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German Pages 31 Year 1902
Steuer - undFinanzwesen Chinas an Hand der Geschichte.
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Vortrag von
Otto
Messing.
Der nachstehende Vortrag des Herrn Otto Messing wurde am 29. April 1902 in der Abteilung Berlin -Charlottenburg der Kolonialgesellschaft gehalten: Meine Herren! In der kurzen Zeit , die mir zugemessen, und in der ich zu Ihnen über „Steuer- und Finanzwesen Chinas an Hand der Geschichte “ zu sprechen die Ehre habe , müssen wir eine Periode von 4000 Jahren als die Geschichte eines Volkes an unsern Augen vorübergehen lassen ! Wir können natürlich nur flüchtig über Jahrhunderte hinwegeilen, die wichtigsten Daten und Ereignisse auch um’ skizzenhaft be¬ rühren , aber auch dann müssen wir auf die alten, ältesten, ja sogar prähistorischen Zeiten zurückgreifen , da aus letzteren, wie ein „Quell aus verborgenen Tiefen“, eine ganze Reihe kulturgeschichtlicher Ereignisse und Thatsachen in die histo¬ rische Zeit übergreifen, die bis heutigen Tages noch bestehen. Die Geschichte Chinas lässt sich auf ihren Ursprung nicht zurückführen , sie fällt in ihren Anfängen in das graue Alter prähistorischer Zeiten. Von welchem Zeitraum die Chronologie der Chinesen als vollkommen zuverlässig anzusehen ist , darüber sind die Sinologen in ihren Anschauungen geteilt . Namhafte Ge¬ lehrte des 17. und 18. Jahrhunderts , zu denen vor allem die jesuitischen Missionare dieser Zeit gehören, deren bekannteste Namen ein Schall, Martin Martini , Ricci, Verbiest , du Halde sind, lassen die historischen Aufzeichnungen der Hsia -Dynastie 2205—1766 v. Chr. zuverlässige Darstellungen wirklicher Er¬ eignisse und Personen sein, während namentlich neuere
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Forschungen die uns überkommenen Aufzeichnungen vor dem Jahre 775 v. Chr. (Mitte der ChouDynastie 1122—255 v. Chr.) als mythisch auffassen. Thatsache ist, dass Professor Russell in Peking , nach mühevoller Berechnung von 36 Verfinsterungen, eine während der Regierung von Chunkang, dem vierten Herrscher der Hsia Dynastie stattgehabte Sonnen¬ finsternis, als erwiesen identifiziert hat . Auch Professor Knobel von Cambridge hat sich zu Gunsten der Zuverlässig¬ keit dieser alten Aufzeichnungen ausgesprochen , auf Grund astronomischer Daten , welche in einer Art Kalender der Hsia-Dynastie , dessen Fragmente bis auf unsere Zeit ge¬ kommen, enthalten sind. Sie heissen , ,Yaos Anweisungen zur Bestimmung der Aequinoctien“, welche zweitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung niedergeschrieben sein dürften. Jedenfalls ist, was vor der Hsia - Zeit liegt, Legende, nämlich das Zeitalter der drei Herrscher San Huang, welches man auf mehrere Tausend Jahr zurückberechnet, und das Zeitalter der fünf Herrscher Wuti , eine Periode, welche man von dem Jahr 2852 beginnend annimmt. Aber aus dem dämmernden Morgenroth der aufgehenden Geschichte steigen nebelhaft die altehrwürdigen Gestalten eines Yao und Shun empor, diese grossen Nationalhelden der Chinesen, deren Namen und Regierungen durch die Grossen Kungfutsze und Mengtsze ( Confucius und Mencius) unsterblich ge¬ macht sind. In die Regierung Yaos fällt die Legende der Sindflut, jener fabelhaften Ueberschwemmung des Landes, welche man mit der unserer biblischen Ueberlieferung in Zu¬ sammenhang zu bringen versucht hat. „Die Wasser steigen,“ ruft der alte Monarch aus, „ sie umklammern die Berge und bedrohen in ihrem Uebermut selbst den Himmel, das Volk murrt , wer ist hier , der es unternehmen will, den unbeugsamen Fluten zu gebieten.“ Die alten Aufzeichnungen berichten dann, wie Kwen, ein Minister der öffentlichen Arbeiten , es vergeblich Arbeit Herr zu werden, wie nach seinem unternahm , dieser Tod sein Sohn Yü die Arbeit fortsetzte , wie es ihm nach 9jähriger anstrengender
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Thätigkeit gelang, Dämme zu errichten , Abzugskanäle an¬ zulegen und so die Gefahr abzulenken. Er wurde von dem inzwischen zur Regierung gelangten Shun zu seinem Nach¬ folger erwählt, und war nach dem Tode des Shun als Ta Yü, Yü der Grosse, Begründer der Hsia -Dynastie , der ersten jener langen Reihe von Dynastien , welche in fast ununter¬ brochener Aufeinanderfolge in 22 Familien und 240 Kaisern über einen Zeitraum von 4000 Jahren , bis zu den Ta Tsing, der jetzigen Dynastie , über das Reich der Mitte regiert haben. Es ist selbstverständlich , dass das Land , welches wir heute China nennen, nämlich die Vereinigung der 18 Provinzen (ji-pa-shong), zu Anfang seiner Geschichte diese Ausdehnung nicht hatte . Das China des Altertums beschränkte sich auf einige Thäler , und zwar besteht die Ansicht , dass die erste Blüte des Reiches in Shensi, im Thale des Weiflusses statt¬ gehabt hat , und dass erst Tsinshihwangti , der Erbauer der grossen Mauer (222 v. Chr.), Sohn des ersten Eroberers und Gründer der Chin-Dynastie , ein Land zusammenfasste, welches sich von den Ebenen von Yen und Chao, das heutige Honan und Chili, bis zu den Ufern des Yangtsze und zu den Bergen von Yüeh (das heutige Chekiang) und von dem Tungtingsee bis zum östlichen Meere erstreckte. In den heute noch unabhängigen Staaten der Völker, welche in den Provinzen von Kuangsi , Kueichow, Yünnan, Szechuan leben und Lolos , Miaotze genannt werden, haben wir wohl die Reste der Ureinwohner zu suchen, welche zu¬ erst China innehatten und von den sich mehr und mehr im Verlauf der Jahrhunderte ausdehnenden Chinesen zurück¬ gedrängt wurden. Schon in diesen ersten Anfängen seiner politischen Existenz finden wir den Begriff „Kultur “ in seiner vornehm¬ sten Bedeutung , nämlich in der : die Natur den menschlichen Bedürfnissen unterthänig zu machen, in Anwendung gebracht, und zwar weit mehr als in irgend einem der umliegenden Länder.
