche für eine Heranziehung einer steuergesetzlichen Definition des Unternehmens, die sich allein in § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG finde. Eine bloße Beteiligung an unternehmerisch tätigen Unternehmen und/oder die Geschäftsführertätigkeit eines Alleingesellschafters reichten für die Beurteilung als „herrschendes Unternehmen“ nicht aus. Das FG München stellte auf den umsatzsteuerlichen Unternehmerbegriff ab, ohne dies zu begründen6. Der BFH wird zur Auslegung das Merkmals „herrschendes Unternehmen“ in § 6a Satz 3 GrEStG vor dem Hintergrund des folgenden vom FG Niedersachen zugunsten des Gesellschafters entschiedenen Sachver-

2 Vgl. gleich lautende Länder-Erlasse v. 19.6.2012, Tz. 2.2 Abs. 1: „Unternehmer ist hiernach, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt und nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen tätig wird“. 3 Vgl. FG Hamburg v. 26.11.2013 – 3 K 149/12, EFG 2014, 570. Die Revision wurde vom FG Hamburg zwar zugelassen, jedoch soweit ersichtlich nicht eingelegt. 4 Vgl. FG München v. 23.7.2014 – 4 K 1304/13, EFG 2014, 1703. Die zunächst eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde zurückgenommen (Az. des BFH: II B 97/14, juris). 5 Vgl. Viskorf in Boruttau, 17. Aufl. 2011, § 6a GrEStG Rz. 53; Hofmann, 10. Aufl. 2014, § 6a GrEStG Rz. 11. 6 Das FG München verwies lediglich auf Pahlke, § 6a Rz. 39 mit Nachweisen für a.A. und auf die gleichlautenden Länder-Erlasse v. 19.6.2012, Nr. 2.1.

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halts Stellung nehmen7. Die gemeinnützige Y-Stiftung war seit mehr als fünf Jahren zu jeweils 100 % an ihren beiden Tochtergesellschaften T1GmbH und T2-GmbH beteiligt. Die Geschäftsführungen der GmbHs werden von den Gesellschaftsversammlungen, d.h. von der Y-Stiftung kontrolliert. Auch nahm der Vorstand der Y-Stiftung entscheidenden Einfluss auf die GmbHs. Allerdings erhielt die Y-Stiftung keine Entgelte für ihre Geschäftsführungs- und sonstigen Dienstleistungen.

Y-Sung (keine Unternehmerin i.S.v. § 2 UStG)

100 %

T1-GmbH

100 % Verschmelzung

T2-GmbH

Das Finanzamt vertritt die Ansicht, dass die Y-Stiftung kein herrschendes Unternehmen i.S.v. § 6a Satz 3 GrEStG sei, weil ihr die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft fehle. Das Finanzamt verweist auf die Erlasse zu § 6a GrEStG vom 1.12.2010 und 22.6.2011, wonach das herrschende Unternehmen selbst Unternehmer im umsatzsteuerlichen Sinne sein müsse. Das FG Niedersachsen entschied, dass es auf die umsatzsteuerliche Unternehmerschaft nicht ankomme8. Ein „herrschendes Unternehmen“ liege vor, wenn von ihm ein oder mehrere Gesellschaften i.S.v. § 6a Satz 4 GrEStG abhängig seien. Eine Beschränkung des Tatbestandsmerkmals „herrschendes Unternehmen“ auf umsatzsteuerrechtliche Unternehmer lasse sich weder dem Gesetz noch der Gesetzesbegründung entnehmen. § 6a Satz 4 GrEStG stelle gerade nicht auf § 1 Abs. 4 Nr. 2b GrEStG ab.

7 Vgl. BFH v. 25.11.2015 – II R 63/14, erste Instanz: Niedersächsisches FG v. 9.7.2014 – 7 K 135/12, EFG 2015, 1739. 8 So jetzt auch Viskorf in Boruttau, 18. Aufl. 2016, § 6a GrEStG Rz. 84 und Hofmann, 11. Aufl. 2017, § 6a GrEStG Rz. 11.

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Im Beitrittsaufforderungs-Beschluss an das BMF vom 25.11.20159 hält der BFH die Auffassung der Finanzverwaltung für zweifelhaft. Der Wortlaut von § 6a GrEStG verweise nicht auf § 2 UStG. Dass das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, Umstrukturierungen von Unternehmen zu erleichtern und Wachstumshemmnisse zu beseitigen, die Unterscheidung zwischen umsatzsteuerlichen Unternehmern und sonstigen Rechtsträgern, die auch zu einem Eingriff in den Wettbewerb führen könne, begründen könne, sei jedenfalls nicht ohne weiteres erkennbar. Aus der zur Auslegung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG vertretenen Auffassung, wonach herrschendes Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift jedes Unternehmen im umsatzsteuerrechtlichen Sinne sein könne und diese Voraussetzung nicht erfüllt sei, wenn die Anteile am erwerbenden Unternehmen zum Privatvermögen einer natürlichen Person gehören, könnten keine Rückschlüsse für die Auslegung desselben Begriffs in § 6a GrEStG gezogen werden. Dass es bei § 6a Satz 4 GrEStG auf das Bestehen einer Organschaft nicht ankomme, spreche dafür, den Begriff des abhängigen Unternehmens in § 6a GrEStG anders auszulegen als in § 1 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b GrEStG. Dabei werde auch zu beachten sein, dass es sich bei § 1 Abs. 3 GrEStG um einen steuerbegründenden Tatbestand und bei § 6a GrEStG um eine Steuerbegünstigung handele. Angesichts dieser Hinweise im Beitrittsaufforderungs-Beschluss erscheint es als möglich, dass der BFH das Merkmal „herrschendes Unternehmen“ auch dann für erfüllt halten könnte, wenn der betreffende Rechtsträger kein umsatzsteuerrechtlicher Unternehmer ist. Weder der Gesetzeswortlaut noch die Gesetzesbegründung enthalten einen Hinweis darauf, dass es auf den umsatzsteuerrechtlichen Unternehmerbegriff ankommen soll. Es werden jeweils die Begriffe „Unternehmen“ und „Konzern“ verwandt, so dass es in Betracht kommen könnte, auf den aktiengesetzlichen Unternehmensbegriff abzustellen. Danach könnte jeder Rechtsträger „Unternehmen“ sein, der neben seiner Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft noch anderweitig wirtschaftliche Interessen verfolgt10. Dass der BFH daran denkt, auf den aktiengesetzlichen Unternehmensbegriff abzustellen, lassen die Beitrittsaufforderungs-Beschlüsse vom 25.11.2015 allerdings nicht erkennen. Auch wenn der BFH sich dazu entscheiden sollte, als herrschendes Unternehmen im Umkehr9 Vgl. BFH v. 25.11.2015 – II R 63/14, BStBl. II 2016, 170. 10 Nach h.M. ist dann zum Schutze der abhängigen Gesellschaft, ihrer Minderheitsgesellschafter und Gläubiger das aktienrechtliche Konzernrecht anwendbar.

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schluss zu § 6a Satz 4 GrEStG jeden Rechtsträger anzuerkennen, der mindestens eine 95 %ige Beteiligung hält, bleibt es fraglich, ob der BFH einen Rechtsträger als herrschendes Unternehmen i.S.v. § 6a Satz 3 GrEStG anzuerkennen bereit sein wird, auch wenn z.B. während der vorgelagerten oder während der nachgelagerten Fünf-Jahres-Frist nur ein Rechtsträger, d.h. keine abhängige Gesellschaft, vorhanden ist11.

1.2 Wenn es auf die umsatzsteuerliche Unternehmerschaft ankommt: Muss die Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft dem unternehmerischen Bereich des „herrschenden Unternehmen“ zugeordnet sein? Ist die sog. Verbundbeendigung begünstigungsfähig, auch wenn innerhalb der Nachbehaltensfrist nur ein einziger Rechtsträger verbleibt? Diese Fragen werden ggf. vom BFH im Revisionsverfahren II R 50/13 zu beantworten sein. Zugrunde liegt der folgende Sachverhalt, über den das FG Münster mit Urteil vom 15.11.2013 gegen die Anwendung von § 6a GrEStG entschied12. Eine Software-Entwicklerin (Einzelhandelskauffrau) war alleinige Gesellschafterin einer den Ankauf und die Verwaltung von Immobilien betreibenden GmbH. Die Einzelhandelskauffrau hielt ihre Beteiligung im Privatvermögen. Aufgrund Verschmelzungsvertrag vom 26.8.2010 wurde die Verschmelzung der GmbH auf die Einzelhandelskauffrau am 14.9.2010 im Handelsregister eingetragen. Die GmbH-Beteiligung war erstmals in der Bilanz der Einzelhandelskauffrau auf den 31.12.2009 ausgewiesen; die Bilanz war am 7.2.2011 erstellt worden.

11 So fordert Hofmann, 11. Aufl. 2017, § 6 GrEStG Rz. 12a, dass während des Zehn-Jahres-Zeitraums zumindest eine abhängige Gesellschaft vorhanden sein müsse, auch wenn diese an dem zu begünstigenden Vorgang nicht beteiligt sei. Denn aus dem Gesamtinhalt des § 6a sei zu schließen, dass sowohl die Gründung einer ersten Tochtergesellschaft im Wege der Spaltung bzw. der Ausgliederung zur Neugründung als auch die Zurückführung auf das herrschende Unternehmen durch Verschmelzung der letzten noch verbliebenen abhängigen Gesellschaft auf das herrschende Unternehmen, das dadurch erlischt, nicht begünstigt sei; a.A. allerdings FG Berlin-Brandenburg v. 1.10.2015 – 15 K 2015/15; Rev. beim BFH: II R 53/15; vgl. dazu unten. 12 Vgl. FG Münster v. 15.11.2013 – 8 K 1507/11 GE, EFG 2014, 306; Rev. beim BFH: II R 50/13.

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Einzelhandelskauffrau, Kl. (Softwareentwicklerin)

100 %

E-GmbH (Ankauf und Verwaltung von Immobilien)

Das FG Münster lehnt die Anwendung von § 6a GrEStG ab, weil es die Beteiligung an der GmbH nicht im (notwendigen oder gewillkürten) Betriebsvermögen der Einzelhandelskauffrau befunden habe; es fehle an der erforderlichen Unternehmereigenschaft. Eine natürliche Person könne kein „herrschendes Unternehmen“ i.S.v. § 6a Satz 3 GrEStG sein, wenn sich die Beteiligung einer abhängigen Gesellschaft im Privatvermögen der natürlichen Person befindet. § 6a GrEStG unterscheidet zwischen „herrschendem Unternehmen“ und „abhängiger Gesellschaft“. Deshalb müsse der herrschende Rechtsträger umsatzsteuerlicher Unternehmer sein. In der Literatur war zur Frage des Erfordernisses der Zugehörigkeit der mindestens 95 %igen Beteiligung zum „herrschenden Unternehmen“ die Ansicht vertreten worden, dass zwischen der auf Herrschaft ausgerichteten Beteiligung und der unternehmerischen Haupttätigkeit ein erkennbarer und objektiver wirtschaftlicher Zusammenhang bestehen müsse13. Im Beitrittsaufforderungs-Beschluss vom 25.11.2015 geht der BFH auf die Frage der Zugehörigkeit der Beteiligung zum „herrschenden Unternehmen“ nicht ein. Dies könnte so verstanden werden, dass er bereits das Erfordernis der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft ablehnt. Die Zweifel an diesem Erfordernis begründet der BFH im Beschluss II R 50/13 mit demselben Hinweisen wie im Beschluss II R 53/14 (betr. gemeinnützige Stiftung als gemeinsame Gesellschafterin der verschmolzenen Tochtergesellschaften). 13 Vgl. Viskorf in Boruttau, 17. Aufl. 2011, § 6a GrEStG, Tz. 57; a.A. Hofmann, 10. Aufl. 2014, § 6a GrEStG, Rz. 11.

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Außerdem zieht der BFH die Ansicht der Finanzverwaltung, dass die sog. Verbundbeendigung nicht begünstigungsfähig sei, in Zweifel. Nähme man den Wortlaut von § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG ernst, blieben lediglich die Abspaltung und die Ausgliederung zur Aufnahme als begünstigungsfähige Umwandlungsvorgänge übrig14. Es stelle sich die Frage, ob der Gesetzgeber entgegen § 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG den Anwendungsbereich dieser Vorschrift durch § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG derart weitgehend einschränken wollte und ob bei einem so engen Anwendungsbereich der Steuerbegünstigung die vom Gesetzgeber mit der Regelung verfolgten Ziele erreicht werden können15. Der BFH fordert das BMF zur Stellungnahme auf, ob die Voraussetzungen der Nachbehaltensfrist des § 6a Satz 4 GrEStG erfüllt sein könnten, wenn eine grundbesitzende Kapitalgesellschaft durch Aufnahme auf eine natürliche Person verschmolzen wird und innerhalb der Nachbehaltensfrist lediglich ein einziger Rechtsträger verbleibt16.

14 Sowie die Vermögensübertragung i.S.v. §§ 1 Abs. 1 Nr. 3, 174 ff. UmwG. 15 Vgl. BFH, Beschl. II R 50/13, Tz. 22: „bb) … Nach dem Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags (BT-Drs. 17/147, 10) sollten Grundstücksübergänge u.a. im Rahmen von Umstrukturierungen bei Umwandlungsvorgängen grunderwerbsteuerrechtlich begünstigt werden, wenn es sich um einen Rechtsvorgang i.S. des § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UmwG handle. Der Finanzausschuss führte weiter aus, die Begünstigungswirkung müsse den Begünstigungsadressaten möglichst gleichmäßig zugutekommen. Sie dürfe nicht von Zufälligkeiten abhängen und daher willkürlich eintreten, sondern müsse sich direkt aus der der Begünstigungsnorm zugrunde liegenden Entlastungsentscheidung ableiten lassen. Aus diesem Grunde würden zu einem Rechtsträgerwechsel am Grundstück i.S.d. GrEStG führende Umwandlungsvorgänge zur Beseitigung von Wachstumshemmnissen begünstigt. Die Erfassung aller derartigen Vorgänge diene der gebotenen gleichmäßigen Wirkung der Begünstigung. Allerdings werde die Begünstigung auf Konzernsachverhalte beschränkt, um sicherzustellen, dass die Begünstigung zielgenau wirke und nicht zu einem ungewollten Mitnahmeeffekt führe. Dem dienten die flankierenden Eingrenzungen durch die in § 6a Satz 4 GrEStG normierte Vorund Nachbehaltensfrist.“ 16 Vgl. a.a.O., Tz. 19. Diese Frage verneint Hofmann, 11. Aufl. 2017, § 6a GrEStG Rz. 12a.

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1.3 Ist die sog. Verbundbeendigung begünstigungsfähig, wenn innerhalb der Nachbehaltensfrist mindestens eine abhängige Gesellschaft verbleibt (auch wenn diese nicht zum Verbund im Sinne der Definition der Finanzverwaltung gehört)? Die Frage, ob die sog. Verbundbeendigung begünstigungsfähig sein kann, stellt sich auch im Revisionsverfahren II R 62/14, hier allerdings mit der Besonderheit, dass das herrschende Unternehmen auch nach der Verschmelzung konzernangehörig geblieben ist. Zugrunde liegt diesem Revisionsverfahren der folgende Sachverhalt, zu dem das FG Nürnberg mit Urteil vom 16.10.2014 zu entscheiden hatte17. Die Ober-Gesellschaft, eine AG, war an mehr als 20 Tochtergesellschaften seit mehr als fünf Jahren zu mindestens 95 % beteiligt, unter anderem an der grundbesitzenden B-GmbH. Die B-GmbH war ihrerseits seit mehr als fünf Jahren zu 100 % an der C-GmbH beteiligt. Am 24.9.2012 wurde die Verschmelzung der B-GmbH auf die AG im Handelsregister eingetragen. Bis zum 24.09.2012:

Ab dem 24.09.2012: AG (Kl.)

AG (Kl.)

Verschmelzung

95 %

EAV

B-GmbH

100 %

100 %

20 weitere Tochtergesellschaften

100 %

C-GmbH

20 weitere Tochtergesellschaften

EAV 100 %

C-GmbH

Das Finanzamt verweigerte die Begünstigung der nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG angefallenen Grunderwerbsteuer nach § 6a GrEStG, weil der aus der AG und der B-GmbH bestehende Verbund durch die Eintragung der Verschmelzung am 24.9.2012 erloschen sei. Dem widersprach das FG Nürnberg: Die Gruppe sei gesellschaftsrechtlich als Konzern i.S.v. § 18 AktG anzusehen. Die AG sei „herrschendes Unternehmen“ i.S.v. § 17 AktG und habe die einheitliche Leitung in der Gruppe inne. Sie sei darüber hinaus „herrschendes Unternehmen“ i.S.v. § 6a GrEStG bezüglich der Verschmelzung der B-GmbH auf die AG, weil die B-GmbH vor dem Zeitpunkt der Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister über einen Zeitraum von fünf Jahren zu mindestens 95 % im Eigentum der AG gestanden hatte und die AG nach dem Zeitpunkt der HR-Eintragung der 17 Vgl. FG Nürnberg v. 16.10.2014 – 4 K 1059/13, EFG 2015, 424.

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Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

Verschmelzung „bis heute konzernangehörig zur Gruppe fortbesteht“18. Das FG Nürnberg legt allerdings Wert darauf, dass der übernehmende Rechtsträger für einen Zeitraum von fünf Jahren nach dem Rechtsvorgang konzernangehörig fortbesteht, „damit die längerfristige Beteiligungsgegebenheit besteht“19. Die im Erlass vom 19.6.2012 vorgesehene Übergangsregelung bis zum 13.7.2012, sei nicht entscheidungserheblich20. Im Beitrittsaufforderungs-Beschluss des BFH an das BMF vom 25.11.2015, der den anderen drei Beitrittsaufforderungs-Beschlüssen teilweise gleicht, weist der BFH darauf hin, dass das Merkmal des Verbundes im Gesetzeswortlaut nicht vorgesehen sei. Im Vorgänger-Erlass vom 1.12.2010 habe die Finanzverwaltung die Nachbehaltensfrist bei Verschmelzung auf das herrschende Unternehmen noch als irrelevant angesehen, diese Meinung im Erlass vom 19.6.2012 jedoch geändert, ohne dass dem eine Gesetzesänderung zugrunde lag. Ob die sog. Verbundbeendigung begünstigungsfähig ist, bildet auch den Streitgegenstand des Revisionsverfahrens II R 53/15. Dem erstinstanzlichen Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 1.10.201521 lag der folgende Sachverhalt zugrunde. Die Einheits-GmbH & Co. KG (Kl.) war seit mehr als fünf Jahren alleinige Gesellschafterin der grundbesitzenden GmbH. Vor drei Jahren hatte die N-GmbH & Co. KG alle Anteile am Vermögen der Kl. erworben. Mit Verschmelzungsvertrag vom 29.8.2013 und HR-Eintragung am 25.9.2013 wurde die GmbH auf die Kl. verschmolzen.

18 Vgl. a.a.O., Tz. 72. 19 Unter Hinweis auf Viskorf in Boruttau, 17. Aufl. 2011, § 6a GrEStG Rz. 72. 20 Vgl. Tz. 8 letzter Satz der Erlasse vom 19.6.2012: „Dieser Erlass tritt an die Stelle der gleichlautenden Erlasse … vom 1.12.2010 … sowie vom 22.6.2011 … und ist in allen offenen Fällen anzuwenden. Es wird jedoch nicht beanstandet, wenn sich der Steuerpflichtige für Rechtsvorgänge, die nach dem 31.12.2009 und vor dem 13.7.2012 verwirklicht wurden, auf die bisher geltende Verwaltungsauffassung beruft.“ In den Erlassen vom 1.12.2010 war in Tz. 5 erster Satz die Verschmelzung einer abhängigen Gesellschaft auf das herrschende Unternehmen als begünstigungsfähig anerkannt worden: „Die Mindestbeteiligung von 95 % an der abhängigen Gesellschaft muss, mit Ausnahme der Verschmelzung auf das herrschende Unternehmen, fünf Jahre nach dem Rechtsvorgang fortbestehen“. 21 Vgl. FG Berlin-Brandenburg v. 1.10.2015 – 15 K 3015/15, EFG 2016, 669, Streitjahr 2013. Rev. beim BFH: II 53/15.

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Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

N… GmbH & Co. KG 100 %

KG

Anteilserwerb durch die N… GmbH & Co. KG im Dezember 2010

(Kl.) 100 %

Kompl.GmbH

100 %

Verschmelzungsvertrag vom 29.08.2013, HREintragung am 25.09.2013

GmbH

Das Finanzamt lehnt die Anwendung von § 6a GrEStG ab, weil der Verbund durch die Verschmelzung beendet worden und die Nachbehaltensfrist von fünf Jahren nicht eingehalten sei. Das FG Berlin-Brandenburg wandte § 6a GrEStG an, und zwar auf Grundlage einer teleologischen Reduktion: Auch bei Beendigung des Verbundes durch Verschmelzung der abhängigen Gesellschaft auf das herrschende Unternehmen sei die Steuervergünstigung nach § 6a GrEStG zu gewähren. Aus dem Wortlaut von § 6a GrEStG ergebe sich keine Grundlage für eine Differenzierung danach, ob eine Verschmelzung nur auf eine abhängige Gesellschaft erfolgt oder ein „Verbund“ durch Verschmelzung der abhängigen Gesellschaft auf das herrschende Unternehmen (nach Einhaltung einer Vorbehaltensfrist von fünf Jahren) endet. Weder werde in diesen Fällen ein Beherrschungsverhältnis kurzfristig hergestellt noch ein solches zeitnah nach der Umwandlung wieder gelöst. Mit der Verschmelzung verlasse die abhängige Gesellschaft den „Verbund“ nicht, vielmehr konzentriere sich diese nach der Verschmelzung in nur einem Rechtsträger. Die Gesamtrechtnachfolge durch Verschmelzung der abhängigen Gesellschaft auf das herrschende Unternehmen sei die intensivste Form des Abhängigkeits- und Näheverhältnisses. Dass die Kl. nicht mehr als herrschendes Unternehmen konzernangehörig fortbestanden habe, d.h. eine längerfristige Beteiligungsgegebenheit entfalle, stehe der Anwendung von § 6a GrEStG nicht entgegen. Bei genauer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass es sich um eine Einheits-GmbH & Co. KG handelte, die Kl. mithin weiterhin über eine abhängige Gesellschaft – und zwar ihre Komplementär-GmbH – verfügte. 177

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1.4 Ist die sog. Verbundbegründung begünstigungsfähig? Die Finanzverwaltung vertritt in Tz. 2.1 Abs. 3 Satz 1 der gleich lautenden Länder-Erlasse vom 19.6.201222 die Auffassung, dass „der Umwandlungsvorgang, durch den der Verbund begründet … wird, nicht begünstigt“ werde. Werde ein Verbund durch Ausgliederung oder Abspaltung zur Neugründung aus einem herrschenden Unternehmen begründet, liege kein begünstigungsfähiger Vorgang vor. Über die Rechtmäßigkeit dieser Ansicht wird der BFH voraussichtlich im Revisionsverfahren II R 36/14 zu entscheiden haben. Dem erstinstanzlichen Urteil des FG Düsseldorf vom 7.5.201423 lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Die B-GmbH, an der kein Gesellschafter mit mindestens 95 % beteiligt war, gliederte ihren Teilbetrieb für Heizkostenmessung und Abrechnung samt Grundstück zur Neugründung aus. Der Ausgliederungsvertrag wurde am 27.6.2012 notariell beurkundet, die HR-Eintragung erfolgt am 31.8.2012.

B-GmbH alt Teilbetrieb

C-Holding GmbH (ehemals B-GmbH alt)

B-GmbH neu Teilbetrieb

Das Finanzamt lehnte die Anwendung von § 6a GrEStG ab, weil der Verbund durch die Ausgliederung zur Neugründung erst entstehe. Schon aufgrund seines Lenkungscharakters sei § 6a Satz 4 GrEStG keiner teleologischen Reduktion zugänglich. Das FG Düsseldorf wandte § 6a GrEStG an, weil ein Missbrauch objektiv ausgeschlossen sei. Bei konzerninterner Ausgliederung zur Neugründung sei ein Missbrauch deshalb objektiv ausgeschlossen, weil durch den Umwandlungsvorgang keine Grundstücke aus dem Konzernverbund gelöst würden. Im Beitrittsaufforderungs-Be22 Vgl. BStBl. I 2012, 662. 23 Vgl. FG Düsseldorf v. 7.5.2014 – 7 K 281/14 GE, EFG 2014, 1424; Rev. beim BFH: II R 36/14.

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schluss II R 36/14 vom 25.11.2015 stellte der BFH die Verwaltungsansicht mit denselben Argumenten in Frage wie in den übrigen Beitrittsaufforderungs-Beschlüssen.

1.5 Anwendbarkeit von § 6a GrEStG bei Abspaltung zur Neugründung Dass die Finanzverwaltung den Anwendungsbereich von § 6a GrEStG über die in den Erlassen vom 19.6.2012 vertretene Ansicht hinaus in der Praxis beschränkt bzw. die Erlasse sehr restriktiv auslegt, zeigt der Fall des FG Düsseldorf-Urteils vom 4.11.201524. Gegen das Urteil des FG Düsseldorf ist beim BFH die Revision unter II R 56/15 anhängig. Auf Grundlage der Erlasse vom 19.6.2012 wäre – sollte sich der BFH (was als unwahrscheinlich erscheint) dem Verbund-Erfordernis anschließen – die Frage, ob im Falle der Abspaltung aus einer Tochter-Gesellschaft zur Neugründung ein separater neuer Verbund begründet wird oder der bereits aus herrschendem Unternehmen und abspaltender abhängiger Gesellschaft bestehende Verbundhaltefrist unschädlich vergrößert wird. Zugrunde liegt der folgende Sachverhalt: Die in Österreich ansässige A-AG war seit mehr als fünf Jahren als umsatzsteuerliche Unternehmerin zu 100 % an der A-GmbH beteiligt, die über 100 %ige Beteiligungen an deutschen Gesellschaften verfügte, unter anderem an der B-GmbH, zu deren Vermögen ein inländisches Grundstück und eine 100 %ige Beteiligung an der ebenfalls grundbesitzenden C-GmbH gehörte. Im Jahr 2014 spaltete die A-GmbH ihre 100 %ige Beteiligung an der B-GmbH zur Neugründung auf die Kl.-Kapitalgesellschaft ab.

24 Vgl. FG Düsseldorf v. 4.11.2015 – 7 K 1553/15 GE; Rev. beim BFH: II R 56/15.

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Österreich: A-AG 100 %

100 %

A-GmbH

Deutschland:

100 %

B-GmbH 100 %

C-GmbH

Abspaltung zur Neugründung (2014)

Kl.-KapGes 100 %

B-GmbH 100 %

C-GmbH

Das Finanzamt argumentierte, dass zwischen der A-AG und der Kl.-Kapitalgesellschaft ein neuer Verbund entstanden sei. Im Falle der Begründung eines Verbundes durch die zu beurteilende Maßnahme sei die Begünstigung nach § 6a GrEStG jedoch ausgeschlossen. Bei der Kl.-Kapitalgesellschaft handele es sich um keine sog. verbundgeborene Gesellschaft i.S.v. Tz. 4 der Erlasse vom 19.6.2012, weil nicht die A-GmbH die Beteiligung an der Kl.-Kapitalgesellschaft erlangt habe, sondern das herrschende Unternehmen A-AG. In Bezug auf diese neue Beteiligung der A-AG sei die vorgelagerte Fünf-Jahres-Frist i.S.v. § 6a Satz 4 GrEStG anzuwenden, im vorliegenden Fall jedoch nicht gewahrt. Das FG Düsseldorf wandte die Begünstigung nach § 6a GrEStG an, weil es sich aus dem Zweck des § 6a GrEStG ergebe, dass bei einer Umwandlung zur Neugründung einer Gesellschaft § 6a Satz 4 GrEStG einschränkend ausgelegt werden müsse. Die in § 6a Satz 4 GrEStG normierte Frist diene, wie die Frist in § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG, der Verhinderung von Steuerumgehungen durch missbräuchliche Gestaltungen. Bei einem – wie hier – ausschließlich konzerninternen Vorgang sei ein solcher Missbrauch jedoch objektiv ausgeschlossen. Durch die Abspaltung zur Neugründung würden keine Grundstücke aus dem Konzernverbund gelöst. Im Übrigen trage die Nachbehaltensfrist des § 6a Satz 4 GrEStG – d.h. das Erfordernis, dass die A-AG mindestens fünf Jahre lang zu mindestens 95 % 180

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an der Kl.-Kapitalgesellschaft beteiligt bleiben müsse, einem eventuellen Missbrauch hinreichend Rechnung. Abgesehen davon, dass das Verbund-Kriterium keine Rechtsgrundlage in § 6a GrEStG hat25, schränkt die Finanzverwaltung den Anwendungsbereich von § 6a GrEStG n.E. von Stefan Behrens (SB) im Widerspruch zu den Erlassen vom 19.6.2012 dadurch ein, dass sie in der Beteiligung des herrschenden Unternehmens an der durch die Abspaltung neu entstehenden Tochtergesellschaft einen separaten, neu begründeten Verbund sieht. Vielmehr handelt es sich bei der durch Abspaltung neu entstehenden Tochtergesellschaft um eine sog. verbundgeborene Gesellschaft, weil sie durch den zu begünstigenden Vorgang durch Umwandlung aus einer anderen abhängigen Gesellschaft entsteht. Dass die Beteiligung an der neu entstehenden Gesellschaft dem herrschenden Unternehmen zufällt und nicht der abspaltenden Tochtergesellschaft, steht der Einordnung als sog. verbundgeborene Gesellschaft nach dem Erlass-Wortlaut nicht entgegen. Zudem zeigt auch die Behandlung der Verschmelzung von Schwestergesellschaften in Tz. 5 Beispiel 2 der Erlasse vom 19.6.2012, dass die Finanzverwaltung selbst nicht in jeder Beteiligung des herrschenden Unternehmens an einer abhängigen Gesellschaft einen separaten Verbund sieht. Denn die bei Verschmelzung auf eine Schwestergesellschaft endende Tochtergesellschaft wird nicht als in einem separaten Verbund mit dem herrschenden Unternehmen stehend angesehen. Denn die Finanzverwaltung lässt es zu, dass das herrschende Unternehmen die zu erfüllenden Nachbehaltensfrist in Bezug auf die aufnehmende Schwestergesellschaft fortführt, sieht also in der Beendigung der Beteiligung an der verschmelzenden Gesellschaft keine § 6a-schädliche Verbundbeendigung. 25 Vgl. Viskorf in Boruttau, 18. Aufl. 2016, § 6a GrEStG Rz. 115: „Die Auffassung der Finanzverwaltung ist durch § 6a Satz 4 nicht gedeckt. Der verwendete Begriff „Verbund“ und die dazu in den GLE gegebene Definition findet im Gesetz keine Entsprechung. Es handelt sich um ein Gedankengebäude und eine Auslegungssystematik, die zu gleichheitssatzwidrigen, in sich nicht konsistenten und dem Gesetzeszweck zuwiderlaufenden Ergebnissen führt. Es ist ausgehend vom gesetzgeberischen Ziel, aus Gründen der gebotenen gleichmäßigen Wirkung der Begünstigung alle Umwandlungsvorgänge, die zu einem Rechtsträgerwechsel führen, zu begünstigen, nicht durch tragfähige Gründe zu belegen, dass Umwandlungen zur Neugründung unter Beteiligung der Konzernspitze von der Begünstigung ausgenommen sind, entsprechende Vorgänge unter Beteiligung abhängiger Gesellschaften aber begünstigend sein sollen (auf diesen Widerspruch hinweisend: BFH – II R 36/14, BFH/NV 2016, 239)“.

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1.6 Handelt es sich bei § 6a GrEStG um eine neu eingeführte Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV? Die Begründung der Beitrittsaufforderungs-Beschlüsse des BFH zu § 6a GrEStG endet mit dem Hinweis, dass in unionsrechtlicher Hinsicht zu prüfen sei, ob es sich bei § 6a GrEStG um eine neu eingeführte Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt26. Soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, sind aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedsstaaten beeinträchtigen. Die EU-Kommission kann nach Art. 107 Abs. 2 und Abs. 3 AEUV bestimmte Beihilfen genehmigen. Die Verfälschung des Wettbewerbs und die Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten werden nach der Rechtsprechung des EuGH stets vermutet. Die bloße Eignung der Maßnahme zur Wettbewerbsverfälschung und Binnenmarkthandelsbeeinträchtigung reicht aus. Im Mittelpunkt der Diskussion steht das Kriterium der Selektivität, d.h. die Frage, ob die betroffene Maßnahme bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigt27. Der EuGH und die EU-Kommission28 prüfen das Vorliegen von Selektivität in den folgenden drei Schritten: –

Schritt 1: Wie gestaltet das geltende Steuersystem den betreffenden steuerlichen Bereich im Regelfall aus? Es ist das sog. Referenzsystem zu ermitteln, d.h. die Frage zu beantworten, was die steuerliche „Normalbelastung“ ist.



Schritt 2: Stellt die betreffende steuerliche Regelung eine Ausnahme vom Referenzsystem dar, weil sie zwischen Wirtschaftsteilnehmern differenziert, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden? Oder handelt es sich um eine sog. allgemeine Maßnahme, d.h. um eine Regelung, die grundsätzlich jedem Wirtschaftsteilnehmer zugänglich ist?29

26 Vgl. z.B. BFH v. 25.11.2015 – II R 50/13; v. 25.11.2015 – II R 62/17. 27 Materielle Selektivität kann de jure oder de facto vorliegen; vgl. EuGH v. 15.11.2011 – C-106/09 P, C-107/09 P – Gibraltar. 28 Vgl. ABl. 2016 C. 262 Rz. 128 ff. 29 Nach dem EuGH-Urteil v. 19.9.2000 – C-156/98, BStBl. II 2002, 47 ist eine Steuervergünstigung, die darin besteht, dass Steuerpflichtige, die bestimmte Wirtschaftsgüter veräußern, den daraus resultierenden Veräußerungsgewinn

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Schritt 3: Wenn Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern getroffen werden, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden: Auch bei einer steuerlichen Regelung, die prima facie selektiven Charakter hat, ist zu prüfen, ob sie aus der Natur der Sache und im inneren Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt ist.



Schritt 4? (Bisher vom EuGH nicht geprüft, jedoch von GA Kokott in den Schlussanträge C-66/14 vom 16.4.2015 (Finanzamt Linz) befürwortet: Gibt es eine durch die entsprechende Steuerregelung anhand ihrer spezifischen Eigenarten privilegierte Gruppe von Unternehmen? Werden bestimmte Produktionszweige begünstigt? Werden klar identifizierbare einzelne Unternehmen begünstigt?)

Verwunderlich ist, dass im Zentrum der Beihilfe-Prüfung weder die Wettbewerbsverfälschung noch die Beeinträchtigung des Binnenmarkthandels steht, sondern unter dem Gesichtspunkt der Selektivität im Ergebnis eine Gleichheitssatz-Prüfung und Prüfung der Folgerichtigkeit der nationalen Steuernormen stattfindet. Nach dem Referenzsystem der deutschen Grunderwerbsteuer lösen alle Grundstücksübertragungen von einem auf einen anderen Rechtsträger Grunderwerbsteuer aus. § 6a GrEStG bildet dazu eine Ausnahme. Zumindest soweit die Verwaltung zwischen herrschenden Unternehmen, die umsatzsteuerliche Unternehmer sind, und solchen herrschenden Unternehmen, die die Voraussetzungen des § 2 UStG nicht erfüllen, differenziert, wird im Hinblick auf die Anwendbarkeit von § 6a GrEStG zwischen Wirtschaftsteilnehmer unterschieden, die sich im Hinblick auf das mit dieser Vorschrift verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Denn Ziel von § 6a GrEStG ist ausweislich der Gesetzesmaterialien30 die schnelle und effektive Beseitigung von Wachstumshemmnissen. Für diesen Zweck sollten die Bedingungen für Umstrukturierungen von Unternehmen krisenfest, planungssicher und mittelstandfreundlicher ausgestaltet werden. Unternehmen sollen von den Kosten der Anschaffung anderer Wirtschaftsgüter abziehen können, verschafft einen Vorteil, die als eine unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbare allgemeine Maßnahme keine Beihilfe an diese Steuerpflichtigen i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt. 30 Vgl. Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, Gesetzentwurf CDU/CSU-Fraktion und FPD-Fraktion v. 9.11.2009, BT-Drs. 17/1 47 v. 3.12.2009, 10.

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flexibel auf Veränderungen der Markverhältnisse reagieren können. Aber auch soweit von der Finanzverwaltung für einen mindestens zehnjährigen Zeitraum mindestens 95 %ige Beteiligungsverhältnisse vorausgesetzt werden, wird die Frage nach der Anwendbarkeit von § 6a GrEStG in Bezug auf Wirtschaftsteilnehmer unterschiedlich beantwortet, obwohl sich diese im Hinblick auf das mit § 6a GrEStG verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Dadurch, dass sich § 6a Satz 4 GrEStG nach dem Wortlaut der Gesetzesmaterialien „an dem dem Grunderwerbsteuergesetz innewohnenden System orientiert, wie es in den Steuervergünstigungen der §§ 5 und 6 GrEStG seinen Ausdruck findet“, wird – entgegen der Verwaltungsansicht – gerade nicht zum Ausdruck gebracht, dass die Fünf-Jahres-Fristen beteiligungsbezogen (und nicht grundstücksbezogen) zu verstehen sind und Anwendungsbereich von § 6a GrEStG auf über einen mindestens zehnjährigen Zeitraum fest gefügte mindestens 95 %ige Beteiligungsstrukturen beschränkt ist. Das BMF ist den Revisionsverfahren beigetreten und verweist zur Begründung, warum es sich bei § 6a GrEStG um keine Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt, auf die Urteile des EuG vom 7.11.2014 betr. Autogrill Espana und Banco Santander31. In diesen Urteilen erklärte der EuG die Entscheidungen der EU-Kommission, mit denen das spanische Steuersystem über Abschreibungen beim Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt worden war, für nichtig, da der selektive Charakter des Systems nicht nachgewiesen worden sei. Gegen diese Urteile hat die EU-Kommission Rechtsbehelf zum EuGH eingelegt. Ob der Verweis auf diese EuG-Urteile geeignet ist, den vom BFH geäußerten Beihilfeverdacht gegen § 6a GrEStG auszuräumen, steht daher noch nicht fest. Möglicherweise werden die Revisionsverfahren erst nach der Entscheidung des EuGH fortgeführt werden32. Für den Fall, dass der BFH § 6a GrEStG als Beihilfe einordnet oder dem EuGH vorlegt und der EuGH § 6a GrEStG als Beihilfe einordnet oder die EU-Kommission § 6a GrEStG als Beihilfe einordnet, droht die nachträg31 Vgl. EuG v. 7.11.2014 – T-399/11 – Banco Santander SA und Santusa Holding SL gegen Europäische Kommission, T-219/10, Autogrill Espana, BB 2014, 2919. Vgl. nun auch EuGH v. 21.12.2016 – C-20/15 P und C-21/15 P – World Duty Free Group, IStR 2017, 77. 32 Die Finanzverwaltung jedenfalls wird die Erlasse zu § 6a GrEStG erst nach Vorliegen der Urteile des BFH überarbeiten.

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liche Festsetzung bisher nach § 6a GrEStG unerhoben gebliebener Grunderwerbsteuern. Denn ohne Genehmigung der EU-Kommission gewährte Beihilfen müssen auf Verlangen der EU-Kommission ausgesetzt und (einstweilig) zurückgefordert werden33. Vertrauensschutz der Steuerpflichtigen wird grundsätzlich nicht anerkannt, es sei denn, der Vertrauensschutz wurde durch eine EU-Behörde begründet. Insbesondere haben verbindliche Auskünfte insoweit keine Bindungswirkung. Im Falle der nachträglichen Festsetzung der Grunderwerbsteuer droht die Verzinsung. Nach Art. 16 Abs. 2 umfasst die aufgrund eines Rückforderungsbeschlusses der EU-Kommission zurückgeforderte Beihilfe Zinsen, „die nach einem von der Kommission festgelegten angemessenen Satz berechnet werden“. Sicherheit darüber, dass es zu einem dem Marktzinsniveau angemessenen Zinssatz kommen würde, besteht aber wohl derzeit nicht. Die deutsche Finanzverwaltung wird geneigt sein, den Zinssatz von 6 % p.a. i.S.v. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO zur Anwendung zu bringen. Gemäß Art. 17 Abs. 1 der EU-Beihilfe-Verfahrens-Verordnung gelten die Befugnisse der Kommission zur Rückforderung von Beihilfen für eine Frist von zehn Jahren. Dies bedeutet, dass sämtliche Vergünstigungen auf Grundlage der seit dem 1.1.2010 gültigen Regelung von § 6a GrEStG nachträglich noch beseitigt werden könnten. Die Einordnung von § 6a GrEStG als Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV wäre ausgeschlossen, wenn als herrschendes Unternehmen jeder Rechtsträger angesehen wird, der zumindest eine mindestens 95 %ige Beteiligung hält, und wenn die Fünf-Jahres-Fristen in § 6a Satz 4 GrEStG als ausschließlich der Missbrauchsvermeidung dienende Instrumente angesehen würden. § 6a GrEStG wäre auf dieser Grundlage streng grundstücksbezogen auszulegen. Die mindestens fünfjährige Vorbehaltefrist würde nur für die Beteiligung des herrschenden Unternehmens am übertragenden Rechtsträger gelten, die mindestens fünfjährige Nachbehaltefrist nur für die Beteiligung am übernehmenden Rechtsträger. Keine Verletzung von § 6a Satz 4 GrEStG läge vor, wenn das zur Nicht-Wahrung der Frist führende Ereignis selbst grunderwerbsteuerbar ist oder wenn das betreffende Grundstück innerhalb der vorgelagerten Fünf-Jahres-Frist erst erworben worden ist bzw. die Beteiligung innerhalb der nachgelagerten Fünf-Jahres-Frist auf unter 95 % abgesenkt wird, nachdem das betreffende Grundstück bzw. die Beteiligung an der grundbesitzenden Gesellschaft grunderwerbsteuerbar veräußert worden ist34. § 6a GrEStG wäre dann 33 Vgl. Art. 16, 17 VO (EU) Nr. 2015, 1589 des Rates v. 24.9.2015. 34 Vgl. Behrens, DStR 2016, 785; Demleitner, IRS 2016, 335.

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als sog. allgemeine Maßnahme anzusehen, die unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbar wäre. Vorteile aus einer unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbaren allgemeinen Maßnahme stellen nach ständiger EuGH-Rechtsprechung keine staatlichen Beihilfen i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV dar. Die auf Grundlage der Ansicht, dass es sich bei § 6a GrEStG um eine nur sog. Bestandskonzerne35 fördernde Lenkungsnorm handele, gegen die Einordnung von § 6a GrEStG als Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV vorgebrachten Argumente –

§ 6a GrEStG begünstige eine unbestimmt große Anzahl von Unternehmen, d.h. es werde kein bestimmter Produktionszweig bevorzugt, außerdem seien die begünstigten Unternehmen nicht klar identifizierbar;



das Grunderwerbsteuergesetz erfasse die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, weshalb § 6a GrEStG eine systemimmanente Ausnahmeregelung sei, weil es sich bei konzerninternen Umstrukturierungen keine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zeige36;

sind möglicherweise nicht zielführend. Dies liegt insbesondere daran, dass in den Gesetzesmaterialien zu § 6a GrEStG nicht damit argumentiert worden ist, dass die Grunderwerbsteuer die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abschöpfen solle und die Begünstigung nach § 6a GrEStG gerade deshalb systemkonform sei37 (nach dem Wortlaut der Gesetzesmaterialien geht es vielmehr um die „schnelle und effiziente Beseitigung 35 Die genaue Abgrenzung zum „Nicht-Bestands-Konzern“ ist unklar. 36 Vgl. z.B. Mörwald/Brühl, DK 2016, 68. 37 Die Situation ähnelt damit derjenigen bei der durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung vom 16.7.2009 (BGBl. I 2009, 1959, 1968) eingeführten sog. Sanierungsklausel in § 8c Abs. 1a KStG. Die Gesetzesbegründung zur Einführung dieser Sanierungsklausel enthält wirtschaftslenkende und damit zielgerichtet begünstigender Aussagen, „welche zum beihilferechtlichen Verdikt durch die EU-Kommission geradezu einladen“; vgl. Schön, Arbeitsbuch zur Jahresarbeitstagung Unternehmen 2011/2012, 98. Tatsächlich war die „telos-freie“ Urfassung von § 8c KStG als schlichte Gegenfinanzierungsmaßnahme wegen der KSt-Tarifabsenkung von 25 % auf 15 % bezeichnet worden. § 8c Abs. 1 KStG als Missbrauchsvermeidungsnorm zu klassifizieren, so dass § 8c Abs. 1a KStG lediglich der Wiederherstellung der Grundregel (d.h. des interperiodischen Verlustabzugs nach § 10d EStG) erscheine, ist vor diesem Hintergrund nicht vollständig überzeugend. Dementsprechend beurteilte das EuG die Sanierungsklausel in § 8c Abs. 1a KStG mit Urteilen vom 24.2.2016 als EU-rechtswidrige Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV.

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von Wachstumshemmnissen“, vgl. BT-Drs. 17/147 v. 3.12.2009, 10)38. Außerdem wären auch auf dieser Grundlage die von der Finanzverwaltung vorgenommenen Differenzierungen n.E. von SB nicht zu rechtfertigen. Insbesondere in dem Fall, dass es zu einem Vorab-Entscheidungsersuchen des BFH an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV kommt, wird die Klärung der Frage, ob § 6a GrEStG eine EU-rechtswidrige Beihilfe ist und seine Anwendung deshalb unterbleiben muss, noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Im Hinblick auf das Zinsrisiko nach Art. 16 Abs. 2 der EU-Beihilfeverfahrens-Verordnung bzw. ggf. nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO stellt sich für Betroffene die Frage, ob erreicht werden kann, dass die Grunderwerbsteuer vorläufig ohne Anwendung von § 6a GrEStG festgesetzt wird und die Begünstigung nachträglich gewährt wird, sobald durch ein sprechendes EuGH- oder BFH-Urteil geklärt ist, dass es sich bei § 6a GrEStG um keine Beihilfe handelt. Auf keinen Fall kann den Steuerpflichtigen geraten werden, der Grunderwerbsteuerstelle die Erfüllung der Voraussetzungen von § 6a GrEStG zu verschweigen. Der vollständige Sachverhalt muss – schon um nicht später wegen zu spätem Bekanntwerden neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 HS 1 AO ausgeschlossen zu sein – zeitnah offen gelegt werden. In der Praxis werden die Grunderwerbsteuerstellen, wenn die Voraussetzungen von § 6a GrEStG im Sinne der Verwaltungsansicht erfüllt sind, § 6a GrEStG anwenden, weil – und solange – eine § 6a GrEStG als Beihilfe einordnende Entscheidung der EU-Kommission und auch ein die Nicht-Anwendung von § 6a GrEStG anordnendes BMF-Schreiben 38 In der Literatur wird die Ansicht geäußert, dass gerade die wirtschaftslenkenden und damit zielgerichtet begünstigenden Aussagen in der Gesetzesbegründung zur Einführung der Sanierungsklausel in § 8c Abs. 1a KStG die beihilferechtliche Untersagung der Anwendung dieser Vorschrift durch die EU-Kommission ausgelöst habe. Die durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung v. 16.7.2009 eingeführte sog. Sanierungsklausel war von der Bundesrepublik Deutschland nicht der EU-Kommission notifiziert worden. Dennoch leitete die EU-Kommission am 24.2.2009 ein förmliches BeihilfePrüfverfahren ein, woraufhin das BMF am 30.4.2010 die Anwendung von § 8c Abs. 1a KStG wegen Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV suspendierte. Die durch das MoRaKG v. 12.8.2008 (BGBl. I 2008, 1672) eingeführte Ausnahmeregelung in § 8c Abs. 2 KStG für sog. Wagniskapital hatte die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV der EU-Kommission angezeigt; die EUKommission hatte am 30.9.2009 die Genehmigung versagt. Wegen dieses Vorgangs stand § 8c KStG im Blickfeld der EU-Kommission.

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nicht vorliegen. Allerdings kann gem. § 165 Abs. 1 Satz 1 AO, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind, die Steuer vorläufig festgesetzt werden. Nach Satz 2 Nr. 3 von § 165 Abs. 1 AO ist diese Regelung auch anzuwenden, wenn die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei einem obersten Bundesgericht – d.h. auch beim BFH – ist. Nach dem Gesetzeswortlaut müsste der Steuerpflichtige deshalb u.E. berechtigt sein, die vorläufige Festsetzung der Grunderwerbsteuer unter Vorläufigkeitsvermerk zu beantragen. Wegen der drohenden Verzinsung sollte u.E. unter dem Gesichtspunkt von Art. 19 Abs. 4 GG (RechtswegeGarantie) eine Verpflichtung der Grunderwerbsteuerstellen bestehen, diesem Antrag zu entsprechen. Es kann nicht rechtens sein, dass der Steuerpflichtige ohne Rechtsbehelfsmöglichkeiten, sozusagen wehrlos, das Risiko der späteren Verzinsung der Grunderwerbsteuerbeträge tragen muss.

2. In den anhängigen Revisionsverfahren zu § 6a GrEStG nicht zu beantwortende Fragen 2.1 Identifizierung des „herrschenden Unternehmens“ in Beteiligungsketten 2.1.1 Gibt es nur das eine „herrschende Unternehmen“? Nach Verwaltungsansicht ist das herrschenden Unternehmen in Bezug auf den Zeitpunkt der Verwirklichung des Erwerbsvorgangs durch Umwandlung – u.E. kann für den Fall der Einbringung und des anderen Erwerbsvorgangs auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage nichts anderes gelten – zu bestimmen39. Dabei ist das herrschende Unternehmen der oberste Rechtsträger, der die Voraussetzungen des § 6a Satz 4 GrEStG erfüllt und Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne ist40. Die Bestimmung des herrschenden Unternehmens (oberster Rechtsträger) erfolgt nach Verwaltungsansicht in mehreren Schritten: Zunächst ist auf den Zeitpunkt der HR-Eintragung der Umwandlung41 von unten nach oben der oberste Rechtsträger zu bestimmen, der aus39 Vgl. gleich lautende Länder-Erlasse v. 19.6.2012, Tz. 4 a.E. 40 Vgl. Erlasse v. 19.6.2012, Tz. 2.2, Abs. 4 Satz 2. 41 Vgl. Tz. 4 am Ende; auf welchen Zeitpunkt kommt es bei einer Einbringung bzw. bei einem anderen Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage an? M.E. auf den Zeitpunkt des unbedingten zivilrechtlichen Wirksam-

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Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

gehend von den am Umwandlungsvorgang beteiligten Gesellschaften die Mindestbeteiligungshöhe an diesen erfüllt. Beginnend bei dem so ermittelten Rechtsträger ist nach unten zu prüfen, welcher Rechtsträger als oberster die Unternehmereigenschaft im oben genannten Sinne erfüllt. Erfüllt der so ermittelte Rechtsträger die Vorbehaltefrist (Unternehmereigenschaft und Mindestbeteiligungshöhe hinsichtlich der am Umwandlungsvorgang, an der Einbringung bzw. am anderen Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage beteiligten Gesellschaften), ist dieser das herrschende Unternehmen. Andernfalls ist die Prüfung nach unten so lange fortzusetzen, bis das herrschende Unternehmen gefunden ist. Soweit kein Rechtsträger die vorstehenden Voraussetzungen erfüllt, ist eine Anwendung des § 6a GrEStG mangels Verbunds ausgeschlossen. In den Erlassen vom 19.6.2012 werden diese Prüfungsschritte in Beispiel 1 in Abs. 5 von Tz. 2.2 wie folgt erläutert: Die Y-GmbH, zu deren Vermögen ein inländisches Grundstück gehört, wird auf ihre Schwestergesellschaft Z-GmbH verschmolzen. Alleinige Gesellschafterin beider an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften ist seit zwei Jahren die nicht i.S.d. § 2 UStG unternehmerisch tätige X-GmbH, deren Alleingesellschafterin die U-GmbH ist, die die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 UStG erfüllt. Die X-GmbH war vor zwei Jahren durch einen Umwandlungsvorgang zwischen die U-GmbH und die an der Verschmelzung beteiligten Y-GmbH und Z-GmbH geschoben worden. An der U-GmbH ist seit mehr als fünf Jahren die nicht unternehmerisch tätige E-GmbH beteiligt, an der zu 90 % die unternehmerisch tätige T-GmbH beteiligt ist, die ihrerseits 95 %ige Tochtergesellschaft der unternehmerisch tätigen M-GmbH ist.

werdens der schuldrechtlichen Vereinbarung der Einbringung bzw. des anderen Erwerbsvorgangs bzw. auf den Zeitpunkt des sachenrechtlichen Vollzugs, wen keine schuldrechtliche Vereinbarung vorausgegangen ist.

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Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG Erlasse, Tz. 2.2, Abs. 5, Beispiel 1: "Die X-GmbH wurde durch einen Umwandlungsvorgang vor zwei Jahren zwischen die U-GmbH und die an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften (Y-GmbH und ZGmbH) geschoben" (so Tz. 2.2).

M-GmbH (Unternehmer) 95 % > 5 Jahre

T-GmbH (Unternehmer) 90 % > 5 Jahre

E-GmbH (Nichtunternehmer)

Wäre die Lösung anders, wenn XGmbH durch Sachgründung oder sonsge Einzelrechtsübertragung zwischen geschoben worden wäre?

100 % > 5 Jahre

U-GmbH (Unternehmer) 100 % 2 Jahre

Nein, vgl. Tz. 4 a.E.:

X-GmbH (Nichtunternehmer) 100 %

Y-GmbH (Unternehmer)

100 %

2 Jahre, davor U > 3 Jahre an Y und Z Verschmelzung

Z-GmbH (Unternehmer)

"Jede Veränderung der Art der Beteiligung (z.B. vollständige oder teilweise Verkürzung oder Verlängerung der Beteiligungskette) ist unschädlich".

Erlasse: Die U-GmbH ist das herrschende Unternehmen.

Von unten nach oben geprüft ergibt sich, dass die E-GmbH der oberste Rechtsträger ist, der die vorgelagerte Fünf-Jahres-Frist des § 6a Satz 4 GrEStG erfüllt. Allerdings ist die E-GmbH kein Unternehmer i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG, so dass sie nach Verwaltungsansicht nicht als das herrschende Unternehmen eingeordnet werden kann. Von oben nach unten ist zu prüfen, welcher Rechtsträger der oberste Rechtsträger ist, der neben der fünfjährigen Vorbehaltens-Frist auch die umsatzsteuerrechtliche Unternehmereigenschaft aufweist. Dies ist im Beispielsfall die U-GmbH, denn diese ist seit mindestens fünf Jahren Unternehmerin i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG. Dass die X-GmbH erst vor zwei Jahren zwischen die U-GmbH und die an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften geschoben worden ist, steht der Anwendung von § 6a GrEStG nicht entgegen. Denn nach Tz. 4 a.E. der Erlasse v. 19.6.2012 ist jede Veränderung der Art der Beteiligung (z.B. vollständige oder teilweise Verkürzung oder Verlängerung der Beteiligungskette) unschädlich42.

42 M.E. muss dies auch dann gelten, wenn die X-GmbH durch keinen Umwandlungsvorgang, sondern z.B. durch Erwerb der 100 %igen Beteiligung an der X-GmbH von einem konzernfremden und z.B. Einbringung der 100 %igen Beteiligungen an der Y-GmbH und der Z-GmbH in die X-GmbH zwischengeschoben geworden wäre.

190

Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

2.1.2 Bedeutung der Bestimmung des „herrschenden Unternehmens“ für die Wahrung der Fünf-Jahres-Fristen Die Frage, welcher Rechtsträger als das herrschende Unternehmen anzusehen ist, ist im Hinblick darauf von großer Bedeutung, welche Beteiligungen mindestens fünf Jahre nach Eintragung der zu begünstigenden Umwandlung weiterhin gehalten werden müssen. Dies soll anhand des folgenden Beispiel verdeutlicht werden: Die E1GmbH spaltet ihr Grundstück auf ihre Schwestergesellschaft, die E1GmbH, ab. Alleinige Gesellschafterin beider GmbHs ist seit mehr als fünf Jahren die unternehmerisch tätige T-GmbH jeweils zu 100 %. Alleingesellschafterin der T-GmbH ist seit mehr als fünf Jahren die M-AG, die ebenfalls die Voraussetzung von § 2 Abs. 1 UStG erfüllt. An der M-AG sind zwei natürliche Personen zu jeweils 50 % beteiligt. Im Jahr 2012: A

Im Jahr 2013: Variante 1:

B

50 %

A

50 %

A

B

50 %

50 %

M-AG

(Unternehmer)

(Unternehmer) 100 %

T-GmbH (Unternehmer) 100 %

100 %

E1-GmbH

E2-GmbH

T-GmbH

B

50 %

50 %

M-AG

M-AG 100 %

Im Jahr 2013: Variante 2:

100 %

Drier

100 % 90 %

E2-GmbH

10 %

T-GmbH

(Unternehmer) 100 %

E1-GmbH

100 %

E1-GmbH

100 %

E2-GmbH

Abspaltung

Die Struktur besteht seit mehr als fünf Jahren. M-AG und T-GmbH sind Unternehmer. E1 spaltet ein Grundstück auf die E2 ab.

T-GmbH überträgt ihre 100 %-Beteiligung an E2-GmbH auf die M-AG. Verw: § 6a GrEStG +

M-AG überträgt 10 % ihrer Beteiligung an der T-GmbH auf den Drien. Verw: § 6a GrEStG – (a. A. u.a. Hofmann, § 6a GrEStG, Rz. 12)

Nach Verwaltungsansicht ist ausschließlich die M-AG das für die hier zu beurteilende Abspaltung maßgebende „herrschende Unternehmen“. Dies bedeutet, dass die Begünstigung nach § 6a GrEStG rückwirkend entfällt, wenn die M-AG vor Ablauf der nachgelagerten Fünf-Jahres-Frist einen Anteil z.B. von 10 % (d.h. von mehr als 5 %) an der T-GmbH an einen Dritten veräußert (vgl. Variante 2). Nach der in der Literatur vertretenen Ansicht, wonach „herrschendes Unternehmen“ jeder Rechtsträger sein kann, der unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 95 % an einer anderen Gesellschaft beteiligt ist, kommt auch die Einordnung der 191

Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

T-GmbH als herrschendes Unternehmen in Betracht. Dies hat zur Folge, dass die Begünstigung nach § 6a GrEStG dadurch, dass die M-AG einen 10 %igen Anteil an der T-GmbH innerhalb der nachgelagerten Fünf-Jahres-Frist an einen Dritten veräußert, (d.h. in obiger Variante 2) nicht entfällt. N. E. von SB findet die Verwaltungsansicht im Gesetzeswortlaut von § 6a GrEStG keine Grundlage. Denn der Wortlaut von § 6a GrEStG stellt ausdrücklich sowohl auf mittelbare als auch auf unmittelbare Beteiligungsverhältnisse ab. Auf dieser Grundlage können bei Beteiligungsketten mehrere herrschende und abhängige Rechtsträger vorhanden sein43. Von Erbfällen abgesehen erlaubt es die Finanzverwaltung nicht, dass die Eigenschaft „herrschendes Unternehmen“ während der Fünf-Jahres-Fristen auf einen anderen Rechtsträger übergeht. Denn nach Verwaltungsansicht gibt es nur das eine herrschende Unternehmen, das während des gesamten Zehn-Jahres-Zeitraums sowohl umsatzsteuerrechtlicher Unternehmer sein muss als auch die mindestens 95 %igen Beteiligungen an den am zu begünstigenden Erwerbsvorgang beteiligten Gesellschaften halten muss. Deshalb führt auch der sog. down-stream-merger des bisherigen herrschenden Unternehmens auf eine mindestens 95 %-Tochtergesellschaft vor Ablauf der nachgelagerten Fünf-Jahres-Frist des § 6a Satz 4 GrEStG nach Verwaltungsansicht zum Wegfall der Begünstigung nach § 6a GrEStG. Im folgenden Beispiel gliedert die E-GmbH ein inländisches Grundstück zur Neugründung auf eine UE-GmbH aus, an der die E-GmbH sämtliche Anteile hält. Zwei Jahre später wird die M-GmbH auf ihre 100 %ige Tochter-Gesellschaft T-GmbH verschmolzen, wobei die T-GmbH seit mehr als fünf Jahren unternehmerisch tätig ist und eine 100 %ige Beteiligung an der E-GmbH gehalten hat. Weil die Ausgangsstruktur seit mehr als fünf Jahren bestanden hat und die M-GmbH während der gesamten Zeit umsatzsteuerrechtliche Unternehmerin gewesen ist, qualifiziert die Finanzverwaltung ausschließlich die M-GmbH als herrschendes Unternehmen. Weil die Existenz der M-GmbH vor Ablauf der nachgelagerten Fünf-Jahres-Frist infolge des down-stream-mergers endet, will die Finanzverwaltung nachträglich Grunderwerbsteuer auf die Ausgliederung zur Neugründung festsetzen.

43 Vgl. auch Viskorf in Boruttau, 18. Aufl. 2016, § 6a GrEStG Rz. 90; Hofmann, 11. Aufl. 2016, § 6a GrEStG, Rz. 12.

192

Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG Ausgangsstruktur: A 50 %

Zwei Jahre später: A

B 50 %

50 %

A

B

B

50 % 50 %

M-GmbH

M-GmbH

(Unternehmer)

(Unternehmer)

100 %

100 %

T-GmbH

T-GmbH

(Unternehmer)

(Unternehmer)

100 %

100 %

E-GmbH

E-GmbH 100 %

UE-GmbH

Ausgliederung zur Neugründung

Die Struktur besteht im Zeitpunkt der Eintragung der Ausgliederung seit min. fünf Jahren.

100 %

UE-GmbH

Down-stream Verschmelzung oder Liquidation der M-GmbH unter Sachauskehrung der Anteile an der TGmbH an A und B

50 %

T-GmbH (Unternehmer) 100 %

Verw.: Die Qualifikation als "herrschendes Unternehmen" geht nicht über, d.h. § 6a GrEStG – .

E-GmbH 100 %

UE-GmbH

Erlasse, Tz. 2.2 Abs. 3: "Das im Zeitpunkt der Verwirklichung des Umwandlungsvorgangs bzw. der Einbringung bzw. des anderen Erwerbsvorgangs auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage herrschende Unternehmen hat sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen (Mindestbeteiligungsquote, Unternehmereigenscha) innerhalb der Vor- und Nachbehaltensfristen ununterbrochen einzuhalten. Bei Gesamtrechtsnachfolge einer natürlichen Person hat der Gesamtrechtsnachfolger die Fristen einzuhalten".

N. E. von SB schließt es der Gesetzeswortlaut von § 6a GrEStG nicht aus, dass die Eigenschaft „herrschendes Unternehmen“ in Beteiligungsketten mehreren Rechtsträgern zuerkannt werden kann44. Auf dieser Grundlage ist auch die T-GmbH „herrschendes Unternehmen“ für die hier nach § 6a GrEStG zu beurteilende Ausgliederung und deshalb die nachgelagerte Fünf-Jahres-Frist durch die down-stream-Verschmelzung der M-GmbH auf die T-GmbH nicht verletzt. Im Falle der Liquidation der M-GmbH unter Sachauskehrung der Anteile an der T-GmbH an A und B müsste dann dasselbe gelten. 2.1.3 Methode der Berechnung der mindestens 95 %igen Beteiligung in Beteiligungsketten Nach Verwaltungsansicht liegt eine mittelbare Beteiligung am Kapital oder Gesellschaftsvermögen einer Gesellschaft in Höhe von mindestens 95 % i.S.v. § 6a Satz 4 GrEStG dann vor, wenn auf jeder Stufe mindestens eine kapital- oder vermögensmäßige Beteiligung in dieser Höhe besteht. Dabei differenziert die Finanzverwaltung nicht zwischen Kapital- und Personengesellschaften. Dies führt dazu, dass in den folgenden Beispie44 Vgl. z.B. auch Viskorf in Boruttau, 18. Aufl. 2016, § 6a GrEStG, Rz. 90: „§ 6a GrEStG lässt es deshalb durchaus zu, auch jede weitere Gesellschaft der Beteiligungskette von mindestens 95 % in Bezug auf nachgeordnete abhängige Gesellschaft unter den weiteren Voraussetzungen als „herrschendes Unternehmen“ anzusehen …“.

193

Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

len45 die M-GmbH auf Grundlage der Verwaltungsansicht jeweils als „herrschendes Unternehmen“ in Betracht kommt: M-GmbH

M-GmbH (Unternehmer i.S.v. § 2 UStG)

100 %

100 %

95 %

T1-GmbH

F-GmbH

15 %

5%

15 %

E-GmbH

E-GmbH

(Nicht-Unternehmer)

(Nicht-Unternehmer) 100 %

U1-GmbH

U2-GmbH

Verschmelzung

5%

T2-GmbH

80 %

80 % 5%

100 %

F

95 %

5%

T2-GmbH & Co. KG

T1-GmbH

F-GmbH

(Unternehmer i.S.v. § 2 UStG)

F

100 %

100 %

U1-GmbH

U2-GmbH

Verschmelzung

Weil die E-GmbH keine Unternehmerin i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG ist, kann sie auf Grundlage der Verwaltungsansicht in Bezug auf die Verschmelzung der grundbesitzenden U1-GmbH auf die U2-GmbH nicht „herrschendes Unternehmen“ sein. Es kommt mithin darauf an, ob die M-GmbH „herrschendes Unternehmen“ ist, was voraussetzt, dass sie mittelbar zu mindestens 95 % an der U1-GmbH und an der U2-GmbH beteiligt ist. Zum einen ist ihr die 80 %ige Beteiligung der T1-GmbH an der E-GmbH wegen ihrer 100 %igen Beteiligung an der T-GmbH zuzurechnen. Nach Verwaltungsansicht ist ihr auch die 15 %ige Beteiligung der T2 an der E-GmbH zuzurechnen, weil die M-GmbH 95 % der Anteile am Vermögen der T2-GmbH & Co. KG bzw. am Kapital der T2-GmbH hält. Diese Verwaltungsansicht findet in der Literatur Zustimmung46. Die Verwaltungsansicht wirkt sich dann für die Steuerpflichtigen nachteilig aus, wenn zwar auf Durchrechnungsbasis eine mindestens 95 %ige mittelbare Beteiligung besteht, nicht jedoch das herrschende Unternehmen bzw. die vermittelnde Gesellschaft auf jeder Stufe mindestens 95 % der Anteile hält. Dies soll anhand des folgenden Beispiels verdeutlicht werden. Vor mehr als fünf Jahren hatte die umsatzsteuerrechtlich als Unternehmerin agierende MG 94,9 % der Anteile an der grundbesitzenden G-GmbH unmittelbar und als 94,9 %ige Kommanditisten der KG die restlichen 5,1 % mittelbar erworben. Die restlichen 5,1 % der Anteile an der KG gehören einem Dritten. 45 Vgl. Schanko, UVR 2011, 153. 46 Vgl. Viskorf in Boruttau, 18. Aufl. 2016, § 6a GrEStG Rz. 97; Hofmann, 11. Aufl. 2017, § 6a GrEStG Rz. 14.

194

Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

Wenn die GmbH ihr Grundstück durch Ausgliederung zur Neugründung auf die dann in ihrem alleinigen Anteilsbesitz stehende T-GmbH ausgliedert, hängt die Anwendbarkeit von § 6a GrEStG auf Grundlage der Verwaltungsansicht, wonach die Verbundbegründung nicht nach § 6a GrEStG begünstigt sein kann, davon ab, dass die MG als herrschendes Unternehmen eingestuft werden kann. Auf Grundlage von Tz. 2.4 Satz 2 der Erlasse vom 19.6.2012 scheidet dies aus, weil MG weniger als 95 % der Anteile am Vermögen der KG hält. Vor dem Hintergrund, dass § 6a Satz 1 GrEStG mit Wirkung ab 7.6.2013 bei den begünstigungsfähigen Tatbeständen um § 1 Abs. 3a GrEStG ergänzt worden ist und in § 1 Abs. 3a GrEStG die sog. Durchrechnungsmethode gilt, erscheint die von der Finanzverwaltung in Tz. 2.4 Satz 2 der Erlasse vom 19.6.2012 vertretene Ansicht spätestens für nach dem 6.6.2013 verwirklichte Erwerbsvorgänge als zu eng. MG

MG

(umsatzsteuerlicher Unternehmer)

Drier 5,1 %

94,9 %

KG

94,9 %

(umsatzsteuerlicher Unternehmer)

5,1 %

G-GmbH 100 %

Der seit 07.06.2013 ebenfalls begünsgte Tatbestand in § 1 Abs. 3a GrEStG setzt keine Beteiligung von min. 95 % auf jeder Stufe voraus!

KG

94,9 %

5,1 %

G-GmbH

Drier 5,1 %

94,9 %

T-GmbH

Die G-GmbH gliedert ihr Grundstück zur Neugründung auf die T-GmbH aus bzw. die GmbH errichtet die T-GmbH im Wege der Sachgründung. Verw: § 6a GrEStG - (?) Gegen die Anwendung der Durchrechnungsmethode auch Hofmann, § 6a GrEStG, Rz. 14, 11. Aufl. 2016

U.E. ist MG auf Grundlage der Verwaltungsansicht, wonach die Verbundbegründung nicht begünstigt sein kann, als herrschendes Unternehmen anzuerkennen, weil MG durchgerechnet zu weit mehr als 95 % seit mehr als fünf Jahren an der G-GmbH beteiligt gewesen ist. Wegen des Fehlens gesetzlicher Regelungen zur Berechnung der mittelbaren mindestens 95 %igen Beteiligungen muss jede denkbare Berechnungsmethode zulässig sein, die in § 1 Abs. 2a, Abs. 3, Abs. 3a GrEStG eine Grundlage findet. Noch deutlicher wird das Fehlen der Abstimmung zwischen § 6a Satz 4 GrEStG (wenn für das Bestehen einer mittelbaren mindestens 95 %igen Beteiligung erforderlich sein soll, dass das herrschende Unternehmen an 195

Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

jedem Rechtsträger zu mindestens 95 % beteiligt ist) und § 6a Satz 1 GrEStG in der folgenden Fallkonstellation, in der der zu begünstigende Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3a GrEStG steuerbar ist: Widerspruch zwischen Tz. 2.4 S. 2 Erlass vom 19.06.2012 einerseits und §§ 6a, 1 Abs. 3a GrEStG andererseits: Der nun ebenfalls im Sinne des § 6a GrEStG begünsgungsfähige § 1 Abs. 3a GrEStG setzt keine Beteiligung von min. 95 % auf jeder Stufe voraus!

MG

MG

(umsatzsteuerlicher Unternehmer)

Drier

94,9 %

(umsatzsteuerlicher Unternehmer)

Drier

94,9 %

5,1 %

5,1 %

94,9 %

KG

KG

94,9 %

5,1 %

Z-GmbH

5,1 %

Z-GmbH

Vierter 5,1 %

94,9 % 94,9 %

Z-KG

Die Z-GmbH gliedert ihre Beteiligungen auf die Z2GmbH aus bzw. errichtet die Z2-GmbH im Wege der Sachgründung.

100 %

5,1 %

94,9 % 94,9 %

5,1 %

G-GmbH

Vierter

Z2-GmbH Z-KG 5,1 %

G-GmbH § 1 Abs. 3a GrEStG + , aber auch § 6a GrEStG + (?)

U.E. muss auf Grundlage der Verwaltungsansicht, wonach die Verbundbegründung nicht begünstigungsfähig ist, die MG als herrschendes Unternehmen der Z-GmbH anerkannt werden. Denn § 1 Abs. 3a GrEStG, der in dem Beispielsfall verwirklicht wird, setzt keine Beteiligung von mindestens 95 % auf jeder Stufe voraus. Dazu passt es nicht, für die Berechnung der 95 %-Grenze in § 6a Satz 4 GrEStG bei Beteiligungsketten auf das Bestehen einer mindestens 95 %igen Beteiligung auf jeder Stufe abzustellen. Dass es sich bei § 1 Abs. 3a GrEStG um einen steuerbegründenden Tatbestand und bei § 6a GrEStG um eine Begünstigungsvorschrift handelt, steht dem nicht entgegen. Denn die Art und Weise der Berechnung der 95 %igen Beteiligungsgrenze in § 6a Satz 4 GrEStG ist gesetzlich nicht geregelt.

196

Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

2.2 Zweifelsfragen zu den seit dem 7.6.2013 begünstigungsfähigen Erwerbsvorgängen „Einbringung“ und „anderer Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage“ 2.2.1 Formwechsel der grundbesitzenden Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft als „anderer Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage“? Auf Grundlage der Ansicht des FG Münster im Urteil vom 16.2.200647 löst der Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 GrEStG aus, wenn es um Vermögen der Gesellschaft ein inländisches Grundstück gehört und an der Form zu wechselnden Personengesellschaft ein Gesellschafter 96 % und der zweite Gesellschafter 4 % hält48. Denn auf Grundlage der sog. Pro-Kopf-Betrachtung liegt vor Eintragung des Formwechsels noch keine Anteilsvereinigung i.S.v. § 1 Abs. 3 GrEStG vor. Durch den mit der Eintragung des Formwechsels ausgelösten Regimewechsel hält G1 ab Eintragung des Formwechsels erstmalig 95 % der Anteile der grundbesitzenden Gesellschaft, so dass – obwohl zuvor bereits der Zustand des § 1 Abs. 3a GrEStG verwirklicht war – auf Grundlage der Verwaltungsansicht49 erstmals eine Anteilsvereinigung i.S.v. § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG vorliegt.

Vorher:

Nachher: G2

G1 96 %

4%

G-KG

G

2 96 %

4%

G-GmbH

47 Vgl. FG Münster v. 16.2.2006 – 8 K 1785/03 GrE, EFG 2006, 1034. 48 Diese Ansicht ist umstritten. Die gegenteilige Ansicht vertritt z.B. Hofmann, UVR 2007, 222, 224. 49 Vgl. Erlasse zu § 1 Abs. 3a GrEStG v. 9.10.2013, Anm. 1 und 2.

197

Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

Für den Fall, dass der Ansicht des FG Münster zuzustimmen ist50, hat, wenn die Fünf-Jahres-Fristen des § 6a Satz 4 GrEStG gewahrt werden, die durch die Eintragung des Formwechsels angefallene Grunderwerbsteuer nach § 6a GrEStG unerhoben zu bleiben. Denn n.E. von SB handelt es sich bei dem Formwechsel um einen „anderen Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage“. Dieser Begriff meint solche Grundstücksübergänge zwischen einer Gesellschaft und ihren Gesellschaftern, durch die die Gesellschafterstellung des beteiligten Gesellschafters in rechtlicher Hinsicht berührt oder verändert wird51. Dadurch, dass aus der Kommanditbeteiligung ein oder mehrere GmbH-Anteile werden, wird die Gesellschafterstellung von G1 in rechtlicher Hinsicht berührt bzw. verändert. Aus der Nicht-Nennung des Formwechsels bei den begünstigungsfähigen Tatbeständen von § 6a Satz 1 Var. 1 („Umwandlungen i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UmwG“) darauf zu schließen, dass der Formwechsel im Rahmen von § 6a GrEStG auch kein „anderer Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage“ sein kann, ist n.E. von SB nicht vertretbar. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber den Formwechsel seit dem 7.6.2013 auch nicht als anderen Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage begünstigen wollte. Gesetzesmaterialien zu dieser im Juni 2013 in Kraft getretenen Ergänzung von § 6a Satz 1 GrEStG gibt es nicht, weil es sich um eine „in letzter Sekunde“ gefundene Kompromisslösung des Vermittlungsausschusses handelt. 2.2.2 Anwachsung als „anderer Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage“? Als anderer Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage ist das Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters aus einer Personengesellschaft anzusehen52. Bisher nicht geklärt ist allerdings, welcher Rechtsträ50 A.A. aber z.B. Pahlke, § 1 GrEStG Rz. 24. 51 So zu § 8 Abs. 2 GrEStG z.B. BFH v. 13.9.2006 – II R 37/05, BStBl. II 2007, 59. 52 Vgl. Hofmann, 11. Aufl. 2017, § 6a GrEStG Rz. 32, wonach diese Einordnung allerdings zusätzlich davon abhängen soll, dass gesellschaftsvertraglich bestimmt ist, dass dem Ausscheidenden nur ein Abschichtungsanspruch zusteht, das Vermögen der Personengesellschaft folglich dem anderen nach § 738 BGB anwächst. Scheide aus einer OHG der vorletzte Gesellschafter mangels abweichender gesellschaftsvertraglicher Vereinbarungen aus den in § 131 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 HGB genannten Gründen aus, komme es zwar auch zur Anwachsung, diese erfolge aber nicht auf gesellschaftsvertraglicher, sondern

198

Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

ger im Falle der Anwachsung die an dem Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG beteiligten Rechtsträger sind. Dies soll anhand des folgenden Beispiels verdeutlicht werden: Die unternehmerisch tätige MG ist seit mehr als fünf Jahren Alleingesellschafterin der T1-GmbH und der T2-GmbH. Beide GmbHs sind – im Grundfall seit mehr als fünf Jahren – hälftig an der grundbesitzenden KG beteiligt. Die T1-GmbH wird auf die T2-GmbH verschmolzen bzw. die T1-GmbH überträgt ihre 50 %ige Kommanditbeteiligung im Wege der Einzelrechtsübertragung, z.B. auf Grundlage eines Kaufvertrags, auf die T2-GmbH. In der Alternative hält die T1-GmbH ihre 50 %ige Kommanditbeteiligung an der KG erst seit zwei Jahren; sie hatte sie vor zwei Jahren von einem fremden Dritten erworben.

MG (Unternehmer) 100 %

100 %

T1-GmbH

T2-GmbH

Verschmelzung oder Einzelrechtsübertragung (z.B. Kaufvertrag) 50 %

50 %

KG

Die Struktur besteht im Grundsatz seit mindestens 5 Jahren: Alt.: T1-GmbH ist erst seit 2 Jahren an der KG beteiligt.

Die Beendigung der KG und der Übergang des Vermögens auf die T2GmbH infolge des Ausscheidens der T1-GmbH löst Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG aus. Diese bleibt nach § 6 Abs. 2 GrEStG in auf gesetzlicher Grundlage. M.E. ist diese Differenzierung nicht rechtmäßig, weil der Austritt des vorletzten Gesellschafters in jedem Fall auf dem Gesellschaftsvertrag beruht bzw. den Gesellschaftsvertrag verändert, und zwar beendet.

199

Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

Höhe von 50 % unerhoben. Es stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen auch in Bezug auf die zweite Hälfte der Grunderwerbsteuer die Festsetzung – und zwar nach § 6a GrEStG – zu unterbleiben hat. Sind die an dem anderen Erwerbsvorgang beteiligten Rechtsträger die T1-GmbH und die T2-GmbH, so ist § 6a GrEStG in beiden Varianten anwendbar. Betrachtet man die KG (statt der T1-GmbH) als den am anderen Erwerbsvorgang beteiligten Rechtsträger, ist § 6a GrEStG in der Alternative, d.h. wenn MG noch nicht fünf Jahre lang zu mindestens 95 % mittelbar an der KG beteiligt gewesen ist, nicht anwendbar. Wird die T1-GmbH auf die T2-GmbH verschmolzen, sollten diese beiden GmbHs als die am zu begünstigenden Erwerbsvorgang Beteiligten angesehen werden. Einschlägig ist in diesem Fall § 6a Satz 1 Alt. 1 („Umwandlung i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwG“). Auch schon vor der Ergänzung von § 6a Satz 1 GrEStG um die Tatbestandsmerkmale „Einbringung“ und „anderer Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage“ mit Wirkung ab 7.6.2013 war anerkannt, dass die infolge der Verschmelzung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG wegen der Anwachsung ausgelöste Grunderwerbsteuer nach § 6a GrEStG unerhoben bleiben kann, obwohl es sich in gewisser Weise um eine mittelbare Folge der Verschmelzung handelt. Überträgt die T1-GmbH ihre 50 %ige Kommanditbeteiligung im Wege der Einzelrechtsübertragung auf die T2-GmbH, scheidet die Anwendung von § 6a Satz 1 Alt. 1 („Umwandlung i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwG“) aus. Der Vorgang kann nur als „anderer Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage“ i.S.v. § 6a Satz 1 Alt. 3 GrEStG begünstigt sein. Hier kommt es in Betracht, nicht die T1-GmbH, sondern die KG als am Erwerbsvorgang Beteiligte anzusehen. Denn die Vermögensübertragung, die unmittelbar § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG verwirklicht, ist die Übertragung des Vermögens der KG. Dennoch erscheint es nicht als ausgeschlossen, auch die T1-GmbH als am zu begünstigenden Erwerbsvorgang Beteiligte anzusehen. Denn die Übertragung der 50 %igen Kommanditbeteiligung an der KG hat eine gesellschaftsvertragliche Grundlage, weil die Übertragung im KG-Vertrag zugelassen sein muss. 2.2.3 Setzt die „Einbringung“ i.S.v. § 6a Satz 1 GrEStG die Ausgabe neuer Anteile voraus? Ebenso wie das Tatbestandsmerkmal „anderer Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage“ findet sich auch das Tatbestandsmerkmal „Einbringung“ in § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GrEStG. Dort wird für das Vorliegen einer Einbringung vorausgesetzt, dass die aufnehmende Ge200

Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

sellschaft im Gegenzug Anteile gewährt. Fraglich ist, ob auch in § 6a Satz 1 GrEStG für das Vorliegen einer „Einbringung“ die Ausgabe mindestens eines Anteils durch die aufnehmende Gesellschaft zu verlangen ist. Wäre diese Frage zu bejahen, käme § 6a GrEStG im folgenden Beispielsfall nur in der Variante a zur Anwendung: Vorher (seit min. 5 Jahren): G1

G2

50 %

50 %

Nachher: G1

G2

50 %

50 %

M-GmbH M-GmbH

(Unternehmer)

(Unternehmer) 100 %

100 %

T1-GmbH

T2-GmbH

100 %

100 %

T1-GmbH

§ 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG + auf Ebene der T1-GmbH

T2-GmbH Die M-GmbH hat die Anteile an der T2-GmbH vor zwei Jahren erworben. M-GmbH bringt den 100 %-Anteil an der T2-GmbH in die T1-GmbH ein Var. a: gegen Ausgabe eines neuen Anteils Var. b: ohne Ausgabe eines neuen Anteils

§ 6a GrEStG in beiden Fällen + , wenn M-GmbH seit mindestens 5 Jahren zu mindestens 95 % am Kapital der T1-GmbH beteiligt ist und die nachgelagerte Mindest-Halte-Frist gewahrt wird (zu Var. b: Auslegung bei § 8 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG ist betr. Ausgabe neuer Anteile für § 6a GrEStG irrelevant.

N.E. von SB kann im Rahmen von § 6a Satz 1 GrEStG nicht verlangt werden, dass die aufnehmende Gesellschaft einen Anteil ausgibt. Diese Voraussetzung gilt aufgrund normspezifischer Auslegung nur im Anwendungsbereich von § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GrEStG. Denn dort wollte der Gesetzgeber mit der Ausweitung des Anwendungsbereichs der Ersatzbemessungsgrundlage auf Einbringungen erreichen, dass der Wert der im Gegenzug ausgegebenen Anteile nicht danach aufgeteilt werden muss, inwieweit er auf das Grundstück der Anteile ausgebenden Gesellschaft und wie weit er auf sonstige Wirtschaftsgüter dieser Gesellschaft entfällt. Diese Teleologie hat in § 6a GrEStG keine Bedeutung, so dass es gerechtfertigt sein könnte, einen Fall der „Einbringung“ in § 6a Satz 1 GrEStG auch dann anzunehmen, wenn die aufnehmende Gesellschaft keine Anteile ausgibt. Allerdings ist fraglich, ob die Finanzverwaltung dieser Auffassung folgen wird.

201

Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

2.2.4 „Einbringung“ aufgrund des Rechts eines EU-/EWR-Mitgliedsstaats: Auf welches Recht ist bei grenzüberschreitenden Einbringungen abzustellen? Um EU-/EWR-rechtlichen Bedenken Rechnung zu tragen, hat der Gesetzgeber in § 6a Satz 2 GrEStG angeordnet, dass die Begünstigung nach § 6a GrEStG auch gilt „für entsprechende Umwandlungen, Einbringungen sowie andere Erwerbsvorgänge auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage aufgrund des Rechts seines Mitgliedsstaates der EU oder des EWR“. In grenzüberschreitenden Fällen wird es von der wohl herrschenden Meinung für ausreichend erachtet, dass zumindest ein an dem Erwerbsvorgang beteiligter Rechtsträger in einem EU-/EWR-Staat ansässig ist53. Allerdings ist es fraglich, auf welches Recht im Einzelfall abzustellen ist. Dies soll anhand des folgenden Beispiels verdeutlicht werden: Die US-Corp ist 100 %ige Gesellschafterin sowohl der UK-Ltd. als auch der Jersey Ltd. Die Jersey Ltd. hat ein in Deutschland belegenes Grundstück. Die US-Corp bringt ihre 100 %ige Beteiligung an der Jersey Ltd. in die UK-Ltd. ein.

Vorher:

Nachher:

US-Corp

US-Corp 100 %

100 %

UK-Ltd.

100 %

UK-Ltd.

Jersey Ltd. D:

100 %

Jersey Ltd. D:

US-Corp bringt ihre 100 %-Beteiligung an Jersey Ltd. in die UK-Ltd. ein.

Die gesellschaftsrechtliche Kapitalmaßnahme wird nach dem Recht von UK durchgeführt.

Einbringung ist jede Maßnahme, durch die eine gesellschaftsvertragliche Beitragspflicht bzw. Einlageverpflichtung eines Gesellschafters erfüllt wird. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Fraglich ist allerdings, ob die Einbringung der 100 %igen Beteiligung an der Jersey Ltd. in die 53 Vgl. z.B. Karla/Figatowski, Ubg. 2014, 439, 444.

202

Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

UK-Ltd. aufgrund des Rechts eines EU-/EWR-Mitgliedsstaats erfolgt. Wird darauf abgestellt, dass die dingliche Übertragung der 100 %igen Beteiligung an der Jersey Ltd. nur nach dem Recht von Jersey wirksam durchgeführt werden kann, fehlt es an einer „Einbringung aufgrund des Rechts eines EU-/EWR-Mitgliedsstaats“. Wird demgegenüber darauf abgestellt, dass die Kapitalmaßnahme auf Ebene der UK-Ltd. nach britischem Recht durchgeführt wird, wäre das Merkmal der „Einbringung aufgrund des Rechts eines EU-/EWR-Mitgliedsstaats“ erfüllt. Mangels Regelung im Gesetzestext sind n.E. von SB beide Fallgestaltungen begünstigt, weil in beiden Fällen die Einbringung zumindest auch auf dem Recht eines EU-/EWR-Mitgliedsstaats beruht54. Auf dieser Grundlage wäre auch in der folgenden Fallkonstellation § 6a GrEStG anwendbar. Die US-Corp ist alleinige Gesellschafterin sowohl der Jersey Ltd. als auch der Lux S.à r.l., zu deren Vermögen ein inländisches Grundstück gehört. Die US Corp bringt ihre 100 %ige Beteiligung an der Lux S.à r.l. in die Jersey Ltd. ein.

Vorher:

Nachher:

US-Corp

US-Corp 100 %

100 %

100 %

Jersey Ltd.

Jersey Ltd.

Lux S.à r.l.

100 %

Lux S.à r.l.

D: D:

US-Corp bringt ihre 100 %-Beteiligung an Lux S.à r.l. in die Jersey Ltd. ein.

Die gesellschaftsrechtliche Kapitalmaßnahme wird nach dem Recht von Jersey durchgeführt.

54 So auch Graessner/Franzen, Ubg 2016, 1.

203

Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG

Danach könnten beide Fallgestaltungen nach § 6a GrEStG begünstigungsfähig sein. Denn dinglich wirksam kann die 100 %ige Beteiligung an der Lux S.à r.l. nur nach dem Recht Luxemburgs – und damit nach dem Recht eines EU-Mitgliedsstaats – „durchgeführt“ werden. Dass die Wirksamkeit der bei der Jersey Ltd. durchzuführenden Kapitalmaßnahme von der Anwendung des Rechts von Jersey abhängt, steht dem dann nicht entgegen. 2.2.5 Erweiterung des Begriffs „verbundgeborene Gesellschaften“ durch im Wege der Einbringung geschaffene Gesellschaften? Bisher hat die Finanzverwaltung die gleich lautenden Länder-Erlasse vom 19.6.2012 nicht an die im Jahr 2013 und Jahr 2014 erfolgten Gesetzesänderungen angepasst55. Dies betrifft insbesondere die Definition der sog. verbundgeborenen Gesellschaft. N.E. von SB ist als verbundgeborene Gesellschaft nicht nur eine solche Gesellschaft anzuerkennen, die innerhalb der vorgelagerten Fünf-Jahres-Frist durch einen Umwandlungsvorgang aus einer anderen, spätestens im Zeitpunkt des zu begünstigenden Erwerbsvorgangs, abhängigen Gesellschaft entstanden ist, sondern auch eine Gesellschaft, die durch Einbringung, d.h. zumindest durch Sachgründung im Wege der Einzelrechtsübertragung aus einer anderen abhängigen Gesellschaft entstanden ist. Danach wäre auf Grundlage der Verwaltungsansicht § 6a GrEStG in der folgenden Fallkonstellation anwendbar:

55 Dazu existiert nur der kurze Erlass v. 9.10.2013, der allerdings nur die Reparaturen des sog. Kroatiengesetzes – wohl mit dem Ziel der Verhinderung von Vertrauensschutz vorgenommen hat.

204

Schanko/Behrens, Praxisfragen des § 6a GrEStG G1

G2

50 %

Die Unternehmereigenscha und 100 %-Beteiligung der M-GmbH an der TGmbH bestehen seit mehr als fünf Jahren.

G1

50 %

G2

50 %

50 %

M-GmbH

M-GmbH

(Unternehmer)

(Unternehmer)

100 %

100 %

T-GmbH UE 100 %

T-GmbH

Ausgliederung zur Neugründung i.S.v. § 123 Abs. 3 Nr. 2 UmwG

100 %

UE

Sachgründung im Wege der Einzelrechtsübertragung ("Einbringung")

E-GmbH E-GmbH UE

§ 6a GrEStG

Tz. 4 der Erlasse zu § 6a GrEStG vom 19.06.2012

+

UE

Alternative: Bargründung und anschließende Ausgliederung oder Einbringung des Grundstücks Verw. § 6a GrEStG -

§ 6a GrEStG + , weil E-GmbH "verbundgeboren"(?)

Zwar erfüllt – auf Grundlage der Verwaltungsansicht – die M-GmbH die vorgelagerte Fünf-Jahres-Frist nicht in Bezug auf die durch die begünstigende Maßnahme erst entstehende E-GmbH. Weil jedoch die E-GmbH durch eine Einbringung der abhängigen Gesellschaft T-GmbH entsteht, ist die E-GmbH auf Grundlage der Verwaltungsansicht als sog. verbundgeborene Gesellschaft anzuerkennen. Möglicherweise erklärt der BFH die auf den sog. Verbund abstellende Verwaltungsansicht zur Auslegung von § 6a GrEStG für rechtswidrig. In diesem Fall würde sich die hier aufgeworfene Frage der Auslegung der Erlasse vom 19.6.2012 im Hinblick auf die in 2013 und 2014 erfolgten Gesetzesänderungen erübrigen.

3. Zusammenfassung Derzeit ist die Anwendung von § 6a GrEStG in der Praxis mit einer Vielzahl von Rechtsunsicherheiten verknüpft. Zur Sorge Anlass gibt insbesondere die Diskussion der Einordnung von § 6a GrEStG als EU-rechtswidrige Beihilfe, die dazu führen würde, dass bisher auf Grundlage von § 6a GrEStG nicht festgesetzte Grunderwerbsteuer verzinst nacherhoben werden müsste. Es ist zu hoffen, dass möglichst viele der offenen Fragen kurzfristig durch den BFH befriedigend geklärt werden. Dass die Finanzverwaltung die Erlasse vom 19.6.2012 kurzfristig, d.h. vor Veröffentlichung der Revisionsentscheidungen des BFH an die in 2013 und 2014 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen anpassen wird, ist wohl nicht zu erwarten. 205

Neues Unternehmenserbschaftsteuerrecht Ministerialrätin Gerda Hofmann Bundesministerium der Finanzen, Berlin Inhaltsübersicht I. Einleitung 1. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2. Gesetzgebungsverfahren II. Wesentliche Aussagen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014 1. Lohnsummenregelung 2. Verschonung über den Bereich von kleineren und mittleren Unternehmen 3. Gestaltungsmöglichkeiten 4. Verwaltungsvermögen III. Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

1. Wesentlicher Inhalt der Neuerungen 2. Lohnsummenregelung 3. Verschonungskonzept a) Erwerb von begünstigten Vermögen bis 26 Mio. Euro b) Verschonungsabschlag bei Großerwerben c) Verschonungsbedarfsprüfung bei Großerwerben d) Stundung der Steuer für begünstigtes Vermögen 4. Begünstigtes Vermögen 5. Nicht begünstigtes Verwaltungsvermögen 6. Verbundvermögensaufstellung 7. Bewertungsgesetz

I. Einleitung 1. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Mit Urteil vom 17. Dezember 20141 hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes die Regelung der Verschonung nach § 13a und § 13b i.V.m. § 19 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes2 (ErbStG) für unvereinbar mit der Verfassung erklärt. Für unvereinbar mit der Verfassung erklärte das Bundesverfassungsgericht die Steuerbefreiung von begünstigten Vermögen bei Betrieben der Land- und Forstwirtschaft, bei Be1 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/22, BGBl. I 2015, 4. 2 In der Fassung der Bekanntmachung v. 27.2.1997, BGBl. I 1997, 379 geändert durch Art. 1 Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (Erbschaftsteuerreformgesetz – ErbStRG) v. 24.12.2008, BGBl. I 2008, 3018 und weiteren Änderungen.

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triebsvermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften, bei denen zum Vermögen der Kapitalgesellschaft begünstigtes Vermögen gehört. Aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts ist die Verschonungsregel § 13a ErbStG grundsätzlich geeignet und erforderlich, um die Verschonung von land- und forstwirtschaftlichem und von betrieblichem begünstigtem Vermögen (§ 13b ErbStG) und von Anteilen an Kapitalgesellschaften, zu deren Vermögen begünstigtes Vermögen i.S. des § 13b ErbStG gehört, gegenüber nicht betrieblichen Vermögen zu rechtfertigen. Die Verschonungsregeln (§§ 13a, 13b ErbStG) sind jedoch in ihrer konkreten Ausgestaltung angesichts ihres Übermaßes und der eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten nicht mit dem Grundsatz der steuerlichen Belastungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zu vereinbaren. Die Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG der §§ 13a, 13b i.V.m. § 19 ErbStG3 gilt seit dem Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes4 zum 1. Januar 2009. Das Recht ist bis zu einer Neuregelung anwendbar. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 30. Juni 2016 zu treffen. Wie unter I. 2. ausgeführt wurde die Neuregelung mit Wirkung zum 1. Juli 2016 getroffen jedoch erst am 9. November 2016 verkündet.5

2. Gesetzgebungsverfahren Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung „Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“6 begann das Gesetzgebungsverfahren. Die Ausschüsse des Bundesrates7 sprachen ihre Empfehlungen aus, welche in die Stellungnahme des Bundesrates vom 25. September 20158 mündeten. Am 25. September 2015 fand die erste Lesung im Deutschen Bundestag9 und am selben Tage die Beratung der Stellungnahme des Bun3 In der Fassung des Gesetzes zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums – Wachstumsbeschleunigungsgesetz – v. 22.12.2009, BGBl. I 2009, 3950. 4 Vgl. Art. 1 Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts – Erbschaftsteuerreformgesetz – ErbStRG v. 24.12.2008, BGBl. 2008, 3018. 5 Vgl. in diesem Zusammenhang die Pressemitteilung Nr. 41/2016 v. 14.7.2016 des Bundesverfassungsgerichts. 6 V. 7.9.2015, BT-Drs. 18/6279, und v. 14.8.2015, BR-Drs. 353/15. 7 Empfehlungen des Bundesrates v. 15.9.2015, BR-Drs. 353/1/15. 8 BR-Drs. 353/15 – Beschluss. 9 Deutscher Bundestag – Stenografischer Bericht der 125. Sitzung v. 25.9.2015, Plenarprotokoll 18/15.

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desrates im Bundesrat10 statt. Die Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates erfolgte am 8. Oktober 201511. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages vom 22. Juni 201612 flossen in die zweite und dritte Beratung13 des Deutschen Bundestages des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuerund Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein. Auf der Grundlage der Ausschussempfehlungen14 der Ausschüsse des Bundesrates hat der Bundesrat in seiner Sitzung am 8. Juli 201615 den Vermittlungsausschuss angerufen16. Den Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses vom 22. September 201617 stimmten sowohl der Deutsche Bundestag am 29. September 201618 als auch der Bundesrat am 14. Oktober 201619 zu. Das Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurde am 4. November 2016 ausgefertigt und am 9. November 2016 im Bundesgesetzblatt verkündet20. Das Gesetz trat mit Wirkung vom 1. Juli 2016 in Kraft.21

10 Bundesrat – Stenografischer Bericht der 936. Sitzung v. 25.9.2015, Plenarprotokoll 936. 11 BT-Drs. 18/6279. 12 BT-Drs. 18/8911. 13 Deutscher Bundestag – Stenografischer Bericht der 180. Sitzung v. 24.6.2016, Plenarprotokoll 18/180. 14 Bundesrat – Empfehlungen der Ausschüsse v. 30.6.2016, BR-Drs. 344/1/16. 15 Bundesrat – Stenografischer Bericht der 947. Sitzung v. 8.7.2016 – Plenarprotokoll 947. 16 Anrufung des Vermittlungsausschuss durch den Bundesrat v. 8.7.2016, BRDrs. 344/16 (Beschluss). 17 DT-Drs. 18/9690. 18 Beschluss des Deutschen Bundestages v. 29.9.2016, BR-Drs. 55/16. 19 Beschluss des Bundesrates v. 14.10.2016, BR-Drs. 55/16 (Beschluss). 20 BGBl. I 2016, 2464. 21 Art. 3 des Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht, Fn. 20.

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II. Wesentliche Aussagen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 201422 1. Lohnsummenregelung23 Die Lohnsummenregelung ist im Grundsatz (vgl. § 13a Absätze 1, 4 und 8 ErbStG a.F.) verfassungsgemäß. Sinn und Zweck der Lohnsummenregelung ist, den Erwerber von verschonungswürdigem Vermögen zum Erhalt der Arbeitsplätze zu veranlassen. Mit der Einhaltung der Lohnsumme über den von Gesetzes wegen bestimmten Zeitraum wird der Nachweis des Arbeitsplatzerhalts erbracht. Zu weitgehend ist, dass alle Unternehmen mit bis zu 20 Beschäftigten von der Einhaltung der Lohnsummenregelung freigestellt sind. Die Einhaltung der Lohnsummenregelung zum Arbeitsplatzerhalt wird als Ausnahme zur Regel gemacht.

2. Verschonung über den Bereich von kleineren und mittleren Unternehmen24 Überschreitet ein Unternehmen die Größe kleiner und mittlerer Unternehmen so ist das Verschonungsregime nicht verhältnismäßig soweit der unentgeltliche Erwerb von begünstigten land- und forstwirtschaftlichen und betrieblichen Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften, in deren Vermögen sich begünstigtes Vermögen befindet, ohne eine Bedürfnisprüfung weitgehend oder sogar vollständig von der Erbschaft- und Schenkungsteuer befreit wird. Nicht ohne Weiteres darf ein Verschonungsbedarf beim Erwerb von großem Vermögen unterstellt werden.

3. Gestaltungsmöglichkeiten25 Gesetzliche Regelungen, die besondere steuerliche Gestaltungen zulassen, verstoßen gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Derartige gesetzliche Regelungen führen zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung. Gesetzliche Regelungen, die entgegen ihrer Zwecksetzung steuermindernde Gestaltungen in einem erheblichen Umfang zulassen, sind verfassungswidrig.

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S. Fn. 1. S. Fn. 1; vgl. Tz. 229. S. Fn. 1; vgl. Tz. 171 f. und Tz. 174 f. S. Fn. 1; vgl. Tz. 253 ff.

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4. Verwaltungsvermögen26 Unbeanstandet ließ das Bundesverfassungsgericht den Verwaltungsvermögenskatalog (vgl. § 13b Abs. 2 ErbStG a.F.) als solchen, nämlich die Umschreibung desjenigen Vermögens, welches grundsätzlich für nicht förderungswürdig gehalten wird. Unverhältnismäßig und damit nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, dass an sich für nicht förderungswürdiges gehaltenes Vermögen (Verwaltungsvermögen) in Höhe bis zu 50 Prozent des Gesamtwerts des land- und forstwirtschaftlichen und des betrieblichen Vermögens und der Anteile an Kapitalgesellschaften, in denen sich das Vermögen befindet, bei der Regelverschonung trotzdem verschont wird. Das Nämliche gelte auch im umgekehrten Fall, dass bei Überschreiten der 50 Prozent nicht förderungswürdigen Vermögens (Verwaltungsvermögen) sämtliches Vermögen des Betriebs der Land- und Forstwirtschaft, des Betriebs sowie der Anteile an Kapitalgesellschaften und deren Vermögen nicht mehr verschont wird. Das Ziel des Gesetzgebers, Verwaltungsvermögen aus der Verschonung auszunehmen und steuerliche Gestaltungen zu unterbinden, wäre mit der Begrenzung der Verschonung auf den jeweils festgestellten Teil des förderungswürdigen Vermögens ohne Weiteres möglich.27

III. Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts28 1. Wesentlicher Inhalt der Neuerungen Die wesentlichen Inhalte der Neuregelung betreffen die Lohnsummenregelung (vgl. III. 2.), das Verschonungskonzept (vgl. III. 3.), das begünstigte Vermögen (vgl. III. 4.), das (nicht begünstigte) Verwaltungsvermögen (vgl. III. 5), die Verbundvermögenssaufstellung (vgl. III 6.) sowie den Kapitalisierungsfaktor im vereinfachten Ertragswertverfahren im Bewertungsgesetz (vgl. III. 7.).

26 S. Fn. 1; vgl. Tz. 231 ff. 27 Vgl. Fn. 1; vgl. Tz. 244. 28 V. 4.11.2016, BGBl. I 2016, 2464.

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2. Lohnsummenregelung Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wird die Aufgriffgrenze für die Freistellung von der Lohnsummenregelung29 auf Betriebe mit nicht mehr als fünf Beschäftigten festgelegt. Unternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten sind vollständig von der Lohnsummenregelung ausgenommen.30 Bei einem Unternehmen mit sechs bis zu zehn Beschäftigten beträgt die Mindestlohnsumme31 in der Regelverschonung32 250 Prozent und in der Optionsverschonung33 500 Prozent. Die Mindestlohnsumme beträgt bei Unternehmen mit mehr als zehn bis zu 15 Beschäftigten in der Regelverschonung34 300 Prozent und in der Optionsverschonung35 565 Prozent. Bei einem Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten beträgt die Mindestlohnsumme in der Regelverschonung36 400 Prozent und in der Optionsverschonung37 700 Prozent. Damit Fälle der Betriebsaufspaltung38 sich nicht auf die Lohnsummen auswirken, werden die Lohnsummen und die Anzahl der Beschäftigten zusammengerechnet. Die Zusammenrechnung führt dazu, dass die Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen die Lohnsummenregelung sowohl auf die Besitz- als auch auf die Betriebsgesellschaft angewendet werden.

3. Verschonungskonzept Hinsichtlich der vom Bundesverfassungsgericht39 geforderten Prüfung, ob es einer Verschonung bei Erwerben ab einer gewissen Größe bedarf, richtet sich das Gesetz an den Ausführungen des Bundesverfassungs-

29 Zur Berechnung der Lohnsumme vgl. § 13a Abs. 3 Sätze 6 ff. ErbStG. 30 § 13a Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 ErbStG. 31 Vgl. dazu § 13a Abs. 3 Sätze 1 und 2, 6 ff. ErbStG: Bei der Regelverschonung darf die Mindestlohnsumme insgesamt 400 Prozent der Ausgangslohnsumme innerhalb von fünf Jahren unterschreiten (§ 13a Abs. 3 Satz 1 ErbStG). Bei der Optionsverschonung beträgt die Mindestlohnsumme 700 Prozent (§ 13a Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 ErbStG) und an Stelle der Lohnsummenfrist von fünf Jahren tritt eine Lohnsummenfrist von sieben Jahren (§ 13a Abs. 10 Satz 1 Nr. 2 ErbStG). 32 § 13a Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 ErbStG. 33 § 13a Abs. 10 Satz 1 Nr. 4 ErbStG. 34 § 13a Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 ErbStG. 35 § 13a Abs. 10 Satz 1 Nr. 5 ErbStG. 36 § 13a Abs. 3 Satz 1 ErbStG. 37 § 13a Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 ErbStG. 38 § 13a Abs. 3 Satz 13 ErbStG. 39 Fn. 1; vgl. Tz. 175.

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gerichts40 aus. Bei einem Erwerb von begünstigtem Vermögen von mehr als 26 Mio. Euro41 handelt es sich um einen sog. Großerwerb von begünstigten Vermögen42. In einem solchen Fall hat der Erwerber von Großvermögen die Wahl zwischen einem besonderen Verschonungsabschlag (§ 13c ErbStG) oder einer individuellen Verschonungsbedarfsprüfung (§ 28a ErbStG). Die Prüfschwelle von über 26 Mio. Euro ist erbschaft- und schenkungsteuersystematisch konsequent erwerberbezogen ausgestaltet. Für die Beantwortung der Frage, ob die Prüfschwelle von mehr als 26 Mio. Euro überschritten wird, werden mehrere Erwerbe des Erwerbers innerhalb von zehn Jahren zusammengerechnet43. Denn der Erwerber ist durch den Erwerb begünstigten Vermögens bereichert und damit in seiner subjektiven Leistungsfähigkeit gestärkt und nicht das vom ihm erworbene Unternehmen. Innerhalb der deutschen Unternehmensstruktur weisen insbesondere familiengeführte Unternehmen regelmäßig die Besonderheit auf, dass eine vergleichsweise starke Kapitalbindung der Gesellschafter in den Unternehmen vorliegt. Typisch ist bei solchen Unternehmen, dass die Unternehmensführung auf die langfristige Sicherung und Fortführung des Unternehmens ausgerichtet ist. Durch gesellschaftsrechtliche oder satzungsmäßige Bestimmungen liegen regelmäßig Entnahme-44, Verfügungs-45 und Abfindungsbeschränkungen46 vor. Um dem besonderen Verschonungsbedürfnis in einem solchen Fall Rechnung zu tragen, wird ein Abschlag gewährt (§ 13a Abs. 9 Satz 1 ErbStG). Die Höhe des Abschlags entspricht der im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung prozentualen Minderung der Abfindung gegenüber dem gemeinen Wert und darf 30 Prozent nicht übersteigen47. Voraussetzung ist, dass die tatsächlichen Verhältnisse mit den Bestimmungen im Einklang stehen und zwei Jahre vor und 20 Jahre nach der Entstehung der Steuer vorliegen48. Diese Voraussetzungen dienen dazu, Steuervermeidung entgegenzuwirken.

40 Fn. 24. 41 § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG, s. dazu § 19 Abs. 1 ErbStG: Bei einem steuerpflichtigen Erwerb über 26 Mio. Euro ist in jeder Steuerklasse der höchste Prozentsatz anzuwenden. 42 § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG. 43 § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG; vgl. dazu § 37 Abs. 12 ErbStG. 44 § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 ErbStG. 45 § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 ErbStG. 46 § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 ErbStG. 47 § 13a Abs. 9 Satz 3 ErbStG. 48 § 13a Abs. 9 Sätze 4 f. ErbStG.

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a) Erwerb von begünstigten Vermögen bis 26 Mio. Euro Bei einem Erwerb von begünstigtem Vermögen bis 26 Mio. Euro bleibt es weitestgehend beim bisherigen Verschonungskonzept. Dies bedeutet, dass die Regelverschonung49, nämlich ein Abschlag von 85 Prozent vom begünstigungsfähigen Vermögen, und die Optionsverschonung50, nämlich ein Abschlag von 100 Prozent vom begünstigungsfähigen Vermögen, beibehalten wird. Voraussetzung für die Optionsverschonung ist, dass das begünstigungsfähige Vermögen nicht zu mehr als 20 Prozent aus Verwaltungsvermögen besteht (§ 13a Abs. 10 Sätze 2 und 3 ErbStG). Der Erwerber muss die jeweiligen Behaltens-51 und die jeweiligen Lohnsummenbedingungen52 einhalten. b) Verschonungsabschlag bei Großerwerben Der in § 13c ErbStG normierte Verschonungsabschlag bei Großerwerben von begünstigtem Vermögen sieht vor, dass oberhalb der Prüfschwelle sich der Verschonungsabschlag um jeweils einen Prozentpunkt für jede vollen 750 000 Euro verringert53. Ab einem Vermögenswert in Höhe von 90 Mio. Euro wird der Verschonungsabschlag im Rahmen der Optionsverschonung54 nicht mehr gewährt. Der Erwerber, der den Verschonungsabschlag nach § 13c Abs. 1 ErbStG wählt, ist verpflichtet, die jeweiligen Behaltens- sowie die Lohnsummenregelungen einzuhalten55. c) Verschonungsbedarfsprüfung bei Großerwerben Bei einem Erwerb von begünstigtem Vermögen von mehr als 26 Mio. Euro kann der Erwerber statt des Verschonungsabschlags (§ 13c ErbStG) die Verschonungsbedarfsprüfung (§ 28a ErbStG) wählen. Bei der Verschonungsbedarfsprüfung wird die Steuer, die auf das begünstigte Vermögen56 entfällt, erlassen, wenn und soweit der Erwerber die auf das begünstigte Vermögen entfallende Steuer nicht aus 50 Prozent des verfügbaren Ver-

49 50 51 52 53 54 55 56

§ 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG. § 13a Abs. 10 Satz 1 Nr. 1 ErbStG. § 13a Abs. 6 ErbStG. § 13a Abs. 3 Satz 1 ErbStG im Rahmen der Regelverschonung bzw. § 13a Abs. 10 Satz 1 Nr. 2 und 3 ErbStG im Rahmen der Optionsverschonung. § 13c Abs. 1 Satz 1 ErbStG. § 13c Abs. 1 Satz 2 ErbStG. § 13c Abs. 2 Satz 1 ErbStG. § 13a Abs. 1 ErbStG.

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mögens begleichen kann57. Verfügbares Vermögen ist sämtliches mitübergegangenes oder bereits vorhandenes Vermögen mit Ausnahme von begünstigungsfähigen Vermögen nach § 13b Abs. 2 ErbStG58. Zur Vermeidung erheblicher Härten kann dem Erwerber die nicht zu erlassene Steuer bis zu sechs Monaten nach den allgemeinen Vorschriften der Abgabenordnung gestundet werden59 um beispielsweise nicht fungibles Vermögen zu veräußern. Dieser Steuererlass steht unter auflösender Bedingung60: In das verfügbare Vermögen wird verfügbares Vermögen einbezogen, welches der Erwerber von begünstigtem Vermögen innerhalb von zehn Jahren von Todes wegen oder durch Schenkungen erhält61. In einem solchem Fall ist das verfügbare Vermögen um 50 Prozent des gemeinen Werts des weiteren erworbenen Vermögens zu erhöhen.62 Der Erwerber begünstigen Vermögens muss die Mindestlohnsumme von 700 Prozent63 und die Behaltensfrist64 von sieben Jahren einhalten. Soweit das verfügbare Vermögen nicht zur Begleichung der Steuer ausreicht, wird die Steuer bei Einhaltung der dargestellten Voraussetzungen erlassen. d) Stundung der Steuer für begünstigtes Vermögen Neben den unter III. 3. a) bis c) beschriebenen Verschonungsregimen tritt die Stundung der (Erbschaft-)Steuer für begünstigtes Vermögen65 (§ 28 Abs. 1 ErbStG). Gehört zum Erwerb von Todes wegen (nicht bei Schenkungen) begünstigtes Vermögen so hat der Erwerber einen Rechtsanspruch auf Stundung. Die auf begünstigtes Vermögen entfallende Steuer ist auf Antrag bis zu sieben Jahren zu stunden66. Während im ersten Jahr zinslos zu stunden ist, gelten in den sechs Folgejahren der Stundung die allgemeinen Verzinsungsregeln der Abgabenordnung.67 Die Stundung endet, wenn die Lohnsummenregelungen nicht eingehalten

57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67

§ 28a Abs. 1 Satz 1 ErbStG. § 28a Abs. 2 ErbStG. § 28a Abs. 3 ErbStG. § 28a Abs. 4 ErbStG. § 28a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 ErbStG. § 28a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG. § 28a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ErbStG. § 28a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ErbStG. § 13b Abs. 2 ErbStG. § 28 Abs. 1 Satz 1 ErbStG. § 28 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 ErbStG.

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und/oder gegen die Behaltensfrist verstoßen werden.68 Überträgt der Erwerber den Betrieb oder einen Anteil daran endet die Stundung.69

4. Begünstigtes Vermögen Das begünstigungsfähige Vermögen entspricht dem § 13b Abs. 1 ErbStG a.F.70 Nach § 13b Abs. 1 ErbStG gehört zum begünstigungsfähigen Vermögen land- und forstwirtschaftliches Vermögen71, Betriebsvermögen72 und Anteile an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Erblasser oder Schenker am Nennkapital der Kapitalgesellschaft unmittelbar zu mehr als 25 Prozent (Pooling möglich) beteiligt war73. Begünstigtes Vermögen ist stets der Nettowert74. Insgesamt von der Begünstigung ausgenommen wird begünstigungsfähiges Vermögen75, wenn der Wert des Verwaltungsvermögens – ohne Kürzung des gemeinen Werts des Verwaltungsvermögens mit den ermittelten anteiligen Schulden76 sowie dem Ansatz von unschädlichen Verwaltungsvermögens77 (also Bruttowert) – mindestens 90 Prozent des gemeinen Werts des begünstigungsfähigen Vermögens (§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG) beträgt78.

68 § 28 Abs. 1 Sätze 5 und 6 ErbStG: Hierbei wird differenziert zwischen der Regel- (vgl. § 13a Abs. 1 ErbStG) und Optionsverschonung (vgl. § 13a Abs. 10 ErbStG). 69 § 28 Abs. 1 Satz 8 ErbStG. 70 Vgl. Artikel 1 Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts – Erbschaftsteuerreformgesetz – ErbStRG v. 24.12.2008, BGBl. 2008, 3018. 71 § 13b Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. 72 § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG. 73 § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG. 74 § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG. 75 § 13b Abs. 1 ErbStG. 76 Vgl. § 13b Abs. 6 ErbStG. 77 Vgl. § 13b Abs. 7 ErbStG. 78 Dies gilt nicht soweit das Verwaltungsvermögen nicht ausschließlich und dauerhaft der Erfüllung von Schulden aus durch Treuhandverhältnisse abgesicherten Altersversorgungsverpflichtungen dient und dem Zugriff aller übrigen nicht aus diesen Altersversorgungverpflichtungen unmittelbar berechtigten Gläubiger entzogen ist – vgl. § 13b Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 ErbStG.

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5. Nicht begünstigtes Verwaltungsvermögen Vorab ist festzuhalten: Die bisherige gesetzliche Regelung sah vor, Verwaltungsvermögen bis zu 50 Prozent79 bei der Regelverschonung und bis zu zehn Prozent80 bei der Optionsverschonung wie begünstigtes Vermögen zu behandeln. Nunmehr wird Verwaltungsvermögen grundsätzlich nicht mehr begünstigt. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts81 muss das vom Gesetzgeber als nicht verschonungswürdig (förderungswürdig) gehaltene Vermögen grundsätzlich der Besteuerung zugeführt und steuermindernde Gestaltungen vermieden werden. Die Unterscheidung zwischen begünstigten Vermögen einerseits und (nicht begünstigtes) Verwaltungsvermögen anderseits anhand eines Verwaltungsvermögenskatalogs (§ 13b Abs. 4 ErbStG) wurde beibehalten. Der Verwaltungsvermögenskatalog hat folgende Neuerungen erfahren: a) Teile des begünstigungsfähigen Vermögens, welche abgegrenzt ausschließlich und dauerhaft der Erfüllung von Altersvorsorgeverpflichtungen (vgl. § 13b Abs. 3 ErbStG) dienen und dem Zugriff aller übrigen nicht aus den Altersvorsorgeverpflichtungen unmittelbar berechtigten Gläubigern entzogen sind, gehören bis zur Höhe des gemeinen Werts der Schulden aus Altersvorsorgeverpflichtungen nicht zum Verwaltungsvermögen82. Wurden Finanzmittel und Schulden berücksichtigt, bleiben sie bei den Finanzmitteln83 und bei der Ermittlung des Nettowerts des Verwaltungsvermögens84 außer Betracht. b) Grundstücken etc., welche an Dritte zur Nutzung überlassen werden, gehören – wie bisher – zum Verwaltungsvermögen85, es sei denn, die Grundstücke etc. werden vorrangig einem Dritten zur Nutzung überlassen, um im Rahmen von Lieferungsverträgen dem Absatz von eigenen Erzeugnissen und Produkten zu dienen (§ 13b Abs. 4 Nr. 1 Buchst. e) ErbStG). c) Der Katalog der zum Verwaltungsvermögen zu zählenden Kunstgegenstände, Kunstsammlungen usw. (vgl. § 13b Abs. 2 Nr. 5 ErbStG

79 80 81 82 83 84 85

Vgl. II. 4. und § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG a.F. Vgl. II. 4. und § 13a Abs. 8 Nr. 3 ErbStG a.F. Fn. 1, Tz. 231 ff. § 13b Abs. 4 Nr. 1 bis 5 ErbStG. § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG. § 13b Abs. 6 ErbStG. § 13b Abs. 2 Nr. 1 Buchst. e) ErbStG a.F.

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a.F.86) wurde um Briefmarkensammlungen, Oldtimer, Yachten, Segelflugzeuge sowie sonstige typischerweise der privaten Lebensführung dienenden Gegenstände erweitert.87 d) Auch der sog. Finanzmitteltest wurde modifiziert.88 Zahlungsmittel, Geschäftsguthaben, Geldforderungen und andere Forderungen werden zunächst mit den Schulden verrechnet und in Höhe von 15 Prozent bei Überschreitung des gemeinen Werts des Betriebsvermögens des Betriebs/der Gesellschaft wie als begünstigtes Vermögen behandelt. Dabei sind junge Finanzmittel, die dem Betrieb im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer weniger als zwei Jahre zuzurechnen waren, auszuscheiden. Wesentlich für die Behandlung des Nettobetrags der Finanzmittel wie begünstigtes Vermögen ist, dass keine vermögensverwaltende Tätigkeit im Hauptzweck des Betriebes oder der nachgeordneten Gesellschaft vorliegt89. e) Bei Erwerb von Todes wegen (nicht bei Schenkungen) entfällt rückwirkend die Zurechnung von Vermögensgegenständen zum Verwaltungsvermögen i.S.v. § 13b Abs. 4 Nr. 1 bis 5 ErbStG, wenn diese Vermögensgegenstände innerhalb des vom Erblasser erworbenen, begünstigungsfähigen Vermögens90 investiert und nicht eine anderweitige Ersatzbeschaffung von Verwaltungsvermögen vorgenommen wird (sog. Investitionsklausel91). Voraussetzung ist, dass die Investition auf einem vorgefassten Plan des Erblassers beruht und innerhalb von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer erfolgt. Ebenso entfällt rückwirkend die Zurechnung von Finanzmittel zum Verwaltungsvermögen bei Erwerb von Todes wegen, wenn sie als Vergütungen i.S.d. § 13a Abs. 3 Sätze 6 bis 10 ErbStG (Lohnzahlungen) gezahlt werden. Maßgeblich ist, dass die Lohnzahlungen trotz fehlender Einnahmen auf Grund wiederkehrenden saisonaler Schwankungen gezahlt werden. Voraussetzung ist auch hier, dass die Lohnzahlungen auf einem vorgefassten Plan des Erblassers beruht und innerhalb von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer erfolgt.

86 Vgl. Art. 1 Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts – Erbschaftsteuerreformgesetz – ErbStRG v. 24.12.2008, BGBl. 2008, 3018. 87 § 13b Abs. 4 Nr. 3 ErbStG. 88 § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG. 89 § 13b Abs. 4 Nr. 5 Sätze 4 und 5 ErbStG. 90 § 13b Abs. 1 ErbStG. 91 § 13b Abs. 5 ErbStG.

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f) Der Nettowert des Verwaltungsvermögens wird wie folgt ermittelt92: Der gemeine Wert des Verwaltungsvermögens wird um den nach Anwendung des § 13b Abs. 3 ErbStG (Altersvorsorgeverpflichtung, s. III, 5. a)) und § 13 Abs. 4 Nr. 5 (Finanzmitteltest, s. III; 5. d)) verbleibenden anteiligen gemeinen Wert der Schulden gekürzt. Der anteilige gemeine Wert der Schulden bestimmt sich nach dem Verhältnis des gemeinen Werts des Verwaltungsvermögens zum gemeinen Wert des Betriebsvermögens zuzüglich der nach Anwendung der Absätze 3 und 4 des § 13b ErbStG verbleibenden Schulden. Der Nettowert des nicht begünstigten Vermögens wird als unschädliches Verwaltungsvermögen behandelt, soweit der Nettowert des Verwaltungsvermögens zehn Prozent des Nettowerts des begünstigten Vermögens nicht übersteigt93. Stets unberücksichtigt bleiben das junge Verwaltungsvermögen und die jungen Finanzmittel, also dasjenige Vermögen, welches dem Betrieb weniger als zwei Jahre vor der Entstehung der Steuer zuzurechnen ist94. Um Gestaltungen zu verhindern kann der Wert des jungen Verwaltungsvermögens und der jungen Finanzmittel nach § 13b Abs. 8 Satz 1 ErbStG nicht durch die quotale Schuldensaldierung gemindert werden. Damit korrespondiert der Ausschluss bei der quotalen Schuldensaldierung von kurzfristig generierten nicht betrieblich veranlasster oder wirtschaftlich nicht belastender Schulden (§ 13b Abs. 8 Satz 2 ErbStG)

6. Verbundvermögensaufstellung Um den vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Kaskadeneffet zu vermeiden95 wird in mehrstufigen Beteiligungsstrukturen das ermittelte begünstigte Vermögen konsolidiert und eine Verbundvermögensaufstellung vorgenommen96. In der Verbundvermögensaufstellung sind anstelle der Beteiligungen an Personengesellschaften oder der Anteile an Kapitalgesellschaften die anteiligen (gemeinen) Werte des begünstigten Vermögens und des Verwaltungsvermögens auszuweisen. Finanzmittel97, junges Verwaltungsvermögen und junge Finanzmittel98 sowie der Saldo aus eingelegten und entnommenen Finanzmittel sind gesondert auf92 93 94 95 96 97 98

§ 13b Abs. 6 ErbStG. § 13b Abs. 7 Satz 1 ErbStG. § 13b Abs. 7 Satz 2 ErbStG. Vgl. Fn. 1, Tz. 259. § 13b Abs. 9 ErbStG. § 13b Abs. 9 Satz 2 ErbStG. § 13b Abs. 9 Satz 2 a.E. ErbStG.

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zuführen. Soweit sich innerhalb der Verbundvermögensaufstellung Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen den Gesellschaften untereinander oder im Verhältnis zu der übertragenen bzw. übergegangenen Gesellschaft gegenüberstehen, so sind die Forderungen und die Verbindlichkeiten zu verrechnen99. Nicht in die Verbundvermögensaufstellung einzubeziehen sind Anteile i.S. des § 13b Abs. 4 Nr. 2 ErbStG und wirtschaftlich nicht belastende Schulden; es handelt sich hierbei stets um Verwaltungsvermögen100.

7. Bewertungsgesetz Die Ermittlung des Unternehmenswert nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren (§§ 199 ff. des Bewertungsgesetzes (BewG)) wurde dahingehend modifiziert, dass der in diesem Verfahren anzuwendende Kapitalisierungsfaktor 13, 75 beträgt (§ 203 Abs. 1 BewG). Der Kapitalisierungsfaktor von 13, 75 ist auf Bewertungsstichtage nach dem 31. Dezember 2015 anzuwenden (§ 205 Abs. 1 BewG). Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates den Kapitalisierungsfaktor an die Entwicklung der Zinsstrukturdaten anzupassen (§ 203 Abs. 2 BewG).

99 § 13b Abs. 9 Satz 3 ErbStG. 100 § 13b Abs. 9 Satz 5 ErbStG.

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Die neue Unternehmenserbschaftsteuer – Überblick und erste Rechts- und Gestaltungsfragen – Dr. Christian von Oertzen1 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Frankfurt a.M. Inhaltsübersicht I. Einführung II. Bewertung III. Die begünstigungsfähigen Unternehmenseinheiten IV. Vorab-Abschlag für Familienunternehmen V. Der neue Verwaltungsvermögenstest – das begünstigte Vermögen VI. Lohnsummentest VII. Die Nachsteuertatbestände VIII. Verschonungstechniken

IX. Neue Stundungsvoraussetzungen im Erbfall X. Empfehlungen für Unternehmer bis zur Freigrenze von 26 Mio. Euro XI. Gestaltungsüberlegungen für Erwerber jenseits der 26 Mio. Euro-Grenze XII. Rückwirkungsfragen des neuen Gesetzes XIII. Unternehmenserbschaftsteuerrecht und EU-Beihilferecht XIV. Ausblick

I. Einführung Nach langem politischem Ringen ist die neue Unternehmenserbschafsteuer im Herbst 2016 verabschiedet worden.2 Die Reform war im Hinblick auf die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung vom 17.12.2014 erforderlich geworden.3 Die neue Unternehmenserbschaftsteuer gilt rückwirkend ab dem 1.7.2016. Daneben gab es auch im Bewertungsrecht

1 Dr. Christian von Oertzen ist Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht und Partner bei Flick Gocke Schaumburg, Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater Partnerschaft mbB mit Sitz in Bonn, Berlin, Frankfurt/M., Hamburg, München, Zürich und Wien. 2 BGBl. I 2016, S. 2464. 3 BVerfG, Urteil v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50.

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eine Änderung für das vereinfachte Ertragswertverfahren.4 Diese Änderung ist sogar rückwirkend auf den 1.1.2016 in Kraft getreten.5 Vereinfachend und aus Beratungssichtweise handelt es sich bei der neuen Unternehmenserbschaftsteuer um ein Mehr-Säulen-Modell der Begünstigung, das sich grafisch wie folgt darstellt:

Dieses Mehr-Säulen-Modell verdeutlicht auch die verschiedenen Elemente des Verschonungskonzeptes, an der dann ggf. auch Gestaltungen in der Beratungspraxis anknüpfen. Um überhaupt in eine Verschonung zu gelangen, sind zunächst zwei Filter zu durchlaufen. Das verschenkte bzw. zu vererbende Unternehmensvermögen muss dem Grunde nach begünstigungsfähiges Vermögen sein6. Ist diese Voraussetzung erfüllt, ist der sog. Verwaltungsvermögenstest zu durchlaufen, der dazu führt, dass als Saldo das begünstigte Vermögen verbleibt.7 Nur dieses begünstigte Vermögen kann überhaupt an einer Verschonung auf der Rechtsfolgenseite teilnehmen. Das Verschonungskonzept besteht ebenfalls aus verschiedenen Bausteinen: Zunächst gewährt das Gesetz einen besonderen Vorab-Abschlag für Familienunternehmen. Dieser Vorab-Abschlag wird ungeachtet der Größe der verschenkten oder vererbten Unternehmensbeteiligung gewährt, also sowohl bei kleinen oder mittleren Erwerben als auch bei sog. Großunternehmenserwerben.8 Für den so ermittelten Unternehmenswert 4 5 6 7 8

§ 203 Abs. 1 BewG. § 205 Abs. 11 BewG. § 13b Abs. 1 ErbStG. § 13b Abs. 2 ErbStG. § 13a Abs. 9 ErbStG.

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sind sodann rechtsfolgenseitig weitere verschiedene Verschonungskonzepte zu unterscheiden. Bei Erwerben bis zu einer Freigrenze von bis zu 26 Mio. Euro alle 10 Jahre wird vereinfacht so wie bisher mit einer 85 %-igen oder 100 %-igen Verschonung operiert, wenn die Betriebe fünf bzw. sieben Jahre fortgeführt und bestimmte Lohnsummen eingehalten werden.9 Zwischen Erwerben von 26 Mio. Euro bis 90 Mio. Euro schmilzt im Grundsatz der Verschonungsabschlag ab, alternativ kann der Steuerpflichtige aber auch die sog. Verschonungsbedarfsprüfung beantragen, dass ein Teil der Erbschaftsteuerschuld erlassen wird, wenn ihm nicht ausreichend verfügbares Vermögen gehört.10 Jenseits der 90 Mio. Euro ist die einzige Möglichkeit der Verschonung neben dem Vorab-Abschlag für Familienunternehmen, die Verschonungsbedarfsprüfung.11 Eine Besonderheit gibt es noch bei Erwerben von Todes wegen.12 Die genannten Verschonungskonzepte werden in diesem Fall mit einer Stundung bei Erwerb von Todes wegen auf max. sieben Jahre kombiniert. Nur das erste Jahr wird jedoch zinslos gestundet. In den Folgejahren entsteht eine Zinslast von 6 % p.a.

II. Bewertung Der Gesetzgeber hat rückwirkend auf den 1.1.2016 den Kapitalisierungsfaktor auf das maximal 13,75-fache gem. § 203 Abs. 1 BewG begrenzt. Durch Rechtsverordnung kann dieser Kapitalisierungsfaktor verändert werden. Diese Regelung gilt rückwirkend ab dem 1.1.2016.13 Diese Rückwirkung kann auch nachteilig für den Steuerpflichtigen wirken, sodass sich die Frage stellt, ob es sich bei der Rückwirkungsanordnung des Art. 3 des Gesetzes zur Anpassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um eine verfassungsrechtliche zulässige Rückwirkung handelt.14 Hierzu wird nochmals unter XII. eingegangen werden. 9 10 11 12 13 14

§ 13a Abs. 1 und 3 bzw. Abs. 10 ErbStG. § 13c Abs. 1 Satz 1 i.V.m § 28a Abs. 1 ErbStG. § 13c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 28a Abs. 1 ErbStG. § 28 Abs. 1 Satz 1 bis 3 ErbStG. BGBl. I 2016, S. 2472. Vgl. BVerfGE 45, 142, 167 f.; BVerfGE 101, 239, 262; Reich, BB 2016, 1879, 1883 f.; Reich, DStR 2016, 1459, 1460 ff.; ebenfalls diesem Diskussionsthema Crezelius, ZEV 2016, 541, 542 f.; Seer, GmbHR 2016, 673 ff.; Druejen, DStR 2016, 643 ff.; Koblenz/Gunther, DB 2016, 2016 ff.; Höreth/Stelzer, DStZ 2016,

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III. Die begünstigungsfähigen Unternehmenseinheiten Das Gesetz regelt, so wie bisher, zunächst welche Unternehmenseinheiten dem Grunde nach begünstigungsfähig sind. Die Regelung in § 13b Abs. 1 ErbStG ist im Verhältnis zum alten Recht im Wesentlichen unverändert geblieben. Wie bisher ist dem Grunde nach auch die gewerblich geprägte Personengesellschaft begünstigungsfähiges Unternehmensvermögen.15 Während des Gesetzgebungsverfahrens wurde eine Sonderregelung für Holdinggesellschaften diskutiert, die einen erheblichen Umstrukturierungsbedarf für die deutschen mittelständischen Unternehmen ausgelöst hätte.16 Diese Holdingregelung ist jedoch nicht im finalen Gesetzestext enthalten. Wie bisher bleibt es daher dabei, dass die Land- und Forstwirtschaft innerhalb der EU/EWR, ferner Einzelunternehmen sowie Mitunternehmerschaften mit Betriebsstätten innerhalb der EU/EWR begünstigungsfähiges Vermögen sind, ferner Kapitalgesellschaften, sofern Sitz oder Geschäftsleitungsort innerhalb der EU/EWR liegen.17 Damit ist der besondere Dualismus in der Anknüpfung für die Begünstigung dem Grunde nach zwischen der Mitunternehmerschaft und der Kapitalgesellschaft erhalten geblieben. Bei der Personengesellschaft kommt es darauf an, dass deren Vermögen einer Betriebsstätte innerhalb der EU/EWR zuzuordnen ist, während bei der Kapitalgesellschaft der Sitz oder Geschäftsleitungsort die maßgeblichen Anknüpfungselemente sind. Hier ist es gleichgültig, welchen Betriebsstätten das Vermögen zugeordnet wird. Dann muss aber auch davon ausgegangen werden, dass die Auffassung der Finanzverwaltung zu Drittlandsbetriebsvermögen aus RE 13b5 Abs. 4 ErbStR 2011, wenn die oberste Unternehmenseinheit eine deutsche Mitunternehmerschaft ist, unverändert im neuen Anwendungserlass zur Erbschafsteuer fortgelten wird. Drei Beispiele sollen die internationale Dimension der Reichweite der neuen Unternehmensverschonungstatbestände verdeutlichen.

901 ff.; Guerra/Mühlhaus, ErbStB 2016, 230 ff.; Wachter, GmbHR 2015, R17, R18. 15 § 13b Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG. 16 BT-Drucks. 18/5923 S. 11 und 26; BT-Drucks. 18/6279 S. 8. 17 § 13b Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ErbStG.

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Obwohl die Schweizer Betriebsstätte zum Betriebsvermögen der deutschen Mitunternehmerschaft gehört, fällt das Schweizer Betriebsstättenvermögen aus der Begünstigung heraus, weil es sich insoweit um Drittstaatenvermögen handelt.

Nunmehr ist die Betriebsstätte in einer Personengesellschaftsbeteiligung verkörpert. Nach der Erlassregelung wird man aber die Personengesellschaftsbeteiligung erbschaftsteuerlich (nicht ertragsteuerlich) der deutschen Betriebsstätte zuordnen, sodass nunmehr das Betriebsvermögen der Schweizer KG begünstigungsfähiges Unternehmensvermögen wird,

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das dem Grunde nach an dem neuen Verschonungskonzept teilnehmen kann.

Nunmehr ist die Top Holding eine deutsche Kapitalgesellschaft. Bei der Kapitalgesellschaft ist allein entscheidend, wo der Sitz oder Geschäftsleitungsort liegt. Die Belegenheit des Vermögens ist unerheblich. Folge ist, dass das Gesamtvermögen der GmbH ungeachtet seiner Belegenheit dem Grunde nach begünstigungsfähiges Vermögen darstellt.

IV. Vorab-Abschlag für Familienunternehmen In § 13a Abs. 9 ErbStG hat das Erbschaftsteuergesetz einen besonderen Vorab-Abschlag für Familienunternehmen eingeführt. Sind drei Voraussetzungen erfüllt, qualifiziert das begünstigte Vermögen als ein erbschaftsteuerliches Familienunternehmen, sodass ein besonderer Bewertungsabschlag zu gewähren ist. Durch die systematische Stellung in § 13a Abs. 9 ErbStG zeigt sich, dass es sich nicht um eine Bewertungsvorschrift, sondern um eine Verschonungsvorschrift handelt. Voraussetzungen sind, dass der Familiengesellschaftsvertrag eine Verfügungsbeschränkung bei Anteilsabtretungen enthält.18 Die Abtretbarkeit muss auf Mitgesellschafter, Angehörige i.S.d. § 15 AO und auf Familienstiftungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG beschränkt sein. Ferner muss der Gesellschaftsvertrag eine gesellschaftsvertragliche Abfindungsbeschränkung für den Fall des Ausscheidens aus der Gesellschaft ent18 § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 ErbStG.

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halten.19 Ferner müssen Gewinnentnahmen oder Ausschüttungen beschränkt sein auf max. 37,5 % des um die Ausschüttungsbelastung bzw. Einkommensteuerbelastung gekürzten steuerbilanziellen Gewinns.20 Rechtsfolge des Vorab-Abschlags für Familienunternehmen ist, dass ein Bewertungsabschlag in Höhe der gesellschaftsvertraglichen Abfindungsbeschränkung auf das begünstigte Vermögen vorgenommen wird, max. jedoch 30 %.21 Weitere Voraussetzung für diese Rechtsfolge ist jedoch auch, dass diese Kriterien zwei Jahre vor und 20 Jahre nach dem Erbfall bzw. nach der Schenkung eingehalten werden.22 Die Nichteinhaltung führt rückwirkend zum Entfallen des Abschlages.23 Hierfür gibt es keine Abschmelzung i.S.d. § 13a Abs. 6 ErbStG. Insbesondere diese Regelung wird sich in vielen Fällen in der Praxis nicht durchsetzen bzw. scheitern. Der Tatbestand des Vorab-Abschlags enthält eine Vielzahl von derzeit unklaren Rechtsfolgen bzw. Tatbestandselementen.24 Als Beispiel sei genannt wie die unschädliche Steuerquote bei Personengesellschaften ermittelt wird: konkret individuell oder abstrakt generell? Unklar ist auch die Bedeutung des Verweises auf § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG. Ordnet das Gesetz – höchstwahrscheinlich EU-rechtswidrig – eine Beschränkung auf die inländische Familienstiftung an, oder ist der Verweis auf § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG nur der Verweis auf ein abstraktes Qualifikationskriterium im Sinne der Umschreibung der erbschaftsteuerlichen Familienstiftung in § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG, ohne an die Inländereigenschaft anzuknüpfen?25 Schließlich stellt sich die Frage, ob Poolverträge oder Gesellschaftervereinbarungen ebenfalls Gesellschaftsverträge oder Satzungen i.S.d. § 13a Abs. 9 ErbStG sind. So sind z.B. Abfindungsbeschränkungen in den Satzungen von AGs nicht möglich. Die Abfindungsbeschränkungen innerhalb von Familien AGs werden deswegen in Nebenabreden aufgenommen. Es ist aber zu befürchten, dass § 13a Abs. 9 19 20 21 22 23 24

§ 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 ErbStG. § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 ErbStG. § 13a Abs. 9 Satz 2 ErbStG. § 13a Abs. 9 Satz 3 ErbStG. § 13a Abs. 9 Satz 4 ErbStG. Reich, DStR 2016, 1459 ff.; Reich, DStR 2016, 2447 ff.; Reich, BB 2016, 1879, 1882; Herbst, ErbStB 2016, 250, 259; Oppel, SteuK 2016, 469, 473 ff.; Wachter, FR 2016, 690, 701 ff.; Weber/Schwind, ZEV 2016, 688 ff.; Pauli, WPg 2017, 282 ff.; Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425, 2426 ff.; Crezelius, ZEV 2016, 541, 544. 25 Vgl. Reich, DStR 2016, 2447, 2448; Wachter, FR 2016, 690, 700.

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ErbStG nur auf die eigentliche Satzung abstellt und Nebenabreden nicht umfasst.26 Unter Beratungsgesichtspunkten sind die folgenden Maßnahmen zu ergreifen: Zunächst sollte überprüft werden, welche der drei Tatbestandsmerkmale der Familiengesellschaftsvertrag schon enthält. Regelmäßig sind das Kriterium der Abfindungsbeschränkung und der Vinkulierung ohne Probleme zu erfüllen bzw. schon vorhanden. Problematisch wird in der Praxis das Kriterium der Entnahme- oder Ausschüttungsbeschränkung sein. Oftmals wird man erst durch Neuabschluss entsprechender Vereinbarungen aufgrund der zweijährigen Vorlaufszeit in den Vorab-Abschlag „hineinwachsen“. Möchte man den Vorab-Abschlag nutzen, so ist darüber hinaus ein dauerhaftes Monitoring in der Familiengesellschaft erforderlich, um auch die Nachsteuerperiode von 20 Jahren nicht zu verletzen. Möchte man an dem Vorab-Abschlag festhalten, werden sicherlich in der Praxis „Familienbusgestaltungen“ eingeführt werden. Gemeinsam werden Schenkungszeitfenster in der Gesellschafterversammlung festgesetzt, um den Monitoringaufwand durch einheitliche Schenkungsstichtage in Grenzen zu halten. Eine Familie sollte sich deshalb gut überlegen, ob sie sich entsprechend des § 13a Abs. 9 ErbStG binden möchte, weil es auch Fallgruppen gibt, in denen es des Vorab-Abschlages gar nicht bedarf: Als Beispiel können die Fälle dienen, bei denen es auch ohne Vorab-Abschlag möglich ist, innerhalb der 26 Mio. Euro Säule im Rahmen der Normalverschonung zu schenken oder in den Fällen, in denen es relativ wenig verfügbares Vermögen gibt, aber ein Großunternehmenserwerb vorliegt. Die Verschonungsbedarfsprüfung bedeutet nämlich, dass max. 50 % des sog. verfügbaren Vermögens eingesetzt werden müssen.27 Ist das verfügbare Vermögen relativ klein, der Unternehmenswert aber sehr hoch, so kann es Fälle geben, in denen sich der Vorab-Abschlag nicht auswirkt. Hierzu folgender Beispielsfall: Das Unternehmen hat einen Unternehmenswert vor Anwendung des Vorab-Abschlags von 1 Mrd. Euro. Das verfügbare Vermögen des Beschenkten soll 100 Mio. Euro betragen. Das Unternehmen wird an eine Person der Steuerklasse I verschenkt.

26 Reich, BB 2016, 1879, 1882; Troll/Gebel/Jülicher/Jülicher, 51. EL November 2016, ErbStG § 13a Rz. 487. 27 § 28a Abs. 2 ErbStG; vgl. dazu von Oertzen/Reich, BB 2015, 1559, 1561.

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Vor Anwendung des Vorab-Abschlags beträgt die Erbschaftsteuer in der Familiensteuerklasse 300 Mio. Euro. Bei Anwendung des Vorab-Abschlags beträgt die Erbschaftsteuerbelastung 210 Mio. Euro. Optiert der Beschenkte für die Verschonungsbedarfsprüfung gem. § 28a ErbStG, so muss er max. 50 % seines verfügbaren Vermögens einsetzen, also im gebildeten Beispielsfall 50 Mio. Euro. Ist die maximal zu zahlende Erbschaftsteuer auf 50 Mio. Euro begrenzt, dann ist es für den Steuerpflichtigen grundsätzlich gleichgültig, ob seine Bemessungsgrundlage 1 Mrd. Euro oder 700 Mio. Euro beträgt.

V. Der neue Verwaltungsvermögenstest – das begünstigte Vermögen Am tiefgreifendsten neben der Rechtsfolgenseite ist der sog. Verwaltungsvermögenstest verändert worden. Das bisher geltende Alles-oderNichts-Prinzip wurde ersetzt durch das Soweit-Prinzip mit einer Schmutzgrenze von 10 % des Unternehmenswerts zur Bestimmung des begünstigten Vermögens.28 Wie bisher ist das Verwaltungsvermögen enumerativ aufgezählt.29 Es sind jedoch auch neue Klarstellungen hinzugekommen. So gehören Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke nicht zum Verwaltungsvermögen wenn sie vorrangig überlassen worden sind, um dem Absatz von eigenen Erzeugnissen zu dienen.30 Ferner sind Luxusgüter im Betriebsvermögen grundsätzlich nicht begünstigt.31 Finanzmittel sind dann schädliches Verwaltungsvermögen, soweit ihr Wert nach Abzug aller Schulden 15 % des gemeinen Werts des gesamten Betriebsvermögens übersteigt.32 Darüber hinaus ist geregelt worden, dass Altersversorgungsvermögen in der Höhe der Schulden aus den Altersversorgungsverpflichtungen nicht zum Verwaltungsvermögen gehört.33 Sodann ist das Nettoverwaltungsvermögen zu ermitteln. Dies geschieht durch Abzug der Verbindlichkeiten, wobei die Verbindlichkeiten in einer Verhältnisrechnung zerlegt werden.34 28 § 13b Abs. 2 und 7 ErbStG; vgl. dazu Reich, BB 2016, 1879, 1880 f.; Korezkij, DStR 2017, 745, 751. 29 § 13b Abs. 4 ErbStG; dazu Piltz, ZEV 2008, 229, 231. 30 § 13b Abs. 4 Nr. 1 lit. e ErbStG. 31 § 13b Abs. 4 Nr. 3 ErbStG. 32 § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG; vgl. dazu Korezkij, DStR 2017, 745. 33 Vgl. weiterführend von Oertzen/Reich, Ubg 2017, 1. 34 § 13b Abs. 6 und 7 ErbStG.

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Das Gesetz hat dabei noch eine besondere Missbrauchsverhinderungsvorschrift in § 13b Abs. 2 ErbStG aufgenommen. Kein begünstigtes Vermögen liegt vor, wenn das Verwaltungsvermögen i.S.d. § 13b Abs. 4 ErbStG mindestens 90 % des gemeinen Wertes des Betriebsvermögens beträgt. Das Problem dieser Missbrauchsverhinderungsvorschrift ist, dass die 90 %-Grenze brutto errechnet wird, d.h. das Verwaltungsvermögen ohne vorherige Schuldenverrechnung ins Verhältnis zum Unternehmenswert gesetzt wird.35 Diese Vorschrift kann insbesondere Handelsunternehmen treffen. Neu ins Gesetz gekommen ist auch eine Investitionsklausel für das Verwaltungsvermögen.36 Diese Regelung greift nur im Erbfall und ermöglicht, dass wenn innerhalb von zwei Jahren nach einem Erbfall Verwaltungsvermögen aufgrund eines Investitionsplans des Erblassers in begünstigtes Vermögen umgesetzt wird, sich rückwirkend die Verwaltungsvermögensquote verändert. Der Wortlaut des Gesetzes geht ersichtlich vom Einzelunternehmen aus. Die Regelung gilt aber auch für jede andere Form des Familienunternehmens.37 Es stellen sich dann jedoch Folgefragen, z.B. ist der taugliche Investitionsplan auch dann gegeben, wenn die Geschäftsleitung einen Investitionsplan verabschiedet hat, aber die Gesellschafter diesen vor der Schenkung oder des Erbfalls noch nicht beschlossen haben oder umgekehrt: Der Erblasser hatte einen Investitionsplan, die Geschäftsleitung hat diesem noch nicht zugestimmt. Schließlich stellt sich die Frage, ob der von der Geschäftsleitung beschlossene Investitionsplan auch der Investitionsplan des Kommanditistenerblassers ist, der gem. § 164 HGB kraft Gesetzes von der Geschäftsführung ausgeschlossen ist. In mehrstufigen Strukturen wird in Zukunft konsolidiert im Verbund das Verwaltungsvermögen ermittelt.38 Auf diese Weise erreicht der Gesetzgeber die Abschaffung des vom Bundesverfassungsgericht kritisierten Kaskadeneffekts im alten Verwaltungsvermögenstest. Aber auch hier stellen sich eine ganze Reihe von Fragen, z.B. wie wirkt sich die Umstrukturierung des Verwaltungsvermögens im Konzern aus. Führt die Weiterleitung von Vermögen der Obergesellschaft an die Untergesellschaft zu 35 Korezkij, DStR 2016, 2434, 2441 f.; Troll/Gebel/Jülicher/Jülicher, 51. EL November 2016, ErbStG § 13b Rz. 245. 36 § 13b Abs. 5 ErbStG. 37 Wachter, FR 2016, 690, 615; Bäuml, NWB 2016, 3516, 3521; Troll/Gebel/Jülicher/Jülicher, 51. EL November 2016, ErbStG § 13b Rz. 364. 38 § 13b Abs. 9 ErbStG.

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neuem jungen Verwaltungsvermögen oder Finanzmitteln bei den Untergesellschaften oder bleibt es, weil im Verbund ermittelt wird, weiterhin Verwaltungsvermögen bisheriger Qualität?39 Es bleibt zu hoffen, dass zu vielen dieser Rechtsfragen der Anwendungserlass für die Praxis Klarheit bringen wird.

VI. Lohnsummentest Der Lohnsummentest als verfassungsrechtliche Kernlegitimation bleibt im Grundsatz in der bisherigen Form erhalten. Neu hinzugekommen ist, dass die Mindestlohnsumme sich nach der Anzahl der Beschäftigten staffelt.40 Zukünftig ist der Lohnsummentest nicht nur bei der Inanspruchnahme des Verschonungsabschlags, sondern auch bei der Inanspruchnahme der zinslosen Stundung nach § 28 Abs. 1 Satz 2 ErbStG sowie bei der Verschonungsbedarfsprüfung des § 28a Abs. 4 Nr. 1 ErbStG beachtlich. Ein Verstoß gegen die Lohnsumme hat dieselben Rechtsfolgen wie bisher.41

VII. Die Nachsteuertatbestände Die Nachsteuertatbestände samt Rechtsfolgen sind unverändert geblieben.42

VIII. Verschonungstechniken Je nach Größe des begünstigten Unternehmensanteils, der übertragen worden ist, sind die Verschonungsfolgen unterschiedlich. Erster Baustein sind die Erwerbe bis 26 Mio. Euro: hierbei handelt es sich um eine erwerberbezogene Freigrenze alle 10 Jahre. Bei der Ermittlung der 26 Mio. EuroGrenze ist darüber hinaus § 37 Abs. 12 ErbStG zu beachten. Diese komplizierte Zurechnungsvorschrift soll am folgenden Beispielsfall erläutert werden:

39 Scholten/Korezkij, DStR 2009, 147 ff.; Höreth/Stelzer, DStZ 2016, 901, 903. 40 § 13a Abs. 3 Satz 1 und 3 Nr. 1 und 2 ErbStG. 41 Wird die Lohnsumme unterschritten, so verringert sich die Verschonungsquote rückwirkend um denselben Prozentsatz um den die Lohnsumme unterschritten wurde (§ 13a Abs. 3 Satz 4 ErbStG). 42 § 13a Abs. 6 ErbStG n.F. entspricht § 13a Abs. 5 ErbStG a.F.

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von Oertzen, Die neue Unternehmenserbschaftsteuer Fall: 2012 schenkte der Vater seiner Tochter eine Cash GmbH im Wert von 10 Mio. Euro. Nunmehr schenkte er ihr „echtes“ Betriebsvermögen im Wert von 20 Mio. Euro.

In dieser Fallkonstellation stellt sich die Frage, ob bei der Ermittlung der Freigrenze von 26 Mio. Euro die Satzung der Cash GmbH zu berücksichtigen ist. Nach Auffassung der Literatur sollte dies nicht der Fall sein.43 Die Finanzverwaltung geht jedoch davon aus, dass zwar die Cash GmbH nicht rückwirkend einer anderen Besteuerung als in dem Jahr 2012 unterworfen werden kann, sie aber mitzählt bei der Ermittlung der 26 Mio. EuroGrenze. Angewandt auf den vorliegenden Fall würde dies bedeuten, dass die Tochter nicht nach dem Normalverschonungskonzept bei einem Erwerb bis 26 Mio. Euro verschont würde, sondern sie so behandelt wird, als ob sie 30 Mio. Euro begünstigtes Vermögen erhalten hätte. Zweiter Baustein ist der abschmelzende Verschonungsabschlag: Jenseits der 26 Mio. Euro schmilzt der Verschonungsabschlag auf Antrag ab. Die Abschmelzung endet bei einem begünstigten Vermögen von 90 Mio. Euro. Jenseits der 90 Mio. Euro wird nur noch nach der Verschonungsbedarfsprüfung eine Steuervergünstigung gewährt. Dazu kann der Großunternehmenserwerber ab 90 Mio. Euro (bzw. ab 26 Mio. Euro auf Antrag) den Erlass für die auf das begünstigte Vermögen anfallende Steuer beantragen, soweit er nachweisen kann, dass er persönlich nicht in der Lage ist, die Steuer aus seinem verfügbaren Vermögen zu begleichen.44 Das Gesetz verlangt, dass er 50 % des verfügbaren Vermögens für Erbschaftsteuerzahlungen einzusetzen hat.45 Verfügbares Vermögen ist das bei ihm vorhandene Privatvermögen, ferner das bei ihm vorhandene nicht begünstigte Privatvermögen, darüber hinaus miterworbenes Betriebsvermögen und nichtbegünstigtes Betriebsvermögen sowie jeder schenkungsteuerbare Erwerb innerhalb von 10 Jahren, auch von an-

43 Reich, BB 2016, 1 (Editorial); Reich, BB 2016, 1879, 1882 f.; Wachter, GmbHR 2017, 1, 11; Wachter, FR 2016, 690, 704; Wachter, GmbHR 2015, R17 f.; von Oertzen/Reich, BB 2013, 1559 ff.; Korezkij, DStR 2017, 189, 192; Zipfel/ Lahme, DStZ 2016, 566, 569, 574. 44 § 13c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 28a Abs. 1 ErbStG. 45 § 28a Abs. 2 ErbStG.

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deren Personen als dem Schenker, sofern es sich um Privatvermögen oder nichtbegünstigtes Betriebsvermögen handelt.46 Auch in der Verschonungsbedarfsprüfung stellen sich verschiedene Fragen. So stellt sich z.B. bei der Bewertung des verfügbaren Vermögens die Frage, ob latente Einkommensteuern berücksichtigungsfähig sind. Erwirbt z.B. der Beschenkte durch Todesfall Unternehmensvermögen im Wert von 200 Mio. Euro und gehört ihm schon eine Grundbesitz GmbH & Co. KG, wobei der Verkehrswert der Grundstücke der KG 15 Mio. Euro und der Buchwert 10 Mio. Euro beträgt, so stellt sich die Frage, ob beim verfügbaren Vermögen anders als sonst im Erbschaftsteuerrecht die latente Einkommensteuer abzugsfähig ist, da es um die Leistungsfähigkeit des Erwerbers geht. Die Finanzverwaltung tendiert dem Vernehmen nach dazu, wie auch sonst im Erbschaftsteuerrecht, die latente Einkommensteuer bei der Bewertung des verfügbaren Vermögens unberücksichtigt zu lassen.

IX. Neue Stundungsvoraussetzungen im Erbfall § 28 ErbStG ist neu geregelt worden. Nunmehr gibt es einen Rechtsanspruch auf eine siebenjährige Stundung bei durch Erbfall erlangtem begünstigten Vermögen. Diese Stundung kann kombiniert werden mit den verschiedenen anderen Säulen des Verschonungskonzepts. Voraussetzung ist nur, dass der Lohnsummentest und die Behaltensregeln beachtet werden. Aus gestalterischer Sicht ist darauf hinzuweisen, dass nur die Stundung im ersten Jahr zinslos ist, und die folgenden 6 Jahresbeträge mit 6 % p.a. gestundet werden.47 Dies führt zu der Gestaltungsüberlegung, statt eine staatliche Stundung mit 6 % p.a. Stundungszins zu akzeptieren, zu versuchen, ab dem zweiten Jahr einen Bankkredit mit Zinssätzen von deutlich unter 6 % zu erlangen.

