Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion: Internationale Perspektiven [1. Aufl.] 978-3-658-25533-6;978-3-658-25534-3

Staatsbürgerschaft gilt in soziologischer Theorie und politischer Praxis als Ausdruck gesellschaftlicher Zugehörigkeit u

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German Pages XIII, 282 [290] Year 2019

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Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion: Internationale Perspektiven [1. Aufl.]
 978-3-658-25533-6;978-3-658-25534-3

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIII
Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld zwischen Inklusion und Exklusion – Eine Einleitung (Sarah J. Grünendahl, Andreas Kewes, Jasmin Mouissi, Emmanuel Ndahayo, Carolin Nieswandt)....Pages 1-29
Migration und Citizenship: Vom Geburtsprivileg zum Domizilprinzip (Harald Bauder)....Pages 31-47
Ein Recht auf Stadt für die Vielen als Viele. The inclusive city (Wolf-D. Bukow, Nina Berding)....Pages 49-71
Staatsbürgerschaft und Ideologie. Auf dem Weg zu einer gesellschaftstheoretisch reflektierten politischen Theorie von politischer Mitgliedschaft und ihren Grenzen (Floris Biskamp)....Pages 73-99
Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion. Schwarze Deutsche und die symbolische Herrschaft in Deutschland (Emmanuel Ndahayo)....Pages 101-126
‘Betwixt and Between:’ Residency Status and Societal Participation of U.S. War Resisters in Canada (Sarah J. Grünendahl)....Pages 127-140
Citizenship in Action: Praktiken der Inklusion und Exklusion aus transatlantischer Perspektive (Oliver Schmidtke)....Pages 141-163
Stakeholder Citizenship in Deutschland und Kanada? Modelle der Inklusion und Exklusion externer Staatsbürger im Vergleich (Martin Weinmann)....Pages 165-196
Das administrative Konzept von Ethnizität und seine Konstruktion in der Sowjetunion, Deutschland und Israel (Lidia Averbukh)....Pages 197-219
Working Hand or Humans? Temporary Migrants in Israel and Germany: Between Acceptance and Rejection in the Social and Legal Spheres (Dani Kranz, Hani Zubida)....Pages 221-242
Inside Participation, Outside Citizenship: What We Can Learn about Citizenship from Undocumented Youth (Elizabeth Benedict Christensen)....Pages 243-260
Teilhabe versus Handlungsohnmacht. Die Bedeutung des Rechtsstatus für Schülerinnen im Übergangsalter (Imogen Feld)....Pages 261-282

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Studien zur Migrations- und Integrationspolitik

Sarah J. Grünendahl · Andreas Kewes Emmanuel Ndahayo · Jasmin Mouissi Carolin Nieswandt Hrsg.

Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion Internationale Perspektiven

Studien zur Migrations- und Integrationspolitik Reihe herausgegeben von Danielle Gluns, Migrationspolitik, Universität Hildesheim, Hildesheim, Niedersachsen, Deutschland Uwe Hunger, Universität Münster, Münster, Deutschland Roswitha Pioch, Soziale Arbeit und Gesundheit, Fachhochschule Kiel, Kiel, Deutschland Ina Radtke, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität Potsdam Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Potsdam, Brandenburg, Deutschland Stefan Rother, Universität Freiburg, Freiburg, Deutschland

Migration ist eines der zentralen Globalisierungsphänomene des 21. Jahrhunderts. Entsprechend groß ist das Interesse an Fragen der politischen Regulierung und Gestaltung der weltweiten Migration, den Rechten von Migrantinnen und Migranten und der Integration von der lokalen bis zur globalen Ebene. Die Buchreihe ist interdisziplinär ausgerichtet und umfasst Monographien und Sammelwerke, die sich theoretisch und empirisch mit den Inhalten, Strukturen und Prozessen lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Migrations- und Integrationspolitik befassen. Sie richtet sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Studierende der Geistes-, Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften sowie an Praktikerinnen und Praktiker aus Medien, Politik und Bildung. Die Herausgeberinnen und Herausgeber werden in ihrer Arbeit durch einen wissenschaftlichen Beirat unterstützt, den die ehemaligen Sprecherinnen und Sprecher des Arbeitskreises bilden: Prof. Dr. Sigrid Baringhorst, Universität Siegen, Prof. Dr. Thomas Faist, Universität Bielefeld, Prof. Dr. Karen Schönwälder, Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multi-ethnischer Gesellschaften, Göttingen, Apl. Prof. Dr. Axel Schulte i.R., Leibniz Universität Hannover, Prof. em. Dr. Dietrich Thränhardt, Universität Münster.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/11808

Sarah J. Grünendahl · Andreas Kewes · Emmanuel Ndahayo · Jasmin Mouissi · Carolin Nieswandt (Hrsg.)

Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion Internationale Perspektiven

Hrsg. Sarah J. Grünendahl FB Sozial- und Kulturwissenschaften Hochschule Düsseldorf Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen Deutschland

Andreas Kewes Fakultät Bildung - Architektur - Künste Universität Siegen Siegen, Nordrhein-Westfalen Deutschland

Emmanuel Ndahayo Philosophische Fakultät Universität Siegen Siegen, Nordrhein-Westfalen Deutschland

Jasmin Mouissi Philosophische Fakultät Universität Siegen Siegen, Nordrhein-Westfalen Deutschland

Carolin Nieswandt Philosophische Fakultät Universität Siegen Siegen, Nordrhein-Westfalen Deutschland

ISSN 2567-3076 ISSN 2567-3157  (electronic) Studien zur Migrations- und Integrationspolitik ISBN 978-3-658-25533-6 ISBN 978-3-658-25534-3  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-25534-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Dieser Sammelband geht aus einem Diskussionszusammenhang hervor, den eine Tagung zum gleichen Thema an der Universität Siegen gesetzt hat. Bei den Teilnehmenden der Tagung handelte es sich sowohl um akademische Nachwuchskräfte als auch um etablierte KollegInnen. Die Beiträge der Vortragenden wurden über ein Call for Papers-Verfahren ausgewählt und während der Tagung diskutiert. Die Beiträge reagierten auf folgende Fragen des Calls: Welche Exklusions- oder Diskriminierungsformen treten mit Blick auf die (Ausübung von) Staatsbürgerschaft in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen und nordamerikanischen Einwanderungsgesellschaften auf? Und: Welche Auswirkungen haben diese Exklusions- und Diskriminierungsformen auf die gesellschaftliche Partizipation sowie auf den Zugang zu wohlfahrtsstaatlichen und sozialrechtlichen Leistungen?1 Die Tagung wurde von den HerausgeberInnen dieses Bandes organisiert. Sie war finanziert durch die Hans-Böckler-Stiftung, das Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) an der Universität Siegen und den CanadaEurope Transatlantic Dialogue (CETD). Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt! An der Universität Siegen wurde unser Vorhaben außerdem durch folgende Personen und Einrichtungen unterstützt: Bei den Sozialwissenschaften waren wir institutionell an den Soziologie-Arbeitsbereich von Karin Schittenhelm angebunden. Das Forschungskolleg „Zukunft menschlich gestalten“ der Universität Siegen (FoKoS) stellte uns die notwendigen Räumlichkeiten zur Verfügung und hat uns bei der praktischen Durchführung unterstützt. Im Vorfeld der Tagung erfolgte außerdem ein enger Austausch mit Uwe Hunger. Für die ideelle und

1Ein Veranstaltungsbericht

zur Tagung findet sich unter http://www.soziopolis.de/vernetzen/ veranstaltungsberichte/artikel/staatsbuergerschaft-im-spannungsfeld-zwischen-inklusionund-exklusion/ (letzter Zugriff: 14. Januar 2019). V

VI

Vorwort

personelle Unterstützung bei der Umsetzung der Tagung und des vorliegenden Sammelbandes möchten wir uns als HerausgeberInnen des Bandes insbesondere bei Karin Schittenhelm und Uwe Hunger, sowie bei dem gesamten FoKoS-Team ganz herzlich bedanken. Der Sammelband gibt maßgebliche Überlegungen der Tagung wieder und bietet dadurch eine facettenreiche analytische Tiefenbohrung zu Ambivalenzen und Dialektiken von Staatsbürgerschaft – einem maßgeblichen Zugehörigkeitsgenerator der Moderne. Die Beiträge des Bandes wurden im Double-Blind-Peer-­ Review-Verfahren begutachtet. Wir danken den HerausgeberInnen der Reihe „Studien zur Migrations- und Integrationspolitik“ bei Springer VS für dieses Begutachtungsverfahren und für die Möglichkeit, unseren Band in dieser Reihe publizieren zu können. Siegen im Januar 2019

Sarah J. Grünendahl Andreas Kewes Jasmin Mouissi Emmanuel Ndahayo Carolin Nieswandt

Inhaltsverzeichnis

1

Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld zwischen Inklusion und Exklusion – Eine Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Sarah J. Grünendahl, Andreas Kewes, Jasmin Mouissi, Emmanuel Ndahayo und Carolin Nieswandt 1.1 Warum die Betrachtung des Begriffspaars Inklusion und Exklusion lohnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.2 Staatsbürgerschaftsdiskurse im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.3 Aufbau des Sammelbandes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2

Migration und Citizenship: Vom Geburtsprivileg zum Domizilprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Harald Bauder 2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.2 Citizenship als Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.3 Das Domizilprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.4 Citizenship in der Stadt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.5 Schlussbemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

3

Ein Recht auf Stadt für die Vielen als Viele. The inclusive city. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Wolf-D. Bukow und Nina Berding 3.1 Ein Recht auf Stadt?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.2 Zum Ausgangspunkt der Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.3 Die Stadt als Möglichkeitsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3.4 Zur inneren Logik der Stadtgesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

VII

VIII

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3.5

Das Quartier im globalgesellschaftlichen Wandel . . . . . . . . . . . . 61 3.5.1 Das urbane Quartier als neuer Möglichkeitsraum für ein Recht auf Inklusion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3.5.2 Das urbane Quartier als individuelle Referenz in einer glokalisierten Stadtgesellschaft. . . . . . . . . . . . . 64 3.5.3 Von der konkreten Betroffenheit zu einem glokalen Bewusstsein und zu einem neuen Engagement im zivilgesellschaftlichen Zusammenleben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.6 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4

Staatsbürgerschaft und Ideologie. Auf dem Weg zu einer gesellschaftstheoretisch reflektierten politischen Theorie von politischer Mitgliedschaft und ihren Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Floris Biskamp 4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4.2 Grenzen als Form politischer Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4.3 Das Dilemma der liberalen Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4.3.1 Sicherheit nach innen, Krieg nach außen: Die Grenzen des Hobbes’schen Staates. . . . . . . . . . . . . 79 4.3.2 Differenzprinzip nach innen, Differenz nach außen: Die Grenzen des Rawls’schen Staates . . . . . . . . 80 4.3.3 Kein Menschenrecht ohne Grenzen: Hannah Arendt und das Recht, Rechte zu haben. . . . . . . . . . . . . 82 4.4 Das Dilemma in der republikanischen Theorie. . . . . . . . . . . . . . . 83 4.4.1 Selbstbestimmung für Bürgerinnen, Fremdbestimmung für Fremde: Die Grenzen des Rousseau’schen Staates. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4.4.2 Komplexe Gleichheit nach innen, begrenze Hilfspflichten nach außen: Die Grenzen des Walzer’schen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4.5 Benhabibs diskursethischer Mittelweg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4.5.1 Die Grundanlage der diskursethisch begründeten Demokratietheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4.5.2 Seyla Benhabibs Diskursethik der politischen Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

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IX

4.6

Die Lücke in Benhabibs Theorie und ihre Füllung: Jurispathos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4.6.1 Optimistische Theorie, pessimistische Fallstudien: Die Spannung in Benhabibs Werk. . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4.6.2 Der theoretische Lückenfüller: Jurispathos als Residualkategorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4.6.3 Die Expansion des Jurispathosbegriffes. . . . . . . . . . . . . 95 4.7 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5

Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion. Schwarze Deutsche und die symbolische Herrschaft in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Emmanuel Ndahayo 5.1 Einführung: Forderung von Schwarzen Deutschen nach Anerkennung und Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 5.2 Die Entwicklung des Gesetzes zur Staatsbürgerschaft und seines Inklusionscharakters in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . 103 5.3 Zwischen formaler und praktischer Staatsbürgerschaft: Ein Defizit?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 5.4 Schwarze Deutsche zwischen Inklusion und Exklusion. . . . . . . . 106 5.5 Symbolische Herrschaft in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 5.6 Wahrnehmungen Schwarzer Deutscher zur Realisierung ihrer Staatsbürgerschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 5.6.1 Realisierung der Staatsbürgerschaft: zwischen Gleichberechtigung und gleichen Chancen. . . . . . . . . . 113 5.6.2 Zum Hintergrund der Benachteiligungen. . . . . . . . . . . . 114 5.6.3 Nachrangigkeit und Diskriminierung. . . . . . . . . . . . . . . 118 5.6.4 Diskriminierung trotz deutscher Staatsbürgerschaft?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 5.7 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

6

‘Betwixt and Between:’ Residency Status and Societal Participation of U.S. War Resisters in Canada . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Sarah J. Grünendahl 6.1 Introduction. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 6.2 The Case Study. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 6.3 Findings. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 6.4 Theoretical Framework. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

X

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6.5 Conclusion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 References. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 7

Citizenship in Action: Praktiken der Inklusion und Exklusion aus transatlantischer Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Oliver Schmidtke 7.1 Einleitung: die Verknüpfung von Staatsangehörigkeit und Multikulturalismus in Kanada. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 7.2 Inklusion und Exklusion als konstitutive Elemente der Staatsbürgerschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 7.3 Grundzüge des kanadischen Staatsbürgerschaftsmodells. . . . . . . 145 7.3.1 Rechtliche und soziale Inklusion durch zügige Vergabe der Staatsbürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 7.3.2 Verfassungsrechtlich verbriefter Schutz von Minderheitenrechten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 7.3.3 Soziale und politische Inklusion als zentraler Bestandteil des kanadischen Staatsbürgerschaftsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 7.4 Kanadische Staatsbürgerschaft unter den Konservativen: Die schrittweise Aushöhlung des inklusivistischen Ethos in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 7.4.1 Verschärfung des Zugangs zum Staatsbürgerschaftsrecht und die neoliberale Logik in der Migrationspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 7.4.2 Dominanz der Sicherheitspolitik gegenüber einer inklusivistischen Staatsbürgerschaftspolitik. . . . 157 7.5 Abschließende Bemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

8

Stakeholder Citizenship in Deutschland und Kanada? Modelle der Inklusion und Exklusion externer Staatsbürger im Vergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Martin Weinmann 8.1 Migration, Demokratie und externe Staatsbürgerschaft. . . . . . . . 166 8.2 Normativ-analytischer Rahmen: Bauböcks Konzept der Stakeholder Citizenship für externe Staatsbürger. . . . . . . . . . 167 8.2.1 Das Recht auf externe Staatsbürgerschaft . . . . . . . . . . 168 8.2.2 Rechte externer Staatsbürger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 8.2.3 Pflichten externer Staatsbürger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 8.2.4 Normative Analysematrix. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

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XI

8.3

Vergleich der externen Staatsbürgerschaftspolitiken in Deutschland und Kanada anhand des Konzepts der Stakeholder Citizenship. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 8.3.1 Hintergrundinformationen zu den Vergleichsländern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 8.3.1.1 Das Staatsbürgerschaftsrecht in Deutschland: abnehmende Bedeutung des Abstammungsprinzips. . . . . . . . . . . . . . . . 175 8.3.1.2 Das Staatsbürgerschaftsrecht in Kanada: traditionelle Kombination aus Abstammungs- und Territorialprinzip. . . . . . . 176 8.3.2 Externe Staatsbürgerschaft in Deutschland und Kanada. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 8.3.2.1 Das Recht auf externe Staatsbürgerschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 8.3.2.2 Rechte externer Staatsbürger. . . . . . . . . . . . . . 180 8.3.2.3 Pflichten externer Staatsbürger. . . . . . . . . . . . 186 8.4 Diskussion und Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 9

Das administrative Konzept von Ethnizität und seine Konstruktion in der Sowjetunion, Deutschland und Israel . . . . . . . . 197 Lidia Averbukh 9.1 Administratives Konzept von Ethnizität bei Bezugnahme auf die voluntaristischen und essenzialistischen Definitionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 9.2 Verifizierung von Ethnizität in drei Phasen: Selbstdeklaration, Dokumentation und Prüfung. . . . . . . . . . . . . . 199 9.3 Die sowjetische Ethnizitätenordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 9.4 Konstruktion des Deutschtums in der Sowjetunion und in Deutschland im Zuge der Einwanderung von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 9.5 Konstruktion des Jüdischen in der Sowjetunion und die israelische Frage danach, wer eigentlich jüdisch ist. . . . . . . . 209 9.6 Beeinflussung und Weiterentwicklung über die Grenzen hinweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 9.7 Rechtsakte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

XII

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10 Working Hand or Humans? Temporary Migrants in Israel and Germany: Between Acceptance and Rejection in the Social and Legal Spheres. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Dani Kranz and Hani Zubida 10.1 Introduction. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 10.2 Theoretical Aspects: Citizenship Theory, the Construction, and the Treatment of Others. . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 10.3 The Base of Inclusion: Civic Religion and Overlaps between the Legal and Social Spheres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 10.4 Labor Migration in Israel and Germany. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 10.4.1 Israel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 10.4.2 Germany. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 10.5 Concluding Remarks—Ethno-Religious Citizenship Discourse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 References. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 11 Inside Participation, Outside Citizenship: What We Can Learn about Citizenship from Undocumented Youth. . . . . . . . . . . . . 243 Elizabeth Benedict Christensen 11.1 Introduction. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 11.2 Theoretical Traditions. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 11.3 Research Methods. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 11.4 Discussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 11.4.1 Growing up “American”. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 11.5 Conclusions. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 References. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 12 Teilhabe versus Handlungsohnmacht. Die Bedeutung des Rechtsstatus für Schülerinnen im Übergangsalter. . . . . . . . . . . . 261 Imogen Feld 12.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 12.2 Staatsbürgerschaft und Zugehörigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 12.3 Die schulische Bildungsverantwortung zur staatsbürgerlichen Teilhabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 12.4 Cultural Citizenship . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 12.5 Gesellschaftliche Teilhabe junger Frauen im Übergang. . . . . . . . 268

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12.6 Die Bedeutung des rechtlichen Status. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 12.7 Zukunftsplanung und Teilhabemöglichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . 273 12.8 Schulische Anerkennung nicht-hegemonialer Themen. . . . . . . . . 275 12.9 Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280

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Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld zwischen Inklusion und Exklusion – Eine Einleitung Sarah J. Grünendahl, Andreas Kewes, Jasmin Mouissi, Emmanuel Ndahayo und Carolin Nieswandt Zusammenfassung

Der Einleitungsbeitrag erläutert die Begriffe Inklusion und Exklusion in Bezug auf Staatsbürgerschaft. Diese können gleichzeitig stattfinden, sowohl beim Zugang als auch bei der Ausübung von Staatsbürgerschaft, und stellen deswegen eine relevante Beobachtungshaltung dar. Anschließend nähern wir uns dem Konzept der Staatsbürgerschaft über die unterschiedlichen Herausforderungen und die Kritik, welche in jüngerer Zeit an dieses herangetragen wurden. Hierzu gehören die Kritiken am nationalstaatlichen Container, Betonungen vielfältiger Mitgliedschaften, Ungleichheiten trotz formal gleicher Rechte, die kulturelle Aufladung des Konzepts sowie die Betonung der aktiven Aneignung von

S. J. Grünendahl (*) · A. Kewes · J. Mouissi · E. Ndahayo · C. Nieswandt  Universität Siegen, Siegen, Deutschland E-Mail: [email protected] A. Kewes E-Mail: [email protected] J. Mouissi E-Mail: [email protected] E. Ndahayo E-Mail: [email protected] C. Nieswandt E-Mail: [email protected] S. J. Grünendahl  Hochschule Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. J. Grünendahl et al. (Hrsg.), Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion, Studien zur Migrations- und Integrationspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25534-3_1

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Bürgerschaft statt der bloßen Verleihung durch politische Institutionen. Ein Überblick über die Beiträge im Sammelband rundet den Einleitungsbeitrag ab. Schlüsselwörter

Citizenship · Exklusion · Gleichheit · Inklusion · Rechte ·  Staatsbürger­-schaft · Status

1.1 Warum die Betrachtung des Begriffspaars Inklusion und Exklusion lohnt Vergegenwärtigt man sich die wissenschaftliche Debatte der Nachkriegszeit zum Thema Staatsbürgerschaft,1 so wird eine thematische Fokussierung auf Fragen der Inklusion sichtbar. Staatsbürgerschaft wird hierbei insbesondere mit einem Bündel an bürgerlichen, politischen und sozialen Rechten in Verbindung gebracht, die ein Gefühl von Solidarität und Zugehörigkeit erzeugen sollen. Eine zentrale Stimme in dieser Debatte und Vertreter eines ‚klassischen Staatsbürgerschaftskonzepts‘ war der britische Soziologe Thomas H. Marshall, an dessen Arbeit sich die einleitende These gut nachvollziehen lässt: In „Citizenship and Social Classes“ hat er die Entwicklung sozialer Ungleichheit und die Etablierung moderner, demokratischer Wohlfahrtsstaaten systematisch in ein Verhältnis zur Rolle und Funktion von Staatsbürgerschaft gesetzt (Marshall 2000). Prinzipiell bestehe ein Widerspruch zwischen sozialer Ungleichheit und Staatsbürgerschaft, die auf einer grundsätzlichen ‚Gleichheit‘ aller Mitglieder einer Gesellschaft beruhe. Marshall denkt das damalige Konzept der Staatsbürgerschaft weiter zwecks Korrektur illegitimer sozialer Ungleichheit in einer demokratisch

1Der

deutsche Begriff ‚Staatsbürgerschaft‘ ist konnotiert mit rechtlichem, politischem und sozialem Status, während der englische Begriff ‚citizenship‘, der in diesem Band ebenfalls verwendet wird, stärker auf die aktive Diskussion und Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten verweist (vgl. Marshall 2000, S. 45). Weiterhin führt Gosewinkel (2016, S. 18 ff.) aus, dass Staatsbürgerschaft analytisch zwei distinkte Dimensionen umfasse: Einerseits Staatsangehörigkeit, welche die rechtlich definierte und geformte Zugehörigkeit zu einem Staatsverband beschreibe; andererseits Staatsbürgerschaft, welche die individuellen Rechte meine, welche über eine Staatsangehörigkeit vermittelt werden. Staatsbürgerschaft sei aber der Oberbegriff, der die genannten analytischen Dimensionen (Zugehörigkeit einerseits – Gehalt andererseits) umfasse. Da sich der Einleitungstext um eine möglichst breite Darstellung bemüht, versuchen wir, allen Begriffsspezifika gerecht zu werden.

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verfassten Gesellschaft (Marshall 2000). Damit verbunden ist die Annahme, dass soziale Kohäsion über Staatsbürgerschaft tendenziell zunehmen könne. Demnach solle Staatsbürgerschaft so ausgestaltet und mit Rechten versehen werden, dass sie eine Inklusion nach innen ermöglicht. Zwar solle keine absolute Gleichheit des jeweiligen sozio-ökonomischen Status hergestellt, aber zumindest mittels sozialer Rechte wie Wohnen und Bildung eine Chancengleichheit ermöglicht werden (vgl. Marshall 2000, S. 75 ff.). Aus dieser Perspektive heraus beziehen sich wissenschaftliche Debatten über das Konzept der Staatsbürgerschaft bis heute überwiegend u. a. auf Rechte und Pflichten der StaatsbürgerInnen und auf Themen wie soziale Gleichheit, Gerechtigkeit, gesellschaftliche Partizipation und Zugehörigkeit (vgl. Bloemraad et al. 2010; Isin und Turner 2007; Mackert und Müller 2000, S. 10). Diese Perspektive wurde bei AutorInnen wie Talcott Parsons (2007) noch weitergeführt: In dessen strukturfunktionalistischer Beschreibung von Gesellschaft war die Integration einzelner Gesellschaftsmitglieder theoretisch zentral, hinsichtlich der herzustellenden Solidarität und sozialen Kohäsion aber auch erklärungsbedürftig. Insbesondere dem Bildungssystem kam dabei eine konstitutive Bedeutung zu. Sozialstaatlichkeit und Bildungspolitik sind bis heute Handlungsfelder geblieben, in welchen Regierungen versuchen, Inklusion zu bewerkstelligen. Staatsbürgerschaft als ‚Generator‘ sozialer Inklusion wurde und wird in der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatte bisher überbelichtet – Exklusionsprozessen hingegen kam als ‚Nebenprodukt‘ oder integraler Bestandteil von Staatsbürgerschaft bislang zu wenig Beachtung zu. Unser Buch ist ein Versuch, den Blick gezielt auf das spannungsreiche dialektische Verhältnis von Inklusion und Exklusion zu richten sowie dieses anhand konkreter gesellschaftlicher Phänomene, aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven und mit verschiedenen methodischen Ansätzen genauer zu beleuchten. Staatsbürgerschaft als vermeintlicher Garant für Freiheit, Gleichberechtigung und Diskriminierungsschutz ist auf eine widersprüchliche Art und Weise selbst eine Diskriminierungsform. Das Konzept Staat gilt von und für eine bestimmte Gruppe (vgl. Brubaker 1992, S. 28). Die solcherart rechtlich geformte Staatsangehörigkeit meint maßgeblich Mitgliedschaft. Dieser Inklusion stehen jedoch die Exklusion zum einen beim Zugang, zum anderen bei der Ausübung gegenüber. Bezüglich ersterem lässt sich festhalten: In vielen westlichen Gesellschaften war der Status der Staatsbürgerschaft lange Zeit ein Privileg für weiße Männer und daher eng an die ethnische oder nationale Zugehörigkeit gebunden. Die historische Herausbildung der Institution ‚Staatsbürgerschaft‘ beinhaltet somit

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eine deutliche völkische Konnotation.2 Gleichzeitig war Staatsbürgerschaft an das Geschlecht gekoppelt. So durften in Staaten wie den USA oder Deutschland lange Zeit nur Männer politische Rechte ausüben. In der Geschichte gab es immer Bevölkerungsgruppen wie beispielsweise SklavInnen bzw. Leibeigene, Frauen, MigrantInnen, Minderjährige, arme Menschen, die vom Status der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen wurden. Auch heute bleibt manchen der Zugang zur Staatsbürgerschaft verwehrt oder ist mit großen rechtlichen Hürden verbunden (vgl. Dahrendorf 2000, S. 133; Mackert und Müller 2000, S. 13). Staatsbürgerschaft bedeutet bei aller formalrechtlichen Gleichheit nicht immer zugleich soziale Gleichheit. Auch wenn Staatsbürgerschaft in einem Nationalstaat formal Inklusion und gleiche Rechte bewirken soll, sehen sich BürgerInnen Ungleichheit erzeugenden Alltagspraxen ausgesetzt. Dadurch können Inklusionsversprechen schnell wieder in Exklusionsprozessen münden. Der rechtliche Status der Staatsbürgerschaft und die Gleichheit in der Gesellschaft sind demnach zwei verschiedene Dinge (vgl. Dahrendorf 2000, S. 137). Diesen Umstand wollen wir mit zwei Beispielen verdeutlichen: So ist zum einen politische Mitsprache über Wahlen und Abstimmungen ein politisches Recht, das inkludierend wirken soll. Dieses ist allerdings an ein Mindestalter geknüpft, weswegen beispielsweise Unter-18-Jährige in Deutschland von Wahlen und Abstimmungen auf Bundesebene exkludiert werden. Dieser Ausschluss vom Wahlrecht entspricht der überwiegenden Auffassung, dass Jugendliche, die die Volljährigkeit noch nicht erreicht haben, über keine ausreichende politische Reife verfügen würden. Zum zweiten sind in modernen Gesellschaften Frauen und Männer rein rechtlich gleichgestellt, z. B. was ihre sozialen Rechte (etwa auf Bildung und einen angemessenen Arbeitsplatz) angeht. Diese sozialen Rechte können beispielsweise in Form von Geldleistungen oder die Inanspruchnahme/Bereitstellung entsprechender karitativer Einrichtungen realisiert werden. Solcherlei Versuche der Herstellung von Gleichheit aller StaatsbürgerInnen können jedoch durch soziale Ordnungen auf

2Eine

wichtige Kritik am Diskurs über Staatsbürgerschaft ist, dass citizenship bzw. Staatsbürgerschaft häufig als westliche Idee besprochen und gleichzeitig die Modelle dieser Staaten (zu Unrecht) als universell gültig verstanden werden. So betont etwa Sadiq (2017), dass die inklusiven liberalen europäischen Staatsbürgerschaftsmodelle häufig nur für die ‚europäischen Stammländer‘ galten, nicht aber für die ‚Kolonien‘, was sich auch daran zeigen ließe, wie nach dem Ende der Kolonialzeit neue Regierungs-Individuums-Verhältnisse in (multiethnischen) postkolonialen Systemen entstanden. Chung (2017) legt seinen Fokus hingegen auf die viel stärker ausgeprägte Inkorporationsnotwendigkeit von non-citizens in nicht-westlichen Staaten, auf die dort stattfindende stärkere Stratifikation und Hierarchisierung von Staatsbürgerschaft und auf interne Migrationsprozesse.