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China erscheint schon nach seinen ältesten Chronisten als ein ackerbautreibender Staat , in welchem man von dem Gedanken geleitet wurde, dass der Ackerbau es allein sei, der eine Nation in festen Wohnsitzen erhalte , dass ihm hauptsächlich die Erhaltung der Ruhe , die friedliche Ent¬ wickelung aller Kräfte und die Herrschaft der Gesetze zu¬ zuschreiben sei. Und aus diesen prähistorischen Zeiten nehmen wir herüber , dass, als seine Bewohner auf der Welt¬ bühne historisch auftraten , sie schon mit dem Pflug, der Kultivierung der „fünf“ ,in manchen Chroniken „ sechs“ ,Körner¬ früchte , dem Züchten der Haustiere , des Seidenwurmes, mit den Transportmitteln zu Wasser und zu Land , dem Schiff, der Karre , wie sie noch heute im sind, und vor allem mit der ebenfalls heute noch Gebrauch in derselben Weise be¬ stehenden Schreib- und Rechenkunst bekannt waren. Aus dieser Erkenntnis hat die Erde , als Quell der Nahrung , die höchste Wichtigkeit in den Augen des an¬ gesiedelten Volkes von China erhalten , und als Civilisationsmittel, als das Hauptband der politischen Gesellschaft , hat die Bebauung des Bodens die ganze Aufmerksamkeit der chinesischen Regierung auf sich gezogen. So wurden der Erde und dem Ackerbau Altäre geweiht, und zwar der Erde ausschliesslich in Peking als jetzige Hauptstadt des Reiches, dem Ackerbau in jeder Provinzialstadt. Man hat daher auch die Verteilung des Landes zu einem Gegenstand unveränderter Beobachtung im Laufe der Ge¬ schichte seit den ältesten Zeiten bis zum heutigen Tag ge¬ macht, und als man zur Erhaltung des Landes der Steuern bedurfte , hat man das Land mit solchen zuerst belegt. Die Grundsteuer ist aus jenen alten Zeiten bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts für China die ausschlag¬ gebende Steuer gewesen, hinter der die übrigen sämtlich zurücktraten . In Uebereinstimmung mit chinesischen Quellen, haben wir neben der Grundsteuer noch die Kopfsteuer , Salz¬ steuer und gemischte Steuern , sowie die einheimischen Zölle
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zu nennen, denen sich in neuerer Zeit Likin und fremde Seezölle hinzugesellen. In jenen prähistorischen Zeiten der ¥u Ti und San Huang war der sogenante Kaiser ein Wahlkaiser , zu diesem Rang von einer Anzahl Fürsten erhöhen , welche ihrerseits wieder die Häupter von Familien oder Sippen waren, und die je nach der Anzahl ihrer Gefolgschaft den Titel eines Fürsten , Herzogs oder dergleichen führten . Mit der Er¬ richtung der Hsia -Dynastie 2205 v. Chr . hörte die Einrichtung der Wahlkaiser auf, die Herrschaft über China wurde Eigen¬ tum der Dynastie , und das für den Unterhalt des Herrschers bestimmte Land wurde zum erblichen Eigentum des ältesten regierenden Zweiges, seiner Familie erklärt . Das nunmehrige Reichs Oberhaupt übergab den ihm untergebenen Fürsten das Land als Lehen in 1000, 100, 70 oder 50 Li Ausdehnung, so dass der unmittelbar vom Reichshaupt abhängende Ge¬ bietsteil 1000 Quadrat Li umfasste, während das grösste fürstliche Lehen nur 100 enthalten konnte. Bei Besetzung der verschiedenen Stellen und Verteilung der Lehen wurden vornehmlich Verwandte herangezogen, um ihnen eine Existenz zu sichern , und um die eigene Herrschaft der Dynastie zu befestigen. Diese Vorsteher , von dem Kaiser mit der Gewalt von Bezirksfürsten bekleidet , gewannen nun in ihren eigenen Bezirken die Stellung eines Oberhauptes und die Herrschaft über Personen und Eigentum ; wie das Reichsoberhaupt seinerseits über die eingesetzten Fürsten oder Gouverneure . Wir haben also damals schon den Anfang der bis heutigen Tages bestehenden Einrichtung der Decentralisation , der geteilten Herrschaft über gesondertes Eigentum. Die Staatsdiener , vom Minister bis zum untersten Beamten , erhielten einen verhältnismässigen Landanteil , von dessen Ertrag sie ihr Gehalt bezogen. Der Besitz dieser Ländereien war kein persönliches Eigentum , ging vielmehr nach dem Tode, oder nach Ablauf der Amtszeit , an den Nachfolger über.
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Was nun die grosse Menge des Volkes betrifft , so empfing, wie die alten Ueberlieferungen berichten , ein Jeder ein ihm vom Fürsten zeitweils zugeteiltes Grundstück von ein und derselben Grösse, um dem Besitzer auf diese Weise sowohl die Unterhaltungsmittel des Lebens zu gewähren, als auch ihn an den Steuern und Abgaben gleichmässig zu be¬ teiligen. Zu dem Zweck war das Land in seiner Gesamtheit in 9 Quadrate aufgeteilt, von denen das mittlere dem Staat gehörte , in dessen Bebauung sich die acht umliegenden Eigen¬ tümer teilten . Auf diese Weise hatte jeder ungefähr den achten Teil seiner Arbeit für den Staat zu leisten. Zur Be¬ wässerung der Felder wurden zwischen jedem Quadrat Gräben, und in gleicher Reihe mit der Wasserlinie Stege, Pfade und grössere und kleinere Wege angelegt. Die Berichte aus dem Altertum haben uns aber keine vollständigen und ausführlichen Urkunden hinterlassen , bis zu welchem G-rad die Einrichtung der gemeinsamen Felder bei dem damaligen Stand der Wissenschaften und Einsichten gediehen ist, ob sie wirklich so hübsch waren, wie ein Schachbrett , so genau in ihrer Vermessung, so bestimmt in ihrer Verwaltung. Das System aber hat sich sehr lange erhalten , und erst zu Ende der Chou-Dynastie 255 v. Chr. machten sich Mängel fühlbar , die sich darin zu erkennen gaben, dass das Er¬ trägnis der Abgaben aus dem neunten Teil des Quadrates nicht genügend war, um die Bedürfnisse der in sich er¬ starkenden Dynastie zu decken und den Umständen der Zeit Rechnung zu tragen. Heutzutage sogar bestehen in Korea noch in einigen Teilen des Landes Spuren der gemeinsamen Felder , wie sie zu Anfang der Chou-Periode ca. 1200 v. Chr., also vor ca. 3000 TTahren, geschaffen worden sind. Die ganze Periode der Chou, also von 1122— 255 v. Ch., welche die Regierung von 35 Kaisern umfasst, und während der die grossen chinesischen Philosophen Kungfutsze und Mengtsze lebten, charakterisiert sich durch lange grausame
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Bürgerkriege , und man fand in dem bisherigen Steuersystem die Mittel zur Befriedigung der wachsenden Staatsbedürfnisse um so weniger als die Ackerbauer , wie es in den chinesischen Chroniken heisst : „aus Sittenverderbnis “ den mittleren Re¬ gierung santeil des Grundbesitzes nur mit der äussersten Sorglosigkeit bearbeiteten. Wie nun während der Chin-Dynastie die Einrichtung des Neun-Felder -Systems abgeschafft und es jedermann freigestellt wurde sich niederzulassen , wo es ihm gutdünkte , so vollzog sich damit der Schritt vom Staats - zu PrivatEigentum Die 50 jährige Umwälzung, welche China zur Zeit der Ta Chin durchzumachen hatte , raubte dem Lande viel Menschenleben und führte eine grosse Umwandlung des Grundbesitzes und der damit verbundenen Einrichtungen mit sich. Es entwickelte sich während dieser Periode der Handel mit den Völkern des Südens ; die Bevölkerung wandte sich vom Ackerbau weg und suchte im unbesteuerten Handel Beschäftigung , dem sie sich unbelästigt und von drückenden Frohndiensten und Abgaben befreit , zuwenden konnte. Die später folgende Hän -Dynastie , mit 26 Monarchen über 423 Jahre , ist besonders reich an intellektuellen Thaten seiner Herrscher . Die Hän -Dynastie war eine der popu¬ lärsten , die je über China herrschten . Von ihr nennen sich die Chinesen heute noch Hän -jen , Hän -Leute ; in die Periode dieser Dynastie fällt die Einführung des Buddhismus , die Einführung von Straf - und anderen Gesetzen, die Einführung der Examinationen , wie sie heute noch bestehen . Fuhkien, Yünnan , Kuangtung und der grössere Teil von Szechuen wurden während der Hän -Periode Provinzen des Reiches. Sie umfasst eine Zeit , welche eine Reorganisation für das Reich mit sich brachte , in der die Regierung für das Elend nicht unempfindlich war und verschiedene Massregeln zur Hebung des Wohlstandes , oder wenigstens der notwendigen Ernährung der Nation vorgenommen wurden.