X. Empfehlungen für Unternehmer bis zur Freigrenze von 26 Mio. Euro Da es sich bei der 26 Mio. Euro-Grenze um eine erwerberbezogene Freigrenze handelt, die alle 10 Jahre gewährt wird, lautet die Beratungsempfehlung nicht in einer Einmalaktion, sondern zeitlich gestaffelt über 46 § 28a Abs. 2 Nr. 1 und 2 sowie Abs. 4 Nr. 3 ErbStG. 47 § 28 Abs. 1 ErbStG.

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mehrere 10-Jahres-Zeiträume, die 26 Mio. Euro-Freigrenze für den Erwerber zu vervielfachen. Schließlich kann man die Freigrenze auch durch die Vervielfältigung der Erwerber vergrößern, indem man alle Kinder einbindet, oder mehrere Familienmitglieder, wie Ehegatten und auch Enkelkinder, und schließlich auch über Familienstiftungen als Wunscherwerber nachdenkt48.

XI. Gestaltungsüberlegungen für Erwerber jenseits der 26 Mio. Euro-Grenze Jenseits der 26 Mio. Euro-Grenze wird man sorgfältig abwägen, ob man bei Erwerben bis 90 Mio. Euro die Abschmelzungslösung des § 13c ErbStG akzeptiert, oder in die sog. Verschonungsbedarfsprüfung auf Antrag gem. § 28a ErbStG einsteigt49. Entschließt man sich für diese Möglichkeit, muss der Planungsansatz sein, nichtbegünstigtes Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG zu vermeiden und dies auf drei Ebenen: –

auf Ebene des Erblassers oder Schenkers



in der begünstigten verschenkten oder vererbten Einheit



auf Erwerberseite.50

Die Besonderheit auf der Erwerberseite ist, dass hier nicht nur die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erwerbs, sondern auch die Verhältnisse in einer 10-jährigen Nachsteuerperiode mit zu berücksichtigen sind. Als Beratungsempfehlung gilt, dass ein Erblasser oder Schenker keine kombinierte Übertragung von begünstigtem und nichtbegünstigtem Vermögen auf den gleichen Erwerber vornehmen sollte, sondern diese Vermögen voneinander trennen sollte und z.B. erst das Betriebsvermögen übertragen sollte und nach 10 Jahren das Privatvermögen auf denselben Erwerber oder das Privatvermögen auf ein anderen Erwerber.51 Bezüglich der verschenkten Unternehmenseinheit könnte man überlegen, vorhandenes Privatvermögen in das begünstigte Betriebsvermögen zu überführen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass aufgrund der neuen Definition des jungen Verwaltungsvermögens derartige Gestaltungen sehr erschwert worden sind. Tendenziell kann man aber schließen, dass 48 Vgl. auch von Oertzen/Reich, Ubg 2015, 629, 631 f. 49 Vgl. auch Reich, BB 2016, 1879, 1882 f.; Korezkij, DStR 2017, 189. 50 Vgl. auch Reich, DStR 2016, 2447; Reich, BB 2016, 1879, 1882 f.; Korezkij, DStR 2017, 745, 751. 51 Reich, DStR 2016, 2447, 2449 ff.

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eine Gewinnthesaurierung im Unternehmen bei gleichzeitigem Verbrauch von Privatvermögen für die Verschonungsbedarfsprüfung günstig ist, weil so das vorhandene steuerlich schädliche Privatvermögen abschmilzt. Erwerberseitig ist der optimale Erwerber ein Erwerber ohne verfügbares Vermögen. Hat dieser verfügbares Vermögen, sollte er sich unter erbschaftsteuerplanerischen Überlegungen vor dem Erwerb „armschenken“.52 Schließlich bietet es sich auch an, über weitere Erwerber zur Trennung von begünstigtem und nicht begünstigtem Vermögen ggf. auch unter Beteiligung von Familienstiftungen nachzudenken53.

XII. Rückwirkungsfragen des neuen Gesetzes Das vereinfachte Ertragswertverfahren bietet einem Vervielfältiger von 13,75 % an für alle Erwerbe ab 1.1.2016.54 Dieser Vervielfältiger kann sich aber auch nachteilig für schon vollzogene Altschenkungen des ersten Halbjahres 2016 auswirken. Hierzu folgender Beispielsfall: Der Unternehmer U schenkt seinem Sohn eine GmbH & Co. KG mit Gewinn von ca. 1 Mio. Euro am 30.4.2016. Das Verwaltungsvermögen beträgt 8 Mio. Euro.

Bis zum Inkrafttreten des neuen Erbschaftsteuerreformgesetzes qualifizierte das Unternehmen im vereinfachten Ertragswertverfahren für die Regelverschonung, da die Verwaltungsvermögensquote unter 50 % lag. Durch das Inkrafttreten des neuen § 203 BewG beträgt der gemeine Wert nur noch knapp 14 Mio. Euro. Rückwirkend wird die 50 %-Grenze der alten Verwaltungsvermögensquote deutlich überschritten, sodass nach Inkrafttreten des Unternehmenserbschaftsteuerreformgesetzes die Schenkung nicht mehr für das alte Begünstigungssystem qualifiziert. Meines Erachtens handelt es sich hierbei um einen Fall einer echten Rückwirkung in einen abgeschlossenen Sachverhalt. Schließlich stellt sich auch die Frage, ob eine echte Rückwirkung für die Fälle vorliegt, in denen nicht vor dem 30.6.2016, sondern in der Zeit vom 1.7.2016 bis zum Ergebnis des Vermittlungsausschusses Mitte September 2016 geschenkt oder vererbt wurde. Diese Frage hat intensiv die Literatur beschäftigt und das Meinungsspektrum reicht von der Auffassung, dass 52 Reich, DStR 2016, 1459, 1461; Troll/Gebel/Jülicher/Jülicher, 51. EL November 2016, ErbStG § 28a Rz. 16. 53 Vgl. von Oertzen/Reich, Ubg 2015, 629, 631 f. 54 § 203 Abs. 1 BewG; BGBl. I 2016, S. 2472.

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in dieser Zeit überhaupt keine Erbschaftsteuer galt, weil es sich um eine echte Rückwirkung handelt,55 bis zu der These, dass der Vertrauensschutz am 1.7.2016 ohnehin zerstört war und in dieser Zeit rückwirkend eine neues Recht in Kraft gesetzt werden konnte.56

XIII. Unternehmenserbschaftsteuerrecht und EU-Beihilferecht Eine Frage ist im Erbschaftsteuerreformgesetz ungelöst geblieben und ist auch nicht durch ein entsprechendes Notifizierungsverfahren von der Bundesregierung in Brüssel angezeigt worden, nämlich die Frage, ob es sich bei dem neuen Unternehmensverschonungskonzept um eine EUBeihilfe handelt. Das Meinungsspektrum ist breit gefächert und reicht von der These, dass es sich bei dem Unternehmenserbschaftsteuerverschonungskonzept um eine Beihilfe i.S.d. Art. 107 ff. AEUV handelt,57 bis zur Auffassung dass es sich überhaupt nicht dem Grunde nach um eine EU-Beihilfe handeln kann.58 Würde es sich um eine nichtgerechtfertigte Beihilfe handeln, wären für Schenker und Beschenkten die Folgen dramatisch: Die Vorschriften zur Unternehmenserbschaftsteuer würden einem strikten Durchführungsverbot gem. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV unterliegen.59 Würde die Unternehmenserbschaftsteuerverschonung gewährt, wäre die Finanzverwaltung verpflichtet, die Rückforderung der gewährten Beihilfe vom Steuerpflichtigen zu verlangen, d.h. nachträglich die Verschonung zu versagen und eine Nachversteuerung vorzunehmen. Präventiv könnte sich auch der Steuerpflichtige nicht durch eine verbindliche Auskunft hiervor schützen, weil der Vorrang des EU-Rechts einen entsprechenden Vertrauensschutz nicht gewährt60.

55 Reich, DStR 2016, 1459, 1460 ff.; ebenfalls diesem Diskussionsthema Crezelius, ZEV 2016, 541, 542 f.; Seer, GmbHR 2016, 673 ff.; Druejen, DStR 2016, 643 ff.; Koblenz/Gunther, DB 2016, 2016 ff.; Höreth/Stelzer, DStZ 2016, 901 ff.; Guerra/Mühlhaus, ErbStB 2016, 230 ff.; Wachter, GmbHR 2015, R17, R18. 56 Vgl. zu diesem Diskussionsthema auch Seer, GmbHR 2016, 673 ff.; Druejen, DStR 2016, 643 ff.; Koblenz/Gunther, DB 2016, 2016 ff. 57 Vgl. hierzu Wachter, DB 2016, 1273; Reimer, BB 2016, 1 (Editorial). 58 Vgl. überzeugend de Weerth, DB 2017, 275. 59 Wachter, DB 2016, 1273; Reimer, BB 2016, 1 (Editorial). 60 Vgl. Wachter DB 2016, 1273.

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Die einzige Möglichkeit, die der Steuerpflichtige in diese Situation hat, wäre dass er sich für diesen Fall ein Rückforderungsrecht mit erbschaftsteuerlicher Wirkung gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG vorbehält. Nachteil dieser Regelung ist jedoch, dass dieser Schutz nur reaktiv wirkt. D.h. wenn nachträglich die Verschonung aus EU-rechtlichen Gründen zu versagen ist, kann er nur die Schenkung rückabwickeln und kann dadurch den Anfall der ungeplanten Schenkungsteuer vermeiden. In vielen Fällen hilft dies jedoch nicht weiter, z.B. in Erbfällen. Diese kann man nicht rückabwickeln. Ähnliches gilt, wenn erst geschenkt wird und der Schenker einige Zeit später nachverstirbt. Und selbst wenn der Schenker noch lebt und die Beteiligung zurückerhält: Er möchte die Beteiligung gerne weitergeben, die ursprüngliche Steuerverschonung kann er dann aber nicht mehr erlangen.

XIV. Ausblick Die neue Unternehmenserbschaftsteuer ist hochkomplex, enthält viele Zweifelsfragen aber auch Gestaltungsmöglichkeiten. Sie enthält aber auch noch einige logische Brüche, sodass davon auszugehen ist, dass die Unternehmenserbschaftsteuer die Praxis auch in Zukunft sehr beschäftigen wird. Nach der Reform ist vor der Reform!

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Aktuelle Fragen des Umwandlungssteuerrechts Regierungsdirektor Dr. Peter Heinemann Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Professor Dr. Andreas Schumacher Steuerberater, Bonn Inhaltsübersicht I. Gewinnausschüttungen und sonstige Gegenleistung (Heinemann) 1. Die neue Begrenzung für sonstige Gegenleistungen 2. Sinn und Zweck der Neuregelung 3. Begriff der „sonstigen Gegenleistung“ 4. Sonstige Gegenleistung bei sog. „Equity-to-Debt-Swap“ II. Änderung des § 50i Abs. 2 EStG (Schumacher) 1. Ausgangspunkt 2. Die gesetzliche Neuregelung III. Einbringungsgewinn und Folgeumwandlungen (Heinemann)

V. Downstream merger mit ausländischem Gesellschafter (Heinemann) VI. Verschmelzung und Spaltung von Drittstaatsgesellschaften mit inländischen Gesellschaftern (Schumacher) 1. Anwendung des § 12 Abs. 2 Satz 2 KStG bei einer Verschmelzung 2. Anwendung des § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG bei einer Abspaltung? VII. Einbringung in eine Personengesellschaft mit Einnahmeüberschussrechnung (Heinemann)

IV. Mögliche Änderung des § 12 Abs. 5 UmwStG (Schumacher)

I. Gewinnausschüttungen und sonstige Gegenleistung (Heinemann) 1. Die neue Begrenzung für sonstige Gegenleistungen Der Gesetzgeber hat im Rahmen des Steueränderungsgesetzes 2015 die Möglichkeiten begrenzt, einem Einbringenden neben den neu zu gewährenden Anteilen an der aufnehmenden Gesellschaft weitere Gegenleistungen zu gewähren1.

1 BGBl. I 2015, 1834.

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Heinemann/Schumacher, Aktuelle Fragen des Umwandlungssteuerrechts Beispiel: A möchte seinen Betrieb zu Buchwerten in die A-GmbH einbringen. Inwieweit kann die GmbH dem A neben neuen Gesellschaftsanteilen weitere Gegenleistungen gewähren, ohne die Ertragsteuerneutralität der Einbringung zu gefährden?

Nach der Neuregelung des § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UmwStG kann die Kapitalgesellschaft das übernommene Betriebsvermögen mit dem Buchwert oder einem Zwischenwert ansetzen, soweit der gemeine Wert von sonstigen Gegenleistungen, die neben den neuen Gesellschaftsanteilen gewährt werden, nicht mehr beträgt als (i) 25 % des Buchwerts des eingebrachten Betriebsvermögens oder (ii) 500 000 Euro, höchstens jedoch den Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens. Entsprechende Regelungen hat der Gesetzgeber für den Anteilstausch und die Einbringung in eine Personengesellschaft in den §§ 21 Abs. 1 und 24 Abs. 2 UmwStG getroffen. Zudem finden sich Folgeänderungen zu Folge- bzw. Ketteneinbringungen in § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2, 4 und 5 UmwStG. Die beiden neuen Schwellenwerte sind m.E. als „Meistbegünstigungsregelung“ ausgestaltet. Der Steuerpflichtige kann also im Einzelfall die für ihn günstigere Regelung in Anspruch nehmen.2 Gemäß § 27 Abs. 14 UmwStG gelten die neuen Regelungen in Fällen der Einbringung durch Gesamtrechtsnachfolge, wenn der Umwandlungsbeschluss nach dem 31.12.2014 gefasst wurde, und in anderen Fällen, wenn der Einbringungsvertrag nach dem 31.12.2014 geschlossen wurde. Die Anwendungsregelung stellt nicht auf den steuerlichen Einbringungsstichtag ab. Nach dem Gesetzeswortlaut erfassen die neuen Regelungen daher auch Einbringungen, die steuerlich auf einen Zeitpunkt vor dem 1.1.2015 zurückbezogen wurden.3

2. Sinn und Zweck der Neuregelung Mit der neuen Begrenzung der sonstigen Gegenleistung verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, steuerfreien Unternehmensverkäufen entgegenzuwirken.4 Es handelt sich gleichwohl nicht um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift im Sinne eines Missbrauchsvermeidungstatbestands. Vielmehr sieht der Gesetzgeber mit der Änderung der Einbringungsrege2 So auch Ettinger/März, GmbHR 2016, 154, 155; Möllmann in Benecke/Möllmann, FR 2016, 741, 742. 3 Vgl. zur Kritik an der Anwendungsregelung zusammenfassend Ettinger/März, GmbHR 2016, 154, 158 f. 4 Zu einem entsprechenden Beispielsfall Benecke in Benecke/Möllmann, FR 2016, 741, 743.

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lungen allgemeine Rechtsgrundsätze als verwirklicht, da die Übertragung von Vermögen gegen Entgelt im Allgemeinen zu einer Gewinnrealisierung führt.5 Dem entspricht, dass auch die Umwandlungstatbestände der §§ 3 ff. und 11 ff. UmwStG eine anteilige Aufdeckung stiller Reserven anordnen, soweit nicht in Gesellschaftsrechten bestehende Gegenleistungen erbracht werden. Obgleich Einbringungen als „tauschähnliche Vorgänge“ gelten und somit Veräußerungstatbestände darstellen6, war es bislang nach §§ 20 Abs. 2 Satz 4 und 21 Abs. 1 Satz 3 UmwStG a.F. möglich, im Zuge einer Einbringung in eine Kapitalgesellschaft oder im Rahmen eines Anteilstauschs, andere Wirtschaftsgüter zu gewähren, ohne die Ertragsteuerneutralität der Einbringung bzw. des Anteilstausches zu gefährden, sofern der gemeine Wert der gewährten Wirtschaftsgüter den Buchwert des eingebrachten Vermögens nicht überstieg. § 24 UmwStG enthielt zwar keine vergleichbare Regelung, gleichwohl entschied der BFH in seinem Urteil vom 18.9.2013 – X R 42/107 entgegen Rz. 24.07 UmwSt-Erlass8, dass eine Buchwerteinbringung zulässig sei, wenn die Summe aus dem Nominalbetrag der Gutschrift auf dem Kapitalkonto des Einbringenden bei der Personengesellschaft und dem gemeinen Wert der eingeräumten Gegenleistung den Buchwert des eingebrachten Vermögens nicht übersteige. Die für das Sonderregime der §§ 20 ff. und 24 UmwStG a.F. angeführten Rechtfertigungsgründe überzeugten indes nur bedingt. So sollte u.a. die sogenannte Einheitstheorie, wonach die Übertragung von Betriebsvermögen ertragsteuerneutral erfolgen kann, wenn die Gegenleistung den Buchwert des übertragenen Vermögens nicht übersteigt, als Rechtfertigung dienen.9 Die Einheitstheorie wurde indes zu Fällen der teilentgeltlichen Übertragung betrieblicher Einheiten entwickelt,10 während die Einbringung ein vollentgeltliches Geschäft ist, bei dem sich die Gegenleistung aus verschiedenen Komponenten (Gesellschaftsanteile und weitere Vorteile) zusammensetzt. Gelegentlich wurde auch angeführt, die Gegenleistung bis zur Höhe des Buchwerts des übertragenen Vermögens stelle einen „Buchwertverkauf“ dar, der keinen Anlass für eine Besteuerung gebe. Buchwertverkäufe sind indes regelmäßig nicht fremdüblich. Derartige Vereinbarungen werden z.B. im Bereich des Körperschaftssteu5 6 7 8 9 10

BT-Drs. 18/4902, 48 f.; a.A. Bron, DB 2015, 940 f. Grundlegend BFH v. 19.10.1998 – VIII R 69/95, BStBl. II 2000, 230. BFH v. 18.9.2013 – X R 42/10, BStBl. II 2016, 639. BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314. Vgl. BFH v. 18.9.2013 – X R 42/10, BStBl. II 2016, 639 zu § 24 UmwStG. Vgl. BFH v. 10.7.1986 – IV R 12/81, BStBl. II 1986, 811.

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errechts durch die Annahme von verdeckten Gewinnausschüttungen oder verdeckten Einlagen korrigiert. Besonders die Gestaltungen, die nach der bisherigen Rechtslage einen steuerfreien Unternehmensverkauf ermöglichen sollten, zeichneten sich dadurch aus, dass der Erwerber gerade nicht nur den Buchwert, sondern den Marktwert des Unternehmens vergütete. Die Übertragung wurde lediglich für steuerliche Zwecke als Buchwerteinbringung dargestellt.11 Vor diesem Hintergrund stellen sich die neue 25 %- und die 500 000 Euro-Grenze als begünstigende Ausnahmen von der im Veräußerungsfall grundsätzlich eintretenden Gewinnrealisierung dar. Nach der Gesetzesbegründung soll dadurch insbesondere im Bereich der mittelständischen Wirtschaft die Möglichkeit steuerneutraler Einbringungen nicht gänzlich ausgeschlossen werden, und es soll den praktischen Bedürfnissen für einen Wertausgleichs z.B. im Rahmen von Joint-Ventures Rechnung getragen werden.12

3. Begriff der „sonstigen Gegenleistung“ Unklar ist, was unter einer „sonstigen Gegenleistung“ zu verstehen ist.13 Das Gesetz enthält keine Legaldefinition. Die Finanzverwaltung hat sich zu dieser Frage bislang noch nicht positioniert. Hinzuweisen ist allerdings auf die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage:14 Abgeordneter Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Inwieweit kann nach der geplanten Änderung des § 20 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) die Regelung ökonomisch umgangen werden, indem vor der Einbringung Darlehen bei der Personengesellschaft aufgenommen werden und der Mitunternehmeranteil im Anschluss ohne Darlehen eingebracht wird, und inwieweit kann die geplante Regelung des § 21 UmwStG ökonomisch umgangen werden, wenn die Kapitalgesellschaft vor der Einbringung an die Einbringende bzw. den Einbringenden Darlehen vergibt, die Anteile an der Kapitalgesellschaft dann aber ohne den Darlehensanspruch eingebracht werden (bitte begründen)?

11 S. hierzu Benecke in Benecke/Möllmann, FR 2016, 741, 743 f. 12 BT-Drs. 18/4902, 49. In der Literatur werden die Ausnahmen aus gestalterischer Sicht als zu eng empfunden, vgl. z.B. Ritzer/Stangl, DStR 2015, 849. 13 Vgl. zu einzelnen Auslegungsfragen z.B. Möllmann in Benecke/Möllmann, FR 2016, 741, 746; Rapp, DStR 2017, 580. 14 BT-Drs. 18/5768, 19.

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Heinemann/Schumacher, Aktuelle Fragen des Umwandlungssteuerrechts Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Michael Meister vom 7. August 2015 Die Frage zielt möglicherweise auf in der Literatur diskutierte Gestaltungsmodelle ab, bei denen im Zusammenhang mit einer Einbringung eine zum einzubringenden Vermögen gehörende Personengesellschaft bzw. Kapitalgesellschaft voroder nachgelagerte Leistungen (Entnahmen bzw. Gewinnausschüttungen) an den bzw. die Einbringenden durch Darlehen fremdfinanziert, um die geltende Zuzahlungsgrenze oder zukünftig die geplante abgesenkte Zuzahlungsgrenze in § 20 Absatz 2 bzw. § 21 Absatz 2 UmwStG zu umgehen. Je nach den Umständen des Einzelfalls können solche Leistungen, wenn sie im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Einbringung erfolgen, auch als sonstige Gegenleistung i.S.d. § 20 Absatz 2 bzw. § 21 Absatz 1 UmwStG zu beurteilen sein. In einem solchen Fall wären diese Leistungen im Rahmen der geplanten wie auch der jetzt bereits geltenden Zuzahlungsgrenze zu berücksichtigen.

Im Einzelfall können somit nach der derzeitigen Einschätzung des BMF vor- oder nachgelagerte Entnahmen oder Gewinnausschüttungen als sonstige Gegenleistung zu beurteilen sein, wenn sie im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Einbringung erfolgen. Die Leistungen sind dann im Rahmen der neuen Zuzahlungsgrenze zu berücksichtigen.

4. Sonstige Gegenleistung bei sog. „Equity-to-Debt-Swap“ Beispiel: A bringt seinen Betrieb nach § 20 UmwStG in eine neue Tochter-GmbH gegen Stammkapital und Kapitalrücklage ein. Soweit der Ausweis in der Kapitalrücklage erfolgt, erhöht sich das steuerliche Einlagekonto der GmbH. Im Gründungsjahr nimmt die GmbH eine Gewinnausschüttung vor, die den Buchwert des eingebrachten Vermögens nicht überschreitet. Die Ausschüttung erfolgt zulässigerweise nach § 27 Abs. 2 Satz 3 KStG aus dem steuerlichen Einlagekonto. Die Ausschüttung wird bei der GmbH als Verbindlichkeit passiviert („Equity-to-DebtSwap“). Ist die Einbringung ertragsteuerneutral?

In der Literatur wird die Einlagenrückgewähr überwiegend nicht als sonstige Gegenleistung qualifiziert. Stattdessen wird geprüft, ob die Einlagenrückgewähr innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist des § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG gemäß § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 UmwStG zu einem Sperrfristverstoß führt. Das hätte zur Folge, dass die zunächst steuerneutrale Einbringung rückwirkend steuerpflichtig würde und ein Einbringungsgewinn I festzusetzen wäre. In diesem Zusammenhang wird jedoch auf Rz. 22.24 UmwSt-Erlass verwiesen, wonach eine Einlagenrückgewähr bis zum Buchwert des eingebrachten Vermögens erfolgen kann, ohne dass es zu einem Verstoß gegen § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 UmwStG kommt. Eine Anwendung der Rz. 22.24 UmwSt-Erlass würde damit möglicherweise 245

Heinemann/Schumacher, Aktuelle Fragen des Umwandlungssteuerrechts

dazu führen, dass die neuen strengeren Begrenzungen für die Gewährung sonstiger Gegenleistungen ins Leere laufen.15 Zu beachten ist allerdings, dass Rz. 22.24 UmwSt-Erlass eine Billigkeitsregelung der Finanzverwaltung darstellt, an die die Gerichte nicht gebunden sind. Denn nach dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 UmwStG führt jede innerhalb der Sperrfrist vorgenommene Einlagenrückgewähr zu einem Einbringungsgewinn I. Auch ist m.E. fraglich, ob Rz. 22.24 UmwSt-Erlass auf die aktuelle Gesetzesfassung anwendbar ist. Denn diese Regelung des UmwSt-Erlasses ist darauf ausgerichtet, während der Sperrrist einen steuerneutralen Liquiditätstransfer von der übernehmenden Gesellschaft an den Gesellschafter in der Höhe zu ermöglichen, wie es bereits im Einbringungszeitpunkt durch Einräumung einer sonstigen Gegenleistung zulässig gewesen wäre. Aufgrund der Beschränkung der zulässigen sonstigen Gegenleistung in den §§ 20 und 21 UmwStG n.F. könnte daher eine Änderung der Rz. 22.24 UmwSt-Erlass angebracht sein. Im Übrigen erscheint auch die Annahme zweifelhaft, dass die Einlagenrückgewähr keine sonstige Gegenleistung sein könne.16 Wird bei wirtschaftlicher Betrachtung keine Einlage geleistet, sondern eine Verbindlichkeit der aufnehmenden Gesellschaft begründet, spricht das dafür, insoweit eine sonstige Gegenleistung anzunehmen. Einer Anwendung der Rz. 22.24 UmwSt-Erlass bedürfte es dann nicht. Anmerkung Schumacher: Angesichts der unveränderten Regelungen für die Entnahme vor einer Einbringung und der Einlagenrückgewähr nach einer Einbringung stellt die Neuregelung zu sonstigen Gegenleistungen systematisch einen Fremdkörper dar. Dies gibt Anlass für eine enge Auslegung. Eine Entnahme vor der Einbringung stellt daher keine sonstige Gegenleistung dar. Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Fusionsrichtlinie liegt auch in einer Ausschüttung nach Einbringung keine sonstige Gegenleistung, allerdings kann danach im Einzelfall ein Rechtsmissbrauch vorliegen.17 Eine Anwendung des § 42 AO dürfte allerdings kaum in Betracht kommen, da der Steuerpflichtige von den drei Alternativen – Entnahme vor Einbringung, sonstige Gegenleistung, Ausschüttung nach Einbringung – die für ihn steuerlich günstigste wählen kann.18

15 So z.B. Ritzer/Stangl, DStR 2015, 849, 856 f. 16 Eine sonstige Gegenleistung bejahend Benecke in Benecke/Möllmann, FR 2016, 741, 748. 17 Vgl. EuGH v. 5.7.2007 – C-321/05, Slg 2007, I-5795. 18 Vgl. BFH v. 12.7.2012 – I R 23/11, BFH/NV 2012, 1901, Rz. 30 m.w.N.

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II. Änderung des § 50i Abs. 2 EStG (Schumacher) 1. Ausgangspunkt Selten hat die Einführung einer Vorschrift für so große Rechtsunsicherheit gesorgt wie die Einführung des § 50i Abs. 2 EStG durch das Kroatien-AnpG19 im Jahr 2014.20 Nach § 50i Abs. 1 EStG besteht ungeachtet entgegenstehender DBA-Vorschriften ein Besteuerungsrecht Deutschlands für bestimmte Veräußerungsgewinne (insbesondere hinsichtlich von Anteilen an Kapitalgesellschaften, die im Gesamthandsvermögen einer gem. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG gewerblich geprägten Personengesellschaft gehalten werden, an der ein Steuerausländer beteiligt ist, der in der Vergangenheit ohne Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG aus der unbeschränkten Steuerpflicht ausgeschieden ist). Hintergrund dieser Regelung ist die Sicherung des deutschen Besteuerungsrechts als Reaktion auf die Rechtsprechung des BFH, nach der eine gewerblich geprägte Personengesellschaft entgegen der früheren Verwaltungsauffassung kein Unternehmen für Zwecke der DBA ist und damit keine Betriebsstätte begründet.21 § 50i Abs. 2 EStG sollte eine Vermeidung der Besteuerung nach § 50i Abs. 1 EStG durch Umwandlungen oder Einbringungen verhindern.22 Beispiel: Herr X ist im Jahr 2001 durch Wohnsitzverlegung nach Österreich aus der unbeschränkten Steuerpflicht ausgeschieden. Um den Tatbestand des § 6 AStG zu vermeiden, hat er vorher eine Beteiligung an der X AG verdeckt in die gewerblich geprägte D GmbH & Co. KG mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland eingelegt, an deren Vermögen und Gewinn er zu 100 % als Kommanditist beteiligt ist. Eine Besteuerung der stillen Reserven erfolgte auf Grundlage der damaligen Verwaltungsauffassung, dass die Beteiligung an der X AG einer deutschen Betriebsstätte zuzuordnen waren, weder bei der Einlage noch beim Wegzug. Im Jahr 2016 will er den Mitunternehmeranteil an der D GmbH & Co. KG gegen Gewährung neuer Anteile zu Buchwerten gem. § 20 UmwStG in die D GmbH einbringen.

Nach § 50i Abs. 2 Satz 1 EStG a.F. waren Sachgesamtheiten, die Wirtschaftsgüter i.S. des § 50i Abs. 1 EStG enthalten, bei Umwandungen und Einbringungen i.S. des UmwStG stets mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Der Wortlaut war weit überschießend, weil er keine Ansässigkeit des Steuerpflichtigen in einem DBA-Staat und keine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts voraussetzte. Danach wären auch reine 19 20 21 22

Gesetz v. 25.7.2014, BGBl. I 2014, 1266. Vgl. nur Rödder/Kuhr/Heimig, Ubg 2014, 477. Vgl. BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760. Vgl. BT-Drs. 18/1995, 106.

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Inlandsfälle betroffen gewesen.23 Die Finanzverwaltung wendete § 50i Abs. 2 EStG a.F. daher aus Gründen sachlicher Unbilligkeit unter bestimmten Voraussetzungen nicht an, wenn das deutsche Besteuerungsrecht nicht beschränkt wurde.24

2. Die gesetzliche Neuregelung Auf Grundlage des vorgenannten BMF-Schreibens konnte zwar in vielen Fällen in der Praxis ein sachgerechtes Ergebnis erzielt werden. Eine Änderung des § 50i Abs. 2 EStG war jedoch schon aus Gründen der Rechtssicherheit geboten. Auf Vorschlag des Bundesrats25 und entsprechender Beschlussempfehlung des Finanzausschusses26 wurde § 50i Abs. 2 EStG rückwirkend für alle Anwendungsfälle durch das sog. BEPS 1-Umsetzungsgesetz27 wie folgt gefasst: „Bei Einbringung nach § 20 des Umwandlungssteuergesetzes sind die Wirtschaftsgüter und Anteile im Sinne des Absatzes 1 abweichend von § 20 Absatz 2 Satz 2 des Umwandlungssteuergesetzes stets mit dem gemeinen Wert anzusetzen, soweit das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile oder hinsichtlich der mit diesen im Zusammenhang stehenden Anteile im Sinne des § 22 Absatz 7 des Umwandlungssteuergesetzes ausgeschlossen oder beschränkt ist.“

Dadurch wird der Anwendungsbereich des § 50i Abs. 2 EStG auf den Fall beschränkt, der Anlass für die Einführung der Regelung war: Die Einbringung des „§ 50i-Vermögens“ in eine Kapitalgesellschaft nach § 20 UmwStG, durch die ein beteiligter EU/EWR-Ausländer nach Ablauf der Siebenjahresfrist des § 22 Abs. 1 UmwStG eine in Deutschland nicht steuerpflichtigen Veräußerung auf Anteilsebene erreichen könnte. Zudem soll die zwingende Gewinnrealisierung nicht mehr für die gesamte Sachgesamtheit gelten, sondern nur für die Wirtschaftsgüter und Anteile i.S. des § 50i Abs. 1 EStG. Gleichzeitig wurde § 50i Abs. 1 Satz 1 u. 2 EStG u.a. dergestalt geändert, dass die Regelung einen Ausschluss oder eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung oder Entnahme der Wirtschaftsgüter oder Anteile ohne

23 24 25 26 27

Vgl. zu den Auslegungsfragen Schnittker, FR 2015, 134. Vgl. BMF v. 21.12.2015, BStBl. I 2016, 7. Vgl. BR-Drs. 406/16 (Beschluss), 7 ff. Vgl. BT-Drs. 18/10506, 44 ff., 81 ff. Gesetz v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000.

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Berücksichtigung des § 50i Abs. 1 EStG vor dem 1.1.2017 voraussetzt.28 Eine Anwendung auf reine Inlandsfälle ist damit ausgeschlossen.29 § 50i Abs. 2 EStG lässt zwar die Anwendbarkeit des § 20 UmwStG unberührt. Abweichend von § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a UmwStG ist jedoch in den Fällen des § 50i Abs. 1 EStG bei EU/EWR-Einbringenden ein deutsches Besteuerungsrecht an den erhaltenen Anteilen30 für die Vermeidung der Gewinnrealisierung erforderlich. Dies entspricht im Ergebnis § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG, nach dem ein solches Besteuerungsrecht für die Anwendbarkeit des § 20 UmwStG bei Einbringenden aus Drittstaaten erforderlich ist. § 50i Abs. 2 EStG ist § 20 Abs. 3 UmwStG a.F. vergleichbar, der nach der Rechtsprechung des EuGH die Kapitalverkehrsfreiheit verletzte.31 Für die Fälle des § 50i EStG soll für die Ungleichbehandlung von in Deutschland ansässigen und nichtansässigen Personen jedoch ein besonderer Rechtfertigungsgrund – Schließen einer Besteuerungslücke, die durch den Verzicht auf die Besteuerung bei Wegzug entstanden ist – vorliegen.32 Eine „Einbringung nach § 20 UmwStG“ liegt sowohl in der Einbringung von Anteilen an einer „§ 50i-KG“ in eine Kapitalgesellschaft (wie im Beispiel) als auch in der Einbringung eines Betriebs oder Teilbetriebs, der Wirtschaftsgüter i.S. des § 50i Abs. 1 EStG enthält, durch eine „§ 50i-KG“ in eine Kapitalgesellschaft. Auch eine Verschmelzung einer „§ 50i-KG“ auf eine Kapitalgesellschaft oder eine Auf- oder Abspaltung von dieser auf eine Kapitalgesellschaft fällt als „Einbringung“ (§ 1 Abs. 3 i.V.m. § 20 UmwStG) unter die Regelung des § 50i Abs. 2 EStG. Nach dem Wortlaut ist nicht zweifelsfrei, ob auch der von § 25 UmwStG geregelte Formwechsel der „§ 50i-KG“ in eine Kapitalgesellschaft eine „Einbringung“ darstellt. Dafür spricht die von § 25 UmwStG angeordnete entsprechende Anwendung des § 20 UmwStG (Rechtsgrundverweisung). 28 Diese zeitliche Begrenzung führt allerdings auch dazu, dass § 50i Abs. 1 EStG seit dem 1.1.2017 mangels Anwendbarkeit keinen Schutz vor Entstrickungen bei Wegzug in einen DBA-Staat oder unentgeltliche Übertragungen auf Personen in einem DBA-Staat mehr gewährt. Es gelten vielmehr die allgemeinen Entstrickungsregeln (vgl. BT-Drs. 18/10506, 81). 29 Vgl. die Beispiele bei Liekenbrock, DStR 2017, 177. 30 Der ausdrückliche Einbezug der Anteile i.S. des § 22 Abs. 7 UmwStG ist wohl nur klarstellend, da diese Anteile wegen des Überspringens stiller Reserven als erhaltene Anteile gelten. 31 Vgl. EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12 – DMC, IStR 2014, 106; nachgehend BFH v. 30.9.2015 – I B 66/15, BFH/NV 2015, 1708. 32 Vgl. BT-Drs. 18/10506, 82 f.

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Auf alle anderen Umwandlungen, insbesondere solche einer Gesellschaft, an der Anteile i.S. des § 50i Abs. 1 EStG bestehen (im Beispiel eine Verschmelzung oder Spaltung der X AG), ist der neu gefasste § 50i Abs. 2 EStG nicht anwendbar. Auch ein Anteilstausch i.S. des § 21 UmwStG hinsichtlich von Anteilen i.S. des § 50i Abs. 1 EStG wird von § 50i Abs. 2 EStG nicht erfasst. Allerdings ist für die Vermeidung der Gewinnrealisierung bei einem Anteilstausch gem. § 21 Abs. 2 Satz 2 ff. UmwStG grundsätzlich erforderlich, dass das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der erhaltenen Anteile nicht beschränkt wird bzw. in Fällen der EU-Fusionsrichtlinie wird dieses ungeachtet eines DBA hinsichtlich dieser Anteile begründet (§ 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Halbs. 2 UmwStG i.V.m. § 49 Nr. 2 Buchst. e, bb EStG). Anmerkung Heinemann: Infolge der Neuregelung des §§ 50i Abs. 2 EStG ist das BMF-Schreiben vom 21.12.201533 entbehrlich geworden, da § 50i Abs. 2 EStG n.F. reine Inlandssachverhalte, in denen das deutsche Besteuerungsrecht nicht beschränkt wird, nicht mehr erfasst. Billigkeitsmaßnahmen der Finanzverwaltung sind insoweit nicht mehr erforderlich. Das BMF-Schreiben vom 21.12.2015 wurde daher mit Schreiben vom 5.1.201734 aufgehoben. Während § 50i Abs. 2 EStG a.F. sämtliche Umwandlungen und Einbringungen von Sachgesamtheiten erfasste, die nach § 50i EStG steuerverhaftete Wirtschaftsgüter oder Anteile enthielten, gilt § 50i Abs. 2 EStG n.F. nur noch für die Einbringung der betreffenden Wirtschaftsgüter und Anteile nach § 20 UmwStG. In diesem Zusammenhang ist die neu eingefügte Entstrickungsregelung des § 50i Abs. 2 EStG zu beachten. Im Rahmen anderer Restrukturierungssmaßnahmen gelten die allgemeinen Sperrfristen und Rechtsnachfolge- und Entstrickungsregeln.

III. Einbringungsgewinn und Folgeumwandlungen (Heinemann) Entstehen infolge einer Einbringung sperrfristbehaftete Anteile i.S.d. § 22 UmwStG, stellt sich die Frage, ob eine Folgeumwandlung der aufnehmenden Gesellschaft zu einem Sperrfristverstoß führt. Beispiel: Die M-GmbH ist Alleingesellschafterin der T-GmbH. Die T-Beteiligung ist sperrfristverhaftet i.S.d. § 22 Abs. 2 UmwStG. T wird innerhalb der Sperrfrist auf M verschmolzen. Löst die Umwandlung einen Einbringungsgewinn II aus? 33 BStBl. I 2016, 7. 34 BStBl. I 2017, 32.

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Unter Beachtung der Verwaltungsanweisungen ist jede Umwandlung der T eine Veräußerung i.S.d. § 22 UmwStG und führt somit grundsätzlich zu einem den Einbringungsgewinn II auslösenden Sperrfristverstoß.35 In Fällen der Folgeumwandlung der aufnehmenden Gesellschaft hält die Finanzverwaltung allenfalls Billigkeitsmaßnahmen für möglich, um das Entstehen eines Einbringungsgewinns II zu verhindern. Billigkeitsmaßnahmen gewährt die Finanzverwaltung jedoch nur, wenn die Folgeumwandlung mit den durch den Gesetzgeber als unschädlich angesehenen Fällen der Weitereinbringung nach § 22 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Abs. 1 Satz 6 UmwStG vergleichbar ist. Für eine telelogische Reduktion des § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG sieht die Finanzverwaltung keinen Raum.36 Die Aufwärtsverschmelzung ist nach Ansicht der Finanzverwaltung nicht mit einer gesetzlich vorgesehenen Weitereinbringung vergleichbar. Nach Beispiel 3 („Rückumwandlung“) zu Rz. 22.23 UmwSt-Erlass soll daher eine Billigkeitsmaßnahme nicht in Betracht kommen. Hierfür führt die Finanzverwaltung zwei Gründe an: Zum einen würden die sperrfristbehafteten Anteile ersatzlos untergehen, während sich bei einer Folgeeinbringung die Sperrfrist fortsetze. Zudem enthalte § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 UmwStG eine Wertentscheidung zur Auflösung und Abwicklung der übernehmenden Gesellschaft innerhalb der Sperrfrist, die durch eine Aufwärtsverschmelzung unterlaufen werde. Dem ist das FG Hamburg mit Urteil v. 21.5.2015 – 2 K 12/13 entgegengetreten.37 Das Gericht teilt zwar die Auffassung der Finanzverwaltung, dass Umwandlungen grundsätzlich eine Sperrfristverletzung bewirken können. Ob eine Umwandlung jedoch eine sperrfristverletzende Veräußerung darstellt, ist nach Auffassung des Finanzgerichtes differenziert zu betrachten.38 Jedenfalls sei eine Aufwärtsverschmelzung keine Veräußerung. Aus Sicht des übertragenden Rechtsträgers fehle es an einer Gegenleistung; der übertragende Rechtsträger gehe stattdessen ohne Abwicklung unter. Ferner sei der Begriff der Veräußerung einschränkend auszulegen: Bei einer Aufwärtsverschmelzung könne eine durch die Einbringung zunächst entstandene Statusverbesserung nicht mehr in missbräuchlicher Weise ausgenutzt werden. Die Aufwärtsverschmelzung 35 S. Rz. 00.02, 00.03 UmwSt-Erlass. 36 So aber z.B. Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 2. Aufl., § 22 Rz. 53c. 37 FG Hamburg, Urt. v. 21.5.2015 – 2 K 12/13, EFG 2015, 1876. 38 S. auch Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 2. Aufl., § 22 Rz. 52 m.w.N.

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widerspreche auch nicht den Wertungen des § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 UmwStG. Bei einer Aufwärtsverschmelzung komme es zu einer Auflösung ohne Abwicklung. Zudem würde das eingebrachte Vermögen nicht an den Einbringenden zurückgewährt, sondern an die zwischengeschaltete Gesellschaft. Im Übrigen erfülle die Aufwärtsverschmelzung nicht die Ersatzrealisationstatbestände des § 22 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. § 22 Abs. 1 Satz 6 UmwStG. Die Finanzverwaltung hat gegen das Urteil Revision eingelegt, die unter dem Aktenzeichen I R 48/15 geführt wird. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass der BFH mit Urteil vom 23.1.2002 – XI R 48/99 die Aufwärtsverschmelzung eine Kapitalgesellschaft auf ihren Alleingesellschafter (natürliche Person) bereits als Anschaffungs- bzw. Veräußerungsvorgang qualifiziert hat.39 Für die Aufwärtsverschmelzung nach §§ 11 ff. UmwStG dürfte Entsprechendes gelten.40 Für den Inhaber der sperrfristbehafteten Anteile stellt sich die Aufwärtsverschmelzung letztlich als Veräußerung i.S.d. § 22 UmwStG dar, da er die sperrfristbehafteten Anteile gegen Erhalt der Wirtschaftsgüter der übertragenden Gesellschaft aufgibt.41 Ob der BFH der durch das FG vorgenommenen telelogischen Reduktion des § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG folgen wird, bleibt abzuwarten. Gegen die einschränkende Gesetzesauslegung könnte der Wortlaut des über § 22 Abs. 2 Satz 6 UmwStG geltenden § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2, Hs. 2 UmwStG sprechen, der ausdrücklich regelt, dass eine entgeltliche Übertragung sperrfristbehafteter Anteile allein in Fällen der Folgeeinbringung zum Buchwert für die Sperrfrist unschädlich sein sollen. Gemeinhin werden die Ersatzrealisationstatbestände des § 22 Abs. 1 Satz 6 UmwStG als abschließend und nicht analogiefähig betrachtet.42 Die teleologische Reduktion des § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG würde im Ergebnis jedoch eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2, Hs. 2 UmwStG auf Folgeumwandlungen bewirken.43 39 BStBl. II 2002, 875. 40 So ohne weitere Diskussion bereits BFH v. 22.4.1998 – I R 83/96, BStBl. II 1998, 698; vgl. auch BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, BStBl. II 2008, 608 Rz. 89. 41 Eisgruber in ders., UmwStG, 2016, § 22 Rz. 54; a.A. Hageböke, Ubg 2011, 689, 704; Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, 88. Lfg. Jan. 2017, § 22 UmwStG Rz. 33a. 42 Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 2. Aufl., § 22 Rz. 101 m.w.N. 43 Graw in Bordewin/Brandt, EStG, 393. Lfg. Febr. 2017, § 22 UmwStG Rz. 92, 94, der jedoch annimmt für Umwandlungen und Einbringungen nach dem

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Anmerkung Schumacher: Die derzeit bestehende Rechtsunsicherheit ist für Verwaltung und Steuerpflichtige unbefriedigend. Der Gesetzgeber sollte den Streitfall zum Anlass nehmen, die Auswirkung von Folgeumwandlungen gesetzlich zu regeln. Wie bei Ketteneinbringungen (§ 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2 i.V.m. Nr. 4 u. 5 UmwStG) sollte dabei – u.a. durch Klarstellung der Reichweite des § 12 Abs. 3 und des § 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG – die Unschädlichkeit von Umwandlungen zum Buchwert unter Vermeidung von Besteuerungslücken geregelt werden.

IV. Mögliche Änderung des § 12 Abs. 5 UmwStG (Schumacher) Die Hinausverschmelzung einer inländischen Kapitalgesellschaft kann – wie auch deren grenzüberschreitende Sitzverlegung – in bestimmten Fällen eine Alternative zu einer Ausschüttung thesaurierter Gewinne an einen ausländischen Gesellschafter darstellen. Beispiel: An der D AG mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Inland hält die Lux S.A. mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Luxemburg sämtliche Anteile. Die D AG hat ihren Betrieb veräußert und verfügt nur noch über liquide Mittel und einen hohen ausschüttbaren Gewinn i.S. des § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG, der im Falle einer Ausschüttung dem Kapitalertragsteuerabzug unterläge. Die Lux SA ist eine reine Finanzholding mit Gesellschaftern in einem Staat ohne DBA mit Deutschland. Die D AG soll gem. §§ 122a ff. UmwG grenzüberschreitend auf die Lux SA verschmolzen werden.

Im Falle einer Ausschüttung würde der Verzicht auf die Erhebung der Kapitalertragsteuer gem. § 43b EStG (Mutter-Tochter-Richtlinie) unter dem Vorbehalt des § 50d Abs. 3 EStG stehen. Bei einer Verschmelzung auf einen Gesellschafter, der Kapitalgesellschaft ist (Upstream merger) wird hingegen – anders als bei einer Umwandlung auf oder in eine Personengesellschaft (§ 7 UmwStG) – keine Ausschüttung thesaurierter Gewinne fingiert, sondern ein Übernahmegewinn ermittelt, auf den gem. § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG die Regelungen des § 8b KStG anzuwenden sind. Dieser Übernahmegewinn ist als Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen nicht kapitalertragsteuerpflichtig und Deutschland hat bei einer Hinausverschmelzung regelmäßig kein Besteuerungsrecht (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA).

UmwStG sei § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2 UmwStG gegenüber § 22 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 UmwStG lex specialis.

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In der Literatur ist diskutiert worden, ob bei einer Hinausverschmelzung § 12 Abs. 5 UmwStG anzuwenden sein könnte. Nach dieser Vorschrift gilt im Fall des Vermögensübergangs in den nicht steuerpflichtigen oder steuerbefreiten Bereich der übernehmenden Körperschaft der ausschüttbare Gewinn als Einnahme i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, so dass Kapitalertragsteuerpflicht besteht. Eine im Ausland steuerpflichtige Kapitalgesellschaft hat jedoch keinen „nicht steuerpflichtigen oder steuerbefreiten“ Bereich, sondern unterliegt nur mangels beschränkter Steuerpflicht nicht der deutschen Besteuerung. Auch die Sicherstellung der Besteuerung i.S. der §§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG ist nicht nur bei inländischer, sondern auch bei ausländischer Besteuerung zu bejahen.44 Nach zutreffender h.M. in der Literatur erfasst die Vorschrift daher nicht die Hinausverschmelzung auf eine im Ausland steuerpflichtige Kapitalgesellschaft.45 Die Stellungnahme des Bundesrats zum sog. BEPS 1-Umsetzungsgesetz enthielt einen Vorschlag zur Änderung des § 12 Abs. 5 UmwStG.46 Danach sollte in § 12 Abs. 5 UmwStG „klarstellend“ der Fall des Vermögensübergangs „auf eine nicht der inländischen Besteuerung unterliegenden Körperschaft“ aufgenommen werden. Die Bundesregierung hatte die Prüfung des Vorschlags angekündigt,47 er wurde jedoch nicht umgesetzt. Da die Änderung nicht klarstellend, sondern konstitutiv gewesen wäre, ist § 12 Abs. 5 UmwStG somit weiterhin nicht auf die Hinausverschmelzung auf eine im Ausland steuerpflichtige Kapitalgesellschaft anzuwenden. Anmerkung Heinemann: Das Beispiel zeigt, dass § 50d Abs. 3 EStG den Kapitalertragsteuerabzug in bestimmten grenzüberschreitenden Umwandlungsfällen nicht hinreichend sicherstellt. Wie dargestellt, kann dem Gesetz letztlich nicht eindeutig entnommen werden, ob insoweit § 12 Abs. 5 KStG anzuwenden ist. Daher ist die von Seiten des Bundesrats geforderte Gesetzesänderung grundsätzlich zu begrüßen.

44 Vgl. UmwSt-Erlass, Rz. 11.07 i.V.m. 03.17 a.E. 45 Vgl. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 12 UmwStG Rz. 86; Rödder in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 2. Aufl., § 12 UmwStG Rz. 120; Schießl in Widmann/Mayer, § 12 UmwStG Rz. 816 f.; Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/ Stratz, 7. Aufl., § 12 UmwStG Rz. 102; Herbort/Schwenke, IStR 2016, 567 mit Hinweis auf eine gegenteilige Äußerung von Hruschka; Schell, IStR 2008, 397. 46 Vgl. BR-Drs. 406/16 (Beschluss), 43. 47 BT-Drs. 18/9956, 38.

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V. Downstream merger mit ausländischem Gesellschafter (Heinemann) Bei der Abwärtsverschmelzung einer Mutter- auf ihre Tochterkapitalgesellschaft nach §§ 11 ff. UmwStG (Downstream-Merger) gehen die Anteile an der Tochter zivilrechtlich unmittelbar auf die Anteilseigner der Muttergesellschaft über (sog. Direkterwerb). Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist dem auch für steuerliche Zwecke zu folgen.48 Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen die Mutter ihre Anteile an der Tochter in der steuerlichen Schlussbilanz mit dem Buchwert ansetzen kann. Beispiel: Zwischen den Kapitalgesellschaften AE, M und T besteht eine 100 %ige Beteiligungskette. M wird auf T zum 31.12.01 abwärts verschmolzen. Am steuerlichen Übertragungsstichtag verliert Deutschland das Besteuerungsrecht für die Gewinne aus der Veräußerung der T-Anteile, da AE im Ausland ansässig ist. Darf M in ihrer Schlussbilanz die T-Beteiligung mit dem Buchwert ansetzen?

Bei einer Abwärtsverschmelzung nach §§ 11 ff. UmwStG sind aus Sicht der übertragenden Muttergesellschaft die Anteile an der Tochter „übergehende Wirtschaftsgüter“ i.S.d. § 11 Abs. 2 UmwStG. Nach Auffassung der Finanzverwaltung kann die übertragende Mutter in ihrer Schlussbilanz die Anteile an der Tochter daher nur mit dem Buch- oder einem Zwischenwert ansetzen, wenn sie bezogen auf die Anteile die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG erfüllt. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG setzt voraus, dass das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen Anteile an der Tochtergesellschaft bei der übernehmenden Körperschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird.49 Da die Anteile an der Tochtergesellschaft aufgrund des zivilrechtlichen Direkterwerbs unmittelbar auf den Anteilseigner der übertragenden Muttergesellschaft übergehen, kann bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG nur auf den Anteilseigner abgestellt werden.50 Da es in dem dargestellten Sachverhalt auf Ebene des Anteilseigners zu einer Entstrickung kommt, sind die Anteile in der steuerlichen Schlussbilanz mit dem gemeinen Wert anzusetzen.

48 Rz. 11.18 UmwSt-Erlass. 49 Rz. 11.18 UmwSt-Erlass. 50 Rz. 11.19 UmwSt-Erlass.

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Das Finanzgericht Düsseldorf folgt der verwaltungsseitigen Auslegung des § 11 UmwStG nicht.51 Das Gericht interpretiert § 11 Abs. 2 Satz 2 UmwStG als abschließende Spezialregelung für die Bewertung der Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft. Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 UmwStG sind die Anteile an der übernehmenden Körperschaft mindestens mit dem Buchwert, erhöht um Abschreibungen sowie um Abzüge nach § 6b EStG und ähnliche Abzüge, die in früheren Jahren steuerwirksam vorgenommen worden sind, höchstens mit dem gemeinen Wert, anzusetzen. Die Vorschrift sieht nach Auffassung des Finanzgerichts für Fälle einer vorausgegangenen Wertminderung eine Wertaufholung vor, im Übrigen knüpfe sie die Buchwertübertragung der Anteile an der übernehmenden Gesellschaft aber an keine weiteren Voraussetzungen. Nach Auffassung des Gerichts ergäbe sich ein unauflösbarer Konflikt zwischen § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 UmwStG einerseits und § 11 Abs. 2 Satz 2 UmwStG andererseits, wenn nach § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 UmwStG die Buchwertfortführung für die übergehenden Anteile unzulässig sei, während die spezielle Bewertungsregelung des §§ 11 Abs. 2 Satz 2 UmwStG ihrem Wortlaut nach den Buchwertansatz ermögliche. Die Finanzverwaltung hat gegen das Urteil Revision eingelegt, die beim BFH unter dem Az. I R 31/16 geführt wird. M.E. erscheint fraglich, ob § 11 Abs. 2 Satz 2 UmwStG tatsächlich eine abschließende Bewertungsregel für die Anteile der übertragenden an der übernehmenden Körperschaft darstellt. Ebenso erscheint der vermeintliche Konflikt zwischen § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 UmwStG und § 11 Abs. 2 Satz 2 UmwStG nicht zwingend. Es sprechen durchaus Gründe dafür, dass § 11 Abs. 2 Satz 2 UmwStG für die Anteile an der Tochtergesellschaft lediglich den in § 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG vorgesehenen Bewertungsrahmen modifiziert. Während im Regelfall eine Bewertung mit dem Buchwert oder einem Zwischenwert zulässig ist, sieht Satz 2 für die Anteile an der Tochtergesellschaft vor, dass mindestens der um Wertaufholungen korrigierte Buchwert, höchstens der gemeine Wert angesetzt werden darf. Die Regelung in Satz 2 soll lediglich sicherstellen, dass vorangegangene steuerwirksame Wertminderungen wieder steuerwirksam aufgeholt werden. Um diesen Gesetzeszweck zu erreichen, muss das Bewertungswahlrecht des Satz 1 aber nicht per se ausgeschlossen werden. Für die Ausübung

51 FG Düsseldorf v. 22.4.2016 – 6 K 1947/14 K, G (Rev. I R 31/16), s. auch FG Rheinland-Pfalz v. 12.4.2016 – 1 K 1001/14 (Rev. I R 35/16).

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des somit grundsätzlich eröffneten Wahlrechts sind sodann die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 UmwStG zu beachten. Es erscheint nicht unbedingt naheliegend, dass der Gesetzgeber für das im Zuge einer Verschmelzung übergehende Vermögen grundsätzlich eine formelle Antragspflicht und materielle Voraussetzungen statuiert hat, für die Anteile an der aufnehmenden Gesellschaft jedoch auf jegliche formellen und materiellen Voraussetzungen verzichtet haben soll. Nicht von der Hand zu weisen ist die Kritik des Finanzgerichts, dass die Finanzverwaltung den engen Regelungszusammenhang der §§ 11 und 12 UmwStG und damit vor allem die für die übertragenen Wirtschaftsgüter angeordnete Wertverknüpfung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 UmwStG) durchbricht, wenn sie davon ausgeht, dass sich die Besteuerungsfolgen für den Anteilseigner der Mutter nicht aus § 12 UmwStG, sondern aus § 13 UmwStG ergeben. Denn dadurch erhält der Anteilseigner ein eigenes Bewertungswahlrecht für die übernommenen Anteile an der Tochtergesellschaft. Dieser Befund spricht aber nicht gegen die von der Finanzverwaltung favorisierte Auslegung des § 11 Abs. 2 Satz 2 UmwStG, sondern allenfalls dafür, auf Ebene des Anteilseigners § 12 UmwStG anstelle des § 13 UmwStG anzuwenden. Eine solche Lösung würde der Tatsache Rechnung tragen, dass wirtschaftlich eine Aufspaltung des Vermögens der Muttergesellschaft stattfindet: Ein Teil ihres Vermögens geht auf die Tochter über, ein anderer, die Anteile an der Tochtergesellschaft, geht auf den Anteilseigner über, der insoweit begrifflich übernehmender Rechtsträger i.S. des § 12 UmwStG ist. Dass die Finanzverwaltung gleichwohl auf Ebene des Anteilseigners § 13 UmwStG anwenden möchte, lässt sich allenfalls mit Billigkeitserwägungen begründen, da die Anwendung des § 12 UmwStG nach dessen Abs. 2 Satz 2 die Besteuerung eines etwaigen Übernahmegewinns zur Folge hätte, was durch Anwendung des § 13 UmwStG bei entsprechendem Buchwertantrag des Anteilseigners vermieden werden kann. Das FG Rheinland-Pfalz hat in einem vergleichbaren Sachverhalt ebenso wie das FG Düsseldorf entschieden. Ergänzend weist das FG RheinlandPfalz darauf hin, dass selbst bei einer Entstrickung der Anteile an der Tochtergesellschaft kein Besteuerungsbedürfnis bestehe.52 Das FG ist der Auffassung, auf die Verstrickung der stillen Reserven in den Antei-

52 FG Rheinland-Pfalz v. 12.4.2016 – 1 K 1001/14 (Rev. I R 35/16).

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len der Tochtergesellschaft komme es nicht an, da die stillen Reserven in der Tochtergesellschaft selbst steuerverstrickt blieben. Auch dieses Argument ist kritisch zu sehen. Ihm stehen die grundsätzlichen Wirkungen des Trennungsprinzips entgegen. Denn die stillen Reserven in den Anteilen der Gesellschaft und im Gesellschaftsvermögen müssen keineswegs übereinstimmen. Anmerkung Schumacher: Die Entscheidungen der Finanzgerichte sind überzeugend begründet. Insbesondere gilt § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG nach dem eindeutigen Wortlaut nur für Wirtschaftsgüter, die auf die übernehmende Körperschaft übertragen werden. Daher gilt die Regelung nicht für die Anteile an der übernehmenden Körperschaft, die ohne Durchgangserwerb bei dieser Körperschaft unmittelbar auf die Anteilseigner der übertragenden Körperschaft übergehen.

VI. Verschmelzung und Spaltung von Drittstaatsgesellschaften mit inländischen Gesellschaftern (Schumacher) 1. Anwendung des § 12 Abs. 2 Satz 2 KStG bei einer Verschmelzung Auf die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften mit Ansässigkeit in einem Drittstaat ist das UmwStG nicht anwendbar (§ 1 Abs. 2 UmwStG), sie wird von § 12 Abs. 2 KStG geregelt. § 12 Abs. 2 Satz 1 KStG gilt für die Gesellschaftsebene, d.h. für die Übertragung inländischen Vermögens „durch einen Vorgang […], der einer Verschmelzung i.S.d. § 2 des Umwandlungsgesetzes […] vergleichbar ist“. Beim inländischen Gesellschafter ist § 13 UmwStG gem. § 12 Abs. 2 Satz 2 KStG entsprechend anzuwenden, wenn das Vermögen einer Körperschaft durch einen „Vorgang im Sinne des Satzes 1“ übertragen wird. Beispiel: An der X Inc. mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in den USA ist der in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige A mit 100 % beteiligt. Die X Inc. wird auf die Y Inc. verschmolzen, deren Sitz und Ort der Geschäftsleitung sich ebenfalls in den USA befindet.

Nach der ganz h.M. im Schrifttum bezieht sich der Begriff „Vorgang“ in § 12 Abs. 2 Satz 2 KStG auf den in Satz 1 geregelten „Vorgang, der einer

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Verschmelzung im Sinne des § 2 des Umwandlungsgesetzes […] vergleichbar ist“.53 Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers.54 Im Beispiel ist danach allein entscheidend, ob die Verschmelzung nach US-Recht einer Verschmelzung nach § 2 UmwG vergleichbar ist. Liegt ein solcher Vorgang vor, ist § 13 UmwStG anwendbar, d.h. beim Gesellschafter gelten grundsätzlich die Anteile an der übertragenden Gesellschaft gem. § 13 Abs. 1 UmwStG als zum gemeinen Wert veräußert. Wenn – wie im Regelfall (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA) – das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird, sind die Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft gem. § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG auf Antrag mit dem Buchwert bzw. den Anschaffungskosten anzusetzen (gleiches gilt ohne Antrag für Anteile, die der Abgeltungsteuer unterliegen; § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG). Dies entsprach jedoch ursprünglich nicht der Verwaltungsauffassung. Nach R 12 des Entwurfs der KStR 2015 sollte für die Anwendung des § 12 Abs. 2 Satz 2 KStG eine beschränkte Steuerpflicht der übertragenden Kapitalgesellschaft notwendig sein.55 Diese Sichtweise enthielt auch Rz. 13.04 des UmwSt-Erlasses, die auf beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften abstellte.56 Im Beispiel wäre danach zu prüfen, ob die X Inc. in Deutschland beschränkt steuerpflichtig ist, d.h. ob sie inländische Einkünfte i.S. des § 2 Nr. 1 KStG i.V.m. § 49 EStG erzielt. Vertreter der Finanzverwaltung begründeten diese Auffassung mit dem „klaren Wortlaut der Norm“.57 Dies steht jedoch im Widerspruch dazu, dass § 12 Abs. 2 Satz 2 KStG den zu verschmelzenden Rechtsträger – „einer Kapitalgesellschaft“ – abweichend von Satz 1 ohne den Zusatz „beschränkt steuerpflichtig“ definiert und davon getrennt auf den „Vorgang im Sinne des Satzes 1“ ver53 Vgl. z.B. Benecke/Staats in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 12 KStG Rz. 412 f.; Neumann in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 2. Aufl., § 13 UmwStG Rz. 6a; Frotscher in Frotscher/Drüen, § 12 KStG Rz. 148b; Gosch in Gosch, 3. Aufl., § 8b KStG Rz. 144a; Holland in Ernst & Young, § 12 KStG Rz. 55; Kessens in Schnitger/Fehrenbacher, § 12 KStG Rz. 223; von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 12 KStG Rz. 109; Schumacher in FS Endres, 2016, 401, 403. 54 Vgl. BT-Drs. 16/3369, 8. 55 Dazu ausführlich Grundke/Feuerstein/Holle, DStR 2015, 1653. 56 Vgl. BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 13.04. 57 Vgl. Hruschka, IStR 2012, 844, 845; im Ergebnis tendenziell ebenso Sejdija/ Trinks, IStR 2013, 866.

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weist. Zudem ist es naheliegend, dass § 12 Abs. 2 Satz 2 KStG den Regelfall einer nur im Ausland tätigen ausländischen Kapitalgesellschaft erfasst und nicht nur den Sonderfall, dass ein Inländer an einer ausländischen Kapitalgesellschaft beteiligt ist, die wiederum im Inland tätig ist. Diese Auffassung wird zwischenzeitlich auch von der Finanzverwaltung geteilt. Denn die Ausführungen zur Notwendigkeit einer beschränkten Steuerpflicht sind in der endgültigen Fassung der KStR 2015 nicht enthalten und im UmwSt-Erlass wurde der Bezug auf die beschränkte Steuerpflicht gestrichen. Rz. 13.04 lautet nun:58 „Wird das Vermögen einer nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse als Ganzes durch einen Verschmelzungsvorgang i.S.d. § 12 Absatz 2 Satz 1 KStG nach ausländischem Recht auf eine andere Körperschaft übertragen, gilt nach § 12 Absatz 2 Satz 2 KStG für die Besteuerung der Anteilseigner der übertragenden Körperschaft § 13 UmwStG entsprechend.“

Falls § 13 UmwStG mangels Vergleichbarkeit des Vorgangs nicht anzuwenden ist, so liegt nach allgemeinen Grundsätzen ein Veräußerungsund Anschaffungsvorgang der Anteile zum gemeinen Wert vor.59 Die Verschmelzung führt damit aus der Sicht des Anteilseigners – unabhängig von der Anwendbarkeit gesetzlicher Regelungen – zu einem Tausch der Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft gegen die Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft.60 Daher liegt beim inländischen Gesellschafter eine Anteilsveräußerung vor, auf die bei Kapitalgesellschaften als Gesellschafter § 8b Abs. 2 KStG anwendbar ist (im Ergebnis wie bei Anwendung des § 13 Abs. 1 UmwStG).61 Anmerkung Heinemann: Ob eine Auslandsverschmelzung, die nicht mit einer inländischen Verschmelzung vergleichbar ist, für den inländischen Anteilseigner zu einem Veräußerungs- und Anschaffungsvorgang führt, oder ob eine verdeckte Gewinnausschüttung von der übertragenden Gesellschaft an den Anteilseigner mit anschließender verdeckter Einlage in die übernehmende Gesellschaft stattfindet, ist nicht abschließend geklärt. Die Finanzverwaltung vertritt in Rz. 00.03 UmwSt-Erlass zwar die Veräußerungsthese, verweist zur Begründung allerdings auf die 58 Geändert durch BMF v. 10.11.2016, BStBl. I 2016, 1252. 59 Vgl. BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 00.03. 60 Vgl. BFH v. 19.8.2008 – IX R 71/07, BStBl. II 2009, 13; BFH v. 11.7.2012 – I R 47/11, BFH/NV 2013, 18. 61 Vgl. Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 8b KStG Rz. 92; a.A. Hruschka, IStR 2012, 844, 845 f.: Liquidation.

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BFH-Rechtsprechung zu § 13 UmwStG, der gerade nicht anwendbar ist. Auf Grundlage der bisherigen BFH-Rechtsprechung lässt sich durchaus vertreten, dass § 13 UmwStG einen Veräußerungs- und Anschaffungsvorgang fingiert und insoweit konstitutive Wirkung hat. Findet § 13 UmwStG keine Anwendung, sollten demnach die allgemeinen VGAGrundsätze gelten.62

2. Anwendung des § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG bei einer Abspaltung? Für eine Auf- oder Abspaltung (von) einer Drittstaatskapitalgesellschaft auf eine andere Kapitalgesellschaft existiert mit Ausnahme der Regelung für die Abgeltungsteuer (§ 20 Abs. 4a Satz 7 EStG) keine gesetzliche Regelung, so dass allein die allgemeinen Grundsätze zur Anwendung kommen. Beispiel: An der X AG mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in der Schweiz ist die D AG beteiligt, die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig ist. Die X AG überträgt im Wege der Abspaltung nach Schweizer Recht Wirtschaftsgüter auf die Y AG, deren Sitz und Ort der Geschäftsleitung sich ebenfalls in der Schweiz befindet. Die D AG erhält Anteile an der Y AG.

Während eine Aufspaltung wie eine Verschmelzung zu einem (vollständigen) Anteilstausch führt, so dass beim inländischen Gesellschafter ebenfalls eine Anteilsveräußerung vorliegt,63 könnte dies bei der Abspaltung anders gesehen werden. Denn der inländische Gesellschafter erhält bei dieser im Regelfall zusätzlich Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft, während er die Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft weiterhin hält. Bei Vergleichbarkeit mit einer Abspaltung i.S. des § 123 Abs. 2 UmwG ist es m.E. dennoch – dem wirtschaftlichen Gehalt und der handelsrechtlichen Sichtweise64 entsprechend – geboten, den Vorgang als eine teilweise Veräußerung der Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft einzustufen.65 Dies entspricht auch der Wertung des Gesetzgebers, da in den gesetzlich geregelten Fällen – §§ 15 Abs. 1 i.V.m. § 13 UmwStG, § 20 Abs. 4a Satz 7 EStG – eine entsprechende An62 So auch zur Rechtslage vor SEStEG BFH v. 7.4.2010 – I R 96/08, BStBl. II 2011, 467. 63 Vgl. Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 8b KStG Rz. 92. 64 Vgl. IDW, RS HFA 43, FN-IDW 2012, 714, Rz. 33 f. 65 Vgl. Benecke/Staats, FR 2010, 893, 895; Ritzer in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 2. Aufl., Anh. 6 Rz. 63 a.E.; Schumacher in FS Endres, 2016, 401, 405.

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wendung der Regelungen für die Verschmelzung erfolgt. Auch nach dem Wortlaut der einschlägigen Regelung im UmwSt-Erlass ist jede „Umwandlung zwischen Körperschaften“ – und damit auch die Abspaltung – auf der Ebene der Anteilseigner als Veräußerungs- und Anschaffungsvorgang der Anteile zum gemeinen Wert zu beurteilen.66 In der Praxis stuft die Finanzverwaltung die Abspaltung jedoch davon abweichend als Sachausschüttung der übertragenden Kapitalgesellschaft ein.67 Dies entspricht der Auffassung des BFH zu einer inländischen Abspaltung nach dem UmwG, auf die mangels Vorliegen der Teilbetriebsvoraussetzung § 15 UmwStG 1995 nicht anwendbar war.68 Bei einer entsprechenden Anwendung der vom BFH für die alte Rechtslage aufgestellten Grundsätze ist – wie bei abspaltungsähnlichen Vorgängen, die nach ausländischem Gesellschaftsrecht als Ausschüttungsvorgang ausgestaltet sind69 – zunächst zu prüfen, ob ein Kapitalertrag i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG oder eine Kapitalrückzahlung vorliegt, die steuerneutral mit dem Buchwert bzw. den Anschaffungskosten der Anteile zu verrechnen ist. Nach zutreffender Auffassung liegt eine solche Kapitalrückzahlung einer Drittstaatskapitalgesellschaft auch nach Einführung des § 27 Abs. 8 KStG nicht nur bei der Herabsetzung des Nennkapitals vor, sondern auch dann, wenn nach ausländischem Recht von der Rückzahlung einer Einlage auszugehen ist.70 Anmerkung Heinemann: Das Urteil VIII R 47/13 ist derzeit noch nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht. Das Urteil könnte möglicherweise dazu führen, dass Anteilseigner von Drittstaatengesellschaften besser gestellt werden als Anteilseigner einer inländischen oder einer EU-Gesellschaft.71 Denn nach Ansicht des BFH sind die Nachweisvorschriften des § 27 Abs. 1 bis 6 und 8 KStG für Drittstaatengesellschaften weder unmittelbar noch analog anwendbar, so dass diese eine Einlagenrückgewähr tätigen können, auch wenn sie über kein formell festgestelltes Einlagekonto verfügen. Es bleibt abzuwarten, ob auch der 1. Senat des BFH in dem Verfahren I R 15/16, das ebenfalls die steuer66 67 68 69

Vgl. BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 00.03. Ebenso Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 8b KStG Rz. 92. Vgl. BFH v. 7.4.2010 – I R 96/08, BStBl. II 2011, 467, Rz. 31. Vgl. zum Spin-off nach US-amerikanischem Recht BFH v. 20.10.2010 – I R 117/08, BFH/NV 2011, 669. 70 Vgl. BFH v. 13.7.2016 – VIII R 47/13, BFH/NV 2016, 1831; s. auch das derzeit noch anhängige Revisionsverfahren I R 15/16. 71 BFH v. 13.7.2016 – VIII R 47/13, BFH/NV 2016, 1831 Rz. 28.

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liche Qualifikation einer Kapitalrückzahlung durch eine Drittstaatengesellschaft betrifft, die formelle Feststellung des Einlagekontos für entbehrlich hält und ob er gegebenenfalls nähere Ausführungen zu der Frage machen wird, welche Nachweise die Drittstaatengesellschaft zu erbringenden hat, um die Einlagenrückgewähr darzulegen. Soweit hingegen Bezüge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG vorliegen, ist beim inländischen Gesellschafter § 8b Abs. 1 Satz 1, 5 Satz 1 KStG bzw. §§ 3 Nr. 40 Buchst. d) Satz 1, 3c Abs. 2 EStG anzuwenden, so dass bei Kapitalgesellschaften als Gesellschafter mit einer Beteiligung von mindestens 10 % zu Beginn des Kalenderjahres (§ 8b Abs. 4 KStG) im Ergebnis 95 % der Bezüge freigestellt sind (für gewerbesteuerliche Zwecke gilt § 8 Nr. 5 i.V.m. § 9 Nr. 7 GewStG bzw. § 9 Nr. 8 GewStG). Allerdings könnte das in § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG bzw. § 3 Nr. 40 Buchst. 2 Satz 2 EStG geregelte Korrespondenzprinzip der 95 %-igen oder 40 %-igen Freistellung entgegenstehen. Danach gilt die Freistellung nach den nationalen Regelungen oder einem DBA nur, soweit die Bezüge das Einkommen der leistenden Körperschaft nicht gemindert haben. Falls die Abspaltung auf Ebene der ausländischen Gesellschaft nach dem ausländischen Steuerrecht ohne Gewinnrealisierung zu Buchwerten erfolgt, könnte die nicht realisierte Differenz zwischen dem gemeinen Wert und dem ausländischen Buchwert als Einkommensminderung eingestuft werden (verhinderte Vermögensmehrung).72 Allerdings übernimmt die übernehmende Kapitalgesellschaft nach dem ausländischen Steuerrecht regelmäßig die von der übertragenden Kapitalgesellschaft angesetzten Buchwerte, so dass es nur zu einem Besteuerungsaufschub, nicht aber zu einer endgültigen Einkommensminderung kommt. Gerade solche Sachverhalte in Dreieckskonstellationen sollen von § 8b Abs. 1 Satz 4 KStG bzw. § 3 Nr. 40 Buchst. d Satz 3 EStG erfasst werden. Danach wird die Freistellung nicht versagt, soweit eine verdeckte Gewinnausschüttung das Einkommen einer dem Steuerpflichtigen nahestehenden Person erhöht hat und § 32a KStG auf die Veranlagung dieser nahestehenden Person keine Anwendung findet. Bei Anwendung der vom BFH für das UmwStG a.F. aufgestellten Grundsätze stellt die bei Abspaltung angenommene Sachausschüttung eine verdeckte Gewinnausschüttung dar, so dass es darauf ankommt, ob die Voraussetzung einer 72 Vgl. zum Einbezug der verhinderten Vermögensmehrung Pung in Dötsch/ Pung/Möhlenbrock, § 8b KStG Rz. 81; Gosch in Gosch, 3. Aufl., § 8b KStG Rz. 148; Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 8b KStG Rz. 139.

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Einkommenserhöhung bei der nahestehenden Person erfüllt ist. Die Finanzverwaltung vertritt in Praxisfällen die Auffassung, diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, da die Einkommenserhöhung bei einer Buchwertverknüpfung nicht im Abspaltungszeitpunkt, sondern erst in der Zukunft eintritt (durch höhere Veräußerungsgewinne, niedrigere Abschreibungen etc.).73 Nach dieser Auffassung führt die Abspaltung von einer Drittstaatskapitalgesellschaft beim inländischen Gesellschafter zu voll steuerpflichtigen Einkünften in Höhe der Differenz zwischen dem gemeinen Wert des übertragenen Vermögens und dessen steuerlichen Buchwert nach ausländischem Recht (in Höhe des ausländischen Buchwerts sind hingegen auch nach dieser Auffassung die Freistellungen nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG bzw.§ 3 Nr. 40 Buchst. d) Satz 1 EStG zu gewähren, wenn der Buchwert bei der übertragenden Kapitalgesellschaft ohne Minderung des Einkommens ausgebucht wird). M.E. ist die Anwendbarkeit der Rückausnahme jedoch zu bejahen, da nach Sinn und Zweck der Regelung hinsichtlich dieses Tatbestandsmerkmals kein Zeitpunkt- oder Zeitraumerfordernis besteht.74 Daher steht das Korrespondenzprinzip einer Anwendung der Freistellungen nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG bzw. § 3 Nr. 40 Buchst. d) Satz 1 EStG bei Annahme einer Sachausschüttung wegen Abspaltung entgegen der Verwaltungsauffassung nicht entgegen. Im Übrigen ist zweifelhaft, ob eine Besteuerung einer Drittstaatenabspaltung mit der Kapitalverkehrsfreiheit des AEUV vereinbar wäre. Anmerkung Heinemann: Die teleologischen Erwägungen erscheinen durchaus nachvollziehbar. Für die von Pung angesprochene Verwaltungspraxis lässt sich allerdings der Wortlaut des § 8b Abs. 1 Satz 4 KStG anführen, wonach die Einkommenserhöhung bereits eingetreten sein muss, damit die Rückausnahme Anwendung finden kann.

VII. Einbringung in eine Personengesellschaft mit Einnahmeüberschussrechnung (Heinemann) Mit Verfügung vom 9.2.2016 (S 1978d-2015/0005-St 111) hat die OFD Nordrhein-Westfalen zu Fragen Stellung genommen, die sich bei Ein-

73 Vgl. den Hinweis bei Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 8b KStG Rz. 92. 74 Vgl. Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 8b KStG Rz. 92; Gosch in Gosch, 3. Aufl., § 8b KStG Rz. 148g; Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 8b KStG Rz. 167.

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bringungen nach § 24 UmwStG im Zusammenhang mit dem Übergang zur Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich ergeben.75 Beispiel: Der Freiberufler A bringt seine Praxis, für die er den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG durch Einnahmenüberschussrechnung ermittelt, nach § 24 UmwStG in die ABC-Sozietät ein. Die Sozietät ermittelt ihren Gewinn ebenfalls nach § 4 Abs. 3 EStG. (1) Muss A auf den Einbringungszeitpunkt zur Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich übergehen, und muss die Sozietät eine Einbringungsbilanz erstellen? (2) Darf das Finanzamt anstelle einer Bilanz auch die Vorlage einer anderweitigen Dokumentation des eingebrachten Vermögens verlangen? (3) Wann endet die Frist für den Buchwertantrag, wenn kein Übergang zum Betriebsvermögensvergleich erfolgt?

Zu Frage (1) 1. Rz. 24.03 UmwSt-Erlass – überholte Verwaltungsauffassung Bislang forderte die Finanzverwaltung in Einbringungsfällen nach § 24 UmwStG angesichts des Gesetzeswortlauts einen Übergang zum Betriebsvermögensvergleich: Auf den steuerlichen Übertragungsstichtag sollte der Einbringende eine Einbringungsbilanz und die aufnehmende Mitunternehmerschaft eine Eröffnungsbilanz zu erstellen haben.76 Im Anschluss sollte die Mitunternehmerschaft zur Einnahmenüberschussrechnung zurückkehren dürfen. 2. Aktuelle Weisungslage Nach der Verfügung der OFD NRW v. 9.2.2016, die die aktuelle Beschlusslage der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder wiedergibt, ist nunmehr wie folgt zu differenzieren: a) Buchwerteinbringung Bei der Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils, für den die Gewinnermittlung bisher durch Einnahmenüberschussrechnung vorgenommen wurde, ist ein Übergang zur Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nicht mehr erforderlich, sofern die Einbringung nach § 24 Abs. 2 UmwStG zu Buchwerten erfolgt und die aufnehmende Personengesellschaft ebenfalls ihren Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung ermittelt.

75 DB 2016, 383. 76 H 4.5 Abs. 6 Einbringungsgewinn EStH 2015.

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Die geänderte Verwaltungsauffassung beruht auf den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 11.4.2013 – III R 32/1277 mit dem der BFH entschieden hat, dass bei der Realteilung einer freiberuflichen Mitunternehmerschaft, die ihren Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung ermittelt, keine Verpflichtung zur Erstellung einer Realteilungsbilanz besteht, wenn die Buchwerte fortgeführt werden und die Mitunternehmer unter Aufrechterhaltung der Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung ihre berufliche Tätigkeit in Einzelpraxen weiterbetreiben. Da eine Realteilung einer Personengesellschaft als umgekehrter Fall einer Einbringung nach § 24 UmwStG angesehen werden kann, wendet die Verwaltung das BFH-Urteil entsprechend auf Buchwerteinbringungen nach § 24 UmwStG an. Damit ist die gegenteilige Auffassung in Rz. 24.03 UmwSt-Erlass und R 4.5 Abs. 6 Satz 2 EStR 2012, H 4.5 Einbringungsgewinn EStH 2015 insoweit überholt. Eine Anpassung des BMF-Schreibens und der EStH ist allerdings (noch) nicht erfolgt. b) Einbringung zu einem Zwischenwert oder zum gemeinen Wert Eine Bilanzierungspflicht besteht nach Auffassung der Finanzverwaltung noch, wenn bei der Einbringung ein Zwischenwert oder der gemeine Wert nach § 24 Abs. 2 UmwStG angesetzt wird. Gleiches gilt, wenn die aufnehmende Mitunternehmerschaft den Gewinn bereits durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt. In diesen Fällen hat der Einbringende auf den steuerlichen Übertragungsstichtag eine Einbringungsbilanz und die übernehmende Mitunternehmerschaft eine Eröffnungsbilanz aufzustellen, sofern sie ihren Gewinn nicht bereits durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt.78 Der Übergang zum Bestandsvergleich erfordert die Ermittlung eines Übergangsgewinns, der als laufender Gewinn zu versteuern ist. Entsprechendes gilt für die Rückkehr der übernehmenden Mitunternehmerschaft vom Bestandsvergleich zur Einnahmenüberschussrechnung. Die Finanzverwaltung erachtet die Rückkehr zur Einnahmenüberschussrechnung regelmäßig nicht als willkürlich.79

77 BStBl. II 2014, 242. 78 S. BFH v. 5.4.1984 – IV R 88/80, BStBl. II 1984, 518; BFH v. 18.10.1999 – GrS 2/98, BStBl. II 2000, 123. 79 Vgl. H 4.6 Erneuter Wechsel der Gewinnermittlungsart EStH 2015.

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Ergänzend ist darauf hinzuweisen, das sich nach dem BFH-Urteil vom 4.12.2012 – VIII R 41/0980 die zur Bestimmung des Einbringungsgewinns erforderliche Übergangsgewinnermittlung nur auf das tatsächlich nach § 24 UmwStG eingebrachte Betriebsvermögen erstreckt. Forderungen können daher als unwesentliche Betriebsgrundlagen bei einer Einbringung zurückbehalten werden und gelten nicht zwingend als entnommen. Sie können als sogenanntes Restbetriebsvermögen behandelt werden. Die Besteuerung der Erträge erfolgt erst bei Zufluss als nachträgliche Einnahmen nach § 24 Nr. 2 EStG. Zu Frage (2) Der bisherigen Verwaltungsauffassung zur Bilanzierungspflicht in Realteilungs- und Einbringungsfällen lag im Wesentlichen das Anliegen zugrunde, durch die Bilanzierung den Umfang des Betriebsvermögens zu bestimmen und damit die Besteuerung sicherzustellen. 1. Dokumentationserfordernisse in Fällen der Realteilung und bei gewillkürtem Betriebsvermögen Der BFH sieht in Realteilungsfällen in dem Informationsinteresse der Finanzverwaltung keine Rechtfertigung für den von ihr geforderten Übergang zum Betriebsvermögensvergleich. Vielmehr sei es Aufgabe der Finanzbehörden, anderweitige Aufzeichnungen bei den Beteiligten anzufordern.81 Der BFH verweist insoweit auf die Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Bildung gewillkürten Betriebsvermögens bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG.82 Danach ist für die Zuordnung eines Wirtschaftsguts zum gewillkürten Betriebsvermögen (bei erstmaligem Erwerb oder bei Einlage) zu fordern, dass diese unmissverständlich in einer solchen Weise dokumentiert wird, dass ein sachverständiger Dritter – z.B. ein Betriebsprüfer – ohne weitere Erklärung des Steuerpflichtigen die Zugehörigkeit des erworbenen oder eingelegten Wirtschaftsguts zum Betriebsvermögen erkennen kann. Die Finanzverwaltung fordert aufgrund der Entscheidung des BFH-Urteils vom 2.10.2003 die zeitnahe Aufnahme in ein laufend zu führendes Bestandsverzeichnis oder vergleichbare Aufzeichnungen.83 Die Aufzeichnung hat dabei in einer Form zu erfolgen, die Zweifel in Bezug auf die Zuordnung eines Wirtschaftsguts zum gewillkürten Betriebsver80 81 82 83

BStBl. II 2014, 288. BFH v. 11.4.2013 – III R 32/12, BStBl. II 2014, 242. S. BFH v. 2.10.2003 – IV R 13/03, BStBl. II 2004, 985. BMF-Schreiben v. 17.11.2004 – IV B 2-S 2134-2/04, BStBl. I 2004, 1064.

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mögen sowie deren Zeitpunkt ausschließt. Der Nachweis kann auch in anderer Weise geführt werden, z.B. durch eine zeitnahe schriftliche Erklärung gegenüber dem zuständigen Finanzamt. Der Behandlung von Einnahmen und Ausgaben im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsgut als Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben kommt bei der Zuordnungsentscheidung Indizwirkung zu. Nach der Auffassung des BFH müssen die Aufzeichnungen auch bei der Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung sicherstellen, dass die stillen Reserven erfasst werden. Das dürfte eine Dokumentation der Buchwerte erforderlich machen. 2. Übertragung der Rechtsprechungsgrundsätze auf Einbringungsfälle Die genannten Grundsätze des BFH zur Dokumentation in Fällen der Realteilung und bei gewillkürtem Betriebsvermögen des § 4 Abs. 3 EStG-Rechners sollen nach Auffassung der OFD NRW auch für Fälle der Buchwerteinbringung nach § 24 UmwStG gelten, falls im Zuge der Einbringung keine Bilanzen erstellt werden. Zu Frage (3) Die Einbringung zum Buchwert oder zu einem Zwischenwert setzt einen entsprechenden Antrag der übernehmenden Mitunternehmerschaft voraus. Nach dem Gesetzeswortlaut kann der Antrag bis zur Abgabe der „steuerlichen Schlussbilanz“ gestellt werden. Führt die übernehmende Mitunternehmerschaft in Fällen der Buchwerteinbringung eines § 4 Abs. 3 EStG-Rechners die Gewinnermittlung durch Einnahmeüberschussrechnung fort, gibt es keine „steuerliche Schlussbilanz“. Weder der Einbringende noch die aufnehmende Mitunternehmerschaft erstellt eine Bilanz. Bislang hat die Finanzverwaltung die von ihr geforderte Einbringungsbilanz als „steuerliche Schlussbilanz“ gewertet. Zwar hat die Finanzverwaltung ihren Standpunkt zur Bilanzierungspflicht aufgegeben. Das führt indes nicht zu einem unbefristeten Wahlrecht. Vielmehr wird der Begriff „steuerliche Schlussbilanz“ als „steuerliche Gewinnermittlung“ ausgelegt, so dass er auch die Einnahmenüberschussrechnung erfasst. Die OFD NRW sieht die Dokumentation der Buchwerte nach den oben genannten Rechtsprechungsgrundsätzen nicht als konkludente Wahlrechtsausübung an. Das entspricht Rz. 03.29 UmwSt-Erlass, wonach zusätzlich zur Schlussbilanz ein expliziter Buchwertantrag erforderlich ist.

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Anmerkung Schumacher: Nach dem Gesetzeswortlaut kann der Antrag bis zur erstmaligen Abgabe der steuerlichen Schlussbilanz gestellt werden. Aufgrund der gravierenden Folgen einer verspäteten Antragstellung kann von diesem eindeutigen Wortlaut nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen abgewichen werden. Daher führt die Abgabe der Einnahmenüberschussrechnung nicht zum Ende der Antragsfrist. Zudem ist zu beachten, dass der Verzicht auf eine Bilanzierung nur im Fall der Buchwertfortführung möglich ist. Wenn der Steuerpflichtige keine Schlussbilanz einreicht, stellt er somit konkludent auch den Antrag auf Buchwertfortführung.

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Aktuelle Brennpunkte der Besteuerung von unternehmensnahen Stiftungen Professor Dr. Jochen Lüdicke1 Rechtsanwalt, Steuerberater und Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf Inhaltsübersicht A. Die Erscheinungsformen der unternehmensnahen Stiftung I. Die Unternehmensträgerstiftung II. Die Beteiligungsträgerstiftung III. Stiftung als Komplementär IV. Die Familienstiftung V. Die unternehmensnahe Stiftung und Gemeinnützigkeit 1. Brennpunkte wegen der Unternehmens- und Familiennähe 2. Weitere Brennpunkte B. Besteuerung der Stiftung I. Besteuerung der Vermögensausstattung 1. Die erbschaftsteuerliche Behandlung der Vermögensausstattung 2. Die ertragsteuerliche Behandlung der Vermögensausstattung 3. Die grunderwerbsteuerlichen Auswirkungen

II. Die laufende Besteuerung der inländischen unternehmensnahen Stiftung III. Brennpunkte bei Unternehmensträgerstiftungen IV. Brennpunkte bei Beteiligungsträgerstiftungen C. Besteuerung der Begünstigten der unternehmensnahen Stiftung I. Die Besteuerung des Destinatärs II. Die Besteuerung der Anfallsberechtigten III. Hinzurechnungsbesteuerung nach § 15 Abs. 3 AStG D. Brennpunkte bei ausländischen Stiftungen E. Sondertatbestände I. Veränderung des Begünstigtenkreises II. Darlehen von Begünstigten F. Ausblick und Fazit

Mit der Rechtsform Stiftung steht bei der Gestaltung ein Instrument zur Verfügung, das es dem Stifter ermöglicht, seinen Willen losgelöst von seiner Person und seinem Schicksal auf Dauer durch das Stiftungsunternehmen oder das Beteiligungsunternehmen zu verwirklichen. Dies ergibt 1 Prof. Dr. Jochen Lüdicke ist Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Düsseldorf, Honorarprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Präsident des Bundesverbandes der Steuerberater.

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sich daraus, dass der Stifter keine seinen Vorstellungen nicht entsprechende Einflussnahme einer sich ständig wandelnden Mitglieder- oder Gesellschafterversammlung im Unternehmen fürchten muss. Die Vorteile einer Stiftung kann auch ein Unternehmer für sich nutzbar machen, der seine Nachfolge gestalten will und bisher etwa als Einzelunternehmer auftrat oder sein Unternehmen in der Rechtsform einer Personen- oder Kapitalgesellschaft führte. So kann das Unternehmen über die Lebzeiten des Unternehmers hinaus an dessen Grundsatzentscheidungen gebunden werden und sein Name oder sein Unternehmen gleichzeitig auf Dauer mit ideellen Zwecken in Verbindung gebracht werden. Eine Zersplitterung des Unternehmens wird verhindert, sodass sich der Unternehmer bei entsprechend qualifizierter Leitung des Fortbestands seines Lebenswerks gewiss sein kann. Damit bietet sich die Stiftung in besondere Weise für die Gestaltung der Unternehmensnachfolge an. Dies gilt umso mehr, wenn der Unternehmer nicht über geeignete Abkömmlinge verfügt, die das Unternehmen fortführen könnten. Stiftungen haben also für die Gestaltung der Nachfolge von Todes wegen eine große Relevanz, sodass es nicht überrascht, dass die am 14.10.2016 vom Bundestag beschlossene Reformierung der Erbschaftsbesteuerung2 sich auch wesentlich auf Gestaltungen unter Einbeziehung dieser Rechtsform auswirkt.3 Zu den vielfältigen offenen Fragen sind dadurch weitere Problemfelder getreten. Dies soll zum Anlass genommen werden, die aktuellen Brennpunkte bei der Besteuerung insbesondere solcher Stiftungen in den Blick zu nehmen, die einen Bezug zu einem Unternehmen aufweisen, sog. unternehmensnahe Stiftungen. Da die Terminologie nicht einheitlich ist, habe ich dem Beitrag die Abb. 1 mit einem Kurzüberblick über die behandelten Stiftungsformen und ihre Besteuerung vorangestellt, auch wenn ich wegen des beschränkten Umfangs des Vortrags nicht auf alle in der Abb. angesprochenen Steuerfragen eingehen kann.

2 BGBl. 2016 I, 2464 ff. Die Druckfassung stellt auf den Rechtsstand zum Jahresende 2016 ab. 3 Vgl. Wachter, FR 2017, 69 ff., 130 ff.

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A. Die Erscheinungsformen der unternehmensnahen Stiftung Unternehmensnahe Stiftungen zeichnet aus, dass zu ihrem Vermögen entweder ein Unternehmen oder die Beteiligung an einem Unternehmen gehört. Es werden zwei Erscheinungsformen unterschieden, die auch kombiniert werden können. Dabei handelt es sich jeweils nicht um eigene Rechtsformen, sondern lediglich um Anwendungsvarianten der Stiftung i.S.d. §§ 80 ff. BGB.

I. Die Unternehmensträgerstiftung Als sog. Unternehmensträgerstiftung betreibt eine Stiftung unmittelbar selbst ein Unternehmen, d.h., tritt am Markt auf und ist Kaufmann i.S.d. HGB. Dabei kann die Führung des Unternehmens entweder Hauptzweck der Stiftung sein. In diesem Fall verwirklicht die Führung des Unternehmens unmittelbar den Zweck der Stiftung, so etwa im Falle des Betriebes eines Krankenhauses. Zum anderen kann das Unternehmen nur das Mittel zum Zweck sein, um die Gewinne außerhalb des Unternehmens zu verwerten. Diese Form der Stiftung bietet sich insbesondere an, wenn ein Unternehmen oder eine Unternehmensgruppe mitbestimmungsgünstig geführt werden soll, ohne Familienmitglieder von den Gewinnen des Unternehmens, die nicht für Reinvestitionen erforderlich sind, fernzuhal273

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ten. Ob der Einfluss der Familienmitglieder beschränkt werden soll, sodass die Familienmitglieder letztlich ähnlich wie stimmrechtslose Vorzugsaktionäre behandelt werden, hängt von der Satzung der Familienstiftung ab. In dem Stiftungsvorstand ist eine umfassende Berücksichtigung der Familienmitglieder möglich.

II. Die Beteiligungsträgerstiftung Hält die unternehmensnahe Stiftung hingegen nur eine Beteiligung an einer Personen- oder Kapitalgesellschaft, ohne das Unternehmen unmittelbar selbst zu führen, bezeichnet man sie als Beteiligungsträgerstiftung.4 Die Stiftung kann als persönlich haftende Gesellschafterin auftreten (so etwa bei der Stiftung & Co. KG) und damit eine Durchgriffshaftung natürlicher Personen vermeiden oder geschäftsleitend fungieren. Die Beteiligungsträgerstiftung gewährt dabei den Vorteil, das eigene Unternehmen in einer Rechtsform betreiben zu können, die Anpassungen zugänglicher ist als die Stiftung.5 Die Stiftung kann sich zudem auf eine rein vermögensverwaltende Tätigkeit ohne eigene unternehmerische Betätigung (§ 14 AO) beschränken.

III. Stiftung als Komplementär Wird die Nachfolge unter Einbeziehung einer Stiftung so gestaltet, dass das Unternehmen in Form einer KG oder KGaA fortgeführt wird, wobei eine Stiftung als Komplementär fungiert, können die Familienmitglieder von einer Gesellschafterstellung entkoppelt und gleichzeitig die Haftungssituation verbessert werden. Problematisch ist aus steuerrechtlicher Sicht zum einen die Frage nach einer gewerbesteuerlichen Zurechnung der Vergütungen nach § 8 Nr. 4 GewStG; zum anderen könnte § 10 Nr. 4 KStG auf Stiftungsgremien anwendbar sein, sodass tatsächlich gezahlte Vergütungen zur Hälfte ertragsteuerlich unberücksichtigt blieben. Bei sog. RETT-Blocker-Stiftungen zur Vermeidung der Grunderwerbsteuer besteht die Gefahr, dass die steuerneutrale Änderung der Begüns-

4 Staudinger/Hüttemann/Rawert, Vorbem. zu §§ 89 ff. BGB, Rz. 132, 136 ff.; Schlüter/Stolte, Stiftungsrecht, Kap. 1 Rz. 74 ff.; MünchKomm/Weitemeyer, § 80 BGB, Rz. 147 ff. 5 Zweckänderung nur unter den Voraussetzungen des § 87 BGB; keine Umwandlungsfähigkeit, z.B. § 3 Abs. 1 UmwG, § 19 UmwG, jedoch Ausgliederungsfähigkeit nach §§ 161 ff. UmwG.

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tigten der Komplementär-Stiftung von der Finanzverwaltung in Zukunft nicht mehr akzeptiert werden wird.

IV. Die Familienstiftung In vielen Fällen wird eine unternehmensnahe Stiftung zugleich als Familienstiftung klassifiziert werden können, weil sie neben dem Bezug zu einem Unternehmen im Wesentlichen der Unterstützung und Förderung einer Familie oder einzelner Familienmitglieder dient.6 Konsequenz ist, dass die für Familienstiftungen geltenden Sonderregelungen mit für den Steuerpflichtigen sowohl belastenden (z.B. Hinzurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG) als auch begünstigenden (z.B. Steuerklassenprivileg nach § 15 Abs. 2 ErbStG) Wirkungen Anwendung finden. Ist der Stiftungsvorstand nicht im Inland ansässig, ist zu erwägen, ob der Sitz der Familienstiftung auch in einem ausländischen Staat liegen soll, um in der Stiftung ertragsteuerlich nur mit den bei der beschränkten Steuerpflicht erfassten Beträgen steuerpflichtig zu sein und nicht der Erbersatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG zu unterfallen, vorausgesetzt jeweils, dass der Sitzstaat (z.B. Liechtenstein oder Österreich) solche Steuern nicht erhebt.

V. Die unternehmensnahe Stiftung und Gemeinnützigkeit Zwar dient die unternehmensnahe Stiftung in der Regel der Absicherung des Stifters und seiner Abkömmlinge, damit also (aus Sicht des Stifters z.T. primär) privaten Interessen. Gleichwohl kann eine unternehmensnahe Stiftung auch steuerbegünstigt i.S.d. §§ 51 ff. AO sein. Zum einen muss dafür überhaupt einer der dort genannten Zwecke verwirklicht werden und zum anderen darf nur ein Drittel des Einkommens der Stiftung für den angemessenen Unterhalt der Stifters und seiner nächsten Angehörigen, die Pflege ihrer Gräber und der Ehrung ihres Andenkens verwendet werden (§ 58 Nr. 6 AO). Dazu eignet sich wegen der Kriterien der Ausschließlichkeit (§ 56 AO) und Unmittelbarkeit (§ 57 AO) alleine die Beteiligungsträgerstiftung.7 Eine geschäftsleitende Einflussnahme als Mehrheits- oder Alleingesellschafter versperrt den 6 Hiervon ausgehend auch von Oertzen/Reich, Ubg 2015, 629; Froning bezeichnet diese Erscheinungsform als den „Prototyp der zu diesem Zweck errichteten Stiftung“, in Sudhoff, Unternehmensnachfolge, 5. Aufl. 2005, § 50 Rz. 6. 7 Vinken, Die Stiftung als Trägerin von Unternehmen und Unternehmensteilen, S. 96 f.

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Weg in die Gemeinnützigkeit. Grundsätzlich ist die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft nach Ansicht der Finanzverwaltung zwar Vermögensverwaltung8, besteht hingegen ein entscheidender Einfluss auf die laufende Geschäftsführung, soll ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vorliegen.9 Unterscheidungsschwierigkeiten können sich ergeben, wenn das Stiftungsvermögen aus gewerblich infizierten oder geprägten Beteiligungen an Personengesellschaften besteht; richtigerweise sollte dies die Tätigkeit der Stiftung, auch Einkünfte aus z.B. Kapitalvermögen zu erzielen, unberührt lassen, weil § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG im KStG keine Entsprechung hat. Beteiligt sich eine Stiftung als Komplementärin an einer KG, führt dies nicht zu deren gewerblicher Prägung, so dass bei einer Immobilien-KG die 10-jährige Spekulationsfrist anwendbar bleibt.10 Eine steuerbegünstigte Stiftung unterliegt nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 S. 2 KStG i.V.m. § 64 Abs. 1 AO der partiellen Steuerpflicht nur, soweit sie einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhält. Darüber hinaus bleiben Einkünfte nach § 5 Nr. 9 KStG steuerfrei. Soll eine Familie umfassenden Einfluss auf ein Unternehmen behalten, der Umfang des der Erbersatzsteuer unterliegenden Vermögens jedoch begrenzt werden, bietet das Modell der Doppelstiftung einen Lösungsansatz: Eine gemeinnützige Stiftung hält die Mehrheit der Anteile stimmrechtlos, wohingegen eine weitere Stiftung (Familienstiftung) das Stimmrecht mit nur geringem Wertanteil ausübt. Zwar ist die Familienstiftung der Erbersatzsteuer unterworfen, durch geeignete Ausgestaltung der Ertrags- und Kapitalbeteiligung sollte die Einhaltung der Vollbefreiungsgrenze von 26 Mio. Euro, § 13c ErbStG, jedoch möglich sein, so dass im Ergebnis weder auf die Anteile der gemeinnützigen Stiftung noch die der Familienstiftung Erbschaftsteuer anfällt. 1. Brennpunkte wegen der Unternehmens- und Familiennähe Aus der Unternehmensnähe ergeben sich für gemeinnützige Unternehmensbeteiligungsstiftungen potentielle Schwierigkeiten. Während das Idealbild der vermögensverwaltenden Wohltäter dem Gesetzgeber der §§ 51 ff. AO vor Augen stand, ist die gemeinnützige Unternehmensbeteiligungsstiftung eben auch als Gesellschafter gefordert. Dies muss zur Vermeidung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs ohne beherrschenden Unternehmenseinfluss bleiben, § 14 S. 3 AO, ist aber innerhalb dieser 8 AEAO zu § 64 Abs. 3 S. 4. 9 AEAO zu § 64 Abs. 3 S. 5. 10 Vgl. Blümich/Bode EStG, § 15 Rz. 30i.

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Grenzen auch nicht ausschließlichkeitsschädlich, § 56 AO. In diesen Grenzen sind Beteiligungen an in- oder ausländischen Unternehmen möglich. Demgegenüber ist im gemeinnützigkeitsrechtlichen Kernbereich der Stiftungstätigkeit ein jedenfalls teilweiser Inlandsbezug gefordert, § 51 Abs. 2 AO. Dieser erklärt sich daraus, dass der Staat auf Steuereinnahmen durch die Gewährung der Gemeinnützigkeit auch deshalb verzichtet, weil die Stiftung Aufgaben wahrnimmt, die sonst vom Staat (oder einer Gebietskörperschaft) hätten erbracht werden müssen. Solche Verpflichtungen bestehen primär in Deutschland. Die für die ausländische Betätigung relevante zweite Alternative, dass die Tätigkeit „zum Ansehen der Bundesrepublik Deutschland beitragen kann“, ist streitträchtig. Die konkreten Anforderungen lassen sich dem Gesetz nicht trennscharf entnehmen. Auch die einzelnen Betätigungsformen werfen Probleme auf, so setzt Gemeinnützigkeit (§ 52 AO) voraus, dass das Handeln der Allgemeinheit zugutekommt (Exklusivitätsverbot11 – § 52 Abs. 1 S. 2 AO). Insofern wird immer wieder streitig, inwieweit z.B. bei sozialen oder sportlichen Aktivitäten ein überbetrieblicher Zugang eröffnet sein muss. In diesem Zusammenhang ist auch die Unterscheidung zwischen Förderung der Religion (§ 52 Abs. 2 Nr. 2 AO) und kirchlichen Zwecken (§ 54 AO) bedeutsam – letztere Alternative setzt keine Förderung der Allgemeinheit voraus; Abgrenzungsprobleme ergeben sich speziell bei ausländischen Kirchen. Bei der Mildtätigkeit (§ 53 AO) ist ungeklärt, welche Nachweise – und in welcher Regelmäßigkeit – hinsichtlich der Hilfsbedürftigkeit der konkret begünstigten Personen, z.B. bei „Weihnachtsspenden“ an Kinderkliniken, eingefordert werden müssen. Wie „großzügig“ die Finanzverwaltung auf einen Nachweis gemäß § 52 Nr. 2 S. 8 AO verzichtet, muss sich ebenfalls noch zeigen. Nach der Beobachtung des Verfassers ist die tendenziell großzügige Prüfung in einzelnen ausländischen Staaten für das dortige stiftungsfreundlichere Grundklima sicher (auch) eine Erklärung. Ist neben der gemeinnützigen Tätigkeit auch die Förderung einer Familie Stiftungszweck, bleibt die Gemeinnützigkeit nach § 58 Nr. 6 AO nur dann erhalten, wenn die Stiftung maximal ein Drittel ihres Einkommens dazu verwendet, um den Stifter und seine nächsten Angehörigen zu unterhalten. Bei dem Begriff der „nächsten Angehörigen“ stellt sich die Frage, welche der in § 15 AO genannten Angehörigen nicht mehr erfasst sein sollen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung12 ist dabei ein 11 Seer in Tipke/Kruse, § 52 AO, Rz. 10 ff., 145. Lfg. 07.2016. 12 AEAO zu § 58 Nr. 6 Ziff. 7.

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enger Kreis zugrunde zu legen, den Teile der Literatur13 unterschiedlich weit ausdehnen wollen. In Bezug auf jeden der Empfänger muss zudem der Höhe nach die Grenze des Angemessenen eingehalten werden, wobei schon unklar ist, ob ein allgemeiner Maßstab wie bei der öffentlichen Besoldung oder ein spezieller Maßstab, wie z.B. der Lebensstandard des Stifters oder der des Begünstigten zugrunde zu legen ist14. Wie bei jeder gesetzlich nicht vorgegebenen Wertung besteht erhebliches Konfliktpotential, zumal von einem Dritten, der die Angemessenheit des Unterhaltes beurteilen soll, nicht erwartet werden kann, dass er ganz unabhängig von den eigenen Vermögensverhältnissen entscheidet. Schließlich ist fraglich, ob die Drittelgrenze auch hinsichtlich solcher nächsten Angehörigen einzuhalten ist, die zugleich als Adressaten mildtätiger Zuwendungen angesehen werden können, etwa wenn diese auch „hilfsbedürftig“ i.S.d. § 53 AO sind. 2. Weitere Brennpunkte Ist die gemeinnützige Unternehmensbeteiligungsstiftung relevant an einem oder mehreren erfolgreichen Unternehmen beteiligt, muss sie sich überlegen, ob und ggf. wie sie die quotale Beteiligung (und damit ihren Einfluss) bei steigendem Kapitalbedarf der wachsenden Beteiligungsunternehmen erfüllen will und kann. Die Bildung von Rücklagen zum quotenwahrenden Beteiligungserwerb (§ 62 Abs. 1 Nr. 4 AO) ist zwar grundsätzlich zugelassen, wegen der Inbezugnahme von § 62 Abs. 1 Nr. 3 AO entsteht die Frage, ob die dortige Höchstgrenze auch im Rahmen der Nr. 4 einzuhalten ist, oder ob sie jedenfalls bei konkret geplanten Kapitalmaßnahmen überschritten werden darf. Die OFD Frankfurt15 hat festgelegt, dass die Begrenzung des § 62 Abs. 1 Nr. 3 AO für die Rücklage nach Nr. 4 nicht gilt, die Rücklagenbildung nach Nr. 4 jedoch einen „hinreichend konkreten Anlass“ erfordert, sich die Kapitalerhöhung „bereits konkret abzeichnen“ müsse. In der Praxis ist dies z.B. bei vom Beteiligungsunternehmen begebenen Wandelanleihen relevant: Ist die Anleihe normal verzinslich, hat das Wandlungsrecht des Zeichners zunächst keinen hohen Eigenwert, die die Beteiligungsquote der Stiftung verwässernde Ausübung ist möglich, aber nicht sicher. Zeichnet sich wegen 13 Seer in Tipke/Kruse, § 58 AO, Rz. 14; Musil in H/H/Sp, § 58 AO, Rz. 77, 239. Lfg. 08.2016. 14 Empfänger: AEAO Nr. 8 zu § 58 Nr. 6; Stifter: Seer in Tipke/Kruse, § 58 AO, Rz. 13. 15 Verf. v. 13.2.2014, DStR 2014, 803.

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der Begebung eines bedingten Kapitals die Kapitalerhöhung damit „konkret ab“, oder muss die Stiftung mit der Rücklagenbildung so lange warten, bis das Wandlungsrecht einen eigenständigen wirtschaftlichen Wert hat. M.E. muss hier auf den Kapitalerhöhungsbeschluss, mit dem das bedingte Kapital geschaffen wird, abgestellt werden. Ist die gemeinnützige Stiftung im Ausland errichtet, passt der Mustersatzungstext der Anlage 1 zur AO (§ 60 Abs. 1 S. 2 AO) nicht. Würde man den Mustertext in Anlage 1 absolut setzen, würden allein deswegen ausländische Stiftungen kaum jemals gemeinnützig sein können. Wegen der hier relevanten Kapitalverkehrsfreiheit kann dies im Binnenmarkt nicht die richtige Auslegung sein. Der BFH16 lässt die Prüfung zwar nicht an der fehlenden Durchführung des Satzungsprüfungsverfahrens (§ 60a AO) scheitern, sieht aber keinen Grund, von den übrigen Anforderungen an die Satzungsregelungen, deren Inhalt auch für die deutschen Stiftungen gilt, abzuweichen. Dies lässt die Frage aufkommen, wie die Satzung einer ausländischen Stiftung zu dokumentieren ist17. Fremdsprachen lassen bloß eine inhaltlich entsprechende Umsetzung zu, eine exakte Übernahme des Wortlautes der Mustersatzung in eine fremden Sprache ist nicht möglich. Die Steuerbegünstigung an eine deutschsprachige Urfassung der Satzung zu knüpfen wäre jedenfalls europarechtswidrig, deswegen kann allenfalls eine Übersetzung verlangt werden18. Ungeklärt ist dabei, inwieweit Abweichungen dieser Übersetzung von dem Wortlaut der Anlage 1 unschädlich sind. M.E. sollte hier nicht wortklauberisch vorgegangen werden (vgl. BFH-Vorlagebeschluss „Stauffer“)19. Wird eine (vermögensverwaltend tätige) gewerblich geprägte Personengesellschaft in den Vermögensverwaltungsbereich der Stiftung eingebracht, führt dies nicht zur Begründung eines „Zweckbetriebes“. Allerdings ist abweichend von der Situation bei der Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern, die nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 5.4 EStG zu Buchwerten möglich ist, durch die Gesetzesänderung des § 6 Abs. 3 S. 1 am Endes des 1. Halbsatzes durch Art. 7 Nr. 1 G. v. 20.12.2016, BGBl. 2016 I, S. 3000 die Aufdeckung von stillen Reserven angeordnet, wenn die gemeinnützige Spendenempfängerin die Beteiligung im Idealbereich hält. Möglicherweise ist

16 Vgl. BFH, Urteil v. 17.9.2013 – I R 16/12, IStR 2014, 266. 17 Dazu Buchna/Leichinger/Seeger/Brox, Gemeinnützigkeit im Steuerrecht, 11. Aufl., S. 232; Leisner-Egensperger in H/H/Sp, § 60 AO, Rz. 8. 18 Ullrich, DStR 2009, 2471. 19 V. 14.7.2004 – I R 94/02, IStR 2004, 752.

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insofern die Begründung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes vorteilhaft.

B. Besteuerung der Stiftung I. Besteuerung der Vermögensausstattung Die Stiftung entsteht durch das Stiftungsgeschäft und die Anerkennung der Rechtsfähigkeit durch die Landesstiftungsbehörde (§ 80 Abs. 1 BGB). Das Stiftungsgeschäft begründet für den Stifter gem. § 82 S. 1 BGB die Pflicht, der Stiftung das versprochene Vermögen zu übertragen. Darüber hinaus können einer bestehenden Stiftung Vermögensgegenstände – allerdings ohne das Verwandtschaftsprivileg des § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG – über eine Zustiftung zugewandt werden. Im Zusammenhang mit der Vermögensausstattung einer unternehmensnahen Stiftung stellt sich besonders die Frage nach den steuerlichen Konsequenzen des Übergangs eines Unternehmens oder einer Beteiligung an einer Personen- oder Kapitalgesellschaft in das Stiftungsvermögen. 1. Die erbschaftsteuerliche Behandlung der Vermögensausstattung Die Vermögensausstattung der Stiftung von Todes wegen unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG der Erbschaftsteuer bzw. zu Lebzeiten nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 8 ErbStG der Schenkungsteuer. Obwohl die Stiftung damit die einzige juristische Person ist, deren Gründung bereits erbschaft- und schenkungsteuerbar ist, ist die Rechtsform Stiftung einträglich für die Unternehmensnachfolge. An Attraktivität hat die Rechtsform Stiftung insbesondere durch die Reform der Erbschaftbesteuerung gewonnen.20 Aus diesem Grunde werden die relevanten Eckpunkte des Reformgesetzes vom 14.10.201621 vorangestellt. (1) Ein Verschonungsabschlag von 85 % (Regelverschonung, § 13a Abs. 1 ErbStG n.F.) bzw. 100 % (Vollverschonung, § 13a Abs. 10 ErbStG n.F.) wird gewährt, wenn das begünstigte Vermögen (§ 13b Abs. 2 ErbStG n.F.) einschließlich der Erwerbe innerhalb von zehn Jahren insgesamt eine Grenze von 26 Mio. Euro nicht übersteigt. Diese Grenze wird erwerberbezogen, also pro Stiftung getrennt, ermittelt. Familienunternehmen können einen Abschlag von bis zu 30 % ansetzen, wenn dieser Wertabschlag für Abfindungen gesellschafts20 So auch v. Oertzen/Reich, Ubg 2015, 629 und Wachter, FR 2017, 69. 21 BGBl. 2016 I, 2464.

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vertraglich festgeschrieben ist und 2 Jahre vor und 20 Jahre nach der Übertragung gilt (§ 13a Abs. 9 ErbStG n.F.). Zudem müssen Entnahmen und Ausschüttungen auf 37,5 % des um die auf den Gewinnanteil oder die Ausschüttungen aus der Gesellschaft entfallenden Ertragsteuern gekürzten Betrages des steuerlichen Gewinns beschränkt sein. Familienunternehmen sind solche, deren Anteil nur auf Familienangehörige i.S.d. § 15 AO, Familienstiftungen und Mitgesellschafter übertragen werden können. So einfach sich das Grundkonzept anhört, so kompliziert und ungeklärt ist es bei näherer Betrachtung, was derzeit die Umsetzung und damit Nutzung der Vorzugsregelung deutlich erschwert. Man kann über folgende Satzungsklausel nachdenken: „Die Gesellschafter sind sich einig, dass für die Gesellschaftsanteile [aller Gesellschafter/der Gesellschafter X, Y] die Voraussetzungen für die Begünstigung nach § 13a Abs. 9 ErbStG oder seiner Nachfolgeregelungen zur Anwendung kommen sollen. Mit Blick auf verschiedene Unsicherheiten, die durch die gesetzliche Regelung verursacht werden, wird höchst vorsorglich vereinbart: (i)

Der steuerliche Gewinnanteil [bis zu einer etwaigen entgegenstehenden Klarstellung des gesetzgeberischen Willens nach/vor] anteiliger Gewerbesteuer [und (im Falle von Kapitalgesellschaften) anteiliger Körperschaftsteuer] darf zur Deckung der persönlichen inländischen Einkommensteuer auf [den Gewinnanteil/die Ausschüttung] entnommen und bezüglich des danach verbleibenden Betrages zu mindestens 62,5 % nicht entnommen werden. Innerhalb dieser Grenze erfolgen Ausschüttungsund Entnahmebeschlüsse mit [einfacher] Stimmenmehrheit. [(Im Falle von Personengesellschaften) Der tatsächliche Ermäßigungshöchstbetrag i.S.v. § 35 EStG kürzt die auf den Gewinn entfallende Steuer; die Berechnung erfolgt einheitlich auf Basis der einkommensteuerlichen Durchschnittsbelastung des jeweiligen Gesellschafters.] Im Falle ausländischer Einkommensteuerpflicht des Gesellschafters gilt der niedrigere Betrag der tatsächlichen Einkommensteuer des Gesellschafters und einer fiktiven deutschen Einkommensteuer als Höchstbetrag für die Entnahme der persönlichen inländischen Einkommensteuer i.S.v. Satz 1.

(ii)

Über die Anteile darf nur zu Gunsten der eigenen Angehörigen, einer [bis zu einer etwaigen entgegenstehenden Klarstellung des gesetzgeberischen Willens vom Übertragenden gegründeten oder diesen oder seine Angehörigen i.S.v. § 15 AO begünstigenden] Familienstiftung oder zu Gunsten von [bis zu einer etwaigen entgegenstehenden Klarstellung des gesetzgeberischen Willens im Zeitpunkt der Übertragung seit mindestens zwei Jahren] vorhandenen Mitgesellschaftern verfügt werden.

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Lüdicke, Besteuerung von unternehmensnahen Stiftungen (iii) Die Abfindung bei Aufgabe, Einziehung und Übertragung der Anteile auf die Gesellschaft ist auf 70 % des Verkehrswertes (bewertet nach Maßgabe des BewG) beschränkt. Wird durch den Gesetzgeber oder die Finanzverwaltung diese Regelung enger oder weiter verstanden, gilt ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung einer entsprechenden Auffassung bzw. – soweit keine entsprechende Veröffentlichung vorangegangen ist – seit Inkrafttreten der diese Auffassung umsetzenden Änderung des Gesetzes dieses weitere oder engere Verständnis. Die Gesellschafter verpflichten sich, diese Änderungen jeweils unverzüglich durch klarstellenden Gesellschafterbeschluss festzuhalten.“

Bei der Formulierung bin ich davon ausgegangen, dass wegen der Individualbewertung die Formulierung nur diejenigen Anteile betreffen muss, um deren „günstige“ Bewertung es geht, nicht hingegen andere Anteile. Insofern mag es sich sogar anbieten, für die Übertragung auf Dritte Anteile vorzuhalten, damit der Dritte sodann Mitgesellschafter wird und später auf ihn als Mitgesellschafter Anteile begünstigungsunschädlich übernommen werden können. Unklar ist die Bezugnahme auf den „steuerlichen Gewinn“, insbesondere, wenn es sich um eine Kapitalgesellschaft handelt. M.E. sollte die Bezugnahme wegen der zusätzlichen Entnahmemöglichkeit der Einkommensteuer auf den Gewinnanteil der Gewinn nach Steuern (GewSt und KSt nebst Solidaritätszuschlag) sein. Bereits dieser Bezug ist allerdings unklar. Weiter bin ich wegen des Einleitungssatzes („Gesellschaftsvertrag oder Satzung Bestimmungen enthält“) davon ausgegangen, dass die Beteiligung des Mitgesellschafters erst am Übertragungstag bestehen muss, auch wenn der Regelungszweck – jenseits des möglichen Wortsinns – eine Regelung, nach der auch die Beteiligungsdauer mindestens zwei Jahre (ggf. bei Erbfällen/Schenkungen unter Anrechnung der Vorbesitzzeiten) hätte betragen müssen. Schließlich ist rein rechtsformabhängig die Übertragung auf (beliebige) Familienstiftungen geregelt. Es erschließt sich nach der vorangegangenen Auseinandersetzung im Gesetzgebungsverfahren nicht, warum das Gesetz nicht fordert, dass nur solche Familienstiftung, die mittels Gesellschafterstatus des Stifters oder Destinatärs oder einer Bindung zu vorhandenen Gesellschaftern ein „Näheverhältnis“ zum Unternehmen aufweisen, begünstigt sind. Legt man den Fall einer Kapitalgesellschaft der Klausel zugrunde, ist unklar, ob „Ausscheiden“ nur das völlige Ausscheiden oder die Aufgabe einer Beteiligungsform (z.B. Verkauf aller Vorzugsaktien bei Behalten der 282

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Stammaktien) bedeutet, weil ja bei der Aufgabe z.B. einer atypisch stillen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft die Begünstigung auch dann greift, wenn der atypisch still Beteiligte an der Personenoder Kapitalgesellschaft als Mitgesellschafter beteiligt bleibt. Daneben drohen Vollzugsdefizite, weil der Erwerber dann, wenn er nicht beherrschend ist, faktische Verstöße („und die Bestimmungen den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen“) kaum jemals erfahren wird, so dass die ihn treffende Meldepflicht gegenüber einer Meldepflicht des Unternehmens selbst wenig effizient erscheint. (2) Es ist ein abschmelzender Verschonungsabschlag für Großerwerbe von begünstigtem Vermögen vorgesehen; Verfügungen der gleichen Beteiligten werden über eine rollierende 10-Jahres-Periode zusammengerechnet (§ 13c ErbStG n.F.). Der Verschonungsabschlag verringert sich um jeweils 1 % für jede vollen 750 000 Euro, die der Wert des begünstigten Vermögens 26 Mio. Euro übersteigt. Ausgehend vom Fall der 100 %-Vollverschonung bleibt damit bei einem Wert des begünstigten Vermögens von 90 Mio. Euro ein Abschlag von 14 %. Bei Überschreitung der Schwelle von 90 Mio. Euro entfällt der Abschlag ersatzlos. § 13c Abs. 3 ErbStG n.F. erklärt das Abschmelzungsmodell als auf die Erbersatzsteuer anwendbar. (3) Übersteigt das begünstigte Vermögen den Betrag von 90 Mio. Euro, bleibt nur die sog. Verschonungsbedarfsprüfung nach § 28a ErbStG n.F. als Alternative zum Abschmelzungsmodell: Kann der Erwerber nachweisen, persönlich nicht in der Lage zu sein, die Steuer aus seinem verfügbaren Vermögen zu zahlen, kann er den Erlass der Steuer beantragen. Zu dem verfügbaren Vermögen gehören 50 % des übergegangenen nicht begünstigten Vermögens und das dem Erwerber schon gehörende Vermögen, das nicht zum begünstigten Vermögen gehören würde. Die Verschonungsbedarfsprüfung ist der Höhe nach unbeschränkt. Der Erlass der Steuer ist teilweise zu gewähren, soweit die Steuerbelastung mehr als 50 % dieses Vermögens beträgt. Der Erlass der Steuer wird unter der aufschiebenden Bedingung gewährt, dass der Erwerber kein nicht begünstigtes Vermögen erbt oder geschenkt erhält. Zudem müssen die für die Vollverschonung relevanten Behalte-, und Entnahme- und Lohnsummenbeschränkungen eingehalten werden. Diese Regelung gilt auch für die Erbersatzsteuer (§ 28a Abs. 7 ErbStG n.F.). Ob die Stiftung den Abschlag des § 13a Abs. 9 ErbStG n.F. i.H.v. 30 % beanspruchen kann, hängt davon ab, ob eine Stiftung anerkannt werden 283

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wird, die auf Dauer (mind. 22 Jahre) vermögensmäßig nur mit 37,5 % des um Ertragsteuern gekürzten Gewinns ausgestattet ist. Einzelne Stiftungsbehörden haben in der Vergangenheit die Beteiligung an stark thesaurierenden Unternehmen kritisch gesehen. Ich kann dem Gesetz nicht entnehmen, warum dies ein Problem darstellen soll, gilt doch für den Gesellschaftsvertrag/die Satzung die Vertragsfreiheit. Die Verschonungsbedarfsprüfung des § 28a ErbStG ist nicht beschränkt auf natürliche Personen. Verfügt eine Stiftung über kein weiteres Vermögen als das erworbene begünstigte Betriebsvermögen, kann auch sie den Erlass der Steuer beantragen. Bei ihr ist auch die mangels Mindestschwelle nicht praktikable Nachversteuerung nach § 28a Abs. 4 Nr. ErbStG unproblematisch, weil Stiftungen in der Regel weder Geburtstags- noch Weihnachtsgeschenke erhalten. Ist eine Steuerbefreiung nach den vorstehenden Ausführungen ausgeschlossen, greift zumindest im Falle einer Familienstiftung das für die Besteuerung ihrer Errichtung geltende Steuerklassenprivileg nach § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG. Für die Besteuerung ist das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungssatzung entferntest Berechtigten zum Erblasser oder Schenker zugrunde zu legen. Konsequenz ist etwa bei Zugrundelegung von Steuerklasse I ein Freibetrag von 400 000 Euro und ein Steuersatz von maximal 30 %. Für die Zustiftung gilt das Steuerklassenprivileg hingegen nicht. Sie unterliegt als Schenkungen stets der Steuerklasse III.22 Etwas anderes soll gelten, wenn sich der Stifter bereits im Stiftungsgeschäft zu feststehenden späteren Zuwendungen verbindlich verpflichtet hat. Ohne eine derartige Verpflichtung kann die Errichtung einer weiteren Stiftung und deren anschließenden Verschmelzung mit der bereits existierenden Stiftung zur Anwendung des Steuerklassenprivilegs verhelfen.23 Würde durch die Verschmelzung aber die Begünstigungshöhe nach § 13c ErbStG überschritten oder die Anwendung des § 28a ErbStG gefährdet, sollte sie eher unterbleiben. Handelt es sich um eine unternehmensnahe Stiftung, die zugleich ausschließlich steuerbegünstigte Zwecke verfolgt, löst die Vermögensausstattung gem. § 13 Abs. 1 Nr. 16 lit. b) ErbStG keine Schenkung- oder Erbschaftsteuer aus. Die Begünstigung entfällt jedoch rückwirkend, wenn die Gemeinnützigkeit innerhalb von zehn Jahren nach der Vermögensausstattung wegfällt und das Vermögen nicht begünstigten Zwecken zugeführt wird (§ 13 Abs. 1 Nr. 16 lit. b) S. 2 ErbStG). Ist die Stiftung selbst 22 BFH v. 9.12.2009 – II R 22/08, BStBl. II 2010, 363. 23 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, Stand 2015, § 15 ErbStG, Rz. 112.

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nicht ausschließlich gemeinnützig, kann die Erbschaftsteuerfreiheit ggf. über § 13 Nr. 17 ErbStG erreicht werden, wenn die Voraussetzungen der ausschließlichen steuerbegünstigten Verwendung der zugewendeten Mittel erfüllt werden. 2. Die ertragsteuerliche Behandlung der Vermögensausstattung Stammen die übertragenen Gegenstände aus einem Betriebsvermögen, liegt eine Entnahme vor, die für den Stifter oder Zustifter die Konsequenz hat, dass stille Reserven aufgedeckt werden (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Durch die Übertragung von betrieblichen Einzelwirtschaftsgütern wird damit ein Gewinn realisiert, der grundsätzlich zu versteuern ist. Dies gilt nicht, wenn die empfangende Stiftung gemeinnützig i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG ist. In diesem Fall kann die Entnahme aus dem Betriebsvermögen zu Buchwerten erfolgen (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 4 EStG). Will der Stifter oder Zustifter seinen gesamten Anteil an einer gewerblichen Personengesellschaft einer Stiftung übertragen, stellt dies grundsätzlich eine Betriebsaufgabe und damit eine Entnahme mit der Folge der Aufdeckung stiller Reserven dar (§ 16 Abs. 3 S. 1 EStG). Unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 S. 1 EStG kann die Übertragung ausnahmsweise unter Fortführung der Buchwerte erfolgen, wenn der Stiftung ein ganzer Betrieb, ein Teilbetrieb oder ein ganzer Mitunternehmeranteil unentgeltlich übertragen wird. Erforderlich ist, dass alle wesentlichen Betriebsgrundlagen und das gesamte Sonderbetriebsvermögen, das für die Funktion des Betriebes von Bedeutung ist, übertragen wird.24 Wird zur Vermögensausstattung einer Beteiligungsträgerstiftung neben dem Anteil an einer gewerblichen Personengesellschaft auch das wesentliche Sonderbetriebsvermögen unentgeltlich auf die Stiftung übertragen, kann die Stiftung die Buchwerte fortführen (§ 8 Abs. 1 KStG, § 6 Abs. 3 S. 3 EStG). Erfolgt die Übertragung des Anteils an der gewerblichen Personengesellschaft an eine steuerbegünstigte Stiftung, greift das Buchwertprivileg des § 6 Abs. 3 S. 1 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 20.12.2016 nicht mehr, da insofern die Steuerverhaftung der stillen Reserven fehlt, es sei denn, diese wäre wegen Begründung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes gesichert. Insofern kann es günstiger sein, nur die Übertragung von Wirtschaftsgütern auf eine steuerbefreite Stiftung vorzunehmen, da insofern das Buchwertprivileg besteht. Ob es allerdings 24 BMF v. 3.3.2005 – IV B 2 – S 2241 – 14/05, BStBl. I 2005, 458; Schindler in Kirchhof, § 16 EStG, Rz. 193.

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sinnvoll ist, eine betriebliche Einheit auseinander zu nehmen, um die Steuerneutralität der Übertragung zu sichern, kann nicht allgemein beantwortet werden. Die ggf. eintretende Betriebsaufgabe steht der Steuerneutralität nicht entgegen.25 Dabei ist zu beachten, dass die Übertragung des Mitunternehmeranteils etwaige steuerliche Sperrfristen verletzen kann (etwa § 6 Abs. 5 S. 4 und 6 EStG). Zudem drohen gewerbesteuerliche Verlustvorträge der Personengesellschaft (§ 10a GewStG) durch die Übertragung unterzugehen.26 Ein besonderes Augenmerk sei in diesem Zusammenhang auf die Vorschrift des § 50i EStG gerichtet, dessen Anwendungsbereich zunächst mit Gesetz vom 25.7.2014 erheblich erweitert und jüngst durch Gesetz vom 20.12.201627 wieder eingeschränkt wurde. Nach § 50i Abs. 2 S. 2 EStG in der Fassung bis 20.12.2016 waren ungeachtet des § 6 Abs. 3 EStG für die Überführung oder Übertragung eines Mitunternehmeranteils an einer Personengesellschaft i.S.d. § 15 Abs. 3 EStG, in deren Gesamthandsvermögen sich Anteile i.S.d. § 17 EStG befinden, die gemeinen Werte anzusetzen. Für Gesellschafter einer gewerblich geprägten GmbH & Co. KG war es nach der Erweiterung der Vorschrift kaum möglich, die Anteile auf eine Stiftung zu übertragen. Schließlich enthielt die Vorschrift nach ihrem Wortlaut keine Beschränkung auf Sachverhalte mit Auslandsbezug.28 Jedenfalls für die Rechtsform der Stiftung ändert daran auch das zur Einschränkung ergangene BMF-Schreiben29 nichts. Voraussetzung für einen Antrag auf Nichtanwendung des § 50i EStG aus sachlicher Unbilligkeit war nämlich zum einen, dass das deutsche Besteuerungsrecht nicht beschränkt oder ausgeschlossen wird, und zum anderen, dass der Rechtsnachfolger eine natürliche Person ist (Ziffer 2.2). Die Übertragung auf eine Stiftung war damit nicht von der Billigkeitsregel umfasst. Wenn das – so wie es der Wortlaut nahelegt – auch für reine Inlandssachverhalte gelten soll, fand § 6 Abs. 3 EStG also keine Anwendung. Die unentgeltliche Übertragung einer 50i-Beteiligung auf Stiftungen wäre damit nur zu gemeinen Werten möglich. Die Neuregelung hat dies alles wieder gerade gerückt, ist aber nach § 52 Abs. 48 EStG nur bzgl. § 50i Abs. 2 EStG rückwirkend ab dem 1.1.2014 auf Einbringungen anwendbar.

25 26 27 28 29

R 16 Abs. 2 S. 7 EStR 2012. H 10a.3 Abs. 1 GewStH 2009. Art. 7 Nr. 4, BGBl. 2016 I, 3000, 3009. Hierzu Rödder, DB 2015, 1422. BMF v. 21.12.2015 – IV B 5 – S 1300/14/10007, BStBl. I 2016, 7.

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Will der Stifter oder Zustifter nur einen Teil seines Anteils an einer gewerblichen Personengesellschaft übertragen, gilt § 6 Abs. 3 S. 1 2. HS EStG. Danach ist zwar auch die unentgeltliche Übertragung eines Teils der Beteiligung an einer gewerblich tätigen oder geprägten Mitunternehmerschaft zu Buchwerten möglich. Dies gilt aber nur für die Übertragung auf eine natürliche Person, sodass bei der Übertragung eines Mitunternehmerteilanteils auf eine Stiftung eine Buchwertfortführung nur nach Maßgabe des § 6 Abs. 3 S. 2 EStG möglich ist: Die Stiftung darf die Beteiligung fünf Jahre nach der Übertragung weder veräußern noch aufgeben. Anderenfalls führt die Übertragung eines Teils eines Mitunternehmeranteils beim Stifter oder Zustifter zur anteiligen Entnahme und Aufdeckung der stillen Reserven. Überträgt der Stifter oder Zustifter eine Kapitalgesellschaftsbeteiligung aus dem Betriebsvermögen auf eine Stiftung, stellt dies eine Entnahme dar, sodass es zu einer Aufdeckung der stillen Reserven kommt, sofern es sich nicht um eine steuerbegünstigte Stiftung handelt (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Hinzu kommt, dass bei der Übertragung von mehr als 25 % bzw. 50 % der Anteile ein teilweiser oder ganzer Untergang der gewerbesteuerlichen oder körperschaftsteuerlichen Verlustvorträge nach § 10a GewStG bzw. § 8c KStG droht. Von § 8c KStG sind auch unentgeltliche Erwerbe erfasst. Die bisherige Billigkeitsregelung der Finanzverwaltung, wonach der Erwerb durch Erbfall, einschließlich der unentgeltlichen Erbauseinandersetzung und der unentgeltlichen vorweggenommenen Erbfolge nicht erfasst sein soll30, kann für die unentgeltliche Übertragung eines Kapitalgesellschaftsanteils an eine Stiftung nicht greifen. Denn die Einschränkung gilt nur für Übertragungen an natürliche Personen, sodass die Übertragung an eine Stiftung unter § 8c KStG fällt.31 Sind allerdings bei Übertragungen seit dem 1.1.2016 die Voraussetzungen des § 8d KStG erfüllt32, besteht die antragsabhängige Möglichkeit der Fortführung des Verlustes als fortführungsgebundener Verlustvortrag.

30 BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 – S 2745 – a/08/10001, BStBl. I 2008, 736, eingeschränkt durch den am 15.4.2004 veröffentlichen Entwurf eines BMFSchreibens zur Verlustabzugsbeschränkung für Körperschaften. 31 Chuchra/Dorn/Schwarz, DStR 2016, 1404; Roser in Gosch, 3. Aufl. 2015, § 8c KStG, Rz. 36. 32 G. v. 20.12.2016, BGBl. 2016 I, 2998.

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3. Die grunderwerbsteuerlichen Auswirkungen Die stiftungsgeschäftliche Übertragung von Grundstücken auf die Stiftung ist wegen Unentgeltlichkeit von der Grunderwerbsteuer befreit (§ 3 Nr. 2 GrEStG). Dies betrifft auch die unentgeltliche Übertragung von mind. 95 % der Anteile an einer grundbesitzenden Kapital- oder Personengesellschaft i.S.d. § 1 Abs. 2a GrEStG.33 Führt die Übertragung des Anteils an der Personen- oder Kapitalgesellschaft zu einer Vereinigung der Anteile bei der Stiftung in Höhe von mindestens 95 % (§ 1 Abs. 3 GrEStG), soll dies nach neuerer Rechtsprechung im Falle einer schenkweisen Anteilsübertragung auch § 3 Nr. 2 GrEStG unterfallen34, so dass keine Grunderwerbsteuer anfällt.

II. Die laufende Besteuerung der inländischen unternehmensnahen Stiftung Stiftungen, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland haben, sind nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig und haben ihr Einkommen mit 15 % zu versteuern (§ 23 KStG).35 Sie können Einkünfte aller sieben Einkunftsarten nach § 2 Abs. 1 EStG erzielen, schließlich gilt § 8 Abs. 2 KStG für sie nicht.36 Anders als die Kapitalgesellschaft kann die Stiftung ein steuerliches Privatvermögen haben, da es neben dem Vermögen für den Betrieb Vermögen zur Verfolgung weiterer Zwecke geben kann. Einen Gewerbebetrieb kraft Rechtsform bildet sie nicht; eine Infektionswirkung nach dem Vorbild des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG ist – anders als für natürliche Personen – nicht angeordnet. Die laufende Besteuerung der unternehmensnahen Stiftung hängt wie bei jedem anderen Steuerpflichtigen davon ab, ob sie ihr Unternehmen als Einzelunternehmen oder als Gesellschafter einer Personen- oder Kapitalgesellschaft betreibt. Betreibt die unternehmensbezogene Stiftung als Unternehmensträgerstiftung unmittelbar selbst ein gewerbliches Unternehmen, unterliegen die Einkünfte daraus der Körperschaftsteuer und regelmäßig der Ge-

33 BFH v. 12.10.2006 – II R 79/05, BStBl. II 2007, 409; Meßbacher-Hönsch in Boruttau, 18. Aufl. 2016, § 3 GrEStG, Rz. 113 ff. 34 BFH v. 23.5.2012 – II R 21/10, BStBl. II 2012, 793. 35 Hinzu kommt die Belastung durch den Solidaritätszuschlag i.H.v. 5,5 %. 36 R 8.1 Abs. 2 S. 1 KStR.

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werbesteuer. Das unternehmerische Vermögen ist steuerliches Betriebsvermögen.37 Hält die unternehmensbezogene Stiftung als Beteiligungsträgerstiftung Anteile an einer Kapitalgesellschaft im Privatvermögen, hat sie Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, Einkünfte aus Gewerbebetrieb, wenn sie die Beteiligung im Betriebsvermögen hält, und bei der Veräußerung einer qualifizierten Beteiligung nach § 17 EStG, sonstige Einkünfte bei der Veräußerung innerhalb der Spekulationsfrist nach § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Es greift grundsätzlich die Befreiungsvorschrift des § 8b Abs. 1 und 2 KStG, d.h. es bleiben 95 % der Beteiligungseinkünfte steuerfrei. Für Dividenden, die der Stiftung nach dem 28.3.2013 zugeflossen sind bzw. zufließen, ist jedoch einschränkend erforderlich, dass sie zu mindestens 10 % am Stammkapital des Beteiligungsunternehmens beteiligt ist (§ 8b Abs. 4 KStG). Nahezu alle deutschen Doppelbesteuerungsabkommen sehen für Dividenden ein abkommensrechtliches Schachtelprivileg vor, um zu verhindern, dass der Gewinn sowohl bei der ausländischen Tochtergesellschaft als auch bei der inländischen Muttergesellschaft besteuert wird. Die Gewinnanteile sind bei der unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft von der Körperschaftsteuer befreit. Es sollen Fälle erfasst werden, in denen sich für die Wirtschaftstätigkeit ausländischer Tochtergesellschaften bedient wird und eine Einmalbesteuerung in Deutschland bei Ausschüttungen gesichert ist. Dieses Schachtelprivileg können unbeschränkt steuerpflichtige Stiftungen für sich nicht beanspruchen, deren Zuwendungen bei den Destinatären nicht der Besteuerung unterliegen.38 Die Zuwendungen unterliegen nicht der Besteuerung bei dem Destinatär, wenn dieser seinen Wohnsitz im Ausland hat. Durch Zwischenschaltung einer unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaft, die ihren Gewinn an die Stiftung abführt, kann das abkommensrechtliche Schachtelprivileg genutzt werden. Ausländische Stiftungen, also solche mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland, die nach ausländischen Recht errichtet, ihrem Typus nach aber

37 Richter in v. Campenhausen/Richter, Stiftungsrechtshandbuch, 4. Aufl., § 12 Rz. 200. 38 BMF v. 12.5.1989 – IV C 5-S 1300-186/89, DB 1989, 1165; v. 30.12.1983 – IV C 5-S 1300-386/83, DB 1984, 217.

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einer Stiftung i.S.d. §§ 80 ff. BGB entsprechen, unterliegen in Deutschland der Besteuerung mit ihren inländischen Einkünften.39 Neben die ertragsteuerliche Belastung tritt für unternehmensnahe Stiftungen, die auch die Voraussetzungen einer inländischen Familienstiftung erfüllen, im Abstand von 30 Jahren die Erbersatzsteuer. Zum für die Stiftung kalkulierbaren Besteuerungszeitpunkt verfügt die Stiftung im Bestfall aber nur über begünstigtes Betriebsvermögen von bis maximal 26 Mio. Euro. Ist das Vermögen größer, kann die Stiftung ggf. von der Verschonungsbedarfsprüfung nach § 28a ErbStG profitieren. Allerdings ist Verwaltungsvermögen unabhängig von der Entnahmefähigkeit zur Steuerzahlung zu verwenden. Bei der Steuerbelastungsberechnung ist vorteilhaft, dass die Stiftung im Zeitpunkt der Ersatzerbschaftsteuer mangels Vermögenserwerb die entstehende Ersatzerbschaftsteuerbelastung als Schuldposten ansetzen kann, das Vermögen also um die Steuerbelastung vermindert wird; § 10 Abs. 8 ErbStG ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen.

III. Brennpunkte bei Unternehmensträgerstiftungen Eine Unternehmensträgerstiftung betreibt ein Unternehmen unmittelbar selbst und tritt in dieser Funktion am Markt auf. Neben die unternehmerische Betätigung kann auch eine nicht-unternehmerische Tätigkeit treten. Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob die unternehmerische Tätigkeit auf die nicht-unternehmerische Sphäre im Sinne einer Infektionswirkung übergreifen kann. § 8 Abs. 2 KStG, der für die meisten Körperschaften den gewerblichen Charakter der Einkünfte qua Rechtsform bestimmt, verweist nicht auf § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG, der die Stiftung als Steuersubjekt der Körperschaftsteuer definiert. Daher müssen die Einkünfte von Stiftungen nach den allgemeinen Regeln des EStG qualifiziert werden. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG bezieht sich nur auf Personengesellschaften, sodass hiernach keine Infektion in Frage kommt. Die wesentlichen Rechtsformvorteile der Unternehmerträgerstiftung gegenüber einem als Kapitalgesellschaft organisiertem Unternehmen liegen in folgendem: (1) Da das Unternehmen keine Gesellschafter hat, entfallen etwaige durch Änderungen im Gesellschafterbestand ausgelöste Steuern, selbst wenn sich Destinatäre ändern: (a) Wegfall oder Beschränkung des Verlustvortrages, § 8c EStG 39 Richter in v. Campenhausen/Richter, Stiftungsrechtshandbuch, 4. Aufl., § 41 Rz. 12.

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(b) Schenkungsteuer bei unangemessener Abfindung, § 7 Abs. 7 ErbStG (c) Werterhöhung einer Kapitalgesellschaftsbeteiligung, § 7 Abs. 8 ErbStG (d) Mittelbarer Grundstücksverkauf, § 1 Abs. 3 GrEStG. (2) Erträge, die außerhalb des Unternehmens anfallen, können durch Zuordnung zum nicht-unternehmerischen Bereich aus dem Gewerbesteuerzugriff gehalten werden, wobei die Zuordnungsentscheidungen gut dokumentiert werden sollten, um steuerrechtlich keinem Angriff ausgesetzt zu sein. (3) Bei der Ersatzerbschaftsteuerbewertung erfolgt die Bewertung der Vermögensgegenstände und keine – oftmals zu höheren Werten führende – Anteilsbewertung.

IV. Brennpunkte bei Beteiligungsträgerstiftungen Die Beteiligungsträgerstiftung hält lediglich die Anteile an der Personen- oder Kapitalgesellschaft die das Unternehmen betreibt. Die Tatsache, dass die Stiftung selbst keine unternehmerische Tätigkeit entfaltet, macht es möglich, die Anteile auf beliebig viele Träger zu verteilen. So kann die Abschmelzung des Verschonungsabschlags durch die Neuerung des § 13c ErbStG vermieden werden. Durch eine entsprechende Portionierung der Anteile kann man sicherstellen, dass auf einen Erwerber maximal 26 Mio. Euro übergehen. Existieren nicht genügend natürliche Personen, kann durch Errichtung einer oder mehrerer weiterer Stiftungen Abhilfe geschaffen werden. Die Grenze von 26 Mio. Euro wird für jeden Erwerber gesondert geprüft. So lässt sich die Verschonung i.H.v. 85 % oder 100 % mehrfach nutzen. Die andere Möglichkeit, die Neuregelung effektiv zu nutzen, ergibt sich aus § 28a ErbStG, der Verschonungsbedarfsprüfung. Danach wird die Erbschaftsteuer hinsichtlich des begünstigten Vermögens insoweit erlassen, als sie nicht aus dem verfügbaren Vermögen beglichen werden kann (zu den Einzelheiten s.o. B.I.1(3)). Wenn das verfügbare Vermögen also so weit wie möglich reduziert wird und im Extremfall nahe beim Stiftungsmindestkapital liegt, kann ein umfangreicher Erlass der Steuer erreicht werden, wenn in der übertragenen Einheit kein Verwaltungsvermögen, das als verfügbar anzusehen ist, vorhanden sein sollte. Auf diese Weise kann man insbesondere im Hinblick auf die Ersatzerbschaftsteuer von langer Hand planen und zum

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feststehenden Besteuerungszeitpunkt für entsprechend steuergünstige Vermögensverhältnisse sorgen. Derzeit noch nicht erkennbar ist, ob der Finanzmarkt gezielte Angebote für Familienstiftungen, die auch außerhalb des Bereiches der Beteiligungsträgerstiftung Bedarf für steuergünstige Anlagen haben, bereitstellen wird. Wegen der Mindestbeteiligungshöhe bei Kapitalgesellschaften dürfte strukturell besonders eine Personengesellschaftsbeteiligung, die ihrerseits in atypisch stille Gesellschaften investiert, interessant sein, weil durch die Ausgestaltung der atypisch stillen Gesellschaft losgelöst von betrieblichen Umständen Verwaltungsvermögen nicht Gegenstand der Beteiligung sein muss.

C. Besteuerung der Begünstigten der unternehmensnahen Stiftung Zu den Begünstigten einer Stiftung zählen die Destinatäre und die Anfallsberechtigten.

I. Die Besteuerung des Destinatärs Der Destinatär ist die natürliche oder juristische Person, die nach Vorgabe des Stiftungszwecks bestimmt ist, durch die Zuwendung von Mitteln begünstigt zu werden. Der Anspruch eines Destinatärs kann unmittelbar durch die Satzung, durch die einseitige Zuerkennung eines Stiftungsorgans oder durch den Abschluss eines Vertrags zwischen Stiftung und Destinatär begründet werden.40 Im ersten Fall enthält die Satzung hinreichend konkrete, objektiv feststellbare Kriterien, die die Stellung als Destinatär vorgeben. Anderenfalls verbleibt dem Vorstand der Stiftung entweder ein Auswahlermessen oder ein Ermessen bei der Festlegung der Zuwendungshöhe, das ggf. auch durch Unter- und Obergrenzen beschränkt sein kann. Der Destinatär erwirbt einen Anspruch erst, wenn der Vorstand entweder durch einseitige Zuerkennung oder durch Abschluss eines Zuwendungsvertrages für die Stiftung tätig geworden ist. Der in der Praxis am häufigsten vorkommende Fall ist der Abschluss eines Zuwendungsvertrages zwischen Stiftung und Destinatär, weil satzungsmäßige Ansprüche beim Destinatär der Forderungspfändung nach §§ 828 ff. ZPO unterlägen und Ansprüche nach dem Willen des Stifters

40 BGH v. 16.1.1957 – IV ZR 221/56, NJW 1957, 708.

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in der Regel in Abhängigkeit von der Ertragskraft der Stiftung entstehen sollen. Weil die Zuwendungen der Stiftung keine freiwilligen Leistungen sind, sind sie nach der Rechtsprechung nicht schenkung- sondern ertragsteuerbar. Sie unterliegen der Ausschüttungsbesteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG und sind nach § 3 Nr. 40 lit. d) EStG zu 40 % steuerfrei. Die Steuer wird nach § 43 Abs. 1 Nr. 7a EStG durch den Kapitalertragsteuerabzug erhoben. Voraussetzung für die Qualifizierung als Einkünfte aus Kapitalvermögen ist, dass die Leistungen der Stiftung Gewinnausschüttungen wirtschaftlich vergleichbar sind. Unter welchen Voraussetzungen eine wirtschaftliche Vergleichbarkeit von Stiftungsleistungen anzunehmen ist, ist bislang nicht einheitlich entschieden. Die Finanzverwaltung führt aus, dass Stiftungsleistungen unter § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG fallen, wenn sie von den beschlussfassenden Stiftungsgremien aus den Erträgen der Stiftung an den Stifter, seine Angehörigen oder deren Abkömmlinge ausgekehrt werden. Dies soll auch gelten für Leistungen anlässlich der Auflösung der Stiftung.41 Der BFH (1. Senat) führte zu Zuwendungen einer Familienstiftung an Familienangehörige aus, es komme darauf an, ob Destinatäre ähnlich einem Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf die Verwendung der Erträge der Stiftung und letztlich auch des Vermögens haben.42 Die (inländischen) Destinatäre unterliegen auch dann der Ausschüttungsbesteuerung, wenn die Stiftung Sitz und Geschäftsleitung im Ausland hat (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 S. 2 EStG).43 Der im Ausland ansässige Destinatär wird regelmäßig in Deutschland nicht besteuert, da die Leistungen als sonstige Einkünfte i.S.d. Art. 21 Abs. 1 OECD-MA im Ansässigkeitsstaat der Besteuerung unterliegen. Ein Kapitalertragsteuerabzug wird nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 7a i.V.m. § 43a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 in Höhe von 25 % vorgenommen. Bei Stiftungen, die an die Stelle von Familienfideikommissen getreten sind, erfolgt eine direkte Einkommenszurechnung zu den Begünstigten (§ 22 S. 2 Nr. 1 lit. b) EStG).

41 BMF v. 27.6.2006 – IV B 7 – S 2252 - 4/06, BStBl. I 2006, 417. 42 BFH v. 3.11.2010 – I R 98/09, BStBl. II 2011, 417. 43 BFH v. 21.7.2014 – II B 40/14, ZEV 2014, 504.

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II. Die Besteuerung der Anfallsberechtigten Nach § 88 BGB fällt das Stiftungsvermögen bei der Aufhebung einer Stiftung an die in der Satzung vorgegebenen Anfallsberechtigten. Die Auskehrung anlässlich der Aufhebung einer (in- oder ausländischen) Stiftung unterliegt nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 S. 1 und 2 ErbStG der Erbschaftsteuer. Im Falle einer unternehmensnahen Familienstiftung gilt das Steuerklassenprivileg, § 15 Abs. 2 S. 2 ErbStG. Insofern ist es ggf. vorteilhaft, wenn eine Stiftung nicht nur laufende Erträge sondern auch Teile ihres Vermögens ausschütten kann, weil dann nur der Restbetrag der Ausschüttung der Schenkungsteuer unterfällt und dieser Rest ggf. wieder aus begünstigungsfähigem Vermögen, z.B. der Unternehmensbeteiligung bestehen kann.

III. Hinzurechnungsbesteuerung nach § 15 Abs. 3 AStG Die Einkünfte einer ausländischen Familienstiftung werden dem unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter und nachrangig den unbeschränkt steuerpflichtigen Begünstigten entsprechend ihrem Anteil nach § 15 Abs. 1 AStG ertragsteuerlich zugerechnet. Abs. 3 der Vorschrift dehnt die Hinzurechnungsbesteuerung auf unternehmensnahe Stiftungen aus. Einer Familienstiftung steht eine solche Stiftung, die ein Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens oder als Mitunternehmer errichtet hat, gleich, wenn er oder u.a. seine Angehörigen bezugs- oder anfallsberechtigt sind. Gemäß § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG entfällt die Hinzurechnung, wenn der Familie und den Führungspersonen des Familienunternehmens rechtlich und tatsächlich die Verfügungsmacht über das Stiftungsvermögen entzogen ist. Der Gesetzeswortlaut belegt, dass es lediglich auf das konkrete, der Stiftung gehörende Vermögen, bei der Beteiligungsträgerstiftung also die Unternehmensbeteiligung, also die Aktien, GmbH-Anteile oder Personengesellschaftsanteile, ankommt, nicht aber auf das Unternehmensvermögen der der Stiftung gehörenden Gesellschaft. Ein tatsächlicher Entzug des Einflusses, den § 15 Abs. 6 Nr. 1, 2. Abs. AStG für Führungspersonen als Voraussetzung aufstellt, kann denklogisch nicht vorliegen, so dass eine Interpretation, die das Unternehmensvermögen der Beteiligungsgesellschaft selbst in den Blick nehmen will, unzutreffend sein muss.

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D. Brennpunkte bei ausländischen Stiftungen Eine im Ausland ansässige Stiftung kann zum Teil der deutschen Besteuerung unterliegen, sei es, weil sie als Unternehmensträgerstiftung eine Betriebsstätte im Inland unterhält, oder sie als Beteiligungsträgerstiftung an einer im Inland ansässigen Personen- oder Kapitalgesellschaft beteiligt ist. Die vielfach günstigere Besteuerung von Stiftungen im Ausland (insbesondere der Wegfall der Erbersatzsteuer) macht ihre Einbindung attraktiv. Damit die günstigeren Regelungen überhaupt zur Anwendung kommen, ist es erforderlich, dass die Stiftung auch tatsächlich im Ausland ansässig ist; hier besteht Konfliktpotential wegen des Ortes der Geschäftsleitung, wenn aus Deutschland zu umfangreich Einfluss auf die Stiftung genommen werden kann. Daher kann bei Familienstiftungen im Ausland – anders als bei inländischen Stiftungen – der Stiftungsvorstand auch dann kein im Inland ansässiges Familienmitglied sein, wenn das Familienmitglied nicht zum Kreis der in § 15 Abs. 2 AStG genannten Personen gehört, sodass auf eine ausländische (meist familienfremde) Person zurückgegriffen werden muss. Die Einflussmöglichkeiten der Familie zu beschränken ist auch Voraussetzung für den Wegfall der Hinzurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen in EU/EWR Staaten (§ 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG). Wie weitgehend Kontrollmöglichkeiten ausgestaltet sein dürfen, wird im Einzelfall entschieden, sodass an dieser Stelle stets eine ungünstige Einschätzung der Finanzverwaltung zu besorgen ist. Insbesondere der Einfluss einer etwaigen Destinatärsversammlung (als Ersatz für eine Hauptversammlung) oder eines Protektors (als Ersatz für einen Aufsichtsrat) aus dem Kreise der Familie muss sorgfältig begrenzt werden, um eine Hinzurechnung nach § 15 Abs. 6 AStG zuverlässig zu vermeiden. Mit dem unterschiedlichen Rechtsregime gehen auch Unterschiede im Gesellschaftsrecht einher. Damit eine ausländischen Stiftung auch im Inland als solche behandelt wird, muss sie selbständig sein, insbesondere darf sie keiner (etwa treuhänderischen) Bindung unterliegen. Dieses Kriterium ist nicht für jede ausländische Form der Stiftung pauschal zu beantworten, auch hier kommt es auf die Ausgestaltung im Einzelfall an.