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der Praxisebene ausgehebelt werden. Wo z. B. Betreuungseinrichtungen fehlen oder gesellschaftliche Konventionen Sorgearbeit zur Aufgabe einer bestimmten Personengruppe (z. B. von Frauen) machen, kann es wiederum zur Exklusion bei der Realisierung von sozialen Rechten kommen. Ungeachtet der rechtlichen Gleichstellung schließt der Besitz der Staatsbürgerschaft also eine faktische Diskriminierung nicht aus. Die Staatsbürgerschaft ist somit mehr als ein rechtlicher Status (vgl. Dahrendorf 2000; Isin 2008; Isin und Turner 2007; Mackert und Müller 2000) und ihre Realisierung beinhaltet sozioökonomische Aspekte, soziale Zugehörigkeit und Partizipation in der Gesellschaft. Weil „Staatsbürgerschaft ohne die politische und gemeinschaftliche Praxis der Staatsbürger leer bleibt“ (Mackert und Müller 2000, S. 28), ist die Beschäftigung mit exkludierenden Praktiken innerhalb von Staatsbürgerschaft als gesellschaftlichem Beobachtungsgegenstand relevant. Das Ausbleiben einer systematischen Thematisierung des Komplexes Exklusion und Staatsbürgerschaft ist auch im Kontext gesellschaftstheoretischer Reflexionen von Bedeutung: Weil es immer schwieriger wird, Gesellschaft – wie Parsons das tat – als ein systematisches Ganzes zu betrachten, in welches Personen integriert werden, wird die rechtliche Formung von Mitgliedschaft prekär. Zahlreiche Debatten insbesondere in der Migrationsforschung der vergangenen Jahrzehnte haben auf die Unterkomplexität des lange angewandten Parsons’schen Gesellschaftsbegriffes hingewiesen (vgl. stellvertretend Nieswand und Drotbohm 2014, S. 12 ff.). Der damit korrespondierende Integrationsbegriff sei schon allein deswegen kein gutes Analysewerkzeug mehr, weil gesellschaftliche AkteurInnen und Individuen – und hierzu gehören natürlich auch Zugezogene – in unterschiedliche (grenzüberspannende) gesellschaftliche Beziehungen, Kommunikationen, Prozesse oder Handlungen integriert sind. Ein abstraktes Gesamtsystem ‚Nationalstaat‘ mit einem Zentrum an Werten und Normen diene als sozialwissenschaftliches Konzept mitunter eher der theoretischen Kohärenz, als dass es mit der Lebenswirklichkeit der handelnden AkteurInnen vereinbar wäre (vgl. Nieswand und Drotbohm 2014, S. 13 ff.; Weiß 2017). Wenn Gesellschaften umfassende Systeme menschlicher Koexistenz beschreiben, dann ist Nationalstaatlichkeit hierfür zwar ein wichtiger Handlungsrahmen, aber möglicherweise nicht der einzige. Menschen sind zudem integriert in (transnationale) Arbeitsmärkte und/oder (transnationale) Familien- oder Freundschaftsnetzwerke. Der moderne Mensch verfügt also über vielfältige Mitgliedschaften in sozialen Räumen unterschiedlicher Art und Ausdehnung. Wenn Menschen heute entsprechend ihrer vielfältigen (transnationalen) Mitgliedschaften von verschiedenen Sozialsystemen unterschiedlich berücksichtigt, d. h. inkludiert und exkludiert werden, dann ist die Konzeptualisierung von Staatsbürgerschaft als

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Mitgliedschaft in einem Nationalstaat für die Sozialwissenschaften nur bedingt von Interesse (Stichweh 1997). Im Kontext der beschriebenen gesellschaftlichen Wandlungsprozesse sind Mitgliedschaft und staatsbürgerliche Teilhabe Gegenstand andauernder Aushandlungsprozesse. Eine reflexive Soziologie der Staatsbürgerschaft habe, so Mackert und Müller (2000) in ihrer Überblicksdarstellung, neben den institutionalisierten Arrangements der Staatsbürgerschaft in Form von Rechten zur Herstellung formaler Gleichheit auch diese Prozesse theoretisch einzuholen. Neben einem „normativ-ideologischen Diskurs“ brauche es daher eine soziologische Diagnose von latenten Spannungsverhältnissen zwischen gesellschaftlicher Inklusion und Exklusion (Mackert und Müller 2000, S. 36). Eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der Staatsbürgerschaft ist auch deshalb wichtig, weil Inklusion und Exklusion in unterschiedlichen Kontexten stattfinden können – im Zugang und bei der Ausübung – und wirkmächtig werden durch eingeschränkten Zugang zu Rechten und sozialstaatlichen Leistungen. Neuere Diskussionen in Wissenschaft und Politik über Staatsbürgerschaft/ Citizenship haben einerseits das Spektrum der Exklusionsprozesse verdeutlicht (etwa: Ungleichzeitigkeit formaler Rechte und gesellschaftlicher Teilhabe) und andererseits auf verschiedenen Ebenen Inklusion angeregt (etwa: gesellschaftliche Teilhabe auf lokaler Ebene auch ohne Bürgerschaftsstatus). Im Folgenden wollen wir zunächst der Frage nachgehen, wie in den wissenschaftlichen Diskussionen über Staatsbürgerschaft bislang die Fragen nach Inklusion und Exklusion gestellt wurden. Hierzu wollen wir einen kurzen Überblick bieten, der die Staatsbürgerschaftsdiskurse im Wandel zusammenfasst. Dabei greifen wir nicht auf die kategorialen Elemente von Staatsbürgerschaft, wie etwa (gleicher) rechtlicher Status, staatsbürgerliche Rechte, Zugehörigkeit/Identität und Partizipation zurück (vgl. dazu Bloemraad et al. 2010; Joppke 2010), sondern nähern uns der Diskurslage ausgehend von den verschiedenen Herausforderungen, denen Staatsbürgerschaftsdiskurse begegnen: Dazu gehören etwa die Kritik am nationalstaatlichen Container, die zunehmende Pluralisierung von Lebenswelten sowie die politische Aufladung des Konzeptes Staatsbürgerschaft (z. B. als möglichem Mittel der Kohäsionsherstellung). Dadurch zeigen wir ein Spektrum relevanter Bereiche auf, in denen Inklusion und Exklusion zum Thema wird.

1.2 Staatsbürgerschaftsdiskurse im Wandel Es scheint selbstverständlich, dass beim Thema Bürgerschaft eine Präzisierung mit „Staat“ vorgenommen wird, weil diese am meisten gebräuchlich und auch emotional sehr wirkmächtig ist: Staatsbürgerschaft. Es wird sowohl im öffentlich-politischen wie auch im teilöffentlichen Diskurs der Wissenschaft primär

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von dieser gesprochen und nicht etwa von Unionsbürgerschaft, Stadtbürgerschaft oder eventuell auch einer Quartiersbürgerschaft. Die Verknüpfung zwischen Staat und Bürgerschaft hat spätestens mit der Französischen Revolution begonnen und damit zu tun, dass eine auf einem gemeinsamen Narrativ und geteilten Werten beruhende Einheit (im Sinne einer ‚imagined community‘, vgl. Anderson 2006, S. 15) als Garant für Menschen- und Bürgerrechte imaginiert wurde, die gerade auf Ebene eines Nationalstaates angesiedelt war. Weil die Sozialwissenschaften diese rechtliche Perspektive affirmativ für ihre Forschungszwecke übernommen haben, reproduzierten diese lange Jahre den nationalstaatlichen Container (vgl. Wimmer und Glick Schiller 2002). Ausgangspunkt der nachfolgenden Betrachtung ist einerseits das Unbehagen mit diesem nationalstaatlichen Container in den Sozialwissenschaften, andererseits aber auch die Feststellung, dass Nationalstaaten und nationalstaatliche Mitgliedschaftslogiken maßgeblich das Alltagsleben in der Moderne strukturieren. Das hat Folgen sowohl dafür, wie sich Prozesse von Inklusion und Exklusion wissenschaftlich beschreiben lassen, wie auch dafür, wie sie politisch verhindert oder forciert werden. So gibt es beispielsweise Versuche einer Entkopplung von Staat und Nation in den (politischen wie wissenschaftlichen) Debatten zu einer multicultural citizenship; es gibt Überlegungen über die Entgrenzung von Mitgliedschaft hin zu postnationaler und transnationaler Bürgerschaft und es gibt die (politischen wie wissenschaftlichen) Überlegungen zu relevanten politischen Subebenen unterhalb des Nationalstaates, weswegen es sich auch rechtfertigen ließe, von einer Art local turn in Bezug auf Mitgliedschaftsordnungen zu sprechen. Ferner gibt es methodische Konzeptualisierungen und empirische Studien, die gezielt die unterschiedlichen, für die alltägliche Lebensführung der Menschen relevanten Ebenen systematisch zueinander in Beziehung setzen (Nohl et al. 2014). Es lässt sich aber im politischen Prozess auch eine Rückkehr zu nationalistischen Logiken und zu Rassismus beobachten, weswegen eine analytische Perspektive auf Nationenverständnisse und daran gekoppelte Mitgliedschaften auch weiterhin geboten ist. Bürgerschaftsdiskurse nehmen daher auch in diesem Sammelband ihren (impliziten) Ausgangspunkt im Verhältnis zwischen Staat und BürgerIn, legen hierzu aber ihre theoretischen Linsen verschiedentlich auf den BürgerInnenstatus, alternative Imaginationen von Gemeinschaft und Zugehörigkeit sowie auf Vertragsverhältnisse zur Bewirkung von Inklusion und Exklusion. Aber am Ausgangspunkt, dass die moderne Welt maßgeblich von nationalen Staatsbürgerschaften strukturiert ist, kommen wir zunächst nicht vorbei (zu dieser These historisch Gosewinkel 2016). Damit ist nicht gesagt, dass sich eine wissenschaftliche Analyse ausschließlich innerhalb nationalstaatlicher Räume zu vollziehen

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habe oder dass Lebenswelten, Netzwerke und die Bereitstellung von Schemata und Ressourcen ausschließlich nationalstaatlich geprägt seien (vgl. dazu Wimmer und Glick Schiller 2002; Pries 2015; Glick Schiller und Schmidt 2016). Aber es ist damit angesprochen, dass Staatszentriertheit und nationale Identität zwei maßgebliche Strukturierungsprinzipien moderner Vergesellschaftung sind, welche auch andere Formulierungen von Zugehörigkeit, Rechtegewährung oder Partizipation beeinflussen. Einen wichtigen Zwischenschritt in der Debatte stellen in den 1990er Jahren die Auseinandersetzungen mit den Arbeiten Rogers Brubakers dar, der die Grundlagen des rechtlichen Status idealtypisch unterschied und damit den Fokus auf Integrationsmodi und Vergabepraktiken von Staatsbürgerschaft legte (vgl. Schnapper und Heckmann 2003; Brubaker 1992). Historisch war es nicht einheitlich, was Zugehörigkeit garantiert: Abstammung (ius sanguinis) oder gesellschaftliche Mitgliedschaft (ius soli) (vgl. Mackert und Müller 2007, S. 10 f.). Brubaker argumentiert, dass die jeweilige Vergabepraxis von Staatsbürgerschaft – in seinem Beispiel diejenige in Deutschland und Frankreich – einem unterschiedlichen Verständnis dieser Institution unterliege. Demnach folgten die Franzosen als Republikaner einem bürgerschaftlichen Verständnis, dem ius soli-Prinzip, die Deutschen hingegen einer essenzialistischen Idee von Volk und Abstammung (ius sanguinis). Gegen Brubakers Heuristik anhand kultureller Idiome, also seine Analyse anhand der Formulierung idealtypischer Nationenkonzepte, gab und gibt es Widerspruch (z. B. von Gosewinkel 2016, S. 21 ff., der eine alleinige Erklärungskraft von Staatsbürgerschaftsverständnissen für die Entwicklung von Staatsbürgerschaftsregimen bestreitet), aber die Idee nationaler Integrationsmodi hielt sich als eine spezifische Zugriffsmöglichkeit. Inklusion und Exklusion sind in dieser Perspektive maßgeblich Themen für den Umgang mit Nicht-StaatsbürgerInnen. Ein daran anschließender Forschungszweig fragt entsprechend nach dem Umgang mit diesen. Beispielhaft geht es bei der Einräumung politischer, bürgerschaftlicher und sozialer Rechte für AusländerInnen um die Frage, ob eine Staatsbürgerschaft eher zum Beginn oder am Ende eines Integrationsprozesses vergeben werden sollte und ob unterschiedliche Modelle der Staatsbürgerschaftsvergabepraxis/Inkorporation konvergieren oder nebeneinander existieren. Die zwischenzeitliche These besagte, dass die unterschiedlichen Staatsbürgerschaftsregime zu einem liberalen Modell hin konvergieren (vgl. Joppke 2007), aber diese Annahme ist umstritten (vgl. Koopmans et al. 2012). Multikulturelle Staatsbürgerschaft In den 1990er Jahren kamen verstärkt theoretische Debatten dazu auf, inwiefern die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen oder sozialen Gruppe für das

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Handeln und die Chancen von Individuen innerhalb des Rechtesystems liberaler Staaten berücksichtigt werden sollte (siehe u. a. Taylor et al. 2009; Young 1990). Einen Vorschlag dazu, wie Staatsbürgerschaften an die Bedingung ‚kultureller Differenz‘ angepasst werden können, entwickelte Will Kymlicka (1995), der wohl bekannteste Theoretiker des Multikulturalismus in Multicultural Citizens­ hip. A Liberal Theory of Minority Rights. Während VertreterInnen eines traditionellen Liberalismus die ‚Neutralität‘ des Staates gegenüber kultureller Vielfalt fordern, argumentiert Kymlicka, dass Staatsbürgerschaften aufgrund der historischen Entwicklung der jeweiligen Nationalstaaten ‚kulturblind‘ seien. ‚Kulturelle Minderheiten‘ würden u. a. durch die Festlegung einer offiziellen Sprache, öffentlicher Feiertage und kulturell aufgeladener nationaler Symbole wie Flaggen und Hymnen unter der (historischen) Dominanz der Mehrheit leiden. Es sei daher notwendig, Staatsbürgerschaften an die Bedingung ‚kultureller Differenz‘ anzupassen, indem ‚kulturelle Minderheiten‘ dazu befähigt werden, gruppenspezifische Rechte zu formulieren und als Ergänzung und Ausgleich bestehender Rechte zu manifestieren (vgl. Kymlicka 1995). Staatsbürgerschaft beinhalte in liberalen, demokratisch verfassten Nationalstaaten also prinzipiell das Potenzial, sich durch die Verleihung spezifischer Rechte für die Inklusion kultureller Minderheiten zu öffnen. Kymlicka unterscheidet dabei zwei Typen ‚kultureller Minderheiten‘, für die er jeweils unterschiedliche Gruppen von Rechten vorsieht (Kymlicka 1995, S. 26 ff.). Unter den Typ der (nicht-migrantischen) „nationalen Minderheiten“ zählt Kymlicka nationalistische Bewegungen innerhalb von Staaten, die mitunter separatistische Bestrebungen haben (z. B. die Quebecer in Kanada oder die Katalanen in Spanien). Solchen Gruppen sollten Kymlicka zufolge bestimmte Selbstverwaltungsrechte verliehen werden. Unter den Typ der „ethnischen Minderheiten“ fasst Kymlicka ‚ImmigrantInnengruppen‘, die gemeinsame ‚kulturelle Wurzeln‘ hätten, jedoch nicht territorial verankert seien. Um ihre ‚kulturelle Besonderheit‘ bewahren zu können und gleichzeitig Integration zu ermöglichen, sieht Kymlicka „polyethnische Rechte“ für diese Minderheiten vor (z. B. das Recht auf öffentliche Finanzierung von Vereinen, Zeitschriften oder Festen). Er begründet diese Forderungen damit, dass die Mitgliedschaft in einer ‚kulturellen Gruppe‘ – sei es die ‚Kultur der Mehrheitsgesellschaft‘ oder einer ‚kulturellen Minderheit‘ – ein Bedeutungssystem bereitstelle, welches die ­BürgerInnen erst dazu befähige, unterschiedliche Handlungsalternativen als solche zu erkennen, zwischen ihnen zu wählen und eine eigene Vorstellung vom ‚guten Leben‘ zu entwickeln. Zentral ist für Kymlicka also die Ermöglichung der Koexistenz und gleichberechtigten Ausübung kulturbedingt unterschiedlicher Alltagspraxen. Insofern folgt Kymlickas Konzept einer multikulturellen

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­ taatsbürgerschaft und seine liberale Theorie der Minderheitenrechte im Kern S ebenfalls einem Marshall’schen Denken, weil es die an Staatsbürgerschaft gekoppelten Rechte als Gleichheit ermöglichend unter den BürgerInnen eines Staates auffasst. Im Vordergrund steht bei VertreterInnen des Multikulturalismus jedoch die ‚kulturelle Gleichheit‘, während Marshall insbesondere an einer sozio-ökonomischen Chancengleichheit in einer staatlich verfassten Gesellschaft interessiert war. Das bekannteste Beispiel für die praktische Relevanz des theoretischen Multikulturalismus stellt Kanada dar, wo der Multikulturalismus im Jahr 1971 zum Leitprinzip der gesamten Politik ernannt wurde. Neben einer rationalen, selektiven Einwanderungspolitik beinhaltet der kanadische Multikulturalismus eine liberale Einbürgerungs- und progressive Inklusionspolitik (Adam 1994). Exemplarisch seien die sogenannten „equity programs“ der 1980er Jahre genannt, die eine gezielte Bevorzugung nicht nur von „sichtbaren Minderheiten“, sondern auch von Behinderten, „First Nations People” und Frauen bei der Vergabe von Arbeitsplätzen vorsahen. Private und öffentliche Unternehmen sollten Angehörige dieser vier Gruppen bei gleicher Qualifikation von MitbewerberInnen ­bevorzugt einstellen, solange sie unterrepräsentiert sind (Adam 1994, S. 71). Insofern ­zielten diese Maßnahmen auf eine Reduktion der Exklusion beim Zugang in das Teilsystem Arbeitsmarkt ab. Das in Multikulturalismusdiskussionen angewandte Denken über Inklusion und Exklusion betrifft somit vorwiegend diejenigen, die bereits Staatsangehörige sind.3 Es wird argumentiert, dass multikulturelle Politiken neben den oben ausgeführten Idealen Republikanismus und Abstammungsprinzip ein weiteres spezifisches Zugehörigkeitsideal zum Ausdruck bringen bzw. eine (primäre) Identifizierung mit und Loyalität gegenüber dem Staat in multikulturellen Gesellschaften erst ermöglichen. Aus dieser Perspektive lässt sich jedoch auch begründen, dass multikulturelle Politiken gleichzeitig Inklusions- und Exklusionsprozesse für Nicht-Staatsangehörige konstituieren können (vgl. Bloemraad 2016; Kymlicka 2015). Ferner bleiben fortdauernde Exklusionsprozesse bei formalrechtlicher Inklusion, wie sie in Kanada ebenfalls zu beobachten sind, erklärungsbedürftig. So zeigen zum Beispiel Studien zur langfristigen Einkommensentwicklung ­eingewanderter MigrantInnen in Relation zur im Inland geborenen Bevölkerung, dass ImmigrantInnen trotz der progressiven politischen Maßnahmen zunehmend Schwierigkeiten haben, sich im kanadischen Arbeitsmarkt zu positionieren

3Eine

kurze Genealogie der Idee des Multikulturalismus liefert Kymlicka (2015, S. 6 ff.).

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(Picot und Hou 2003; Frenette und Morissette 2005). Trotz der Inklusionsversprechen sind die Einkommen der ImmigrantInnen im Vergleich zu der im Land geborenen Bevölkerung deutlich geringer und diese Schere scheint sich tendenziell weiter zu öffnen. Insbesondere seit der Jahrhundertwende lässt sich ein „Rückzug“ westeuropäischer Länder wie den Niederlanden und Großbritannien und von Australien vom Multikulturalismus als Politikinstrument beobachten (Joppke 2004). In europäischen Ländern wird dabei häufig argumentiert, der Multikulturalismus führe eher zur Segregation und „Ghettobildung“ und habe nicht wesentlich zur Reduktion von Arbeitslosigkeit und Marginalisierung ‚kultureller Minderheiten‘ beigetragen. Außerdem setzte sich vermehrt die Auffassung durch, dass die Inklusion ein zweiseitiger Prozess sei, der nicht nur eine Öffnung des Staates gegenüber ‚kulturellen Minderheiten‘, sondern gleichzeitig auf Seiten der ‚Minderheiten‘ eine Anerkennung der ‚Mehrheitskultur‘ erfordere. Im Zuge dieser Debatte wurden zunächst in den Niederlanden und sukzessive in den meisten skandinavischen Ländern (Schweden ausgenommen), Belgien, Österreich und Deutschland obligatorische „Integrationsprogramme“ aufgesetzt (Joppke 2004, S. 247 ff.). Auch von theoretischer Seite wurde unterschiedliche Kritik an Kymlickas Theorie der multikulturellen Staatsbürgerschaft geübt. So lehnen VertreterInnen eines traditionellen Liberalismus es ab, ‚ethnische Minderheiten‘ durch gruppenspezifische (und damit kollektive) Rechte eine besondere Position zuzugestehen, da ‚kulturelle Unterschiede‘ dadurch festgeschrieben und manifestiert würden (Barry 2001). Im Zuge interner Aushandlungen innerhalb einer ‚kulturellen Gruppe‘ könne es ferner zur Durchsetzung bestimmter Ansichten gegenüber eher randständigen Positionen kommen und damit zu einer Einschränkung individueller Autonomie (Kukathas 1992).4 Neuere Forschungen sensibilisieren dafür, dass der Zusammenhang zwischen formalrechtlicher und tatsächlich realisierter Inklusion komplexer ist. So untersuchen zum Beispiel Nohl et al. anhand individueller Lebensgeschichten und Werdegänge hochqualifizierter MigrantInnen in Kanada, Deutschland und der Türkei, wie unterschiedliche Inklusions- und Exklusionsprozesse in die unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilsysteme beim Übergang in den Arbeitsmarkt ineinandergreifen und sich wechselseitig bedingen (Nohl et al. 2014). In ihrer Studie analysieren sie mittels eines Mehrebenenmodells, wie ­individuelle

4Für

eine ausführliche Darstellung der Kritiken am Multikulturalismus siehe Bloemraad et al. (2010, S. 27 ff.).