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Vom Kaiser Wen -ti wissen wir, dass er den Acker mit eigener Hand bearbeitete , um dadurch andere zu einer so edlen Bemühung aufzumuntern ; er liess in seinem Palast Maulbeerbäume anlegen, züchtete Seidenwürmer, damit er die Grossen des Reiches zur Nachfolge reizen möchte , die Kaiserin aber musste, wie uns Du Halde berichtet , „ samt seinen Kebsweibern sich im Nähen üben, damit das chine¬ sische Frauenzimmer gleiche Arbeit vornähme“. Die Haupt¬ stadt des Reiches war damals Kaifeng , Provinz Honan. Aber alle Sorgen brachten nicht die erwünschten Früchte, das Yolk blieb arm, und die Krone fand sich durch die häufigen Steuererlasse selbst oft in schwierigen Verhältnissen. Die Grundsteuer war in der westlichen Han -Dynastie auf 7is > in der östlichen auf 7 30 des Bodenertrages fest¬ gesetzt (auf falsche Steuerdeklaration stand Todesstrafe !) und wurde damals noch in Naturalien (Baumwollentuch und Seide) erhoben. Eine Zuschlagsteuer erhob Hlianti , welche sein Nachfolger auf 10 Cash per Mow (1 Mow ca. 630 qm) festsetzte, und aus der Täng-Dynastie wissen wir, dass die Grundsteuer im Jahre etwa 30 Millionen Stränge Cash (nach heutigem Gelde ca. 60 Millionen Mark , aber damals wohl das Dreifache mehr wert) und 20 Millionen Hu Reis = ca. 337 * Millionen Zentner einbrachten. Die Täng-Periode war für China die Zeit grossen Ruhmes und Friedens . Vom zweiten Kaiser heisst es, dass kein Herrscher eines Landes eine berechtigtere Anwartschaft auf den Titel „ der Grosse“ gehabt habe als er. Sein Name ist Tai Tsung. Während der Täng- Periode kamen die Nestorianer nach China, über deren Thätigkeit die aus dem Jahre 781 stammenden berühmten Steinschriften , welche im Jahre 1625 in der Stadt Chang-an gefunden wurden und noch heute in dem von dem jetzigen Kaiser während seines Aufenthaltes in Hsingnanfu bewohnten Tempeln aufgestellt sind, berichten. Während den Täng’s wurde Korea ein Besitztum Chinas, selbst Persien suchte Anschluss und der griechische Kaiser
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Theodosius sandte eine Gesandtschaft . Auch ist diese Periode merkwürdig dadurch , dass damals auch eine Kaiserin 40 Jahre lang mit männlicher Kraft die Zügel der Regie¬ rung führte . Ihr Karne war Wu . Auch fand um die Zeit der Muhamedanismus Eingang in das Land. Mit der seit dieser Periode geführten Art der Erhebung der Grundsteuer war auch von neuem die Wiedereinführung des Rechtes auf unbeschränkten Landbesitz verbunden, und befinden sich diese Einrichtungen schon mehr als tausend Jahre lang in China in ein und demselben Zustand . Ein so unverändertes Beharren spricht für die Angemessenheit der betreffenden Verhältnisse und ist das geschichtliche Ergebnis der bürgerlichen und geistigen Entwickelung des chinesischen Volkes. Jahrhunderte haben diesen Zustand für das Be¬ stehen von Jahrhunderten vorbereitet . Alle späteren Dy¬ nastien haben deshalb seit der Täng-Periode , 618—907, deren Landgesetze aufrecht erhalten und wesentliche Aenderungen nicht vorgenommen. Eine in der Yuän- (mongolische) Dynastie , 1260—1368, vorgenommene Teilung des Steuersystems für Süd- und KordChina, für ersteres nach wie vor die halbjährliche Grund¬ steuer , für letzteres Kopf - und Personalsteuern , erhielt sich auch in der darauffolgenden, der Ming-Dynastie , 1368—1643, während der für das ganze Reich genaue Kataster - und Flurkarten entworfen wurden. So verging Jahrhundert nach Jahrhundert ; das Volk in seiner Abgeschiedenheit entfremdete sich des Blickes und des Bedürfnisses nach einer neuen Entwickelung . „Eine langwährende Ruhe “, sagen die Chinesen selbst, „und ein gleichmässiger Lauf der Dinge hält die gegenwärtige Ordnung aufrecht , alles geht unbewusst von selber, wenn aber die kleinste Verletzung dieser eingeführten Ordnung erfolgt , so stürzt das ganze Gebäude“, und es liegt im konservativen Charakter des Chinesen, bei einem Sturz nicht auf neuen Grundlagen aufzubauen , sondern Altes mit Altem auszu¬ bessern.