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E. Sondertatbestände I. Veränderung des Begünstigtenkreises Die von der Rechtsprechung zur ertragsteuerlichen Behandlung der Ausschüttungsbesteuerung beim Destinatär aufgestellten Grundsätze könnten ihrem Rechtsgedanken nach zur Steuerbarkeit weiterer Tatbestände führen. Wenn die Destinatäre ertragsteuerlich unter den o.g. Voraussetzungen wie Gesellschafter behandelt werden, könnte die Veränderung des Begünstigtenkreises erbschaftsteuerlich als Errichtung einer neuen Familienstiftung angesehen werden.44

II. Darlehen von Begünstigten Die ertragsteuerliche Gleichstellung von Gesellschaftern und Destinatären könnte auch dazu führen, dass bei Darlehen von Begünstigten an das Stiftungsunternehmen der Abgeltungssteuertarif ausgeschlossen ist.

F. Ausblick und Fazit Die Rechtsform der Stiftung wird insbesondere durch die neuen Möglichkeiten Einbeziehung in den Kreis der Übertragungsempfänger bei Familienunternehmen (§ 13a Abs. 9 ErbStG) und zur erbschaftsteuerfreien Übertragung von großem Unternehmensvermögen (insb. § 28a ErbStG) eine Renaissance erleben. Dabei ergibt sich die Schwierigkeit, dass es zu vielen der dargestellten Problemfelder noch keine höchstrichterlichen Rechtsprechung gibt, sodass die Gestaltung mit großer Sorgfalt vorgenommen werden muss.

44 R E 1.2. Abs. 4 ErbStR 2011.

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Neue Erkenntnisse zu Fragen des wirtschaftlichen Eigentums in der Steuerbilanz Dr. Peter Brandis Richter am BFH, München Inhaltsübersicht 1. Einleitung

3. Aktuelle Akzentuierungen

2. Rechtsgrundlage und bisherige Erkenntnisse

4. Ergebnisse

1. Einleitung Fragen des wirtschaftlichen Eigentums in der Steuerbilanz könnten doch eigentlich schon alle gelöst sein. Denn das Institut der (wirtschaftlichen) Zurechnung von Wirtschaftsgütern ist vergleichsweise uralt: So wurde auf der Grundlage der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts in Staatssteuersachen schon zu Zeiten der Reichsabgabenordnung 1919 (§ 80 RAO 1919) bzw. der Reichsabgabenordnung 1931 (§ 98 RAO 1931) unter Hinweis auf eine „wirtschaftliche Betrachtungsweise“ eine besondere – von der eigentümerbezogenen Regelzurechnung abweichende – Zurechnung für Besteuerungszwecke vorgenommen.1 Später legte das Steueranpassungsgesetz 1934 in § 11 mit seinen Nr. 1 (Sicherungsübereignung), Nr. 2, 3 (Treuhand) bzw. Nr. 4 (Eigenbesitz)2, die als Anwendungsfälle eines nicht ausdrücklich angeführten allgemeinen Prinzips verstanden wurden, die Grundlage für die heutige Regelung in § 39 Abs. 2 AO. Die neuere Entwicklung3 wurde stark durch die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs und durch grundlegende steuerrechtliche Untersuchungen4 beeinflusst. Besonders

1 Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., 72 m. Nachw. 2 S. im Einzelnen Kruse in Tipke/Kruse, RAO, § 11 StAnpG Rz. 4 ff. 3 Dazu stellvertretend z.B. Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 39 AO Rz. 1 ff., und Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 39 AO Rz. 1 ff., 21 ff.; s.a. die historische Analyse von Kruse in Kindler/Koch/Ulmer/Winter (Hrsg.), Festschrift U. Hüffer, 2010, 555, 559 ff. 4 Nachw. aus der RAO/StAnpG-Zeit seit 1931 z.B. bei Kruse (Fn. 2); s.a. Kruse (Fn. 3), 555 ff.

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hervorzuheben ist die Arbeit von Gerhard Seeliger5: Die dort gerade mit Blick auf das Verhältnis zwischen Eigentümer und Besitzer entwickelte sog. Seeliger-Formel vom wirtschaftlichen Ausschluss des rechtlichen Eigentümers6 findet sich fast unverändert als gesetzliche Regelung in § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO7. Auch das BVerfG hat mit Blick auf das steuerrechtliche Grundprinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit8 keine verfassungsrechtlichen Einwände gegen die wirtschaftliche Betrachtungsweise, wo „ein Steuergesetz zwar bestimmte rechtliche Sachverhalte nennt, dabei aber nicht deren spezielle rechtstechnische Einkleidung, sondern ihre rechtliche Wirkung meint“, soweit nicht „die rechtliche Methode durch außerrechtliche Gesichtspunkte und Begriffe“ aufgelöst wird.9 § 39 Abs. 2 AO10 wirkt dabei als Aktivierungsvoraussetzung in der Steuerbilanz – dies allerdings nur insoweit, als die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) bzw. §§ 240 Abs. 1, 242 Abs. 1, 246 Abs. 1 Satz 2 HGB (vermittels § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG als lex specialis zu § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO11) keine anderweitige Regelung vorsehen. Und dies dürfte angesichts der spätestens mit dem BilMoG ersichtlichen Bemühungen 5 Der Begriff des wirtschaftlichen Eigentums im Steuerrecht, 1962. 6 S. Fn. 5 (dort S. 89 f.) – Übernahme dieser Deutung im insoweit für die Folgerechtsprechung auch wiederum grundlegenden sog. Leasingurteil des BFH, Urt. v. 26.1.1970 – IV R 144/66, BStBl. II 1970, 264. 7 S. dazu BT-Drs. 7/4292, 19 – Hinweis auf die sog. Leasing-Rechtsprechung des BFH und darauf, dass mit der Neufassung keine Änderung des Begriffs „wirtschaftliches Eigentum“ verbunden sein sollte; s.a. BMF-Schreiben v. 1.10.1976, BStBl. I 1976, 576, 582. 8 Diesen Zusammenhang betont Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 2. Aufl., 1689. 9 BVerfG, Urt. v. 24.1.1962 – 1 BvR 232/60, BVerfGE 13, 318, 329 (= Rz. 30); s.a. BVerfG, Beschl. v. 16.12.1970 – 1 BvR 210/68, BVerfGE 30, 54, 63 (= Rz. 19) – mit Blick auf gleichmäßige Besteuerung zulässige Anknüpfung an „wirtschaftlich dem Eigentum gleichartige Herrschaftsbeziehungen zu Sachen …“. 10 Zu § 39 Abs. 1 AO (Zurechnung beim Eigentümer) s. § 246 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 HGB („Vermögensgegenstände sind in der Bilanz des Eigentümers aufzunehmen; …“). 11 Z.B. Briesemeister in Prinz/Kanzler, NWB Praxishandbuch Bilanzsteuerrecht, 2013, Rz. 664; Drüen in Tipke/Kruse (Fn. 3), § 39 AO Rz. 11; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler (Fn. 3), § 39 AO Rz. 25; Knobbe-Keuk (Fn. 1), 75 f.; Krumm in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 5 EStG Rz. 511; Ruppe in Tipke (Hrsg.), DStJG Bd. 1, 2. Aufl., 7, 14; Tiedchen in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG Rz. 516; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 36. Aufl., § 5 Rz. 151 (s.a. ders., BB 2016, 2220, 2223); Crezelius in M. Fischer/

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des Gesetzgebers, ungeachtet der eher gläubigerschutzorientierten Betrachtungsweise des Handelsrechts möglichst zu einer inhaltlichen Übereinstimmung von handels- und steuerrechtlicher Zuordnung zu gelangen12, nur selten praktisch werden.13 Besondere Bedeutung kommt dem wirtschaftlichen Eigentum (bzw. dem Zeitpunkt des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums) auch mit Blick auf den Realisationszeitpunkt (Gewinnrealisierung beim Veräußerer) zu.14 Im Übrigen ist die wirtschaftliche Betrachtungsweise mit ihren – aber nicht zwingend übereinMellinghoff (Hrsg.), Festgabe für H. List, 2015, 54, 56; a.A. z.B. Kempermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 5 Rz. B 231. 12 Zu § 246 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 HGB i.d.F. des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes v. 25.5.2009 („… ist ein Vermögensgegenstand nicht dem Eigentümer, sondern einem anderen wirtschaftlich zuzurechnen, hat dieser ihn in seiner Bilanz auszuweisen.“) s. BT-Drs. 16/10067, 47 (Bezug zu § 39 AO), u. BT-Drs. 16/12407, 84; s.a. Weber-Grellet, BB 2016, 2220, 2223; Briesemeister in Prinz/Kanzler (Fn. 11), Rz. 662 f. 13 S.a. BFH-Urt. v. 25.7.2012 – I R 101/10, BStBl. II 2013, 165; v. 1.2.2012 – I R 57/10, BStBl. II 2012, 407 (Offenlassen der Rechtsgrundlage bei übereinstimmendem Ergebnis), und Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler (Fn. 3), § 39 AO Rz. 27 („… dass die aufgeworfene Rechtsfrage zu denen gehört, die nicht zwingend beantwortet werden müssen.“). Der BGH hebt im Urt. v. 6.11.1995 – II ZR 164/94 (NJW 1996, 458) hervor, dass § 242 Abs. 1 HGB insb. auf eine rechtlich abgesicherte Position gegenüber dem Eigentümer abstellt, die es dem Dritten ermöglicht, „diesen dauerhaft dergestalt von der Einwirkung auf die betreffenden Vermögensgegenstände auszuschließen, daß einem Herausgabeanspruch bei typischem Verlauf zumindest tatsächlich keine nennenswerte praktische Bedeutung zukommt. Substanz und Ertrag des Vermögensgegenstandes müssen mithin, und sei es auch nur aufgrund schuldrechtlicher Berechtigungen, vollständig und auf Dauer dem bilanzierenden Unternehmen und nicht dem bürgerlich-rechtlichen Eigentümer zuzuordnen sein.“ (s.a. Schön in Schön [Hrsg.], Steuerliche Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa, 2005, 68 ff.) – es geht damit eher um die „positive Machtmöglichkeit“ im Verhältnis zum Eigentümer als um den Ausschluss des Eigentümers (so Knobbe-Keuk [Fn. 1], 73 f.); Lehrbuchfall eines divergierenden Ergebnisses ist die Situation des unberechtigten bösgläubigen Eigenbesitzers (Knobbe-Keuk, ebenda, 74; BFH-Urt. v. 22.9.2016 – IV R 1/14, BStBl. II 2017, 171; dazu krit. aber Kempermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff [Fn. 11], § 5 Rz. B 231 [Vorrang der den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Vermögenslage vor dem Leitbild des „ordentlichen Kaufmanns“]). Umfassende Untersuchung durch Keller, Der Grundsatz wirtschaftlicher Vermögenszugehörigkeit im Bilanzrecht, 2014, passim. 14 S. ausführlich Kempermann, StbJb 2008/2009, 243, 244 ff.; s.a. Briesemeister in Prinz/Kanzler (Fn. 11), Rz. 665 ff.; Weber-Grellet in Schmidt (Fn. 11), § 5 Rz. 608; zum Versendungskauf s. Baumeister/Knobloch, WPg. 2016, 556.

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stimmenden – Zuordnungsergebnissen durchaus auch Gegenstand der internationalen Rechnungslegung (IASC-Framework 35 – substance over form – mit Folgerungen in Framework 5715) und findet sich auch in Art. 4 Abs. 20 GKKB-RLV (Zuordnung zum wirtschaftlichen Eigentümer).16

2. Rechtsgrundlage und bisherige Erkenntnisse § 39 AO ist dem „Steuerschuldrecht“ (Zweiter Teil der AO) zugeordnet und dort im (Zweiten) Abschnitt über das „Steuerschuldverhältnis“ platziert – es geht (gerade auch im Zusammenspiel mit § 38 AO) aber nicht um Steuerverfahrensrecht,17 sondern darum, bei einer einzelgesetzlichen Anknüpfung der Leistungspflicht an die Herrschaft über das einzelne Wirtschaftsgut die maßgebenden Kriterien der tatbestandlichen Zuordnung zu regeln.18 Personelle Zurechnung von Wirtschaftsgütern im Steu15 S. konkret zur Zuordnung nach „risks and rewards“ IAS 17 (dazu Kahle/ Schulz StuB 2011, 296, 300) und zum Leasing IAS 17.7 ff., ab 1.1.2019 ersetzt durch IFRS 16 Leases (dazu z.B. Dinh/Fink/Schultze/Schabert, PiR 2016, 235; Freiberg/Panek/Ehrcke, BB 2016, 2091; Bauer/Gallert, WPg. 2016, 321; Ganssauge/Klockmann/Alymov, WPg. 2016, 735); s.a. Eggert, Gewinnermittlung nach dem Richtlinienvorschlag über eine Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, 2015, 199 – zur Zuordnung anhand der Verteilung von Chancen und Risiken („Chancen“ durch den in § 39 AO angeführten Ausschluss des Eigentümers, „Risiken“ dort nicht ausdrücklich genannt, eine Berücksichtigung „folgt aber implizit aus dem Konzept der wirtschaftlichen Zuordnung“), die aber Fischer (jurisPR-SteuerR 51/2016, Anm. 1, dort zu C.III.) abw. als eine gegenüber § 39 Abs. 2 AO „neue Perspektive“ auffasst (s. allg. zur Ausstrahlung auf das Steuerrecht Scheffler/Rapp, Der Konzern 2017, 12). 16 S. dazu Eggert (Fn. 15), 131 f. u. 199 ff. u. der Wortlaut von Art. 4 Abs. 20 GKKB-RLV: „… die Person, die alle materiellen Vorteile und Risiken aus einem Wirtschaftsgut des Anlagevermögens trägt, unabhängig davon, ob sie der rechtmäßige Eigentümer ist. Ein Steuerpflichtiger, der das Recht hat, ein Wirtschaftsgut des Anlagevermögens zu halten, es zu gebrauchen und über es zu verfügen und der das Risiko seines Verlustes oder seiner Zerstörung trägt, gilt auf jeden Fall als wirtschaftlicher Eigentümer …“ – dazu ist ein Kompromissvorschlag dokumentiert, der (klarstellend) vorsieht, dass ein Wirtschaftsgut des Anlagevermögens nur von einem einzigen Steuerpflichtigen abgeschrieben werden darf, außer, es teilen sich mehrere Steuerpflichtige dieses Eigentum (s. Eggert, ebenda, 201). 17 BFH, Urt. v. 6.9.1995 – II R 128/91, BFH/NV 1996, 197 (mit Hinweis auf BFH, Beschl. v. 28.3.1979 – I B 78/78, BStBl. II 1979, 607). 18 Knobbe-Keuk (Fn. 1), 76 betont unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 16.12.1970 – 1 BvR 210/68, BVerfGE 30, 54, 63, die steuersubjektbezogene

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errecht folgt im Ausgangspunkt („Regelfall“) der zivilrechtlichen Sachzuordnung (§ 39 Abs. 1 AO); ein Wirtschaftsgut kann aber auch „einem anderen“ (als dem zivilrechtlichem Eigentümer bzw. Rechteinhaber) zugeordnet werden, wenn jener – mit Blick auf den zivilrechtlichen Eigentümer – diesen wirtschaftlich von seinen Eigentümerrechten ausschließt („2-Personen-Sicht“), z.B.19 bei Treuhandverhältnissen (Zurechnung beim Treugeber), bei Sicherungsübereignung (Zurechnung beim Sicherungsgeber) oder bei Eigenbesitz (Zurechnung beim Eigenbesitzer). Jene Person ist zwar dinglich nicht berechtigt, sie ist aber Zurechnungssubjekt des Wirtschaftsguts (gesprochen wird – auch wenn es dort nicht ausdrücklich angeführt wird – von wirtschaftlichem Eigentum20). Bei einer Nutzung des Wirtschaftsguts zur Einkünfteerzielung ist diese Person Zurechnungssubjekt der daraus erwirtschafteten wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit im Ertragsteuerrecht.21 Damit ist personelle Zurechnung i.S. § 39 AO „Anknüpfungspunkt für die Indikation von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und für die Bestimmung des Steuersubjekts“.22

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Identifikationsfunktion folgendermaßen: Es wird bestimmt, „wer Steueransprüche zu erfüllen hat, die aus der Herrschaft über einzelne Wirtschaftsgüter hergeleitet werden“. Keine Enumeration. Zur bilanzsteuerrechtlichen Behandlung „wesentlicher (potenzieller) Divergenzfälle zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Eigentums an Wirtschaftsgütern“ s. Briesemeister in Prinz/Kanzler (Fn. 11), Rz. 673 ff. Zu einem Zusammenhang mit der Formwirksamkeit von Verträgen (hier: Treuhand) s. BGH, Urt. v. 14.12.2016 – IV ZR 7/15, DStR 2017, 56. S. bereits BFH, Urt. v. 26.1.1970 – IV R 144/66, BStBl. II 1970, 264; s. inzwischen ausdrücklich § 94 Abs. 1 Satz 1 BewG (betr. Gebäude auf fremdem Grund und Boden [dort: Zurechnung des Gebäudewerts]) und neuerdings § 36a Abs. 1 Nr. 1 EStG und § 50j Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Nach Kruse (Fn. 3), 555, 559 „gehört (der Begriff) in Anführungszeichen“. S. z.B. BFH, Urt. v. 26.1.1970 – IV R 144/66, BStBl. II 1970, 264: „Die wirtschaftliche Zurechnung … ist in allen Fällen maßgebend, bei denen es entscheidend nicht auf die formalrechtlichen, sondern auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten ankommt.“ Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 5 Rz. 140; Tipke (Fn. 8), 1689. Insoweit plakativ der Anteilseignerbegriff des § 20 Abs. 5 Satz 2 EStG mit dem Verweis auf § 39 AO (und dazu etwa BFH, Beschl. v. 3.3.2016 – VIII B 25/14, BFH/NV 2016, 1021 [mit Anmerkung Fischer, jurisPR-SteuerR 25/2016, Anm. 2]: „Darüber hinaus ist auch geklärt, dass bei einer unentgeltlichen Übertragung von Kapitalvermögen die Zurechnung der laufenden Erträge einer Kapitalanlage i.S. des § 20 EStG anhand des Innehabens wirtschaftlichen Eigentums nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO erfolgt. Dem zivilrechtlichen Gläubiger der Kapitalerträge sind diese nur dann zuzurechnen, wenn ihm neben dem zivilrechtlichen Eigentum auch die Dispositionsbefugnis über die Einkunfts-

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§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ist eine Generalklausel und bietet keine trennscharfen Abgrenzungskriterien23; in der Rechtsanwendung steht die Fallgruppenbildung und eine wertende Zuordnung im Vordergrund.24 Dazu haben sich einzelne Sachkomponenten herausgebildet: Die tatbestandliche „tatsächliche Sachherrschaft“ über ein Wirtschaftsgut übt i.d.R. derjenige aus, der im Besitz der Sache ist und Gefahr, Nutzen und Lasten trägt;25 der (dauerhafte) Ausschluss des Eigentümers manifestiert sich darin, dass der Herausgabeanspruch des zivilrechtlichen Eigentümers wirtschaftlich wertlos ist26 oder kein Herausgabeanspruch mehr

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quelle eingeräumt worden ist“ (dortiger Hinweis auf BFH-Urt. v. 26.1.2011 – VIII R 14/10, BFH/NV 2011, 1512; v. 29.3.2001 – IV R 71/99, BFH/NV 2001, 1251). Es liegt daher im eigentlichen Sinne keine „Definition“ von „wirtschaftlichem Eigentum“ vor (so aber BT-Drs. 7/4292, 19), vielmehr werden die Voraussetzungen für eine Abweichung von der Regelzurechnung (§ 39 Abs. 1 AO) umschrieben (s. Drüen in Tipke/Kruse [Fn. 3], § 39 AO Rz. 21). BFH-Urt. v. 27.11.1996 – X R 92/92, BStBl. II 1998, 97; v. 24.6.2004 – III R 50/01, BStBl. II 2005, 80; v. 25.7.2012 – I R 101/10, BStBl. II 2013, 165; v. 13.10.2016 – IV R 33/13, BFHE 255, 386; s.a. Fischer in Hübschmann/Hepp/ Spitaler (Fn. 3), § 39 AO Rz. 74. Z.B. BFH, Urt. v. 1.2.2012 – I R 57/10, BStBl. II 2012, 407 (dort: Besitz in Erwartung des Eigentumserwerbs) und dem folgend BFH-Urt. v. 22.9.2016 – IV R 1/14, BStBl. II 2017, 171. Evtl. auch mit dem Bild des erwartbaren Eigentumserwerbs das BFH-Urt. v. 15.12.1999 – I R 29/97, BStBl. II 2000, 527, und Beschl. v. 20.11.2007 – I R 85/05, BStBl. II 2013, 287, wonach es bei Gesellschaftsanteilen auf ein Anwartschaftsrecht – ein auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position, die rechtlich geschützt ist – ankommt, wobei eine solche Position gegenüber dem Vertragspartner (als zivilrechtlichem Eigentümer) auch als bloße Umschreibung der Ausschließungssituation i.S. einer „dolo petit-Einrede“ verstanden werden kann; dortiger Zusatz: „§ 50c EStG 1987 enthält eine spezialgesetzliche Konkretisierung der allgemeinen Missbrauchsvorschrift des § 42 AO. Neben und im Anwendungsbereich des § 50c EStG 1987 kann die Zurechnung von Dividendenbezügen bzw. anrechenbarer Körperschaftsteuer nicht unter Berufung auf § 42 AO als rechtsmissbräuchlich versagt werden. Fehlt es aufgrund eines spezialgesetzlichen Wertungsvorrangs an einem Missbrauchsvorwurf i.S.d. § 42 Abs. 1 Satz 1 AO, läuft § 42 Abs. 2 AO leer“, so dass § 42 AO ab 2001 (Wegfall des § 50c EStG a.F.) zu prüfen ist (zutr. Spengel, DB 2016, 2988, 2992 f.); s.a. BFH, Urt. v. 9.10.2008 – IX R 73/06, BStBl. II 2009, 140. BFH, Urt. v. 8.8.1990 – X R 149/88, BStBl. II 1991, 70, 71; v. 24.6.2004 – III R 50/01, BStBl. II 2005, 80 – z.B. wegen eines Substanzverbrauchs bis zu einer Herausgabe. Diese Struktur ist auch Grundlage der sog. Leasing-Rechtsprechung (s. sogleich).

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besteht.27 Als Indizien für das Vorliegen wirtschaftlichen Eigentums28 gelten Kostentragung, (dauerhafte) Nutzung, Teilnahme an Wertsteigerungen und ein (Wert-)Ersatzanspruch gegen den rechtlichen Eigentümer.29 Es lassen sich drei mögliche Kriterien für eine wirtschaftliche (vom zivilrechtlichen Eigentum abweichende) Zurechnung formulieren:30 1. der Andere hat jedenfalls faktisch die negativen Befugnisse des Eigentümers inne, d.h. er kann (gerade) den Eigentümer an der Sachnutzung hindern (Ausschließungsmacht); 2. der Andere hat jedenfalls faktisch die positiven Befugnisse des Eigentümers inne, d.h. er kann wie ein Eigentümer z.B. Nutzungen ziehen; 3. der Andere hat eine gesicherte Erwerbsaussicht kraft Übertragungsanspruchs. Das Gesetz führt nur das erste Kriterium an:31 § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO zieht als Zurechnungskriterium den negativen Inhalt des Eigentumsrechtes (bzw. das Ausschließenkönnen [auch] des zivilrechtlichen Eigentümers) heran.32 Über den Wortlaut des § 39 AO hinausgehend und als Leitprinzip auch für eine der Wirtschaftsgutzurechnung in aller Regel folgenden Einkünftezurechnung lässt sich dem § 39 AO als tragender 27 BFH, Urt. v. 18.7.2001 – X R 39/97, BStBl. II 2002, 284; v. 22.4.2015 – X R 8/13, BFH/NV 2015, 1409. 28 So Weber-Grellet, BB 2016, 2222, 2223. 29 Z.B. BFH, Urt. v. 28.7.1993 – I R 88/92, BStBl. II 1994, 164; s. zur Problematik, ob der Hersteller von Bauten auf fremdem Grund und Boden als wirtschaftlicher Eigentümer anzusehen ist, z.B. – entgegen der Rechtsprechung des BFH befürwortend – Weber-Grellet, BB 2016, 2220; s.a. Kanzler, FR 2016, 907 f. 30 Florstedt, FR 2016, 642. 31 Dazu Seeliger (Fn. 5), 38; ders., StuW 1963, 18: eine positive Aussage zur „Befugnis“ habe sich erübrigt, wenn niemand den Eigentümer vom Sachgebrauch abhalten könne. 32 Krit. z.B. Tipke (Fn. 8), 1690 u. 1691 f. („für Steuern auf das Vermögen“ komme es vorrangig „auf die positive Befugnis oder Möglichkeit (an), ein Gut durch Gebrauch, Verbrauch, Bearbeitung Belastung, evtl. Veräußerung zu nutzen); immerhin hat sich die von Werndl (Wirtschaftliches Eigentum, 1983) entwickelte „engere Formel“ – der Nichteigentümer müsse bereits eine Rechtsposition innehaben, „die sich von der eines Eigentümers im Sinne der Privatrechtsdogmatik nur mehr durch das Fehlen der dinglichen Berechtigung unterscheidet, diese dingliche Berechtigung aber durch ein einseitiges Gestaltungsrecht erzwungen werden kann“ (S. 166 f.) – nicht durchgesetzt.

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Rechtsgrundsatz aber entnehmen, dass es auf eine „wirtschaftliche Dispositionsbefugnis“ ankommt,33 weil sie die Herrschaft über die Leistungsbeziehung (als Grundlage der Einkunftserzielung) ermöglicht. Diese Dispositionsbefugnis – die sich für die Zurechnung von Wirtschaftsgütern auf die nutzungsrelevante Lebensdauer des Wirtschaftsguts bezieht – gehört grds. zur Rechtssphäre des zivilrechtlichen Eigentümers (sie ist grds. Ausfluss der Sachherrschaft), sie kann aber auch – ggf. sogar ohne rechtfertigenden Grund durch die Rechtsordnung – einer anderen Person zustehen. Ob eine solche Dispositionsbefugnis besteht, entscheidet sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse34 bzw. dem üblichen Ablauf von vertraglichen Vereinbarungen35 bzw. dem für die gewählte Gestaltung typischen Verlauf.36 Immerhin ist deutlich, dass die Rechtsprechung eine Zuordnung nicht durchgehend auf der Grundlage der „Negativ-Entscheidung“ des Gesetzeswortlauts getroffen hat, sondern durchaus (auch) die positiven Befugnisse (i.S. des Innehabens von Substanz und Ertrag für die voraussichtliche Nutzungsdauer) in den Vordergrund gestellt hat.37 Soweit man dies in einem komplementären Sinne zur gesetzlichen Negativ-Formel versteht,38 ist dies ohne weiteres gesetzeskonform. Dass dies auch ohne weiteres sachgerecht ist, erhellt der Blick über die Grenze nach Öster-

33 Englisch in Tipke/Lang (Fn. 22), § 5 Rz. 141. S.a. BFH, Beschl. v. 3.3.2016 – VIII B 25/14, BFH/NV 2016, 1021 (mit Anmerkung Fischer, jurisPR-SteuerR 25/2016, Anm. 2). 34 BFH, Urt. v. 1.2.2012 – I R 57/10, BStBl. II 2012, 407; z.B. auch BFH, Urt. v. 11.7.2006 – VIII R 32/04, BStBl. II 2007, 296; v. 4.7.2007 – VIII R 68/05, BStBl. II 2007, 937; v. 22.7.2008 – IX R 74/06, BStBl. II 2009, 124; BFH, Beschl. v. 12.11.2009 – IV B 8/09, BFH/NV 2010, 464; v. 7.5.2014 – IX B 146/13, BFH/NV 2014, 1204; s.a. BFH, Urt. v. 28.5.2015 – IV R 3/13, BFH/NV 2015, 1577. 35 BFH, Urt. v. 16.4.2014 – I R 2/12, BFHE 246, 15 (und dazu sogleich zu 3.1). 36 BFH, Urt. v. 9.1.2013 – I R 33/11, BFHE 240, 226 (zu Leergutmehrwegsystemen); v. 26.8.2010 – I R 17/09, BFHE 231, 210; v. 27.11.1996 – X R 92/92, BStBl. II 1998, 97; v. 28.5.2015 – IV R 3/13, BFH/NV 2015, 1577; s.a. BFH, Urt. v. 25.7.2012 – I R 101/10, BStBl. II 2013, 165 („… weil die wertende Zuordnung dieser Rechtsstellung nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO am Regelfall, d.h. an dem für die jeweilige Gestaltung typischen Geschehensablauf auszurichten … ist.“) und z.B. Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler (Fn. 3), § 39 AO Rz. 100. 37 Z.B. BFH, Urt. v. 18.7.2001 – X R 15/01, BStBl. II 2002, 278; BFH, Beschl. v. 3.3.2016 – VIII B 25/14, BFH/NV 2016, 1021 (mit Anmerkung Fischer, jurisPRSteuerR 25/2016, Anm. 2). 38 S.a. Weber-Grellet, BB 2016, 2220, 2223 („Positiv formuliert ist der wirtschaftliche Eigentümer …“).

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reich: § 24 Abs. 1 Buchst. d BAO (Zurechnung der Wirtschaftsgüter) sieht vor, dass „Wirtschaftsgüter, über die jemand die Herrschaft gleich einem Eigentümer ausübt, … diesem zugerechnet (werden)“. Dazu heißt es im Erkenntnis des österr. VwGH v. 28.5.2015 2013/15/0135: „Wirtschaftlicher Eigentümer ist in der Regel der zivilrechtliche Eigentümer. Ein Auseinanderfallen von zivilrechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum ist dann anzunehmen, wenn ein anderer als der zivilrechtliche Eigentümer die positiven Befugnisse, die Ausdruck des zivilrechtlichen Eigentums sind (Gebrauch, Verbrauch, Veränderung, Belastung, Veräußerung) auszuüben in der Lage ist, und wenn er zugleich den negativen Inhalt des Eigentumsrechtes, nämlich den Ausschluss Dritter von der Einwirkung auf die Sache, auch gegenüber dem zivilrechtlichen Eigentümer auf Dauer, d.h. auf die Zeit der möglichen Nutzung, geltend machen kann (vgl. das Erkenntnis vom 12. Dezember 2007, 2006/15/0123, VwSlg. 8295/F). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist anhand des Gesamtbildes der Verhältnisse des jeweiligen Falles festzustellen (vgl. das Erkenntnis vom 25. Jänner 2006, 2002/13/0042, VwSlg. 8100/F, mwN).“39 Sowohl aus der Struktur der Regelung als auch systematisch lässt sich ein Vorrang des § 39 Abs. 1 AO gegenüber § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO erkennen.40 Kommt es zu einer Übertragung des zivilrechtlichen Eigentums („Einigung und Übergabe“ bei Mobilien), ist damit i.a.R. der Übergang wirtschaftlichen Eigentums verbunden41 – das wirtschaftliche Eigentum kann aber auch beim Veräußerer verbleiben.42 Im sog. Dividenden-Strip39 Ebenso Tanzer/Unger, BAO 2014/2015, 4. Aufl. 2014, 52 („Wirtschaftlicher Eigentümer ist in der Regel der zivilrechtliche Eigentümer. Zivilrechtliches und wirtschaftliches Eigentum fallen jedoch auseinander, wenn ein anderer als der Eigentümer die positiven Befugnisse, die Ausdruck des zivilrechtlichen Eigentums sind, …, auszuüben in der Lage ist und wenn er zugleich den negativen Inhalt des Eigentumsrechts, nämlich den Ausschluss Dritter von der Einwirkung auf die Sache, geltend machen kann.“), und Ritz, BAO, 4. Aufl. 2011, § 24 Rz. 3. 40 S. z.B. Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler (Fn. 3), § 39 AO Rz. 71. 41 Z.B. BFH, Urt. v. 18.8.2015 – I R 88/13, BStBl. II 2016, 961 (und dazu sogleich zu 3.2). 42 S. z.B. BFH, Urt. v. 18.8.2015 – I R 88/13, BStBl. II 2016, 961 (mit Hinweis auf BFH, Urt. v. 17.10.2001 – I R 97/00, BFHE 197, 63) und dazu sogleich zu 3.2; s.a. Kruse (Fn. 3), 555, 564 f. (mit Hinweis auf BFH, Urt. v. 9.10.2008 – IX R 73/06, BStBl. II 2009, 140). In diese Fallgruppe gehört auch die Treuhandvereinbarung – das rechtliche Eigentum des Treuhänders erscheint als „leere Hülle“ (s. z.B. BFH, Urt. v. 10.5.2016 – IX R 13/15, BFH/NV 2016, 1556; dazu Trossen, GmbH-StB 2016, 289).

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ping-Urteil des BFH43 heißt es: Zu einer „Verlagerung von rechtlichem zum wirtschaftlichen Eigentum (kann es) immer nur im Hinblick auf ein und dasselbe Wirtschaftsgut kommen“. Darüber hinaus ergibt sich, dass dem Gesetzgeber das direkte Verhältnis zwischen rechtlichem Eigentümer und „dem anderen“ vor Augen war, was dafür spricht, dass eine Zuordnungs-Entscheidung im Sinne der Alternativität zwischen diesen beiden Personen getroffen werden soll.44 Daraus folgt, dass eine Zurechnungsentscheidung für eines der beiden Rechtssubjekte eine zeitgleiche Zurechnungsentscheidung zu einem anderen Rechtssubjekt ausschließt.45 Für den Rechtspraktiker ist von Bedeutung, dass die Zurechnungsentscheidung nach der BFH-Rechtsprechung eine besondere Nähe zu den Tatsachenfeststellungen aufweist, die im Finanzprozess das FG treffen muss und die nach bestimmten Maßgaben geeignet sind, eine Bindungswirkung in einem sich anschließenden Revisionsverfahren auszulösen (§ 118 Abs. 2 FGO46). Beispiel: Eine besondere praktische Bedeutung haben die auf BFH-Rechtsprechung47 fußenden Verwaltungserlasse zum sog. Leasing48 erlangt.49 Dabei werden die dortigen starren Typisierun43 Urt. v. 15.12.1999 – I R 29/97, BStBl. II 2000, 527. 44 Dezidiert Florstedt, FR 2016, 641 ff. 45 S. nochmals Florstedt, FR 2016, 641, 645 ff.; s.a. Drüen in Tipke/Kruse (Fn. 3), § 39 AO Rz. 24; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler (Fn. 3), § 39 AO Rz. 82; Hessisches FG, Beschl. v. 8.10.2012 – 4 V 1661/11, EFG 2013, 47 (die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde wurde gemäß §§ 93a, 93b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, s. BVerfG, Beschl. v. 15.7.2013 – 2 BvR 2594/12, juris [Ls.]) und Urt. v. 10.2.2016 – 4 K 1684/14, EFG 2016, 761 [mit Anmerkung Lotzgeselle; s.a. Amann, DB 2016, 1463; Pluskat, EWiR 2016, 627; abl. dazu Klein, BB 2016, 2006 (Teil 1) u. 2200 (Teil 2)]); das Urteil war trotz Revisionszulassung nicht angefochten worden. 46 Der BFH kann als Revisionsinstanz die Auslegung von Willenserklärungen als Tatsachenfeststellung des FG nur daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB), die Denkgesetze und die gesetzlichen Erfahrungssätze zutreffend angewandt worden sind (z.B. Seer in Tipke/ Kruse [Fn. 3], § 118 FGO Rz. 75); weitergehend überprüfbar ist nur die rechtliche Einordnung festgestellter Zuordnungskriterien (s. mit dieser Differenzierung BFH, Urt. v. 22.4.2015 – X R 8/13, BFH/NV 2015, 1409). 47 Z.B. BFH, Urt. v. 26.1.1970 – IV R 144/66, BStBl. II 1970, 264; s. zuletzt insb. BFH-Urt. v. 2.6.2016 – IV R 23/13, BFH/NV 2016, 1433; v. 13.10.2016 – IV R 33/13, BFHE 255, 386. 48 Z.B. betr. Mobilien s. BMF v. 19.4.1971, BStBl. I 1971, 264. 49 S. dazu z.B. Briesemeister in Prinz/Kanzler (Fn. 11), Rz. 684 ff.; Krumm in Blümich (Fn. 11), § 5 EStG Rz. 1031; Schön (Fn. 13), 81 f.

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gen gerade auch in einen Zusammenhang mit Rechtssicherheit gestellt50, ebenso mit einer möglichen (das Gericht allerdings nicht strikt bindenden) Verwaltungstypisierung, die auch im Sinne eines gleichmäßigen Gesetzesvollzugs von Bedeutung ist. Trifft das FG auf dieser Grundlage – ohne Verstoß gegen die Denkgesetze oder allgemeine Verfahrenssätze51 – eine Zurechnungsentscheidung, kann dies im Revisionsverfahren nicht mehr korrigiert werden.52 Nicht zuletzt ist von Bedeutung, dass Rechtsprechung in seiner Entscheidung finanzprozessuale Grenzen („Gegenstand des Klagebegehrens“) beachten muss und daher „Konsistenzaspekte“53 – bezogen auf Fragen der Bilanzierung bei allen beteiligten Personen – nur begrenzt aufnehmen kann. Exkurs: Der im Zuge des Gesetzes zur Reform der Investmentbesteuerung (InvStRefG) v. 19.7.201654 eingeführte § 36a EStG erweitert für bestimmte Fälle die Tatbestandsvoraussetzungen für die Anrechenbarkeit der Kapitalertragsteuer („ferner“ bezieht sich auf die schon bestehenden Anrechnungsvoraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG), um der Umgehung der Besteuerung von Dividenden mittels sog. Cum-/Cum-Geschäfte55 entgegenzutreten. Die neue Rechtslage (Mindesthaltezeitraum und Mindestmaß an wirtschaftlichem Risiko als Voraussetzung der vollständigen Anrechnung) soll zur Unattraktivität der Steuerarbitrage durch 50 Z.B. Eggert (Fn. 15), 202; Schön (Fn. 13), 82 („gegriffene, aber hilfreiche Konkretisierung“). 51 Dies ist – s. Fn. 46 – das Maß für einen in der Revisionsinstanz erheblichen Rechtsfehler. 52 S. insoweit ausdrücklich zum Leasing BFH, Urt. v. 2.6.2016 – IV R 23/13 (BFH/NV 2016, 1433: „Das FG ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass das Erbbaurecht und die Tiefgarage der Klägerin nach § 39 Abs. 1 AO zuzurechnen sind und dass die Stadt nicht wirtschaftliche Eigentümerin der Wirtschaftsgüter i.S. des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ist.“), oder Urt. v. 28.5.2015 – IV R 3/13 (BFH/NV 2015, 1577: „Gemessen an diesen Maßstäben ist auch die Würdigung des FG, dass die Klägerin ihre Auftraggeber wirtschaftlich nicht von der Einwirkung auf die streitbefangenen Werkzeuge ausschließen konnte, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.“). 53 Begriff bei Baumeister/Knobloch, WPg. 2016, 556, 562. 54 BGBl. I 2016, 1730 (dort Art. 3; zeitliche Anwendung nach § 52 Abs. 35a EStG n.F. erstmals auf Kapitalerträge, die ab dem 1.1.2016 zufließen [„unechte Rückwirkung“; für Ausschüttungstermine im Januar 2016 an der Verfassungsmäßigkeit zweifelnd Kußmaul/Kloster, DB 2016, 849, 856; abw. aber Kretzschmann/Schwarz, FR 2017, 223, 235]). 55 „Cum“ (mit Dividende) verkauft und geliefert, später zurückübertragen; früher: Dividendenstripping.

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kurzfristige Kauf- und Verkaufstransaktionen führen.56 Dabei verdeutlicht Abs. 7 der Regelung den systematischen Zusammenhang: Es geht um eine Spezialregelung zu § 42 AO (Missbrauchstypisierung im Zusammenhang mit Erträgen i.S. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a EStG [insb. sammelverwahrte Aktien] ohne „Escape“ [abgesehen von Abs. 5]), die jene Regelung unberührt lässt (s. bereits § 42 Abs. 1 Satz 3 AO [seit 2008]). Die Anwendung dieser Restriktion regelt sich in einem bestimmten Maß je nach Reichweite der Interpretation des wirtschaftlichen Eigentums; § 39 Abs. 1 AO ist nicht angesprochen.57 Der zivilrechtliche Eigentümer, der auch wirtschaftlicher Eigentümer geworden ist, muss für eine uneingeschränkte Steueranrechnung bestimmte Bedingungen erfüllen – und dies für eine bestimmte Dauer und unter Risikotragung. Eine Ausstrahlungswirkung dieser Bedingungen auf den Begriffsinhalt des wirtschaftlichen Eigentums58 ist nicht erkennbar; jedenfalls besteht nach der Ansicht des Gesetzgebers die Möglichkeit, wirtschaftliches Eigentum auch dann anzunehmen (weil er diesen Umstand voraussetzt), wenn der anrechnungsbezogene Mindesthaltezeitraum und das geforderte Mindestmaß an wirtschaftlichem Risiko nicht vorliegen. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass diese Kriterien im Rahmen der Gesamtbetrachtung (i.S. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO) auch in eine Beurteilung einfließen können, ob die Position des vermeintlichen wirtschaftlichen Eigentümers wirtschaftliche Substanz hat. Dies zeigt eine Art „Wechselwirkung“ und zugleich die Nähe von einzelnen Beurteilungskriterien auf, ohne dass damit § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO in der aktuell streiterheblichen Interpretation (s. sogleich) gleichsam zu einem „Ersatz-§ 42 AO“ mutiert wäre.59

56 Ausführlich Knobloch, DB 2016, 1825 ff.; s.a. Kretzschmann/Schwarz, FR 2017, 223; Hahne/Völker, BB 2017, 858. Regelung von Anwendungsfragen aus Verwaltungssicht im BMF-Schreiben v. 3.4.2017. 57 Es geht der Sache nach darum, ob der (zivilrechtliche) Erwerber auch das wirtschaftliche Eigentum erworben hat – fehlt es daran, kann der Erwerber die Kapitalertragsteuer nicht anrechnen (s.a. Höring, DStZ 2016, 727, 731). 58 Hier: Situation des sog. Dividendenstripping als „Cum-/Cum-Transaktion“ (BFH, Urt. v. 15.12.99 – I R 29/97, BStBl. II 2000, 527). 59 So i.Erg. auch Wacker, JbFStR 2016/2017, 210; Schön, JbFStR 2016/2017, 211 f. Dazu kritisch – und mit dem Petitum, den Tatbestand des § 42 AO als Interpretationsgrenze zu begreifen – Gosch, BFH/PR 2016, 106; s.a. Lechner, JbFStR 2016/2017, 199, 208; Florstedt, FR 2016, 641, 644 f.; Hahne/Philipp, DStRK 2017, 76 (Vorwurf einer „methodisch unbefriedigende(n) Vermengung der Beurteilungsebenen von § 39 AO und § 42 AO“).

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Nachsatz: Die Möglichkeit einer Versagung grenzüberschreitender Quellensteuererstattung ist ab 1.1.2017 (durch Gesetz v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000) unter Erweiterung des Anwendungsbereichs und der Rechtsfolge des § 36a EStG durch § 50j EStG mit entsprechenden einschränkenden Maßgaben installiert (s. dazu z.B. Salzmann/Heufelder, DStR 2017, 125, 128 f.).

3. Aktuelle Akzentuierungen 3.1 BFH – I R 2/12 („Cum-/Ex-Geschäft“):60 „Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt derjenige, dem die Anteile an dem Kapitalvermögen im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses nach § 39 Abs. 1 AO rechtlich oder – wenn ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über die Anteile hat –- nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO wirtschaftlich zuzurechnen sind. Wirtschaftliches Eigentum über die Anteile in diesem Sinne scheidet bei sog. cum/ex-Geschäften mit Aktien aus, wenn der Erwerb der Aktien mit dem (hier:) durch ein Kreditinstitut initiiertes und modellhaft aufgelegtes Gesamtvertragskonzept verbunden ist, nach welchem der Initiator den Anteilserwerb fremdfinanziert, der Erwerber die Aktien unmittelbar nach ihrem Erwerb dem Initiator im Wege einer sog. Wertpapierleihe (bis zum Rückverkauf) weiterreicht und der Erwerber das Marktpreisrisiko der Aktien im Rahmen eines sog. Total Return Swap-Geschäfts auf den Initiator überträgt.“

60 Urt. v. 16.4.2014 – I R 2/12, BFHE 246, 15; dazu z.B.: Brill, EStB 2014, 397; Demleitner, SteuK 2014, 473; Desens, DStR 2014, 2317; Feyerabend, RdF 2014, 344; Fiand, NWB 2016, 344; Florstedt, FR 2016, 641; Gosch, BFH/PR 2015, 15; Haarmann, BB 2015, 22, 23; Haritz/Werneburg, NWB 2015, 657; Höring, GStB 2014, 272; JH, DStZ 2014, 780; jh, StuB 2014, 782; Klein, BB 2015, 726; Matuszewski, BB 2014, 2726; Pflaum, StBp 2015, 185; Podewils, jurisPRSteuerR 49/2014 Anm. 1 u. FR 2014, 1064; Rau, FR 2014, 1012 u. DStR 2015, 2048; Schmich, GmbHR 2014, 1177; Schmid, DStR 2015, 801; Schön, RdF 2015, 115; Schwenke, jM 2015, 83; Spengel/Eisgruber, DStR 2015, 785; s.a. Verf. in Lüdicke/Mellinghoff/Rödder (Hrsg.), Nationale und Internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung, Festschrift f. D. Gosch, 2016, 37. Zur weiteren steuertatbestandsbezogenen Diskussion s. insb. Spatscheck/Spilker, DB 2016, 2920, 2921 ff., mit Replik von Eisgruber/Spengel, DB 2017, 750, und Duplik von Spatscheck/Spilker, DB 2017, 752.

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Sachverhalt: Die Klägerin, eine im Streitjahr 2008 errichtete (unbeschränkt steuerpflichtige) GmbH, erwarb jeweils am Tag vor dem Dividendenstichtag (Tag der Beschlussfassung über die Ausschüttung) dividendenberechtigte Aktien („cum Dividende“) „über“ A, eine in Großbritannien ansässige Brokergesellschaft, im außerbörslichen Handel („OTC“-Geschäft). Die Aktien befanden sich in Depots eines Bankhauses in Frankreich. Im Zusammenhang mit diesen Erwerben wurden verschiedene Verträge (Finanzierungs-, Wertpapierleih- und [Total-Return-]Swapgeschäfte) mit der in Großbritannien ansässigen Bank B abgeschlossen. Der Kreditvertrag diente der Finanzierung des jeweiligen Kaufpreises. Mit dem Wertpapierleihe-Rahmenvertrag verpflichtete sich die Klägerin, die erworbenen Aktien am jeweiligen Tag des Gewinnverwendungsbeschlusses der jeweiligen Kapitalgesellschaft an B darlehensweise zu überlassen (Wertpapier-Leihe: Übertragung zu vollem Eigentum und zur freien Verfügung mit der Maßgabe, dass Wertpapiere gleicher Art und mit gleichem Nominalwert zurückzugeben seien); Tag der Hingabe der Wertpapiere und Abrechnungstag war der jeweilige Dividendenauszahlungstag. B verpflichtete sich, der Klägerin zeitgleich mit der Wertpapierleihe und spätestens zum Handelsschluss des Abrechnungstages entsprechende (Bar-)Sicherheiten zu gewähren (Zahlung automatisch mit der buchmäßigen Lieferung der Wertpapiere). Darüber hinaus war B verpflichtet, zum Ausgleich für Dividendenerträge am Zahlungstag der Dividenden einen entsprechenden Betrag an die Klägerin zu zahlen. Mit dem sog. Swap-Geschäft sollte eine Absicherung gegenüber Kursverlusten der erworbenen Wertpapiere erreicht werden (Wertsteigerungen schuldete die Klägerin, Wertverluste sollte B ausgleichen); zugleich waren 95 % der Dividenden an B abzuführen. Nach Rückgabe der Sicherheiten verkaufte die Klägerin die Aktien erneut „über“ A; dann zahlte sie aus den Erlösen die Barsicherheiten an B zurück und lieferte die von dieser überlassenen Aktien an A aus. Der Rechtsstreit um die Berechtigung zur Anrechnung von Kapitalertragsteuer (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 n.F., evtl. i.V.m. § 31 Abs. 1 S. 1 KStG) betraf das Jahr 2008 (Rechtslage des EStG 2002 n.F.) – Grundvoraussetzung der Anrechnung von Kapitalertragsteuer ist das Erzielen von solchen Einkünften, die zum Einbehalten dieser Kapitalertragsteuer geführt haben. Dazu kann alternativ auf zwei Einkünftetatbestände verwiesen wer-

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den: § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG 2002 n.F. einerseits61 und § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 i.V.m. S. 4 EStG 2002 n.F. andererseits.62 Für beide Tatbestände ist der Erwerb jedenfalls wirtschaftlichen Eigentums an den Aktien prägend: (Nur) Ein solcher Erwerb qualifiziert mit Blick auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 i.V.m. S. 4 EStG 2002 n.F. zur Zuordnung als Einkünftetatbestand i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F. („sonstiger Bezug“). Allerdings ist nach dem Zeitpunkt dieses Erwerbs zu un61 Der Ansatz von Dividenden sowie der darauf entfallenden anrechenbaren Steuern als (Betriebs-)Einnahmen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG 2002 n.F.) setzt dabei voraus, dass jene Einnahmen steuerrechtlich diesem Steuersubjekt zuzurechnen sind. Die persönliche Zurechnung von Dividenden richtet sich dabei nach § 20 Abs. 2a EStG 2002 n.F. (später – sachlich unverändert – § 20 Abs. 5 EStG 2009); das gilt auch dann, wenn die Anteile an der ausschüttenden Gesellschaft in einem Betriebsvermögen gehalten werden (BFH, Urt. v. 24.11.2009 – I R 12/09, BStBl. II 2010, 590; s.a. Schmich/Schnabelrauch, GmbHR 2015, 516, 519). Anteilseigner i.S.d. § 20 Abs. 2a S. 1 EStG 2002 n.F. (bei einer Kapitalgesellschaft i.V.m. § 8 Abs. 1 S. 1 KStG) ist derjenige, dem nach § 39 AO die Anteile an der ausschüttenden Kapitalgesellschaft im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses zuzurechnen sind (§ 20 Abs. 2a S. 2 EStG 2002 n.F.). 62 Von Rau, FR 2014, 1012, 1014 für diesen Sachkomplex anschaulich als „Aktienposition“ bezeichnet: Als „sonstige Bezüge aus Aktien“ gelten (gesetzliche Fiktion) auch Einnahmen, die an Stelle der Bezüge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG 2002 n.F. von einem anderen als dem Anteilseigner nach § 20 Abs. 2a EStG 2002 n.F. bezogen werden, wenn die Aktien mit Dividendenberechtigung erworben, aber ohne Dividendenanspruch geliefert werden. Dieser zur Regelung von sog. Leerverkäufen – im Zeitpunkt der kaufvertraglichen Vereinbarung ist der Verkäufer noch nicht (zivilrechtlicher oder wirtschaftlicher) Eigentümer der Aktien – geschaffene Tatbestand (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 16/2712, 48) erfasst Einnahmen, die den Bezug einer Gewinnausschüttung wirtschaftlich ersetzen (Ausgleichszahlung des Verkäufers anstelle der Dividende [„Dividendenkompensation“]), und damit im Zusammenhang stehen, dass die im Rahmen des Erfüllungsgeschäfts vom Käufer zu Eigentum erworbene Aktie den im Verpflichtungsgeschäft versprochenen Anspruch auf Zahlung einer Gewinnausschüttung nicht (mehr) vermittelt (z.B. von Beckerath in Kirchhof, EStG, 16. Aufl., § 20 Rz. 56; Intemann in Herrmann/Heuer/Raupach (Fn. 11), § 20 Rz. 111; Ratschow in Blümich (Fn. 11), § 20 EStG Rz. 138; Weber-Grellet in Schmidt (Fn. 11), § 20 Rz. 68; s. insoweit auch die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 16/2712, 48 („Einnahme an Stelle der Dividende“) und Desens, DStZ 2014, 154, 157, sowie Spengel/Eisgruber, DStR 2015, 785, 787). Der seit 2007 geltende Einkünftetatbestand eröffnet für den Leistungsempfänger den Zugang zum Teileinkünfteverfahren des § 3 Nr. 40 EStG bzw. zu § 8b Abs. 1, 5 KStG (s.a. Intemann, ebenda, § 20 EStG Rz. 113).

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terscheiden:63 Der Erwerb erfolgt entweder im Zeitpunkt der kaufvertraglichen Vereinbarung bzw. jedenfalls vor dem Ausschüttungsbeschluss – was zugleich die Zurechnung der Dividende auslöst (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1, Abs. 2a EStG 2002 n.F.) – oder nach dem Ausschüttungsbeschluss vor der Erfüllung der kaufvertraglichen Vereinbarung (Übertragung zivilrechtlichen Eigentums) durch den Leerverkäufer (der gesetzliche Tatbestand spricht insoweit von einer „Lieferung“) – was durch die sachliche Nähe zur Dividendenerwirtschaftung (das Geschäft bezog sich auf „cumDividende“ und der Verkäufer leistet parallel zur Eigentumsverschaffung „ex-Dividende“ einen Schadensersatz) die Besteuerung der Kompensationszahlung als Einnahme aus Kapitalvermögen rechtfertigt (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V. mit Satz 4 EStG 2002 n.F.). Insoweit war daher im Rechtsstreit I R 2/12 für beide Varianten der Einkünfteerwirtschaftung die Frage des Erwerbs des wirtschaftlichen Eigentums entscheidungserheblich. Allerdings konnte wegen der Existenz beider Varianten der Einkünfteerzielung und (im Streitfall:) der Ablehnung eines substanziellen Erwerbs durch die Käuferin infolge des modellhaft aufgelegten Gesamtvertragskonzepts (die Wertpapiererwerbe standen im untrennbaren Zusammenhang mit Finanzierungs-, Wertpapierleih- und Total-Return-Swapgeschäften sowie einem kurzfristigen Rückverkauf, so dass eine nennenswerte Inanspruchnahme der mit dem Innehaben der Wertpapiere verbundenen Rechte durch die Klägerin ausgeschlossen war [„bloßer Durchgangserwerb“])64 offenbleiben, ob der Verkäufer Inhaberverkäufer oder Leerverkäufer war.65 Darüber hinaus war – wiederum wegen der Existenz beider Varianten der Einkünfteerzielung66 – nicht zu entscheiden, ob ein Käufer auch im Fall eines Leerverkaufs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses wirtschaftliches Eigentum erwerben kann.

63 Zutr. Differenzierung bei Desens, DStR 2015, 2317, 2321; im Erg. auch Spengel/Eisgruber, DStR 2015, 785, 792; Schmid, DStR 2015, 801, 805. 64 Zustimmend z.B. Hennrichs in Tipke/Lang (Fn. 22), § 9 Rz. 155; Matuszewski, BB 2014, 2726; Podewils, FR 2014, 1064, 1066; Schmich, GmbHR 2014, 1177, 1181; an den tatsächlichen Grundlagen jener Würdigung aber zweifelnd und zugleich unter Hinweis auf die Darlegungen zur Wertpapierleihe ablehnend Schmid, DStR 2015, 801, 803 ff.; s. aber zu einer ähnlichen Würdigung bei Forderungsabtretungen bereits BFH, Urt. v. 26.8.2010 – I R 17/09, BFHE 231, 210. 65 S.a. Desens, DStR 2014, 2317, 2321. 66 Zutr. Desens, DStR 2014, 2317, 2321; Schmich, GmbHR 2014, 1177, 1181; so auch (für das Streitjahr 2008 zutr.) Hessisches FG, Beschl. v. 8.10.2012 – 4 V 1661/11 (s. Fn. 45).

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In der Sache kann diese Entscheidung daher zur Frage, ob und wie der Erwerber wirtschaftliches Eigentum erwerben kann, als „Nicht-Entscheidung“ verstanden werden – jedenfalls war auf der Grundlage des Vertragsgeflechts, das ihn von der Möglichkeit der Fruchtziehung ausschloss (ihn quasi rechtlos stellte), eine Zurechnung ausgeschlossen. Zu dieser Frage wird man Folgendes zu berücksichtigen haben: In seinem Urteil vom 15.12.1999 – I R 29/9767 hat der BFH die aus dem Wortlaut des § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO abzuleitenden allgemeinen Grundsätze zum Vorliegen wirtschaftlichen Eigentums für die Situation des Erwerbs (girosammelverwahrter) Aktien dahingehend konkretisiert, dass durch die Einräumung eines Besitzmittlungsanspruchs (§ 929 S. 2 BGB) zu der girosammelverwahrenden Stelle bzw. die Vereinbarung eines Besitzkonstituts (§ 930 BGB) und mit Blick auf die einschlägigen Börsenusancen und den üblichen Abläufen schon im Augenblick der kaufvertraglichen Vereinbarung die mit den Anteilen verbundenen Gewinnansprüche regelmäßig dem Käufer nicht mehr entzogen werden können, wenn der Besitz (oder die vergleichbare letztlich unentziehbare Position) in Erwartung des (durch das Abwicklungssystem unvermeidlich verzögerten) Eigentumserwerbs eingeräumt wird (Ingangsetzen eines „Automatismus“, der nach dem gewöhnlichen [und vertragsgemäßen] Ablauf zum Eigentumserwerb führt). Entscheidend ist damit, dass der Käufer nach dem Gesamtbild der (rechtlichen und tatsächlichen) Verhältnisse im konkreten Einzelfall die mit den Anteilen verbundenen wesentlichen Rechte (Stimm- und Dividendenrechte) innehat (eine Absicht zur konkreten Ausübung dieser Rechte muss damit wohl nicht verbunden sein68), aber es sollte „schädlich“ sein, wenn erkennbar ist, dass das Recht nur „pro forma“ übergeht) und dass eine (positive/negative) Wertänderung ab diesem Zeitpunkt sein Vermögen betrifft. Dieses BFH-Urteil hat sowohl fachliterarische Zustimmung69 als auch (z.T. heftige) Ablehnung70 erfahren, es ist zwischen67 BStBl. II 2000, 527 (dazu das [Nichtanwendungs-]Schreiben des BMF v. 6.10.2000, BStBl. I 2000, 1392). 68 Eine entsprechende Klarstellung des BFH fordert Schmid, DStR 2015, 801, 804 ein. 69 S. z.B. Desens, DStR 2014, 2317 – m.w.N.; s.a. z.B. Hennrichs in Tipke/Lang (Fn. 22), § 9 Rz. 155; Krumm in Blümich (Fn. 11), § 5 EStG Rz. 512b; von Beckerath in Kirchhof (Fn. 62), § 20 Rz. 54 f. 70 Z.B. Weber-Grellet in Schmidt (Fn. 11), § 20 Rz. 153; Kempermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (Fn. 11), § 5 Rz. B 237; Kolbinger, Das wirtschaftliche Eigentum an Aktien, 2008, 163 ff.; Anzinger, RdF 2012, 394, 399 f.; in der FAZ v. 9.9.2016 (dort S. 20) wird aus dem „Cum/Ex“-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages berichtet und der Zeuge Rau (Betriebsprü-

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zeitlich mehrfach bestätigt worden.71 Ob die Finanzverwaltung diese Konkretisierung uneingeschränkt teilt, ist fraglich, aber eher zu bezweifeln.72 Allerdings hat der BFH in seinem Urteil I R 2/12 den Übergang wirtschaftlichen Eigentums unter Hinweis auf diese Grundsätze (damit weiterhin bestätigend) „prinzipiell“ für möglich gehalten.73 Jene Beifügung dürfte den notwendigen Spielraum belassen, um eine Überprüfung dieser Struktur unter dem Gesichtspunkt geänderter Handelsusancen (seit März 2003 an der Frankfurter Wertpapierbörse: Einführung eines sog. zentralen Kontrahenten, so dass eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Aktieninhaber und dem Aktienkäufer nicht besteht74), zu ermöglichen. Jedenfalls hat das Urteil durch den Hinweis auf das „Gesamtvertragskonzept“ darüber hinaus auch offengelegt, dass diese Struktur im Einzelfall auch Einschränkungen erfahren kann.75 In diesem Zusammenhang hat der BFH ebenfalls erkennen lassen, dass er diese Konkretisierung auch bei außerbörslichem Handel (sog. OTC-Geschäft) für einschlägig hält, wenn die Vertragsparteien eine den einschlägigen Börsenusancen zum Kassageschäft vergleichbare Erfüllungsvereinbarung (insbesondere mit dem Gegenstand einer zeitnahen Übertragung) getroffen und eine

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fer) mit den Worten zitiert, „er widerspreche nicht dem Begriff ‚Rechtsbeugung‘“. BFH, Urt. v. 20.11.2007 – I R 85/05, BStBl. II 2013, 287, und I R 102/05, IStR 2008, 336; s.a. z.B. BFH, Urt. v. 1.8.2012 – IX R 6/11, BFH/NV 2013, 9; BFH, Beschl. v. 15.10.2013 – I B 159/12, BFH/NV 2014, 291. Spengel/Eisgruber, DStR 2015, 785, 790 erklären (wohl unter besonderer Berücksichtigung der Verwaltungssicht) das BFH-Urteil als „nicht zwingend, aber grundsätzlich nachvollziehbar“, verweisen aber für den Zeitraum ab März 2003 auf geänderte Börsenusancen (s. sogleich); Desens, DStR 2014, 2317 sieht hingegen die Verwaltung als gebunden an (unter Hinweis auf eine auf BMF v. 4.4.2011, BStBl. I 2011, 356 beruhende Anwendung des [Nichtanwendungs-]BMF-Schreibens nur noch auf Fälle vor dem 1.1.2010 und auf die vorbehaltlose Veröffentlichung der bestätigenden Entscheidung BFH – I R 85/05 im BStBl. II [auf Letzteres verweist auch Krumm in Blümich (Fn. 11) § 5 EStG Rz. 512b]). S. insoweit auch Gosch, BFH/PR 2015, 16; Plewka, NJW 2015, 589, 590; Krumm in Blümich (Fn. 11), § 5 EStG Rz. 512b; abl. Hessisches FG, Urt. v. 10.2.2016 – 4 K 1684/14, EFG 2016, 761 (mit Anmerkung Lotzgeselle; s.a. Amann, DB 2016, 1463). S. ausführl. Spengel/Eisgruber, DStR 2015, 785, 791 f.; Klein, BB 2016, 2200, 2201 ff. S. dazu nun Hessisches FG, Urt. v. 10.3.2017 – 4 K 977/14, EFG 2017, 656 (mit Anmerkung Lotzgeselle). Insoweit krit. Schmid, DStR 2015, 801, 805; s.a. Schmich, GmbHR 2014, 1177, 1181: „unvorhersehbarer Richtungswechsel“. Zust. aber Schön, RdF 2015, 115, 129; Rau, DStR 2015, 2048, 2053.

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Abwicklung des Geschäfts unter Nutzung der für den Börsenhandel vorgesehenen Abwicklungssysteme (einschließlich eines Kompensationsmechanismus bei zwischenzeitlichen Dividendenzahlungen) vereinbart haben (gleichartige Sicherung des Käufers wie beim Börsengeschäft76). Jedenfalls ist zu erwägen, dass alleine die Art der Handelsplattform bei wertungsmäßig paralleler Abwicklung keinen tragfähigen Differenzierungsgrund für die Frage nach dem (nach der gesetzlichen Maßgabe des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO auf „den Regelfall“ des konkreten Geschäfts abstellenden) Übergang wirtschaftlichen Eigentums darstellen könnte. Dieses Ergebnis lässt sich auch mittelbar der Begründung des Gesetzentwurfs zum Jahressteuergesetz 2007 entnehmen, wenn dort zu § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG 2002 n.F. (betr. Gleichstellung von Kompensationszahlungen bei Leerverkäufen) dieser Regelung „hinsichtlich der Verwahrform der Aktien (…) und im Hinblick auf die Handelsform (Börsenhandel oder außerbörslich) keine Einschränkung“ zugewiesen wird.77 Immerhin ist auch insoweit darauf hinzuweisen, dass diese Rechtsfrage im BFH-Urteil I R 2/12 nicht entscheidungserheblich war und ebenfalls in das „prinzipiell“ eingebunden ist – eine „finale Entscheidung“ liegt daher zu dieser Rechtsfrage (noch) nicht vor.78

76 S. zu dieser Streitfrage befürwortend z.B. Berger/Matuszewski, BB 2011, 3097, 3101; Desens, DStZ 2012, 142, 149 f. u. DStZ 2012, 246, 249 u. DStR 2014, 2317, 2318 f.; Englisch, FR 2010, 1023, 1028 f.; Hahne, DStR 2007, 605, 609 u. DStR 2007, 1196, 1197; Podewils/Zink, DStZ 2013, 177, 178; Schmieszek in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 39 AO Rz. 67; Demuth, DStR 2013, 1116, 1117; Seer/Krumm, DStR 2013, 1757, 1760; Krumm in Blümich (Fn. 11), § 5 EStG Rz. 512c; Altvater/Buchholz, RdF 2015, 132, 136; s.a. BT-Drs. 16/2712, 4; a.A. z.B. Rau, DStR 2007, 1192, 1195 u. DStR 2007, 1198, 1199 u. DStR 2013, 838; Bruns, DStR 2010, 2061, 2063; Spengel/Eisgruber, DStR 2015, 785, 791; Schön, RdF 2015, 115, 120; jedenfalls krit. Schmich, GmbHR 2014, 1177, 1180 f. 77 BR-Drs. 622/06, 80. 78 Gl.A. z.B. Spengel/Eisgruber, DStR 2015, 785, 791 (mit dem Zusatz, dass die Finanzverwaltung diese Frage voraussichtlich erneut gerichtlich klären lassen werde); Schön, RdF 2015, 115, 119; Schwenke, jM 2015, 83, 86; Spengel, DB 2016, 2988, 2991; a.A. z.B. Matuszewski, BB 2014, 2726; Desens, DStR 2014, 2317, 2318 f. („Klarstellung“); Podewils, FR 2014, 1064, 1067; Klein, BB 2015, 726, 731. Das avisierte Klärungsbedürfnis der Verwaltung wird deutlich im (amtlich nicht veröffentlichten) BMF-Schreiben v. 24.6.2015 (DStR 2015, 1624 mit Anmerkung Schmid, DStR 2015, 1626). Das Hessische FG lehnt eine Gleichbehandlung von OTC-Geschäften ausdrücklich ab (Urt. v. 10.3.2017 – 4 K 977/14, EFG 2017, 656 mit Anmerkung Lotzgeselle).

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Dies alles wird man der Diktion der Urteilsgründe nach auf die Situation des Inhaberverkaufs beziehen können. Ob dies parallel zu entscheiden ist, wenn der Verkäufer nicht Inhaber ist (damit die Frage, ob ein Aktien-Erwerber auch im Fall eines ungedeckten Verkaufs [Leerverkaufs] im Zeitpunkt des Vertragsschlusses wirtschaftliches Eigentum erwerben kann), ist in der Literatur heftig umstritten.79 Das Hessische FG hat sich eindeutig ablehnend positioniert.80 Der BFH geht in seinem Urteil I R 2/12 zwar davon aus, dass die Begründung des Gesetzentwurfs zum Jahressteuergesetz 2007 (BT-Drs. 16/2712,46 ff. u. insb. 47) in diesem Sinne positiv (Erwerb möglich) interpretiert werden kann;81 eine Bindung des Rechtsanwenders kann diese Rechtsmeinung aber nicht auslösen,82 auch nicht mit Blick auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG 2002 n.F., da die Regelung einen solchen Erwerb nicht unterstellt.83 Im Übrigen wird man der ent79 Bejahend z.B. Berger/Matuszewski, BB 2011, 3097, 3100; Desens, DStZ 2012, 142, 150 f.; Englisch, FR 2010, 1023, 1025 ff.; Podewils/Zink, DStZ 2013, 177, 181; verneinend demgegenüber z.B. Anzinger, RdF 2012, 394, 400 ff.; Bruns, DStZ 2011, 676, 679 ff.; Florstedt, FR 2016, 641, 647 f.; Rau, DStZ 2010, 1267; Kolbinger (Fn. 70), 142 f. u. 165; wohl auch Krumm in Blümich (Fn. 11), § 5 EStG Rz. 512c; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler (Fn. 3), § 39 AO Rz. 82; Schmieszek in Beermann/Gosch (Fn. 76), § 39 AO Rz. 69; Weber-Grellet in Schmidt (Fn. 11), § 20 Rz. 68. 80 Urt. v. 10.2.2016 – 4 K 1684/14, EFG 2016, 761 (mit Anmerkung Lotzgeselle; s.a. Amann, DB 2016, 1463; abl. aber Klein, BB 2016, 2200). Ausdrücklich folgend das FG Düsseldorf, Urt. v. 12.12.2016 – 6 K 1544/11 (EFG 2017, 602 mit Anmerkung Swerting); s.a. Hessisches FG, Urt. v. 10.3.2017 – 4 K 977/14, EFG 2017, 656 (mit Anmerkung Lotzgeselle). 81 Spengel/Eisgruber, DStR 2015, 785, 790 f. räumen jedenfalls ein, die Begründung sei „widersprüchlich“, da aus zwei Textpassagen unterschiedliche Folgerungen gezogen werden könnten. 82 Anzinger, RdF 2012, 394, 402; Spengel/Eisgruber, DStR 2015, 785, 790 f.; insoweit ebenso Desens, DStR 2014, 2317, 2320. S.a. Hessisches FG, Urt. v. 10.3.2017 – 4 K 977/14, EFG 2017, 656 (mit Anmerkung Lotzgeselle). 83 Zwar ist umstritten, ob jener Gesetzeswortlaut „Einnahmen, die … von einem anderen als dem Anteilseigner nach Absatz 2a bezogen werden“ mit der Wendung „einem anderen“ auf den die Kompensation Leistenden verweist (im Sinne: „durch einen anderen“) oder auf den Leistungsempfänger (den Leerkäufer). Nach der zuerst genannten Ansicht muss der Leistende ein anderer als der Anteilseigner nach § 20 Abs. 2a EStG 2002 n.F. sein (z.B. Desens, DStZ 2012, 142, 145; Intemann in Herrmann/Heuer/Raupach [Fn. 11], § 20 EStG Rz. 111; Seer/Krumm, DStR 2013, 1757, 1761 [dort Fn. 30]) – was zugleich bedeuten würde, dass der Empfänger Anteilseigner nach § 20 Abs. 2a EStG 2002 n.F. sein könnte [Anerkennung eines „doppelten wirtschaftlichen Eigentums“ – so evtl. auch BT-Drs. 16/2712, 48]), nach der Gegenansicht muss der Leis-

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sprechenden Passage in der BFH-Entscheidung I R 2/12 entnehmen können, dass sich das Gericht in dieser Frage84 als noch nicht festgelegt sieht.85 Auch kann die Betonung des „Gesamtvertragskonzepts“ im tungsempfänger ein anderer als der Anteilseigner nach § 20 Abs. 2a EStG 2002 n.F. sein (z.B. Bruns, DStZ 2011, 676, 680 u. DStZ 2012, 333, 334; Berger/Matuszewski, BB 2011, 3097, 3102; Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 20 EStG Rz. 99h). Es wird näher liegen, den Gesetzeswortlaut im zuletzt genannten Sinne und daher dahin zu verstehen, dass der Aktienerwerber als Käufer von einem anderen als demjenigen, dem im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses die Anteile zuzurechnen sind (dem damaligen rechtlichen oder vorrangig wirtschaftlichen Eigentümer), eine Dividendenkompensation erhält, da er von ihm die Aktien mit Dividendenberechtigung gekauft, aber nur ohne Dividendenanspruch später erhalten hat (Situation des Leerverkaufs). Damit ist der Erwerber aber nicht eine Person, der schon im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses das rechtliche/ wirtschaftliche Eigentum an dieser Aktie zustand (abw. aber evtl. die – ohne weitergehende Prüfung des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO und offensichtlich tragend auf einen schuldrechtlich begründeten Dividendenanspruch abstellende – Stellungnahme in BT-Drs. 16/2712, 48): (Erst) Im Zuge der Lieferung der Aktie (ohne Dividendenberechtigung) durch den Leerverkäufer an den Erwerber wird mit der Leistung (Dividendenkompensation) zugleich vom Leistenden das rechtliche Eigentum übertragen. Zuvor hatte dieser Leistende (zeitlich nach dem für § 20 Abs. 2a EStG 2002 n.F. maßgebenden Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses) im Zuge seines Erwerbs, um seiner Verpflichtung aus dem Leerverkauf nachzukommen, das rechtliche (wirtschaftliche) Eigentum an einer Aktie ohne Dividendenberechtigung erworben, um es sodann an den Erwerber (Leerkäufer) zu übertragen. Für diese Interpretation spricht, dass sie der Regelung einen sachangemessenen Anwendungsbereich einräumt – es besteht für den Leerkäufer keine Tatbestandskonkurrenz zu § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F. [i. Erg. auch Schmid, DStR 2015, 801, 805; Schön, RdF 2015, 115, 123; Eisgruber/Spengel, DB 2017, 750, 751]). 84 Die damit aber entscheidungserheblich ist für Streitjahre vor dem Inkrafttreten des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG 2002 n.F. – zutr. Desens, DStR 2015, 2317, 2320 („Rechtslage bis 2006“) u. 2322. 85 S. insoweit auch Spengel/Eisgruber, DStR 2015, 785, 788 ff.; Schön, RdF 2015, 115, 120 f.; Schwenke, jM 2015, 83, 86; Rau, FR 2014, 1012, 1014; anders die Einschätzung z.B. bei Klein, BB 2015, 726, 731; Matuszewski, BB 2014, 2726. Soweit Schmid, DStR 2015, 801, 805 eine „mittelbare“ Entscheidung daraus ableitet, dass der BFH dem Entleiher wirtschaftliches Eigentum zugerechnet habe (so evtl. auch Rau, FR 2014, 1012, 1017), ist dem nicht zu folgen – explizit war vom BFH nur zu entscheiden, dass der Klägerin kein wirtschaftliches Eigentum zustand (so zutr. Rau, a.a.O.). Das FG Düsseldorf hat nun einen Erwerb wirtschaftlichen Eigentums in der Situation des Leerverkaufs ausdrücklich abgelehnt (Urt. v. 12.12.2016 – 6 K 1544/11, EFG 2017, 602 mit Anmerkung Swerting).

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BFH-Urteil I R 2/12 nicht zum Rückschluss berechtigen, ohne jenes Konzept sei der Übergang wirtschaftlichen Eigentums zu bejahen.86 Aus dem BFH-Urteil I R 29/97 lässt sich nichts Abweichendes folgern.87 Jedenfalls lassen sich aus den dort zugrunde liegenden Feststellungen zum Sachverhalt keine Rückschlüsse darauf ziehen, ob es sich um einen Inhaberverkaufsfall oder einen Erwerb von einem Leerverkäufer gehandelt hat. Wenn dann dort zum Aspekt der Fruchtziehung aus den Anteilen betont wird, dass dem Käufer die Gewinnansprüche vom Verkäufer nicht mehr entzogen werden könnten, dürfte dem Gericht die Situation des Inhaberverkaufs vor Augen gestanden haben, da der Leerverkäufer einen Anspruch gegenüber der ausschüttenden Gesellschaft nicht einräumen kann.88 Zwar verweist Desens89 im Übrigen auf den BFH-Beschluss I R 85/05 – dort habe der BFH den Übergang wirtschaftlichen Eigentums bejaht, wobei „nach dem Sachverhalt (auch) ein Leerverkauf zugrunde gelegen haben muss“.90 Eine klare Aussage lässt sich dieser Entscheidung aber in diesem Zusammenhang nicht entnehmen, was wiederum die Einschätzung als eine für künftige Rechtsprechung „offene Frage“ rechtfertigt.91 Für eine Entscheidung dieser Frage wird man einzuberechnen haben, dass der steuerrechtlich relevante Erwerb wirtschaftlichen Eigentums nicht nur aus Sicht des Erwerbers („Erwartungshaltung des Marktteilnehmers“)92 beurteilt werden kann.93 Gegenstand des wirtschaftlichen Eigentums ist es, dass gegenüber dem bürgerlich-rechtlichen Eigentümer94 eine Position besteht, die es ermöglicht, diesen dauerhaft dergestalt von einer Einwirkung auf das Wirtschaftsgut auszuschließen, dass seinen Herausgabeanspruch bei typischem Verlauf zumindest tatsächlich keine nennenswerte Bedeutung zukommt. Wenn der BFH auf der Grundlage 86 87 88 89 90 91

So aber Haritz/Werneburg, NWB 2015, 657, 660 f. Zutr. BT-Drs. 17/13638, 11; Spengel/Eisgruber, DStR 2015, 785, 788 ff. Zutr. Spengel/Eisgruber, DStR 2015, 785, 789 f. DStR 2015, 2317, 2320. S.a. Klein, BB 2016, 2200, 2203. S.a. Pflaum, StBp 2015, 185, 187 (dort Fn. 19); Krumm in Blümich (Fn. 11), § 5 EStG Rz. 512c (Leerverkauf vom BFH bisher nicht entschieden). 92 So aber wohl Podewils, juris-PR-SteuerR 49/2014, Anm. 1; Klein, BB 2015, 726, 729. 93 S. dezidiert Florstedt, FR 2016, 641, 648. 94 S. bereits oben zu 2.; auf eine solche „bipolare Situation“ zwischen zivilrechtlichem Eigentümer und „einem anderen“ (dem potentiellen wirtschaftlichen Eigentümer) stellt insb. auch ab Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler (Fn. 3), § 39 AO Rz. 82 (mit Hinweis auf Drüen in Tipke/Kruse § 39 AO Rz. 24).

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einer Gesamtwürdigung (s. oben zu 2.) darauf abstellt, dass es beim Aktienerwerb bei üblichem Ablauf der Vereinbarungen zum Erwerb des zivilrechtlichen Eigentums durch den Käufer kommt, setzt dieses Bild die (untechnisch) „Rechtsmacht“ des Verkäufers voraus, (als Eigentümer) auch sofort erfüllen zu können. Ein Leerverkäufer ist dazu aber nicht in der Lage; er muss sich mithilfe eines davon unabhängigen Rechtsgeschäfts mit einem Dritten noch (nachträglich) mit einem Beschaffungsgeschäft eindecken.95 Der Wille der Vertragspartner, den späteren Erfolg des Geschäfts herbeizuführen, reicht für die Begründung bzw. Übertragung wirtschaftlichen Eigentums nicht aus. Nur diese (enge) Sichtweise gewährleistet auch den Zweck einer (steuerrechtlichen) Zuordnungsregelung: Es geht um eine eindeutige personelle Zuordnung unter Vermeidung von Zurechnungsdoppelungen oder sogar -multiplikationen.96 Wurde es schon früher als problematisch angesehen, den Umstand eines Leerverkaufs zuverlässig zu ermitteln,97 soll nach den Handelsusancen an der Deutschen Börse/Eurex (ab 2003)98 ein ungedeckter Leerverkauf ausscheiden.99 Jedenfalls würde dann für den Erwerber mit dem Abschluss des Vertrages eine „Erwerbssicherheit“ eintreten (wirtschaftlich ausgefüllt bei einer „cum-Vereinbarung“ durch die Kompensationszah95 Der sicherlich zutr. Hinweis darauf, dass es sich rechtstechnisch bei „wirtschaftlichem Eigentum“ um einen Typusbegriff handelt (Desens, DStR 2015, 2317, 2318), kann diese Grundvoraussetzung nicht „überspielen“ – so im Erg. auch Spengel/Eisgruber, DStR 2015, 785, 787 ff. 96 S. bereits oben zu 2. und nochmals insb. Drüen in Tipke/Kruse (Fn. 3), § 39 AO Rz. 24; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler (Fn. 3), § 39 AO Rz. 82; Krumm in Blümich (Fn. 11), § 5 EStG Rz. 512c; Schön, RdF 2015, 115, 121; dezidiert Florstedt, FR 2016, 641, 645 ff.; s.a. BMF v. 24.6.2015, DStR 2015, 1624. 97 S. insoweit Berger/Matuszewski, BB 2011, 3097, 3101 (dort mit Fn. 59); Desens, DStZ 2012, 246, 247 u. DStR 2012, 2473, 2474; Anzinger, RdF 2012, 394; differenzierend Spengel/Eisgruber, DStR 2015, 785, 797 ff. mit besonderen Beweislastregeln (zur Überzeugungskraft entsprechender Regeln aber zweifelnd Haritz/Werneburg, NWB 2015, 657, 659; Krumm in Blümich (Fn. 11), § 5 EStG Rz. 512c). 98 S. bereits oben – Einführung einer sog. CCP-Funktion (Central Counter Party), d.h. ein Eintritt von Eurex in das Vertragsverhältnis Käufer/Verkäufer, so dass das Geschäft ununterscheidbar in die Vielzahl aller Geschäfte eingeht und es zu einer Aufrechnung aller einander aufhebender Käufe und Verkäufe und damit nur noch zur Lieferung (Verbuchung) von „Nettospitzen“ kommt (s. zuletzt Klein, BB 2016, 2200, 2201). 99 So Klein, BB 2016, 2200, 2201; a.A. Hessisches FG, Urt. v. 10.2.2016 – 4 K 1684/12 (s. Fn. 45).

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lung), die nach den Maßgaben der früheren BFH-Rechtsprechung zur Annahme wirtschaftlichen Eigentums führen soll.100 Es kann allerdings auch die Frage gestellt werden, ob nicht unabhängig von der Vertrags-Abwicklung strikt auf die Partner des Ursprungsgeschäfts abzustellen ist und ob nicht der alleinige Blick auf den Erwerber (der bei üblichem Ablauf später die erworbenen Aktien und eine Dividendenkompensation erhält) den Aspekt des Grundverhältnisses zwischen (späterem) Erwerber und jetzigem Eigentümer – das gerade eine konkrete Zuordnungsentscheidung für steuerliche Zwecke erforderlich macht – nicht ausreichend würdigt.101 3.2 BFH – I R 88/13 („Wertpapierleihe“):102 „Das wirtschaftliche Eigentum an Aktien, die im Rahmen einer sog. Wertpapierleihe an den Entleiher zivilrechtlich übereignet wurden, kann ausnahmsweise beim Verleiher verbleiben, wenn die Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles ergibt, dass dem Entleiher lediglich eine formale zivilrechtliche Rechtsposition verschafft werden sollte. § 8b KStG 2002 i.d.F. des UntStRefG 2008 findet dann beim Entleiher bezogen auf die „entliehenen“ Anteile und die daraus resultierenden Einkünfte insgesamt keine Anwendung.“ Sachverhalt: Die GmbH (produzierendes Gewerbe) schloss am 15.9.2006 mit einem in Großbritannien ansässigen Finanzinstitut einen Rahmenvertrag für Wertpapierdarlehen (mit der Lieferung sollte das unbeschränkte Eigentum an den Wertpapieren auf den Darlehensnehmer übergehen; der Darlehensnehmer hatte dem Darlehensgeber für jedes Wertpapierdarlehen ein Entgelt zu zahlen; dem Darlehensgeber sollten die während der Laufzeit des Darlehens auf die Darlehenspapiere geleisteten Zinsen, Gewinnanteile sowie sonstigen Ausschüttungen zustehen; der Darlehensnehmer hatte in dieser Höhe eine sog. Kompensationszahlung zu erbringen). Auf dieser Grundlage wurden mehrere Geschäfte abgeschlossen; sämtliche Wertpapiergeschäfte beliefen sich jeweils auf einen Umfang von etwa 30 Mio. Euro. Dabei wurden jeweils Aktien unterschiedlicher

100 S. zuletzt insb. Klein, BB 2016, 2006 u. 2200 (in kritischer Würdigung des anderslautenden Urt. des Hessischen FG v. 10.2.2016 – 4 K 1684/12 [Fn. 45]). 101 So i.Erg. auch Florstedt, FR 2016, 641, 648. 102 Urt. v. 18.8.2015 – I R 88/13, BStBl. II 2016, 961; dazu z.B.: Bruschke, AO-StB 2016, 32; Ditz/Tcherveniachki, DB 2016, 615; Ebel, FR 2016, 371; Fischer, jurisPR-SteuerR 12/2016, Anm. 1; Gosch, BFH/PR 2016, 105; Haisch, Der Konzern 2016, 278; jh, StuB 2016, 118; JS DStZ 2016, 130; Kußmaul/Kloster, DB 2016, 849; Lechner, JbFSt 2016/2017, 199; Schwetlik, EStB 2016, 93.

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GB-Gesellschaften in bestimmter Stückzahl zu einem bestimmten Kurs übertragen (eine Multiplikation ergab jenen Gesamtwert) und nach 14 Tagen in gleicher Stückzahl und zum gleichen Kurs zurückgegeben. Daran schloss sich das nächste Geschäft mit anderen Aktien an; in den 14-Tages-Zeitraum fiel jeweils der Stichtag der Dividendenberechtigungen. Die GmbH erhielt die Dividenden und leistete zeit- und betragsgleich die vereinbarte Kompensation. Als Sicherheit diente eine mit einem Zinssatz von 3,693 % verzinste Geldanlage im Finanzinstitut (25 Mio. Euro), aus der sie im Wirtschaftsjahr 2006/2007 Zinserträge i.H.v. 474 447,92 Euro (davon 230 812,50 Euro im Jahr 2006 und 243 635,42 Euro im Jahr 2007) erzielte. Aus den geliehenen Wertpapieren erhielt die GmbH im Wirtschaftsjahr 2006/2007 an Dividenden insgesamt 9 836 737,99 Euro (davon 5 853 062,31 Euro im Jahr 2006 und 3 983 675,68 Euro im Jahr 2007); Kompensationszahlungen leistete sie i.H.d. erhaltenen Dividenden (davon 5 853 062,31 Euro im Jahr 2006 und 3 983 675,68 Euro im Jahr 2007) zzgl. eines Darlehensentgelts i.H.v. jeweils 2 % pro Jahr bezogen auf die Marktwerte der Darlehenspapiere und die Darlehenszeiträume, insgesamt 305 069,30 Euro (davon 150 000 Euro im Jahr 2006 und 155 069,30 Euro im Jahr 2007). In ihrer KSt-Erklärung für 2007 erklärte die Klägerin u.a. die Dividendengutschriften als steuerfreie Bezüge i.S.d. § 8b Abs. 1 KStG 2002. Die Kompensationszahlungen sowie die Darlehensentgelte behandelte sie als Betriebsausgaben und berücksichtigte i.H.v. 5 % der Dividenden die pauschale Kürzung von Betriebsausgaben gem. § 8b Abs. 5 KStG 2002. Das FA folgte dem nicht. Es war der Ansicht, dass die Regelung in § 8b Abs. 10 KStG 2002 i.d.F. des UntStRefG 2008 vom 14.8.2007 (BGBl. I 2007, 1912) auf die im Wirtschaftsjahr 2006/2007 durchgeführten Wertpapierdarlehen nach § 34 Abs. 7 Satz 9 KStG 2002 i.d.F. des UntStRefG 2008 Anwendung findet. Die an das Finanzinstitut gezahlten Entgelte seien somit nicht als Betriebsausgaben abzuziehen und die pauschale Kürzung von Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG 2002 sei nicht vorzunehmen. Es erhöhte sodann die nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben in entsprechendem Umfang von insgesamt 10 141 807,29 Euro. Die Klage blieb erfolglos:103 § 34 Abs. 7 Satz 9 KStG 2002 n.F. weise die Geltung der Regelungen zur Wertpapierleihe in § 8b Abs. 10 KStG 2002 n.F. bereits für den VZ 2007 an; dies sei keine verfassungswidrige Rückwirkung. Außerdem sei § 42 AO erfüllt.

103 Niedersächsisches FG, Urt. v. 21.11.2013 – 6 K 366/12, EFG 2014, 494.

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Wenn damit „die Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls ergibt …, dass (hier dem Entleiher) lediglich eine formale zivilrechtliche Rechtsposition, eine leere Eigentumshülle, verschafft wurde, die es (ihm) ermöglichen sollte, formal – gem. § 8b Abs. 1 KStG 2002 n.F. – steuerfreie Dividenden zu beziehen und zugleich steuerlich abziehbare Betriebsausgaben (Dividendenkompensationszahlungen und Leihgebühren) zu generieren, um hieraus einen Steuervorteil zu erzielen“, so dass der Klägerin lediglich eine formale zivilrechtliche Rechtsposition (eine leere Eigentumshülle) verschafft wurde,104 reicht dies für die Zuordnung der Wertpapiere nicht aus. Denn nach dem „Gesamtvertragskonzept“ (vgl. BFH, Urteil v. 16.4.2014 – I R 2/12, s. hier zu 3.1) hat sich in der wirtschaftlichen Realität nichts verändert. Dies alles hat mit § 42 AO (den die Vorinstanz bemüht hatte) nichts zu tun.105 Immerhin handelt es sich insoweit um eine Sondersituation, als hier innerhalb einer konkreten „2-Personen-Situation“ das zivilrechtliche Eigentum übertragen wurde und – untechnisch (allerdings in der Sache ähnlich wie bei einer Treuhandvereinbarung) – das wirtschaftliche Eigentum „vorbehalten“ sein soll.106 Im Streitfall war entscheidend, dass die Erträ104 S. Fischer, jurisPR-SteuerR 12/2016, Anm. 1. 105 So i.Erg. auch Weber-Grellet, BB 2017, 43, 44 f. Damit trifft es nicht zu, dass der BFH § 42 AO (mit der Vorinstanz) inhaltlich bestätigt habe (a.A. Kußmaul/Kloster, DB 2016, 856; wohl auch Lechner [Fn. 102], 208; Florstedt, FR 2016, 641, 644 f. [dort wird „infolge der „Einlagerung“ von Missbrauchskriterien“ in den Tatbestand wirtschaftlichen Eigentums von einem Umbau zu einer „kleinen missbrauchsrechtlichen Generalklausel“ gesprochen] u. bereits hier Fn. 59). 106 Allein ein bei der Wertpapierleihe immanentes Recht des Verleihers auf (Rück-)Übertragung von Aktien gleicher Art und Güte begründet insoweit aber kein ausreichendes „Anwartschaftsrecht“ (ebenso BMF v. 24.6.2015, DStR 2015, 1624); auch sollte die Übertragungsdauer (dort: Haltedauer 14 Tage) nicht entscheidend sein; i.Ü. scheint auch § 8b Abs. 10 KStG für den Regelfall ebenfalls von einem Übergang auch des wirtschaftlichen Eigentums auszugehen. Die Finanzverwaltung geht bisher von einer Übertragung des zivilrechtlichen und des wirtschaftlichen Eigentums an den Darlehensnehmer („Entleiher“) aus, und verweist insbesondere darauf, dass damit vermieden werde, dass die Wertpapiere bei einer anschließenden Übertragung durch den Darlehensnehmer an einen Dritten „doppelt“ – nämlich sowohl beim Darlehensgeber als auch bei dem Dritten – erfasst werden (Verfügung der OFD Frankfurt/M. v. 17.2.2016, DStR 2016, 1112). Allerdings soll die Bearbeitung von Verfahren mit Wertpapier-Leihgeschäften bis zu einer verwaltungsinternen Klärung über die Auswirkung des BFH-Urt. I R 88/13 zunächst zurückgestellt werden (s. dazu sogleich den Nachsatz).

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ge dem Darlehensgeber zustanden (volle Kompensation am Fälligkeitstag der Dividende ohne Liquiditätsvorteil), ein kurzfristiger Umschlag der Wertpapiere und Austausch ohne „Nutzung“ vorlag, eine Ertragschance wegen einer Rückgabepflicht einer identischen Anzahl nicht bestand und es keinen Hinweis auf eine „Nutzung“ der Verfügungsbefugnis (keine Übertragung an Dritte) gab.107 Dies bedeutet nicht, dass nun eine „Darlegungslast“ beim zivilrechtlichen Eigentümer liegt, dass er auch wirtschaftlicher Eigentümer ist.108 Nachsatz: Das BMF-Schreiben v. 11.11.2016 (BStBl. I 2016, 1324 [dazu: Spengel, DB 2016, 2988; Ditz/Tcherveniachki, DB 2016, 2995; Günther, AO-StB 2017, 13]; zeitlich: Anwendung „in allen offenen Fällen“) folgt diesen Maßgaben („Gesamtschau“), spricht aber auch von einer „Beweislastumkehr“ bei kurzer Haltedauer (45 Tage [dazu § 36a Abs. 2 Satz 1 EStG n.F.]). Im Übrigen wird sowohl zur Zurechnungsfrage als auch zu § 42 AO ein „Escape“ für möglich gehalten (einschränkende Formulierung: „spricht für“, „im Grundsatz“), wenn der Darlehensnehmer „vor Steuer einen wirtschaftlichen Vorteil (positive Vorsteuerrendite) zieht“ (dazu abl. Niedersächsisches FG, Urt. v. 17.11.2016 – 6 K 230/15, juris [NZB beim BFH: I B 2/17] mit kritischer Anmerkung Hahne/Philipp, DStRK 2017, 76; wie das FG ebenfalls kritisch zum „Escape“ Spengel, DB 2016, 2988, 2994). Das BMF hat inzwischen angekündigt, dass – unter Fortbestand des Schreibens v. 11.11.2016 – ein weiteres BMF-Schreiben ergehen wird (BMF, PM v. 7.3.2017, DB 2017 Heft 10, M12).

4. Ergebnisse Die „Negativ-Formel“ des Gesetzeswortlauts lässt Raum für den Blick auf den komplementären Aspekt der tatsächlichen Reichweite der wirtschaftsgutbezogenen „Dispositionsbefugnis“ des „Anderen“. Das „Ge107 S.a. die Fallkonstellation im Urt. des FG Nürnberg v. 7.6.2016 – 1 K 904/14 (EFG 2017, 59 mit Anmerkung Tiedchen) – die Aktien waren nicht selbst Gegenstand des Darlehensvertrages, sondern dienten der Absicherung der Klägerin – die Bank sei Sicherungsgeberin und wirtschaftliche Eigentümerin i.S. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO. I.Ü. zur Situation der Wertpapierleihe dem BFHUrt. I R 88/13 folgend Niedersächsisches FG, Urt. v. 17.11.2016 – 6 K 230/15, juris (Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH: I B 2/17) mit kritischer Anmerkung Hahne/Philipp, DStRK 2017, 76. 108 Dies bemerkt zu Recht Lechner (Fn. 102), 206 f.; im Streitfall ging es aber vorrangig um eine Darlegungslast im Betriebsausgabenbereich (Kompensationszahlung).

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samtvertragskonzept“ (von den Parteien veranlasste untrennbare wirtschaftliche Einheit) wirkt unabhängig von § 42 AO in das „Gesamtbild“ (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO) hinein – die Zuordnung folgt den tatsächlich bestehenden materiellen Vorteilen und Risiken aus dem Wirtschaftsgut. Die BFH-Urteile I R 2/12 (im Zeitpunkt des schuldrechtlichen Erwerbsgeschäfts wirtschaftliches Eigentum weder erlangt noch beim Folgegeschäft „vorbehalten“) und I R 88/13 (im Zuge der dinglichen Übertragung „vorbehaltenes“ wirtschaftliches Eigentum) konkretisieren „lediglich“ diesen Maßstab am jeweiligen Einzelfall. Die die Rechtssicherheit beeinträchtigende „(Planungs-)Unsicherheit“ ist (typus-)begriffsimmanent. Klein resümiert in seiner dezidiert kritischen Würdigung des rechtskräftig gewordenen Urteils des Hessischen FG v. 10.2.2016, jenes übersehe „die tatsächlichen Besonderheiten des ‚virtuellen‘ Aktienhandels, der nach den Grundsätzen ‚für wen es angeht‘ in anonymer Weise Eigentum von (unbestimmten und unbestimmbaren) Verkäufern auf Käufer durch Aufrechnung von Geschäften und Saldenumbuchungen mit Netto-Spitzenausgleich überträgt.“ Diese „Faktizität des Aktienhandels“ erfordere „einen ‚verfeinerten‘ wirtschaftlichen Eigentumsbegriff.“109 Dieser Einschätzung kann mit Blick auf die strukturell „zweipersonale“ Grundlage (Vermögenszuordnung abweichend von der zivilrechtlichen Position bei einem Anderen) und die Rechtfertigung des Rechtsinstituts des wirtschaftlichen Eigentums (das Wirtschaftsgut als Gegenstand der Zurechnungsentscheidung und zugleich als Indikator für die personelle Zuordnung des daraus erzielten Einkommens wird entweder dem zivilrechtlichen Eigentümer, und wenn nicht ihm, dann dem wirtschaftlichen Eigentümer zugerechnet) widersprochen werden – „Marktfaktizitäten“ oder allein die Erwartungshaltung eines Marktteilnehmers (z.B. auf das Gelingen des Erwerbs) berühren die Position des (bisherigen) zivilrechtlichen Eigentümers nicht, insbesondere bestimmen sie nicht den Rechtsbegriff des wirtschaftlichen Eigentums, es muss vielmehr umgekehrt sein.

109 BB 2016, 2200, 2207. In der Tendenz ebenso Haarmann, JbFStR 2016/2017, 213.

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Steuerbilanzielle Fragen von Bewertungseinheiten Professor Dr. Joachim Hennrichs Universität zu Köln1 Regierungsdirektorin Evelyn Hörhammer Bundesministerium der Finanzen, Berlin2, 3 Inhaltsübersicht I. Grundlagen II. Ratio legis und Wirkungsweise des § 5 Abs. 1a S. 2 EStG i.V.m. § 254 HGB 1. Überblick 2. Wirkungsweise und Buchungstechnik III. Bilanzierung bei Beendigung der Sicherungsbeziehung durch Realisation einer Komponente 1. Problematik und Beispiel 2. Ansicht der Finanzverwaltung und eines Teils der Literatur (Hörhammer)

3. Gegenansicht des IDW und anderer Teile des Schrifttums (Hennrichs) 4. Sonstige Folgen der Verwaltungsauffassung (Hörhammer) IV. Das Merkmal „zur Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken“ i.S. des § 5 Abs. 1a S. 2 EStG 1. Einschränkende Ansicht (Hörhammer) 2. Gegenansicht (Hennrichs) V. Fazit

I. Grundlagen Ein Risiko kann durch Eingehen eines gleichartigen, aber gegenläufigen Risikos neutralisiert werden. Minus 12 plus 12 ergibt bekanntlich Null. Das ist das wirtschaftliche Prinzip und die Quintessenz der Bewertungs-

1 Prof. Dr. Joachim Hennrichs ist Direktor des Instituts für Gesellschaftsrecht und Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Bilanz- und Steuerrecht der Universität zu Köln. 2 Evelyn Hörhammer ist Regierungsdirektorin, Berlin. 3 Der Beitrag beruht auf einem gemeinsamen Vortrag anlässlich des 68. Fachkongresses der Steuerberater am 26.10.2016 in Köln. Der Vortrag wurde um einige Fußnoten ergänzt. Die Vortragsform wurde teilweise beibehalten. Wo die Referenten unterschiedlicher Auffassung sind, ist dies in den Abschnittsüberschriften durch erneute Namensnennung des jeweiligen Autors kenntlich gemacht.

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einheiten. Gelingt der Risikoausgleich perfekt, ist das Risiko kein Risiko mehr. Bewertungseinheiten scheinen auf den ersten Blick hauptsächlich ein Thema für Kreditinstitute und die Finanzindustrie zu sein. In der Tat spielt das sog. Heding dort eine bedeutende Rolle und sind die Banken besonders kreativ im Erfinden von Heding-Instrumenten. Aber es ist nicht nur ein Banken-Thema. Absicherungsbedarf haben durchaus auch Industrieunternehmen4. Werden Geschäfte in Fremdwährungen getätigt, besteht ein Währungsrisiko. Dies beispielsweise durch Devisentermingeschäfte abzusichern, ist kaufmännisch vernünftig. Kurzum: Bewertungseinheiten sind ein Thema für alle Unternehmen, die finanzwirtschaftliche Risiken eingehen, besonders eben Währungsrisiken, aber auch andere sog. Fair Value-Risiken, also Risiken einer Marktpreisveränderung. Wie werden solche Sicherungsinstrumente bilanziert? Wird der Umstand, dass man ein Risiko gesichert hat, bei der Bilanzierung berücksichtigt, weil ein gesichertes Risiko, soweit die Sicherung effektiv ist, eigentlich gar kein Risiko mehr ist? Oder bilanziert man das Risiko weiterhin als Risiko? Auf diese im Grunde recht alltäglichen Fragen gab es lange Zeit erstaunlicherweise keine klare Antwort im Gesetz. Der Gesetzgeber beließ es zunächst bei allgemeinen bilanzrechtlichen Grundsätzen: dem Einzelbewertungs- und Imparitätsprinzip sowie dem Saldierungsverbot. Hiernach sind Geschäftsvorfälle und Wirtschaftsgüter grundsätzlich einzeln zu bewerten (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB); noch nicht realisierte Gewinne dürfen nicht erfasst (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB), drohende Verluste müssen demgegenüber abgebildet werden (§ 249 I 1, 2. Alt. HGB; s. aber auch § 5 Abs. 4a S. 1 EStG); und eine Saldierung von Vermögensgegenständen und Schulden oder von Aufwendungen und Erträgen ist grundsätzlich verboten (§ 5 Abs. 1a 1 EStG; § 246 Abs. 2 S. 1 HGB). Zwar stehen die Grundsätze des § 252 Abs. 1 HGB unter dem Ausnahmevorbehalt gem. § 252 Abs. 2 HGB. In welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen von den genannten allgemeinen Grundsätzen zuzulassen und damit ein sog. Hedge Accounting erlaubt sein soll(t)en, war allerdings handels- und steuerbilanzrechtlich früher nicht besonders

4 Tiedchen in MünchKomm. Bilanzrecht, 2013, § 254 HGB Rz. 1.

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geregelt und folglich umstritten5. Üblicherweise wurde formuliert, dass ein Abgehen vom Einzelbewertungsgrundsatz allenfalls dann geboten sein könne, wenn dessen strikte Berücksichtigung in Verbindung mit dem Imparitätsprinzip dazu führen würde, dass ein den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen des Unternehmens (§ 264 Abs. 21 HGB) widersprechendes Bild entstehe6. Ob diese „Voraussetzungen“ vorlagen, war eine Frage des Einzelfalles. Dieses erstaunliche regulatorische Vakuum zu dem durchaus praktisch wichtigen Thema Bilanzierung bei Bewertungseinheiten wurde zuerst vom Steuergesetzgeber im Rahmen des Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen7 aufgegriffen, allerdings durch eine „alleinstehende“ steuerliche Vorschrift, der das handelsrechtliche Pendant zunächst fehlte: § 5 Abs. 1a S. 2 EStG bestimmt, dass „[d]ie Ergebnisse der in der handelsrechtlichen Rechnungslegung zur Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken gebildeten Bewertungseinheiten […] auch für die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblich“ sind. Unter welchen Voraussetzungen „in der handelsrechtlichen Rechnungslegung“ Bewertungseinheiten gebildet werden dürfen, war vor dem Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes8 (BilMoG), wie angedeutet, freilich nicht in einer besonderen handelsrechtlichen Vorschrift normiert. Dieses Stück offengelassener handelsrechtlicher Gesetzgebung schloss erst das BilMoG durch § 254 HGB n.F.9 Nunmehr greifen § 5 Abs. 1a S. 2 EStG und § 254 HGB ineinander. Zusammen bilden sie die regulatorische Basis für das sog. Hedge Accounting im HGB-Jahresabschluss und bei der steuerlichen Gewinnermittlung.

5 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995, § 253 HGB Rz. 103 ff.; eingehend Meinert, Die Bildung objektübergreifender Bewertungseinheiten nach Handels- und Steuerrecht, 2010, S. 53 ff. 6 Vgl. BFH v. 2.12.2015 – I R 83/13, BStBl. II 2016, 831 m.w.N. 7 Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen v. 28.4.2006 (BGBl. I 2006, 1095). 8 Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) v. 25.5.2009 (BGBl. I 2009, 1102). 9 Dazu IDW RS HFA 35.

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II. Ratio legis und Wirkungsweise des § 5 Abs. 1a S. 2 EStG i.V.m. § 254 HGB 1. Überblick Der Tatbestand des § 5 Abs. 1a S. 2 EStG setzt voraus, dass (1) in der handelsrechtlichen Rechnungslegung eine sog. Bewertungseinheit gebildet worden ist, und zwar (2) zur Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken. Die steuerliche Rechtsfolge ist sodann, dass „die Ergebnisse“ dieser in der handelsrechtlichen Rechnungslegung gebildeten Bewertungseinheit „auf für die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblich“ sind. Angeordnet ist damit eine besondere (formelle) Maßgeblichkeit für diesen Bereich10. Zweck ist ein grundsätzlicher Gleichlauf von handelsrechtlicher Rechnungslegung und steuerlicher Gewinnermittlung hinsichtlich der Ergebnisse der Bewertungseinheiten. § 5 Abs. 1a S. 2 EStG setzt mithin eine „in der handelsrechtlichen Rechnungslegung gebildete Bewertungseinheit“ voraus. Unter welchen Voraussetzungen dies zulässig ist, ist nunmehr in § 254 HGB n.F. geregelt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind: –

Erstens muss ein (sicherungsfähiges) Grundgeschäft gegeben sein. Als solche nennt das Gesetz Vermögensgegenstände, Schulden, schwebende Geschäfte und mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartete Transaktionen.



Dem jeweiligen Grundgeschäft muss zweitens ein Finanzinstrument als Sicherungsinstrument gegenüberstehen. Der Begriff des Finanzinstruments in diesem Sinne ist dabei nicht gesetzlich definiert11. § 254 S. 2 HGB stellt allerdings klar, dass als Finanzinstrumente im einschlägigen Sinne auch Warentermingeschäfte gelten.



Grundgeschäft und Sicherungsinstrument müssen drittens „zusammengefasst werden“. Das erfordert eine dahingehende Designation und eröffnet nach h.M. ein Wahlrecht des Kaufmanns, d.h. es besteht keine Pflicht zur Bildung von Bewertungseinheiten12.

10 Krumm in Blümich, EStG, KStG, GewStG, 134. Aufl. 2016, § 5 EStG Rz. 236; U. Prinz, DStJG 34 (2011), 135, 158; Teiche, DStR 2014, 1737, 1739; Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 9 Rz. 275. 11 Zur Auslegung s. Schmidt/Usinger in Beck’scher Bilanzkomm., 10. Aufl. 2016, § 254 HGB Rz. 21. 12 Vgl. BFH v. 2.12.2015 – I R 83/13; IDW RS HFA 35 Tz. 12; WP-Handbuch 2017, Abschn. F Rz. 203; Schmidt/Usinger in Beck’scher Bilanzkomm., 10. Aufl. 2016, § 254 HGB Rz. 5; Krumm in Blümich (Fn. 7), § 5 EStG Rz. 235a.

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Schließlich verlangt das Gesetz viertens eine besondere Zweckbindung, denn Grundgeschäft und Sicherungsinstrument müssen „zum Ausgleich gegenläufiger Wertänderungen oder Zahlungsströme aus dem Eintritt vergleichbarer Risiken“ zusammengefasst werden. Absicherungsfähig sind damit das sog. Fair Value-Risiko (Wertänderungsrisiko) und das sog. Cash Flow-Risiko (Zahlungsstromänderungsrisiko).

Als handelsrechtliche Rechtsfolge bestimmt § 254 HGB, dass § 249 Abs. 1, § 252 Abs. 1 Nr. 3 und 4, § 253 Abs. 1 und § 256a HGB in dem Umfang und für den Zeitraum nicht anzuwenden sind, in dem die gegenläufigen Wertänderungen oder Zahlungsströme sich ausgleichen. Soweit die Sicherungsbeziehung effektiv ist, findet also keine imparitätische Einzelbewertung, sondern eine sog. kompensatorische Bewertung statt13. Deren technische Einzelheiten (in der Praxis werden vor allem die sog. Einfrierungs- und die sog. Durchbuchungsmethode diskutiert14) sind nicht gesetzlich determiniert. Zweck des § 254 HGB ist es, die Erfolgsneutralität der Sicherungsbeziehung sicherzustellen15. Wertänderungen der in die Bewertungseinheit einbezogenen Komponenten sollen ergebnisneutral bleiben, soweit sie sich gegenseitig ausgleichen. Zusätzlich zu dem Verweis auf die nach § 253 HGB gebildeten Bewertungseinheiten in der Handelsbilanz sieht § 5 Abs. 1a S. 2 EStG vor, dass diese handelsrechtlichen „Ergebnisse“ zur Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken gebildet worden sind. Zu diesem weitergehenden steuerrechtlichen Merkmal der „Absicherung der finanzwirtschaftlichen Risiken“ werden mögliche Abweichungen unter IV. näher erläutert.

2. Wirkungsweise und Buchungstechnik Die Wirkungsweise sei an einem einfachen Beispiel exemplifiziert: K hat am 1.3.03 für am 1.11.01 verkaufte Ware eine Zahlung von 500 000 US-$ zu erwarten. Der $-Kurs bei Lieferung der Ware (= Tag der Einbuchung der Forderung aus LuL) möge 1 Euro = 1,25 $ betragen. Die Forderung wird also mit Wert 400 000 Euro eingebucht. Zum 1.3.03 ist K außerdem seinerseits zur Zahlung von 13 Krumm in Blümich (Fn. 10), § 5 EStG Rz. 238. 14 WP-Handbuch 2017, Abschn. F Rz. 222; Schmidt/Usinger in Beck’scher Bilanzkomm., 10. Aufl. 2016, § 254 HGB Rz. 52 f. – dazu sogleich im Text mit Beispiel. 15 Vgl. Hennrichs, WPg 2010, 1185, 1187 m.w.N.

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Hennrichs/Hörhammer, Steuerbilanzielle Fragen von Bewertungseinheiten 500 000 US-$ verpflichtet. Am Bilanzstichtag 31.12.01 möge der Kurs 1 Euro = 1,30 $ betragen.

Eine streng imparitätische Einzelbewertung würde hier zu folgenden Ergebnissen führen: Die $-Forderung des K hat per 31.12.01 nur noch einen Euro-Wert von 384 615 Euro. Gem. § 256a S. 1 HGB ist die Forderung auf diesen Betrag abzuwerten. Der Wert der Verbindlichkeit des K ist korrespondierend von 400 000 auf 384 615 Euro gesunken. Dieser (erwartete) Währungsgewinn darf allerdings gem. § 252 I Nr. 4 HGB nicht berücksichtigt werden. Im Saldo ergäbe sich damit ein währungsbedingter Verlust i.H.v. rund 15 TEuro, obwohl sich $-Forderung und $-Verbindlichkeit genau gegenüberstehen (gleicher Betrag, gleicher Fälligkeitstermin) und K damit „eigentlich“ gar keinen Verlust zu befürchten hat16. Hier greift § 254 HGB: Werden die $-Forderung und die $-Verbindlichkeit zu einer Bewertungseinheit zusammengefasst, sind § 252 Abs. 1 Nr. 4 und § 256a HGB in dem Umfang und für den Zeitraum nicht anzuwenden, in dem die gegenläufigen Wertänderungen sich ausgleichen. K kann dem auf zweierlei Art und Weise Rechnung tragen: Entweder, er wendet § 256a HGB nicht an und friert sowohl den Wertansatz für die $-Forderung als auch für die $-Verbindlichkeit auf den Einbuchungswert (400 000 Euro) ein (sog. Einfrierungsmethode). Dann ergibt sich von vornherein kein GuV-Effekt. Oder K wendet § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB nicht an und bucht die $-Verbindlichkeit korrespondierend zur $-Forderung am Stichtag ebenfalls auf den Umrechnungskurs (384 615 Euro) ab. Das kann entweder jeweils „durch“ die GuV geschehen, indem gebucht wird: (1) „Per Aufwand an Forderungen aus LuL 15 385 Euro“; nebst (2) „Per Verbindlichkeiten an Ertrag 15 385 Euro“. Im Saldo gleichen sich dann Aufwand und Ertrag aus (sog. Bruttomethode „durch die GuV“). Oder K bucht abgekürzt ohne Berührung der GuV Grund- und Sicherungsinstrument gegeneinander, d.h. im Beispiel: „Per Verbindlichkeit an Forderungen aus LuL 15 385 Euro“. Auch in diesem Fall bleibt die GuV unberührt (sog. Bruttomethode ohne Berührung der GuV)17. Welche buchungstechnische Variante der Kaufmann wählt, ist handelsrechtlich nicht vorgegeben. Die Praxis präferiert grundsätzlich die Einfrierungsmethode. Als zulässig gilt aber auch die Bruttomethode ohne 16 U. Prinz, DStJG 34 (2011), 135, 158; Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 9 Rz. 271. 17 Hennrichs, WPg 2010, 1185, 1188 f. m.w.N.

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Berührung der GuV18. Sie hat den Vorzug, dass die Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens getreu den tatsächlichen Verhältnissen abgebildet wird: In der Bilanz erscheinen Forderungen und Verbindlichkeiten zum jeweiligen Stichtagsumrechnungskurs; in der GuV bleiben die bilanziellen Wertänderungen dennoch neutral, weil und soweit sie sich gegenseitig ausgleichen19.

III. Bilanzierung bei Beendigung der Sicherungsbeziehung durch Realisation einer Komponente 1. Problematik und Beispiel Problematisch ist die zeitliche Reichweite der Sondervorschriften für Bewertungseinheiten. Namentlich fragt es sich, ob § 254 HGB und § 5 Abs. 1a S. 2 EStG auch noch bei der Beendigung der Sicherungsbeziehung gelten, wenn im Zuge der Beendigung für eine oder beide Komponenten ein Realisationsvorgang ausgelöst wird. Die Problematik sei wiederum an einem Beispiel verdeutlicht: Die M-AG, Köln, erwirbt per 31.12.01 eine Beteiligung an der T-Corp., NY, USA, für 130 Mio. US-$. Das Währungsrisiko sichert die M durch Eingehen einer gegenläufigen $-Verbindlichkeit i.H.v. 130 Mio. US-$ ab. Da die Beteiligung keine „Endlaufzeit“ hat, wird die Sicherungskomponente revolvierend vereinbart. Beteiligung und Verbindlichkeit werden als Bewertungseinheit designiert und zum Euro-Umrechnungsbetrag am Stichtag (1 Euro = 1,30 $) i.H.v. 100 Mio. Euro bilanziert und „eingefroren“. Per 31.12.03 wird die Verbindlichkeit zum dann geltenden Stichtagskurs i.H.v. 92 Mio. Euro getilgt und die Beteiligung ebenfalls für 92 Mio. Euro veräußert.

Solange die Sicherungsbeziehung andauert, besteht über die handels- und steuerlichen Rechtsfolgen weithin Einigkeit: Etwaige währungskursbedingte Wertänderungen der in die Bewertungseinheit einbezogenen Komponenten dürfen sich im Ergebnis nicht auswirken. Hat sich der $-EuroKurs per 31.12.02 verändert, darf das im Ergebnis keine Folgen für das Ergebnis der M-AG haben. Dies kann, wie dargestellt, buchungstech-

18 IDW RS HFA 35, Tz. 86 f.; Gelhausen/Fey/Kämpfer, Rechnungslegung und Prüfung nach dem BilMoG, Düsseldorf 2009, Rz. H 127; PricewaterhouseCoopers (PwC), Derivative Finanzinstrumente in Industrieunternehmen, 4. Aufl., Frankfurt am Main 2008, Rz. 459, 461, 508; Meinhardt, DB 2004 2649, 2652; Hick in H/H/R, § 5 EStG, Anm. 1647 f.; Bertram/Brinkmann/Kessler/Müller in Haufe, HGB Bilanz-Komm., 7. Aufl. 2016, § 254 HGB Rz. 55. 19 Hennrichs, WPg 2010, 1185, 1189.

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nisch entweder dadurch geschehen, dass die Wertansätze für die Auslandsbeteiligung und die korrespondierende $-Verbindlichkeit auf den Einbuchungskurs eingefroren werden (Einfrierungsmethode). Oder die Wertänderungen werden zwar bilanziell abgebildet, aber ohne Berührung der GuV gegeneinander verrechnet (durch Buchung „Per Verbindlichkeit an Beteiligung“; sog. Bruttomethode ohne Berührung der GuV). Oder die Wertänderungen werden sowohl bilanziell als auch in der GuV abgebildet, gleichen sich dort aber im Saldo aus (sog. Bruttomethode durch die GuV). Gilt das aber auch dann noch, wenn die Sicherungsbeziehung durch Realisation einer oder beider Komponenten beendet wird? Im Beispiel: Wie ist per 31.12.03 zu buchen, wenn die M die Verbindlichkeit begleicht und die Beteiligung veräußert? Das ist umstritten:

2. Ansicht der Finanzverwaltung und eines Teils der Literatur (Hörhammer) Nach Ansicht der Finanzverwaltung20 und eines Teils der Literatur21 soll die Realisation des Sicherungsgeschäfts nicht mehr Bestandteil der Bewertungseinheit und daher nicht mehr erfolgsneutral zu erfassen sein. Es sei zwischen Bewertung, realisierten (späteren) Verlusten und Gewinnen sowie Vorschriften über die Gewinnermittlung (z.B. § 15 Absatz 4 EStG) und Einkommensermittlung (z.B. § 8b KStG) zu unterscheiden. Steuerliche Bewertungseinheiten seien bloße Instrumente der laufenden Bewertung. Da es sich bei § 5 Abs. 1a S. 2 EStG um eine Bewertungsvorschrift handelt, führt dieses Instrument der Bewertung bei Ausscheiden (Ausbuchung) des Grund- oder Sicherungsgeschäft zur Realisation durch Ausscheiden aus dem „Sicherungsverbund“. Die Verortung der Vorschrift in § 5 EStG könnte zwar zunächst für die Annahme einer Ansatzvorschrift sprechen22. Der Regelungsgehalt, der sich ausschließlich auf die Bewertung von Bilanzposten beschränkt, stärkt aber die von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung23, dass es sich um einen reinen Bewertungsposten handelt. Daher ist zu berücksichtigen, dass trotz möglicher 20 OFD Rheinland, DB 2011, 737; s. auch FG Düsseldorf, DStR 2012, 1331, 1333; BFH – I R 18/12, BStBl. II 2013, 588. 21 Herzig/Briesemeister, Ubg 2009, 157, 160. 22 Vgl. Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, § 5 Rz. 501. 23 Vgl. OFD Frankfurt v. 22.3.2012 – S 2133-A -30-St 210; OFD Rheinland v. 11.3.2011 – S 2133-2011/002-St 141, DB 2011, 737.

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Bildung einer Bewertungseinheit weiterhin die einzelnen Wirtschaftsgüter und Passivposten Objekt des Bilanzansatzes bleiben und lediglich für Zwecke der Bewertung saldiert werden.24 Wenn also Verluste und Gewinne tatsächlich innerhalb der Bewertungseinheit realisiert werden, müssen diese Vorgänge nicht mehr unter Bewertungs-, sondern unter Realisationsgesichtspunkten (z.B. § 8b Abs. 2, § 15 Abs. 4 EStG) beurteilt werden.25 Auf die im Zuge der Auflösung der Bewertungseinheit realisierten Ergebnisse sind daher (auch innerhalb des Kompensationsbereichs der Bewertungseinheit) die steuerlichen Gewinn- und Einkommensermittlungsvorschriften und die Vorschriften über die Verlustverrechnung anzuwenden. Dementsprechend hat auch das Finanzgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 10.2.201626 für den Fall von Auslandsbeteiligungen entschieden, dass eine Bewertungseinheit für die Einkommensermittlung nach § 8b KStG keine Rolle spielen kann und die in einer Bewertungseinheit zusammengefassten Geschäfte vielmehr für die Ermittlung des § 8b Abs. 2 KStG unterfallenden Veräußerungsgewinns aufzulösen und getrennt danach zu beurteilen sind, ob sie dem Tatbestand eines solchen „Veräußerungsgewinns“ zuzuordnen sind. Nach dieser Ansicht wären die Realisationsergebnisse im Beispiel deshalb per 31.12.03 erfolgswirksam zu erfassen und nach den jeweils einschlägigen steuerlichen Vorschriften zu beurteilen. Da die $-Verbindlichkeit noch mit 100 Mio. Euro zu Buche steht, ihre Tilgung aber nur 92 Mio. Euro kostet, entsteht insoweit ein Ausbuchungsertrag. Also: (1) „Per Verbindlichkeit 100 Mio. an Kasse 92 Mio. und Ertrag 8 Mio.“ Im Gegenzug entsteht bei der Veräußerung der Beteiligung (die eingefroren ebenfalls noch mit 100 Mio. zu Buche steht, deren Veräußerung aber nur 92 Mio. einbringt), ein Veräußerungsverlust: (2) „Per Kasse 92 Mio. und Veräußerungsverlust 8 Mio. an Beteiligung 100 Mio.“ Der Ertrag aus der Komponente Verbindlichkeit ist hiernach voll steuerbar. Der Verlust aus der Veräußerung der Beteiligung unterliegt § 8b Abs. 3 KStG und ist deshalb bei der Einkommensermittlung nicht zu berücksichtigen. 24 So auch Christiansen, DStR 2003, 264; Hörhammer in Praxishandbuch Bilanzsteuerrecht, Rz. 2591. 25 So auch OFD Frankfurt v. 22.3.2012 – S 2133-A -30-St 210; OFD Rheinland v. 11.3.2011 – S 2133-2011/002-St 141, DB 2011, 737. 26 FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 10.2.2016 – 11 K 12212/13, EFG 2016, 1629, anhängig beim BFH unter I R 20/16.

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3. Gegenansicht des IDW und anderer Teile des Schrifttums (Hennrichs) Die beschriebenen Wirkungen zeigen, dass auf dem Boden der Ansicht der Finanzverwaltung letztlich doch Erfolgswirkungen entstehen, die § 254 HGB eigentlich vermeiden will. Man mag formulieren: die Finanzverwaltung reißt am Ende auseinander, was als Einheit gedacht ist. Bei Auslandsbeteiligungen wäre hiernach eine effektive Bewertungseinheit letztlich überhaupt nicht möglich. Denn weil Beteiligungen keine Endzeit haben, erfordert die Bewertungseinheit wegen der gebotenen Fristenkongruenz stets revolvierende Sicherungsinstrumente. Das wiederum ist zwangsläufig mit Realisationsvorgängen verbunden, die nach Ansicht der Finanzverwaltung dann Erfolgswirkungen haben sollen. Das wird dem Zweck des § 254 HGB nicht gerecht. Nach der Gegenansicht27 gelten § 254 HGB und § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG deshalb auch noch für die Beendigung der Sicherungsbeziehung. Diese sei gemäß dem Gesetzeszweck ebenfalls erfolgsneutral zu erfassen. Die Vorschrift des § 254 HGB wolle die Erfolgsneutralität der Sicherungsbeziehung gewährleisten. Dieser Gesetzeszweck sei „bis zum Ende einschließlich“ zu beachten. Die Ansicht der Finanzverwaltung führe dagegen dazu, dass die vom Gesetz gewollte Erfolgsneutralität der Sicherungsbeziehung am Ende verfehlt werde. Das würde die Effizienz der wirtschaftlichen Absicherung entgegen der Regelungsabsicht des Gesetzes, das solche Absicherungsstrategien gerade anerkennen will, erheblich beeinträchtigen. Die vom Gesetz intendierte Erfolgsneutralität der Bewertungseinheit ist dabei buchungstechnisch dadurch zu gewährleisten, dass die Ergebnisse aus der Realisation der Komponenten ohne Berührung der GuV gegeneinander verrechnet werden. Das Delta zwischen dem Buchwert der Verbindlichkeit und dem Ablösungsbetrag ist im Beispiel also nicht erfolgswirksam, sondern gegen die Beteiligung zu verrechnen. Also: (1) „Per Verbindlichkeit 100 an Kasse 92 an Beteiligung 8 (!).“28 Hiernach wird die 27 IDW RS HFA 35, Tz. 86 f.; WP-Handbuch 2017, Abschn. F Rz. 227 ff.; Glaser/ Kahle, Ubg 2015, 113, 117; Hahne, StuB 2008, 181, 184 ff.; Helios/Meinert, Ubg 2011, 592, 595; Hennrichs, WPg 2010, 1185, 1191 f.; ders. in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 9 Rz. 274 ff.; Hick in H/H/R, § 5 EStG Rz. 1738; ders. in Prinz/Kanzler, NWB Praxishandbuh Bilanzsteuerrecht, 2. Aufl. 2014, Rz. 1086; U. Prinz, DStJG 34 (2011), 135, 159; Teiche, DStR 2014, 1737, 1739, 1743; Tiedchen in MünchKomm. BilR, 2013, § 254 HGB Rz. 88; Winnefeld, Bilanz-Hdb., 5. Aufl. 2015, Kap. E Rz. 51. 28 Hennrichs, WPg 2010, 1185, 1191 f. m.w.N.

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so im Buchwert geminderte Beteiligung veräußert. Entspricht der Veräußerungserlös, wie im Beispiel, dem Buchwert der Beteiligung nach Verrechnung des Betrags aus der Realisation der Sicherungskomponente, bleibt auch diese Veräußerung erfolgsneutral. Nämlich: (2) „Per Kasse an Beteiligung 92“. Damit werden die allein währungskursbedingten Wertänderungen bis zum Ende neutralisiert. Würde die Beteiligung dagegen z.B. für 100 Mio. Euro veräußert (weil sich zwar eine währungsbedingte Abwertung ergeben hat, der innere Wert der Beteiligung aber dennoch gestiegen ist), dann entstünde i.H. der Differenz zum angepassten Buchwert ein Veräußerungsgewinn ((2) „Per Kasse 100 an Beteiligung 92 und Ertrag 8“) – was auch folgerichtig ist, weil nur, aber immerhin die währungsbedingten Wertänderungen neutralisiert werden sollen. Nach dieser Ansicht bleibt der Geschäftsvorfall also, soweit währungsbedingte Wertänderungen und Realisationsergebnisse in Rede stehen, wie vom Gesetz gewollt erfolgsneutral. Das gilt für die handelsrechtliche Rechnungslegung und in der Folge gem. § 5 Abs. 1a S. 2 EStG auch für die steuerliche Gewinnermittlung29. Die handelsrechtlich intendierte Erfolgsneutralität der Bewertungseinheit ist auch steuerlich zu übernehmen, weil § 5 Abs. 1a EStG insoweit den Gleichlauf von Handels- und Steuerbilanz anordnet.

4. Sonstige Folgen der Verwaltungsauffassung (Hörhammer) Die von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung, dass es sich bei § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG um eine reine Bewertungsvorschrift handelt, hat zur Folge, dass wenn Verluste und Gewinne tatsächlich realisiert werden, dies Vorgänge nicht mehr unter Bewertungs-, sondern unter Realisationsgesichtspunkten zu beurteilen sind. Die Vorschriften über die Gewinnermittlung, die Einkommensermittlung und die Verlustverrechnung finden im Falle der Realisation uneingeschränkt Anwendung.30 Denn vom Regelungsbereich der Bewertungseinheit sind diejenigen Vorschriften über die Gewinnermittlung, die Einkommensermittlung und die Verlustverrechnung zu unterscheiden.

29 Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 9 Rz. 277. 30 Vgl. auch OFD Frankfurt v. 22.3.2012 – S 2133-A -30-St 210; OFD Rheinland v. 11.3.2011 – S 2133-2011/002-St 141, DB 2011, 737.

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Dies gilt insbesondere für die Regelungen der §§ 3 Nr. 40, 3c und 15 Abs. 4 EStG und § 8b KStG. Das hat zur Folge, dass bei einem MicroHedge, einem Vorgang, in dem einem Grundgeschäft ein konkretes Sicherungsgeschäft zugeordnet werden kann, die Regelung des § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG dazu führt, dass die Bewertung des Grundgeschäfts nur unter Berücksichtigung des Sicherungsgeschäfts vorzunehmen ist. Werden Grund- und Sicherungsgeschäft realisiert, können diese Vorgänge konkret zugeordnet werden und die Gewinn- und Einkommensermittlungsvorschriften und die Vorschriften über die Verlustverrechnung sind anwendbar. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch das Verhältnis des Instruments der Bewertungseinheit zur Rückstellungsbildung für Pensionszusagen nach § 6a EStG. Hierzu hat der BFH mit Urteil vom 25.2.200431 für den Sachverhalt einer Pensionsverpflichtung einerseits und eines Anspruches aus einer Rückdeckungsversicherung andererseits entschieden, dass es sich bei diesen beiden Bilanzposten um unabhängig voneinander zu bilanzierende Wirtschaftsgüter handelt. Eine Saldierung beider sei daher gem. § 246 Abs. 2 HGB auch bei kongruenter Rückdeckung nicht zulässig. Die Voraussetzungen für die Bildung einer Bewertungseinheit lägen bereits deshalb nicht vor, weil es im Hinblick auf die Pensionsverpflichtungen einerseits und die Rückdeckungsansprüche anderseits an gegenläufigen wertbeeinflussenden Korrelationen fehle. Zwischen den ausgewiesenen Bilanzpositionen bestünden keine systematischen wertmäßigen Abhängigkeiten. Eine Zusammenfassung beider zu einer Bewertungseinheit kam daher nach dieser Rechtsprechung nicht in Betracht. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt die Verfügung der OFD Frankfurt vom 9.3.201632 für den Sachverhalt von wertpapiergebundenen Zeitwertkonten mit Nominalwertgarantie. Die Verwaltungsauffassung stellt klar, dass für diese und der Teilhabe des Arbeitnehmers an der Wertsteigerung, für die handelsrechtlich § 246 Absatz 2 Satz 2 HGB (Saldierung) gelte, steuerrechtlich keine Bewertungseinheit gebildet werden kann.

31 BFH, Urteil v. 25.2.2004, BStBl. II 2004, 654. 32 OFD Frankfurt a.M. v. 9.3.2016 – S 2137 A-57-St 210, abrufbar bei juris.

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IV. Das Merkmal „zur Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken“ i.S. des § 5 Abs. 1a S. 2 EStG 1. Einschränkende Ansicht (Hörhammer) Es ist strittig, inwieweit § 254 HGB und § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG durch unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzung auch für das Vorliegen einer Bewertungseinheit zu unterschiedlichen Ergebnissen in der steuerlichen und handelsrechtlichen Beurteilung führen kann. Hier spielt die bereits erwähnte Voraussetzung der „Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken“ eine maßgebliche Rolle. Der Wortlaut des § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG nimmt ausdrücklich zunächst Bezug auf die „Ergebnisse der in der handelsrechtlichen Rechnungslegung … gebildeten Bewertungseinheit“ und ist somit zunächst Ausfluss des Maßgeblichkeitsgrundsatzes nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG.33 Das rein steuerrechtliche Merkmal der Absicherung von finanzwirtschaftlichen Risiken findet sich dagegen weder in den unter I. dargestellten allgemeinen vor Einführung des § 254 HGB aufgestellten handelsrechtlichen Grundsätzen zur Bildung einer Bewertungseinheit noch in § 254 HGB selbst. Damit weicht der Steuergesetzgeber hier nach meiner Auffassung bewusst von dem „Ergebnis“ der handelsrechtlichen Rechnungslegung ab und schränkt den Anwendungsbereich der Bewertungseinheit gegenüber dem handelsrechtlichen Ergebnis ein. Danach gibt es keine absolute Deckungsgleichheit im Anwendungsbereich des § 254 HGB und des § 5 Abs. 1a EStG. Namentlich sollen Warentermingeschäfte vom Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG ausgenommen sein34. Die Gegenansicht (dazu sogleich unter 2.) ist m.E. nicht abgedeckt vom eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG. Zudem ist entsprechend der oben dargestellten Gesetzgebungshistorie zu bedenken, dass § 254 HGB zeitlich erst nach § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG gesetzlich verankert wurde. Der Steuergesetzgeber konnte bei Kodifizierung des § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG mögliche gesetzliche handelsrechtliche Tatbestandsvoraussetzung für die Bildung einer Bewertungseinheit als Bezugsgröße mithin noch nicht eindeutig erkennen.35

33 Hörhammer in Praxishandbuch Bilanzsteuer, Rz. 2591; zur sog. konkreten Maßgeblichkeit: Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 5 Rz. 71. 34 Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 5 Rz. 70; Hahne, StB 2007, 18, 21 f. 35 Hörhammer in Praxishandbuch Bilanzsteuer, Rz. 2591.

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Nach dieser Ansicht kann die Subsumtion unter die Vorschrift des § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG und unter die des § 254 HGB durchaus zu anderen Ergebnissen führen: der Anwendungsbereich der steuerlichen Vorschrift ist m.E. enger zu verstehen als der des Handelsrechts. Mögliche praktische Auswirkung kann dies bei den o.g. unter § 254 Satz 2 HGB fallenden Warentermingeschäften haben, die nach der steuerlichen einschränkenden Auslegung nicht in einer steuerlichen Bewertungseinheit „automatisch“ erfasst werden können, wenn sie nicht zur Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken dienen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Sicherungsgeschäfte maßgeblich zur Absicherung von Preisänderungsrisiken von Waren und Rohstoffen durch Warentermingeschäften abgeschlossen werden. Denn in diesen Fällen ist dem Grunde nach der Beschaffungsbereich des Unternehmens und somit ein leistungswirtschaftliches Risiko betroffen.36 Diese leistungswirtschaftlichen Risiken sind jedoch nicht vom Kriterium des „finanzwirtschaftlichen Risikos“ nach wirtschaftswissenschaftlichen Grundsätzen umfasst. Für diesen wirtschaftlichen Vorgang käme eine Bewertungseinheit nach § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG von vorherein nicht in Betracht.

2. Gegenansicht (Hennrichs) Nach der Gegenansicht37 schränkt die Formulierung des § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG „zur Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken“ den Anwendungsbereich der steuerlichen Bewertungseinheiten gegenüber dem Handelsrecht nicht ein. Zwar erwähnt § 254 HGB nicht explizit „finanzwirtschaftliche Risiken“, sondern formuliert: „zum Ausgleich gegenläufiger Wertänderungen oder Zahlungsströme aus dem Eintritt vergleichbarer Risiken“. Aus dieser unterschiedlichen Wortwahl kann aber nicht auf einen gewollten unterschiedlichen Anwendungsbereich geschlossen werden. Die von § 254 HGB erfassten Risiken (Wertänderungs- und Zahlungsstromänderungsrisiko) sind sämtliche zugleich auch finanzwirtschaftliche Risiken. Daran ändert sich namentlich nichts, wenn der Vermögensgegenstand oder die Schuld, aus dem das Risiko resultiert, selbst realwirtschaftlicher Natur sein sollte (wie bei den gem. § 254 Satz 2 HGB 36 Vgl. hierzu Hick in H/H/R, EStG, § 5 Rz. 1730. 37 Vgl. namentlich Herzig/Briesemeister, Ubg 2009, 157, 158; ferner Günkel, RdF 2011, 59, 64; Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 237 (2016); Schmidt/Usinger in Beck’scher Bilanzkomm., 10. Aufl. 2016, § 254 HGB Rz. 6; Tiedchen in MünchKomm. Bilanzrecht, 2013, § 254 HGB Rz. 91; Schiffers in Korn, EStG, § 5 Rz. 452.1.

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ausdrücklich einbezogenen Warentermingeschäften). Werden beispielsweise Absatztermingeschäfte und Beschaffungstermingeschäfte über Energie gem. § 254 HGB in der handelsrechtlichen Rechnungslegung zu Bewertungseinheiten zusammengefasst38, so dient dies ebenfalls der Risikoabsicherung, nämlich der Absicherung gegen das Preisänderungsrisiko, das den Termingeschäften immanent ist. Zwar liegen den Termingeschäften realwirtschaftliche Güter zugrunde; bei Absatz- und Beschaffungstermingeschäften über Energie ist das sog. Underlying realwirtschaftlicher Natur. Das aus dem Termingeschäft resultierende Marktpreisrisiko, um dessen Absicherung es geht, ist aber dennoch ein finanzwirtschaftliches Risiko. Eben solche Absicherungen zu ermöglichen, bezweckt § 254 Satz 2 HGB39. Allein diese Auslegung entspricht m.E. auch dem Gesetzeszweck des § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG. Denn es geht dem Gesetz, wie dargelegt, um einen Gleichklang von steuer- und handelsrechtlichen Bewertungseinheiten. Ausweislich der Gesetzesbegründung umfasst der Begriff der „finanzwirtschaftlichen Risiken“ die handelsrechtlich absicherungsfähigen Risiken, denn gewollt ist die Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Praxis zur Bildung von Bewertungseinheiten für die Besteuerung40. Der Begriff der „finanzwirtschaftlichen Risiken“ umfasst nach dieser Teleologie der Norm inhaltlich den gesamten Anwendungsbereich des § 254 HGB41. Nach dieser Ansicht sind deshalb sämtliche in der Handelsbilanz (zulässigerweise) gebildeten Bewertungseinheiten auch steuerlich nachzuvollziehen42.

38 Zur Zulässigkeit vgl. Bertram/Brinkmann/Kessler/Müller in Haufe, HGB Bilanz-Komm., 7. Aufl. 2016, § 254 HGB Rz. 11, 21; Drüen in Großkomm. HGB, 5. Aufl. 2014, § 254 Rz. 18, 21, 24; Förschle/Usinger in Beck’scher Bilanzkomm., 10. Aufl. 2016, § 254 HGB Rz. 25; Gelhausen/Fey/Kämpfer, Rechnungslegung und Prüfung nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, 2009, Abschn. H Rz. 28, 52. 39 Statt aller Bertram/Brinkmann/Kessler/Müller in Haufe, HGB Bilanz-Komm., 7. Aufl. 2016, § 254 HGB Rz. 21. 40 BT-Drs. 16/634, S. 10. 41 So zutr. Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 237 (2016). 42 So zutr. Tiedchen in MünchKomm. Bilanzrecht, 2013, § 254 HGB Rz. 91; ebenso Schmidt/Usinger in Beck’scher Bilanzkomm., 10. Aufl. 2016, § 254 HGB Rz. 6; Herzig/Briesemeister, Ubg 2009, 157 f.; Schiffers in Korn, EStG, § 5 Rz. 452.1.

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V. Fazit Trotz jahrzehntelang „gelebter“ Praxis wirft das Institut der handelsrechtlichen (§ 254 HGB) und steuerlichen Bewertungseinheit (§ 5 Abs. 1a Satz 2 EStG) weiterhin etliche Fragen auf, die zwischen Finanzverwaltung und Teilen des Schrifttums umstritten sind. Das betrifft zum einen den zeitlichen Anwendungsbereich der Sondervorschriften und ihr Verhältnis zu den allgemeinen Einkommensermittlungsvorschriften bei (ggf. vorzeitiger) Beendigung der Sicherungsbeziehung (dazu oben III.). Die Finanzverwaltung will insoweit wieder die allgemeinen Vorschriften anwenden, mit der Folge, dass Realisationsergebnisse steuerrelevant werden können. IDW und Teile des Schrifttums plädieren demgegenüber für eine Anwendung der Sondervorschriften und damit eine Erfolgsneutralität auch noch bei der Beendigung der Sicherungsbeziehung. Zum anderen ist die Auslegung des steuerlichen Merkmals „zur Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken“ umstritten (dazu oben IV.). Eine einschränkende Auffassung sieht hierin eine Einengung des Anwendungsbereichs der steuerlichen Bewertungseinheiten gegenüber dem § 254 HGB. Namentlich kann diese Auffassung bei Warentermingeschäften zur Versagung einer Bewertungseinheit führen. Eine Gegenansicht plädiert demgegenüber für deckungsgleiche Anwendungsbereiche der handelsund steuerlichen Bewertungseinheiten. Hiernach sollen sämtliche in der Handelsbilanz (zulässigerweise) gebildeten Bewertungseinheiten auch steuerlich nachzuvollziehen sein.

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Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts Professor Dr. Ulrich Prinz Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Köln Inhaltsübersicht I. Zum Einstieg: Aktuelle Trends im Bilanzsteuerrecht II. Neues Aktivierungswahlrecht für steuerbilanzielle Herstellungskosten (§ 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG) – Fall 1 1. Ausgangspunkt: Streit um die steuerbilanzielle Herstellungskostenuntergrenze seit BilMoG vom 25.5.2009 2. Einfügung des § 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG durch das „Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“ vom 18.7.2016 3. Stellungnahme zur steuersystematischen Bedeutung III. Realisationsprinzip bei Mehrkomponentengeschäften: Der „Gerüstbaufall“ – Fall 2 1. Konturen des Realisationsprinzips (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) 2. Der Gerüstbaufall des FG Baden-Württemberg vom 3.3.2016 3. Besteuerungspraktische Folgerungen IV. Steuerbilanzielle Behandlung von Entwicklungskosten: Abgrenzungsfragen bei § 5 Abs. 2 EStG – Fall 3 1. Erworbene und selbst erstellte „immaterielle Wirtschaftsgüter“ mit zunehmender Bilanzrechtsrelevanz 2. Entwicklungskosten beim Automobilhersteller: Sachverhalt, Lösungshinweise

3. Zur Abgrenzung: Werkzeugkostenzuschuss an Autoteilezulieferer 4. Typisierende Abgrenzungskriterien für steuerbilanzielle Behandlung von Entwicklungsaufwendungen V. Neues zum Investitionsabzugsbetrag (IAB) gem. § 7g EStG – Fall 4 1. Ausgangspunkt zum IAB gem. § 7g EStG 2. Fortgeltender IAB bei unentgeltlicher Betriebsübertragung: BFH vom 10.3.2016 – IV R 14/12 3. Nachträgliche Kompensation des Mehrergebnisses einer Betriebsprüfung durch einen IAB: BFH vom 23.3.2016 – IV R 9/14 VI. Rückstellungen: Vergangenheitsversus Zukunftsbezug bei Handwerkskammerbeiträgen – Fall 5 1. „Ewiger Streit“ um Bildung/ Bewertung steuerbilanzieller Rückstellungen 2. Rückstellungen für Zusatzbeiträge an die Handwerkskammer: Thüringer FG vom 7.7.2015 3. Besteuerungspraktische Konsequenz VII. Zum Schluss: Weiteres praxisrelevantes Bilanzierungs-Know-how 1. Gesetzgebung und Verwaltung 2. Rechtsprechung

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

I. Zum Einstieg: Aktuelle Trends im Bilanzsteuerrecht Bilanzsteuerrecht bedeutet zumeist praktische Steuerrechtsanwendung in Alltagsfällen der Bilanzierung und Bewertung mit starken handelsbilanziellen Bezügen. Deshalb ist stets eine fallbezogene Rechtsanwendung von Nöten. Dessen ungeachtet sollte der Bilanzrechtssystematiker aber auch einige einschlägige Entwicklungsperspektiven in den Blick nehmen, die bereits kurz- und mittelfristig zu strukturellen Veränderungen im Bilanzsteuerrecht führen werden. Dabei lassen sich nennen:1 –

Zunehmende Eigenständigkeit des Bilanzsteuerrechts trotz Maßgeblichkeit: Zu konstatieren sind seit langem zunehmende steuergesetzliche Sonderregelungen, ohne dass insoweit leistungsfähigkeitskonforme Systemgrundsätze erkennbar werden. Beispielhaft können die Vorschriften der § 4f, § 5 Abs. 7 EStG zu entgeltlichen Verpflichtungsübernahmen, Schuldbeitritten und Erfüllungsübernahmen bei Übertrager/Übernehmer genannt werden. Bei Konzernen und im Mittelstand ist mittlerweile eine von IFRS und handelsbilanzieller Rechnungslegung weitgehend emanzipierte eigenständige Steuerbilanzpolitik zu erkennen, die vor allem dem Wahlrechtsvorbehalt des § 5 Abs. 1 EStG geschuldet ist. Die praktische Bedeutung des Tax Accounting steigt. Gewinnausschüttungs- und Gewinnabführungssperren haben mittlerweile in zunehmender Zahl als neues „Vorsichtsinstrument“ im Handelsbilanzrecht Eingang gefunden.



DV-gestütztes Steuerbilanzrecht verändert die Bilanzierungspraxis: Die Diskussion um die E-Bilanz-Taxonomie (§ 5b EStG) sowie deren Entwicklungsstände nehmen Einfluss auch auf das materielle Bilanzsteuerrecht. Man denke insoweit an Kapitalkontenfragen sowie die Rechtsgrundlagen der Ergänzungs- und Sonderbilanzen bei der Personengesellschaftsbesteuerung. Big Data und neue Finanzverwaltungsprüfungstechniken „unterlaufen“ zunehmend die Beweiskraft der Buchführung (§ 158 AO), wobei der BFH insoweit versucht, überbordenden Schätzungen in der Praxis der Finanzverwaltung einen Riegel vorzuschieben.2 Vor allem im Bereich bargeldnaher Wirtschaftstätigkeit drängt auch der Gesetzgeber auf Sicherstellung ord-

1 Vgl. Prinz, DB 2016, 9 sowie ders., StuB 2017, 91; Scheffler, DK 2016, 481; Weber-Grellet, StuW 2016, 226; Hiller/Baschnagel/Eichholz, StuB 2016, 694 sowie kritisch zur Zweistufigkeit der Gewinnermittlung Briese, DStR 2016, 2126. 2 Vgl. dazu BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743; zum Diskussionsstand Prinz, StbJb 2015/2016, 317–322.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

nungsmäßiger (insbes. vollständiger) Einnahmenerfassung. Beispielhaft kann insoweit auf das „Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen“ vom 22.12.2016 verwiesen werden, das etwa eine neue unangekündigte Kassen-Nachschau (§ 146b AO) vorsieht. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollen elektronische Registrierkassen und vergleichbare Geräte künftig über „zertifizierte technische Sicherheitseinrichtungen“ verfügen. Dies soll gleichheitsgerechter Steuererhebung dienen und ist im Grundsatz zu begrüßen. Auch muss sich die Praxis der Konzerne im internationalen Steuergeschäft zunehmend auf ein Benchmarking mittels Datenbanken etwa im Bereich der Verrechnungspreisprüfung einrichten. Dies alles nimmt unmittelbar Einfluss auf steuerrelevante Buchführungsund Bilanzierungspraxis. –

Neue Geschäftsmodelle geben steuerbilanzielle Diskussionsimpulse: Auch wenn zahlreiche Diskurse im Bilanzsteuerrecht immer wieder und mit ähnlichen Argumentationsmustern um ungeklärte Grundsatzfragen – etwa im Bereich der Rückstellungen – kreisen, muss man erkennen, dass geänderte Geschäftskonzepte im modernen Wirtschaftsleben häufig „alte Rechtsfragen“ unter geänderten Gesichtspunkten neu entfachen, ggf. mit fortentwickelten Lösungen. Zu nennen sind etwa Diskussionen um das Realisationsprinzip bei Mehrkomponentengeschäften oder Steuerfragen der Bewertungseinheit. Auch nimmt die Bedeutung immaterieller Vermögenswerte im modernen arbeitsteiligen Wirtschaftsleben stetig zu; deshalb sind Fragen zum Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2 EStG als steuergesetzliche Sonderregelung abweichend zum Aktivierungswahlrecht des § 248 Abs. 2 HGB von steigender Relevanz.3



Europäische und internationale Impulssetzungen im Bilanzsteuerrecht: Die derzeit die internationale Fachwelt dominierende Diskussion um die „BEPS-Gesetzgebung“ mit Korrespondenzregeln, Abzugsbeschränkungen usw. vor allem im Bereich hybrider Konstrukte hat Bedeutung auch im Bilanzsteuerrecht. Fragen der gesetzlichen Verortung von Abzugsbeschränkungen auf der ersten oder zweiten Gewinnermittlungsstufe bedürfen weiterer Analyse. Ein Klassiker des Steuerbilanzrechts – das Subventionswahlrecht des § 6b EStG für die Übertragung bestimmter stiller Reserven – hat mittlerweile aufgrund von Einflüssen aus dem Unionsrecht eine „duale Struktur“ er-

3 Dies soll beispielhaft im Fall 3 zur steuerbilanziellen Behandlung von Entwicklungsaufwendungen im Automobilbereich diskutiert werden.

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langt.4 Auch der Vorschlag der EU-Kommission aus Oktober 2016 zu einer CCTB (Common Corporate Tax Base)-Richtlinie – also ohne eine europaweite Konsolidierung des Gruppeneinkommens – wird entscheidenden Einfluss auf die Bilanzrechtsdiskussion in Deutschland und insbesondere auf die Bedeutung des Maßgeblichkeitsprinzips nehmen. Ob dieser Richtlinienentwurf eines „europäischen Bilanzsteuerrechts“ allerdings jemals in Kraft treten wird, ist derzeit nicht absehbar.

II. Neues Aktivierungswahlrecht für steuerbilanzielle Herstellungskosten (§ 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG) – Fall 1 1. Ausgangspunkt: Streit um die steuerbilanzielle Herstellungskostenuntergrenze seit BilMoG vom 25.5.2009 § 252 Abs. 2 HGB definiert „Herstellungskosten“ für Rechnungslegungszwecke im Kern mit „Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstands, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen.“ Im Einzelnen werden im Handelsbilanzrecht für den Herstellungskostenumfang Pflichtbestandteile, Wahlbestandteile und Verbotsbestandteile unterschieden. Der handelsrechtliche Herstellungskostenbegriff ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung auch für das Ertragsteuerrecht maßgebend. Dies gilt nicht nur für den steuerbilanziellen Betriebsvermögensvergleich, sondern auch für die privaten Überschusseinkunftsarten, insbesondere bei Abschreibungen auf Gebäudeherstellungskosten (§ 9 Abs. 1 Nr. 7 EStG für VuV-Zwecke).5 Dies ist im Ergebnis der Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB vor allem für steuerbilanzielle Bewertungszwecke geschuldet. Sofern allerdings steuergesetzlich kodifizierte Sonderregeln bestehen, gehen diese den allgemeinen handelsrechtlichen Regelungen vor. Dies gilt etwa für anschaffungsnahe Herstellungskosten gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG, die unabhängig von ihrer handelsrechtlichen Einordnung für Besteuerungszwecke zwingend zu aktivieren sind. Konkret betroffen sind Aufwendungen für Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen innerhalb einer Drei-Jahres4 Vgl. zu den Unionsrechtsfragen des § 6b EStG eingehender Prinz, StbJb 2015/2016, 302–308. 5 Vgl. zu den Grundlagen BFH v. 4.7.1990 – GrS 1/89, BStBl. II 1990, 830 Tz. 43.

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Periode nach Gebäudeanschaffung, sofern die Nettokosten (ohne Umsatzsteuer) 15 % der Anschaffungskosten des Gebäudes übersteigen. Es handelt sich um eine typisierende Regelung aus Gründen der Rechtsvereinfachung und -sicherheit.6 Herstellungskostenwahlrecht für allgemeine Verwaltungskosten: Wegen des fehlenden direkten Herstellungsbezugs enthält § 255 Abs. 2 S. 3 HGB ein handelsbilanzielles Einbeziehungswahlrecht in die Herstellungskosten für angemessene Teile der Kosten der allgemeinen Verwaltung, der angemessenen Aufwendungen für soziale Einrichtungen des Betriebs, für freiwillige soziale Leistungen sowie für betriebliche Altersversorgung, soweit sie auf den Herstellungszeitraum entfallen. Mit Einverständnis der Finanzverwaltung erstreckte sich dieses handelsbilanzielle Wahlrecht in der Vergangenheit über viele Jahre (konkret bis zum BilMoG v. 25.5.2009) wegen umgekehrter Maßgeblichkeit unstreitig auch auf das Steuerbilanzrecht (R 6.3 Abs. 4 EStR 2008). Die konkret von diesem Wahlrecht betroffenen Kostenarten wurden in R 6.3 Abs. 3 EStR enumeriert. Zur Durchführung der Wahlrechtsausübung ist ein betriebliches Kostenrechnungssystem erforderlich. Wechselnde Sichtweise der FinVerw.: Seit dem BilMoG vom 25.5.2009 ist dann – für die Fachwelt überraschend – ein Streit um die steuerbilanzielle Herstellungskostenuntergrenze entstanden, wobei unterschiedliche Diskussionsstände zu vermerken sind: –

BMF vom 12.3.2010,7 das „Einführungsschreiben“ der FinVerw. zu den steuerbilanziellen Konsequenzen des BilMoG, forderte entgegen der bisherigen jahrzehntelangen Praxis ein steuerbilanzielles Einbeziehungsgebot für sämtliche Aufwendungen, die ihrer Art nach Herstellungskosten sind. Dazu gehören nach Meinung der FinVerw. auch die in § 255 Abs. 2 S. 3 HGB aufgeführten „Wahlkosten“, auch wenn vom Ansatz dieser Aufwendungen als Teil der Herstellungskosten in der Handelsbilanz abgesehen wurde. Die Finanzverwaltung nimmt in diesem Erlass Bezug auf die BFH-Entscheidung vom 21.10.1993 – IV R 87/92, die sich allerdings nur mit der Einbeziehung angemessener Teile der notwendigen Material- und Fertigungsgemeinkosten in die Herstellungskosten befasst.8 Inhaltlich handelte

6 Vgl. zu einer Urteilsreihe des BFH v. 14.6.2016 – IX R 25/14, IX R 15/15 sowie IX R 22/15, BStBl. II 2016, 992–1003. Zu Erläuterungen vgl. Hoffmann, DStR 2016, 2273 f.; Schießl, StuB 2016, 719. 7 BMF v. 12.3.2010, BStBl. I 2010, 239. 8 BFH v. 21.10.1993 – IV R 87/92, BStBl. II 1994, 176.

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es sich um eine Steuerverschärfung, die hoch streitig im Schrifttum diskutiert wurde.9 –

Kurz nach Erlass dieses Einführungsschreibens wurde durch BMF vom 22.6.201010 eine zeitlich befristete Nichtbeanstandungsregelung für die Wahlrechtsbeibehaltung verfügt. Diese sollte bis zu einer geänderten Richtlinienfassung gelten. Die „Altpraxis“ zum Verzicht auf die steuerbilanzielle Wahlrechtsausübung bei entsprechender handelsbilanzieller Handhabung konnte deshalb – zunächst einmal – weitergeführt werden.