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Handlungsstrategien und Orientierungen (Mikroebene), die Einbindungen in (transnationale) Netzwerke und (Selbst-)Organisationen (Mesoebene) sowie formalrechtliche Regelungen der nationalen Einwanderungs- und Arbeitsmarktpolitik (Makroebene) für die (Neu-)Bewertung des kulturellen Kapitals der MigrantInnen bedeutsam werden. Solche Studien verweisen darauf, dass ein Fokus allein auf Inklusionspolitiken und die Beseitigung rechtlicher Inklusionshemmnisse nicht ausreicht, sondern Exklusions- und Inklusionsprozesse auf der Meso- und Mikroebene der alltäglichen Lebensführung einen erheblichen Einfluss darauf haben können, wie MigrantInnen ihre im In- und/oder Ausland erworbenen Bildungstitel tatsächlich nutzbar machen und einen entsprechenden Beruf ausüben können. Postnationale Mitgliedschaft und die Transnationalisierung der sozialen Welt Parallel zu Konzepten nationaler Zugehörigkeitsentwürfe und Politiken einer multikulturellen Mitgliedschaft in einem Staatswesen entwickelte Yasemin Soysal (1994) mit ihrem Buch Limits of Citizenship und der These einer postnational membership eine alternative Zugriffsmöglichkeit. Sie konstatierte damals, dass es für die Garantie von Rechten immer weniger auf nationale Zugehörigkeiten ankäme, Staatsangehörigkeit also tendenziell an Bedeutung für die Mitgliedschaft von Individuen in einer Gesellschaft verliere. Empirisch macht sie ihre These am Beispiel der allmählichen Inklusion der ArbeitsmigrantInnen in westlichen Industrieländern in Europa fest. Zwar seien unterschiedliche nationale Regime der Inkorporation nach wie vor relevant, allerdings seien GastarbeiterInnen heute in ganz unterschiedliche Bereiche der sozialen und institutionellen Ordnung europäischer Nationalstaaten – auch ohne die Erlangung der jeweiligen Staatsbürgerschaft – inkorporiert (vgl. Soysal 1994). Dies sieht Soysal als Folge der Veränderung der normativ-diskursiven Rahmung von Mitgliedschaft. Transnationale Diskurse um Mitgliedschaft und Menschenrechte wirken dieser Lesart zufolge als organisierende Prinzipien von der globalen Ebene in die nationale Praxis und Politik – also in die unterschiedlichen Inkorporationsregime – hinein. Dies habe in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in der Tendenz zu einer Standardisierung/Angleichung des Status von MigrantInnen in westeuropäischen Ländern geführt. Soysal erhielt argumentative Unterstützung durch philosophische und gesellschaftstheoretische Schriften, die einen moralischen Universalismus sowie einen Kosmopolitismus vertraten (in unterschiedlichen Ausprägungen tun dies etwa Jürgen Habermas (2009); Ulrich Beck (2004) und Seyla Benhabib (2008)). Diese Arbeiten markieren insofern den Übergang von Perspektiven, die Staatsbürgerschaft innerhalb nationalstaatlicher Grenzen ansiedeln und normativen

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­ erspektiven, die diese Grenzen zunehmend in Frage stellen (vgl. Bloemraad P et al. 2010). Während Kymlicka davon überzeugt ist, dass liberale Nationalstaaten und nationale Staatsangehörigkeit unerlässlich sind, um Mitgliedschaft zu definieren und ermöglichen, ist Seyla Benhabib als Vertreterin eines „universalist moral standpoint“ (Benhabib 2006b, S. 18) deutlich skeptischer gegenüber traditionellen Nationalstaaten. Die divergierenden Auffassungen beruhen u. a. auf einer grundlegend unterschiedlichen Einschätzung der historischen Herausbildung sowie möglicher Folgen einer Festigung und Ausbreitung liberaler, nationalstaatlicher Ordnungen. Während Kymlicka die Etablierung liberal verfasster Nationalstaaten eindeutig als Errungenschaft und Fortschritt im Vergleich zu vorausgehenden Gesellschaftsordnungen bewertet, deren negative Auswüchse „gezähmt“ (Kymlicka 2006, S. 131) werden müssen und können, bewertet Benhabib das Ausmaß vergangener und potenzieller Diskriminierung innerhalb von Nationalstaaten deutlich größer. Sie spricht sich für eine allmähliche Hinwendung und Inkorporierung universalistischer Normen aus (vgl. Benhabib 2006b). Über einen Prozess, den sie als „democratic iteration“ (Benhabib 2006a, S. 45) bezeichnet, sei es möglich, langfristig das Rechtesystem demokratischer Staaten entlang eines ethischen Universalismus umzubauen, damit die Grenzen der Mitgliedschaft zu verändern und schließlich zu transzendieren, weil diese nicht mehr von einer stabilen Vorstellung von Identität abhängen. Empirisch untermauert sie ihre Argumentation mit den Institutionen der Europäischen Union, die ihr zufolge zu einer Überlagerung und Transzendierung von Staatsbürgerschaft in Richtung eines legalen und politischen Kosmopolitismus geführt haben. In eine ähnliche, die Bedeutung des Nationalstaates für Inkorporationsprozesse eher einschränkende Richtung wiesen Forschungen, die eine soziologische und ethnologische Betrachtung transnationaler Netzwerke und Sozialräume vornahmen (vgl. u. a. Glick Schiller et al. 1992; Levitt 2001; Pries 2015). Relativ zeitgleich zu postnationalen und kosmopolitischen Ansätzen in der politischen Philosophie und der Sozialtheorie wurde nun auch empirisch stärker die Relevanz und Legitimität nationalstaatlicher Grenzen hinterfragt. So wurden beispielsweise verstärkt die Staatsgrenzen überspannenden Lebenswelten und Netzwerke nicht nur von MigrantInnen in den Blick genommen. Demnach traten nun vermehrt Prozesse von Inklusion und Exklusion in den Blick, die sowohl nationalstaatliche Praktiken betrafen (vgl. White 1997) wie auch deren transnationale Voraussetzungen (vgl. Nohl et al. 2014). Damit wurde die Frage des Verhältnisses des Individuums zu einer Gesellschaft/Gemeinschaft aus der containerorientierten Sichtweise herausgelöst, nach der Zugehörigkeit zu einem Staat (ausgedrückt durch den Besitz der Staatsbürgerschaft) auch immer mit dem tatsächlichen territorial-räumlichen Lebensmittelpunkt zusammenfiel. All diesen

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Ansätzen gemein ist eine Skepsis gegenüber der Zentralität nationalstaatlicher Zugehörigkeit für die alltägliche Lebenspraxis, die Betonung einer geänderten Bedeutung des Containers Nationalstaat (vgl. Wimmer und Glick Schiller 2002) sowie eine Betonung nicht-staatsbürgerlicher, international kodifizierter Mens­ chenrechte. Die Einsicht in die Plurilokalität alltäglicher Lebenswelten macht sensibel dafür, dass insbesondere politische Rechte nicht mehr nur noch an einen Staat gebunden und von diesem garantiert werden können. Die universalistische und kosmopolitische Perspektive ist sicherlich prominent bis heute, mindestens bis in die Nullerjahre hinein, hat aber ein wenig Schaden genommen durch die skeptischen Perspektiven und die Hinweise auf das Rollback der Integrationspolitiken nach dem sogenannten War on Terror. Einige AutorInnen weisen darauf hin, dass nationale Politiken für die Reproduktion moderner Gesellschaften ihre Bedeutung behalten haben (z. B. Koopmans und Statham 2003) oder diese auch nie verlieren konnten (z. B. Bommes 2002). Andere zeichnen zumindest die wiederkehrende Bedeutung nationalstaatlicher Zugehörigkeitspolitiken nach, die gerade mit einer Argumentation pro Menschenrechte und Universalismus legitimiert wurden, dabei zu einer Konvergenz zwischen den Nationalstaaten führten (vgl. Joppke 2007, 2008). Weil es mittlerweile zu einer Renationalisierung von Staatsbürgerschaftspolitiken gekommen sei, sei der Begriff der postnational citizenship mittlerweile obsolet (vgl. Mouritsen 2012). Zu der Erkenntnis, dass der Nationalstaat und damit auch seine Staatsbürgerschaft an Aufmerksamkeit gewonnen hat, kommt hinzu, dass es in den Nullerjahren verschiedene Reflexionen auf Liberalisierungen und Pluralisierungen von Staatsbürgerschaften gegeben hat (vgl. Faist 2007) – nationalstaatliche Regierungen und Parlamente bleiben somit wesentliche AkteurInnen bei der Zu- oder Aberkennung, bei der In- oder Exklusion von ausländischen StaatsbürgerInnen. ‚Local turn‘ Wenngleich es scheinen mag, als hätten die vorab genannten Blickverschiebungen auf transnationale Netzwerke und multistaatliche Institutionen den analytischen Blick immer weiter vom konkreten Individuum mit seinen konkreten Lebensumständen abstrahiert, so gibt es in der Migrationsforschung seit den 2000er Jahren doch auch einen ‚local turn‘, der sich wieder hinwendet zu lokalen Integrationspolitiken, Bürgerschaftsdiskursen in den Kommunen und einer Wiederaneignung der Idee einer urban citizenship (vgl. Glick Schiller und Caglar 2011; Schmidtke 2014). Lokale Bürgerschaftspolitiken werden teilweise kritisiert als die Übersetzung neoliberaler Standortkonkurrenzlogiken in das Feld der Politik: es wird angenommen, dass Maßnahmen zu Anwerbung und Inkorporation beispielsweise von MigrantInnen vor Ort letztlich nur der Marke einer jeweiligen

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Stadt nutzen sollten (so etwa ein sehr schöner Themenschwerpunkt der Zeitschrift sub\urban, Band 2, Heft 3, 2014). Teilweise wird hier aber auch schlicht empirisch rekonstruiert, wie Inkorporationsprozesse unter Zuhilfenahme von Netzwerkkontakten und unter regional höchst unterschiedlichen Bedingungen konkret verlaufen (vgl. Glick Schiller et al. 2006) und ob/wie sie sich dabei an Paradigmen der Rechtegewährung und Zugehörigkeitsherstellung orientieren (vgl. statt vieler Schiller 2015). Weitere Beobachtungen betreffen aktuelle Diskurse zu locating migration und zu Wahlen/passivem Wahlrecht/(kommunalen) MandatsträgerInnen mit Migrationshintergrund (als Überblick vgl. auch die einschlägigen Aufsätze in Rother 2016). Auf der Ebene lebensweltorientierter Ansätze gibt es hierzu Studien, die insbesondere Praktiken der Rechte- und Aufenthaltsgewährung an konkret lokalisierbaren Orten untersuchen (vgl. z. B. Eule 2014). Beobachtungen von Inklusion und Exklusion hinsichtlich Staatsbürgerschaft weisen somit auf die Bedeutung hin, die kommunale und regionale Politiken haben, sei es hinsichtlich lokaler Integrationspolitiken, der Vermarktung einer Stadt als Marke, hinsichtlich der Position einer Stadt im globalen Verwertungskampf von Immobilien oder hinsichtlich der Zusammenarbeit mit migrantischen Organisationen. Weiterhin wird besser berücksichtigt, wie sich alltägliche Probleme vor Ort meistern lassen. Dabei ist die Beobachtung der Stadt in Kontexten von Migration nichts wesentlich Neues: Bereits in den 1980er Jahren haben die Asylbewegung und das sanctuary movement vorwiegend in den USA, Kanada und Großbritannien, aber auch in Ansätzen in Deutschland dafür gesorgt, dass Vorstellungen sozialer und politischer Mitgliedschaft auf lokaler Ebene verhandelt wurden (vgl. DIE GRÜNEN 1986). Das Aussetzen einer Weitergabe von Informationen über Illegalisierte oder vollziehbar Ausreisepflichtige, ihre medizinische Versorgung in sogenannten Medinetzen und die politische Beteiligung in sogenannten Flüchtlingsräten stellen dabei insbesondere politische Prozesse einer Inklusion dar, die sich einer politischen Exklusion (z. B. in Form einer Abschiebung) widersetzen. Wissenschaftliche Reflexionen über sanctuary cities sind eher jüngeren Datums (vgl. Squire und Darling 2013) und schließen an die Perspektive der critical citizenship studies an, wie sie insbesondere aus dem englischsprachigen Raum kommt. Das Beispiel der sanctuary cities mit ihren lokalen Integrationsmodi verdeutlicht: Teilhabe bedarf nicht der jeweiligen Staatsbürgerschaft, die im engeren Sinne ihren Ausdruck u. a. in einem legalen Status und im Besitz von Dokumenten findet, die diese nationale Zugehörigkeit belegen (vgl. Hess und Lebuhn 2014, S. 21–22). Umgekehrt aber bedarf Staatsbürgerschaft im weiteren Sinne der Literatur zufolge sehr wohl der Teilhabe, d. h. eines aktiven Beitrags zum jeweiligen

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sozialen Umfeld und damit des persönlichen Zusammenwirkens mit anderen (vgl. Isin 2013, S. 22). Dies unterstreicht die Bedeutung des Lokalen als unmittelbarer Begegnungsraum, nicht zuletzt für MigrantInnen, die noch in der Aushandlung ihrer Zugehörigkeit begriffen sind. Des Weiteren wird an der Verbindung der Staatsbürgerschaft mit Teilhabe deutlich, dass erstere zugleich als performativ zu verstehen ist, d. h. sie wird (auch) durch Praktiken begründet; und durch die Ausübung eben jener lässt sich die formelle von der substanziellen Zugehörigkeit zu einem Land unterscheiden (vgl. Isin 2008, S. 17). Hinsichtlich der Performanz von Zugehörigkeit ist v. a. Engin F. Isins Beitrag zur Staatsbürgerschaftsdebatte aus dem Jahr 2008 hervorzuheben: die Kernidee lautet hier acts of citizenship (Isin 2008). Die darin angesprochenen Handlungen (acts) lassen sich dabei gerade nicht auf die bloße Ausübung staatsbürgerschaftlicher Rechte und Pflichten durch StaatsbürgerInnen reduzieren (vgl. Isin 2008, S. 18). Vielmehr vertritt Isin die These, dass sich statuslose Personen wie z. B. MigrantInnen, indem sie sich dieser Praktiken – zumindest in ihrem unmittelbaren lokalen Bezugsrahmen – bedienen, einen staatsbürgerschaftsähnlichen Stand aneignen können (vgl. Isin 2008, S. 17). Ihre Handlungen lassen sich übersetzen in einen Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe: Sie konstituieren sich, wenngleich auch erst einmal nur auf lokaler Ebene, als (potenziell) mit Rechten ausgestattete BürgerInnen (vgl. Isin 2008, S. 18; 2013, S. 23 f.), einzig durch die Nachahmung bzw. Verrichtung staatsbürgerschaftlicher Tätigkeiten (vgl. Isin 2013, S. 22). Neu an diesem Verständnis von Staatsbürgerschaft gegenüber dem Marshall‘schen Ansatz ist also, dass die formelle Rechtegewährung hinter die Performanz, etwa auch in Form von Protesten, zurücktritt. Dieser Prozess der Aneignung von Rechten ‚im Kleinen‘ geht einher mit dem Bruch mit bestehenden Konventionen. Durch diesen werden wiederum die Voraussetzungen für sozialen Wandel und Transformation auf lokaler Ebene, und im Zuge dessen darüber hinaus auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, geschaffen (vgl. Isin 2008, S. 18). Dies macht das staatsbürgerschaftsähnliche Handeln ­insofern zu einem Politikum, als sich MigrantInnen als AkteurInnen mit eigenen Interessen und Ansprüchen darstellen (vgl. Isin 2008, S. 18), für die sie sich Gehör zu verschaffen suchen (vgl. Isin 2008, S. 24). Isin zufolge sind acts of citizenship Ausdruck von Kreativität (vgl. Isin 2013, S. 24). Nicht nur wird die bestehende Ordnung durch die Inanspruchnahme von Rechten in Frage gestellt (vgl. Isin 2008, S. 20) bzw. konstituieren sich MigrantInnen als eigenständige politische AkteurInnen (vgl. Isin 2008, S. 37) und werden damit – ohne mit einem Wahlrecht ausgestattet zu sein – politisch wirksam. Im Zuge der Aneignung, d. h. durch das konkrete Handeln von MigrantInnen, werden vielmehr auch die Regeln des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens

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einer Neuordnung unterzogen insofern als sich diese gegenüber Dritten innerhalb des sozialen Umfelds positionieren (vgl. Isin 2008, S. 37). Dieser Art ‚NeubürgerIn‘, die auf acts of citizenship gründet, ordnet Isin schließlich den Begriff activist citizen zu (vgl. Isin 2008, S. 38). Im Gegensatz zum active citizen führt ein activist citizen eben nicht gesellschaftlich etablierte Skripte aus, sondern erschafft in einer Art Bottom-up-Prozess neue Routinen, die ihre/seine Inklusion ermöglichen und sie/ihn am gesellschaftlichen und politischen Leben teilhaben lassen (vgl. Isin 2008, S. 39). ‚Kulturalisierung‘ und (Re-)Produktion von Exklusionsprozessen Bei der Steuerung von Einbürgerungsprozessen, aber auch anderen Citizenship-Debatten zeigt sich: Es handelt sich bei der Vergabe von Staatsbürgerschaft nicht nur um einen wertfreien administrativen Akt. Vielmehr lassen sich verschiedene Diskurse ausmachen, die Staatsbürgerschaft mit zusätzlichen Ansprüchen anreichern (zur Kulturalisierung von Staatsbürgerschaft und Einbürgerungsverfahren vgl. Mouritsen 2012). So lassen sich beispielsweise Erwägungen der Nützlichkeit von MigrantInnen daran festmachen, dass Staatsbürgerschaft bei vermeintlich objektiven Integrationsbemühungen, wie etwa einem bürgerschaftlichen Engagement, schneller vergeben wird, als ohne diese. Ihr Einsatz wird als Beitrag zum Gemeinwohl honoriert; im Sinne eines ius meri­ tum-Prinzips (vgl. Wong und Cho 2007) ‚verdienen‘ sie sich gewissermaßen den Status der Staatsbürgerschaft. Überlegungen und z. T. erste Schritte in diese Richtungen gab es z. B. in Großbritannien, wie u. a. Andreouli und Dashtipour (2014), Byrne (2014) und van Houdt et al. (2011) erläutern. Postkoloniale Studien und TheoretikerInnen haben diese Inklusions- und Exklusionspraxis von Kultur auch für Deutschland betont: Der Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft bedeutet offensichtlich nicht, dass Personen automatisch als zugehörig imaginiert bzw. als deutsch anerkannt werden. Beispielsweise Roma und Sinti, die seit vielen Generationen hier leben und deutsch sind, oder auch Schwarze5 Deutsche stellen gewissermaßen eine ‚Leerstelle‘ dar und

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Begriff ‚Schwarz‘ wird mit einem großen ‚S‘ versehen, da es sich hier um eine Terminologie handelt, die für alle von Rassismus betroffenen Menschen – unabhängig von der Farbe ihrer Haut – steht. Durch die Großschreibung soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass der Begriff nicht nur für eine Hautfarbe, sondern für eine spezifische Lebensrealität von Menschen, die nicht weiß sind, steht. Diese Selbstbezeichnung ist vergleichbar mit dem Begriff Person/People of Color aus dem englischsprachigen Raum und kann als politischer Begriff eingeordnet werden (vgl. u. a. Ha et al. 2007, S. 13).

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­ erden als nicht zugehörig und gleichzeitig nicht-deutsch fremdbezeichnet. Als w Weiße/r hingegen ist das eher unproblematisch, es ist möglich, innerhalb weniger Generationen als zugehörig empfunden zu werden, obwohl auch hier viele eine Migrationsgeschichte haben. Da stellt sich automatisch die Frage danach, was unter Deutsch-Sein verstanden wird bzw. welche Kriterien erfüllt sein müssen, um als deutsch wahrgenommen und anerkannt zu werden. Die weiße (deutsche) Mehrheitsgesellschaft bildet hierzulande die ‚Norm‘. Durch die Abgrenzung von Gruppen, die als vermeintlich ‚Andere‘ bzw. ‚Fremde‘ markiert werden, entsteht eine ‚Wir-Gruppe‘. Dieses Phänomen bezeichnete der Literaturwissenschaftler Edward Said Ende der 1970er Jahre als ‚Othering‘ (häufig übersetzt mit ‚Fremd-Machen‘ oder ‚Andern‘), ein wichtiges Konzept in der sogenannten postkolonialen Theorie. „Das Konzept des Othering erläutert, wie die ‚Fremden‘ zu ‚Fremden‘ gemacht werden und dabei gleichzeitig ein ‚Wir‘ konstruiert wird […]“ (Mecheril 2010, S. 42). Dieses ‚Wir‘ dient dazu, eine vermeintlich nicht-ambivalente, zivilisierte, sicherheitsspendende Gemeinschaft zu bilden. Die marginalisierten, ausgegrenzten, anderen Gruppen werden somit durch eine negative Abgrenzung erzeugt. So entstehen einerseits das ‚Wir‘, welches gleichzeitig die ‚Norm‘ bilden kann, sowie andererseits das ‚Fremde‘, welches dem Wir polarisierend und als unvereinbar gegenübergestellt wird. Kolonisierung, welche sich in Ausbeutung und Unterdrückung von unzähligen Menschen äußerte, machte – mit fatalen Konsequenzen für Betroffene – von ­diesem Bild der „Anderen als unverrückbar different“ (Castro Varela und ­Dhawan 2005, S. 16) Gebrauch. Zugleich werde sie häufig als etwas dargestellt, das ‚unzivilisierten‘ Menschen die ‚richtigen‘ und erstrebenswerten europäischen Normen lehre, sie damit bereichere und sie zusätzlich an vermeintlich westlichen Errungenschaften teilhaben ließe. In der Konsequenz wurde die westliche Welt als dominanter Maßstab konstruiert, anhand dessen die ‚zurückgebliebene‘ Welt eingeordnet wurde. Die „zivilisatorische Mission“ (Castro Varela und Dhawan 2005, S. 15) wurde quasi als Legitimationsgrundlage bzw. Rechtfertigung für Kolonisierung verwendet und verdeckte die unsäglichen Gräueltaten an Millionen von Menschen (vgl. Castro Varela und Dhawan 2005, S. 13 ff.). Bestimmte phänotypische Merkmale, wie in etwa nicht weiß zu sein, entsprechen nicht dem Bild, mit welchem sich diese ‚Wir-Gruppe‘ identifiziert, bzw. dem Bild, welches sie als ‚Standard-Deutschen‘ festgelegt hat. Hier wird deutlich, dass die Existenz eines Typus vorausgesetzt wird, der den Normalfall, das Idealbild darstellt bzw. dass eine allgemein anerkannte Weise besteht, wie jemand zu sein hat, um als ‚deutsch‘ erkannt zu werden. Dieses Fremdsein ist konstruiert, also gemacht und hergestellt, aber nicht real. Problematisch ist dabei, dass eben diese Konstruktion vom vermeintlich ­Fremden

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für die Lebensrealität der Betroffenen sehr reale Folgen haben kann. Anhand gegenwärtiger Diskurse um Migrationsbewegungen kann deutlich aufgezeigt werden, wie tief und fest diese konstruierten Differenzen in der gesellschaftlichen Struktur verankert sind und rassistisch genutzt werden, indem sie die Herausbildung sozialer Hierarchien legitimieren. Verallgemeinernd kann man sagen, dass die Vorstellung vom Deutschen durch die Zuschreibung des Nicht-Deutschen – unabhängig von der tatsächlichen Nationalität und Zugehörigkeit – entsteht, wobei ‚Auffälliges‘ und ‚Abweichendes‘, beispielsweise die Differenzlinie Hautfarbe, hervorgehoben wird. Alles, was als nicht-weiß gekennzeichnet wird, stellt dann automatisch eine negative Abweichung von der ‚Normalität‘ dar. Die rassistische Markierung bestimmter Menschen und Gruppen verhindert also, dass diese als ‚deutsch‘ anerkannt werden können. Diese Markierung orientiert sich an bestimmten Bezugspunkten wie beispielsweise entlang einer – im Sinne von Anderson (2006) – imaginierten nationalen Gemeinschaft und führt im Endeffekt zur Aussortierung. Festzuhalten ist, dass der Besitz der Staatsbürgerschaft nicht unbedingt mit Inklusion in alle gesellschaftlichen Bereiche einhergeht. Fraglich bleibt demnach, welche Chance bestimmte Personengruppen mit und ohne die jeweilige Staatsbürgerschaft haben, so zu leben wie die Mehrheitsgesellschaft. Staatsbürgerschaftsdebatten sind somit in den vergangenen Jahren empirisch reichhaltig und vielschichtig gewesen. Sie konvenieren derzeit nicht in einer dezidierten Fragestellung oder einem eindeutigen Ergebnis, vielmehr finden sie immer wieder neue Räume (transnationale Netzwerke, das Lokale) oder politische/soziale Praktiken, die beobachtet werden, denen wahlweise Inklusionspotenzial und Exklusionswirkung zugeschrieben wird. Aber die bloße Ausweitung von Rechten ergibt nicht zwangsläufig das Verschwinden von Exklusion. Deswegen ist es unserer Meinung nach gewinnbringend, das Spannungsverhältnis von Inklusionsund Exklusionspotenzialen der Staatsbürgerschaft explizit zum Thema zu machen. Denn die Auseinandersetzung mit dem Thema Staatsbürgerschaft bleibt in gegenwärtigen Migrationsgesellschaften notwendig.

1.3 Aufbau des Sammelbandes Der vorliegende Sammelband geht aus einem Diskussionszusammenhang hervor, den eine Tagung zum gleichen Thema an der Universität Siegen gesetzt hat. Die unterschiedlichen nun folgenden Beiträge bieten eine facettenreiche analytische

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Tiefenbohrung zu Ambivalenzen und Dialektiken von Staatsbürgerschaft und damit einem maßgeblichen Zugehörigkeitsgenerator der Moderne. Harald Bauder analysiert den Begriff „citizenship“ als einen Mechanismus der Inklusion und Exklusion im Kontext einer globalen Gesellschaft, die immer mobiler und transnationaler wird. Die gegenwärtige Situation, in der dem Geburtsort oder der Abstammung ein zentraler Stellenwert beim Zugang zur Mitgliedschaft in einer (häufig national konzipierten) Gesellschaft zukommt, führe zur formalen und informellen Ausgrenzung von MigrantInnen. Bauder betrachtet citizenship daher als einen Mechanismus, der eher zur Exklusion und Reproduktion sozialer Hierarchien beitrage. In Anlehnung an die Bourdieu’sche Terminologie entwickelt er ein Verständnis von citizenship als einer Form von Kapital, die die Logik der Unterscheidung und sozialen Reproduktion umsetzt. Sein Beitrag „Migration und Citizenship: Vom Geburtsprivileg zum Domizilprinzip“ richtet den Blick auf die Bedeutung und das Potenzial des sogenannten Domizilprinzips, nach dem der Wohnort und nicht primär die Abstammung oder der Geburtsort einer Person über deren Zugang zu unterschiedlichen sozialen Teilbereichen bestimmt. Die Kommune oder die Stadt seien die zentralen Orte für das alltägliche Leben der MigrantInnen, wo öffentliche Dienstleistungen bereitgestellt und Zugehörigkeiten verhandelt würden. Dementsprechend sieht Bauder die lokale Ebene – im Gegensatz zur nationalen Ebene – als den Ort an, wo das Inklusionspotenzial von citizenship am ehesten realisiert werden kann. Eine Rekonfiguration von citizenship anhand des Domizilprinzips könne die bestehende Reproduktions-Logik aushebeln, da es (in Nationalstaaten) parallele bzw. alternative Möglichkeiten der Organisation von Mitgliedschaften eröffne und dadurch der internationalen Mobilität der Bevölkerung Rechnung trage. Ganz ähnlich formulieren Wolf-D. Bukow und Nina Berding in „Ein Recht auf Stadt für die Vielen als Viele. The inclusive city“ eine Sichtweise auf Mitgliedschaft und Zugehörigkeit. Für sie ist das Stadtquartier als kleinste emergente Einheit der Stadtgesellschaft Ausgangspunkt der empirischen Analyse und ­theoretischen Überlegung über die inkludierenden bzw. exkludierenden Effekte von Bürgerschaft. Anhand einer Fallskizze zu Düsseldorf-Oberbilk zeigen sie, wie sich Stadtquartiere durch eine vielfältige Bewohnerschaft auszeichnen, wie verschiedene BewohnerInnen allerdings im öffentlichen Diskurs auch gegeneinander ausgespielt und bei der Diskussion der Stadtteilentwicklung teilweise ausgegrenzt werden. Aus dieser Beobachtung leiten sie anschließend eine normative Forderung ab: Weil Städte Möglichkeitsräume seien, die Vielen als Viele zu inkludieren und damit einer globalisierten Wirklichkeit nahe zu kommen, brauche es auch ein Recht auf Stadt für alle. Eine gerechte und faire, alle inkludierende

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Stadtentwicklung, so die AutorInnen, habe eine existenzielle Bedeutung, weil Quartiere Ausgangspunkte eines glokalen Wissens und Deutens seien. Insofern Bukow und Berding argumentieren, dass die Vielen als Viele an den Auseinandersetzungen über Stadt ausgeschlossen sind, aber als BewohnerInnen und Betroffene eigentlich einbezogen werden müssten, deckt sich diese Argumentation mit der Stoßrichtung der politischen Theorie Seyla Benhabibs. Benhabibs Denken stellt einen wichtigen Bezugspunkt für die politiktheoretische Debatte über Grenzen und deren Durchsetzung dar. Floris Biskamp zeigt in seiner Reflexion unter dem Titel „Staatsbürgerschaft und Ideologie. Auf dem Weg zu einer gesellschaftstheoretisch reflektierten politischen Theorie von politischer Mitgliedschaft und ihren Grenzen“, dass es fruchtbar ist, darüber nachzudenken, wo möglicherweise Schwachstellen in einer Politikkonzeption sind, welche das Recht auf Mitgliedschaft und demokratische Beteiligung verflüssigen möchte. Biskamp bietet dabei in seinem Beitrag gleichermaßen einen kurzen Abriss über das Denken über Grenzen in der liberalen und republikanischen politischen Theorie, wie auch über Benhabibs spezifisches diskurstheoretisches Programm. Seine Kritik richtet sich darauf, dass Benhabib sich noch zu wenig den Diskursblockaden, Ausschlüssen und Marginalisierungen widmet. Hierzu diskutiert er abschließend sinnvolle Ergänzungen, damit ein optimistisches, diskurstheoretisches Denken nicht selbst zur Ideologie wird, sondern ausreichend gesellschaftstheoretisch informiert ist. Dass innerhalb vermeintlich gleicher Gruppen Unterschiede bleiben, weil auf dem Weg der Inanspruchnahme von Rechten (implizite) Ideologien wirkmächtig sind, ist Gegenstand des Beitrags von Emmanuel Ndahayo. In „Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion. Schwarze Menschen und ihre symbolischen Kämpfe in Deutschland“ widmet er sich der Situation von Menschen, die zwar Staatsbürgerschaftsrechte haben, aber dadurch im Alltag nicht vor Ausgrenzung geschützt sind. Unter Rückgriff auf Bourdieus Theorie symbolischer Herrschaft diskutiert Ndahayo den Zusammenhang zwischen Staatsbürgerschaftsregimen, symbolischen Ordnungen und rassifizierenden Klassifikationen anhand eigener Erhebungen. Seine Interpretationen zeigen: Schwarzen Deutschen werde in Interaktionen im Beruf oder auf dem Amt häufig gar nicht erst eine deutsche Staatsbürgerschaft zugeschrieben. Trotz eines in der Theorie republikanisch gesinnten Staatsbürgerschaftsregimes lebe in der Praxis ein rassifizierendes Regime weiter. Der Beitrag „,Betwixt and Between:‘ Residency Status and Societal Participation of U.S. War Resisters in Canada” von Sarah J. Grünendahl vergleicht die Migrations- und Integrationserfahrungen US-amerikanischer Kriegsverweigerer, die sich in den späten 1960er Jahren bzw. um die Jahrtausendwende durch Flucht