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Die jetzige Dynastie , die Ta Tsing, ist bekanntlich eine mandschurische . Mit dem Ackerbau nicht bekannt, musste sie erst, nachdem sie zur Herrschaft gelangt war, das lernen, was die chinesische Kultur Jahren vorbereitet und erfahren hatte . seit tausenden von Es ist daher nahe¬ liegend, dass die jetzige Periode keine Aenderung des Be¬ stehenden einführte , vielmehr das Althergebrachte , seine Mängel und Vorteile , in gleicher Weise beibehielt Man teilt jetzt das steuerpflichtige Land ein in Volks¬ land, Soldatenland , Bannerland , Schulland , Land der Wilden. Die Erhebung der Grundsteuer geschieht nach Mow (dem chinesischen Acker , in seiner Grösse sehr abweichend), in jeder Provinz nach verschiedenen Kategorien des Bodens verschieden festgesetzt , in einer chaotischen Mannigfaltigkeit, ohne leitendes Prinzip , in Geld oder Naturalien , namentlich in Reis. In den dem europäischen Handel geöffneten Häfen , in welchen Europäern erlaubt ist, sich anzusiedeln und ge¬ stattet ist, auf ewige Zeiten mietweis Ländereien zu er¬ werben, haben die Inhaber der Ländereien die chinesische Grundsteuer jährlich an die Regierung zu entrichten. Die Abführung der Steuern nach Peking , als jetzigen Sitz der Central-Regierung , geschieht nun nicht direkt, sondern, wie bereits angedeutet , ist das ganze Reich als eine Anzahl von Gouverneuren oder General -Gouverneuren re¬ gierter , unabhängiger Staaten zu betrachten , und so fliessen die eingehenden Abgaben zunächst dem Schatzmeister der Provinz zu, nachdem vorerst die Magistrate (Vorsteher der einzelnen Distrikte ) ihre lokalen Ausgaben , Gehälter, Armengelder , Unterhalt für die an bestimmte Truppenteile , u. A . Regierungspost , Sold m. in Abzug gebracht haben. Der Provinzial -Schatzmeister erstattet dann dreimal im Jahr dem Provinzial-Gouverneur Bericht ; welcher seinerseits wieder dem Finanzministerium (dem Hupu ) in Peking die Angelegenheit weiter giebt.
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Dieses Finanzministerium hat die allgemeine Ober¬ aufsicht über die Finanzen des Reiches und stellt fest, was jeweils im folgenden Jahre die Regierung benötigt , was von der Grundsteuer zur Bestreitung der Ausgaben für die Provinz zurückbehalten , was nach Peking abgeliefert, und was zur Bestreitung der Ausgaben anderen Provinzen überwiesen werden soll. Die finanzielle Lage der einzelnen Provinzen ist sehr verschieden. In Fuhkien , Kuangtung , Kuangsi wird der ganze Betrag der Grundsteuer aufgebraucht ; Shensi, Kansu, Szechuan, Yünnan , Kueichow erhalten Zuschüsse aus den Nachbarprovinzen ; Chili, Shantung , Kiangsu , Anhui , Hupeh, Hunan , Honan , Shansi , Chekiang, Kiangsi sind Provinzen, welche einen Ueberschuss aufzuweisen in der Lage sind. Einen Versuch zu machen, ein Budget aufzustellen , die Ausgaben mit den Einnahmen zu balancieren , kennt man in China weder in Peking noch in den Provinzen . Den unge¬ fähren Betrag , den man in Peking zu erwarten hat , weiss man aus alter Gewohnheit, und ein Mehr zu remittieren, das fällt natürlich keinem Gouverneur ein, wohl hat er aber über ein Minus seiner Rimessen Bericht zu erstatten und dasselbe zu begründen, wohl auch in Aussicht zu stellen, dasselbe in besseren Zeiten nachzuliefern . Aber wo ge¬ schähe das in China ! Ausser den laufenden Ausgaben hat jeder Gouverneur aussergewöhnliche, die der Erledigung harren , und der Kampf zwischen den Centralbehörden in Peking , welche stets mehr verlangen, und den Provinzial¬ behörden , welche soviel wie möglich zurückzuhalten bestrebt sind, ist ein unaufhörlicher. Wir haben bei dieser Gelegenheit der Reissteuer , des sogenannten Tribut -Reises , zu gedenken, welche zum Unter¬ halt der mandschurischen Soldaten , d. h. der ganzen mandschurischen Bevölkerung Pekings , dient, und zu deren Leistung in natura nur Kiangsu und Chekiang verpflichtet sind, während Kiangsi , Anhui , Shantung , Honan , Hupeh,
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Hunan Naturalien abzuliefern haben ; in den übrigen zehn Provinzen ist der Tribut in Reis in Silber abgelöst. Der Transport des Reises ist eine für die Verwaltung hochwichtige Angelegenheit , wobei eine ganze Armee von Beamten und Angestellten Beschäftigung und Gewinn findet, und geschieht entweder unter militärischer Eskorte in Dschunken, dem Kaiserkanal entlang , oder per Dampfer nach Tientsin und von da per Boot nach Tungchou bezw. Peking unter besonderer Flagge. An der Spitze der Verwaltung steht der Superintendent des Korntransportes (tsao-yünder Kornintendant untersteht. tang), dem in jeder Provinz Die Unkosten aus diesem Reistransport sind ganz ungeheuer und bieten dem Departement infolge eines Gut¬ gewichtes von ca. 12 Prozent ca. 200 000 Taels belaufen. Nebeneinkünfte , die sich auf Die allein l '/2Millionen Taels , die für Transportkosten betragen den vierten Teil bestritten werden könnten. Wir übergehen die Kopfsteuer , welche seit der MingDynastie der Grundsteuer zugeschlagen ist , und wenden uns der Salzsteuer zu. Der Salzhandel ist in China Monopol gewisser von der Regierung dazu ermächtigter Kaufleute . Das Steuerwesen besteht noch heute in der aus der Minggebrachten Art und Weise und führt Dynastie herüber¬ seine Existenz in historisch bezeugter Form ungefähr auf das Jahr 650 v. Chr. zurück, wo Kuen -Chung, Minister des Herzogs von Chih (Shantung ), als derjenige genannt wird, welcher die Steuer für diesen Staat eingeführt hat . Die Steuer war bald eine reiche Einnahmequelle für den Staat und wurde unter dem Hän-Kaiser Mingti, 58 v. Chr., zum Monopol erhoben , so dass auch der Verkauf von der Regierung besorgt wurde. Während der Täng-Periode , 618—923, gelangte sie zu grosser Blüte und die Verwaltung ging auf ein besonderes Reichs¬ salzamt über . Der Ertrag war zu Ende des 8. Jahrhunderts etwa die Hälfte der gesamten jährlichen Reichseinnahmen.