Im nächsten „Wechselschritt“ übernimmt R 6.3 Abs. 1 EStR 2012 das steuerbilanzielle Einbeziehungsgebot in die Verwaltungsrichtlinie, wobei dies aber nur für „Neufälle“ gelten soll, mit deren Herstellung vor Veröffentlichung der EStÄR 2012 im Bundessteuerblatt begonnen wurde. Zeitgleich wurde diese Verwaltungsverfügung durch BMF vom 25.3.201311 ausgesetzt bis zur Verifizierung des damit verbundenen Erfüllungsaufwands, spätestens bis zur Neufassung der EStR.

Gesetzgeberische Neuregelung: Aufgrund dieses „Hin und Her“ der Verwaltungssicht bestand seit dem BilMoG vom 25.5.2009 also eine ungeklärte Rechtslage hinsichtlich der steuerbilanziellen Herstellungskostenuntergrenze. Ungeachtet der „puristischen Rechtssicht“ der FinVerw. zur steuerbilanziellen Einbeziehungspflicht der in § 255 Abs. 2 S. 3 HGB angesprochenen Wahlkosten war eine Beibehaltung des Einbeziehungswahlrechts in der Praxis möglich. Aktuell hat der Gesetzgeber nun in § 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG durch das „Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“ vom 18.7.2016 eine Neuregelung geschaffen, die im Interesse der Rechtssicherheit zu begrüßen ist.

2. Einfügung des § 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG durch das „Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“ vom 18.7.2016 Sachverhalt: Die UP-GmbH betreibt ein Maschinenbauunternehmen, Abschlussstichtag ist der 31.12. des Jahres. Die zum Bilanzstichtag auf Lager befindlichen Kunststoffpressen (= Umlaufvermögen) sollen aus handelsbilanzpolitischen Gründen mit der Herstellungskostenuntergrenze gem. § 255 Abs. 2 S. 2 HGB bewertet werden. Das Einbeziehungs9 Vgl. etwa Kahle, DB 2014, Beil. 4, S. 11 f.; Günkel/Teschke, Ubg 2010, 401; Prinz/Kanzler, NWB Praxishandbuch BilSteuerR, 2. Aufl. 2014, Rz. 364. 10 BMF v. 22.6.2010, BStBl. I 2010, 597. 11 BMF v. 25.3.2013, BStBl. I 2013, 296.

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wahlrecht für allgemeine Verwaltungskosten gem. § 255 Abs. 2 S. 3 HGB soll handelsbilanziell nicht genutzt werden. Es entsteht insoweit gewinnmindernd wirkender, betrieblicher Aufwand. Wie ist die steuerbilanzielle Rechtslage? Lösungshinweise: Der in die steuerbilanziellen Bewertungsvorschriften neu eingefügte § 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG hat folgenden Wortlaut: „Bei der Berechnung der Herstellungskosten brauchen angemessene Teile der Kosten der allgemeinen Verwaltung sowie angemessene Aufwendungen für soziale Einrichtungen des Betriebs, für freiwillige soziale Leistungen und für die betriebliche Altersversorgung im Sinne des § 255 Abs. 2 S. 3 des Handelsgesetzbuchs nicht einbezogen zu werden, soweit diese auf den Zeitraum der Herstellung entfallen. Das Wahlrecht ist bei Gewinnermittlung nach § 5 in Übereinstimmung mit der Handelsbilanz auszuüben.“

Diese steuergesetzliche Neuregelung tritt in Kraft am Tag nach der Verkündung des Verfahrensmodernisierungsgesetzes im Bundesgesetzblatt (= 22. Juli 2016). § 52 Abs. 12 EStG sieht die Möglichkeit rückwirkender Anwendung vor: „§ 6 Abs. 1 Nr. 1b kann auch für Wirtschaftsjahre angewendet werden, die vor dem 23. Juli 2016 enden“. Die Begründung der Neuregelung durch den Gesetzgeber ist recht kurz und knapp. Es soll die langjährige Verwaltungspraxis gem. R 6.3 Abs. 4 EStR 2008 steuergesetzlich umgesetzt werden im Interesse einer erheblichen Vereinfachung und des Bürokratieabbaus wegen des Gleichklangs handels- und steuerbilanzieller Bewertung, die eine allein steuerlich motivierte Nutzung des Bewertungswahlrechts verhindert. Der Übereinstimmungsvorbehalt von Handels- und Steuerbilanz gilt nur für die Gewinnermittlung nach § 5 EStG. Die Einfügung des § 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG in das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens ist erst auf Veranlassung des Finanzausschusses erfolgt. Diskutiert wird, ob bei rückwirkender steuerbilanzieller Anwendung des Wahlrechts zwingend eine Übereinstimmung mit der Handelsbilanz bestehen muss. Klar dürfte aus Verwaltungssicht sein: Die bisherigen Erlasse müssen aufgehoben werden, die EStR sind „bei nächster Gelegenheit“ erneut anzupassen.

3. Stellungnahme zur steuersystematischen Bedeutung Die steuergesetzliche Neuregelung des § 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG, die ungeachtet ihrer „Verortung“ für Anlage- und Umlaufvermögen gleichermaßen gelten sollte, bereinigt eine seit BilMoG vom 25.5.2009 streitige Rechtslage und ist deshalb zu begrüßen. Der Gesetzgeber schreibt die frühere Verwaltungsregelung fest. Meines Erachtens war die Forderung nach 349

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einer steuergesetzlichen Einbeziehungspflicht allgemeiner Verwaltungskosten in die Herstellungskosten durch die FinVerw. wegen des „nur mittelbaren Herstellungsbezugs“ nicht produktionsbezogener Gemeinkosten ohnehin nicht sachgerecht. Zudem erfolgte im BMF-Schreiben vom 12.3.2010 ein „Fehlbezug“ auf die BFH-Entscheidung vom 21.10.1993. Schließlich sollte das BilMoG „steuerneutral“ umgesetzt werden. Zusammenfassend betrachtet war das Eingreifen des Gesetzgebers somit „überfällig“.12 Eine umfassende eigenständige steuerbilanzielle Herstellungskostendefinition fehlt allerdings nach wie vor. § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG zu den Instandsetzungs- und Modernisierungskosten von Gebäuden als anschaffungsnahe Herstellungskosten sowie § 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG zur steuerbilanziellen Herstellungskostenuntergrenze stellen lediglich einzelfallbezogene Detailregelungen dar, die aber sicherlich kein neues steuergesetzliches Maßgeblichkeitsverständnis begründen. Zu einigen Details: –

Gleichgerichtete Wahlrechtsausübung in Handels- und Steuerbilanz erforderlich: § 6 Abs. 1 Nr. 1b S. 2 EStG enthält eine neue steuergesetzliche Ausnahme zum Wahlrechtsvorbehalt des § 5 Abs. 1 EStG. Dies kann als begrenzte Wiedereinführung der Umkehrmaßgeblichkeit (= formelle Maßgeblichkeit) mittels gleichgerichteter Wahlrechtsausübung (ggf. mit neu entstehenden Zielkonflikten) verstanden werden. Latente Steuern entfallen wegen des Wahlrechtsgleichklangs. Eine weiterreichende Koordinatenverschiebung im Steuerbilanzrecht wird durch § 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG meines Erachtens nicht ausgelöst. Ein eigenständig ausübbares steuerbilanzielles Einbeziehungswahlrecht – losgelöst von der Handelsbilanz – wollte der Gesetzgeber offensichtlich nicht einführen.



Stetigkeitsgebot für Wahlrechtsausübung? Im Grundsatz stellt § 255 Abs. 2 S. 3 HGB eine „Bewertungsmethode“ dar, die stetige Anwendung erfordert (§ 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB). Dazu sind nach Maßgabe des § 252 Abs. 2 HGB „begründete Ausnahmefälle“ möglich.13 Dies gilt wegen der Maßgeblichkeit auch für die Steuerbilanz.

12 Vgl. zu ersten Stellungnahmen Velte, StuB 2016, 407 sowie DB Gastkommentar 28/2016 M 5; Meyering/Gröne, DStR 2016, 1691; Ortmann-Babel/Franke, DB 2016, 1521, 1525; Rodermund, Wpg 2016, 818; Schiffers, GmbHR 2016, R 214 f.; Schumann, EStB 2016, 337 und DStZ 2016, 660; Hiller/Eichholz, DStZ 2016, 459; Schmidt/Kulosa, EStG, 36. Aufl. 2017, § 6 Rz. 199. 13 Vgl. zu Details Winkeljohann/Büssow, Beck’scher Bilanzkommentar, 10. Aufl. 2016, § 252 Rz. 55–63.

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Beachtung des Angemessenheitsvorbehalts: Eine wahlweise Einbeziehung von allgemeinen Verwaltungskosten in die Herstellungskosten ist in Handels- und Steuerbilanzrecht übereinstimmend nur insoweit möglich, als die Aufwendungen angemessen sind und auf den Zeitraum der Herstellung entfallen. Dies macht im Einzelfall eine Abstimmung mit dem Abschlussprüfer bei prüfungspflichtigen/freiwillig geprüften Unternehmen erforderlich. Stets sollte eine nachvollziehbare Dokumentation der Schlüsselung erfolgen. Eine Einbeziehung von sog. Leerkosten ist in den Angemessenheitsgrenzen denkbar.



Übergangsfragen: Sofern in der Vergangenheit nach alter Rechtsauffassung der Finanzverwaltung gem. R 6.3 Abs. 3 Abs. 4 EStR 2008 bilanziert wurde, entstehen keine besonderen Übergangsfragen. Dies dürfte in der Praxis der Regelfall sein.14 Falls allgemeine Verwaltungskosten in der Vergangenheit nur steuerbilanziell als Herstellungskosten aktiviert wurden, sollte dies ungeachtet handelsbilanzieller Handhabung aufgrund der damaligen Verwaltungsrechtslage beibehalten werden. Erst ab 2016 ist ein Gleichklang zwischen Handels- und Steuerbilanz insoweit „zwangserforderlich“ mit Ausbuchung evtl. entstandener latenter Steuern.

III. Realisationsprinzip bei Mehrkomponentengeschäften: Der „Gerüstbaufall“ – Fall 2 1. Konturen des Realisationsprinzips (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) Das Realisationsprinzip gem. § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB gilt wegen der Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB unverändert auch im Steuerbilanzrecht. Es besagt: „Gewinne sind nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind.“ Rechtsprechung und herrschende Literaturmeinung nehmen eine Gewinnrealisation im Allgemeinen dann als gegeben an, wenn der Leistungsverpflichtete die von ihm geschuldete Erfüllungshandlung „wirtschaftlich erfüllt“ hat und die Gegenleistung – meist auf Zahlung des Erfüllungsbetrages – ihm „so gut wie sicher“ zusteht.

14 Vgl. etwa Ortmann-Babel/Franke, DB 2016, 1521, 1525.

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In der jüngeren Vergangenheit war es allerdings bei Abschlagszahlungen für Werkleistungen durch BFH vom 14.5.201415 zu Streitigkeiten mit der Finanzverwaltung gekommen. Konkret betroffen von der BFH-Entscheidung waren „eigentlich“ nur Abschlagszahlungen aufgrund einer berufsrechtlichen Gebührenordnung, die entgegen allgemeinen Grundsätzen „vorzeitig“ realisiert werden sollten. Die Finanzverwaltung dehnte dies allerdings durch BMF-Schreiben vom 29.6.2015 auf Werkverträge nach § 632a BGB allgemein aus, hat diese Verwaltungsanweisung dann aber letztlich durch BMF-Schreiben vom 15.3.2016 mit „streitschlichtender Wirkung“ zurückgenommen.16 Steuerbilanzielle Rechtsstreitigkeiten rund um Anwendungsfragen des Realisationsprinzips konnten deshalb in der Praxis zwischenzeitlich weitgehend „ad acta“ gelegt werden.

2. Der Gerüstbaufall des FG Baden-Württemberg vom 3.3.2016 Ungeachtet der „Beruhigung der Verwaltungsrechtslage“ hinsichtlich steuerbilanzieller Realisationsfragen ist deren Bedeutung für sog. Mehrkomponentengeschäfte in Teilen weiterhin unklar. Neue Einsichten in Realisationsdetails vermittelt der sog. Gerüstbaufall, der kürzlich vom FG Baden-Württemberg mit Urteil vom 3.3.2016 bezogen auf die Streitjahre 2006 bis 2008 entschieden wurde.17 Sachverhalt: Die UP-GmbH ist ein Gerüstbauunternehmen. Die Verträge zum Auf- und Abbau sowie zur Gebrauchsüberlassung der Gerüste/ Gerüstteile erfolgen auf Grundlage der VOB/B und C. Sie enthalten differenzierte Abrechnungsregeln, über deren gewinnrealisierende Wirkung Streit mit der FinVerw. entsteht: –

Für Lieferung, Aufbau, Vorhalte während der Grundeinsatzzeit sowie den Abbau bestimmter Gerüste wurden Einheitspreise (nach Flächenoder Längenmaß) vereinbart. Die Grundeinsatzzeiten legte man individuell fest (teils über vier Wochen hinausgehend), förmliche Abnahmen erfolgten weder nach Aufbau noch nach Abbau der Gerüste.

15 BFH v. 14.5.2014 – VIII R 25/11, BStBl. II 2014, 968 betr. Abschläge nach § 8 Abs. 2 HOAI 1995. 16 Zur Diskussion im Detail vgl. Prinz, StBJb 2015/2016, 295, 296–302 sowie DB 2016, 1897. 17 FG Baden-Württemberg v. 3.3.2016 – 3 K 1603/14, EFG 2016, 1071 mit Anm. Baldauf.

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Die Gerüste wurden nach jeweiliger Fertigstellung der Arbeiten vom Auftraggeber abgemeldet und anschließend baldmöglichst von der UP-GmbH abgebaut. Nach Abmeldung des Gerüsts erfolgten keine Mietentgeltabrechnungen mehr.



Die Gebrauchsüberlassungen über die Grundeinsatzzeit hinaus wurden entsprechend Flächen- oder Längenmaß der Gerüste zeitbezogen wöchentlich berechnet.



Konkret wurden nach Gerüstaufbau Abschläge – ggf. auch mehrfach – angefordert, die die anteiligen Auf-, Um- und Abbaukosten sowie die nach Ablauf der Grundeinsatzzeit angefallenen Entgelte beinhalteten. Erst nach Abbau sämtlicher Gerüste wurde eine Schlussrechnung erstellt.

Die UP-GmbH hat die jeweiligen Abschläge als erhaltene Anzahlungen passiviert, die unfertigen Arbeiten wurden nach Maßgabe der anteiligen Herstellungskosten im Vorratsvermögen ausgewiesen. Erst mit Schlussrechnung nach erbrachter Hauptleistung erfolgte der Gewinnausweis. Die Betriebsprüfung dagegen beurteilte die abgeschlossenen Gerüstbauverträge als eine Art Rahmenvertrag mit in sich abgeschlossenen/abgrenzbaren Teilleistungen. Vor allem die mietvertraglichen Leistungselemente sollten vorgezogen gewinnrealisiert werden. Es kommt zum Rechtsstreit. Lösungsweise: Das FG Baden-Württemberg befasst sich in seiner Entscheidung vom 3.3.2016 eingehend mit der Realisierung von Gewinnen bei einem sog. typengemischten Vertrag und gelangt bei einer wirtschaftlichen Wertung des Gerüstbauvertrages letztlich dazu, dass ein einheitlicher Leistungserfolg geschuldet wird und deshalb eine zeitproportionale Gewinnrealisierung ausscheidet. Der Anspruch auf Zahlung eines Abschlags oder Vorschusses ist dagegen für die Realisierung eines (Teil-)Gewinns nicht ausreichend. Zudem judiziert das Gericht: „Wird eine förmliche Abnahme des Abbaus des Gerüstes regelmäßig nicht vereinbart und durchgeführt, ist für den Zeitpunkt der Realisierung des Gewinns auf den Zeitpunkt der vollständigen Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung, d.h. auf die Beendigung des Abbaus des Gerüstes, abzustellen.“

Die UP-GmbH erhält im Streitfall damit Recht. Das FG lässt allerdings die Revision beim BFH wegen grundsätzlicher Bedeutung zu, die zunächst auch unter dem Aktenzeichen I R 26/16 eingelegt wurde. Die Finanzverwaltung hat allerdings ihre Revision gegen das FG-Urteil anschließend zurückgenommen. Daraufhin wurde das Verfahren durch 353

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BFH-Beschluss vom 31.3.2016 – I R 26/16 eingestellt.18 Kernargumente des Finanzgerichts sind: –

Der unselbständige Gerüstbauvertrag enthält einen zivilrechtlichen Typenmix (mietvertragliche/werkvertragliche Elemente), der allerdings nur „in seiner Gesamtheit ein sinnvolles Ganzes“ ergibt.



Auf Basis dieser zivilrechtlichen Vertragsanalyse stellt das FG hinsichtlich des Zeitpunkts der Gewinnrealisierung auf die vollständige Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung ab, die mit der Beendigung des Abbaus des Gerüsts konkret festgelegt wird. Dies gilt auch für über die Grundeinsatzzeit hinausgehende Mietentgelte für Gebrauchsüberlassung. Auch insoweit liegen keine abgrenzbaren, selbständig verwertbaren Teilleistungen vor, die eine zeitproportionale Gewinnrealisierung zulassen.



Ein Mehrkomponentengeschäft mit sich wechselseitig ergänzenden, aber trennbaren Leistungselementen sieht das FG in den selbständigen Gerüstbauverträgen nicht. Bei extrem langen Standzeiten mag die Beurteilung im Einzelfall ggf. abweichend sein. Mit den IFRSGrundlagen von Mehrkomponentengeschäften und den dort zu findenden Realisationsakten befasst sich das FG allerdings nicht im Detail.

3. Besteuerungspraktische Folgerungen Zunächst ist festzuhalten, dass die FG Baden-Württemberg-Entscheidung vom 3.3.2016 trotz Revisionszulassung keine neue Rechtsunsicherheit hinsichtlich der verwaltungsseitigen Behandlung von Abschlagszahlungen hervorrufen wird. Unter diesem „Rechtssicherheitsaspekt“ ist die Rücknahme der bereits eingelegten Revision durch die FinVerw. zu begrüßen, da ansonsten neue Unruhe bei dem bereits bewältigten Realisationsthema der Werkverträge entstanden wäre. Bei Abschlägen auf Basis einer Honorarordnung wird es allerdings bei einer vorgezogenen Realisation aufgrund der BFH-Entscheidung vom 14.5.2014 und ihrer verwaltungsseitigen Akzeptanz bleiben.19 Insoweit ist eine Revision beim BFH unter 18 Zu Details vgl. Prinz, DB 2016, 1897; Otto, BB 2016, 1714; Hoffmann, StuB 2016, 717; Grützner, StuB 2017, 158. 19 Vgl. dazu auch FG Düsseldorf v. 28.1.2016 – 16 K 647/15 F betreffend Vergütungsvorschuss nach § 9 der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung (InsVV). Ergänzend OFD NRW, Verf. v. 15.3.2017, DB 2017, 637: Ruhen des Verfahrens; weiterhin BFH v. 2.8.2016 – VIII R 4/14, BStBl. II 2017, 310 zur

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dem Aktenzeichen IV R 20/16 anhängig. Letztlich kommt es für die Gewinnrealisation bei Vorschüssen/Abschlägen auf die Vertragsgestaltung an. Durch die Vereinbarung von Teilabnahmen wird sich eine Teilgewinnrealisation im Einzelnen sicherlich herstellen lassen. Des Weiteren stellt sich die Frage, welche Ausstrahlung die Entscheidung auf sog. Mehrkomponentengeschäfte nimmt, die Resultat moderner Geschäftskonzepte sind.20 Bei einem solchen Mehrkomponentengeschäft werden verschiedenartige Leistungen gegenüber einer Vertragspartei bei einheitlichem Entgelt wirtschaftlich und vertraglich miteinander verknüpft. Es treten Realisationsfragen, ggf. auch Rückstellungsfragen auf. Klassische Beispiele für Mehrkomponentengeschäfte sind etwa: Nachbetreuungsverpflichtungen eines Hörgeräte-Akustikers, verbilligter Handyverkauf mit längerfristigem Dienstleistungsvertrag. Der vom Institut der Wirtschaftsprüfer gestartete Versuch, die bilanzielle Behandlung von Mehrkomponentengeschäften systematisch zu ordnen, konnte bislang nicht zu einem Abschluss gebracht werden. Nach Meinung des FG Baden-Württemberg ist klar: Nur bei wert- und artmäßiger, objektivierbarer Trennbarkeit einzelner Leistungselemente aus einem Vertragsbündel ist (Teil-)Gewinnrealisierung zulässig. Dem ist zuzustimmen. Das Vorsichtsprinzip erfordert im Zweifel einen Gewinnrealisationsverzicht.21

IV. Steuerbilanzielle Behandlung von Entwicklungskosten: Abgrenzungsfragen bei § 5 Abs. 2 EStG – Fall 3 1. Erworbene und selbst erstellte „immaterielle Wirtschaftsgüter“ mit zunehmender Bilanzrechtsrelevanz In einer modernen, arbeitsteilig ausgestalteten und dadurch intensiv vernetzten Wirtschaft (Stichwort: Industrie 4.0) gewinnen immaterielle Vermögenswerte – wie etwa Patente, Markenrechte, Zulassungen, Konzessionen oder schlichtes „Know-how“ – zunehmend an Bedeutung. Dies gilt für das nationale und internationale Steuerrecht – man denke etwa an die Ausgestaltung von Verrechnungspreisen und Fragen zur Funktionsverlagerung – gleichermaßen. Die steuerliche Förderung von FuE-Aktivitäten wird diskutiert. steuerlichen Behandlung von in einem Verlagsvertrag vereinbarten sog. Vorschusszahlungen. 20 Zu Bilanzierungsfragen bei Mehrkomponentengeschäften vgl. etwa Schuster, Ubg 2013, 312; Herzig/Joisten, Festschrift Krawitz, Wiesbaden 2010, 84. 21 So Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 943.

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Bilanzrechtlich wurden immaterielle Vermögensgegenstände/Wirtschaftsgüter schon vor Jahren zu Recht als „ewige Sorgenkinder“ bezeichnet.22 Klar ist: Erworbene immaterielle Vermögensgegenstände/Wirtschaftsgüter sind im Handels- und im Steuerbilanzrecht gleichermaßen mit ihren Anschaffungskosten zu aktivieren. Bei Erwerbs- und Veräußerungsvorgängen zwischen verbundenen Unternehmen stellen sich ggf. Fremdvergleichsfragen. Es muss eine ordnungsmäßige Wertbestimmung (ggf. in Gestalt einer steuerorientierten „Purchase Price Allocation“) und Dokumentation erfolgen. Dagegen ist vieles ungeklärt bei „eigenerstellten Intangibles“. Seit dem BilMoG vom 25.5.2009 hat sich die handelsbilanzielle Behandlung selbst erstellter immaterieller Vermögensgegenstände verändert. Es besteht gem. § 248 Abs. 2 S. 1 HGB ein eingeschränktes handelsbilanzielles Aktivierungswahlrecht für die insoweit angefallenen Entwicklungskosten – verbunden mit einer Ausschüttungssperre (§ 255 Abs. 2a, § 268 Abs. 8 HGB). In Organschaftsfällen mit Gewinnabführungsverträgen tritt an die Stelle der Ausschüttungs- eine Abführungssperre gem. § 301 AktG. Aufwendungen für die Entwicklung eines immateriellen Vermögensgegenstands müssen dabei von den Forschungsaufwendungen abgrenzbar sein; für Letztere besteht ein Einbeziehungsverbot in die Herstellungskosten. Die „Entwicklung eines immateriellen Vermögensgegenstands“ wird dabei in § 255 Abs. 2a S. 2 HGB umschrieben als „die Anwendung von Forschungsergebnissen oder von anderem Wissen für die Neuentwicklung von Gütern oder Verfahren oder die Weiterentwicklung von Gütern oder Verfahren mittels wesentlicher Änderungen“. Steuerbilanziell gilt dieses eingeschränkte Aktivierungswahlrecht für selbst erstellte immaterielle Werte nicht. Insoweit besteht ein Aktivierungsverbot gem. § 5 Abs. 2 EStG. Falls das immaterielle Wirtschaftsgut allerdings in der außerbetrieblichen Sphäre entstanden ist und vom Steuerpflichtigen in das BV eingelegt wird, greift das Ansatzverbot des § 5 Abs. 2 EStG nicht (R 5.5 Abs. 3 S. 2 EStR). Vor allem in der Automobilindustrie (Hersteller, Zulieferer) kreisen Betriebsprüfungsdiskussionen vermehrt um die Abgrenzung „Erwerb/eigene Herstellung“ von immateriellen Werten bei Auftragsproduktionen. Verwaltungsseitige „Begehrlichkeiten“ werden mitunter wegen der IFRSBilanzierung geweckt, die für Aktivierungsfragen bei Intangibles (insbesondere Entwicklungskosten) entscheidend auf das wahrscheinliche künftige Nutzenpotenzial abstellt (IAS 38.17, 51 ff.). Rechtsprechung und Literatur zu diesen Abgrenzungsfragen ist nur spärlich vorhanden und 22 Vgl. Moxter, BB 1979, 1102.

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konzentriert sich auf die Perspektive der Zulieferer.23 Automobilhersteller und Zulieferer befinden sich unter Umständen hinsichtlich denkbarer Aktivierungsnotwendigkeiten im steuerbilanziellen Interessenwiderstreit.

2. Entwicklungskosten beim Automobilhersteller: Sachverhalt, Lösungshinweise Fragen der steuerbilanziellen Behandlung von Entwicklungskosten sollen im Folgenden aus Sicht eines Automobilherstellers betrachtet werden. Sachverhalt: Die X-AG ist ein Konzernunternehmen im Automotive-Bereich, das verschiedene Fahrzeugtypen entwickelt, herstellt und vertreibt. Bei Entwicklung und Herstellung der Fahrzeuge sind zwei Charakteristika hervorzuheben: –

Zum einen werden im Rahmen der bestehenden/geplanten Fahrzeugpalette zunehmend multiverwendbare Module eingesetzt (etwa für Motoren, Getriebe, Lenkung, Fahrzeugsitze usw.), die mit Modifikationen auch in anderen Konzernbereichen und Fahrzeugtypen Verwendung finden.



Zum anderen wird die Entwicklung und Herstellung einzelner technischer Komponenten für die Fahrzeuge – neben originärer Eigenentwicklung – durch die X-AG in steigendem Umfang an konzernfremde Zulieferunternehmen ausgelagert. Dies dient der kostenmäßigen Optimierung der Wertschöpfungskette. Auf Basis von Werklieferungsverträgen werden dabei Entwicklungsaufträge vergeben, die im Rahmen eines sog. Lastenhefts detaillierte inhaltliche und zeitliche Vorgaben für den Zulieferer (einschließlich entsprechender Milestones) beinhalten. Die Federführung und Koordinierung der Entwicklungsaufträge liegt bei der X-AG, um letztlich ein funktionsfähiges Gesamtfahrzeug erstellen zu können. Bezogen auf den gesamten Entwicklungsaufwand der X-AG liegt die Fremdvergabe an Zulieferunternehmen meist unter 50 %, für einzelne Fahrzeugkomponenten steigt sie allerdings an auf Werte zwischen 70 % und 90 %. Die Ergebnisse der von den Zulieferern durchgeführten Entwicklungsarbeiten stehen nach den getroffenen vertraglichen

23 Vgl. dazu vor allem Ernsting/Fellinger, Ubg 2008, 771; Ernsting, JbFSt 2009/2010, 736; Jochimsen/Zinowsky, Ubg 2016, 520; Prinz/Otto, DStR 2017, 275.

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Vereinbarungen der X-AG zu. Konkrete Serienlieferverträge werden bei erfolgreicher Entwicklung in Aussicht gestellt, aber nicht verbindlich vereinbart (Letter of Intent). Die X-AG behandelt die eigenen und fremden Entwicklungsaufwendungen für fahrzeugspezifische Komponenten bislang als laufende Betriebsausgaben. Über die Behandlung der Entwicklungskostenbezüge beim Zulieferer hat die X-AG keine Kenntnis. Im Rahmen der anstehenden Betriebsprüfung wird diskutiert, ob zumindest Teile der Entwicklungsaufwendungen wegen „entgeltlichen Erwerbs“ zu aktivieren sind (§ 5 Abs. 2 EStG). Ggf. soll ein pauschalierter Ansatz erfolgen. Lösungshinweise: Unabhängig von der Behandlung der entstandenen Entwicklungsaufwendungen nach IFRS/HGB sind steuerbilanziell zunächst die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 EStG zu prüfen. Dies erfolgt in drei Schritten: –

Schritt 1: Zunächst muss ein selbständig bewertbares „immaterielles Wirtschaftsgut“ vorliegen. Insoweit muss eine Abgrenzung hinsichtlich der entstandenen Entwicklungsaufwendungen zu den etwaigen Sonderkosten der Fertigung eines materiellen Wirtschaftsguts vorgenommen werden, was eine zwingende Verknüpfung der Entwicklungsauftragsvergabe an das Zulieferunternehmen mit späteren Serienlieferungen der Fahrzeugkomponenten erfordert. Darüber hinaus müssen insoweit Entwicklungsaufwendungen von auf keinen Fall aktivierungsfähigen Forschungsaufwendungen getrennt werden. Im Ergebnis dürfte klar sein, dass technisches Entwicklungs-Know-how als immaterielles Wirtschaftsgut zu qualifizieren ist.



Schritt 2: Das in Rede stehende immaterielle Wirtschaftsgut muss dem Anlagevermögen zuzuordnen sein, nicht dem Umlaufvermögen. § 247 Abs. 2 HGB definiert Anlagevermögen als „dauernd dem Geschäftsbetrieb zu dienen bestimmt“. Das für konkrete technische Komponenten benötigte Entwicklungswissen dürfte insoweit meist zum Anlagevermögen gehören. Falls das selbst erstellte Entwicklungs-Know-how zum Verkauf bestimmt ist, also dem Umlaufvermögen zugerechnet wird, ist eine steuerbilanzielle Aktivierung zwingend.



Schritt 3: Ein Ansatzgebot gem. § 5 Abs. 2 EStG besteht nur dann, wenn das immaterielle Wirtschaftsgut des Anlagevermögens „entgeltlich erworben“ wurde. Das teleologische Leitmotiv des § 5 Abs. 2 EStG ist deshalb das „Markttesterfordernis“ durch entgeltlichen Er-

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werb, um insoweit auch im Steuerbilanzrecht dem Vorsichtsprinzip Genüge zu tun. Das Markttesterfordernis gilt auch für Konzernunternehmen wegen deren eigenständiger Rechtsträgerschaft (auch bei ertragsteuerlicher Organschaft). Dabei wird dann allerdings besonders die Fremdvergleichsüblichkeit zu prüfen sein. Im Ergebnis müssen insoweit also unterschieden werden: eigener Entwicklungsaufwand, der unmittelbar eine Betriebsausgabe darstellt, für eigene Rechnung „hergestellte“ Entwicklungsergebnisse, für die ebenfalls eine Aktivierung ausgeschlossen ist sowie für derivativ erworbene Entwicklungsergebnisse, die zu aktivieren sind. Herstellereigenschaft der X-AG für fahrzeugspezifisches Know-how: Entscheidender Gesichtspunkt für eine steuerbilanzielle Aktivierung gem. § 5 Abs. 2 EStG ist, ob die X-AG trotz weitreichender Fremdvergabe der Entwicklungsmaßnahmen auf Zulieferer „Hersteller des Knowhows“ bleibt. Dabei ist nach allgemeinen Grundsätzen „Hersteller“ derjenige, der Wirtschaftsgüter auf eigene Rechnung/Gefahr selbst erschafft oder durch einen Dritten schaffen lässt und das Herstellungsgeschehen beherrscht.24 Bezogen auf das entwickelte fahrzeugtechnische Know-how bedeutet Beherrschung des Herstellungsgeschehens, dass die Gesamtverantwortung für die Projektleitung bei der X-AG verbleibt und sie Träger der wirtschaftlichen Folgen ist. Letztlich hängt die Beurteilung der Herstellereigenschaft von den getroffenen vertraglichen Vereinbarungen und der konkreten Abwicklung ab. Typologisch lässt sich mit Rückgriff auf Unterscheidungsmerkmale im Medienfondsbereich wie folgt unterscheiden: –

Echte Auftragsproduktion: Sofern die bilanzrechtliche Analyse der getroffenen vertraglichen Vereinbarungen ergibt, dass der Zulieferer im Wesentlichen komplett verantwortlich für die sachgerechte Entwicklung der Fahrzeugteile im vereinbarten zeitlichen und preislichen Rahmen ist, dürfte ein entgeltlicher Erwerb des entwickelten Know-hows beim Automobilhersteller vorliegen.



Unechte Auftragsproduktion: Sofern die Planung, Gestaltung und Überwachung der Entwicklungsleistungen im Wesentlichen beim Automobilhersteller verbleibt und er die Risiken und Marktchancen der Entwicklung trägt, fehlt es beim Automobilhersteller an einem derivativ erworbenen Entwicklungsergebnis. Der Automobilhersteller bleibt insoweit auch Eigenentwickler. Dies schließt nicht aus,

24 Vgl. BFH v. 5.3.1992 – IV B 178/90, BStBl. II 1992, 725.

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dass die Zulieferer im Rahmen der vertraglichen Absprachen ein funktionsfähiges Produkt schulden und insoweit eigene wirtschaftliche Risiken tragen. Im Ergebnis kann die Frage der Beherrschung des Herstellungsgeschehens im Zusammenhang mit den Entwicklungsaufträgen nur stark einzelfallabhängig beurteilt werden. Sofern der Automobilhersteller detaillierte Entwicklungsvorgaben macht, die sich in ein abgestimmtes Gesamtkonzept mit bereits vorhandenem Know-how einfügen und die Chancen- und Risikotragung im Wesentlichen bei ihm liegt, sollte eine Aktivierung gem. § 5 Abs. 2 EStG ausscheiden.

3. Zur Abgrenzung: Werkzeugkostenzuschuss an Autoteilezulieferer Steuerbilanzielle Sonderfragen im Automobilbereich stellen sich abseits der Entwicklungsaufwendungen mitunter bei der Behandlung von Werkzeugkostenzuschüssen an Zulieferer zur Herstellung kundenspezifischer Werkzeuge. Die BFH-Rechtsprechung musste sich mit derartigen Sachverhaltskonstellationen bereits mehrfach befassen. Hinsichtlich des wirtschaftlichen Eigentums an den Werkzeugen sind dabei zwei Fallgruppen zu unterscheiden, wobei es im Einzelfall auf die konkret getroffenen Vereinbarungen ankommt, die naturgemäß gestaltbar sind: –

Fallgruppe 1 mit Aktivierung beim Automobilhersteller: Sofern die Nutzung der Werkzeuge beim Zulieferer für andere Zwecke als die Herstellung der vom jeweiligen Auftraggeber bestellten Serienteile vertraglich ausgeschlossen ist, liegt das wirtschaftliche Eigentum der Werkzeuge allein beim Automobilhersteller als zuschussgewährender Auftraggeber. Die Zuschüsse sind bei ihm als Herstellungskosten der kundenspezifischen Werkzeuge (üblicherweise im Anlagevermögen) zu aktivieren und entsprechend der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer abzuschreiben. Beim Zulieferunternehmen folgt daraus: Die Werkzeugkostenzuschüsse stellen laufende Erträge dar und sind Entgelt für die Herstellung und Übereignung der Werkzeuge. Nach Meinung des BFH entsteht beim Zulieferer weder ein passiver Rechnungsabgrenzungsposten noch eine Verbindlichkeitsrückstellung wegen Verpflichtung zu verbilligter Lieferung der Serienteile (Zukunftsbezug).25

25 Vgl. BFH v. 28.5.2015 – IV R 3/13, BFH/NV 2015, 1577.

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Fallgruppe 2 mit Aktivierung beim Zulieferer: Sofern die ökonomische Vertragsanalyse ergibt, dass die kundenspezifischen Werkzeuge auch anderweitig vom Zulieferer genutzt werden können, ergibt sich bei ihm eine Herstellungskostenaktivierung im Anlagevermögen mit anschließender Abschreibung. Da die Zuschüsse zu den Herstellungskosten bei der Preisgestaltung für die von ihm mittels dieser Werkzeuge herzustellenden und zu liefernden Produkte preismindernd zu berücksichtigen sind, erfolgt eine Neutralisierung der erfolgswirksamen Zuschüsse durch eine Verbindlichkeitsrückstellung. Diese ist über die voraussichtliche Dauer der Lieferung aufzulösen.26 Beim Automobilhersteller als Zuschussgeber entstehen im Grundsatz Betriebsausgaben; ggf. ist bei ihm ein immaterielles Verwendungsrecht in Höhe der Anschaffungskosten zu aktivieren mit anschließender AfA über die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer der bezuschussten Werkzeuge.

4. Typisierende Abgrenzungskriterien für steuerbilanzielle Behandlung von Entwicklungsaufwendungen Letztlich hängt die Aktivierung von Entwicklungsaufwendungen mittels eines derivativen Erwerbsvorgangs beim Automobilhersteller gem. § 5 Abs. 2 EStG von der vertraglichen Ausgestaltung und Durchführung im Einzelnen ab. Typisierende Abgrenzungskriterien dabei sind: –

Im Ausgangspunkt ist zu prüfen, ob kombinierte oder nicht kombinierte Entwicklungs- und Serienlieferungsverträge bestehen. Ist die Entwicklung mit der späteren Serienlieferung verbindlich verknüpft, erfolgt beim Automobilhersteller eine Aktivierung bei den Herstellungskosten für die materiellen Serienteile. Allerdings ist zu beachten, dass der Letter of Intent in der Regel keine rechtssichere Serienbeauftragung beinhaltet und es insoweit an dem Verknüpfungselement für eine Behandlung als materielles Wirtschaftsgut fehlt.



Sofern der Automobilhersteller hinsichtlich der fremdvergebenen Entwicklungsaufträge über eigenes Know-how verfügt, erscheint die Beherrschung des Herstellungsgeschehens bei der Entwicklung durch ihn eher wahrscheinlich. Ist der Zulieferer dagegen auf einem Knowhow-Gebiet tätig, wo es weitgehend an eigenen Erfahrungen des Auto-

26 Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 87/99, BStBl. II 2002, 655. Vgl. auch Weber-Grellet, FR 2001, 537; Demuth, DStR 2001, 566 f.; Hoffmann, StuB 2013, 877.

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mobilherstellers fehlt, erscheint die Beherrschung des Herstellergeschehens durch ihn eher unwahrscheinlich. –

Intensität und Anteil der Fremdentwicklungsvergabe kann indizielle Hinweise auf eine Aktivierung des Entwicklungs-Know-hows geben, ohne dass insoweit ausdrückliche steuergesetzliche Tatbestandsvorgaben bestehen. Werden 90 % oder mehr der Entwicklungsaufwendungen für einen Auftrag fremdvergeben, erscheint ein derivativer Erwerb durch den Automobilhersteller eher wahrscheinlich.



Die Tragung von Risiken und Chancen der Entwicklung ist ein wichtiger Gesichtspunkt zur Lösung der Aktivierungsfrage. Sofern der Automobilhersteller aufgrund der konkreten Steuerung der Entwicklung und seiner Gesamtleitungsfunktion in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht die wesentlichen Chancen und Risiken trägt, bleibt es bei seiner Herstellereigenschaft hinsichtlich des immateriellen Know-hows. Eine Aktivierung kommt dann nicht in Betracht.

V. Neues zum Investitionsabzugsbetrag (IAB) gem. § 7g EStG – Fall 4 1. Ausgangspunkt zum IAB gem. § 7g EStG Investitionsabzugsbeträge und Sonderabschreibungen zur Förderung kleiner und mittlerer Betriebe gem. § 7g EStG spielen in der einschlägigen Besteuerungspraxis eine nicht unerhebliche Rolle. Der BFH – vor allem der IV., aber auch der I., VIII. und X. Senat – mussten sich in jüngerer Zeit mit einer ganzen Reihe von wichtigen Anwendungsfragen des § 7g EStG befassen. Zudem ist seit dem 1.1.2016 eine geänderte Rechtslage zu beachten. Zweck des § 7g EStG: Es handelt sich um ein Subventionswahlrecht des Steuerpflichtigen bzw. der Personengesellschaft/Gemeinschaft (§ 7g Abs. 7 EStG) zur Verbesserung der Liquidität, Eigenkapitalausstattung, Investitions- und Innovationskraft kleiner und mittlerer Betriebe.27 Deren Größenmerkmale sind definiert in § 7g Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EStG. Der IAB beträgt bis zu 40 % der voraussichtlichen Anschaffungs-/Herstellungskosten und ist außerbilanziell in Abzug zu bringen. Für abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens können nach Durchführung der entsprechenden Investition und bei Beseitigung einer „Doppelbegünstigung“ mittels „Hinzurechnungstechnik“ bestimmte Sonder27 Vgl. Schmidt/Kulosa, EStG, 36. Aufl. 2017, § 7g Rz. 1.

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abschreibungen bilanziell geltend gemacht werden (§ 7g Abs. 5, 6 EStG). Bei fehlender späterer tatsächlicher Investition ist der IAB rückwirkend verzinslich aufzulösen (§ 7g Abs. 3 EStG mit eingeschränkten Gestaltungsmöglichkeiten). Im Grundsatz verstößt § 7g EStG nach allgemeiner Meinung nicht gegen das unionsrechtliche Beihilfeverbot. Allerdings könnte die Inlandsbeschränkung in § 7g Abs. 4 EStG (Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte) diskriminierend wirken; insoweit besteht eine Parallele zu der unionsrechtsbegründeten Umgestaltung des § 6b Abs. 2a EStG im Rahmen des StÄndG 2015 (ausgelöst durch EuGH vom 16.4.2015).28 Gesetzliche Umgestaltung des § 7g EStG: Im Jahreswechsel 2015/2016 hat der Steuergesetzgeber § 7g EStG durch Vereinfachung seiner Anwendungsvoraussetzungen in Teilen umgestaltet. Denkbare § 7g-Missbrauchsfälle nehmen weiter ab. Hinsichtlich der Rechtslage ist daher wie folgt zu unterscheiden: –

Alte Rechtslage 2007–2015: Die frühere sog. Ansparabschreibung wurde durch das UntStRefG 2008 (vom 14.8.2007) in einen IAB umgestaltet. Der Förderhöchstbetrag pro Betrieb beläuft sich seitdem auf 200 000 Euro. Wesentliche Anwendungsvoraussetzungen sind: –

Absicht zur Anschaffung/Herstellung des begünstigten Wirtschaftsgutes in den dem Wirtschaftsjahr des Abzugs folgenden drei Wirtschaftsjahren (Investitionsabsicht);



ausschließlich/fast ausschließlich betriebliche Nutzung des begünstigten Wirtschaftsguts bis zum Ende des dem Wirtschaftsjahr der Anschaffung/Herstellung folgenden Wirtschaftsjahres in einer inländischen Betriebsstätte des Betriebs (betriebliche Nutzung) sowie



Benennung der Funktion der begünstigten Wirtschaftsgüter in den beim Finanzamt einzureichenden Unterlagen zuzüglich Angaben der Höhe der voraussichtlichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten (Funktionsbenennung).

Das vor dem UntStReformG 2008 entwickelte (ungeschriebene) Ausschlusskriterium fehlenden Finanzierungszusammenhangs gilt nach Meinung der jüngeren Rechtsprechung ab 2007 nicht mehr.29 Dessen ungeachtet wurde es von der FinVerw. in der Vergangenheit häufig als Argument zur Versagung einer § 7g-Vergünstigung verwendet. 28 Vgl. zu den Details Prinz, StbJb 2015/2016, 295, 302–308. 29 Vgl. BFH v. 6.4.2016 – X R 15/14, BStBl. II 2017, 298.

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Neue Rechtslage ab 2016: Das StÄndG 2015 vom 2.11.2015 hat den IAB gem. § 7g Abs. 1–4 EStG durch Wegfall des Funktionsbenennungserfordernisses sowie der Investitionsabsicht mit Wirkung ab 1.1.2016 weiter flexibilisiert. Es handelt sich um eine wichtige Vereinfachung zur Inanspruchnahme des IAB, die im Ergebnis eine Art wahlweisen „Fiskalkredit“ darstellt.30 Auch das Zusammenspiel zwischen wahlweisem IAB, tatsächlich getätigter Investition und späterer Sonderabschreibung auf die Investition wurde vom Gesetzgeber „entflochten“ und flexibilisiert (insbes. § 7g Abs. 2, 3 EStG n.F.). Allerdings ist der IAB nunmehr in die amtliche Datenübermittlung durch Datenübertragung einzubeziehen; es handelt sich um eine materielle Abzugsvoraussetzung. Die FinVerw. hat ihre Anwendungsgrundsätze im BMF-Schreiben vom 20.3.2017 niedergelegt.

2. Fortgeltender IAB bei unentgeltlicher Betriebsübertragung: BFH vom 10.3.2016 – IV R 14/12 Sachverhalt: A ist Einzelunternehmer und ermittelt seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG. In seiner Steuererklärung für 01, die er zusammen mit der Bilanz zum 31.12.01 Ende 02 beim zuständigen Finanzamt einreicht, macht er einen IAB gem. § 7g EStG geltend. Die erforderlichen Größenkriterien sind erfüllt. Zum 1.1.02 überträgt A seinen Betrieb unentgeltlich zu Buchwerten gem. § 6 Abs. 3 EStG auf seinen Sohn S. Die FinVerw. will den geltend gemachten IAB unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zum sog. Finanzierungszusammenhang nicht berücksichtigen, weil A aufgrund der Betriebsübertragung die geplante Investition selbst gar nicht mehr tätigen kann. Zu Recht? Lösungshinweise: Der Sachverhalt ist der BFH-Entscheidung vom 10.3.2016 (IV R 14/12) nachgebildet und betrifft § 7g EStG a.F. (Streitjahr 2007).31 Der BFH gibt dem Kläger Recht, verweist allerdings zurück an die Erstinstanz zur Klärung des Tatbestandsmerkmals „Investitionsabsicht des Steuerpflichtigen“ (§ 7g Abs. 1 S. 2 Nr. 2 EStG a.F.). Zur Begründung seines Rechtsergebnisses verwendet der BFH zwei Argumentationsstränge: –

Argumentationsstrang 1: § 6 Abs. 3 EStG durchbricht den Grundsatz der Individualbesteuerung zur Erleichterung der Generationennach-

30 So Wendt, Tagungsunterlage „Steuern und Bilanz“, Februar 2016, München, 68 sowie FR 2016, 1103. 31 BFH v. 10.3.2016 – IV R 14/12, BStBl. II 2016, 763.

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folge und steht dem Förderzweck des § 7g EStG a.F. nicht entgegen, wenn die beabsichtigte Investition vom Rechtsnachfolger durchgeführt wird. Leitsatz 1 des Urteils lautet: „Der Inanspruchnahme eines Investitionsabzugsbetrags steht es nicht entgegen, wenn im Zeitpunkt seiner Geltendmachung feststeht, dass die Investition nicht mehr von dem Steuerpflichtigen selbst, sondern aufgrund einer bereits durchgeführten oder feststehenden unentgeltlichen Betriebsübertragung von dem Betriebsübernehmer vorgenommen werden soll.“

Der IV. Senat des BFH nimmt bei seiner Urteilsbegründung eine Abgrenzung zum Großen Senatsbeschluss vom 14.4.2015 vor32, der eine Ansparabschreibung nach Buchwerteinbringung eines Betriebs in eine Kapitalgesellschaft nach § 20 UmwStG abgelehnt hat. Insoweit liege ungeachtet der Buchwertverknüpfung ein veräußerungs- und tauschähnlicher Vorgang vor. § 6 Abs. 3 EStG bewirke dagegen eine unentgeltliche Betriebsübertragung im Rahmen der Generationennachfolge. Dies qualifiziert der IV. Senat als „entscheidenden Unterschied“ (Rz. 18), der eine unterschiedliche Behandlung im Zusammenhang mit § 7g EStG erfordert. Im Übrigen nimmt der BFH eine Vergleichbarkeit der § 7g-Situation mit einer Steuervergünstigung gem. § 6b EStG nach unentgeltlicher Betriebsübertragung vor. –

Argumentationsstrang 2: Die Inanspruchnahme des § 7g EStG a.F. begrenzend muss allerdings die Investitionsabsicht des Steuerpflichtigen festgestellt werden; eine „Investitionsfiktion“ ist nach Meinung des BFH unzulässig. Leitsatz 2 der Entscheidung lautet: „Voraussetzung dafür ist, dass der Steuerpflichtige bei Fortführung des Betriebs die von ihm benannten Wirtschaftsgüter selbst angeschafft oder hergestellt hätte und er zum maßgeblichen Bilanzstichtag anhand objektiver Kriterien erwarten konnte, dass die Investition nach Übertragung des Betriebs fristgemäß von seinem Rechtsnachfolger zur Nutzung in dem übertragenen Betrieb vorgenommen werden würde.“

Im Falle des § 6 Abs. 3 EStG reicht deshalb ausnahmsweise die „betriebsbezogene Feststellung“ der Investitionsabsicht aus. Geänderte Rechtslage durch § 7g EStG n.F. mit Wirkung ab 1.1.2016? Die BFH-Entscheidung vom 10.3.2016 betrifft einen „Altfall“ zu § 7g EStG. Da mit der Neufassung des § 7g EStG lediglich eine Flexibilisierung des IAB, aber keine Rechtsverschärfung geplant ist, sollte auch zukünftig in § 6 Abs. 3 EStG-Fällen eine IAB-Übertragung auf den Rechtsnachfolger möglich sein. § 7g Abs. 1 S. 1 EStG n.F. verlangt allerdings 32 BFH v. 14.4.2015 – GrS 2/12, BStBl. II 2015, 1007.

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nach seinem Wortlaut die „künftige Anschaffung oder Herstellung“ eines relevanten Wirtschaftsguts durch den Steuerpflichtigen. Durch insoweit einschränkende Auslegung könnte allerdings die gewollte gesetzgeberische Erleichterung konterkariert werden. Dies hat der Gesetzgeber sicher nicht beabsichtigt. Eine künftige Anschaffung oder Herstellung durch den Rechtsnachfolger sollte deshalb ausreichen.33 Weitere wichtige Neuigkeiten zu § 7g EStG: Eine Aufstockung des IAB gem. § 7g EStG innerhalb des dreijährigen Investitionszeitraums bis zum gesetzlichen Höchstbetrag ist unter bestimmten Rahmenbedingungen laut BMF vom 15.1.2016 möglich. Die Finanzverwaltung verfügt insoweit die Anwendung der BFH-Entscheidung vom 12.11.2014, die entgegen Rz. 6 des BMF-Schreibens vom 20.11.2013 ergangen ist.34 Des Weiteren ist auf das neue BFH-Urteil vom 13.7.2016 (VIII R 56/13) zur betriebsbezogenen Auslegung des § 7g EStG bei freiberuflich tätigen Partnerschaftsgesellschaften hinzuweisen.35 Trotz des Betreibens mehrerer Anwaltskanzleien in verschiedenen Städten unterhält die Partnerschaftsgesellschaft letztlich nur einen „Betrieb“, sofern die jeweiligen Kanzleien weder rechtlich selbständig noch im Rahmen der Mitunternehmerschaft einkommensteuerrechtlich gesondert zu betrachten sind.

3. Nachträgliche Kompensation des Mehrergebnisses einer Betriebsprüfung durch einen IAB: BFH vom 23.3.2016 – IV R 9/14 Sachverhalt: Die BC-GbR unterhält einen Kleinbetrieb, ermittelt den Gewinn gem. § 4 Abs. 1 EStG und möchte im Anschluss an eine Betriebsprüfung für die Jahre 01 bis 03 mit Ergebnissen rückwirkend einen IAB für 03 geltend machen. Sie bezieht sich dabei auf eine in 05 getätigte Investition. Die FinVerw. lehnt den nachträglichen IAB ab; wegen der bereits erfolgten Anschaffung in 05 fehle es in 03 am erforderlichen Finanzierungszusammenhang. Die BC-GbR lässt die Frage gerichtlich klären.

33 Vgl. dazu auch BMF v. 20.3.2017, BStBl. I 2017, 423, Rz. 22. Kritisch insoweit allerdings Grützner, StuB 2016, 693. 34 Vgl. BMF v. 15.1.2016 – IV C 6-S 2139 – b/13/10001, BStBl. I 2016, in Übernahme der BFH-Entscheidung v. 12.11.2014, BStBl. II 2016, 38. 35 BFH v. 13.7.2016 – VIII R 56/13, DStR 2016, 2377.

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Lösungshinweise: Der Sachverhalt ist der BFH-Entscheidung vom 23.3.2016 – IV R 9/14 nachgebildet.36 Das klagende Unternehmen bekommt im Ergebnis Recht. Die Sache wird allerdings zur Klärung der Investitionsabsicht zum maßgeblichen Bilanzstichtag an das Finanzgericht zurückverwiesen (Prognoseermittlung). Der Leitsatz der Entscheidung des BFH lautet: „Die Gewährung eines Investitionsabzugsbetrags ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Steuerpflichtige die Begünstigung im Anschluss an eine Außenprüfung zur Kompensation der von dieser ermittelten Gewinnerhöhungen geltend macht (entgegen BMF vom 20.11.2013, BStBl. I 2013, 1493, Rn. 26).“

Folgende Begründungsdetails der Entscheidung sind wichtig: –

§ 7g EStG ist als Antragswahlrecht des Steuerpflichtigen ausgestaltet, das bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft der Steuerfestsetzung erstmalig ausgeübt werden kann.



Eine nachträgliche Kompensation von BP-Gewinnerhöhungen wird auch vom § 7g-Normzweck der Finanzierungserleichterung – ausdrücklich entgegen der Meinung der FinVerw. – getragen. Das grundlegende BMF-Schreiben zu § 7g EStG vom 20.11.2013 muss insoweit geändert werden (nunmehr erfolgt durch Rn. 60 des BMF-Schreibens vom 20.3.2017).



Der IAB wird außerbilanziell erfasst. Die Bilanzberichtigungs und -änderungs-beschränkungen des § 4 Abs. 2 EStG gelten deshalb nicht.



Allerdings muss eine Investitionsabsicht zum Bilanzstichtag bestanden haben und aufgrund äußerer Indizien festzustellen sein (Tatfragen, keine Rechtsfragen). Der Steuerpflichtige trägt insoweit die Feststellungslast; eine tatsächliche spätere Anschaffung/Herstellung kann Beweisanzeichen für die Investitionsabsicht sein.

Dieses vom IV. Senat des BFH gefundene Rechtsergebnis wird auch von den anderen zuständigen BFH-Senaten geteilt. Die Rechtsprechung enthält somit weitestgehend einheitliche Beurteilungsgrundsätze. Zum einen ist dabei die BFH-Entscheidung vom 28.4.2016 – I R 31/15 zu nennen, wonach die nachträgliche Geltendmachung des IAB zur Kompensation eines durch die BP veranlassten Mehrergebnisses ebenfalls zugelassen wird, ohne allerdings abschließend über das Merkmal des sog. Finanzierungszusammenhangs im Rahmen des § 7g EStG a.F. entscheiden zu

36 BFH v. 23.3.2016 – IV R 9/14, BStBl. II 2017, 295 mit Hinweis auf Rz. 60 des BMF-Schreibens v. 20.3.2017, 423.

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wollen.37 Zum anderen ist das BFH-Urteil vom 6.4.2016 – X R 15/14 zu nennen, wonach der Steuerpflichtige die Darlegungs- und Feststellungslast für die tatbestandsmäßig in § 7g Abs. 1 S. 2 EStG a.F. genannte Investitionsabsicht trägt und eine spätere tatsächliche Durchführung der Investition ein Indiz für die vorangehende Investitionsabsicht ist. Im Übrigen spricht sich der X. Senat ausdrücklich dafür aus: Ein Finanzierungszusammenhang ist im Geltungsbereich des § 7g EStG a.F. nicht mehr zu fordern. Er weist dabei ausdrücklich auf eine Abweichung von der früheren (vor dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008) geltenden Rechtslage hin.38 Geänderte Rechtslage durch § 7g EStG n.F. mit Wirkung ab 1.1.2016: Der Nachweis der Investitionsabsicht wird vom Gesetzgeber für solche IAB nicht mehr verlangt, die erstmals für nach dem 31.12.2015 endende Wirtschaftsjahre in Anspruch genommen werden. Bei aus früheren Jahren fortgeführtem IAB gilt dies nicht. Die Inanspruchnahme eines IAB ist deshalb ab 1.1.2016 unter erleichterten Voraussetzungen möglich. In der Gesetzesbegründung zur Änderung des § 7g EStG durch das Steueränderungsgesetz 2015 findet sich allerdings ein Hinweis darauf, dass eine Kompensation von betriebsprüfungsbedingten Mehrergebnissen durch einen IAB auch nach der geänderten Rechtslage nicht möglich sein soll.39 Diese Inanspruchnahmebegrenzung des IAB hat jedoch keinen Eingang in den Gesetzestext genommen und ist deshalb aufgrund der BFH-Rechtsprechung überholt. Weitere wichtige Judikate: Abschließend sind zur § 7g-Thematik zwei weitere wichtige Urteile zu nennen: –

Dies ist zum einen das BFH-Urteil vom 27.4.2016 – X R 16/15, wonach die Rückgängigmachung eines IAB infolge einer Betriebsaufgabe keinen steuerbegünstigten Auflösungsgewinn nach sich zieht.40 Der rückgängig gemachte IAB stellt vielmehr einen laufenden Gewinn des Auflösungsjahrs dar und unterliegt deshalb der Gewerbesteuer. Der

37 BFH v. 28.4.2016 – I R 31/15, BStBl II 2017, 306. Zu der insoweit bestehenden „Rechtsharmonie“ zwischen den verschiedenen BFH-Senaten auch Wendt, FR 2016, 1102 f. 38 BFH v. 6.4.2016 – X R 15/14, BStBl. II 2017, 298. 39 Vgl. BT-Drucks. 18/4902 v. 13.5.2015 zu dem entsprechenden Gesetzesentwurf der Bundesregierung, 42. 40 BFH v. 27.4.2016 – X R 16/15, Volltext bei Otto Schmidt online. Dazu auch Seifert, StuB 2016, 663.

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Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG kommt nicht zur Anwendung. Gleiches gilt für die Tarifvergünstigungen des § 34 EStG. –

Zum anderen ist das BFH-Urteil vom 15.4.2015 – VIII R 29/13 zu nennen. Danach kommt ein IAB nicht zur Anwendung, falls durch Auflösung früherer Ansparabschreibungen nachträglich die Gewinngrenze des § 7g Abs. 1 Nr. 1 EStG a.F. überschritten wird. Das BFH-Urteil betrifft zwar eine Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG, dürfte aber für Fälle des Betriebsvermögensvergleichs (§ 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 EStG) gleichermaßen gelten.41

VI. Rückstellungen: Vergangenheits- versus Zukunftsbezug bei Handwerkskammerbeiträgen – Fall 5 1. „Ewiger Streit“ um Bildung/Bewertung steuerbilanzieller Rückstellungen Die Bildung und Bewertung steuerbilanzieller Rückstellungen mit ihrer Maßgeblichkeitsverknüpfung zu den handelsrechtlichen GoB gehört zu den „ewigen Streitfeldern“ der Besteuerungspraxis.42 Dabei ist festzustellen: Steuerbilanzielle Wertungen lösen sich zunehmend von den GoB-geprägten Handelsbilanzgrundlagen und zwar vor allem durch gesetzgeberische Eingriffe, aber auch durch die Rechtsprechung des BFH. Letztere stellt selbst bei wortgleichen Regelungen in HGB/EStG zunehmend auf das teleologische Leitbild leistungsfähigkeitsentsprechender Steuerbemessung ab. Als Beispiele steuergesetzlicher Partialregelungen im Rückstellungsbereich können etwa genannt werden das Verbot der Drohverlustrückstellung gem. § 5 Abs. 4a EStG mit den Abgrenzungsnotwendigkeiten zu Verbindlichkeitsrückstellungen; die Bewertungsbesonderheiten gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG mit der von der Finanzverwaltung geforderten überlagernden handelsbilanziellen Obergrenze (R 6.11 Abs. 3 EStR 2012) sowie die hochproblematischen Sonderregelungen in § 4f, § 5 Abs. 7 EStG zur entgeltlichen Übertragung steuerlich unterdotierter Rückstellungen. Auch der marktferne Festzins von 6 % zur Bewertung von Pensionsrückstellungen gem. § 6a EStG unterliegt zunehmenden

41 BFH v. 15.4.2015 – VIII R 29/13, DB 2015, 1996. 42 Vgl. aktuell mit zahlreichen Beispielen Hennrichs, StbJb 2015/2016, 255; Prinz, Wpg 2016, 957.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

Verfassungszweifeln.43 Es wäre deshalb an der Zeit, dass der Gesetzgeber – ungeachtet kurzfristiger fiskalpolitischer Erwägungen – für eine verbesserte Systematik im steuerbilanziellen Rückstellungsbereich sorgt. Gestützt auf § 5 Abs. 1 EStG erfordern Verbindlichkeitsrückstellungen im Gleichklang von Handels- und Steuerbilanz –

eine dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewisse zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Außenverpflichtung,



die rechtlich am Bilanzstichtag (wahrscheinlich) besteht oder zumindest in der Vergangenheit wirtschaftlich entstanden ist,



wobei der Schuldner mit deren Inanspruchnahme im Sinne eines „doppelten Wahrscheinlichkeitstests“ ernsthaft rechnen muss (Bestehen der Verbindlichkeit sowie Inanspruchnahme aus Verbindlichkeit), ohne dass



die entstehenden Aufwendungen als künftige Anschaffungs-/Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts zu qualifizieren sind.

2. Rückstellungen für Zusatzbeiträge an die Handwerkskammer: Thüringer FG vom 7.7.2015 Sachverhalt: A ist als Einzelgewerbetreibender Mitglied der Handwerkskammer. Zusammen mit dem Grundbeitrag wird ein Zusatzbeitrag auf Grundlage der Handwerksordnung festgelegt. Beides beruht auf jährlichen Beschlüssen der Vollversammlung der Handwerkskammer und folgt einer langjährigen gleichbleibenden Festsetzungspraxis. Die Zusatzbeiträge für die Jahre 04/05 und 06 knüpfen dabei an die Gewerbeerträge der Jahre 01/02 und 03 an. A bildet für die künftigen Zusatzbeiträge der Jahre 04 bis 06 in seiner Steuerbilanz zum 31.12.03 Rückstellungen, weil er von einer wirtschaftlich im Wesentlichen vor dem Bilanzstichtag entstandenen Außenverpflichtung ausgeht. Die Beitragsbescheide ergehen erst jeweils im betroffenen Beitragsjahr. Die Betriebsprüfung will die von A gebildeten Rückstellungen für künftige Zusatzbeiträge nicht anerkennen und löst sie erfolgserhöhend auf. Der Fall wird gerichtshängig.

43 Vgl. Möhlenbrock/Geberth, StbJb 2015/2016, 275; Prinz/Keller, DB 2016, 1033 sowie Ubg 2016, 309; Hey, FR 2016, 485 sowie Hey/Steffen, ifst-Schrift 511/2016 zu „Steuergesetzliche Zinstypisierungen und Niedrigzinsumfeld“.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

Lösungshinweise: Der Sachverhalt ist der Thüringer FG-Entscheidung vom 7.7.2015 nachgebildet und betrifft das Streitjahr 2009.44 Das Gericht gibt dem Kläger Recht und anerkennt die Rückstellung. Es wurde Revision beim BFH mit dem Aktenzeichen X R 30/15 eingelegt. Der Leitsatz des Thüringer FG-Urteils vom 7.7.2015 lautet: „Eine Rückstellung für Handwerkskammerzusatzbeiträge, die auf bis zum Bilanzstichtag entstandenen Gewinnen beruhen, ist zulässig.“

Das Thüringer FG argumentiert dabei im Wesentlichen wie folgt: –

Handwerkskammerbeiträge stellen Verpflichtungen aus öffentlichem Recht dar, die besonderer Konkretisierung bedürfen.



Das künftige Entstehen der Verpflichtung zur Zahlung der Handwerkskammer-Zusatzbeiträge 04 bis 06 durch A und dessen Inanspruchnahme waren zum 31.12.03 wegen der zu unterstellenden Fortführung der Unternehmenstätigkeit (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) hinreichend wahrscheinlich (in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht).



Die Zusatzbeiträge für die Jahre 04 bis 06 und der damit einhergehende Erlass entsprechender Beitragsbescheide waren zum Bilanzstichtag 31.12.03 wirtschaftlich verursacht.

3. Besteuerungspraktische Konsequenz Im Ergebnis hinterlässt die finanzgerichtliche Entscheidung einen zwiespältigen Eindruck: Der Rückstellungspraktiker freut sich wegen des Steuerminderungseffekts; steuersystematisch überzeugend erscheint das Urteil aber eher nicht. Denn letztlich hängen sowohl Grund- wie auch Zusatzbeiträge zur Handwerkskammer von der konkreten Mitgliedschaft des Unternehmens zur Kammer in künftigen Jahren ab. Insoweit weisen auch die Zusatzbeiträge einen nach dem Bilanzstichtag verorteten Zukunftsbezug auf. Das Going Concern-Prinzip des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB erstreckt sich ausdrücklich nur auf Bewertungsfragen, kann also für den Rückstellungsansatz dem Grunde nach keine Bedeutung ha-

44 Thüringer FG v. 7.7.2015 – 2 K 505/14, EFG 2015, 1513. Zu Einordnungen des Urteils vgl. Prinz, Wpg 2016, 957, 962; Vossel, FR 2016, 779; Rätke, BBK 22/2015, 1026; Strahl, KÖSDI 2016, 19881, 19889; Oser/Wirtz, StuB 2016, 1, 5 f. Zwischenzeitlich hat der BFH durch Urteil v. 5.4.2017 – X R 30/15 erwartungsgemäß entschieden und die Rückstellung für künftige Zusatzbeiträge zur Handelskammer abgelehnt.

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ben. Eine Bestätigung der Thüringen FG-Entscheidung durch den BFH ist meines Erachtens daher eher nicht zu erwarten. Ungeachtet dessen ist zu beachten, dass die Thüringer FG-Entscheidung auch auf andere Formen von Kammerbeiträgen ausstrahlen wird, so dass es sich um ein durchaus über den Einzelfall hinausreichend wirkendes Judikat handelt. Eine Vergleichbarkeit mit dem Themenbereich „Steuerrückstellungen“ besteht meines Erachtens im Kern nicht, da der jeweilige Steueranspruch gem. § 38 AO bereits dann entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Ob dies erst später im Rahmen einer Betriebsprüfung „entdeckt“ wird, spielt für die rechtliche Entstehung der Verpflichtung im betroffenen Altjahr keine Rolle. Auch das Going Concern-Prinzip ist insoweit unerheblich. Deshalb wird man das „Kammerbeitrags-Judikat“ nicht ohne Weiteres auf Steuerrückstellungen anwenden können.

VII. Zum Schluss: Weiteres praxisrelevantes Bilanzierungs-Know-how 1. Gesetzgebung und Verwaltung Aus der bilanzrechtsrelevanten Gesetzgebung ist festzuhalten: Der Handelsgesetzgeber hat der andauernden Niedrigzinsphase zwischenzeitlich durch eine Änderung des § 253 Abs. 2 HGB Rechnung getragen, indem der Rechnungszins von sieben auf zehn Jahre Durchschnittsbildung verlängert wird.45 Für den dadurch entstehenden Gewinnerhöhungseffekt wird eine Ausschüttungssperre postuliert (§ 253 Abs. 6 HGB). Die Neuregelung gilt zwingend für Jahresabschlüsse, deren Geschäftsjahr nach dem 31.12.2015 endet. Für das Geschäftsjahr 2015 besteht ein Bewertungswahlrecht. Aus steuerbilanzieller Sicht sind im Zusammenhang mit dieser handelsrechtlichen Gesetzgebungsmaßnahme zwei Aspekte interessant: Zum einen besteht im Hinblick auf den 6 %igen Diskontierungszinssatz gem. § 6a EStG weiterhin gesetzgeberischer Stillstand, ob45 Die Rechtsänderung ist erfolgt im „Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften“ v. 11.3.2016, BGBl. I 2016, 396. Zu weiteren Details s. Prinz, Wpg 2016, 957. Zur verfassungsrechtlichen Problematik des § 6a EStG vgl. Hey/Steffen, Steuergesetzliche Zinstypisierungen und Niedrigzinsumfeld, ifst-Schrift 511 (2016). Zur Nichtanwendbarkeit der Ausschüttungssperre bei Organschaft vgl. BMF v. 23.12.2016, BStBl. I 2017, 41; kritisch dazu Hageböke/Hennrichs, DB 2017, 18.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

gleich sich die Verfassungszweifel an dieser marktfernen Typisierung deutlich verstärken. Zum anderen ist unklar, ob die neue pensionszusagenbezogene Ausschüttungssperre in § 253 Abs. 6 HGB in ertragsteuerlichen Organschaftsfällen zu einer „Abführungssperre“ mutiert. Dies ist zweifelhaft, da in § 301 AktG ausdrücklich nur auf § 268 Abs. 8 HGB Bezug genommen wird. Die FinVerw. lässt lt. Schreiben vom 23.12.2016 die neue Ausschüttungssperre wortlautgemäß nicht als Abführungssperre im Rahmen einer ertragsteuerlichen Organschaft zu. Ob stattdessen bei der Organgesellschaft eine Rücklage entsprechend „vernünftiger kaufmännischer Beurteilung“ gem. § 14 Abs. 1 Nr. 4 KStG wirtschaftlich begründbar ist, erscheint offen, wird von der FinVerw. allerdings nur in Einzelfällen anerkannt. Aus dem bilanzrechtsrelevanten Finanzverwaltungsbereich ist das neu gefasste BMF-Schreiben vom 2.9.2016 zu „Teilwertabschreibungen wegen voraussichtlich dauernder Wertminderung, Wertaufholungsgebot“ zu nennen, welches das „alte“ BMF-Schreiben vom 16.7.2014 ersetzt.46 Die inhaltlichen Änderungen in der Neufassung des BMF-Schreibens sind überschaubar und betreffen vor allem die inhaltlich gestrafften Aussagen zu „börsennotierten, börsengehandelten und aktienindexbasierten Wertpapieren des Anlagevermögens/Umlaufvermögens“ (Tz. 17–20c), die Nichtanwendung der 5 %-Bagatellgrenze für aktienbezogene Wertpapiere bei Wertaufholungen (Tz. 17, 27) sowie Details der Übergangsbestimmungen (Tz. 38, 40). Schließlich ist neben dem geänderten Teilwerterlass die Verfügung der OFD Nordrhein-Westfalen vom 12.5.2016 zur körperschaftsteuerlichen Behandlung von Genussrechten zu erwähnen.47 Die OFD gelangt dabei zu dem Ergebnis, dass in der Handelsbilanz nach den GoB als Eigenkapital erfasste Genussrechte – dabei bezieht sich die FinVerw. auf die Kriterien der IDW-Stellungnahme HFA 1/1994 – auch in der Steuerbilanz nicht als Verbindlichkeit ausgewiesen werden dürfen. Dies ist steuersystematisch kritisch zu sehen, da § 8 Abs. 3 S. 2 KStG gerade für die Genussrechts-

46 BMF v. 2.9.2016, BStBl. I 2016, 995. Zu Erläuterungen dazu vgl. Prinz, DB 2016, 2142; Förster, DB 2016, 2257; Bolik, NWB 2016, 2840; Schlotter, BB 2016, 2546 sowie Bäuml, StuB 2016, 763. Zum Alterlass eingehend Prinz, StbJb 2014/2015, 365–376. 47 OFD NRW, Verf. v. 12.5.2016, DB 2016, 1407. Kritisch dazu Hennrichs/Schlotter, DB 2016, 2072; Richter, DStR 2016, 2058; Stegemann, DStR 2016, 2151.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

erfassung eine eigenständige Regelung enthält, die unabhängig von der steuerbilanziellen Einordnung auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung ansetzt. Insoweit dürften zukünftig Rechtsstreitigkeiten zu erwarten sein und zwar vor allem im Sanierungsbereich der „debt-mezzanineswaps“.

2. Rechtsprechung Es sollen kursorisch aus der aktuellen BFH-Rechtsprechung ergänzend genannt werden: –

BFH vom 9.3.2016 – X R 46/14 zur seit Jahren immer wieder neu justierten Einordnung der „Bilanzierung von Fremdbauten“.48 Dabei geht es um die Behandlung des eigenen Aufwands des UnternehmerEhegatten für die Errichtung eines betrieblich genutzten Gebäudes auf einem auch dem Nichtunternehmer-Ehegatten gehörenden Grundstück. Wirtschaftliches Eigentum entsteht insoweit beim Unternehmer-Ehegatten nicht. Vielmehr wird beim Unternehmer-Ehegatten für die typisierte Verteilung seines eigenen Aufwands eine Bilanzposition gebildet, die allerdings keine stillen Reserven beinhalten kann. Erfolgt für beide Grundstücksteile eine vorweggenommene Erbfolge, so kann der Dritte nach Meinung des X. Senats den Miteigentumsanteil des Nichtunternehmer-Ehegatten zum Teilwert in seinen Betrieb einlegen und entsprechende AfA vornehmen.



Mit der Passivierung eines Darlehens mit steigenden Zinssätzen befasst sich die praxisrelevante BFH-Entscheidung vom 25.5.2016 – I R 17/15.49 Für derartige Darlehen mit in späteren Jahren steigenden Zinssätzen hält der I. Senat eine Verbindlichkeit oder Rückstellung wegen eines wirtschaftlichen Erfüllungsrückstands für erforderlich. Allerdings ist eine solche Zinsverbindlichkeit grundsätzlich abzuzinsen. Im Zuge der Rückverweisung zur Sachverhaltsaufklärung an die Vorinstanz weist der I. Senat des BFH auf die Prüfung der Fremdvergleichskonformität des Darlehensvertrags (mit Blick auf die progressive Zinsabrede und den Bindungszeitraum) hin. Insoweit ist bei der Ausgestaltung derartiger Verbindlichkeiten besondere Sorgfalt walten zu lassen.

48 BFH v. 9.3.2016 – X R 46/14, GmbHR 2016, 652 mit Anm. Levedag; WeberGrellet, BB 2016, 2220; Kanzler, FR 2016, 907. 49 BFH v. 25.5.2016 – I R 17/15, DStR 2016, 2380.

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Zu etwaigen Gestaltungsmöglichkeiten bei vertraglicher Kaufpreisaufteilung äußert sich der BFH schließlich in seiner Entscheidung vom 16.9.2015 – IV R 12/14.50 Der BFH weist ausdrücklich darauf hin, dass die vertraglich vorgesehene Kaufpreisaufteilung die realen Wertverhältnisse wiederspiegeln muss, was letztlich aber nur vom Finanzgericht als Tatsacheninstanz auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der den Immobilienerwerb betreffenden Einzelumstände geklärt werden kann.

50 BFH v. 16.9.2015 – IV R 12/14, BStBl. II 2016, 397.

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Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am BFH, München Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Das Überschreiben von DBA (Treaty Override) 1. BFH-Verfahren I R 66/09 – der Fall 2. Vorlagebeschluss 3. Beschluss des BVerfG vom 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 4. Verfahrensfortgang 5. Anmerkungen zum Beschluss des BVerfG 6. Treaty Override und zeitlich nachfolgendes DBA a) BFH-Urteil vom 25.5.2016 – I R 64/13, DB 2016, 2036 b) Anmerkungen III. Finale Verluste ausländischer Betriebsstätten und EU-Recht 1. Symmetriethese – EU-Niederlassungsfreiheit 2. EuGH-Urteil Timac Agro vom 17.12.2015 (C-388/14, EU:C:2015:829) 3. Anmerkungen IV. Währungsverluste iZm ausländischen und nach DBA freigestellten Betriebsstätten 1. Ausgangspunkt: BFH-Rechtsprechung, Verwaltung und Literatur

a) BFH vom 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128 b) BFH vom 2.12.2015 – I R 13/14, DStR 2016, 853 c) Finanzverwaltung/Literatur 2. Rechtsprechung des EuGH: Kontinuität oder Wandel? a) Urteil Deutsche Shell vom 28.2.2008 – C-293/06, BStBl. II 2009, 976 b) EuGH-Urteil X vom 10.6.2015 – C-686/13, IStR 2015, 557 3. Folgerechtsprechung: BFH vom 2.12.2015 – I R 13/14, DStR 2016, 853 4. Anmerkungen V. Anrechnung ausländischer Steuern und Höhe der ausländischen Einkünfte – wirtschaftlicher Zusammenhang i.S.v. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG 1. Rechtlicher Rahmen 2. BFH-Urteil vom 6.4.2016 – I R 61/14, BFHE 253, 348, DStR 2016, 1599 a) Sachverhalt b) Aus den Gründen c) Leitsätze 3. Anmerkungen

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I. Einleitung Nachdem die jüngere Rechtsprechung des BFH, soweit sie durch das zu erwartende Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen überschrieben werden soll1, bereits gestern Gegenstand dieser Veranstaltung war, ergeben sich die hier zu besprechenden Entscheidung gewissermaßen von selbst. Wir wollen mit dem sog. Treaty Override beginnen, mit den Judikaten von EuGH und BFH zu sog. finalen Verlusten ausländischer Betriebsstätten fortfahren und hierbei auch die Behandlung von Währungsverlusten ansprechen. Den Abschluss bildet dann ein Blick auf die bisherigen Antworten dazu, nach welchen Regeln in Fällen der Anrechnung ausländischer Steuer auf die deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer die Höhe der ausländischen Einkünfte und damit der Anrechnungsbetrag zu ermitteln sind.

II. Das Überschreiben von DBA (Treaty Override) 1. BFH-Verfahren I R 66/09 – der Fall Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind im Streitjahr 2004 zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger erzielte im Streitjahr als Techniker – und wohl auch als Gesellschafter-Geschäftsführer – Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit bei einer im Inland ansässigen GmbH. Sein Bruttoarbeitslohn betrug insgesamt 133 276 Euro. Laut Arbeitgeberbescheinigung sind darin Einkünfte für in der Republik Türkei (Türkei) erbrachte Tätigkeiten in Höhe von 93 441 Euro enthalten. In ihrer Einkommensteuererklärung beantragten die Kläger, den für die Zeit vom 8. März bis 31. Dezember des Streitjahres auf die Türkei entfallenden Anteil des Arbeitslohns nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 DBA-Türkei 1985 steuerfrei zu belassen und nur den Differenzbetrag der Einkommensteuer zu unterwerfen. 1 Entwurf v. 12.8.2016, BR-Drs. 406/16. Vorgesehen ist u.a. die Änderung (bzw. Ergänzung) von § 50d Abs. 10 EStG (Erweiterung der Switch-over-Klausel), § 1 Abs. 1 AStG (Überschreiben von Art. 9 OECD-MA für Zwecke des Fremdvergleichs; s. dazu auch BR-Drs. 406/16 (Beschluss)) und § 7 sowie § 9 Nr. 3 GewStG (Zuordnung der AStG-Hinzurechnungsbeträge zu den inländischen gewerbesteuerpflichtigen Betriebsstättengewinnen). Nach der Stellungnahme des Bundesrats (BR-Drs. 406/16 (Beschluss) sollen § 50d EStG um einen neuen Absatz 12 ergänzt werden (Qualifikation von Arbeitnehmerabfindungen grundsätzlich als Entgelt für frühere Tätigkeit).

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht

Da der Kläger keinen Nachweis über die Steuerfreiheit oder Steuerentrichtung für den auf die Tätigkeit in der Türkei entfallenden Arbeitslohn erbracht hat, behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) den gesamten im Streitjahr erzielten Bruttoarbeitslohn unter Hinweis auf § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 n.F. als steuerpflichtig. Die Vorschrift (§ 50d Abs. 8 Satz 1 EStG) lautet: „Sind Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, wird die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden“. Die dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos; das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz wies sie mit Urteil vom 30.6.2009 – 6 K 1415/09 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1649) als unbegründet ab.

2. Vorlagebeschluss Der I. Senat hat mit Beschluss vom 10.1.2012 – I R 66/09, BFHE 236, 304 (ergänzt durch weiteren Beschluss vom 10.6.2015 – I R 66/09, BFH/NV 2015, 1250) das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der mit der Regelung des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 verbundenen Abkommensüberschreibung (sog. Treaty Override) vorgelegt.

3. Beschluss des BVerfG vom 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 Das BVerfG hat entgegen der Vorlage des BFH die Verfassungsmäßigkeit des Treaty Override – trotz seines völkerrechtlichen Verstoßes – bejaht und hierzu in den Leitsätzen seines Beschlusses wie folgt formuliert: „2. Aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG folgt, dass völkerrechtlichen Verträgen, soweit sie nicht in den Anwendungsbereich einer anderen, spezielleren Öffnungsklausel – insbesondere Art. 23 bis 25 GG – fallen, innerstaatlich der Rang eines einfachen (Bundes-)Gesetzes zukommt. 3. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schränkt die Geltung des lex-posterior-Grundsatzes für völkerrechtliche Verträge nicht ein. Spätere Gesetzgeber müssen – entsprechend dem durch die Wahl zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes (Anm: al-

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht so entsprechend dem Demokratieprinzip) – innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können. 4. Die Verfassungswidrigkeit völkerrechtswidriger Gesetze lässt sich nicht unter Rückgriff auf den ungeschriebenen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes begründen. Dieser Grundsatz hat zwar Verfassungsrang, beinhaltet jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Normen. 5. Aus dem Rechtsstaatsprinzip kann ein (begrenzter) Vorrang des Völkervertragsrechts vor dem (einfachen) Gesetz oder eine Einschränkung des lex-posteriorGrundsatzes nicht abgeleitet werden“.

4. Verfahrensfortgang Der BFH hat daraufhin das Revisionsverfahren fortgesetzt und mit dem nicht zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 29.6.2016 (I R 66/09) die Klage abgewiesen. Der I. Senat hat hierbei auch betont, dass nach dem vorgenannten Beschluss des BVerfG der auf dem Treaty Override beruhende Besteuerungszugriff auch mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist2; auch dies wurde im Rahmen der Vorlage noch anders gesehen.

5. Anmerkungen zum Beschluss des BVerfG (1) (Weitere Vorlagen) Der I Senat hat bekanntlich zwei weitere auf eine Abkommensüberschreibung zielende Normen dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt. Zum einem im Verfahren I R 86/133 – Pilot einer irischen Fluggesellschaft mit Wohnsitz mit Inland – die Regelung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG (Rückfallklausel bei Nichtbesteuerung im Quellenstaat aufgrund fehlender unbeschränkter Steuerpflicht) und zum anderen im Verfahren I R 4/134 – inländische KG erhält Darlehen von einer in Italien ansässigen natürlichen Person, die zugleich als Mitunternehmer an der KG beteiligt ist – die Bestimmung des § 50d Abs. 10 EStG. Beide Vorlagen betreffen jedoch nicht nur die Abkommensüberschreibung, sondern auch die jeweils angeordnete Rückwirkungen; auch diese stehen mithin auf dem Prüfstand des BVerfG.

2 S. hierzu auch Frotscher, IStR 2016, 561. 3 BFH-Beschluss v. 20.8.2014 – I R 86/13, BFHE 246, 486, BStBl. II 2015, 18. 4 BFH-Beschluss v. 11.12.2013 – I R 4/13, BStBl. II 2014, 791.

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht

(2) (Schrifttum) Der Beschluss des BVerfG (2 BvL 1/12, a.a.O.), der als Schlusspunkt einer intensiven und kontroversen Diskussion5 insbesondere mit Rücksicht seine Ausführungen zum Demokratieprinzip überzeugt, ist auch im Schrifttum auf Zustimmung gestoßen6. (3) (EU-Recht) Vereinzelt wird jedoch die Ansicht vertreten, dass das Treaty Override gegen EU-Recht sowohl im Hinblick auf die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 3 EUV) als auch gegen die Gewährleistung der Grundfreiheiten des AEUV verstoße7. Die Ansicht würdigt nicht hinreichend8, dass der BFH in seinem Vorlagebeschluss I R 66/09 (a.a.O., Rz. 25) die durch ein Treaty Override regelmäßig bewirkte Gleichbehandlung von Inbound- und OutboundAktivitäten unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des EuGH9 als nicht diskriminierend und damit als unionskonform erachtet hat10. (4) (Zukünftige Praxis) Auch mit Rücksicht hierauf wird allerdings naheliegend die Befürchtung geäußert, der Gesetzgeber könne von dem nunmehr rechtssicheren Handlungsspielraum extensiv Gebrauch machen11. Einen ersten Vorgeschmack vermittelt der bereits erwähnte Gesetzentwurf zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen.

5 Musil, FR 2016, 297, 300. 6 Z.B. Mitschke, DStR 2016, 376; Frenz, DVBl 216, 509; Musil, FR 2016, 297; Kußmaul/Schwarz, Ubg 2016, 392; a.A. Stöber, DStR 2016, 1889: BVerfG habe Prinzip der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes zu Unrecht zur bloßen Auslegungshilfe degradiert; Haarmann, BB 2016, 2775: Verstoß gegen Art. 3 GG mit Rücksicht auf abkommensrechtliche Schiedsklauseln. 7 Scherer, IStR 2016, 741; Stöber, DStR 2016, 1889. 8 Vgl. differenzierend zwischen „bisherigem Ansässigkeits- und potentiellem Zuzugsstaat“ – Stöber, DStR 2016, 1889. 9 EuGH, Urteil v. 6.12.2007 – C-298/05, Slg. 2007, I-10451 „Columbus Container Services“ betr. § 20 AStG. Das EuGH-Urteil stellt zugleich klar, dass Verhältnis von originär nationalem Recht und den Rechten i.Z.m. bilateralen Abkommen (z.B. Doppelbesteuerungsabkommen) nicht in den Zuständigkeitsbereich des Gerichtshofs fällt. 10 S. zum Diskussionsstand auch ausführlich und instruktiv Lehner in Vogel/ Lehner, DBA, 6. Aufl., Grundlagen, Rz. 270a. 11 S. – z.B. – die Mahnung von Lehner, IStR 2016, 217, der Gesetzgeber solle sich beim Erlass völkerrechtswidriger Gesetze zurückhalten; den „Willkommensgruß“ von Gosch, DB 15/2016, M5; D. Riedel: Aufruf zur Vertragsuntreue, Handelsblatt v. 23.2.2016, 11.

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6. Treaty Override und zeitlich nachfolgendes DBA a) BFH-Urteil vom 25.5.2016 – I R 64/13, DB 2016, 2036 Leitsatz § 50d Abs. 8 EStG 2002 (i.d.F. des StÄndG 2003) wird durch ein zeitlich nachfolgendes DBA nicht verdrängt. Sachverhalt (gestrafft) Die verheirate Klägerin nahm im Streitjahr (2008) als „Democratization Officer“ in sog. sekundierter Position an einer Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE = Organisation for Security and Co-operation in Europe) in Aserbaidschan teil; dabei war sie in die Organisation der Mission eingegliedert und unterlag ihren Weisungen. Sie erhielt für diese Tätigkeit (mit einem dortigen Aufenthalt von mehr als 183 Tagen) u.a. ein Tagegeld für Unterkunft und Verpflegung („Board and Lodging Allowance“ – BLA –) in Höhe von insgesamt 45 793 Euro (Zahlung direkt von der OSZE auf ihr Konto). Unstreitig war, dass die Klägerin auch im Jahre 2008 sowohl ihren Wohnsitz als auch den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen i.S.v. Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA-Aserbaidschan im Inland hatte. Unstreitig war ferner, dass die Tagegelder aufgrund der Eingliederung der Klägern in die OSZE nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 DBA-Aserbaidschan von der deutschen Einkommensteuer freizustellen waren und in der Republik Aserbaidschan aufgrund des Erreichens der 183-TagesGrenze besteuert werden konnten. Die Tagegelder gehörten auch nicht zu den Vergütungen i.S. des Art. 19 DBA-Aserbaidschan (Öffentlicher Dienst), da der OSZE als verstetigte Staatenkonferenz keine eigene Völkerrechtssubjektivität zukommt. Ferner lag auch kein Programm der wirtschaftlichen Zusammenarbeit i.S. Art. 19 Abs. 4 DBA-Aserbaidschan vor, da die Tagegelder nach den Feststellungen des FG nicht aus Mitteln gezahlt wurden, die ausschließlich von Deutschland bereitgestellt wurden. Unstreitig war schließlich auch, die Klägerin den nach § 50d Abs. 8 EStG für die Freistellung erforderlichen Nachweis der Besteuerung der Tagegelder in Aserbaidschan nicht erbracht hatte. Streitig war mithin allein, ob die Treaty Override-Regelung des § 50d Abs. 8 EStG (subject-to-tax-Klausel)deshalb nicht zum Zuge kommt, weil die Vorschrift durch das Steueränderungsgesetz 2003 vom 15.12.2003 (BGBl. I 2003, 2645; BStBl. I 2003, 710) eingefügt worden ist, das DBAAserbaidschan vom 25.8.2004 (BGBl. II 2005, 1147; BStBl. I 2006, 292), 384

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das ein solche Rückfallklausel nicht kennt, aber erst am 28.12.2005 in Kraft und erst ab 1.1.2006 anzuwenden ist12. Aufgrund dieses zeitlichen Ablaufs hat die Vorinstanz (FG Hamburg13) unter Rückgriff auf den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG sowie die lex-posterior-Regel angenommen, dass § 50d Abs. 8 EStG durch das später wirksam gewordene DBA verdrängt werde. Dem konnte sich der BFH nicht anschließen. Nach seiner Ansicht war auch Streitfall § 50d Abs. 8 EStG mit Folge zu beachten, dass die Tagegelder in der Bundesrepublik der Einkommensteuer unterlagen. Die Klage war demnach abzuweisen. Aus den Gründen „3. Das angefochtene Urteil verletzt … Bundesrecht insoweit, als es der Regelung des § 50d Abs. 8 EStG 2002 n.F. im Streitfall keine die abkommensrechtliche Steuerfreistellung (s. zu 2.) wiederum ausschließende Wirkung beigemessen hat. … a) Zu dem Zweck der Regelung, die sich als sog. subject-to-tax-Klausel auf solche Einkünfte bezieht, die in dem nach Abkommensrecht berechtigten Staat nicht deklariert wurden (s. z.B. Schwarz, Treaty overriding und § 50d EStG, 2016, 262 f.), heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs (BR-Drs. 630/03, 66): „(Es) soll verhindert werden, dass die Einkünfte nicht besteuert werden, weil der Steuerpflichtige die Einkünfte im Tätigkeitsstaat pflichtwidrig nicht erklärt und dieser Staat deshalb häufig seinen Steueranspruch nicht mehr durchsetzen kann, wenn er von dem Sachverhalt erfährt, z.B. weil dann keine Vollstreckungsmöglichkeiten gegen den Steuerpflichtigen mehr bestehen. Der Gesetzgeber ist nicht daran gehindert, die Steuerbefreiung aufgrund DBA von einem solchen Nachweis abhängig zu machen. … Sind die Einkünfte der deutschen Besteuerung unterworfen worden, so ist nach Satz 2 der Steuerbescheid zu ändern, sobald der Steuerpflichtige den in Satz 1 geforderten Nachweis erbringt. Dadurch wird sichergestellt, dass das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaats geschützt ist und die Gefahr einer sonst eintretenden Doppelbesteuerung vermieden wird. Nach Satz 3 ist § 175 Abs. 1 Satz 2 AO entsprechend anzuwenden. Danach beginnt die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Nachweis nach Satz 1 geführt wird. Der Steuerpflichtige hat damit ausreichend Zeit, die dem Abkommen entsprechende steuerliche Behandlung herbeizuführen.“

b) (Vorrang gegenüber DBA). Die durch das Zustimmungsgesetz zum DBA-Aserbaidschan in nationales Recht überführte Regelung des Abkommens (Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Aserbaidschan), die ein

12 Vgl. BGBl. II 2006, 120 sowie Art. 31 Abs. 2 DBA-Aserbaidschan. 13 EFG 2013, 1932.

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solches Nachweiserfordernis für eine Steuerfreistellung nicht vorsieht, hat keinen Vorrang gegenüber § 50d Abs. 8 EStG. aa) Nach dieser Bestimmung wird „die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens“ nur unter bestimmten Bedingungen gewährt. Auf diese Weise hat der Gesetzgeber in eindeutiger Weise zum Ausdruck gebracht, Abkommensrecht zu derogieren. Dabei ist dem FG nicht darin beizupflichten, dass sich dem Wortlaut des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 n.F. nicht eindeutig und zwingend entnehmen lasse, dass dieser Vorrang auch Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) erfassen soll, die nach Erlass des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 n.F. in Kraft getreten sind. Der Wortlaut lässt vielmehr keinerlei Einschränkung in zeitlicher Hinsicht erkennen (gl.A. z.B. Schwarz, a.a.O., 47, 287 f.; Wagner, EFG 2013, 1935, 1936). bb) (Keine Einschränkung mit Rücksicht auf jeweiligen Abkommensinhalt – keine lex-posterior-Regel). Entgegen der Ansicht des FG lässt sich auch aus der Existenz von – dem Inkrafttreten der Regelung des § 50d Abs. 8 EStG 2002 n.F. zeitlich nachfolgenden – DBA, die teilweise (wie im Streitfall) keinen Vorbehalt zur Anwendung der Freistellungsmethode enthalten, teilweise jedoch die Anwendung der Freistellungsmethode von der tatsächlichen Besteuerung im Ausübungsstaat abhängig machen (so beispielsweise Art. 22 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Bulgarien, BGBl. II 2010, 1287, BStBl. I 2011, 544; Art. 22 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Ungarn, BGBl. II 2011, 920, BStBl. II 2012, 156; Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Großbritannien, BGBl. II 2010, 1334, BStBl. I 2011, 470), keine tragfähige Begründung zu einer Einschränkung des Wirkbereichs des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 n.F. ableiten (in der Sache aber z.B. Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 2008, 38 f.; Jochimsen, ISR 2016, 125, 127). Letzteres hieße, dem Normgeber – auf der Grundlage einer Verpflichtung, eine solche Sachfrage vorrangig bilateral zu regeln (zutreffend Hinweis von Cloer/Hagemann, Steuerrecht kurzgefasst 2014, 124) – den Willen zu unterstellen, durch das Zustimmungsgesetz im sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens die bereits vorhandene nationale Regelung mit einer einengenden Voraussetzung für die Steuerfreistellung (teilweise) außer Kraft zu setzen („national law override“ …) und deren Regelungszweck (s. zu § 50d Abs. 8 EStG 2002 n.F. bereits oben: Keine Freistellung der im Tätigkeitsstaat pflichtwidrig nicht erklärten Einkünfte) nur noch nach abweichenden Maßgaben aufrecht zu erhalten (so im Ergebnis wohl Musil, FR 2016, 297, 302; Frenz, DVBl 2016, 509, 511; s.a. Jochimsen, ISR 2016, 125, 128). Da dies aber für die 386

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geltende Abkommenslage im Streitfall nicht ersichtlich ist, kann die Anwendung der allgemeinen Auslegungsregel zum Vorrang des späteren Gesetzes (lex-posterior-Grundsatz) nicht zum Tragen kommen (…). cc) (Einklang mit Verständnis des BVerfG). Eine dieser Rechtsansicht des Senats entsprechende Deutung dürfte auch den (den Senat allerdings insoweit nicht bindenden) Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in seinem Beschluss vom 15.12.2015 – 2 BvL 1/12) zugrunde liegen. In diesem Beschluss hat das BVerfG entschieden, dass dahinstehen könne, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 n.F. eine Abkommensüberschreibung (Treaty Override) darstellt. Jedenfalls verbiete das Grundgesetz eine Überschreibung der dort genannten völkervertraglichen Vereinbarungen durch abweichende nationale Regelungen im Regelfall nicht. Dazu heißt es im Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip als Prüfungsmaßstab (Rz. 88): „Eine Abkommensüberschreibung (Treaty Override) führt zu keiner größeren Rechtsunsicherheit, als sie mit den Grundsätzen der lex posterior und der lex specialis allgemein verbunden ist. Im vorliegendem Fall kommt hinzu, dass der Gesetzgeber in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG seinen Willen zur Abkommensüberschreibung (Treaty Override) eindeutig zum Ausdruck gebracht hat (‚ungeachtet des Abkommens‘), so dass weder mit Blick auf den Rang noch auf die Zeitfolge noch auf die Spezialität der Regelung Zweifel am Vorrang des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG vor inhaltlich abweichenden völkerrechtlichen Vereinbarungen in Doppelbesteuerungsabkommen bestehen. Mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 wollte der (Bundes-)Gesetzgeber vielmehr offensichtlich eine gegenüber Zustimmungsgesetzen zu Doppelbesteuerungsabkommen vorrangige Regelung treffen (vgl. Krumm, AöR 138 [2013], 363 [390]).“

b) Anmerkungen (1) Auch wenn die Aussagen des BVerfG zur Auslegung des einfachen Rechts – sofern sie nicht auf durch die Verfassung geleiteten Erwägungen beruhen – die Gerichte nicht binden, hat der Beschluss des BVerfG vom 15.12.2015 – 2 BvL 1/12 (a.a.O.) die allgemeine Grundsätze zur Lösung von Normkonflikten auf der Stufe des einfachen Rechts zusammengefasst. Eine solche Kollision ist demnach, auch wenn sie tranformiertes Recht (hier: Art. 59 GG i.V.m. völkerrechtlichem Vertrag) betrifft, entweder nach der Zeitfolge oder nach der Spezialität der Regelungen aufzulösen14.

14 BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359, Rz. 50 f., 81.

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(2) Hiervon ausgehend hat sich das Besprechungsurteil dafür entschieden, in dem Treaty Overriding des § 50d Abs. 8 EStG die speziellere Regelung zu sehen, der auch gegenüber später in Kraft getretenen DBA Vorrang zukommt. Dies entspricht nicht nur dem (nicht bindenden; s.o.) Verständnis des BVerfG15. Die Sicht wird auch im Schrifttum zwischenzeitlich geteilt16. (3) Dieses Grundverständnis wird auch auf sonstige abkommensüberschreibende Regelungen jedenfalls dann zu übertragen sein, wenn die jeweilige Norm die Absicht des Abkommensbruchs i.S. der Melford-Klausel („ungeachtet des Abkommens“) unmissverständlich zum Ausdruck bringt17. (4) Anders liegen die Dinge nach dem Besprechungsurteil selbstverständlich dann, wenn dem DBA selbst (z.B. im Rahmen von Protokollvorbehalten) – wiederum unmissverständlich – der Wille zum Domestic-law Override zu entnehmen ist.

III. Finale Verluste ausländischer Betriebsstätten und EU-Recht 1. Symmetriethese – EU-Niederlassungsfreiheit Wird in einem DBA für ausländische Betriebsstätten (im Folgenden: BS) eines im Inland ansässigen Unternehmens die Freistellung vereinbart, erstreckt sich dies nach ständiger Rspr. auch die der ausländischen BS zuzuordnenden Verluste18. D.h.: die Verluste sind allenfalls i.R. des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen (vgl. für Drittstaaten § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 (Aktivitätsklausel) und für EU-/EWR-Staaten § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 Nr. 2 EStG).

15 BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359, Rz. 88. 16 Ausführlich und instruktiv Frotscher, IStR 2016, 561; Kußmaul/Schwartz, Ubg 2016, 392, 396; Brandis, BFH/PR 2016, 343; a.A. (nunmehr) Drüen in Tipke/Kruse, § 2 AO Tz. 6c; Stöber, DStR 2016, 1893. 17 Zum Diskussionsstand s. – z.B. – Lehner, a.a.O., Grundlagen Rz. 194 m.w.N.; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Rz. 307. Weitergehend BFHBeschluss v. 11.12.2013 – I R 4/13, BStBl. II 2014, 791, Rz. 38: „Auch ein verdecktes Treaty overriding ist aufgrund seines Inhalts und seiner Wirkungsweise als solches zu qualifizieren …“. 18 Z.B. BFH-Urteil v. 26.2.2014 – I R 56/12, BFHE 245, 143, BStBl. II 2014, 703 betr. gescheitere Betriebsstättengründung.

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Andererseits erfuhr die Symmetriethese für in den EU-/EWR-Staaten belegene Betriebsstätten nach der Rechtsprechung des EuGH und der hierauf fußenden Einschätzung des BFH dann eine Ausnahme, wenn es sich um sog. finale Verluste handelte. Hierzu hatte der BFH noch mit Urteil vom 5.2.2014 – I R 48/1119 (betr. Verkauf einer verlustträchtigen belgischen Betriebsstätte einer deutschen GmbH) entschieden (LS): „1. Der Senat hält auch für … (das) DBA-Belgien daran fest, dass Deutschland für (laufende und Veräußerungs-)Verluste, die ein in Deutschland ansässiges Unternehmen in seiner in Belgien belegenen Betriebstätte erwirtschaftet, kein Besteuerungsrecht hat (sog. Symmetriethese; ständige Rechtsprechung). 2. Ein Verlustabzug kommt abweichend davon aus Gründen des Unionsrechts nur ausnahmsweise in Betracht, sofern und soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass die Verluste im Quellenstaat – als sog. finale Verluste – steuerlich unter keinen Umständen anderweitig verwertbar sind (Anschluss an die ständige Rechtsprechung des EuGH). Eine derartige „Finalität“ ist gegeben, wenn die Verluste im Quellenstaat aus tatsächlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden können oder ihr Abzug in jenem Staat zwar theoretisch noch möglich, aus tatsächlichen Gründen aber so gut wie ausgeschlossen ist und ein wider Erwarten dennoch erfolgter späterer Abzug im Inland verfahrensrechtlich noch rückwirkend nachvollzogen werden könnte (Bestätigung des Senatsurteils vom 9.6.2010 – I R 107/09, BFHE 230, 35)“.

Ganz anders liest sich nunmehr die jüngste Entscheidung des EuGH (Timac Agro).

2. EuGH-Urteil Timac Agro vom 17.12.2015 (C-388/14, EU:C:2015:829) a) Sachverhalt (stark vereinfacht) Die inländische Timac Agro GmbH unterhielt in Österreich eine BS. Für die VZ ab 1999 stellte sich die Frage, ob ein Verlust der anlässlich der Veräußerung der österreichischen BS an eine Schwestergesellschaft der GmbH anfiel, von der Bemessungsgrundlage der inländischen KSt der GmbH abgezogen werden kann, obgleich nach dem DBA die BS-Ergebnisse aus Österreich in der BRD freigestellt werden (Symmetriethese; s.o.). b) Leitsatz 2 Art. 49 AEUV (Anm: Niederlassungsfreiheit) ist dahin auszulegen, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, die einer gebietsansässigen 19 BFHE 244, 371, DStR 2014, 837.

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Gesellschaft im Fall der Veräußerung einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte an eine gebietsfremde, zum gleichen Konzern wie die veräußernde Gesellschaft gehörende Gesellschaft die Möglichkeit verwehrt, die Verluste der veräußerten Betriebsstätte in die Bemessungsgrundlage der Steuer einzubeziehen, sofern aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die ausschließliche Befugnis zur Besteuerung der Ergebnisse dieser Betriebsstätte dem Mitgliedstaat zusteht (Anm: sog. Freistellungsmethode), in dem sie belegen ist.

3. Anmerkungen (1) Der Kern des Urteil ist in Rz. 64 (i.V.m. Rz. 27) des Urteils nachzulesen: „ Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Situationen ist in Rz. 27 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass sich eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die zur Vermeidung oder Abschwächung einer Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft dienen, grundsätzlich nicht in einer mit der Situation einer gebietsansässigen Betriebsstätte vergleichbaren Situation befindet“.

D.h.: Nimmt man das Urteil beim Wort, geht die abkommensrechtliche Vereinbarung (Freistellung) und deren Verständnis in der Rspr. des BFH (Symmetriethese) in die EU-rechtliche Vergleichbarkeitsprüfung mit der Folge ein, dass bereits tatbestandlich ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit ausscheidet20. Die Frage nach der Rechtfertigung (z.B. gemäß der territorialen Zuordnung der Besteuerungsrechte; keine doppelte Verlustnutzung) würde sich nicht mehr stellen21. (2) (Rechtsprechungsänderung) Diese Sicht ist neu. Sei weicht – wie eingangs angesprochen – von der früheren Rspr. des EuGH (s. z.B. Urteil Lidl Belgium) und der Entscheidungspraxis des I. Senats ab. Ob die neue Sicht konsolidiert ist, wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt22. 20 Ähnlich hat der EuGH im Urteil vom 30.6.2016 – C-176/15 – Riskin und Timmermans, IStR 2016, 732 ausgeführt, dass die Vorteile eines DBA (Anrechnung von Quellensteuer bei Dividendenbezieher) einen integralen Bestandteil der Bestimmungen des (jeweiligen) Abkommens bildet und zur allgemeinen Ausgewogenheit der Beziehungen zwischen den beiden Vertragsstaaten beiträgt“. 21 Henze, ISR 2016, 397, 399 f. 22 Bejahend – z.B. – Doralt, Référendaire beim EuGH, ISR 2016, 173, 174; Müller, ISR 2016, 54; Benecke, IStR 2016, 83; Stöber, DStZ 2016, 582; ebenso wohl

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(3) Die EU-Kommission hat am 17.6.2015 unter dem Aktionsschwerpunkt 3.1 folgenden Richtlinienvorschlag in Aussicht gestellt23: „3.1. Verlustabzug innerhalb der EU Bis zur vollständigen Konsolidierung der gemeinsamen Bemessungsgrundlage sollten Unternehmensgruppen die in einem Mitgliedstaat entstandenen Verluste mit den in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Gewinnen verrechnen können. Die Kommission beabsichtigt, einen entsprechenden Vorschlag vorzulegen. Damit wäre ein größeres Steuerhemmnis für Unternehmen im Binnenmarkt beseitigt. Unternehmen hätten bis auf weiteres die Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Verlustausgleichs, so dass nur der Reingewinn in der EU besteuert würde. Damit die in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Verluste nicht zulasten des Besteuerungsstaats gehen, sollen diese Verluste nachbesteuert werden, sobald die Unternehmensgruppe schwarze Zahlen schreibt. Die Kommission plant, in ihren geänderten GKKB-Vorschlag ein entsprechendes Verfahren aufzunehmen“. Der Europäische Wirtschats- und Sozialausschusses hat sich hierzu dahin geäußert, dass ein solches Verlustausgleichssystem „nicht unangemessen in das Recht der Mitgliedstaaten auf Besteuerung Gewinne eingreifen sollte, die durch Wirtschaftstätigkeiten auf ihrem Gebiet erzielt werden“24.

(4) (Weitere Verfahren) Beim I. Senat des BFH ist u.a. das Verfahren I R 18/16 anhängig. Rechtsfrage (s. juris-Veröffentlichung): „Sind finale Verluste einer Betriebsstätte, die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen von der Besteuerung in Deutschland freizustellen sind und im Quellenstaat nicht mehr verwertet werden können, nach dem EuGH-Urteil Timac Agro vom 17. Dezember 2015 (C-388/14, EU:C:2015:829) nicht mehr aufgrund der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit abzugsfähig?“

(5) (Anrechnungsmethode) Die Vergleichbarkeit dürfte jedoch auch nach der Entscheidung des Timac Agro zu bejahen sein, wenn die ausländischen BS-Ergebnisse nicht von der deutschen Ertragsteuer freigestellt sind, sondern die sog. Anrechnungsmethode vereinbart wird. Vgl. hierzu auch EuGH-Urteil Nordea Bank Danmark, C-48/13, EU:C:2014:2087. Die einschlägige Rz. 24 lautet:

Schiefer, IStR 2016, 81: Ernüchterung; EuGH-Rspr. nicht konsistent; a.A. – mutmaßlich – Eisendle, ISR 2016, 37; Schnitger, IStR 2016, 72: erneute Vorlage; EuGH habe Progressionsvorbehalt nicht beachtet; Pohl/Burwitz, FR 2016, 561. 23 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Eine faire und effiziente Unternehmensbesteuerung in der Europäischen Union – Fünf Aktionsschwerpunkte (COM(2015) 302 final). 24 ABl. EU 2016, Nr. C 71/42, zu Tz. 1.5. und 3.6.

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht „Zur Vergleichbarkeit der Situationen ist festzustellen, dass in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die der Vermeidung oder Abschwächung der Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft dienen, sich Betriebsstätten, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem anderen Staat des EWR-Abkommens belegen sind, grundsätzlich nicht in einer Situation befinden, die mit der Situation gebietsansässiger Betriebsstätten vergleichbar wäre. Jedoch hat das Königreich Dänemark dadurch, dass es die Gewinne der in Finnland, Schweden und Norwegen belegenen Betriebsstätten der dänischen Besteuerung unterworfen hat, diese Betriebsstätten den gebietsansässigen Betriebsstätten im Hinblick auf den Verlustabzug gleichgestellt …“

IV. Währungsverluste iZm ausländischen und nach DBA freigestellten Betriebsstätten 1. Ausgangspunkt: BFH-Rechtsprechung, Verwaltung und Literatur a) BFH vom 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128 Der Senat hatte mit dieser Leitentscheidung im Hinblick auf die territoriale Zuordnung von Währungsverlusten i.Z.m. einer ausländischen Betriebsstätte erkannt (LS 5): „Der nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts ermittelte Gewinn einer ausländischen Betriebsstätte beinhaltet auch die wechselkursbedingten Wertverluste oder Wertsteigerungen. Die Umrechnung ist Bestandteil der Gewinnermittlung der Betriebsstätte. Dies bedingt, daß der Wechselkurs eine Änderung der Zeitwerte der zu bewertenden Wirtschaftsgüter und Geschäftsvorfälle bewirken kann. Solche Wertänderungen beeinflussen dann ihrerseits die Höhe der Betriebsstätteneinkünfte, für die der Bundesrepublik das Besteuerungsrecht nach den DBA entzogen ist. Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Welteinkommensprinzip noch aus der aus dem Grundsatz des „dealing-at-arm’s length“ abgeleiteten fiktiven Selbständigkeit der ausländischen Betriebsstätte“.

Der BFH hat hierbei gesehen, dass der Währungsverlust in der Gewinnermittlung des Quellenstaates nicht in Erscheinung tritt und deshalb dort auch nicht besteuert werden kann. Dazu Rz. 23 des Urteils: „Ohne Bedeutung ist schließlich, daß der ausländische Staat, aus dem die Einkünfte stammen, die betreffenden Währungsverluste regelmäßig nicht berücksichtigen wird, weil sie dort nicht in Erscheinung treten (so aber …). Zwar ist einzuräumen, daß Sinn und Zweck der bilateralen Doppelbesteuerung, nämlich die Vermeidung der doppelten Besteuerung, sich hierdurch in Einzelfällen in ihr Gegenteil verkehren können. Die Währungsverluste können gerade als (mittelbare) Folge der Freistellung ausländischer Betriebsstätten in ein steuerliches „Niemandsland“ fallen (so Hofmann, ebd., S. 883; Uhrmann, DB 1990, 2037, 2040), während sie sich in jenen Fällen, in denen zwischen Stammhaus- und Betriebs-

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht stättenstaat kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht, im dann zu erfassenden Welteinkommen des Stammhauses niederschlagen werden“.

Und weiter zu Rz. 24: „Dieses von der Klägerin monierte und im Ergebnis möglicherweise unbefriedigende Ergebnis ist jedoch hinzunehmen. Die Freistellung in dem einen Vertragsstaat ist grundsätzlich nicht davon abhängig, ob im anderen Vertragsstaat eine tatsächliche Besteuerung erfolgt oder nicht (…). Unterbleibt eine solche Besteuerung, so kommt dies dem Steuerpflichtigen bei positiven Einkünften zugute. Bei negativen Einkünften schlägt sie für ihn faktisch in einen Nachteil um, ohne daß hierdurch jedoch – wie die Revision annimmt – in rechtlicher Weise Steueransprüche begründet würden. In dieser dem Steuerpflichtigen günstigen wie nachteiligen Wechselwirkung liegt zugleich der Unterschied zu Sachverhalten, bei denen sich die grundsätzliche Frage stellt, ob die Geltung des Doppelbesteuerungsabkommens die Erweiterung des innerstaatlichen Steueranspruchs nach sich ziehen kann (…). Im Übrigen kann sich ein etwaiger Betriebsstättenverlust durchaus auch steuerlich auswirken, entweder – wie auch bei der Klägerin – im Rahmen des § 2 AIG oder – wenn auch in Ermangelung einer § 32b EStG vergleichbaren Tarifbestimmung nicht im Anwendungsbereich des Körperschaftsteuergesetzes – im Rahmen der Berücksichtigung des negativen Progressionsvorbehalts gemäß § 2a Abs. 3 EStG“. Diese Sicht wurde auch im jüngsten Urteil des BFH zu diesem Problembereich ausdrücklich bestätigt. b) BFH vom 2.12.2015 – I R 13/14, DStR 2016, 853 Sachverhalt (vereinfacht): Die US-amerikanischen Unter-PersGes (X-LP) wurde liquidiert mit der Folge eines Währungsverlusts aus der Rückzahlung der Einlagen an die inländische Gesellschafterin (KG = Oberpersonengesellschaft). Aus den Gründen: „(Rz. 21) Wie der Senat im Zusammenhang mit der Rückzahlung von Dotationskapital einer ausländischen Betriebsstätte im Einzelnen dargelegt hat, ist ein hierbei anfallender Währungsverlust der ausländischen und nach dem einschlägigen DBA „freigestellten“ Betriebsstätte zuzuordnen (…). Ebenso ist für Währungsverluste aus der Rückzahlung von Einlagen im Zusammenhang mit der Aufgabe des Betriebs einer ausländischen Unterpersonengesellschaft zu entscheiden; auch diese Vermögensminderung ist kausal und veranlassungsbezogen mit der mitunternehmerschaftlichen Beteiligung an der Unterpersonengesellschaft (hier: X-LP) verknüpft“.

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c) Finanzverwaltung/Literatur Nicht überraschen kann, dass die Verwaltung diesem Ausgangspunkt zustimmt, während Teile des Schrifttum seit jeher Kritik üben25.

2. Rechtsprechung des EuGH: Kontinuität oder Wandel? a) Urteil Deutsche Shell vom 28.2.2008 – C-293/06, BStBl. II 2009, 976 Der EuGH hat in der Nichtberücksichtigung eines Währungsverlusts i.Z.m. der Rückzahlung des Dotationskapitals einer abkommensrechtlich freigestellten (italienischen) Betriebsstätte einen Verstoß gegen die gegen Niederlassungsfreiheit (heute: Art. 49 AEUV) gesehen und dies wie folgt begründet (Rz. 44): „Bezüglich des Ausgangsverfahrens ist darauf hinzuweisen, dass der fragliche Steuernachteil einen besonderen im Geschäftsgang aufgetretenen Umstand betrifft, den nur die deutschen Steuerbehörden berücksichtigen können. Zwar hat jeder Mitgliedstaat, der ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung geschlossen hat, dieses durch Anwendung seines eigenen Steuerrechts durchzuführen und dementsprechend die Einkünfte zu bestimmen, die einer Betriebsstätte zuzuordnen sind, doch darf er Währungsverluste, die der Betriebsstätte naturgemäß nie entstehen können, nicht von der Besteuerungsgrundlage für das Stammhaus ausnehmen“.

Die Finanzverwaltung hat hierzu im BMF-Schreiben vom 23.11.200926 erläutert, dass die Urteilsgrundsätze nur für Währungsverluste i.Z.m. der Einstellung der Tätigkeit einer Betriebsstätte im EU/EWR-Bereich greifen. b) EuGH-Urteil X vom 10.6.2015 – C-686/13, IStR 2015, 557 Zum Währungsverlust aufgrund der (geplanter) Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen eines schwedischen Unternehmens an einer britischen Tochter-Kapitalgesellschaft führte der EuGH aus, dass in der Nichtberücksichtigung dieses Verlusts kein Verstoß gegen EU-Grundfreiheiten zu sehen sei. Da das schwedische Steuerrecht Gewinne und Verluste aus Anteilsverkäufen gleichermaßen nicht berücksichtigte, hat der EuGH es nicht beanstandet, dass hiervon auch die streitigen Währungsverluste erfasst werden.

25 S. insbesondere Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2013, Art. 7 (2008) Rz. 179 ff., 182 f. 26 BStBl. I 2009, 1332.

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Aus den Gründen: „(Rz. 30 ff.) Aufgrund der symmetrischen Behandlung von Gewinnen und Verlusten – ungeachtet dessen, ob Beteiligung an ausländischer oder inländischer KapGes – keine Benachteiligung (ungünstigere Behandlung) durch Nichtberücksichtigung von Währungsverlusten. Die GrFr (Hier NlFR) begründet keine Verpflichtung zur Anpassung der Steuersysteme. (Rz. 36 ff.: kein Widerspruch zu Deutsche Shell) In jenem Urteil hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der bei der Festsetzung der nationalen Besteuerungsgrundlage die Berücksichtigung eines Wechselkursverlusts eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmens aus der Rückführung des Dotationskapitals, das es seiner in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte gewährt hatte, ausgeschlossen ist. (Rz. 38–41) (Allgemeine Regel des nationalen Rechts) Zu dieser Schlussfolgerung ist der Gerichtshof allerdings in einem anderen rechtlichen Zusammenhang gelangt als dem, der sich aus der Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung ergibt. Die in der Rechtssache, in der das Urteil Deutsche Shell (C-293/06, EU:C:2008:129) ergangen ist, in Rede stehende nationale Regelung sah nämlich, worauf das vorlegende Gericht hingewiesen hat, als allgemeine Regel vor, dass Wechselkursgewinne besteuert wurden und spiegelbildlich Wechselkursverluste abzugsfähig waren, es sei denn, dass durch ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung eine andere Regelung getroffen wurde. Dies ist im Ausgangsverfahren jedoch nicht der Fall, da … die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden schwedischen steuerrechtlichen Vorschriften im Hinblick auf Ergebnisse von „Geschäftszwecken dienende Anteile“ betreffenden Kapitalumsätzen, für die das Königreich Schweden entschieden hat, seine steuerliche Zuständigkeit im Allgemeinen nicht auszuüben, grundsätzlich neutral ist. Unter diesen Umständen kann aus den Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit nicht abgeleitet werden, dass dieser Mitgliedstaat – im Übrigen asymmetrisch – verpflichtet wäre, seine steuerliche Zuständigkeit auszuüben, um die Abzugsfähigkeit von Verlusten aus Umsätzen zuzulassen, deren Ergebnisse, wären sie positiv, jedenfalls nicht besteuert würden. Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er steuerrechtlichen Vorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die grundsätzlich Gewinne aus Geschäftszwecken dienenden Anteilen von der Körperschaftsteuer befreien und dementsprechend den Abzug von Verlusten aus solchen Anteilen selbst dann ausschließen, wenn sich diese Verluste aus Wechselkursverlusten ergeben“.

3. Folgerechtsprechung: BFH vom 2.12.2015 – I R 13/14, DStR 2016, 853 Es handelt sich um den bereits erwähnten Fall der Liquidation einer USamerikanischen PersGes (X-LP) und die Frage danach, ob der anlässlich 395

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der Rückzahlung der Einlagen an die inländische Gesellschafterin (KG) erlittene Währungsverlust den Gewerbetrag27 der inländischen KG mindert. Letzteres hat der BFH mit folgenden Erwägungen28 verneint (Rz. 20 ff. der Gründe): „(GewStG) Weil auch in doppelstöckigen Strukturen die jeweilige Personengesellschaft (Ober- und Unterpersonengesellschaft) nach § 5 Abs. 1 Satz 3 des Gewerbesteuergesetzes 2002 (GewStG 2002) selbst Schuldnerin der Gewerbesteuer ist, wenn sie wie vorliegend einen Gewerbebetrieb unterhält. Hierauf aufbauend ordnet § 8 Nr. 8 GewStG 2002 an, dass Anteile am Verlust einer in- oder ausländischen offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft oder einer anderen Gesellschaft, bei der die Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) des Gewerbebetriebs anzusehen sind, dem Gewinn aus Gewerbebetrieb wieder hinzugerechnet werden, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt worden sind; spiegelbildlich hierzu sieht § 9 Nr. 2 GewStG 2002 eine Kürzung des Gewerbeertrags vor, soweit dieser um mitunternehmerschaftliche Gewinnanteile an einer in- oder ausländischen Gesellschaft (Mitunternehmerschaft) erhöht worden ist (vgl. hierzu – einschl. der Rechtsentwicklung – Blümich/Gosch, § 9 GewStG Rz. 132). (Rz. 21) Da die Verlusthinzurechnung nach § 8 Nr. 8 GewStG 2002 unabhängig davon zu beachten ist, ob das Beteiligungsunternehmen (hier: 27 Die Frage, ob der Währungsverlust auch in den einheitlich und gesondert festzustellenden Gewinn der Gesellschafter der KG eingeht, war zwar gleichfalls Gegenstand des Klage- und Revisionsverfahrens (vgl. ausführlich Brandis, BFH/PR 2016, 226). Da die KG (Obergesellschaft) es aber versäumt hatte, den Feststellungsbescheid der Unterpersonengesellschaft (X-LP) anzufechten, musste die Klage bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen scheitern. LS 1: „Sind die aus der Beteiligung an einer Unterpersonengesellschaft erzielten und nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung befreiten ausländischen (hier: US-amerikanischen) Einkünfte gemäß § 180 Abs. 5 Nr. 1 AO festzustellen, so ist in diesem Verfahren auch darüber zu entscheiden, ob ein Währungsverlust im Zusammenhang mit der Liquidation der Unterpersonengesellschaft (hier: Rückzahlung von Einlagen) bei der Besteuerung der Gesellschafter der Oberpersonengesellschaft zu berücksichtigen ist.“ 28 Dabei hatte der Senat weder darauf einzugehen, ob die Klägerin sich im Hinblick auf ihre Beteiligung an der US-amerikanischen X-LP im Umfang von 24,29335 % auf die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit hätte berufen können (vgl. dazu Urteil v. 29.11.2006 – I R 16/05, BFHE 216, 144; jüngst Gosch/Schönfeld, IStR 2015, 755, m.w.N.). Auch war nicht darauf einzugehen, welche Folgerungen sich aus dem strukturellen Inlandsbezug der Gewerbesteuer ergeben (s. dazu z.B. Urteil v. 11.3.2015 – I R 10/14, BFHE 249, 241, BStBl. II 2015, 1049; v. 17.9.2014 – I R 30/13, BFHE 247, 260).

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Unterpersonengesellschaft) der Gewerbesteuer unterliegt (BFH-Urteil v. 23.10.1986 – IV R 319/84, BFHE 148, 67, BStBl. II 1987, 64), und zudem auch Verluste aus der Beteiligungsveräußerung erfasst (Senatsbeschluss v. 24.11.1983 – I B 84/82, nicht veröffentlicht; Blümich/Hofmeister, § 8 GewStG Rz. 652), kann für den im anhängigen Verfahren zu beurteilenden Aufgabeverlust der Klägerin (Oberpersonengesellschaft) aus ihrer Beteiligung an der X-LP (Unterpersonengesellschaft) nichts anderes gelten. Auch dieser ist damit – ebenso wie ein Aufgabegewinn – strukturell von dem für die Oberpersonengesellschaft festzusetzenden Gewerbesteuermessbetrag zu sondern. Wie der Senat im Zusammenhang mit der Rückzahlung von Dotationskapital einer ausländischen Betriebsstätte im Einzelnen dargelegt hat, ist ein hierbei anfallender Währungsverlust der ausländischen und nach dem einschlägigen DBA „freigestellten“ Betriebsstätte zuzuordnen (Senatsurteil in BFHE 180, 286, BStBl. II 1997, 128; in BFHE 180, 576, BStBl. II 1996, 588). Ebenso ist für Währungsverluste aus der Rückzahlung von Einlagen im Zusammenhang mit der Aufgabe des Betriebs einer ausländischen Unterpersonengesellschaft zu entscheiden; auch diese Vermögensminderung ist kausal und veranlassungsbezogen mit der mitunternehmerschaftlichen Beteiligung an der Unterpersonengesellschaft (hier: X-LP) verknüpft. (Rz. 22: Einklang mit EU-Recht) Entgegen der Ansicht der Klägerin gibt das Urteil des EuGH Deutsche Shell (EU:C:2008:129, BStBl. II 2009, 976) keine Veranlassung, die aus § 8 Nr. 8 GewStG 2002 abzuleitende Zuordnung des Währungsverlustes zu der Beteiligung an der X-LP in Frage zu stellen (vgl. zum allgemeinen Diskussionsstand Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 7 [2008] Rz. 183). (Rz. 23) Zwar hat der EuGH in diesem Urteil erkannt, dass die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der bei der Festsetzung der nationalen Besteuerungsgrundlage die Berücksichtigung eines Wechselkursverlusts eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmens aus der Rückführung des Dotationskapitals, das es seiner in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte gewährt hatte, ausgeschlossen ist (zur Kritik s. Schlussantrag der Generalanwältin Kokott vom 22. Januar 2015 in der Rs. C-686/13 EU:C:2015:31). Mit dem Urteil X v. 10.6.2015 – C-686/13 (EU:C:2015:375, IStR 2015, 557) hat der EuGH diese Rechtsprechung jedoch dahin eingeschränkt, dass ein Mitgliedstaat, der nach seinem Steuerrecht sowohl die Gewinne aus Beteiligungen an einer Tochtergesellschaft von der Körperschaftsteuer befreit als auch den Abzug der hiermit zusammenhängenden Verluste generell ausschließt, zur Gewährungsleistung der Grundfreiheiten des Unionsrechts nicht verpflichtet ist, Wech397

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selkursverluste aus der Veräußerung von solchen Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften bei der inländischen Körperschaftsteuer zum Abzug zuzulassen. Nichts anderes kann demgemäß für gewerbesteuerrechtliche Regelungen gelten, die wie § 9 Nr. 2 und § 8 Nr. 8 GewStG 2002 darauf gerichtet sind, den Gewerbeertrag symmetrisch sowohl um Gewinne als auch um Verluste aus der Beteiligung an einer in- oder ausländischen Personengesellschaft zu bereinigen; auch in diesem Regelungszusammenhang kann es nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils X (EU:C:2015:375, IStR 2015, 557) nicht fraglich sein (vgl. EuGH-Urteil C.I.L.F.I.T. v. 6.10.1982 – C-283/81, EU:C:1982:335, Slg. 1982, 3415), dass die Sonderung von Wechselkursverlusten, die anlässlich der Rückzahlung von Einlagen in das Vermögen der Unterpersonengesellschaft anfallen, aus dem Gewerbeertrag der Oberpersonengesellschaft nicht geeignet ist, die unionsrechtlichen Grundfreiheiten zu beschränken“.

4. Anmerkungen (1) (Schrifttum) Die Rezeption ist gemischt ausgefallen. Während Schlücke (ISR 2016, 212) und Kempermann (FR 2016, 859) – in Anlehnung an die seit jeher bestehende Kritik an der BFH-Rspr (s.o.) – die Zuordnung des Währungsverlusts zum inländischen Stammhaus fordern bzw. für gut vertretbar erachten, hat Kippenberg (IStR 2016, 431) das Urteil in den Kontext der zunehmend „mitgliedstaatlichenfreundlichen“ Rechtsprechung des EuGH gestellt. Insgesamt zustimmend Brandis, BFH/PR 2016, 228. (2) (Systematischer Zusammenhang/Weiterungen). Kippenberg (a.a.O.) weist ferner m.E. zutreffend auf den Zusammenhang mit der jüngsten Entscheidung des EuGH (Urteil Timac Agro) zur Nichtberücksichtigung sog. finaler Verluste hin. Trotz der Kritik, die das Besprechungsurteil auch insoweit erfahren hat (Kempermann, a.a.O.), erscheinen weitergehende Implikationen bspw. bei der Steuerbefreiung nach § 8b KStG nahliegend; auf das Revisionsverfahren I R 63/15 (Vorinstanz: Hessisches FG, EFG 2016, 228) wird verwiesen.

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V. Anrechnung ausländischer Steuern und Höhe der ausländischen Einkünfte – wirtschaftlicher Zusammenhang i.S.v. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG 1. Rechtlicher Rahmen Gehören mit ausländischer Quellensteuer belastete Einkünfte – insbesondere Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 34d Nr. 6 EStG) – zum Gewinn eines inländischen Betriebs, wird hierdurch zwar die Anrechnung der einbehaltenen ausländischen Steuer auf die deutsche Einkommensteuer nicht ausgeschlossen, jedoch ordnet die durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbG) vom 16.5.2003 (BGBl. I 2003, 660, BStBl. I 2003, 321) in das EStG eingefügte Regelung des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG an, dass bei ihrer Ermittlung die Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen abzuziehen sind, „die mit den diesen Einkünften zugrunde liegenden Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen“. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass der Umfang der den ausländischen Einkünften wirtschaftlich zuzuordnenden Aufwendungen zugleich den Anrechnungshöchstbetrag des § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG beeinflusst29. 29 § 34c [Steuerermäßigung bei ausländischen Einkünften](Abs. 1 Satz 1) Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die mit ausländischen Einkünften in dem Staat, aus dem die Einkünfte stammen, zu einer der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer herangezogen werden, ist die festgesetzte und gezahlte und um einen entstandenen Ermäßigungsanspruch gekürzte ausländische Steuer auf die deutsche Einkommensteuer anzurechnen, die auf die Einkünfte aus diesem Staat entfällt; das gilt nicht für Einkünfte aus Kapitalvermögen, auf die § 32d Absatz 1 und 3 bis 6 anzuwenden ist. (2) Die auf die ausländischen Einkünfte nach Satz 1 erster Halbsatz entfallende deutsche Einkommensteuer ist in der Weise zu ermitteln, dass der sich bei der Veranlagung des zu versteuernden Einkommens, einschließlich der ausländischen Einkünfte, nach den §§ 32a, 32b, 34, 34a und 34b ergebende durchschnittliche Steuersatz auf die ausländischen Einkünfte anzuwenden ist. (3) Bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens und der ausländischen Einkünfte sind die Einkünfte nach Satz 1 zweiter Halbsatz nicht zu berücksichtigen; bei der Ermittlung der ausländischen Einkünfte sind die ausländischen Einkünfte nicht zu berücksichtigen, die in dem Staat, aus dem sie stammen, nach dessen Recht nicht besteuert werden. (4) Gehören ausländische Einkünfte der in § 34d Nummer 3, 4, 6, 7 und 8 Buchstabe c genannten Art zum Gewinn eines inländischen Betriebes, sind bei ihrer Ermittlung Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen abzuziehen, die mit den diesen Einkünften zugrunde liegenden Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang ste-

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2. BFH-Urteil vom 6.4.2016 – I R 61/14, BFHE 253, 348, DStR 2016, 1599 a) Sachverhalt Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG), betreibt das substitutive Krankenversicherungsgeschäft. Die Klägerin bildete im Streitjahr 2005 Alterungs- bzw. Deckungsrückstellungen i.S. der §§ 12 Abs. 1 Nr. 2, 12a des Gesetzes über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen vom 1.4.2015 (BGBl. I 2015, 434) geltenden Fassung (Versicherungsaufsichtsgesetz – VAG a.F. –) und des § 341f des Handelsgesetzbuches (HGB) sowie Rückstellungen für Beitragsrückerstattung (§ 341e Abs. 2 Nr. 2 HGB). Von den Zuführungen zu den Rückstellungen entfielen 217 031 871 Euro auf rechnungsmäßige Zinsen i.S. des § 12c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VAG a.F. i.V.m. § 4 der Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung der Alterungsrückstellung in der privaten Krankenversicherung (Kalkulationsverordnung) sowie 103 556 111 Euro auf außerrechnungsmäßige Zinsen i.S. des § 12a Abs. 1 Satz 1 VAG a.F. Im Jahr 2005 erzielte die Klägerin laufende Erträge aus Kapitalbeteiligungen in Höhe von 325 502 773 Euro30. Davon entfielen 8 058 683 Euro auf ausländische Kapitalanlagen, die der Klägerin aufgrund der von ihr gehaltenen Anteile an inländischen, dem Investmentsteuergesetz (InvStG) unterliegenden Investmentvermögen zugerechnet wurden. Die von den Erträgen aus ausländischen Kapitalanlagen einbehaltenen und abgeführten ausländischen Quellensteuern in Höhe von 1 040 145 Euro behandelte die Klägerin in ihrer Körperschaftsteuererklärung 2005 in vollem Umfang als abzugsfähig. Nach einer Betriebsprüfung änderte das Finanzamt (FA) den Bescheid über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag 2005 dahingehend, dass hen.(5) Die ausländischen Steuern sind nur insoweit anzurechnen, als sie auf die im Veranlagungszeitraum bezogenen Einkünfte entfallen“. § 34d Ausländische Einkünfte. „Ausländische Einkünfte im Sinne des § 34c Absatz 1 bis 5 sind … 6. Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20), wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz in einem ausländischen Staat hat oder das Kapitalvermögen durch ausländischen Grundbesitz gesichert ist …“. 30 Beträge wurden geändert.

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er lediglich von ausländischen Einkünften in Höhe von 1 966 932 Euro und anzurechnenden ausländischen Steuern in Höhe von 489 817 Euro ausging. Als in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Einnahmen aus ausländischen Kapitalanlagen stehende Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen seien Teile der rechnungsmäßigen und der außerrechnungsmäßigen Zinsen, welche die Klägerin bei der Zuführung zu der Alterungs- bzw. Deckungsrückstellung und der Rückstellung für Beitragsrückerstattung berücksichtigt habe, sowie ein Teil der von der Klägerin für die Verwaltung von Kapitalanlagen aufgewandten Kosten nach § 34c Abs. 1 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes 2002 i.d.F. des Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz – StVergAbG –) vom 16.5.2003 (BGBl. I 2003, 660, BStBl. I 2003, 321) – EstG – von den ausländischen Einkünften abzuziehen. Der nach erfolgloser Klage (FG Münster, Urteil v. 17.9.2014 – 10 K 1310/12 K, EFG 2015, 303) erhobenen Revision hat der BFH insoweit stattgegeben, als Teile der auf die rechnungsmäßige und außerrechnungsmäßige Zinsen entfallenden Zuführungen zu den Deckungsrückstellungen und zu den Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen im Rahmen des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG von den ausländischen Einkünften zur Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags abgezogen wurden. Im Übrigen (anteilige Zuordnung der Verwaltungskosten) blieb die Revision ohne Erfolg. Der Senat legte hierzu zunächst dar, dass – obgleich die Kapitalanträge aufgrund der Beteiligung der Klägerin an inländischen Spezial-Sondervermögen (jetzt: Spezial-Investmentfonds) erzielt wurden – über die Streitfragen im Rahmen des Körperschaftsfestsetzungsverfahrens zu entscheiden war (s. hierzu auch die Anmerkungen). Die folgende Wiedergabe der Urteilsgründe beschränkt sich auf die materiellen Erwägungen des Urteils. b) Aus den Gründen „3. (Wirtschaftlicher Zusammenhang) Der Begriff des wirtschaftlichen Zusammenhangs ist in § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG nicht definiert. Er bestimmt sich nach dem allgemeinen Veranlassungsprinzip. a) (Veranlassungsprinzip) Dafür spricht zunächst die Bedeutung des Begriffs des wirtschaftlichen Zusammenhangs in anderen Rechtsnormen. Soweit im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nach § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG für die Berücksichtigung von Betriebsausgaben und Werbungskosten ein wirtschaftlicher Zusammenhang zu inländischen Einkünften erforderlich ist, müssen die Aufwendungen durch die inländischen Einkünfte veranlasst sein. Auf einen betriebsnotwendigen

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht oder betriebswirtschaftlich notwendigen Veranlassungszusammenhang kommt es insoweit nicht an (s. für die Veranlassung durch eine inländische Betriebsstätte Senatsurteil v. 20.7.1988 – I R 49/84, BFHE 154, 465, BStBl. II 1989, 140; vgl. auch BFH-Urteil v. 14.11.1986 – VI R 209/82, BFHE 148, 460, BStBl. II 1989, 351). Dies entspricht auch der abkommensrechtlichen Zuordnung von Aufwendungen im Rahmen des im Streitjahr maßgeblichen Art. 7 Abs. 3 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development von 2005 (– OECDMusterabkommen –, s. Wassermeyer in Wassermeyer MA Art. 7 Rz 271, 331; vgl. auch Hemmelrath in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl., Art. 7 Rz. 129). (Allgemeine Grundsätze und Einzelfälle) Ebenfalls i.S. eines Veranlassungszusammenhangs ist der nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG erforderliche wirtschaftliche Zusammenhang mit den dem § 3 Nr. 40 EStG zugrunde liegenden teilweise steuerbefreiten Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen auszulegen. Auch für die Abgrenzung zu voll steuerpflichtigen Einnahmen ist im Rahmen einer wertenden Betrachtung maßgebend, aus welchen Gründen der Steuerpflichtige die Aufwendungen tätigt (BFH-Urteile v. 17.7.2013 – X R 17/11, BFHE 242, 126, BStBl. II 2013, 817; X R 6/12, BFH/NV 2014, 21; v. 28.2.2013 – IV R 49/11, BFHE 240, 333, BStBl. II 2013, 802; IV R 4/11, BFH/NV 2013, 1081). Wurde der angefallene Aufwand nicht vorrangig durch eine der beiden Einnahmearten ausgelöst, ist er anteilig und entsprechend dem rechtlichen und wirtschaftlichen Gehalt des Gesamtvorgangs aufzuteilen (Senatsurteil v. 27.3.2013 – I R 14/12, BFH/NV 2013, 1768). b) (ebenso i.R.v. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG) Wird vor diesem Hintergrund in § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG eine gleichlautende Formulierung verwendet, ist dieser gleichfalls das Verständnis des allgemeinen Veranlassungszusammenhangs (§ 4 Abs. 4 EStG) zu Grunde zu legen (so auch Lüdicke in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/ Schönfeld, Außensteuerrecht, § 34c EStG, Rz. 201, 204; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG, Rz. 94; Endert in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 26 KStG, Rz. 73; vgl. auch Blümich/Pohl, § 26 KStG, Rz. 92a). Ob und inwieweit Aufwendungen in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer Einkunftsart stehen, hängt danach von den Gründen ab, aus denen der Steuerpflichtige die Aufwendungen vornimmt. Maßgeblich ist die – wertende – Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen „auslösenden Moments“ (Beschlüsse des Großen Senats des BFH v. 21.9.2009 – GrS 1/06, BFHE 227, 1, BStBl. II 2010, 672; v. 4.7.1990 – GrS 2/88, BFHE 161, 290, BStBl. II 1990, 817). (Selektion der Aufwandsursachen als Ergebnis einer wertenden Betrachtung) Dabei ist der Veranlassungszusammenhang nicht durch die (naturwissenschaftliche) Kausalität, sondern durch das Prinzip der wertenden Selektion der Aufwandsursachen gekennzeichnet (Senatsurteil in BFH/NV 2013, 1768). Stehen Ausgaben in mehreren Veranlassungszusammenhängen, ist zunächst zu prüfen, ob sich die Ausgaben den unterschiedlichen Ursachen zuordnen lassen. Ist eine anteilige Zuordnung nicht möglich, ist der vorrangige Veranlassungszusammenhang maßgeblich (Senatsurteile v. 15.1.2015 – I R 48/13, BFHE 248, 535, BStBl. II 2015, 713; v. 7.12.2005 – I R 34/05, BFH/NV 2006, 1068). Danach sind Aufwendungen der Einkunftsart zuzuordnen, die im Vordergrund steht und die Beziehungen zu den anderen Einkünften verdrängt. Maßgebend sind insoweit die Gesamtumstände des

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht jeweiligen Einzelfalls (z.B. BFH-Urteile v. 16.11.2011 – VI R 97/10, BFHE 236, 61, BStBl. II 2012, 343; v. 25.11.2010 – VI R 34/08, BFHE 232, 86, BStBl. II 2012, 24; v. 7.2.2008 – VI R 75/06, BFHE 220, 407, BStBl. II 2010, 48; v. 5.4.2006 – IX R 111/00, BFHE 213, 341, BStBl. II 2006, 654; v. 30.3.1999 – VIII R 70/96, BFH/NV 1999, 1323). c) (Ausschließlicher Zusammenhang nicht erforderlich; Aufteilung) Im Unterschied zum unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang i.S.v. § 3c Abs. 1 EStG (s. dazu BFH-Urteil v. 11.2.1993 – VI R 66/91, BFHE 170, 392, BStBl. II 1993, 450; vgl. auch zu § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 3 Satz 2 EStG i.d.F. v. 16.4.1997 Senatsurteile v. 27.7.2011 – I R 56/10, BFH/NV 2012, 181; v. 24.4.2007 – I R 93/03, BFHE 218, 83, BStBl. II 2008, 132) ist nach den vorgenannten Grundsätzen des Veranlassungsprinzips für § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG ein ausschließlicher Zusammenhang nicht erforderlich. Weisen die Aufwendungen einen Veranlassungszusammenhang sowohl mit ausländischen Einkünften i.S. des § 34d EStG als auch mit inländischen Einkünften oder mit mehreren Arten von ausländischen Einkünften auf, so sind sie – ebenso wie bei den Einkunftsarten i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG (s. zu einer Aufteilung von Aufwendungen, die einen Veranlassungszusammenhang zu mehr als einer Einkunftsart aufweisen, BFH-Urteile v. 10.6.2008 – VIII R 76/05, BFHE 222, 313, BStBl. II 2008, 937; v. 15.3.1994 – X R 58/91, BFHE 174, 84, BStBl. II 1994, 516; v. 23.1.1991 – X R 37/86, BFHE 163, 376, BStBl. II 1991, 398; v. 4.10.1990 – X R 150/88, BFH/NV 1991, 237) – aufzuteilen oder den Einkünften zuzurechnen, zu denen sie vorwiegend gehören. Dies trägt auch der Gesetzesbegründung Rechnung, nach der Aufwendungen den im Ausland erzielten Einnahmen auch dann zugeordnet werden sollen, wenn sie hierzu lediglich in einem mittelbaren Zusammenhang stehen (BT-Drs. 15/119, 40). d) (Kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG). Die dargelegten Zurechnungskriterien verstoßen nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Soweit durch die Zuordnung von in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen eine Schlechterstellung betrieblicher Einkünfte gegenüber den im Privatvermögen erzielten Einkünften gesehen wird (so Müller-Dott, Der Betrieb 2003, 1468, 1469; ders. in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, a.a.O., § 26 KStG, Rz. 89.1; vgl. auch Blümich/Wagner, § 34c EStG, Rz. 60; Lüdicke, IStR 2003, 433, 434), steht einer Verletzung des Gleichheitssatzes bereits entgegen, dass es im Bereich der Einkunftsarten, die sich nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG mit dem Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten bestimmen, – schon im rein innerstaatlichen Fall – an einer rechtlichen Grundlage für die Berücksichtigung von Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen fehlt. Damit beruht eine mögliche Schlechterstellung von betrieblichen Einkünften (Einkünften i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG) im Rahmen des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG – insbesondere in Bezug auf die den Vermögensstamm betreffenden Betriebsvermögensminderungen – ausschließlich auf dem Unterschied zwischen den Einkunftsermittlungsvorschriften. Die unterschiedliche einkommensteuerrechtliche Erfassung von Wertsteigerungen im Betriebs- und Privatvermögen – und damit auch von Wertverlus-

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht ten –, bei der Zuwächse und Minderungen des Vermögensstamms im Privatvermögen auf Grundlage des Dualismus der Einkunftsarten grundsätzlich außer Betracht bleiben, beim Betriebsvermögen hingegen in die steuerliche Bemessungsgrundlage einfließen, ist indes mit dem Gleichheitssatz vereinbar (s. Beschluss des BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1, BStBl. II 2011, 76). Liegt diese Grundentscheidung im Bereich der Bemessungsgrundlage innerhalb des Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber bei der Erschließung von Steuerquellen zukommt (vgl. BVerfG-Beschluss v. 9.7.1969 – 2 BvL 20/65, BVerfGE 26, 302, BStBl. II 1970, 156), muss dies auch für die Einkünfteermittlung für Zwecke der Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags gelten (vgl. Siegers in Dötsch/ Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 26 KStG, Rz. 168). (Vergleich mit Freistellungsmethode unerheblich) Soweit überhaupt – wie die Klägerin meint – in der Berücksichtigung von in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen im Rahmen der Anrechnungsmethode eine Schlechterstellung im Verhältnis zur abkommensrechtlich angeordneten Freistellungsmethode zu sehen ist (vgl. auch Prokisch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 34c, Rz. B 123, B 126; Wassermeyer in Lüdicke/Mellinghoff/Rödder [Hrsg.], Nationale und internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung, Festschrift für Dietmar Gosch, 2016, S. 439, 445), ist diese jedenfalls ebenso vom Gestaltungsspielraum umfasst, der dem Verhandlungsführer und in Einklang damit dem Gesetzgeber bei der Umsetzung eines geschlossenen Abkommens in nationales Recht zukommt. Insbesondere kann sich die Klägerin nicht i.S. einer Meistbegünstigung auf Abkommen mit Drittstaaten berufen, die – abweichend von der gesetzlichen Grundregel des § 4 Abs. 2 InvStG i.V.m. § 26 Abs. 1 KStG – eine Freistellung i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 InvStG vorsehen (vgl. Senatsurteil v. 20.5.2015 – I R 47/14, BFHE 250, 87, BStBl. II 2015, 808). 4. (Folgerungen für Streitfall) Nach diesen Maßgaben hat das FG teilweise zu Unrecht, teilweise im Ergebnis zutreffend Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen von den ausländischen Einkünften der Klägerin zur Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags abgezogen. a) (Deckungsrückstellung und Zinsen: vorrangiger Inlandsbezug) Die Verpflichtung der Klägerin zur Bildung einer Deckungsrückstellung und damit auch die darauf entfallenden Zuführungen von rechnungsmäßigen und außerrechnungsmäßigen Zinsen sind nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt vorrangig dem Bereich des inländischen Versicherungsgeschäfts zugewiesen. Dies gilt auch, soweit sich die Höhe der außerrechnungsmäßigen Zinsen gem. § 12a Abs. 1 Satz 2 VAG a.F. prozentual nach den über die rechnungsmäßige Verzinsung hinausgehenden Kapitalerträgen bestimmt. Der Umstand, dass bereits aus dem Geschäftsgegenstand der Klägerin, dem substitutiven Krankenversicherungsgeschäft, nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 VAG a.F. die Verpflichtung zur Bildung einer Deckungsrückstellung als Alterungsrückstellung i.S. des § 341f Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 HGB folgt, bildet gegenüber der rechnungsmäßigen Verknüpfung mit der Höhe der Kapitalerträge den vorrangigen Veranlassungszusammenhang.

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht b) (ebenso bei Rückstellungen für Beitragsrückerstattung) Gleiches gilt für die Zuführungen der Klägerin zu den Rückstellungen wegen Beitragsrückerstattung. Die Verpflichtung der Klägerin, versicherungstechnische Rückstellungen, zu denen nach § 341e Abs. 2 Nr. 2 HGB auch die Rückstellung für Beitragsrückerstattung zählt, zu bilden, ergibt sich bereits aus ihrer Eigenschaft als Versicherungsunternehmen. Zudem bezieht sich nach dem für die Klägerin maßgeblichen § 28 der Verordnung über die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen (Versicherungsunternehmens-Rechnungslegungsverordnung) der Anspruch des Versicherungsnehmers auf erfolgsunabhängige Beitragsrückerstattung auf den Schadensverlauf des einzelnen Versicherungsvertrags und somit auf das inländische Versicherungsgeschäft. Demgegenüber tritt der allein im Rahmen der erfolgsabhängigen Beitragsrückerstattung, die sich auf einen Teil des vom Versicherer insgesamt erzielten Ergebnisses bezieht, bestehende Zusammenhang zu den ausländischen Kapitalerträgen als untergeordneter Teil des insgesamt erzielten Ergebnisses zurück … . d) (Aber: Verwaltungsaufwendungen sind aufzuteilen) Die vom FA bei der Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags berücksichtigten Verwaltungsaufwendungen wurden hingegen nach den nicht angegriffenen und bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) für die Verwaltung sämtlicher Kapitalanlagen der Klägerin aufgewandt. Auslösendes Moment sind sowohl die inländischen als auch die ausländischen Kapitalerträge; ein vorrangiger Zusammenhang besteht nicht. Soweit die Klägerin im Revisionsverfahren geltend macht, für die Verwaltung der den ausländischen Einkünften zu Grunde liegenden Beteiligungen seien im Gegensatz zu inländischen Kapitaleinkünften weit geringere Aufwendungen angefallen, steht dem die – nicht mit Verfahrensrügen angegriffene – Schätzungsbefugnis des FG nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 FGO i.V.m. § 162 AO entgegen. Die nach § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG erforderliche Zuordnung von Betriebsausgaben, die in mehreren Veranlassungszusammenhängen stehen, ist mangels unmittelbarer Zurechnungskriterien zu schätzen oder zu quoteln (vgl. Gosch in Kirchhof, EStG, 15. Aufl., § 34c, Rz. 15; Senatsurteil in BFHE 183, 114, BStBl. II 1997, 657; BFHUrteil in BFHE 222, 313, BStBl. II 2008, 937). Die vom FG vorgenommene Aufteilung nach dem Verhältnis der gesamten Aufwendungen für Kapitalanlagen zu den gesamten laufenden Erträgen ist nicht zu beanstanden. Dass diese Form der Zuordnung nur einen möglichen Anhaltspunkt für die Bestimmung des allgemein auf Kapitalanlagen entfallenden Rohgewinns bietet, stellt ihre Eignung als Schätzungsmaßstab nicht in Frage. 5. (EU-Konformität) Die (anteilige) Berücksichtigung der Verwaltungskosten verstößt nicht gegen die Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 56 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte – EG – (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002, Nr. C 325, 1, jetzt Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – AEUV –, Amtsblatt der

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Europäischen Union 2008, Nr. C 115, 47). Demgemäß kann es auch im Streitfall nicht in Betracht kommen, den Begriff des wirtschaftlichen Zusammenhangs in § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG im Rahmen einer unionsrechtskonformen Auslegung (dazu Senatsurteil v. 9.5.2012 – I R 73/10, BFHE 238, 1, BStBl. II 2013, 566) dahingehend abzumildern, dass er den auf ausländische Kapitalanlagen entfallenden Anteil der gesamten Kosten für die Verwaltung von Kapitalanlagen nicht erfasst … .“

c) Leitsätze 1. Ob Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen mit den den ausländischen Einkünften zugrunde liegenden Einnahmen i.S. des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, bestimmt sich nach dem Veranlassungsprinzip (§ 4 Abs. 4 EStG). 2. Weisen die Aufwendungen sowohl mit ausländischen Einkünften i.S. des § 34d EStG als auch mit inländischen Einkünften oder mit mehreren Arten von ausländischen Einkünften einen Veranlassungszusammenhang auf, so sind sie aufzuteilen oder den Einkünften zuzurechnen, zu denen sie vorwiegend gehören. 3. Diese Zurechnungsgrundsätze verstoßen weder gegen Verfassungsnoch gegen Unionsrecht.

3. Anmerkungen (1) Feststellungsverfahren-Veranlagungsverfahren. Im Streitfall waren die Regelungen des § 34c Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 34d Abs. 1 Nr. 6 EStG nicht unmittelbar, sondern nur über „Umwege“ einschlägig; auch bedurfte es hierbei der Erörterung, ob das Klageziel wirklich durch die Anfechtung des Körperschaftsteuerbescheids erreicht werden konnte. Zu berücksichtigen war insoweit, dass die Klägerin die ausländischen Kapitalanlagen nicht unmittelbar hielt, sondern nach den Klarstellungen während des Revisionsverfahrens im Streitjahr (2005) an inländischen Investmentvermögen mit in- und ausländischen Kapitalanlagen beteiligt war. Zwar ordnet § 4 Abs. 2 Satz 4 InvStG die sinngemäße Geltung des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG an. Allerdings ist bei inländischen Spezial-Sondervermögen (jetzt: Spezial-Investmentfonds), die sich von Publikumsfonds durch ihre begrenzte Zahl von Anteilinhabern sowie den Umstand unterscheiden, dass die Anleger und die jeweilige Beteiligungshöhe zumeist bekannt sind (BT-Drs. 15/1553, 130), nicht die Grundregel des § 13 Abs. 1 InvStG einschlägig, nach der die Besteuerungsgrundlagen im Sinne von § 5 Abs. 1 InvStG nur gegenüber der Investmentgesellschaft gesondert 406

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festgestellt werden31; vielmehr sieht die Sonderbestimmung des § 15 Abs. 1 Satz 3 InvStG ausdrücklich die entsprechende Geltung des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a. AO mit der Folge vor, dass die investmentrechtlichen Besteuerungsgrundlagen gegenüber den Anlegern des Spezialfonds festzustellen sind und als Grundlagenbescheid gem. § 182 Abs. 1 AO Bindungswirkung entfalten. Wenngleich hierdurch der Spezialfonds „weitgehend wie eine Personengesellschaft behandelt wird“ (BT-Drs., a.a.O., 131), bleibt insoweit zu beachten, dass sich die Feststellungen auf das Investmentvermögen beziehen32. Demgemäß fällt weder die Entscheidung über die Zugehörigkeit der Investmentanteile zu einem inländischen Betriebsvermögen noch diejenige über die den ausländischen Einkünften wirtschaftlich zuzurechnenden Aufwendungen in den Regelungsbereich des Feststellungsverfahrens gem. § 15 Abs. 1 Satz 3 InvStG; vielmehr war hierüber – als Teil der persönlichen Tatbestandsverwirklichung – im Rahmen der Körperschaftsteuerveranlagung zu befinden33. Hiervon zu unterscheiden ist allerdings der Sachverhalt, dass der inländische Betrieb sowie die ausländischen Einkunftsquellen zum Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft gehören und deshalb die von den Mitunternehmern erzielten in- und ausländischen Einkünfte nach der dann unmittelbar anwendbaren Bestimmung des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO einheitlich und gesondert festzustellen sind. Da diese Feststellungen nicht nur die einkommen- oder körperschaftsteuerpflichtigen Einkünfte, sondern auch die damit im Zusammenhang stehenden „anderen Besteuerungsgrundlagen“ umfasst, sind – in Übereinstimmung mit Sinn und Zweck eines solchen Verfahrens – hierzu auch die ausländischen Einkünfte i.S.v. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG (einschl. ihrer Komponenten) zu rechnen34. (2) Zur materiellen Seite des Besprechungsurteils und damit zum Begriff des wirtschaftlichen Zusammenhangs (§ 34c Abs. 1 Satz 4 EStG) sei vorangestellt, dass seine Auslegung nur vor dem Hintergrund des Dialogs von Rechtsprechung und Gesetzgeber und der hierbei schrittweise gewonnenen Erkenntnisse verständlich ist.