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nach Kanada einem Militäreinsatz in Vietnam, Afghanistan bzw. im Irak entzogen haben. Jedoch erfolgte die Migration der späteren ‚Generation‘ unter geänderten Vorzeichen: Anders als die Vietnamkriegsverweigerer konnte die Gruppe der gegenwärtigen Verweigerer keinen Aufenthaltsstatus, geschweige denn eine Einbürgerung in Kanada, erlangen. Anknüpfend an das Thema dieses Tagungsbands zeigt Sarah J. Grünendahl durch die Kontrastierung der beiden in puncto Herkunftsland und Migrationsmotivation nahezu identischen Gruppen auf, dass die Inklusion von MigrantInnen (z. B. durch ihren Rechtsstatus im Zuwanderungsland) von zentraler Bedeutung für ihre gesellschaftliche Teilhabe ist. Folgt man mancher politischer oder sozialwissenschaftlicher Argumentation, dann ist die deutsche Staatsbürgerschaftspraxis potenziell exkludierender als beispielsweise diejenige von klassischen Einwanderungsländern, insbesondere solchen mit multikultureller Gesellschaftspolitik. Dass ein solches Denken allerdings die Rolle politischer Eliten zu wenig in Betracht zieht und darüber hinaus recht kontingenz-unsensibel ist, zeigt Oliver Schmidtke anhand seiner Betrachtung des kanadischen Falls. In „Citizenship in Action: Praktiken der Inklusion und Exklusion aus transatlantischer Perspektive“ zeigt er, wie die vergleichsweise inkludierende Politik Kanadas gegenüber MigrantInnen lange Zeit war und wie dieses „inklusivistische Ethos” von der konservativen Regierung zwischen 2006 und 2015 Schritt für Schritt ausgehöhlt wurde. Wichtig seien hierbei insbesondere neoliberale Denkweisen, z. B. in puncto Arbeitsmarkt und globaler Wettbewerb, und sicherheitspolitische Diskurse gewesen. Martin Weinmann beschäftigt sich in seinem Beitrag „Stakeholder Citizenship in Deutschland und Kanada? Modelle der Inklusion und Exklusion externer Staatsbürger im Vergleich“ am Beispiel Deutschlands und Kanadas mit Bauböcks Konzept der Stakeholder Citizenship. Dieses sieht vor, bei der Ausstattung externer StaatsbürgerInnen mit staatsbürgerschaftlichen Rechten und Pflichten eine Differenzierung nach Auswanderergenerationen vorzunehmen; Nachfahren von Erstausgewanderten erfahren so u. U. Einschränkungen, beispielsweise im Hinblick auf ihre Teilnahme am politischen Prozess des elterlichen Herkunftslands. Im Sinne des Tagungsthemas wirft Martin Weinmann ein Schlaglicht auf einen spezifischen exkludierenden Aspekt der Staatsbürgerschaft, der ansonsten wenig berücksichtigt wird, aber maßgeblich ist für Staatsbürgerschaftsregime in Zeiten internationaler Mobilität: Welche Rechte bleiben auf Dauer – gar über Generationen – selbst wenn man nicht mehr im Land lebt? Im Vergleich der beiden Länder zeigt sich u. a., dass Deutschland weitreichendere Möglichkeiten des Erwerbs externer Staatsbürgerschaft einräumt; beide Länder nehmen hingegen in ihren Politiken in Kauf, dass die Nicht-Gewährung der Staatsbürgerschaft zu Staatenlosigkeit führt.

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Lidia Averbukh zeigt anhand ihrer historisch-rekonstruktiven Studie der Verwaltungspraxis in der Sowjetunion, Deutschland und Israel, wie unterschiedliche Konzepte von ‚Ethnizität‘ und deren administrative Operationalisierung den Zugang zur Staatsbürgerschaft erleichtern oder erschweren können. In ihrem Beitrag „Das administrative Konzept von Ethnizität und seine Konstruktion in der Sowjetunion, Deutschland und Israel“ untersucht die Autorin, wie Behörden in Deutschland und Israel im Zuge der massenhaften Repatriierung von jüdischen und deutschen Minderheiten aus der ehemaligen Sowjetunion in den 1990er Jahren durch Verfahren zur Überprüfung der jeweiligen ‚Volkszugehörigkeit‘ bestimmte Konzepte von ‚Ethnizität‘ in ihrer administrativen Praxis umgesetzt haben. In beiden Fällen wird deutlich, dass nicht nur die vorherrschenden Ethnizitäts-Konzepte und administrativen Verfahren in den ‚Einwanderungsländern‘ Israel und Deutschland für den Zugang zur Staatsbürgerschaft relevant sind, sondern auch die Art und Weise, wie ‚Judentum‘ bzw. die ‚deutsche Volkszugehörigkeit‘ in der Sowjetunion als ‚Auswanderungsland‘ für administrative Zwecke konzeptualisiert und dokumentiert wurde. Der Beitrag verdeutlich darüber hinaus, dass die MigrantInnen selbst nur sehr eingeschränkt Einfluss auf die jeweiligen Konstruktionen haben, jedoch gleichzeitig gezwungen sind, ihre jeweilige Zugehörigkeit anhand der vorgegebenen Kriterien vor den deutschen und jüdischen Behörden glaubhaft zu machen. Dani Kranz und Hani Zubida setzen sich in ihrem Beitrag mit den Einbürgerungspraktiken Deutschlands und Israels im Hinblick auf ArbeitsmigrantInnen auseinander. In „Working Hand or Humans? Temporary Migrants in Israel and Germany: Between Acceptance and Rejection in the Social and Legal Spheres“ stellen sie heraus, dass beiden Ländern eine ethno-nationalistische Herangehensweise eigen ist, die der Einbürgerung dieser Gruppe enge Grenzen setzt. So sind ArbeitsmigrantInnen in Israel zwar von zentraler wirtschaftlicher Bedeutung, ein Daueraufenthaltsrecht bzw. eine Einbürgerung stehen allerdings gegenwärtig nur Personen jüdischen Glaubens offen. Deutschland hingegen wirbt seit jüngerer Zeit gezielt Fachkräfte aus dem (nicht-europäischen) Ausland an, mit der Aussicht erst auf ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht und schließlich Einbürgerung. Gleichwohl lässt sich, auch im Hinblick auf das Thema dieses Sammelbands, festhalten, dass ArbeitsmigrantInnen in beiden Ländern Exklusion von der jeweiligen ‚Mehrheitsgesellschaft‘ erfahren. Elizabeth Benedict Christensen untersucht in ihrem Beitrag „Inside Par­ ticipation, Outside Citizenship: What We Can Learn about Citizenship from Undocumented Youth“ Möglichkeiten und Grenzen gesellschaftlicher Teilhabe von Jugendlichen in den Vereinigen Staaten, die der 1,5. Einwanderungsgeneration zuzurechnen sind. Wie ihre Eltern verfügen diese über keinen

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offiziellen Aufenthaltsstatus bzw. sie haben nicht die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Gemäß der geltenden Rechtsprechung werden ihnen jedoch bis zum High School-Abschluss Teilhabemöglichkeiten vergleichbar mit denen gleichaltriger US-Jugendlicher eingeräumt. Anhand von Auszügen von Interviews mit undokumentierten Jugendlichen zeigt Elizabeth Benedict Christensen die Bedeutung gelebter Staatsbürgerschaft für die langfristige Zugehörigkeit und Teilhabe in der Gesellschaft des Ziellandes auf. Abschließend stellt Imogen Feld in ihrem Beitrag „Teilhabe versus Handlungsohnmacht. Die Bedeutung des Rechtsstatus für Schülerinnen im Übergangsalter“ die im Schulgesetz formulierten normativen Ansprüche zur Herausbildung der gesellschaftlichen Teilhabe den wahrgenommenen staatsbürgerlichen Rechten von jungen Frauen gegenüber. Der Aufsatz beinhaltet eine Einordnung des Konzeptes Staatsbürgerschaft sowie theoretische Überlegungen zu cultural citizenship; dabei geht es auch darum, wie letztere in Schulen verankert werden kann. Anhand von Fallbeispielen junger Frauen, die verschiedene Schultypen in Berlin besuchen, veranschaulicht Imogen Feld die Auswirkungen von Staatsbürgerschaft auf die Statussituation und zeigt Möglichkeiten der Partizipation auf.

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Sarah J. Grünendahl,  Absolventin der Regionalwissenschaften Nordamerika, ist Promovendin im Fach Politikwissenschaft an der Universität Siegen und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Düsseldorf. In ihrem Dissertationsprojekt beschäftigt sie sich mit den Migrations- und Integrationserfahrungen US-amerikanischer Kriegsverweigerer, die sich durch Flucht nach Kanada einem Militäreinsatz in Vietnam, Afghanistan bzw. Irak entzogen haben. Andreas Kewes ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Department Erziehungswissenschaften und Psychologie an der Universität Siegen. Er schloss sein Studium der Politikwissenschaft, Geografie, Neuere und Neuste Geschichte sowie Wirtschaftsgeschichte an den Universitäten Marburg und Ljubljana mit Diplom ab. Anschließend promovierte er mit einer soziologischen Arbeit am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt. Aktuell arbeitet er zu den Themen bürgerschaftliches Engagement, Fluchtmigration und soziale Bewegungen. Jasmin Mouissi  hat den Masterabschluss in Bildung und Soziale Arbeit an der Universität Siegen erworben. Gegenwärtig ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Forschung und Lehre im Seminar für Sozialwissenschaften an der Universität Siegen tätig. In ihrem Promotionsprojekt beschäftigt sie sich mit Rassismuserfahrungen von Schwarzen Kindern in Deutschland sowie den Handlungsstrategien der Erziehungsberechtigten in diesem ­Kontext. Emmanuel Ndahayo  hat sein Masterstudium und anschließend seine Promotion in Sozialwissenschaften an der Universität Siegen absolviert. In seinem Dissertationsprojekt hat er sich mit der Realisierung der Staatsbürgerschaft durch deutsche BürgerInnen mit afrikanischer Herkunft beschäftigt. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen. Im Rahmen seiner aktuellen Forschungstätigkeiten beschäftigt er sich – anhand des Global-citizenship-Ansatzes mit Blick auf globale soziale Rechte – mit Partizipationsmöglichkeiten abgelehnter Schutzsuchender.

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Carolin Nieswandt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt „Auf dem Weg zu einem europäischen Asylverwaltungsfeld?“, welches am Seminar für Sozialwissenschaften der Universität Siegen angebunden ist. Sie hat Sozialwissenschaften an der Universität Siegen und der Lancaster University studiert. Im Rahmen ihrer Promotion beschäftigt sie sich mit der Frage der Europäisierung von Asylverfahren und der Rolle staatlicher und nicht-staatlicher Akteure in diesem Prozess.

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Migration und Citizenship: Vom Geburtsprivileg zum Domizilprinzip Harald Bauder

Zusammenfassung

In einer transnationalen globalen Gesellschaft ist „citizenship“ ein zunehmend wichtiger Mechanismus der Inklusion und Exklusion. Jedoch wird in der internationalen wissenschaftlichen Literatur zu citizenship vorwiegend die Inklusion hervorgehoben, während in der politischen und alltäglichen Praxis „citizenship“ als ein zentraler Mechanismus der formalen und informellen Ausgrenzung benutzt wird. In diesem Sinne kann citizenship als eine Form von Kapital betrachtet werden, die der Logik der Unterscheidung und sozialen Reproduktion folgt. Dennoch besitzt citizenship auch in der Praxis das ­Potenzial ein Mechanismus der Inklusion für diejenigen MigrantInnen zu werden, die derzeit politisch ausgegrenzt sind. Aktivismus, zum Beispiel, fordert und praktiziert citizenship nach dem Domizilprinzip, das nicht Abstammung oder Geburtsort sondern Wohnort in den Vordergrund stellt. Citizenship nach dem Domizilprinzip ist in diesem Zusammenhang nicht nur eine nationale, sondern auch eine städtische Kategorie. Die entsprechende Rekonfiguration von citizenship ist jedoch ein langwieriger, mühevoller und hart umkämpfter politischer Prozess. Schlüsselwörter

Migration · Citizenship · Domizilprinzip · Geburtsprivileg · Urban citizenship

H. Bauder (*)  Department of Geography and Environmental Studies, Ryerson University, Toronto, Kanada E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. J. Grünendahl et al. (Hrsg.), Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion, Studien zur Migrations- und Integrationspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25534-3_2

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2.1 Einleitung Die globale Gesellschaft wird immer mobiler und transnationaler. Für diese Gesellschaft ist „citizenship“ ein zunehmend wichtiger Mechanismus der Inklusion und Exklusion. Die Verknüpfung von „citizenship“ mit internationaler Migration und transnationaler Mobilität hat im vergangenen Jahrzehnt viel wissenschaftliche Aufmerksamkeit erhalten (e.g. Ehrkamp und Leitner 2006; Ho 2011; Staeheli 2011). Citizenship wird jedoch vorwiegend immer noch primär als ein Mechanismus der Inklusion verstanden. Während die gesellschaftliche und politische Ausgrenzung und Illegalisierung von MigrantInnen ein wachsendes Thema in öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten ist (Aliverti 2012; De Giorgi 2010; Goldring und Landoldt 2010), wird der Begriff „citizenship“ als zentraler Mechanismus der Ausgrenzung oft vernachlässigt. Meine These ist, dass gegenwärtig citizenship vorwiegend ein Mechanismus der Exklusion ist. Jedoch besitzt citizenship das Potenzial, ein Mechanismus der Inklusion von Menschen, die gegenwärtig ausgegrenzt sind, zu werden. Diese Rekonfiguration von citizenship ist jedoch ein langwieriger, mühevoller und hart umkämpfter politischer Prozess. In diesem Kapitel benutze ich den englischen Begriff „citizenship“, denn dieser Begriff beinhaltet nicht nur formale Staatsbürgerschaft sondern auch informelle Praktiken der Zugehörigkeit und Identitätsbildung (Hess und Lebuhn 2014). Beide Dimensionen von citizenship bedingen sich gegenseitig. Entsprechend werde ich in diesem Beitrag beide Dimensionen von citizenship thematisieren. In der folgenden Diskussion entwickle ich zunächst eine Perspektive von citizenship als eine Form von Kapital. Diese Perspektive, die auf dem Werk des Soziologen Pierre Bourdieu aufbaut, wurde bereits ausführlich in der Migrationsforschung angewendet (Ong 1999; Bauder 2006b; Ryan et al. 2015). Diese Diskussion auf den Begriff citizenship auszuweiten, ermöglicht es mir, die Ausgrenzung von MigrantInnen durch citizenship nach dem Geburtsprinzip oder selektiver Einbürgerung der Logik der Unterscheidung und der sozialen Reproduktion unterzuordnen. Anschließend stelle ich das Domizilprinzip als eine Alternative vor, die mit dieser Logik bricht und vor allem das Problem der politischen Ausgrenzung von MigrantInnen, die bisher keinen Status oder einen prekären oder temporären Status erhalten haben, anspricht (Lenard und Straehle 2012; Nevins 2002; Piore 1979). Daraufhin erörtere ich, ob citizenship nicht als eine nationale, sondern eine städtische Kategorie gedacht werden sollte und inwiefern citizenship bereits als eine städtische Kategorie praktiziert wird. Das Kapitel endet mit Schlussbemerkungen.

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2.2 Citizenship als Kapital Citizenship kann als eine Form von Kapital im Sinne Pierre Bourdieus theorisiert werden, die das Prinzip der Unterscheidung und sozialen Reproduktion umsetzt (Bauder 2008). Gemäß dieser Perspektive ist die Kategorie citizenship das Resultat strategischen Handelns – nicht nur in Bezug auf die Bildung kollektiver Identitäten, das Ringen um Anerkennung und die Politik der Mitbestimmung (Walzer 1983; Van Steenbergen 1994; Isin und Turner 2002, 2007), sondern auch in Bezug auf die Verteilung von begrenzten Ressourcen und der Institutionalisierung von sozialen Unterschieden (Kratochwil 1994; Bader 1995; Turner 1997). Gemäß Bourdieu (1984, 1986; Bourdieu und Passeron 1977) beinhaltet der Begriff des Kapitals nicht nur monetäre Prozesse, sondern auch andere Mechanismen, die die bestehende soziale Ordnung reproduzieren. Diese Mechanismen wirken innerhalb der verschiedenen politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Felder und verknüpfen diese Felder. Entsprechend beschreibt Bourdieu verschiedene Formen von Kapital, einschließlich politisches, sprachliches, symbolisches und kulturelles Kapital. Individuen und vor allem soziale Gruppen mit den notwendigen „Kompetenzen“ können Ressourcen von einer Form von Kapital auf andere Formen umschichten. Soziales Kapital in Form von Netzwerken und Kontakten kann zum Beispiel Zugang zu gutbezahlter Arbeit gewähren und somit in ökonomisches Kapital umgewandelt werden. Privilegierte Gruppen können auch neue Formen von Kapital schaffen, um sich von anderen Gruppen abzugrenzen und für Andere den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen zu beschränken. Mit der Demokratisierung des Hochschulsystems, das sich somit nicht mehr als Unterscheidungsmechanismus eignete, hat zum Beispiel die französische Oberklasse den Konsum von Kunst und Kultur als Kapital aufgewertet. Diese Perspektive betont somit Praktiken des strategischen Handelns nicht nur zum Zwecke der Inklusion, sondern auch besonders der Exklusion. Die Attraktivität dieses Ansatzes für die Migrationsforschung liegt in der geografisch verorteten Weise, mit der Kapital eingesetzt und neu geschaffen ­ wird (Ong 1999; Bauder 2006b). Citizenship ist ein besonders geografischspezifischer Mechanismus, durch den Menschen aufgrund des Ortes ihrer Geburt, Herkunft und nationalen Zugehörigkeit innerhalb des nationalen Felds – d. h. der nationalen Gesellschaft in der bestimmtes Kapital Wert besitzt – unterschieden werden können. An dieser Stelle ist es wichtig anzuerkennen, dass die Kategorien „MigrantIn“ und „citizen“ sich zwar überschneiden, aber nicht unbedingt decken. Yasmine Soysal (1994) hat zum Beispiel gezeigt, dass MigrantInnen in Berlin postnationale citizenship-Rechte – d. h. Rechte, die unter normalen Umständen nationalen Staatsbürgern vorbehalten sind – erhalten können, die es

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ihnen auch ohne den Besitz der formalen deutschen Staatsbürgerschaft ermöglichen, am gesellschaftlichen und politischen Leben teilzuhaben. Dennoch bewirkt die Assoziierung von citizenship mit geografischem Territorium, dass ein großer Teil der Menschen, die eine nationale Territorialgrenze überschritten haben, unterschieden und ausgegrenzt werden können. Durch den fehlenden Zugang zu citizenship werden viele MigrantInnen zu legalen und kulturellen AußenseiterInnen. Formale und informelle Dimensionen von citizenship sollten voneinander unterschieden werden. Formale citizenship (Staatsbürgerschaft) ist eine legale Kategorie, die strategisch von einer Gesellschaft – oder deren politischer Elite – geschaffen und aufgewertet wird, um politische Mitgliedschaft zu definieren und zu begrenzen. Die Regeln, nach denen Personen StaatsbürgerInnen werden können, sind durch historische Zusammenhänge, politische Interessen und ökonomische Bedürfnisse bedingt. Jus soli und jus sanguinis sind zwei weitverbreitete Prinzipien, wonach Staatsbürgerschaft durch die Umstände der Geburt bestimmt wird: nach jus soli erhält ein Kind, das auf Staatsterritorium geboren wurde, die Staatsbürgerschaft; nach jus sanguinis wird die Staatbürgerschaft von Generation zu Generation weitergereicht, unabhängig davon, wo ein Kind geboren wurde. „Klassische“ Zuwanderungsländer, wie Kanada oder die Vereinigten Staaten von Amerika, bevorzugen jus soli. Dadurch werden künftige Generationen an den Staat gebunden. Aus politischen und historischen Gründen wurde in Deutschland seit dem Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 vorwiegend jus sanguinis angewendet; dadurch behielten auch ‚deutschstämmige Gemeinden‘ außerhalb des deutschen Staatsgebiets die nationale Bürgerschaft. Demgegenüber lebten Generationen von in Deutschland geborenen Nachkömmlingen ehemaliger ‚GastarbeiterInnen‘ ohne die deutsche Staatsbürgerschaft im Land (Bade und Oltmer 1999; Herbert 1990). Mit der Neufassung des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahre 2000 erhielten Kinder von AusländerInnen unter bestimmten Bedingungen die Staatszugehörigkeit nach jus soli. Allerdings konnte nach der „Optionspflicht“ die Staatsbürgerschaft auch wieder entzogen werden, was negative Konsequenzen besonders für nicht-EU Staatsangehörige haben konnte. Diese Optionspflicht wurde 2014 aufgrund öffentlicher Proteste in Teilen abgeschafft, was einerseits auf die strategische Veränderbarkeit von citizenship-Praktiken hindeutet. ­Andererseits praktizieren die meisten Länder weiterhin eine Kombination von jus soli und jus sanguinis, wodurch Staatsbürgerschaft an die Umstände der Geburt gebunden ist. Nicht nur Staaten benutzen Staatsbürgerschaft strategisch, um Personen einzubeziehen und auszugrenzen. Auch Individuen und Familien verwenden Staatsbürgerschaft zu Zwecken der Unterscheidung und Reproduktion. Zum Beispiel

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haben viele Familien Hong Kongs in den 1980iger Jahren versucht, in die USA und Kanada auszuwandern, um nach einigen Jahren die US-amerikanische und kanadische Staatbürgerschaft zu erhalten. Diese Form des Kapitals konnte wie­ derum in soziales Kapital (z. B. transnationale Netzwerke) und kulturelles Kapital (z. B. ein nordamerikanischer Schulabschluss und amerikanisch-klingendes ­Englisch) umgewandelt werden (Ong 1999; Ley 2010). Dabei sind die strategischen Ziele von Staat und BürgerInnen nicht unbedingt deckungsgleich. Zum Beispiel haben viele Flüchtlinge aus dem Libanon die kanadische Staatsbürgerschaft angenommen, weil diese Sicherheit und Mobilität gewährleistet, um in den Libanon zurückzukehren. Von der kanadischen „Aufnahmegesellschaft“ war so ein Gebrauch der Staatsbürgerschaft allerdings nicht vorgesehen. Entsprechend groß war der öffentliche Aufschrei, als 2006 15,000 kanadische Staatsbürger im Zuge der Invasion Israels aus Libanon auf Kosten der in Kanada wohnhaften Steuerzahler evakuiert werden mussten. Der Arbeitsmarkt veranschaulicht, wie sich citizenship als Mechanismus der Unterscheidung und Reproduktion auswirkt. Entgegen der Annahme, dass Humankapital den Arbeitsmarkt nach der Logik von Angebot und Nachfrage reguliert, wird der Arbeitsmarkt auch durch soziale, politische und kulturelle Mechanismen gesteuert. Besonders die Lage von MigrantInnen verdeutlicht, wie die Staaten des globalen Nordens den differenzierten Zugang zu citizenship manipulieren, um den Arbeitsmarkt zu regulieren (Bauder 2006b; Piore 1979). Staatsbürgerschaft ermöglicht es diesen Staaten, Menschen ökonomische und soziale Rechte zu gewähren oder zu entziehen, Schutz zu bieten oder zu verweigern, legalen Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen oder zu begrenzen und somit die entsprechende Arbeitskraft auf- oder abzuwerten (Attas 2000; Sharma 2001). Selbst MigrantInnen, die postnationale citizenship-Rechte besitzen (Soysal 1994), haben diese Rechte erst schrittweise und auf Bewährung bzw. aufgrund internationaler Menschenrechtskonventionen erhalten und können diese teilweise auch wieder verlieren. Am stärksten betroffen von der Entwertung der Arbeitskraft von Nicht-StaatsbürgerInnen sind illegalisierte MigrantInnen, die keinen formalen Zugang zum Arbeitsmarkt besitzen (Hannah 2015). Viele dieser ArbeiterInnen werden in den informellen Arbeitsmarkt gedrängt, wo sie nicht oder nur in sehr eingeschränkter Weise von staatlichen Arbeitsmarktstandards und -regeln geschützt werden, und wo niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten, unsichere Arbeitsbedingungen und Ausbeutung weit verbreitet sind. Zudem erhalten illegalisierte MigrantInnen in der Regel keinen oder nur sehr eingeschränkten Zugang zu sozialen Sicherungssystemen.

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Der Gebrauch von Staatsbürgerschaft als Mechanismus der Unterscheidung und Unterordnung wird auch besonders sichtbar im Zusammenhang mit dem Anwerben von ausländischen Arbeitskräften. Das kanadische „Temporary Foreign Workers Program“ ermöglicht es zum Beispiel ausgewählten AusländerInnen nach Kanada zu reisen, um Tätigkeiten zu verrichten, für die keine kanadischen Arbeitskräfte gefunden werden können. Typischerweise handelt es sich dabei um Arbeit, die unterbezahlt ist oder deren Arbeitsbedingungen kanadische StaatsbürgerInnen inakzeptabel finden. Den ausländischen Arbeitskräften wird oft verweigert den Arbeitgeber zu wechseln, was eine extreme Abhängigkeit vom Arbeitgeber erzeugt, die als „unfree labour“ bezeichnet werden kann (Basok 2002; Satzewich 1991; Sharma 2006). Die Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis auf wenige Jahre sorgt dafür, dass sich diese ausländischen Arbeitskräfte keine postnationalen Rechte aneignen. Ein dauerhafter Aufenthalt mit der Möglichkeit des Erwerbs der kanadischen Staatsbürgerschaft bleibt in vielen Fällen auβer Reichweite. Die informelle Dimension von citizenship bezieht sich auf die ‚kulturelle‘ Zugehörigkeit in der imaginären nationalen Gemeinschaft. Diese Dimension betrifft auch Personen, die die Staatsbürgerschaft formal besitzen (Yuval-Davis 2007). Auch diese Dimension von citizenship macht sich auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar, wo MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen oft ungleiche Chancen besitzen. Obwohl zum Beispiel in Berlin wohnhafte Personen türkischer Abstammung postnationale citizenship-Rechte erworben haben, sind sie weiterhin auf dem Berliner Arbeitsmarkt benachteiligt (Miller-Idris 2006). Die Konstruktion von kulturellen Unterschieden sowie die Vorstellung, dass viele Zuwanderer nicht zur nationalen Gemeinschaft gehören und deshalb auch keinen Anspruch auf gesellschaftliche Ressourcen haben, trägt dazu bei, Privilegien und Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt zu reproduzieren. Zum Beispiel kann ein ausländischer Akzent, ein „internationaler“ Bildungsabschluss oder „internationale“ Berufserfahrung, sowie ein nicht-europäischer Nachname zur Abwertung einer Arbeitskraft führen (Bauder 2006b). Die Sichtweise von citizenship als eine Form von Kapital setzt strategisches Handeln voraus und rückt politische, kulturelle und geografische Prozesse sowie die Logik der Unterscheidung und Reproduktion in den Vordergrund. Innerhalb eines nationalen Felds wird diese Form des Kapitals von Denjenigen, die Zugang dazu besitzen, ausgespielt, während für Andere diese Kapitalform unverfügbar bleibt. Durch die Verweigerung von formaler und informeller citizenship werden besonders MigrantInnenen gesellschaftlich, politisch und ökonomisch untergeordnet.