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Die Einteilung der Salzdistrikte giebt uns ein natür¬ liches Bild der Beschaffenheit Chinas (Nord -, Mittel-, SüdChina, Küstenprovinzen und der Westen ). Die Areale fallen nicht mit den politischen Grenzen der Provinzen zusammen und bestehen in acht Bezirken , welche jeder seine eigenen Produktionsquellen für sich besitzt , nämlich: Changlu-Distrikt für Peking und den Norden im allge¬ meinen, Shantung -Distrikt für Shantung , kleine Teile von Honan, Kiangsu und Anhui, Hotung -Distrikt für Shansi , Shensi und einen Teil von Hunan, Liang Huai -Distrikt für Anhui , Teile von Kiangsu , Kiangsi, Hukuang (Hupeh und Hunan ), Liangclie-Distrikt für Chekiang und den Rest von Kiangsu, Euhkien für diese Provinz und Teile der anliegenden, Kuangtung für Kuantung , Kuangsi , Teile von Kiangsi und Yünnan und Szechuan für die westlichen Teile Chinas. Die Grenzen dieser Distrikte schliessen sich in ihrer Abrundung eher den alten Königreichen Jueh , Wu , Chu, Shuh, Tientsin an, dürften aber wohl dadurch entstanden sein, dass sich die um gewisse Produktionscentren gruppierenden Landesteile zu einem Kreise zusammenschlossen. Diese Distrikte sind genau festgesetzt, und Provenienzen aus dem einen Salzdistrikt sind unter gewöhnlichen Umständen nicht nach einem anderen zu verkaufen erlaubt . Die TaipingRebellion 1850—65 brachte für die Provinzen Hunan und Hupeh (Hukuang ) insofern einen Umschwung, als deren Be¬ wohner jetzt mehr von den Salzkaufleuten aus Szechuan beziehen, nachdem durch die Unterbrechung des DschunkenVerkehrs auf dem Yangtsze die Zufuhr aus dem HainanDistrikt unmöglich gemacht war. Die Konkurrenz in diesen Provinzen ist daher zwischen den Salzkaufleuten der be¬ treffenden Distrikte ein sehr lebhafter . Ueberführung aus
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einem Distrikt in den andern ohne besondere Erlaubnis wird
als Schmuggel betrachtet und mit Konfiskation bestraft. Das Salz wird in den östlichen Distrikten aus See¬ wasser gewonnen, in Szechuan und Sbansi giebt es Soolquellen, in den mittleren Provinzen sind es Marschen , aus denen es gezogen wird. Die Kosten der Herstellung diffe¬ rieren sehr und sind namentlich in den mittleren Provinzen, wegen Mangel an geeigneter Feuerung , wesentlich höher, als an der Seeküste. Die Produktion des Salzes ist frei, aber alles gewonnene Salz muss entweder dem Staat oder an andere Kaufleute , welche das Privileg , in gewissen Distrikten Salz zu verkaufen, erworben haben , abgeliefert werden. Die Art , wie die Salzsteuer in Anwendung kommt, ist verschieden ; sei es, dass 1. die Regierung Lizenzen zum Kauf und Verkauf des Salzes an Kaufleute erteilt , oder 2. dass sie das Salz von den Produzenten kauft und den Weitertransport und Verkauf des Salzes en gros von den Regierungsdepots an Grosskaufleute über¬ lässt , oder 3. dass sie das ganze Geschäft übernimmt und direkt an die Krämer verkauft. Die Anwendung ist selbst in den einzelnen Distrikten verschieden. Ausser dem in den Lizenzen enthaltenen Salzzoll (Ko) wird, wenn das Salz die Zollbarrieren auf dem Weg oder am Bestimmungsort beim Weitertransport passirt , noch das Likin erhoben. Die Salzkaufleute bilden eine Gilde. Die Gilden sind in China ein sehr mächtiger Faktor des öffent¬ lichen und kommerziellen Lebens, wie bei uns im Mittelalter, und besitzen einen Einfluss, mit dem selbst die Regierung zu rechnen hat . Es giebt nicht allein kaufmännische Gilden, sondern auch solche der Lastträger , Kameltreiber , der Bootsleute , Karrenschieber u. A. m. Die Ausgabe dieser Lizenzen oder Salzscheine erfolgt ungefähr dem Konsum entsprechend . Die Scheine lauten, nicht auf Gewicht, sondern auf Mass, Yin genannt , dessen
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Grösse aber eine ganz verschiedene ist . Im Huai -nanDistrikt gehen -8 Packen von je 86 Catties mit einem Gut¬ gewicht von ca. 10 Prozent für Verlust , also von je 94 Catties auf ein Yin. Bin Schein berechtigt den Inhaber 500 Yin zu kaufen, ein solcher Salzschein ist also 94 X 8 X 500 = 3760 Piculs = ca. 2256 Kilo . Ist der Handel lebhaft, und ein Salzschein kann mindestens einmal im Jahr zur Verwendung kommen, so kann ein Kaufmann einen Profit von 20—20 Prozent machen, welcher sich aber bedeutend schmälert, sobald das Salz lange zu liegen hat und die Preise schlecht sind. Diese Warrants sind fortdauernd und erben vom Vater auf den Sohn. Der Besitz eines Scheines bildet ein Vermögen,1und werden im Huai -nan-Distrikt 12000 Taels, also ca. 35000 Mark für einen solchen gezahlt. Viele hervorragende Familien sind mit ihrem Vermögen an diesem Syndikat von Salzkaufleuten beteiligt (wie unsere oberen Zehntausend ihre Ersparnisse in Kuxen , Goldminen-Shares oder sonstigen Aktien anlegen) und bilden natürlich eine ab¬ geschlossene Klique , wo es beim besten Willen nicht möglich ist, das wirkliche Erträgnis dieses Salzhandels für die Kauf¬ leute festzustellen . Konsul Parker giebt in seinem Werke „China , her History , Diplomacy and Commerce“, an, dass die Salzkaufleute dem Staat wärend der letzten 20 Jahre 8 Millio¬ nen Taels für „Wohlthätigkeitszwecke “ über das eigentliche Erträgnis der Salzsteuer hinaus abgeliefert haben , und kommt dabei zu dem Schluss, dass dieser Zweig des chinesischen Steuerwesens in ehrenhaften Händen ganz bedeutend er¬ trägnisreicher und dem allgemeinen Wohl dienlicher gemacht werden könnte. Wir müssen noch mit wenig Worten der einheimischen Zölle Erwähnung thun ; es sind dies sehr alte Einrichtungen, bestanden früher in Markt - und Thorsteuer , beim Passieren der Thore der Hauptstadt und der Grenzthore des Reiches. Die Tarife , nach denen diese Zölle erhoben werden, sind nicht logisch aufgestellt ; sie sind in Anbetracht der niedrigen Preise der Waren , um die es sich dabei handelt:
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Kleidungsstücke , Esswaren , Gebrauchsgegenstände , Droguen, Baumaterialien , lebendes Vieh, sehr niedrig gehalten , werden aber dadurch lästig, dass sie bei jeder Station von Neuem wieder erhoben werden und auf diese Weise die Waren ganz wesentlich verteuern . Sie sind in ihrer Wirkung gerade das Gegenteil moderner schutzzöllnerischer ‘ Einrichtung , ein Hemmschuh für den nationalen Handel. In ihrer Reellität können sie sich in keiner Weise mit den Zollabfertigungen eines modernen Staates messen ; die Verwaltung einer inländischen Zollstation gilt als sehr reiche Einnahmequelle für den betreffenden Beamten. Das Steuersystem ist ein sehr beredtes Zeugnis für den Mangel an Zentralisation Chinas . Die Zollsätze sind nicht allein zwischen den verschiedenen Zollämtern , sondern oft innerhalb des Haupt - und Nebenamtes verschieden, und man gelangt zu dem Eindruck , als ob diese Zollämter nicht Institutionen eines Reiches sind, sondern jedes einem andern angehöre. Den inländischen Zöllen ist noch die Abgabe auf Dschunken hinzuzurechnen , in Form von Tonnengeld, wofür auch für jedes Zollamt besondere Tarife bestehen. Die Ab¬ gaben sind nicht überall die gleichen, richten sich zumeist nach der Grösse der Dschunken . Das Vermessungssystem ist ebenfalls verschieden und hat u. A . für Boote gewisser Provenienzen zu einer ganz charakteristischen Bauart geführt. Wir kommen nunmehr zu dem Likin. Die Einsetzung dieses Inland -Zolles geschah im Jahr 1855 in seinen ersten Anfängen, es war aber erst 1860/61, als infolge der Taiping-Rebellion die Notwendigkeit vorlag, den dadurch hervorgerufenen Ausfall der Einnahmen an Grundsteuer durch neue Einnahmequellen zu ersetzen. Die Taiping-Rebellion hatte in weit höherem Masse als der Boxer-Aufstand vor zwei Jahren die Dynastie an den Rand des Verderbens gebracht und in ihren Grundvesten erschüttert. Die grössten, reichsten Provinzen Mittelchinas waren ver¬ wüstet, Dörfer und blühende Städte dem Erdboden gleich¬ gemacht. Es war eine zwingende Notwendigkeit für den
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Staat , seine Finanzlage zu heben, und aus der Notsteuer wurde eine dauernde. Likin heisst eigentlich Prozentgeld , indem Vio Prozent vom Wert der Ware erhoben werden sollte, und ist ein Waren¬ zoll. Zur Erhebung des Likin besteht in jeder Provinz ein Zentral -Likin-Amt , eine Anzahl Hauptämter und eine grosse Menge Nebenämter , die wie ein Netz sich über das ganze Land ausdehnen, sodass fast jeder Export oder Import zu Land oder zu Wasser auf den Flüssen und Kanälen in seine Maschen gezogen wird. Je reicher eine Provinz , desto dichter ist sie mit Likin¬ stationen übersät . Am Kaiserkanal sollen sich dieselben stellenweise in Abständen von drei zu drei Meilen folgen. Es existiert wohl ein Tarif , doch ist es ausserordentlich schwierig, genaue Informationen sowohl von Kaufleuten , als auch von Beamten über dessen Anwendung zu erhalten , und so scheint daraus hervorzugehen, dass der Tarif Nebensache ist und der Zoll nach mehr als eigenem Gutdünken der Be¬ teiligten erhoben wird und eine Reihe höchst lästiger Abgaben in sich begreift, welche die chinesische Regierung dem Handel , namentlich dem Import und Export , aus eigenem Antrieb und im Widerspruch mit § 28 des Tientsin -Ver¬ trages vom 26. Juni 1858 in den Weg legt. Passiert ein Boot eine Likinstation , so stürzen sich die Zollbeamten , wie die Spinnen aus ihrem Versteck , auf ihre Beute , besteigen die Dschunke , verlangen eine Summe Geldes, der Schiffer bietet so viel, Zank und Streit setzt sich fort, bis Einigung erzielt ist ; dass das Trinkgeld (das „ Theegeld“, wie es heisst) ausschlaggebend ist, liegt auf der Hand . Vielfach zahlen die Handeltreibenden eine Pauschal -Summe das Jahr , so die Baumwollwaren-Händler in Shanghai für ihre Waren nach Soochow; auch soll, wenn die Ware in einer Provinz 4 Zollbarrieren passiert und den Zoll in Höhe von 2—3 Prozent vom Werte bezahlt hat , sie frei von weiteren Abgaben für die Provinz sein, aber das Spiel beginnt von Neuem, sobald die Ware die Grenze der anliegenden Provinz überschreitet.
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Diese Manipulation treibt den Zoll auf eine unerträgliche Höhe , da ja auch noch die lokale Besteuerung von 5— 10 Prozent hinzukommt, die eben einen dem Inland nicht aufkommen lässt lebhafteren Import nach und 20—30 Prozent bezw. 35—40 Prozent des Wertes erreichen kann. Nun ereignet es sich aber, dass von einem Handelsplatz zum andern den einzelnen Kanälen entlang Stationen liegen und so die Kaufleute in der Lage sind zu sagen : wenn ich deine Route nehme, zu welchem Preis willst du meine Ware passieren lassen ? Dies führt dazu, dass die Stationsbeamten, um das Geschäft zu machen, sich gegenseitig unterbieten, und dass hierdurch die drückende Last des Likin ermässigt werden kann. DieEinnahmen aus demLikin werden auf ca. 13 Millionen Taels taxiert , während die aus den einheimischen Zöllen auf 4—5 Millionen Taels angegeben werden können. Die Ein¬ nahmen aus den einheimischen Zöllen sind aber wohl bei rationeller Bewirtschaftung einer sehr grossen Elastizität fähig, das heisst , für den Fall der Not könnten sie bedeutend erträgnisreicher gemacht und, was jetzt in die Taschen der Beamten fliesst, könnte zunächst dem Staat zugeführt werden. Und wir sehen in der Tliat das überraschende Beispiel, dass jetzt bei Rückzahlung der ersten Quote der Kriegs¬ kostenentschädigung die Provinzial - Regierung von Tientsin (der jetzige General -Gouverneur ist bekanntlich Yuenshikai) aus den ihr unterstehenden einheimischen Zöllen 700 000 Taels pro Jahr in monatlichen Zahlungen , ebenso der ProvinzialSchatzmeister von Canton aus gleichem Anlass 1 000 000 Taels beizutragen freiwillig sich angeboten haben . Weitere Pro¬ vinzen werden diesem Vorbild , freiwillig oder gezwungen, folgen, und gewiss ist , dass das, was diese hohen Beamten aus freiem Willen zahlen, nicht das Aeusserste ist , was sie aus den Erträgnissen leisten können, und dass wohl nur ein sehr geringer Teil dieser extraordinären Zahlungen eine Schmälerung ihrer verbleibenden persönlichen Einnahmen ist. Das Er¬ trägnis aus dem Likin wird nur zum geringen Teil nach