31 Vgl. jüngst Hessisches FG, Urteil v. 21.6.2016 – 4 K 960/15, Rev. I R 51/16 betr. anlegerbezogener Betrachtung und DBA-rechtliches Schachtelprivileg. 32 Haug in Moritz/Jesch, InvStG, § 15, Rz. 69. 33 De lege lata zustimmend Lüdicke, ISR 2016, 326. 34 Wacker, IStR 2016, 671; Brandis, BFH/PR 2016, 307. Vgl. aus der Rechtsprechung vor allem BFH-Urteil v. 16.3.1994 – I R 42/93, BFHE 174, 509, BStBl. II 1994, 799; ferner Urteile v. 18.7.1990 – I R 115/88, BFHE 161, 499, BStBl. II 1990, 951; v. 28.4.2010 – I R 81/09, BFHE 229, 252, BStBl. II 2014, 754.

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(a) Diese haben ihren Anfang darin genommen, dass zur früheren und bis 2002 geltenden Gesetzesfassung (§ 34c Abs. 1 Satz 1 und 3 EStG a.F.), nach der ausländische Steuern nur insoweit anzurechnen waren, als sie auf die im Veranlagungszeitraum bezogenen „Einkünfte“ entfielen, der I. Senat des BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, dass hierbei nur die Aufwendungen als Betriebsausgaben einkunftsmindernd anzusetzen waren, die erstens im Fall der Kapitaleinkünfte gem. § 34d Nr. 6 EStG die Eignung zum Werbungkostenabzug i.R. von § 20 EStG hatten (BFH-Urteil v. 16.3.1994 – I R 42/93, BFHE 174, 509, BStBl. II 1994, 799: isolierende Betrachtungsweise) und zweitens in einem „direkten wirtschaftlichen Zusammenhang zur Einnahmeerzielung“ standen (sog. direkte Gewinnermittlungsmethode). Der Senat hat sich bei Letzterem auf das „allgemeine Veranlassungsprinzip (§ 4 Abs. 4 EStG)“ berufen und hieraus u.a. abgeleitet, dass der Refinanzierungsaufwand für ausländischen Kapitalanlagen nur unter der Voraussetzung einer konkret-objektbezogenen Finanzierung (d.h. Darlehnsaufnahme für die einzelne Anlage) zu berücksichtigen sei; eine bloße laufzeitkongruente Refinanzierung der Aktiva war mithin nicht ausreichend35. Ebenso wenig hatte er bei einem Lebensversicherer die rechnungs- und außerrechnungsmäßigen Zinsen (Zuführung zur Beitragsrückerstattung) in die aus den Auslandsbeteiligungen erzielten Einkünfte einbezogen36. (b) Fast erwartungsgemäß hat der Gesetzgeber hierauf mit dem StVergAbG (aaO) reagiert und in der Begründung hierzu ausgeführt: „Aufgrund der vom Bundesfinanzhof entwickelten Rechtsprechung […] werden gegenwärtig bei der Ermittlung ausländischer Einkünfte eines inländischen Unternehmens Aufwendungen, die mit im Ausland erzielten Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, diesen Einnahmen nicht zugeordnet, wenn der Zusammenhang nur ein mittelbarer ist (z.B. im Zusammenhang mit ausländischen Portfolioanlagen gezahlte Refinanzierungszinsen). Dies führt zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Erhöhung der ausländischen Einkünfte als Bezugsgröße bei der Berechnung des Höchstbetrags der auf die deutsche Einkommensteuer/Körperschaftsteuer anrechenbaren Steuern aus einem ausländischen Staat. Der neue § 34c Abs. 1 Satz 4 sieht vor, dass die mit ausländischen Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen bei der Ermittlung der ausländischen Einkünfte zu berücksichtigen sind, wenn ausländische Einkünfte 35 BFH-Urteil v. 29.3.2000 – I R 15/99, BFHE 191, 521, BStBl. II 2000, 577. 36 BFH-Urteil v. 9.4.1997 – I R 178/94, BFHE 183, 114, BStBl. II 1997, 657.

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im Sinne des § 34d Nr. 3, 4, 6, 7 und 8 Buchstabe c Teil des Gewinns eines inländischen Betriebes sind“ (BT-Drs. 15/119, 40). (c) (Veranlassungsprinzip-Gemeinkosten). Der Gesetzgeber hat damit einen „riskanten“ Weg eingeschlagen: Einerseits wollte er erkennbar die Rechtsprechung brechen, andererseits hat er sich zur Verwirklichung dieses Ziels eines Tatbestandsmerkmals bedient, das vor allem in § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG37 (s. aber auch § 3c Abs. 2 EStG) gerade auf das Veranlassungsprinzip und damit auf die Zurechnungsgrundsätze verweist, die der I. Senat in seiner Rechtsprechung zur früheren Rechtslage zum Anlass für das vorstehend skizzierte enge Verständnis genommen hat. Demgemäß konnte es auch nicht überraschen, dass die Gesetzeskorrektur Anlass zu vielfältigen Präzisierungsversuchen gegeben hat, die darauf gerichtet waren, die früheren Ergebnisse – trotz des geänderten Gesetzeswortlauts – zumindest in Teilen fortzuschreiben; gefordert wurde für den wirtschaftlicher Zusammenhang ein konkreter oder zweckgerichteter Bezug. Letzteres sei zwar für Refinanzierungskosten der Kapitalanlage oder Teilwertabschreibungen zu bejahen, nicht aber für allgemeine Verwaltungskosten oder Währungsverluste38. Der Senat ist dem nicht gefolgt. Er hat sich vielmehr – in Abkehr von seiner bisherigen Sicht – dafür entschieden, (auch) den wirtschaftlichen Zusammenhang i.S.v. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG nach den erstmals im sog. Kontokorrentzinsenbeschluss vom 4.7.1990 – GrS 3/88, BFHE 161, 290, BStBl. II 1990, 81739) entwickelten Kriterien des Veranlassungsprinzips zu deuten. Maßgeblich ist danach im Ausgangspunkt das die jeweiligen Aufwendungen auslösende Moment und die wertende Zurechnung dieses Moments zu den einzelnen Einkunftsquellen. Das Besprechungsurteil, auf dessen Einzelerläuterungen insoweit verwiesen werden darf, legt zutreffend dar, dass hiernach zwar die versicherungstechnischen Rückstellungen sowie die hierfür ansetzenden rechnungs- und außerrechnungsmäßige Zinsen einen ausschließlichen Inlandsbezug aufweisen40; hingegen Gemeinkosten (hier: Verwaltungskosten sämtlicher Kapitalanlagen) anteilig und zumeist im Wege der Schätzung den ausländischen Kapitaleinkünften zuzurechnen sind.

37 Z.B. BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BFHE 154, 465, BStBl. II 1989, 140. 38 Z.B. Kirchhof/Gosch, EStG, 15. Aufl., § 34c, Rz. 15; weiter Schmidt/Heinicke, 35. Aufl., § 34c, Rz. 11. 39 Dazu Wacker, BB 1991, 248. 40 Ausführlich Lüdicke, a.a.O., 326.

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(d) (Schrifttum) Die anteilige Gemeinkostenzuordnung ist im Schrifttum auf Zustimmung gestoßen41. Letzteres gilt – auch unter Beachtung der EU-rechtlichen Grundfreiheiten – selbst dann, wenn der Quellenstaat die dort erzielten Einkünfte „brutto“ oder nur nach Abzug der hierdurch veranlassten Einzelkosten besteuert und hierdurch sich ein sog. Anrechnungsüberhang ergibt42. (e) (Weiteres Revisionsverfahren) Mit Rücksicht auf die vom zuständigen FA befürwortete Kürzung der ausländischen Kapitaleinkünfte um Teilwertabschreibungen auf die den Einkünften zugrunde liegenden Kapitalanlagen hat das FG München mit Urteil v. 11.5.2016, EFG 2016, 1363 wie folgt entschieden (LS 4, juris): „Zu den Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen, die mit in Portugal erzielten Einkünften aus Kapitalvermögen einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft in wirtschaftlichem Zusammenhang i.S.v. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG stehen, gehören Depotgebühren und Gewerbesteuer, nicht hingegen Teilwertabschreibungen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig (Rev. I R 37/16). (3) (Weiterungen für § 34d EStG) Das Besprechungsurteil lässt offen, ob das Veranlassungsprinzip nicht nur für den Sonderfall des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG, sondern generell für die Bestimmung ausländischer Einkünfte in § 34d EStG greift. Hierfür spricht m.E., dass auch die Höhe der Einkünfte nach deutschem Recht zu ermitteln ist43. (4) (Weiterungen für § 50d Abs. 3 EStG) Ebenso blieb offen, ob dann, wenn die Steueranrechnung im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht zu gewähren ist (vgl. § 50 Abs. 3 EStG), der Veranlassungszusammenhang normspezifisch im früher vertretenen Sinne (Einzelkosten) zu beschränken sein könnte. Dies ließe sich zwar mit Rücksicht auf den strukturellen Inlandsbezug und den objektsteuerartigen Charakter dieses Besteuerungszugriffs erwägen; andererseits differenziert das Gesetz selbst – ebenso wie in § 3c Abs. 1 und 2 EStG – deutlich zwischen dem wirtschaftlichen Zusammenhang in § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG und – wenn auch nur für Zwecke des Steuerabzugs – dem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang in § 50a Abs. 3 EStG44.

41 42 43 44

Z.B. Lüdicke, a.a.O.; Sprang, NWB 2016, 3012. Brandis, a.a.O. Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 34c, Rz. 11. Wacker, IStR 2016, 671. Vgl. zum unmittelbaren Zusammenhang auch EuGH Brisal und KBC Finance Ireland, Urteil v. 13.7.2016 – C 18/15, juris, Rz. 46: Aufwendungen, die für die „Ausübung der Tätigkeit notwendig sind“.

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(5) (§ 10 Abs. 4 AStG). Nicht zu entscheiden war schließlich darüber, nach welchen Zurechnungsmaßstäben der wirtschaftliche Zusammenhang i.S.v. § 10 Abs. 4 AStG in den Fällen zu bestimmen ist, in denen die Zwischengesellschaft nicht nur passive – ihren Status begründende Einkünfte –, sondern auch nicht der Hinzurechnung unterliegende aktive Einkünfte erzielt ist. In der Literatur wird hierzu m.E. zutreffend auf das „allgemeine“ Veranlassungsprinzip und damit auf die vorstehend entwickelten Merkmale verwiesen45.

45 Schönfeld/Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff u.a., Außensteuerrecht, § 10 AStG, Rz. 424.

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Die Änderungen im internationalen Steuerrecht durch das Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz Dr. Xaver Ditz Steuerberater, Bonn Leitender Regierungsdirektor Franz Hruschka München Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Erweiterung der Verrechnungspreisdokumentationspflichten 1. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation (Local File) 2. Stammdokumentation (Masterfile) 3. Ergänzung der Sanktionsvorschriften gem. § 162 Abs. 3 und 4 AO III. Einführung von Country-byCountry Reporting 1. Aufstellungspflicht und einzubeziehende Unternehmen 2. Aufzeichnungsinhalt 3. Zeitpunkt der Abgabe und Sanktionsvorschriften 4. Kritische Würdigung

IV. Austausch von sog. Tax Rulings V. Gewerbesteuerpflicht von Hinzurechnungsbeträgen 1. Einkünfte von Zwischengesellschaften (§ 7 Satz 7 GewStG) 2. Einkünfte ausländischer Betriebsstätten (§ 7 Satz 8 f., § 9 Nr. 2 und 3 GewStG) VI. Abzug von Sonderbetriebsausgaben gem. § 4i EStG VII. Anpassung von § 50d EStG 1. Subject-to-tax Klausel in § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG 2. Gesonderte Betrachtungsweise der Einkunftsquelle nach § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG VIII. Fazit

I. Einleitung Die OECD hat sich – im Auftrag der G20-Staaten – über mehr als zwei Jahre mit den steuerlichen Konsequenzen des „Base Erosion and Profit Shifting“ intensiv auseinandergesetzt. Die Analysen mündeten in einem Aktionsplan mit 15 Punkten, den die OECD am 5.10.2015 präsentierte und den die Regierungschefs der G20-Staaten am 16.11.2015 einstimmig

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Ditz/Hruschka, Änderungen durch das Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz

billigten.1 Die Ergebnisse der OECD werden von der EU-Kommission uneingeschränkt unterstützt. Infolgedessen wurde – um eine schnelle und einheitliche Umsetzung der Anti-BEPS-Maßnahmen in den EU-Mitgliedstaaten sicherzustellen – die EU-Amtshilferichtlinie im Hinblick auf den automatisierten Austausch von Tax Rulings, Advance Pricing Agreements2 und länderbezogenen Berichten (Country-by-Country Reporting)3 ergänzt. Darüber hinaus hat der Rat der EU eine Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken erlassen, welche zentrale Punkte des BEPS-Aktionsplans der OECD aufgreift.4 Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem „Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen“5 auf diese grundlegenden Entwicklungen bei der OECD und der EU reagiert. Im Zentrum dieses ersten Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes stehen die Anpassungen der Verrechnungspreisdokumentationsvorschriften in § 90 Abs. 3 AO an die Vorgaben der OECD (Masterfile und Local File), die Einführung eines länderbezogenen Berichts (Country-by-Country Report) in § 138a AO, die Erweiterung der Sanktionsvorschriften des § 162 Abs. 3 AO, die Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie in Bezug auf den automatisierten Austausch von Tax Rulings, Advance Pricing Agreements sowie Country-by-Country Reports sowie die Aufnahme eines Sonderbetriebsausgabenabzugsverbots bei Mitunternehmerschaften mit internationalem Gesellschafterkreis in einem neuen § 4i EStG. Darüber hinaus nutzt der Gesetzgeber das Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz, um auf die Rechtsprechung des BFH im Bereich der Hinzurechnungsbesteuerung (gewerbesteuerliche Erfassung des Hinzurechnungsbetrags) und der internationalen Besteuerung von Personengesellschaften (Anwendung des § 50d Abs. 9 EStG) im Sinne eines Nichtanwendungsgesetzes zu reagie1 Vgl. BEPS 2015 Final Report abrufbar unter https://www.oecd.org/ctp/beps-re ports-2015-executive-summaries.pdf; Roth, Ubg 2015, 705 ff.; Benz/Böhmer, DB 2015, 2535; Fehling, FR 2015, 817; Wehnert/Wolf, ISR 2015, 405. 2 Vgl. Richtlinie 2015/2376/EU des Rates v. 8.12.2015 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bzgl. der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung ABl. 2015 L 332, 1 und dazu Czakert, IStR 2016, 985, 986. 3 Vgl. Richtlinie 2016/881/EU des Rates v. 25.5.2016 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bzgl. der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung, ABl. 2016 L 146, 8. 4 Vgl. Richtlinie 2016/1164/EU des Rates v. 12.7.2016, ABl. L 193/1 und dazu Benz/Böhmer, DB 2016, 307 ff.; Oppel, IStR 2016, 797 ff. 5 BGBl. I 2016, 3000.

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ren, über weitere Treaty Overrides die Besteuerungsrechte der Bundesrepublik Deutschland zu sichern (Einführung eines neuen § 50d Abs. 12 EStG) sowie § 50i EStG auf ein sachgerechtes Besteuerungsmaß zurückzuführen. Dagegen hat die zunächst im Gesetzgebungsverfahren vorgesehene Regelung zur Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach Art. 9 OECD-MA nach den Vorgaben des § 1 AStG keinen Eingang in das Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz gefunden.6 Allerdings wird darauf hingewiesen, dass es insoweit noch „Klärungsbedarf gebe“.7 Von daher bleibt abzuwarten, ob das Vorhaben nicht in einem zukünftigen Gesetzgebungsverfahren erneut aufgegriffen wird. Nachfolgend werden ausgewählte Änderungen im internationalen Steuerrecht durch das Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz dargestellt und einer ersten kritischen Würdigung unterzogen.

II. Erweiterung der Verrechnungspreisdokumentationspflichten 1. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation (Local File) Durch das Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz wird der von der OECD vorgeschlagene dreigliedrige Verrechnungspreisdokumentationsansatz8 in § 90 Abs. 3 AO und § 138a AO aufgenommen. Danach besteht zukünftig die Verrechnungspreisdokumentation aus drei Teilen, der landesspezifischen, unternehmensbezogenen Dokumentation (Local File), der Stammdokumentation (Masterfile) und dem länderbezogenen Bericht (Country-by-Country Report). Die Dokumentationsverpflichtung erstreckt sich – wie bislang – auf alle (unbeschränkt oder beschränkt) Steuerpflichtigen i.S.d. § 33 AO, wobei auch Mitunternehmerschaften erfasst werden.9 6 Zu der ursprünglich vorgesehenen Ergänzung des § 1 Abs. 1 AStG um einen Satz 5 vgl. Schnitger, IStR 2016, 637, 640 f.; Bartelt/Geberth/Heggmair, DB 2016, 1335, 1336; Benz/Böhmer, DB 2016, 1531, 1535 f.; Böhmer, FR 2016, 877 ff. 7 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses v. 30.11.2016, BT-Drs. 18/10506, 70. 8 Vgl. OECD, Guidance on Transfer Pricing Documentation and Country-byCountry Reporting, Action 13 – 2015 Final Report v. 5.10.2015 und dazu Bärsch/Engelen/Färber, DB 2016, 973 f. 9 Vgl. Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 789, 791; Schreiber/Greil, DB 2016, 10, 11.

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Während § 90 Abs. 3 Satz 1 AO nur redaktionelle Änderungen erfährt,10 wird nunmehr in Satz 2 der Vorschrift die unternehmensbezogene, landesspezifische Dokumentation (Local File) aus den Bestandteilen einer Sachverhaltsdokumentation und einer Angemessenheitsdokumentation definiert. Dies ist nichts Neues, waren doch diese Bestandteile einer Verrechnungspreisdokumentation bereits bisher bekannt. Was konkret in beiden Dokumentationsbestandteilen zu erfassen ist, wird in einer (neuen) GAufzV im Einzelnen dargelegt werden. Zu rechnen ist damit, dass in die Sachverhaltsdokumentation – zusätzlich zu den bisherigen Bestandteilen gem. § 4 GAufzV – eine Beschreibung der lokalen Managementstruktur, der Berichtslinien sowie die Überleitung vom Einzelabschluss auf die der Verrechnungspreisanalyse zugrunde liegenden Informationen zu ergänzen ist.11 Insoweit können sich gegenüber dem bisherigen Recht noch „Verschärfungen“ ergeben. Im Rahmen der Angemessenheitsdokumentation soll der Steuerpflichtige nachvollziehbar darstellen, dass er den Fremdvergleichsgrundsatz zur Bestimmung der Verrechnungspreise sachgerecht beachtet hat. Infolgedessen sind im Local File die angewandte Verrechnungspreismethode zu beschreiben und zu begründen sowie Unterlagen über die Berechnung des konkreten Verrechnungspreises, eine Aufbereitung der zum Vergleich herangezogenen Preise und Finanzdaten sowie Unterlagen über etwaige Anpassungsrechnungen darzulegen.12 Darüber hinaus sollen – und das ist neu – Informationen zum Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung Bestandteil der Angemessenheitsdokumentation sein.13 Diese Regelung ist nicht so zu verstehen, dass dem Steuerpflichtigen nunmehr Vorgaben hinsichtlich des Zeitpunkts der Verrechnungspreisbestimmung (z.B. Anwendung des Ex-ante- oder Price-Setting-Ansatzes oder des Expost- oder Outcome-Testing-Ansatzes) gemacht werden. Vielmehr ist er (weiterhin) hinsichtlich der Wahl der Verrechnungspreismethode und ihrer zeitlichen Anwendung völlig frei. § 90 Abs. 3 Satz 2 AO beinhaltet lediglich eine Verpflichtung des Steuerpflichtigen, im Rahmen der Verrechnungspreisdokumentation über den Zeitpunkt der Verrechnungs10 Vgl. Begründung des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes, BT-Drs. 18/9536, 34. 11 So sieht auch die Gesetzesbegründung eine Erweiterung des Inhalts und des Umfangs des Local Files in Anlehnung an den Anhang II des Abschlussberichts zu Maßnahme 13 des BEPS-Projekts vor, vgl. Regierungsentwurf des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes v. 31.5.2016, 37; Engelen, ISR 2016, 239 ff.; Schreiber, DB 2016, 1458. 12 Vgl. bereits bisher § 4 Nr. 4 GAufzV. 13 Zu Einzelheiten vgl. Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 789, 792.

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preisbestimmung zu informieren. Auch insoweit bleibt es dabei, dass die Finanzbehörden (Betriebsprüfung) die Beweislast für unangemessene, d.h. fremdunübliche Verrechnungspreise trägt und eine Verrechnungspreiskorrektur nur möglich ist, wenn es aufgrund fremdunüblicher Verrechnungspreise zu einer Einkünfteminderung gekommen ist.14 Anmerkung Hruschka: Schon bisher war das Unternehmen jenseits der Sachverhaltsdokumentation verpflichtet, die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen und anderen Geschäftsbedingungen mit den Nahestehenden darzustellen (§ 90 Abs. 3 S. 2 AO a.F.). Diese sog. Angemessenheitsdokumentation wird nunmehr ausdrücklich im Gesetz angesprochen. Eine inhaltliche Änderung ist damit nicht verbunden (vgl. § 2 Abs. 2 S. 2 GAufzV). Insoweit ergibt sich keine Auswirkung auf die Praxis. Neu ist tatsächlich die Verpflichtung, eine Aussage zum Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung vorzunehmen. Bedeutsam ist dies, da typischerweise fremde Dritte in synallagmatischen Beziehungen vor Durchführung des Geschäfts den Preis aushandeln. Dies gilt auch für die kostenorientierte Preisermittlung. In diesem Fall müssen Plankosten zur Grundlage der Preisfindung gemacht werden. Istkosten kommen nur im Rahmen einer retrograden Betrachtung in Frage. In diesen Fällen handelt es sich weniger um eine preis- als eine gewinnorientierte Betrachtung der Parteien. Dies kommt vor allem in Frage, wenn die Parteieninteressen gleichgerichtet sind, etwa im Rahmen einer gemeinsamen Zielerreichung wie z.B. in einem Joint Venture. Hier dürfte durch die neue Anforderung ein gewisser Mehraufwand in der Dokumentation auf die Unternehmen zukommen.

2. Stammdokumentation (Masterfile) Eine wesentliche Neuerung des § 90 Abs. 3 AO stellt die Einführung einer Stammdokumentation (Masterfile) in seinem Satz 3 dar. Eine solche müssen nur Steuerpflichtige (d.h. Unternehmen, die Teil einer multinationalen Unternehmensgruppe sind) erstellen, deren Umsatz im vorangegangenen Wirtschaftsjahr mindestens 100 Mio. Euro betragen hat. Durch diesen Schwellenwert soll gewährleistet werden, dass nur eine begrenzte Zahl großer Unternehmen von der Pflicht zur Erstellung eines

14 So zutreffend auch Schreiber/Greil, DB 2017, 10, 12.

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Masterfiles betroffen ist.15 Die Zielsetzung des Masterfiles ist es, den Finanzbehörden einen groben Überblick über die Art der weltweiten Geschäftstätigkeit der multinationalen Unternehmensgruppe sowie der Systematik der Verrechnungspreisbestimmung zu geben. Dabei sind u.a. –

eine grafische Darstellung des Organisationsaufbaus,



eine kurz gefasste Darstellung der Geschäftstätigkeit,



eine Gesamtstrategie für die Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter in der Wertschöpfungskette sowie



eine allgemeine Beschreibung der konzerninternen Finanzierung aufzunehmen.

Die neuen Dokumentationsvorschriften des § 90 Abs. 3 AO (Local File und Masterfile) sind erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2016 beginnen.16 Die Verrechnungspreisdokumentation kann von den Finanzbehörden – wie auch bisher – nur im Rahmen einer Außenprüfung angefordert werden. Anmerkung Hruschka: Im Unterschied zum länderbezogenen Bericht ist die Stammdokumentation nicht jährlich abzugeben. Sie ist nicht beim BZSt einzureichen und ist – im Unterschied zum länderbezogenen Bericht – auch nicht Gegenstand des internationalen Informationsaustauschs17. Vielmehr soll sie die Finanzbehörde im Regelfall nur für die Durchführung einer Außenprüfung verlangen (§ 90 Abs. 3 S. 5 AO). Der Inhalt der Stammdokumentation soll noch durch eine Rechtsverordnung konkretisiert werden, als Mindeststandard aber dem Inhalt des Anhang I des Abschlussberichts zu Maßnahme 13 entsprechen. Im Kern entspricht dies der Darstellung i.S.v. § 138a Abs. 2 Nr. 2 AO. Dementsprechend müssen auch hier die Informationen über die regionale Präsenz des Konzerns durch Unternehmen oder Betriebsstätten und deren wesentliche Tätigkeit beschrieben werden. In Verbindung mit den Informationen zur weltweiten Gesamtstrategie bei der Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter in der Wertschöpfungskette sowie zur Konzernfinanzierung muss sich auch hier ein schlüssiges Gesamtbild der Aktivitäten der in- und ausländischen Unternehmen und Betriebsstätten ergeben. Es ist davon auszugehen, dass dieses Bild Ausgangspunkt für Ermittlungs-

15 Zu Einzelheiten vgl. Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 789, 793; Schreiber/ Greil, DB 2017, 10, 12 f. 16 Vgl. § 22 Abs. 1 EGAO. 17 Vgl. BT-Drs. 18/9536 v. 5.9.2016, S. 36.

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tätigkeiten insbesondere mit Fokus auf die Hinzurechnungsbesteuerung sein wird. Erfüllt das inländische Unternehmen die Größenklassenvoraussetzungen des § 138a Abs. 1 Nr. 2 AO, sollten sich die Angaben im länderbezogenen Bericht und in der Stammdokumentation decken. Ferner sollten dann die darüberhinausgehenden Informationen der Stammdokumentation die Aussagen des länderbezogenen Berichts abrunden.

3. Ergänzung der Sanktionsvorschriften gem. § 162 Abs. 3 und 4 AO In § 162 Abs. 3 und 4 AO wird nunmehr geregelt, dass die darin vorgesehenen Sanktionen (Beweislastumkehr, Schätzungsbefugnis und Festsetzung eines Zuschlags) geschäftsvorfallbezogen („über einen Geschäftsvorfall“) anzuwenden sind. Infolgedessen sollen zukünftig18 die Rechtsfolgen bei Verletzung der Mitwirkungspflichten bereits dann eintreten, wenn einzelne Geschäftsvorfälle nicht oder nicht ausreichend dokumentiert wurden, obwohl die gesamte Verrechnungspreisdokumentation im Wesentlichen verwertbar ist.19 Darüber hinaus führt der Einschub „über einen Geschäftsvorfall“ dazu, dass eine Verletzung der Mitwirkungspflichten, die sich nicht auf einen konkreten Geschäftsvorfall bezieht, weder eine Schätzung noch einen Strafzuschlag zur Folge haben kann. Beispielhaft kann dies für eine unvollständige Funktions- und Risikoanalyse oder eine unvollständige Darstellung der Organisationsstruktur gelten, die folglich nicht die Sanktionen des § 162 Abs. 3 und 4 AO auslösen kann. Anmerkung Hruschka: Der Bezug der Sanktionen i.S.v. § 162 Abs. 3 und 4 AO auf einzelne Geschäftsvorfälle wird voraussichtlich eine häufigere und konkretere Diskussion über die Verletzung der Mitwirkungspflichten i.S.v. § 90 Abs. 3 AO mit sich bringen, als dies bisher der Fall war. Denn nunmehr muss nicht mehr die gesamte Dokumentation insgesamt als im Wesentlichen unverwertbar erscheinen, sondern es genügt ein einzelner nicht dokumentierter bzw. im Wesentlichen nicht nachvollziehbarer Geschäftsvorfall. Fehlen notwendige Informationen im Bezug auf verschiedene Geschäftsvorfälle liegen mehrere Verstöße vor, die jeweils gesondert zu sanktionieren sind. Dies stellt eine Verschärfung 18 D.h. für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2016 beginnen. 19 Vgl. zu Einzelheiten Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 789, 796; Schreiber/ Greil, DB 2017, 10, 15.

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zur bisherigen Rechtslage dar. Defizite in der Dokumentation der Rahmenbedingungen (siehe oben: fehlende oder unvollständige Funktionsund Risikoanalyse bzw. Organisationsstrukur) sind zwar grundsätzlich nicht mehr Gegenstand der Sanktionen, jedoch können sie dann sanktioniert werden, wenn deren Fehlen die Nachvollziehbarkeit des einzelnen Geschäftsvorfalls ganz oder im Wesentlichen unmöglich macht.

III. Einführung von Country-by-Country Reporting 1. Aufstellungspflicht und einzubeziehende Unternehmen Mit dem Ziel, eine erste Einschätzung steuerlicher Verrechnungspreisrisiken und anderer steuerlicher Risiken hinsichtlich Gewinnverlagerungen und -verkürzungen zu erlangen20 wird im Rahmen des neu eingeführten § 138a AO erstmalig eine Pflicht zur Erstellung eines CbCR („länderbezogener Bericht“) begründet. Danach hat ein Unternehmen mit Sitz oder Ort der Geschäftsleitung im Inland (inländisches Unternehmen), das einen Konzernabschluss aufstellt oder nach anderen Regelungen als den Steuergesetzen aufzustellen hat (inländische Konzernobergesellschaft), für jedes Wirtschaftsjahr einen länderbezogenen Bericht dieses Konzerns zu erstellen. Diese Pflicht greift jedoch nur unter der Voraussetzung, dass (i) der Konzernabschluss mindestens ein Unternehmen mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Ausland (ausländisches Konzernunternehmen) oder eine ausländische Betriebsstätte umfasst (§ 138a Abs. 1 Nr. 1 AO), (ii) die im Konzernabschluss ausgewiesenen, konsolidierten Umsatzerlöse im vorangegangenen Wirtschaftsjahr mindestens 750 Mio. Euro betragen haben (§ 138a Abs. 1 Nr. 2 AO) und (iii) die inländische Konzernobergesellschaft nicht selbst in den Konzernabschluss einer übergeordneten ausländischen Konzernobergesellschaft einbezogen wird (§ 138a Abs. 1 Satz 2 AO). Neben dieser primären Berichtspflicht ordnet § 138a Abs. 3 AO an, dass ausländische Konzernobergesellschaften inländische Konzerngesellschaften mit der Abgabe und Übermittlung des CbCR beauftragen können (sog. beauftragte Gesellschaft bzw. „Surrogate Parent Entity“). Darüber hinaus ist gem. § 138a Abs. 4 Satz 1 AO auch jede inländische Konzerngesellschaft oder Betriebsstätte sekundär zur fristgerechten Übermittlung des CbCR verpflichtet, sofern

20 Vgl. Begründung des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes, BT-Drs. 18/9536, 36 ff.; siehe auch Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840, 841; Rasch/Tomson, IWB 2016, 483, 488; Schreiber, DB 2016, 1456, 1459.

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das BZSt keinen Report von der ausländischen Konzernobergesellschaft erhalten hat. Weder § 138a AO noch die Gesetzesbegründung enthalten konkrete Aussagen dazu, welche Unternehmen in das CbCR einzubeziehen sind. Anhand des Gesetzeswortlautes ist aber davon auszugehen, dass diesbezüglich auf die Unternehmen abzustellen ist, die für Zwecke der Rechnungslegung tatsächlich in den betreffenden Konzernabschluss einbezogen werden.21 Denn in § 138a Abs. 1 AO wird ausgeführt, dass die inländische Konzernobergesellschaft – d.h. das einen Konzernabschluss aufstellende inländische Unternehmen – einen länderbezogenen Bericht dieses Konzerns zu erstellen hat – also einen Bericht über alle Unternehmen, die in diesen Konzernabschluss einbezogen sind. Für diese Sichtweise spricht auch die Auffassung der OECD, wonach für die Bestimmung einer multinationalen Unternehmensgruppe den Konsolidierungsvorschriften für handelsrechtliche Rechnungslegungszwecke gefolgt werden soll.22 Aufbauend darauf leitet sich der für das CbCR maßgebliche Konzernbegriff und der Kreis der Unternehmen, die in den Konzernabschluss einbezogen sind, aus § 294 Abs. 1 HGB ab. Danach sind in den Konzernabschluss alle Unternehmen einzubeziehen, auf die das Mutterunternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Der dort in Bezug genommene beherrschende Einfluss ergibt sich wiederum aus § 290 Abs. 2 HGB. Ein Unternehmen ist demzufolge in den Konzernabschluss einzubeziehen, wenn dem Mutterunternehmen –

bei diesem Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte der Gesellschafter zusteht (§ 290 Abs. 2 Nr. 1 HGB), oder



als Gesellschafter durch eine Satzungsbestimmung oder eine sonstige Vereinbarung mit anderen Gesellschaftern das Recht zusteht, die Mehrheit der Mitglieder des die Geschäfts- oder Finanzpolitik bestimmenden Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans bei diesem Unternehmen zu bestellen oder abzuberufen (§ 290 Abs. 2 Nr. 2 HGB), oder

21 Vgl. auch Grotherr, IStR 2016, 991, 994; Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840, 844. 22 Vgl. OECD, Leitlinien zur Umsetzung der länderbezogenen Berichterstattung v. 16.8.2016, 6.

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aufgrund eines Beherrschungsvertrages oder einer Satzungsbestimmung das Recht zusteht, einen beherrschenden Einfluss auf dieses Unternehmen auszuüben (§ 290 Abs. 2 Nr. 3 HGB).

Durch die vorgenannten Voraussetzungen wird der Kreis der Unternehmen, die im Wege der Vollkonsolidierung im Konzernabschluss zu berücksichtigen sind, abschließend definiert23, was insoweit auch maßgeblich für die Frage nach den in das CbCR einzubeziehenden Unternehmen sein dürfte. Infolgedessen sind bspw. Gemeinschaftsunternehmen (§ 310 HGB), assoziierte Unternehmen (§ 311 HGB) oder Beteiligungen (§ 271 Abs. 1 HGB) im Rahmen des CbCR nicht abzubilden.24

2. Aufzeichnungsinhalt Die im Rahmen des CbCR zu übermittelnden Informationen teilen sich auf drei Abschnitte auf. In einer ersten Übersicht ist darzustellen, wie sich die Geschäftstätigkeit des Konzerns auf die im CbCR darzustellenden Länder verteilt. Abgesehen davon sind ausgehend vom Konzernabschluss länderbezogen zehn Kennzahlen anzugeben, darunter Umsatzerlöse aus Geschäftsvorfällen mit nahestehenden und (getrennt davon) mit fremden Unternehmen, im Wirtschaftsjahr gezahlten Ertragsteuern, das Jahresergebnis vor Ertragsteuern, das Eigenkapital sowie die Zahl der Beschäftigten (§ 138a Abs. 2 Nr. 1 AO). In einer zweiten Übersicht sind nach Steuerhoheitsgebieten gegliedert alle Unternehmen und Betriebsstätten unter Angabe deren wichtiger Geschäftstätigkeit aufzulisten (§ 138a Abs. 2 Nr. 2 AO). In diesem Zusammenhang werden in der Gesetzesbegründung Forschung und Entwicklung, Besitz oder Verwaltung von geistigem Eigentum, Einkauf oder Beschaffung, Verarbeitung oder Produktion, Verkauf, Marketing oder Vertrieb, Verwaltungs-, Management- oder Supportleistungen, Erbringung von Dienstleistungen für unverbundene Dritte, konzerninterne Finanzierung, Besitz von Aktien oder anderen Wertpapieren mit Beteiligungscharakter sowie eine ruhende Tätigkeit genannt. In einer dritten Übersicht sind schließlich solche Informationen anzugeben, die nach Auffassung der Konzernobergesellschaft für das Verständnis der in den beiden ersten Abschnitten dargelegten Informationen erforderlich sind (§ 138a Abs. 2 Nr. 3 AO).

23 Vgl. Pfaff in Münchener Kommentar zum HGB, § 294 HGB, Rz. 8. 24 So auch Grotherr, IStR 2016, 991, 995.

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3. Zeitpunkt der Abgabe und Sanktionsvorschriften Das CbCR ist erstmalig für Wirtschaftsjahre zu erstellen, die nach dem 31.12.2015 beginnen (§ 31 EGAO), und muss spätestens mit Ablauf des Wirtschaftsjahres, für das die Erstellung erfolgt, in elektronischer Form an das BZSt übermittelt werden (§ 138a Abs. 6 Satz 1 AO). Bei kalenderjahrgleichem Wirtschaftsjahr ist das CbCR somit erstmalig (für das Wirtschaftsjahr 2016) bis zum 31.12.2017 zu übermitteln.25 Im Übrigen hat jedes inländische Unternehmen in seiner Steuererklärung anzugeben, wenn es eine inländische Konzernobergesellschaft i.S.v. § 138a Abs. 1 AO, eine beauftragte Gesellschaft i.S.v. § 138a Abs. 3 AO oder eine einbezogene inländische Konzerngesellschaft eines Konzerns mit ausländischer Konzernobergesellschaft ist (§ 138a Abs. 5 AO). Die Sanktionierung einer Verletzung der neuen Mitteilungspflichten wird in den Bußgeldvorschriften durch Einfügung eines neuen § 379 Abs. 2 Nr. 1c AO geregelt. Kommt ein Steuerpflichtiger seiner Mitteilungspflicht nicht nach, handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit. Eine solche Ordnungswidrigkeit kann bei Vorsatz mit einer Geldbuße von bis zu 10 000 Euro geahndet werden; bei Leichtfertigkeit ist eine Sanktionierung mit höchstens 5000 Euro vorgesehen (vgl. § 379 Abs. 4 AO, § 377 Abs. 2 AO, § 17 Abs. 1 und 2 OWiG).26 CbCR, die zwar vollständig, aber fehlerhaft sind, werden dem Wortlaut nach von § 379 Abs. 2 Nr. 1c AO nicht erfasst.27 Die Sanktionsvorschriften des § 162 Abs. 3 f. AO, die im Zusammenhang mit § 90 Abs. 3 AO stehen, finden auf das CbCR keine Anwendung. Es kommt also insbesondere zu keiner Beweislastumkehr und zu keiner Schätzung von Bemessungsgrundlagen, was aus Sicht des Steuerpflichtigen zu begrüßen ist.

4. Kritische Würdigung Durch die Verpflichtung der Steuerpflichtigen, die in § 138a Abs. 2 Nr. 1 AO aufgeführten Angaben offenlegen zu müssen, wird offenkundig das Ziel verfolgt, den involvierten Finanzbehörden einen Überblick darüber zu verschaffen, ob die internationale Aufteilung der Konzernsteuerlast letztlich mit der Verteilung von Wertschöpfungsbeiträgen und Funktionen korrespondiert oder ob künstliche Verrechnungspreisgestaltungen 25 Vgl. Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840, 848. 26 Die Höhe der Geldbuße wurde im Vergleich zum Regierungsentwurf v. 5.9.2016 verdoppelt. 27 Vgl. Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840, 849.

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dazu genutzt werden, Steuersubstrat gezielt in funktionsschwache, dafür aber in Niedrigsteuerländern ansässige Konzerngesellschaften zu verlagern. Man muss jedoch sehen, dass insbesondere die im Rahmen des CbCR offengelegte Gewinnallokation ohne detaillierte Kenntnisse über die Funktions- und Risikoallokation im Konzern die Gefahr vorschneller und in der Sache vollkommen unzutreffender Rückschlüsse mit sich bringt. Denn hat eine Funktions- und Risikoanalyse zum Ergebnis, dass der betreffenden Konzerngesellschaft kein oder nur ein geringer Gewinn mit der Folge zuzurechnen ist, dass in deren Ansässigkeitsstaat nur vergleichsweise geringe Steuerzahlungen anfallen, so hat dies mit dem Vorwurf, der Konzern würde dort nur unzureichend besteuert, nichts zu tun. Vielmehr rechtfertigt gerade die Funktions- und Risikoanalyse eine entsprechende Gewinn- und Steuerallokation. Darüber hinaus muss man sich fragen, welcher Aussage- und Mehrwert den im CbCR zum Teil darzulegenden Informationen im Ergebnis wirklich zukommt – zumal sich die Zusammenstellung des betreffenden Materials in der Praxis regelmäßig als recht aufwendig darstellen dürfte.28 Dies betrifft insbesondere die Verpflichtung, die Umsatzerlöse und sonstigen Erträge mit nahestehenden Unternehmen und fremden Unternehmen zunächst isoliert und weiterhin kumuliert darzustellen (§ 138a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) bis c) AO). In diesem Zusammenhang ist insbesondere vollkommen unklar, welche Hinweise sich die Finanzverwaltung von der (nicht saldierten) Aufsummierung aller konzerninternen Umsatzerlöse verspricht. Werden bspw. Zinsen29 für ein konzerninternes Darlehen von der Muttergesellschaft an ihre Tochtergesellschaft abgerechnet und erbringt diese Tochtergesellschaft Dienstleistungen, die sie auf Basis der Kostenaufschlagsmethode (d.h. einschließlich der ihr entstandenen Darlehenszinsen) an die Muttergesellschaft verrechnet, so werden die Zinsen im CbCR doppelt erfasst. Ferner ist in diesem Zusammenhang aber auch unklar, was der Gesetzgeber überhaupt mit „nahestehenden Unternehmen“ meint. Denn er vermeidet offensichtlich die in diesem Zusammenhang sonst gebräuchlichen steuerlichen Termini „verbundene Unternehmen“ (vgl. Art. 9 OECD-MA) und „nahe stehende Person“ (vgl. § 1 Abs. 2 AStG). Die Gesetzesbegründung30 führt hierzu aus, dass hiermit Unternehmen gemeint sind, die – wie vorstehend 28 Vgl. auch Steinegger, DK 2016, 454, 457 ff. 29 Diese sollen nach der Gesetzesbegründung zu den „sonstigen Erträgen“ i.S.v. § 138a Abs. 2 Nr. 1 AO zählen, vgl. BT-Drs. 18/9536, 38. 30 Vgl. Begründung des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes, BT-Drs. 18/9536, 38.

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beschrieben – in den Konzernabschluss einbezogen sind.31 Dies aber würde die merkwürdige Folge nach sich ziehen, dass Umsatzerlöse mit Unternehmen, die zwar „nahe stehende Personen“ i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG der Konzernobergesellschaft sind, gleichwohl aber – bspw. als assoziiertes Unternehmen – nicht in den Konzernabschluss einbezogen werden, im CbCR als Umsatzerlöse mit „fremden Unternehmen“ auszuweisen wären. Das CbCR würde sich in einer solchen Konstellation aber vollkommen von der Verrechnungspreisdokumentation lösen, wo nur solche Geschäftsbeziehungen auszuweisen sind, die mit nahe stehenden Personen i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG unterhalten werden. Schließlich muss aber auch der fiskalische Mehrwert des CbCR hinterfragt werden. Denn nicht allein die deutsche Finanzverwaltung wird Zugang zu den Informationen im CbCR erhalten, sondern auch die Finanzverwaltungen sämtlicher Tätigkeits- respektive Quellenstaaten würden informiert, wie es um die jeweils lokale Steuerquote des betreffenden Unternehmens in ihrem Land bestellt ist, was wiederum steuerliche Begehrlichkeiten wecken kann.32 Deutsche Unternehmen laufen dann aber sehr schnell Gefahr, einem erweiterten oder gar ausufernden Besteuerungszugriff verschiedener Finanzverwaltungen ausgesetzt zu sein, ohne dass die sich ergebende Doppelbesteuerung in Deutschland ohne Weiteres zu vermeiden wäre (man denke hier nur an die fehlende Möglichkeit der Anrechnung ausländischer Steuern auf die Gewerbesteuer). Infolgedessen bliebe wohl häufig nur die Anstrengung zeit- und kostenintensiver Verständigungsverfahren. Und: Sollte in deren Ergebnis Deutschland für die Beseitigung der Doppelbesteuerung aufkommen müssen, ginge dies im Ergebnis zu Lasten des inländischen Steueraufkommens und dem budgetären Eigeninteresse des deutschen Fiskus. Leitragende könnten also entweder der deutsche Fiskus, der sich im Wege einer Anrechnung ausländischer Steuern selbst seines inländischen Steueraufkommens beraubt, oder die einer Doppelbesteuerung unterliegenden deutschen Unternehmen sein. Anmerkung Hruschka: Unstreitig wird der länderbezogene Bericht für alle Beteiligten – sei es bei der Erstellung oder bei der Verwaltung der Informationen – zu Mehraufwand führen. Auf Seiten der Unternehmen werden bei der Aufstellung des Berichts die auszuweisenden „Umsatzerlöse und sonstigen Erträge“ i.S.v. § 138a Abs. 2 Nr. 1 lit. a) – c) AO Auf31 So auch Grotherr, IStR 2016, 991, 999. 32 Vgl. Schlie/Malke, DB 2013, 2467, 2469; Ditz/Quilitzsch, DStR 2014, 127, 130.

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wand produzieren. Zunächst stellt der Wortlaut klar, dass der länderbezogene Ausweis neben dem anteiligen, die Größenklasse definierenden Umsatzerlös auch (anteilige) sonstige Erträge beinhaltet. Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers enthält „die Position Umsatzerlöse und sonstige Erträge die Summe der Erlöse aller Unternehmen und Betriebsstätten, die in den Konzernabschluss einbezogen werden, und umfasst auch die Erlöse aus dem Verkauf von Vorratsvermögen und von Liegenschaften, aus Dienstleistungen, aus Lizenzgebühren, aus Zinsen und aus Prämien sowie alle etwaigen sonstigen Beträge“33. Hierzu bedarf es einer territorialen Aufteilung der Umsatzerlöse und sonstigen Erträge in solche des übrigen Unternehmens und der Betriebsstätte. Dies folgt aus der länderbezogenen Darstellung dieser Kennzahlen des Konzerns durch Unternehmen oder Betriebsstätten (§ 138a Abs. 2 Nr. 1 AO). Unklar ist indes, ob in diese Darstellung sonstige Erträge aus unternehmensinternen grenzüberschreitenden Transaktionen in die Aufstellung einzubeziehen sind. Typisches Beispiel sind Erträge aus Entstrickungstatbeständen i.S.v. § 12 Abs. 1 KStG oder anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen i.S.v. § 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG, die im Unterschied zum Zivilrecht in die steuerliche Gewinnermittlung einzubeziehen sind34. Dem historischen Willen des Gesetzgebers folgend ist dies abzulehnen, da dort stets Ausgangsgröße die im handelsrechtlichen Konzernabschluss ausgewiesenen Umsatzerlöse und sonstigen Erträge sind. Dort sind Erträge aus Entstrickungstatbeständen jedoch nicht enthalten. Dagegen spricht indes, dass es sich insoweit um Geschäftsvorfälle (§ 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG) bzw. um Umsätze i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 4, 5 UStG handelt. Und: Hätte der Gesetzgeber ausschließlich die zivilrechtlichen Umsätze und sonstigen Erträge des Konzernabschlusses gemeint, hätte es der erweiternden Formulierung „Ausgehend“ nicht bedurft. Hingegen lässt die nach Steuerhoheitsgebieten gegliederte Auflistung aller Unternehmen und Betriebsstätten i.S.v. § 138a Abs. 2 Nr. 2 AO keinen überhöhten Mehraufwand erwarten. Verwaltungsseitig wird der länderbezogene Bericht voraussichtlich nur für den Außendienst eine Rolle spielen. Zwar wird er vom BZSt an das Finanzamt geleitet (§ 138a Abs. 7 S. 1 AO) und damit auch dem Innendienst zur Verfügung gestellt. Dort wird er jedoch keine Verwendung finden. Denn der Zweck einer risikoorientierten Fallauswahl entfällt bei 33 BT-Drs. 18/9536 v. 5.9.2016, 38. 34 Tz. 62 BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 – S 1341/12/10001-03 (Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung – VWG BsGa).

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Konzernen mit einem Außenumsatz von mehr als 750 Mio. Euro regelmäßig, da diese in Deutschland der Anschlussprüfung unterliegen. In der Betriebsprüfung wird der länderbezogene Bericht allerdings zukünftig eine erhebliche Bedeutung haben. Zwar dürfen aus ihm unmittelbar keine steuerlichen Preiskorrekturen vorgenommen werden, denn die dort enthaltenen Informationen sind als solche nicht dazu geeignet, die Unangemessenheit von Verrechnungspreisen zu belegen35. Jedoch werden die Informationen zweifelsfrei zu einer ersten Einschätzung auch anderer steuerlicher Risiken hinsichtlich Gewinnverlagerungen und Gewinnverkürzungen36 und damit zur Schwerpunktbildung von Prüfungshandlungen dienen. Auch werden sie ggf. Anlass zur Aufforderung sein, sachdienliche Unterlagen i.S.v. § 17 Abs. 1 Nr. 2 AStG vorzulegen. Hiernach sind u.a. Bilanzen und Erfolgsrechnungen ausländischer Gesellschaften i.S.v. § 7 Abs. 1 AStG vorzulegen, wenn eine Hinzurechnungsbesteuerung gem. §§ 7–14 AStG als möglich erscheint. Dies kommt z.B. in Frage, wenn in einem Hoheitsgebiet einerseits überwiegend Umsatzerlöse und sonstige Erträge erwirtschaftet werden, denen im Verhältnis zum Ertrag nur eine verhältnismäßig geringe Steuerbelastung gegenübersteht (Informationen aus der Übersicht i.S.v. § 138a Abs. 1 Nr. 1 AO) und andererseits auf diesem Hoheitsgebiet Unternehmen oder Betriebstätten tätig sind, die überwiegend passiv i.S.v. § 8 Abs. 2 AStG tätig sind. Des Weiteren ist zu erwarten, dass der länderbezogene Bericht zeitnah vermehrt zu Verständigungsverfahren führen wird. Denn das BZSt leitet diesen Bericht nicht nur der zuständigen Finanzbehörde im Inland (§ 138a Abs. 7 S. 1 AO) sondern auch den zuständigen Behörden (Competent Authorities) der Länder zu, die sich ebenfalls zum Austausch dieser Daten verpflichtet haben37 (§ 138a Abs. 7 S. 2 AO). Eine vorherige Anhörung des inländischen Steuerpflichtigen findet nicht statt (§ 117c Abs. 4 S. 2 AO). Im Gegenzuge nimmt das BZSt entsprechende Berichte anderer Länder entgegen und leitet diese an das zuständige Finanzamt weiter (§ 138a Abs. 7 S. 3 AO). Die hierdurch hergestellte Transparenz lässt ein erhöhtes Aufklärungsbedürfnis der betroffenen Staaten erwarten. Dabei ist davon auszugehen, dass aus den Berichten für das Jahr 2016 auch Rückschlüsse auf Vorjahre gezogen werden. In diesen Fällen wird es ggf.

35 BT-Drs. 18/9536 v. 5.9.2016, 37. 36 So der Zweck des Berichts: BT-Drs. 18/9536 v. 5.9.2016, 37. 37 Ein Überblick über die beteiligten Staaten sowie die Rechtsgrundlage auf der der internationale Austausch erfolgt, ist im Anhang I abgedruckt.

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Aufgabe des Steuerpflichtigen sein, die Unvergleichbarkeit der Vorjahre darzulegen.

IV. Austausch von sog. Tax Rulings Bestandteil des automatischem Informationsaustauschs sind neben dem CbCR auch sog. Tax Rulings, d.h. steuerliche Vorbescheide (insbesondere verbindliche Auskünfte i.S.d. § 89 Abs. 2 AO, verbindliche Zusagen i.S.d. § 204 AO oder unilaterale Vorabzusagen über Verrechnungspreise gem. § 178a Abs. 1 AO) sowie Vorabverständigungen über Verrechnungspreisgestaltungen, die auf Basis des EUAHiG zwischen den EU-Mitgliedsstaaten nun automatisch ausgetauscht werden. Seit dem 1.1.2017 sind die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, Informationen zu allen neuen, geänderten oder erneuerten Tax Rulings in einem Turnus von sechs Monaten auszutauschen. Darüber hinaus sind auch bereits geschlossene Tax Rulings auszutauschen, sofern sie zwischen dem 1.1.2012 und dem 31.12.2013 erteilt, getroffen, geändert oder erneuert wurden und am 1.1.2014 noch gültig waren sowie solche, die zwischen dem 1.1.2014 und dem 31.12.2016 erteilt, getroffen, geändert oder erneuert wurden, unabhängig von ihrer Gültigkeit. Einzelheiten hinsichtlich der zu übermittelnden Informationen ergeben sich aus § 7 Abs. 7 EUAHiG. Die Finanzverwaltung hat in diesem Zusammenhang bereits im vergangenen Jahr38 ein Merkblatt veröffentlicht, in dem der Rückwirkungszeitraum für bereits geschlossene Tax Rulings in Anlehnung an den Aktionspunkt 5 des OECD/G20 BEPS-Projekts auf den 1.1.2010 ausgeweitet wird. Darüber hinaus soll der Informationsaustausch von Tax Rulings bereits seit dem 1.4.2016 nach Maßgabe dieser Verlautbarung stattfinden.39 Gegenüber Drittstaaten behält das BMF-Schreiben auch nach dem 1.1.2017 seine Gültigkeit, so dass es zu der Übermittlung eines Tax Rulings an den Ansässigkeitsstaat der unmittelbar höheren Konzerngesellschaft sowie der Konzernobergesellschaft kommen kann, wenn eine entsprechende Regelung – z.B. in einem DBA – vorgesehen ist. Diese Handhabe der Finanzverwaltung ist abzulehnen. Denn der Aktionspunkt 5 der OECD hat lediglich einen empfehlenden Charakter. Er stellt – im Gegensatz zu dem angepassten EUAHiG – keine Rechtsgrundlage für den Austausch von 38 BMF v. 28.7.2016 – IV B 6 – S 1320/16/10002:007, IStR 2016, 982. 39 Vgl. BMF v. 28.7.2016 – IV B 6 – S 1320/16/10002, IStR 2016, 982, 983; siehe auch Czakert, IStR 2016, 985, 990.

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Tax Rulings dar. Daran ändert auch das BMF-Schreiben v. 28.7.2017 nichts. Des Weiteren stimmt der darin vorgesehene Rückwirkungszeitraum weder mit den Vorgaben der EU noch mit dem Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz überein. Dem Steuerpflichtigen ist in Drittstaatenfällen zu raten, die Rechtsgrundlage auf derer der Informationsaustausch stattfinden soll, kritisch zu hinterfragen und ggf. Rechtsmittel einzulegen. Dem inländischen Steuerpflichtigen steht nämlich ein Anhörungsrecht gem. §§ 117 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. 91 Abs. 1 AO bei Sachverhalten der zwischenstaatlichen Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen zu. Etwas anderes gilt nur, wenn der Austausch auf Basis des § 7 EUAHiG durchgeführt wird oder eine der Ausnahmeregelungen des § 91 Abs. 2 und 3 AO greift.40 Hiernach kann z.B. von dem Anhörungsrecht des Steuerpflichtigen abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint (§ 91 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Anmerkung Hruschka: Von dem Austausch sog. Tax-Rulings sind in Deutschland vor allem verbindliche Auskünfte mit grenzüberschreitendem Bezug betroffen. Ob derartige Auskünfte der deutschen Finanzverwaltung die Qualität eines Tax-Rulings erfüllen ist fraglich, kann aber an dieser Stelle dahinstehen. Denn im Unterschied zu den Erfahrungen, die z.B. bei der Lux-Leaks-Affäre gemacht wurden41, werden in Deutschland im Rahmen von verbindlichen Auskünften gem. § 89 Abs. 2 AO ausschließlich Rechtsfragen auf Basis der allgemein gültigen Rechtslage beantwortet. Individualabreden, die ein Abweichen von der gesetzlichen Rechtsfolge ermöglichen, gibt es nicht. Vor diesem Hintergrund sind weniger die rechtlichen Themen als die zugrundeliegenden geplanten Sachverhalte vom Geheimhaltungsinteresse des Steuerpflichtigen betroffen.

V. Gewerbesteuerpflicht von Hinzurechnungsbeträgen 1. Einkünfte von Zwischengesellschaften (§ 7 Satz 7 GewStG) In der Vergangenheit war umstritten, ob Hinzurechnungsbeträge i.S.v. § 10 Abs. 1 Satz 1 AStG der Gewerbesteuer zu unterwerfen waren. Von praktischer Bedeutung war diese Frage insbesondere deshalb, weil weder 40 Nach § 7 Abs. 8 EUAHiG ist eine Anhörung der Beteiligten gem. § 117 Abs. 4 Satz 3 AO entbehrlich, wenn der Informationsaustausch auf Grundlage der § 7 Abs. 1 bis 5 und 9 bis 12 AO durchgeführt wird. 41 Vgl.: https://www.icij.org/project/luxembourg-leaks/explore-documents-luxem bourg-leaks-database.

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die Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung noch andere Vorschriften eine Möglichkeit zur Anrechnung ausländischer Steuern auf die Gewerbesteuer vorsehen. Eine Gewerbesteuerpflicht von Hinzurechnungsbeträgen gepaart mit hohen Anrechnungsüberhängen brachte somit regelmäßig erhebliche Mehrbelastungen mit sich, die auch unter dem Gesichtspunkt der Missbrauchsvermeidung keiner Rechtfertigung zugängig waren. Insoweit war die Entscheidung des BFH v. 11.3.201542 zu begrüßen. Darin war der BFH der herrschenden Auffassung im Schrifttum43 gefolgt und hatte zutreffend entschieden, dass der Hinzurechnungsbetrag nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AStG aufgrund von dessen Zuordnung zu einer im Ausland belegenen Betriebsstätte und der im Zuge dessen gebotenen Kürzung gem. § 9 Nr. 3 GewStG im Ergebnis nicht der Gewerbesteuer unterliegt. Nachdem die Finanzverwaltung diese Entscheidung bereits mit einem in der Sache wenig überzeugenden Nichtanwendungserlass44 belegt hatte, wird dieser Rechtsprechung durch die Aufnahme von § 7 Satz 7 GewStG – und somit qua Nichtanwendungsgesetz – nunmehr vollends die Grundlage entzogen und die Auffassung der Finanzverwaltung gesetzlich festgeschrieben. Denn dort wird – nach der Gesetzesbegründung45 lediglich klarstellend – angeordnet, dass Hinzurechnungsbeträge nach § 10 Abs. 1 AStG in einer inländischen Betriebsstätte anfallen. Aus praktischer Sicht muss diese Neuregelung als hochproblematisch bezeichnet werden. Dies insbesondere deshalb, weil durch § 7 Satz 7 GewStG das der Gewerbesteuer zugrunde liegende und bspw. in § 9 Nr. 3 GewStG zum Ausdruck kommende Territorialitätsprinzip durchbrochen wird, ohne dass der Gesetzgeber zugleich eine längst überfällige Möglichkeit zur Anrechnung ausländischer Steuern auf die Gewerbesteuer geschaffen hat.46 Im Bereich der Hinzurechnungsbesteuerung können die daraus resultierenden Belastungswirkungen besonderes drastisch ausfallen, weil die in § 8 Abs. 3 AStG normierte Niedrigsteuergrenze nach wie vor bei 25 % liegt, der deutsche Körperschaftsteuersatz aber nur 15 % be42 BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BStBl. I 2015, 1090. 43 Vgl. z.B. Wassermeyer/Schönfeld, in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 10 AStG, Rz. 187.1; Gosch, in Blümich, § 9 GewStG, Rz. 221a; Rödder, IStR 2009, 873, 876; Edelmann, in Kraft, § 10 AStG, Rz. 356; Becker/Loose, Ubg 2015, 399, 401; Kraft/Schreiber, IStR 2015, 149, 153. 44 Oberste Finanzbehörden der Länder v. 14.12.2015, BStBl. I 2015, 1090, dazu kritisch Kraft, FR 2016, 257 ff. 45 Vgl. Begründung des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes, BT-Drs. 18/9536, 58. 46 Vgl. Sommer/Retzer, ISR 2016, 283, 291.

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trägt.47 Unterliegt eine ausländische Zwischengesellschaft demnach einer lokalen Besteuerung i.H.v. weniger als 25 %, jedoch mehr als 15 % und werden die Anteile an der betreffenden Zwischengesellschaft durch eine inländische Kapitalgesellschaft gehalten, so verbleibt nach Anwendung von § 12 AStG i.V.m. § 26 Abs. 1 KStG und § 34c Abs. 1 EStG stets ein Anrechnungsüberhang, der – obwohl der entsprechende Hinzurechnungsbetrag über § 7 Satz 7 GewStG in Deutschland in voller Höhe der Gewerbesteuer unterworfen wird – nicht auf die Gewerbesteuer angerechnet werden kann.48 Dies zieht Belastungswirkungen nach sich, die über ein Heraufschleusen der Besteuerung auf das deutsche Niveau deutlich hinausgehen.49 Der Hinzurechnungsbesteuerung wird so in einer nicht zu rechtfertigender Weise der Charakter einer Über- und damit Strafbesteuerung verliehen, der weder systemgerecht noch mit dem verfassungsrechtlichen Postulat einer subjektiv leistungsgerechten Besteuerung vereinbar ist.50 Vom BFH wurde dieses Problem durch die Anwendung von § 9 Nr. 3 GewStG auf den Hinzurechnungsbetrag gelöst. Denn werden ausländische Einkünfte nicht der Gewerbesteuer unterworfen, stellt sich insoweit auch nicht das Problem der Doppelbesteuerung und eine Anrechnung ausländischer Steuern kann entbehrlich bleiben. Durch die Einführung von § 7 Satz 7 GewStG lebt dieses Problem aber wieder voll auf. Vor diesem Hintergrund besteht dringender Handlungsbedarf auf Seiten des Gesetzgebers, indem kurzfristig entweder eine entsprechende Anrechnungsmöglichkeit auch im Rahmen der Gewerbesteuer geschaffen wird oder die in § 8 Abs. 3 AStG enthaltene Niedrigsteuergrenze auf zumindest 15 % – dies entspräche der deutschen Körperschaftsteuer, wodurch die dargestellte Problematik von Anrechnungsüberhängen vermieden würde – abgesenkt wird. Im Zusammenhang mit der Neuregelung dürfte ferner fraglich sein, wie mit der in § 7 Satz 7 GewStG getroffenen Regelung umgegangen werden soll, wenn der Steuerpflichtige im Inland gar keinen Gewerbebetrieb betreibt. Denn der Hinzurechnungsbetrag wird nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AStG grundsätzlich den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zugeordnet; nur wenn die Anteile an der Zwischengesellschaft in einem inländischen Betriebsvermögen gehalten werden, 47 48 49 50

Vgl. Quilitzsch, Ubg 2011, 942, 945; Endres, PIStB 2012, 1, 4. Vgl. zur Kritik Haas, IStR 2011, 353, 354. Vgl. Rödder, IStR 2009, 873, 875; Ruf/Wohlfahrt, Ubg 2009, 496, 499. Vgl. Schnitger, IStR 2016, 637, 641; Haarmann, IStR 2011, 565, 572; Schaumburg/Schaumburg, StuW 2005, 306, 311; Hey, StuW 2008, 167, 171; Roser, FR 2005, 178, 182; Thiel, FR 2007, 729, 730.

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rechnet der Hinzurechnungsbetrag zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb. Da § 7 Satz 7 GewStG auf die allgemeine Definition des Hinzurechnungsbetrages nach § 10 Abs. 1 AStG verweist, stellt sich die Frage, ob § 7 Satz 7 GewStG so verstanden werden muss, als würde er für Zwecke der Gewerbesteuer eine inländische Betriebsstätte mit der Folge fingieren, dass auch Steuerpflichtige, die ihre Beteiligung an der Zwischengesellschaft im Privatvermögen halten, nunmehr der Gewerbesteuer unterliegen.51 Richtigerweise muss dies aber verneint werden.52 Denn nach dem Wortlaut der Neuregelung wird lediglich angeordnet, dass der Hinzurechnungsbetrag in einer bereits existenten Betriebsstätte anfallen soll. § 7 Satz 7 GewStG kann somit keine fiktiven Gewerbeerträge auslösen.53

2. Einkünfte ausländischer Betriebsstätten (§ 7 Satz 8 f., § 9 Nr. 2 und 3 GewStG) Der Gesetzgeber nimmt die wohl unliebsame Rechtsprechung des BFH zur fehlenden Gewerbesteuerpflicht von Hinzurechnungsbeträgen ferner zum Anlass, die Rechtsfolgen der in § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG enthaltenen Switch-over-Klausel zu verschärfen. Als Annexvorschrift zur Hinzurechnungsbesteuerung ordnet diese Norm für niedrigbesteuerte Einkünfte aus passivem Erwerb, die in einer ausländischen Betriebsstätte erzielt werden und nach einem DBA von der Besteuerung in Deutschland freizustellen sind, den Übergang zur Anrechnungsmethode an. Bis dato war jedoch unstrittig, dass die Einkünfte der Betriebsstätte infolge des in § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG vorgesehenen Methodenwechsels in Deutschland zwar der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer, infolge von § 9 Nr. 3 GewStG jedoch nicht der Gewerbesteuer unterfallen.54 Dies traf in gleicher Weise auf die Beteiligung an ausländischen Personengesellschaften zu, weil auch diese inländischen Steuerpflichtigen eine anteilige Betriebsstätte im Ausland vermitteln.55

51 Vgl. Benz/Böhmer, DB 2016, 1531, 1533. 52 Vgl. auch Schnitger, IStR 2016 637, 642. 53 Vgl. auch Wassermeyer, IStR 2016, 517, 518; Sommer/Retzer, ISR 2016, 283, 291. 54 Vgl. für einen Überblick Quilitzsch, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 217 ff. 55 Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV D 3 – S 7279/14/10002, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.2.3.

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Mit dem Ziel, ausländische Kapitalgesellschaften und Betriebsstätten außensteuerlich gleich zu behandeln (bzw. in ungerechtfertigter Weise zu sanktionieren), sieht der nun in das Gesetz eingefügte § 7 Satz 8 HS 1 GewStG vor, dass auch Einkünfte i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG als in einer inländischen Betriebsstätte erzielt gelten. Nach § 7 Satz 8 HS 2 GewStG soll dies außerdem für Nicht-DBA-Fälle bzw. Fälle gelten, in denen bereits das maßgebliche DBA die Anrechnungsmethode vorschreibt – sprich auch für die Fälle, die mangels abkommensrechtlicher Freistellung gar nicht von § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG erfasst werden (müssen). Zwischeneinkünfte i.S.v. § 8 AStG sollen also in jedem Fall unabhängig von der Frage, ob die Besteuerung erst durch Anwendung von § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG legitimiert wird, der Gewerbesteuerpflicht unterworfen werden. Flankiert wird diese Einkünftezuordnung durch entsprechende Anpassungen in § 9 Nr. 2 und Nr. 3 GewStG, wonach Einkünfte i.S.v. § 7 Satz 8 GewStG nicht für eine Kürzung des Gewerbeertrags in Betracht kommen. Damit wird verhindert, dass die über § 7 Satz 8 GewStG zunächst im Gewerbeertrag enthaltenen Einkünfte sich wieder mindern. Vor dem bereits geschilderten Hintergrund, dass infolge einer Anwendung von § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG bislang nicht von einer Gewerbesteuerpflicht in Deutschland auszugehen war, wirkt § 7 Satz 8 GewStG steuerbegründend.56 Damit bewirken die Änderungen in § 7 GewStG im Bereich der Besteuerung passiver und niedrigbesteuerter Betriebsstätteneinkünfte eine deutliche Verschärfung.57 Dies insbesondere deshalb, weil sich auch hier die bereits weiter oben dargestellte Problematik von Anrechnungsüberhängen im Bereich der Einkommen- und Körperschaftsteuer stellt, die gepaart mit der fehlenden Möglichkeit, ausländische Steuern auf die deutsche Gewerbesteuer anrechnen zu können, zu erheblichen und systematisch nicht zu rechtfertigenden Belastungswirkungen führen kann. Zu begrüßen ist indessen die in § 7 Satz 9 GewStG getroffene Regelung, wonach eine Gewerbesteuerpflicht ausländischer Betriebsstätten bzw. Personengesellschaften ausscheiden soll, wenn die betroffenen Einkünfte in einer ausländischen Zwischengesellschaft erzielt worden wären, auf die § 8 Abs. 2 AStG Anwendung gefunden hätte. Ist die Betriebsstätte bzw. Personengesellschaft also in der EU/EWR belegen und verfügt sie über einen Umfang an wirtschaftlicher Substanz, der sie für die in 56 Ebenso Benz/Böhmer, DB 2016, 1531, 1533. 57 Vgl. Schnitger, IStR 2016, 637, 642; Bartelt/Geberth/Heggmair, DB 2016, 1335, 1336.

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§ 8 Abs. 2 AStG normierte „Cadbury-Schweppes-Ausnahme“ qualifiziert, so bleiben ihre Einkünfte vom Gewerbeertrag ausgenommen. Diese Vorschrift ist einerseits zu begrüßen, auf der anderen Seite wirkt sie aber überraschend. Denn folgt man dem Wortlaut des § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG, so ist dort der Motivtest gem. § 8 Abs. 2 AStG nicht vorgesehen. Und: Seinem eindeutigen Wortlaut nach beschränkt sich auch der Wirkungsbereich des § 8 Abs. 2 AStG auf den Bereich der originären Hinzurechnungsbesteuerung gem. der §§ 7–14 AStG und strahlt somit gerade nicht auf § 20 Abs. 2 AStG aus. Bei strenger Wortlautauslegung scheidet der Motivtest damit für Zwecke der Einkommen- und Körperschaftsteuer grundsätzlich aus, während er nach § 7 Satz 9 GewStG für die Gewerbesteuer nunmehr ausdrücklich zugelassen wird. Jedoch hat der BFH in seiner Entscheidung v. 21.10.200958 ausgeführt, dass der Motivtest gem. § 8 Abs. 2 AStG zur Herstellung einer unionsrechtskonformen Anwendung im Wege der geltungserhaltenden Reduktion als ungeschriebener Gegenbeweis auch in § 20 Abs. 2 AStG hineinzulesen ist. Anmerkung Hruschka: Durch die umfassende Neuregelung der Gewerbesteuerpflicht niedrig besteuerter ausländischer Einkünfte unabhängig davon, ob sie durch eine ausländische Gesellschaft i.S.v. § 7 Abs. 1 AStG, eine Personengesellschaft oder eine Betriebsstätte erwirtschaftet werden hat der Gesetzgeber seine Missbilligung der anderslautenden Rechtsprechung59 zum Ausdruck gebracht. Systematisch mag die nunmehrige Gewerbesteuerpflicht von Gewinnen ausländischer Personengesellschaften und Betriebsstätten zunächst überraschen. Durch die grundsätzliche Einbeziehung des § 20 Abs. 2 AStG hat der Gesetzgeber jedoch eine rechtsformunabhängige Gleichbehandlung niedrig besteuerter passiver Einkünfte erreicht. Insoweit handelt es sich zwar um einen Paradigmenwechsel, jedoch ist dieser in sich konsistent.

VI. Abzug von Sonderbetriebsausgaben gem. § 4i EStG Der neu eingeführte § 4i EStG („Sonderbetriebsausgabenabzug bei Vorgängen mit Auslandsbezug“) sieht vor, dass Aufwendungen eines Unternehmers nicht als Sonderbetriebsausgaben abgezogen werden dürfen, soweit diese die Bemessungsgrundlage in einem anderen Staat gemindert haben.

58 I R 114/08, BStBl. II 2010, 774. 59 BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BStBl. I 2015, 1090.

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Ditz/Hruschka, Änderungen durch das Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz Beispiel: Die M Ltd., Großbritannien, hält 100 % der Kommanditanteile an der T GmbH & Co. KG, Deutschland, die im Bereich der Herstellung und des Vertriebs von Software tätig ist. Die M Ltd. hat die Kommanditanteile von einem fremden Dritten erworben. Zur Finanzierung des Anteilserwerbs hat die M Ltd. ein Bankdarlehen von einer britischen Bank aufgenommen.

Die Einkünfte der M Ltd. aus dem Mitunternehmeranteil an der T GmbH & Co. KG unterliegen der inländischen beschränkten Körperschaftsteuerpflicht.60 Zu den Einkünften i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gehören auch die Sondervergütungen, die die M Ltd. von der T GmbH & Co. KG erhält. Die Zinszahlungen der M Ltd. stellen Sonderbetriebsausgaben im Zusammenhang mit ihrem Mitunternehmeranteil dar, die grundsätzlich steuerlich abzugsfähig sind. Dies gilt auch im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht, da die Zinszahlungen als Sonderbetriebsausgaben in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit den inländischen Einkünften stehen.61 Vor diesem Hintergrund waren die Zinsaufwendungen der M Ltd. bislang als Sonderbetriebsausgaben steuerlich abzugsfähig, weil die Darlehensverbindlichkeit zur Finanzierung des Erwerbs des Mitunternehmeranteils an der T GmbH & Co. KG dient.62 Dies ist auch abkommensrechtlich „gedeckt“: Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2008, dem noch die Mehrzahl der deutschen DBA folgt, sieht explizit vor, dass Aufwendungen unabhängig von ihrem Entstehen der Betriebsstätte zuzuordnen sind, wenn sie durch diese veranlasst werden. Daran ändert auch die Einführung des AOA in § 1 Abs. 4 und 5 AStG sowie in Art. 7 OECD-MA 2010 nichts.63 Ab dem 1.1.201764 sind die Zinsaufwendungen der M Ltd. als Sonderbetriebsausgaben bei der T GmbH & Co. KG gem. § 4i EStG nicht mehr abzugsfähig.65 Ausweislich der Gesetzesbegründung soll die Vorschrift den doppelten Betriebsausgabenabzug bei Personengesellschaften verhindern, so dass der neue § 4i EStG ebenfalls im Zusammenhang mit dem BEPS-Projekt der OECD zu sehen ist.66 Infolgedessen bezieht sich die 60 Vgl. § 2 Nr. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. 61 Vgl. § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG. 62 Vgl. Nitzschke, Ubg 2015, 523. 63 Wohl a.A. Hruschka, IStR 2014, 792; ders., DStR 2014, 2426. 64 Vgl. Art. 19 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000, 3015. 65 Vgl. zu § 4i EStG auch jüngst Bergmann, FR 2017, 126 ff. 66 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung zum Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz, BT-Drs. 18/9956, 3 f.

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Regelung „zielgenau“ ausschließlich auf Sonderbetriebsausgaben, wobei das Abzugsverbot auch dann greift, wenn der Betriebsausgabenabzug im anderen Staat in einem vorhergehenden oder einem nachfolgenden Veranlagungszeitraum, Steuerjahr, Wirtschaftsjahr oder Kalenderjahr geltend gemacht wird.67 § 4i Satz 2 EStG sieht eine Einschränkung des Betriebsausgabenabzugsverbots vor, um eine „überschießende Wirkung“68 zu vermeiden. Diese Ausnahme setzt voraus, das die entsprechenden Sonderbetriebsausgaben/Aufwendungen Erträge desselben Steuerpflichtigen mindern, die bei ihm sowohl der inländischen Besteuerung unterliegen als auch nachweislich der tatsächlichen Besteuerung in dem anderen Staat. Hierbei handelt es sich bei demselben Steuerpflichtigen – mangels Steuersubjekteigenschaft der Personengesellschaft – um den Mitunternehmer. Die tatsächliche Besteuerung im anderen Staat setzt voraus, dass die Erträge dort in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen werden. Hierbei soll es unerheblich sein, ob die Besteuerung der Erträge im anderen Staat in einem vorhergehenden oder in einem nachfolgenden Veranlagungszeitraum stattfindet. Diese tatsächliche Besteuerung ist vom Steuerpflichtigen nachzuweisen, wobei die erhöhten Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 2 AO gelten.69 Anmerkung Hruschka: Mit der Einführung des § 4i EStG hat der Gesetzgeber die Gestaltungsmöglichkeiten sog. „double-dips“ in Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Personengesellschaften weiter eingeschränkt. Vorbehaltlich der in § 50d Abs. 10 EStG geregelten Ausnahme wird nunmehr der zivilrechtlichen Trennung der Gesellschafter- und Gesamthandsphäre auch steuerlich der Vorzug gegeben. Insoweit kann die Neuregelung als Abkehr von der steuerlichen Transparenz der Personengesellschaft und dem damit einhergehenden Veranlassungsprinzip des § 50 Abs. 1 S. 1 EStG verstanden werden, das den Abzug von Refinanzierungskosten des ausländischen Gesellschafters für dessen Beteiligung an einer inländischen Personengesellschaftsbetriebsstätte in Deutschland zugelassen hat. Vielmehr wird die Beteiligung an einer Personengesellschaft im internationalen Kontext nunmehr der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft angenähert. Damit wird indirekt den Überlegungen des AOA, nach denen die Betriebsstätte wie eine selbständige Tochtergesell67 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung zum Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz, BT-Drs. 18/9956, 5. 68 Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung zum Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz, BT-Drs. 18/9956, 5. 69 Vgl. BR-Drs. 406/1/16, 5 f.

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schaft behandelt werden soll Ausdruck verliehen70. Die Verwaltung hat diese Tendenz auch in Tz. 18 der neuen Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung deutlich gemacht71. Im Ergebnis werden damit zinslose Gesellschafterdarlehen72 und Eigenkapital bei grenzüberschreitenden Personengesellschaften73 in der Regel wieder gleichbehandelt.

VII. Anpassung von § 50d EStG 1. Subject-to-tax Klausel in § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG Nach ihrem in der Vergangenheit gültigen Wortlaut bewirkte die in § 50d Abs. 9 EStG normierte, unilaterale Subject-to-tax Klausel einen Wechsel von der abkommensrechtlichen Freistellungs- zur Anrechnungsmethode, wenn der betreffende Quellenstaat von seinem qua DBA eingeräumten Besteuerungsrecht nicht oder (aus der Sicht des deutschen Fiskus) nicht in einem angemessenen Ausmaß Gebrauch machte. Wenngleich offenkundig nicht durch diese Gesetzesformulierung abgedeckt, war die Klausel nach Auffassung der Finanzverwaltung aber auch anzuwenden, wenn der Quellenstaat die betreffenden Einkünfte nur zum Teil der Besteuerung unterwarf. Beispiel: K hat seinen Wohnsitz in Deutschland und unterliegt damit hier der unbeschränkten Steuerpflicht. Er erzielt im Jahr 2008 Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit i.S.d. § 19 EStG durch seine Tätigkeit als Pilot bei einer in Großbritannien ansässigen Fluggesellschaft. Gem. Art. 11 Abs. 5 DBA-GB 1964/1970 können diese Vergütungen in Großbritannien besteuert werden, während Deutschland für die betreffenden Einkünfte die Freistellungsmethode gewährt. Großbritannien macht von diesem Besteuerungsrecht jedoch nur zum Teil Gebrauch, indem die Einkünfte des dort beschränkt Steuerpflichtigen K nur zur 27 % der Besteuerung unterworfen wurden. Während K mangels einschlägiger Rechtsgrundlagen von der vollumfänglichen Freistellung seiner Einkünfte in Deutschland ausging, vertrat die Finanzverwaltung regelmäßig die Auffassung, dass die Einkünfte des K zu 73 % nicht besteuert wurden und „insoweit“ gem. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG der Besteuerung zu unterwerfen waren.

70 71 72 73

Vgl. Hruschka, DStR 2014, 2421, 2426. BMF v. 22.12.2016 – IV B 5-S 1341/12/10001-03, 2016/1066571. Vgl. BMF v. 26.9.2014, BStBl. I 2014, 1258, Beispiel 2, Abwandlung Tz. 5.1.2. Dies gilt zwar gem. § 4i EStG nur zur Vermeidung eines Doppelabzugs. Wegen der Spezialität des den Doppelabzug auslösenden deutschen Mitunternehmerkonzepts (das neben Deutschland nur Österreich und die Schweiz kennen) ist hiervon jedoch im Regelfall auszugehen.

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In einer zutreffenden und am Wortlaut orientierten Auslegung hatte der BFH allerdings in mehreren Verfahren74 entschieden, dass für Einkünfte, die nach einem DBA von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind, eine Freistellung auch dann in vollem Umfang zu gewähren ist, wenn (und nicht soweit) sie im Quellenstaat nur zu einem Teil der Besteuerung unterworfen werden (konditionales Verständnis von § 50d Abs. 9 EStG).75 Eine steuerliche Teilerfassung von Einkünften im Quellenstaat genügte demnach für den in § 50d Abs. 9 EStG angeordneten Besteuerungsrückfall nicht mit der Folge, dass diese Norm immer dann leerlief, wenn der Quellenstaat nicht vollständig, sondern nur teilweise auf das abkommensrechtlich ihm zugestandene Besteuerungsrecht verzichtete.76 Diese – aus Sicht der Finanzverwaltung offensichtlich missliebige77 – Rechtsprechung wurde vom Gesetzgeber nunmehr aufgegriffen, indem in § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG das Wort „wenn“ durch „soweit“ ersetzt wurde. Dadurch wird erreicht, dass in Höhe des Teils der Einkünfte, die im anderen Staat nicht der Besteuerung unterliegen, ab dem 1.1.2017 keine Freistellung mehr gewährt wird und das Besteuerungsrecht (auch insoweit) an Deutschland zurückfällt.78 Der in § 50d Abs. 9 EStG angeordnete Besteuerungsrückfall greift demnach dann, wenn Teile der im Ausland erzielten Einkünfte (und eben nicht die gesamten Einkünfte) nicht oder – wegen abkommensrechtlicher Bestimmungen – nur zu einem der Höhe nach begrenzten Steuersatz erfasst werden. Von der zuletzt genannten Konstellation dürften insbesondere die Einkünfte eines in Deutschland ansässigen Mitunternehmers einer ausländischen Personengesellschaft erfasst werden. Denn erzielt die Personengesellschaft in ihrer ausländischen Betriebsstätte einen (Gesamthands) Gewinn, unterfällt dieser gem. Art. 7 Abs. 1 OECD-MA regelmäßig und für beide Vertragsstaaten übereinstimmend dem ausschließlichen Besteuerungsrecht des Betriebsstättenstaates. Gewährt der Mitunternehmer der Personengesellschaft darüber hinaus aber ein verzinsliches Darlehen, so liegen nach dem deutschen Konzept der mitunternehmeri-

74 Vgl. BFH v. 20.5.2015 – I R 68/14, BStBl. II 2016, 90; v. 20.5.2015 – I R 69/14, BFH/NV 2015, 1395; v. 21.1.2016 – I R 49/14, BFHE 253, 115. 75 Vgl. auch BFH v. 19.12.2013 – I B 109/13, IStR 2014, 527. 76 Vgl. Gosch in Kirchhof, § 50d, Rz. 41e; Quilitzsch, ISR 2014, 377, 379. 77 Vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV B 5 – S 1300/07/10080, BStBl. I 2008, 988. 78 Vgl. Bartelt/Geberth/Heggmair, DB 2016, 1335, 1337; Benz/Böhmer, DB 2016, 1531, 1534; Gebhardt, IStR 2016, 1009, 1011.

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schen Besteuerung insoweit Sondervergütungen vor (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG), die ebenfalls dem Unternehmensgewinn bzw. der Betriebsstätte der Personengesellschaft zuzurechnen sind und für die Deutschland – jedenfalls im Grundsatz – ebenfalls die abkommensrechtliche Freistellungsmethode gewährt. Leistet aber der ausländische Staat (was regelmäßig der Fall ist) dem deutschen Konzept der Mitunternehmerbesteuerung nicht Folge und subsummiert er die an den Mitunternehmer gezahlten Zinsen mit dem Ergebnis unter Art. 11 OECD-MA, dass die Zinszahlungen/Sondervergütungen nur mit einer der Höhe nach begrenzten Quellensteuer belegt werden, dürfte dies – soweit es um die Sondervergütung geht – nunmehr und anders als bislang79 über § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG einen Besteuerungsrückfall nach Deutschland bewirken.80 Dies deshalb, weil Deutschland als Betriebsstättenstaat in dieser Konstellation über § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG, § 50d Abs. 10 EStG und Art. 7 Abs. 1 OECD-MA sehr wohl ein der Höhe nach uneingeschränktes Besteuerungsrecht für sich reklamieren würde. Daraus wiederum resultiert der für die Anwendung von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG nötige Qualifikationskonflikt, welcher seinerseits ursächlich für die – aus deutscher Sicht – insoweit nur unzureichende bzw. geringe Besteuerung der Sondervergütung im Ausland ist. Weiterhin nicht von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG erfasst werden hingegen Minder- oder Nichtbesteuerungen, wenn sich diese als Folge der Anwendung des ausländischen innerstaatlichen Rechts ergeben.81 Denn nach ihrem eindeutigem Wortlaut und dem gesetzgeberischen Willen82 betrifft die Norm nur „Nicht- oder Minderbesteuerungen“ als Konsequenz der Anwendung von DBA. Unterwirft der ausländische Staat die fraglichen Einkünfte demnach einer Besteuerung unterhalb des deutschen Belastungsniveaus, ohne dass ein Qualifikationskonflikt vorliegt, greift § 50d Abs. 9 EStG nicht (ggf. aber § 20 Abs. 2 AStG).

79 Vgl. insbesondere BFH v. 19.12.2013 – I R 109/13, IStR 2014, 527; v. 21.1.2016 – I R 49/14, BFHE 253, 115; Gosch in Kirchhof, § 50d, Rz. 41a sowie die Nachweise bei Gebhardt in Kanzler/Kraft/Bäuml, § 50d, Rz. 161. 80 Vgl. Gebhardt, IStR 2016, 1009, 1011. 81 Vgl. Gebhardt in Kanzler/Kraft/Bäuml, § 50d, Rz. 163. Hierzu wohl kritisch Benz/Böhmer, DB 2016, 1531, 1534. 82 Vgl. BT-Drs. 16/2712, 61.

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2. Gesonderte Betrachtungsweise der Einkunftsquelle nach § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG Vor dem Hintergrund der Neuformulierung des § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG hat der Gesetzgeber Abs. 9 flankierend um einen Satz 4 ergänzt. Hiernach sollen Einkünfte, die nach den Bestimmungen eines DBA „aufgrund ihrer Behandlung in anderen Vertragsstaaten nicht von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen werden, […] auch auf Teile von Einkünften anzuwenden [sein], soweit die Voraussetzungen der jeweiligen Bestimmungen des Abkommens hinsichtlich dieser Einkommenszeile erfüllt sind“. Im Kern bedeutet dies, dass insbesondere die in den DBA vorgesehenen Besteuerungsvorbehalte (Subject-to-tax- und Switchover-Klauseln), in deren Folge die Freistellungsmethode mangels einer Besteuerung im Quellenstaat bereits abkommensrechtlich suspendiert wird, auch dann anzuwenden sind, soweit Teile der Einkünfte im Ausland nicht besteuert werden. Die Ergänzung erfolgt vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BFH83, wonach Einkünfte für die Frage nach ihrer Besteuerung grundsätzlich nicht in einzelne Bestandteile zerlegt werden müssen.84 Eine solche gesonderte Betrachtungsweise der Einkunftsquelle schreibt § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG nunmehr aber explizit vor.85 Durch diese Handhabe entfällt nicht nur die Vorteilhaftigkeit der Freistellungsmethode, keine umfangreichen Nachforschungen über die Besteuerung im anderen Staat anstellen zu müssen, sondern sie unterstreicht auch die allgemeine Abkehr von der Freistellungsmethode.86 Im Übrigen wird in der Gesetzesbegründung ausdrücklich erwähnt, dass die Regelung von Satz 4 auf alle bestehenden DBA anzuwenden ist, die eine Einbeziehung von Teilen von Einkünften nicht bereits ausdrücklich vorsehen.87 Diese Neuregelung stellt eine neue Dimension von Treaty Overrides dar, weil im Zuge dessen bestehende DBA mittelbar durch die nationale Rechtsauffassung Deutschlands ergänzt bzw. über einen unilateralen Anwendungsbefehl

83 84 85 86 87

Vgl. BFH v. 27.8.1997 – I R 127/95, BStBl. II 1998, 58. Vgl. Gebhardt, IStR 2016, 1009, 1009. Vgl. Gebhardt, IStR 2016, 1009, 1009; Schnitger, IStR 2016, 637, 639 f. Vgl. Benz/Böhmer, DB 2016, 1531, 1537; Gebhardt, IStR 2016, 1009, 1009. Vgl. Begründung des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes, BT-Drs. 18/9536, 57.

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interpretiert werden.88 Es bleibt abzuwarten, wie die anderen Vertragsstaaten hiermit umgehen werden.89

VIII. Fazit Der Gesetzgeber hat mit dem Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz auf die Ergebnisse des BEPS-Projekts der OECD erstmalig reagiert und die Verrechnungspreisdokumentationsvorschriften angepasst, den internationalen Informationsaustausch ausgeweitet und den Betriebsausgabenabzug bei Mitunternehmerschaften mit internationalem Gesellschafterkreis beschränkt. Darüber hinaus wurde – mal wieder – das Gesetzgebungsverfahren genutzt, um auf die unliebsame Rechtsprechung des BFH bei der Hinzurechnungsbesteuerung und der Anwendung des § 50d Abs. 9 EStG zu reagieren. Das erste Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz zeigt deutlich – im internationalen Kontext aber auch exemplarisch –, welche Schlussfolgerungen die nationalen Gesetzgebungsorgane und Finanzbehörden aus dem OECD-Aktionspaket ziehen: –

Die Gesetzgeber reagieren mit nationalen Maßnahmen zur Sicherung des eigenen Steueraufkommens; die internationale Doppelbesteuerung wird dabei bewusst in Kauf genommen.



Die internationale Transparenz des Steuerpflichtigen nimmt deutlich zu; ob dies tatsächlich im zentralen Interesse des deutschen Fiskus ist, muss stark bezweifelt werden.



Der Gesetzgeber verlässt zunehmend tradierte Besteuerungsmechanismen und -systeme und schärft immer mehr einzelfallbezogene Regelungen (wie z.B. § 4i EStG, § 50d Abs. 9, 10 und 12 EStG).



Das internationale Steuerrecht wird immer komplizierter und ist für den „normalen Rechtsanwender“ – unabhängig ob er von der Unternehmensseite, Beraterschaft oder der Finanzverwaltung kommt – kaum noch anwendbar.



Bei aller Kritik zeigt das Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz allerdings auch, dass der Gesetzgeber bereit und fähig ist, wie bei § 50i EStG geschehen, fehlerhafte und überschießende Gesetze rückwirkend zurückzunehmen.

88 Vgl. Benz/Böhmer, DB 2016, 1531, 1535; Sommer/Retzer, ISR 2016, 283, 290. 89 Vgl. Benz/Böhmer, DB 2016, 1531, 1535.

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Aktuelle Entwicklungen des EU-Beihilferechts im Bereich der Unternehmensbesteuerung Oberregierungsrat Thomas Rupp Ministerium für Finanzen und Wirtschaft, Baden-Württemberg, Stuttgart Professor Dr. Jens Blumenberg Steuerberater, Frankfurt a.M. Inhaltsübersicht 1. Einleitung 2. Grundlagen 2.1 Generelles Beihilfeverbot, Ausnahmen und Verfahren 2.2 Begriff der Beihilfe 2.3 Selektivität als zentrales Beurteilungskriterium 2.3.1 Generelle Anmerkungen 2.3.2 Prüfung der Selektivität steuerlicher Maßnahmen in drei Schritten 3. Aktuelle Entwicklungen im deutschen Unternehmenssteuerrecht 3.1 Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG a.F.) 3.1.1 Ausgangslage 3.1.2 Beihilfeentscheidung der Kommission und Klagen vor dem EuG 3.1.3 Ausblick und kritische Würdigung 3.2 Sanierungserlass 3.2.1 Ausgangslage

3.2.2 Vorlagebeschluss des X. Senats des BFH an den Großen Senat 3.2.3 Ausblick und kritische Würdigung 3.3 Grunderwerbsteuerliche Konzernklausel (§ 6a GrEStG) 3.3.1 Ausgangslage 3.3.2 Verfahren vor dem BFH 3.3.3 Ausblick und kritische Würdigung 3.4 Verschonungsregelungen im ErbStG 3.4.1 Ausgangslage 3.4.2 Ausblick und Würdigung 4. Tax Rulings (steuerliche Vorabzusagen) 4.1 Tax Rulings als staatliche Beihilfen 4.2 Informationsaustausch zu Tax Rulings 5. Schlussbemerkungen

1. Einleitung Die Bedeutung, die das unionsrechtliche Beihilfeverbot auf mitgliedstaatliche Steuervergünstigungen haben kann, ist spätestens seit Bekanntwerden der Verfahren der Kommission in Sachen Apple, Amazon, 443

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Starbucks, Fiat, McDonald’s u.a. in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Die Kommission prüft insbesondere, ob die sog. Tax Rulings, welche Irland, Luxemburg, die Niederlande und Belgien den genannten und weiteren Unternehmen erteilt haben, verbotene Beihilfen i.S.d. Art. 107 AEUV darstellen. Aber auch unionsrechtlich bislang völlig unverdächtige Regelungen des deutschen Steuerrechts, wie zunächst die Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG a.F. und seit einiger Zeit der sog. Sanierungserlass, die Konzernklausel des § 6a GrEStG und andere Regelungen stehen neuerdings auf dem Prüfstand des Beihilferechts. Das in Art. 107 ff. AEUV geregelte Beihilfeverbot ist, das sollte man sich klar vor Augen halten, kein steuerrechtliches Thema. Beim Beihilfeverbot handelt es sich vielmehr um jahrzehntealtes Wettbewerbsrecht der EU, das die Gewährleistung des unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt zum Ziel hat. Die Angleichung oder gar die Harmonisierung von Steuern der Mitgliedstaaten wird vom Beihilferecht nicht bezweckt. Andererseits verhält es sich so, dass die Mitgliedstaaten den Unternehmen die unterschiedlichsten steuerlichen Vergünstigungen und Entlastungen gewähren oder umgekehrt Sondersteuern oder zusätzliche Steuern erheben und in diesem Zusammenhang das EU-Beihilferecht zu beachten ist. Dass steuerliche Vergünstigungen, sei es in Gesetzesform, als Einzelmaßnahme oder in Form von Verwaltungspraktiken im Einzelfall unzulässige Beihilfen darstellen können, ist seit jeher unstreitig. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich vor diesem Hintergrund mit aktuellen Entwicklungen des EU-Beihilferechts im Bereich der Unternehmensbesteuerung. Nachfolgend werden zunächst die unionsrechtlichen Grundlagen des Beihilfeverbots dargestellt. Besondere Beachtung findet das beihilferechtliche Kriterium der materiellen Selektivität einer (steuerlichen) Maßnahme. Den Schwerpunkt bildet sodann eine Analyse der beihilferechtlichen Relevanz ausgesuchter innerstaatlicher Steuerregelungen sowie mehrerer von der Kommission als Beihilfe beanstandeter Tax Rulings. Der Beitrag wird mit einigen thesenförmigen Anmerkungen zum gegenwärtigen Stand des Unternehmenssteuerrechts im Hinblick auf das EU-Beihilfeverbot abgeschlossen.

2. Grundlagen 2.1 Generelles Beihilfeverbot, Ausnahmen und Verfahren Art. 107 Abs. 1 AEUV verbietet „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung be444

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stimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, […] soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen“. Bezweckt wird der Schutz der in der Union tätigen Unternehmen vor Wettbewerbsverfälschungen. Um dies zu erreichen, dürfen die Mitgliedstaaten den Unternehmen Vorteile oder Vergünstigungen („Beihilfen“) nur in bestimmten, genau geregelten Ausnahmefällen und unter Beachtung spezieller verfahrensrechtlicher Vorschriften gewähren. Art. 107 Abs. 2 AEUV enthält eine Definition von Ausnahmemaßnahmen, die per se mit dem Beihilferecht vereinbar sind.1 Art. 107 Abs. 3 AEUV enthält Ausnahmen, deren Anwendung in das Ermessen der Kommission gestellt ist.2 Die beihilferechtliche Prüfung obliegt der Kommission (Art. 108 AEUV), die ihre „Entscheidungen“ an den die jeweilige Maßnahme gewährenden Mitgliedstaat richtet. Unterscheiden lassen sich „neue“ und „bestehende“ Beihilfen: Neue Beihilfen sind der Kommission von den Mitgliedstaaten zu melden und unterliegen bis zu ihrer Genehmigung einem Durchführungsverbot (Art. 108 Abs. 3 AEUV). Bestehende Beihilfen können dagegen solange gewährt werden, wie die Kommission nicht deren Unionsrechtswidrigkeit festgestellt hat. Hierunter fallen u.a. solche Beihilfen, welche die Mitgliedstaaten vor ihrem jeweiligen Beitritt zur EWG/ EG/EU eingeführt haben.3 Sofern eine Beihilfe als mit dem Binnenmarkt für unvereinbar erklärt – und damit vom Mitgliedstaat rechtswidrig gewährt – wird, hat der sie gewährende Mitgliedstaat ihre Rückabwicklung zu veranlassen, d.h. er hat die Beihilfe vom Begünstigten zurückzufordern. Die Frist für die Rückforderung rechtswidrig gewährter Beihilfen beträgt zehn Jahre beginnend ab Gewährung der Maßnahme. Nationales Verfahrensrecht (Bestandskraft von Bescheiden, Festsetzungsverjährung usw.) stehen einer Rückforderung regelmäßig ebenso wenig entgegen, wie der Grundsatz des Vertrauensschutzes in mitgliedstaatliche Maßnahmen, die gegen EU-Recht

1 Hierzu zählen z.B. Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder durch außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind. 2 Beispielsweise Beihilfen zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) und Beihilfen für Unternehmen in strukturschwachen Gebieten. 3 Um eine solche Altbeihilfe handelte es sich beispielsweise in der Rechtssache „P Oy“, welche die Vereinbarkeit der finnischen Sanierungsklausel (vergleichbar § 8c Abs. 1a KStG) mit dem Beihilferecht zum Gegenstand hatte; vgl. EuGH v. 18.7.2013, P Oy, Rs. C-6/12, ECLI:EU:C:2013:525, ABl. EU Nr. C (2013) 260, 10.

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verstoßen.4 Daher haben „negative“ Beihilfeentscheidungen für die (zunächst begünstigten) Unternehmen nicht selten empfindliche Auswirkungen.

2.2 Begriff der Beihilfe Der in Art. 107 Abs. 1 AEUV enthaltene Begriff der Beihilfe bezeichnet nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH5 und dem Verwaltungshandeln der Kommission6 eine Maßnahme, die (i)

durch den Staat oder aus staatlichen Mitteln gewährt wird und einem Mitgliedstaat zuzurechnen ist,7

(ii) bei dem Unternehmen, dem sie gewährt wird, einen wirtschaftlichen Vorteil bewirkt, (iii) geeignet ist, den Wettbewerb und Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und (iv) nur einen bestimmten Kreis von Unternehmen begünstigt, d.h. selektiven Charakter hat. Im Bereich der Unternehmensbesteuerung kommen als Beihilfen gesetzliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten grundsätzlich ebenso in Betracht wie individuelle Maßnahmen der Finanzverwaltungen, nicht hingegen allgemein wirkende Regelungen der nationalen Steuerrechtsordnungen. Bei der Prüfung der betreffenden Maßnahmen werden die bestehenden mitgliedstaatlichen Steuersysteme als gegeben angesehen. Der Umstand, dass in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Steuersysteme existieren, spielt für die Beihilfeeigenschaft einzelner Maßnahmen keine Rolle. Dies ist auch konsequent, weil es bei 28 verschiedenen 4 Vgl. Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, IFSt Nr. 473 (2011), S. 28. 5 Vgl. EuGH v. 24.7.2003, Altmark Trans, Rs. C-280/00, ECLI:EU:C:2003:415, Rz. 75; EuGH v. 21.3.1990 – Rs. C-142/87, ABl. 1990 C 101, 3 Rz. 25 – Belgien/ Kommission; vgl. EuGH v. 14.9.1994, Spanien/Kommission, Rs. C-278/92 bis C-280/92, ECLI:EU:C:1994:325, Rz. 20; EuGH v. 16.5.2002, Frankreich/Kommission, Rs. C-482/99, ECLI:EU:C:2002:294, Rz. 68. 6 Vgl. Bekanntmachung der Kommission vom 19.7.2016 zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU Nr. C (2016) 262, 1. 7 Bei den beiden Merkmalen handelt es sich um getrennte Voraussetzungen, die beide erfüllt sein müssen. Vgl. EuGH v. 16.5.2002, Frankreich/Kommission (Stardust), Rs. C-482/99, ECLI:EU:C:2002:294, Rz. 24; vgl. EuGH v. 5.4.2006, Deutsche Bahn/Kommission, T-351/02, ECLI:EU:T:2006:104, Rz. 103.

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Steuersystemen in der Union unmöglich ist, den einzig richtigen Vergleichsmaßstab zu ermitteln. Damit ist das Beihilferecht als Instrument für eine Harmonisierung oder Annäherung der direkten Steuern in der Union weder vorgesehen noch geeignet.

2.3 Selektivität als zentrales Beurteilungskriterium 2.3.1 Generelle Anmerkungen Das wichtigste Kriterium für die Prüfung, ob eine mitgliedstaatliche Maßnahme eine Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt, ist die sog. Selektivität der betreffenden Maßnahme. Die Generalanwältin Kokott hat dies in ihren Schlussanträgen im Vorlageverfahren Finanzamt Linz wie folgt ausgedrückt: „Insbesondere im Steuerrecht [ist] die Selektivität einer Regelung das entscheidende Kriterium, weil die übrigen Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV nahezu immer erfüllt sind.“8 Generell wird zwischen materieller und regionaler (oder geographischer) Selektivität unterschieden. Die regionale Selektivität betrifft Maßnahmen, die nicht im gesamten Gebiet eines Mitgliedstaats Anwendung finden.9 Eine Maßnahme ist materiell selektiv, wenn sie eine Besserstellung eines bestimmten Kreises von Unternehmen oder Produktionszweigen im Verhältnis zu anderen Unternehmen/Produktionszweigen beinhaltet, die sich angesichts des Zwecks der in Rede stehenden Maßnahme in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befinden. Wirkt eine Maßnahme dagegen unterschiedslos für alle Unternehmen oder Produktionszweige, spricht man von einer „allgemeinen Maßnahme“, die keine Beihilfe ist. Eine allgemeine Maßnahme hatte das EuG in seinen Entscheidungen zur spanischen Goodwill-Abschreibung aus dem Jahr 2014 gesehen.10 Laut EuG erfordere eine Beihilfe die Identifikation einer „bestimmten“ Gruppe von Unternehmen, die allein von der fraglichen 8 GA Kokott, Schlussanträge v. 16.4.2015, Finanzamt Linz/Bundesfinanzgericht, Außenstelle Linz, Rs. C-66/14, ECLI:EU:C:2015:242, Rz. 114. 9 Auf die regionale Selektivität wird im Folgenden nicht weiter eingegangen. Vgl. dazu EuGH v. 6.9.2006, Portugal/Kommission („Azoren“), Rs. C-88/03, ECLI:EU:C:2006:511; EuGH v. 11.9.2008, Union General de Trabajadores de la Rioja u.a./Kommission – verb. Rs. C-428/06 bis 434/06, ECLI:EU:C2008:488. Vgl. auch die Bekanntmachung der Kommission zum Beihilfebegriff, ABl. EU Nr. C (2016) 262, 01 (a.a.O.), Rz. 142 ff. 10 Vgl. EuG v. 7.11.2014, Autogrill Espana, Rs.T-219/10, ECLI:EU:T:2014:939, Rz. 41; EuG v. 7.11.2014; Banco Santander; Rs. T-399/11, ECLI:EU:T:2014:938, Rz. 45.

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Maßnahme begünstigt wird. Demgegenüber liege keine Beihilfe vor, wenn die fragliche Maßnahme allen Unternehmen oder Wirtschaftszweigen des Mitgliedstaats offensteht, die die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH dieses Ergebnis im Revisionsverfahren teilt.11 Materielle Selektivität kann nicht nur de jure vorliegen, sondern de facto gegeben sein. Die de jure Selektivität ergibt sich unmittelbar aus den rechtlichen Kriterien für die Gewährung der Maßnahme, beispielsweise, wenn ein Unternehmen in einem bestimmten Wirtschaftszweig tätig sein muss, um eine bestimmte Vergünstigung erhalten zu können. De facto Selektivität liegt vor, wenn eine Maßnahme nach ihrer Grundkonzeption darauf abzielt, einzelne Wirtschaftsteilnehmer tatsächlich zu bevorzugen.12 Grundlegende Feststellungen zur de facto Selektivität enthält das Gibraltar-Urteil des EuGH.13 In der Sache ging es dabei um ausländische („Offshore-“)Unternehmen, die im Gegensatz zu in Gibraltar niedergelassenen Unternehmen von einer nur scheinbar für alle Unternehmen geltenden (generellen) Besteuerung nicht erfasst waren. Die Anwendung des Merkmals der Selektivität auf steuerliche Maßnahmen ist schwierig und streitanfällig. Dies liegt daran, dass Steuervergünstigungen ihrer Natur nach Verschonungssubventionen sind: Während das Wettbewerbsrecht bei der Prüfung grundsätzlich vom Tatbestand der Leistungssubvention ausgeht, bei der einem bestimmten Beihilfeempfänger beispielsweise ein Geldbetrag ausgezahlt wird, besteht die Sub11 Nachtrag: Zwischenzeitlich hat der EuGH die erstinstanzlichen Entscheidungen des EuG aufgehoben und die Verfahren an das EuG zurückverwiesen (vgl. EuGH v. 21.12.2016, Banco Santander u.a., verbundene Rs. C-20/15 P und 21/15 P, ECLI:EU:C:2016:981). Nach der Auffassung des EuGH sei es nicht erforderlich, eine „bestimmte“ Gruppe von Unternehmen zu identifizieren, die von einer Maßnahme begünstigt werde (Rz. 69 ff.); für den Nachweis der Selektivität einer Maßnahme reiche es vielmehr aus, „dass dargetan wird, dass sie bestimmte Wirtschaftsteilnehmer begünstigt und andere nicht, obwohl sich alle diese Wirtschaftsteilnehmer im Hinblick auf das mit der allgemeinen Steuerregelung verfolgte Ziel in einer objektiv vergleichbaren Situation befinden“ (Rz. 76). 12 Vgl. EuGH v. 29.6.1999, DM Transport, Rs. C-256/97, ECLI:EU:C:1999:332. Vgl. auch die Bekanntmachung der Kommission zum Beihilfebegriff, 2016/C 262/01 (a.a.O.), Rz. 118 m.w.N. 13 Vgl. EuGH v. 15.11.2011, Gibraltar, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732; vgl. auch EuGH v. 22.12.2008, British Aggregates/Kommission, Rs. C-487/06 P, ECLI:EU:C:2008:757, Rz. 85, 89; EuGH v. 8.9.2011, Kommission/Niederlande, Rs. C-279708, ECLI:EU:C:2011:551, Rz. 51.

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vention im Steuerrecht im Verzicht auf eine bestimmte, ansonsten geltende Besteuerung. Zu ermitteln ist im Steuerbereich daher, ob ein Vorteil gegenüber derjenigen Belastung vorliegt, die ein Unternehmen „normalerweise“ zu tragen hätte. Bei einer bereits gewährten Beihilfe kommt erschwerend hinzu, dass der Vorteil nicht nur identifiziert, sondern auch bewertet werden muss. 2.3.2 Prüfung der Selektivität steuerlicher Maßnahmen in drei Schritten Um festzustellen, ob eine staatliche Maßnahme selektiver Natur ist, ist nach der Rechtsprechung des EuGH,14 der auch die Kommission folgt,15 grundsätzlich eine dreistufige Analyse vorzunehmen: (i)

Im ersten Schritt ist das (steuerliche) Referenz- oder Bezugssystem zu ermitteln, d.h. es ist diejenige allgemein geltende steuerrechtliche Regelung zu identifizieren, die im nationalen Recht die Grundregel der steuerlichen Behandlung eines Sachverhalts darstellt.

(ii) Im zweiten Schritt ist zu prüfen, ob die in Rede stehende Maßnahme eine Ausnahme von diesem Bezugssystem darstellt. Entscheidend ist dabei, ob die Maßnahme nur bestimmten Unternehmen oder Wirtschaftszweigen zugute kommt und Unternehmen oder Wirtschaftszweige unterschiedlich behandelt werden, die sich im Hinblick auf das mit der Maßnahme verfolgte Ziel in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befinden. Ist dies der Fall, so ist die Maßnahme prima facie selektiv. (iii) Liegt eine Ausnahme vom Bezugssystem vor (ist also die Maßnahme prima facie selektiv), so ist schließlich im dritten Schritt zu prüfen, ob sie gleichwohl gerechtfertigt ist. Keine Beihilfe liegt vor, wenn der Mitgliedstaat nachweisen kann, dass die Differenzierung innerhalb des Steuersystems anhand objektiver Kriterien erfolgt und aus der Natur oder dem inneren Aufbau des Steuersystems folgt (sog.

14 Vgl. die grundlegende Entscheidung des EuGH v. 8.9.2011, Paint Graphos, Rs. C-78/08 bis 80/08, ECLI:EU:C:2011:550, Rz. 49, ABl. EU Nr. C (2011) 311, 6, sowie EuGH v. 18.7.2013, P Oy, Rs. C-6/12, ECLI:EU:C:2013:525, ABl. EU Nr. C (2013) 260, 10; EuGH v. 9.10.2014, Navantia, Rs. C-522/13, ECLI:EU:C:2014:2262, ABl. EU Nr. C (2014) 439, 12. 15 Vgl. Bekanntmachung der Kommission 2016/C 262/01 zum Beihilfebegriff (a.a.O.), Rz. 128 ff.

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Systemimmanenz).16 Gelingt dieser Nachweis, so wird die Beihilfeeigenschaft verneint. Die Maßnahme ist dann Ausdruck mitgliedstaatlicher Souveränität in Steuersachen. Die Prüfung der Maßnahmen hat anhand der Wertungen des jeweiligen Mitgliedstaats zu erfolgen und nicht anhand eines abstrakten EU-Normalsteuersystems.17 Bei enger Interpretation dieser dreistufigen Analyse könnte der Eindruck entstehen, dass sich das Kriterium der Selektivität durch geeignete Gesetzestechnik vermeiden ließe: Die Regelung müsse also nur so ausgestaltet sein, dass sie dem Wortlaut nach für alle Wirtschaftsteilnehmer gilt, tatsächlich aber nur eine bestimmte Gruppe von ihr betroffen ist. Tatsächlich sollte eine derartige Umgehung aber nicht gelingen, da, wie oben dargestellt, eine Maßnahme auch de facto selektiv sein kann.

3. Aktuelle Entwicklungen im deutschen Unternehmenssteuerrecht Mit Blick auf das in Deutschland aktuell geltende Unternehmenssteuerrecht ist festzustellen, dass bis vor einiger Zeit beihilferechtlich noch völlig unverdächtige Ausnahme- oder Verschonungsregelungen inzwischen im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 107 Abs. 1 AEUV kontrovers diskutiert werden. Spätestens seit Aufgriff der sog. Sanierungsklausel (Verschonung vom Verlustuntergang gem. § 8c Abs. 1a KStG a.F.) durch die Kommission hat die steuerliche Fachwelt von der Relevanz des Beihilferechts Kenntnis genommen. In den Blickpunkt des Fachinteresses gerückt sind ferner (u.a.) der sog. Sanierungserlass18, die grunderwerbsteuerrechtliche Konzernklausel (§ 6a GrEStG), die Verschonungsregelungen im ErbStG und die Suspendierung der Rechtsfolgen einer vGA für sog. Dauerverlustbetriebe des kommunalen Querverbunds (§ 8 Abs. 7 KStG).19 Die von der Kommission aufgegriffenen Tax Rulings zugunsten 16 Vgl. EuG v. 12.2.2008, Rs. T-289/03, ECLI:EU:T:2008:29, ABl. Nr. C (2008) 79, 25; GA Jääskinen, Schlussantrag v. 7.4.2011, Kommission und Spanien/ Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich, Rs. C-106/09 P und C-107/07 P, Slg 2011, I-11113-11234. 17 Vgl. Ismer/Piotrowski, IStR 2015, 257, 259. 18 Vgl. BMF-Schreiben v. 27.3.2003, BStBl. I 2003, 240; ergänzt durch BMFSchreiben v. 22.12.2009, BStBl. I 2010, 18. 19 Die Verschonung von den Rechtsfolgen der vGA für sog. Dauerverlustbetriebe im kommunalen Querverband wird in diesem Beitrag nicht weiter behandelt. Vgl. dazu Märtens in Nationale und Internationale Unternehmensbesteue-

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von Apple etc. betreffen nicht das Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland; sie werden nachfolgend aber ebenfalls kurz behandelt, weil die von der Kommission ergriffenen Maßnahmen mittelbar auch im deutschen Steuerrecht ihren Niederschlag gefunden haben.

3.1 Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG a.F.) 3.1.1 Ausgangslage Die beihilferechtliche Problematik der Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG a.F. erschließt sich am besten mit Blick auf die Entwicklung der Norm: Im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 200820 hatte der Gesetzgeber – angesichts erheblicher praktischer Anwendungsprobleme bei der ehemals geltenden Mantelkaufregelung (§ 8 Abs. 4 KStG) – den Verlustabzug von Körperschaften bei Anteilseignerwechsel neu geregelt. Nach § 8c KStG gehen von einer Körperschaft nicht genutzte Verluste anteilig/vollständig unter, wenn innerhalb von fünf Jahren unmittelbar oder mittelbar mehr als 25 %/50 % der Anteile an der verlusttragenden Körperschaft an einen Erwerber bzw. eine Erwerbergruppe übertragen werden oder ein vergleichbarer Sachverhalt gegeben ist. Diese vermeintlich einfache Regelung sollte, ausweislich der Gesetzesmaterialien, ausschließlich der Gegenfinanzierung der damals ebenfalls eingeführten Tarifabsenkung der Körperschaftsteuer (von 25 % auf 15 %) dienen.21 Die Rede war damals von einer Norm „ohne Telos“, die mit der zielgerichteten Bekämpfung eines als missbräuchlich angesehenen Handels mit Verlustmänteln nichts mehr gemein hatte.22

rung in der Rechtsordnung, Festschrift für Dietmar Gosch zum Ausscheiden aus dem Richteramt, 2016, S. 279 ff. 20 Vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008, BStBl. I 2008, 736. 21 Vgl. Seer, GmbHR 2016, 394, 395; Gosch/Roser, KStG, § 8c Rz. 2; FG Hamburg, Beschl. v. 4.4.2011 – 2 K 33/10, GmbHR 2011, 711, 715. 22 Nachtrag: Zwischenzeitlich hat der 2. Senat des BVerfG mit Beschluss v. 29.3.2017 (2 BvL 6/11, DStR 2017, 1094) § 8c S. 1 KStG – der dem heutigen § 8c Abs. 1 S. 1 KStG entspricht – insoweit wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz für verfassungswidrig erklärt, als bei der Übertragung von mehr als 25 % des gezeichneten Kapitals einer Körperschaft die existenten Verlustvorträge quotal untergehen. Das BVerfG hat zudem den Gesetzgeber verpflichtet, spätestens bis zum 31.12.2018 rückwirkend zum 1.1.2008 eine verfassungskonforme Neuregelung zu finden. Kommt der Gesetzgeber dem nicht nach, tritt am 1.1.2019 im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit rückwirkend die Nichtigkeit von § 8c (Abs. 1) Satz 1 KStG ein. Die Entscheidung des

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Allerdings stellte sich vor dem Hintergrund der damals einsetzenden Finanz- und Wirtschaftskrise schnell heraus, dass der ausnahmslose Verlustuntergang (allein aufgrund Wechsel des Anteilseigners) zu weit ging. Auch der Gesetzgeber erkannte, dass die Ausgangsregelung auch verschonenswerte Konstellationen umfasste und verabschiedete binnen kurzer Zeit mehrere Ausnahmeregelungen. Die erste Ausnahme bildete im August 2008 die Verschonung für den Erwerb von Unternehmen durch Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften (§ 8c Abs. 2 KStG a.F.).23 Da sich der Gesetzgeber der Beihilferelevanz dieser Ausnahme bewusst war, stellte er ihr Inkrafttreten unter den Vorbehalt der beihilferechtlichen Zustimmung der Kommission. Die Kommission stufte die Regelung am 30. September 2009 jedoch als unzulässige Beihilfe ein, was zur Folge hatte, dass § 8c Abs. 2 KStG nie in Kraft getreten ist.24 Als weitere Ausnahme wurde sodann im Juli 2009 – rückwirkend – die hier im Fokus stehende Sanierungsklausel eingeführt:25 Vom Verlustuntergang ausgenommen werden sollten Sachverhalte, in denen der Beteiligungserwerb (auch) der Sanierung des Geschäftsbetriebs der erworbenen Körperschaft diente. Voraussetzung dafür war insbesondere das Vorliegen einer Sanierungsmaßnahme, die darauf gerichtet sein musste, die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Körperschaft zu verhindern oder zu beseitigen und zugleich ihre wesentlichen Betriebsstrukturen zu erhalten. Anders als die Ausnahme für Wagniskapitalbeteiligungen wurde die Sanierungsklausel der Kommission nicht zur Prüfung vorgelegt. Später wurde der Kreis der Ausnahmen vom Verlustuntergang im Dezember 2009 um die Konzernklausel (§ 8c Abs. 1 Satz 5 KStG n.F.) und die Stille-Reserven-Klausel (§ 8c Abs. 1 Satz 6–8 KStG n.F.) erweitert.26 Beide Regelungen wurden ebenfalls nicht als Beihilfe notifiziert27

23 24 25 26 27

BVerfG hat damit Auswirkungen auf die beihilferechtliche Problematik der Sanierungsklausel. Vgl. Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen v. 12.8.2008 (MoRaKG), BGBl. I 2008, 1672 ff. Vgl. Entscheidung der Kommission v. 30.9.2009, Rs. C 2/2009 (ex N 221/2008 und N 413/2008), ABl. EU Nr. L (2010), 6, 32. Vgl. Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung v. 16.7.2009, BGBl. I 2009, 1959. Vgl. Wachstumsbeschleunigungsgesetz v. 22.12.2009, BGBl. I 2009, 3950. Nachtrag: Durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften v. 20.12.2016 (BGBl. I, S. 2998) hat der Gesetz-

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3.1.2 Beihilfeentscheidung der Kommission und Klagen vor dem EuG Die Kommission nahm dem Gesetzgeber mit seiner Aussage, dass die Sanierungsklausel (nur) sanierungsbedürftige Unternehmen unterstützen solle, beim Wort und leitete ein beihilferechtliches Prüfungsverfahren ein.28 Mit Beschluss vom 26. Januar 2011 stellte sie fest, dass § 8c KStG wie zuvor bereits die Ausnahme für Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe i.S.d. Art. 107 AEUV darstelle, und verpflichtete die Bundesregierung, die Regelung des § 8c Abs. 1a KStG aufzuheben und die bisher gewährten Beihilfen zurückzufordern.29 Gegen den Beschluss der Kommission erhoben die Bundesregierung und 15 Unternehmen (darunter die Firmen „Heitkamp“ und „GFKL“) Nichtigkeitsklagen beim EuG gem. Art. 263 AEUV. Die Unternehmen hatten jeweils vor Verwirklichung des schädlichen Beteiligungserwerbs verbindliche Auskünfte (§ 89 Abs. 2 AO) erhalten, dass die Voraussetzungen der Sanierungsklausel jeweils erfüllt seien; in einem Fall waren die Verlustvorträge sogar bereits genutzt worden.30 Am Rande sei noch erwähnt, dass die Bundesregierung ihre Klage gegen den Kommissionsbeschluss verspätet erhoben hatte und die Kommission eine Klagebefugnis der „betroffenen“ Unternehmen als nicht gegeben ansah.31 Mit Urteil vom 4. Februar 2016 entschied das EuG die Rs. „Heitkamp“ und „GFKL“: Zwar seien die klagenden Unternehmen von der Entscheidung der Kommission unmittelbar und individuell betroffen und damit klagebefugt. Materiell-rechtlich stelle die Sanierungsklausel indes eine unzulässige staatliche Beihilfe i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV dar.32 Im Mittelpunkt des Urteils stand die Prüfung der Selektivität der Sanierungsklausel, die das EuG in drei Schritten wie folgt vornahm: (i)

28 29 30

31 32

Der Bezugsrahmen des deutschen Körperschaftsteuerrechts bestünde aus der allgemeinen Regelung des Verlustvortrags (§ 10d Abs. 2

geer mit § 8d KStG weitere Ausnahmen von der Verlustabzugsbeschränkung nach § 8c KStG eingeführt. Beschluss der Kommission v. 24.2.2010, ABl. EU Nr. C (2010), 90, 8. Vgl. Beschluss der Kommission v. 26.1.2011, ABl. EU Nr. L (2011) 235, 26. Vgl. EuG v. 4.2.2016, Heitkamp BauHolding/Kommission, Rs. T-287/11, ECLI:EU:T:2016:60; EuG v. 4.2.2016, GFKL Financial Services AG/Kommission, Rs. T-620/11, ECLI:EU:T:2016:59. Für Einzelheiten vgl. Blumenberg/Haisch, FR 2012, 12, 13. Vgl. EuG v. 4.2.2016, a.a.O.

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EStG), die durch die Regel der Verlustuntergangs bei schädlichem Beteiligungserwerb beschränkt werde.33 (ii) Die Sanierungsklausel bilde hiervon eine Ausnahme, die den Verlustuntergang für solche Unternehmen ausschließt, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden. Für diese Unternehmen, deren Anteilseignerstruktur sich entsprechend der Schwellenwerte des § 8c Abs. 1 KStG im Hinblick auf das mit dem Steuersystem verfolgte Ziel in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befänden, sei die Sanierungsklausel deshalb prima facie selektiv. (iii) Hinsichtlich einer möglichen Rechtfertigung führte das EuG aus, dass das Hauptziel der Sanierungsklausel darin bestehe, Unternehmen zu fördern, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befänden, was wiederum nicht zu den Grund- oder Leitprinzipien des Steuersystems gehöre. Auch das Argument des „marktwirtschaftlich handelnden Gläubigers“ ließ das EuG nicht gelten.34 3.1.3 Ausblick und kritische Würdigung Inzwischen sind gegen die Entscheidungen des EuG Revisionen beim EuGH anhängig.35 Die Bundesrepublik Deutschland ist diesen Verfahren als Streithelferin beigetreten.36 Der Verfahrensausgang ist völlig offen. Unklar ist derzeit auch, ob und inwieweit der EuGH auf die Rs. „P Oy“ Bezug nimmt. Eine solche Bezugnahme wird in der Literatur als naheliegend angesehen, da sich der EuGH als Revisionsinstanz bereits mit einer der deutschen Sanierungsklausel vergleichbaren Regelung des finnischen

33 Die Praxis hatte hier auf eine Auseinandersetzung des Gerichts mit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache P Oy v. 18.7.2013, Rs. C-6/12, gehofft; vgl. de Weerth, DB 2016, 682, 683. Die Rs. P Oy betraf die beihilferechtliche Qualität einer der Sanierungsklausel vergleichbaren Regelung in Finnland. Über die finnische Regelung hat der EuGH aber nicht abschließend entschieden, weil es sich um eine bestandsgeschützte „Alt-Beihilfe“ handelte; vgl. de Weerth, DB 2016, 682, 683; Hackemann/Sydow, IStR 2013, 786, 786. 34 Vgl. EUG v. 4.2.2016, GFKL Financial Services/Kommission, Rs. T-620/11, ECLI:EU:T:2016:59, vgl. Rz. 168 ff. 35 Rechtsmittel des Herrn Dirk Anders (Insolvenzverwalter über das Vermögen der Heitkamp BauHolding GmbH) Rs. C-203/16 P, Abl. EU Nr. C (2016) 211, 37; GFKL Financial Services GmbH (vormals GFKL Financial Services AG) Rs. C-219/16 P, Abl. EU Nr. C (2016) 222, 8. 36 Vgl. Art. 40 der EuGH-Satzung, Abl. EU Nr. C (2010) 83, 1.

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Steuerrechts befasst habe, indes in der Sache nicht entscheiden musste, weil es sich dabei – wenn überhaupt – um eine bestehende (Alt-)Beihilfe handelte.37 Die Entscheidung des EuG mag man als falsch empfinden, sonderlich überraschend war sie nicht. Anlass für den Aufgriff durch die Kommission war insbesondere die Gesetzesbegründung, in der die Sanierungsklausel als wirtschaftslenkende und damit zielgerichtet begünstigende Norm dargestellt wurde. Wie Seer zutreffend feststellt, hat die teleologische Schwäche des Gesetzgebers der Kommission (und inzwischen auch dem EuG) die Tür dazu geöffnet, den Verlustuntergang nach § 8c KStG zum Bezugssystem zu küren.38 Anschaulich spricht Schön vom „Fluch der bösen Tat“, die den Gesetzgeber einhole, weil er mit der ursprünglichen Regelung des § 8c KStG weit über das ehemals von § 8 Abs. 4 KStG verfolgte Ziel der Missbrauchsbekämpfung beim Mantelkauf hinausgeschossen sei und mit der telosfreien Urfassung des § 8c KStG ggf. erst eine neues „Sub-Referenzsystem“ geschaffen habe, welches die Kommission im Hinblick auf die Differenzierung zwischen sanierungsbedürftigen und nicht sanierungsbedürftigen Gesellschaften aufgegriffen habe.39 Nach der hier vertretenden Auffassung stellt § 8c KStG mit seinen verschiedenen Ausnahmen eine Regelung zur Bekämpfung des Missbrauchs dar, auch wenn dies zunächst nicht offen zum Ausdruck kam. Deutlich wird dies insbesondere durch das jüngste Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften. Es ermöglicht einen neuen „fortführungsgebundenen Verlustvortrag“, wenn die Verlustgesellschaft ihren Geschäftsbetrieb nach dem Anteilseignerwechsel fortführt und bestimmte weitere Bedingungen erfüllt werden (§ 8d KStG). In den allgemeinen Erwägungen des Gesetzentwurfs ist zu lesen, dass es trotz Stille-Reserven-Klausel und Konzernklausel Fälle gibt, „in denen ein Untergang der Verluste bei Anteilseignerwechsel in einer Körperschaft aus wirtschaftlichen Erwägungen nicht gerechtfertigt und aus steuersystematischer Sicht nicht erforderlich erscheint“ und – weiter – die Neuregelung „dem fortbestehenden gesetzgeberischen Ziel, den Han-

37 Vgl. EuGH v. 18.7.2013, P Oy, Rs. C-6/12, ECLI:EU:C:2013:525, Rz. 34 ff.; die finnische Regelung unterlag als sog. „Alt-Beihilfe“ dem Bestandsschutz. 38 Vgl. Seer, GmbHR 2016, 394, 397. 39 Vgl. Schön, JbFSt 2011/2012, 119, 125.

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del mit steuerlichen Verlusten zuverlässig zu unterbinden … verpflichtet [ist]“.40 Bezogen auf die oben dargestellte dreistufige beihilferechtliche Prüfung der Sanierungsklausel bedeutet dies, dass das maßgebliche Bezugssystem richtigerweise der Fortbestand des Verlustabzugs (und nicht dessen Untergang) ist und der Verlustuntergang bei Anteilseignerwechsel (außerhalb der gesetzlich geregelten Rückausnahmefälle) hierzu die Ausnahme bildet. Die Sanierungsklausel bewirkt die Rückkehr zum Bezugssystem und stellt deshalb keine Beihilfe dar.

3.2 Sanierungserlass 3.2.1 Ausgangslage Die beihilferechtliche Qualifikation des sog. Sanierungserlasses ist ein bislang nicht geklärtes Problem im deutschen Sanierungssteuerrecht. Seit der Streichung des § 3 Nr. 66 EStG im Jahr 1998 sind Gewinne, die ein Unternehmen erzielt, weil seine Gläubiger in der Krise auf Forderungen verzichten, nicht mehr gesetzlich steuerfrei gestellt. Zur Nichtbesteuerung derartiger Sanierungsgewinne waren Unternehmen auf Billigkeitsmaßnahmen der Finanzverwaltung angewiesen. Einzelheiten fanden sich im sog. Sanierungserlass des BMF, einer allgemeinverbindlichen Verwaltungsanweisung aus dem Jahr 2003.41 Der Erlass ordnete eine mehrstufige Vorgehensweise bei der Behandlung von Sanierungsgewinnen an, bei der am Ende – nach Verrechnung des Gewinns mit etwaigen Verlustvorträgen und einer Steuerstundung – der Erlass der gestundeten Steuer auf den Sanierungsgewinn stand (§ 227 AO).42 Der Sanierungserlass war lange Zeit Gegenstand kontroverser Auseinandersetzungen in der Fachliteratur und der Rechtsprechung.43 40 Vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften v. 17.10.2016, BT-Drucks. 18/9986, 10 f. 41 Vgl. BMF-Schreiben v. 27.3.2003, BStBl. I 2003, 240; ergänzt durch BMFSchreiben v. 22.12.2009, BStBl. I 2010, 18. 42 Vgl. BMF-Schreiben v. 27.3.2003, BStBl. I 2003, 240 ff., Rz. 1; zur Anwendung des Sanierungserlasses vgl. auch die Verfügung der OFD Frankfurt/M., Kurzinformation v. 7.8.2015 – S 2140 A – 4 – St 213, DStR 2015, 2497. 43 Zur Rechtmäßigkeit des Sanierungserlasses existiert eine Vielzahl von finanzgerichtlichen Urteilen, die mit unterschiedlichen Begründungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, vgl. Schuster, jurisPR-SteuerR 32/2015 Anm. 2. Nach Erstellung dieses Manuskripts hat der GrS des BFH mit Be-

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3.2.2 Vorlagebeschluss des X. Senats des BFH an den Großen Senat Den (zwischenzeitlichen) Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen markiert der Vorlagebeschluss des X. Senats des BFH vom 25. März 2015 an den Großen Senat (GrS) zu der Frage, ob der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoße.44 Darüber hinaus setzt sich die Vorlage des X. Senats mit der Vereinbarkeit des Sanierungserlasses mit dem EU-Beihilferecht auseinander. In der hier interessierenden Beihilfefrage kommt der X. Senat zu dem Ergebnis, dass der Sanierungserlass mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Zur Begründung verweist er zunächst auf das Urteil des EuGH in der Rs. P Oy, das eine dem § 8c Abs. 1a KStG a.F. ähnliche Regelung in Finnland betrifft.45 Nach Ansicht des BFH ist der Sanierungserlass vor allem deshalb keine selektive Maßnahme, weil er von allen Unternehmen, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden, in Anspruch genommen werden könne. Eine Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige, die sich im Hinblick auf den Sanierungserlass in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befänden, scheide damit von vornherein aus.46

schluss v. 28.11.2016 (GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393) festgestellt, dass der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt und deshalb rechtswidrig ist, da es an einer gesetzlichen Grundlage für die im Sanierungserlass normierten Billigkeitsmaßnahmen fehle. Auf die beihilferechtliche Qualität des Sanierungserlasses kam es danach nicht an, so dass sich der GrS hiermit in dem Beschluss nicht befassen musste. Der Gesetzgeber hat hierauf reagiert, indem er in den Entwurf des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen („Lizenzschrankengesetz“) eine gesetzliche Regelung zur Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen (§ 3a EStG, § 7b GewStG) aufgenommen hat, die auf alle Fälle anzuwenden ist, in denen Schulden nach dem 8.2.2017 erlassen wurden (§ 52 Abs. 4a EStG). Das Lizenzschrankengesetz wurde am 27.4.2017 vom Bundestag (BT-Drs. 366/17) und am 2.6.2017 vom Bundesrat beschlossen (BR-Drs. 366/17 (B)). Das Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung steht unter dem Vorbehalt einer beihilferechtlichen Genehmigung durch die EU-Kommission, der zum Zeitpunkt dieses Nachtrags noch nicht vorgelegen hat. 44 Vgl. BFH, Beschl. v. 25.3.2015 – X R 23/13, BStBl. II 2015, 696, Az. des Großen Senats: GrS 1/15. 45 Vgl. BFH, Beschl. v. 25.3.2015 – X R 23/13, BStBl. II 2015, 696, Rz. 80. Zu der Sanierungsklausel nach § 8c Abs. 1a KStG a.F. hatte das EuG damals inhaltlich noch nicht entschieden. 46 Vgl. BFH, Beschl. v. 25.3.2015 – X R 23/13, BStBl. II 2015, 696, Rz. 85 f.

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Im Übrigen sei die Anwendung des Sanierungserlasses zwar in das Ermessen der Finanzbehörden gestellt. Allerdings sei dieses Ermessen bei Vorliegen der im Erlass aufgeführten Voraussetzungen, die wiederum von den Gerichten in vollem Umfang überprüfbar seien, auf Null reduziert. Damit könne auch keine selektiv begünstigende Ausnahme durch Verwaltungshandeln vorliegen. Schließlich sei der Sanierungserlass durch die Grundprinzipien der deutschen Steuerrechtsordnung gerechtfertigt, weil er die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sichere.47 3.2.3 Ausblick und kritische Würdigung Es ist zu begrüßen, dass der X. Senat die beihilferechtliche Frage des Sanierungserlasses thematisiert hat. Zwar hat sich die EU-Kommission – dem Vernehmen nach – mit der Vereinbarkeit des Sanierungserlasses mit den Beihilferegelungen beschäftigt und soll dem BMF in einer Nachricht vom 18. Juli 2012 mitgeteilt haben, dass bei einer Prüfung des Sanierungserlasses keine Auffälligkeiten festgestellt wurden.48 Dies betrifft indes nur eine nicht näher veröffentlichte Einzelfallentscheidung, die über den betreffenden Fall hinaus keine Bindungswirkung entfaltet. Soweit ersichtlich, hat Deutschland andere, dem Sanierungserlass unterfallende Maßnahmen wie auch den Erlass als solchen der Kommission nicht zur beihilferechtlichen Prüfung vorgelegt. In der Literatur erfährt die Begründung des X. Senats überwiegend Zustimmung, wird aber auch als „nicht überzeugend“ kritisiert.49 Ismer/ Piotrowski weisen darauf hin, dass der EuGH die Selektivität steuerrechtlicher Maßnahmen regelmäßig einer dreistufigen Prüfung unterziehe: Zunächst ist die Regelbesteuerung im nationalen Recht zu bestimmen (sog. Bezugssystem). Sodann sei zu prüfen, ob eine Abweichung hiervon vorliegt, und schließlich sei zu analysieren, ob eine Abweichung vom Bezugssystem durch die Natur und den Aufbau des nationalen Steuersystems gerechtfertigt ist. Diese Prüfung nähme der X. Senat des BFH aber nicht vor, sondern er argumentiere lediglich, dass Selektivität bereits deshalb ausgeschlossen sei, weil die Steuervergünstigung allen Unterneh-

47 Vgl. BFH, Beschl. v. 25.3.2015 – X R 23/13, BStBl. II 2015, 696, Rz. 87 f. 48 Vgl. BMF-Schreiben v. 10.8.2012, ZKF 2013, 93; vgl. Gragert, NWB 2013, 2141, 2142. 49 Vgl. hierzu z.B. Imser/Piotrowski, DStR 2015, 1993, 1993 f.

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men zugute käme, die die Tatbestandsvoraussetzungen des Sanierungserlasses erfüllten.50 Dem ist zuzustimmen. Angesichts der neueren Rechtsprechung des EuG/EuGH ist in der Tat fraglich, ob die bloß abstrakt-generelle Natur des Sanierungserlasses („steht allen Unternehmen offen“) geeignet ist, die Selektivität auszuschließen. Die oben dargestellten Urteilsgründe in den seit kurzem vorliegenden EuG-Entscheidungen vom 4. Februar 2016 in den Rs. „Heitkamp BauHolding GmbH/Kommission“ und „GFKL Financial Services AG/Kommission“ zur Sanierungsklausel nach § 8c Abs. 1a KStG a.F. zeigen dies deutlich.51 Überträgt man die Ausführungen des EuG zur Sanierungsklausel auf den Sanierungserlass, so ist deshalb nicht auszuschließen, dass darin eine Abweichung vom nationalen Referenzsystem (Besteuerung von Wegfallgewinnen) gesehen werden kann. Die Abwehr einer Beihilfe müsste dann auf der Rechtfertigungsebene erfolgen. Dies sehen auch Ismer/Piotrowski so, die darauf hinweisen, dass zu den Grundwertungen des deutschen Steuerrechts neben der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit auch die Steuerstaatlichkeit gehöre, wonach der selbst nicht wirtschaftende Staat seine Besteuerungseingriffe nicht so ausgestalten dürfe, dass sie die Unternehmen zur Aufgabe ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zwingen.52 Auch dem ist zuzustimmen. Ein weiteres Argument ergibt sich nach der hier vertretenen Auffassung aus dem Umstand, dass der Sanierungserlass nicht nur die Stundung bzw. den Erlass der Steuer auf den Sanierungsgewinn bewirkt, sondern auch die Mindestbesteuerung suspendiert. Insoweit dürfte der Sanierungserlass einem Grundprinzip des deutschen Steuerrechts Geltung verschaffen: Wie der BFH in einer Vorlage an das BVerfG festgestellt hat, verstößt die Mindestbesteuerung gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG), soweit sie durch den Ausschluss des Verlustausgleichs den Kernbereich der Nettoertragsbesteuerung verletzt.53 Danach ist die Mindestbesteuerung in der Insolvenz insoweit nicht anzuwenden, als außerordentliche Erträge, die durch das Ausbuchen von Verbindlichkeiten entstehen, vollständig mit Verlustvorträgen saldiert werden müssen. Für 50 Vgl. BFH, Beschl. v. 25.3.2015 – X R 23/13, BStBl. II 2015, 696, Rz. 86. 51 Vgl. EuG v. 4.2.2016, Heitkamp BauHolding/Kommission T-287/11 und GFKL Financial Services AG/Kommission T-620/11, Rz. 22; vgl. 3.1.2. 52 Vgl. Imser/Piotrowski, DStR 2015, 1993, 1997 ff. 53 Vgl. BFH, Beschl. v. 26.2.2014 – I R 59/12, BStBl. II 2014, 1016, Az. des BVerfG: 2 BvL 19/14.

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die Fälle der Sanierung nach dem Sanierungserlass kann nichts Anderes gelten. Denn andernfalls käme es zu dem systemwidrigen Ergebnis, dass die Sanierung ggf. an der Mindestbesteuerung scheitert. Ob und ggf. wie der Große Senat die beihilferechtliche Qualität des Sanierungserlasses beurteilen wird, lässt sich derzeit nicht vorhersehen. Nicht auszuschließen ist, dass er die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegt. Der gegenwärtige Zustand der rechtlichen Unsicherheit ist jedenfalls aus Sicht der Praxis nicht befriedigend; er sollte zeitnah beseitigt werden.

3.3 Grunderwerbsteuerliche Konzernklausel (§ 6a GrEStG) 3.3.1 Ausgangslage Die sog. Konzernklausel des § 6a GrEStG verschont die Übertragung von Grundstücken im Rahmen konzerninterner Umstrukturierungsmaßnahmen von der ansonsten eintretenden Belastung mit Grunderwerbsteuer. In der Gesetzesbegründung zum sog. Wachstumsbeschleunigungsgesetz wurde das Ziel der Konzernklausel wie folgt beschrieben:54 „Um schnell und effektiv Wachstumshindernisse zu beseitigen, sollen die Bedingungen für Umstrukturierungen von Unternehmen krisenfest, planungssicher und mittelstandsfreundlicher ausgestaltet werden. (…) Aus diesem Grunde werden Umstrukturierungsvorgänge, die zu einem Rechtsträgerwechsel am Grundstück (…) führen, zur Beseitigung von Wachstumshemmnissen begünstigt. (…) Durch die vorstehende Formulierung wird die Begünstigung auf Konzernsachverhalte beschränkt.“

Die Finanzverwaltung legt die ohnehin schon eng gefassten Anwendungsvoraussetzungen der Konzernklausel sehr restriktiv aus,55 was zu zahlreichen finanzgerichtlichen Streitigkeiten geführt hat.56 3.3.2 Verfahren vor dem BFH Inzwischen hat der BFH in gleich vier anhängigen Revisionsverfahren Zweifel an der Verwaltungsauffassung zur Konzernklausel angemeldet und das BMF in allen vier Verfahren aufgefordert, sich zu der Beihilfekonformität des § 6a GrEStG zu äußern. Insbesondere möge das BMF mitteilen, ob das beihilferechtliche Genehmigungsverfahren durchgeführt wur54 Bericht des Finanzausschusses v. 3.12.2009, BT-Drucks. 17/147, 10. 55 Wesentliche Bedeutung kommt dabei dem gleichlautenden Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder v. 19.6.2012, BStBl. I 2012, 662, zu. 56 Vgl. Mörwald/Brühl, Der Konzern 2016, 68.

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de bzw. andernfalls zur Frage des Vorliegens einer Beihilfe Stellung nehmen.57 3.3.3 Ausblick und kritische Würdigung Die beihilferechtliche Qualität der Konzernklausel wird in der Fachliteratur verneint.58 Die Argumente setzen – entsprechend der Prüfungsschritte der Selektivität – wie folgt an: (i)

§ 6a GrEStG sei bereits prima facie nicht selektiv: Bezugssystem der Grunderwerbsteuer sei die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Grundstückserwerbers. Bei konzerninternen Umstrukturierungen läge aber keine Disposition eines (leistungsfähigen) fremden Erwerbers vor, sondern lediglich ein Vorgang innerhalb eines wirtschaftlichen Verbunds.

(ii) Die Vorschrift sei auch bereits deshalb nicht prima facie selektiv, weil sich die betroffenen (konzernverbundenen) Unternehmen in keiner vergleichbaren Situation wie unverbundene Unternehmen befänden: Übertragungen im freien Markt könnten nicht mit rein konzerninternen Übertragungen gleichgesetzt werden. (iii) Bei der Konzernklausel handele es sich um eine „allgemeine Maßnahme“, die allen Unternehmen zu Gute käme, die einen Konzernverbund formen. (iv) Selbst wenn die Konzernklausel prima facie selektiv wäre, so wäre sie durch die Natur und den Aufbau des Grunderwerbsteuerrechts gerechtfertigt. Denn Ziel der Konzernklausel ist – wie das des Umwandlungssteuerrechts – zu vermeiden, dass betriebswirtschaftlich sinnvolle interne Umstrukturierungen eines Konzernverbunds durch das Steuerrecht be- oder verhindert werden. Auf die Stellungnahme des BMF und den Fortgang des Verfahrens darf man gespannt sein. Jedenfalls kann sich das in der Gesetzesbegründung genannte Ziel der Beseitigung von Wachstumshemmnissen im Hinblick auf die Anwendung des Beihilferechts als kontraproduktiv erweisen. Überzeugend ist nach der hier vertretenen Auffassung der Hinweis auf den Grundsatz der Neutralität von Umstrukturierungsvorgängen, weil er eine steuersystematische Rechtfertigung für die Verschonung liefert. 57 Vgl. BFH, Beschl. v. 25.11.2015 – II R 63/14, DStR 2016, 56; II R 62/14, DStR 2016, 125; II R 36/14, BeckRS 2015, 96156; II R 50/13, BeckRS 2015, 96152. 58 Vgl. z.B. Cordewener/Henze, FR 2016, 756; Behrens, DStR 2016, 785; a.A. Schmid, DStR 2016, 125, 128.

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Bei genauer Betrachtung führt dieses Argument auf den steuerrechtlichen Gedanken der Leistungsfähigkeit zurück: Da im Konzernverbund keine Marktumsätze erzielt werden, ist die Befreiung von der Grunderwerbsteuer gerechtfertigt. Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass die Grunderwerbsteuer ein Prinzip der Gruppenbesteuerung kennt, wie beispielsweise die Umsatz-, Körperschaft- oder Gewerbesteuer.

3.4 Verschonungsregelungen im ErbStG 3.4.1 Ausgangslage Innerhalb von weniger als 20 Jahren hat das BVerfG das jeweils geltende Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz im Hinblick auf die Überprivilegierung unternehmerischen Vermögens gegenüber anderem Vermögen dreimal für gleichheits- und verfassungswidrig erklärt.59 Im Jahr 2008 hatte der Gesetzgeber mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz 200960 die Bemessungsgrundlage für die Übertragung unternehmerischen Vermögens – vor dem Hintergrund der zuvor vom BVerfG im Jahre 2006 beanstandeten realitätsfernen Bewertung – auf den Verkehrswert angehoben, daneben aber umfassende Verschonungsregelungen für dieses Vermögen eingeführt (§§ 13a, 13b ErbStG a.F.). Das BVerfG hat einzelne Aspekte der Verschonungsregeln mit seinem vielbeachteten Urteil vom 17. Dezember 2014 bekanntlich als gleichheitsrechtswidrige Überprivilegierung verworfen.61 Der Gesetzgeber war erneut gefordert und hat im Herbst 2016 (etwas später als vom BVerfG angeordnet) mit dem „Gesetz zur Anpassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ vom 4. November 2016 das bisherige System der Verschonung unternehmerischen Vermögens deutlich eingeschränkt, indes ohne die Struktur des bisherigen Verschonungssystems aufzugeben.62 Wesentliche Änderungen des neue Rechts sind Einschränkungen in Bezug auf die Übertragung von sog. Verwaltungsvermögen und sog. Großerwerbe (vgl. §§ 13a, 13b, 13c und 28a ErbStG). Ziel der Verschonungsregeln ist es weiterhin, das unternehmerische Vermögen bei Übergang durch Erbschaft oder Schenkung von steuerlichen Belastungen weitgehend freizuhalten und damit die Liquidität der Betriebe zu schonen. 59 60 61 62

Für Einzelheiten vgl. Seer, GmbHR 2015, 113 ff. Erbschaftsteuerreformgesetz v. 24.12.2008, BGBl. I 2008, 3018 ff. Vgl. BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BGBl. I 2015, 4 ff. BGBl. I 2016, 2464 ff.; für einen Überblick über die Erbschaftsteuerreform vgl. Crezelius, ZEV 2016, 541 ff.; Geck, ZEV 2016, 546 ff., Hannes, ZEV 2016, 554 ff.

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Dem liegt ganz offensichtlich die Vorstellung zu Grunde, dass der Erwerber zur Begleichung der Steuer Mittel aus dem Unternehmen entnehmen/ ausschütten muss. Dies wiederum kann den Bestand des übergehenden Unternehmens in den Händen des Erwerbers über einen längeren Zeitraum gefährden. Mit der Verschonung wird daher nicht die Verschonung des Erwerbers von der Erbschaftsteuer bezweckt, sondern die „Bewahrung der ausgewogenen deutschen Unternehmenslandschaft“ und damit der Erhalt der Arbeitsplätze im übergehenden Unternehmen.63 Diese gesetzgeberische Zielsetzung kommt sowohl in den Gesetzesmaterialien als auch in der Entscheidung des BVerfG vom 17. Dezember 2014 an zahlreichen Stellen deutlich zum Ausdruck.64 Die Vereinbarkeit der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregeln für unternehmerisches Vermögen mit dem EU-Beihilferecht wurde, anders als die verfassungsrechtliche Vereinbarkeit der Regeln, zunächst nur vereinzelt diskutiert, ist inzwischen aber als Thema angekommen. Zu der Frage, ob die Verschonungen eine unzulässige Beihilfe darstellen, gehen die Meinungen auseinander. Mit unterschiedlichen Ansätzen und Begründungen wird der Beihilfecharakter der Verschonungen (i)

zum Teil verneint: Bäuml/Vogel vertreten, dass die Verschonung auf der Grundlage der vom BVerfG geforderten Bedürfnisprüfung durch die Natur und den inneren Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt sei;65 de Weerth ist der Auffassung, dass die Verschonungsregelung keine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten bewirke;66

(ii) zum Teil in Zweifel gezogen: Für Wachter spricht die enorme Komplexität der Verschonungsregelungen tendenziell für den Beihilfecharakter;67 Demleitner kommt zu der Einschätzung, dass die Verschonung nicht unterschiedslos allen Steuerpflichtigen offenstehe und eine Rechtfertigung ausscheiden könne;68 oder (iii) mehr oder weniger offen bejaht: Für Reimer ist die Herausnahme großer Betriebsvermögen selektiv.69 63 Vgl. BR-Drs. 778/06, 1, 13 f., BT-Drs. 16/7918, 33, BT-Drs. 18/5923, 1 f., 16 f. und 21 ff. 64 Vgl. BVerfG v. 17.12.2014, a.a.O., Tz. 135. 65 Vgl. Bäuml/Vogel, BB 2015, 736 ff. 66 Vgl. de Weerth, DB 2016, 2692. 67 Vgl. Wachter, DB 2016, 1273 ff. 68 Vgl. Demleitner, ISR 2016, 328 ff. 69 Vgl. Reimer, BB, Die erste Seite 2016, Nr. 14.

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Verschiedentlich wird die Bundesregierung aufgefordert, die neuen Verschonungsmaßnahmen der Kommission zur Prüfung vorzulegen.70 Auf diese Weise würde Rechtssicherheit geschaffen. Ob die Kommission die Maßnahme genehmigt, steht dann natürlich auf einem anderen Blatt. Das BMF hatte die Beihilferelevanz noch mit der Begründung verneint, dass durch die Verschonung nur die Erben und Beschenkten und nicht die Unternehmen als solche begünstigt werden und die Neuregelungen „dem Leitprinzip der steuerlichen Progression und dem inneren Aufbau des Erbschaftsteuersystems“ folgten und „damit gerechtfertigt“ seien.71 3.4.2 Ausblick und Würdigung Sofern die Bundesregierung die Frage der Vereinbarkeit der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregeln mit dem Beihilfeverbot der Kommission nicht zur Prüfung vorliegt – und danach sieht es derzeit aus – bleibt für die betroffenen Unternehmen (und Erblasser/Erben) eine Unsicherheit bestehen. Bei genauerer Betrachtung sollte hingegen keine Beihilfe vorliegen: (i)

Da die erbschaftsteuerliche Privilegierung unternehmerischen Vermögens nicht neu ist, könnte man zunächst auf die Idee kommen, dass es sich bei den geltenden Verschonungsregelungen um Alt-Beihilfen handelt, die solange keinem Durchführungsverbot unterliegen, wie sie nicht von der Kommission als mit dem Binnenmarkt für unvereinbar erklärt werden („bestehende Beihilfen“, siehe oben 2.1). Dem ließe sich indes entgegenhalten, dass das aktuell (in modifizierter Form) geltende Verschonungssystem erst durch die Erbschaftsteuerreform 2009 eingeführt wurde. In den Jahren vor 2009 basierte die Privilegierung unternehmerischen Vermögens auf der niedrigeren Bewertung desselben, also einem technisch anderen System, weshalb Zweifel am Bestehen einer Alt-Beihilfe bestehen.72

(ii) Es fragt sich sodann, ob die Verschonung überhaupt eine Begünstigung von „Unternehmen oder Produktionszweigen“ darstellt, wie es Art. 107 Abs. 1 AEUV fordert. Denn die Erbschaftsteuer schuldet der Erwerber, ggf. der Schenker, nicht aber das Unternehmen. Mit dieser Argumentation hat das BMF eine staatliche Beihilfe recht 70 Vgl. Bäuml/Vogel, a.a.O., 743; Wachter, a.a.O., 1278; Reimer, a.a.O. 71 Vgl. Bundesministerium der Finanzen, RefE v. 1.6.2015, Teil A.VI., 18. 72 Eine Alt-Beihilfe verneinend auch: de Weerth, DB 2016, 2692, Wachter, a.a.O., 1274.

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schlank abgelehnt.73 Die Argument mag richtig sein. Andererseits haben sowohl der Gesetzgeber als auch das BVerfG zu verstehen gegeben, dass die steuerliche Entlastung des Erwerbers lediglich Mittel zum Zweck ist. Ziel ist danach, wie oben dargestellt, die Sicherung von Arbeitsplätzen durch die Liquiditätsschonung im Unternehmen (siehe oben 3.4.1). In einem Vorabentscheidungsersuchen eines belgischen Gerichts zur Vereinbarkeit der Verschonungsregeln der belgischen Erbschaftsteuer mit der Niederlassungsfreiheit ist die Generalanwältin Kokott ohne weitere Begründung davon ausgegangen, dass eine Befreiung des Erwerbers (im Streitfall eine natürliche Person) von der Erbschaftsteuer in Bezug auf den unentgeltlichen Erwerb von Anteilen an einer Familiengesellschaft eine Begünstigung des Unternehmens darstelle.74 Zweck der Verschonung in Belgien sei es, die Fortführung der Familiengesellschaft nicht durch die Erbschaftsteuerlast zu gefährden. Allerdings wurde die Beihilferelevanz lediglich in der mündlichen Verhandlung (und dort auch nur am Rande) erörtert und war im Vorlageverfahren nicht entscheidungserheblich. Im Ergebnis lässt sich nicht ausschließen, dass die Verschonungsregeln als mittelbare Unternehmensbegünstigung für eine Beihilfe ausreichen. (iii) Nach der hier vertretenen Auffassung ist die (vollständige) Verschonung unternehmerischen Vermögens von der Erbschaftsteuer bei genauerer Betrachtung nicht selektiv bzw. sind die Ausnahmen von der Vollverschonung durch die Natur und den Aufbau der erbschaftsteuerlichen Regelungen gerechtfertigt. Das Grundprinzip der Erbschaftsteuer (und damit das Bezugssystem für Zwecke der Beihilfeprüfung) ist nämlich darin zu sehen, die Übertragung von Privatvermögen der Erbschaftsteuer zu unterwerfen, die von dauerhaft unternehmerisch genutztem Vermögen hingegen nicht. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Abgrenzung zwischen Privat- und Betriebsvermögen Schwierigkeiten bereitet. Neben verschiedenen sachlichen Aspekten ist auch die zeitliche Dimension zu beachten. Zunächst ist zu verhindern, dass unter dem Deckmantel des Unternehmens Privatvermögen erbschaftsteuerneutral übertragen wird. Dies wird dadurch gelöst, dass das sog. Verwaltungsvermögen (nicht 73 Vgl. Bundesministerium der Finanzen, RefE v. 1.6.2015, Teil A.VI., 18. 74 Vgl. GA Kokott, Schlussanträge v. 15.2.2007, Maria Geurts und Dennis Vogten gegen Administratie van de BTW, registratie en domeinen und Belgische Staat, Rs. C-464/05, ECLI:EU:C:2007:108, Rz. 48.