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Diese Sichtweise erscheint eher pessimistisch, da citizenship bestehende Machtstrukturen reproduziert. Um diesem Pessimismus entgegenzuwirken, möchte ich in den folgenden Abschnitten zeigen, wie meines Erachtens diese Prozesse der Unterscheidung und Reproduktion mit Blick auf citizenship ausgehebelt werden könnten.

2.3 Das Domizilprinzip Das Domizilprinzip bietet eine vielversprechende Möglichkeit, MigrantInnen legal in die politische Ordnung des nationalen Feldes einzubinden (Bauder 2014a). Diese Möglichkeit setzt den territorialen Nationalstaat und Staatsbürgerschaft als Mechanismus der formalen Zugehörigkeit zum Staat voraus. Es untergräbt somit nicht die bestehende „westfälische“ politische Ordnung, sondern rekonfiguriert, wie Menschen in territorialen Nationalstaaten Mitglieder werden (Bauder 2017). Das Domizilprinzip unterscheidet sich grundlegend von jus sanguinis und jus soli, welche die Umstände der Geburt für die Zuweisung der formalen ­Dimension von citizenship, d. h. Staatsbürgerschaft, betonen. Im Gegensatz dazu bezieht sich jus domicilii auf den Ort des Wohnsitzes. Demnach ist eine Person berechtigt die Staatsbürgerschaft des Landes zu erhalten, in dem sie wohnt, unabhängig von Abstammung oder dem Ort der Geburt (Hammar 1990; Gibney 2009). In der Vergangenheit wurde das Domizilprinzip angewendet, um MigrantInnen in das Staatswesen einzubinden. Im europäischen Feudalismus ermöglichte dieses Prinzip Menschen, die nicht in einem Herrschafts-Territorium geboren wurden, zum Beispiel, sie an dieses zu binden (Grawert 1973). Später, im Zuge der französischen Revolution, wurde das Domizilprinzip angewendet, um die Zugehörigkeit zur französischen Nation zu bestimmen (Bauböck 1994). Auch die geografisch fragmentierten Staaten und Städte des Heiligen Römischen Reichs realisierten das Domizilprinzip, um Personen, die innerhalb des Reichs wanderten, in die politische Gemeinschaft einzubeziehen (Grawert 1973, Green 2000). Erst das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 machte diese Praxis restriktiver (Fahrmeier 1997). In der Praxis einiger Länder werden jus sanguinis, jus soli und jus domicilii auch miteinander vermischt. In Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden, zum Beispiel, erhalten Kinder, die im Staatsgebiet geboren wurden, die Staatsbürgerschaft unter der Voraussetzung, dass ein Elternteil oder beide Eltern bestimmte Aufenthaltsbedingungen erfüllen. In diesem Fall gilt jus

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soli unter der Bedingung des Orts des Wohnsitzes der Eltern, d. h. Domizil und Abstammung sind beide relevant für den Erhalt der Staatsbürgerschaft. Heutzutage wird das Domizilprinzip benutzt, um zum Beispiel die Steuerpflicht von mobilen Personen zu ermitteln. Auch die Einbürgerung von MigrantInnen, die schon länger ihren Wohnsitz im Land haben, erfolgt i. d. R. nach dem Domizilprinzip (Hammar 1990). Ein Problem ist jedoch, dass MigrantInnen normalerweise kein Recht auf Einbürgerung besitzen, sondern dass Einbürgerung im Ermessen des Staates und/oder dessen RepräsentantInnen liegt (Castles und Davidson 2000, S. 86). Tatsächlich setzten viele Staaten die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen mit dem Ziel fest, Personen, die sich auf Staatsgebiet aufhalten, die Staatsbürgerschaft nach dem Domizilprinzip zu verweigern. Kanada, zum Beispiel, beschränkt die Dauer des Aufenthalts für sog. Temporary Foreign Workers, damit diese ausländischen Arbeitskräfte sich keine post-nationalen Rechte aneignen, die es ihnen erlauben würden in Kanada zu verweilen und schließlich die kanadische Staatsbürgerschaft zu erwerben (Basok 2002; Sharma 2006; Austin und Bauder 2012). Man könnte spekulieren, dass Kanada eine bedenkliche Lehre aus der Erfahrung des deutschen Gastarbeiterprogramms gezogen hat: durch die strenge Begrenzung der Aufenthaltsdauer verhindert es, dass MigrantInnen postnationale Rechte erwerben. Ausländische ArbeiterInnen, die trotzdem in Kanada bleiben, werden vom Staat illegalisiert und kriminalisiert und haben somit keinen Anspruch auf Sozialleistungen, medizinische Grundversorgung oder Aussicht auf Staatsbürgerschaft (Bauder 2014c). Auch in den USA und in Deutschland hängt der Anspruch auf Sozialhilfe und soziale Sicherheit und Wohlergehen vorwiegend vom Aufenthaltsstatus ab und nicht davon, ob eine Person innerhalb des Staatsgebiets wohnt (Faist 1995). Um wirksam alle Menschen einzubeziehen, die im Staatsgebiet wohnen, sollte das Domizilprinzip bedingungslos für alle BewohnerInnen gelten, unabhängig von vom Staat strategisch auferlegten Kriterien. Da alle Personen, die auf einem Staatsterritorium wohnhaft sind, auch der Rechtsprechung dieses Staates unterliegen, sollten ebenso alle Menschen gleiche Rechte, Sicherheit und Anerkennung genießen. Die Länge des Aufenthalts in einem Staatsterritorium ist deshalb, nach Linda Bosniaks (2010, S. 90) Einschätzung, für diese Verpflichtungen des Staates gegenüber seinen EinwohnerInnen „irrelevant“. Gemäß dieser Argumentationsweise sollten auch die Temporary Foreign Workers in Kanada Zugang zur ­Staatsbürgerschaft erhalten. Zur Logik des Domizilprinzips gehört, dass MigrantInnen nicht nur die formale Zugehörigkeit zu einem Staat erhalten in dem sie wohnen, sondern ­ auch, dass sie diese wieder verlieren, wenn sie nicht mehr im entsprechenden

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­taatsgebiet wohnhaft sind (Bauböck 1994; Kostakopoulou 2008). In dieser S Weise reagiert dieses Prinzip auf die internationale Mobilität der Bevölkerung. Dabei müssten soziale Sicherungssysteme, die i. d. R. auf nationaler Ebene organisiert sind, international abgestimmt werden. Aus politisch-liberaler Perspektive ist das Domizilprinzip der Staatsbürgerschaft äußerst attraktiv, da es das Geburtsprivileg ablehnt und das Recht auf die freie Wahl eines Nationalstaats anerkennt (Blank 2007; Gibney 2009). Es gilt auch gleichermaßen für ArbeitsmigrantInnen, internationale Eliten und Menschen die vor Krieg und Unterdrückung fliehen. Durch Gleichbehandlung erhielten alle auf einem Staatsterritorium wohnhaften Menschen die gleichen sozialen, ökonomischen und politischen Rechte. Somit würde es citizenship als einen Mechanismus, der Unterschiede erzeugt und soziale Hierarchien reproduziert, aushebeln. Jedoch werden privilegierte Gruppen, die gegenwärtig von citizenship als einem Mechanismus, der die bestehende soziale Ordnung reproduziert, profitieren, wohl kaum aufgrund politisch-liberaler Überzeugung auf ihre Privilegien verzichten. Die Verwirklichung des Domizilprinzips bedarf vielmehr politischer Auseinandersetzungen und Anstrengungen auf Seiten der MigrantInnen, die gegenwärtig durch citizenship ausgegrenzt werden. Solche Auseinandersetzungen und Anstrengungen können bei Protestbewegungen und im Aktivismus gegenwärtig beobachtet werden. Ein Beispiel sind die Massenproteste in den USA des Jahres 2006. Diese Proteste wurden durch einen Gesetzesvorschlag, der sog. Sensenbrenner Bill ­ (formell: „Border Protection, Anti-Terrorism and Illegal Immigration Control Act – HB4437“), ausgelöst. Nach diesem Gesetzesvorschlag wäre es ein Bundesverbrechen (felony) geworden, ein illegalisierter Migrant oder illegalisierte Migrantin zu sein oder illegalisierten MigrantInnen Hilfe – einschließlich humanitärer Hilfe – zu leisten. Protestversammlungen gab es in mehr als hundert Städten; in Chicago gingen bis zu 100.000 Menschen auf die Straße, in Los Angeles und Dallas waren es sogar nach Schätzungen bis zu 500.000 (Loyd und Burridge 2007; Pantoja et al. 2008). Viele dieser DemonstrantInnen waren selbst illegalisierte MigrantInnen. Als sie durch die Straßen zogen, schwenkten sie die nationalen Flaggen der USA und Mexico, sangen die amerikanische Nationalhymne und verkündeten, selbst AmerikanerInnen zu sein. Durch diese Mobilisierung nationaler S ­ ymbole werteten die DemonstrantInnen einerseits den Nationalstaat auf; ­ andererseits erklärten sie, dass illegalisierte MigrantInnen nach dem Domizilprinzip ein integraler Bestandteil dieses Nationalstaats sind und ein moralisches Recht ­ auf Einbürgerung besitzen (Bauder 2006a). Die Sensenbrenner Bill wurde

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gestoppt. Allerdings wurde das Domizilprinzip weiterhin nicht auf illegalisierte MigrantInnen, die in den USA leben, angewendet. Insofern waren die ­Proteste nur teilweise e­rfolgreich. Dennoch zeigten die Proteste, wie auch unterprivilegierte Gruppen das Domizilprinzip möglicherweise einfordern können.

2.4 Citizenship in der Stadt Anstatt citizenship nach dem Domizilprinzip ausschließlich auf die Maßstabsebene des Nationalstaats zu beziehen, kann dieses Prinzip auch auf die städtische Ebene angewendet werden. Die englischen Wörter citizenship und city haben denselben Ursprung, was darauf hindeutet, dass citizenship ursprünglich ein städtisches Konzept war. Eine ähnliche Affinität gibt es zwischen den deutschen Wörtern Bürger und Burg. Obwohl citizenship während der Entwicklung des modernen Nationalstaats immer mehr mit der nationalen Ebene verbunden wurde, gibt es auch eine erhebliche Literatur über „urban citizenship“, die sich auf die politische Situation von MigrantInnen in Städten bezieht (e.g. Bauböck 2003; Holston 1999; Isin 2000; Siemiatycki und Isin 1997; Varsanyi 2006). In der deutsch-sprachigen Literatur wurde dieses Thema zum Beispiel vor kurzem in der Zeitschrift sub\urban (2014) behandelt. Obwohl von Seiten der kritischen Stadtgeografie auch skeptische Töne gegenüber dem Begriff urban citizenship zu hören sind, liegt meines Erachtens die Nützlichkeit dieses Begriffs vor allem darin, dass er die Stadt als Maβstabsebene der Zugehörigkeit in den Vordergrund rückt. Insbesondere ist das Domizilprinzip bezüglich formaler und informeller Dimensionen von citizenship auf dieser Ebene höchst relevant. Auf verschiedenen politischen Maβstabsebenen verfolgt citizenship unterschiedliche Logiken. Auf globaler Ebene wird citizenship oft mit universellen Menschenrechten in Verbindung gebracht. Die nationale Ebene befolgt in der Regel das Prinzip der Geburt (jus soli, jus sanguinis). Auf lokaler Ebene gilt vor allem das Domizilprinzip (Blank 2007; Bauböck 2003). Letzteres wird deutlich, wenn StaatsbürgerInnen innerhalb der Landesgrenzen den Wohnort wechseln. In diesem Fall werden Neuankömmlinge als MitbürgerInnen anerkannt, sobald sie ihren Wohnort in einer neuen Gemeinde haben. Wenn es um die Zugehörigkeit von MigrantInnen geht, ist die nationale Ebene allerdings der lokalen Ebene übergeordnet. Das bedeutet, dass eine Person, die nicht die Staatsbürgerschaft des Nationalstaats besitzt, in der Regel auch nicht formal als ebenbürtiger Mitbürger von einer lokalen Verwaltung

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anerkannt werden kann. Dennoch gibt es Beispiele, die belegen, wie lokale Stadtverwaltungen sich dieser Norm widersetzen. In den USA akzeptieren zahlreiche Stadtverwaltungen die sog. matrículas consulares, die vom mexikanischen Staat für mexikanischen Staatsbürger im Ausland ausgestellt werden, oder Gas-, Wasser- und Stromrechnungen als Ausweisdokumente. Einige lokale Verwaltungen stellen sogar eigene Ausweisdokumente an ihre EinwohnerInnen aus. Durch diese Maßnahme können kommunale Dienstleistungen allen EinwohnerInnen angeboten werden, unabhängig von deren legalen Status auf nationaler Ebene. Auch kann die lokale Polizei das Vertrauen lokaler BewohnerInnen, die keinen vollen nationalen Status besitzen, gewinnen. Zum Beispiel können sich in einigen Städten der USA illegalisierte Personen an die lokale Polizeibehörde wenden, um Verbrechen anzuzeigen oder Zeugenaussagen zu leisten, ohne dass Informationen über fehlende Einwanderungspapiere gesammelt oder an die entsprechende Bundesbehörde weitergeleitet werden. Dieses Vertrauen ist wichtig, damit lokale Polizeieinheiten Verbrechen besser aufklären und vorbeugen und alle StadtbewohnerInnen vor Kriminalität schützen können. Im Gegenzug ermöglichen diese Maβnahmen illegalisierten MigrantInnen am Alltagsleben der Stadt teilzunehmen, ihre Kinder zur Schule zu schicken, an lokalen Programmen teilzunehmen und ein Verbrechen bei der Polizei anzuzeigen. Solche und ähnliche Maβnahmen werden üblicherweise unter der Rubrik „sanctuary city“ zusammengefasst. In der englischsprachigen Literatur hat dieses Phänomen bereits groβe Aufmerksamkeit erhalten. Bereits in den 1980iger Jahren verabschiedete San Francisco Verordnungen, durch die es weitgehend untersagt wurde, Mittel der Gemeinde zum Vollzug von Zuwanderungsgesetzen des Bundes einzusetzen, sowie Daten über den Aufenthaltsstatus von Bewohnern der Stadt zu erheben und an die Bundesbehörde weiterzuleiten (Manicina 2013; City and County of San Francisco 1989). Dutzende Städte sowie viele counties und einige Bundesstaaten erließen bis heute ähnliche Verordnungen. Obwohl sanctuary-city Verordnungen die Bundesbehörde nicht davon abhalten können, illegalisierte MigrantInnen innerhalb des Stadtgebiets zu verfolgen (Tramonte 2011) erschweren sie die Arbeit der Bundesbehörde erheblich. Zudem gewähren sanctuary cities illegalisierten MitbürgerInnen weitgehenden Zugang zu kommunalen Dienstleistungen. Sanctuary cities gibt es inzwischen auch in Kanada, wo im Jahre 2013 erstmals der Stadtrat Torontos eine entsprechende Verordnung beschloss. Ein ähnliches Phänomen existiert im Vereinigten Königreich, wo sog. „Cities of Sanctuary“ weit verbreitet sind (Darling und Squire 2013; Squire und Bagelmann 2012). Obwohl die Stadtverwaltungen dort weniger rechtlichen­

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Handlungsspielraum als in den USA und Kanada besitzen, fördern sie dennoch eine Willkommenskultur auf lokaler Ebene, die sich der Politik und den politischen Diskursen auf Bundesebene widersetzt. Mit der Ablehnung von ­ Statuskategorien als Kriterium der Zugehörigkeit und der Betonung von lokaler „Präsenz“ (Squire 2011, S. 290) setzen sanctuary-city Maßnahmen das Domizilprinzip auf städtischer Ebene um. Wieder stellt sich die Frage, wie nach dem Prinzip der Unterscheidung und der sozialen Reproduktion eine Eingliederung in die lokale Kommune nach dem Domizilprinzip erfolgen kann. Nach diesem Prinzip – wie die vorangehende Diskussion von citizenship als Kapital verdeutlichte – scheint schließlich die Ausgrenzung benachteiligter MitbürgerInnen im Eigeninteresse der privilegierten Bevölkerung zu sein. Die Erfahrung mit sanctuary cities in den USA und Kanada zeigt jedoch, dass solidarisches Verhalten sehr wohl den Kreislauf der Unterscheidung und sozialen Reproduktion unterbrechen kann – wenigstens in Bezug auf formaler citizenship als Ausgrenzungsmechanismus. In Toronto, zum Beispiel, haben illegalisierte MigrantInnen, AktivistInnen, zivilgesellschaftliche Organisationen sowie wahlberechtigte BürgerInnen und Stadträte gemeinsam bewirkt, dass der Stadtrat die entsprechenden Verordnungen erließ, die die Stadt zur sanctuary city machte (Bauder 2017). Ähnliche Solidarisierungsprozesse fanden in den anderen Städten statt, die sich zu sanctuary cities erklärt haben. Die Solidarität unter den verschiedenen Akteuren, die gemäß der Logik der Unterscheidung und sozialen Reproduktion an verschiedenen Polen des citizenship-Spektrums angesiedelt sind, deutet auf informelle Prozesse der Identitäts- und Subjektbildung hin (Nyers 2010). Durch solidarisches Auftreten und vereintes Streben nach Problemlösungen verändern diese Akteure wie „Menschen lokal miteinander interagieren und gestalten einen Wandel der Ideen bezüglich Gemeinschaft und Zugehörigkeit“ (McDonald 2012, S. 143). Sie streben eine Gemeinschaft an, die die nationalen Statuskategorien aufhebt, die Menschen in ‚MigrantInnen‘ und ‚Einheimische‘ oder AusländerInnen und StaatsbürgerInnen aufteilt. In Toronto können diese Prozesse gut beobachtet werden. Zum Beispiel erklären sich AktivistInnen der Organisation No One Is Illegal (Toronto) solidarisch mit den First Nations. Interessanterweise werden MigrantInnen und First Nations oft in der Öffentlichkeit und in der Presse als antagonistisch dargestellt in der Art und Weise, wie sie territoriale Zugehörigkeit beanspruchen: im nationalen Selbstverständnis der Siedlergesellschaft ist die Migration zentral verankert; ohne Migration würde es das heutige Kanada schlicht nicht geben. First Nations hingegen fordern angeblich (gemäß des dominanten rechtlich-politischen Diskurses)

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territoriale Zugehörigkeit aufgrund des Abstammungsprinzips (Bauder 2011, 2014b). Die Solidarität zwischen No One Is Illegal und den First Nations lehnt diese Trennung ab und betont die gemeinsamen Erfahrungen mit dem repressiven Siedlerstaat (Walia 2013).

2.5 Schlussbemerkungen In der vorausgehenden Diskussion habe ich citizenship zuerst als eine Form von Kapital theoretisiert und dann argumentiert, dass das Domizilprinzip die Logik der Unterscheidung und sozialen Reproduktion – sofern diese Logik durch citizenship wirkt – unter bestimmten Umständen aushebeln kann. Es gibt jedoch keinen Grund für übermäßigen Optimismus. Wie Bourdieus Werk zeigt: wenn eine Form des Kapitals seine Wirkung verliert, Unterschiede zu suggerieren und somit soziale Hierarchien zu reproduzieren, dann verschiebt sich der Prozess der gesellschaftlichen und politischen Ausgrenzung auf andere oder neue Formen des „Kapitals“. Mit der Demokratisierung des Bildungssystems in Frankreich vorschob sich zum Beispiel der Mechanismus der Unterscheidung von formaler Bildung zu „kulturellen“ Praktiken. Ähnlich verhält es sich mit citizenship. Wenn der Zugang zu citizenship allen Menschen, die in einem Staatsgebiet wohnen, ermöglicht wird, dann werden wohl andere Unterscheidungsmechanismen in den Vordergrund rücken. In Kanada, zum Beispiel, wo MigrantInnen besseren Zugang zu Staatsbürgerschaft als in Deutschland haben, treten andere Mechanismen der Unterscheidung – einschließlich verkörpertes und institutionalisiertes kulturelles Kapital – in Erscheinung (Bauder 2006). Citizenship ist folglich kein Allheilmittel für die Reduzierung sozialer Unterschiede und gegen politische Unterdrückung. Es ist höchstens ein Schritt in die richtige Richtung zu einer gerechteren Welt. Ein weiterer Schritt wäre citizenship von der Ebene des Nationalstaats zu lösen und wieder der lokalen Ebene zuzuordnen. Viele MigrantInnen werden gegenwärtig auf nationaler Ebene durch formale citizenship untergeordnet, ausgegrenzt und teilweise kriminalisiert. Das Alltagsleben spielt sich jedoch vorwiegend im lokalen Raum ab. Menschen gehen in ihrer Nachbarschaft einkaufen und ihren Freizeitaktivitäten nach, sie arbeiten in der Regel in der Region und schicken ihre Kinder auf die Schule nebenan. Auf dieser Ebene lernen Menschen sich kennen und solidarisieren sich. Zudem werden viele staatliche Aufgaben, zum Beispiel in den Bereichen Schule, Bildung, Arbeitsmarktzugang oder öffentliche Ordnung, bereits von den Kommunen übernommen. Entsprechend ist die lokale Ebene diejenige, wo citizenship am ehesten das Potenzial der formalen und informellen Inklusion verwirklichen kann.

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Harald Bauder ist Professor der Geografie und Direktor des Graduate Program in Immigration and Settlement Studies an der Ryerson University in Toronto, Kanada, wo er auch das Ryerson Centre for Immigration and Settlement gründete. Im Jahre 2015 erhielt er den Konrad-Adenauer Research Award von der Alexander von Humboldt Stiftung und der Royal Society of Canada. Während des Jahres 2019 ist er Senior Fellow am Freiburger Institute for Advanced Studies (FRIAS). Zu seinen wichtigsten Büchern zählen Migration Borders Freedom (Routledge. 2016), Immigration Dialectic: Imagining Community, Economy, and Nation (University of Toronto Press, 2011) und Labor Movement: How Migration Regulates Labor Markets (Oxford University Press, 2006).

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Ein Recht auf Stadt für die Vielen als Viele. The inclusive city Wolf-D. Bukow und Nina Berding

Zusammenfassung

Die Autoren setzen sich in ihrem Beitrag mit der Frage nach dem Recht auf Stadt in einer zunehmend diversen und mobilitätsgeprägten Gesellschaft auseinander. Dabei betrachten sie das Quartier als kleinste emergente Einheit der Stadtgesellschaft und als einen Ort in dem schon seit Jahrhunderten das Recht auf Stadt und damit die Frage – wer gehört dazu bzw. wer darf dazugehören – artikuliert und teils wie selbstverständlich ausgehandelt wird. Doch, so die Autoren, werden diese Prozesse der Aushandlung immer wieder durch ein gefestigtes Mobilitäts- und Diversitätsregime unterwandert, indem bestimmten Menschen oder konstruierten Gruppen mehr Recht auf Stadt zugesprochen wird als anderen. Doch gerade das Quartier, welches die Stadt zur Organisation eines erfolgreichen Alltagslebens bietet, stellt als ein Ort des Wohnens, Lebens, der Freizeit und ggf. der Arbeit und als ein Ort, der über eine spezifische intrinsische Basis verfügt, die allen zumindest ein Grundrecht auf Stadt einräumt, einen Möglichkeitsraum dar, welchen Jeder für sich rechtmäßig nutzen und das Recht auf Stadt immer wieder neu verhandelt werden kann. Schlüsselwörter

Urbaner Raum · Inklusion · Exklusion · Urban policy

W.-D. Bukow (*) · N. Berding  Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] N. Berding E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. J. Grünendahl et al. (Hrsg.), Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion, Studien zur Migrations- und Integrationspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25534-3_3

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3.1 Ein Recht auf Stadt? In dem Zukunftsalmanach 2017/20181, der sich vor allem der Zukunft der Stadt widmet, wird resümierend notiert: „Das Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit ist die stärkste Produktivkraft der Geschichte der Menschheit“ (Welzer 2016, S. 25). Diese Beobachtung enthält zwei wichtige Hinweise. Es gibt erstens ein zunehmendes Engagement für mehr Gerechtigkeit. Und es gibt zweitens ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, dass es sich bei dem Wunsch nach mehr Gerechtigkeit um etwas handelt, was einklagbar ist, was also im Prinzip realisiert werden könnte, aber noch nicht realisiert worden ist. Auch wenn es in der aktuellen Debatte über die Stadt letztlich darum geht, die urbane Situation generell zu verbessern, so werden doch meist ganz spezifische Probleme angesprochen bei denen die Stadt als konkrete gesellschaftliche Wirklichkeit verstanden wird. Etwa wenn über die lokale Arbeitssituation, über Alleinerziehende mit Kindern oder um Heranwachsende ohne eine ausreichende Qualifikation diskutiert wird. Oder etwa wenn die Wohnsituation angesprochen wird. Hier geht oft um die immer unerschwinglicher gewordenen Mieten in bestimmten Quartieren und oft auch um durch die Gentrifizierung verdrängten Menschen. Oder es wird für mehr Fairness im Umgang miteinander geworben, insbesondere wenn es um Minderheiten, Alteinwanderer, Newcomer und heute vor allem auch Flüchtlinge geht. Diese und andere Beispiele zeigen immer wieder, dass es tatsächlich darum geht, die Lebenssituation für alle Menschen, die in der Stadt leben, also das urbane Zusammenleben zu verbessern. Mit anderen Worten, die Stadt wird als ein realer Möglichkeitsraum (Döring und Thielmann 2009) für eine bessere Lebenssituation betrachtet. Es liegt nahe, auch danach zu fragen, was der Verwirklichung dieser Vorstellungen im Wege steht. Tatsächlich fühlen sich hier viele vor allem von den lokalen politischen Instanzen und von den Behörden vernachlässigt. Beklagt wird hier beispielsweise der Rückzug der Kommune aus öffentlichen Belangen, der Reduzierung der kommunalen Leistungen auf das Notwendigste oder auch die Privatisierung wichtiger kommunaler Aktivitäten. Der Blick richtet sich auf die hier verantwortlichen lokalen gesellschaftlichen Instanzen. Aber warum diese Instanzen hier so oft versagen, das ist für viele Menschen auf den ersten Blick

1FUTURZWEI

Zukunftsalmanach 2017/2018 – Geschichten vom guten Umgang mit der Welt – Themenschwerpunkt Stadt, herausgegeben von Harald Welzer, Dana Giesecke und Saskia Hebert Die Autoren stellen verschiedene kreative Formen von Urbanität und des Umgangs mit städtischen Lebensräumen in den Mittelpunkt.