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Peking abgeführt und verbleibt im wesentlichen dem Provinzial-Schatzamt. Wir haben oben noch der „ gemischten Steuern “ gedacht, es sind dies die Binsenlandsteuer , auf Produkte , auf angeschwemmtem Land erzeugt, die Theesteuer , in Form von Theescheinen , chä yin, erhoben, welche in den 10 Theeprovinzen ausgegeben werden und zum Kauf eines gewissen Quantums Thee be¬ rechtigen, die Bergbausteuer , in alten Zeiten eine Abgabe in Naturalien, bestehend in Gold, Zinn , Yade , Steinen , Farbstoffen, die Fischereisteuer , Pfandhaussteuer , Makler steuer, Gebäudeund Grundstückverkaufssteuer und andere mehr, welche aber von untergeordneter Bedeutung sind, und die einigermassen eingehend zu besprechen zu weit führen würde. Wir gehen nun zu dem letzten Teil über, zu den „fremden Seezöllen“. Der Handel in den Häfen im allgemeinen steht für chinesische Dschunken unter der Kontrolle der einheimischen Zollverwaltung, in den „geöffneten“ Häfen untersteht der Handel in fremden Fahrzeugen (Dampfern , See-Segel- und Fluss Segel¬ schiffen, sogen. Lorchas [Lorchas , europäische Segelschiffe mit chinesischer Takelage]) dem fremden See-Zollamt , den Haikwan. Yor dem Vertrag von Nanking im Jahre 1842 beschränkte sich der Aussenhandel Chinas auf Canton , wo die sogenannten Hongkaufleute den Handel des Exports und Imports aus¬ schliesslich in den Händen hatten . Mit dem Vertrag von Nanking wurden ausser Canton noch Amoy , Foochow, Ningpo und Shanghai dem internationalen Handel geöffnet und damit demselben eine breitere Basis gegeben, was eigentlich gar nicht in der Absicht der Chinesen lag, und was zu verhindern seitens der Regierung durch allerlei in den Weg gelegte Hemmnisse versucht wurde. Seitdem ist natürlich ein bedeutender Umschwung in den Verhältnissen
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eingetreten, die Zahl der geöffneten Häfen ist auf 28 ge¬ stiegen und das Erträgnis von 4—5 Millionen im Jahre 1860/61 auf 22 873 986 Taels im Jahre 1900, und 1901 sogar auf 24 515 327 Taels gestiegen. Diese letzten Ziffern ergehen das höchst erfreuliche Resultat des stattgehabten Aufschwunges des fremden Handels, als Beweis des in den beteiligten Kreisen wiederhergestellten Vertrauens nach den letzten Unruhen Chinas. Die Entwickelung der fremden Seezölle ging aus den kleinsten Anfängen und in folgender Weise vor sich. Wieder war es die Taiping - Rebellion , welche dazu Anlass gab und 1854 den Shanghai -Taotai , die Leitung des fremden Seezoll¬ amtes, einem Kollegium, bestehend aus einem Engländer, einem Amerikaner und einem Franzosen , übertragen liess. Obwohl der Handel Hamburgs , Bremens und anderer deutschen Handelsstädte damals schon ein ganz bedeutender , und was Schiffahrt anlangt , ein überwiegender war, war Deutschland noch keine politische Macht und so sehen wir auch Keinen deutscher Nationalität in dem Kollegium vertreten . Aus diesen kleinen Anfängen des Dreimänner - Kollegiums ent¬ wickelte sich die aus Europäern in chinesischen Diensten bestehende Seezollbehörde, welche seit dem Jahre 1860 die gesamten Seezölle des chinesischen Reiches in den geöffneten Häfen und den dem französischen und englischen Grenz¬ handel geöffneten Inlandstationen an den Grenzen von Hong¬ kong, Yünnan und Tibet verwalten. An der Spitze steht der General - Zollinspektor (Inapector General oder , wie er all¬ gemein kurzweg genannt , der „I . G.“), wie Sie wissen, jetzt Sir Robert Hart , mit dem Sitz in Peking . Ein Zollkommissar mit seinem Stab europäischer und chinesischer Beamten steht in jedem geöffneten Hafen einem Bureau vor. Publikationen, die sogenannten Gelbbücher , werden in hochanzuerkennender ausführlicher Weise monatlich, viertel-, ganzjährlich und in Dekaden herausgegeben und sind in ihrer Vielseitigkeit eine reiche Fundgrube für Informationen über den chinesischen Handel im weitesten Umfang.
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Die Einnahmen aus den fremden Seezöllen fliessen der Peking-Regierung zu. Als Basis für die Erhebung der Seezölle diente noch bis vor kurzem der englisch-chinesische Zolltarif vom 8. No¬ vember 1858, in Shanghai abgeschlossen in Verfolg der Ar¬ tikel 26 und 28 des Vertrages von Tientsin. In dem Friedensschlussprotokoll vom 7. November 1901 Artikel 6 heisst es : dass „zum Zweck der Sicherheit für die Bons , welche für die Zahlungen der Kriegskostenentschädigung hinterlegt sind, die Einkünfte aus den Erträgnissen der See¬ zölle, soweit solche nach Zahlung der Zinsen und Amortisa¬ tionsquoten der früheren durch diese Erträge gesicherten Anleihen verbleiben, dienen sollen.“ Diese Erträge sollen dadurch vermehrt werden, dass die jetzt bestehenden Zoll¬ tarifsätze für die See-Einfuhr auf 5 Prozent des wirklichen Wertes erhöht werden. Dieser neue Tarif ist in seinen Einzelheiten noch nicht festgesetzt ; es ist aber eine Kom¬ mission mit der Ausarbeitung der bezüglichen Paragraphen beschäftigt. Mit diesen, wie wir gesehen haben , zum Teil altherge¬ brachten Einrichtungen seines Finanz - und Steuersystems steht China zum zweiten Mal, wir können unsere Worte der Einleitung wieder gebrauchen , im dämmernden Morgenrot einer neuen Entwickelungsperiode , denn dass eine solche dem chinesischen Reiche bevorsteht , unterliegt wohl keinem Zweifel. Die ungeheure Macht moderner Kultur hat mächtig gegen die Mauern Chinas, mit denen das Land sich seit Be¬ ginn der Geschichte zu umgeben und gegen den Einfluss äusserer Ereignisse zu wahren verstanden hat , angeschlagen. Die bis vor wenigen Jahren behauptete isolierte Stellung Chinas ist durch den ganz wider Erwarten verlaufenen Krieg mit Japan 1894/1895 gebrochen, und die politischen Vor¬ gänge der jüngst vergangenen Zeit haben von neuem dem Land erhöhte Anforderungen auferlegt.