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betrieblich genutzte Grundstücke, Oldtimer- und Kunstsammlungen, junge Finanzmittel etc.) nicht begünstigt übertragen werden kann. Ebenso kann die Verschonung nicht greifen, wenn der Erbe das Unternehmen nicht auf Dauer oder nicht im bisherigen Umfang fortführt, also an sich verschonungswürdiges Betriebsvermögen in absehbarer Zeit in Privatvermögen umgeschichtet wird. Ob dies der Fall ist, misst das Gesetz an der Entwicklung der Lohnsummen innerhalb bestimmter Zeiträume und flankiert dies über bestimmte Haltefristen. Die Differenzierung zwischen der Übertragung von Betrieben, Mitunternehmeranteilen etc. einerseits (generell verschont) und Anteilen an Kapitalgesellschaften (Verschonung erst bei mindestens 25 % Beteiligung oder Poolvereinbarung) andererseits ist dem Umstand geschuldet, dass unternehmerisches Vermögen bei Anteilen – pauschalierend – erst ab einer bestimmten Mindestschwelle angenommen werden kann. Eine ähnliche Differenzierung hat im Übrigen auch der EuGH zur Abgrenzung von Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit entwickelt. (iv) Die in der Gesetzbegründung genannten Gründen des Gemeinwohls (Arbeitsplatzerhalt) dürften als Rechtfertigung für die Verschonung unternehmerischen Vermögens nicht geeignet sein, da es sich hierbei nicht um Grundprinzipien des Erbschaftsteuersystems handelt. Auf diese Rechtfertigung kommt es aber gar nicht an, weil das Verschonungssystem nicht für „bestimmte“ Unternehmen gilt, sondern für sämtliches unternehmerisches Vermögen, was allerdings komplexe Regelungen für die Herausnahme von im Gewande des Unternehmens daherkommende Übertragung von Privatvermögen erfordert. (v)

Gegen eine Beihilfe mag schließlich auch sprechen, dass die Begünstigung unternehmerischen Vermögens im Vergleich zu anderem Vermögen der Kommission bekannt sein dürfte und sie sich hieran nicht gestört hat.75 Es bedarf indes keiner weiteren Erklärung, dass dieser Umstand keine Garantie dafür bietet, dass es in Zukunft dabei bleibt.

75 Vgl. de Weerth, DB 2016, 2692. GA Kokott, Schlussanträge v. 15.2.2007, a.a.O., Inhaltlich ging es um die Diskriminierung der Übertragung ausländischen (gegenüber inländischen) Unternehmensvermögens durch das damalige belgische Erbschaftsteuergesetz.

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4. Tax Rulings (steuerliche Vorabzusagen) 4.1 Tax Rulings als staatliche Beihilfen Im Anschluss an den von der Kommission veröffentlichen „Aktionsplan zur Verstärkung der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung“76 am 6. Dezember 2012 richtete die Generaldirektion Wettbewerb eine „Task Force Tax Planning Practices“ ein, welche sich verstärkt der Beihilfenkontrolle und im steuerlichen Bereich und dort vor allem mit Verrechnungspreisvereinbarungen international agierender Konzerne beschäftigte. Im Juni 2013 begann die Kommission die Steuerauskünfte von sieben Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Beihilfevorschriften einer intensiven Untersuchung zu unterziehen. Nach der Veröffentlichung der sog. „Luxembourg Leaks“ im November 201477 wurden die Ermittlungen ausgeweitet. Die Kommission forderte sämtliche Mitgliedstaaten auf, ihr Informationen zur Praxis der Erteilung von Tax Rulings zu liefern und ihr alle Unternehmen zu nennen, die zwischen 2010 bis 2013 Steuervorbescheide erhalten haben.78 Insgesamt wurden über 1000 Rulings, insbesondere solche im Verrechnungspreisbereich untersucht.79 In einigen Fällen leitete die Kommission Prüfverfahren ein. Die bekanntesten Verfahren betreffen die von Luxemburg (Amazon, Fiat Finance und McDonald’s,)80 Irland (Apple)81 und den Niederlanden (Starbucks)82 gewährten Tax Rulings. Auch gegen Belgien wurde ein Verfahren zum „excess profits tax regime“ eingeleitet, welches Konzernunternehmen nach Ansicht der Kommission die Möglichkeit bot, ihre Steuerbemes76 COM(2012) 722 final vom 6.12.2012, abrufbar unter http://ec.europa.eu/taxa tion_customs/resources/documents/taxation/tax_fraud_evasion/com_2012_722 _de.pdf. 77 Vgl. Presseberichterstattung, z.B. Brinkmann/Giesen/Obermaier/Obermayer/Ott, Süddeutsche Zeitung v. 7.11.2014; Brinkmann, Süddeutsche Zeitung v. 21.10.2015. 78 Vgl. Pressemitteilung der Europäischen Kommission v. 17.12.2014, IP/14/ 2742, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_IP-14-2742_de.htm. 79 Pressemitteilung der Europäischen Kommission v. 17.12.2014, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_IP-14-2742_de.htm. 80 Bekanntmachung der Kommission in Sachen Amazon, Abl. EU Nr. C (2015) 44, 13; Fiat Finance, Abl. EU Nr. C (2014) 369, 37; McDonald’s, Abl. EU Nr. C (2016) 258, 11. 81 Bekanntmachung der Kommission, Abl. EU Nr. C (2014) 369, 22. 82 Bekanntmachung der Kommission, Abl. EU Nr. C (2014) 460, 11.

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sungsgrundlage um angebliche „Gewinnüberschüsse“ auf Basis verbindlicher Steuervorbescheide zu reduzieren.83 Die Kommission hat ihre generelle Auffassung zur Anwendung des Beihilferechts auf Tax Rulings in ihrer „Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe i.S.d. Artikel 107 Abs. 1 AEUV“ vom 19. Mai 2016 niedergelegt.84 Darüber hinaus hat sie am 3. Juni 2016 ein Arbeitspapier zur Beihilfenpolitik und Tax Rulings veröffentlicht, welches den Mitgliedstaaten und den Unternehmen als Orientierungshilfe dienen soll.85 Bei näherer Betrachtung der Bekanntmachung der Kommission fällt auf, dass sie das Merkmal der Selektivität im Bereich der Verrechnungspreise nicht anhand des dreistufigen Prüfungsansatzes des EuGH beurteilt. Vielmehr verfolgt die Kommission einen ganzheitlichen Ansatz, indem sie den Arm’s Length-Grundsatz als ein vom nationalen Recht des jeweiligen Mitgliedstaates unabhängiges Referenzsystem begreift, das bei korrekter Anwendung einen zuverlässigen Näherungswert für ein marktbasiertes Ergebnis hervorbringe. Die Umsetzung des Arm’s Length-Grundsatzes in der nationalen Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats sei für die Prüfung der Selektivität nicht maßgeblich.86 Bei ihrer Prüfung vergleicht die Kommission unverbundene Unternehmen, deren Gewinne sich zwangsläufig auf Basis marktbasierter Preise ergeben, mit Konzernunternehmen, deren Gewinne maßgeblich durch gruppeninterne Verrechnungspreise determiniert sind.87 Die Kommission betont in ihren Arbeitspapieren, dass der Fokus ihrer Untersuchungen auf Fällen liegt, in denen ein „manifest breach of the arm’s length principle“88 vorliegt. Auch in der politischen Diskussion ist das Thema der „Tax Rulings“ angekommen: Der ehemalige US-Finanzminister Jacob Lew hat den Präsidenten der Kommission, Jean-Claude Juncker, aufgefordert, die angeblich primär gegen US-Unternehmen gerichteten Maßnahmen zu überdenken und sich auf die Zusammenarbeit im BEPS-Projekt zu konzentrieren. Die Reaktion der für den Wettbewerb zuständigen Kommissarin Margrethe Vestager viel nüchtern aus: die beihilferechtlichen Un83 Vgl. Pressemitteilung der Europäischen Kommission v. 11.1.2016, IP/16/42, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-42_de.htm. 84 Siehe oben Ziffer 2.2. 85 DG Competition Working Paper on State Aid and Tax Rulings („Arbeitspapier“). 86 Vgl. Tz. 172 der Bekanntmachung sowie Punkt 18 des Arbeitspapiers. 87 Vgl. Tz. 172 der Bekanntmachung. 88 Vgl. Punkt 23 des Arbeitspapiers.

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tersuchungen seien komplementär zur BEPS-Initiative zu sehen und zielten auf eine zutreffende, diskriminierungsfreie Anwendung des Unionsrechts ab.89

4.2 Informationsaustausch zu Tax Rulings Im Rahmen der sog. Luxembourg Leaks hat eine Gruppe von Journalisten im November 2014 insgesamt über 28 000 Seiten mit 548 verbindlichen Vorbescheiden der Luxemburger Steuerbehörde veröffentlicht. In der Folge sah sich Luxemburg dem Vorwurf ausgesetzt, insgesamt mehr als 300 internationalen Konzernen die Nutzung von Steuervermeidungsmodellen eröffnet zu haben.90 Das Europäische Parlament setzte einen Sonderausschuss zur Aufarbeitung der Sache ein und die Kommission griff zahlreiche der von Luxemburg gewährten Steuervorteile als verbotene Beihilfen auf. Auch die Arbeiten an Aktionspunkt 5 des BEPS-Projekts (Arbeiten gegen schädlichen Steuerwettbewerb) wurden mit Hochdruck vorangetrieben. Es ergab sich ein erheblicher Druck zur Erhöhung der Transparenz bei der Erteilung grenzüberschreitender Tax Rulings, sowohl auf Ebene der EU als auch auf Ebene der OECD/G20 im Rahmen des BEPS-Projekts. Am 15. März 2015 legte die Kommission einen Vorschlag zur Erhöhung der Transparenz bei der Erteilung von Tax Rulings vor. Der Europäische Rat hat daraufhin am 8. Dezember 2015 als Teil des EU-Maßnahmenpakets zur Steuertransparenz eine Änderung der EU-Amtshilferichtlinie91 beschlossen. Ziel der Änderung war es, den automatischen Informationsaustausch innerhalb der Europäischen Union über grenzüberschreitende steuerliche Vorbescheide und Vorabverständigungen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen zu ermöglichen. Die Bestimmungen auf europäischer Ebene in der EU-Amtshilferichtlinie werden in Deutschland mit den Änderungen im EU-Amtshilfege89 Vestager v. 29.2.2016, abrufbar unter http://static.politico.com/cf/ba/b7725d 194d84a1df018c28160048/margrethe-vestager-letter-to-secty-lew-on-eu-tax-in vestigations.pdf. 90 Vgl. Explore the Documents: Luxembourg Leaks Database. In: International Consortium of Investigative Journalists; abrufbar unter https://www.icij.org/ project/luxembourg-leaks/explore-documents-luxembourg-leaks-database. 91 Vgl. Richtlinie (EU) 2015/2376 des Rates v. 8.12.2015 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung, ABI. Nr. L 332, 1.

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setz (EUAHiG) umgesetzt. Mit den Regelungen hinsichtlich des Austausches von Informationen erfüllt Deutschland zugleich die (politische) Umsetzungsverpflichtung im Rahmen des BEPS-Projekts.92 Der Informationsaustausch erfolgt automatisiert. Nach § 2 Abs. 2 EUAHiG ist eine anlassbezogene Übermittlung von Informationen, etwa aufgrund eines vorherigen Ersuchens, nicht vorgesehen. Zu den automatisiert auszutauschenden Tax Rulings zählen neben verbindlichen Auskünften i.S.v. § 89 Abs. 2 AO auch verbindliche Zusagen gem. § 204 AO und unilaterale Vorabzusagen über Verrechnungspreise zur Umsetzung von Vorabverständigungsverfahren i.S.v. § 178a Abs. 1 AO. Zu den durch die Finanzverwaltungen der Mitgliedstaaten auszutauschenden Informationen zählen insbesondere (§ 7 Abs. 7 EUAHiG): –

Angaben zur Person und ggf. zur Personengruppe;



Inhaltszusammenfassung einschließlich einer kurzen Beschreibung der Geschäftstätigkeiten oder Transaktionen, soweit dies nicht zur Preisgabe eines Handels-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnisses oder eines Geschäftsverfahrens oder zur Preisgabe von Informationen führt, die die öffentliche Ordnung verletzen würde;



Geltungsdauer des Tax Rulings;



Beschreibung der bei der Verrechnungspreisermittlung zugrunde gelegten Kriterien und Verfahren.

Sind Drittstaaten am Abschluss des Tax Rulings beteiligt, werden die Informationen an die anderen Mitgliedstaaten nur übermittelt, wenn eine Weitergabe im betreffenden Steuerabkommen mit dem Drittstaat erlaubt ist und die zuständige Behörde des Drittstaates zustimmt (§ 7 Abs. 5 Satz 2 EUAHiG). Wird diese Zustimmung nicht erteilt, sollen zumindest die Informationen, die im Antrag auf Erteilung des betreffenden Tax Rulings enthalten sind, von dem betreffenden Mitgliedstaat an andere Mitgliedstaaten übermittelt werden (§ 7 Abs. 5 Satz 3 EUAHiG). In zeitlicher Hinsicht sind alle Tax Rulings zu übermitteln, die nach dem 31. Dezember 2016 erteilt, getroffen, geändert oder erneuert werden (§ 7 Abs. 3 EUAHiG). Für Tax Rulings, die zwischen dem 1. Januar 2012 und dem 31. Dezember 2016 erteilt, getroffen, geändert oder erneuert wurden, gilt eine Sonderregelung:

92 BT-Drs. 18/9536, 15.

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In 2012 oder 2013 erteilte, getroffene, geänderte oder erneuerte Tax Rulings sind nur dann zu übermitteln, wenn das Tax Ruling am 1.1.2014 noch gültig war (§ 7 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 EUAHiG).



Informationen zu Tax Rulings, die zwischen dem 1.1.2014 und dem 31.12.2016 erteilt, getroffen, geändert oder erneuert wurden, werden unabhängig von ihrer Gültigkeit der Übermittlungspflicht unterworfen (§ 7 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 EUAHiG).

Ausgenommen von der Übermittlungspflicht sind solche Tax Rulings, die vor dem 1. April 2016 an Personen/Personengruppen erteilt wurden, deren gruppenweiter Jahresnettoumsatz im Vorjahr niedriger als 40 Mio. Euro war und die nicht hauptsächlich Finanz- und Investitionstätigkeiten ausüben (§ 7 Abs. 4 Sätze 3 und 4 EUAHiG). Die Ausführungen der OECD/G20 im Rahmen des BEPS-Projekts sind den dargestellten Maßnahmen auf Ebene der EU grundsätzlich inhaltlich vergleichbar.93 Der Aktionspunkt 5, der Empfehlungen zur Bekämpfung eines schädlichen Steuerwettbewerbs beinhaltet, bestimmt einen verbindlichen spontanen Informationsaustausch über Steuervorbescheide und Vorabverständigungen. Wie die EU-Amtshilferichtlinie legt auch die OECD einen persönlichen, sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich fest und definiert den Umfang der relevanten Informationen.94 Über die Änderungen des EU-Amtshilfegesetzes hinaus werden die Empfehlungen der OECD hinsichtlich des Austausches von Tax Rulings mit OECD- und G20-Staaten, die nicht zugleich EU-Mitgliedstaaten sind, administrativ durch das BMF-Schreiben vom 28. Juli 2016 umgesetzt.95

5. Schlussbemerkungen Die zunehmende Bedeutung des EU-Beihilferechts für die innerstaatlichen Steuerrechtsordnungen der Mitgliedstaaten ist nicht zu übersehen. Dies sei Anlass zu einigen kritischen Anmerkungen und Fragen: Beihilferecht ist Wettbewerbsrecht, Ziel ist der unverfälschte Wettbewerb im Binnenmarkt. Das Beihilferecht mit seinen seit jeher eigenen Spielregeln gilt auch für mitgliedstaatliche Steuervergünstigungen. Als 93 Vgl. Czakert, IStR 2016, 985, 990. 94 OECD (2015) Countering Harmful Tax Practices More Effectively, Taking into Account Transparency and Substance, Aktion 5 – 2015 Final Reports, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project. 95 Vgl. BMF-Schreiben v. 28.7.2016, BStBl. I 2016, 806.

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(neuer) Motor der steuerlichen Rechtsangleichung innerhalb der Union taugt das Beihilferecht nicht. Anders als bei den Grundfreiheiten verläuft im Beihilferecht das Spannungsverhältnis zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten. Mitgliedstaaten und Unternehmen ziehen grundsätzlich an einem Strang. Weder die mitgliedstaatliche Behörde, die einen Steuervorteil gewährt, noch das Unternehmen hat ein Interesse, den Vorteil wieder zu beseitigen. Ausgetragen wird der Konflikt indes auf dem Rücken der Unternehmen. Die aktuell zu beobachtende tatbestandliche Ausweitung des Beihilfebegriffs im Steuerbereich hat dazu geführt, dass per se unverdächtige Regelungen des nationalen Steuerrechts auf dem Prüfstand des Beihilferechts gelandet sind. Bei der Anwendung des Beihilferechts auf Steuervergünstigungen sind grundlegende dogmatische Fragen ungeklärt. Dies betrifft insbesondere die Konstruktion des Kriteriums der Selektivität steuerlicher Vergünstigungen: Liegt die Selektivität bereits dann nicht vor, wenn eine Regelung unterschiedslos für alle Unternehmen wirkt bzw. nicht vornehmlich bestimmte Unternehmen profitieren; ist auf die Wirkung der Maßnahme abzustellen? Ebenfalls nicht abschließend geklärt ist das Spannungsfeld zwischen Grundfreiheiten und Beihilfeverbot: Kann eine von der Kommission genehmigte Vergünstigung zugleich gegen Grundfreiheiten verstoßen? Die Zunahme an Beihilfeverfahren in Steuersachen tangiert in empfindlicher Weise das Kompetenzgefüge zwischen den Mitgliedsstaaten und der Kommission. Aus politischer Sicht besteht die Herausforderung, den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume zu lassen und die Unternehmen vor Rückforderungen zu schützen. Die aktuelle Beihilfepraxis der Kommission ist in Bezug auf Drittstaaten und die aktuelle BEPS-Diskussion durchaus kritisch zu betrachten. Wie die Tax Ruling-Verfahren aufzeigen, tangiert das Beihilferecht auch das Verhältnis zu Drittländern.

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Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht Professor Dr. Bernd Heuermann Vorsitzender Richter am BFH, München1 Inhaltsübersicht 1. Teil: Umsatzsteuer, Unionsrecht und das Prinzip der Vorherigkeit des Sozialrechts A. Sozial intendierte Steuerbefreiungen I. Betreuungsleistungen, BFHUrt. v. 6.4.2016 – V R 55/14 1. Sachverhalt und die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 25 UStG a.F. 2. Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. h) MwStSystRL a) Leistungsbezogene und unternehmerbezogene Voraussetzungen b) Einrichtung c) Anerkennung d) Die Kriterien der Anerkennung 3. Betreuungsleistungen aufgrund Sozialrechts anerkannt II. Leistungen eines Erziehungsbeistandes 1. Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. h) MwStSystRL in den Zeiträumen vor 2007 2. Richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Nr. 25 UStG (n.F.) III. Der Mensa-Fall 1. Sachverhalt

2. Steuerbefreiung nach Unionsrecht? 3. Fazit B. Umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage bei sozialrechtlich fundierten Abschlägen I. Sachverhalt und Sozialrechtsordnung II. Umsatzsteuerliche Auswirkungen 1. Gesetzliche Krankenversicherung; Minderung in der Umsatzkette 2. Private Krankenversicherung III. Unionale Gleichheitsprüfung 1. Gleichheitsgrundsatz als Primärrecht versus Neutralität als Auslegungsregel 2. Mögliche gleichheitswidrige Behandlung der Preisnachlässe 2. Teil: Vorsteueraufteilung bei gemischt genutzten Gegenständen A. Fall der gemischten Vermietung B. Das Problem C. Der Ausgangspunkt: Die Entscheidung V R 1/10 D. Zwischenspiel (Mengozzi) und Auflösung (EuGH C-332/14)

1 Der Autor ist Vorsitzender des V. Senats des Bundesfinanzhofs und Honorarprofessor an der Ruprecht Karls Universität in Heidelberg. Der Beitrag wurde nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst.

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Heuermann, Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht E. Die Anwendung: Rey-Nachfolgeentscheidung des BFH XI R 31/09 I. Aufteilungsgegenstand 1. Anschaffungs- und Herstellungskosten 2. Erhaltungsaufwendungen

II. Aufteilungsmaßstab 1. Flächenschlüssel 2. Objektbezogener Umsatzschlüssel 3. Gesamtumsatzbezogener Schlüssel 4. Fazit

Wenn wir uns mit einigen Höhepunkten der Rechtsprechung zum Umsatzsteuerrecht beschäftigen wollen, werden wir heute im ersten Teil unserer Ausführungen ein spezielles Thema in den Blick nehmen, das den BFH immer wieder beschäftigt. Es sind dies die Steuerbefreiungen für Leistungen, die sozial intendiert sind. Hier weichen sehr häufig nationales Recht und Unionsrecht voneinander ab. Während sich das UStG direkt auf sozialrechtliche Vorschriften bezieht, umschreibt das Unionsrecht die personenbezogenen Voraussetzungen der Steuerbefreiungen als Einrichtungen, die vom jeweiligen Mitgliedstaat als solche mit sozialem Charakter anerkannt sind. Wie der Mitgliedstaat diese Einrichtung anerkennt, ist eines unserer Themen. Dies geschieht natürlich nicht durch das UStG selbst, sondern durch das öffentliche Recht, speziell durch das Sozialrecht. Das UStG prägt ebenso wie seine Grundlage, das Unionsrecht in Gestalt der MwStSystRL seine eigenen Tatbestände. Auch wenn es Begriffe enthält, die einem anderen Rechtsgebiet entnommen sind, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob das Steuerrecht insoweit den Wertungen des jeweiligen Rechtsgebietes, z.B. des Sozialrechts folgt oder mit Hilfe der entlehnten Begriffe eigenständige steuerrechtliche Tatbestände bildet2. So formuliert das BVerfG in seinem Kammerbeschluss vom 27. Dezember 19913 ein Prinzip, das sich nicht in einer Relativität der Rechtsbegriffe erschöpft, sondern das ein bestimmtes Verhältnis der Rechtsordnungen zueinander aufzeigt: Deshalb soll hier die These vertreten werden, dass der Anwendungen der Sozialrechtsordnung nicht Vorrang für die Auslegung steuerrechtlicher Tatbestände zukommt, sondern dass das Sozialrecht im Sinne einer Vorherigkeit der Sozialrechtsordnung das tatsächliche und rechtliche Umfeld prägt, an das die Um2 So z.B. auch die Rechtsprechung des V. Senats zu Verweisungen auf die AO, vgl. eingehend dazu BFH, Urteil v. 20.3.2014 – V R 4/13, BFHE 245, 397, BStBl. II 2014, 1539 zum Begriff der Vermögensverwaltung, der mit der Verweisung auf die AO einen spezifisch umsatzsteuerrechtlichen Inhalt erhält. 3 2 BvR 72/90 – BStBl. II 1992, 212, Rz. 10.

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satzsteuer anknüpft. Unser Thema ist also die Vorherigkeit der Sozialrechtsordnung für die Anwendung des Umsatzsteuergesetzes. Im zweiten Teil der Ausführungen werden wir uns mit der Vorsteueraufteilung beschäftigen. Und hier hoffe ich, Ihnen nunmehr das Ende einer langen Geschichte präsentieren zu können.

1. Teil: Umsatzsteuer, Unionsrecht und das Prinzip der Vorherigkeit des Sozialrechts A. Sozial intendierte Steuerbefreiungen In zwei Grundsatzentscheidungen musste sich der BFH mit Leistungen im Zusammenhang mit der Jugendhilfe befassen. Es ging zum einen um Betreuungsleistungen und zum anderen um Leistungen eines Erziehungsbeistandes. In beiden Fällen kam es maßgebend auf das Verhältnis zur Sozialrechtsordnung an. Das SGB VIII prägt sozusagen den Sachverhalt vor, an den das Umsatzsteuerrecht anknüpft. I. Betreuungsleistungen, BFH-Urt. v. 6.4.2016 – V R 55/144 1. Sachverhalt und die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 25 UStG a.F. Es geht hier um eine GmbH, die ausschließlich gemeinnützig zur Förderung der Jugend tätig ist und Wohnheime betreibt, in dem psychisch und seelisch kranke Kinder und Jugendliche untergebracht sind und behandelt werden. Die für ihre Wohnheime erforderlichen Betriebserlaubnisse sind ihr gem. § 45 SGB VIII durch den Landschaftsverband 2002 und 2007 erteilt worden. Die für ihre Betreuungsleistungen geschuldeten Entgelte stellte die GmbH der – als Trägerin der freien Jugendhilfe nach § 75 i.V.m. § 45 SGB VIII anerkannten – GbR in Rechnung. Diese rechnete die unter Einschaltung der Klägerin erbrachten Leistungen mit den öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe ab. Die von der GmbH für sich in Anspruch genommene Steuerfreiheit ihrer Betreuungsleistungen kann nicht auf § 4 Nr. 25 UStG a.F. gestützt werden; denn die im Jahr 2007 gültige Fassung des § 4 Nr. 25 UStG betrifft nur die Leistungen der nach § 75 SGB VIII als Träger der freien Jugendhilfe anerkannten juristischen Person. Anerkannt war hier die GbR und nicht die GmbH. Nur wer anerkannt ist, ist Träger und erfüllt damit die personenbezogenen Voraussetzungen des § 4 Nr. 25 UStG a.F. Es kommt 4 BFHE 253, 466.

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nicht darauf an, ob die GmbH hätte anerkannt werden können. Die Anerkennung hat Tatbestandswirkung. Aber auch die leistungsbezogenen Tatbestandsmerkmale lagen hier nicht vor. 2. Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. h) MwStSystRL Es kam nun für den BFH darauf an, ob die Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL vorlagen. Danach befreien die Mitgliedstaaten „eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen“. Die Richtlinie wendet sich an die Mitgliedstaaten und nicht an die Steuerpflichtigen. Doch gehört es zum heutigen steuerlichen Allgemeinwissen, dass jeder sich vor nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen kann, wenn diese inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, der Mitgliedstaat diese Richtlinie indes nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat5. a) Leistungsbezogene und unternehmerbezogene Voraussetzungen Ganz zweifellos erfüllt die GmbH mit ihren Betreuungsleistungen die leistungsbezogenen Voraussetzungen der Steuerbefreiung. Fraglich waren in diesem Fall die subjekt- oder personenbezogenen Voraussetzungen: Da die GmbH keine Einrichtung des öffentlichen Rechts ist, musste der BFH prüfen, ob sie nach deutschem Recht als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt ist. b) Einrichtung Was „Einrichtung“ ist, hat die Rechtsprechung geklärt. Nach dem Wortlaut entspricht dem Begriff „Einrichtung“ eine abgegrenzte Einheit im Sinne einer juristischen Person oder einer „Institution“. EuGH und BFH verstehen diesen Begriff mit Blick auf das Neutralitätsprinzip indes sehr weit. Einrichtungen sind danach auch natürliche Personen oder mehrere

5 Ständige Rechtsprechung des EuGH und des BFH, vgl. z.B. EuGH, Urteil v. 15.1.2014 – C 176/12, EU:C:2014:2, Rz. 31 m.w.N. – Association de médiation sociale; vgl auch die Darstellung bei Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, Vor § 1, Rz. 21.

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natürliche Personen, die ein Unternehmen betreiben6. Die Konkretisierung der Einrichtung als eine „mit sozialem Charakter“ könnte auf den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf diesem Gebiet hindeuten, und zwar in dem Sinne, dass sie z.B. mildtätige Zwecke (§ 53 AO) verfolgt oder insoweit als gemeinnützig anerkannt ist. Dies ist jedoch für eine Einrichtung mit sozialem Charakter nicht erforderlich. Eine Anerkennung ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die natürliche oder juristische Person in Gewinnerzielungsabsicht handelt7. Damit ist der Kreis der anerkennungsfähigen „Einrichtungen“ so weit gezogen, dass hierunter auch gewerblich tätige und auf Gewinnerzielung ausgerichtete Einheiten in jeder Rechtsform fallen können. c) Anerkennung Die Anerkennung richtet sich bereits nach dem Wortlaut des Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL nach nationalem Recht. Insoweit haben die Mitgliedstaaten ein Ermessen8. Allerdings kann hier nicht der Gesetzgeber des Umsatzsteuergesetzes frei walten. Er ist nicht dahin frei, besondere und strengere Voraussetzungen für die Steuerfreiheit aufzustellen. Das meint das Unionsrecht nicht, insoweit gewährt es gerade kein Ermessen. Vielmehr knüpft Art. 132 Abs. 1 Buchst. h) MwStSystRL an die Gegebenheiten des jeweiligen Sozialrechts an. Nur danach richtet es sich, ob einer Einrichtung die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann. Dies ist m.E. als Ausprägung des hier hervorgehobenen Prinzips einer Vorherigkeit des Sozialrechts für die Umsatzsteuer zu verstehen. Dabei meint Anerkennung i.S. des Unionsrechts keine förmliche sozialrechtliche Anerkennung, z.B. als Träger der freien Jugendhilfe i.S. des § 75 SGB VIII. Damit würde dem Sozialrecht Vorrang gegenüber dem Mehrwertsteuerrecht eingeräumt, der zu weit ginge. Vielmehr ist der Begriff der „Anerkennung“ selbst ein autonom unionsrechtlicher Begriff, der aber die sozialrechtlichen Befunde im jeweiligen Mitgliedstaat aufnimmt 6 EuGH, Urteil v. 7.9.1999 – C-216/97, EU:C:1999:390, Rz. 17 bis 19 – Gregg; EuGH, Urteil v. 3.4.2003 – C-144/00, EU:C:2003:192, Rz. 24 – Hoffmann; EuGH, Urteil v. 26.5.2005 – C-498/03, EU:C:2005:322, Rz. 35 und 47 – Kingscrest Associates und Montecello Ltd.; EuGH, Urteil v. 15.11.2012 – C-174/11, EU:C:2012:716, Rz. 57 – Zimmermann. 7 BFH, Urteil v. 1.12.2010 – XI R 46/08, BFHE 232, 232 Rz. 25; EuGH, Urteil v. 12.3.2015 – C-594/13, EU:C:2015:164, Rz. 27 – „go fair“. 8 EuGH, Urteil v. 15.11.2012 – C-174/11, EU:C:2012:716, Rz. 26 m.w.N. – Zimmermann.

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und an sie anknüpft. Darin drückt sich die Dialektik der Vorherigkeit aus. Was „Anerkennung“ ist, richtet sich nach Unionsrecht, aber worauf sich die Anerkennung bezieht, ergibt sich aus den Prägungen der Sozialrechtsordnung. d) Die Kriterien der Anerkennung Wie ist der Begriff der Anerkennung nun zu verstehen? Der EuGH hebt in mehreren Entscheidungen die maßgebenden Umstände hervor, die der nationale Rechtsanwender berücksichtigen muss, und zwar unter der Kontrolle der nationalen Gerichte: Zu ihnen gehören9: –

Spezifische Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit,



Gemeinwohlinteresse an der Tätigkeit des Steuerpflichtigen,



Gleichbehandlung mit anderen Steuerpflichtigen (Neutralitätsgrundsatz) und



Kostenübernahme durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit.

Die Kriterien sind keine Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen des Merkmals „Anerkennung“. Sie müssen nicht kumulativ gegeben sein. Vielmehr sind sie im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu prüfen. Es handelt sich methodisch um typologische Rechtsanwendung. Das Spezifische dieser Rechtsanwendung ist nicht der tatbestandlich scharf kontrollierte Begriff, der auf eine einfache Subsumtion hoffen ließe. Ähnlich der Rechtsfigur des Typus setzt die Richtlinie in ihrer Konkretisierung durch den EuGH voraus, dass nicht stets sämtliche als idealtypisch erkannte, d.h. die anerkennenswerte Einrichtung kennzeichnenden Merkmale (Indizien) vorliegen müssen. Diese können vielmehr in unterschiedlichem Maße und verschiedener Intensität gegeben sein; je für sich genommen haben sie nur die Bedeutung von Anzeichen oder Indizien. Entscheidend sind jeweils ihre Verbindung, die Intensität und die Häufigkeit ihres Auftretens im konkreten Einzelfall. Maßgeblich ist das Gesamtbild10. 9 EuGH, Urteil v. 15.11.2012 – C-174/11, EU:C:2012:716, Rz. 31 – Zimmermann; EuGH, Urteil v. 12.3.2015 – C-594/13, EU:C:2015:164, Rz. 20 – „go fair“; EuGH, Urteil v. 21.1.2016 – C-335/14, EU:C:2016:36, Rz. 35–37 – Les Jardins de Jouvence. 10 Vgl. so zum Typusbegriff im Sozialrecht instruktiv BVerfG-Beschluss v. 20.5.1996 – 1 BvR 21/96, NJW 1996, 2644; dazu auch Heuermann, StuW 2009, 356 ff.

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3. Betreuungsleistungen aufgrund Sozialrechts anerkannt Im Fall der Betreuungsleistungen konnte sich der BFH vor allem auf die Betriebserlaubnis der Einrichtung nach § 45 SGB VIII abstellen. § 45 SGB VIII ist eine spezifische Vorschrift im Bereich der sozialen Sicherheit. In der aufgrund dessen erteilten Betriebserlaubnis insbesondere zeigt sich die sozialrechtliche Anerkennung dieser Wohnheime für Jugendliche als Einrichtung. Es handelt sich deshalb um ein besonders bedeutsames Indiz. Dagegen wurden die Kosten der Wohnheime zunächst der GbR in Rechnung gestellt. Nur diese war nach § 75 SGB VIII Trägerin der freien Jugendhilfe. Indes sah der BFH hierin kein Problem; denn auch die mittelbare, also durchgeleitete Kostentragung erfüllt das Merkmal der Kostenübernahme11. Deshalb bedarf es auch keiner direkten vertraglichen Beziehungen zu dem öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe. II. Leistungen eines Erziehungsbeistandes Nach den gleichen Maßstäben richtet sich die Beurteilung eines Erziehungsbeistandes12. In diesem Fall wird K als Erziehungsbeistand für eine GbR tätig. Es ging hier um eine Besonderheit. Der Fall betrifft mit den Streitjahren 2007 und 2008 auch die Rechtslage nach Einführung des neuen § 4 Abs. 1 Nr. 25 UStG. 1. Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. h) MwStSystRL in den Zeiträumen vor 2007 Die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter folgt hier insbesondere aus § 30 SGB VIII. Danach sollen der Erziehungsbeistand und der Betreuungshelfer das Kind oder den Jugendlichen bei der Bewältigung von Entwicklungsproblemen möglichst unter Einbeziehung des sozialen Umfelds unterstützen und unter Erhaltung des Lebensbezugs zur Familie seine Verselbständigung fördern. Hierin sah der BFH eine spezifische Vorschrift im Bereich der sozialen Sicherheit, die auf die Anerkennung auch der natürlichen Person des Erziehungsbeistandes als Einrichtung mit sozialem Charakter schließen lässt. Zwar gibt es hier anders als bei Betreuungsleistungen kein förmliches Anerkennungsverfahren. Indes werden als Erziehungsbeistände nur Fach11 Vgl. BFH, Urteile v. 18.8.2015 – V R 13/14, BFHE 251, 282; v. 29.7.2015 – XI R 35/13, BFHE 251, 91. 12 BFH, Urteil v. 22.6.2016 – V R 46/15, DStR 2016, 2102.

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kräfte betraut, insbesondere, wenn – wie hier – die Kosten vom Jugendamt nach § 36 Abs. 2 SGB VIII übernommen werden. Danach trägt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten der Hilfe, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplanes unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird. Auch das Subunternehmerproblem stellte sich hier nicht. Zwar erbringt K seine Leistungen (auch) gegenüber der GbR, allerdings beruhte die Erziehungsbeistandschaft maßgeblich auf der Entscheidung des Jugendamtes. Sie war voraussichtlich für eine längere Zeit zu leisten, so dass gem. § 36 Abs. 2 SGB VIII ein Hilfeplan aufzustellen ist und das Jugendamt die Kosten übernahm. Wenn die Beteiligten an der Erziehungsbeistandschaft statt unmittelbarer Vertragsbeziehungen der als Beistand tätigen Personen zu den Jugendämtern ein anderes Organisationsmodell gewählt hatten, so entspricht dies dem Neutralitätsgrundsatz13. Es ist gerade eine besondere Ausprägung dieses Prinzips, dass Wirtschaftsteilnehmer in der Lage sein müssen, das Organisationsmodell zu wählen, das ihnen am besten zusagt, ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Umsätze von der Steuerbefreiung nach der Richtlinie ausgeschlossen werden14. Genau diese Intention lag auch schon der BFH-Entscheidung15 zugrunde, in der ein Pflegehelfer als Vereinsmitglied für seinen Verein ein Pflegeleistungen erbringt, aber die Möglichkeit hat, selbst Verträge nach § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB XI mit Pflegekassen abzuschließen. 2. Richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Nr. 25 UStG (n.F.) Im Streitfall kam es für das Streitjahr 2008 auf die aktuelle Fassung des § 4 Nr. 25 UStG an. Im hier gegebenen Zusammenhang befreit § 4 Nr. 25 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG Leistungen von der Umsatzsteuer, die zum überwiegenden Teil entweder durch Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Alternative 1) oder durch Einrichtungen nach Buchst. a (Alternative 2) vergütet wurden. Legt man diese Norm – wie Befreiungsvorschriften grundsätzlich – eng aus, würde sie nur dann eingreifen, wenn der Leistungserbringer der Jugendhilfeleistung vom Träger der öffentlichen Ju13 Vgl. in diesem Zusammenhang EuGH, Urteile v. 10.9.2002, C-141/00, EU:C:2002:473 – Kügler; v. 26.5.2005, C-498/03, EU:C:2005:322 – Kingscrest Associates und Montecello. 14 EuGH, Urteile v. 7.3.2013 – C-275/11, EU:C:2013:141, Leitsatz 3, sowie Rz. 30 und 31 – GfBk, v. 22.2.2001 – C-408/98, EU:C:2001:110 – Abbey National, v. 21.6.2007 – C-453/05, EU:C:2007:369, Rz. 35 – Ludwig. 15 BFH, Urteil v. 5.8.2015 – V R 13/14, BFHE 251, 282.

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gendhilfe unmittelbar bezahlt wird. Dann wäre diese Vorschrift aber unionsrechtswidrig, weil nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL bereits eine indirekte oder mittelbare Vergütung durch das Jugendamt ausreicht. Deshalb legt der BFH die Norm richtlinienkonform aus; es reicht aus, wenn der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten nur mittelbar oder durchgeleitet trägt16. III. Der Mensa-Fall Das Verständnis der personenbezogenen Befreiungsvoraussetzungen rundet sich ab, wenn wir den sog. Mensafall17 in den Blick nehmen. 1. Sachverhalt Eine teilprivatisierte GmbH betrieb eine Studierenden-Mensa. Sie versorgte immatrikulierte Studierende einer Hochschule in Rheinland-Pfalz und andere Gäste mit Speisen und Getränken. Dabei zahlten Studierende für ein Mittagsmenü ein nicht kostendeckendes Entgelt. Dies geschah auf der Grundlage einer ministeriell genehmigten Kooperationsvereinbarung zwischen der GmbH und der Fachhochschule (Kooperationsvereinbarung). Für ihre Versorgungsgarantie sollte die GmbH eine jährliche Ausgleichszahlung erhalten, das Land und die GmbH vereinbarten ferner (Sicherstellungsvereinbarung), dass die GmbH bei der Wahrnehmung der Aufgabe genauso behandelt wie die Studierendenwerke an den übrigen Hochschulstandorten [des Landes]. Deshalb erhielt die GmbH zur Finanzierung der Essensversorgung jährlich einen Landeszuschuss und einen Anteil an den studentischen Sozialbeiträgen. Die Frage war, ob die Umsätze der GmbH steuerfrei waren. 2. Steuerbefreiung nach Unionsrecht? Ersichtlich liegen die Befreiungsvoraussetzungen nach nationalem Recht nicht vor. § 4 Nr. 18 UStG kommt nicht in Betracht, weil die GmbH nicht ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken gedient hat. Die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 23 UStG liegen nicht vor, weil nicht die GmbH, sondern die Hochschule die in dieser Vor-

16 BFH, Urteil v. 22.6.2016 – V R 46/15, DStR 2016, 2102, Rz. 50. 17 BFH, Urteil v. 18.2.2016 – V R 46/14, BFHE 253, 421.

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schrift vorausgesetzten Ausbildungszwecke verfolgt hat18. Es kam für den BFH also darauf an, ob sich die GmbH mit Erfolg auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) MwStSystRL berufen kann. Danach befreien die Mitgliedstaaten folgende Umsätze von der Steuer: Eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen […], einschließlich derjenigen, die durch […] Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden. Maßgebend ist für das Vorliegen der personenbezogen Voraussetzungen auch hier wieder, ob die Mensabetreiberin eine „anerkannte Einrichtung“ ist. Es gelten wiederum die oben schon dargelegten Bedingungen. Zwar hat die GmbH hier ersichtlich Aufgaben übernommen, die ansonsten auch von einem öffentlich-rechtlich agierenden Studentenwerk bewerkstelligt werden und die mit der Grundversorgung der Studenten der sozialen Sicherung dienen. Diese Aufgaben übernahm die GmbH indes durch Vertrag ohne eine gesetzliche Grundlage. Denn eine hinreichende gesetzliche Grundlage schuf der Landesgesetzgeber in Rheinland-Pfalz erst mit § 112a Abs. 4 des HochSchG in der Fassung vom 19. November 201019. Das Diktum des V. Senats des BFH ist hier ganz klar: Eine vertragliche Aufgabenübertragung ohne gesetzliche Grundlage führt nicht zur Anerkennung. Denn allein die Studierendenwerke als Einrichtungen des öffentlichen Rechts erfüllen die personenbezogenen Voraussetzungen: Nur an sie richtet sich das HochSchG in den hier streitigen Zeiträumen von 2010. Das Gleiche gilt für die Kostenübernahme: Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH kann die Kostenübernahme nur dann zur Anerkennung führen, wenn diese gesetzlich geregelt ist20. Eine vertraglich vereinbarte Kostenübernahme reicht dafür nur aus, wenn für den Vertragsschluss eine gesetzliche Grundlage besteht (vgl. z.B. § 77 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB XI). Der bloße Vertragsschluss mit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts, der für die Ausführung einer bestimmten Leistung die Übernahme von Kosten – auch als sog. Zuschusszahlung – sicherstellt, genügt demgegenüber nicht. 18 BFH, Urteil v. 18.2.2016 – V R 46/14, BFHE 253, 421, Rz. 25. 19 GVBl. 2010, 464. 20 BFH, Urteil v. 18.2.2016 – V R 46/14, BFHE 253, 421, Rz. 43; BFH, Urteil v. 29.7.2015 – XI R 35/13, BFHE 251, 91, Rz. 24 ff., zu § 421g und § 296 SGB III.

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3. Fazit Nach diesen Ausführungen legt der V. Senat den Schwerpunkt bei der Beurteilung der Anerkennung auf die Feststellung und Prüfung einer spezifischen Vorschrift aus dem Bereich des Sozialrechts und nimmt sodann eine Gesamtwürdigung anhand der dargestellten Kriterien vor. Zwar sieht der XI. Senat des BFH in der (möglichen) Kostenübernahme durch öffentliche Einrichtungen das entscheidende Kriterium und beschränkt sich daher im Wesentlichen auf Ausführungen zu diesem Gesichtspunkt21; beide Senate berücksichtigen die Kostenübernahme als Anerkennungskriterium aber nur, wenn diese gesetzlich fundiert ist.

B. Umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage bei sozialrechtlich fundierten Abschlägen In dem Verfahren V R 42/15 muss sich der BFH zu den Auswirkungen von Abschlägen beschäftigen, die ein pharmazeutischer Unternehmer gem. § 1 AMRabG gewährt. Er hat dem EuGH die Sache zur Vorabentscheidung vorgelegt22. I. Sachverhalt und Sozialrechtsordnung Klägerin in dem Verfahren V R 42/15 ist ein pharmazeutisches Unternehmen, das Arzneimittel herstellt und steuerpflichtig – zum Teil über Großhändler – an Apotheken liefert. Es besteht sozialrechtlich ein Unterschied in der Versorgung der Patienten mit Medikamenten: a) Gesetzlich Krankenversicherte: Die Apotheken geben die Arzneimittel an gesetzlich Krankenversicherte aufgrund eines Rahmenvertrages mit dem Spitzenverband der Krankenkassen ab. Die Arzneimittel werden zunächst vom pharmazeutischen Unternehmer an die Apotheken geliefert. Die Apotheke liefert ihrerseits an die Krankenkassen, die nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V ihren Versicherten das Medikament als gesetzlich vorgesehene Leistung zur Verfügung stellt. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen. Darüber schließen die Krankenkassen nach § 2 Abs. 2 Satz 3 SGB V Verträge mit den Leistungserbringern. Nach § 129 SGB V besteht zwischen dem Spitzen21 Vgl. hierzu instruktiv Michel, HFR 2016, 677 ff. 22 BFH, Beschluss v. 22.6.2016 – V R 42/15, DStR 2016, 1919; Az. des EuGH: C-462/16.

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verband der Krankenkassen und dem Spitzenverband der Apotheken ein Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung. Die Apotheken gewähren den Krankenkassen einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis. Die Klägerin als pharmazeutisches Unternehmen muss den Apotheken diesen Abschlag erstatten (§ 130a Abs. 1 Sätze 1 bis 4 SGB V: 7 %). Die Finanzverwaltung behandelt den Abschlag umsatzsteuerrechtlich als Entgeltminderung23. Die Bemessungsgrundlage ändert sich indes nicht, wenn sich ein pharmazeutisches Unternehmen an einer freiwilligen Zahlung an die Krankenkassen beteiligt, mit der die gesetzliche Krankenversicherung einmalig zur Abwendung einer Preisreglementierung finanziert werden soll und allein für die Zukunft wirken soll24. b) Privat Krankenversicherte: Arzneimittel für privat Krankenversicherte geben die Apotheken aufgrund von Einzelverträgen mit diesen Personen ab. Das Unternehmen der privaten Krankenversicherung ist nicht selbst Abnehmer der Arzneimittel, sondern erstattet lediglich die ihren Versicherten entstandenen Kosten (vgl. § 192 Abs. 1 VVG). In diesem Fall muss die Klägerin als pharmazeutischer Unternehmer dem Unternehmen der privaten Krankenversicherung einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis gewähren (§ 1 AMRabG). Die Finanzverwaltung erkennt diesen Abschlag umsatzsteuerrechtlich nicht als Entgeltminderung an. II. Umsatzsteuerliche Auswirkungen 1. Gesetzliche Krankenversicherung; Minderung in der Umsatzkette Umsatzsteuerrechtlich kommt es bei der gesetzlichen Krankenversicherung zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage des pharmazeutischen Unternehmers. Hier trägt ja der pharmazeutische Unternehmer den Preisnachlass, indem er der Apotheke Erstattung leistet. Obschon nicht vertraglich mit der Krankenkasse als Endverbraucher verbunden, ist er das erste Glied einer zu dieser führenden Kette von Umsätzen. Gewährt der pharmazeutische Unternehmer der Krankenkasse durch Übernahme des Abschlags einen Preisnachlass, muss nach der Rechtsprechung des EuGH die Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer um

23 BMF v. 14.11.2012, BStBl. I 2012, 1170, unter I.1. 24 BFH, Urteil v. 30.1.2014 – V R 1/13, BFH/NV 2014, 911.

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diesen Nachlass vermindert werden25. Dementsprechend mindern Rabatte im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung die umsatzsteuerrechtliche Bemessungsgrundlage26. 2. Private Krankenversicherung Hier ist eine Minderung der Bemessungsgrundlage zumindest fraglich: Der EuGH hat nämlich eine Minderung abgelehnt, wenn ein Reisebüro als Vermittler dem Endverbraucher aus eigenem Antrieb und auf eigene Kosten einen Nachlass auf den Preis der vermittelten Leistung gewährt, die von dem Reiseveranstalter erbracht wird27. Dies beruht darauf, dass das Reisebüro außerhalb einer Leistungskette vom Reiseveranstalter zum Endverbraucher steht. Der V. Senat versteht die Rechtsprechung des EuGH in diesem Sinne so, dass Preisnachlässe die umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage nur dann mindern, wenn eine Kette von Umsätzen von dem Unternehmen zu dem abschlagsberechtigten Dritten führt. Danach würden Abschläge an Unternehmen der privaten Krankenversicherung die Bemessungsgrundlage für die von dem pharmazeutischen Unternehmen erbrachten Lieferungen nicht mindern, da die abschlagsberechtigten Unternehmen der privaten Krankenversicherung außerhalb der Leistungskette von der Klägerin zum Endverbraucher stehen. III. Unionale Gleichheitsprüfung Diese Auswirkungen verstoßen nach Auffassung des BFH gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 20 EUGrdRCh. Art. 20 EUGrdRCh ist hier der Maßstab, denn diese Charta gilt nach Art. 51 Abs. 1 EUGrdRCh „bei der Durchführung des Rechts der Union“. Die Ermäßigung der umsatzsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage richtet sich nach Art. 90 MwStSystRL. Der Begriff des Preisnachlasses und seine Auslegung ist autonomes – und zwingendes – Unionsrecht, so dass nationalverfassungsrechtlich Maßstäbe (hier Art. 3 GG) nicht gelten28.

25 EuGH, Urteile v. 24.10.1996 – C-317/94, EU:C:1996:400, Rz. 28, 31 – Elida Gibbs; v. 16.1.2014 – C 300/12, EU:C:2014:8, Rz. 29 – Ibero Tours. 26 Ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteil v. 28.5.2009 – V R 2/08, BFHE 226, 166, BStBl. II 2009, 870, unter II.3.a. 27 EuGH, Urteil v. 16.1.2014 – C 300/12, EU:C:2014:8, Rz. 33 – Ibero Tours. 28 BVerfG, Beschluss v. 19.7.2011 – 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78, Le Corbusier, Designermöbel Urheberrecht.

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1. Gleichheitsgrundsatz als Primärrecht versus Neutralität als Auslegungsregel Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich (Art. 20 EUGrdRCh). In der primärrechtlichen Norm des Art. 20 EUGrdRCh ist der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz verankert29. Danach dürfen vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist. Der EuGH rechtfertigt eine solche Behandlung (als gleich oder ungleich), wenn sie auf einem objektiven und angemessenen Kriterium beruht. Dies ist der Fall, (objektives Kriterium) wenn sie im Zusammenhang mit einem rechtlich zulässigen Ziel steht, das mit der Regelung verfolgt wird, und (Kriterium der Angemessenheit) wenn sie in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht30. Im Mehrwertsteuerrecht kommt der Grundsatz der Gleichbehandlung auch im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck31. Obschon also im allgemeinen Gleichheitssatz fundiert, hat das Neutralitätsprinzip keinen primärrechtlichen Rang, sondern stellt lediglich eine Auslegungsregel dar32. 2. Mögliche gleichheitswidrige Behandlung der Preisnachlässe Für die Praxis dürfte es unerheblich sein, ob es hier um ein Auslegungskriterium geht oder um den primärrechtlichen Maßstab, geht es doch darum, ob in der (bisherigen) Auslegung des Art. 90 MwStSystRL durch den EuGH und den BFH vergleichbare Sachverhalte ungleich behandelt werden: Die Abschläge an Unternehmen der privaten Krankenversicherung und die Abschläge im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung dienen nämlich dem gleichen Zweck. Die Zahlungen an die Unternehmen der privaten Krankenversicherung sollen die Regelung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung wirkungsgleich in die übrigen Bereiche der Absicherung im Krankheitsfall übertragen. Die Arz29 EuGH, Urteil v. 30.6.2016 – C-205/15, EU:C:2016:499, Rz. 35 – Toma. 30 Ständige Rechtsprechung, vgl. insbesondere EuGH, Urteil v. 22.5.2014 – C-356/12, EU:C:2014:350, Rz. 43 – Glatzel. 31 Dazu EuGH, Urteil v. 15.11.2012 – C 174/11, EU:C:2012:716, Rz. 46 ff. – Zimmermann. 32 EuGH, Urteil v. 19.7.2011 – C-44/11, EU:C:2012:484, Rz. 45 – Deutsche Bank; dazu auch Englisch in Europäisches Steuerrecht, 2015, Rz. 12.23, m.w.N.

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neimittelhersteller sollen in beiden Fällen in gleichem Umfang zur Entlastung derjenigen Stellen herangezogen werden, die im Ergebnis die Kosten der Arzneimittelversorgung tragen. Der nationale Gesetzgeber erachtete es für sachlich nicht gerechtfertigt, für den Gesundheitsschutz außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung abweichende Abschläge vorzusehen33. Weil der Unterschied nur auf der sozialrechtlich andersgearteten Grundordnung der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits sowie der privaten Krankenversicherung andererseits beruht, rechtfertigt er keine mehrwertsteuerrechtlich abweichende Beurteilung. Hier wirkt sich die Vorherigkeit des Sozialrechts für das Mehrwertsteuerrecht mit umgekehrten Vorzeichen aus: In den Wertungen des sozialrechtlichen Gesetzgebers liegt das objektive Kriterium, das eine gleiche steuerliche Behandlung der Fälle impliziert. Aber das ist natürlich Sache des EuGH. Es ist nun an ihm, Art. 90 MwStSystRL etwa abweichend auszulegen und eine Modifikation seiner Elida-Gibbs-Rechtsprechung zu erwägen.

2. Teil: Vorsteueraufteilung bei gemischt genutzten Gegenständen A. Fall der gemischten Vermietung Der Unternehmer U errichtet ein Gebäude mit zwei etwa gleich großen Stockwerken. Er beauftragte zu diesem Zweck durch seinen Architekten viele Bauunternehmungen und Handwerker, die in unterschiedlichem Umfang Leistungen auf beiden Etagen erbrachten. Nach den schon abgeschlossenen Vorverträgen vermietet U nach der Fertigstellung das Erdgeschoss an mehrere Unternehmer, die darin einen Coffeeshop, einen Kiosk sowie einen Döner-Imbiss betreiben steuerpflichtig und die Wohnungen im Obergeschoß steuerfrei. Die Ladenmiete beträgt monatlich 10 000 Euro; die Wohnungsmieten betragen zusammen monatlich 5000 Euro.

B. Das Problem Die Vorsteueraufteilung war schon häufig Gegenstand unterschiedlicher Verfahren. Weder die Rechtsgrundlage war unangefochten, noch der maßgebliche Aufteilungsmaßstab. Galt nun der Flächenschlüssel, der objektbezogene oder der gesamtunternehmensbezogene Umsatzschlüssel. Auf33 Siehe explizit BT-Drucks. 17/3698, 60.

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grund der Entscheidung des EuGH in der Sache Rey34 und des nachfolgenden Urteils des XI. Senats des BFH35 kündigen sich nun aber übereinstimmende und rechtssichere Ergebnisse an. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung zwischen Aufteilungsgegenstand und Aufteilungsmaßstab: Aufteilungsgegenstand: Errichtet U ein Gebäude, kommt es darauf an, ob das Gebäude selbst oder die einzelne von U bezogene Eingangsleistung aufgeteilt werden muss. Aufteilungsmaßstab: Bezieht sich auf den teils steuerfrei und teils steuerpflichtig genutzten Aufteilungsgegenstand und fragt nach der Art und Weise, wie der Gegenstand oder die Leistung aufzuteilen ist. Wir unterscheiden dabei die Umsatzschlüssel (objekt- oder gesamtunternehmensbezogen) vom Flächenschlüssel.

C. Der Ausgangspunkt: Die Entscheidung V R 1/1036 Das Programm gibt die Entscheidung V R 1/10 vor: Danach ist § 15 Abs. 4 UStG unionsrechtskonform und dementsprechend auszulegen37: Eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, ist nur zulässig, wenn keine andere – präzisere – wirtschaftliche Zurechnung möglich ist38. Der Begriff der wirtschaftlichen Zurechnung umfasst alle in der Norm genannten Zuordnungsmethoden, also sowohl die Aufteilung nach den (beiden) Umsatzschlüsseln wie auch z.B. einen Flächenschlüssel als „andere wirtschaftliche Zurechnung“39. Damit ist der Flächenschlüssel vorrangig, wenn er zu einer präziseren Aufteilung führt. Das führte zu den beiden Leitsätzen:

34 EuGH, Urteil v. 9.6.2016 – C-332/14, EU:C:2016:417 – Wolfgang und Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft GbR; auf Vorlage des BFH v. 5.6.2014 – XI R 31/09, BFHE 245, 447. 35 BFH, Urteil v. 10.8.2016 – XI R 31/09. 36 BFH, Urteil v. 7.5.2014 – V R 1/10, BFHE 245, 416. 37 Anhand der Maßstäbe von EuGH, Urteil v. 8.11.2012 – C-511/10, EU:C:2012:689 – BLC Baumarkt. 38 BFH, Urteil v. 7.5.2014 – V R 1/10, BFHE 245, 416, Rz. 29; dazu Wäger, DB 2014, 1397; Michel, jM 2015, 203; ders., HFR 2014, 829; Heuermann, UR 2014, 505. 39 BFH, Urteil v. 7.5.2014 – V R 1/10, BFHE 245, 416, Rz. 21.

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Bei der Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes richtet sich die Vorsteueraufteilung im Regelfall nach dem objektbezogenen Flächenschlüssel



Vorsteuerbeträge sind aber dann nach dem (objektbezogenen) Umsatzschlüssel aufzuteilen, wenn erhebliche Unterschiede in der Ausstattung der verschiedenen Zwecken dienenden Räume bestehen.

D. Zwischenspiel (Mengozzi) und Auflösung (EuGH C-332/14) Nach den Ausführungen des Generalanwalts Mengozzi40 stand zunächst wieder – trotz der von ihm auch erwähnten Auslegung durch den V. Senat – die Unionsrechtskonformität des § 15 Abs. 4 UStG in Frage – aber das war bloß ein Zwischenspiel. Denn der EuGH entschied, dass in einem Fall, „in dem ein Gebäude auf der Ausgangsstufe sowohl zur Ausführung bestimmter Umsätze verwendet wird, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch zur Ausführung anderer Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, die Mitgliedstaaten nicht vorschreiben müssen, dass die auf der Eingangsstufe für die Errichtung, Anschaffung, Nutzung, Erhaltung oder Unterhaltung dieses Gebäudes verwendeten Gegenstände und Dienstleistungen zunächst diesen verschiedenen Umsätzen zugeordnet werden, wenn eine solche Zuordnung schwer durchführbar ist, damit danach nur das Recht auf Vorsteuerabzug für diejenigen Gegenstände und Dienstleistungen, die sowohl für bestimmte Umsätze verwendet werden, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für andere Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, anhand eines Umsatzschlüssels oder, vorausgesetzt, diese Methode gewährleistet eine präzisere Bestimmung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs, eines Flächenschlüssels bestimmt wird“.

Der EuGH unterscheidet zwei Phasen. Die erste fragt nach dem Aufteilungsgegenstand und ordnet die bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen den Ausgangsumsätzen zu. Ist die „Zuordnung“ in dieser Phase – wie wohl bei der Errichtung gemischt genutzter Grundstücke – nur schwer durchführbar, kommt es in der zweiten Phase zur Aufteilung unabhängig von der Verwendung der Eingangs- für die Ausgangsumsätze. Die Mitgliedstaaten können nach § 173 Abs. 2 Buchst. c) MwStSystRL einen anderen als den von der Richtlinie als Regelmaßstab festgelegten Umsatzschlüssel nach der Gesamtheit der vom Steuerpflichtigen be-

40 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 25.11.2015 – C-332/14, Wolfgang und Dr. Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft GbR, EU:C:2015:777, sehr deutlich Rz. 73.

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wirkten Umsätze bestimmen. Das ist z.B. ein Flächenschlüssel, wenn danach die Vorsteuerbeträge präziser aufgeteilt werden können41.

E. Die Anwendung: Rey-Nachfolgeentscheidung des BFH XI R 31/09 Ist in der zweiten Phase – der Aufteilung nach einem Schlüssel – der Duktus des V. Senats in seinem Grundlagenurteil bis in die Formulierungen des EuGH hinein spürbar, so bildet dieses Urteil für die Rey-Nachfolgeentscheidung des XI. Senats quasi die Blaupause. Diese Entscheidung entwickelt nun auf der Basis der EuGH-Entscheidung42 klare Regeln zum Aufteilungsgegenstand und zur Anwendbarkeit der Aufteilungsschlüssel: I. Aufteilungsgegenstand 1. Anschaffungs- und Herstellungskosten Errichtet der Unternehmer ein Gebäude, das er gemischt zu nutzen beabsichtigt, oder schafft er ein solches Gebäude an, erweist sich eine Zuordnung der Gegenstände oder Dienstleistungen zu den Umsätzen, für die sie verwendet werden, „in der Praxis als zu komplex und somit schwer durchführbar“. Fallen die Eingangsleistungen für sämtliche Gebäudeteile an (z.B. für Wände, Decken, Fassade, Dach, Elektro-, Wasserund Heizungsinstallation), ist eine direkte Zuordnung der Kosten zu den steuerpflichtig oder steuerfrei vermieteten Flächen praktisch meist unmöglich43. Deshalb ist – so der XI. Senat zutreffend – auf die Verwendungsverhältnisse des gesamten Gebäudes abzustellen44.

41 EuGH, Urteil v. 9.6.2016 – C-332/14, EU:C:2016:417, Rz. 32, 33 – Wolfgang und Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft GbR. 42 EuGH, Urteil v. 9.6.2016 – C-332/14, EU:C:2016:417 – Wolfgang und Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft GbR. 43 Die ausführenden Bauunternehmer gliedern ihre Leistungen regelmäßig nicht auf die einzelnen Gebäudeteile auf. Anders aber vielleicht, wenn die Parteien des Kaufvertrags eine Aufteilung vereinbaren, dazu aus ertragsteuerlicher Sicht zur Aufteilung in verschiedene Wirtschaftsgüter z.B. BFH, Urteil v. 27.7.2004 – IX R 54/02, BStBl. II 2006, 9. 44 BFH, Urteil v. 10.8.2016 – XI R 31/09, Rz. 34 ff.

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2. Erhaltungsaufwendungen Anders entscheidet der XI. Senat des BFH übereinstimmend mit der bisherigen Rechtslage bei Erhaltungsaufwendungen. Die Zuordnung der für die Nutzung, Erhaltung oder Unterhaltung eines gemischt genutzten Gebäudes erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen zu den unter Verwendung dieses Gebäudes ausgeführten verschiedenen Ausgangsumsätzen ist in der Praxis allgemein leicht durchführbar. Deshalb bilden diese Eingangsleistungen den Aufteilungsgegenstand Im gegebenen Beispielsfall sind also die gesamten Herstellungskosten der einheitliche Aufteilungsgegenstand. Anders aber, wenn U lange Zeit nach Fertigstellung z.B. in dem Kiosk Schönheitsreparaturen durchführen lässt. Die in den Kosten enthaltenen Vorsteuerbeträge sind dann in vollem Umfang abziehbar; denn die Eingangsleistung (Reparaturen) werden unmittelbar dazu verwandt, steuerbare und steuerpflichtige Umsätze – Vermietung – zu erzielen. II. Aufteilungsmaßstab 1. Flächenschlüssel Auch beim Aufteilungsmaßstab folgt der XI. Senat dem V. Senat in dessen Grundsatzentscheidung45. Ist der Aufteilungsgegenstand das gesamte Gebäude, ermöglicht der objektbezogene Flächenschlüssel in der Regel eine „präzisere“ Berechnung des Vorsteuerabzugs46. Der Flächenschlüssel gilt aber nicht, –

wenn die Nutzflächen nicht miteinander vergleichbar sind, etwa wenn die Ausstattung der den unterschiedlichen Zwecken dienenden Räume (z.B. Höhe der Räume, Dicke der Wände und Decken, Innenausstattung; aufwendige Ausstattung der Wohnräume) erhebliche Unterschiede aufweist47.



wenn es um nicht zu einer Gesamtnutzfläche zu addierende Nutzflächen innerhalb eines Gebäudes und auf dessen Dach geht, oder der Flächenschlüssel sonst nicht präziser ist48. So verhält es sich etwa bei einer Photovoltaikanlage auf dem Dach.

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BFH, Urteil v. 7.5.2014 – V R 1/10, BFHE 245, 416. BFH, Urteil v. 10.8.2016 – XI R 31/09, Rz. 44 bis 46. BFH, Urteil v. 10.8.2016 – XI R 31/09, Rz. 48 f. BFH, Urteil v. 10.8.2016 – XI R 31/09, Rz. 50.

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2. Objektbezogener Umsatzschlüssel Gilt kein Flächenschlüssel, gilt der objektbezogene Umsatzschlüssel, wenn die Vorsteuerbeträge den Gegenstand selbst betreffen. In diesem Fall ist der objektbezogene Umsatzschlüssel gegenüber einem auf das gesamte Unternehmen bezogenen Umsatzschlüssel genauer. 3. Gesamtumsatzbezogener Schlüssel Wird das Gebäude dagegen für Umsätze des gesamten Unternehmens verwendet (wie z.B. ein Verwaltungsgebäude49,), gehören die Aufwendungen zur Herstellung des Gebäudes zu den allgemeinen Aufwendungen des Unternehmers und hängen direkt und unmittelbar mit seiner wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zusammen. Dies rechtfertigt es auch, Vorsteuerbeträge nach dem gesamtumsatzbezogenen Umsatzschlüssel aufzuteilen50. 4. Fazit Dem XI. Senat ist in seiner Auslegung der unionsrechtlichen Vorgaben voll zuzustimmen. Damit geben nun beide Umsatzsteuersenate gleiche Maßstäbe der Vorsteueraufteilung vor. Um die Frage zu Beginn aufzunehmen; In diesem Bereich ist Rechtssicherheit eingetreten. Im Beispielsfall sind die Vorsteuerbeträge anhand des Flächenschlüssels aufzuteilen. Das bedeutet hier, dass auf die Wohnungen trotz des geringeren Umsatzes (5000 Euro) die Hälfte der Fläche und damit auch die Hälfte der Vorsteuer auf die eingehenden Herstellungsarbeiten entfallen und mithin nicht abziehbar sind. Auf die steuerpflichtig vermieteten Grundstücksflächen entfällt ebenfalls die Hälfte der Vorsteuerbeträge. Anders wäre es nur, wenn z.B. auf die Gewerbeflächen ein höherer Ausstattungsaufwand entfiele. Dann könnte der objektbezogene Umsatzschlüssel anwendbar sein. Es wären dann 2/3 (Verhältnis des gewerblichen Umsatzes, 10 000, zum Umsatz des gesamten Objekts, 15 000) der Vorsteuerbeträge abziehbar.

49 UStAE 15.17 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 3. 50 BFH, Urteil v. 10.8.2016 – XI R 31/09, Rz. 53.

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Neues aus der Rechtsanwendung – Organschaft und öffentliche Hand Ministerialrat Stephan Filtzinger Mainz1 Inhaltsübersicht A. Organschaft I. Ausgangssituation 1. Nationale Gesetzeslage 2. Unionsrechtliche Grundlage II. EuGH-Verfahren Larentia + Minerva und Marenave III. Folgerungen des BFH 1. Finanzielle Eingliederung 2. Organisatorische Eingliederung 3. Schwestergesellschaften 4. Organschaft mit Nichtunternehmern 5. Personengesellschaften als Organgesellschaften IV. Rechtliche und praktische Folgen 1. Maßgebender Spruchkörper 2. Auswirkungen der Rechtsprechung auf die Organschaft a) in Bezug auf die Eingliederungsvoraussetzungen b) in Bezug auf die Eingliederungsfähigkeit von Personengesellschaften

3. Zeitliche Anwendung und Berufungsfragen 4. Organschaft-Feststellungsverfahren B. Besteuerung der Einrichtungen öffentlichen Rechts I. Ausgangslage II. Neuregelung 1. Gewählte Handlungsform 2. Wettbewerb 3. Größere Wettbewerbsverzerrung 4. Allgemeine Wettbewerbsausnahmen 5. Besondere Wettbewerbsausnahmen bei Kooperationen 6. Katalogtätigkeiten III. Übergangsphase 1. Anwendungsregelung 2. Praktische Fragen

1 Stephan Filtzinger ist Ministerialrat im Finanzministerium Rheinland-Pfalz. Dieser Beitrag wurde nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst.

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A. Organschaft I. Ausgangssituation 1. Nationale Gesetzeslage Ein Umsatz wird nach geltender gesetzlicher Regelung2 nicht selbständig und mithin nichtunternehmerisch ausgeführt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Bislang werden aus dieser Vorgabe für die Organschaft im Wesentlichen folgende Bedingungen abgeleitet: –

der Organträger muss Unternehmer sein, auf die Rechtsform kommt es nicht an



als Organgesellschaft kommen regelmäßig nur juristische Personen des Privatrechts in Betracht, nicht dagegen natürliche Personen und Personengesellschaften



die finanzielle Eingliederung erfordert den Besitz einer eigenen stimmrechtsvermittelnden Anteilsmehrheit, die es dem Organträger ermöglicht, durch Mehrheitsbeschlüsse seinen Willen durchzusetzen



die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger in der laufenden Geschäftsführung auch tatsächlich wahrgenommen wird, wobei es nach geltender Verwaltungsauffassung ausreicht, sicherzustellen, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung bei der Organgesellschaft nicht stattfindet3; je schwächer die personelle Verflechtung ausgestaltet ist, desto höher sind die Anforderungen an ergänzende institutionell abgesicherte Maßnahmen, um eine abweichende Willensbildung auszuschließen (z.B. Weisungsrecht, Letztentscheidungsrecht)



wirtschaftliche Eingliederung liegt vor, wenn die Organgesellschaft nach dem Willen des Organträgers im Rahmen des Gesamtunternehmens in engem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Organträger wirtschaftlich tätig ist.

Rechtsfolge des Vorliegens der genannten Voraussetzungen ist, dass die Organgesellschaft ihre Eigenschaft als Steuersubjekt verliert und der Or2 § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG. 3 Abschn. 2.8. Abs. 7 Satz 3 UStAE.

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ganträger einziger Unternehmer im Organkreis wird; ihm werden die von der Organgesellschaft getätigten Umsätze steuerlich zugerechnet. 2. Unionsrechtliche Grundlage Die unionsrechtliche Grundlage für die Regelungen zur Organschaft findet sich in Art. 11 MwStSystRL. Danach „kann jeder Mitgliedstaat in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln“. Macht ein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit Gebrauch, kann er „die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Steuerhinterziehungen oder -umgehungen durch die Anwendung dieser Bestimmung vorzubeugen.“ Nach dem Wortlaut des Unionsrechts bestehen also signifikante Unterschiede zum deutschen Recht: –

die Rede ist nur von „Personen“, nicht aber von „juristischen Personen“,



es wird nur eine „enge Verbundenheit“ durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische „Beziehungen“ gefordert, nicht aber eine „Eingliederung“,



Rechtsfolge nach dem Unionsrecht ist die Behandlung „zusammen als einen Steuerpflichtigen“ (landläufig als „MwSt-Gruppe“ bezeichnet), nicht die Zurechnung der Umsätze beim Organträger.

Die unionsrechtliche Regelung war seinerzeit geschaffen worden um insbesondere Deutschland die Beibehaltung der bereits bestehenden Regeln zur umsatzsteuerlichen Organschaft zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund sieht die h.M. bislang das nationale Recht als von der MwStSystRL gedeckt an4. Auch der BFH bezweifelte in der Vergangenheit nicht, dass die deutschen Regelungen zur umsatzsteuerlichen Organschaft das Unionsrecht zutreffend umsetzen und insbesondere die durch Unterordnung bedingte Eingliederung der Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers das zentrale Element dieses Rechtsinstituts ist. Der V. Senat des BFH hatte in mehreren jüngeren Entscheidungen die Bedingungen für eine organisatorische Eingliederung sogar noch weiter entwickelt und verlangt, dass nicht nur eine abweichende Willensbildung ausgeschlossen ist, sondern dass der Wille des Organträgers bei der Organgesell4 Vgl. Radeisen in Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, § 2 Rn. 179 m.w.N.

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schaft sogar stets aktiv durchgesetzt werden muss5. Die Verwaltung hat sich dieser Rechtsprechungsentwicklung des V. Senats zunächst angeschlossen und dessen die Organschaft einengenden Grundsätze übernommen6. Allerdings deutete sich ab 2013 eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung an. Denn der EuGH urteilte am 9.4.2013, C-85/11 (Kommission/Irland)7, dass der Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL von „Personen“ und nicht von „Steuerpflichtiger“ spreche und daher keinen Unterschied zwischen steuerpflichtigen und nichtsteuerpflichtigen Personen mache. Der Gerichtshof gelangte daher zu dem Ergebnis, dass Irland nicht gegen die MwStSystRL verstößt, wenn es auch Nichtsteuerpflichtige in die MwStGruppe einbezieht. Im Urteil vom 25.4.2014, C-480/10 (Kommission/ Schweden)8 führte er ergänzend aus, dass Art. 11 MwStSystRL für die Mitgliedstaaten auch nicht die Möglichkeit vorsehe, den Wirtschaftsteilnehmern weitere Bedingungen für die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe aufzubürden, wie etwa diejenige, dass sie einer bestimmten Tätigkeit nachgehen oder zu einer bestimmten Branche gehören müssen. Die Kommission habe allerdings nicht überzeugend nachgewiesen, dass die schwedische Beschränkung der Organschaftsregelungen auf Unternehmen, die der Finanzaufsicht und somit einem Regelwerk öffentlicher Kontrolle unterliegen, nicht der Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung gem. Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL diene.

II. EuGH-Verfahren Larentia + Minerva und Marenave Der XI. Senat des BFH stellte vor dem Hintergrund der o.g. EuGH-Rechtsprechung die bisherigen nationalen Organschaftsvoraussetzungen, insbesondere die Beschränkung auf juristische Personen und die Erforderlichkeit einer organisatorischen Eingliederung, in zwei Vorlageentscheidungen vom 11.12.139 grundsätzlich in Frage. Mit Blick auf diese Vorabentscheidungsverfahren des XI. Senats wurden die durch den V. Se-

5 Vgl. u.a. BFH-Urteile v. 7.7.2011, V R 53/10, BStBl. 2013 II, 218; v. 24.8.2011, V R 53/09, UR 2012, 268 und v. 8.8.2013, V R 18/13, UR 2013, 785 sowie Beschluss v. 19.3.14, V B 14/14, UR 2014, 431. 6 BMF-Schr. v. 7.3.2013, BStBl. 2013 I, 333. 7 EuGH-Urt. v. 9.4.2013, C-85/11, Kommission/Irland, UR 2013, 418. 8 EuGH-Urt. v. 25.4.2014, C-480/10, Kommission/Schweden, UR 2013, 423. 9 BFH-Beschl. v. 11.12.2013, XI R 17/11 und XI R 38/12, BStBl. II 2014, 417 und 428.

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nat um Urteil vom 8.8.201310 nochmals verschärften Anforderungen an die Eingliederungsvoraussetzungen bis auf weiteres von der Verwaltung nicht übernommen11. Den Vorlagen des XI. Senats lag jeweils im Wesentlichen der gleiche, nachfolgend vereinfacht dargestellte Ausgangssachverhalt zugrunde: Eine geschäftsleitende Holding (H) ist jeweils Mehrheitskommanditistin der KG 1 und der KG 2 sowie Alleingesellschafterin der jeweiligen Komplementär-Gesellschaften GmbH 1 und GmbH 2. Streitig war, ob und in welcher Höhe H der Vorsteuerabzug aus dem Bezug von Leistungen im Zusammenhang mit dem Anteilserwerb zustand. Der XI. Senat hielt zur Beantwortung dieser Frage auch die Klärung der Vorfrage für erforderlich, ob neben den Komplementär-GmbH’s auch die Kommanditgesellschaften als solche in den Organkreis einbezogen werden können, und fragte den EuGH daher u.a., ob die Bestimmung über die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem Steuerpflichtigen in (Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der 6. Richtlinie bzw. Art. 11 der MwStSystRL) einer nationalen Regelung entgegen steht, nach der (erstens) nur eine juristische Person – nicht aber eine Personengesellschaft – in das Unternehmen eines anderen Steuerpflichtigen (sog. Organträger) eingegliedert werden kann und die (zweitens) voraussetzt, dass diese juristische Person finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch (im Sinne eines Über- und Unterordnungsverhältnisses) „in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist“. Außerdem fragte der BFH den EuGH, ob sich ein Steuerpflichtiger unmittelbar auf Art. 11 MwStSystRL berufen könne. Mit Urteil vom 16.7.201512 beantwortete der EuGH die gestellten Fragen wie folgt: –

das Unionsrecht stehe einer nationalen Regelung entgegen, die die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe allein den Einheiten vorbehält, die juristische Personen sind und mit dem Organträger dieser Gruppe durch ein Unterordnungsverhältnis verbunden sind,



es sei denn, dass diese beiden Anforderungen Maßnahmen darstellen, die zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung er-

10 BFH-Urt. v. 8.8.2013, V R 18/13, UR 2013, 785. 11 BMF-Schr. v. 5.5.14, BStBl. 2014 I, 820. 12 EuGH-Urt. v. 16.7.2015, C-108/14 und C-109/14, Larentia + Minerva und Marenave, UR 2015, 671.

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forderlich und geeignet sind (was das vorlegende Gericht zu prüfen hat). –

Allerdings habe das Unionsrecht keine unmittelbare Wirkung.

III. Folgerungen des BFH Noch bevor sich der XI. Senat mit den Antworten auf seine Fragen befassen konnte, setzte sich der V. Senat des BFH in mehreren Entscheidungen vom 2. und 3.12.201513 mit der EuGH-Entscheidung auseinander. Der XI. Senat hat seine Folgeentscheidungen dagegen erst in den Urteilen v. 19.1.201614 und vom 1.6.201615 getroffen. Diese zeitliche Abfolge ist für die Anwendung der EuGH-Rechtsprechung und die künftige Ausgestaltung der Organschaft von entscheidender Bedeutung, wie im Folgenden aufgezeigt wird. Im Einzelnen können den Urteilen des BFH folgende Feststellungen zur Anwendung der Grundsätze der Organschaft entnommen werden: 1. Finanzielle Eingliederung Der V. Senat des BFH hält am Erfordernis der finanziellen Eingliederung fest. Zum einen seien die Voraussetzungen der Organschaft andernfalls nicht rechtssicher bestimmbar. Das nationale Recht sehe weder einen Antrag noch ein besonderes Verfahren zur Feststellung der Voraussetzungen der Organschaft vor. Da es dementsprechend an einem Grundlagenbescheid fehle, sei es nicht möglich, für die Organschaft anstelle einer eigenen Mehrheitsbeteiligung auf das unbestimmte wie auch unpräzise Merkmal einer lediglich engen finanziellen Verbindung zwischen mehreren Personen abzustellen. Eine derartige Verbindung ermögliche es nicht, die Person rechtssicher zu bestimmen, die die steuerrechtlichen Verpflichtungen für den Organkreis als Organträger und damit als einzige Steuerschuldnerin zu erfüllen hat16.

13 BFH-Urt. v. 2.12.2015, V R 25/13, UR 2016, 185, V R 15/14, UR 2016, 192, V R 67/14, UR 2016, 199 und V R 12/14, UR 2016, 207, sowie v. 3.12.2015, V R 36/13, UR 2016, 204. 14 BFH-Urt. v. 19.1.2016, XI R 38/12, UR 2016, 312. 15 BFH-Urt. v. 1.6.2016, XI R 17/11, UR 2016, 673. 16 BFH-Urt. v. 2.12.2015, V R 15/14, UR 2016, 192, Rz. 22.

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Zum anderen sei aus Gründen der einfachen Anwendung ein Abstellen auf die Eingliederung weiterhin geboten. Denn ohne Antrags- und Feststellungsverfahren müsse es dem Organträger aufgrund der Eingliederung möglich sein, die – nach § 370 AO strafbewehrte – Verantwortung für die Umsatztätigkeit der mit ihm verbundenen juristischen Person zu übernehmen.17 Um dies sicherzustellen, postuliert der V. Senat an Stelle eines Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen Organträger und Organgesellschaft daher eine „Eingliederung mit Durchgriffsrechten“. Der Organträger muss danach – wie bisher – in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sein, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss in der Gesellschafterversammlung durchsetzen kann. Erforderlich ist damit weiterhin eine stimmrechtsvermittelnde Anteilsmehrheit (im Regelfall mehr als 50 v.H.).18 Diese muss – so der V. BFH-Senat – dem Unternehmer die erforderlichen Durchgriffsrechte allerdings einfach und rechtssicher bestimmbar vermitteln. Daher seien Vereinbarungen zur Stimmrechtsausübung (z.B. Stimmbindungsregeln oder -vollmachten) nur dann zu berücksichtigen, wenn sie sich ausschließlich aus Regelungen der Satzung ergeben. Andernfalls seien sie im Interesse der Rechtsklarheit ohne Bedeutung.19 2. Organisatorische Eingliederung Schon vor dem EuGH-Urteil in den Rechtssachen Larentia + Minerva und Marenave hatte der V. Senat des BFH die Anforderungen an die organisatorische Eingliederung sukzessive verschärft und verlangt, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Organgesellschaft tatsächlich auch in der laufenden Geschäftsführung wahrnimmt20. Das wurde von der Verwaltung bislang aber großzügig so verstanden, dass dafür die Sicherstellung ausreichend sei, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung bei der Organgesellschaft nicht stattfindet21. Eine positive unmittelbare Eingriffsmöglichkeit in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung wurde nicht verlangt. 17 BFH-Urt. v. 2.12.2015, V R 15/14, UR 2016, 192, Rz. 24. 18 BFH-Urt. v. 2.12.2015, V R 15/14, UR 2016, 192, Rz. 24. 19 BFH-Urt. v. 2.12.2015, V R 15/14, UR 2016, 192, Rz. 25, und V R 25/13, UR 2016, 185, Rz. 29. 20 U.a. BFH-Urt. v. 3.4.2008, V R 76/05, BStBl. II 2008, 905, unter II.4. 21 Abschn. 2.8 Abs. 7 Satz 2 UStAE.

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Diese Auffassung dürfte nicht mehr zu halten sein. Denn mit dem Erfordernis einer Eingliederung mit Durchgriffsrechten bekräftigt der BFH nun seine diesbezüglich strengere Rechtsprechung. Es ist danach auf eine „institutionell abgesicherte unmittelbare Eingriffsmöglichkeit in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung“ abzustellen, was im Regelfall eine personelle Verflechtung über die Geschäftsführung der juristischen Person als Organgesellschaft erfordert. Nicht ausreichend seien Weisungsrechte, Berichtspflichten oder ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten der Gesellschafterversammlung oder zugunsten des Mehrheitsgesellschafters.22 3. Schwestergesellschaften Vor dem Hintergrund der Beibehaltung des Erfordernisses der Eingliederung hat der BFH auch folgerichtig klargestellt, dass eine Organschaft zwischen Schwestergesellschaften weiterhin nicht möglich ist. Er hält weiterhin daran fest, dass die Organschaft eine eigene Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an der Tochtergesellschaft voraussetzt und dass zudem im Regelfall eine personelle Verflechtung über die Geschäftsführung der Personengesellschaft gegeben sein muss.23 4. Organschaft mit Nichtunternehmern Der BFH lehnt zur Vermeidung von Steuermissbrauch weiterhin auch eine Organschaft mit Nichtunternehmern ab. Denn die Bildung einer Organschaft auch ohne eigene Unternehmerstellung würde eine Umgehung des Vorsteuerabzugsverbots ermöglichen. Die Organschaft diene aber nur der Verwaltungsvereinfachung, sie solle dagegen keine Steuervergünstigungen zulassen. Die Unternehmerstellung sei sowohl bei dem Organträger als auch bei der Organgesellschaft erforderlich. Denn wie bei den Leistungen zwischen unterschiedlichen Betriebsabteilungen eines Einheitsunternehmens sind Innenleistungen zwischen den organschaftlich zusammengefassten Unternehmen nicht steuerbar. Bei Einbeziehung von Nichtunternehmern in den Organkreis bestehe die Gefahr, dass Innenleistungen für nichtunternehmerische Zwecke nichtsteuerbar er-

22 BFH-Urt. v. 2.12.2015, V R 15/14, UR 2016, 192, Rz. 43. 23 BFH-Urt. v. 2.12.2015, V R 12/14, UR 2016, 207, Rz. 22 ff., und v. 3.12.2015, V R 36/13, UR 2016, 204, Rz. 27.

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bracht werden und nach § 15 UStG nicht abziehbaren Vorsteuer entstehen könne.24 5. Personengesellschaften als Organgesellschaften Stellen die vorstehend unter 1.–4. zusammengefassten Aussagen des V. Senats letztlich eine weitgehende Bestätigung seiner bisherigen Rechtsprechung dar, hat sich im Bereich der Eingliederungsfähigkeit von Personengesellschaften eine grundlegende Rechtsprechungsänderung ergeben, wobei allerdings Unterschiede zwischen V. und XI. Senat auszumachen sind. Denn der V. Senat hält zwar die Einschränkung der Organschaft auf abhängige juristische Personen dem Grunde nach für sachlich gerechtfertigt. Nur so könne einfach und rechtssicher über die Beherrschungsvoraussetzungen der Organschaft entschieden werden. Bei der juristischen Person sei dies durch das dort geltende Mehrheitsprinzip und die rechtliche Ausgestaltung von Gesellschaftsgründung und Anteilsübertragung gewährleistet. Demgegenüber gelte bei Personengesellschaften grundsätzlich das Einstimmigkeitsprinzip. Zudem unterlägen der Abschluss und die Änderung von Gesellschaftsverträgen bei Personengesellschaften keinerlei Formzwang, was zumindest zu Nachweisschwierigkeiten führe.25 Nach der Rechtsprechung des V. Senats des BFH rechtfertigen diese Unterschiede aber den Ausschluss von Tochterpersonengesellschaften nicht ausnahmslos. Trotz des Gesetzeswortlauts könne die Personengesellschaft ausnahmsweise auf der Grundlage einer teleologischen Erweiterung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG „wie eine juristische Person“ als eingegliedert angesehen werden. Dies setze voraus, dass „Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind“, so dass die erforderliche Durchgriffsmöglichkeit selbst bei Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips gewährleistet ist26. Eine weitergehende Organschaft, die allgemein eine Eingliederung von Personengesellschaften ermöglichen würde, lehnt der V. Senat des BFH ab.

24 BFH-Urt. v. 2.12.2016, V R 67/14, UR 2016, 199, Rz. 31 ff. 25 BFH-Urt. v. 2.12.2015, V R 25/13, UR 2016, 185, Rz. 31 ff. 26 BFH-Urt. v. 2.12.2015, V R 25/13, UR 2016, 185, Rz. 36.

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Der XI. Senat hält dagegen offenbar eine weitergehende Ausdehnung der Organschaft auf Tochterpersonengesellschaften für geboten. Er kommt zu dem Ergebnis, dass „der in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG normierte generelle Ausschluss von Einheiten, die keine juristischen Personen sind, keine erforderliche und geeignete Maßnahme zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung ist“27. Daher umfasse der Begriff „juristische Person“ nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG auch Personengesellschaften, jedenfalls kapitalistisch strukturierte Personengesellschaften wie eine GmbH & Co KG, die nach HGB weitgehend denselben Regeln der Rechnungspublizität und Prüfungspflicht wie eine Kapitalgesellschaft unterliege und wie eine juristische Person unselbständig dem Willen eines anderen Rechtsträgers (nämlich des Organträgers) unterworfen sein könne, da bei ihr lediglich eine GmbH und damit eine juristische Person als Komplementärin gem. § 164 HGB die Geschäfte führt28. In den von ihm zu entscheidenden beiden Fällen, in denen die Tochterpersonengesellschaften jeweils die Rechtsform einer GmbH & Co. KG hatten, kommt der XI. Senat damit zur Eingliederungsfähigkeit. Ob er auch die vom V. Senat für die Eingliederung von Personengesellschaften aufgestellte Bedingung einer finanziellen Eingliederung „wie bei einer juristischen Person“ für erforderlich hält, lässt der XI. Senat dagegen ausdrücklich offen29. Da auch der V. Senat die Eingliederungsfähigkeit von Tochterpersonengesellschaften für möglich halte, wichen seine Entscheidungen von der Rechtsprechung des V. Senats allerdings nur in der Begründung ab, nicht aber im Ergebnis, weshalb eine Vorlage an den großen Senat nicht erforderlich sei30. Die Fälle werden vom XI. Senat stattdessen an das jeweilige Finanzgericht zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.

IV. Rechtliche und praktische Folgen 1. Maßgebender Spruchkörper Dem Urteil des EuGH in den Rechtssachen Larentia + Minerva und Marenave zur Folge kommt eine unmittelbare Berufung auf Art. 11 27 28 29 30

BFH-Urt. v. 19.1.2016, XI R 38/12, UR 2016, 312, Rz. 67. BFH-Urt. v. 19.1.2016, XI R 38/12, UR 2016, 312, Rz. 90. BFH-Urt. v. 19.1.2016, XI R 38/12, UR 2016, 312, Rz. 104. BFH-Urt. v. 19.1.2016, XI R 38/12, UR 2016, 312, Rz. 96.

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MwStSystRL zugunsten des Steuerpflichtigen nicht in Betracht. Für die Anwendung der umsatzsteuerlichen Organschaft bleiben damit § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und dessen Auslegung durch den BFH von ausschlaggebender Bedeutung. Doch welcher Spruchkörper des BFH gibt dafür den Ausschlag? Die BFH-Rechtsprechung des V. Senats zur Organschaft lässt sich wie folgt zusammenfassen: Solange es kein Antrags- oder Feststellungsverfahren zur Organschaft gibt, kann es in weiten Teilen bei den hergebrachten Grundsätzen bleiben. Insbesondere die Eingliederungsvoraussetzungen und die Beschränkung des Organkreises auf Unternehmer sind unionsrechtlich zulässig. Die Beschränkung auf juristische Personen ist aus Gründen der Rechtssicherheit ebenfalls grundsätzlich erforderlich. Personengesellschaften müssen allerdings nunmehr unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen in den Organkreis einbezogen werden, wenn sie wie juristische Personen in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind. Die geltenden deutschen Bedingungen für eine umsatzsteuerliche Organschaft sind damit weiterhin enger als in Art. 11 MwStSystRL. Der XI. Senat hat zwar die Eingliederungsfähigkeit einer kapitalistisch strukturierten GmbH & Co. KG bejaht und das weitere Erfordernis einer Eingliederung mit Durchgriffsrechten offengelassen. Obwohl sich daraus – zumal unter Berücksichtigung der dem EuGH vorgelegten Fragen – eine vom V. Senat deutlich divergierende Rechtauffassung herleiten lässt, hat der XI. Senat aber darauf verzichtet, den großen Senat anzurufen, und zwar mit der Begründung, dass jedenfalls in den von ihm zu entscheidenden Fällen im Ergebnis eine Übereinstimmung mit dem V. Senat bestehe. Das überzeugt zwar nicht. Denn würden sich die Finanzgerichte im weiteren Verfahrensgang dem V. Senat anschließen, wäre in den zurückverwiesenen Fällen des XI. Senats, in denen die Kläger nicht sämtliche, sondern nur rund 98 % der Anteile innehatten, eine Organschaft m.E. abzulehnen. Im Ergebnis steht aber fest, dass der XI. Senat in den vorliegenden Entscheidungen der vorhergehenden Rechtsprechung des V. Senats nicht widerspricht. Letztere muss daher die für die künftige Behandlung maßgebende sein31.

31 Vgl. dazu nun BMF-Schr. v. 26.5.2017, III C 2-S 7105/15/10002, 2017/0439168, BStBl. I 2017, 790.

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2. Auswirkungen der Rechtsprechung auf die Organschaft Folgt man damit der Rechtsprechung des V. Senats zur Organschaft, macht diese nur vergleichsweise geringfügige Anpassungen der nationalen Rechtsauffassung erforderlich: a) in Bezug auf die Eingliederungsvoraussetzungen Hinsichtlich der Merkmale der finanziellen und organisatorischen Eingliederung ist eine Modifikation dahingehend erforderlich, dass diese durch die Existenz von Durchgriffsrechten gekennzeichnet sein muss und nicht durch ein Über-/Unterordnungsverhältnis. Dies kann in Einzelfällen zu einer geänderten Beurteilung führen. So war wegen des geforderten Über-/Unterordnungsverhältnisses der BFH der bislang Auffassung, dass bei einer GmbH & Co. KG die KomplementärGmbH nicht in die KG organisatorisch eingegliedert sein könne, da sie nicht die Geschäfte der KG führen und ihr zugleich untergeordnet sein könne32. Nach der vom V. BFH-Senat nun formulierten Bedingung einer Eingliederung mit Durchgriffsrechten dürfte er nun bei einer GmbH & Co. KG, die mehrheitlich an der Komplementär-GmbH beteiligt ist, eine organschaftliche Eingliederung der GmbH in die KG anerkennen, weil die KG aufgrund ihrer Gesellschafterstellung sicherstellen kann, dass ihr Wille auch in der GmbH durchgesetzt wird33. Für die sog. EinheitsGmbH & Co. KG, bei der die KG Alleingesellschafterin der Komplementär-GmbH ist und das Vermögen der GmbH ausschließlich in der Beteiligung an der KG besteht, hatte dies die Verwaltung schon bislang so gesehen34. b) in Bezug auf die Eingliederungsfähigkeit von Personengesellschaften Ein umfassender Einbezug von Personengesellschaften in die Organschaft ist weiterhin ausgeschlossen. Unter bestimmten Bedingungen werden Personengesellschaften jedoch Teil eines Organkreises. Zur Frage, wie diese Bedingungen konkret aussehen, sind die Aussagen der beiden Spruchkörper im BFH indes nicht deckungsgleich.

32 BFH-Urt. v. 19.5.2005, V R 31/03, BStBl. II 2005, 671, unter 2.b) aa). 33 Vgl. Wäger, UR 2016, 177. 34 Abschn. 2.8 Abs. 2 Satz 5 UStAE.

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Der V. Senat bezieht offenbar alle Arten von Personengesellschaften in die Organschaft ein, wenn sie die von ihm konkretisierten strengen Eingliederungsvoraussetzungen erfüllen (neben dem Organträger sind nur in ihn eingegliederte Personen an der Tochterpersonengesellschaft beteiligt). Danach wären auch andere Typen von Personengesellschaften, etwa die OHG, eingliederungsfähig. Der XI. Senat hat sich bislang nur hinsichtlich der Eingliederungsfähigkeit einer kapitalistisch strukturierten GmbH & Co. KG festgelegt, das weitere Erfordernis einer Eingliederung mit Durchgriffsrechten dagegen offengelassen. Bildet man die Schnittmenge beider BFH-Senate, dann ist jedenfalls eine GmbH & Co. KG Organgesellschaft, wenn sie in ein anderes Unternehmen finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in der Weise eingegliedert ist, dass der Organträger mit Durchgriffsrechten ausgestattet ist, also er und ggf. finanziell in ihn eingegliederte Personen zusammen sämtliche Anteile an der GmbH & Co. KG halten. Die Finanzverwaltung hatte sich diese Schnittmengenbetrachtung vorläufig zu Eigen gemacht35. 3. Zeitliche Anwendung und Berufungsfragen Die Bildung einer Organschaft ist nach wie vor nicht optional. Liegen die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG vor, sind die Rechtsfolgen der Organschaft zwingend. Dies gilt unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung auch für die Anwendung der umsatzsteuerlichen Organschaft auf Personengesellschaften, und zwar ohne dass es einer Gesetzesänderung bedarf, da der geltende Gesetzeswortlaut nach der Rechtsprechung erweiternd auslegt wird und damit einer Einbindung einer Personengesellschaft als Organgesellschaft nicht entgegen steht. Liegen also die Voraussetzungen für eine Eingliederung einer GmbH & Co KG nach der neuen Rechtsprechung vor, ist sie automatisch Teil der Organschaft, auch wenn diese Rechtsfolge unerwünscht sein sollte. Dies gilt auch rückwirkend für alle noch nicht bestandskräftigen Veranlagungszeiträume. Damit stellen sich Fragen der Rückabwicklung noch änderbarer Veranlagungszeiträume. Die Behandlung eines Leistungsaustauschs zwischen den nunmehr organschaftlich verbundenen Unternehmen, der bislang als Außenumsatz 35 Vgl. OFD Frankfurt/M., Vfg. v. 11.7.2016, S 7105 A – 22 – St 110, UR 2016, 775–776. Nach BMF-Schr. v. 26.5.2017, III C 2-S 7105/15/10002, 2017/0439168, BStBl. I 2017, 790, erfolgt zwischenzeitlich allerdings keine Einschränkung auf bestimmte Gesellschaftsformen mehr.

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mit Umsatzsteuerausweis abgerechnet worden ist, stellt sich nunmehr rückwirkend als falsch heraus. Der Umsatzsteuerausweis für die nun als Innenumsätze anzusehenden Leistungen ist nach Verwaltungsauffassung36 allerdings unschädlich und führt nicht zu einer Strafsteuer nach § 14c Abs. 2 UStG. Die Organgesellschaft könnte daher trotz Steuerausweises die Umsatzsteuer unter Berufung auf die Rechtsprechung zurückfordern. Der Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers könnte dennoch wegen § 176 Abs. 2 AO bestehen bleiben. Für Außenumsätze einer nach neuer Rechtsprechung als Organgesellschaft anzusehenden Personengesellschaft wäre dagegen nunmehr der (jetzige) Organträger als Unternehmer steuerpflichtig und nicht mehr die Organgesellschaft. Letztere könnte sich zu ihren Gunsten auf die Rechtsprechung berufen und Änderung ihrer Steuerbescheide verlangen. Der Organträger dagegen könnte gegen einen zu seinen Lasten geänderten Steuerbescheid Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO geltend machen unter Berufung auf die bisherige Verwaltungsauffassung.37 Sofern die Beteiligten die von der Rechtsprechung aufgestellten Organschaftsvoraussetzungen auch heute noch erfüllen, ist eine solche asymmetrische Berufung beider Beteiligten (auf einerseits die Verwaltungsauffassung und andererseits die Rechtsprechung) jedenfalls abzulehnen38. Denn dann verhielten sich die am Organkreis Beteiligten gegensätzlich, was einer die Organschaft begründenden einheitlichen Willensausübung aller beteiligten Gesellschaften widerspricht. Ist die Organschaft zwischenzeitlich beendet, weil z.B. der Organträger Anteile an der Organgesellschaft zwischenzeitlich veräußert hat, über einen der Beteiligten ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist oder die Eingliederungsvoraussetzungen aus anderen Gründen weggefallen sind, kann einer asymmetrischen Berufung der Organgesellschaft zwar nicht die aktuelle Durchgriffsmöglichkeit des Organträgers entgegengehalten werden. Allerdings dürfte eine asymmetrische Berufung auch in diesen Fällen zumindest als treuwidrig anzusehen sein, da jedenfalls für den betroffenen Veranlagungszeitraum von demjenigen, der sich auf die Rechtsprechung beruft,

36 Abschn. 14c.2 Abs. 2a UStAE. 37 Abschn. 1.8 Abs. 2 Satz 1 UStAE. 38 Vgl. OFD Frankfurt/M., Vfg. v. 11.7.2016, S 7105 A – 22 – St 110, UR 2016, 775–776.

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die Durchgriffsmöglichkeit und damit einheitliche Willensbildung ja gerade vorgetragen wird.39 4. Organschaft-Feststellungsverfahren Die Verwaltung hatte zwar schon vor Jahren ein sog. Organschaft-Meldeverfahren konzipiert, nach dem die Unternehmer verpflichtet sein sollten, die für die Feststellung der Eingliederung maßgeblichen Voraussetzungen gesondert zu erklären mit Bindungswirkung für alle beteiligten Gesellschaften. Dieser Vorschlag hat sich bislang aber wegen der damit verbundenen zusätzlichen Erklärungspflichten nicht durchgesetzt. In jüngerer Zeit wird vermehrt ein Feststellungsverfahren gefordert, um Risiken einer fehlerhaften Beurteilung der Organschaftsvoraussetzungen zu minimieren. Ein solches Verfahren könnte nach der Rechtsprechung des V. Senats nun nur noch unter gleichzeitiger Aufgabe der bisherigen Eingliederungsvoraussetzungen eingeführt werden. Denn deren Unionsrechtskonformität wird allein damit gerechtfertigt, dass sie in Ermangelung eines Feststellungsverfahrens der materiellrechtlichen Herstellung von Rechtssicherheit dienen40. Würde man ein Organschaft-Feststellungsverfahren einführen, würde diese Rechtfertigung entfallen. Deutschland wäre damit – sofern das Rechtsinstitut der umsatzsteuerlichen Organschaft aufrechterhalten werden soll – zur Einführung einer MwSt-Gruppenregelung unter den weicheren Voraussetzungen des Art. 11 MwStSystRL gezwungen. Unklar ist, wie die Bedingungen für die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe künftig auszusehen hätten. Eine solche Gruppenbesteuerung nur eng verbundener, aber nicht auch eingegliederter Unternehmer mit der Gruppe als eigenständigem Steuerpflichtigem würde die Anwendung des Rechtsinstituts der Organschaft jedenfalls ausweiten. Angesichts der daraus voraussichtlich folgenden negativen Steueraufkommenswirkungen und der ohnehin systematisch zweifelhaften Funktion der Organschaft im Allphasen-Mehrwertsteuersystem mit Vorsteuerabzug ist die Einführung einer solchen Gruppenbesteuerung in Deutschland nicht sehr wahrscheinlich. Mit der aktuellen, die hergebrachten Grundsätze zur umsatzsteuerlichen Organschaft weitgehend

39 Vgl. dazu zwischenzeitlich BMF-Schr. v. 26.5.2017, III C 2-S 7105/15/10002, 2017/0439168, BStBl. I 2017, 790. 40 BFH-Urt. v. 2.12.2015, V R 15/14, UR 2016, 192, Rz. 24.

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bestätigenden Rechtsprechung hat der BFH also die Einführung eines Organschaft-Feststellungsverfahrens eher erschwert als erleichtert.

B. Besteuerung der Einrichtungen öffentlichen Rechts I. Ausgangslage Nach Art. 9 MwStSystRL gilt als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt. Als „wirtschaftliche Tätigkeit“ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden, insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen. Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nach Art. 13 MwStSystRL allerdings nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, es sei denn eine Behandlung als Nichtsteuerpflichtige würde zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Nach Unionsrecht sollen jPöR also grundsätzlich besteuert werden. Eine Ausnahme kommt gem. Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL nur dann in Betracht, soweit sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig werden, und auch dann nur, wenn die Nichtbesteuerung nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt. Damit liegt der MwStSystRL ein im Vergleich zum bisherigen deutschen Umsatzsteuerrecht entgegengesetztes Regel-Ausnahme-Prinzip zugrunde. Denn nach § 2 Abs. 3 UStG sind die juristischen Personen öffentlichen Rechts (jPöR) nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (BgA) im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4 KStG gewerblich oder beruflich tätig, also nur insoweit steuerpflichtig, als die Tätigkeiten im Rahmen eines Betriebs ausgeführt werden, der auch nach Körperschaftsteuerrecht steuerbar wäre. Dies ist aber nur der Fall, wenn es sich um eine Einrichtung von einigem wirtschaftlichen Gewicht handelt, die keinen Hoheitsbetrieb, keine Vermögensverwaltung und keine Amtshilfe/Beistandsleistung darstellt41. Der BFH hat in einer Reihe von Entscheidungen der vergangenen Jahre die bisherige deutsche Verwaltungspraxis als (zumindest teilweise) unionsrechtswidrig eingestuft42. Nach langer Diskussion hat sich der Ge41 Vgl. dazu auch Abschn. 2.11 Abs. 4 UStAE. 42 U.a. BFH-Urt. v. 20.8.2009, V R 70/05, UR 2009, 884; BFH-Urt. v. 20.8.2009, V R 30/06, BStBl. II 2010, 863; BFH-Urt. v. 15.4.2010, V R 10/09, UR 2010, 646;

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setzgeber nun zu einer gesetzlichen Angleichung der Gesetzeslage an die Rechtsprechung des BFH durchgerungen.

II. Neuregelung Durch das Steueränderungsgesetz 2015 wurde § 2 Abs. 3 UStG aufgehoben und durch § 2b UStG ersetzt. Die Neuregelung weist folgende Kernelemente auf: –

die Systematik der MwStSystRL und der Rechtsprechung werden grds. übernommen,



die Umsatzbesteuerung erfolgt nunmehr tätigkeits- und nicht einrichtungsbezogen,



es findet eine Abkopplung vom Körperschaftsteuerrecht statt (also kein Abstellen mehr auf den BgA, die Umsatzgrenze von 30 678 Euro bzw. 35 000 Euro, die Vermögensverwaltung oder den Begriff der Beistandsleistung),



maßgebend ist jetzt in erster Linie die Handlungsform und



in zweiter Linie das Vorliegen größerer Wettbewerbsverzerrungen.



Aber: der Begriff der größeren Wettbewerbsverzerrung wird konkretisiert,



bei der Zusammenarbeit von jPöR insbesondere durch Anleihen im Vergaberecht.

1. Gewählte Handlungsform § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG ist weitgehend wortlautidentisch mit Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL. Er gilt nur für Betätigungen jPöR „im Rahmen öffentlicher Gewalt“. Entgeltliche Leistungen auf privatrechtlicher Grundlage stehen nach den Wertungen des Gesetzes per se im Wettbewerb zu privaten Dritten und fallen folglich bereits tatbestandlich nicht unter § 2b UStG, da der Unternehmer sich der gleichen rechtlichen Methoden bedient, wie ein privater Wirtschaftsteilenehmer. Solche Leistungen sind allein nach § 2 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG zu beurteilen und damit in der Regel steuBFH-Urt. v. 17.3.2010, XI R 17/08, UR 2010, 943; BFH-Urt. v. 2.3.2011, XI R 65/07, UR 2011, 657; BFH-Urt. v. 3.3.2011, V R 23/10, BStBl. II 2012, 74; BFH-Urt. v. 10.11.2011, V R 41/10, UR 2012, 272; BFH-Urt. v. 1.12.2011, V R 1/11, UR 2012, 363; BFH-Urt. v. 13.2.2014, V R 5/13, UR 2014, 566.

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erbar. Nur Leistungen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage werden tatbestandlich von der Norm erfasst. Darunter versteht der Gesetzgeber insbesondere ein Handeln, bei dem „die jPöR im Rahmen einer öffentlichrechtlichen Sonderregelung tätig wird (z.B. aufgrund eines Gesetzes durch Verwaltungsakt, auf der Grundlage eines Staatsvertrags oder auf Grundlage besonderer kirchenrechtlicher Regelungen“43. Hauptanwendungsfall im Bereich vertraglich begründeter Leistungen dürfte allerdings der öffentlich-rechtliche Vertrag sein. Solche Aktivitäten sind grundsätzlich nicht steuerbar (§ 2b Abs. 1 Satz 1 UStG), es sei denn sie führen zu größeren Wettbewerbsverzerrungen (§ 2b Abs. 1 Satz 2 UStG). Von § 2b UStG erfasst werden damit beispielsweise die entgeltliche Gestattung der Nutzung einer Sporthalle auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, der Betrieb eines Parkhauses mit öffentlicher Widmung, ebenso die hoheitliche Zuteilung eines Standplatzes gegen Gebühr44. Die Unterscheidung zwischen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Handlungsform stellt damit die erste Weichenstellung dar, um die Steuerbarkeit zutreffend bestimmen zu können. Grundsätzlich ist die Handlungsform, sofern gesetzlich nichts Anderes geregelt ist, für jPöR frei wählbar. Die jPöR hat damit die Möglichkeit, durch gezielte Wahl der Handlungsform die Steuerbarkeit ihrer entgeltlichen Aktivitäten zu steuern. 2. Wettbewerb Tätigkeiten in öffentlich-rechtlicher Handlungsform sind nach § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG unternehmerisch, wenn es andernfalls zu größeren Wettbewerbsverzerrungen kommt. Wettbewerbsverzerrungen setzen voraus, dass bei der fraglichen Tätigkeit überhaupt Wettbewerb existiert. Die zweite maßgebliche Weichenstellung bei der Beurteilung der Steuerbarkeit von entgeltlichen Leistungen jPöR ist damit, sofern diese öffentlich-rechtlich handelt, die Feststellung des Vorliegens von Wettbewerb. Der Wettbewerb muss dabei nicht tatsächlich bestehen. Schädlich ist bereits der potentielle Wettbewerb, sofern er real und nicht rein hypothetisch ist. Die Tätigkeit der jPöR muss also lediglich marktrelevant sein, nicht aber tatsächlich in einem konkreten Konkurrenzverhältnis stehen. Eine rein theoretische, durch keine Tatsache, kein objektives In43 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) v. 23.9.2015, BT-Drs. 18/6094, 91. 44 Vgl. Filtzinger in Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, § 2b, Rn. 27 m.w.N.

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diz und keine Marktanalyse untermauerte Möglichkeit für einen privaten Wirtschaftsteilnehmer, in den relevanten Markt einzutreten, reicht dafür allerdings nicht45. Nachfrageseitig ist ein potentieller Wettbewerb regelmäßig zu bejahen, wenn die Leistung aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers dieselben Bedürfnisse befriedigt, z.B. die Überlassung selbständiger Parkplatzflächen durch eine Kommune im Vergleich zur Überlassung von Stellplätzen in einer privat betriebenen Tiefgarage. Die von der jPöR auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erbrachten Leistungen müssen, um Wettbewerb annehmen zu können, andererseits ihrer Art nach auch von Privaten angeboten werden können und dürfen. Das ist nicht der Fall bei originär hoheitlichen Leistungen wie z.B. einer verbindlichen Auskunft nach der Abgabenordnung. Die Wettbewerbsbeurteilung erfolgt dabei grundsätzlich unabhängig von einem lokalen Markt. Allerdings kann es aufgrund besonderer räumlich beschränkter rechtlicher Rahmenbedingungen zu einer Beschränkung der Wettbewerbsbeurteilung auf einen räumlich relevanten Markt kommen46, insbesondere dann, wenn in einem räumlich abgegrenzten Gebiet für eine bestimmte Art der Leistung eine Marktzugangsbeschränkung durch Annahme- und Benutzungszwang besteht, z.B. bei der Abfall- oder Abwasserbeseitigung. 3. Größere Wettbewerbsverzerrung Das Vorliegen größerer Wettbewerbsverzerrungen stellt die dritte Weichenstellung im Rahmen des § 2b UStG dar. Von einer Wettbewerbsverzerrung kann generell ausgegangen werden, wenn der Wettbewerb aufgrund der unterschiedlichen Besteuerung zulasten eines Marktteilnehmers verfälscht wird47. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Verfälschung des Wettbewerbs zulasten des privaten Konkurrenten oder – wegen des fehlenden Vorsteuerabzugs – der jPöR selbst stattfindet. Die Wettbewerbsverzerrungen zu eigenen Lasten der jPöR können von betroffenen Dritten ebenso geltend gemacht werden, wie durch die jPöR selbst48. 45 EuGH-Urt. v. 16.9.2008, C-288/07, Isle of Wight Council, UR 2008, 816, Rz. 64. 46 EuGH-Urt. v. 13.12.2007, C-408/06, Götz, UR 2008, 296; BFH-Urt. v. 3.7.2008, V R 40/04, BStBl. II 2009, 208. 47 Vgl. Filtzinger in Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, § 2b, Rn. 37 m.w.N. 48 EuGH-Urt. v. 4.6.2009, C-102/08, SALIX Grundstücks-Vermietungsgesellschaft, UR 2009, 484.

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Größer sind Wettbewerbsverzerrungen bereits dann, wenn sie mehr als nur unbedeutend sind. Sie müssen nicht erheblich oder außergewöhnlich sein49. Diese sehr niedrige Schwelle dürfte damit zu erklären sein, dass die Privilegierung der öffentlichen Hand gegenüber privaten Steuerrechtssubjekten nur geringstmögliche Beeinträchtigung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität auslösen soll. Die vorgenannten Kriterien für das Vorliegen bzw. für die Verneinung von größeren Wettbewerbsverzerrungen sind sehr abstrakt. Der Gesetzgeber hat daher in den Absätzen 2 und 3 den Begriff größerer Wettbewerbsverzerrungen konkretisiert und typisiert. 4. Allgemeine Wettbewerbsausnahmen § 2b Abs. 2 UStG regelt, dass insbesondere dann keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vorliegen, wenn –

die jPöR aus gleichartigen Tätigkeiten im Kalenderjahr weniger als 17 500 Euro Umsatz voraussichtlich erzielt (Nr. 1) oder



vergleichbare, auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistungen ohne Recht auf Verzicht gem. § 9 UStG einer Steuerbefreiung unterliegen (Nr. 2).

Die quantitative Wettbewerbsgrenze nach Nr. 1 i.H.v. 17 500 Euro ist dem § 19 UStG nur der Höhe nach entlehnt. Während die Kleinunternehmergrenze von 17 500 Euro nämlich ein unternehmensbezogener Wert ist, bei dessen Nichtüberschreiten eine Besteuerung des Unternehmers auf Antrag entfallen kann, bezieht sich die Wettbewerbsgrenze des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG auf gleichartige Tätigkeiten der jPöR. Übersteigen diese im Kalenderjahr voraussichtlich nicht 17 500 Euro, geht das Gesetz unwiderlegbar davon aus, dass dann für die jeweiligen Tätigkeiten keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vorliegen50. Die Regelung ist also nicht optional. Die jPöR muss eine (sachgerechte) Umsatzprognose vornehmen. Die Bedeutung der Regelung dürfte insgesamt allerdings gering sein. Denn die Wettbewerbsgrenze spielt nur im Rahmen der Beurteilung des Tatbestandsmerkmals „größere Wettbewerbsverzerrung“ eine Rolle, also nur bei Tätigkeiten auf öffentlich-rechtlicher Grundlage.

49 EuGH-Urt. v. 16.9.2008, C-288/07, Isle of Wight Council, UR 2008, 816, Rz. 79. 50 Zur dogmatischen Herleitung siehe Filtzinger in Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, § 2b, Rn. 41 m.w.N.

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Die Wettbewerbsausnahme für steuerfreie Umsätze nach Nr. 2 lässt sich bereits aus der Systematik der Besteuerung von jPöR als solcher herleiten. Sie soll eine aus der Nichtbesteuerung resultierende Benachteiligung eines Markteilnehmers ausschließen. Eine solche Benachteiligung liegt aber nicht vor, wenn die von der jPöR ausgeführte Leistung auch bei einem privaten Unternehmer nicht steuerpflichtig wäre. Die Regelung ist beschränkt auf nichtoptionsfähige Umsätze, z.B. Kindergartenbeiträge nach § 4 Nr. 25 UStG oder gebührenpflichtige Bildungsleistungen gem. § 4 Nr. 21a UStG. Optionsfähige Umsätze, wie z.B. Grundstücksumsätze nach § 4 Nr. 12 UStG, fallen dagegen nicht unter die Regelung, da bei diesen eine potentielle Wettbewerbsbeurteilung daran scheitert, dass der Steuerbelastungsvergleich von einer konkreten Handlung (der Optionsausübung) einzelner Steuerpflichtiger abhängig ist. 5. Besondere Wettbewerbsausnahmen bei Kooperationen Bisher lehnte man bei sog. Beistandsleistungen das Vorliegen eines BgA ab. Die Leistungen wurden als nicht steuerbar behandelt. Die gesetzliche Neuregelung der Umsatzbesteuerung entgeltlicher Tätigkeiten der öffentlichen Hand ist darauf fokussiert, im Bereich der sog. interkommunalen Zusammenarbeit gegen Kostenerstattung auch künftig eine Umsatzsteuerbelastung weitgehend zu vermeiden. § 2b Abs. 3 UStG enthält dafür Abgrenzungskriterien zur Frage, wann eine Nichtbesteuerung von Leistungen einer jPöR an eine andere zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt. Bezieht sich die Zusammenarbeit von jPöR auf Vorbehaltsaufgaben, die aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nur von einer jPöR erbracht werden dürfen, liegt nach Nr. 1 keine wettbewerbsrelevante und damit keine unternehmerische Tätigkeit vor. Gemeint sind Tätigkeiten, die unmittelbare hoheitliche Rechtsbeziehungen zum Bürger begründen oder betreffen. Die Gesetzesbegründung spricht z.B. von der Bildung gemeinsamer Standes- und Ordnungsamtsbezirke durch zwei Kommunen oder die Zentralisierung der Tätigkeiten der Einwohnermeldeämter. Solche aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen den jPöR vorbehaltenen Tätigkeiten seien schon gegenständlich marktfern. Die der Aufgabenerfüllung durch jPöR vorbehaltenen Tätigkeiten sind nicht zu verwechseln mit den Umsätzen im Rahmen der Einschaltung Dritter bei der Durchführung bestimmter öffentlicher Aufgaben. So ist z.B. die Abfallentsorgung in Deutschland seit jeher zwingend den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern vorbehalten. Gleichwohl dürfen 515

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sich Kommunen bei der Aufgabendurchführung Dritter bedienen. Die Leistungen der Dritten bestehen dann beispielsweise in der tatsächlichen Einsammlung und Abfuhr der Haushaltsabfälle mit Müllfahrzeugen. Sie werden nicht an den Bürger, sondern an die Kommune erbracht. Diese Leistungen sind nicht hoheitlicher Natur und werden, wenn der Dritte eine andere jPöR ist, von § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG daher nicht erfasst. Nr. 2 enthält eine inhaltlich auf die interkommunale Zusammenarbeit durch nicht vorbehaltene Tätigkeiten zugeschnittene Wettbewerbsausnahme, die aber infolge ihres weitergehenden Wortlauts auch auf entgeltliche Kooperationen zwischen anderen jPöR anwendbar ist. Sie gilt allerdings nur für Tätigkeiten im Bereich einer Zusammenarbeit, die durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt wird. Die dazu in der Vorschrift genannten Bedingungen sind dem EU-Vergaberecht, insbesondere Art. 12 Abs. 4 Buchst. b der EU-Vergaberichtlinie, entlehnt. Ob das mit der MwStSystRL vereinbar ist, bleibt abzuwarten, nach dem sich der EuGH jüngst zumindest hinsichtlich des Begriffs der „sonstigen Einrichtung des öffentlichen Rechts“ gegen dessen Übernahme aus dem Vergaberecht in die Mehrwertsteuer ausgesprochen hat51. Nach § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 UStG sind regelmäßig folgende Kriterien für eine Nichtsteuerbarkeit der Zusammenarbeit maßgebend: –

langfristige öffentlich-rechtliche Vereinbarung (Buchst. a): hier dürften keine erhöhten Anforderungen zu stellen sein;



Erhalt der öffentlichen Infrastruktur (Buchst. b): gemeint sind alle Formen öffentlicher Aufgabenerfüllung, also die Verwaltungs- und Dienstleistungsstrukturen ebenso wie die technische oder die Versorgungs- und Verkehrsinfrastruktur im engeren Sinne;



Wahrnehmung einer gemeinsamen öffentlichen Aufgabe (Buchst. b): darunter fällt z.B. die Wahrnehmung des Schulschwimmens durch eine Gemeinde für eine andere, nicht aber z.B. die Reinigung von Gebäuden der Nachbarkommune oder die Erbringung einzeln beauftragter sog. Back-office-Leistungen, weil hier eine jPöR nur eine andere bei deren Aufgabe unterstützt, es aber an der gemeinsamen Aufgabe fehlt;



ausschließlich gegen Kostenerstattung (Buchst. c): es darf insbesondere keinen Gewinnaufschlag geben;

51 EuGH-Urt. v. 29.10.2015, C-174/14 – Saudacor, UR 2015, 901, Rz. 46 ff.

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gleichartige Leistungen werden im Wesentlichen an (andere) jPöR erbracht (Buchst. d).

Liegen die vorgenannten Kriterien kumulativ vor, ist „regelmäßig“ vom Nichtvorliegen größerer Wettbewerbsverzerrungen auszugehen. Damit enthält das Gesetz eine Öffnungsklausel, die erforderlichenfalls eine unionsrechtlich gebotene einschränkende Auffangbetrachtung ermöglicht, ob die anhand der aus dem Vergaberecht entliehenen Kriterien gefundene Lösung mit den unionrechtlichen Wertungen des Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL kollidiert. 6. Katalogtätigkeiten Die bereits bisher nach § 2 Abs. 3 UStG zwingend steuerbaren Leistungen öffentlicher Einrichtungen sollen auch nach der Neuregelung des § 2b UStG der Umsatzbesteuerung unterliegen. § 2b Abs. 4 UStG übernimmt daher in den Nummern 1 bis 4 den bislang bereits in § 2 Abs. 3 Satz 2 UStG enthaltenen Katalog von Sonderformen unternehmerischer Betätigungen bei –

Notaren und Ratschreibern im Landesdienst,



Selbstabgabestellen der gesetzlichen Rentenversicherung für Brillen und Brillenteile,



Vermessungs- und Katasterbehörden und



der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung.

Um die nationale Neuregelung vollständig an das Unionsrecht anzupassen, wird nunmehr aber in § 2b Abs. 4 Nummer 5 auf weitere in Anhang I der MwStSystRL genannte Tätigkeiten verwiesen, sofern deren Umfang nicht unbedeutend ist. Dies nimmt den Regelungsgehalt von Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL unmittelbar in sich auf. Anhang I der MwStSystRL enthält folgende Liste von Tätigkeiten: –

Telekommunikationswesen;



Lieferung von Wasser, Gas, Elektrizität und thermischer Energie;



Güterbeförderung;



Hafen- und Flughafendienstleistungen;



Personenbeförderung;



Lieferung von neuen Gegenständen zum Zwecke ihres Verkaufs;



Umsätze der landwirtschaftlichen Interventionsstellen aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die in Anwendung der Verordnungen über 517

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eine gemeinsame Marktorganisation für diese Erzeugnisse bewirkt werden; –

Veranstaltung von Messen und Ausstellungen mit gewerblichem Charakter;



Lagerhaltung;



Tätigkeiten gewerblicher Werbebüros;



Tätigkeiten der Reisebüros;



Umsätze von betriebseigenen Kantinen, Verkaufsstellen und Genossenschaften und ähnlichen Einrichtungen;



Tätigkeiten der Rundfunk- und Fernsehanstalten, sofern sie nicht nach Art. 132 Absatz 1 Buchst. q steuerbefreit sind.

III. Übergangsphase 1. Anwendungsregelung § 2b UStG ist zum 1.1.2016 in Kraft und zugleich § 2 Abs. 3 UStG außer Kraft getreten. Gleichwohl ist § 2b UStG frühestens ab 1.1.2017 anwendbar. Denn die Anwendung wurde in § 27 Abs. 22 UStG mit einer Übergangsregelung versehen. Diese hat zur Folge, dass § 2 Abs. 3 UStG zwar ab 31.12.2015 formell aufgehoben wird, aber im Kalenderjahr 2016 dennoch weiter anzuwenden ist. Die Anwendung des ab 1.1.2016 in Kraft getretenen neuen § 2b UStG wird zugleich auf das Jahr 2017 verschoben. Im Jahr 2016 können sich jPöR per Optionserklärung entscheiden, die Anwendung des neuen § 2b UStG noch weiter bis zum Jahr 2021 hinauszuschieben. Der Grund für diese ungewöhnliche Übergangsvorschrift ist, dass die Neuregelung der Unternehmereigenschaft von jPöR eine Zäsur bei der Umsatzbesteuerung öffentlicher Leistungen markiert. Den Betroffenen soll daher ein geordneter Wechsel in das neue Besteuerungssystem ermöglicht werden. Sie sollen daher die bisherige Rechtslage noch bis zum 31.12.2020 fortführen können. Damit bestehen für jPöR folgende Möglichkeiten: –

Die jPöR kann bis zum 31.12.2016 einmalig die Weitergeltung des alten Rechts (§ 2 Abs. 3 UStG a.F.) wählen, der dann bis längstens zum 31.12.2020 für sie weiterhin der Besteuerung zugrunde gelegt wird.



Sie kann das neue Recht ab 1.1.2017 wählen: Übt die jPöR im Jahr 2016 keine Option zur Weitergeltung des alten Rechts aus, ist für sie ab 1.1.2017 ohne weiteres Zutun § 2b UStG obligatorisch anzuwen-

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den. Eine Möglichkeit, zum bisherigen § 2 Abs. 3 UStG zurückzukehren sieht die Regelung nicht vor. Die Optionserklärung kann spätestens bis zum 31.12.2016 abgegeben werden. Da es sich um eine gesetzliche Ausschlussfrist handelt, besteht für das Finanzamt keine Möglichkeit, die Frist zu verlängern. Maßgebend für die Fristwahrung ist der Zugang beim Finanzamt. Die Optionserklärung kann sich nur auf die Gesamttätigkeit beziehen. Sie kann auch nicht auf einzelne Veranlagungszeiträume beschränkt werden. Bei der Optionserklärung handelt es sich – wie bei anderen Optionserklärungen auch – um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die dem Finanzamt lediglich zugehen muss. Hinsichtlich der Form der Optionserklärung ergeben sich aus § 27 Abs. 22 UStG keine speziellen Anforderungen. Damit sind auch mündliche Erklärungen möglich. Eine wirksam abgegebene Option kann im Übergangszeitraum jederzeit widerrufen und damit vorzeitig zum neuen Recht übergegangen werden. Dies darf aber nur mit Wirkung „zum Beginn eines auf die Abgabe folgenden Kalenderjahres“ erfolgen, also jeweils zum Jahresbeginn. Nach dem Wortlaut der Regelung ist dies auch rückwirkend möglich, so dass z.B. eine wirksame Option auch 2018 noch mit Wirkung auf den 1.1.2017 widerrufen werden kann. Das BMF hat zu der Übergangsregelung nach § 27 Abs. 22 UStG ein BMFSchreiben mit weiteren Hinweisen herausgegeben52. Ein BMF-Schreiben zu den materiell-rechtlichen Bestimmungen des § 2b UStG stand zur Zeit der Drucklegung noch aus.53 2. Praktische Fragen Hinsichtlich der Option dürfte es sich für jPöR grundsätzlich empfehlen, die Weitergeltung des § 2 Abs. 3 UStG zu wählen. Denn zum einen dürfte die Altregelung in aller Regel insgesamt steuerlich günstiger sein, da danach viele Tätigkeiten in privatrechtlicher Handlungsform, die nach § 2b UStG per se steuerbar wären, von der Verwaltung nicht besteuert werden, z.B. solche unterhalb der BgA-Umsatzschwelle oder alle Vermögensverwaltungsumsätze. Der Umsatzsteueranwendungserlass54 bleibt in Bezug 52 BMF-Schr. v. 19.4.2016, III C 2 – S 7106/07/10012-06, BStBl. I 2016, 481. 53 Vgl. nun aber BMF-Schr. v. 16.12.2016, III C 2-S 7107/16/10001, BStBl. I 2016, 1451. 54 Abschn. 2.11. UStAE.

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auf § 2 Abs. 3 UStG nämlich unverändert. Zum anderen kann die Optionserklärung im Übergangszeitraum jederzeit mit Wirkung vom Beginn eines auf die Optionsabgabe folgenden Kalenderjahres rückgängig gemacht werden. § 2b UStG dürfte daher voraussichtlich erst ab 2021 eine breitere Anwendung in der Praxis finden. Die Übergangszeit sollte zur Umstellung auf die neue Rechtslage genutzt werden, z.B. durch Vertragsinventur und ggf. Anpassung der von der Neuregelung betroffenen Vereinbarungen. Dies jedenfalls entspräche der Intention des Gesetzgebers bei Schaffung des ungewöhnlich langen Übergangszeitraums. Entscheidendes Kriterium für die Anwendung von § 2b UStG wird nämlich sein, ob eine jPöR öffentliche Gewalt ausübt oder privatrechtlich handelt. Hier sollte man, soweit zulässig, eindeutig öffentlich-rechtliche Verträge schließen oder z.B. das Verhältnis der jPöR zum Bürger durch eine Satzung neu definieren. Bei der interkommunalen Zusammenarbeit empfiehlt es sich, Zweckvereinbarungen nach dem jeweiligen Landesgesetz zur kommunalen Zusammenarbeit abzuschließen. Diese sind schon der gesetzlichen Regelung nach öffentlich-rechtliche Verträge.

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Aktuelles zum „Schutz des guten Glaubens“ und Vorsteueraufteilung Dr. Jan de Weerth Steuerberater, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Frankfurt a.M. Inhaltsübersicht 1. Aktuelles zum „Schutz des guten Glaubens“ a) Problemaufriss b) EuGH-Rechtsprechung c) BFH-Rechtsprechung aa) Zur verfahrensrechtlichen Geltendmachung des „guten Glaubens“ bb) Zur materiell-rechtlichen Geltendmachung des „guten Glaubens“ und Beweislastverteilung

cc) Zur möglichen Wende der Rechtsprechung d) Stellungnahme 2. Aktuelles zur Vorsteueraufteilung a) Einleitung b) Aktuelle EuGH-Rechtsprechung und deren Umsetzung

1. Aktuelles zum „Schutz des guten Glaubens“ a) Problemaufriss Das Thema „Umsatzsteuerbetrug“ ist in aller Munde. So führt das BMF in seinem auch im Internet publiziertem Monatsbericht vom 21.7.2014 dazu einleitend aus1: „Die Umsatzsteuer ist systembedingt betrugsanfällig. Betrügereien und Hinterziehungen schädigen die öffentlichen Haushalte und damit die Allgemeinheit, sie führen zu Wettbewerbsverzerrungen und vernichten Arbeitsplätze. Bürger und Unternehmer haben einen Anspruch darauf, dass der Staat diesen Entwicklungen vehement entgegenwirkt. Bund … und Länder … haben in den vergangenen Jahren gemeinsam darauf hingewirkt, den Umsatzsteuerbetrug einzudämmen. Bund und Länder werden ihre Anstrengungen auf diesem Gebiet auch künftig konsequent fortsetzen.“

1 http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Monatsberichte/2014/07/ Inhalte/Kapitel-3-Analysen/3-2-bekaempfung-umsatzsteuerbetrug.html.

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Nach BZSt „entgehen dem deutschen Fiskus jährlich Einnahmen in Milliardenhöhe“2. Aus europäischer Sicht warnt auch die EU-Kommission3. Bei all dem gerät etwas aus dem Blick, ob bzw. wann bei dem nichtsahnenden Vor-Lieferanten eines Betrügers oder seinem Abnehmer der Vorsteuerabzug rückgängig gemacht werden kann. Die Fallgruppen dazu sind vielfältig und reichen vom klassischen „Karussellbetrug“ über einen „Scheinunternehmer“ im EU-Ausland bis hin zu Kreditbetrug, bei welchem der Umsatzsteuerbetrug wohl eher eine gefühlte Nebenfolge ist.4

b) EuGH-Rechtsprechung Ausgangspunkt der EuGH-Rechtsprechung waren die verbundenen Rechtssachen „Optigen, Fulcrum und Bond House“. Der EuGH betont dort, das Recht auf Vorsteuerabzug sei integrierender Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und könne grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Ob die Mehrwertsteuer, die für vorausgegangene oder nachfolgende Verkäufe der betreffenden Gegenstände geschuldet war, tatsächlich an den Fiskus entrichtet wurde, sei für das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug nicht von Bedeutung. Es sei ein Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems die Mehrwertsteuer auf zwar jeden Produktions- oder Vertriebsvorgang zu erheben, aber abzüglich der Mehrwertsteuer, mit der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet seien. Umsätze, die nicht selbst mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet seien, seien Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher ausführe, der eine wirtschaftliche Tätigkeit (im Sinne des MwSt-Rechts) ausübe, würden zum Vorsteuerabzug berechtigen, wenn sie die objektiven Kriterien erfüllten, auf denen diese Begriffe beruhten. Das Recht auf Vorsteuerabzug werde nicht dadurch berührt, dass in der Lieferkette, zu der diese Umsätze gehörten, ohne dass dieser Steuerpflichtige hiervon Kenntnis hatte oder haben konnte, ein anderer Umsatz mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet war.5

2 http://www.bzst.de/DE/Steuern_International/USt_Betrugsbekaempfung/USt_ Betrugsbekaempfung_node.html. 3 Pressemitteilung v. 6.9.2016, IP/16/2936. 4 Hinsichtlich der Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung vgl. jüngst die Bestandsaufnahme von Kemper, DStZ 2016, 664 ff. 5 EuGH v. 12.1.2006 – verb. Rs. C-354/03, Optigen, C-355/03, Fulcrum und C-484/03, Bond House, Rz. 53, 54, 55, UR 2006, 257.

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Weiterführend entschied der EuGH im Verfahren „Italmoda“, dass der Vorsteuerabzug von den Behörden zu versagen sei, wenn anhand objektiver Umstände nachgewiesen sei, dass dieser Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Umsatz an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt habe6. Es sei unerheblich, dass das nationale Recht keine Bestimmungen enthalte, die eine solche Versagung vorsähen.7 Denn diese Versagung sei dem Mehrwertsteuersystem inhärent.8 Die Versagung des Vorsteuerabzugs stelle auch keine „Sanktion“ im strafrechtlichen Sinne i.S.v. Art. 7 der Europäischen Konvention9 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder von Art. 49 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dar.10 Auch sei unerheblich, in welchem EUMitgliedstaat die Hinterziehung begangen wurde.11 Das danach so entscheidende Merkmal der Bösgläubigkeit im Umsatzsteuerrecht und der Feststellungslast dazu erläutert der EuGH insbesondere in der Entscheidung Mahagében und Péter Dávid. Lägen Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung vor, könne ein verständiger Wirtschaftsteilnehmer zwar nach den Umständen des konkreten Falls verpflichtet sein, über seinen Vertragspartner Auskünfte einzuholen, um sich von dessen Zuverlässigkeit zu überzeugen. Allerdings dürfe die Steuerverwaltung nicht generell vom Steuerpflichtigen verlangen, inhaltlich zu prüfen oder entsprechende Nachweise zu erbringen, ob der Aussteller einer Rechnung umsatzsteuerlicher Unternehmer sei, über die fraglichen Gegenstände verfügen und sie liefern könne und seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und Abführung der Mehrwertsteuer nachgekommen sei. Grundsätzlich sei es Sache der Steuerbehörden, die erforderlichen Kontrollen durchzuführen, um Unregelmä6 EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C-164/13 – Italmoda, Leitsatz 2 und Rz. 49, 50, UBG 2015, 247. Dazu Anm. von Heuermann, DStR 2015, 247; Madauß, NZWiSt 2015, 417; Klenk, HFR 2015, 2013. 7 EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C-164/13, Italmoda, Rz. 51 ff., UBG 2015, 247. 8 EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C-164/13, Italmoda, Rz. 59, UBG 2015, 247. 9 Dagegen Sanders, International VAT Monitor 2016, 421 ff. Weiterführend GA Campos Sánchez-Bordana, 12.1.2017 – Rs. C-217/15 und C-350/15, Orsi und Baldetti, Rz. 25 ff. 10 EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C-164/13, Italmoda, Rz. 61, UBG 2015, 247. 11 EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C-164/13, Italmoda, Leitsatz 3 und Rz. 63–69, UBG 2015, 247.

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ßigkeiten und Mehrwertsteuerhinterziehung aufzudecken und gegebenenfalls Sanktionen zu verhängen. Deshalb trage auch die Steuerbehörde die Feststellungslast und müsse eine etwaige Bösgläubigkeit nachweisen.12 Das führt freilich nicht dazu, dass hinsichtlich einer etwaigen Bösgläubigkeit keine Umstände berücksichtigt werden dürfen, welche bei Dritten erkennbar geworden sind.13 Noch deutlicher wird der EuGH dann mit dem Leitsatz 2 in den Entscheidungen LVK und Stroy Trans. Zwar verwehrten weder Art. 167 und 168 Buchst. a der MwStSystRL noch die Grundsätze der steuerlichen Neutralität, der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung dem Empfänger einer Rechnung mangels Vorliegens eines tatsächlich bewirkten steuerpflichtigen Umsatzes das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen, obwohl die vom Aussteller der Rechnung erklärte Mehrwertsteuer in dem an diesen ergangenen Steuerprüfungsbescheid nicht berichtigt wurde. Würde jedoch in Anbetracht von Steuerhinterziehungen oder Unregelmäßigkeiten des Rechnungsausstellers davon ausgegangen, dass dieser Umsatz tatsächlich nicht bewirkt worden sei, wäre bei dem den Vorsteuerabzug begehrenden Rechnungsempfänger anhand objektiver Gesichtspunkte von der Finanzbehörde nachzuweisen, dass der Rechnungsempfänger wusste oder wissen musste, dass der fragliche Umsatz in eine Hinterziehung von Mehrwertsteuer einbezogen war.14 Das wird ergänzt durch die Entscheidung „Itales“. Ohne diesen „Nachweis der Bösgläubigkeit in Bezug auf die Steuerehrlichkeit des Leistenden“ durch das Finanzamt reicht es für die Versagung des Vorsteuerabzugs z.B. nicht aus, dass der Erwerber weder die Herkunft der betreffenden Waren noch den Besitz des Lieferers an ihnen nachgewiesen habe.15 Erneut und besonders klar hebt der EuGH dann in der Entscheidung PPUH Stehcemp hervor: Es ist Sache der Steuerverwaltung, die Steuerhinterziehungen oder Unregelmäßigkeiten seitens des Ausstellers der Rechnung festgestellt hat, aufgrund objektiver Anhaltspunkte und ohne vom Rechnungsempfänger 12 EuGH v. 21.6.2012 – verb. Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Péter Dávid, Rz. 60–66, UR 2012, 591; bestätigend: EuGH v. 22.10.15 – C-277/14, PPUH Stehcemp, Rz. 51, 52, UR 2015, 237, MwStR 2015, 964 m. Anm. Grube. 13 EuGH v. 5.10.2016 – C-576/15, Maya Marinova ET, HFR 2016, 1034. 14 EuGH v. 31.1.2013 – C-643/11, LVK – 56 EOOD, UR 2013, 346, und EuGH v. 31.3.2013 – C-642/11, Stroy Trans, UR 2013, 275. 15 EuGH v. 15.7.2015 – C-123/14, Itales, DB 2015, 2427 (LS).

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ihm nicht obliegende Überprüfungen zu fordern, darzulegen, dass der Rechnungsempfänger wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug geltend gemachte Umsatz in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.16 Die Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug ist vergleichbar mit der Rechtsprechung zur Steuerfreiheit bei innergemeinschaftlichen Lieferungen. Auch dort gewährt der EuGH Vertrauensschutz. Dieser ist nur ausgeschlossen, wenn in Anbetracht objektiver Anhaltspunkte feststeht, dass der die Steuerfreiheit begehrende Lieferant wusste oder hätte wissen müssen, dass seine Lieferung mit einer Steuerhinterziehung der Erwerberin verknüpft war, und er nicht alle zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um diese zu verhindern17.

c) BFH-Rechtsprechung aa) Zur verfahrensrechtlichen Geltendmachung des „guten Glaubens“ Nach neuerer Rechtsprechung vertritt der BFH die Ansicht, dass § 15 UStG den Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen im „normalen“ Steuer-Festsetzungsverfahren nicht vorsehe. Vertrauensschutz aufgrund besonderer Verhältnisse des Einzelfalls könne nach nationalem Recht nicht im Rahmen der Steuerfestsetzung nach §§ 16, 18 UStG, sondern nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gem. §§ 163, 227 AO gewährt werden. Dem stehe das Unionsrecht nicht entgegen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des EuGH seien mangels einer einschlägigen Unionsregelung die Verfahrensmodalitäten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats.18

16 EuGH v. 22.10.15 – C-277/14, PPUH Stehcemp, Rz. 50, UR 2015, 237. 17 EuGH v. 9.10.2014 – C-492/13, Traum, Rz. 42, Ubg 2015, 317. Weiterführend, aber aufgrund des vorgegebenen Sachverhalts nicht eindeutig zuletzt EuGH v. 9.2.2017 – C-21/16, Euro Tyre, Rz. 36, 39, 42. 18 BFH v. 22.7.15 – V R 23/14, Rz. 31, 32, UR 2015, 796; dazu war anhängig Verfassungsbeschwerde 1 BvR 2419/15; nach Juris nicht zur Entscheidung angenommen. Ebenso: BFH v. 9.10.2015 – V B 38/15 (nv); ähnlich BFH v. 8.7.2015 – XI B 5/15, UR 2015, 923.

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bb) Zur materiell-rechtlichen Geltendmachung des „guten Glaubens“ und Beweislastverteilung Hinsichtlich eines Vorsteuerabzugs im Billigkeitsverfahren meint der BFH, dass dieser voraussetze, dass der Unternehmer gutgläubig war und alle Maßnahmen ergriffen habe, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden könnten, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu überzeugen und seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen sei. Nicht das Finanzamt habe das Vorliegen objektiver Umstände nachweisen, die den Schluss zuließen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht werde, sondern der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer. Das Finanzamt treffe die Feststellungslast nur hinsichtlich etwaiger Missbrauchsmerkmale.19 cc) Zur möglichen Wende der Rechtsprechung Die kurze Gegenüberstellung dürfte bereits verdeutlicht haben, dass Zweifel an der Gemeinschaftskonformität der BFH-Rechtsprechung aufkommen sollten. Darauf deutet auch die bereits erwähnte Verfassungsbeschwerde hin20. Das scheint die Umsatzsteuersenate des BFH veranlasst zu haben, zeitgleich den EuGH mit ähnlichen Fragen im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens anzugehen. So fragt der V. Senat den EuGH21 1. Setzt Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL die Angabe einer Anschrift des Steuerpflichtigen voraus, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet? 2. Für den Fall, dass Frage 1. zu verneinen ist: a) Reicht für die Angabe der Anschrift nach Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL eine Briefkastenadresse? b) Welche Anschrift ist von einem Steuerpflichtigen, der ein Unternehmen (z.B. des Internethandels) betreibt, das über kein Geschäftslokal verfügt, in der Rechnung anzugeben? 3. Ist für den Fall, dass die formellen Rechnungsanforderungen des Art. 226 MwStSystRL nicht erfüllt sind, der Vorsteuerabzug bereits 19 BFH v. 18.2.2016 – V R 62/14, UR 2016, 397; dazu weiterführend Heuermann, DStR 2016, 963. 20 Vgl. zuvor in Fn. 18 den Hinweis auf 1 BvR 2419/15. 21 BFH v. 6.4.2016 – V R 25/15, UR 2016, 598 (Az. EuGH C-375/16).

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immer dann zu gewähren, wenn keine Steuerhinterziehung vorliegt oder der Steuerpflichtige die Einbeziehung in einen Betrug weder kannte noch kennen konnte oder setzt der Vertrauensschutzgrundsatz in diesem Fall voraus, dass der Steuerpflichtige alles getan hat, was von ihm zumutbarer Weise verlangt werden kann, um die Richtigkeit der Rechnungsangaben zu überprüfen? während der XI. Senat den EuGH fragt22 1. Enthält eine zur Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL erforderliche Rechnung die „vollständige Anschrift“ i.S. von Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL, wenn der leistende Unternehmer in der von ihm über die Leistung ausgestellten Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er zwar postalisch zu erreichen ist, wo er jedoch keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt? 2. Steht Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL unter Beachtung des Effektivitätsgebots einer nationalen Praxis entgegen, die einen guten Glauben des Leistungsempfängers an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nur außerhalb des Steuerfestsetzungsverfahrens im Rahmen eines gesonderten Billigkeitsverfahrens berücksichtigt? Ist Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL insoweit berufbar? Eine Entscheidung des EuGH dazu steht aus.

d) Stellungnahme Wie die Gegenüberstellung der Urteile zeigt, folgt der EuGH einem umfassenden Vertrauensschutzgedanken als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für den Vorsteuerabzug. Der „Gutgläubige“ im Sinne der EuGH-Rechtsprechung soll immer geschützt werden, gleichgültig ob die Adresse in einer Rechnung fehlerhaft ist, die Lieferung nicht erfolgt ist oder andere Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt sind. Danach wäre dann einzelfallbezogen zu prüfen, ob etwa gutgläubig auf die Unternehmerstellung oder die Adresse des Vertragspartners vertraut werden durfte. Die Feststellungslast dafür liegt beim Finanzamt. Das erscheint auch als gerechtfertigt. Denn Prüfungspflichten können von Rechtsnormen oder Standards für bestimmte Branchen abhängen23 oder von der 22 BFH v. 6.4.2016 – XI R 20/14, UR 2016, 604 (Az. EuGH: C-374/16). 23 Vgl. als Beispiel den Anwendungsbereich nach Art. 2 Abs. 1 der GeldwäscheRL 2015/849/EU, ABl. L 141/73 vom 5.6.2015 und etwa die Identifizierungs-

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Größe des Geschäftsbetriebs und der Art der Vertragspartner abhängen. Auch dürfte eine erkennbare Gefahrgeneigtheit etwa für Karussellbetrügereien zu erhöhten Prüfungsanforderungen führen. Nicht zuletzt dürften auch einzelfallbezogene Elemente eine Rolle spielen. So macht es einen Unterschied, ob etwa seit Jahren schon eine unbeanstandete Geschäftsbeziehung besteht oder ob aus Sicht des leistenden Unternehmers eine einmalige Transaktion mit vergleichsweise hohem Volumen im Raume steht. In diese Richtung deutet auch eine ganz junge Entscheidung des EuGH. Dort hält er fest, dass nach ständiger Rechtsprechung das Grundprinzip der Neutralität der Mehrwertsteuer erfordere, dass der Vorsteuerabzug gewährt werde, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt seien, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt habe. Anders verhalte es sich allerdings, wenn der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert hätten, dass die materiellen Anforderungen erfüllt worden seien.24 Auch das Ergebnis dieser Überlegungen überzeugt. Schon die BFH-Ausführungen selbst deuten an, dass es sachlich nicht gerechtfertigt ist, etwa von einem einzelunternehmerisch tätigen Handwerker den Unterhalt eines eigenen voll ausgestatteten Büros zu verlangen. Deshalb könnte es sein, dass der EuGH im Rahmen der hier dargestellten Vorabentscheidungsersuchen zur Frage der Gutgläubigkeit gar keine Stellung bezieht25. Bei dem sachlich ähnlich gelagerten Fall der Ausfuhrlieferung hat er dementsprechend auch das Fehlen der USt-IdNr. des Abnehmers als bedeutungslos angesehen.26 Überzeugend sind auch die Überlegungen des EuGH zur Feststellungslast, welche dieser beim Finanzamt sieht. Dass seine Überlegungen dazu für das gesamte MwSt-Recht gelten, wurde jüngst erneut deutlich27. Die Überlegungen des BFH führen zur Nachweispflicht des Steuerpflichtigen

24

25 26 27

pflichten nach Art. 11, 13: Identitätsfeststellung bei Begründung einer Geschäftsverbindung. EuGH v. 28.7.2016 – C-332/15, Giuseppe Astone, Rz. 45, 46, UR 2016, 683. Aber sogar noch die jüngste Rechtsprechung des BFH lässt nicht klar erkennen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, vgl. BFH v. 10.8.2016 – V R 45/15, DStR 2016, 2402, und ist damit nicht gemeinschaftsrechtskonform. Lohse, BB 2016, 2333; Spatschek/Stenert, DStR 2016, 2313, 2315 ff. EuGH v. 20.10.2016 – C-24/15, Plöckl, Leitsatz, UR 2016, 882. EuGH v. 17.5.2017 – C-624/15, Litdana (zur Differenzbesteuerung).

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hinsichtlich der Nicht-Bösgläubigkeit. Damit muss der Steuerpflichtige zum einen den denklogisch nicht möglichen Negativbeweis sowie zum anderen einen ebenfalls kaum zu erbringenden Nachweis über eine innere Tatsache erbringen. Das wird noch dadurch erschwert, dass es ex post jedenfalls in Ketten-Geschäften meist richtig erscheint, „irgendwo in der Kette“ den Vorsteuerabzug zu versagen. Damit droht die Versagung des Vorsteuerabzugs aber schon fast zufallsabhängig jedem in einer Betrugskette. Zu Recht ist dem jüngst das FG Köln nicht gefolgt.28 Unzutreffend dürfte jedenfalls der Gedanke des BFH sein, der Vorsteuerabzug richte sich nicht nach § 15 UStG, sondern allein nach nationalem Verfahrensrecht und damit insbesondere nach dem (nationalen) Billigkeitsverfahren29. Denn in jedem Falle sind auch verfahrensrechtlich etwaige Vorgaben des EuGH zu berücksichtigen. Jedenfalls die Überlegungen des BFH widersprechen klar den Vorgaben des EuGH. Auf Grundlage der EuGH-Rechtsprechung müsste wohl gefordert werden, dass der Gutglaubensschutz alle Tatbestandsmerkmale des Vorsteuerabzugs erfassen kann und bloße „Nachlässigkeiten“ diesen nicht ausschließen30, aber von den Mitgliedstaaten zu sanktionieren sind. Diese Sanktion darf dann aber nicht in der Versagung des Vorsteuerabzugs lie-

28 FG Köln v. 20.9.2016 – 8 K 1527/14, Rz. 53 (https://www.justiz.nrw.de/nrwe/ fgs/koeln/j2016/8_K_1527_14_Urteil_20160920.html); die hier angesprochenen Punkte „Vertrauensschutz“ und „Feststellungslast“ dem Sachverhalt nach wohl zu Recht offenlassend FG München Urt. v. 26.7.2016 – 2 K 710/14, EFG 2016, MwStR 2016, 894 (Az. BFH V R 47/16). 29 Zweifelnd zu Recht auch Wäger (BFH-PR 2016, 312, 313) und Lange (BFH-PR 2016, 314, 315). Die Rechtsprechung unter Berufung auf ältere EuGH-Rechtsprechung verteidigend zuletzt Heuermann, StBp 2017, 29, 31 f. Die jüngste Rechtsprechung des EuGH hebt zwar eine Unterscheidung zwischen materiellen und formellen Voraussetzungen hervor (9.2.2017, C-21/16, Euro Tyre, Rz. 36, 38), gibt aber keinen Anhaltspunkt dafür, dass bei fehlenden materiellen Voraussetzungen ohne Berücksichtigung von Vertrauensschutzgesichtspunkten immer der Vorsteuerabzug zu versagen ist. Demgegenüber scheint der BFH weitestgehend an seiner alten Rechtsprechung festhalten zu wollen, siehe jüngst zum Themenkreis BFH, Beschl. v. 7.12.2016 – XI R 31/14 BFH/ NV 2017, 487. 30 Möglicherweise ist bei den Rechnungsangaben als solchen eine Ausnahme zu machen, dazu weiterführend: Langer/Zugmaier, DStR 2016, 2249 ff.; Ismer, MwStR 2016, 795, 796.

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gen. Vielmehr wäre dafür wohl ein „Ordnungsgeld“ unterhalb der Ordnungswidrigkeiten vorzusehen.31

2. Aktuelles zur Vorsteueraufteilung a) Einleitung Erneut hat der EuGH jüngst bestätigt, dass ein Vorsteuerabzug zulässig ist, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang des Eingangsumsatzes mit zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgangs-Umsätzen vorhanden ist. Das Merkmal des unmittelbaren Zusammenhangs darf aber – wie das Urteil „Sveda“ zeigt – nicht überbewertet werden. Ein solcher Zusammenhang liegt vor, wenn der Eingangsumsatz auch nur teilweise zu Kostenelementen für den Ausgangsumsatz führt.32 Der EuGH ließ deshalb den vollen Vorsteuerabzug für einen der Öffentlichkeit frei zugänglichen „Erlebnisweg“ zu, der zu einem Hotel/Restaurant führte und von seinem Betreiber errichtet wurde, wobei die öffentliche Hand die Kosten in Höhe von rd. 90 % förderte. Die vom vorlegenden Gericht ausdrücklich geäußerte Ansicht, der „Erlebnisweg“ diene doch unmittelbar der Öffentlichkeit und damit nicht dem Hotelbetreiber, teilte der EuGH nicht. Eingangsumsätze können aber zusammenhängen mit –

nichtunternehmerischem/privatem Bereich und/oder



unternehmerischem Bereich/vorsteuerabzugsberechtigt und/oder



unternehmerischem Bereich/nicht vorsteuerabzugsberechtigt.

Auf die jüngere Entwicklung dazu soll hier eingegangen werden.

b) Aktuelle EuGH-Rechtsprechung und deren Umsetzung Auf die Grundsätze der Zurechnung und der möglicherweise dann erforderlichen Aufteilung der Vorsteuerbeträge von laufenden Kosten geht der EuGH in seiner Entscheidung „Larentia + Minerva“ ein33. Dort hält

31 EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14, Barlis 06, Rz. 47, 48, DStR 2016, 2216; EuGH v. 15.9.2016 – C-518/14, Senatex, Rz. 42, DStR 2016, 2211. Kritisch zu beiden Urteilen Stadie, MwStR 2016, 934. 32 EuGH v. 22.10.2015 – C-126/14, Sveda, Leitsatz und Rz. 35, UR 2015, 910; ohne ausdrückliche Bezugnahme weiterführend: EuGH v. 10.11.2016 – C-432/15, Basˇtová, Leitsatz 2, Rz. 41 ff., UR 2016, 913. 33 EuGH v. 16.7.2015 – C-108/14 und C-109/14, Beteiligungsgesellschaft Larentia + Minerva, UR 2015, 671.

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er in den Leitsätzen sinngemäß fest, dass hinsichtlich der Kosten, die von einer Holding im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen an ihren Tochtergesellschaften getragen würden, zu unterscheiden sei. Soweit die Holding Verwaltungstätigkeiten ausübe und insoweit einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehe, sei ein Vorsteuerabzug zulässig, wenn nicht die nachgelagerten Umsätze einen Vorsteuerabzug ausschlössen. Dienten Eingangsumsätze sowohl zum Vorsteuerabzug berechtigenden wie auch zum Vorsteuerabzug nicht berechtigenden Umsätzen, sei eine Vorsteueraufteilung nach den Bestimmungen der MwStSystRL vorzunehmen. Dienten Eingangsumsätze sowohl der wirtschaftlichen wie auch der nichtwirtschaftlichen (= der nichtunternehmerischen) Tätigkeit der Holding, sei eine Aufteilung der für diese Kosten bezahlte Mehrwertsteuer im Verhältnis zu den der wirtschaftlichen Tätigkeit inhärenten Kosten erforderlich. Der BFH hat die EuGH-Vorgaben mit seinem Urteil vom 19.1.2016 umgesetzt.34 Da sich der Streitfall durch die Besonderheit auszeichnete, dass die Holding als Geschäftstätigkeit Darlehen an Tochtergesellschaften gewährte bzw. Einlagen bei Banken tätigte, hob der BFH hervor, dass jedenfalls in dem konkreten Fall das Nebenzweckprivileg des § 43 Nr. 3 UStDV für Geldeinlagen bei Kreditinstituten nicht eingreife. Nicht mit der Zurechnung von laufenden Kosten verwechselt werden sollte die Frage der Zuordnung eines Investitionsgutes. Darauf geht der EuGH in seiner Entscheidung „Landkreis Potsdam-Mittelmark“ ein. Er betont35, dass nach ständiger Rechtsprechung der Steuerpflichtige, der ein Investitionsgut sowohl für unternehmerische als auch für private Zwecke verwende, die Wahl habe, diesen –

in vollem Umfang dem Unternehmensvermögen zuzuordnen,



in vollem Umfang in seinem Privatvermögen zu belassen, oder



ihn nur im Umfang der tatsächlichen unternehmerischen Verwendung in sein Unternehmen einzubeziehen.