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nicht erkennbar. Die dahinter wirksamen komplexen ökonomischen und politischen Zusammenhänge bleiben unsichtbar. Für den einzelnen ist die Situation letztlich undurchsichtig (Bukow 2007, S. 38 f.) Er vermag diese zunehmende „Undurchsichtigkeit des Alltags“ zwar zu identifizieren, aber nicht einzuschätzen und die dahinter wirksamen Zusammenhänge vom Neoliberalismus bis zur Globalisierung und den Effekten unterschiedlichster Lobbygruppen nicht zu erkennen. In dieser Situation liegt es nahe auf leicht greifbare und wohlvertraute ‚Sündenböcke‘ zurückzugreifen. Die sich in diesem Zusammenhang sofort anbietenden Deutungsmuster stammen in aller Regel aus dem Fundus nationalistischer Narrative, die für solche Fälle seit Jahrzehnten immer wieder „Ausländer“, „Fremde“ oder kulturelle bzw. religiöse Minderheiten ins Spiel bringen. Es ist eine Dynamik, der sich sogar Einwanderer, ja selbst Newcomer oft nicht entziehen können, obwohl sie ja eigentlich zu den ersten Opfern gehören. Mit solchen und anderen Sündenbockkonzeption werden in diesen Situationen die Probleme allerdings nicht nur nicht gelöst, sondern sogar noch weiter verschärft. Denn die Basis für das Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit ist ja die Vorstellung, Stadtgesellschaften wären im Prinzip sehr wohl in der Lage, das Zusammenleben zu verbessern. Sie seien eigentlich ein Möglichkeitsraum für mehr Gerechtigkeit. Sie seien im Grunde auch fähig, gerade mit den aktuellen Herausforderungen selbst unter den Bedingungen einer Weltrisikogesellschaft klar zu kommen. Eigentlich geht es hier darum, ein sehr altes, immer wieder aktualisiertes und heute längst global verbreitetes Urbanitätsversprechen einzuklagen. Nur wird ein solches Urbanitätsversprechen von jeder nationalistisch aufgeladenen Sündenbockkonzeption in seiner Substanz getroffen, ja geradezu ad absurdum geführt, weil es durch die Sündenbockkonzeption torpediert, was es eigentlich bewahren will: Den wenigsten ist klar, dass das von ihnen eingeklagte Urbanitätsversprechen letztlich aus der Grundidee der Stadtgesellschaften resultiert, nämlich ein Zusammenleben von „Vielen als Viele“ (Virno 2005) zu ermöglichen. Es war der einmalige Versuch, Menschen unter Berücksichtigung der anthropologischen Tatsache, dass jeder anders ist, nach formalen Regeln zusammen zu bringen. Die hier immer wieder eingeklagte Gerechtigkeit könnte man nach Rawls als eine „Gerechtigkeit in Fairness“ (Rawls und Vetter 2014, S. 162 ff.) bezeichnen. Allein dieser Befund reicht schon aus, sich mit den Bedingungen des urbanen Zusammenlebens noch einmal genauer zu befassen und um die adäquaten Adressaten für eine Verbesserung des Zusammenlebens genauer eingrenzen zu können. Dazu muss man aber erst einmal mehr über die Stadtgesellschaft als spezifisches gesellschaftliches Format, als ein „lebendes soziales System“ wissen und in den

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Mittelpunkt zu rücken. Das bedeutet, erst einmal (1.) einen kurzen Blick auf die Ursprünge der aktuellen Gerechtigkeitsdebatte zu werfen und sich dann (2.) von dort aus zumindest exemplarisch noch einmal genauer mit der urbanen Konstruktion von Wirklichkeit und dem hier beobachtbaren „Möglichkeitsspielraum“ zu befassen. Die nächsten Schritte sind damit vorgegeben, nämlich sich (3.) der „inneren Logik“ der Stadtgesellschaft zu vergewissern und sich (4.) abschließend zu vergegenwärtigen, was es bedeutet, wenn Stadtgesellschaften heute einem zunehmenden globalgesellschaftlichen und sozio-ökologischen Wandlungsdruck ausgeliefert sind. Das Ziel ist, die Debatte im Blick auf den urbanen Möglichkeitsraum noch einmal deutlicher als bisher zu fokussieren, die hier konstitutiven Hintergründe mit in den Blick zu nehmen und schließlich entsprechende ­Handlungsspielräume zu überlegen.

3.2 Zum Ausgangspunkt der Debatte Die Debatte um das Recht auf Stadt, Le droit à la ville, ist sehr eng mit Henri Lefebvre verknüpft, der das erste Mal 1968 von einem solchen Recht sprach. Er argumentierte dabei als Soziologe und diskutierte aus einer gesellschaftswissenschaftlichen Perspektive heraus die auch schon damals hoch aktuellen schwierigen Lebensbedingungen in den Städten. Es ging ihm nicht um eine formal rechtliche Problematik, sondern vor allem um die Forderung, dass alle mehr an dem urbanen Alltag, dem sozialen, kulturellen und ökonomischen Leben beteiligt werden müssen und dass niemand, weder Jugendliche noch Frauen, Minderheiten oder Benachteiligte und auch nicht die seit dem Ende des Algerienkrieges aufgenommenen Einwanderer an die Peripherie abgedrängt oder ganz ausgeschlossen werden dürfen (Lefebvre 1974, S. 42 ff.). Für ihn ging es also um eine im ursprünglichen Sinn gesellschaftspolitische Frage, eine angemessenere Gestaltung der Stadt als einem gesellschaftlichen Raum. Die Kritik von Henry Lefebvre zielte tatsächlich in eine zweifache Richtung. Es ging ihm einerseits um eine bessere Gestaltung des Stadtraumes2 als

2In diesem Beitrag wird ‚Raum‘ im Sinne Lefebvres (1974) und in Anknüpfung an darauf aufbauende Raumtheorien u. a. von Edward Soja (1989) und Martina Löw (2001) jenseits eines territorial-physikalischen Verständnisses als ein loses Gefüge, das durch menschliches Handeln erst zum Stadtraum wird, betrachtet. Dabei unterliegt die ­Gestaltbarkeit des Raumes immer auch bestimmten Machtstrukturen, die zur Reproduktion sozialer Ungleichheiten beitragen.

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einem gesellschaftlichen Raum und anderseits um Fehlentwicklungen innerhalb der städtischen Binnenstruktur und dem Umgang miteinander. Was die Entwicklung des Stadtraumes insgesamt betrifft, so bezog sich die Kritik auf den damals grade in Mode gekommenen Bau von Trabantenstädten (ville novelles). Sie wurden oft von Investoren errichtet und irgendwo draußen in der Nähe großer Industriebetriebe realisiert. Und sie waren von Beginn an nicht nur intern frei von irgendwelchen urbanitätsförderlichen Einrichtungen und Angeboten, sondern waren auch extern von ggf. in der Nähe befindlichen urbanen Zentren (soziale, kulturelle, ökonomische Infrastruktur) abgeschottet. Irgendwo an der Peripherie gelegen hatten sie von Anfang an keine Verbindung zu den Kernstädten, waren monofunktional ausgerichtet und ausschließlich dazu bestimmt, Zuwanderer, hier zunächst die Binnenmigration, dann aber auch den Zuzug aus den ehemaligen Kolonien und vor allem aus Algerien aufzunehmen und für die Bedürfnisse der Industrie dienstbar zu machen. Eine urbane Ausstattung dieser Trabantenstädte war niemals vorgesehen und ist im Übrigen auch bis heute – 50 Jahre später – unterblieben. Die Kritik bezog sich damals zwar erst einmal auf die städtische Binnenstruktur, war hier aber nicht nur städtebaulich, sondern eben vor allem wirtschafts-, sozial- und kulturpolitisch gemeint. Tatsächlich hatte sich ja in der Restaurationsperiode seit dem Kriegsende eine neue kapitalistisch ausgerichtete bürgerliche Elite entwickelt. Sie hat die Städte nach ihren Interessen umzubauen begonnen. Sie hat in den Kernstädten Banken- und Verwaltungszentren, weit draußen an den Peripherien die großen Industriegebiete und Einkaufszentren und dazwischen nach sozialen Schichten und nach Herkunft getrennte Wohngebiete errichtet. So hat das hegemoniale Bürgertum die Stadt nicht nur zu ihrem Eigentum erklärt und sie schrittweise in Besitz genommen, sondern zugleich auch die Bevölkerungsmehrheit beiseitegeschoben und ärmere Bevölkerungsgruppen und die Einwanderer oft in eher desolate Wohnungen oder sogar brüchige Quartiere und Barackenstädte, später auch riesige Wohnblöcke abgedrängt. Man kann an diesen kritischen Überlegungen sehr schnell erkennen, dass es Lefebvre nicht nur darum ging, eine Entwicklung zu kritisieren, die über die Köpfe der Menschen hinwegging, sondern es ihm auch daran gelegen war, das Potenzial, das eine Stadtgesellschaft bietet, als urbane Möglichkeitsräume wieder ins Blickfeld zu rücken und dafür gesellschaftspolitisch zu mobilisieren. Schon deshalb argumentierte er gezielt gegen jene rein technokratisch-kapitalistisch vorangetriebene Stadtentwicklung – gegen eine Vorgehensweise, bei der die überkommene Urbanität schrittweise zerstört wird und niemand mehr daran interessiert scheint, die Bedürfnisse der Stadtbevölkerung zu respektieren. Und er macht deutlich, dass diese technokratische Entwicklung zentripetal ausgerichtet ist und sie

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im Grunde mit dem kapitalistischen Prinzip der Kapitalakkumulation unmittelbar korrespondierte. Diese mit der Kapitalorientierung korrespondierende Zentrumsausrichtung steht für ihn in einem krassen Widerspruch zu dem poly- bzw. multizentrischen Potenzial der überlieferten europäischen Stadt, einer Stadt für alle. Es ist kein Zufall, wenn diese Überlegungen immer wieder zitiert werden, weil Henry Lefebvre damals eine Tendenz kritisierte, die sich seitdem extrem verstärkt und völlig verselbstständigt hat. Und tatsächlich markiert er damit bereits gewissermaßen unsere heutige Problematik. Wir haben es allerdings nicht mehr mit einer einerseits raumgreifenden, anderseits noch relativ eindeutigen und offenkundigen technokratischen Entwicklung zu tun, sondern mit einer sehr flexiblen, dafür aber immer nachhaltigeren nicht nur städtebaulichen, sondern auch sozio-kulturellen Zerlegung des urbanen Raums. Es mag immer noch möglich sein, die von Lefebvre beschriebenen Probleme in den europäischen Trabantenstädten (Preissing 2016) bis heute sehr klar zu identifizieren. Aber was die Binnenentwicklung angeht, so bedarf es schon einer sehr viel differenzierteren Analyse als zuvor, obwohl auch hier schon von Henry Lefebvre die Probleme sehr gut identifiziert wurden. Was aber bis heute noch am wenigsten überzeugt, ist die bei Henry Lefebvre dominierende Vorstellung, Lösungen lägen unmittelbar auf der Hand, auch wenn er nicht mehr auf das Proletariat, sondern direkt auf die Stadtbevölkerung setzt und ihr hier quasi ein Menschenecht, ein „Recht auf Stadt“ zuspricht (Aust 2017, S. 327). Es zeigt sich jedoch immer wieder, dass gerade hier bislang nur die ersten Schritte getan wurden. Das liegt weniger an der hier aktiven Zivilgesellschaft und auch nicht an den hier engagierten wissenschaftlichen Expertinnen und Experten als vielmehr an dem einleitend schon erwähnten Phänomen, dass das urbane Zusammenleben aus der Alltagsperspektive heraus zunächst einmal undurchsichtig ist und es deshalb nicht einfach ist, neue Erkenntnisse in öffentliche Diskurse zu implementieren und von hier aus zu mobilisieren. Zudem muss auch diskutiert werden, inwieweit man heute in den dominierenden ökonomischen, politischen und kulturellen Debatten überhaupt an solchen Überlegungen interessiert ist, oder – schon aus Gründen des Machterhalts – lieber weiter populistische Diskurse, zumal nationalistische Narrative mit entsprechenden Südenbockvorstellungen bedient. Lefebvres Analyse bleibt hier aus heutiger Sicht unterkomplex, sie setzt auch sehr kurzsichtig auf eine für alle unmittelbar erkennbare Evidenz der Probleme und auf deren direkte Lösbarkeit. Tatsächlich ermöglichen Unrechterfahrungen zwar unmittelbare Erkenntnisse aber sie vermitteln noch lange keine Lösungen. Sie können zu symbolischen Aktionen motivieren, dazu anregen, öffentlich Zeichen zu setzen, aber die Bevölkerung bleibt darauf angewiesen, dass diejenigen, die das Sagen haben, die die lokale Politik bestimmen, dazu lernen, sich umzuorientieren. Die Gefahr besteht, dass da bei solchen Aktionen unbeabsichtigt der „Bock zum Gärtner“ gemacht wird.

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3.3 Die Stadt als Möglichkeitsspielraum Für die weitere Debatte soll noch einmal von dem Hinweis ausgegangen werden, den, wie angesprochen, bereits Henry Lefebvre gegeben hat und der von Döring weiter verfolgt wurde (Döring und Thielmann 2009). Beide beschreiben nämlich die Stadt nicht nur empirisch, sondern fassen sie zugleich theoretisch-konzeptionell als einen „Möglichkeitsraum“. Diese doppelte Perspektive eröffnet den Weg zu einer ungewöhnlich dichten Beschreibung der Stadt, indem sie als gesellschaftliche Konstruktion ernst genommen wird. Sie zielt darauf ab, zu identifizieren, was den urbanen Alltag im Kern ausmacht. Spannend wird dies vor allem dann, wenn die reale Situation problematisch erscheint und man sich benachteiligt, ungerecht behandelt fühlt und eine zunehmende Spannung zwischen dem entsteht, was man sich unter Urbanität erhofft und dem, was der Ort konkret ermöglicht. Was das impliziert und vor allem welche Kontroversen in der Einschätzung eines konkreten urbanen Raumes dabei entstehen, das soll im folgenden Beispiel knapp skizziert werden, auch weil damit bereits viel von der Logik des Urbanen deutlich wird. Die Frage nach dem Recht auf Stadt tritt tatsächlich spätestens dann zutage, wenn sich die Vorstellungen über Urbanität und die reale Situation in den Quartieren zu weit voneinander entfernen. Dann geht es alsbald um Verarmung, Chancenungleichheit, Diskriminierung, Marginalisierung und den Ausschluss bestimmter Gruppen von öffentlichen Orten, um Vorgänge, die zwangsläufig zu Konflikten in der Gesellschaft führen. Sehr schnell kommen dann strukturelle Verwerfungen wie Mietsteigerungen, mangelnde Wohnraumversorgung und fehlender Zugang zu Bildung und Gesundheit in den Blick. Und noch brisanter wird es, wenn der öffentliche Raum selbst bedroht erscheint. Stadtteil Düsseldorf-Oberbilk – ein Beispiel Der Stadtteil Düsseldorf-Oberbilk ist ein Beispiel dafür, wie aktuell um das Recht auf Stadt verhandelt wird und wie der öffentliche Raum des Quartiers zu einer Arena für den Kampf um Zugehörigkeit wird.3 Der Stadtteil hat in den letzten Jahrzehnten einen Strukturwandel

3Als

empirische Basis der hier genannten Beispiele dient die von Nina Berding ethnografisch angelegte Quartiersstudie zum urbanen Zusammenleben im Stadtteil Düsseldorf-Oberbilk. Über einen Zeitraum von 16 Monaten (2015–2016) hat Nina Berding Beobachtungen im öffentlichen Raum, Teilnehmende Beobachtungen und leitfadengestützte Interviews mit Bewohner*innen des Stadtteils sowie Expert*innen durchgeführt, siehe dazu: Berding, Nina (2018a): Der urbane Raum Lessingplatz in Düsseldorf-Oberbilk. Städtischen Alltag arrangieren: Eine ethnografische Studie über ganz alltägliche Konflikte im Umgang mit urbaner Vielfalt. Noch unveröffentlichte Dissertation.

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durchgemacht. Mit der Entindustrialisierung ab den 70er Jahren verschwanden langsam alle großen Industriebetriebe und der Stadtteil wurde zunehmend attraktiv für die unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten. So haben sich mit dem Fortzug der Schwerindustrie auch zunehmend einkommensstärkere Bevölkerungsschichten im Stadtteil angesiedelt. Die Nähe zum Bahnhof und die damit einhergehende optimale Infrastruktur, die Innenstadtlage, die schöne Bausubstanz sowie die Nähe zur Lunge der Stadt, dem Volksgarten, sind Faktoren, die den Stadtteil vor allem auch für Newcomer besonders attraktiv machen. In Immobilienkreisen zählt Oberbilk zu den „aufstrebenden Lagen“ der Stadt Düsseldorf, in dem Gentrifizierungsprozesse zwar stattfinden, jedoch noch sehr „gemächlich“ verlaufen (vgl. Beul-Ramacher 2018). Aktuell wohnen in Oberbilk also Alteingesessene, Zugezogene, Arbeitslose, Arme, Studenten, Menschen mit den unterschiedlichsten Lebensstilen und aus den unterschiedlichsten Milieus. Schon bei einem Streifzug durch den Stadtteil wird das sichtbar: Man kommt an alteingesessenen Betrieben, Restaurants, Casinos, Cafés, Seniorenheimen, Shishabars, Sexshops und Bäckereien verschiedenster Nationen vorbei. Oberbilk ist auf allen Ebenen ein Ort der Diversität. Im Bericht der Stadt Düsseldorf zur sozialräumlichen Gliederung des Stadtteils wird Oberbilk als ein „dicht bebautes, traditionelles Industriearbeiterquartier“ beschrieben. Im Sozialraum ‚Bahndamm‘ ist der „Ausländerteil der höchste im ganzen Stadtgebiet“ (Sozialräumliche Gliederung Fortschreibung 2011, S. 60). Unter „Besonderheiten“ wird erwähnt: „Der Wohnbereich ist durch die Nähe zum Rotlichtmilieu am Hauptbahnhof geprägt. Es handelt sich um einen Sozialraum mit hohem sozialem Handlungsbedarf“ (ebd.). Der hier erwähnte „hohe Handlungsbedarf“ signalisiert, wie der öffentliche Raum zur Arena wird, um die Zugehörigkeitsfrage „zu klären“. Dazu wird an entsprechend aktuelle Ereignisse in Oberbilk angeknüpft. Im Zusammenhang mit den sich ereigneten Übergriffen auf Frauen rund um dem Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht 2015/2016 taucht der Stadtteil immer wieder unter der Bezeichnung „Klein Marokko“ oder „Maghreb Viertel“ als Wohnort „nordafrikanischer Straftäter“ in der Presse auf. Es folgte eine verschärfte und polarisierende Berichterstattung über den schlechten Ruf und das nicht funktionierende Zusammenleben in dem durch Heterogenität geprägten Stadtteil. Die einen schwärmen von Oberbilk als buntem Flickenteppich mit den unterschiedlichsten Milieus, die anderen beschreiben Oberbilk gerade aufgrund dieser verschiedenen soziokulturellen Milieus und seiner erhöhten Migrationsprägung als Problemquartier mit erheblichen Defiziten (Berding 2018a, b).

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Ein zentraler Topos dieses Diskurses um die Situation im Stadtteil ist die Inszenierung von Bedrohungsszenarien in Verknüpfung mit einer v­ermeintlich homogenen Gruppe, den sogenannten „Nordafrikanern“. Etikettiert als „Gefährder“ der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, werden sie dafür verantwortlich gemacht, dass Straßenzüge und öffentliche Plätze als gefühlte Angsträume nicht mehr als sichere Orte zugänglich sind. Unter diesem Vorzeichen der mangelnden Sicherheit im öffentlichen Raum werden Fremd- und Feindbilder inszeniert, die sowohl eine Diskriminierung der Newcomer als auch der etablierten postmigrantischen Bevölkerung mit sich bringen. Die als ‚Gefährder‘ konstruierten Gruppen oder Einzelpersonen werden dann für Missstände im Quartier verantwortlich gemacht und mit dem insgesamt als defizitär bezeichneten Lebensstil im Quartier in Verbindung gebracht. Die durch solche Prozesse sich manifestierenden sozialen und ethnischen Differenzlinien werden schließlich handlungsweisend, indem die durch kultur- und milieuspezifische Strukturen begründete defizitäre Ausgangslage, die Grundlage kommunaler Handlungsstrategien im Quartier darstellt: Zunächst gerät der Stadtteil aufgrund der Durchschlagskraft der jüngsten Ereignisse in Oberbilk auf die Tagesordnung der lokalen Politik. Anschließend wird versucht mit einem vielfältigen Veranstaltungsangebot in den darauffolgenden Frühlings- und Sommermonaten (u. a. Dialogveranstaltungen für Bürger*innen mit lokalpolitischen Akteuren zum Thema Sicherheit und Kontrolle in Oberbilk sowie Straßenfesten, die ein nachbarschaftliches Miteinander fördern und zivilgesellschaftliche Vereine und Akteure in Oberbilk zusammenbringen sollen) dem Stadtteil einen neuen Namen zu geben. Dabei wird die Forderung auf das „Recht auf Stadt“ entweder von Funktionsträgern selbst, sprich den lokalpolitischen Akteuren, von Initiativen und Vereinen oder Personen gestellt, die das nötige soziale, kulturelle und ökonomische Kapital zur Verfügung haben und damit auch mehr Gestaltungsmacht in der Durchsetzung ihrer Interessen. Die Lokalpolitik postuliert eine soziale Transformation des Stadtgebietes, um dem negativen Bild eines von Mangel geprägten Stadtteils entgegenzuwirken und erreicht mit symbolischen Aufwertungsprozessen eine positive Berichterstattung über das Engagement der lokalen politischen Akteure im Stadtteil (vgl. OB Dialog). Dabei fordert und fördert sie aktiv (u. a. ehrenamtliche) Bürgerbeteiligung und Partizipation, wenn es um die Aufwertung, Aneignung und Gestaltung des Stadtteils geht. Der Druck auf Randgruppen, wie etwa auf die Trinkercommunity oder die Jugendlichen, die sich oftmals im öffentlichen Raum aufhalten und diesen ihren lokalen Routinen entsprechend nutzen, wird dadurch größer, bis sie sich

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gezwungen fühlen, ihren etablierten Ort zu verlassen. Die Vorstellung vom sozialen, öffentlichen Leben der Randgruppen im Stadtteil, wird dann durch den Wunsch nach einer bürgerlichen Nutzung des Platzes, einer „Nachbarschaft mit Cafébesuchern und Aktivitäten, wie Lesungen etc.“ (Bilp Initiative RP 2015) kontrastiert. Bleibt die Frage, wie dann diejenigen Quartiersbewohner*innen, die ohnehin schon im Abseits stehen, aber einen beträchtlichen Teil der Quartiersbewohnerschaft ausmachen, bei den Praktiken im Kampf um das Recht auf Stadt überhaupt noch mithalten können. Das Recht auf Stadt und damit ein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe und Mitbestimmung können die Ausgegrenzten und ohnehin schon ins Abseits manövrierten schon gar nicht mehr artikulieren, weil ihnen die Chancen auf Beteiligung und das Recht auf zivilgesellschaftliche Aktivitäten – von Partizipation ganz zu schweigen – von vornherein verwehrt sind. Zu Fremden erklärt, läuft bereits jede Bemühung nach Teilhabe ins Leere und das funktionierende urbane Alltagsleben in dem durch Diversität gekennzeichneten Quartier wird durch die immer manifester werdende Ausgrenzung von bestimmten Gruppen systematisch abgewertet. Das zeigt, wie schwer es sowohl der Politik als auch der Öffentlichkeit noch fällt, die „Vielen als Viele“ in der Stadtgesellschaft anzuerkennen und eine bunte, vielfältige und gemischte Gesellschaft als zentrale und bestimmende Konstituente von Gesellschaft und einem vielfältigen und damit lebendigen urbanen Alltagsleben zu begreifen (Berding 2018a). Düsseldorf-Oberbilk ist nur ein Beispiel dafür, wie schwer es ist, das Recht auf Stadt durchzusetzen, wenn es besonders wichtig wäre. An vielen anderen Beispielen (Bukow et al. 2013) kann man das Gleiche beobachten. Immer geht es darum, die Bevölkerung als Stadtbevölkerung ernst zu nehmen und ihre Inklusion zu ermöglichen, ohne die ein erfolgreiches Zusammenleben nicht möglich ist. Und immer wieder kann man beobachten, wie die Kommunen hier vor jeder Inklusion erst einmal den öffentlichen Raum dazu nutzen, durch ein gezieltes Diversitätsregime, welches mobilitäts- und vielfaltsfeindlich reagiert, den Kampf für die Wohletablierten, Vermögenden und Alteingesessenen zu entscheiden (Berding und Bukow 2017). All dies hat sehr viel damit zu tun, wie in einer Stadtgesellschaft mit den Möglichkeiten, die so ein Gesellschaftsformat bietet, umgegangen wird.

3.4 Zur inneren Logik der Stadtgesellschaft An dem Beispiel wurde schon deutlich, dass es erstens darum geht, in die formale Struktur des Quartiers eingebunden zu werden, Arbeit zu haben, über eine Wohnung zu verfügen, ein Freizeitangebot zu haben usw. und dass es

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zweitens darum geht, seine individuellen Vorstellungen im Kreis der Familie, von Freunden oder in der Community leben zu können. Und schließlich geht es drittens darum, sich in einer lokalen Öffentlichkeit nicht nur auszutauschen, sondern auch Erwartungen an die Gesellschaft insgesamt formulieren zu können und damit auch seine Interessen kundzutun. Damit werden bereits die drei Säulen sichtbar, die sich im Verlauf der Geschichte der Stadt herausgebildet haben – und die im Kern in jeder Stadtgesellschaft bzw. heute, wo Städte oft schon zu fast uferlosen politischen Konstruktionen angewachsen sind, in jedem Quartier als kleinste emergente Einheit von Stadtgesellschaft erwartet werden.

Schematisch lässt sich das sehr stark vereinfacht wie folgt plastisch machen. Um dieses spezielle Gesellschaftsformat, die Stadtgesellschaft, etwas plastischer zu machen und ihr Alleinstellungsmerkmal zu markieren, soll sie von anderen Gesellschaftsformaten noch etwas deutlicher abgegrenzt werden. Denn in vielen Gesellschaften gibt es zwischen den im Verlauf des Alltags praktizierten sozialen Situationen keine substanziellen Differenzen. Es sind Gesellschaften, in denen die Anzahl der Mitglieder häufig deutlich begrenzt ist, die möglichen Handlungsvarianten auf wenige gewohnheitsmäßig eingespielte Rahmen beschränkt bleiben und der Zusammenhalt durch Verwandtschaftssysteme und ggf. darauf aufbauende Machtstrukturen gesichert wird: eine relativ verbindliche Tradition und eine relativ stabil gehaltene Raumkonstruktion.