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Es erübrigt wohl, bei dieser Gelegenheit einen kurzen Ueberblick über die mit den europäischen Geldmärkten ab¬ geschlossenen Anleihen zu gewinnen. Mit einer solchen trat die Regierung zum ersten Mal 1875 auf dem englischen Geldmarkt auf, als sie mit der Hongkong-Shanghai-Bank eine 8prozentige Anleihe im Betrage von 327 675 Lstr . Gold abschloss. Die Anleihe wurde sieben Mal überzeichnet und bis 1884 zurückbezahlt . 1877 sah eine zweite Goldanleihe im Betrag von 1 600 000 Lstr ., auch sie fand ihre Erledigung 1884. 1879 wurde eine 8prozentige Silber-Anleihe über 1 750 000 Taels kontrahiert , sie gelangte in 11 halbjähr¬ lichen Rückzahlungen 1884 zur Erledigung. 1881 wurde eine ebenfalls 8prozentige Silberanleihe im Betrag von 4 400 000 Taels emittiert und bis 1887 zurück¬ bezahlt. Eine 1885 abgeschlossene Anleihe zu 7 Prozent im Betrag von 1 505 000 Lstr . war 1891 zu Ende. 1885 wurden dann noch zwei Anleihen im Gesamt¬ betrag von 2 250 000 Lstr . abgeschlossen und bis 1895 zurückbezahlt. Es betrug die ganze äussere Schuld Chinas im Jahr 1891 3134 513 Lstr ., welche „ „ 1892 auf 2 439 118 „ „ „ 1893 „ 1 718 508 „ „ „ 1894 „ 997 874 „ reduziert war. Im Jahr 1894 schloss China eine 7prozentige SilberAnleihe in London im Betrag von 10 900 000 Taels, rückzahlbar von 1904 in zehn gleichen jährlichen Raten , ab,ihr schlossen sich an 1895 drei Anleihen ä 6 Prozent , zusammen 5 000 000 Lstr. eine Anleihe (russisch -französische) a 4 Prozent über . 15 820 000 „ 1896 eine Anleihe (deutsch - englische) ä 5 Prozent über . 16 ftOO 1ß 000 OOO 000 v
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1898 eine Anleihe (deutsch - englische) 16 000 000 Lstr. ä 47 , Prozent über . eine öprozentige Eisenbahn -Anleihe (Peking2 300 000 „ Shanhaikuan ) . eine desgleichen (Peking-Hankou ) . . . . 4 500 000 „ Zusammen inkl. Silberanleihe . . . 61 255 000 „ Yon diesen Anleihen laufen heute noch 57 147 557 Lstr. Hierzu kommt noch die Kriegsentschädigung aus dem BoxerAufstand im Betrage von 450 Millionen Taels . Yon diesen Beträgen sind rückzahlbar die 7prozentige Silber-Anleihe bis zum Jahr 1914 1914/15 6 55 55 Gold -Anleihen „ >? 4 » 1931 55 Gold-Anleihe „ 1932 5 55 55 J> JJ >> n 1943 47, >> 55 J? 5J 5 ?) 1944 Eisenb .-Anleihe „ 55 V 1928 5 belg.Eisenb .-Anl . ,, 55 5? 1940 und die Kriegsentschädigung ,, ,, i es sind alles also „schwebende Schulden* China ist als erstklassiger Schuldner anzusehen , es ist bislang stets seinen Yerpflichtungen mit grösster Pünktlichkeit nachgekommen, und wird es wohl auch für die Zukunft. Selbst während der Boxerunruhen , wo der Handel für Monate vollständig lahm gelegt und den Chinesen Gelegenheit gegeben gewesen wäre, ihren Yerpflichtungen sich zu entziehen, ist die Zahlung der Zinsen und Amortisationsquoten keiner der Anleihen auch nur um eine Stunde verzögert worden. Trotzdem wird sich die Notwendigkeit für Reformen in dem Steuer- und Finanzwesen des Landes im Laufe der Zeit fühl¬ bar machen. Zum Zweck einer Reorganisation ist es natürlich zu¬ nächst erforderlich , Yorkehrungen zu treffen, dass dem Staat das zukommt, was er vereinnahmt ', wie dies durchgeführt werden kann , lehrt uns die fremde Seezollverwaltung. In ihr ist ein Yorbild geschaffen, wie es nicht besser sein kann.
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Die Finanzen öhinas sind heute besser als zur Zeit der grössten Blüte des Landes untef der gegenwärtigen Dynastie , Unter den Regierungen eines Kanghsi oder Chien Lung , nicht zu reden von früheren Dynastien , unter denen eine Papiermisswirtschaft herrschte , wb das Zirkulationsmittel, die Assignaten , das „fliegende Geld“ fei-tsien oder „bequeme Geld“ pien-tsien genannt , auf 7io seines Wertes in haar reduziert war. Es war dies zu der Zeit der Sung-Dynastie in der Periode Kia Ting 1208 unserer Zeitrechnung. Hoffen wir, dass die chinesischeRegierung unter demDruck der Verhältnisse aufwachen und die Notwendigkeit, die Hilfs¬ quellen des Landes zu erschlossen , von selbst einsehen wird, und wir werden sehen, wie China aufs Neue aufblüht , unter dem Stimulus einer augenscheinlichenUngunst der Verhältnisse. Pater Gaillard setzt in[seinem Werke : Nankin „Port ouvert“ die Worte Lenormants auf das Titelblatt : „Ce serait un vrai malheur pour l’humanite , que la Chine perit au contact de l’Europe “. (Es würde wirklich ein Unglück für die Mensch¬ heit sein, wenn China bei der Berührung mit Europa zu Grunde ginge.) Die starke Seite der Chinesen liegt in ihrem Fleiss und in der Eigenschaft , sich den kommerziellen Verhältnissen anzupassen ; nicht in ihrer Befähigung, Kriege zu führen. Und die Unterhaltung freundlicher Beziehungen zu den fremden Mächte wird dem Lande besser dienen, als die Politik der Abgeschlossenheit und des Widerstandes gegen Fortschritt. Ich kann wohl mein Urteil über die Chinesen durch keine bessere Autorität unterstützen , als durch die Worte eines der besten Kenner Chinas, des Herrn Professor Frei¬ herrn von Richthofen , welcher sagt: „Diejenigen , welche in Ostasien lebten, haben es gelernt ? die Chinesen ernster zu erfassen und sie als Menschen zu be¬ trachten , unter deren mittleren und oberen Schichten und grösstenteils auch im Landvolk ein gutes Teil von alther¬ gebrachter , wenn auch eigenartiger , bei manchen Individuen
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bis zu sehr hohem Grade sich steigernder geistiger und formeller Bildung steckt . Menschen , welche noch fähig sind, das zu erfassen , was die europäische Kultur ihnen bieten kann“. Hoffen wir, dass für China zur rechten Zeit auch der rechte Mann erscheint , der mit kräftiger Hand die Worte des Dichters in Erfüllung bringt: „Das Alte stürzt , es ändert sich die Zeit , und neues Leben blüht aus den Ruinen .“
Referenz -Werke, für vorstehende Arbeit in Gebrauch gezogen: Arbeiten der Kaiserl . Russischen Gesandtschaft zu Peking über China etc. Band I . 1858. J . Pyer Ball, Things Chinese. London 1893. China, Report on the Revenue and Expenditure of the Chinese Empire. London Foreign Office 1897. Rev. Justus Doolittle , Handbook of the Chinese Language . Foocliow 1872. Dr . Ernst Faber , China in the Light of History . Shanghai 1897. do. Quellen zu Confucius und dem Confucianismus. Hongkong 1873. Dr . A. Forke , Chinesisches Finanz - und Steuerwesen . Mitteilung des Seminars für Orientalische Sprachen . Jahrgang III/IY . 1900/01. Dr . W . A. P . Martin , A Cycle of Cathay, New-York 1897. E . H .Parker , China, Her History , Diplomacy and Commerce. Londonl901. Johann Baptista du Halde , Ausführliche Beschreibung des Chinesischen Reiches . Rostock 1748. Huc , Das Chinesische Reich . Deutsche Ausgabe . Leipzig 1856. G. F . van Oss, Fenn on the Funds . London 1898.