Eine solche Wahlfreiheit existiere dagegen nicht, wenn es um die Frage gehe, ob ein Gegenstand für eine wirtschaftliche Tätigkeit verwendet wird. Wenn ein Unternehmen einen Gegenstand sowohl für wirtschaftliche Tätigkeiten als auch für nicht wirtschaftliche Tätigkeiten verwen34 BFH v. 19.1.2016 – XI R 38/12, UR 2016, 312; dazu Brinkmann/Walter-Yadegardjam, DStR 2016, 2190. 35 EuGH v. 15.9.2016 – C-400/15, Landkreis Potsdam-Mittelmark, Rz. 33–37, MwStR 2016, 835 mit Anm. Pull.

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de, beschränke sich die Richtlinie darauf, ein Recht zum Vorsteuerabzug vorzusehen. Die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten insoweit zu treffen haben, müssten den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten. Ein Ausschluss des Abzugsrechts für Unternehmensgegenstände, die zu weniger als 10 % für eine wirtschaftliche Tätigkeit verwendet werden, genüge dieser Anforderung jedoch nicht. Das sei auf die Auslegung des Begriffs „unternehmensfremde Zwecke“ in Art. 1 der Entscheidung 2004/817 übertragbar. Damit ist klar, dass der im letzten Satz von § 15 Abs. 1 UStG verankerte Ausschluss gemeinschaftsrechtlich nicht haltbar ist. Das ist nicht überraschend. Schon vor dem Hintergrund der EuGHEntscheidung „Ampafrance“36 hatte der Autor dieses Vortrags bereits im Jahr 2000 auf die kaum begründbare Gemeinschaftskonformität hingewiesen37. Angesichts der Bedeutung, welche der EuGH dem Vorsteuerabzugsrecht beimisst, drängt sich für aktuelle Zeiträume die Frage auf, ob Art. 1 der nachfolgenden Ratsentscheidung 2015/2428 vom 10.12.2015 mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Die EuGH-Entscheidung hat der BFH zwischenzeitlich umgesetzt.38 Allein mit Aufteilung von Vorsteuerbeträgen für Investitionskosten beschäftigt sich der EuGH in der Rechtssache „Wolfgang und Dr. Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft“39. Er hebt dort zunächst den allgemeinen Grundsatz der direkten Zuordnung der MwStSystRL hervor. Es sei dann Sache des nationalen Gerichts zu ermitteln, ob sich eine solche Zuordnung im Fall der Verwendung der Gegenstände oder Dienstleistungen zur Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes in der Praxis als zu komplex und somit schwer durchführbar erweist. Die Zuordnung der für die Nutzung, Erhaltung oder Unterhaltung eines gemischt genutzten Gebäudes erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen zu den unter Verwendung dieses Gebäudes ausgeführten verschiedenen Ausgangsumsätzen scheine im Übrigen in der Praxis allgemein leicht durchführbar zu sein, was jedoch das vorlegende Gericht in Bezug auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gegenstände und Dienstleistungen zu prü36 EuGH v. 19.9.2000 – verb. Rs. C-177/99 und C-181/99, Ampafrance Sanofi, IStR 2000, 655. 37 De Weerth, Anm. zu verb. Rs. C-177/99 und C-181/99, Ampafrance Sanofi, IStR 2000, 659, 660. 38 BFH v. 16.11.2016 – XI R 15/13; vgl. dazu auch BFH, Pressemitteilung Nr. 52/15 v. 22.7.2015. 39 EuGH v. 8.6.2016 – C-332/14, Wolfgang und Dr. Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft, UR 2016, 545; dazu: Hundt-Eßwein, UStB 2016, 307; Korn, SteuK 2016, 346.

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fen habe. Hinsichtlich der der Zuordnung nachgelagerten Frage des Vorsteuerabzugs bei gemischt genutzten Gegenständen meint der EuGH das die Richtlinie vorrangig einen Umsatzschlüssel verlange. Allerdings könnten die Mitgliedstaaten auch einen der in Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie (= Art. 173 Abs. 2 MwStSystRL) aufgeführten Berechnungsschlüssel anwenden, vorausgesetzt u.a., die herangezogene Methode gewährleiste eine präzisere Bestimmung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs. Das bedeute jedoch nicht, dass die gewählte Methode zwingend die genauest mögliche sein müsste. Deshalb habe ein Gericht zu prüfen, ob die Heranziehung einer Methode zur Berechnung des Rechts auf Vorsteuerabzug unter Anwendung des Flächenschlüssels zu einem präziseren Ergebnis führen könne, als die Berechnung anhand des Umsatzschlüssels. Mittlerweile hat der XI. Senat des BFH die Entscheidung umgesetzt40 und meint, dass bei der Herstellung eines gemischt genutzten Gebäudes für den Vorsteuerabzug – im Gegensatz zu den Eingangsleistungen für die Nutzung, Erhaltung und Unterhaltung – nicht darauf abgestellt werden könne, welche Aufwendungen in bestimmte Teile des Gebäudes eingehen; vielmehr komme es insoweit auf die prozentualen Verwendungsverhältnisse des gesamten Gebäudes an. Denn bei der Herstellung eines solchen Gebäudes ermögliche der objektbezogene Flächenschlüssel regelmäßig eine sachgerechte und „präzisere“ Berechnung des Rechts auf Vorsteuerabzug als der gesamtumsatzbezogene oder der objektbezogene Umsatzschlüssel41. Das gälte aber dann nicht (und der Flächenschlüssel sei nicht sachgerecht i.S. des § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG), wenn die Nutzflächen nicht miteinander vergleichbar seien, etwa wenn die Ausstattung der den unterschiedlichen Zwecken dienenden Räume (z.B. Höhe der Räume, Dicke der Wände und Decken, Innenausstattung) erhebliche Unterschiede aufweisen würden.42 Das entspricht der bisherigen Rechtsprechung des V. Senates des BFH. Dieser bejahte schon bislang einen Vorrang des Flächenschlüssels nur insoweit, als die Flächen des gemischt vermieteten Gebäudes keine wesentlichen Ausstattungsunterschiede aufweisen43. Die bisherige Recht40 BFH v. 10.8.2016 – XI R 31/09, UR 2016, 651. 41 Zustimmend Treiber, DStR 2016, 2288 f. 42 BFH v. 10.8.2016 – XI R 31/09, Rz. 48 mit weiteren Beispielen in Rz. 49 und 50, UR 2014, 651. 43 BFH v. 7.5.2014 – V R 1/10, BFHE 245, 416; weiterführend dazu Wäger, DB 2014, 1397 ff.

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sprechung des V. Senats stellt sich damit „ex post“ als EuGH-konform heraus. Sieht man den Flächenschlüssel als präziser an, findet die im deutschen Recht nicht vorgesehene Rundungsregelung des Art. 175 Abs. 1 MwStSystRL wohl keine Anwendung. Denn der Flächenschlüssel beruht gemeinschaftsrechtlich auf einer Maßnahme nach Art. 173 Abs. 2 MwStSystRL. Wie der EuGH in der Entscheidung „Kreissparkasse Wiedenbrück“ entschied, ist nur bei Anwendung des Umsatzschlüssels nach Art. 173 Abs. 1 MwStSystRL die Anwendung der Rundungsregelung zwingend.44 Der BFH geht zwischenzeitlich davon aus, dass im nationalen Recht der Umsatzschlüssel nach § 15 Abs. 4 UStG auf seiner Umsetzung beruhe45, so dass das EuGH-Urteil insoweit von Bedeutung ist. Der Steuerpflichtige kann sich insoweit auf die im nationalen Recht nicht vorgesehene, für ihn günstige Richtlinienregelung berufen. Von Bedeutung für Fragen hinsichtlich der Vorsteueraufteilung ist auch das EuGH Verfahren „Crédit Lyonnais“.46 Dort stand die Frage im Raume, ob und wie die Umsätze von Auslandsbetriebsstätten in die Berechnung des anteiligen Vorsteuerabzugs zu berücksichtigen sind. Dazu entschied der EuGH im wesentlichen Kern, dass Auslandsumsätze nicht zu berücksichtigen sind und zwar weder Umsätze von EU-Betriebstätten noch von Drittlandsbetriebsstätten. Das gälte sowohl für die Berechnung des Regel-Vorsteuerschlüssels nach (nunmehr) Art. 173 Abs. 1 als auch für die nach den besonderen Wahlmöglichkeiten des Art. 173 Abs. 2 MwStSystRL. Denn eine Berücksichtigung von Umsätzen ausländischer Betriebstätten als zum Vorsteuerabzug berechtigend bewirke eine Subventionierung des Unternehmers. Im entschiedenen Fall war dieser Gedankengang zutreffend. Denklogisch zwingend sind die Überlegungen nicht. Stellt man sich einfache Verhältnisse in der EU vor, wäre etwa denkbar, dass ein Unternehmer im Inland und mit seiner EU-Betriebstätte einen Umsatz von insgesamt 44 EuGH v. 16.6.2016 – C-186/15, Kreissparkasse Wiedenbrück, UR 2016, 553; dazu Wäger, UR 2017, 85, 88 ff.; Folgeentscheidung: FG Münster v. 13.9.2016 – 15 K 2390/12 U, MwStR 2016, 962 m. Anm. de Weerth. 45 BFH v. 7.5.2014 – V R 1/10, BFHE 245, 416; zustimmend Oelmaier in Sölch/ Ringleb, UStG, Kommentar, 77. Lfg. (Juni 2016), § 15 Rz. 652. Für Kreditinstitute ist allerdings die wohl ebenfalls auf Art. 175 Abs. 2 MwStSystRL beruhende Sonderregelung nach BMF-Schr. v. 12.4.2005 (IV A 5-S 7306-5/05, UR 2005, 574) zu beachten. 46 EuGH v. 12.9.2013 – C-388/11, Le Crédit Lyonnais, UR 2014, 623.

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100 erzielt, wovon 50 zum Vorsteuerabzug berechtigen und 50 nicht. Wird dem EuGH gefolgt und werden die zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätze im Stammhaus erzielt, soll diese nach EuGH zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sein; im umgekehrten Fall gar nicht. Das überzeugt nicht. Gar nicht befasst hat sich der EuGH überraschender Weise mit der Frage, ob und wie Umsätze an ausländische Betriebstätten bei Ermittlung des Vorsteuerabzugsschlüssels zu berücksichtigen sind. Nach deutschem Rechtsverständnis könnte man annehmen, dass diese Frage als „weniger“ in der Entscheidung des EuGH enthalten sein müsse. Eine kritische Durchsicht des Urteils belegt, dass der EuGH die Frage gar nicht gesehen hat. Sie ist im Vorabentscheidungsersuchen des französischen Gerichts auch gar nicht gestellt worden. Im Prozessverlauf wurde sie ebenfalls nicht aufgeworfen. Auch in der bisherigen Diskussion auf EU-Ebene scheint die Frage nicht aufgeworfen worden zu sein.47 Richtigerweise dürften die Umsätze des Stammhauses bzw. einer Inlands-Betriebstätte an Auslands-Betriebstätten bei Ermittlung eines Umsatzschlüssels zu berücksichtigen sein und zwar Umsätze an EU-Betriebstätten mit dem dort angesetzten Vorsteuer-Abzugsschlüssel und Umsätze an Drittstaatenbetriebstätten mit vollem Vorsteuerabzugsrecht, sofern nicht die Drittstaatenbetriebsstätte in erheblichem Umfang Geschäfte mit EU-Angehörigen tätigt. Das würde dann im zuvor gebildeten Beispiel dazu führen, dass ein Drittlandsumsatz von 50 einen Vorsteuerabzug von 50 % im Inland bewirken würde. Würde demgegenüber derselbe Umsatz an eine EU-Betriebsstätte mit 50 %igem Vorsteuerabzugsrecht erbracht, würde die Vorsteuerabzugsquote nur noch 25 % betragen. Die Neutralität der MwSt und damit auch die Beachtung des zugrundeliegenden Grundsatzes der Gleichbehandlung bliebe weitestgehend gewahrt.48 Zugleich ist dieses Vorgehen in der Praxis umsetzbar. In diese Richtung könnte der Beschluss des EuGH in der Rechtssache Eset deuten.49 Die Frage hinsichtlich des Vorsteuerabzugs einer Betriebstätte ist zwischenzeitlich erneut beim EuGH anhängig geworden.50 Man darf gespannt sein, was der EuGH dazu entscheidet.

47 Vgl. MwSt-Ausschuss v. 30.3.2015, Arbeitspapier Nr. 874, (2015)4754627 – 874. 48 De Weerth, DB 2013, 2125 ff. 49 EuGH v. 21.6.2016 – C-393/15, Eset, Rz. 23 ff., UR 2016, 856. 50 EuGH – C-165/17, Morgan Stanley & Co International.

taxud.c.1

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Das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens Professor Dr. Roman Seer Ruhr-Universität, Bochum Inhaltsübersicht I. Einführung II. Untersuchungsgrundsatz und selbstregulierender Steuervollzug 1. Untersuchungsgrundsatz als Prinzip behördlicher Letztverantwortung 2. Rechtsstaatliche Einordnung des Wirtschaftlichkeitsprinzips III. Automatischer Steuerbescheid und Risikomanagement 1. Konzeption des § 155 Abs. 4 AO n.F. 2. Automatisierte Verifikation der Steuererklärungen durch Risikomanagementsysteme IV. Steuererklärungsfristen und Neukonzeption des Verspätungszuschlages 1. Gesetzliche Fristen für von steuerberatenden Berufsträgern erstellte Steuererklärungen (§ 149 Abs. 3–6 AO n.F.) 2. Neuregelung des Verspätungszuschlages nach § 152 Abs. 2–13 AO n.F. V. Fortentwicklung des sog. E-Governments

1. Einbeziehung mitteilungspflichtiger Dritter (§ 93c AO n.F.) 2. Spezielle Korrekturnorm des § 175b AO n.F. 3. Vorausgefüllte elektronische Steuererklärung 4. Elektronischer Steuerbescheid und elektronische Bekanntgabe gem. § 122a AO n.F. 5. Korrektur sog. Übernahmefehler bei vollautomatischen Steuerbescheiden (§ 173a AO n.F.) VI. Defizite: Vernachlässigung der Rechte der Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren 1. Fortbestehende Mängel bei der Ausgestaltung der verbindlichen Auskunft 2. Rechtsanspruch auf verbindliche Auskunft zugunsten von Steuerentrichtungspflichtigen 3. Datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch und Akteneinsicht 4. Abkehr von einer kapitalmarktfernen Verzinsung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis

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I. Einführung Das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens (BestVModG) vom 18.7.20161 bereitet die weitere Digitalisierung des Steuervollzugs vor2. Hierin liegt zwar keine Fundamentalreform der AO. Das Gesetzespaket komplettiert aber den bereits vom sog. Steuerbürokratieabbaugesetz vom 20.12.20083 eingeschlagenen Weg in die Elektronifizierung des Steuerverfahrens (sog. E-Government). Dies ist konsequent und angesichts der IT-Entwicklungen in Wirtschaft und Verwaltung nur folgerichtig. Allerdings zeigt sich, dass das Reformvorhaben – ähnlich wie bereits das sog. Steuerbürokratieabbaugesetz vom 20.12.2008 – mit einem starken Übergewicht vor allem im Interesse der Finanzverwaltung liegt und weniger den Bedürfnissen der vom Steuereingriff betroffenen Personen und Unternehmen dient. Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über die wesentlichen Neuerungen, reflektiert diese und zeigt den verbliebenen Reformbedarf auf.

II. Untersuchungsgrundsatz und selbstregulierender Steuervollzug 1. Untersuchungsgrundsatz als Prinzip behördlicher Letztverantwortung Die Abgabenordnung befindet sich auf dem Weg in die kontrollierte Selbstregulierung des Steuervollzugs4. Das heißt, die Gesellschaft reguliert ihre Besteuerung aus ihrer Mitte heraus selbst. Die Kapazitäten der Finanzbehörden reichen in den massenweisen Verfahren schon seit Jahrzehnten nicht aus, um die hoheitlichen Steuerveranlagungen jährlich flächendeckend durchzuführen. Die Finanzbehörden haben im jährlichen Rhythmus ca. 38 Mio. Steuererklärungen zu verarbeiten5. Das lehrbuchartige Bild eines Untersuchungsgrundsatzes, wonach die Finanzbehörde 1 2 3 4

BGBl. I 2016, 1679. Schwenker, DB 2016, 375, erkennt darin sogar einen Meilenstein. BGBl. I 2008, 2850. Begriff nach Seer, DStJG Bd. 31 (2008), 7, 31 ff.; Seer, FR 2012, 1000, 1002 ff.; Seer, Selbstveranlagung – Wegfall des Amtsermittlungsgrundsatzes?, in: DWS Symposium 2014, 7 ff. 5 Zahlen des Bundesrechnungshofs, Bericht nach § 99 BHO über den Vollzug der Steuergesetze (insbesondere im Arbeitnehmerbereich) v. 17.1.2012, 11 (Zahlen für 2006–2009), abrufbar unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/ver oeffentlichungen/sonderberichte.

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zunächst hoheitlich einen Sachverhalt ausermittelt, um daraufhin die Steuer festzusetzen, ist realiter nicht zu verwirklichen. Deshalb wird die Untersuchungsmaxime heute als Verifikationsmaxime verstanden6. Zur verfahrensrechtlichen Verwirklichung der Idee des selbstregulierten Steuervollzugs hat bereits die AO 1977 eine funktionsfähige Rechtsform zur Verfügung gestellt. Diese Rechtsform ist die Steueranmeldung (§§ 167, 168 AO). Der Steuerpflichtige erklärt mit ihr nicht nur die Besteuerungsgrundlagen, sondern „setzt“ zugleich die Steuer „fest“, erledigt damit das Steuerermittlungs- und Steuerfestsetzungsverfahren in einem Arbeitsgang. In letzter Konsequenz schafft er den Vollstreckungstitel gegen sich selbst! Dabei rationalisiert die Verwaltungsaktfiktion das Verfahren bis hin zur Möglichkeit des Einspruchs, den der Anmeldende gegen den selbstgeschaffenen fiktiven Steuerbescheid einlegen kann. Die von Otto Mayer im ausgehenden 19. Jahrhundert geprägte Handlungsform des Verwaltungsakts (§ 118 AO)7 hat sich so in weiten Bereichen des Besteuerungsverfahrens gewandelt, indem es zu einer Selbstregulierung durch die Steuerpflichtigen kommt. Denn in diesen Bereichen sagt nicht mehr die Behörde dem Bürger, was rechtens ist, sondern umgekehrt zunächst der Bürger der Behörde, die ihn aber bei dieser Selbstregulierung hoheitlich kontrolliert. Derzeit werden immerhin zwei Drittel unseres gesamten Steueraufkommens (!) auf recht geräuschlose Weise durch Steueranmeldungen realisiert. Dabei beschränken sich die Steueranmeldungen nicht auf die Umsatzsteuer8. Es gibt eine ganze Fülle von Anmeldungssteuern, so auch die direkte Einkommensteuer in Gestalt des Lohn- oder Kapitalertragsteuerabzugs. Es ist erstaunlich, dass unsere Gesellschaft – aus sich heraus – in der Lage ist, ihren Steuervollzug selbst zu regulieren; dies zwar mit der „Rute im Fenster“ in Gestalt bestimmter Zwangsmittel und Sanktionen, aber doch weitgehend mitwirkungswillig. So werden gut zwei Drittel von über 600 Milliarden Euro, das sind mehr als 400 Milliarden Euro, derzeit im Wege der Selbstveranlagung eingesammelt. In den steuerlichen Massenverfahren kann die Finanzbehörde der Untersuchungsmaxime a priori nur durch ein am strukturellen Kontroll6 Begriff nach Drüen, Die Zukunft des Steuerverfahrens, in Schön/Beck (Hrsg.), Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, 2009, 1. 7 Dazu ausführlich Schmidt-de Caluwe, Der Verwaltungsakt in der Lehre Otto Mayers, 1999. 8 Siehe die Aufzählung von Heuermann, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/ FGO, Kommentar, § 167 AO, Rz. 3 (August 2016).

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bedürfnis9 der Fälle ansetzendes Risikomanagement nachkommen. Die finanzbehördliche Sachaufklärung wird generell durch das freiheitsschützende Übermaßverbot mit den Prüfungsfiltern der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Proportionalität beschränkt. Wie ich an anderer Stelle begründet habe, verläuft der Steuervollzug im verfassungsrechtlichen Dreieck zwischen gesetz-, gleichmäßiger und freiheitsschonender Besteuerung10. Da die Ausgestaltung des Steuervollzugs zwischen mehreren verfassungsrechtlichen Rechtsgütern abwägen muss, handelt es sich um einen Optimierungsauftrag11. Der „ideale“ Steuervollzug sucht nach einer Ausgestaltung, welche die drei genannten Rechtsgüter der Gesetzmäßigkeit, der Gleichheit und der Wahrung der Freiheitsgrundrechte der Betroffenen zu einem solchen Ausgleich bringt, dass jedes der genannten Rechtsgüter zur höchstmöglichen Verwirklichung gelangt. Deshalb ist es richtig, wenn § 88 Abs. 2 Satz 1 AO n.F. die „Grundsätze der Verhältnismäßigkeit“ als Grenze der behördlichen Ermittlungsbefugnisse nun ausdrücklich nennt. Der Optimierungsauftrag richtet sich sowohl an den Gesetzgeber als auch an die Verwaltung. Beide Gewalten genießen dabei eine beachtliche Gestaltungsfreiheit. Die Rechtsprechung überprüft deren Akte dagegen nur an Erträglichkeitsgrenzen. Aus der Sicht des Freiheitsgrundrechtsschutzes bildet eine solche Erträglichkeitsgrenze das Übermaßverbot. Zur Wahrung der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung lässt sich das Untermaßverbot als Kennzeichnung einer unverhältnismäßigen staatlichen Zurückhaltung verwenden. Eine solche liegt unter Rezeption der Rechtsprechung des BVerfG12 etwa vor, wenn strukturelle Vollzugshindernisse errichten worden sind, welche die Umsetzung der normativen Belastungsentscheidung vereiteln. Der Untersuchungsgrundsatz fordert von der Finanzbehörde damit nicht, jeden einzelnen Steuerfall nach Art eines Untersuchungsrichters auszuermitteln. Das Untermaßverbot ist erst verletzt, wenn die Finanzbehörde für die Besteuerung erheblichen Sachverhalten nicht nachgeht, die sich ihr nach den Umständen des Einzelfalls ohne Weiteres hätten aufdrängen müssen. Das Unter9 Siehe BVerfG v. 27.6.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 271; BVerfG v. 9.3.2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, 115. 10 Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, 1996, 296 ff.; Seer, DStJG Bd. 31 (2008), 7, 13 ff. 11 Dem folgt auch Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europaund Verfassungsrecht, 2012, 224 ff., wo er von einem „Optimierungsmodell“ spricht. 12 Siehe BVerfG-Nachweise in Fn. 9.

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maßverbot verlangt gem. § 85 Satz 2 AO von den Finanzbehörden, zur Sicherstellung der Gesetzmäßigkeit im Gesamtvollzug ein Verifikationssystem einzuführen und vorzuhalten, das strukturell der Gefahr von Steuerverkürzungen wirksam begegnet. Als „Treuhänderin von Gemeinwohlinteressen“ trägt die Finanzbehörde die (im Untersuchungsgrundsatz dokumentierte) Letztverantwortung für die materielle Richtigkeit der Sachaufklärung. Positiv lässt sich dem Untersuchungsgrundsatz für die Finanzverwaltung im Sinne dieser Letztverantwortung nur die Aufgabe entnehmen, für eine strukturelle Verifikation der Angaben der Steuerpflichtigen zu sorgen13. Dem will § 88 Abs. 5 AO n.F. durch die ausdrückliche gesetzliche Implementierung von Risikomanagementsystemen nachkommen. Die Norm wendet sich gegen ein Vollzugsmodell, das in das finanzbehördliche Massenfallrecht das Gebot von einer ermittlungsrichterlichen Überzeugung in jedem Einzelfall antizipiert14. Dazu implementiert sie die Möglichkeit einer risikoorientiert-systematischen Auswahl und Prüfung von Fällen. Die nicht „ausgesteuerten Fälle sollen in einer vollautomatischen Steuerfestsetzung (s. § 155 Abs. 4 AO n.F.) münden (siehe unten III.1). Dagegen werden die nach Risikoparametern und/oder einer Zufallsauswahl ausgewählten Fälle einer personellen Einzelfallprüfung unterzogen.

2. Rechtsstaatliche Einordnung des Wirtschaftlichkeitsprinzips Nach § 88 Abs. 2 Satz 2, Abs. 5 Satz 2 AO n.F. sollen dabei auch Wirtschaftlichkeitserwägungen Berücksichtigung finden. Zunächst ist das Budgetrecht als garantierte Kernkompetenz der Parlamente15 mit der Folge zu respektieren, dass eine unbegrenzte Personalausstattung der Finanzverwaltung praktisch ausgeschlossen ist. Dem stünden zudem die Freiheitsgrundrechte der betroffenen Steuerpflichtigen entgegen, welche die Sachaufklärungsmaßnahmen der Finanzbehörden beschränken. Eine rechtsstaatlich und freiheitsgrundrechtlich gezähmte Finanzverwaltung 13 Nach Jansen (Fn. 11), 30 ff., muss sich die Finanzbehörde ein „eigenes Bild“ vom steuerrelevanten Sachverhalt machen. Zugleich weist aber auch er richtig darauf hin, dass dies keine Pflicht zur Verifikation der Angaben des Stpfl. in jedem Einzelfall, sondern nur eine strukturelle Verifikation bedeuten kann. 14 Siehe bereits Drüen (Fn. 6), 1, 13; gegen die Vorstellung v. Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, 2004, 135 ff. 15 BVerfG v. 27.5.1992 – 2 BvF 1, 2/85, BVerfGE 86, 148, 264; BayVerfGH v. 17.11.1994 – Vf. 96-IX-94 u.a., DVBl. 1995, 419, 425; s.a. Kube, in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 109 Rz. 41 (Mai 2011).

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kann nicht jederzeit in die Privat- und Betriebssphäre der Bürger und Unternehmen eindringen und sich ohne Weiteres zu Kontrollzwecken Informationen beschaffen. Eine solche flächendeckende Vorgehensweise würde ein Heer von Finanzbeamten mit Eingriffsbefugnissen bedeuten, die bis in den Kern der ehelichen und familiären Lebensgemeinschaften hineinreichen. Ein solches „Ideal“ wäre angesichts des unverhältnismäßigen Freiheitseingriffs und seiner Unwirtschaftlichkeit verfassungswidrig. Auflösungsbedürftig bleibt jedoch das Verhältnis zwischen dem verfassungsrechtlichen Dreieck des § 88 Abs. 2 Satz 1 AO n.F. (siehe oben 1.) und dem Wirtschaftlichkeitsprinzip des § 88 Abs. 2 Satz 2 AO n.F. Eine isolierte Lesart des Wirtschaftlichkeitsprinzips könnte die Finanzbehörden zu einer mit den Grundprinzipien der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung unvereinbaren Verwaltung verleiten. Zwar ist das angesprochene Wirtschaftlichkeitsprinzip der öffentlichen Haushaltswirtschaft als Prinzip des schonenden Umgangs mit steuerfinanzierten Ressourcen durchaus immanent16. In Ausübung ihres Ermessens zur Ausgestaltung des Gesetzesvollzugs ist die Finanzverwaltung deshalb berechtigt, ja sogar verpflichtet, Aspekte der Verwaltungsökonomie in ihre Abwägungsentscheidung einzubeziehen17. Die Exekutive verfügt über ihre sachlichen und persönlichen Mittel nur als Treuhänderin der Allgemeinheit und hat sie deshalb so einzusetzen, dass sie etwas bewirken (siehe auch §§ 156 Abs. 2, 281 Abs. 3 AO)18. Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG nimmt demgemäß für die Delegation von Zuständigkeiten des Steuervollzugs ausdrücklich auf Effizienzgesichtspunkte Bezug, so dass die Verwaltungseffizienz hier sogar zum verfassungsimmanenten Ziel wird19. In Übereinstimmung mit dem ökonomischen Begriffsverständnis besagt das Effizienzprinzip, dass von allen erreichbaren Alternativen diejenige auszuwählen ist, die den größten Nettonutzen erbringt20. § 88 Abs. 2 Satz 2 AO n.F. lässt aber offen, wie dies zu geschehen hat.

16 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl., 2006, 317 ff. 17 Seer, DStJG Bd. 31 (2008), 7, 18. 18 Siehe BVerfG-Beschl. v. 31.5.1988 – 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214, 226; Berg, Die Verwaltung, Bd. 9 (1976), 161, 182. 19 Seer/Drüen, in Kluth (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 108 GG Rz. 31. 20 Simon, Das Verwaltungshandeln – Eine Untersuchung der Entscheidungsvorgänge in Behörden und privaten Unternehmen, 1955, S. 111 ff.; v. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, 1988, S. 47.

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Unter Hinweis auf eine ältere Entscheidung des BVerfG21 will die Gesetzesbegründung das Wirtschaftlichkeitsprinzip dahingehend verstehen, dass für die Aufklärungsintensität auf das Verhältnis zwischen voraussichtlichem Arbeitsaufwand und steuerlichem Erfolg abgestellt werden kann22. Damit übernimmt die Begründung die im Anwendungserlass zu § 88 AO Nr. 1 Abs. 2 Satz 323 seit Jahren enthaltene Wendung und will sie nun offenbar einfachgesetzlich abstützen. Ein „ökonomischer Gesetzesvollzug“ rechtfertigt aber jedenfalls kein wirtschaftliches Maximalprinzip, das darauf ausgerichtet ist, mit einem begrenzten Verwaltungsaufwand einen höchstmöglichen fiskalischen Ertrag zu erzielen. Die Intention des Staates, Einnahmen zu erzielen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AO), ist zwar Motiv der Steuergesetzgebung und kennzeichnet die finanzpolitische Aufgabe der Steuergesetze. Dieser sog. Fiskalzweck gibt aber weder ein Maß für die Auslegung noch für den Vollzug des Gesetzes24. Das Ertragsinteresse des Staates ist kein eigenständiges Rechtsgut, das über die Anwendung der Steuergesetze, die der Finanzierung des Staatshaushalts dienen, hinausreichen könnte. Das quantitative steuerliche Ergebnis bleibt lediglich ein Reflex behördlicher Kontrolle25. Versucht die Finanzverwaltung, mit dem vorhandenen Personal in der zur Verfügung stehenden Zeit möglichst viel „hereinzuholen“, so wendet sie das Recht ohne innere Rechtfertigung ungleich an und verstößt gegen den Gleichheitssatz26. Dies zeigt sich besonders bei der nach wie vor einseitig nach Größenklassen orientierten Auswahl von Betriebsprüfungsfällen27. Die Ergänzung des § 88 Abs. 2 Satz 2 AO n.F. steht nicht schlicht additiv zusätzlich neben dem verfassungsrechtlichen Dreieck des § 88 Abs. 2 Satz 1 AO n.F., sondern innerhalb dessen28. Schon auf der 32. Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft hat der Steuer21 BVerfG v. 20.6.1973 – 1 BvL 9-10/71, BVerfGE 35, 283, 294 zur Kostenfreiheit des Einspruchsverfahrens. 22 Regierungsbegründung v. 3.2.2016, BT-Drucks. 18/7457, 68. 23 Siehe BMF v. 31.1.2014, BStBl. I 2014, 290, 357. 24 Vogel, Festschrift für Döllerer, 1988, 677, 687; Drüen, Festschrift für Kruse, 2001, 191, 204 f. 25 Seer, FR 1997, 553, 561; a.A. aber Frizen, Das Deklarationsprinzip im Einkommensteuerrecht, Steuerehrlichkeit, Sachverhaltsverantwortung und Kontrolle, 2009, 246. 26 Übereinstimmend bereits Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 1. Aufl., 1993, 1219 f.; Kruse, DStJG Bd. 18 (1995), 115, 120. 27 Zur aktuellen Kritik s. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, § 193 AO Rz. 41 ff. (Oktober 2013). 28 Siehe auch Münch/Sendke, DStZ 2015, 487, 489.

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abteilungsleiter im Bayrischen Staatsministerium für Finanzen Eckehard Schmidt im Jahre 2007 den Zusammenhang wie folgt formuliert:29 „Bisher stand das fiskalische30 Ausfallrisiko im Vordergrund: Sowohl die GNOFÄ31 als auch die Größenklasseneinteilung für Zwecke der Betriebsprüfung stellen vorwiegend auf die finanzielle Bedeutung des Steuerfalls ab. Dieser konventionelle Ansatz beschreibt sicher einen wichtigen Aspekt: Wenn es bei einem finanziell gewichtigen Fall zu Unregelmäßigkeiten kommt, ist der Schaden meist groß. Er sagt aber nichts zu einer anderen, ebenso wichtigen Dimension des Ausfallrisikos: Wie hoch nämlich im Einzelfall die Wahrscheinlichkeit ist, dass es zu solchen Unregelmäßigkeiten kommt. Gerade diese einseitige Ausrichtung am fiskalischen Risiko hat auch die Kritik der Wissenschaft hervorgerufen: Es gibt eben keinen Erfahrungssatz, dass die Steuererklärungen „kleiner“ Steuerpflichtiger grundsätzlich richtiger sind als die der „Großen“. Hier setzen nun die innovativen Versuche an, den Steuerwiderstand im Einzelfall und damit das individuelle Ausfallrisiko zu bestimmen: Hierfür bedarf es auf den betreffenden Steuerpflichtigen bezogener Risikomerkmale.“

Verwaltungsökonomie (Effizienz) ist damit kein von außen in das Recht einfließendes, selbständiges Gut, sondern kann nur innerhalb des Rechts stehen32. Effizienz bezeichnet danach einen optimierten Verwirklichungsgrad der in Verfassung und Gesetz vorgegebenen Handlungsziele der Verwaltung33. Verwaltungseffizienz deckt sich also mit dem an die Adresse der Verwaltung gerichteten Gesamtauftrag des „möglichst schonenden Ausgleichs“ zwischen den im Einzelfall betroffenen Rechtsgütern. Gleichmäßiger Gesetzesvollzug verlangt aber keine Kontrolle entsprechend dem quantitativen Ergebnis, sondern entsprechend dem Kontrollbedürfnis34. Die fiskalische Bedeutung der Fälle wird am Maßstab des Kontrollbedürfnisses nur insoweit relevant, als aufgrund einer gesteigerten Fallkomplexität eine gewisse Korrelation zwischen Umsatzbzw. Einkunftsgrößen einerseits und dem Fehlerrisiko andererseits besteht. Dieser Zusammenhang kann zwar eine gewisse Gewichtung zugunsten der Kontrollintensität fiskalisch bedeutender Steuerfälle, die ei29 Schmidt, DStJG Bd. 31 (2008), 37, 43. 30 Scil.: Hervorhebungen im zitierten Original. 31 Gleich lautender Erlass der Obersten Finanzbehörden der Länder v. 19.11.1996, BStBl. I 1996, 1391 („GNOFÄ 1997“). 32 Häberle, Effizienz und Verfassung, AöR Bd. 98 (1973), 625, 631; siehe auch Siekmann in Sachs, GG, Kommentar, 7. Aufl., 2014, Art. 114 Rz. 14. 33 Wahl, VVDStRL Bd. 41 (1983), 151, 188; Pietzcker, ebenda, VVDStRL Bd. 41 (1983), 193, 196 f. 34 Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. III, 2. Aufl., 2012, 1460 ff.

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ne größere Komplexität aufweisen, rechtfertigen35. Die fiskalische Größe bleibt aber auch dann nur eines von mehreren Kriterien, die eine verstärkte Kontrolle indizieren. Das Verhältnis zwischen den verfahrensermessensleitenden Vorgaben in § 88 Abs. 2 AO n.F. ist daher wie folgt zu lesen: § 88 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 AO n.F. ist übergeordnet. Nur in dem dort abgesteckten Rahmen dürfen die in § 88 Abs. 2 Satz 2 AO n.F. aufgeführten Erwägungen eine Rolle spielen. Das heißt für das Wirtschaftlichkeitsprinzip, dass es funktional der Wahrung der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung im Gesamtvollzug (als Summe aller von der Finanzbehörde zu bearbeitenden Einzelfälle) dient, aber nicht eigenständig neben diesen Fundamentalprinzipien steht36.

III. Automatischer Steuerbescheid und Risikomanagement 1. Konzeption des § 155 Abs. 4 AO n.F. Die Modernisierung des Besteuerungsverfahrens soll erreichen, dass sich die Finanzbehörden in jeder Stufe des Besteuerungsverfahrens auf die Bearbeitung tatsächlich prüfungsbedürftiger Fälle konzentrieren können. Dazu bedarf es unter den Bedingungen begrenzter personeller Verwaltungsressourcen einer deutlich wachsenden Zahl von Steuerveranlagungen, die automatisch durchgeführt werden. Eine derartige Neuorientierung der Steuerveranlagung habe ich bereits vor 14 Jahren in Gestalt eines der Idee der Selbstregulierung folgenden Selbstveranlagungssystems vorgeschlagen37. Das BestVModG sieht für die direkten Veranlagungssteuern (Einkommen-, Körperschaft-, Gewerbesteuer) jedoch keine Selbstveranlagung durch Steueranmeldung im Sinne der §§ 167, 168 AO vor. Vielmehr eröffnet § 155 Abs. 4 AO n.F. nur die Möglichkeit einer vollautomatisierten Steuerfestsetzung. Dies bedeutet, dass sich zwar – wie bei einer Selbstveranlagung – vor Erlass des Bescheides kein Finanzbeamter die (elektronisch) eingehende Steuererklärung (mehr) ansieht. Jedoch braucht der Steuerpflichtige – anders als bei einer Steueranmeldung – den Steuerbetrag nicht selbst zu berechnen. Der Rationalisierungs- und Beschleuni35 Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, 1999, 511 f. 36 Siehe bereits Seer, StuW 2015, 315, 320 f. 37 Seer, StuW 2003, 40, 45 ff.; siehe außerdem Seer, DStJG Bd. 31 (2008), 7, 31 ff.; Seer, FR 2012, 1000, 1002 ff.; zuletzt Seer, Selbstveranlagung – Wegfall des Amtsermittlungsgrundsatzes?, in: DWS Symposium 2014, 7 ff.

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gungseffekt tritt bei der automatisierten Veranlagung ebenso wie bei der Selbstveranlagung ein, weil sie automatisch auf der Grundlage der mit der Steuererklärung übermittelten und der sonstigen bereits auf dem Server der Finanzbehörde gespeicherten Daten ergeht. Auch bei einem automatischen Steuerbescheid im Sinne des § 155 Abs. 4 AO n.F. handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Anders als bei der Steueranmeldung wird kein Verwaltungsakt fingiert. Denn es ist nicht die Steuererklärung, der nach § 168 Satz 1 AO etwa bereits die Wirkung einer Steuerfestsetzung (unter dem Vorbehalt der Nachprüfung) beigemessen wird. Vielmehr ergeht auf der Basis der Steuererklärung, ggf. unter Ergänzung weiterer vorhandener digitaler Daten, noch ein davon zu unterscheidender hoheitlicher Steuerbescheid. Die volle Automation ändert nichts daran, dass es sich um eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung der Finanzbehörde handelt38. Der antizipierte Handlungs-, Regelungs- und Bekanntgabewille der Finanzbehörde hat seinen Ausdruck bereits in der Vorprogrammierung des Datenverarbeitungssystems erfahren. § 155 Abs. 4 Satz 2 AO n.F. legt nur den Abschluss des Willensbildungsprozesses auf den Zeitpunkt der maschinellen Verarbeitung. Dieser Zeitpunkt besitzt eine Bedeutung für das Merkmal des „nachträglichen Bekanntwerdens“ von Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 AO. Diese Korrekturvorschrift besitzt auch bei einem vollautomatischen Steuerbescheid ihre Relevanz, weil dieser – anders als die Steueranmeldung im Sinne des § 168 AO – nicht bereits kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht. Auch in einem vollautomatisierten Veranlagungsverfahren muss es dem Steuerpflichtigen möglich sein, in seiner Steuererklärung eine von der Verwaltungsauffassung abweichende Rechtsauffassung zu vertreten, ohne sich damit strafbar zu machen. Deshalb enthalten elektronische Steuererklärungen nach § 150 Abs. 7 AO n.F. ein qualifiziertes Freitextfeld. Dieses können Steuerpflichtige nutzen, um ausdrücklich um eine nähere Prüfung bestimmter Sachverhalts- oder Rechtsfragen zu bitten oder von einer Verwaltungsauffassung abzuweichen39. § 155 Abs. 4 Satz 3 AO n.F. stellt ausdrücklich heraus, dass Eintragungen in dem qualifizierten Freitextfeld einen Anlass für eine personelle Bearbeitung des Steuerfalls bilden. Dasselbe gilt, wenn der Steuerpflichtige nach § 150 Abs. 7 Satz 2 AO n.F. abweichende Eintragungen zu den von Dritten nach § 93c AO n.F. (siehe unten V.1.) übermittelten sog. eDaten macht. 38 Seer, StuW 2015, 315, 323. 39 Siehe Regierungsbegründung (Fn. 22), 83.

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2. Automatisierte Verifikation der Steuererklärungen durch Risikomanagementsysteme Ein vollautomatisiertes Veranlagungsverfahren entspricht nur dann den verfassungsrechtlichen Fundamentalprinzipien der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung, wenn es durch ein effizientes Kontrollsystem abgesichert wird40. Die Untersuchungsmaxime wird letztlich zur strukturellen Verifikationsmaxime41. Die Gesetzesbegründung definiert das Risikomanagement (RMS) wie folgt:42 „Risikomanagement besteht aus der systematischen Erfassung und Bewertung von Risikopotenzialen sowie der Steuerung von Reaktionen in Abhängigkeit von den festgestellten Risikopotenzialen“.

Das Ziel des eingesetzten Risikomanagements soll sein, –

Steuerverkürzungen zu verhindern und damit präventiv zu sein,



gezielt Betrugsfälle aufzudecken, zumindest aber die Chancen ihrer Aufdeckung zu erhöhen,



die individuelle Fallbearbeitung durch Amtsträger durch eine risikoorientierte Steuerung der Bearbeitung zu optimieren,



die Bearbeitungsqualität durch Standardisierung der Arbeitsabläufe bei umfassender Automationsunterstützung nachhaltig zu verbessern und



qualitativ hochwertige Rechtsanwendung durch bundeseinheitlich abgestimmte Vorgaben gleichmäßig zu gestalten.

§ 88 Abs. 5 Satz 3 AO n.F. vertraut allerdings nicht allein auf den Einsatz elektronischer Risikomanagementsysteme zur Verifikation elektronisch erfasster Steuererklärungen. Vielmehr fordert § 88 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AO n.F. eine hinreichende Anzahl zufällig ausgewählter Fälle, die umfassend personell geprüft werden43. Dieser Fundus an zufällig „intensiv“ geprüften Fällen hat zwei Funktionen. Zum einen wird nach außen hin gegenüber den Steuerpflichtigen das Signal gesendet, dass auch völlig unabhängig von der Erfüllung bestimmter Parameter Fälle ausgewählt und manuell durch Finanzbeamte überprüft werden. Es soll für die Steuerpflichtigen eine gewisse Unsicherheit verbleiben, ob ihr Fall nicht doch 40 41 42 43

Siehe bereits Seer, StuW 2003, 40, 46 ff. Seer, DStJG Bd. 31 (2008), 7, 16 f., 29 ff. Regierungsbegründung (Fn. 22), 69. Ungeklärt ist, wie hoch die Zufallsauswahlquote sein muss. Die Finanzverwaltungen sprechen derzeit von ca. 2–3 % der Steuerfälle.

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unabhängig von (ihnen ggf. bekanntgewordenen) Risikoparametern einer intensiven personellen Prüfung unterzogen wird. Die damit verbundene prophylaktische Wirkung hängt von der Anzahl der ausgewählten Stichproben und damit der Prüfungswahrscheinlichkeit ab. Zum anderen dienen die Erkenntnisse aus der Zufallsüberprüfung nach innen hin dazu, die Ausgestaltung des Risikomanagements und die eingesetzten Risikofilter zu evaluieren (Gedanke eines selbstlernenden Systems). Diese regelmäßige Überprüfung der Risikomanagementsysteme erhebt § 88 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AO n.F. zu einer generellen Mindestanforderung. Risikomanagementsysteme dienen dazu, die begrenzten personellen Verwaltungsressourcen dem Kontrollbedürfnis entsprechend risikoorientiert zu steuern. Ein Risikomanagementsystem ersetzt die eigentliche Prüfung aber nicht. Deshalb verlangt § 88 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AO n.F. die jeweilige personelle Prüfung der als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte. Außerdem sollen die sachlich und örtlich zuständigen Finanzbehörden (Finanzämter) durch den IT-Einsatz nicht entmündigt, sondern unterstützt werden. Deshalb bleibt ihnen nach § 88 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 AO n.F. auch die Möglichkeit unbenommen, Fälle zur personellen (umfassenden) Prüfung auszuwählen. Insgesamt entspricht diese Ausgestaltung den vom Verfasser seit einigen Jahren vorgetragen Überlegungen zur Verbesserung des Steuervollzugs. § 88 Abs. 5 Satz 4 AO n.F. verbietet die Veröffentlichung von Einzelheiten der Risikomanagementsysteme (RMS), soweit dies die Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte. Dafür wird man Verständnis aufbringen können. Die Finanzverwaltung will diesen an sich nur konditionierten Vorbehalt aber weit verstehen. Ihr sollte bewusst sein, dass eine „Geheimwissenschaft“ weder dem rechtsstaatlichen Gebot einer transparenten Verwaltung entspricht noch auf Akzeptanz seitens der betroffenen Steuerpflichtigen und steuerlichen Berater treffen wird44. Einer willkürfrei handelnden Finanzbehörde entspricht es, zumindest die Art der RMS-Kriterien zu veröffentlichen. Wird das persönliche Vorverhalten der Steuerpflichtigen in das elektronische RMS einbezogen, haben diese einen datenschutzrechtlichen Anspruch auf Information, welche personenbezogenen Daten in das RMS eingespeist werden45. Dieses Informationsrecht kann ihnen nicht mit einem pau44 Mit Recht krit. gegenüber einer Intransparenz der RMS-Kriterien Braun Binder, DStZ 2016, 526, 531 f.; Marx, Ubg. 2016, 358, 361 f. 45 Meinert, Deutscher Finanzgerichtstag (DFGT) Bd. 10/11 (2013/14), 264, 275.

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schalen Hinweis auf eine „Gefährdungslage“ verweigert werden Vielmehr bedarf es konkreter, substantiierter Darlegungen, warum und inwieweit die Bekanntgabe der RMS-Kriterien nachteilige Auswirkungen auf die Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung hätte. Die Kenntnis in der Steuerberater- und Mandantschaft über die Art der RMS hätte eine nicht zu unterschätzende prophylaktische Funktion und könnte akzeptanzfördernd die Compliance-Bereitschaft der Mandantschaft fördern. Ein kooperativer Steuervollzug setzt Transparenz auf beide Seiten und damit auch ein Verwaltungshandeln „mit offenem Visier“ voraus46. Dazu würde es auch gehören, die steuerberatenden Berufe bei der Erarbeitung eines Risikoprofils einzubinden. Dies gilt umso mehr, als das Erfordernis einer „gelebten“ sog. Tax Compliance-Struktur sich mittlerweile nicht mehr nur auf börsennotierte DAX-Unternehmen beschränken lässt47.

IV. Steuererklärungsfristen und Neukonzeption des Verspätungszuschlages 1. Gesetzliche Fristen für von steuerberatenden Berufsträgern erstellte Steuererklärungen (§ 149 Abs. 3–6 AO n.F.) § 149 Abs. 3 AO n.F. ersetzt die regelmäßig jährlich ergehenden koordinierten Ländererlasse zur Abgabe von Steuererklärungen (sog. Fristenerlasse)48 und stellt die – im internationalen Vergleich – sehr großzügige Verwaltungsregelung in modifizierter Form auf eine gesetzliche Grundlage. Während sich die reguläre Frist nach § 149 Abs. 2 AO n.F. (für die von Steuerpflichtigen selbst gefertigten Steuererklärungen) von fünf auf sieben Monate verlängert, wird die Frist bei der Beauftragung von Angehörigen steuerberatender Berufe gem. § 149 Abs. 3 AO n.F. sogar auf vierzehn Monate ausgedehnt. Dies bedeutet etwa für die laufenden Einkommensteuer-Veranlagungen, dass eine Einkommensteuererklärung grundsätzlich bis zum 31.7. des Folgejahres abzugeben ist. Wird sie jedoch von einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe erstellt, ver-

46 Seer, StuW 2015, 315, 324 f. 47 Zu den Möglichkeiten der Verknüpfung unternehmensinterner Tax Compliance mit der finanzbehördlichen Prüfung s. Schützler, Tax Compliance im Kooperationsverhältnis zwischen Unternehmen und Finanzverwaltung, 2014, 183 ff.; aus der Sicht des internationalen Konzerns Risse, Tax Compliance und Tax Risk Management, 2015, 67 ff. 48 Siehe zuletzt gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder über Steuererklärungsfristen v. 2.1.2017, BStBl. I 2017, 46.

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längert sich die Abgabefrist bis zum 28.2./29.2. des Zweitfolgejahres49. Die Begründung des Gesetzentwurfs rechtfertigt die nicht unerhebliche Ungleichbehandlung von steuerlich beratenen und steuerlich nicht beratenen Erklärungspflichtigen mit dem regelmäßig größeren Umfang der Einkünfte und der regelmäßig höheren Komplexität der Einkommensund Vermögensverhältnisse der steuerlich beratenen Erklärungspflichtigen sowie mit deren fehlenden steuerrechtlichen Fachwissen50. Hier würde es eine längere Zeit erfordern, um die Steuererklärungen sorgfältig zu erstellen. Der entscheidende Grund des Entgegenkommens gegenüber den steuerberatenden Berufen liegt aber weniger in der besonderen Komplexität der betreuten Steuerfälle, sondern mehr im Interesse an einer möglichst kontinuierlichen Auslastung der Steuerberatungsbüros einschließlich der dort beschäftigten Angestellten. Letztlich soll der Arbeitsanfall geglättet und die Auswirkungen eines „Saisongeschäfts“ für beide Seiten vermieden werden. Die regelmäßige Erweiterung der Abgabefrist sogar bis zum 28./29.2. des Zweitfolgejahres begründet der Regierungsentwurf damit, dass die Anfertigung von Steuererklärungen praktisch erst ab März und nicht bereits ab Januar des Folgejahres beginnen könne, weil die erforderlichen Daten und Bescheinigungen in den ersten beiden Monaten des Folgejahres noch nicht vorlägen51. Die dem Veranlagungsprinzip folgend, jeweils auf ein Jahr anzulegenden Steuererklärungsarbeiten erfahren damit eine Phasenverschiebung von zwei Monaten. Allerdings versucht § 149 AO n.F. gleichzeitig auch, die fiskalischen Interessen des Staates durch die Möglichkeit von Vorabanforderungen von Steuer- und Feststellungserklärungen zu wahren. § 149 Abs. 4 AO n.F. enthält einen Kanon von Fallgruppen, in denen auch bei ersichtlicher Betreuung durch Angehörige steuerberatender Berufe auf die Veranlagungssteuern (Einkommen-, Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuer) bezogene Steuer- und Feststellungserklärungen vorab angefordert werden können52, so wenn –

für den Steuerpflichtigen für den vorangegangenen Besteuerungszeitraum Erklärungen nicht oder verspätet abgegeben,

49 Allerdings gilt dies nach h.M. nicht für eine Einkommensteuererklärung, die ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe für sich selbst fertigt und einreicht, s. BFH v. 29.1.2003 – XI R 82/00, BStBl. II 2003, 550. 50 Regierungsbegründung (Fn. 22), 76. 51 Regierungsbegründung (Fn. 22), 77. 52 In Anlehnung an die sog. Fristenerlasse (Fn. 48), unter II.(2).

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für den vorangegangenen Besteuerungszeitraum kurz vor Abgabe der Steuererklärung oder kurz vor dem Beginn der Vollverzinsung im Sinne des § 233a AO nachträgliche Vorauszahlungen festgesetzt,



für den Besteuerungszeitraum Vorauszahlungen außerhalb einer Veranlagung herabgesetzt wurden;



sich aus der Veranlagung für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum eine Abschlusszahlung von mindestens 25 % der festgesetzten Steuer oder mehr als 10 000 Euro ergeben hat bzw. die Steuerfestsetzung für den Erklärungszeitraum voraussichtlich zu einer Abschlusszahlung von mehr als 10 000 Euro führen wird,



eine Außenprüfung vorgesehen ist,



der betroffene Steuerpflichtige im Besteuerungszeitraum einen Betrieb eröffnet oder eingestellt hat, oder



für Beteiligte an Gesellschaften oder Gemeinschaften Verluste festzustellen sind.

Die Anordnung der Abgabe der Steuer- oder Feststellungserklärung vor Ablauf der verlängerten Steuererklärungsfrist ist ein Verwaltungsakt im Sinne des § 118 Satz 1 AO. Für die Befolgung der Anordnung statuiert § 149 Abs. 4 Satz 2 AO n.F. eine gesetzliche Frist von vier Monaten. Schließlich flankiert § 149 Abs. 4 Satz 3 AO n.F. den anlassbezogenen Kanon von Vorabforderungen durch die Möglichkeit einer automationsgestützten Zufallsauswahl von Steuerfällen, in denen eine vorzeitige Anforderung der Steuer- oder Feststellungserklärung mit einer Vier-Monatsfrist angeordnet werden kann. Zur Begründung der Anordnung soll es ausreichen, dass auf die Zufallsauswahl hingewiesen wird53. Keine der Vorabanforderungen darf allerdings die für jedermann geltende siebenmonatige Abgabefrist (regelmäßig: zum 31.7. des Folgejahres) unterschreiten. § 149 Abs. 6 AO n.F. öffnet das „Steuererklärungsgeschäft“ schließlich für das in zwei Bundesländern (Bayern, Nordrhein-Westfalen) in den letzten Jahren praktizierte sog. Kontingentierungsverfahren54. Danach können oberste Landesfinanzbehörden (Landesfinanzministerium, Sena53 Derzeit ist eine einzelfallbezogene Begründung des Auswahlermessens erforderlich, s. FG Hamburg v. 27.4.2012 – 6 K 95/11, EFG 2012, 2256 m. Anm. v. Siegers. 54 FinMin NRW v. 30.11.2010 – S 0320 – 1/6 – V A 2 (n.v.); unbeanstandet v. FG Düsseldorf v. 15.3.2012 – 12 K 509/12 AO, EFG 2012, S. 890 m. Anm. v. Korte (Nichtzulassungsbeschwerde durch BFH v. 15.10.2012 – III B 62/12, BFH/NV

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tor/in für Finanzen) oder eine von ihr bestimmte Finanzbehörde (z.B. Oberfinanzdirektion, Landesfinanzamt) zulassen, dass Angehörige der steuerberatenden Berufe zu bestimmten Stichtagen jeweils einen bestimmten prozentualen Anteil der für ihre jeweilige Mandantschaft zu erstellenden Steuer- und Feststellungserklärungen zu bestimmten Stichtagen einreichen55. Nehmen Steuerberater bzw. Steuerberatungsgesellschaften an einem solchen Kontingentierungsverfahren teil, ist eine automationsgesteuerte, anlasslose Zufallsanforderung von Erklärungen (§ 149 Abs. 4 Satz 3 AO n.F.) ausgeschlossen (§ 149 Abs. 6 Satz 2 AO n.F.). Die Idee des Kontingentierungsverfahrens entspricht dem Gedanken eines kooperativen Steuervollzugs und nimmt auf die Interessen einer möglichst kontinuierlichen Arbeitsauslastung der steuerberatenden Berufe ebenso Rücksicht wie auf den spiegelbildlichen Arbeitsanfall in den Finanzämtern. Gleichwohl hat sich das Verfahren nicht flächendeckend durchsetzen können. Der wesentliche Einwand gegen dieses Verfahren ist, dass sich das bei einer verspäteten Abgabe realisierende Risiko von Verspätungszuschlägen für den Steuerpflichtigen kaum kalkulierbar vom Abgabeverhalten Dritter, nämlich des kollektiven Mandantenstamms des jeweiligen Steuerberaters, abhänge56. Diesem Bedenken kann aber durch eine sachgerechte Ausübung des Entschließungsermessens hinsichtlich eines Verspätungszuschlages nach § 152 Abs. 1 AO (siehe nachfolgend 2.) Rechnung getragen werden. Die Teilnahme bleibt für die Angehörigen der steuerberatenden Berufe zudem weiterhin freiwillig; umgekehrt besitzen sie allerdings auch keinen Anspruch auf Einrichtung eines Kontingentierungsverfahrens. Im Rahmen der Ermessensausübung (§ 5 AO) darf bei der Entscheidung über sog. Vorabanforderungen i.S. des § 149 Abs. 4 AO n.F. m.E. zugunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, ob sich dessen Steuerberater freiwillig an dem Kontingentierungsverfahren beteiligt hat. Das kann dazu führen, dass von einer Vorabanforderung abgesehen wird.

2013, S. 80, als unzulässig verworfen). Zu den Teilnahmebedingungen in NRW s. http://www.ofd.nrw.de/das-kontingentierungsverfahren-der-ofd-nrw. 55 So z.B. in NRW: bis zum 30.9. des Folgejahres 40 %, bis zum 31.12. des Folgejahres 75 % und bis zum 28.2./29.2. des Zweitfolgejahres 95 % der von dem jeweiligen Steuerberater mit seiner Kanzlei zu erstellenden Steuererklärungen. 56 Kritisch etwa Eichhorn, Stbg. 2010, 55, 56.

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2. Neuregelung des Verspätungszuschlages nach § 152 Abs. 2–13 AO n.F. Parallel zu der in § 149 Abs. 3 AO n.F. formulierten vierzehnmonatigen Frist für die Abgabe von Steuererklärungen, die von Angehörigen der steuerberatenden Berufe erstellt werden, enthält § 152 Abs. 2 Nr. 1 AO n.F. einen obligatorischen Verspätungszuschlag für Steuer- und Feststellungserklärungen, die nicht binnen 14 Monaten nach Ablauf des Besteuerungszeitraums eingereicht werden. Dieser Verspätungszuschlag trifft aber nicht nur Steuerpflichtige, deren Steuer- bzw. Feststellungserklärungen durch steuerliche Berater angefertigt werden, sondern gilt generell. Der obligatorische Verspätungszuschlag findet darüber hinaus auf die Fälle des § 149 Abs. 4 AO n.F. Anwendung, wenn Steuerpflichtige bzw. deren steuerliche Berater auf die Anordnung hin die vorab angeforderten Steuer- oder Feststellungserklärungen nicht fristgemäß einreichen und die Finanzbehörde keine Fristverlängerung gewährt hat (s. § 152 Abs. 2 Nr. 3 AO n.F.). Der Verspätungszuschlag soll in diesen Fällen zukünftig nicht mehr von einer einzelfallbezogenen Ermessensentscheidung abhängen, sondern sich eindeutig kalkulierbar nach der Dauer der Säumnis richten. Dazu ordnet § 152 Abs. 5 AO n.F. einen Zuschlag in Höhe von 0,25 % der festgesetzten Steuer (mindestens 10 Euro) für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung an. Bei Feststellungserklärungen kann gem. § 152 Abs. 6 AO n.F. statt dessen ein fester Zuschlag in Höhe von 25 Euro pro Monat der Verspätung festzusetzen sein. Wie bisher begrenzt § 152 Abs. 10 AO n.F. den Verspätungszuschlag auf eine Obergrenze in Höhe von 25 000 Euro. Die Regelung ist insgesamt recht kleinteilig und kompliziert ausgefallen. In tabellarischer Form lässt sie sich wie folgt grob zusammenfassen: Anwendungsbereich

Zuschlagsatz/Bemessung

ESt, KSt, USt (Veranlagungsteuern)

0,25 % des Nachforderungsbetrages (mind. 25 Euro) pro angefangenen Monat der Säumnis

anlassbezogene Steuer (z.B. ErbSt)

0,25 % der festgesetzten Steuer (mind. 10 Euro) pro angefangenen Monat der Säumnis

USt-/LSt-Anmeldungen

Kein fester Satz, Zuschlag richtet sich nach Dauer u. Häufigkeit der Säumnis u. Höhe der Steuer

gesonderte Einkunftsfeststellungen

0,0625 % der pos. Summe der Einkünfte (mind. 25 Euro) pro angefangenen Monat der Säumnis

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Seer, Das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens Anwendungsbereich

Zuschlagsatz/Bemessung

andere Feststellungen

Pauschal 25 Euro pro angefangenen Monat der Säumnis

Generell

Höchstbetrag 25 TEuro

Mit der Einführung eines obligatorischen Verspätungszuschlages kommt § 152 Abs. 2 AO n.F. nicht nur einer vom Verfasser57, sondern auch vom Bundesrechnungshof58 erhobenen Forderung nach. In dem jährlich wiederkehrenden Massenverfahren des Steuererklärungsgeschäfts ist ein ermessensgeleiteter Verspätungszuschlag nicht nur aus Sicht der Finanzbehörden unpraktikabel, sondern führt auch zu erheblicher Vollzugsungleichheit und Zufälligkeiten. Daher ist die Neuregelung grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings bleiben Rechtsunsicherheiten, weil § 152 Abs. 1 AO n.F. außerhalb des Anwendungsbereichs des § 152 Abs. 2 AO n.F. den Verspätungszuschlag weiterhin von einer Ermessensentscheidung des zuständigen Finanzamts abhängig machen will. Dies betrifft vor allem Steuerpflichtige, die ihre Steuer- und Feststellungserklärungen selbst erstellen, ohne die Hilfe von Angehörigen der steuerberatenden Berufe in Anspruch zu nehmen. Die nicht unerhebliche Ungleichbehandlung je nachdem, ob ein steuerlicher Berater oder der Steuerpflichtige selbst die Steuererklärung erstellt hat (siehe oben 1.), sollte bei der Ermessensausübung des § 152 Abs. 1 AO berücksichtigt werden. Dies könnte dadurch geschehen, dass nur nach einer erfolglosen Mahnung seitens der Finanzbehörden ein Verspätungszuschlag nach § 152 Abs. 1 AO festgesetzt wird. Bei steuerlich beratenen Steuerpflichtigen, deren Steuerberater an einem Kontingentierungsverfahren teilnimmt (s. § 149 Abs. 6 AO n.F.) und der die Quoten nicht einzuhalten vermag, sollte ein Verspätungszuschlag regelmäßig nur dann erhoben werden, wenn seine Steuererklärung nach dem 28.2./29.2. des Zweitfolgejahres eingeht. Dadurch würden die jeweiligen Steuerpflichtigen so wie jeder andere steuerlich Beratene gestellt, ohne dass es auf ein kollektives Fehlverhalten anderer Mandanten ankäme. Zudem enthält § 152 Abs. 3 AO n.F. für die Fälle von Null- oder Negativbetragsfestsetzungen (Nr. 2) sowie für Erstattungsfälle (Nr. 3) gegenüber § 152 Abs. 2 AO n.F. Rückausnahmen. Da der Verspätungszuschlag 57 Seer, StuW 2003, 40, 56 f.; Seer, DStJG Bd. 31 (2008), 7, 33 f. 58 Bemerkungen des Bundesrechnungshofs 2007 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes v. 21.11.2007, BT-Drucks. 16/7100, 40 u. 223 f.

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aber keinen Steuerausfall, sondern ein säumiges Steuererklärungsverhalten sanktionieren will, leuchten diese nicht ein59. Es fragt sich, warum in Erstattungsfällen und bei Null-/Negativfestsetzungen nicht schlicht der Mindestbetrag als Verspätungszuschlag pro angefangenen Monat der Säumnis Anwendung findet. Deshalb hätte auf die Rückausnahme verzichtet werden können. Auch sollen auf vierteljährlich oder monatlich abzugebende Steueranmeldungen sowie auf Lohnsteuer-Jahresanmeldungen gem. § 152 Abs. 8 AO n.F. nicht die Regelungen des § 152 Abs. 5 AO n.F. Anwendung finden, sondern eigenständige Überlegungen zu Dauer, Häufigkeit der Fristversäumnis sowie zur Höhe der Steuer anzustellen sein. Dadurch soll ermöglicht werden, dass seit längerer Zeit zur Bemessung des Verspätungszuschlags eingesetzte und bewährte Computerprogramme weiterhin genutzt werden können60. Um welche Computerprogramme es sich handelt und wie diese ausgestaltet sind, lässt die Regierungsbegründung allerdings im Dunkeln. Die Neuregelung zum Verspätungszuschlag wird erst für nach dem 31.12.2018 einzureichende Steuererklärungen Anwendung finden (s. Art. 97 § 8 Abs. 4 Satz 1 EGAO n.F.). Außerdem gibt Art. 97 § 8 Abs. 4 Satz 4 EGAO dem BMF die Möglichkeit, mit Zustimmung des Bundesrats diesen Zeitpunkt noch weiter hinauszuschieben, wenn sich bis zum 30.6.2018 zeigen sollte, dass die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung der Neuregelung noch nicht erfüllt sind („Technikvorbehaltsklausel“). Dies bedeutet, dass § 152 AO n.F. frühestens für den Veranlagungszeitraum 2018 greifen wird. Für den Veranlagungszeitraum 2017 gelten noch die bisherigen Vorschriften (s.a. Art. 97 § 10a Abs. 4 EGAO n.F.).

V. Fortentwicklung des sog. E-Governments 1. Einbeziehung mitteilungspflichtiger Dritter (§ 93c AO n.F.) Die Funktionsfähigkeit eines vollautomatischen Steuerveranlagungsverfahrens hängt ganz wesentlich davon ab, dass die Finanzverwaltung über einen elektronischen Datenbestand sowohl als Grundlage der Steuerfestsetzung als auch zur Verifikation der vom Steuerpflichtigen erklärten Daten verfügt. Deshalb sind die Mitteilungspflichten für Dritte in 59 Sie sind erst in den Beratungen des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages in das Gesetz gelangt. Eine besondere inhaltliche Begründung geben die Motive (s. BT-Drucks. 18/8434, 113) nicht. 60 So die Regierungsbegründung (Fn. 22), 81.

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den vergangenen Jahren deutlich ausgeweitet worden. Sie finden sich derzeit in den Einzelsteuergesetzen, insbesondere im Einkommensteuergesetz. Beispiele dafür sind Mitteilungen über Vorsorgeaufwendungen i.S. des § 10 Abs. 2, 2a, 4b EStG und Altersvorsorgebeiträge i.S. des § 10a EStG (jeweils mit Einwilligung des Steuerpflichtigen), Rentenbezugsmitteilungen i.S. des § 22a EStG, Lohnersatzleistungen i.S. des § 32b Abs. 1 Nr. 1 EStG, Lohnsteuerbescheinigungen i.S. des § 41b Abs. 1 EStG, Bescheinigungen i.S. des § 43 Abs. 1 Satz 6, Abs. 2 Satz 7 EStG oder Freistellungsaufträge i.S. des § 45d Abs. 1 EStG. Mit Einwilligung des Steuerpflichtigen können auch Zuwendungsempfänger von steuerbegünstigten Spenden i.S. des § 10b EStG die Spendendaten nach Maßgabe des § 93c AO n.F. elektronisch übermitteln (s. § 50 Abs. 2 EStDV). Zukünftig sollen gem. § 65 Abs. 3a EStDV n.F. auch die Daten über die Feststellung einer Behinderung i.S. des § 33b EStG von den Versorgungsämtern elektronisch übermittelt werden. § 93c AO n.F. gibt für diese Mitteilungspflichten nunmehr eine vereinheitlichte Rahmenregelung. Gesetzestechnisch ergibt sich der elektronisch zu übermittelnde Datensatz (sog. eDaten) aber nicht nur aus der Rahmenregel des § 93c Abs. 1 AO n.F. (dem Mantelgesetz), sondern in der Zusammenschau mit den jeweiligen Einzelsteuergesetzen (z.B. EStG, EStDV). Während § 93c Abs. 1 Nr. 2 AO n.F. im Wesentlichen die für die Datenzuordnung erforderlichen Identifikationsmerkmale aufführt, folgen die zu übermittelnden materiellen Besteuerungsgrundlagen bezogen auf den jeweiligen Regelungsbereich aus dem Einzelsteuergesetz. Erst beide Rechtsquellen (§ 93c AO n.F. und Einzelsteuergesetze) zusammen geben ein komplettes Bild über den konkreten Gegenstand und die konkreten Mitteilungspflichten Dritter. Dies erschwert den Überblick, ist aber den unterschiedlichen Regelungsmaterien geschuldet. § 93c Abs. 1 AO n.F. sieht eine Frist zur elektronischen Datenübermittlung innerhalb von zwei Monaten bis zum 28.2./29.2. für den abgelaufenen Besteuerungszeitraum vor und definiert die Mindestanforderungen an den zu übermittelnden Datensatz. Gleichzeitig hat die mitteilungspflichtige Stelle den Steuerpflichtigen darüber zu informieren, welche für seine Besteuerung relevanten Daten sie an die Finanzbehörden übermittelt hat oder übermitteln wird (§ 93c Abs. 1 Nr. 3 AO n.F.). Die Daten sind bis zum siebten auf den Besteuerungszeitraum/-zeitpunkt folgenden Kalenderjahr von dem Dritten zu speichern und aufzubewahren. Innerhalb dieses Zeitraums sind unrichtige Daten ggf. zu korrigieren oder gar zu stornieren (§ 93c Abs. 3 AO n.F.). § 93c Abs. 4 AO n.F. berechtigt 558

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die zuständigen Finanzbehörden, die Einhaltung der Datenerfassung, -übermittlung und -aufbewahrung zu überprüfen und dazu Ermittlungen durchzuführen. § 203a AO n.F. ergänzt, dass dazu grundsätzlich auch eine Außenprüfung bei der mitteilungspflichtigen Stelle durchgeführt werden darf. § 72a Abs. 4 AO n.F. statuiert außerdem einen verschuldensabhängigen Haftungstatbestand für eine mindestens grob fahrlässige Mitteilung unrichtiger oder unvollständiger Daten oder gar unterlassene Datenübermittlung. Die Haftung bezieht sich auf die durch den unrichtigen oder fehlenden Datenbestand entgangene Steuer. Als lex generalis gilt die Regelung des § 93c AO n.F. allerdings nur, soweit sie nicht durch speziellere Vorschriften überlagert wird.

2. Spezielle Korrekturnorm des § 175b AO n.F. § 175b AO n.F. verallgemeinert die bereits zuvor nur für Vorsorgeaufwendungen geltende Regelung des § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass die Mitteilung Dritter mangels eines Verwaltungsakt-Charakters kein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO) ist und damit nicht zur Folgekorrektur nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zwingen kann. § 175b AO hat aber auch nicht die Wirkung, dass die Mitteilung einem Grundlagenbescheid gleichgestellt wird. Die Mitteilung von bisher nicht oder unzureichend berücksichtigten Daten durch Dritte rechtfertigt nur dann nach § 175b Abs. 1 AO n.F. eine Änderung des Steuerbescheides, wenn die bisherige Steuerfestsetzung insoweit materiellrechtlich unzutreffend war. Die ursprüngliche Steuerfestsetzung wird aber nicht bereits durch die Mitteilung des Dritten rechtswidrig. Vielmehr hat die Finanzbehörde von Amts wegen zu prüfen, ob die mitgeteilten Daten zur Fehlerhaftigkeit des Steuerbescheides führen61. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Steuerpflichtige in der Steuererklärung abweichende Angaben gemacht hat (s. § 150 Abs. 7 Satz 2 AO n.F.). Ist dies der Fall, ist er nach § 91 Abs. 1 Satz 2 AO grundsätzlich anzuhören. Ihm ist die Gelegenheit zu geben, zu der Abweichung Stellung zu nehmen. Vermag er substanzielle Zweifel an der Richtigkeit der vom Dritten übermittelten Daten zu begründen, hat die Finanzbehörde eigene Ermittlungen anzustellen und ggf. die mitteilungspflichtige Stelle um die Verifizierung der von ihr gemachten Angaben zu ersuchen. Lässt sich nicht aufklären, ob die von dritter Seite oder vom Steuerpflichtigen erklärten Daten zutreffend sind, finden schließlich die allgemeinen Re61 Seer, StuW 2015, 315, 327.

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geln der Beweislast Anwendung. Danach trägt die Finanzbehörde die objektive Feststellungslast, wenn sich die Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirken würde. Fiele die Änderung dagegen zugunsten des Steuerpflichtigen aus, muss dieser die Folgen des non-liquet tragen. Auch wenn die Mitteilung des Dritten kein Grundlagen-Verwaltungsakt ist, sieht § 171 Abs. 10a AO n.F. eine § 171 Abs. 10 AO nachgebildete Ablaufhemmung vor. Sie gibt der für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörde nach Empfang der Daten zwei Jahre Zeit, die Korrektur i.S. des § 175b AO vorzunehmen.

3. Vorausgefüllte elektronische Steuererklärung Nach § 150 Abs. 7 Satz 2 AO n.F. gelten die von Dritten nach Maßgabe des § 93c AO n.F. übermittelten Daten als Angaben des Steuerpflichtigen, soweit er nicht in dem sog. qualifizierten Freitextfeld (siehe oben III.1.) der Steuererklärung abweichende Angaben macht. Damit werden die von dritter Seite übermittelten Daten zu Angaben des Steuerpflichtigen, soweit er ihnen nicht widerspricht. Diese Regelung ermöglicht zum einen eine automatische Steuerveranlagung. Zum anderen aber können die übermittelten Daten durch Übernahme in die Steuererklärung für eine finanzbehördliche Service-Leistung genutzt werden. Dieses Konzept der vorausgefüllten Steuererklärung soll stufenweise weiter ausgebaut werden62. Dabei sind die angebotenen Eintragungen für die Steuerpflichtigen nach wie vor nicht bindend. Der Steuerpflichtige soll die Eintragungen prüfen, übernehmen oder durch die aus seiner Sicht zutreffenden Daten ersetzen.

4. Elektronischer Steuerbescheid und elektronische Bekanntgabe gem. § 122a AO n.F. Das BestVModG erweitert außerdem die rechtlichen Grundlagen für den Erlass elektronischer Verwaltungsakte. Schon bisher enthielten § 87a Abs. 4, 6 AO a.F. i.V. mit der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung i.d.F. v. 1.11.2011 und § 122 Abs. 2a AO Rechtsgrundlagen für den Erlass elektronischer Verwaltungsakte. Diese stellt das BestVModG auf eine neue Grundlage und unterscheidet bei elektronisch erlassenen Verwaltungsakten zwischen zwei Bekanntgabeformen. Bei der bereits bisher vorhandenen Bekanntgabe i.S. des § 122 Abs. 2a AO ist gem. § 87a Abs. 7 AO 62 Regierungsbegründung (Fn. 22), 51.

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n.F. ein sicheres Verfahren zu verwenden, das die übermittelnde Stelle oder Einrichtung der Finanzverwaltung authentifiziert und die Vertraulichkeit und Integrität des Datensatzes gewährleistet. Als solche Verfahren nennt § 87a Abs. 7 Satz 2 AO n.F. exemplarisch Verfahren mit elektronischer Signatur und besonderer Verschlüsselung sowie das sog. De-Mail-Verfahren. Beide Verfahren setzen allerdings voraus, dass der Adressat des Verwaltungsakts einen entsprechenden Zugang eröffnet hat (z.B. über ELSTER-Plus-, De-Mail-Zugang). Praktisch bedeutsamer wird daher voraussichtlich die neue Bekanntgabe durch Bereitstellung zum Datenabruf gem. § 87a Abs. 8 AO n.F. i.V. mit § 122a AO n.F.63 Der Vorteil der in § 122a AO mit Wirkung v. 1.1.2017 ermöglichten Bekanntgabe von Verwaltungsakten durch Bereitstellung zum Datenabruf liegt darin, dass die Empfänger den Abruf über ELSTER-Online vornehmen können sollen64. Nach § 122a Abs. 2 AO n.F. muss der Beteiligte in dieses Verfahren einwilligen und sich nach Maßgabe des § 87a Abs. 8 AO n.F. authentifizieren. Um das Abrufverfahren möglichst einfach handhabbar zu machen, kann die Benachrichtigung über den Eingang eines elektronischen Verwaltungsakts gem. § 87a Abs. 1 Satz 5 AO n.F. mit einfacher E-Mail (unverschlüsselt) erfolgen. Dies ist datenschutzrechtlich vertretbar, da eine derartige, automationsgestützt veranlasste Benachrichtigung keine besonders schützenswerten Daten beinhaltet und keine Rückschlüsse auf die steuerlichen Verhältnisse des Empfängers der Benachrichtigung zulässt65. § 122a Abs. 4 AO n.F. knüpft an die E-Mail-Benachrichtigung die 3-Tage-Bekanntgabevermutung. Dies entspricht der Konzeption des § 122 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Abs. 2a AO. Die Feststellungslast für den Zugang der E-Mail trägt nach § 122a Abs. 4 Satz 2 AO n.F. die Finanzbehörde. Bleibt ungeklärt, ob die E-Mail den Adressaten innerhalb des 3-Tageszeitraums erreicht hat, gilt der elektronische Verwaltungsakt gem. § 122a Abs. 4 Sätze 3 u. 4 AO n.F. jedenfalls mit einem durchgeführten Datenabruf als bekanntgegeben.

63 Einschätzung von Schmieszek, in Beermann/Gosch, AO/FGO, Kommentar, § 87a AO Rz. 108 (September 2016). 64 Nach Baum, NWB 2016, 2778, 2784 wird das Abrufverfahren aber wohl nicht vor 2019 zur Verfügung stehen. 65 So die Regierungsbegründung (Fn. 22), 64.

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5. Korrektur sog. Übernahmefehler bei vollautomatischen Steuerbescheiden (§ 173a AO n.F.) Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten können nach § 129 AO jederzeit – zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen – berichtigt werden. Dies setzt allerdings voraus, dass sie der Finanzbehörde „beim Erlass“ des Verwaltungsakts unterlaufen sind. Zwar rechnet die ständige Rechtsprechung dazu auch sog. Übernahmefehler, bei denen die Finanzbehörde in der Steuererklärung enthaltene offenbare (als solche ohne Weiteres erkennbare) Unrichtigkeiten übernimmt und sich damit zu Eigen macht66. Dies gilt auch für elektronische Steuererklärungen, die im sog. ELSTER-Verfahren vom Steuerpflichtigen übermittelt werden67. Gleichwohl werden Fälle einer vollautomatischen Steuerveranlagung im Sinne des § 155 Abs. 4 AO n.F. hiervon regelmäßig nicht erfasst sein. Wenn den Steuererklärungen zukünftig keine Belege oder ergänzenden Berechnungen mehr beigefügt sind68, bleiben Widersprüche (zumindest zunächst) unerkannt, so dass sie der Finanzbehörde selbst dann nicht mehr als „offenbare Unrichtigkeit“ zurechenbar sein werden, wenn man in der automatischen Veranlagung die hoheitliche Übernahme von Fehlern sehen will. Um vor diesem Hintergrund gleichwohl zur Korrektur materiell unrichtiger Steuerbescheide (und diesen gleichgestellten Verwaltungsakten, z.B. Feststellungsbescheiden, s. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO) zu gelangen, statuiert § 173a AO n.F. einen neuen Korrekturtatbestand. Auffällig ist, dass § 173a AO n.F. einerseits anders als § 129 AO keinen Ermessenstatbestand enthält, sondern die Finanzbehörde zur Korrektur des Steuerbescheides zwingt. Zwar liegt der Anlass für die Einführung der Norm in der Konzeption der vollautomatischen Steuerbescheide. Jedoch beschränkt sich der Anwendungsbereich des § 173a AO nicht darauf, sondern umfasst auch personell erstellte Steuerbescheide. Andererseits sind die Korrekturanlässe aber auf Schreib- oder Rechenfehler beschränkt und beinhalten keine ähnlichen Unrichtigkeiten. Die Begründung schweigt

66 BFH v. 24.7.1984 – VIII R 304/81, BStBl. II 1984, 785, 786; BFH v. 2.4.1987 – IV R 255/84, BStBl. II 1987, 762, 763; BFH v. 27.5.2009 – X R 47/08, BStBl. II 2009, 946, 947. 67 BFH v. 13.8.2010 – IX B 20/10, BFH/NV 2010, 2232. 68 Ein wichtiger Baustein der automatischen Veranlagung soll der Verzicht auf Belegvorlagepflichten in den Einzelsteuergesetzen sein. An deren Stelle sollen Belegvorhaltepflichten treten, so die Regierungsbegründung (Fn. 22), 52.

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sich über das Motiv für diese Verengung der Norm aus69. Gerade bei den gewünschten elektronischen Steuererklärungen werden „Schreibfehler“ eher selten auftreten; stattdessen werden „Eingabe-“ oder „Übertragungsfehler“ bei Anwendung der von Steuerpflichtigen oder deren steuerlichen Beratern genutzten Computerprogramme die praktischen Anwendungsfälle bilden. Es stellt sich insoweit die Frage, ob diese als „Schreibfehler“ im Sinne des § 173a AO n.F. zu verstehen sind. Eine unterschiedliche Behandlung derartiger mechanischer Fehler lässt sich weder im Hinblick auf § 129 AO noch sachlich begründen70. § 173a AO n.F. ist als echte Korrekturvorschrift, die auf einer Ebene mit Hauptkorrekturnormen wie § 173 AO71 steht, konzipiert worden. Die Vorschrift ist für Steuerbescheide und diesen ausdrücklich gleichgestellten Verwaltungsakten lex specialis zu § 129 AO. Dies bedeutet, dass § 129 AO für alle sonstigen Verwaltungsakte anwendbar bleibt, aber auch für Steuerbescheide (und diesen gleichgestellten) Verwaltungsakten subsidiär gilt, soweit die Spezialnorm des § 173a AO n.F. nicht greift.

VI. Defizite: Vernachlässigung der Rechte der Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren 1. Fortbestehende Mängel bei der Ausgestaltung der verbindlichen Auskunft § 89 Abs. 2 Satz 1 AO legt die Erteilung einer verbindlichen Auskunft in das pflichtgemäße Ermessen (§ 5 AO) der Finanzbehörde. Die Vorschrift nennt keine Ermessenskriterien, sondern bindet das Rechtsfolgeermessen an die Darlegung eines „im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen bestehendes besonderes Interesses“ des Antragstellers. Hat der Steuerpflichtige sein freiheitsgrundrechtlich fundiertes Dispositionsinteresse (= Zusageinteresse) aber durch einen ordnungsgemäßen Antrag dargetan und bestehen keine Anhaltspunkte, dass er die Gebühr i.S. des § 89 Abs. 3 AO nicht zahlen wird, reduziert sich das finanz69 Der Diskussionsentwurf „Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“ des BMF v. 21.11.2014 (abgedruckt im Anhang der DWS-Schrift zum DWS-Symposium 2014, Rz. 79) begründete dies damit, dass ein mechanisches Versehen des Steuerpflichtigen nur schwer aufklärbar und zu beweisen sei. 70 Zutreffend bereits Münch/Sendke, DStZ 2015, 487, 495. 71 Es ist zwischen selbständigen („aktiven“) Hauptkorrekturtatbeständen und dem unselbständigen („passiven“) Saldierungstatbestand des § 177 AO zu unterscheiden; s. Seer, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., 2015, § 21 Rz. 448.

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behördliche Ermessen grundsätzlich auf null im Sinne eines Rechtsanspruchs auf Erteilung einer Auskunft72. Wenn der Anwendungserlass zur AO (AEAO)73 in Rz. 3.4 und 3.5.4 einen qualifiziert zu begründenden schriftlichen Antrag fordert und bestimmte Ablehnungsgründe aufführt, gibt er zu erkennen, dass in den von letzteren nicht erfassten Fällen auf einen ordnungsgemäßen Antrag hin im Regelfall die verbindliche Auskunft zu erteilen ist. Zumindest besteht ein Auskunftsanspruch dann, wenn die Finanzbehörde keinen triftigen Grund für die Ablehnung der verbindlichen Auskunft zu nennen vermag. Obwohl die verbindliche Auskunft gebührenpflichtig ist, sagte das Gesetz bisher nicht, innerhalb welchen Zeitraums die zuständige Finanzbehörde zu entscheiden hat. Da § 89 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO die Zuständigkeit als eine Art Annexzuständigkeit an die für die Endentscheidung (z.B. für den Erlass des Steuerbescheides) bestehende Zuständigkeit knüpfen, ist grundsätzlich jedes einzelne örtliche Finanzamt – unabhängig von ihren personellen und fachlichen Kapazitäten – für die Erteilung der verbindlichen Auskunft zuständig. Übergeordnete Finanzbehörden – OFD/ LfSt oder LMF – sind, da sie für die Verwaltung der Steuern nach § 17 Abs. 2 FVG sachlich unzuständig sind, für die Erteilung einer verbindlichen Auskunft ebenfalls funktional unzuständig74. Sie besitzen kein Selbsteintrittsrecht, sondern können das zuständige (örtliche) Finanzamt nur verwaltungsintern anweisen, ob und wie die verbindliche Auskunft zu erteilen ist. Es bedarf keiner sonderlichen Phantasie, dass die Praxis zwischen den Finanzämtern und Bundesländern angesichts dieser Zuständigkeitszersplitterung höchst unterschiedlich ist. Oftmals sehen sich Finanzämter schlicht außerstande, über einen Antrag auf verbindliche Auskunft (trotz der Zahlung von Gebühren) zu entscheiden. In solchen Fällen fragen sie regelmäßig die nächsthöhere Behörde (OFD/LfSt) an. Auf der Ebene von Mittelbehörden ist die Entscheidungsfreude indessen nicht selten eher gering ausgeprägt, so dass diese ihrerseits bei der obersten Landesfinanzbehörde (LMF) anfragen, wie entschieden werden soll. In schwierigen Fällen kann der in Art. 108 GG vorausgesetzte föderale Verwaltungsaufbau zu einem weitergehenden Abstimmungsbedarf zwischen den Bundesländern und dem Bund (s. Art. 108 Abs. 3 GG: Bun72 Söhn in H/H/Sp, AO/FGO, Kommentar, § 89 AO Rz. 237a (August 2016); Seer, StbJb. 2012/13, 557, 567. 73 AEAO v. 31.1.2014, BStBl. I 2014, 290, 357 ff., zuletzt geändert durch BMF v. 5.9.2016, BStBl. I 2016, 974. 74 Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, § 89 AO Rz. 36 (Januar 2017).

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desauftragsverwaltung bei der ESt, KSt und USt) führen. Es können sich für den Antragsteller aus alledem erhebliche Wartezeiten ergeben, die seinem Dispositionsbedürfnis diametral widersprechen. Ökonomisch sinnvolle Transaktionen, Vermögensübertragungen, Umwandlungen und andere unternehmerische Gestaltungen werden dadurch ggf. zum Nachteil aller Beteiligten auf die „lange Bank geschoben“ oder trotz Antragstellung mit dem vollen steuerlichen Risiko für die Beteiligten belastet. Vor diesem Hintergrund hat § 89 Abs. 2 Satz 4 AO n.F. mit Wirkung vom 1.1.2017 für die Entscheidung über einen Antrag auf verbindliche Auskunft eine 6-Monats-Frist eingeführt. Das Gesetz schweigt sich über die Rechtsfolgen der Fristversäumnis aus. Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags hat in seiner Begründung dazu klargestellt, dass die Fristversäumnis rechtsfolgenlos sein soll75. Das entwertet die Frist in ihrem Kern und macht sie letztlich zu einem „Papiertiger“. Bleibt sogar die Verletzung der finanzbehördlichen Begründungspflicht im Falle der Fristüberschreitung sanktionslos, handelt es sich im Ergebnis nur um eine symbolische Gesetzgebung. Die Frist ähnelt der 6-Monatsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO für die sog. Untätigkeitsklage. Hat das Finanzamt nicht innerhalb von 6 Monaten über einen zulässigen Einspruch entschieden, kann der Einspruchsführer Klage vor dem Finanzgericht erheben, ohne dass das Einspruchsverfahren abgeschlossen worden ist. Es liegt nahe, die 6-Monatsfrist des § 89 Abs. 2 Satz 4 AO n.F. als Maßstab für die Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft, die ein begünstigender Verwaltungsakt ist, zu nehmen. Jedoch setzt § 44 Abs. 1 FGO i.V. mit § 347 Abs. 1 Satz 2 AO nicht nur im Anfechtungsfall (Rechtsschutz gegen einen belastenden Verwaltungsakt), sondern auch im Verpflichtungsfall (Rechtsschutz auf Erteilung eines begünstigenden Verwaltungsakts) zunächst ein Einspruchsverfahren voraus. Danach ist auch dann, wenn die Finanzbehörde über einen vom Steuerpflichtigen gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes nicht binnen angemessener Frist sachlich entscheidet, zunächst ein Einspruch einzulegen. Dies bedeutet, dass sich der Zeitraum, innerhalb dessen der Antragsteller gerichtlichen Rechtsschutz erlangen kann, noch über die 6-Monatsfrist hinaus nach hinten verschiebt. Nicht nur vor diesem Hintergrund wird dem Antragsteller ein wirksamer Rechtsschutz praktisch verweigert. Die Rechtsprechung des BFH

75 BT-Drucks. 18/8434, 109.

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gibt dem Antragsteller nur einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Auskunft („ob“ der Auskunft), nicht aber auf Erteilung einer Auskunft mit einem ganz bestimmten rechtmäßigen Inhalt („wie“ der Auskunft)76. Er soll sich zwar gegen eine Nicht- oder Negativauskunft mit der Verpflichtungsklage wehren können. Dabei beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung aber auf eine bloße Evidenzkontrolle dahingehend, ob die Finanzbehörde den Sachverhalt zutreffend erfasst und die rechtliche Würdigung schlüssig bzw. nicht evident rechtsfehlerhaft ist. Die Rechtsprechung möchte damit offenbar vermeiden, dass sich der materiellrechtliche Streit vom eigentlichen Steuerfestsetzungsverfahren in das Auskunftsverfahren vorverlagert. Dazu nimmt sie in Kauf, dass der Antragsteller einer verbindlichen Auskunft im Ergebnis auf die Kooperationsbereitschaft der Finanzbehörde angewiesen ist und sein legitimes Interesse auf Steuerplanungssicherheit gegen den Willen der Finanzbehörde trotz der belastenden Gebührenpflicht faktisch nicht wirksam durchsetzen kann. Diese Situation ändert das BestVModG leider nicht und bleibt unbefriedigend77. Nach wie vor fehlt es an einem klaren Rechtsanspruch des Antragstellers auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft. Vielmehr übt die Verwaltungspraxis das ihr durch § 89 Abs. 2 Satz 1 AO eingeräumte Ermessen aufgrund der in AEAO Nr. 3.5.4 niedergelegten standardisierten Ablehnungsgründe in zu weitreichender und damit ermessenfehlerhafter Weise aus. Sie klammert das in der Praxis so bedeutsame Ungewissheitspotential verdeckter Gewinnausschüttungen und verdeckter Einlagen (Maßstab des „ordentlichen Geschäftsführers“) vom Dispositionsschutz aus, obwohl es in diesen Fällen nicht darum geht, „Steuersparmodelle“ auszuloten, sondern legitimerweise freiheitswahrende Planungssicherheit zu erlangen. Ebenfalls nicht zu überzeugen vermag der Vorbehalt bevorstehender gesetzlicher Regelungen bzw. richterlicher Entscheidungen, da auch in diesen Fällen ein Zustand gesteigerter Rechtsunsicherheit besteht, so dass der Steuerpflichtige sogar ein besonders ausgeprägtes Zusageinteresse besitzt, das einen Verweis auf die bevorstehende Klärung 76 BFH v. 29.2.2012 – IX R 11/11, BStBl. II 2012, 651, 652 f., Rz. 15 ff.; BFH v. 27.2.2014 – VI R 23/13, BStBl. II 2014, 894, 895 f., Rz. 12 f.; BFH v. 5.6.2014 – VI R 90/13, BStBl. II 2015, 48, Rz. 15 f.; BFH v. 14.7.2015 – VIII R 72/13, n.v., Rz. 26 f. 77 Die Kritik findet sich aufbereitet bei Krumm, DStR 2011, 2429, 2431 ff.; Bergan/Martin, DStR 2012, 2164, 2165 f.; außerdem in den instruktiven Folgeaufsätzen von Werder/Dannecker, BB 2013, 284, 286 ff.; BB 2014, 926, 929 f.; BB 2015, 1687, 1688 f.

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der Rechtsfrage nur dann als gerechtfertigt erscheinen lässt, wenn es dem Antragsteller zumutbar ist, seine schutzwürdigen Dispositionen bis dahin zurückzustellen. Gänzlich verfehlt ist der Vorbehalt einer bald zu erwartenden Verwaltungsanweisung, weil sie zu einer nahezu beliebigen (ablehnenden) Ermessensausübung unter dem Vorwand für den Steuerpflichtigen nicht transparenter, verwaltungsinterner Vorgänge einlädt. Ein weiteres Problem bildet die derzeitige Handhabung der (gebührenpflichtigen) Ablehnung eines Antrags. Die von der Rechtsprechung78 gebilligte und in AEAO Nr. 4.1.2 Satz 3 niedergelegte Verwaltungsauffassung, wonach u.a. auch bei Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft grundsätzlich (Bearbeitungs-)Gebühren zu entrichten sind, deren Höhe sich gleichwohl am Gegenstandswert orientieren darf, ist kritikwürdig. Denn hier greift der Vorteilsausgleichsgedanke79 nicht, weil der Antragsteller aus dem Ablehnungsbescheid gerade keinen Nutzen ziehen kann, so dass eine Gebühr sich lediglich zum Zweck des Verwaltungskostenausgleichs (schlichte Bearbeitungsgebühr) rechtfertigen lässt80.

2. Rechtsanspruch auf verbindliche Auskunft zugunsten von Steuerentrichtungspflichtigen Verlangt der mit einem rein hoheitlichen Steuervollzug überforderte Staat von Bürgern, Unternehmern und Steuerberatern eine weitgehende Selbstregulierung der Besteuerung, muss er für sie auch Bedingungen schaffen, die ihnen dies möglichst einfach macht. Den richtigen Grundgedanken enthält § 42e EStG für die Lohnsteuer. Danach hat das Betriebsstättenfinanzamt auf Anfrage eines Beteiligten darüber Auskunft zu geben, ob und inwieweit im einzelnen Fall die Vorschriften über die Lohnsteuer anzuwenden sind. Die Anrufungsauskunft kompensiert in gewissem Umfang das verschuldensunabhängige Haftungsrisiko des für die Lohnsteuer zwangsverpflichteten Arbeitgebers. Der Arbeitgeber darf auf den Inhalt einer erteilten Auskunft vertrauen. Hält er sich daran, ist seine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner ermessensfehlerhaft81.

78 79 80 81

Hessisches FG, Urteil v. 6.7.2011 – 4 K 3139/09, EFG 2011, 1938. Siehe BFH v. 30.3.2011 – I R 61/10, BStBl. II 2011, 536, Rz. 12 ff. Wie hier Horst, Die verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO, 2010, 169. BFH v. 16.11.2005 – VI R 23/02, BStBl. II 2006, 210; BFH v. 17.10.2013 – VI R 44/12, BStBl. II 2014, 892, 894, Rz. 12 ff.

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Problematisch ist der Fall, wenn sich das angerufene Betriebsstättenfinanzamt nicht verbindlich äußert. Immerhin gibt ihm die neuere Rechtsprechung des BFH einen im Wege der Verpflichtungsklage durchsetzbaren Anspruch auf inhaltliche Auskunftserteilung82. Der Gesetzgeber hätte aber eine Frist in das Gesetz aufnehmen sollen, innerhalb derer eine inhaltliche Auskunft zu erteilen ist, wenn die Finanzbehörde ihr Recht auf Inanspruchnahme des Arbeitgebers nicht verlieren will. Bleibt die Antwort der Finanzbehörde aus, muss der Steuerpflichtige ohne negative Haftungskonsequenzen die von ihm für vertretbar gehaltene lohnsteuerliche Behandlung vornehmen können. Im Übrigen greift die Lohnsteueranrufungsauskunft in ihrer Reichweite zu kurz. Das Bedürfnis nach Absicherung des Steuerentrichtungspflichtigen besteht nicht nur bei der Lohnsteuer, sondern auch bei der Kapitalertragsteuer, Bauabzugssteuer und anderen Quellensteuern. Insoweit soll nach Auffassung des Bundesfinanzministeriums aber nur die allgemeine gebührenpflichtige Regelung des § 89 Abs. 2 AO über die verbindliche Auskunft greifen83. Diese Unterscheidung verletzt den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Nimmt der Staat Privatpersonen/Unternehmen als „verlängerte Arme der Finanzverwaltung“ ohne jeglichen Kostenersatz für die fiskalischen Zwecke des Quellensteuerabzugs in Anspruch, müssen die staatlichen Finanzbehörden diesen die notwendigen Auskünfte, die zum ordnungsmäßigen Steuereinbehalt erforderlich sind, zur Vermeidung von Haftungsrisiken auch kostenlos erteilen. Unter diesem Aspekt ist eine Gebührenpflicht auch im Bereich der Umsatzsteuer, wo der Unternehmer materiell nur als „Steuereinsammler“ des Staates fungiert, überschießend und deplatziert. Für den Unternehmer ist vielmehr ebenfalls ein Institut der Umsatzsteueranrufungsauskunft einzurichten, um die dort sich kurzfristig ergebenden und bedeutsamen Fragen zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Geschäftsvorfällen einer zeitnahen verbindlichen Klärung zuführen zu können. Denn im Bereich der Umsatzsteuer handelt es sich um ein den Mittelstand betreffendes, alltägliches Problem, bei dem Schwierigkeiten und Zweifelsfragen bzgl. der steuerlichen Würdigung in kaum geringerem Maße auftreten als im Falle der Lohnsteuer. Insbesondere die Beur82 BFH v. 30.4.2009 – VI R 54/07, BStBl. II 2010, 996, 998 f.; BFH v. 27.2.2014 – VI R 23/13, BStBl. II 2014, 894, 895 f., Rz. 14–16. 83 Der Anwendungserlass zur AO v. 31.1.2014, BStBl. I 2014, 290, 358 ff., Rz. 4.1.4, nimmt neben der verbindlichen Zusage nach § 204 AO nur die Lohnsteueranrufungsauskunft nach § 42e EStG von der Gebührenpflicht aus.

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teilung des Leistungs- oder Lieferorts (§§ 3–3g UStG), der zahlreichen Steuerbefreiungen (§ 4 UStG), aber auch die Anwendung des richtigen Steuersatzes (§ 12 UStG) können hier erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie steht einer solchen ServiceLeistung des Staates nicht entgegen. Anders als im Rahmen der Lohnsteuer ist der Unternehmer hier nicht bloßer Haftungsschuldner, sondern zumindest im technischen Sinne sogar Steuerschuldner84. Dies ändert an meinem Petitum nichts; ganz im Gegenteil! Die bisher auch im Bereich der Umsatzsteuer praktizierte Möglichkeit einer verbindlichen Auskunft genügt nicht. Sie erweist sich in vielen Bereichen als untauglich, was sich für die Umsatzsteuer umso stärker auswirkt, als hier im Ergebnis nur eine indirekte Steuerschuldnerschaft des Unternehmers vorliegt. Der Unternehmer übt eine Steuereinsammlerfunktion für den Fiskus aus, die hohe administrative Kosten verursacht. Wird er aber dergestalt vom Staat instrumentalisiert, um dessen fiskalische Interessen zu befriedigen, besteht ebenso wie beim Lohnsteuereinbehalt durch Arbeitgeber ein dringendes Interesse daran, eine verbindliche Mitteilung über die richtige Behandlung umsatzsteuerlich zweifelhafter Fragen von der Finanzbehörde zeitnah und kostenfrei zu erhalten. Das Schuldnerrisiko des Unternehmers wird in schwer kalkulierbaren Umsatzsteuerfragen durch ein nicht nur theoretisches steuerstrafrechtliches Risiko85 weiter erhöht. Hinzu tritt noch ein ganz handfestes wirtschaftliches Risiko. Eine einmal in einer Leistungsbeziehung zu niedrig oder gar nicht berechnete Umsatzsteuer erzeugt Folgeprobleme für die gesamte Leistungskette. Denn Nachforderungsmöglichkeiten sind dem Unternehmer in der Regel nicht gegeben; dies erst recht nicht im internationalen Leistungsverkehr. Er bleibt mithin auf etwaigen Nachforderungen des Finanzamtes sitzen, muss diese also aus eigener Tasche bezahlen. Wird der selbstregulierende Steuervollzug auch auf die direkten Veranlagungssteuern ausgedehnt, verlangt die Kooperationsmaxime dort ebenfalls nach einem Rechtsanspruch auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft in Zweifelsfragen. Wenn sich für die Finanzverwaltung im Zuge von automatischen Veranlagungen im selbstregulierenden Steuervollzug der belastende Veranlagungsaufwand deutlich mindert, ist das bisher für die lediglich im Ermessen der Behörde stehende verbindliche 84 Hierzu Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., 2015, § 17 Rz. 31 f. 85 Vgl. im Einzelnen Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 370 AO Rz. 351 ff.

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Auskunft angeführte „Überforderungsargument“ endgültig hinfällig geworden. Dies vor allem dann, wenn die AO – wie vorliegend – an der Gebührenpflicht der Auskunft unbeeindruckt festhält. Fordert der Staat von Bürger und Unternehmen Kooperation, muss er ihnen umgekehrt auch eine tragfähige Steuerplanungssicherheit geben.

3. Datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch und Akteneinsicht Der Diskussionsentwurf zum Modernisierungsgesetz sah noch einen erweiterten Zugriff des Steuerpflichtigen auf die zu seiner Person gespeicherten Daten vor. Mit datenschutzrechtlichen Fragen hat sich das BestVModG unter Hinweis auf parallele Beratungen auf Unionsebene zur sog. Datenschutz-Grundverordnung bewusst nicht befasst86. Anachronistisch mutet es an, dass die AO nach wie vor keinen Rechtsanspruch auf Einsicht in die eigene (heute digitale) Steuerakte vorsieht87. Die vorgebrachten Argumente des Steuergeheimnisses Dritter und eines ggf. entgegenstehenden besonderen Ermittlungsinteresses der Finanzbehörde sind nicht stichhaltig88. Daraus könnten sich allenfalls besonders begründungsbedürftige Ausnahmetatbestände oder Beschränkungen des Informations- und Akteneinsichtsrechts des Steuerpflichtigen im Einzelfall ergeben. Für den Regelfall jedenfalls besteht – entgegen der bisherigen Rechtsprechung und h.M. – ein Rechtsanspruch. Einen einleuchtenden Grund für eine unterschiedliche Behandlung zum sonstigen Verwaltungsverfahrensrecht (s. § 29 VwVfG) erschließt sich mir nicht. Parallel zum Erlass der EU-DatenschutzgrundVO sollte der Gesetzgeber die AO nachbessern, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Diese bestehen sowieso schon seit geraumer Zeit im Hinblick auf die Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und nicht weniger Länder89.

4. Abkehr von einer kapitalmarktfernen Verzinsung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis Neben dieser Stärkung der Bürgerrechte im Besteuerungsverfahren ist es überfällig, die m.E. verfassungswidrige90 kapitalmarktunabhängige Ver86 So die Regierungsbegründung (Fn. 22), 47 f. 87 Zur Erteilung von Auskünften über gespeicherte, personenbezogene Daten s. BMF v. 17.12.2008, BStBl. I 2009, 6. 88 Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91 Rz. 27 (August 2013). 89 Siehe Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91 AO Rz. 28 ff. (August 2013). 90 Seer, DB 2014, 1945.

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zinsung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis zu beseitigen. An die Stelle des kapitalmarktfremden Zinssatzes von 0,5 % p.m. sollte variabel an den Basiszins im Sinne des § 247 BGB angeknüpft werden. Einer Zinsarbitrage wäre durch eine Differenzierung zwischen Nachzahlungs- und Erstattungszins entgegenzuwirken, die sich an kurzfristigen Ausleihungen bzw. Einlagen orientiert. Gleichzeitig muss aber die jederzeitige Zahlung auf ein Steuerkonto des Steuerpflichtigen möglich sein, um die Erhebung von Nachzahlungszinsen zu vermeiden. Zudem ist die in § 233a AO enthaltene, verkomplizierende Differenzierung zwischen Soll- und Ist-Verzinsung zugunsten einer konsequenten Ist-Verzinsung, die bereits mit der Steuerentstehung beginnt, aufzugeben. In einem Steuerkontokorrent ließen sich Nachzahlungs- und Erstattungsansprüche zusammenführen, um nur den verbleibenden Saldo einer bestimmten Zeitstrecke jeweils nach Nachzahlungs- oder Erstattungszinsgrundsätzen zu verzinsen. Mit dieser Reform könnte die Unterscheidung zwischen Vollverzinsung, Stundungs-, Aussetzungs- und Prozesszinsen entfallen; der Säumniszuschlag könnte auf seine eigentliche Druckfunktion zurückgeführt werden. Es besteht auch nach Inkrafttreten des BestVModG zum 1.1.2017 noch ein greifbares Bedürfnis nach einer umfassenderen Reform der Abgabenordnung.91

91 Die einzelnen reformbedürftigen Bereiche sind aufgelistet bei Seer, StuW 2015, 315, 329 f.

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Die neue Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds ab dem 1. Januar 2018 und die Übergangsregelungen Alexander Hagen Rechtsanwalt, Steuerberater, Eschborn Regierungsdirektor Friedbert Lang OFD Karlsruhe Inhaltsübersicht I. Überblick über die Reform und ihre Gründe 1. Gründe für die Steuerreform 2. Die bisherige Besteuerung nach dem Transparenzprinzip 3. Wesentliche Änderungen durch die Reform II. Die neue Besteuerung von Investmentfonds und ihrer (inländischen) Anleger ab 2018 1. Begriff des Investmentfonds 2. Besteuerung auf Fondsebene 2.1 Steuerpflichtige Einkünfte und Erhebung 2.2 Berücksichtigung von Steuerbefreiungen von Anlegern 2.3 Berücksichtigung von Verlusten auf Fondsebene 3. Besteuerung der Anleger 3.1 Grundsatz 3.2 Die steuerpflichtigen Investmenterträge 3.2.1 Grundsatz 3.2.2 Ausschüttungen

3.2.3 Die Vorabpauschale (§ 18 InvStG n.F.) 3.2.4 Veräußerungsgewinne (§ 19 InvStG n.F.) 3.3 Die Teilfreistellungen (§ 20 InvStG n.F.) 3.3.1 Grundsatz 3.3.2 Einzelfragen zur Teilfreistellung 4. Belastungsvergleiche III. Übergangsvorschriften 1. Fondsebene 2. Zurechnung der Erträge auf Anlegerebene in der Übergangszeit 2017 und 2018 3. Veräußerung auf Anlegerebene zum 31.12.2017/1.1.2018 3.1 Grundsatz 3.2 Sonderregelung für vor 2009 angeschaffte Investmentanteile IV. Resümee

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I. Überblick über die Reform und ihre Gründe 1. Gründe für die Steuerreform Mit der Neufassung des Investmentsteuergesetzes (InvStG)1 soll ein wesentlich einfacheres, leicht administrierbares und gestaltungssicheres intransparentes Steuersystem für Publikums-Investmentfondsfonds2 geschaffen werden, das das bisherige „(Semi-)Transparenzprinzip“ ersetzt.3 Ausweislich der Gesetzesbegründung waren die folgenden Gründe Anlass für diese Investmentsteuerreform: Die bisherigen Besteuerungsregeln für Investmentfonds und ihrer Anleger sind nach Auffassung der Finanzverwaltung in hohem Maße anfällig für missbräuchliche Gestaltungen bzw. führen zu steuerlichen Ergebnissen, die die Finanzverwaltung als nicht wünschenswert ansah. Außerdem bestanden Bedenken im Hinblick auf eine eventuelle Europarechtswidrigkeit des bisher geltenden Rechts.4 Diese gründen sich vor allem auf die unterschiedliche Besteuerung inländischer Dividenden auf der Fondseingangsseite bei inländischen und ausländischen Investmentfonds. Im Übrigen ist das bisherige Investmentsteuerrecht von einer erheblichen Komplexität mit klarer Tendenz nach oben geprägt. Mit der Reform soll deshalb auch administrativer Aufwand abgebaut werden. Auch sollen „Systemfehler“ des geltenden Rechts abgebaut werden. So wurde die Regelung, dass eventuell später notwendige Korrekturen der im Bundesanzeiger veröffentlichten Besteuerungsgrundlagen von den Anlegern des Investmentfonds im Jahr, in dem die Korrektur vorgenom-

1 Investmentsteuerreformgesetz v. 19.7.2016, BGBl. I, 1730. 2 Zukünftig unterscheidet das Gesetz nur zwischen Investmentfonds und Spezial-Investmentfonds. Investmentfonds sind dabei alle in- und ausländischen UCITS und AIF, die ab dem 1.1.2018 in den Anwendungsbereich des Investmentsteuergesetzes fallen und nicht die Voraussetzungen an einen Spezial-Investmentfonds nach § 26 InvStG n.F. erfüllen. Dieser Beitrag fokussiert sich auf das für Investmentfonds ab 1.1.2018 geltende neue Besteuerungsregime sowie die entsprechenden gesetzlichen Übergangsvorschriften, da es für SpezialInvestmentfonds, wenn auch je nach Regelung in stark modifizierter Form, bei der Besteuerung nach dem Transparenzprinzip bleibt. 3 Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/8045, 1. 4 Siehe hierzu Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2015, allgemeine Finanzverwaltung Nr. 9 v. 20.4.2016.

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds

men wurde, zu tragen sind bzw. diesen zugutekommen, als nicht sachgerecht angesehen.

2. Die bisherige Besteuerung nach dem Transparenzprinzip Das bisherige System ist von einer semi-transparenten Besteuerung („Transparenzprinzip“) geprägt. Auf Anlegerebene (d.h. der Fondsausgangsseite) erfolgt – je nach Anlegertyp – eine Besteuerung auf Grund zu ermittelnder täglicher Kennzahlen (z.B. Zwischengewinn, Aktiengewinn und Immobiliengewinn) und der im Bundesanzeiger zu veröffentlichenden jährlichen Besteuerungsgrundlagen nach § 5 InvStG. Dem Grundsatz nach soll dabei eine Besteuerung der Anleger erfolgen, die einer Besteuerung bei einer Direktanlange gleichsteht. Diese „Gleichstellung“ gilt aber nur soweit, wie dies in den entsprechenden Vorschriften des Investmentsteuergesetzes ausdrücklich vorgesehen ist. So werden zum Beispiel insbesondere die derzeit für die inländischen Anleger relevanten jährlichen Besteuerungsgrundlagen nach den in § 3 InvStG vorgesehen Regelungen ermittelt, die im Wesentlichen die bei Privatanlegern anwendbaren Vorschriften der Einnahme-Überschuss-Rechnung widerspiegeln. Deren Anwendung gilt grundsätzlich unabhängig von der „Buchhaltung“ des Investmentfonds und der steuerlichen Situation der Anleger des Investmentfonds. Insofern kommen somit indirekt auch für betriebliche und institutionelle Anleger die Ermittlungsregelungen für Privatanleger bei einer indirekten Anlage über einen Investmentfonds zur Anwendung. Diese Unterschiede zwischen Direktanlage und Anlage über einen Investmentfonds führten in der Vergangenheit daher systembedingt für bestimmte Anlegergruppen teilweise zu steuerlichen Ergebnissen, die stark von denen bei einer Direktanlage abgewichen sind und den Gesetzgeber immer wieder zu Nachbesserungen veranlassten, um nicht gewollte steuerliche Ergebnisse zu unterbinden.5 Im Gegenzug gilt auf Ebene der inländischen Investmentfonds selbst (d.h. der Fondseingangsseite) derzeit grundsätzlich eine Steuerbefreiung hinsichtlich der erzielten Einkünfte, da diese auf Grund des Transparenzprinzips nur auf Ebene der in- und ausländischen Anleger versteuert werden sollen.6 Ausländische Investmentfonds unterliegen demgegenüber – ab5 Vgl. z.B. die Einführung des § 3 Abs. 1a InvStG im Hinblick auf das sog. „Bondstripping“. 6 Bei ausländischen Einkünften kann es allerdings durchaus zu einer Belastung auf der Eingangsseite des (inländischen) Investmentfonds kommen, die dann

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hängig von der Rechtsform – mit ihren inländischen Erträgen einer beschränkten Steuerpflicht nach § 49 EStG. Eine vollständige „Transparenz“ wie bei Personengesellschaften tritt allerdings nicht ein. Grundsätzlich kann z.B. eine Steuerpause für auf Ebene des Investmentfonds erzielte Veräußerungsgewinne (mit Ausnahme von Veräußerungsgewinnen aus bestimmten Schuldverschreibungen) erzielt werden. Dafür müssen aber umfangreiche Veröffentlichungs- und Reportingpflichten nach § 5 (und ggf. § 13) InvStG erfüllt werden. Ansonsten greift eine intransparente Besteuerung mit einer hohen pauschalen Bemessungsgrundlage ein (§ 6 InvStG in der bisherigen Fassung). Dadurch kann auch eine Substanzbesteuerung eintreten, die – je nach Situation des Anlegers – auch dauerhaft sein. Eine Lockerung ist insoweit allerdings durch die EuGH-Rechtsprechung eingetreten, die mittlerweile auch durch Einführung des § 6 Abs. 2 InvStG im Investmentsteuergesetz nachvollzogen wurde.7

3. Wesentliche Änderungen durch die Reform Die o.g. Ziele der Investmentsteuerreform sollen für Investmentfonds und deren Anleger vor allem mit der Einführung einer Körperschaftsteuerpflicht (und im Einzelfall gegebenenfalls einer punktuellen Gewerbesteuerpflicht) auch für inländische Investmentfonds, die im Wesentlichen der derzeit für ausländische Investmentfonds geltenden beschränkten Steuerpflicht entspricht sowie einer einfachen Cash-FlowBesteuerung mit zusätzlicher Vorabpauschale auf Ebene der Anleger erreicht werden.8 Das bisherige „Transparenzprinzip“ wird abgeschafft.

im Rahmen des § 4 InvStG dem Anleger „weitergegeben“ werden können, soweit dem Investmentfonds nicht eine (vollständige) Erstattung nach einem Doppelbesteuerungsabkommen zusteht. 7 Vgl. EuGH, Urt. v. 9.10.2014 – Rs. C-326/12, FR 2014, 1100; zur Anwendung der EuGH-Rechtsprechung in Drittstaatenfällen vgl. BFH, Urt. v. 17.11.2015 – VIII R 27/12, BStBl. II 2016, 539. Zur Anwendung vgl. BMF v. 28.7.2015, BStBl. I 2015, 610. 8 Für Spezial-Investmentfonds bleibt es dagegen grundsätzlich beim bisherigen Transparenzprinzip mit gewissen Modifikationen, um ungewollte Steuereffekte zu unterbinden. Da sich bei Spezial-Investmentfonds zwar nicht das Grundkonzept, aber die Berechnungsregeln ändern, plant der Gesetzgeber spezielle Übergangsvorschriften insbesondere hinsichtlich der nach bisherigem Recht ermittelten Verluste und Vorträge auf Ebene der Spezial-Investmentfonds, vgl. § 56 Abs. 8 und 9 InvStG in der Fassung des „Gesetzes zur Bekämpfung der

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Auch das derzeitige (erst Ende 2013 eingeführte) Besteuerungsregime für in- und ausländische „Sondervermögen“ und Kapitalgesellschaften, die nicht die derzeitigen Voraussetzungen zur Anwendung des semi-transparenten Fondsbesteuerungsregimes erfüllen (sog. Kapital-Investitionsgesellschaften nach § 19 InvStG), und deren inländische Anteilseigner wird wieder abgeschafft. Die Kapital-Investitionsgesellschaften gelten zukünftig auch als Investmentfonds, die dem neuen „intransparenten“ Besteuerungsregime unterfallen. In der Übergangsphase vom alten zum neuen Besteuerungsregime erfolgt auf Anlegerebene eine fiktive Veräußerung aller vorhandenen Fondsanteile zum 31. Dezember 2017. Ein dabei entstehender „Veräußerungsgewinn“ ist allerdings erst bei einem späteren tatsächlichen Verkauf zu versteuern. Für Privatanleger, die ihre Fondsanteile vor dem 1. Januar 2009 erworben haben (= „Startzeitpunkt“ der Abgeltungsteuer) und deren Anteile bestandsgeschützt sind, endet der Bestandsschutz zum 31.12.2017. Wertveränderungen für solche Anteile werden also ab dem 1. Januar 2018 steuerrelevant. Diese künftige Steuerpflicht wird allerdings durch einen Freibetrag von 100 000 Euro abgemildert, den der Gesetzgeber im Hinblick auf eine Verfassungsmäßigkeit der Abschaffung des Bestandsschutzes als ausreichend ansieht.9

II. Die neue Besteuerung von Investmentfonds und ihrer (inländischen) Anleger ab 2018 1. Begriff des Investmentfonds Ausgangspunkt für die Anwendung des InvStG ist das Vorliegen eines Investmentfonds. Dies sind nach § 1 Abs. 1 InvStG n.F. zunächst sämtliche Anlagevehikel, welche die Anforderungen an ein Investmentvermögen i.S.d. Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) erfüllen. Investmentfonds sind danach im Grundsatz sämtliche –

Organismen für gemeinsame Anlage in übertragbare Wertpapiere (OGAW) sowie



alternative Investmentfonds (AIF).

Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“, vgl. BR-Drs. 365/17 v. 12.5.2017. 9 Vgl. Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/8045, 126.

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Lediglich Personengesellschaften unterfallen nicht dieser Begriffsdefinition, soweit es sich bei ihnen nicht ausnahmsweise um OGAW im o.g. Sinne oder um Altersvorsorgevermögensfonds handelt. Daher unterfallen Personen-Investitionsgesellschaften nach § 18 InvStG ab dem 1. Januar 2018 nicht mehr den Regeln des InvStG. Die betreffenden Auswirkungen dürften aber eher gering sein, da die derzeitigen Regelungen zu PersonenInvestitionsgesellschaften bereits auf die allgemeinen Regelungen verweisen.10 Der Gesetzgeber hat zugleich die bisherigen Anlagebedingungen des § 1 Abs. 1b InvStG für Investmentfonds abgeschafft, diese sind in etwas modifizierter Form nur noch für Spezial-Investmentfonds relevant (§ 26 InvStG n.F.). Als Folge gelten ab dem 1. Januar 2018 auch z.B. Private Equity Fonds in der Form einer ausländischen Kapitalgesellschaft, die derzeit im Regelfall als Kapital-Investitionsgesellschaft nach § 19 InvStG anzusehen sein sollten, zukünftig als Investmentfonds, die dem neuen Besteuerungsregime unterfallen. Es ist ersichtlich, dass es sich bei der neuen Definition des „Investmentfonds“ um eine sehr weite Definition handelt, da grundsätzlich zunächst alle OGAWs und AIFs in den Anwendungsbereich des neuen Besteuerungsregimes fallen. In § 1 Abs. 2 InvStG n.F. wird dieser Anwendungsbereich anschließend noch um bestimmte weitere Fallkonstellationen erweitert, die insbesondere bei Beschränkung auf einen Anleger eingreifen können. Danach gibt es auch „fiktive“ Investmentfonds –

bei Begrenzung der Anlegerzahl auf einen Anleger sowie bei



Kapitalgesellschaften, denen eine operative unternehmerische Tätigkeit untersagt ist und die keiner Ertragsbesteuerung unterliegen oder von ihr befreit sind.11

Im Gegenzug werden in § 1 Abs. 3 InvStG n.F. bestimmte Vehikel wieder von der Investmentfondsdefinition ausgenommen, z.B. REIT-Aktien10 Zu offenen Fragen hinsichtlich der Auswirkungen auf Personengesellschaften mit haftungs- und vermögensrechtlich getrennten Teilfonds, vgl. Stadler/ Bindl, DStR 2016, 1953, 1954. 11 Hier dachte der Gesetzgeber v.a. an Kapitalanlagevehikel wie die Luxemburger Verwaltungsgesellschaft für Familienvermögen SPF, vgl. Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 18/8045, 67; Details sollen in einem BMF-Schreiben geregelt werden, vgl. Rz. 7 ff. des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017.

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gesellschaften nach dem REIT-Gesetz. Dies ist zu begrüßen, da es ansonsten zu Fragen des Vorrangs der Anwendung von Gesetzen gekommen wäre. Leider nicht explizit in den Ausnahmekatalog aufgenommen wurde die Anregung der Finanzindustrie, dass insbesondere Zertifikate nicht in den Anwendungsbereich fallen, obwohl dies der Gesetzgeber offenbar genauso sieht.12 So verbleiben nach dem Gesetzeswortlaut zumindest bei gewissen Schuldverschreibungen Rechtsunsicherheiten. Daher sind die im Wege eines BMF-Schreibens geplanten Klarstellungen, insbesondere dass Vermögensverwaltungsmandate und die Kapitalhingabe zum Erwerb von Schuldverschreibungen, z.B. bei Zertifikaten, keine Investmentvermögen darstellen, aus Sicht der Praxis sehr zu begrüßen.13

2. Besteuerung auf Fondsebene 2.1 Steuerpflichtige Einkünfte und Erhebung Mit der Investmentsteuerreform wird im Grunde eine Steuerpflicht für inländische Investmentfonds eingeführt, die für ausländische Investmentfonds, je nach Rechtsform, schon bisher vorhanden ist. Der Umfang der Steuerpflicht orientiert sich grundsätzlich an der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 EStG und will damit für eine Gleichbehandlung inund ausländischer Fonds sorgen. In- und ausländische Investmentfonds unterliegen deshalb nach § 6 Abs. 2 InvStG n.F. künftig gleichermaßen der Körperschaftsteuer mit: –

Inländischen Beteiligungseinnahmen nach § 6 Abs. 3 InvStG n.F. (ohne Berücksichtigung von Werbungskosten; vgl. § 6 Abs. 7 Satz 3 InvStG n.F.); dies sind insbesondere inländische Dividenden, aber auch bestimmte erhaltene Entgelte (z.B. Kompensationszahlungen) unter getätigten Wertpapierdarlehen;



Inländischen Immobilienerträgen;



Sonstigen inländischen Einkünften i.S.d. § 49 Abs. 1 EStG (allerdings mit Ausnahme von Veräußerungsgewinnen i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG, d.h. mit Ausnahme von inländischen Aktien und ähnlichen inländischen Eigenkapitalbeteiligungen).

12 Vgl. Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/8045, 66 und 67; zur derzeitigen Rechtslage, vgl. Hagen/Groseta/Schilling/Jenett in Baur/Tappen, § 1 Abs. 1–2a InvStG, Rz. 26 f. 13 Vgl. Rz. 3 ff. des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017.

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Der Hintergrund hierfür ist, dass mit der Gleichstellung insbesondere bei der Besteuerung inländischer Dividenden europarechtlichen Bedenken ein Ende gesetzt werden soll. Unter Umständen fällt punktuell zusätzlich Gewerbesteuer an (vgl. dazu § 15 InvStG n.F.), wenn der Investmentfonds einen inländischen Gewerbebetrieb unterhält (z.B. bei der Bewirtschaftung von inländischen Immobilien). I.d.R. wird dies jedoch nicht der Fall sein.14 Bei Einkünften, die nach § 6 Abs. 3 InvStG n.F. (insbesondere inländische Dividenden) dem Kapitalertragsteuerabzug unterliegen, erfolgt eine Bruttobesteuerung. Die Kapitalertragsteuer beträgt 15 % einschließlich Solidaritätszuschlag auf der Eingangsseite des Investmentfonds (§ 7 Abs. 1 InvStG n.F.). Diese Kapitalertragsteuer hat abgeltende Wirkung (§ 7 Abs. 2 InvStG n.F.). Bei dem Steuersatz von 15 % handelt es sich um die Standardbelastung, die nach den von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) üblicherweise vom Quellenstaat (also dem Ansässigkeitsstaat der ausschüttenden Gesellschaft), einbehalten werden darf. Der Steuerabzug kann auf Nachweis (mittels einer sog. „Statusbescheinigung“, mit der der Status als Investmentfonds bescheinigt wird; vgl. dazu § 6 Abs. 3 und 4 InvStG n.F.) bereits bei der Auszahlung von dem ansonsten geltenden Kapitalertragsteuersatz von 25 % (§ 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, zzgl. Solidaritätszuschlag, d.h. effektiver Steuersatz ist 26,375 %) auf 15 % begrenzt werden. Ein Erstattungsverfahren bleibt allerdings weiterhin möglich, sofern die Statusbescheinigung nicht rechtzeitig vorgelegt werden sollte.15 Eine weitergehende Reduktion nach einem DBA bei einer qualifizierten Anteilsbeteiligung (üblicherweise ab 10 %) sollte u.E. möglich sein und könnte insbesondere für ausländische Immobilienfonds, die inländische Objektgesellschaften halten, relevant sein. Inländische Immobilienerträge (definiert in § 6 Abs. 4 InvStG n.F.), d.h. insbesondere inländische Mieterträge und Veräußerungsgewinne aus in14 Details hierzu sollen in Erweiterung des BMF-Schreibens v. 3.3.2015 in dem (ersten) geplanten BMF-Schreiben zum InvStG n.F. geregelt werden, vgl. Rz. 142 ff. des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017. 15 Details, insbesondere auch bei ausländischen Investmentfonds und Unterverwahrung in Deutschland, sollen in einem BMF-Schreiben geregelt werden, vgl. Rz. 86 ff. des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017.

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ländischen Immobilien, werden im Wege der Veranlagung besteuert. Insoweit ergibt sich eine Besteuerung von 15,825 % (15 % Körperschaftsteuer zzgl. 5,5 % Solidaritätszuschlag). Der Begriff „sonstige Erträge“ wird in § 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG n.F. legal definiert. Er bezieht sich auf die sonstigen, neben Dividenden und Immobilienerträgen in § 49 EStG genannten Einkünfte und soll nach Ansicht des Gesetzgebers als Auffangtatbestand eher die Ausnahme bilden.16 In Betracht kommen zum Beispiel Zinsen aus Darlehen, die mit inländischen Grundstücken besichert sind, Vergütungen auf Fremdkapitalgenussrechte und Einnahmen aus typisch stillen Gesellschaften oder partiarischen Darlehen. Daneben scheinen auch Einnahmen aus inländischen Betriebsstätten denkbar.17 Veräußerungsgewinne aus inländischen Aktien werden allerdings auf Fondsebene auch dann nicht besteuert, wenn die Beteiligung mindestens 1 % beträgt (vgl. die Ausnahme § 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG n.F.: „… mit Ausnahme der Einkünfte nach § 49 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe e des Einkommensteuergesetzes, …“). Dies gilt ab 1. Januar 2018 auch für ausländische Investmentfonds, d.h. es kommt diesbezüglich zu einer gesetzlichen Gleichstellung hinsichtlich der Nicht-Besteuerung von Veräußerungsgewinnen von inländischen Investmentfonds (bei denen dies bisher schon galt im Rahmen der vollumfänglichen Steuerbefreiung) und ausländischen Investmentfonds. Insofern entfallen ab diesem Zeitpunkt auch die zahlreichen offenen und diskutierten Fragestellungen, z.B. hinsichtlich der Rechtsform und Steuersubjekteigenschaft bestimmter ausländischer Investmentvehikel.18 Auch alle anderen Ertragsarten (z.B. Zinsen, Erträge aus Termingeschäften, ausländische Dividenden, ausländische Immobilienerträge) sind auf Ebene eines Investmentfonds weiterhin nicht steuerpflichtig. Eine Besteuerung dieser Erträge erfolgt im Ergebnis nur über die bei den Anlegern steuerpflichtigen Ausschüttungen oder bei Veräußerung der Fondsanteile durch die Anleger. Damit werden inländische und ausländische Investmentfonds ab dem 1. Januar 2018 im Ergebnis weitgehend gleich besteuert.

16 Vgl. Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/8045, 74. 17 Vgl. Stadler/Bindl, DStR 2016, 1953, 1955. 18 Vgl. z.B. Hagen/Weber in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., 1483 ff.

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Bei den Immobilienerträgen sind Wertänderungen, die vor dem 1. Januar 2018 eingetreten sind, nach § 6 Abs. 4 Satz 3 InvStG n.F. aus Vertrauensschutzgründen steuerfrei, sofern der Zeitraum zwischen der Anschaffung und der Veräußerung mehr als zehn Jahre beträgt. Wertveränderungen nach dem 31.12.2017 sind somit im Umkehrschluss allerdings nach dem Gesetzeswortlaut zukünftig auch dann steuerverhaftet, wenn der Investmentfonds die Grundstücke schon vor 2018 länger als zehn Jahre gehalten hat. Übersicht zur Besteuerung auf Fondsebene: Inländische Beteiligungseinnahmen (insb. Dividenden)

Inländische Immobilienerträge

Sonstige inländische Einkünfte i.S. von § 49 EStG

Stpfl. sind die Bruttoeinnahmen (kein Kostenabzug)

Stpfl. sind Mieten und Veräußerungsgewinne (Einnahmen ./. Werbungskosten einschl. AfA)

Ohne Gewinne i.S. von § 17 EStG (Einnahmen ./. Werbungskosten oder Bruttoeinnahmen)

Abgeltender Steuerabzug (15 % einschl. SolZ)

Veranlagung

grds. Veranlagung/abgeltender Steuerabzug

Übrige Einkünfte auf Ebene des Investmentfonds nicht steuerpflichtig

Die Anwendung von § 8b KStG ist bei Investmentfonds generell ausgeschlossen (§ 6 Abs. 6 InvStG n.F.). Dies gilt bei Dividenden daher auch unabhängig von der 10 %-Grenze des § 8b Abs. 4 KStG. Für Kleinanleger hat die neue Besteuerung auf Fondsebene den Nachteil, dass die definitive Steuerbelastung auf Fondsebene nicht mehr neutralisiert werden kann und deshalb insbesondere die Anwendung des SparerPauschbetrags oder auch die Wirkungen des Veranlagungswahlrechts nach § 32d Abs. 6 EStG nicht mehr genutzt werden können.19 Allerdings wird dieser Effekt durch die Einführung von Teilfreistellungen auf die auf Anlegerebene nach § 16 Abs. 1 InvStG n.F. steuerpflichtigen Ausschüttungen, Vorabpauschalen und Gewinne aus der Veräußerung der Investmentanteile (zumindest teilweise und abhängig vom „Fondstyp“) neutralisiert.20

19 Vgl. dazu auch Kußmaul/Patzner/Kloster/Bui, Ubg 2016, 595, 602; Patzner/ Nagel, IStR 2016, 729. 20 Vgl. hierzu unter Tz. 3.3.

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2.2 Berücksichtigung von Steuerbefreiungen von Anlegern Soweit bestimmte steuerbefreite Anleger beteiligt sind, ist eine partielle bzw. vollständige Steuerbefreiung des Investmentfonds möglich.21 Das Gesetz differenziert hierbei nach der Art der Erträge sowie zusätzlich nach bestimmten Anlegergruppen. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 InvStG n.F. gilt eine vollständige Steuerbefreiung, soweit an dem Investmentfonds Anleger beteiligt sind, die die Voraussetzungen des § 44a Abs. 7 Satz 1 EStG erfüllen (oder vergleichbare ausländische Anleger aus einem Amts- und Beitreibungshilfe leistenden ausländischen Staat). Unter § 44a Abs. 7 Satz 1 EStG fallen a) Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG (= gemeinnützige Körperschaften), b) Stiftungen des öffentlichen Rechts, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dienen, oder c) juristische Personen des öffentlichen Rechts, die ausschließlich und unmittelbar kirchlichen Zwecken dienen. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 InvStG n.F. greift die Steuerbefreiung ebenfalls ein, soweit die Anteile an dem Investmentfonds im Rahmen von Altersvorsorge- oder Basisrentenverträgen gehalten werden, die nach den §§ 5 oder 5a des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes zertifiziert wurden. § 9 InvStG n.F. regelt diesbezüglich die Einzelheiten zum Nachweis der Steuerbefreiung für die nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InvStG n.F. begünstigten Anleger. Eine eingeschränkte Steuerbefreiung enthält § 8 Abs. 2 InvStG n.F. Danach sind (nur)22 inländische Immobilienerträge steuerbefreit, soweit an dem Investmentfonds beteiligt sind:

21 Details sollen in einem BMF-Schreiben geregelt werden, vgl. Rz. 111 ff. des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017. 22 Der Gesetzgeber hat hier offenbar vergessen, auch die sonstigen Erträge (wie bei einer Direktanlage durch die betreffenden Anleger) steuerfrei zu stellen. Das BMF scheint dies allerdings (zumindest im Rahmen des § 10 Abs. 2 InvStG n.F.) im Wege einer teleologischen Erweiterung korrigieren zu wollen, vgl. Rz. 135 des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017.

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1. inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts, soweit die Investmentanteile nicht einem von der Körperschaftsteuer befreiten Betrieb gewerblicher Art zuzurechnen sind, oder 2. von der Körperschaftsteuer befreite inländische Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen, soweit sie nicht unter Nr. 1 fallen, oder vergleichbare ausländische Körperschaften aus einem in einem Amts- und Beitreibungshilfe leistenden ausländischen Staat. Die Steuerbefreiungen werden (jeweils) insgesamt gewährt, wenn zur Beteiligung an dem Investmentfonds ausschließlich Anleger i.S. von § 8 Abs. 1 oder 2 InvStG n.F. zugelassen sind (§ 10 InvStG n.F.). Sind auch andere Anleger beteiligt, regelt § 8 Abs. 3 InvStG n.F. die Berechnung des Umfangs der Steuerbefreiung sowohl für Einkünfte, die einem Steuerabzug unterliegen, als auch für zu veranlagende Einkünfte. Da es auf die Höhe der Beteiligung der begünstigten Anleger an dem Investmentfonds zum jeweiligen Zeitpunkt des Zuflusses der Einnahmen ankommt und der entsprechende Nachweis nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 InvStG n.F. durch den nach Ablauf des Kalenderjahres von der Depotbank des Anlegers auszustellenden Investmentanteil-Bestandsnachweises zu führen ist, kommt im Rahmen des § 8 InvStG n.F. faktisch nur eine nachträgliche Erstattung durch den Entrichtungsverpflichteten (oder gegebenenfalls durch dessen Betriebsstättenfinanzamt) in Betracht. Die Steuerersparnis des Investmentfonds muss dieser nach § 12 Abs. 1 InvStG n.F. an die begünstigten Anleger auszahlen. Anbieter von Altersvorsorge- oder Basisrentenverträgen haben den Befreiungsbetrag zugunsten der Berechtigten aus den Altersvorsorge- oder Basisrentenverträgen wieder anzulegen (§ 12 Abs. 2 InvStG n.F.). Nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 InvStG n.F. ist auch eine nachträgliche Erstattung von einbehaltener Kapitalertragsteuer möglich, wenn nicht vom Steuerabzug Abstand genommen wurde bzw. die betreffende Kapitalertragsteuer auch nicht nach § 7 Abs. 5 InvStG n.F. vom Entrichtungsverpflichteten erstattet wurde. Für den Fall des Wegfalls der Steuerbefreiung eines Anlegers enthält § 13 InvStG n.F. die entsprechenden Regelungen. Für unberechtigte Steuerbefreiungen oder -erstattungen bestehen nach § 14 InvStG n.F. Haftungstatbestände unterschiedlicher Ausprägung für die Anleger (Abs. 1 und 2), für die Anbieter von Altersvorsorge- oder Basisrentenverträgen (Abs. 3),

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für die depotführenden Stellen (Abs. 4) sowie für die gesetzlichen Vertreter der Investmentfonds (Abs. 5). Praxisprobleme ergeben sich bei mehrstufigen Strukturen, wenn die begünstigten Anleger nicht direkt, sondern z.B. über einen Spezial-Investmentfonds beteiligt sind.23 Hier scheint die Finanzverwaltung zumindest bei Dach-Investmentfonds und Dach-Spezial-Investmentfonds, an denen sich nur betreffende steuerbegünstigte Anleger beteiligen dürfen, im Wege einer teleologischen Erweiterung Abhilfe schaffen zu wollen. Diese sollen in diesen Fällen selbst als steuerbegünstigte Anleger gelten.24 2.3 Berücksichtigung von Verlusten auf Fondsebene § 6 Abs. 8 InvStG n.F. enthält eine Regelung für einen Verlustabzug auf Ebene eines Investmentfonds. Danach sind nicht ausgeglichene negative Einkünfte (was in der Praxis vor allem bei Immobilienerträgen vorkommen dürfte) in den folgenden Veranlagungszeiträumen abzuziehen. § 10d Abs. 4 EStG (Regelungen zur gesonderten Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge) gilt entsprechend. Mit auf der Eingangsseite des Investmentfonds steuerabzugspflichtigen Einkünften ist eine Verrechnung mit negativen Einkünften allerdings sowohl bei der laufenden Einkommensermittlung als auch beim Verlustabzug nicht möglich (vgl. § 6 Abs. 7 Satz 3 InvStG n.F.).

3. Besteuerung der Anleger 3.1 Grundsatz Das bisherige semi-transparente Besteuerungssystems mit täglichen Werten und ausgeschütteten und ausschüttungsgleichen Erträgen und einer Vielzahl zu ermittelnder Besteuerungskategorien ändert sich ab 2018 hin zu einem weitgehend Cash-Flow-basierten intransparenten Besteuerungsregime. Die Besteuerung des Investmentfonds auf seiner Eingangsseite wird dabei nicht einbezogen; es müssen auch keine Kenngrößen mehr ermittelt und bescheinigt werden. Die Besteuerung auf Fondsebene kann mit Daten erfolgen, die der Anleger bzw. seine inländische Depotbank selbst kennt bzw. ermitteln kann. 23 Vgl. hinsichtlich möglicher Konstellationen, Stadler/Bindl, DStR 2016, 1953, 1957. 24 Vgl. Rz. 116 des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017.

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3.2 Die steuerpflichtigen Investmenterträge 3.2.1 Grundsatz Steuerpflichtig sind bei einem inländischen Anleger25 eines Investmentfonds nach § 16 Abs. 1 InvStG n.F. folgende Erträge: –

Ausschüttungen des Investmentfonds (dies sind nach § 2 Abs. 11 InvStG n.F. die dem Anleger gezahlten oder gutgeschriebenen Beträge einschließlich des Steuerabzugs auf den Kapitalertrag),



Vorabpauschalen nach § 18 InvStG n.F. und



Gewinne aus der Veräußerung von Investmentanteilen nach § 19 InvStG n.F.

In § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG n.F. sind Investmenterträge (i.S.v. § 16 InvStG n.F.) ab 2018 als eigenständige Ertragsart aufgeführt (Erträge aus SpezialInvestmentvermögen nach § 34 InvStG n.F. fallen unter den neuen § 20 Abs. 1 Nr. 3a EStG). Darunter fallen auch die o.g. Veräußerungsgewinne i.S.v. § 19 InvStG n.F.; in § 20 Abs. 2 EStG ist also keine gesonderte Regelung für Veräußerungsgewinne aus Investmentanteilen enthalten. Nach § 16 Abs. 2 InvStG n.F. sind Investmenterträge nicht anzusetzen, wenn die Investmentanteile im Rahmen von Altersvorsorge- oder Basisrentenverträgen gehalten werden, die nach § 5 oder 5a des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes zertifiziert wurden. Damit sind allerdings nicht alle Fondsanlagen zur Altersversorgung steuerbefreit; insbesondere fallen fondsgebundene Lebensversicherungen nicht unter diese Befreiung. Für fondsgebundene Lebensversicherungen wurde allerdings § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 9 EStG n.F. als Ausgleich für die steuerliche Vorbelastung von Investmenterträgen eine Steuerbefreiung von 15 % eingeführt. Auch auf Anlegerebene sind die Regelungen des § 8b KStG und des § 3 Nr. 40 EStG nicht anzuwenden (§ 16 Abs. 3 InvStG n.F.). § 16 Abs. 4 InvStG n.F. enthält einen sog. treaty override für Ausschüttungen eines ausländischen Investmentfonds, die nach einem DBA von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen wäre. Diese wird nur unter strengen Voraussetzungen gewährt.

25 Bei ausländischen Anlegern entfällt eine beschränkte Steuerpflicht nach § 49 EStG auf Grund der Verlagerung der Besteuerung der relevanten inländischen Erträge auf die Ebene des Investmentfonds vollständig.

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds

Für Erträge bei Abwicklung eines Investmentfonds gilt § 17 InvStG n.F. Dieser gewährt bestimmte Ausnahmen von der allgemeinen Regelung, dass Ausschüttungen eines Investmentfonds (auch aus der Vermögenssubstanz) grundsätzlich vollständig steuerpflichtig sind. Nach § 20 InvStG n.F. werden für bestimmte in § 2 InvStG n.F. definierte „Fondstypen“ sog. Teilfreistellungen gewährt, um die steuerliche Vorbelastung mit in- und ausländischen (Quellen-)Steuern auf Ebene des Investmentfonds abzumildern (vgl. dazu unten Tz. 3.3). 3.2.2 Ausschüttungen Für die auf Anlegerebene zu erfassenden Ausschüttungen gibt es keine Unterscheidung nach den jeweiligen Ertragsbestandteilen des Investmentfonds mehr; es wird also die gesamte Ausschüttung besteuert. Dazu gehören auch Ausschüttungen aus der Vermögenssubstanz; eine Ausnahme besteht nur bei der Abwicklung von Investmentfonds (vgl. dazu § 17 InvStG n.F.). Die Regelung des § 17 InvStG n.F. soll sicherstellen, dass bei längeren Liquidationsphasen (z.B. bei Liquidation eines Immobilienfonds) und entsprechenden Teilausschüttungen bzw. Teilzahlungen von Liquidationserlösen die Auszahlungen nur insofern besteuert werden als diese Erträge darstellen. Bei der Anwendung von § 17 InvStG n.F. ist das Verhältnis zur Regelung des § 27 KStG allerdings unklar. U.E. ist § 17 InvStG n.F. lex specialis zu § 27 KStG.26 Das Vorliegen einer Einlagenrückgewähr sollte somit bei der Abwicklung von Investmentfonds nicht zu prüfen sein, womit sich dann grundsätzlich auch nicht die Frage der (analogen) Anwendbarkeit des § 27 Abs. 8 KStG oder einer weitergehenden Möglichkeit des Nachweises einer Einlagenrückgewähr stellen würde.27 Nach der bereits erwähnten treaty-override-Regelung in § 16 Abs. 4 InvStG n.F. wird die Steuerfreistellung nach einem DBA für einen Anleger in einen ausländischen Investmentfonds nur gewährt,28 wenn 26 Siehe zur Frage des Vorrangs der Regelungen des InvStG vor dem KStG auch Stadler/Bindl, DStR 2016, 1953, 1966. 27 Und in der Folge auch nicht das Problem der (analogen) Anwendbarkeit des § 27 Abs. 8 KStG oder einer generellen Möglichkeit des Nachweises einer Einlagenrückgewähr in sog. Drittstaatenfällen; vgl. dazu BFH v. 13.7.2016 – VIII R 47/13 und VIII R 73/73; weiteres Verfahren dazu beim BFH unter dem Az. I R 15/16 anhängig. 28 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines sog. treaty overrides vgl. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359.

587

Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds

1. der ausländische Investmentfonds in seinem „Heimatstaat“ (= Staat, dem nach dem DBA das Besteuerungsrecht zusteht, d.h. dem Sitzstaat) der allgemeinen Ertragsbesteuerung unterliegt und 2. die Ausschüttung zu mehr als 50 % auf nicht steuerbefreiten Einkünften des Investmentfonds beruht. Dies gilt auch dann, wenn nach dem DBA die Besteuerung der Ausschüttung in dem Staat, dem das Besteuerungsrecht zusteht, d.h. dem Sitzstaat, 0 % nicht übersteigen darf (§ 16 Abs. 4 Satz 2 InvStG n.F.). Von einer allgemeinen Ertragsbesteuerung ist auszugehen, wenn der Anleger nachweist, dass der Fonds einer Ertragsbesteuerung von mindestens 10 % unterliegt und nicht von ihr befreit ist. Wie erwähnt, gibt es im Gegensatz zum bisherigen Recht ab 2018 keine ausgeschütteten Erträge und deren Aufsplittung in verschiedene Kategorien mehr. Stattdessen unterliegt die (Bar-)Ausschüttung beim Anleger zunächst insgesamt der Steuerpflicht; Teilfreistellungen sind aber anschließend vorzunehmen (dazu vgl. § 20 InvStG n.F. und unten Tz. 3.3). 3.2.3 Die Vorabpauschale (§ 18 InvStG n.F.) Der Investmentfonds stellt im Endeffekt für den Anleger künftig eine „Black Box“ dar und der Anleger ist im Grundsatz „lediglich“ im Rahmen seiner eigenen Steuermerkmale mit den Ausschüttungen und den Veräußerungsgewinnen bei Rückgabe bzw. Verkauf der Investmentfondsanteile steuerpflichtig. Um nicht vollständig auf eine jährliche Besteuerung verzichten zu müssen, sieht der Gesetzgeber aber in § 18 InvStG n.F. eine sog. Vorabpauschale vor. Diese kann in gewisser Weise mit der bisherigen jährlichen Besteuerung der ausschüttungsgleichen Erträge verglichen werden. Die Vorabpauschale bezieht sich allerdings auf das Kalenderjahr (und nicht auf das ggf. abweichende Geschäftsjahr des Investmentfonds) und wird ohne Berücksichtigung der auf Fondsebene angefallenen Einkünfte berechnet. Es erfolgt vielmehr eine pauschale Ermittlung ähnlich der bisherigen/derzeitigen Ermittlung der pauschalen Bemessungsgrundlage bei intransparenten Investmentfonds nach § 6 InvStG, die sich auf das Kalenderjahr bezieht (allerdings mit völlig anderer Berechnungssystematik, mit wesentlich niedrigeren Werten und mit der Vermeidung einer Substanzbesteuerung). Die Vorabpauschale kommt grundsätzlich immer dann zur Anwendung, wenn die Ausschüttungen eines Investmentfonds in einem Kalenderjahr 588

Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds

geringer sind als die Wertentwicklung des Investmentfonds im Sinne einer risikolosen Marktverzinsung (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 1 InvStG n.F.: „Die Vorabpauschale ist der Betrag, um den die Ausschüttungen eines Investmentfonds innerhalb eines Kalenderjahres den Basisertrag für dieses Kalenderjahr unterschreiten“). Dies gilt auch für Anteile an ausländischen Investmentfonds. Nach § 18 Abs. 4 InvStG n.F. ist der Basiszins aus der langfristig erzielbaren Rendite öffentlicher Anleihen abzuleiten. Dabei ist auf den Zinssatz abzustellen, den die Deutsche Bundesbank anhand der Zinsstrukturdaten jeweils auf den ersten Börsentag des Jahres errechnet. Das Bundesministerium der Finanzen veröffentlicht den maßgebenden Zinssatz im Bundessteuerblatt.29 Von dem so ermittelten Basiszins ist ein Abschlag von 30 % vorzunehmen. Damit sollen vor allem – in pauschaler Form – Werbungskosten Berücksichtigung finden. Für das Jahr 2016 hätte sich nach diesem Berechnungsmodus ein Basisertrag von 0,77 % ergeben (Basiszins 1,1 % × 70 %). Die für 2018 maßgeblichen Daten sind derzeit noch nicht bekannt. Die Vorabpauschale wird – zur Vermeidung einer laufenden Substanzbesteuerung (und im Gegensatz zum bisherigen § 6 InvStG) – auf den tatsächlichen Wertanstieg des Fondsanteils (einschließlich erhaltener Ausschüttungen) begrenzt. Eine Vorabpauschale wird also nur angesetzt, wenn nach dem Abzug der erhaltenen Ausschüttungen noch ein positiver Betrag verbleibt. Der nach den o.g. Grundsätzen ermittelte Basisertrag wird mit dem Wert des Fondsanteils zu Beginn des Kalenderjahres multipliziert und mit dem Wert zum 31.12. (zzgl. erfolgter Ausschüttungen) verglichen. Durch den Abzug der tatsächlichen Ausschüttungen darf sich kein Negativwert ergeben.30 Der Gesetzeswortlaut stellt beim Abzug der Aus29 Der Basisertrag sollte zunächst durch Multiplikation des Rücknahmepreises des Investmentanteils zu Beginn des Kalenderjahres mit 70 % des Basiszinses nach § 203 Abs. 2 BewG ermittelt werden. Nachdem im Rahmen der Erbschaftsteuerreform aber § 203 BewG geändert, die dortige Basiszinsdefinition entfernt und ein fester Vervielfältiger von 13,75 zur Unternehmensbewertung eingeführt wurde, ging diese Verweisung (vorübergehend) ins Leere. In § 18 Abs. 1 Satz 2 InvStG n.F. wurde deshalb durch das Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 23.12.2016 (BGBl. I 2016, 3000, vgl. Art. 18 des Änderungsgesetzes) der Verweis auf § 203 Abs. 2 BewG entfernt und stattdessen auf den neuen § 18 Abs. 4 InvStG n.F. verwiesen. 30 Gesetzesbegründung in BR-Drs. 119/16, 99.

589

Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds

schüttungen allerdings nicht darauf ab, dass die Ausschüttungen auch dem Anleger zugeflossen sind, bei dem nun die Vorabpauschale anzusetzen ist (insbesondere Fälle des § 18 Abs. 2 InvStG n.F.). Ausschüttungen werden somit auch dann abgezogen, wenn der Anleger den Investmentanteil erst nach der Ausschüttung erworben hat und somit die Besteuerung der Ausschüttung bereits beim Veräußerer des Anteils erfolgt ist.31 Im Jahr des Erwerbs erfolgt eine Minderung der Vorabpauschale um ein Zwölftel für jeden vollen Monat, der dem Monat des Erwerbs vorangeht (§ 18 Abs. 2 InvStG n.F.). Im Jahr der Veräußerung eines Investmentanteils ist für den veräußernden Anleger keine Vorabpauschale anzusetzen.32 Ein Ansatz einer – ggf. auch nur zeitanteiligen – Vorabpauschale im Veräußerungsjahr wäre auch nicht zielführend, da die betreffende Vorabpauschale nach § 19 Abs. 1 Satz 3 InvStG n.F. zeitgleich bei Ermittlung des Veräußerungsgewinns abzuziehen wäre (vgl. dazu unten Tz. 3.2.4). Zusammenfassend ergibt sich zur Ermittlung der Vorabpauschale folgendes Berechnungsschema: 1

Rücknahmepreis zu Beginn des Kalenderjahres

2

x

Basiszins i.S. von § 18 Abs. 4 InvStG n.F.

3

x

0,7 (= pauschaler Abschlag für Werbungskosten i.H.v. 30 %)

4

=

Basisertrag i.S. von § 18 Abs. 1 Satz 2 InvStG n.F.

5

Begrenzung nach § 18 Abs. 1 Satz 3 InvStG n.F.: Erster Rücknahmepreis im Kalenderjahr ./. Letzter Rücknahmepreis im Kalenderjahr + Ausschüttungen innerhalb des Kalenderjahres = maßgeblicher Betrag für Begrenzung

6

Anzusetzen ist der niedrigere Wert aus Zeile 4 oder 5

7

./.

Ausschüttungen im Kalenderjahr (§ 18 Abs. 1 Satz 1 InvStG n.F.)

8

=

Vorabpauschale für Kalenderjahr (kein Negativwert)

9

./.

Ggf. bei unterjährigem Erwerb: 1/12 des Betrags laut Zeile 8 für jeden vollen Monat vor Erwerb

10

=

Anzusetzende Vorabpauschale

31 Ebenso Helios/Mann, DB 2016, Sonderausgabe 01/2016, 15. 32 Gesetzesbegründung in BR-Drs. 199/16, 100.

590

Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds

Die Teilfreistellungen nach § 20 InvStG n.F. (vgl. dazu unten Tz. 3.3) gelten auch für die Vorabpauschale. Die Vorabpauschale gilt dem Anleger als am ersten Werktag des folgenden Kalenderjahres als zugeflossen (§ 18 Abs. 3 InvStG n.F.). Die bisherigen ausschüttungsgleichen Erträge flossen demgegenüber am 31.12. um 24 Uhr zu, wenn das Geschäftsjahr des Investmentfonds dem Kalenderjahr entsprach. Auf das Geschäftsjahr des Fonds kommt es nun für die Zuflussfiktion bzgl. der Vorabpauschale generell nicht mehr an. Durch die Zuflussfiktion erst zu Beginn des Folgejahres sollen (Klein-)Anleger (über deren inländische Depotbanken) in die Lage versetzt werden, die für die Vorabpauschale anfallende Kapitalertragsteuer (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG n.F., § 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG n.F.) noch mit einem vollen Sparer-Pauschbetrag (§ 20 Abs. 9 EStG) zu verrechnen. Soweit Kapitalertragsteuer auf die Vorabpauschale anfällt, sind die dafür erforderlichen Geldbeträge von der inländischen Depotbank von dem Konto des Anlegers einzuziehen (§ 44 Abs. 1 Satz 8 EStG n.F.). Diese Neuregelung war deshalb erforderlich, weil mit der Vorabpauschale kein Geldfluss verbunden ist, von dem die inländische depotführende Bank den Steuerabzug vornehmen könnte.33 Eine Einwilligung des Anlegers zur Einziehung der Beträge von seinem Konto (auch im Rahmen eines ihm von der Bank eingeräumten Kontokorrentkredits) ist nicht erforderlich. Einer Inanspruchnahme eines vereinbarten Kontokorrentkredits kann der Anleger aber vor Zufluss der Kapitalerträge widersprechen. Eine Erleichterung für bestimmte Anleger sieht § 16 Abs. 2 Satz 2 InvStG n.F. vor. Nach dieser Vorschrift sind Vorabpauschalen nicht anzusetzen, wenn die Anteile gehalten werden 1. im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge nach dem Betriebsrentengesetz, 2. von Versicherungsunternehmen im Rahmen von Versicherungsverträgen nach § 20 Abs. 2 Nr. 6 Satz 1 und 4 EStG (damit sollen Verzerrungen bei Lebensversicherungen verhindert werden, die für eine Vorabpauschale mangels Relevanz für die Handelsbilanz keine Rückstellung für ihre Verpflichtungen gegenüber den Versicherten bilden könnten) oder

33 Die bisherige notwendige „Zwangsauskehrung“ der notwendigen Liquidität zur Ermöglichung des Steuereinbehalts bei inländischen Investmentfonds entfällt im Gegenzug.