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In einer Stadtgesellschaft sieht es dagegen ganz anders aus. Hier geht es von Beginn an darum, Spielraum für unterschiedliche, jeweils spezifische und damit produktive Formen von Arbeitstätigkeit bzw. Interaktion durch ­ Arbeitsteilung und situatives Handeln zu ermöglichen (Säule I). Auf diese Weise wird erstmals ein komplexes Zusammenleben unter „Vielen als Viele“ Wirklichkeit (Bukow und Cudak 2016, S. 10 ff.). Die entscheidende Erfindung, das ­Alleinstellungsmerkmal dieses Gesellschaftsformats, war dabei eigentlich nicht die Arbeitsteilung, die es ja auch in anderen gesellschaftlichen Formaten gibt, sondern deren spezifische gesellschaftliche Einbettung. Die Arbeitsteilung wird hier innerhalb bürokratisch geordneter Systeme situiert. Das heißt, dass soziales Handeln innerhalb einer einzelnen Situation mit anderem sozialen Handeln innerhalb anderer sozialer Situationen koordiniert wird, sodass das einzelne Handeln gemäß entsprechender formaler Ordnungsprinzipien im Rahmen jeweils eines eigenständigen Raum- und Zeitkontextes (Goldenstein und Walgenbach 2016, S. 149 ff.) realisiert werden kann. Das bedeutet auch, dass diese Gesellschaft, dem Einzelnen seine Unterschiedlichkeit zugestehend, diese Unterschiedlichkeit für ein strategisch koordiniertes Handeln, d. h. an einem gemeinsamen Ziel orientiert und einem gemeinsamen Nutzen zugeordnet einzusetzen vermag. Zu dieser Erfindung, die Goffman in Zusammenhang mit Spielanalysen immer wieder dargestellt hat (Goffman 1973), gehört auch die Ausgliederung verwandtschaftsbasierter Zusammenhänge und individueller Eigenschaften (Säule II). Sie werden zur „inneren Umwelt“ systemisch organisierten Handelns erklärt. Früher wurden sie hinter Mauern verbannt. John Rawls spricht heute vom „Schleier des Nicht Wissens“ (Rawls und Vetter 2014, S. 160 f.). Das Zusammenleben basiert in einer Stadtgesellschaft bzw. im Stadtquartier eben nicht mehr auf einem synchron für alle geltenden lebensweltspezifischen Habitus, sondern auf einer der gesellschaftlichen Produktivität geschuldeten thematisch begrenzten situationsspezifischen Synchronisierung. Und das gelingt nur durch einen institutionell bzw. systemisch gerahmten raum- und zeitspezifischen, also situativ parzellierten Habitus, der freilich dann durch entsprechende Machtstrukturen bzw. eine entsprechende Herrschaft (Weber 2013, S. 575 ff.), heute durch einen öffentlichen Diskurs und die Zivilgesellschaft gesichert werden muss (Säule III). Das rundet die Erfindung dieses Formats gewissermaßen ab. Mit der Stadtgesellschaft entstehen denn auch alsbald bürokratisch geordnete, politisch gesteuerte Systeme, die das jeweils relevante Handeln entsprechend situativ rahmen und alles andere jeweils ausklammern, da es nicht k­ onstitutiv

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ist, bzw. es die individuelle Lebenswelt oder das individuelle Milieu betrifft. So ermöglichen Stadtgesellschaften erstmals das Zusammenleben von Vielen, indem sie einerseits nebeneinander unterschiedliche räumliche wie zeitliche Referenzen gestatten, und sie anderseits durch Ausbildung, Erziehung und Wissen produktionsorientiertes, neues raum-zeitlich verdichtetes gezielt situiertes Handeln institutionalisieren. Und all dies wird schließlich im Verlauf der Zeit durch besondere Ordnungen fundierte Machtsysteme festgeschrieben. Heute, wo – wie gesagt – Städte oft schon zu fast uferlosen politischen Konstruktionen angewachsen sind, tritt das urbane Quartier als kleinste, emergente Einheit von Stadtgesellschaft an die Stelle eines konturenlos werdenden Stadtraumes und wird damit zum „authentischen“ Adressaten für ein Recht auf Stadt. Im Quartier lässt sich das Recht auf Stadt, so wie es schon Lefebvre meinte, noch am einfachsten und geradezu sinnlich als Menschenrecht einklagen, wenn es als Fußabdruck globalgesellschaftlicher Wirklichkeit ernst genommen wird.

3.5 Das Quartier im globalgesellschaftlichen Wandel Nach den bisherigen Überlegungen ist das Quartier heute der Ort, wo das Recht auf Stadt angemeldet werden kann. Das Quartier ist längst zu so etwas wie einem funktionalen Äquivalent der überkommenen konturlos werdenden Stadtgesellschaft avanciert. Dies ist aber auch unabdingbar, weil für den Einzelnen/ die Einzelne eine kleinräumige, face to face konstruierte Verankerung angesichts der zunehmenden Mobilität, Diversität und der immer deutlicher werdenden Wachstumsgrenzen nicht nur besonders wichtig, sondern auch unglaublich attraktiv erscheint. Wer von Urbanität und dem Recht auf Stadt spricht, der meint das Stadtquartier, meint eine überschaubare, übersichtliche, erlebbare und lebbare und damit wohlumgrenzte lokale Stadtgesellschaft, geprägt von Vielfalt und Nutzungsmischung. Historisch betrachtet ist es so, dass die Stadt aus den Erwartungen gegenüber einer Stadtgesellschaft gewissermaßen „herausgewachsen“ ist. Urbanität ist nunmehr Quartierurbanität und das Quartier ist der Raum, an dem sich Mobilität und Diversität nicht nur neu verankern, sondern wo es sich auch alltagsökonomisch, optimaler Weise sogar fußläufig leben lässt. In diesem Sinn wird die Urbanität zu einer Leitdifferenz der Stadtgesellschaft in ihrer kleinsten Einheit, dem Quartier. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Recht auf Stadt, im Raum des Quartiers noch einmal eine neue Akzentuierung.

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3.5.1 Das urbane Quartier als neuer Möglichkeitsraum für ein Recht auf Inklusion Die neue Akzentuierung gilt hier zunächst einmal ganz besonders für die formalen Systeme, die dazu dienen die oben angeführten ‚needs‘4, wie Arbeiten, Wohnen, Bildung, Infrastruktur, Kultur, Religion usw., alle und gleichzeitig zu ermöglichen. Und tatsächlich ist das genau das, was gewachsene Stadtquartiere vor der Durchsetzung des Individualverkehrs lange ausgezeichnet hat und was nach wie vor gefragt ist. Oft ist dies allerdings das Gegenteil von dem, was die Stadtentwicklung mehr und mehr bestimmt (Fratzscher 2016). Heute sind Quartiere zunehmend funktional entmischt und innerhalb der funktional entmischten Quartiere dominieren noch dazu spezielle Tätigkeiten, die jeweils nur ganz bestimmten needs – und das auch nur unter bestimmten Voraussetzungen – Rechnung tragen. Und auch innerhalb dieser funktional entmischten Quartiere wird oft noch weiter entmischt, sodass Wohngebiete unterschiedlicher Milieus entstehen und Gewerbegebiete neben Industriegebieten platziert werden. Gleichwohl wird zunehmend erkannt, dass ein urbanes Quartier anders aussehen könnte. In einer Konzeptskizze des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst an der TU Dortmund vom Januar 2017 heißt es unter dem Titel Stadtquartier 2020: Das gemischte Stadtquartier und die gemischte Stadt sind heute nicht nur aktuelle Leitbilder des Städtebaus, sondern gehören auch zu dessen nachhaltigsten und anpassungsfähigsten Produkten. Dies betrifft die Anpassungsfähigkeit an veränderte gesellschaftliche, ökologische, kulturelle, aber auch an ökonomische Rahmenbedingungen sowie die Wandlungsfähigkeit im Hinblick auf Krisen. Obwohl dies in der Fachwelt prinzipiell kaum strittig ist, stehen der Umsetzung in konkreten Projekten (von der Parzelle bis zum Quartier) oftmals gravierende Hindernisse und fehlendes Wissen im Weg. So werden Struktur und Gestalt der Quartiere oft hinter funktionalen Aspekten wie der wirtschaftlichen Rentabilität, den Belangen des Verkehrs, oder hinter die einseitige Betrachtung energetischer Fragen zurückgestellt.

Zweifellos ist mit dieser entschiedenen Fokussierung auf das Quartier und hier seine Urbanität und mit dem Verweis auf dessen Anpassungs- und

4In

der kanadischen Debatte um das Zusammenleben in den Städten wird der Blick besonders auf die alltäglichen Bedürfnisse der Bewohner*innen der Stadt in ihrer lokalen Situation gerichtet. In kanadischen Stadtentwicklungsprozessen werden „Education“, „Employment“, „Housing“, „Health“ und „Culture“ als Grundbedürfnisse, „needs“ aller Stadtbewohner*innen definiert (vgl. Smith 2011).

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­ ukunftsfähigkeit ein großer Schritt in die richtige Richtung getan. Allerdings Z wäre es wichtig, die Bedeutung dieses Konzeptes für das urbane Zusammenleben unter den Bedingungen zunehmender Mobilität und Diversität stärker zu betonen. Das ist wichtig, weil damit deutlich wird, dass es hier letztlich nicht um ein technisches Anliegen von Experten geht, sondern um ein gesellschaftliches Anliegen der hier betroffenen Bevölkerung. Der Möglichkeitsraum, den dieses Konzept für ein urbanes Zusammenleben heute und damit gleichzeitig für eine nachhaltige und zukunftsorientierte Stadtentwicklung bietet, ist ein wichtiges Argument. Aber es ist nicht das einzige und auch nicht das entscheidende Argument. Es ist allenfalls hilfreich gegenüber einer urban policy, die sich bis heute gerne an Lobbyinteressen, wirtschaftlicher Rentabilität und dem outsourcing von Verantwortung orientiert. Entscheidend ist die urbane, die gesellschaftliche Qualität dieses Konzeptes. Es geht um ein funktional nutzungsgemischtes und ein sozio-kulturell diverses Zusammenleben in einem überschaubaren, also quartiertypischen, aber längst glokal geprägten und systemisch wohldurchdachten Raum – einem Raum, der durch entsprechende Systeme und Institutionen neu gerahmt werden muss. Es geht darum, den urbanen Alltag als einen Fußabdruck einer in einem überschaubaren, übersichtlichen Raum geordneten globalisierten gesellschaftlichen Wirklichkeit tatsächlich ernst zu nehmen und daraus für die Stadtentwicklung zu lernen. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist hier, dass man heute als Alteingesessener genauso wie als Newcomer oder Flüchtling darauf hofft, just in time mit seinen Rechten als einer von Vielen, mithin ohne Ansehen der Person – welcher sozialen, sexuellen, religiösen, politischen oder kulturellen Provenienz auch immer – in den Quartierraum mit Blick auf Arbeit, Wohnen, Bildung usw. vor allem systemisch voll inkludiert zu werden. Das Quartier wird aus dieser Perspektive heraus der entscheidende Adressat, weil nur das Stadtquartier den für jede individuelle Reproduktion unabdingbaren Raum bietet. Das ist es, worauf die Erwartungen der Bevölkerung gegenüber ihrer Stadt genauso wie die Vorstellungen der in die Stadt strebenden Bevölkerung von außerhalb abheben. Genau diese Quartierurbanität wird mehr und mehr zu einer Chiffre für etwas, was letzten Endes ein erfolgreiches und damit auch überschaubares Zusammenleben ermöglichen soll. Tatsächlich ist das Quartier als ein Fußabdruck einer globalgesellschaftlichen Wirklichkeit ein glokaler Raum, etwas, was nicht nur vorweg vorgestellt, sondern auch ohne lokale Vorkenntnisse angestrebt und nach Möglichkeit auch gelebt werden will. Das Quartier ist schon lange nichts mehr, in das man sich im Verlauf der Zeit und oft über Generationen einfügt. Das Quartier ist weniger eine überkommene Wirklichkeit als vielmehr ein hic et nunc erforderlicher glokaler

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Möglichkeitsraum. Der damit implizierte Rechtsanspruch – spatial justice (Soja 2010) – zielt zwar auf den konkreten Quartierraum (vgl. die Einleitung oben), basiert also nicht auf einem über Generationen erworbenen Rechtsanspruch oder einem qua Stadtbürgerrechte oder ggf. qua Geburt zugestandenen Anspruch, sondern auf einem glokal definierten Recht, beansprucht ein Menschenrecht zu sein. Das korrespondiert damit, dass das Quartier nur eine kleinste „emergente“ Einheit eines urbanen Gesellschaftsformats ist und damit ein unabdingbarer, ein entscheidender und vor allem auch ein zukunftsorientierter Möglichkeitsraum in einer glokal etablierten Stadtgesellschaft.

3.5.2 Das urbane Quartier als individuelle Referenz in einer glokalisierten Stadtgesellschaft In den letzten Überlegungen wurde schon deutlich, dass sich die Erwartungen vor dem Hintergrund fortschreitender Glokalisierung auf eine neue Übersichtlichkeit des Alltagslebens und auf kurze Wege richten, weil so am einfachsten und unkompliziertesten effektives Arbeiten, Wohnen, eine einfache Nutzung der kulturellen Einrichtungen und der notwendigen Infrastruktur möglich wird. Aber es geht auch um das daraus resultierende individuelle Arrangement. Das Stadtquartier wird damit zu einer individuellen Referenz in einer glokalisierten Stadtgesellschaft. Es geht hier erstens um einen übersichtlichen Raum – also einen Raum, in dem man sich auskennt und der deshalb zur Verankerung eines inklusiven, nachhaltigen und aktiv sinnhaft sozialen Alltagshandelns existenziell notwendig ist. Das Quartier ist zugleich der Ort, der die notwendige Übersichtlichkeit, Vertrautheit, den gebotenen kommunikativen Austausch und einen durch praktische Vernunft gesicherten Alltagsablauf bietet und damit ein wohlwollend distanziertes Zusammenleben ermöglicht. Je dichter, gemischter und vernetzter das Quartier ist, umso mehr Kompetenzen können entwickelt und gemeinsam eingesetzt werden, um informell geeignete Wege zu suchen, sich einzubringen und resiliente lokal verankerte Kulturen zu entwickeln. Im Quartier müssen dann allerdings die für ein inklusives und nachhaltiges Zusammenleben nötigen Erfordernisse (Dichte, Mischung, Inklusion) immer wieder neu identifiziert, gesichert und ggf. nach urbanisiert werden. Die Erwartungen richten sich aber zweitens auch darauf, dass durch die neue Quartierorientierung und die lokale Bindung im Sinn eines Nebeneffektes zugleich etwas zur Bewältigung der globalen Risiken beigetragen werden kann. Es geht eben immer auch darum, durch ein solches Quartierleben etwas zur Reduzierung der steigenden Umweltbelastungen durch den bis heute massiv

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v­ erstärkten Individual- und Güterverkehr, der immer noch vermehrten Lärm- und Schadstoffbelastungen, der zunehmenden Risiken durch den Klimawandel beizutragen. Für die Stadtentwicklung wird Nachhaltigkeit mehr und mehr zu einem entscheidenden Thema. Die ökologischen Herausforderungen werden nicht im Quartier bewältigt, aber die Bindung an das Quartier kann dazu beitragen, dass diese Herausforderungen, was das eigene Alltagsleben betrifft, entschieden reduziert werden. Und das gelingt umso besser, je dichter und gemischter das Quartier nach innen aufgestellt und nach außen virtuell vernetzt ist. Das Quartier als Möglichkeitsraum in einer glokalisierten Stadtgesellschaft ist mehr als eine zukunftsorientierte Utopie. Es ist in vielen Quartieren urbane Wirklichkeit. Man kann solche Quartiere quasi als Labor für ein glokales urbanes Zusammenleben betrachten. Oft sind das schon immer marginalisierte, von der urban policy vernachlässigte, in der lokalen Öffentlichkeit als soziale Brennpunkte skandalisierte und heute von Einwanderern genutzte und von der politischen Öffentlichkeit zu kulturellen Brennpunkten stilisierte Quartiere. Aus unterdessen zahlreichen Untersuchungen wird deutlich, welche Aspekte hier besonders wichtig sind. Sie illustrieren, welche Voraussetzungen dafür entscheidend sind, damit das Quartier tatsächlich die gehegten Erwartungen erfüllen kann und Urbanität zu einer erfolgreichen Leitdifferenz für das Quartier im Sinn eines lebenden Systems wird, das in dieser Weise in nuce Stadtgesellschaft darstellt. Es sind vor allem zwei Bedingungen, die gegeben sein müssen, um erfolgreiches Zusammenleben zu ermöglichen: ein wirklich gleiches Recht für alle und eine wirkungsvolle glokale Bindung. Dazu noch einige Hinweise: a) Oben wurde schon auf die Überlegungen zu einem Recht auf Stadt hingewiesen. Sie haben heute angesichts der zunehmenden Mobilität und Diversität eine fundamentale Bedeutung gerade auch für das urbane Quartier. Entscheidend ist hier aber, dass die Stadtbevölkerung und tatsächlich die gesamte Bevölkerung unter Einschluss der Newcomer nicht ein Recht, sondern das gleiche Recht auf die Realisierung ihre Bedürfnisse (wie oben angesprochen Arbeiten, Wohnen, Bildung usw.) hat. Diese Forderung dient dabei nicht nur der Verbesserung der Lebensbedingungen des Einzelnen, sondern ganz entschieden der Gerechtigkeit und der Fairness und zielt darauf ab, dass alle ohne Ansehen der Person, besonders auch der sozialen Schicht und Herkunft im Quartier grundsätzlich gleichermaßen eine Wohnung und eine Arbeit finden können. Und sie zielt anderseits darauf ab, dass auf diese Weise verhindert wird, dass einzelne Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausgespielt werden können. Konflikte zwischen unterschiedlichen sozialen und herkunftsverschiedenen Milieus, zwischen Alteingesessenen, etablierten Einwanderern

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und Newcomern lassen sich nur so vermeiden. Das Recht auf Stadt zielt hier ausdrücklich auf einen gleichberechtigten Zugang zu den lokalen Systemen, insbesondere dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Und genau das ist eigentlich ein Punkt, an dem sich das Stadtquartier aufgrund der face to face Gegebenheiten noch am ehesten gegenüber staatlicher Einschränkungen und gegenüber rassistischen und antiislamistischen Stimmungen durchsetzen kann. b) Damit verknüpft ist eine Verstärkung der Bindung an das Quartier – aber an das Quartier in einem globalen Kontext, also eine glokale Bindung. Hier geht es um eine Bindung der Vielen als Viele in ihrem Kontext, also um eine glokale Verankerung in einer gleichzeitig lokalen wie globalen Welt. Und diese Bindung ist nicht mehr – wie im Rahmen der Integrationsmodelle – durch eine gewissermaßen nachholende Sozialisation mit dem Ziel der Bindung an einen Raum zu erreichen und auch nicht durch eine vollständige Übernahme der überkommenen lokalen Gegebenheiten und damit dem Unsichtbarmachen von individueller Verschiedenheit. Es geht hier um die Bindung an die eigene Wir Gruppe, das Milieu und/oder die Community und damit zugleich um die Bindung an eine analoge globale Milieu- und Community-Wirklichkeit. Damit entsteht so etwas wie eine bilokale oder elliptische Bindung – eine Bindung an zwei Brennpunkten innerhalb eines elliptischen Milieu, Community oder Wir Gruppenfeldes. Es entsteht eine glokale Bindung fixiert auf zwei Brennpunkte zwischen vereinfacht formuliert einem globalen Milieu und einem lokalen Milieu. Diese komplexe Bindung nimmt nicht nur ihren Ausgangspunkt innerhalb des Quartierraums, sondern bedarf dieser Quartierbindung geradezu existenziell – und dies gerade auch für Minderheiten und Newcomer und speziell auch für Flüchtlinge. Sie, bedürfen ganz besonders dieser gesellschaftlichen Platzierung, obwohl sie gerade ihnen immer wieder vorenthalten wird. Ein solche Bindung hat dennoch nichts mit „Verwurzelung“ im überkommenen Sinn zu tun, sondern stellt eine räumliche glokale Bindung dar, die darauf basiert, dass es im Quartier einen milieuaffinen Standort gibt, der über soziale Netze usw. mit weiteren Standorten korrespondiert. Dies wird oft nicht ganz präzise als transnationaler Raum beschrieben (Faist et al. 2014, S. 54 ff.), ist aber tatsächlich ein bi- oder polyfokales Netzwerk, das seinen Ausgangspunkt im hic et nunc des Quartiers nimmt. Primär betrifft das entsprechend dem drei Säulenmodell der Stadtgesellschaft und dem privaten Lebenszusammenhang, in dem man seine soziale Identität entwickelt. Verstärkt werden dürfte diese Bindung jedoch indirekt auch im Rahmen des Arbeits- und Bildungssystems, das ja in der Regel auch glokal agiert und damit analog, wenn auch nur quasi in einem Nebeneffekt zur glokalen Bindung beiträgt.

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3.5.3 Von der konkreten Betroffenheit zu einem glokalen Bewusstsein und zu einem neuen Engagement im zivilgesellschaftlichen Zusammenleben Wenn Urbanität zur Quartierurbanität wird, dann impliziert das, dass das Quartier tatsächlich alles ermöglichen muss, was die Stadtgesellschaft insgesamt betrifft, eben auch und gerade das Entstehen eines glokalen Bewusstseins bzw. glokalen Wissens, einer von dort her geprägten Öffentlichkeit und einer daraus resultierenden urbanen Zivilgesellschaft. In vielen Studien wurde immer wieder konstatiert, dass die Menschen in dichten und gemischten Quartieren, selbst wenn sie erst wenige Jahre dort leben, sich mit dem Quartieralltag wie selbstverständlich identifizieren und ihn als Referenzrahmen für die eigene Alltagsorientierung verwenden, ohne die lokalen Probleme und Verwerfungen schön zu reden. Es ist die wie selbstverständlich und routiniert gelebte Quartierpraxis, die ein Grundwissen über die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit am Fall des Quartiers entwickelt. Was man als sozialisatorische Interaktion bezeichnen könnte, vermittelt tatsächlich so etwas wie eine quartierverankerte Weltsicht, ein Prozess, der heute weltweit konstatiert wird und schon zu Beginn dieses Jahrhunderts als worlding bezeichnet wurde. Allerdings ging es zunächst nur um eine lokale Weltsicht, die sich gewissermaßen unterhalb der hegemonialen, oft postkolonialen Diskurse in den benachteiligten Quartieren entwickelte. Heute geht es darum, die daraus resultierenden Impulse im urbanen Kontext z. B. für Stadtentwicklung ernst zu nehmen. Entsprechend notiert dies Laura Wenz (Wenz 2015, S. 98 f.): „Für ihn (Wenz zitiert hier A. Simone 2001, S. 11) bezeichnet worlding vor allem einen jederzeit vergänglichen Zustand – ein ‚being in the world‘ -, welcher lediglich durch ein instabiles Netz aus persönlichen Beziehungen und prekären Praktiken erhalten wird und sich so jeglichen ‚großen Erzählungen‘ widersetzt. Diese Perspektive informiert auch Simones stärker idiosynkratrisch und auf einzelne subalterne Protagonist_innen gerichtete dichte Beschreibungen, welche daher fast zwangsläufig sein worlding als einen ‚von unten‘ kommenden Prozess rahmen… Insgesamt liegt die Stärke von worlding als einem heuristischen Konzept in der dezidierten Zurückweisung singulärer und linearer urbaner Transformationslogiken zugunsten einer stärker prozessorientierten, relationalen und vor allem multiskalaren Stadtentwicklung und -forschung“.

Ein wichtiger Aspekt ist hier die reflexive Bewältigung der alltäglichen Routine und deren Überdenken im Blick auf größere Zusammenhänge (Roy und Ong 2011). Dies lässt sich in vielen Quartieren beobachten. Während Roy und Ong das vor allem an den neuen global cities herausarbeiten, haben wir selbst das auch an hiesigen Stadtteilen beobachtet (Bukow et al. 2013)“.

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Eigentlich wäre es nur logisch, wenn ein solches Bemühen auch in eine aktive Beteiligung an der lokalen Öffentlichkeit und in eine Beteiligung an der urban policy und an der Zivilgesellschaft insgesamt übergehen würde. So postuliert es Herbert Schubert und erwartet die Entwicklung lokaler Governancestrukturen, die das bislang verbreitete paternalistische public management (Schubert 2015, S. 121 f.) allmählich ablösen sollten. In der Regel ist genau das jedoch nicht der Fall, was wiederum damit zusammenhängt, wie die Quartiere, in denen sich diese Weltsicht entwickelt, wertgeschätzt werden. Der Weg von der konkreten Betroffenheit bis zum Engagement im zivilgesellschaftlichen Zusammenleben ist kompliziert und belegt, dass die gegenwärtige Segmentierung der Städte indirekt immer auch die Verteilung der urbanen Macht wiederspiegelt, weil die Segmentierung ja nicht nur funktional, sondern vor allem auch sozial weit fortgeschritten ist. Ein auf Betroffenheit basierendes worlding wird im benachteiligten Quartier schnell zu einem Politikum und provoziert die Machtfrage. Mit der Neuformatierung der Stadtgesellschaft rückt das Quartier noch einmal ganz besonders ins Blickfeld, weil es zum Ausgangspunkt glokalen Wissens und Deutens wird, ohne dass dabei die überkommenen räumlichen und zeitlichen Hintergründe noch bedeutsam sind. Was die räumliche Dimension betrifft, so wird die konkrete räumliche, hic et nunc entwickelte und glokal eingeordnete Quartiererfahrung sehr schnell zur Beute einer zuweisenden Deutungsmacht, die darüber entscheidet, ob sie nun das Quartier zu einem besseren Quartier oder ob sie es zu einem sogenannten kulturellen Brennpunkt erklärt. Letztlich wirkt beides nicht nur einschränkend, sondern sogar verzerrend. Und was die zeitliche Dimension betrifft, so gerät auch die zeitliche, konkret hic et nunc entwickelte und glokal eingeordnete Quartiererfahrung erneut unter Druck, einerseits durch die der Globalisierung geschuldeten Neuformatierung der Stadtgesellschaft, in der heute die sozialen, virtuellen Netzwerke quasi zeitfrei agieren, anderseits aber auch erneut durch die einseitige Diskreditierung eines Quartiers als kultureller Brennpunkt. Im einen Fall wird die Einwanderung skandalisiert und die mit der Stadt seit je verbundenen Kompetenzen werden im Umgang mit Mobilität und Diversität aus dem Bewusstsein verdrängt. Stattdessen wird ethnisiert. Die Folge davon ist, dass die einen ihre migrantischen Wurzeln wieder entdecken und die anderen in polemischer Absicht eine völkische Basis postulieren. Die zunehmende Distanzierung bzw. die Trennung von Raum und Zeit zugunsten einer virtuellen Interpretation der urbanen Wirklichkeit macht es noch leichter, das Quartier zur Beute bzw. zum Opfer von Ethnisierungsprozessen

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und damit zum Gegenstand von Rassismen zu machen (Herrmann 2011). Der postmigrantische Alltag nimmt damit erheblich Schaden – ein Schaden, der durch die Intensivierung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten nicht so einfach zu kompensieren ist, weil sich damit ja die von der urban policy definierte Einschätzung der Quartiere nicht ändert. Doch genau das kann wiederum zum Auslöser werden, noch einmal über das Quartier nachzudenken und sich von dort aus innerhalb der Zivilgesellschaft für eine inklusive und nachhaltige Stadtentwicklung einzusetzen. Insofern ist der Paradigmenwechsel auch eine Chance, die Dinge neu zu reflektieren.