591

Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds

3. von Kranken- und Pflegeversicherungsunternehmen zur Sicherung von Alterungsrückstellungen. Bei einem betrieblichen bzw. institutionellen Anleger ist die Vorabpauschale u.E. als „steuerbilanzieller“ Merkposten zu erfassen (vergleichbar zu den bisherigen ausschüttungsgleichen Erträgen).34 Bei anderen Anlegern führt die Vorabpauschale zu einem Merkposten, der bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns bei späterer Veräußerung bzw. Rückgabe der Anteile den dann steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn mindert (§ 19 Abs. 1 Satz 3 InvStG n.F.). Beispiele zur Ermittlung der Vorabpauschale (den Berechnungen liegt exemplarisch der Basiszins für 2016 zugrunde, da der Basiszins 2018 noch nicht bekannt ist): Beispiel 1: Ein Aktienfonds i.S.d. § 2 Abs. 6 InvStG n.F. hatte am 01.01.01 einen Rücknahmepreis i.H. von 100,00 Euro je Anteil. Am 31.12.01 beträgt der Rücknahmepreis 104,50 Euro. Eine Ausschüttung hat im Jahr 01 nicht stattgefunden. Lösung: 1

Rücknahmepreis zu Beginn des Kalenderjahres

100,00

2

x

Basiszins i.S. von § 18 Abs. 4 InvStG n.F.

x 1,1

3

x

0,7 (= pauschaler Abschlag für Werbungskosten i.H.v. 30 %)

x 0,7

4

=

Basisertrag i.S. von § 18 Abs. 1 Satz 2 InvStG n.F.

0,77 104,50 ./. 100,00 + 0,00 4,50

4,50

5

Begrenzung nach § 18 Abs. 1 Satz 3 InvStG n.F.: Letzter Rücknahmepreis im Kalenderjahr ./. Erster Rücknahmepreis im Kalenderjahr + Ausschüttungen innerhalb des Kalenderjahres = maßgeblicher Betrag für Begrenzung

6

Anzusetzen ist der niedrigere Wert aus Zeile 4 oder 5

0,77

7

./.

Ausschüttungen im Kalenderjahr (§ 18 Abs. 1 Satz 1 InvStG n.F.)

0,00

8

=

Vorabpauschale für Kalenderjahr

0,77

9

./.

Ggf. bei unterjährigem Erwerb: 1/12 des Betrags laut Zeile 8 für jeden vollen Monat vor Erwerb

10

=

Anzusetzende Vorabpauschale im Jahr 02

34 So auch Helios/Mann, DB 2016, Sonderausgabe 01/2016, 16.

592

– 0,77

Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds Die Begrenzung der Vorabpauschale nach § 18 Abs. 1 Satz 3 InvStG n.F. greift in diesem Fall nicht ein. Die Vorabpauschale bleibt auch nicht wegen erfolgter Ausschüttungen ganz oder teilweise außer Ansatz. Je nach Art des Anlegers (Privatvermögen, betrieblicher Anleger, Körperschaft) ergibt sich für die Vorabpauschale eine Teilfreistellung nach § 20 InvStG n.F. i.H.v. 30 %, 60 % oder 80 % (dazu s.u.). Die Vorabpauschale gilt am ersten Werktag des folgenden Kalenderjahres, also am 02.01.02, als zugeflossen (§ 18 Abs. 3 InvStG n.F.). Sie ist damit im Jahr 02 zu versteuern. Beispiel 2: Ein Aktienfonds i.S.d. § 2 Abs. 6 InvStG n.F. hatte am 01.01.01 einen Rücknahmepreis i.H. von 100,00 Euro je Anteil. Am 31.12.01 beträgt der Rücknahmepreis 104,50 Euro. Es fand im Jahr 01 eine Ausschüttung i.H.v. 2,00 statt (= Abweichung zu Beispiel 1). Lösung: 1

Rücknahmepreis zu Beginn des Kalenderjahres

100,00

2

x

Basiszins i.S. von § 18 Abs. 4 InvStG n.F.

x 1,1

3

x

0,7 (= pauschaler Abschlag für Werbungskosten i.H.v. 30 %)

x 0,7

4

=

Basisertrag i.S. von § 18 Abs. 1 Satz 2 InvStG n.F.

0,77

5

Begrenzung nach § 18 Abs. 1 Satz 3 InvStG n.F.: Letzter Rücknahmepreis im Kalenderjahr ./. Erster Rücknahmepreis im Kalenderjahr + Ausschüttungen innerhalb des Kalenderjahres = maßgeblicher Betrag für Begrenzung

104,50 ./. 100,00 + 2,00 6,50

6,50

6

Anzusetzen ist der niedrigere Wert aus Zeile 4 oder 5

0,77

7

./.

Ausschüttungen im Kalenderjahr (§ 18 Abs. 1 Satz 1 InvStG n.F.)

2,00

8

=

Vorabpauschale für Kalenderjahr (kein Negativwert)

0,00

9

./.

Ggf. bei unterjährigem Erwerb: 1/12 des Betrags laut Zeile 8 für jeden vollen Monat vor Erwerb

10

=

Anzusetzende Vorabpauschale im Jahr 02

– 0,00

Die Begrenzung der Vorabpauschale nach § 18 Abs. 1 Satz 3 InvStG n.F. greift auch in diesem Fall nicht ein. Da die erfolgte Ausschüttung (2,00) allerdings höher ist als die Vorabpauschale (0,77) kommt die Vorabpauschale nicht zur Anwendung.

593

Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds Steuerpflichtig ist somit nur die Ausschüttung von 2,00 (mit anschließender Teilfreistellung je nach Art des Anlegers). Die Ausschüttung ist – anders als die Vorabpauschale im Beispiel 1 – im Jahr 01 zu versteuern. Beispiel 3: Ein Aktienfonds i.S.d. § 2 Abs. 6 InvStG n.F. hatte am 01.01.01 einen Rücknahmepreis i.H. von 100,00 Euro je Anteil. Am 31.12.01 beträgt der Rücknahmepreis 100,40 Euro (= Abweichung zu Beispiel 1). Es fand im Jahr 01 keine Ausschüttung statt. Lösung: 1

Rücknahmepreis zu Beginn des Kalenderjahres

100,00

2

x

Basiszins i.S. von § 18 Abs. 4 InvStG n.F.

x 1,1

3

x

0,7 (= pauschaler Abschlag für Werbungskosten i.H.v. 30 %)

x 0,7

4

=

Basisertrag i.S. von § 18 Abs. 1 Satz 2 InvStG n.F.

0,77

5

Begrenzung nach § 18 Abs. 1 Satz 3 InvStG n.F.: Letzter Rücknahmepreis im Kalenderjahr ./. Erster Rücknahmepreis im Kalenderjahr + Ausschüttungen innerhalb des Kalenderjahres = maßgeblicher Betrag für Begrenzung

100,40 ./. 100,00 + 0,00 0,40

0,40

6

Anzusetzen ist der niedrigere Wert aus Zeile 4 oder 5

0,40

7

./.

Ausschüttungen im Kalenderjahr (§ 18 Abs. 1 Satz 1 InvStG n.F.)

0,00

8

=

Vorabpauschale für Kalenderjahr (kein Negativwert)

0,40

9

./.

Ggf. bei unterjährigem Erwerb: 1/12 des Betrags laut Zeile 8 für jeden vollen Monat vor Erwerb

10

=

Anzusetzende Vorabpauschale

– 0,40

In diesem Fall kommt es zur Begrenzung der Vorabpauschale nach § 18 Abs. 1 Satz 3 InvStG n.F. Eine (höhere) Ausschüttung liegt nicht vor. Steuerpflichtig ist somit nur die Werterhöhung von 0,40 (mit anschließender Teilfreistellung je nach Art des Anlegers). Der steuerpflichtige Betrag fließt am 02.01.02 zu (§ 18 Abs. 3 InvStG n.F.) und ist somit im Jahr 02 zu versteuern.

594

Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds Beispiel 4: Ein Aktienfonds i.S.d. § 2 Abs. 6 InvStG n.F. hatte am 01.01.01 einen Rücknahmepreis i.H. von 100,00 Euro je Anteil. Am 31.12.01 beträgt der Rücknahmepreis 100,30 Euro. Es fand im Jahr 01 eine Ausschüttung von 0,10 je Anteil statt. Lösung: 1

Rücknahmepreis zu Beginn des Kalenderjahres

100,00

2

x

Basiszins i.S. von § 18 Abs. 4 InvStG n.F.

x 1,1

3

x

0,7 (= pauschaler Abschlag für Werbungskosten i.H.v. 30 %)

x 0,7

4

=

Basisertrag i.S. von § 18 Abs. 1 Satz 2 InvStG n.F.

0,77

5

Begrenzung nach § 18 Abs. 1 Satz 3 InvStG n.F.: Letzter Rücknahmepreis im Kalenderjahr ./. Erster Rücknahmepreis im Kalenderjahr + Ausschüttungen innerhalb des Kalenderjahres = maßgeblicher Betrag für Begrenzung

100,30 ./. 100,00 + 0,10 0,40

0,40

6

Anzusetzen ist der niedrigere Wert aus Zeile 4 oder 5

0,40

7

./.

Ausschüttungen im Kalenderjahr (§ 18 Abs. 1 Satz 1 InvStG n.F.)

0,10

8

=

Vorabpauschale für Kalenderjahr (kein Negativwert)

0,30

9

./.

Ggf. bei unterjährigem Erwerb: 1/12 des Betrags laut Zeile 8 für jeden vollen Monat vor Erwerb

10

=

Anzusetzende Vorabpauschale

– 0,30

In diesem Fall kommt es zunächst zur Begrenzung der Vorabpauschale nach § 18 Abs. 1 Satz 3 InvStG n.F. Der ermittelte Betrag ist anschließend um die im Jahr 01 erfolgte Ausschüttung von 0,10 zu reduzieren. Steuerpflichtig sind damit – wie im Beispiel 3 – 0,40. Allerdings ist die Ausschüttung i.H.v. 0,10 bereits im Jahr 01 (bei Zufluss) und die Vorabpauschale i.H.v. 0,30 erst im Jahr 02 zu versteuern. Beispiel 5: Ein Aktienfonds i.S.d. § 2 Abs. 6 InvStG n.F. hatte am 01.01.01 einen Rücknahmepreis i.H. von 100,00 Euro je Anteil. Am 31.12.01 beträgt der Rücknahmepreis 97,80 Euro. Es fand keine Ausschüttung statt.

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds Lösung: 1

Rücknahmepreis zu Beginn des Kalenderjahres

100,00

2

x

Basiszins i.S. von § 18 Abs. 4 InvStG n.F.

x 1,1

3

x

0,7 (= pauschaler Abschlag für Werbungskosten i.H.v. 30 %)

x 0,7

4

=

Basisertrag i.S. von § 18 Abs. 1 Satz 2 InvStG n.F.

0,77 97,80 ./. 100,00 + 0,00 ./. 2,20 0,00

0,00

5

Begrenzung nach § 18 Abs. 1 Satz 3 InvStG n.F.: Letzter Rücknahmepreis im Kalenderjahr ./. Erster Rücknahmepreis im Kalenderjahr + Ausschüttungen innerhalb des Kalenderjahres = maßgeblicher Betrag für Begrenzung anzusetzen (kein Negativwert)

6

Anzusetzen ist der niedrigere Wert aus Zeile 4 oder 5

0,00

7

./.

Ausschüttungen im Kalenderjahr (§ 18 Abs. 1 Satz 1 InvStG n.F.)

0,00

8

=

Vorabpauschale für Kalenderjahr (kein Negativwert)

0,00

9

./.

Ggf. bei unterjährigem Erwerb: 1/12 des Betrags laut Zeile 8 für jeden vollen Monat vor Erwerb

10

=

Anzusetzende Vorabpauschale

– 0,00

Eine Vorabpauschale kommt nicht zum Ansatz, weil sich der Rücknahmepreis im Jahr 01 negativ entwickelt hat (eine negative Vorabpauschale gibt es aber nicht). Da auch keine Ausschüttungen erfolgt sind, hat der Anleger in diesem Fall nichts zu versteuern.

3.2.4 Veräußerungsgewinne (§ 19 InvStG n.F.) Neben den Ausschüttungen (vgl. oben Tz. 3.2.2) und den Vorabpauschalen (vgl. oben Tz. 3.2.3) stellen die Gewinne aus der Veräußerung von Investmentanteilen die dritte Art von Investmenterträgen dar, die ein Anleger erzielen kann. Zur Ermittlung der Veräußerungsgewinne verweist § 19 Abs. 1 Satz 1 InvStG n.F. auf die Regelung des § 20 Abs. 4 EStG, soweit die Investmentanteile nicht zu einem Betriebsvermögen gehören. Nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG ist Gewinn der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds

sachlichen Zusammenhang mit der Veräußerung stehen, und den Anschaffungskosten (inklusive der Anschaffungsnebenkosten). Der Gewinn ist nach § 19 Abs. 1 Satz 3 InvStG n.F. allerdings um die während der Besitzzeit angesetzten Vorabpauschalen zu vermindern. Damit wird eine Doppelbesteuerung vermieden, da die Vorabpauschale – wenn auch in pauschaler Form – Gewinnthesaurierungen während der Haltezeit des Anlegers abdecken soll, die – mangels Ausschüttung – auch zu einer Werterhöhung des Anteils und somit zu einem höheren Veräußerungspreis geführt haben. Dies zeigt deutlich den „Vorauszahlungscharakter“ der Vorabpauschale (vergleichbar den bisherigen ausschüttungsgleichen Erträgen oder der nach § 6 InvStG in der derzeitig gültigen Fassung zu ermittelnden pauschalen Bemessungsgrundlage). Der Abzug der während der Besitzzeit angefallenen Vorabpauschalen erfolgt unabhängig einer für diese gewährten Teilfreistellung (§ 20 InvStG n.F.) immer in voller Höhe (§ 19 Abs. 1 Satz 4 InvStG n.F.). Somit ergibt sich folgendes Ermittlungsschema: Einnahmen aus der Veräußerung („Veräußerungspreis“) ./. Aufwendungen im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit der Veräußerung ./. Anschaffungskosten ./. in den Vorjahren angesetzte Vorabpauschalen (§ 19 Abs. 1 Satz 3 InvStG n.F.) = Veräußerungsgewinn bzw. -verlust Es ist denkbar, dass sich durch den Ansatz der in den Vorjahren angesetzten Vorabpauschalen ein Verlust bei Veräußerung bzw. Rückgabe der Investmentanteile ergibt.35 Entstehende Veräußerungsverluste unterliegen den Ausgleichsbeschränkungen des § 20 Abs. 6 EStG. Sie fallen jedoch – wie bei der bisherigen Rechtslage – nicht in den sog. „Aktientopf“ des § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG, wo ein Ausgleich nur mit Gewinnen aus Aktienveräußerungen möglich wäre. Vielmehr ist ein Ausgleich auch mit anderen positiven Erträgen aus Kapitalvermögen möglich. Dies gilt auch für Verluste aus der Veräußerung von Anteilen an reinen Aktienfonds.

35 Gesetzesbegründung in BR-Drs. 119/16, 101.

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds

Der Veräußerungsgewinn i.S.v. § 19 Abs. 1 InvStG n.F. umfasst allerdings nur die Wertveränderungen ab dem 1. Januar 2018. Wertveränderungen aus der Zeit vor 2018 sind im Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung (ggf.) noch nach den Regelungen des bisherigen Rechts zu versteuern (Näheres dazu unten Tz. III). 3.3 Die Teilfreistellungen (§ 20 InvStG n.F.) 3.3.1 Grundsatz Im Gegensatz zur bisherigen Regelung durch die täglichen Kennziffern und jährlichen Besteuerungsgrundlagen können ab 2018 auf Ebene des Anlegers eines Investmentfonds die Vorbelastungen auf Fondsebene mit (neu:) inländischen und (wie bisher:) ausländischen Steuern (im Wege des Durchreichens einer Anrechenbarkeit an den Anleger), die bei einer Direktanlage nach wie vor gegebene teilweise Steuerfreiheit bestimmter Erträge (§ 3 Nr. 40 EStG/§ 8b KStG) und insbesondere auch eine DBA-Befreiung keine Berücksichtigung mehr finden. Daher werden stattdessen die auf Anlegerebene grundsätzlich steuerpflichtigen Erträge (Ausschüttungen, Vorabpauschale und Veräußerungsgewinne) teilweise durch pauschalierte Sätze je nach Anleger- und Fondstypus freigestellt.36 Die Freistellung richtet sich nach dem Anlageschwerpunkt des Investmentfonds (vgl. die betreffenden Begriffsbestimmungen in § 2 InvStG n.F.) und der Frage, welche Rechtsform der Anleger hat bzw. wo er seine Anteile hält (Privat- oder Betriebsvermögen). Die unterschiedliche Höhe der Teilfreistellungen erklärt sich aus den verschiedenen Zielsetzungen der Teilfreistellung, die je nach Anlagefokus des Investmentfonds und Anlegertyp unterschiedliche Wirkungen haben. So wären z.B. bei einer Direktanlage (statt Anlage über einen Investmentfonds) in ausländische Immobilien, die entsprechenden Erträge weitgehend nach dem jeweils anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen in Deutschland steuerbefreit. Bei einer Direktanlage in Aktien wären entsprechende Veräußerungsgewinne für betriebliche Anleger zu 40 % steuerfrei und für institutionelle Anleger effektiv zu 95 % steuerbefreit, während sie bei Privatanlegern der Abgeltungsteuer unterliegen würden. Zur Berücksichtigung dieser Unterschiede wurden die folgenden unterschiedlichen Pauschalsätze je Anlegertyp festgelegt.

36 Gesetzesbegründung in BR-Drs. 119/16, 58.

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds

Übersicht: Privatanleger

Personenunternehmen (BV)

Körperschaften

Aktienfonds (Aktienquote . 51 %)

30 %

60 %

80 %

Mischfonds (Aktienquote . 25 % , 51 %)

15 %

30 %

40 %

Immobilienfonds (Immobilienquote . 51 %)

60 %

60 %

60 %

Immobilienfonds (Auslandsimmobilienquote . 51 %)

80 %

80 %

80 %

Übrige Fonds (vor allem Rentenfonds)

0%

0%

0%

Für die Gewerbesteuer auf Anlegerebene gelten die halben Teilfreistellungssätze (§ 20 Abs. 5 InvStG n.F.). 3.3.2 Einzelfragen zur Teilfreistellung Die Teilfreistellungen gelten für alle Investmenterträge i.S.v. § 16 Abs. 1 InvStG n.F., also für Ausschüttungen, Vorabpauschalen und Veräußerungsgewinne gleichermaßen. Die Höhe der Freistellung variiert nicht nach der Art der Erträge des Investmentfonds, sondern – wie dargestellt – nach dem Anlageschwerpunkt des Investmentfonds und nach der steuerlichen Einordnung des Anlegers. Pro Fondstyp und Anlegertyp ist immer nur eine Teilfreistellung möglich. Grundsätzlich wird immer die höchste Teilfreistellung gewährt. Eine Kumulation verschiedener Teilfreistellungssätze ist nicht möglich (z.B. wenn ein Investmentfonds sowohl unter die Definition des Mischfonds als auch des Immobilienfonds fallen würde). Die hohe Teilfreistellung für betriebliche Anleger und Körperschaften bei Aktienfonds rechtfertigt sich aus der bei einer Direktanlage in Aktien zu gewährenden (teilweisen) Steuerfreistellung nach § 3 Nr. 40 EStG bzw. § 8b Abs. 2 KStG. Sie wird aber nicht für solche betrieblichen Anleger und Körperschaften gewährt, die unter § 3 Nr. 40 Satz 3 oder 4 des EStG bzw. § 8b Abs. 7 und 8 KStG fallen (§ 20 Abs. 1 Satz 4 InvStG n.F.). Für Erträge solcher betrieblichen Anleger oder Körperschaften aus einem Aktienfonds wird dann nur die Freistellung von 30 % gewährt (statt 60 599

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bzw. 80 %). In diesem Zusammenhang ist auch die ab 2017 geltende Änderung in § 3 Nr. 40 Satz 3 EStG bzw. § 8b Abs. 7 KStG zu beachten.37 Es gilt folgende Abgrenzung der einzelnen Fondstypen:38 –

Aktienfonds sind Investmentfonds, die nach ihren Anlagebedingungen fortlaufend mindestens 51 % des Wertes in Kapitalbeteiligungen anlegen (§ 2 Abs. 6 InvStG n.F.). Kapitalbeteiligungen sind an einer Börse zugelassene oder auf einem organisierten Markt notierte Anteile an einer Kapitalgesellschaft (§ 2 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 InvStG n.F.). Zudem können unter bestimmten, in § 2 Abs. 8 Satz 1 Nr. 2 InvStG n.F. festgelegten, Voraussetzungen auch Anteile an anderen Kapitalgesellschaften als Kapitalbeteiligungen qualifizieren.39 Daneben gelten nach § 2 Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 InvStG n.F. Beteiligungen an Mischfonds und Aktienfonds anteilig, d.h. zu 25 % bzw. 51 %, als Kapitalbeteiligungen.



Mischfonds sind Investmentfonds, die nach den Anlagebedingungen fortlaufend mindestens 25 % ihres Wertes in Kapitalbeteiligungen anlegen.



Immobilienfonds legen nach ihren Anlagebedingungen fortlaufend mindestens 51 % ihres Wertes in Immobilien und Immobilien-Gesellschaften an (§ 2 Abs. 9 InvStG n.F.). Bei einer Anlage von fortlaufend mindestens 51 % in ausländische Immobilien und Immobiliengesellschaften greift die höhere Teilfreistellungsquote für Auslandsimmobilienfonds nach § 20 Abs. 3 Nr. 2 InvStG n.F.

Investmentanteile an entsprechenden Fondstypen gelten auf Ebene des Dachinvestmentfonds in Höhe von 51 % als entsprechende Anlage, z.B. gilt ein Aktienfonds zu 51 % als Kapitalbeteiligung. Die Teilfreistellung kann u.E. allerdings auch negative Auswirkungen haben. So spricht vieles dafür, dass als Spiegelbild zur teilweisen Steuer37 Änderung durch das Gesetz Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. 38 Details hinsichtlich der notwendigen Voraussetzungen an die Anlagebedingungen und die Ermittlung bzw. Einhaltung der Quoten sollen in einem BMFSchreiben geregelt werden, vgl. Rz. 22 ff. des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017. 39 Vgl. Rz. 29 ff. des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017. Danach sind z.B. Finanzderivate, die die Wertentwicklung von Kapitalbeteiligungen synthetisch nachbilden, selbst keine Kapitalbeteiligungen.

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds

freistellung von Gewinnen auch eine entsprechende Kürzung von Veräußerungsverlusten vorzunehmen ist, da nach § 2 Abs. 14 InvStG n.F. der im InvStG verwendete „Gewinnbegriff“ auch Verluste aus einem Rechtsgeschäft umfasst. Entstehende Veräußerungsverluste sollten also nur zu dem jeweiligen Teil berücksichtigungsfähig sein, der nicht auf eine Teilfreistellung entfällt (z.B. bei einem Aktienfonds zu 70 % bei einem Privatanleger, zu 40 % bei einem betrieblichen Anleger und zu 20 % bei einer Körperschaft). Zudem hat der Gesetzgeber in § 21 InvStG n.F. für Aufwendungen die Vorschrift des Teilabzugsverbots des § 3c Abs. 2 EStG nachgebildet und ein anteiliges Abzugsverbot eingeführt. Danach dürfen Betriebsvermögensminderungen, Betriebsausgaben, Veräußerungskosten oder Werbungskosten, die mit den Erträgen aus Aktien-, Misch- oder Immobilienfonds in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, unabhängig davon, in welchem Veranlagungszeitraum die Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen anfallen, bei der Ermittlung der Einkünfte in dem prozentualen Umfang nicht abgezogen werden, wie auf die Erträge eine Teilfreistellung anzuwenden ist. Entsprechendes gilt, wenn bei der Ermittlung der Einkünfte der Wert des Betriebsvermögens oder des Anteils am Betriebsvermögen oder die Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder der an deren Stelle tretende Wert mindernd zu berücksichtigen sind. Die Absicht zur Erzielung von Betriebsvermögensmehrungen oder von Erträgen aus Aktien-, Misch- oder Immobilienfonds ist ausreichend für die Anwendbarkeit der Vorschrift. Die Vorschrift ist nicht nur bei natürlichen Personen im Betriebsvermögen, sondern auch dann anwendbar, wenn der Anleger eine Kapitalgesellschaft oder ein anderes Körperschaftsteuersubjekt ist.40 § 22 InvStG n.F. regelt in der Folge für den Sonderfall der Änderung des anwendbaren Teilfreistellungssatzes (z.B. wenn aus einem Aktienfonds ein Mischfonds wird oder umgekehrt) eine Veräußerungs- und Anschaffungsfiktion. Als Problem stellen sich Dach-Investmentfonds und dabei insbesondere Dach-Aktieninvestmentfonds dar. Nach § 2 Abs. 8 Nr. 3 InvStG n.F. sind Investmentanteile an Aktienfonds nämlich (nur) i.H.v. 51 % des Wertes des Investmentanteils als Kapitalbeteiligungen zu behandeln. Ein Dach-Investmentfonds kann deshalb nach dem Gesetzeswortlaut ei40 Zu sich in diesem Zusammenhang ergebenden Fragestellungen, vgl. Stadler/ Bindl, DStR 2016 1953, 1960.

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds

gentlich nur den Status als Mischfonds erhalten, wenn er selbst nur in Aktienfonds investiert.41 Ein solcher Dach-Investmentfonds wird nämlich immer einen Teil seines Vermögens „in cash“ vorhalten müssen, um Rückgaben von Anteilen bedienen zu können. Ein „reiner“ Dach-Investmentfonds kann deshalb nach dem Gesetzeswortlaut selbst den Status als Aktienfonds nicht erhalten; er kann grundsätzlich nur Mischfonds mit der hälftigen Teilfreistellung sein (§ 20 Abs. 2 InvStG n.F.). Eine Direktbeteiligung an den einzelnen, von einem derartigen Dach-Investmentfonds gehaltenen Ziel-Aktienfonds sollte demgegenüber regelmäßig zur Teilfreistellung in entsprechender Höhe führen. Ähnliches gilt für einen Dach-Immobilieninvestmentfonds, der seinerseits nur in Ziel-Immobilienfonds investiert. Dieser Aspekt zeigt, dass die Regelungen zu den Teilfreistellungen zumindest teilweise nicht geglückt sind.42

4. Belastungsvergleiche Wie bei jeder steuerlichen Reform, verändern sich auch durch die Investmentsteuerreform die Belastungshöhen für die betroffenen Steuerpflichtigen. Insgesamt hat sich der Gesetzgeber bei der Investmentsteuerreform zwar weitgehend um Neutralität hinsichtlich des Steueraufkommens bemüht; je nach Fondsart und Rechtsform des Anlegers werden sich aber dennoch Belastungsunterschiede ergeben können. Dies soll durch das nachfolgende, stark vereinfachte Beispiel, illustriert werden: Für Privatanleger in Aktienfonds kann, je nach Fokus des Investmentfonds rein auf „Dividendenpapiere“, die Besteuerung künftig insgesamt etwas höher werden:

41 Wenn der Dach-Investmentfonds daneben noch Aktien direkt hält, verbessert sich insofern seine Quote, da diese zu 100 % als Kapitalbeteiligungen gelten. 42 Ebenso Stadler/Bindl, DStR 2016, 1953, 1960; gewisse Erleichterungen im Wege einer telelogischen Erweiterung für Dach-Aktien- und -Immobilienfonds gewährt allerdings das BMF-Schreiben vom 14.6.2017. Danach kann zur Sicherstellung der Einhaltung der Quote des Dachfonds auf die in den Anlagebedingungen der Zielfonds genannten oder auf die von diesen veröffentlichen (höheren) Kapitalbeteiligungs-/Immobilienquoten abgestellt werden.

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds Beispiel 1 Der inländische Aktienfonds A erzielt inländische Dividenden von 100 a) im aktuellen Recht (2017) oder b) im Jahr 2018 und kehrt die Erträge in vollem Umfang (soweit möglich) an seine Anleger (Privatvermögen) aus. (Vereinfachte) Vergleichsberechnung: Bis 2017 Einnahmen des Fonds

Ab 2018

100,00

100,00



./. 15,00

100,00

85,00



./. 25,50

100,00

59,50

Abgeltungsteuer 25 %

25,00

14,875

Netto-Ertrag

75,00

70,125

Steuern insgesamt (ohne SolZ und KiSt)

25,00

29,875

./. KSt auf Fondsebene (ab 2018) Ausschüttungsfähig ./. Teilfreistellung (ab 2018; hier: 30 %) verbleiben als stpfl. Ertrag beim Anleger

Hier gilt es aber auch zu beachten, dass Dividenden nur einen Teilaspekt bei der Anlage in einen Aktienfonds darstellen. Im Gegensatz zu einer Direktanlage (in die vom Aktienfonds gehaltenen Aktien) greift eine 30 %ige Teilfreistellung bei Veräußerung oder Rückgabe der Anteile an dem Aktienfonds auch für die auf Wertsteigerungen der gehaltenen Aktien beruhenden Veräußerungsgewinne an dem Aktienfonds. Dies könnte je nach Einzelfall durchaus auch die etwas höhere Belastung bezüglich der Dividenden (deutlich) aufwiegen. Demgegenüber kann die laufende Steuerbelastung für Kapitalgesellschaften, die Anteile an ausschüttenden Investmentfonds halten („Dividendenfonds“), wesentlich niedriger werden: Beispiel 2 Der inländische Aktienfonds A erzielt inländische Dividenden von 100 a) im aktuellen Recht (bis 2017) oder b) im Jahr 2018 und kehrt die Erträge in vollem Umfang (soweit möglich) an seine Anleger (GmbHs) aus.

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds (Vereinfachte) Vergleichsberechnung (GewSt pauschal mit 15 % angesetzt): Bis 2017 Einnahmen des Fonds

Ab 2018

100,00

100,00



./. 15,00

100,00

85,00



./. 68,00

100,00

17,00

KSt 15 % (§ 8b Abs. 4 KStG bis 2017)

15,00

2,55

GewSt 15 %

15,00

2,55

Netto-Ertrag

70,00

79,90

Steuern insgesamt (ohne SolZ)

30,00

20,10

./. KSt auf Fondsebene (ab 2018) Ausschüttungsfähig ./. Teilfreistellung (ab 2018; hier: 80 %) verbleiben als stpfl. Ertrag beim Anleger

Eine höhere Belastung ergibt sich für Körperschaften allerdings bei Veräußerung des Anteils an einem Aktienfonds, da (bei entsprechender Berechnung und Veröffentlichung des Aktiengewinns) der im Gewinn enthaltene Aktiengewinn bisher nur mit der 5 %-Pauschale des § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG steuerpflichtig ist (als 95 % steuerfrei). Künftig sind Veräußerungsgewinne nur noch mit 80 % steuerfrei (Teilfreistellung von 80 %).

III. Übergangsvorschriften 1. Fondsebene Nach § 56 Abs. 1 InvStG n.F. sind die Vorschriften des neuen Gesetzes ab dem 1. Januar 2018 anzuwenden. Dies gilt unabhängig vom Geschäftsjahr des Investmentfonds. Bei abweichendem Wirtschaftsjahr hat der Investmentfonds ein (steuerliches) Rumpfgeschäftsjahres zum 31. Dezember 2017 zu bilden (§ 56 Abs. 1 Satz 3 InvStG n.F.). Durch diese Fiktion soll für alle Investmentfonds und deren Anleger ein einheitlicher zeitlicher Übergang zum neuen Recht geschaffen werden. Steuerlich findet in diesem Rumpfwirtschaftsjahr eine Zwangsthesaurierung statt. Um den transparenten Status zu erreichen, ist für alle Investmentfonds mit deutschen Anlegern auf den 31. Dezember 2017 letztmals ein Fondsreporting nach altem Recht zu erstellen (notfalls für einen Monat des fiktiven Rumpfgeschäftsjahres). Grundsätzlich muss das entsprechende Fondsreporting innerhalb der gesetzlichen 4-Monatsfrist erfolgen. Im Falle eines fiktiven steuerlichen Rumpfgeschäftsjahres wird eine Fristverlänge604

Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds

rung für die Veröffentlichung der Besteuerungsgrundlagen für das betreffende fiktive steuerliche Rumpfgeschäftsjahr bis zum 31. Dezember 2018 gewährt (§ 56 Abs. 1 Satz 4 InvStG n.F.).43 Auch für Kapital-Investitionsgesellschaften (die ab 2018 zu den Investmentfonds zählen) sowie für Spezial-Investmentfonds (für die zwar weiter das Transparenzprinzip gilt, allerdings mit bestimmten Modifikationen) gelten die neuen Vorschriften unabhängig vom tatsächlichen Geschäftsjahr ab dem 1.1.2018. U.E. gibt es aber keine fiktiven Veräußerungsregeln auf Ebene der Investmentfonds. Insbesondere sollte es keine steuerlichen „fiktiven“ Realisationen zum 31.12.2017/1.1.2018 auf Fondsebene geben, was sich u.E. schon an der Regelung zu Veräußerungsgewinnen aus Immobilien nach § 6 Abs. 4 Satz 2 InvStG n.F. zeigt. Diese regelt, dass (lediglich) Wertsteigerungen bis zum 31. Dezember 2017 steuerfrei sind, sofern eine tatsächliche Haltedauer von mehr als 10 Jahren bis zur Veräußerung erfüllt wird. Die Regelung geht u.E. dabei eindeutig davon aus, dass es gerade nicht zu einer (fiktiven) „Zwangsveräußerung“ auf Fondsebene zum 31.12.2017/1.1.2018 kommt. Eine Ausnahme soll allerdings hinsichtlich gehaltener Ziel-Investmentfondsanteile gelten, da diesbezüglich der Dach-Investmentfonds ebenfalls als Anleger i.S.d. § 56 InvStG n.F. gilt.44 In diesem Zusammenhang hat der Gesetzgeber zudem eine Ergänzung des § 56 Abs. 3 InvStG n.F. beschlossen. Nach dieser Neuregelung (§ 56 Abs. 3 Satz 7 InvStG n.F.) soll es zu keiner aufschiebenden Besteuerung kommen, sondern die fiktive Veräußerung nach § 56 Abs. 2 InvStG n.F. soll auf Ebene des Dach-Investmentfonds bereits zum 31.12.2017/ 1.1.2018 zu berücksichtigen sein. Diese Sonderregelung für Dach-Investmentfonds und Dach-Spezial-Investmentfonds soll laut Gesetzesbegründung der administrativen Vereinfachung dienen und grundsätzlich keinen Einfluss auf die Besteuerung der Anleger des Dach-Investmentfonds oder des Dach-Spezial-Investmentfonds haben.45 Allerdings bleiben die genaue Handhabung und die Auswirkungen dieser Vorschrift im Rahmen

43 Die Finanzverwaltung plant diese Fristverlängerung offenbar auch auf Investmentfonds mit kalendergleichem Geschäftsjahr anzuwenden, vgl. Rz. 169 des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017. 44 Vgl. Rz. 181 bis 183 des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017. 45 Vgl. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum „Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“, S. 69.

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der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen für ein (fiktives) Geschäftsjahresende zum 31.12.2017 abzuwarten. Ein Untergang von Verlustvorträgen bei den Kapitalgesellschaften, an denen ein Investmentfonds beteiligt ist, ist u.E. nicht zu befürchten, da kein Anteilseignerwechsel i.S.v. § 8c Abs. 1 Satz 1 oder 2 KStG stattfindet, der zu einer „Übertragung“ der Anteile führen könnte. Die fiktive Veräußerung ist keine Übertragung in diesem Sinne.46

2. Zurechnung der Erträge auf Anlegerebene in der Übergangszeit 2017 und 2018 Nach dem Gesetzeswortlaut findet für jeden Investmentfonds eine Zwangsthesaurierung zum 31.12.2017 unabhängig vom tatsächlichen Geschäftsjahr des Investmentfonds statt, die den Anlegern dann auch für das Kalenderjahr 2017 zuzurechnen ist.47 Dies gilt unabhängig davon, ob die entsprechenden (zwangsthesaurierten) Erträge in 2018 (auch im Rahmen einer Schlussausschüttung für ein tatsächliches Geschäftsjahr 2017/2018 eines Investmentfonds) an die Anleger ausgeschüttet werden. Eine dem jeweiligen Anleger in 2018 zuzurechnende Ausschüttung der Erträge sollte dann bereits dem neuen Regime unterliegen. Dies bedeutet z.B., dass eine Ausschüttung am 2. Januar 2018 bereits voll (mit ggf. Freistellung) unter den neuen Besteuerungsregeln steuerpflichtig ist. Damit findet aber eine zweimalige Versteuerung innerhalb kurzer Zeit statt (auch wenn dies in zwei verschiedenen Jahren erfolgt und im Endeffekt „nur“ einen Cash-Flow-Nachteil darstellen sollte, der sich bei endgültiger Veräußerung bzw. Rückgabe der Fondsanteile ausgleicht).48 Um dieses Zusammenspiel von Zwangsthesaurierung und Ausschüttung in 2018 klarzustellen, hat der Gesetzgeber auch eine Anpassung des § 56 Abs. 1 InvStG n.F. beschlossen. Die ursprünglich vorgesehene Verlängerung der Möglichkeit eines Ausschüttungsbeschlusses in § 56 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 InvStG n.F. wird entfallen.49 46 Ebenso Bindl/Mager, BB 2016, 2711, 2722. 47 Eine Abweichung von dieser Grundregel des Zuflusses der ordentlichen Erträge zum 31.12.2017 ist bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen für Anleger in Spezial-Investmentfonds vorgesehen, vgl. § 56 Abs. 7 Satz 2 InvStG in der Fassung des „Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“, vgl. BR-Drs. 365/17 v. 12.5.2017. 48 Vgl. auch Rz. 170 und 171 des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017. 49 Vgl. BR-Drs. 365/17 v. 12.5.2017.

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds

Ein weiteres Problem könnte sich in diesem Zusammenhang allerdings hinsichtlich möglicher unterschiedlicher Zuflusszeitpunkte je nach Anlegertypus stellen. Der Wortlaut des neu aufgenommenen § 56 Abs. 7 Satz 1 InvStG n.F. sieht einen Zufluss der ordentlichen Erträge zum 31.12.2017 vor, wenn diese Erträge „nicht ausgeschüttet werden und den Anlegern vor dem 1. Januar 2018 zufließen.“50 Bei einem Ausschüttungsbeschluss in 2017 mit tatsächlicher Zahlung in 2018 könnten unter Umständen allerdings zwei verschiedene Zuflusszeitpunkte vorliegen, da nach bisheriger Ansicht der Finanzverwaltung Ausschüttungen für institutionelle Anleger grundsätzlich mit Fassung des Ausschüttungsbeschlusses zufließen sollen, während sich für Privatanleger der (steuerliche) Zufluss nach § 11 EStG richten soll.51 Allerdings scheint der Gesetzgeber u.E. implizit für alle Anlegergruppen auf den ex-Tag der Ausschüttung bzw. Zahltag (statt dem Ausschüttungsbeschluss) abstellen zu wollen.52 Eine entsprechende Klarstellung zumindest im Anwendungsschreiben der Finanzverwaltung, auch hinsichtlich einer Handhabung bei ex-Tag einer Ausschüttung in 2017 mit tatsächlichem Zahltag in 2018, wäre aber sehr wünschenswert.53

3. Veräußerung auf Anlegerebene zum 31.12.2017/1.1.2018 3.1 Grundsatz Nach § 56 Abs. 2 InvStG n.F. findet auf Anlegerebene eine fiktive Veräußerung der Anteile zum 31. Dezember 2017 statt; zum 1. Januar 2018

50 Vgl. § 56 Abs. 7 Satz 1 InvStG in der Fassung des „Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“, vgl. BR-Drs. 365/17 v. 12.5.2017. 51 Vgl. BMF v. 18.8.2009, Rz. 28 zur Frage des Zuflusszeitpunktes pro Anlegertyp. 52 Vgl. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum „Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“, S. 70: „Aufgrund der Zuflussfiktion in Satz 1 muss der Anleger die ordentlichen Alterträge noch im Veranlagungszeitraum 2017 als ausschüttungsgleiche Erträge versteuern. Die Zuflussfiktion ist auch dann anwendbar, wenn der Fonds im Jahr 2017 einen Ausschüttungsbeschluss fasst, aber die tatsächliche Auszahlung dem Anleger erst im Jahr 2018 zufließt“. 53 Rz. 170 des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017 erscheint ebenfalls nicht eindeutig, da nicht klar scheint, ob auch noch in 2017 erfolgte Ausschüttungsbeschlüsse und alle Anlegertypen mitumfasst sein sollen.

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gelten diese Alt-Anteile als neu angeschafft. Als Veräußerungserlös und Anschaffungskosten ist der letzte im Kalenderjahr 2017 festgesetzte Rücknahmepreis anzusetzen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 InvStG n.F.). Die Veräußerungs- und Anschaffungsfiktion betrifft alle ab 2018 (auch erstmals) in den Anwendungsbereich des InvStG fallenden Anteile. Dies sind –

Anteile an Kapital-Investitionsgesellschaften,



Anteile an Spezial-Investmentfonds,



Anteile an (Publikums-)Investmentfonds und auch



Anteile an erstmals in den Anwendungsbereich des InvStG fallende Vehikel.54

Die fiktive Veräußerung führt zunächst nicht zu einer Versteuerung der bis zum 31.12.2017 eingetretenen Wertsteigerungen. Es findet zu dem Zeitpunkt der fiktiven Veräußerung auch kein Kapitalertragsteuerabzug statt. Es wird vielmehr ein Aufschub der Besteuerung bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung gewährt (§ 56 Abs. 3 Satz 1 InvStG n.F.). Der Veräußerungsgewinn zum 31.12.2017 wird also nur ermittelt und „eingefroren“. Auch wenn nicht ganz eindeutig, sollte der zum 31.12.2017 ermittelte Gewinn u.E. im tatsächlichen Veräußerungsjahr zwar nach den Regeln des bisherigen Rechts (also unter dem Transparenz-Gedanken), aber mit den dann (d.h. im Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung) geltenden persönlichen Steuermerkmalen und v.a. dem dann geltenden Steuersatz versteuert werden.55 Um in diesem Zusammenhang Umgehungen aus dem grundsätzlichen Vorrang des InvStG vor dem Außensteuergesetz (AStG) nach § 7 Abs. 7 AStG zu vermeiden, soll, soweit ersichtlich, die Wegzugsbesteuerung des AStG in einem folgenden Änderungsgesetz noch angepasst werden.56

54 Vgl. Rz. 176 des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017. 55 Vgl. auch Rz. 195 des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017. 56 Dazu Kußmaul/Kloster, Ubg 2016, 672, 675 (außerdem auch zu Fragen der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG); Haug, IStR 2016, 597 ff. sowie Anregung des Bundesrates in BR-Drucks. 119/16, Rz. 30.

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Privatanleger bleibt zudem in diesem Zusammenhang zu raten, auf mögliche drohende Erhöhungen (oder die mögliche Abschaffung) der Abgeltungsteuer zu achten.57 Bei Privatanlegern hat die inländische Stelle, die die Alt-Anteile verwahrt (also i.d.R. die inländische Depotbank des Anlegers) bis zum 31. Dezember 2020 den Gewinn aus der fiktiven Veräußerung der Anteile und die Erträge nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 InvStG in der derzeitigen Fassung zu ermitteln und vorzuhalten (§ 56 Abs. 4 Satz 1 InvStG n.F.). Die Höhe des ermittelten Veräußerungsgewinns hat die inländische Depotbank dem Steuerpflichtigen (also dem Anleger) auf Antrag mitzuteilen (§ 56 Abs. 4 Satz 2 InvStG). In allen anderen Fällen wird der (fiktive) Veräußerungsgewinn i.S.v. § 56 Abs. 3 Satz 1 InvStG n.F. grundsätzlich vom Finanzamt gesondert festgestellt, wenn der Anleger der Besteuerung nach dem Einkommen unterliegt (§ 56 Abs. 5 Satz 1 InvStG n.F.). Zuständig für diese gesonderte Feststellung ist das Finanzamt, das für die Besteuerung des Anlegers nach dem Einkommen zuständig ist. Der Anleger hat dazu spätestens bis zum 31. Dezember 2021 eine Erklärung zur gesonderten Feststellung des Gewinns abzugeben. Die gesonderte Feststellung des Gewinns kann mit dem ESt- oder KSt-Bescheid des Anlegers für den entsprechenden Veranlagungszeitraum verbunden werden. Dies könnte insbesondere folgende Konstellationen betreffen: –

Anteile von Privatanlegern, die in einer ausländischen Depotbank gehalten werden;58



Anteile, die sich im Betriebsvermögen von natürlichen Personen befinden;



Anteile, die sich im Betriebsvermögen einer Personengesellschaft befinden;



Anteile, die von Körperschaften gehalten werden.

57 Vgl. den Antrag des Landes Brandenburg v. 27.10.2016 zur Verabschiedung einer Entschließung des Bundesrates zur Abschaffung der Abgeltungsteuer in BR-Drs. 643/16. 58 Dies erscheint allerdings nicht eindeutig, da § 56 Abs. 5 InvStG n.F. von einer „Besteuerung nach dem Einkommen“ spricht. Allerdings spricht u.E. die Gesetzesbegründung für eine derartige Interpretation, vgl. BT-Drs. 18/8045, 125. Nach Rz. 208 und 209 des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform vom 29.3.2017 ist eine Feststellung in den Fällen durchzuführen, in denen ohnehin ein Veranlagungsverfahren erforderlich ist.

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Auf die Art der Anteile bzw. den Status des Investmentfonds (Rentenfonds, Aktienfonds, Mischfonds, Immobilienfonds) kommt es hierbei nicht an. Bei betrieblichen und institutionellen Anlegern erfolgt nach der Gesetzesbegründung für den fiktiven Veräußerungsvorgang kein Ausweis eines Gewinns oder Verlustes in der Steuerbilanz. Da der Besteuerungstatbestand noch nicht vollständig verwirklicht ist, weil der Gewinn oder Verlust aus der fiktiven Veräußerung erst bei tatsächlicher Veräußerung eines Alt-Anteils als zugeflossen gilt, können sich keine Bewertungsunterschiede zwischen Steuer- und Handelsbilanz ergeben. Aufgrund der fiktiven Veräußerung sollen somit auch keine latenten Steuern i.S.d. § 274 HGB anzusetzen sein.59 3.2 Sonderregelung für vor 2009 angeschaffte Investmentanteile Nach bisherigem Recht können Privatanleger ihre vor 2009 erworbenen Alt-Investmentanteile (also Anteile, die vor Einführung der Abgeltungsteuer und damit vor Einführung der zeitlich unbefristeten Steuerverhaftung von Wertpapieren u.Ä. erworben wurden) derzeit grundsätzlich steuerfrei veräußern. Die alte „Spekulationsfrist“ von einem Jahr (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F.) ist für diese Anteile längst abgelaufen. Diese Anteile wachsen nun nach § 56 Abs. 6 InvStG n.F. ab dem 1. Januar 2018 wieder in die Steuerverhaftung hinein. Der bisherige Bestandsschutz dieser Anteile wird gesetzlich begrenzt bzw. beendet. Dabei bleiben allerdings die bis zum 31.12.2017 eingetretenen Wertveränderungen auf Dauer steuerfrei. Die (erneute) Steuerverhaftung nach § 56 Abs. 6 InvStG n.F. betrifft nur die ab dem 1. Januar 2018 eintretenden Wertveränderungen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Anteile erst kurz vor Einführung der Abgeltungsteuer (also im Jahr 2008) oder bereits lange vorher (z.B. in den Jahren 1999 oder 2001) erworben wurden. Ab 2018 unterliegen diese (bisher bestandsgeschützten) Alt-Anteile vollumfänglich dem neuen Recht; sie sind also mit den Ausschüttungen, der Vorabpauschale und einem späteren Veräußerungsgewinn steuerpflichtig im Rahmen der Abgeltungsteuer (§ 16 Abs. 1 InvStG n.F.). Die bis zum 31.12.2017 eingetretenen Wertveränderungen bleiben dauerhaft steuerfrei. Für diese bestandsgeschützten Alt-Anteile ist eigentlich keine Ermittlung, kein Vorhalten bzw. keine gesonderte Feststellung des Gewinns 59 BR-Drs. 119/16, 142; vgl. auch Rz. 178 und 192 des Entwurfs des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017.

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bzw. Verlusts zum 31.12.2017 erforderlich. Eine Ausnahme für diese Fälle sieht das Gesetz allerdings zumindest nicht ausdrücklich vor. Von Bedeutung ist in diesen Fällen zudem die Höhe des Zwischengewinns zum 31.12.2017, da dieser auch unter derzeit gültigem Recht bei Veräußerung der Alt-Anteile trotz Bestandsschutz für den Anleger steuerpflichtig ist. Insgesamt sind allerdings viele Einzelfragen des Zusammenspiels der fiktiven Veräußerung, der Feststellung der einzelnen Komponenten sowie der involvierten Parteien (letzteres gerade, wenn keine inländische Depotbank vorhanden ist) noch unklar. Diese müssen in einem Finanzverwaltungsschreiben geklärt werden.60 Um verfassungsrechtliche Problemstellungen im Zusammenhang mit der neuen Steuerverhaftung dieser bisher bestandsgeschützten Alt-Anteile abzumildern, wird in § 56 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 InvStG n.F. ein Freibetrag i.H.v. (einmalig) 100 000 Euro für die betroffenen Privatanleger eingeführt, der sukzessive und ohne zeitliche Einschränkungen verbraucht werden kann. Dadurch dürfte sich für die weit überwiegende Zahl aller Steuerpflichtigen faktisch weiterhin ein Bestandsschutz hinsichtlich der vor 2009 erworbenen Investmentanteile ergeben. Nicht unter die Freibetragsregelung für die ab 2018 eintretenden Wertveränderungen fallen nach § 56 Abs. 6 Satz 6 InvStG n.F. allerdings Anteile an sog. „Millionärsfonds“ (soweit sie von § 21 Abs. 2a InvStG a.F. erfasst sind) und steueroptimierte Geldmarktfonds (§ 21 Abs. 2b InvStG a.F.). Diese Anteile sind nämlich bereits jetzt steuerverhaftet; sie wurden deshalb am Ende des Gesetzgebungsverfahrens zur Klarstellung auch gesetzlich aus der Definition der bestandsgeschützten Anteile herausgenommen.61 Die praktische Abwicklung des Freibetrags erfolgt über das Finanzamt; eine Gewährung des Freibetrags bereits im Rahmen des Steuerabzugs bei der (inländischen) Depotbank ist gesetzlich nicht vorgesehen. Nach § 56 Abs. 6 Satz 2 InvStG n.F. ist der am Schluss des Veranlagungszeitraums verbleibende Freibetrag im Gegenteil bis zu seinem vollständigen Verbrauch gesondert festzustellen. Zuständig dafür ist das Finanzamt des Anlegers. Die Situation ähnelt den sog. Altveräußerungsverlusten nach § 23 EStG a.F. bei dem Übergang zum Abgeltungsteuerregime, der

60 Vgl. hierzu erste (vorläufige) Details unter Rz. 213 ff. des Entwurfs des BMFSchreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017. 61 Begründung des Finanzausschusses des Bundestags in BT-Drs. 18/3739, 114.

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ebenfalls auf Ebene des Finanzamtes zu führen war und von inländischen Depotbanken nicht berücksichtigt werden durfte. Treten nach (vollständigem oder teilweisen) Verbrauch des Freibetrags Verluste aus der Veräußerung von bestandsgeschützten Alt-Anteilen ein, steht insoweit der verbrauchte Freibetrag in den folgenden Jahren wieder zur Verfügung (§ 56 Abs. 6 Satz 4 InvStG n.F.). Der eigentlich bereits verbrauchte Freibetrag lebt in diesen Fällen also zum nächsten Feststellungsstichtag wieder auf (§ 56 Abs. 6 Satz 5 InvStG n.F.). Im Zusammenhang mit dem Freibetrag von 100 000 Euro gibt es zahlreiche offene Fragen, die von der Finanzverwaltung rechtzeitig beantwortet werden müssen62, z.B.: –

Berücksichtigung von Teilfreistellungen (dazu s.u. Beispiel 3);



Berücksichtigung von Verlusten vor Gewinnen (d.h. Erhöhung über 100 000 Euro möglich?);



Verhältnis zu (eingefrorenen) Verlusten aus Alt-Anteilen;



Verhältnis zum Sparer-Pauschbetrag.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die zukünftige Steuerverhaftung der Anteile verfassungsrechtlich zulässig ist; er begründet dies zunächst damit, dass der bei der Einführung der Abgeltungsteuer gewährte Bestandsschutz für die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen aus vor 2009 angeschafften Wertpapieren die Gefahr erzeugt habe, dass Investmentfonds zur dauerhaften Umgehung der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen genutzt werden. Die Gesetzesbegründung legt dar,63 dass entsprechende Investmentfonds für vermögende Einzelanleger (sog. „Millionärsfonds“) in den Jahren 2007 und 2008 vorwiegend im benachbarten Ausland aufgelegt worden seien. Die Millionärsfonds seien häufig genutzt worden, um auf den Fonds ganze Wertpapier-Depots des Einzelanlegers zu übertragen. Dadurch sei es möglich gewesen, auch bei ab 2009 angeschafften Kapitalanlagen die Veräußerungsgewinne weiterhin steuerfrei zu beziehen. Mit dem Jahressteuergesetz 2008 habe der Gesetzgeber § 21 Abs. 2a InvStG in der Fassung des AIFM-Steuer-Anpassungsgesetzes eingeführt, um diese Umgehungsmöglichkeit einzuschränken.64 Es habe sich jedoch gezeigt, dass diese Maßnahme nur eingeschränkt wirksam ge-

62 Vgl. hierzu erste (vorläufige) Details unter Rz. 213 ff. des Entwurfs des BMFSchreibens zur Investmentsteuerreform v. 29.3.2017. 63 BR-Drs. 119/16, 145. 64 Vgl. BT-Drs. 16/7036, 9 und 28.

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wesen sei. Um die dauerhafte Umgehungsmöglichkeit auszuschließen, bedürfe es nun einer zeitlichen Kappung des Bestandsschutzes. Die Einschränkung des Bestandsschutzes stellt nach Auffassung des Gesetzgebers auch keine verfassungsrechtliche zu rechtfertigende Ungleichbehandlung der Fondsanlage gegenüber der Direktanlage im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG dar, weil die Fondsanlage aufgrund der Möglichkeit zur steuerfreien Thesaurierung von Veräußerungsgewinnen auf Fondsebene bereits nicht mit der Direktanlage vergleichbar sei. Darüber hinaus sei die Kappung des Bestandsschutzes zur Verhinderung von Steuerumgehungen erforderlich. Trotz des Freibetrags von 100 000 Euro bleibt aber abzuwarten, inwieweit und mit welchem Erfolg von betroffenen Anlegern verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Neuregelung gerichtlich geltend gemacht werden. Vereinfachte Beispiele zur Wirkungsweise der Übergangsregelungen: Beispiel 1: Privatanleger P hat Anteile an einem Aktienfonds im Jahr 2012 für 72,00 Euro erworben und hält diese bei einer inländischen Depotbank. Der Rücknahmepreis zum 31.12.2017 beträgt 100,00 Euro. P veräußert den Anteil im Jahr 2020 für 120,00 Euro. Der Zwischengewinn und die ausschüttungsgleichen Erträge sollen aus Vereinfachungsgründen 0 Euro betragen. In der Zeit ab 2018 sollen keine Vorabpauschalen i.S.v. § 18 InvStG n.F. angefallen sein. Lösung: Aufgrund der Veräußerungsfiktion in § 56 Abs. 2 InvStG n.F. entsteht zum 31.12.2017 ein (fiktiver) Veräußerungsgewinn i.H.v. (100,00 ./. 72,00 =) 28,00. Die Höhe dieses Veräußerungsgewinns ist nach § 56 Abs. 4 Satz 1 InvStG n.F. durch die inländische Depotbank zu ermitteln und vorzuhalten. Ebenso vorzuhalten sind grundsätzlich die Besteuerungsgrundlagen i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 InvStG (als zugeflossen geltende, noch nicht dem Steuerabzug unterworfene Dividendenerträge aus ausländischen Investmentanteilen sowie Zwischengewinne). Der Veräußerungsgewinn von 28,00 wird im Jahr 2020 versteuert (nach dem dann geltenden Steuersatz; nach derzeitigem Recht wäre für den Privatanleger P in diesem Beispiel der Abgeltungsteuersatz von 25 % anzuwenden;65 für betriebliche Anleger wäre der sog. Aktiengewinn nach § 3 Nr. 40 EStG bzw. nach § 8b Abs. 2 KStG begünstigt).

65 Die Abgeltungsteuer ist allerdings in der nächsten Legislaturperiode des Bundestages von der Abschaffung bedroht; vgl. den entsprechenden Antrag des Landes Brandenburg vom 27.10.2016 zur Verabschiedung einer entsprechenden Entschließung durch den Bundesrat in BR-Drs. 643/16.

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds Außerdem ist die Wertsteigerung seit dem 1.1.2018 im Jahr 2020 steuerpflichtig; dieser steuerpflichtige Betrag ist dabei wie folgt zu ermitteln. Veräußerungspreis im Jahr 2020 ./. fiktive Anschaffungskosten zum 1.1.2018 (= Rücknahmepreis am 31.12.2017) Veräußerungsgewinn ./. Teilfreistellung 30 % (§ 20 Abs. 1 InvStG n.F.) steuerpflichtig

120,00 ./. 100,00 20,00 ./. 6,00 14,00

Insgesamt ergibt sich somit im Jahr 2020 ein steuerpflichtiger Betrag i.H.v. 42,00 Euro. Beispiel 2: Privatanleger P hat Anteile an einem Aktienfonds im Jahr 2012 für 72,00 Euro erworben und hält diese bei einer inländischen Depotbank. Der Rücknahmepreis zum 31.12.2017 beträgt 100,00 Euro. P veräußert den Anteil im Jahr 2020 für 90,00 Euro. Der Zwischengewinn und die ausschüttungsgleichen Erträge sollen aus Vereinfachungsgründen 0 Euro betragen. In der Zeit ab 2018 sollen keine Vorabpauschalen i.S.v. § 18 InvStG n.F. angefallen sein. Lösung: Aufgrund der Veräußerungsfiktion in § 56 Abs. 2 InvStG n.F. entsteht zum 31.12.2017 – wie im Beispiel 1 – ein (fiktiver) Veräußerungsgewinn i.H.v. (100,00 ./. 72,00 =) 28,00. Die Höhe dieses Veräußerungsgewinns ist nach § 56 Abs. 4 Satz 1 InvStG n.F. durch die Depotbank zu ermitteln und vorzuhalten. Der Veräußerungsgewinn von 28,00 wird im Jahr 2020 versteuert. Außerdem ist die Wertminderung seit dem 1.1.2018 im Jahr 2020 anzusetzen; der Betrag ist dabei wie folgt zu ermitteln. Veräußerungspreis im Jahr 2020 ./. fiktive Anschaffungskosten zum 1.1.2018 (= Rücknahmepreis am 31.12.2017) Veräußerungsverlust davon 30 % nach § 21 InvStG n.F. nicht abzugsfähig (Teilabzugsverbot, s.o.) berücksichtigungsfähiger Veräußerungsverlust

90,00 ./. 100,00 ./. 10,00 + ./.

3,00 7,00

Ein Ausgleich des Verlustes aus dem neuen Recht mit dem Altgewinn vor 2017 ist u.E. möglich, da beide dem Abgeltungsteuerregime unterfallen. Insgesamt ergibt sich somit im Jahr 2020 ein steuerpflichtiger Betrag i.H.v. 21,00 Euro. Beispiel 3: Privatanleger P hat im Jahr 2007 2000 Anteile an einem Aktienfonds für 72,00 Euro erworben (Anschaffungskosten für die Anteile also insgesamt 144 000 Euro) und hält diese bei einer inländischen Depotbank. Der Rücknahmepreis zum 31.12.2017 beträgt 100,00 Euro je Anteil. P veräußert die Anteil im Jahr 2020 zum

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds Rücknahmepreis von 120,00 Euro je Anteil (Veräußerungspreis insgesamt also 240 000 Euro. Der Zwischengewinn und die ausschüttungsgleichen Erträge sollen aus Vereinfachungsgründen 0 Euro betragen. In der Zeit ab 2018 sollen keine Vorabpauschalen i.S.v. § 18 InvStG angefallen sein. Lösung: Aufgrund der Veräußerungsfiktion in § 56 Abs. 2 InvStG n.F. entsteht zum 31.12.2017 ein (fiktiver) Veräußerungsgewinn i.H.v. (100,00 ./. 72,00 =) 28,00 je Anteil (insgesamt 56 000). Da es sich um einen bestandsgeschützten Altanteil handelt (Erwerb vor 2009), sind nach § 56 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 InvStG n.F. Wertveränderungen zwischen dem Anschaffungszeitpunkt im Jahr 2007 und dem 31.12.2017 steuerfrei. Nach dem Gesetzeswortlaut (§ 56 Abs. 4 Satz 1 InvStG n.F.) hat eine inländische Depotbank unter Umständen den Gewinn aus der fiktiven Veräußerung dennoch zu ermitteln und vorzuhalten (siehe Diskussion oben); eine ausdrückliche gesetzliche Ausnahme für diese Fälle scheint u.E. jedenfalls nicht ersichtlich. Die Wertsteigerung seit dem 1.1.2018 ist im Jahr 2020 unter Berücksichtigung des Freibetrags nach § 56 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 InvStG n.F. steuerpflichtig; der steuerpflichtige Betrag ist dabei wie folgt zu ermitteln. Veräußerungspreis im Jahr 2020 ./. fiktive Anschaffungskosten zum 1.1.2018 (= Rücknahmepreis am 31.12.2017) Veräußerungsgewinn

240 000,00 ./. 200 000,00 40 000,00

Fraglich ist nun allerdings, ob von diesem Veräußerungsgewinn zunächst der Freibetrag i.S.v. § 56 Abs. 6 Satz 1 Nr. InvStG n.F. abzuziehen ist (1. Variante) oder ob zunächst die Teilfreistellung von 30 % nach § 20 Abs. 1 InvStG n.F. vorgenommen werden kann (2. Variante). Die 2. Variante wäre für die Anleger günstiger, da sich dadurch ein niedrigerer Verbrauch des Freibetrags ergeben würde (28 000 Euro statt 40 000 Euro). Der Gesetzeswortlaut gibt zur Reihenfolge der beiden Begünstigungen keine klare Aussage. Auch im Entwurf des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform vom 29.3.2017 ist, soweit ersichtlich, keine explizite Aussage enthalten. Für die 1. Variante könnte der Begriff „Wertveränderungen“ in § 56 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 InvStG n.F. sprechen. Andererseits wird aber in derselben Regelung auch von „Gewinn“ gesprochen. Sowohl Freibetrag als auch Teilfreistellung nehmen damit auf den steuerlich ermittelten Gewinn unter dem ab 2018 geltenden Regime Bezug, sind also eigentlich parallel anwendbar; die Gesetzesbegründung gibt zur Reihenfolge u.E. keinen Aufschluss. Eine solche Unklarheit sollte nicht zu Lasten von Privatanlegern gehen können und zudem sollte sich der Freibetrag auf die steuerpflichtige Größe, d.h. den Gewinn nach Teilfreistellung (wie im Fall nicht bestandsgeschützter Anteile) beziehen. Der Freibetrag ist schließlich ein zusätzliches Zugeständnis für die bestandsgeschützten Alt-Anteile, während die Teilfreistellung ab 2018 allgemein für alle Anleger gilt. Ansonsten würde man die Höhe des Freibetrags faktisch reduzieren und auch davon abhängig machen, welche Anteile an welchem Fondstypus der

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds Anleger zuerst verkauft (bei Rentenfonds wäre der Freibetrag mangels Teilfreistellung voll nutzbar, während bei Immobilienfonds ein teilweise „nutzloser Verbrauch“ eintreten würde, da die Steuerfreiheit im Ergebnis auch über die Teilfreistellung erreichbar wäre). Zu einer tatsächlichen Besteuerung kommt es in dem gewählten Beispiel – unabhängig von der Reihenfolge von Freibetrag und Teilfreistellung – nicht, da der Veräußerungsgewinn i.H.v. 40 000 Euro auf jeden Fall durch den Freibetrag kompensiert werden kann. Auswirkungen ergeben sich jedoch auf die Höhe des zum 31.12.2020 festzustellenden verbleibenden Freibetrag (§ 56 Abs. 6 Satz 2 InvStG n.F.). Beispiel 4: Anleger B hat Anteile an einem Aktienfonds im Jahr 2007 für 72,00 Euro erworben und seither im Betriebsvermögen seines Einzelunternehmens gehalten. Der Rücknahmepreis zum 31.12.2017 beträgt 100,00 Euro. B veräußert den Anteil im Jahr 2020 für 120,00 Euro. Der Zwischengewinn, der Aktiengewinn und die ausschüttungsgleichen Erträge sollen aus Vereinfachungsgründen jeweils 0 Euro betragen. In der Zeit ab 2018 sollen keine Vorabpauschalen i.S.v. § 18 InvStG angefallen sein. Lösung: Aufgrund der Veräußerungsfiktion in § 56 Abs. 2 InvStG n.F. entsteht zum 31.12.2017 ein (fiktiver) Veräußerungsgewinn i.H.v. (100,00 ./. 72,00 =) 28,00. Die Höhe dieses Veräußerungsgewinns wird nach § 56 Abs. 5 Satz 1 InvStG n.F. durch das Finanzamt des B gesondert festgestellt (also nicht durch die inländische Depotbank ermittelt und vorgehalten, wie dies bei einem Privatanleger der Fall wäre). Hierzu müsste B spätestens bis zum 31.12.2021 eine Feststellungserklärung abgeben. Der Veräußerungsgewinn von 28,00 wird dann im Jahr 2020 nach dem persönlichen Steuersatz versteuert (nach dem dann geltenden Steuertarif). Wäre ein sog. Aktiengewinn gegeben, wäre insoweit nach § 3 Nr. 40 EStG das Teileinkünfteverfahren anzuwenden. Außerdem ist die Wertsteigerung seit dem 1.1.2018 im Jahr 2020 steuerpflichtig; der steuerpflichtige Betrag ist dabei wie folgt zu ermitteln. Ein Aktiengewinn ist ab 1.1.2018 nicht mehr relevant. Veräußerungspreis im Jahr 2020 ./. fiktive Anschaffungskosten zum 1.1.2018 (= Rücknahmepreis am 31.12.2017) Veräußerungsgewinn ./. Teilfreistellung 60 % (§ 20 Abs. 1 InvStG n.F.) steuerpflichtig

120,00 ./. 100,00 20,00 ./. 12,00 8,00

Insgesamt ergibt sich somit im Jahr 2020 ein steuerpflichtiger Betrag i.H.v. 36,00 Euro. Dieser Betrag unterliegt auch der Gewerbesteuer.

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds Ein Freibetrag i.S.v. § 56 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 InvStG n.F. wird in diesem Fall nicht gewährt, da es sich nicht um bestandsgeschützte Altanteile i.S. dieser Regelung handelt. Die Anteile waren nämlich bereits ab Erwerb im Jahr 2007 aufgrund der Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen des B steuerverhaftet. Beispiel 5: Die G-GmbH hat Anteile an einem Aktienfonds im Jahr 2007 für 72,00 Euro erworben und seither durchgehend mit diesem Wert in ihrer Handels- und Steuerbilanz aktiviert. Der Rücknahmepreis zum 31.12.2017 beträgt 100,00 Euro. Die G-GmbH veräußert den Anteil im Jahr 2020 für 120,00 Euro. Der Zwischengewinn, der Aktiengewinn und die ausschüttungsgleichen Erträge sollen aus Vereinfachungsgründen jeweils 0 Euro betragen. In der Zeit ab 2018 sollen keine Vorabpauschalen i.S.v. § 18 InvStG angefallen sein. Lösung: Aufgrund der Veräußerungsfiktion in § 56 Abs. 2 InvStG n.F. entsteht zum 31.12.2017 ein (fiktiver) Veräußerungsgewinn i.H.v. (100,00 ./. 72,00 =) 28,00. Die Höhe dieses Veräußerungsgewinns wird nach § 56 Abs. 5 Satz 1 InvStG n.F. durch das Finanzamt der G-GmbH gesondert festgestellt (also nicht durch die inländische Depotbank ermittelt und vorgehalten, wie dies bei einem Privatanleger der Fall wäre). Hierzu müsste die G-GmbH spätestens bis zum 31.12.2021 eine Feststellungserklärung abgeben. Der Veräußerungsgewinn von 28,00 wird dann im Jahr 2020 nach dem dann geltenden Steuer- bzw. Hebesatz bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer versteuert. Wäre ein sog. Aktiengewinn gegeben, wäre insoweit nach § 8b Abs. 2 und 3 KStG eine Steuerfreistellung von (im Ergebnis) 95 % zu gewähren. Außerdem ist die Wertsteigerung seit dem 1.1.2018 im Jahr 2020 steuerpflichtig; der steuerpflichtige Betrag ist dabei wie folgt zu ermitteln. Ein Aktiengewinn ist ab 1.1.2018 nicht mehr relevant. Veräußerungspreis im Jahr 2020 ./. fiktive Anschaffungskosten zum 1.1.2018 (= Rücknahmepreis am 31.12.2017) Veräußerungsgewinn ./. Teilfreistellung 80 % (§ 20 Abs. 1 InvStG n.F.) steuerpflichtig

120,00 ./. 100,00 20,00 ./. 16,00 4,00

Insgesamt ergibt sich somit im Jahr 2020 ein steuerpflichtiger Betrag i.H.v. 32,00 Euro. Ein Freibetrag i.S.v. § 56 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 InvStG n.F. wird auch in diesem Fall nicht gewährt, da es sich nicht um bestandsgeschützte Altanteile i.S. dieser Regelung handelt. Die Anteile waren nämlich bereits ab Erwerb im Jahr 2007 aufgrund der Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen der G-GmbH steuerverhaftet (institutioneller Anleger).

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Hagen/Lang, Investmentfondsbesteuerung für (Publikums-)Investmentfonds

IV. Resümee Die Investmentsteuerreform ist im Hinblick auf Investmentfonds insgesamt zu begrüßen. Sie wird zu einer wesentlichen Vereinfachung der Besteuerung von Erträgen aus Investmentanteilen vor allem auf der Ebene der Anleger beitragen. Anleger können die von ihnen zu versteuernden Erträge künftig allein nach den ihnen bekannten Merkmalen berechnen. Für die Investmentfonds selbst entfällt das aufwändige und komplexe Fondsreportingsystem. Allerdings wird auf Investmentfonds in der Übergangszeit einige Anpassungsarbeit zukommen, z.B. hinsichtlich der Anlagebedingungen oder der Auflegung spezieller Anteilklassen, sowie auch ab 2018 weitere neue Aufgaben, z.B. Unterstützung der Anleger im Erlangen erweiterter Steuerbefreiungen, usw. Auch für (inländische) Depotbanken stellt die Investmentsteuerreform eine große Herausforderung dar. Aus Sicht der Finanzverwaltung dürften die Gestaltungsmöglichkeiten, die das bisherige Recht geboten hat, weitgehend beseitigt sein. Auch die europarechtlichen Risiken des bisherigen Besteuerungsregimes sind u.E. durch die Neuregelungen beseitigt.66 Für Praxisprobleme wird zudem der Übergang vom bisherigen zum neuen Recht zum 1.1.2018 führen. Hier sind, wie gezeigt, noch zahlreiche Einzelfragen ungeklärt.67 Es ist begrüßenswert, dass die Finanzverwaltung bereits beginnt, zu diesen und auch zu weiteren (Umsetzungs-)Fragen aus der laufenden Besteuerung im neuen Recht Stellung zu nehmen.68 Durch die Sonderregelungen für Spezial-Investmentfonds lebt das bisherige Recht – mit gewissen Modifikationen – auch in Zukunft neben dem neuen „intransparenten“ Besteuerungssystem für Investmentfonds allerdings weiter.

66 Ebenso Helios/Mann, DB 2016, Sonderausgabe 01/2016, 18; a.A. für bestimmte Fallkonstellationen Rehm/Nagler, BB 2015, 2006. 67 Zu weiteren Zweifelsfragen vgl. z.B. auch Neumann, DB 2016, 1779, und Bindl/Mager, BB 2016, 2711. Durch die verschiedenen Verbände wurden zahlreiche Eingaben gemacht. 68 Vgl. den Entwurf des BMF-Schreibens zur Investmentsteuerreform vom 29.3.2017, der die im Hinblick auf 2018 umsetzungsrelevantesten Änderungen umfassen soll.

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Auswirkungen des neuen BMF-Schreibens zu § 153 AO Eckpunkte eines innerbetrieblichen Kontrollsystems Helmut König Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Düsseldorf1 Inhaltsübersicht 1. Das neue BMF-Schreiben zu § 153 AO 2. Tax CMS und innerbetriebliches Kontrollsystem für Steuerzwecke 3. Eckpunkte eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für steuerliche Zwecke 3.1 Die Steuerfunktion als wesentlicher Maßstab 3.2 Die Ausgestaltung eines SteuerIKS 3.2.1 Angemessenheit und Wirksamkeit (a) Angemessenheit (b) Wirksamkeit (c) Prüfung

3.2.2 Grundelemente (a) Tax Compliance-Kultur (b) Tax Compliance-Ziele (c) Tax Compliance-Organisation (d) Tax Compliance-Risiken (e) Tax Compliance-Programm (f) Tax Compliance-Kommunikation (g) Tax Compliance-Überwachung und Verbesserung 4. Fazit

Erkennt ein Steuerpflichtiger nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist oder dass eine durch Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern zu entrichtende Steuer nicht in der richtigen Höhe entrichtet worden ist, so ist er verpflichtet, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen, § 153 Abs. 1 AO. Die Anzeigepflicht besteht ferner, wenn die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung, Steuerermäßigung oder sons1 Helmut König ist Partner bei der BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Düsseldorf und Leiter der Praxisgruppe Steuern sowie Geschäftsführer der BBWP GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.

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König, Auswirkungen des neuen BMF-Schreibens zu § 153 AO

tige Steuervergünstigung nachträglich ganz oder teilweise wegfallen, § 153 Abs. 2 AO. Folglich umfasst § 153 AO den bisher „unbewussten“ Fehler, den der Steuerpflichtige nachträglich erkannt hat, so dass zunächst kein vorsätzliches oder leichtfertiges Verhalten des Steuerpflichtigen vorlag. Berichtigungen nach § 153 AO sind innerhalb der regulären vierjährigen Festsetzungsfrist vorzunehmen. Hingegen setzen die Steuerstraftaten oder Steuerordnungswidrigkeiten i.S.d. §§ 370 und 378 AO ein vorsätzliches bzw. leichtfertiges Handeln voraus (subjektiver Tatbestand). Liegt eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) vor, greifen beispielsweise die verlängerten Festsetzungsfristen nach § 169 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AO (10 Jahre) oder die abgabenrechtliche Haftung nach § 69 Satz 1 AO. Für Steuerordnungswidrigkeiten i.S.d. § 378 AO gilt beispielsweise eine fünfjährige Festsetzungsfrist, § 169 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AO. Eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann vorliegen, wenn der Steuerpflichtige den bisher „unbewussten“ Fehler nachträglich erkannt hat und die Berichtigungsverpflichtung nach § 153 AO verletzt. In der Praxis werden fehlerhafte Steuererklärungen ganz überwiegend erst nachträglich im Rahmen von Betriebsprüfungen erkannt. Schnell führt die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit zum Vorwurf der Steuerhinterziehung oder Steuerordnungswidrigkeit. Für diesen Vorwurf muss der Betriebsprüfer aber zunächst für jede einzelne Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit prüfen, ob ein vorsätzliches oder leichtfertiges Handeln des Steuerpflichtigen vorliegt. Sind die Voraussetzungen erfüllt, kann der Prüfer den Sachverhalt gegebenenfalls an die Buß- und Strafsachenstelle weiterleiten. Insoweit kommt dem Betriebsprüfer auch eine Filterfunktion zu.

1. Das neue BMF-Schreiben zu § 153 AO In diesem Spannungsfeld nimmt das BMF im Rahmen des AEAO wie folgt Stellung:2 „Zu § 153 – Berichtigung von Erklärungen: […] 2.6 Für eine Steuerhinterziehung reicht von den verschiedenen Vorsatzformen bereits bedingter Vorsatz aus. Dieser kommt in Betracht, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält. Es ist nicht erforderlich, dass der Täter die Tat2 BMF v. 23.5.2016 – IV A 3-S 0324/15/10001, BStBl. I 2016, 490.

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König, Auswirkungen des neuen BMF-Schreibens zu § 153 AO bestandsverwirklichung anstrebt oder für sicher hält. Nach der BGH-Rspr. ist für die Annahme des bedingten Vorsatzes neben dem Für-Möglich-Halten der Tatbestandsverwirklichung zusätzlich erforderlich, dass der Eintritt des Taterfolges billigend in Kauf genommen wird. Für die billigende Inkaufnahme reicht es, dass dem Täter der als möglich erscheinende Handlungserfolg gleichgültig ist. Hat der Stpfl. ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch befreit dies nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls. […]“

Demgemäß kann ein eingerichtetes innerbetriebliches Kontrollsystem, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient („Steuer-IKS“), nach Auffassung des BMF ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines (bedingten) Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann. Mit dieser zurückhaltenden Formulierung trifft die Finanzverwaltung gleichwohl erstmals eine offizielle Aussage zur Einrichtung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für Steuerzwecke durch Unternehmen. In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass Unternehmen gesetzlich nicht explizit verpflichtet sind, ein innerbetriebliches Kontrollsystem für steuerliche Zwecke einzurichten. Auch die Finanzverwaltung geht lediglich von einer indiziellen Wirkung aus. In diesem Sinne darf ein fehlendes Kontrollsystem nicht automatisch zu einem Vorsatzvorwurf führen. Dabei sollten sich Unternehmen aber gut überlegen, ob sie auf dieses gewichtige Indiz verzichten möchten.

2. Tax CMS und innerbetriebliches Kontrollsystem für Steuerzwecke Das BMF definiert den Begriff „innerbetriebliches Kontrollsystem für steuerliche Zwecke“ nicht, so dass der AEAO auch keine Aussage über die konkrete Ausgestaltung eines solchen Systems enthält. Um eine (mögliche) Ausgestaltung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für Steuerzwecke skizzieren zu können, ist ein solches System im Organisationsaufbau eines Unternehmens zu „verorten“. Das eingerichtete innerbetriebliche Kontrollsystem soll der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dienen. (Tax) Compliance ist die Einhaltung von unternehmensexternen und -internen Regeln (für steuerliche Zwecke),3 so dass dieses Kontrollsystem dem Bereich Tax Compliance eines Unterneh3 Vgl. IDW PS 980, Rz. 5.

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mens zuzuordnen ist. Ein Tax Compliance-Management-System („Tax CMS“) soll eine wirksame Tax Compliance sicherstellen. Dabei beinhaltet ein Tax CMS folgende Funktionen:4 –

Abwehrend: Vermeidung von steuer- und strafrechtlichen Risiken



Gestalterisch: Rechtskonforme Steueroptimierung und -gestaltung



Organisatorisch: Implementierung von organisatorischen Maßnahmen zur rechtskonformen Erfüllung der steuerlichen Pflichten.

Das innerbetriebliche Kontrollsystem soll der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dienen, so dass das System insbesondere den abwehrenden und organisatorischen Komponenten eines Tax CMS zuzuordnen ist. Insbesondere soll ein Tax CMS in der Regel die Einhaltung von unternehmensexternen und -internen Regeln sicherstellen. Ein innerbetriebliches Kontrollsystem für steuerliche Zwecke soll hingegen nur der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dienen und somit nur die Einhaltung von unternehmensexternen Regeln garantieren. Soweit ein Tax CMS über die Erfüllung der gesetzlichen „Mindestanforderungen“ hinausgeht, würde es den Umfang des von der Finanzverwaltung angeführten Steuer-IKS übersteigen. In der Regel fällt die Implementierung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für steuerliche Zwecke in den Aufgabenbereich der Vorstände und Geschäftsführer einer Gesellschaft, da diese Personen die steuerlichen Pflichten der Gesellschaft zu erfüllen haben (§ 34 Abs. 1 Satz 1 AO). In bestimmten Fällen können auch andere Personen (z.B. Alleingesellschafter einer GmbH, Insolvenzverwalter, „faktischer“ Leiter einer inländischen Betriebsstätte einer ausländischen Gesellschaft, etc.) verpflichtet sein, so dass auch ihr Aufgabenbereich die Implementierung eines (partiellen) innerbetrieblichen Kontrollsystems für steuerliche Zwecke umfassen kann.5 Die Ausführungen über ein Steuer-IKS und Tax CMS gelten sinngemäß auch für andere Arten von Steuerpflichtigen. So können beispielsweise auch Körperschaften des öffentlichen Rechts und die für sie handelnden Personen von den Vorteilen eines eingerichteten Steuer-IKS profitieren.

4 Vgl. Besch/Stark in Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 33 Tax Compliance, Rz. 7. 5 Vertiefend: König/Teichert, DB 2017, 146–152.

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König, Auswirkungen des neuen BMF-Schreibens zu § 153 AO

3. Eckpunkte eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für steuerliche Zwecke 3.1 Die Steuerfunktion als wesentlicher Maßstab Eine gesetzliche Verpflichtung zur Einrichtung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für steuerliche Zwecke besteht nicht. Auch definiert die Finanzverwaltung den Begriff im AEAO zu § 153 AO nicht, so dass die Art und der Umfang des Systems im Ermessen der Vorstände und Geschäftsführer liegen. Damit ist die Steuerfunktion des Unternehmens der entscheidende Faktor für die konkrete Ausgestaltung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für steuerliche Zwecke, da sie alle Stellen innerhalb und außerhalb des Unternehmens, die mit der Erfüllung steuerlicher Pflichten des Unternehmens unterstützend betraut sind, umfasst.6 Dabei können unter anderem die unterstützenden steuerbezogenen Tätigkeiten durch folgende Bereiche/Personen umfasst sein: –

Steuerabteilung



Rechnungswesen



Rechtsabteilung



Personalabteilung



Vertrieb



IT-Abteilung



Lager- und Versandabteilung



Produktion



Shared Service Center (intern/extern)



Externe Berater

Steuerberater und sonstige steuerliche Berater eines Unternehmens gehören zur Steuerfunktion eines Unternehmens, da sie das Unternehmen unter anderem in Steuerangelegenheiten beraten oder sonstige Hilfeleistung in steuerlichen Fragestellungen erbringen und somit den Mandanten bei der Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten unterstützen. Folglich ist ein Steuerberater oder sonstiger steuerlicher Berater nicht das innerbetriebliche Kontrollsystem für steuerliche Zwecke des Unterneh-

6 Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 11.

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König, Auswirkungen des neuen BMF-Schreibens zu § 153 AO

mens. Anderseits kann und sollte der Steuerberater seinen Mandanten auch bei der Ausgestaltung des Tax CMS unterstützen. Auch bedingen unter anderem folgende – höchst unternehmensindividuellen – Faktoren die Charakteristika eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für steuerliche Zwecke: –

Unternehmensgröße (Einzelunternehmer, mittelständische Unternehmen, kapitalorientierte Gesellschaft)



Branche



Rechtsform (Kapitalgesellschaft oder Personenunternehmen)



Steuerarten



Internationalisierungsgrad



Internationalisierungsform (Betriebsstätte, Personen- oder Kapitalgesellschaft)



Vergangene Verstöße gegen Regelungen

Zudem sind insbesondere auch folgende Stakeholder für die Tax-Compliance eines Unternehmens zu beachten:7 –

Regierungsorgane und Industrievertreter



Finanzverwaltung



Steuerliche Intermediäre (z.B. Wirtschaftsprüfer, Buchhalter, etc.)



Stakeholder in der Compliance-Chain (Anbieter von Software, Abrechnungskassen, etc.)



Geschäftspartner



Zivilgesellschaft

Zusammenfassend ist die konkrete Ausgestaltung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für Steuerzwecke von einer Vielzahl unternehmensinterner und externer Faktoren abhängig, so dass es kein Patentrezept gibt. Dabei ist die Steuerfunktion eines Unternehmens ein wesentlicher Faktor für die konkrete Ausgestaltung des Systems. Die Art und der Umfang des Systems liegen im Ermessen der Vorstände und Geschäftsführer.

7 Vgl. OECD (2016), Rethinking Tax Services: The Changing Role of Tax Service Providers in SME Tax Compliance, OECD Publishing, Paris, 31–41.

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3.2 Die Ausgestaltung eines Steuer-IKS 3.2.1 Angemessenheit und Wirksamkeit Das innerbetriebliche Kontrollsystem für steuerliche Zwecke soll der Erfüllung steuerlicher Pflichten dienen,8 so dass es wirksam sein muss. Ein solches System kann im Ergebnis aber nur dann wirksam sein, wenn es angemessen ist. Folglich muss das innerbetriebliche Kontrollsystem für steuerliche Zwecke angemessen und wirksam sein. (a) Angemessenheit „Ein Tax CMS ist angemessen, wenn es geeignet ist, mit hinreichender Sicherheit sowohl Risiken für wesentliche Regelverstöße rechtzeitig zu erkennen als auch solche Regelverstöße zu verhindern.“9

Von einen solchem System kann allenfalls die Geeignetheit zur Erkennung bzw. Verminderung von wesentlichen Regelverstößen mit hinreichender Sicherheit verlangt werden. Dieses Wahrscheinlichkeitsniveau setzt der Gesetzgeber auch für die mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens eingeführten Risikomanagementsysteme im Besteuerungsverfahren voraus:10 „[…] § 88 AO Untersuchungsgrundsatz […] (5) Die Finanzbehörden können zur Beurteilung der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen und Prüfungen für eine gleichmäßige und gesetzmäßige Festsetzung von Steuern und Steuervergütungen sowie Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen automationsgestützte Systeme einsetzen (Risikomanagementsysteme). Dabei soll auch der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung berücksichtigt werden. Das Risikomanagementsystem muss mindestens folgende Anforderungen erfüllen: 1. die Gewährleistung, dass durch Zufallsauswahl eine hinreichende Anzahl von Fällen zur umfassenden Prüfung durch Amtsträger ausgewählt wird, 2. die Prüfung der als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte durch Amtsträger, 3. die Gewährleistung, dass Amtsträger Fälle für eine umfassende Prüfung auswählen können, 8 Vgl. BMF v. 23.5.2016 – IV A 3-S 0324/15/10001, BStBl. I 2016, 490. 9 Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 16. 10 BGBl. I 2016, 1679.

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König, Auswirkungen des neuen BMF-Schreibens zu § 153 AO 4. die regelmäßige Überprüfung der Risikomanagementsysteme auf ihre Zielerfüllung. […]“

Ein Tax Risk Management System von Unternehmen soll Steuerrisiken evaluieren, aufdecken und vermeiden.11 Folglich bestehen Überscheidungen mit dem abwehrenden Element eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für steuerliche Zwecke, da steuer- und strafrechtliche Risiken vermieden werden sollen. Im Ergebnis können die in § 88 Abs. 5 Satz 3 AO genannten Mindestanforderungen für ein Risikomanagementsystem im Besteuerungsverfahren sinngemäß auch für die Beurteilung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für Steuerzwecke herangezogen werden. Im Rahmen der Gesetzesbegründung nimmt der Gesetzgeber wie folgt Stellung:12 „[…] Risikomanagement besteht aus der systematischen Erfassung und Bewertung von Risikopotenzialen sowie der Steuerung von Reaktionen in Abhängigkeit von den festgestellten Risikopotenzialen. Ziel des Risikomanagements kann es allerdings nicht sein, jedes abstrakt denkbare Risiko auszuschalten. Risikomanagement hat vielmehr zum Ziel, – Steuerverkürzungen zu verhindern und damit präventiv zu wirken, – gezielt Betrugsfälle aufzudecken, zumindest aber die Chancen ihrer Aufdeckung deutlich zu erhöhen, – die individuelle Fallbearbeitung durch Amtsträger durch eine risikoorientierte Steuerung der Bearbeitung zu optimieren, – die Bearbeitungsqualität durch Standardisierung der Arbeitsabläufe bei umfassender Automationsunterstützung nachhaltig zu verbessern und qualitativ hochwertige Rechtsanwendung durch bundeseinheitlich abgestimmte Vorgaben gleichmäßig zu gestalten; diese Vorgaben können auch regionale Besonderheiten berücksichtigen. Risikomanagement hilft dabei, mit den vorhandenen Ressourcen das bestmögliche Ergebnis im Spannungsverhältnis zwischen gesetz- und gleichmäßiger Besteuerung einerseits und zeitnahem und wirtschaftlichem Verwaltungshandeln andererseits zu erreichen. In Satz 3 werden hierfür gesetzliche Mindestanforderungen definiert. […]“

11 Vgl. Besch/Stark in Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 33 Tax Compliance, Rz. 13. 12 BT-Drucks. 18/7457, 69 f.

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König, Auswirkungen des neuen BMF-Schreibens zu § 153 AO

In dem dargestellten Sinne sollte ein innerbetriebliches Kontrollsystem für steuerliche Zwecke für die Angemessenheit folgende Zielsetzung verfolgen: –

Steuerverkürzungen oder sonstige steuerlichen Regelverstöße zu verhindern;



die Entdeckungswahrscheinlichkeit von Regelverstößen deutlich zu erhöhen;



die individuelle Sachverhaltsbearbeitung durch die Steuerfunktion zu optimieren;



die Bearbeitungsqualität von steuerlichen Fragestellungen durch Standardisierung nachhaltig zu verbessern.

Damit ist eine Totalüberwachung der steuerlich unterstützenden Personen durch die Tax Compliance-Verantwortlichen eines Unternehmens nicht erforderlich. Auch muss nicht zwingend jeder Regelverstoß feststellbar sein. Für das Risikomanagementsystems der Finanzverwaltung berücksichtigt der Gesetzgeber die Grenzen der dem Staat verfügbaren personellen und monetären Mittel, so dass die Finanzverwaltung diese Grenzen bei der Beurteilung über die Angemessenheit eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für steuerliche Zwecke eines Unternehmens anzuerkennen hat. Eine ausufernde Personalausstattung für das Tax CMS und eine Bürokratisierung des Unternehmens sind abzulehnen. Dabei ist die Angemessenheit eines Tax CMS höchst individuell zu bestimmen. In Abhängigkeit der dargestellten unternehmensexternen und -internen Faktoren für die Ausgestaltung eines Steuer-IKS kann ein System zwar für das Unternehmen X, nicht aber für das Unternehmen Y angemessen sein. Dem steuerlichen Berater kann in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle zukommen. Dabei kann aber im Einzelfall das Risiko eines Zielkonflikts im Spannungsfeld Beratung und Prüfung bestehen. Führt ein Unternehmen ein eingerichtetes Steuer-IKS als Indiz gegen ein vorwerfbares Verhalten an, wird die Finanzverwaltung das Steuer-IKS höchstwahrscheinlich auf seine Angemessenheit prüfen wollen. Daher ist auch aus diesem Grund eine Dokumentation des Systems unerlässlich. Dabei darf sich die Prüfung der Finanzverwaltung nicht an starren Kriterien ausrichten. Es hat eine am allgemeinen Untersuchungsgrundsatz nach § 88 AO orientierte Einzelfallprüfung zu erfolgen, so dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist (§ 88 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 AO). 627

König, Auswirkungen des neuen BMF-Schreibens zu § 153 AO

(b) Wirksamkeit Ein Steuer-IKS muss nicht nur angemessen, sondern auch wirksam sein. „Die Wirksamkeit des Tax CMS ist dann gegeben, wenn die Grundsätze und Maßnahmen in den laufenden Geschäftsprozessen von den hiervon Betroffenen nach Maßgabe ihrer Verantwortung zur Kenntnis genommen und beachtet werden.“13

Vereinfachend ist ein Tax CMS wirksam, wenn es im Unternehmensalltag gelebt wird. Dafür ist im Wesentlichen eine funktionierende Delegationskette von der Geschäftsführung über die Zwischenebenen bis zum einzelnen handelnden Mitarbeiter notwendig. Dabei haben Geschäftsführer und Vorstände ein vorwerfbares Verhalten zu vermeiden, wenn Stellen innerhalb und außerhalb des Unternehmens mit der Erfüllung steuerlicher Pflichten des Unternehmens unterstützend betraut sind. Im Ergebnis müssen sie die Mitarbeiter sorgfältig auswählen und überwachem.14 Aus dieser Delegationskette ergeben sich zugleich die systemimmanenten Grenzen eines ansonsten wirksamen Systems:15 –

Menschliche Fehlleistungen (mögliche Gründe: Nachlässigkeit, Ablenkungen, Beurteilungsfehler und Missverstehen von Arbeitsanweisungen),



Missbrauch oder Vernachlässigung der Verantwortung durch für bestimmte Maßnahmen verantwortliche Personen,



Außerkraftsetzung oder Umgehung von Kontrollen durch Kooperation von Personen.

Führt ein Unternehmen ein eingerichtetes Steuer-IKS als Indiz gegen ein vorwerfbares Verhalten an, wird sich die Finanzverwaltung höchstwahrscheinlich auch von der Wirksamkeit des Steuer-IKS überzeugen wollen. Daher ist auch aus diesem Grund eine Dokumentation des Systems unerlässlich. Auch für die Wirksamkeit eines Steuer-IKS wird die Finanzverwaltung nicht verlangen können, dass das System jeden Regelverstoß vermeidet oder entdeckt. Sie darf nicht außer Acht lassen, dass es sich in der Regel um Massenprozesse handelt. Gerade in diesen Fällen können entdeckte Fehlerquellen und deren Beseitigung als Beweis für die Wirksamkeit eines Systems gelten. Auch bei der Beurteilung der Wirksamkeit ei13 Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 15. 14 Vgl. BFH, Urt. v. 4.5.2004 – VII B 318/03, BFH/NV 2004, 1363. 15 Vgl. Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 21.

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nes Steuer-IKS sind die begrenzten personellen und monetären Mittel eines Unternehmens zu berücksichtigen. (c) Prüfung Es wird als sinnvoll erachtet, wenn sich das Unternehmen die Angemessenheit bzw. Wirksamkeit von einem sachverständigen Dritten testieren lässt („Angemessenheits-“ oder „Wirksamkeitsprüfung“).16 Ist eine Angemessenheits- bzw. Wirksamkeitsprüfung erfolgt und hat der Prüfer die Angemessenheit bzw. Wirksamkeit des Tax CMS bestätigt, wird die Finanzverwaltung keine höheren Anforderungen an die Angemessenheit bzw. Wirksamkeit dieses unternehmensindividuellen Systems stellen können. Gerade durch die beauftragte Prüfung möchte die Geschäftsführung untersuchen lassen, ob das System angemessen/wirksam ist und Regelverstöße mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aufdeckt bzw. vermeidet oder die Mitarbeiter die Grundsätze beachten. Daher bringt die Geschäftsführung durch die beauftragte Prüfung in einem besonderen Maße die angestrebte Regeltreue zum Ausdruck. Gleichzeitig darf aus einer fehlenden Angemessenheits- bzw. Wirksamkeitsprüfung nicht gefolgert werden, dass eine Geschäftsführung kein Interesse an einem regelkonformen Verhalten des Unternehmens hat, und ggf. bedingter Vorsatz vorliegt. Auch hier sind die knappen Unternehmensressourcen anzuerkennen. 3.2.2 Grundelemente Die konkrete Ausgestaltung eines Tax CMS liegt im Ermessen der Vorstände und Geschäftsführer, so dass auch die Grundsätze eines solchem Systems von diesem Ermessen umfasst sind. Bisher wurden beispielsweise folgende Standards zur Ausgestaltung und Prüfung von Standards (Teil-)Compliance Management Systemen veröffentlicht: –

OECD: Co-operative Tax Compliance: Building Better Tax Control Frameworks17

16 Vgl. Seer, DB 2016, 2192, 2198; vgl. Wolfersdorff/Hey, WPg 2016, 934, 939 für die Diskussion einer verbindlichen Zusage nach § 204 AO oder einer verbindlichen Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO für ein innerbetriebliches Kontrollsystem. 17 OECD (2016), Co-operative Tax Compliance – Building Better Tax Control Frameworks, OECD-Veröffentlichung, Paris.

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ISO 1960018



IDW PS 98019



IDW Praxishinweis 1/2016 (Entwurf)20

Der jeweilige Standard definiert mangels Gesetzeskraft keinen verpflichtenden Mindeststandard, sondern kann allenfalls eine Richtschnur für Unternehmen darstellen. Auf Anregung des Bundesministeriums der Finanzen wurde beim IDW eine Arbeitsgruppe „Tax Compliance“ eingerichtet. Diese Arbeitsgruppe hat den Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gem. IDW PS 980“ erarbeitet. Dieser Entwurf wurde vom Steuerfachausschuss des IDW am 17.6.2016 verabschiedet und benennt folgende wechselseitigen Grundelemente für ein Tax CMS:21 –

Compliance-Kultur



Compliance-Ziele



Compliance-Risiken



Compliance-Programm



Compliance-Organisation



Compliance-Kommunikation



Compliance-Überwachung und Verbesserung.

Da ein Steuer-IKS definitionsgemäß ein Bestandteil des Tax CMS ist, gelten diese Grundelemente auch für ein Steuer-IKS. (a) Tax Compliance-Kultur Ein angemessenes und wirksames Tax CMS setzt eine Tax ComplianceKultur voraus. Die Geschäftsführungsorgane, die nachgeordneten Leitungsebenen und die aufsichtführenden Organe prägen durch ihre persönliche Compliance-Einstellung und ihr eigenes Handeln das Compliance-Verständnis der internen und externen Personen, die für die Er18 ISO 19600/2014. 19 IDW PS 980, Grundsätze ordnungsmäßiger Prüfung von Compliance Management Systemen. 20 Vgl. Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“. 21 Vgl. Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 21.

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füllung von steuerlichen Pflichten unterstützend tätig sind. Für ein funktionierendes Tax CMS müssen die Entscheidungsträger und die Aufsichtspersonen folgende Anforderungen erfüllen:22 –

Beachtung von eigenen steuerlichen Regeln;



Ordnungsgemäße Erfüllung von ihrer steuerlichen Pflichten;



Einforderungen von Regelkonformität sowie ggf. Beseitigung und Sanktionierung von Regelverstößen.

Die Art und der Umfang der Kommunikation und Dokumentation einer Tax Compliance-Kultur hängen im Wesentlichen von den individuellen Faktoren eines Unternehmens ab. Erfahrungsgemäß steigt mit der Unternehmensgröße auch der Formalisierungsgrad der Kommunikation und Dokumentation der Tax Compliance-Kultur. Ist eine formale Kommunikation und Dokumentation erwünscht, können Unternehmen unter anderem folgende Instrumente nutzen:23 –

Leitbild



Kodex



Richtlinie



Strategie

Beispielsweise können die Grundsätze der Tax Compliance-Kultur neuen Fachmitarbeitern im Rahmen von Einführungsveranstaltungen und durch Handreichungen dargestellt werden. Eine frühzeige und umfassende Einbindung der Steuerfunktion in steuerrelevante Fragenstellungen und Sachverhalte gehört zwingend zu einer gelebten Tax Compliance-Kultur.24 In diesem Zusammenhang sollten die handelnden Akteure insbesondere die Steuerabteilung oder den Steuerberater als Partner zur Problemlösung empfinden. (b) Tax Compliance-Ziele Die gesetzlichen Vertreter des Unternehmens legen die Ziele eines Tax CMS fest. Die Tax Compliance-Ziele basieren auf der allgemeinen Un22 Vgl. Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 26–28. 23 Vgl. Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 30. 24 Vgl. Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 29.

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ternehmensstrategie, den übergeordneten Compliance-Zielen und einer abstrakten (steuer-)rechtlichen Risikoanalyse der zu befolgenden Regeln in den jeweiligen Rechtsordnungen. Damit definiert das oberste Führungsgremium den Handlungsrahmen und die Aufgaben der Steuerfunktion.25 Insbesondere müssen Unternehmen ihre festgelegten Tax ComplianceZiele auch gegenüber externen Akteuren der Steuerfunktion kommunizieren, wenn diese über die Erfüllung der gesetzlichen „Mindestanforderungen“ hinausgeht. Insoweit würde das Unternehmen über den Umfang des von der Finanzverwaltung angeführten Steuer-IKS und die allgemeinen Pflichten der externen Berater hinausgehen. Sodann hat der steuerliche Berater bestenfalls diese „erweiterten“ Tax Compliance-Ziele zu beachten. (c) Tax Compliance-Organisation In organisatorischer Hinsicht ist für die Aufgabenverteilung zwischen der horizontalen Delegation (innerhalb eines Führungsgremiums) und der vertikalen (nachgelagerte Unternehmenshierarchien) zu unterscheiden. Im Kern muss sich die Aufgabenverteilung in klarer, eindeutiger, lückenloser und überschneidungsfreier Weise von der ausführenden Person bis zur Führungsebene zurückführen lassen.26 Innerhalb der geschäftsführenden Organe einer Gesellschaft sollten die Aufgaben und Verantwortlichkeiten für die Tax Compliance eindeutig geregelt und dokumentiert werden. Erfolgt eine kollegiale Aufteilung der Geschäftsführung und übernehmen bestimmte Vorstände bzw. Geschäftsführer verschiedene Aufgabenbereiche (z.B. Finanzen, Einkauf, Produktion, Vertrieb, etc.), hängt der erforderliche Art und Umfang der möglicherweise vorwurfsausschließenden Kontrolle des für die Finanzen und somit für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten zuständigen Geschäftsführers durch die anderen Mitglieder des Kollegialorgans vom konkreten Einzelfall ab (z.B. Vertrauenswürdigkeit und Pflichterfüllung des betrauten Geschäftsführers).27 25 Vgl. Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 31 und 33. 26 Vgl. Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 35–37. 27 Vgl. BFH, Beschl. v. 22.7.2010 – VII B 126/09, BFH/NV 2010, 2227.

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Gerade bei kleineren und mittleren Unternehmen sowie Körperschaften des öffentlichen Rechts kann auch der Steuerberater die obersten Entscheidungsträger im Rahmen seiner Querschnittsfunktion zwischen Steuerrecht und Betriebswirtschaft bei der Implementierung eines angemessenen und wirksamen Tax CMS unterstützen. In diesem Zusammenhang darf auch nicht die Folgerung gezogen werden, dass der Steuerberater das Tax CMS ist, da er – soweit er unterstützend tätig ist – Bestandteil der Steuerfunktion ist. Insoweit nimmt der steuerliche Berater des Unternehmens im Rahmen seiner unterstützenden Tätigkeit eine herausgehobene Stellung ein. Dabei kann aber im Einzelfall das Risiko eines Zielkonflikts im Spannungsfeld Beratung und Prüfung bestehen. Die konkrete Ausgestaltung des Tax CMS ist höchst unternehmensindividuell. Verfügt das Unternehmen bereits über eine Fachabteilung für Steuern, Recht oder Compliance, kann das Unternehmen den Aufgabenbereich aufbauorganisatorisch einer dieser Organisationseinheiten um die Implementierung und Fortentwicklung eines Tax CMS ergänzen. (d) Tax Compliance-Risiken Auf der Basis einer Analyse der (steuer-)rechtlichen Risiken hat das geschäftsführende Organ die Tax Compliance-Ziele bestimmt. Darauf aufbauend sind im Rahmen eines Tax CMS laufend die Risiken durch steuerliche Regelverstöße umfassend zu identifizieren, einzuordnen, analysieren, zu gewichten und schriftlich festzuhalten.28 (e) Tax Compliance-Programm Hat die Unternehmensleitung die Tax Compliance-Risiken identifiziert, hat sie auf dieser Basis das Tax Compliance-Programm zu implementieren. Die Maßnahmen, die Tax Compliance-Verstöße vermeiden sollen, können detektivisch oder präventiv sein. Präventive Instrumente sind im Einzelfall unter anderem:29 –

Dokumentationsanweisungen



Checklisten

28 Vgl. Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 40. 29 Vgl. Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 42, 44.

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Fachabteilungungsbezogene Richtlinien und Anweisungen



Auslegungshilfen



Schulungen



Hinweis auf Rechtsänderungen

Detektive Maßnahmen können unter anderem sein:30 –

Prozessintegrierte Kontrollen (z.B. Vier-Augenprinzip)



Systematische Datenauswertung Auswertung von Daten



Organisatorische und/oder technische Kontrollen (z.B. automatisierte Plausibilitätskontrollen)

Eine Risiko-Kontroll-Matrix kann hierbei eine Darstellungsform für das zu dokumentierende Tax Compliance-Programm sein.31 Eine RisikoKontroll-Matrix listet in der Regel prozessbezogen Risikofaktoren für die Tax Compliance-Ziele, ausgewählte Steuerungs- und Kontrollinstrumente sowie die bisherige Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen auf.32 Die Einrichtung eines Tax CMS ist unabhängig von der Unternehmensgröße zu empfehlen. Gerade auch bei kleineren und mittleren Unternehmen sind die Bestandteile eines solchen Systems größtenteils bereits vorhanden. Bei diesen Unternehmen besteht die Aufgabe regelmäßig darin, die Instrumente sinnvoll zusammenzuführen und zu strukturieren. Vielfach wird die Formalisierung der Prozesse in der Unternehmenspraxis auch als ineffektive Bürokratisierung der internen Abläufe empfunden, so dass meist die seit langem „gelebten“ Prozesse“ maßgeblich sind. Gerade durch diese „gelebten“ Prozesse können sich im Zeitverlauf (z.B. durch eine Rechtsänderung) gravierende steuerliche Risiken für ein Unternehmen ergeben. Simple Tax Compliance-Instrumente können in diesen Fällen steuerliche oder sonstige Compliance-Risiken minimieren und den Arbeitsablauf optimieren. Dabei ist die laufende Anpassung des Tax Compliance-Instrumentes an die sich ändernden Umweltbedingungen unerlässlich. 30 Vgl. Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 42, 44. 31 Vgl. Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 46. 32 Vgl. für Beispiele bspw. Anhang 1: Leitfaden zur Erstellung von Risiko-Kontroll-Matrizen zu Pfaff/Ruud: Schweizer Leitfaden zum Internen Kontrollsystem (IKS); 7. Aufl. 2013.

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Oftmals ist die Erstellung einer schlanken Richtlinie oder die systematische Zusammenführung und Abstimmung von Checklisten aus unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens zielführend, da dadurch eine klare Aufgabenverteilung zwischen der Steuerabteilung, dem Rechnungswesen oder dem Steuerberater und den anderen Unternehmensbereich (z.B. Personal, Vertrieb, etc.) erfolgt. (f) Tax Compliance-Kommunikation In praktischer Hinsicht resultieren Regelverstöße bei der Erfüllung der steuerlichen Pflichten meist auch auf einer lückenhaften Kommunikation über die verschiedenen Hierarchiestufen eines Unternehmens, so dass die Tax Compliance-Kommunikation ein tragendes Element für die Wirksamkeit eines Tax CMS ist. Durch die Tax Compliance-Kommunikation klärt die Leitungsebene die Mitglieder der Steuerfunktion über das Tax Compliance-Programm auf. Damit die Tax Compliance-Kommunikation von der Geschäftsführung über die Zwischenebenen bis zum einzelnen handelnden Mitarbeiter wirksam funktioniert, ist es unerlässlich, dass die jeweilige Thematik dem einzelnen Mitarbeiter in verständlicher Weise erklärt wird. Die Unternehmensleistung hat insbesondere die folgenden Punkte sicherzustellen, soweit sie externe Personen in die Erfüllung der steuerlichen Pflichten einbindet:33 –

Vollumfängliche Aufklärung über die Anforderungen der übertragenen Tätigkeiten



Lückenlose und rechtzeitige Zurverfügungstellung der für die Durchführung der Tätigkeiten notwendigen Informationen



Plausibilitätskontrolle der Arbeitsergebnisse und angemessen Überwachung der Tätigkeiten.

In diesem Zusammenhang ist auch festzulegen, in welcher Art und Weise (mögliche) Tax Compliance-Verstöße oder -Risiken innerhalb der Aufbauorganisation zu übermitteln sind.34 Dabei ist eine Meldung als ein Indiz für ein funktionierendes Tax CMS einzuschätzen. Gerade im Fall von Massenprozessen verbessern entdeckte Fehlerquellen und deren Be-

33 Vgl. Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 55. 34 Vgl. Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 47.

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seitigung die Wirksamkeit eines Systems, so dass das steuerliche Risiko signifikant sinken kann (z.B. in der Lohn- oder Umsatzsteuer). (g) Tax Compliance-Überwachung und Verbesserung Ein Tax CMS kann mittel- und langfristig nur dann wirksam funktionieren, wenn eine laufende Überwachung und Verbesserung des Systems erfolgt. Nur so kann ein Unternehmen Schwachstellen vermeiden oder diese entdecken und beseitigen. Daher erachten viele Praktiker die Tax Compliance-Überwachung und -Verbesserung als den wesentlichsten Faktor für die Wirksamkeit eines Tax CMS. Diese Komponente wird das Unternehmen im Streitfall auch gegenüber der Finanzverwaltung nachweisen können. Dabei darf die Finanzverwaltung nicht außer Acht lassen, dass es sich in der Regel um Massenprozesse handelt, so dass gerade in diesen Fällen entdeckte Verstöße und deren Beseitigung die Wirksamkeit eines Systems erhöhen. In diesem Zusammenhang ist von herausragender Bedeutung, dass ein fortlaufender Soll-Ist-Vergleich erfolgt. Entdeckt das Unternehmen Regelinkonformität oder Systemschwachstellen, sind diese abzustellen und ggf. mit Sanktionen zu belegen. Gerade diese konsequente Anwendung der Regeln und der daraus ggf. abzuleitenden Verfeinerung des Tax CMS sind aus Sicht der Finanzverwaltung wichtige Kriterien für die Wirksamkeit des Systems.35 Die Überwachungsmaßnahmen könnten im Einzelfall unter anderem an folgenden Punkten anknüpfen:36 –

Einhaltung des Tax Compliance-Programms



Überprüfung der Prozessabläufe



Teilnahme an Schulungs- bzw. Fortbildungsmaßnahmen



Schnittstellen zu den externen Personen



Überprüfung der rechtlichen Rahmenbedingungen

35 So auf dem ifst-Kolloquium „Was kann ein Tax Compliance Management System leisten? – Zur Änderung des AEAO zu § 153 AO durch BMF v. 23.5.2016“ am 27.10.2016 in Köln: https://www.ifst.de/veranstaltungen/2016/90-veran staltungen/2016/1028-ifst-kolloquium-27-10-2016-in-köln.html. 36 Vgl. Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“, Rz. 53.

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4. Fazit Das von der Finanzverwaltung im Rahmen des AEAO zu § 153 AO angeführte eingerichtete innerbetriebliche Kontrollsystem, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, ist Bestandteil eines angemessenen und wirksamen Tax Compliance Management Systems. Mit dem (bewusst) zurückhaltend formulierten Hinweis trifft die Finanzverwaltung erstmals eine offizielle Aussage über die indiziell protektive Wirkung der Einrichtung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für Steuerzwecke durch Unternehmen. Daher ist die Einrichtung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, als Beraterempfehlung zwingend. Zwar sind Steuerpflichtige gesetzlich nicht explizit verpflichtet, ein Steuer-IKS einzurichten und auch die Finanzverwaltung geht lediglich von einer indiziellen Wirkung aus, aber durch diese Anweisung wird den Prüfern im Zusammenhang mit einer möglichen Weiterleitung an die Buß- und Strafsachenstelle eine Filterfunktion zugewiesen. Daher ist der Hinweis ein erster Schritt in die richtige Richtung. Insoweit sollten Unternehmen und die Entscheidungsträger von anderen Steuerpflichtigen im privaten und öffentlichen Bereich die Einrichtung eines Tax CMS als Chance für ein regelkonformes Verhalten und eine Verbesserung der Prozesse verstehen. Von Vertretern der Unternehmenspraxis wird häufig kritisiert, dass sich die Finanzverwaltung nicht auf ein bestimmtes System festlegt und keine konkreten Gestaltungshinweise gibt. Gerade die damit verbundene Flexibilität ermöglicht Steuerpflichtigen ein individuell passendes Tax CMS zu entwickeln. Auch ist es nicht die Aufgabe der Finanzverwaltung ein Steuer-IKS zu zertifizieren. Im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes nach § 88 AO hat die zuständige Finanzbehörde lediglich den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Darauf aufbauend hat sie den ermittelten Sachverhalt in rechtliche Kategorien einzuordnen. Eine weitergehende Aufgabe wird von der Finanzverwaltung weder beansprucht, noch kommt sie ihr zu. Im Rahmen ihrer Beurteilung über die Angemessenheit und Wirksamkeit eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für steuerliche Zwecke hat die Finanzverwaltung die personellen und finanziellen Grenzen eines Unternehmens anzuerkennen. Der Steuerberater und sonstige steuerliche Berater kann ein (bedeutsamer) Bestandteil der Steuerfunktion sein, so dass insoweit das Risiko eines Zielkonflikts besteht. Als Bestandteil der Steuerfunktion sollte 637

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ein Steuerberater auch von einem Tax CMS erfasst sein. Anderseits kann gerade der Steuerberater die Entscheidungsträger von kleineren und mittleren Unternehmen, Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie sonstigen Steuerpflichtigen im Rahmen seiner Querschnittsfunktion zwischen Steuerrecht und Betriebswirtschaft bei der Implementierung eines angemessenen und wirksamen Tax CMS unterstützen. Im Ergebnis sollten Entscheidungsträger ein Tax CMS nicht als Komplexitäts-Schreckgespenst, sondern als Instrument zur Reduzierung des Steuerrisikos empfinden: Unternehmen und Karrieren schützen mit Tax Compliance!

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Praktische Auswirkungen des neuen BMF-Schreibens zu § 153 AO vom 23.5.2016 Alexandra Mack Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht, Köln Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Der Erlass im Überblick III. Anzeige- und Berichtigungspflicht (Tz. 2) 1. Unrichtige Tatsachenangaben und Maßstab der pflichtauslösenden Kenntnis 2. Abgrenzung Vorsatz – Fahrlässigkeit

IV. Steuerstrafrechtliche Entlastung eines „innerbetrieblichen Kontrollsystems“ (Tz. 2.6) V. Detailfragen zum sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich des § 153 AO (Tz. 3 und Tz. 4) VI. Maßstab der „unverzüglichen“ Korrektur und Rechtsfolgen von verspäteten Anzeigen (Tz. 5) VII. Fazit

I. Einleitung Erkennt ein Steuerpflichtiger nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, so ist er verpflichtet, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen (§ 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Die Anzeigepflicht besteht ferner, wenn die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung, Steuerermäßigung oder sonstige Steuervergünstigung nachträglich ganz oder teilweise wegfallen (§ 153 Abs. 2 AO). § 153 AO normiert eine steuerrechtliche Pflicht und stellt gewissermaßen die Kehrseite des § 371 AO dar. Sowohl im Fall einer Anzeige und Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO als auch im Fall einer Selbstanzeige i.S.d. § 371 AO muss die Erklärung im Zeitpunkt ihrer Abgabe objektiv unrichtig gewesen sein und zu einer Steuerverkürzung geführt haben bzw. führen können. Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung ist somit in beiden Anwendungsbereichen erfüllt. Die Regelungen unterscheiden sich daher lediglich in subjektiver Hinsicht. Ein Fall des 639

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§ 153 AO liegt grundsätzlich nur dann vor, wenn der Steuerpflichtige bei Abgabe der steuerlichen Erklärung nicht vorsätzlich oder leichtfertig handelte. Vor Änderung der Selbstanzeigevorschrift im Jahr 2011 spielte diese subjektive Abgrenzung i.d.R. nur dann eine Rolle, wenn das Vorliegen von Sperrgründen i.S.d. § 371 Abs. 2 AO oder die Festsetzung von Hinterziehungszinsen streitig war. Erst durch die Einführung des Vollständigkeitsgebots des § 371 Abs. 1 AO sowie des Strafzuschlags i.S.d. § 398a AO hat diese Abgrenzung in der Praxis enorm an Bedeutung gewonnen. Da es jedoch an festen Anwendungs- und Abgrenzungskriterien fehlte, bestand in den letzten Jahren insbesondere in den Unternehmen eine erhebliche Unsicherheit, wie steuerliche Fehler zu korrigieren sind. Die drohende Kriminalisierung des Steuerrechts und die unterschiedliche Anwendungspraxis durch die Finanzverwaltung führten dazu, dass der Abteilungsleiter Steuern im BMF bereits im Frühjahr 2015 ankündigte, sein Ministerium werde in Reaktion auf die misslungene Reform der Selbstanzeigevorschriften eine Verwaltungsanweisung zur Abgrenzung von Selbstanzeige und bloße „Berichtigungserklärung“ veröffentlichen.1 Seit dem 23.5.2016 liegt nun der angekündigte Anwendungserlass auf dem Tisch.2 Vor der Veröffentlichung dieses finalen Schreibens hatte das BMF am 16.6.2015 einen Entwurf veröffentlicht und den Interessenverbänden zur Stellungnahme zur Verfügung gestellt. Die jetzt veröffentlichte Fassung weicht in einigen Punkten von dem Entwurf ab. Auf den ersten Blick fällt der Verzicht auf die Beispielsfälle ins Auge, mit denen das BMF in der Vorversion versucht hatte, die eigenen Rechtsansichten zu erläutern. Auf den zweiten Blick stößt man auf einige weitere Umformulierungen, die dem Erlass materiell eine andere Richtung geben könnten.

II. Der Erlass im Überblick Der Erlass gliedert sich in fünf Textziffern: Auf eine kurze Einleitung (Tz. 1) folgt der Versuch der Abgrenzung von § 153 AO zu den Fällen des § 371 AO einschließlich der Ausführungen zur Abgrenzung von Vorsatz 1 Sell in FAZ v. 4.3.2015, S. 16. 2 GZ IV A 3 – S 0324/15/10001 IV A 4 – S 0324/14/10001 – DOK 2016/0470583 v. 23.5.2016, BStBl. I 2016, 490.

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und Fahrlässigkeit (Tz. 2). Dies ist das Kernstück. Es folgt eine Konkretisierung des Anwendungsbereichs von § 153 AO (überschrieben als „Umfang der Anzeige- und Berichtigungspflicht“, Tz. 3) nebst Erläuterungen zur personellen Reichweite der Verpflichtung aus § 153 AO (Tz. 4) und Ausführungen zum Merkmal der „Unverzüglichkeit“ sowie zu den Rechtsfolgen eines Pflichtverstoßes (Tz. 5).

III. Anzeige- und Berichtigungspflicht (Tz. 2) 1. Unrichtige Tatsachenangaben und Maßstab der pflichtauslösenden Kenntnis Im Erlass werden hier zunächst einige Fragen zum Anwendungsbereich und zu den Tatbestandsvoraussetzungen von § 153 Abs. 1 AO geklärt. Deutlich heißt es, dass die Berichtigungspflicht nur entstehen kann, wenn zuvor unrichtige oder unvollständige Tatsachenangaben gemacht wurden (Tz. 2.1). Das BMF erteilt damit der in der Literatur vereinzelt vertretenen These3 eine Absage, wonach vermeintlich auch nur rechtlich unzutreffende Erklärungen eine Berichtigungspflicht auslösen sollen. Richtigerweise gilt der gleiche Maßstab wie bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Zur Abgrenzung kann deshalb auf die grundlegende Entscheidung des 5. Strafsenats vom 10.11.1999 verwiesen werden.4 Inhaltlich folgt der Erlass sodann der These des 1. Strafsenats, wonach eine Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO auch dann entstehen soll, wenn der Steuerpflichtige zunächst bedingt vorsätzlich gehandelt hat und nachträglich sicheres Wissen von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit seiner Erklärung erlangt (Tz. 2.2 unter Verweis auf Tz. 2.6 und Tz. 5.2). Die damit verbundenen Streitfragen thematisiert das BMF nicht.5 Bedauerlich bleibt, dass der Erlass die aus der Entscheidung des BGH vom 17.3.2009 folgenden Konsequenzen nicht (mehr) eindeutig benennt. Wer mit dem 1. Strafsenat und der herrschenden Ansicht der Auffassung ist, dass ein „nachträgliches Erkennen“ vorliegt, wenn der Erklärende zunächst die Unrichtigkeit seiner Angaben nur konkret für möglich hält und dann nachträglich positive Kenntnis von der Unrichtigkeit erlangt,

3 Z.B. Heuermann in H/H/Sp, AO, § 153 Rz. 8 (April 2014) m.w.N. 4 BGH v. 10.11.2009 – 5 StR 221/99, wistra 2000, 137. 5 Zur Diskussion vgl. nur Bülte, BB 2010, 607, in Erwiderung auf Wulf, PStR 2009, 190.

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der muss das pflichtauslösende Tatbestandsmerkmal als „sichere Kenntnis von der Unrichtigkeit“ definieren.6 Im Entwurf des Erlasses hatte das BMF dies noch folgerichtig umgesetzt und formuliert: „Erkennen bedeutet vielmehr das positive Wissen der Unrichtigkeit“ (Tz. 2.3 der Entwurfsfassung). Im finalen Text fehlt der entsprechende Zusatz und es heißt nur noch: „Erkennen bedeutet vielmehr das Wissen von der Unrichtigkeit“ (vgl. Tz. 2.4). Das wirkt zunächst wie eine materielle Änderung. Allerdings wird stattdessen nunmehr in Tz. 2.2 der BGH wörtlich zitiert und festgehalten, der Steuerpflichtige habe die Unrichtigkeit nur dann nachträglich im Sinne des Gesetzes erkannt, „wenn er später positiv erfährt, dass seine Angaben tatsächlich unrichtig waren“. Somit dürfte inhaltlich gegenüber der Entwurfsfassung keine Änderung gewollt sein. Unglücklich bleibt, dass das BMF hier weniger eindeutig als im Entwurf formuliert. Immerhin hält der Erlass weiterhin zutreffend fest, dass ein bloßes Erkennen-Können oder Erkennen-Müssen nicht ausreichend ist, um die Pflicht entstehen zu lassen (Tz. 2.4).

2. Abgrenzung Vorsatz – Fahrlässigkeit Tz. 2.5 enthält als Kernstück des Erlasses, die Aufforderung an die Finanzbehörden, nicht vorschnell von dem Vorliegen einer Selbstanzeige auszugehen: „Es bedarf einer sorgfältigen Prüfung durch die zuständige Finanzbehörde, ob der Anfangsverdacht einer vorsätzlichen oder leichtfertigen Steuerverkürzung gegeben ist. Insbesondere kann nicht automatisch vom Vorliegen eines Anfangsverdachts allein aufgrund der Höhe der steuerlichen Auswirkung der Unrichtigkeit der abgegebenen Erklärung oder aufgrund der Anzahl der abgegebenen Berichtigungen ausgegangen werden.“

Der Erlass verzichtet – anders als noch im Entwurf – darauf, dies anhand von Beispielen zu erläutern. Unverändert beschreibt der Erlass in Tz. 2.6 und 2.7 noch einmal klarstellend (und zutreffend) den abstrakten Inhalt von Eventualvorsatz und Leichtfertigkeit, um der Finanzverwaltung die maßgeblichen Kriterien vor Augen zu führen. Ebenso zutreffend, wenn auch etwas aus dem Zusammenhang gerissen, wird hervorgehoben, dass 6 In diesem Sinne BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984 (wistra 2009, 312); in Tz. 20 heißt es ausdrücklich, § 153 Abs. 1 AO greife ein, wenn der Betroffene „später zu der sicheren Erkenntnis gelangt ist, dass die Angaben unrichtig seien“.

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die Verletzung von § 153 AO den Vorwurf einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen begründen kann (Tz. 2.5 am Ende). Stellungnahme: Der Ansatz des BMF, „blindes“ Einleiten von Steuerstrafverfahren nach erfolgten Berichtigungserklärungen einzudämmen, ist richtig und anerkennenswert. Für die Beratung bringt die Vorgabe des BMF allerdings leider keinerlei Sicherheit: Juristisch ist es nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit, dass allein die Höhe einer Korrekturerklärung keinen Anfangsverdacht der Steuerstraftat begründet. Ebenso wie der Fall, dass mehrfach hintereinander korrigiert worden ist. Im Übrigen enthält das BMF-Schreiben – natürlich – keinerlei verbindliche Anweisung zu der zu fällenden Entscheidung selbst. Erfolgen soll lediglich eine „sorgfältige Prüfung“. D.h.: Wertvoll ist die Vorgabe des BMF insbesondere für die Finanzbehörde, für den Prüfer, der bereits von sich aus mit den benannten Maßstäben prüft, bzw. prüfen will. Dieser Prüfer muss sich später nicht vorwerfen lassen, nach einer Nicht-Einleitung eines Strafverfahrens intern so argumentiert zu haben, wie das BMF-Schreiben dies jetzt vorgibt. Das BMFSchreiben schützt ihn und seine Entscheidung. Trifft die Nacherklärung dagegen von vornherein auf eine kritische Verwaltung, wird das BMF-Schreiben das Strafverfahren nicht verhindern können. Es werden lediglich detailliertere Begründungen für die Einleitung von der Finanzverwaltung präsentiert werden müssen. Die Beratung wird also weiterhin „auf Nummer sicher“ gehen müssen, d.h. in die Selbstanzeige-Geeignetheit. Und zwar auch speziell in den Fällen, die das BMF-Schreiben zitiert, wo es also um höhere Beträge geht oder der Fall wiederholter Korrekturen vorliegt.

IV. Steuerstrafrechtliche Entlastung eines „innerbetrieblichen Kontrollsystems“ (Tz. 2.6) Zu den Kernbereichen des BMF-Schreibens zählt der Passus in Tz. 2.6, der auf das Vorliegen eines sogenannten innerbetrieblichen Kontrollsystems („IKS“) Bezug nimmt. „Für die billigende Inkaufnahme reicht es, dass dem Täter der als möglich erscheinende Handlungserfolg gleichgültig ist. Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten

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Hinter der Formulierung des Erlasses steht die Vorstellung, die Existenz eines gut organisierten internen Kontrollsystems sei ein Anhaltspunkt dafür, dass den Unternehmensverantwortlichen der Eintritt von Steuerverkürzungen eben nicht gleichgültig sei. Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch befreit dies nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls.7 Zur Einordnung: Unternehmen sind gesetzlich nicht zur Einrichtung eines bestimmten innerbetrieblichen Kontrollsystems zur Erfüllung ihrer Steuerpflichten verpflichtet. Die Einrichtung solcher Systeme hat allerdings nicht nur im Besteuerungsverfahren, sondern auch für ein mögliches Steuerstrafverfahren Relevanz. Die Finanzverwaltung hat mit der Neuregelung im AEAO zu § 153 AO den Grundstein für die Einführung von Tax Compliance Management Systemen gelegt. Bei Fehleranzeige nach § 153 AO kann ein solches System zumindest Indiz gegen bedingten Vorsatz – und damit gegen eine vermeintliche Selbstanzeige – sein. Zu klären ist allerdings, was überhaupt unter einem solchen System zu verstehen ist. Das BMF hat hierzu keine Vorgaben gemacht. Das IDW hat anknüpfend an den Anwendungserlass mit einem Positionspapier zur Ausgestaltung und Prüfung von Tax CMS reagiert.8 Unklar ist ferner, was ein solches System rechtlich und tatsächlich wirklich leisten kann. Die Diskussion hierzu steht noch am Anfang.9 Zu befürchten ist in diesem Kontext, dass jedenfalls das Nichtvorhandensein eines Tax Compliance Management Systems aus Sicht der Finanzverwal-

7 Tz. 2.6 Satz 6 AEAO zu § 153. 8 Entwurf v. 22.6.2016 eines IDW Praxishinweises 1/2016 zur „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“. 9 S. hierzu bspw. Richter/Welling, FR 2015, 297; Esterer, DB 2016, M5; Neuling, DStR 2015, 558; Werder/Rudolf, BB 2016, 1433; Ball/Papasikas, BB 2016, 1495; Kromer/Henschel/Simshäuser, BB 2016, 2903; Beneke, BB 2016, 2327; v. Wolfersdorff/Hey, WPg 2016, 934; Schwedhelm/Talaska, ifst-Schrift, 513 (2016); Seer, DB 2016, 2192.

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tung eine negative Indizwirkung haben könnte und damit quasi eine Umkehr der Beweislast für die betroffenen Unternehmensleiter im Steuerstrafverfahren einhergeht. Liegt ein Fehler vor, der unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls weder auf einer vorsätzlichen noch auf einer leichtfertigen Handlung beruht, liegt keine Steuerstraftat oder leichtfertige Steuerverkürzung vor.10 Aus der Sicht der Finanzverwaltung und auch im Sinne einer allgemeinen Förderung von steuerlicher Compliance ist der Ansatz des BMF in Tz. 2.6 ein patenter Schachzug: Die Einführung von Tax Compliance Systemen und damit sicherlich mehr Steuerkorrektheit und auch Steuerehrlichkeit wird attraktiver gemacht und damit gefördert. Gleichzeitig ist das Winken mit persönlicher Straffreiheit möglicherweise nur der Knochen, um die Attraktivität zu fördern: Ob Straffreiheit tatsächlich erreicht wird, wenn es – trotz installierten Tax Compliance Systemen – zu Steuerverkürzungen kommt, wird noch in jedem Einzelfall zu entscheiden sein.

V. Detailfragen zum sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich des § 153 AO (Tz. 3 und Tz. 4) Der Erlass beschäftigt sich hier mit Detailfragen des Anwendungsbereichs. Zutreffend wird betont, dass sich die Korrekturpflicht nicht nur auf Steuererklärungen im formellen Sinne bezieht, sondern dass auch andere Angaben aus dem Festsetzungsverfahren zur Berichtigung zwingen, wenn sie sich nachträglich als falsch erweisen. Ausdrücklich angesprochen wird die Frage der Berichtigung von Angaben zu Vorauszahlungszwecken. Eine Berichtigungspflicht ist hier nur denkbar, wenn zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung falsche Tatsachen mitgeteilt werden (bspw. unrichtige Angaben zur aktuellen BWA als Basis für die Schätzung der zukünftigen Einnahmen). Allein der Umstand, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse sich ändern, macht die Erklärung nicht unrichtig und verpflichtet nicht zur Korrektur.11

10 Tz. 2.8 AEAO zu § 153. 11 Weiterführend Schmitz/Wulf in MüKo, StGB, 2. Aufl., 2015, § 370 AO Rz. 226 f.

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Zum Umgang mit laufenden Betriebsprüfungen heißt es (Tz. 3): Da die Pflicht zur Anzeige nach § 153 AO streng genommen gegenüber dem Veranlagungsfinanzamt zu erfüllen ist, stellt sich in der Praxis die Frage, wie mit der Konstellation umzugehen ist, dass in der laufenden Prüfung neue Tatsachen bekannt werden, die dem Steuerpflichtigen positive Kenntnis von der Unrichtigkeit seiner darauf bezogenen Erklärungen vermitteln. Das BMF vertritt hierzu zutreffend die Ansicht, eine Anzeige sei bei vorliegender Kenntnis des Prüfers – insbesondere wenn er selbst auf den Fehler hingewiesen hat – entbehrlich. Tz. 4 des Erlasses beschreibt den persönlichen Anwendungsbereich von § 153 AO und die Frage, wen die Anzeigepflicht trifft. Der Erlass folgt insoweit der allgemeinen Auffassung und differenziert zutreffend zwischen dem Steuerpflichtigen selbst und dem Gesamtrechtsnachfolger. Ausdrücklich bestätigt wird die Position der Rechtsprechung, nach der ein Steuerberater und Rechtsanwalt nicht zur Anzeige nach § 153 Abs. 1 AO verpflichtet ist, wenn er an der unrichtigen Ursprungserklärung mitgewirkt oder diese sogar für den Mandanten abgegeben hat.12

VI. Maßstab der „unverzüglichen“ Korrektur und Rechtsfolgen von verspäteten Anzeigen (Tz. 5) Liegen gesicherte Erkenntnisse vor, so verlangt das Gesetz „unverzügliches“ Handeln. Unverzüglich bedeutet hier wie allgemein „ohne schuldhaftes Zögern“ (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die angemessene Frist bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls. Diese Vorgaben näher zu konkretisieren, bereitet erhebliche Probleme.13 Fraglich ist, ob dem Steuerpflichtigen eine gewisse „Mindestreaktionszeit“ zuzubilligen ist, also eine Zeitspanne, die dem Betroffenen jedenfalls zusteht, bevor sein Verhalten die Grenze zur Pflichtwidrigkeit überschreitet. Die Abgabenordnung selbst geht hinsichtlich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand davon aus, dass noch fristgerecht handelt, wer innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Handlung nachholt. UE sollte dies als Parallele herangezogen werden, um überhaupt einen Anhaltspunkt zu gewinnen, so dass noch pflichtgemäß handelt, wer die Korrekturanzeige spätestens einen Monat 12 Vgl. nur BGH v. 20.12.1995 – 5 StR 412/95, wistra 1996, 184, 188; weiterführend Schmitz/Wulf in MüKo, StGB, 2. Aufl., 2015, § 370 AO Rz. 314. 13 Zum Versuch einer weiteren Präzisierung vgl. Jehke/Dreher, DStR 2012, 2467.

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nach Erlangung sicherer Kenntnis beim Finanzamt einreicht.14 Das BMF hatte in seinem Entwurf eines Anwendungserlasses zu § 153 AO vom 16.6.2015 noch angedeutet, diese mögliche Frist näher konkretisieren zu wollen. Hiervon hat es im AEAO zu § 153 AO vom 23.5.2016 wieder Abstand genommen. Unabhängig hiervon führt die verspätete Korrekturanzeige jedenfalls nicht unmittelbar zur Strafbarkeit. Bei genauer Betrachtung verbleibt ein gewisser „Puffer“: Denn zögert der Steuerpflichtige zu lange, so stellt die verspätete Anzeige zunächst einen Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB) dar. Erst wenn der Zeitpunkt verstrichen ist, zu dem bei hypothetisch ordnungsgemäßem Verhalten ein korrigierter Steuerbescheid ergangen wäre, schlägt der Versuch in Vollendung um. Erfolgt die Anzeige nach diesem Zeitpunkt, kann sie immer noch sanktionsbefreiend wirken, soweit sie inhaltlich die Voraussetzungen einer Selbstanzeige i.S.v. § 371 AO erfüllt.

VII. Fazit Für die Beratung ist der neue Anwendungserlass sicherlich positiv. Allerdings: Für Euphorie sehe ich keinen Anlass. So anerkennenswert es ist, wenn einer ausufernden Kriminalisierung von Erklärungsfehlern durch das Ministerium entgegengetreten werden soll, hängt die Anwendung durch die Finanzverwaltung in der Praxis doch vom Einzelfall an, bieten auch die BMF-Vorgaben niemals zwingendes Recht und eindeutigen, festen Boden für die Beratung. Auch weiterhin ist es letztlich jedem Finanzamt, jedem Beamten im Einzelfall überlassen, selbst zu werten. Für die Finanzverwaltung bietet der Erlass sicherlich gute Hilfe für den, der maßvoll urteilen und entscheiden will. Er kann sich auf den Erlass berufen. Wer in der Finanzverwaltung und in den Staatsanwaltschaften dagegen Hardliner-Positionen vertreten will bei der Abgrenzung Nacherklärung und Hinterziehung, wird dadurch auch durch das BMF-Schreiben weiterhin nicht gehindert sein. Für die Beratung ist die Konsequenz eindeutig: Steuerliche Korrekturerklärungen werden im Zweifelsfall auch weiterhin „selbstanzeigetauglich“ ausgestaltet sein. Im Zweifelsfall wird man sich nicht auf die schlichte Anzeige der Unrichtigkeit beschränken (auch wo dies nach § 153 AO eigentlich ausreichend wäre), sondern die Erklärung unmittel14 Zum Meinungsspektrum s. Kolbe, PStR 2016, 98.

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bar als „Materiallieferung“ mit veranlagungsfähigen Zahlen ausgestalten, um sich für den Notfall auch auf § 371 AO berufen zu können. Bei Dauersachverhalten ist idR. konsequenterweise anzuraten, auch bereits festsetzungsverjährte Besteuerungszeiträume entsprechend dem Mindestberichtigungszeitraum des § 371 Abs. 1 AO „vorsorglich“ in die Nacherklärung miteinzubeziehen.

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Stichwortverzeichnis Verfasser: Nicola M. Niemeyer (Publikums-)Investmentfonds 573 ff. § 2b UStG – Allgemeine Wettbewerbsausgaben 514 f. – Besondere Wettbewerbsausgaben bei Kooperation 515 ff. – Katalogtätigkeiten 517 f. – Neuregelung 511 ff. – Übergangsphase 518 ff. § 4i EStG 123 ff., 434 ff. § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG – i.V.m. § 254 HGB 330 ff. § 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG – Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens 348 f. § 6a GrEStG 167 ff., 460 ff. – Abspaltung, Neugründung 179 ff. – Beihilfe 182 ff. § 7a GewStG – Schachteldividenden, Organschaft 109 ff. § 7g EStg 362 ff. § 8b KStG – Rechtsprechungshighlights 40 ff. § 8b Abs. 7 KStG – Private Equity-Gesellschaft 43 ff. § 8c KStG – Rechtsprechungshighlights 47 ff. § 8d KStG – Verluste 132 ff. § 12 Abs. 5 UmwStG – Grenzüberschreitende Verschmelzungen 132 – Mögliche Änderungen 253 f. § 20 InvStG n.F. 598 ff. § 20 ff. UmwStG – Rechtsprechungshighlights 56 ff. § 27 KStG – Rechtsprechungshighlights 50 ff. § 50d EStG – Anpassung 437 ff.

§ 50d Abs. 9 EStG – Ausweitung 118 ff. § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG 437 ff. § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG 440 f. § 50i EStG – Überschießende Wirkung 128 ff. § 50i Abs. 2 EStG 247 ff. § 122a AO 560 f. § 153 AO – Anwendungsbereich, Detailfragen 645 f. – BMF-Schreiben 619 ff. – BMF-Schreiben v. 23.5.16 639 ff. – Erlass im Überblick 640 f. § 155 Abs. 4 AO n.F. 547 f. § 162 Abs. 3, 4 AO – Sanktionsvorschriften, Ergänzung 419 f. § 173a AO 562 § 175b AO – Spezielle Korrekturnorm 559 ff.

Abfindung – Ausscheidender Gesellschafter 18 ff. – Güter des Gesellschaftsvermögens 18 ff. Abgrenzung Vorsatz – Fahrlässigkeit 642 f. Abkommen – Überschreibung 380 ff. Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken 339 ff. Akteneinsicht 570 Aktivierungswahlrecht – Steuerbilanzielle Herstellungskosten 346 ff. Änderungen Gesellschafterbestand – Einkommensteuerrecht 5 ff. – Zivilrecht 4

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Stichwortverzeichnis Anrechnung ausländischer Steuern – Wirtschaftlicher Zusammenhang 399 ff. Anrechnungsmethode – EuGH 391 f. Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz – Änderung internationales Steuerrecht 413 ff. Anwendungsbereich – § 153 AO 645 f. Anzeige- und Berichtigungspflicht 641 ff. Anzeigepflicht – Steuergestaltungen 91 Aufteilung – Gesellschaftsvermögen 16 ff. Aufwärtsverschmelzung 58 f. Auseinandersetzung – Personengesellschaft 16 ff. Ausgleichsposten – Bei Einbringungen 158 ff. – Mittelbare Organschaft 154 ff. Auskunftsanspruch – Datenschutzrechtlicher 570 Ausländische Betriebsstätten – GewStG 432 ff. Ausländische Stiftungen – Brennpunkte 295 Ausscheiden – Gegen Sachwertabfindung und Realteilung 16 ff. Automatisierte Verifikation – Steuererklärung 549 f. Automatischer Steuerbescheid 547 ff.

Begünstigte – Darlehensvergabe 296 Begünstigtenkreis – Veränderung 296 Begünstigtes Vermögen 218 Begünstigungsfähige Erwerbsvorgänge 197 ff. Beihilfe – Art. 107 Abs. 1 AEUV 182 ff. – Begriff 446 f.

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Beihilferecht – Grundlagen 444 ff. Belastungsvergleiche – Investmentsteuergesetz 602 ff. BEPS 1-Gesetz 75 ff., 80 ff. BEPS 1-Umsetzungsgesetz 107 ff. Beschränkte Steuerpflicht – Anteilsveräußerung Grundbesitzhaltende Körperschaften 131 f. Beteiligungsträgerstiftung 274 Beteiligungsträgerstiftungen – Brennpunkte 291 f. Bewertungseinheiten – Steuerbilanzielle Fragen 327 ff. Bewertungsgesetz 222 – Änderung 91 ff. Bilanzierung – Beendigung Sicherungsbeziehung 333 ff. Bilanzierungs-Knowhow – Praxisrelevantes 372 ff. Bilanzierungsfragen – Bei Ausscheiden gegen Sachwertabfindung 24 f. Bilanzsteuerrecht 297 ff. – Aktuelle Fälle 343 ff. – Trends 344 ff. Billigkeitsmaßnahmen 145 ff. BMF-Schreiben – §153 AO 620 f. Brexit – Steuerliche Sicht 103 ff. Buchwertaufstockung 56 f. Buchwerte – Fortführung fehlerhafter 30 f. Buchwerteinbringung 265 Buchwertfortführung – Ergänzungsbilanz 31 f. Bürokratieentlastungsgesetz 79 f.

Country-by-Country Reporting 420 ff. – Abgabezeitpunkt 423 – Aufzeichnungsinhalt 422 f. – Sanktionsvorschriften 423

Stichwortverzeichnis Cum-/Ex-Geschäft 311 ff. Cum-Cum-Gestaltungen 97 f.

Datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch 570 Deutsche Shell 394 ff. Downstream merger – Ausländische Gesellschaft 255 ff. Drittstaatsgesellschaft – § 12 Abs. 2 S. 2 KStG 258 ff. – Spaltung 258 ff. – Verschmelzung 258 ff.

E-Government – Fortentwicklung 557 ff. Einbringung – Personengesellschaft, Einnahmeüberschuss 264 ff. Einbringungsfälle – Rechtsprechungsgrundsätze 268 f. Einbringungsgewinn – Folgeumwandlungen 250 ff. Einbringungsgewinn II – Besteuerung 58 f. Einnahmeüberschuss – Einbringung, Personengesellschaft 264 ff. Einrichtungen öffentlichen Rechts – Besteuerung 510 ff. Elektronische Bekanntgabe 560 f. Elektronische Steuererklärung – Vorausgefüllt 560 Elektronischer Steuerbescheid 560 Entwicklungsaufwendungen – Typisierende Abgrenzungskriterien 361 f. Entwicklungskosten – Automobilhersteller 357 ff. – Steuerbilanz 355 ff. Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz – Anpassung an Rechtsprechung 63 ff. Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz – Gesetz zur Anpassung 213 ff. – Verschonungsregelungen 209 ff.

Ergänzungsleistungen 23 f. Erprobung – Künftiger Partner 14 ff. Ertragswertverfahren – Rückwirkung 237 ff. EU-Beihilferecht – Aktuelle Entwicklungen 443 ff. – Unternehmenssteuerrecht 450 ff. EuGH-Urteil – Crédit Lyonnais 534 – Deutsche Shell 394 ff. – Kreissparkasse Wiedenbrück 534 – Landkreis Potsdam-Mittelmark 531 – Larentia + Minerva und Marenave 498 ff. – Timac Agro 389 ff. – Wolfgang und Dr. Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft 532

Familienstiftung

275 Finanzielle Eingliederung 500 f. Finanzunternehmen – Änderungen 122 f. Folgeumwandlungen – Einbringungsgewinn 250 ff. Freiberufler- Personengesellschaft 4 Freigrenze – Überschreitung, Gestaltung 236 f. – Unternehmer, Empfehlung 235 f. Freistellungsverfahren – Veranlagungsverfahren 406 ff.

G

emischte Vermietung 489 ff. Generalanwalt Mengozzi – Ausführungen 491 Gesamtumsatzbezogener Schlüssel 494 Geschäftsbetrieb – Anteilsveräußerungen 40 ff. Gesellschafteraufnahme – Gewinnvorabmodell 8 ff. Gesellschafterbestand – Änderungen 4 Gesellschafterkonten – Personengesellschaft 32 ff.

651

Stichwortverzeichnis Gesellschaftsvermögensaufteilung – Auseinandersetzung Personengesellschaft 16 ff. Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens 539 ff. Gesetzliche Fristen Steuererklärung – Steuerberatende Berufsträger 551 ff. Gesonderte Betrachtungsweise – § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG 440 f. Gewerbesteuer – Gewinnverlagerung, Inland 100 ff. – Reisebranche 99 f. Gewinn- und Einkommensermittlung 71 ff. Gewinnabführungsvertrag – Vorzeitige Beendigung 140 ff. Gewinnausschüttungen – UmwStG 241 ff. Grunderwerbsteuer – share deals 102 Grunderwerbsteuerliche Konzernklausel 460 ff. Grundsteuer – Reform 91 ff. Gutglaubensschutz – BFH-Rechtsprechung 525 ff.

– Nachträgliche Kompensation Mehrergebnis 366 ff. – Unentgeltliche Betriebsübertragung 364 ff. Investmenterträge – Steuerpflichtige 586 f. Investmentfondbesteuerung 573 ff. Investmentfonds – Begriff 577 ff. Investmentsteuerreform – Besteuerung Anleger 585 ff. – Besteuerung auf Fondsebene 579 ff. – Bisherige Besteuerung, Transparenzprinzip 575 f. – Gründe 574 ff. – Überblick 574 ff. – Übergangsvorschriften 604 ff. – Wesentliche Änderungen 576 f.

J

uniorpartner – Aufnahme 12 ff. – Mit beschränkten Rechten 12 ff.

Kapitalkonten

errschendes Unternehmen 188 ff. – § 6a Satz 3 GrEStG 169 ff. Herstellungskostenuntergrenze – BilMog 346 f. Herstellungswahlrecht 347 Hinzurechnungsbeträge – Gewerbesteuerpflicht 429 ff.

– Personengesellschaft 32 ff. Kapitalkonto II 34 ff. – Betriebsvermögen, Einbringung 34 ff. – Privatvermögen, Einbringung 34 ff. Konzernklausel – Grunderwerbsteuerliche 460 ff. Korrektur – Vollautomatische Steuerbescheide 562 f.

I

Local File

H

mmaterielle Wirtschaftsgüter – Bilanzrechtsrelevanz 355 ff. Informationsaustausch – Tax Rulings 469 ff. Innerbetriebliches Kontrollsystem 619 ff. – Für Steuerzwecke 621 f. Internationales Steuerrecht 377 ff. – Rechtsprechung I. Senat 379 ff. Investitionsabzugsbetrag – § 7g EStG 362 ff.

652

415 ff. Lohnsummenregelung 212 – Neuregelung 214 Lohnsummentest 233

M

anipulation – An digitalen Grundaufzeichnungen 86 ff. Maßstab – „Unverzügliche“ Korrektur 646 f. Masterfile 417 ff.

Stichwortverzeichnis Mitteilungspflichtige Dritte – § 93c AO 557 ff. – Einbeziehung 557 ff.

N

achsteuertatbestände 233 Negativer Geschäftswert – Bei Einbringung 57 f.

Objektbezogener Umsatzschlüssel 494 Organisatorische Eingliederung 501 f. Organschaft 139 ff., 496 f. – Auskunftsgebühr 56 – Ausschüttungssperre 151 ff. – Auswirkung der Rechtsprechung 506 ff. – Fortführungsgebundener Verlust 160 ff. – Gewinnabführungsvertrag 53 ff. – Mit Nichtunternehmern 502 f. – Rechtsprechungshighlights 53 ff. – Unionsrechtliche Grundlage 497 f. Organschaft und öffentliche Hand – Rechtsanwendung 495 ff.

Panama Papers

89 ff. Passive ausländische Einkünfte – Gewerbesteuerpflicht 113 ff. Personengesellschaft – als Organschaft 502 f. – Einbringung 264 ff. – Gesellschafterkonten 32 ff. Personengesellschaften – Kapitalkonten 32 ff. Pflichtauslösende Kenntnis 641 f.

Realisationsprinzip – Mehrkomponentengeschäft 351 ff. Realteilung 16 ff. – Einschalten von Schwestergesellschaften 25 f. – In Gesamthandsvermögen 26 f. – Korrektur Bilanzierungsfehler 29 ff. Realteilungsgrundsätze 20 f. – Ausscheiden gegen Sachwertabfindung 21 f.

Rechte der Steuerpflichtigen – Im Besteuerungsverfahren, Vernachlässigung 563 ff. Rechteüberlassungen – Schädliche Steuerpraktiken 95 ff. Registereintragung – Verspätete 145 ff. Registrierkassen 86 ff. Rey-Nachfolgeentscheidung BFH 492 ff. Risikomanagement 547 ff. Risikomanagementsysteme – Automatisierte Verifikation Steuererklärung 549 f. Rückstellungen – Handwerkskammerbeitrag 369 ff. Rückwirkung – Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz 237 ff. – Umwandlungssteuerliche 148 ff.

Sachwertabfindung

16 ff. – Bilanzierungsfragen 24 f. Sanierungserlass 456 ff. Sanierungsgewinne – Steuerfreiheit 95 f. Sanierungsklausel 451 ff. Schachteldividenden – Organschaft 109 ff. Schutz des guten Glaubens 521 ff. Selbstregulierender Steuervollzug 540 ff. Selektivität 447 ff. Sonderbetriebsausgabenabzug – § 4i EStG 434 ff. – Auslandsbezug 123 ff. Sondertatbestände 296 ff. Sonstige Gegenleistung – Begriff 244 ff. – „Equity-to-Debt-Swap“ 245 f. Spezielle Korrekturnorm 559 ff. Spin-off Besteuerung – Einlagenrückgewähr Drittstaatengesellschaft 50 ff. Spitzenausgleich 23 f. Stammdokumentation 417 ff.

653

Stichwortverzeichnis Steuer-IKS – Ausgestaltung 625 ff. Steuerbefreiungen – Sozial intendierte 477 ff. Steuerbilanz – Bewertungseinheiten 327 ff. Steuererklärungsfristen 551 ff. Steuerfunktion – Als wesentlicher Maßstab 623 f. Steuerliche Vorabzusagen 467 ff. Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken 537 ff. Steuerstrafrechtliche Entlastung – Innerbetriebliches Kontrollsystem 643 ff. Stiftung – Als Komplementär 274 f. – Besteuerung 280 ff. Stiftungen – Unternehmensnahe 271 ff. Stundungsvoraussetzungen – Erbfall 235 Subject-to-tax Klausel – § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG 437 ff.

Tax CMS

621 f. Tax Rulings 467 ff. – Austausch 428 f. – Informationsaustausch 469 ff. – Staatliche Beihilfe 467 ff. Teilfreistellung – Einzelfragen 599 ff. Teilfreistellungen – § 20 InvStG 598 ff. Timac Agro 389 ff. Transparenzprinzip 575 f. Transparenzvorschriften 80 ff. Treaty Override 380 ff. – Zeitlich nachfolgendes DBA 384 ff.

Übergangsvorschriften – Fondsebene 604 ff. – Veräußerung auf Anlegerebene 607 ff. – Zurechnung der Erträge auf Anlegerebene 606 f.

654

Übernahmefehler – Korrektur 562 f. Umsatzsteuer – Unionsrecht 477 ff. – Vorherigkeit des Sozialrechts 477 ff. Umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage – Sozialrechtlich fundierte Abschläge 485 ff. Umsatzsteuerliche Unternehmerschaft 172 ff. Umsatzsteuerrecht 473 ff. – Rechtsprechungshighlights 475 ff. Umwandlungssteuerrecht 241 ff. Unmittelbare Übertragung – Auf Schwestergesellschaften 27 ff. Unrichtige Tatsachenangaben 641 f. Unternehmenseinheiten – Begünstigungsfähige 226 ff. Unternehmenserbschaftsteuerrecht 207 ff. – EU-Beihilfe 238 f. Unternehmensnahe Stiftung – Begünstigte; Besteuerung 292 ff. – Gemeinnützigkeit 275 ff. – Hinzurechnungsbesteuerung 294 – Inländische; laufende Besteuerung 288 ff. Unternehmensnahe Stiftungen – Erscheinungsformen 273 ff. Unternehmenssteuerrecht – Kapitalgesellschaften 39 ff. Unternehmensträgerstiftungen 273 f. – Brennpunkte 290 f. Untersuchungsgrundsatz 540 ff. Unverzügliche Korrektur – Maßstab 646 f.

V

eräußerungskosten – § 8b Abs. 2 S. 2 KStG 40 ff. Verbindliche Auskunft – Fortbestehende Mängel 563 ff. – Rechtsanspruch 567 ff. Verbundbeendigung 175 ff. Verbundbegründung 178 f.

Stichwortverzeichnis Verbundvermögensaufstellung 221 f. Verlustabzug – Wegfall, vorweggenommene Erbfolge 47 ff. Verlustverrechnung – Körperschaften 71 ff. Verlustvorträge – Wegfall, Organträgerstellung 164 ff. Verrechnungspreisdokumentationspflichten – Erweiterung 415 ff. Verschonung – Kleine und mittlere Unternehmen 212 Verschonungskonzept 214 ff. Verschonungsregelungen – ErbStG 462 ff. Verschonungstechniken 233 ff. Verspätete Anzeige – Rechtsfolge 646 f. Verspätungszuschlag – Neukonzeption 551 ff. – Neuregelung nach § 152 AO 555 ff. Verwaltungsvermögen 213 – Nicht begünstigt 219 f. Verwaltungsvermögenstest – Begünstigtes Vermögen 231 ff. Verzinsung – Ansprüche aus Steuerschuldverhältnis 570 f.

– Kapitalmarktfern 570 f. Vorab-Abschlag – Familienunternehmen 228 ff. Vorabpauschale 588 ff. Vorsteueraufteilung 521 ff. – Aktuelles 530 ff. – EuGH-Urteil Larentia und Minerva 530 f. – Gemischt genutzte Gegenstände 489 ff. – Gutglaubensschutz 521 ff.

Wagniskapital

95 Währungsverluste – DBA, freigestellte Betriebsstätte 392 ff. Werkzeugkostenzuschuss – Autoteilezulieferer 360 f. Wirtschaftliches Eigentum – Steuerbilanz 299 ff. Wirtschaftlichkeitsprinzip – Rechtsstaatliche Einordnung 543 ff. Wirtschaftsgüter – Geringwertige 96 f.

Zuordnung – Organgesellschaftsbeteiligung 143 f. Zwischengesellschaften 429 ff.

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