3.6 Ausblick Das Ziel war hier, die Debatte über das Recht auf Stadt im Blick auf das, was in einer globalisierten Stadtgesellschaft ermöglicht wird, noch einmal zu überdenken und entsprechend den aktuellen Herausforderungen neu zu fokussieren. Es kommt hier nicht nur darauf an, sich noch einmal über die „Eigenlogik“ der Stadt (Berking 2013) als spezielles Gesellschaftsformat zu vergewissern, sondern auch der Globalisierung der Stadtgesellschaft Rechnung zu tragen und den Blick auf das urbane Quartier als der kleinsten, emergenten Einheit von Stadtgesellschaft zu lenken. Die glokale Situation, das Quartier als Fußabdruck einer globalisierten Wirklichkeit wird damit zu dem Möglichkeitsraum, an dem das Recht auf Stadt festgemacht werden muss. Dann wird deutlich, dass es bei dem Recht auf Stadt letztlich um die Forderung nach der Inklusion der Vielen als Viele geht, durchbuchstabiert am urbanen, d. h. dichten und gemischten, am kleinräumig nutzbaren und alltagstauglichen Quartier. Es ist eine Forderung, die nicht nur der zunehmenden Mobilität, Diversität und den wachsenden ökologischen Herausforderungen gerecht wird, sondern auch zu der überkommenen Logik urbanen Zusammenlebens, also dem sozialen Format Stadtgesellschaft passt. Damit werden die Konflikte um eine faire und gerechte Stadtentwicklung nicht geringer, aber sie werden gewissermaßen neu gerahmt und erhalten ein existenzielle Bedeutung. Die Konflikte lassen sich dann noch weniger auf Newcomer oder soziale Minderheiten abwälzen, weil deutlich wird, dass viele der angeblichen Konfliktursachen zu den substanziellen Bestandteilen von Stadtgesellschaften gehören, zu deren Bearbeitung ja gerade die dritte Säule, die Öffentlichkeit und hier insbesondere die ­Zivilgesellschaft etabliert wurde.

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Wolf-D. Bukow studierte Ev. Theologie, Soziologie, Psychologie und Ethnologie in Bochum und Heidelberg. Er ist Gründer der Forschungsstelle für Interkulturelle Studien (FiSt) sowie des center for diversity studies (cedis) an der Universität zu Köln. Seit 2011 ist er Inhaber einer Senior-Forschungsprofessur am Forschungskolleg der Universität Siegen (FoKoS) mit den Schwerpunkten Mobilität, Diversität und Regionalentwicklung. Seine letzten Publikationen im VS-Verlag sind Die kompakte Stadt der Zukunft (2017) und Inclusive City (2015). Nina Berding absolvierte das Studium der Germanistik, Romanistik und Soziokulturellen Studien an der WWU-Münster, Universidad de La Rioja in Logroño und an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Bis zum Frühjahr 2018 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungskolleg der Universität Siegen (FoKoS) im Forschungsschwerpunkt Mobilität und Diversität. Im November 2018 hat sie ihre Dissertation unter dem Titel „Der urbane Raum Lessingplatz in Düsseldorf-Oberbilk. Städtischen Alltag arrangieren: Eine ethnografische Studie über ganz alltägliche Konflikte im Umgang mit urbaner Vielfalt“ im Fachbereich Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln erfolgreich verteidigt.

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Staatsbürgerschaft und Ideologie. Auf dem Weg zu einer gesellschaftstheoretisch reflektierten politischen Theorie von politischer Mitgliedschaft und ihren Grenzen Floris Biskamp

Zusammenfassung

Im Zentrum der modernen politischen Theorie steht die Frage nach der Legitimität der Institutionen politischer Gemeinwesen, die sowohl räumlich als auch in Bezug auf die politische Mitgliedschaft als begrenzt gedacht werden. Die damit direkt verbundene Frage nach der Legitimität eben dieser Grenzen und ihrer Durchsetzung wird dagegen nur selten als Problem ernst genommen und ausführlich diskutiert. Seyla Benhabibs deliberativ-demokratietheoretische Reflexionen der Aushandlung von politischer Zugehörigkeit stellen einen vielversprechenden Ansatz zu einer politischen Theorie politischer Grenzen und Mitgliedschaft dar. Die Pointe ihrer Überlegungen besteht darin, dass die Grenzen und das Ausmaß ihrer Durchlässigkeit nicht durch die politische Theorie selbst legitimiert werden können, sondern nur durch reale politischen Auseinandersetzungen, an denen teilzuhaben auch die betroffenen Nichtbürgerinnen berechtigt sein müssen. Jedoch zeigen Benhabibs eigene Fallstudien, dass solche Aushandlungen dazu führen können, dass politische Ausschlüsse aufrechterhalten oder gar verstärkt, aber nicht aufgeweicht werden. Daher plädiere ich in meinem Beitrag dazu, ihren politisch-theoretischen Ansatz durch eine gesellschaftstheoretische Reflexion der sozialen Dynamiken zu supplementieren, die mit den von ihr geforderten politischen Aushandlungen einherzugehen pflegen. F. Biskamp (*)  Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. J. Grünendahl et al. (Hrsg.), Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion, Studien zur Migrations- und Integrationspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25534-3_4

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Schlüsselwörter

Grenzen · Politische Theorie · Legitimität · Menschenrechte · Benhabib

4.1 Einleitung Seit1 dem Sommer 2015 ist ein moralisches und politisches Dilemma ins Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeiten getreten, dem ein zentrales, aber oft verdrängtes Problem der modernen politischen Philosophie entspricht: (Wie) Kann die Existenz nationaler Grenzen gerechtfertigt und welche Konsequenzen können aus ihrer Existenz legitimerweise gezogen werden? Dabei treten zwei zentrale Konzepte modernen politischen Denkens nicht nur in Konkurrenz, sondern in offenen Widerspruch zueinander. Auf der einen Seite stehen der Universalismus und Egalitarismus des Menschenrechtsprinzips, dem zufolge alle Menschen mit gleichen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind, die zu gewährleisten Aufgabe von Staatlichkeit ist. Auf der anderen Seite stehen Demokratie- und Souveränitätsprinzip, denen zufolge der Staat eine Instanz der demokratischen Selbstbestimmung einer begrenzten Gruppe von Menschen ist, deren Interessen er vertritt (Benhabib 2008, S. 14–15, 51–55). In politischen Diskussionen über Flucht und Migration tritt der Widerspruch zwischen diesen beiden – sonst zumeist als Einheit verstandenen – Prinzipien modernen Staatsdenkens offen zutage. In der Öffentlichkeit gibt es einerseits Stimmen, die dem Menschenrechtsprinzip auch in Bezug auf Flüchtende uneingeschränkte Geltung verschaffen wollen. Vertritt man diese Position konsequent, ist ausgeschlossen, irgendeine Person an der Grenze abzuweisen – insbesondere, wenn sie aus einem Bürgerkriegsland wie Syrien kommt. Andererseits gibt es Stimmen, die sich im Namen der Prinzipien von kollektiver Selbstbestimmung und Souveränität für eine Begrenzung von Zuwanderung aussprechen – von Ausnahmen abgesehen wird dabei das allgemeine Recht auf Asyl nicht abgelehnt, es aber doch als ein eingeschränktes Recht verstanden, das endet, sobald ‚die Grenzen der Belastbarkeit‘ des Aufnahmelandes erreicht sind.2

1Ich

danke den Herausgeberinnen, der Reviewerin und Franziska Paulmann für Kommentare, Kritik und Korrekturen. 2Für eine idealtypische Aufstellung verschiedener migrationspolitischer Positionen s. Forschungsgruppe Staatsprojekt Europa (2014, S. 64–80).

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Der theoretische wie physische Ort, an dem die beiden Prinzipien in Konflikt miteinander geraten, ist die Staatsgrenze, verstanden als die Territorialgrenze des Staatsgebiets und die Zugehörigkeitsgrenze des Staatsvolks. Obwohl (oder weil) sich die Frage nach der Legitimität politischer Grenzen als erhebliche Herausforderung für die moderne politische Philosophie erweist, wird sie in politisch-theoretischen Werken zumeist nur am Rande thematisiert oder gänzlich verdrängt (Vasilache 2007, S. 9–12). Eine der wenigen ausführlichen normativen politischen Theorien der Grenze ist Seyla Benhabibs 2004 erschienene Studie Die Rechte der Anderen. Ausländer, Mig­ ranten, Bürger (2008), an die ich mit diesem Aufsatz anknüpfe. Mein Vorgehen ist dabei in fünf Abschnitte gegliedert. In den ersten drei Abschnitten zeige ich auf, inwiefern die Frage politischer Grenzen ein Problem für die politische Philosophie darstellt und immer wieder zu Paradoxien3 führt. Dabei umreiße ich zunächst das Phänomen der Grenze (4.2) und zeige dann die Probleme ihrer politisch-theoretischen Legitimation in liberalen (4.3) und republikanischen (4.4) Theorien auf.4 Daraufhin diskutiere ich Benhabibs diskursethische Lösung für diese Probleme. Dabei lege ich zunächst dar, wie sie das Dilemma politischer Mitgliedschaft dadurch auflöst, dass sie den Begriff demokratischer Iterationen einführt, mit dem sie Aushandlungen bezeichnet, in denen Zugehörigkeit und Grenzen immer wieder aufs Neue infrage gestellt und damit verändert werden können (4.5). Während diese Lösung politisch-theoretisch zu überzeugen vermag, erweist sich als problematisch, dass Benhabib in Bezug auf die demokratisierenden Effekte öffentlicher Aushandlungen sehr viel optimistischer ist, als ihre eigenen Fallstudien es rechtfertigen. Somit setzt sich ihr Ansatz ebenso wie die liberale Theorie einem ­Ideologieverdacht

3Freilich

gibt es zahlreiche weitere politisch-theoretische oder staatsrechtstheoretische Diskussionen von Menschenrechten, Migration und politischer Mitgliedschaft, an die sich anknüpfen ließe, wie zum Beispiel Rancière (2004), Miller (2007, S. 201–230), Carens (2013), Fine und Ypi (2016) oder Debenheuer und Grabenwarter (2016). Benhabibs Ansatz bietet für mein Vorhaben zweierlei Vorteile: Weil Benhabib explizit in der Tradition normativer politischer Theorie schreibt, ist ihre Theorie besser immanent kritisierbar als beispielsweise Rancières radikale Demokratietheorie; weil Benhabib reale diskursive Aushandlungen in den Mittelpunkt ihrer Theorie stellt, bietet sie einen guten Ausgangspunkt für die von mir geforderte gesellschaftstheoretische Supplementierung politischer Theorie. 4Bei diesen Kritiken knüpfe ich an einige Überlegungen Benhabibs an. Jedoch gehe ich in meiner Kritik etwas weiter: Während Benhabib (2008, S. 14–15) insbesondere auf einen Widerspruch zwischen liberal-universalistischem Menschenrechtsprinzip und republikanisch-kommunitaristischem Souveränitätsprinzip zielt, lege ich dar, dass liberale und republikanische Ansätze auch für sich genommen Paradoxien produzieren, wenn sie Fragen von politischer Mitgliedschaft und politischen Grenzen diskutieren.

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aus. Daher argumentiere ich abschließend für eine gesellschaftstheoretische und ideologiekritische Supplementierung von Benhabibs politischer Theorie, die diese für die potenziell exkludierenden und marginalisierenden Dynamiken demokratischer Iterationen sensibel macht (4.6).

4.2 Grenzen als Form politischer Herrschaft Grenzen im Allgemeinen und territoriale Grenzen im Besonderen sind keine Naturtatsache, sondern eine historisch kontingente Form politischer Herrschaft. Um Herrschaft handelt es sich, weil ein politischer Akteur, der kontrolliert, welche Personen eine bestimmte Linie überschreiten dürfen, deren Handlungsfreiheit entscheidend einschränkt. Nicht zuletzt deshalb hat sich für die ‚Grenzsicherung‘ in den kritischen Sozialwissenschaften der Begriff der Grenzregime eingebürgert (Hess und Kasparek 2010; Heimeshoff et al. 2014). Dabei existieren Grenzen nicht in Form einer einzigen Linie, sondern vielmehr als eine gestaffelte Anordnung von realen und metaphorischen Linien. Die Zugangskontrolle zu einem bestimmten Territorium ist (idealtypisch gesprochen) die äußerste Linie mit der ein politisches Gemeinwesen sich abschirmt. Dahinter folgt eine Abfolge vielfältiger Grenzlinien, die auf zwei verschiedenen Ebenen angesiedelt sind: Auf der einen Ebene geht es um das Gewähren oder Verwehren der Erlaubnis, sich über längere Zeit oder dauerhaft auf dem Territorium aufzuhalten. Damit eng verbunden ist auf einer anderen Ebene die Kontrolle über die Möglichkeit zur Aufnahme von Interaktionen mit Teilsystemen und Lebenswelten der Aufnahmegesellschaft: dazu zählen der persönliche Kontakt mit Bewohnerinnen5 des Landes, der Zugang zu Bildungsinstitutionen, das Kaufen und Verkaufen von Waren und Dienstleistungen, das Leisten von Lohnarbeit, die Gründung von Unternehmen, gewerkschaftlicher und politischer Aktivismus, die Einbindung in soziale Sicherungssysteme usw. Auf beiden Ebenen lassen sich sehr viele verschiedene Linienführungen konstruieren, denen eine reale Vielfalt von Visaformen entspricht. Als letzte Linie folgt schließlich die Kontrolle über die Einbürgerung, also über den Zugang zur vollen Mitgliedschaft im politischen Gemeinwesen. Die Kontrolle dieser gestaffelten Grenzen ist in einer Welt aus Nationalstaaten das souveräne Recht der einzelnen Staaten, das durch

5Der

Einfachheit halber verwende ich das generische Femininum. Wenn es der Kontext nicht anders impliziert, schließen weibliche Formen alle ein, unabhängig davon, ob sie sich als weiblich identifizieren. Männer sind mitgemeint.

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i­nternationale Abkommen und Konventionen eingeschränkt ist, denen sich die Staaten souverän unterworfen haben (Benhabib 2008, S. 44–51, 72–74). Um politische Herrschaft handelt es sich bei der Kontrolle jeder einzelnen dieser Grenzlinien. Wenn die zentrale Frage normativer politischer Theorie die nach der Legitimität von Herrschaft ist, muss sie in Bezug auf politische Grenzen insbesondere fragen, ob, unter welchen Bedingungen und in welchen Formen die bei der Kontrolle der gestaffelten Grenzen ausgeübte Herrschaft legitim sein kann. Damit die politische Theorie der Grenze nicht im Bereich des bloßen Sollens verbleibt, darf sie die sozialen Dynamiken der Grenzziehung und Grenzüberschreitung nicht ausblenden. Einerseits ist vor dem Hintergrund der Diskussionen um die These von der Autonomie der Migration zu reflektieren, dass Staaten zwar Grenzregime errichten, die realen Migrationsprozesse aber nie in Gänze kontrollieren können. Insbesondere bei Vorliegen starker ökonomischer Asymmetrien kann auch die rigideste Einwanderungspolitik Migrationsbewegungen nicht gänzlich unterbinden oder gar nach (Arbeitskräfte-)Bedarf an- und ausschalten. Wer einmal in einem Land angekommen ist, kann wiederum nicht ohne weiteres davon abgehalten werden, ökonomische und andere soziale Beziehungen einzugehen, die sich mit der Zeit vertiefen und schließlich auch in politischen Ansprüchen münden (Benz und Schwenken 2005; Benhabib 2008, S. 48–51, 143–145). Andererseits sind vor dem Hintergrund von Rassismus- und Nationalismusforschung die sozialen Dynamiken von nationaler Identitätskonstruktion, Ausschluss und Marginalisierung zu berücksichtigen.

4.3 Das Dilemma der liberalen Theorie Dass die Rechtfertigung politischer Grenzen für die politische Theorie der westlichen Neuzeit ein ernsthaftes Problem darstellt, lässt sich insbesondere anhand der für sie prägenden Argumentationsfigur verdeutlichen: dem Gesellschaftsvertrag. Wenn normative politische Theorie insgesamt auf ein Urteil über die Legitimität politischer Herrschaft bzw. politischer Ordnungen zielt, zeichnet sich ihr Mainstream im neuzeitlichen Westen dadurch aus, dass er sich für dieses Urteil nicht explizit auf religiöse, metaphysische oder sonst wie außer-, über- oder hinterweltliche Instanzen beruft. Stattdessen soll über die Legitimität politischer Ordnung vor diesseitigen Instanzen entschieden werden. Zum Maßstab werden entweder die menschliche Vernunft oder die konkreten Formen der Lebensführung.

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Das Vertragsdenken ist idealtypisch für die Übertragung der Legitimationsfunktion auf die individuelle Vernunft der einzelnen Subjekte. Indem der Kontraktualismus einen freiwilligen Vertragsschluss aller Bürgerinnen als ­Ausgangspunkt des Staates imaginiert, führt er zugleich einen Maßstab für die Legitimität politischer Herrschaft ein: Als legitim kann eine politische Ordnung demnach nur dann bezeichnet werden, wenn sie so eingerichtet ist, dass alle Bürgerinnen ihr aus freien Stücken und Vernunftgründen zugestimmt haben könnten. Auch wenn die von den Vertragstheorien legitimierten Ordnungen in ihrer Konsequenz zumeist partikulare, begrenzte Staaten sind und nicht unbedingt soziale Gleichheit fördern, ist die Begründungsstrategie in ihren Grundannahmen universalistisch und egalitär. Die Zustimmungsfähigkeit des Gesellschaftsvertrags wird unabhängig von den partikularen Eigenschaften, Interessen und sozialen Positionen der einzelnen Subjekte diskutiert; der Vertrag wird so entworfen, dass sie ihm als Menschen zustimmen können – wobei die Theorien jedoch nicht umhinkommen, den Menschen allgemeine und natürliche Eigenschaften zuzuschreiben (Habermas 1999, S. 25–28; Benhabib 2008, S. 129–130). Welche politischen Ordnungen mit den einzelnen Vertragstheorien konkret legitimiert werden, hängt im Wesentlichen von zwei Parametern ab: Erstens kommt es darauf an, wie die als Naturzustand oder Urzustand bezeichnete Situation vor dem Vertragsschluss vorgestellt wird, von der ausgehend die Einzelnen über ihre Zustimmung entscheiden. Je angenehmer diese Situation beschrieben wird, desto höher sind die Anforderungen, die ein Staat erfüllen muss, um legitim zu sein. Zweitens kommt es darauf an, wie genau die menschliche Vernunft vorgestellt wird, auf deren Grundlage die Einzelnen ihre Entscheidung für oder gegen einen Gesellschaftsvertrag treffen. Sind sie egoistisch-instrumentell auf persönliche Nutzenmaximierung bedacht oder streben sie ein sittliches Zusammenleben an? Reagieren sie auf den Erfolg anderer neidvoll, gleichgültig oder positiv? Sind sie wagemutig oder risikoscheu? Usw. usf. Im Folgenden diskutiere ich die Verdrängung des Problems der Grenze in der liberalen Theorie anhand der Beispiele von Hobbes’ Leviathan6 und Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit. Ersteres Werk bietet sich als Beispiel an, weil es für die Entwicklung des modernen vertragstheoretischen Denkens prägend war, letzteres, weil es im Mittelpunkt der gerechtigkeitstheoretischen Diskussionen der letzten Jahrzehnte steht.

6Hobbes

Staatsmodell ist absolutistisch, nicht liberal. Die Methode seiner Staatsrechtfertigung ist aber liberal, weil sie bei der Freiheit der Individuen ansetzt.

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4.3.1 Sicherheit nach innen, Krieg nach außen: Die Grenzen des Hobbes’schen Staates Thomas Hobbes’ Leviathan ist nicht das erste politisch-philosophische Werk, das einen Gesellschaftsvertrag entwirft, aber doch der erste Fixpunkt des ­neuzeitlichen Kontraktualismus (Vasilache 2007, S. 13). Hobbes (1970, S. 112– 129, 151–166) entwirft den Naturzustand als eine Situation völliger Unsicherheit, in dem noch die stärksten Individuen fürchten müssen, von ihren Mitmenschen erschlagen zu werden. Zugleich geht er von Menschen aus, die von Natur aus nach Selbsterhaltung streben, sodass die Erlangung von Sicherheit ihr wichtigstes Ziel ist. Vor diesem Hintergrund sind die Hobbes’schen Menschen bereit, per Gesellschaftsvertrag einen absoluten Souverän einzusetzen, dessen wesentliche Pflicht ihnen gegenüber sich darauf beschränkt, Ordnung und Sicherheit aufrechtzuerhalten. Die Frage nach den Grenzen des so legitimierten Gemeinwesens taucht bei Hobbes eher implizit als explizit auf. Ohne es weiter zu begründen, geht Hobbes davon aus, dass der von ihm entworfene Staat kein Weltstaat ist, in dem sich alle Menschen einem einzigen Souverän unterwerfen. Auch wenn es im Leviathan in erster Linie um die innere Einrichtung des einzelnen Staates und nicht um seine Außenbeziehungen geht, gibt er am Rande wichtige Hinweise, wie er sich letztere vorstellt: Die Staaten leben untereinander weiter im Naturzustand. Während der Krieg aller gegen alle im Innern unterbunden ist, wird er nach außen fortgesetzt (1970, S. 117). Somit erscheint das Staatsvolk nicht mehr nur als eine Gruppe von Personen, die sich einem Souverän unterwirft, um sich voreinander zu beschützen, sondern auch als eine Gewaltgemeinschaft, die sich zusammenschließt und andere bekämpft. Innerhalb seiner Grenzen sorgt der Staat für mehr Sicherheit, außerhalb seiner Grenzen verhält er sich dagegen als ungebundener Gewalt-Akteur, der Unsicherheit eher vergrößert als vermindert. Auch wenn es sich hierbei zunächst um ein Randproblem in Hobbes‘ Argumentation handelt, stellt es letztlich doch seine ganze Begründungsstrategie infrage: Die Pointe des Leviathan besteht darin, dass alle Menschen der staatlichen Ordnung aus ihren je individuellen Vernunftgründen zustimmen müssen, weil sie ihre Sicherheit vergrößert. Diese universelle Zustimmungsfähigkeit des Staates kann Hobbes jedoch nur behaupten, indem er diejenigen Menschen, die keine Vertragspartnerinnen werden, ausblendet. Damit nimmt der Universalismus seiner Begründungsstrategie Schaden. Es gibt zwei mögliche Weisen des Umgangs mit diesem Problem: ­Erstens könnte man unterstellen, dass die Menschheit von Vornherein aus klar umrissenen Gruppen von Menschen besteht und jede für sich ein politisches ­Gemeinwesen

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gründet. Diese Hilfskonstruktion würde zwar die Argumentation retten, sie wäre aber schwer zu begründen und würde zudem den Universalismus und Egalitarismus der Begründungsstrategie aufgeben. Zweitens könnte man dahin gehend argumentieren, dass eine Welt, in der es Staaten gibt, die sich untereinander im Krieg aller gegen alle befinden, für alle Einzelnen immer noch mehr Sicherheit bietet als eine Welt, in der die Individuen selbst im staatenlosen Naturzustand leben. Dieses Argument wäre nur dann haltbar, wenn man davon ausginge, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, einen Gesellschaftsvertrag zu schließen und sich einem Souverän zu unterwerfen. Daher müsste es mit der normativen Forderung an die Souveräne einhergehen, Individuen, die keinem Staat angehören, aufzunehmen, sodass ein Zustand der Staatenlosigkeit vermieden wird. Tatsächlich enthält der Leviathan einige Überlegungen, die als Andeutungen in letztere Richtung gedeutet werden könnten.7 Jedoch diskutiert Hobbes diese Frage nicht in einer Ausführlichkeit, die das Problem ausräumen würde.

4.3.2 Differenzprinzip nach innen, Differenz nach außen: Die Grenzen des Rawls’schen Staates Das hier am Beispiel von Hobbes skizzierte Problem einer Verdrängung des Grenz-Problems findet sich in verschiedenen kontraktualistischen Theorien (Vasilache 2007, S. 60–185). Im Kontext meiner Argumentation kommt es jedoch darauf an, darzulegen, dass es auch heute noch akut ist. Daher springe ich nun zum wichtigsten zeitgenössischen Vertragstheoretiker John Rawls. Dessen 1971 veröffentlichte Theorie der Gerechtigkeit (1979), die er im Folgenden verschiedentlich aktualisiert, abgewandelt und erweitert hat (2002, 2003), zählt zu den einflussreichsten politisch-theoretischen Werken nach dem zweiten Weltkrieg. Rawls bezeichnet den gedachten Zustand vor dem Vertrag nicht als Naturzustand sondern als Urzustand (im Englischen: original position). Stärker noch

7Walzer deutet einen Absatz im Leviathan so, dass „Menschen wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht im eigenen Land verdienen können, das Recht haben auszuwandern ‚in unterbesiedelte Länder‘“ (Walzer 2006, S. 84, mit Zitat von Hobbes). Tatsächlich spricht Hobbes (1970, S. 288) jedoch in einer Passivformulierung davon, dass diesen Menschen „weniger besiedelte Länder angewiesen [engl: be transplanted] werden“ müssten und überschreibt das Kapitel als „Aufgaben und Pflichten des Oberherrn“ (278). Daher ist zweifelhaft, ob es hier wirklich um ein Recht auf Migration zwischen Staaten geht und ob Hobbes dem Souverän eines dünn besiedelten Landes die Pflicht auferlegt, Immigration zu dulden.

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als Hobbes macht er deutlich, dass es diesen Zustand nicht wirklich gegeben hat. Vielmehr versteht er den Urzustand als ideellen Ort, den man konstruieren müsse, wenn man über Fragen der Gerechtigkeit zu entscheiden habe. Dieser gedachte Ort müsse sich dadurch auszeichnen, dass die Einzelnen unter einem „Schleier des Nichtwissens“ (Rawls 1979, S. 29) über die Institutionen, unter denen sie leben wollen, entscheiden müssen. Unter diesem Schleier haben die Einzelnen zwar Kenntnisse allgemeiner physikalischer, soziologischer und ökonomischer Gesetzmäßigkeiten, sodass sie einschätzen können, welche Konsequenzen verschiedenen institutionelle Ordnungen für die Lebensbedingungen haben, sie wissen aber nicht, welche konkrete Position sie selbst in der Gesellschaft einnehmen. Dieses Arrangement soll bewirken, dass nur solche institutionellen Ordnungen als gerecht gelten können, denen alle betroffenen Personen zustimmen könnten (Rawls 1979, S. 27–39, 159–166). Rawls konstruiert die Individuen, die unter diesen Umständen über die Einrichtung der politischen Ordnung entscheiden, als instrumentell-egoistische Nutzenoptimiererinnen, die auf die Verbesserung der eigenen Situation, verstanden als möglichst weitgehende Verfügung über knappe Ressourcen, zielen. Weil sie aber im Augenblick, in dem sie sich für eine bestimmte Art der gesellschaftlichen Organisation entscheiden, nicht wissen, welche Position sie innehaben werden, ist ihre Perspektive dennoch eine allgemeine, gewissermaßen kantianische. Dabei unterstellt Rawls den Einzelnen geringe Risikobereitschaft: Unter dem Schleier des Nichtwissens rechneten sie stets damit, dass sie in der schlechtestmöglichen sozialen Position enden könnten, sodass sie sich immer für Institutionen entschieden, die auch für diese eine bestmögliche Situation gewährleistet (Rawls 1979, S. 166–185). Die Anforderungen, die ein Staat erfüllen muss, um vor den dergestalt verschleierten Augen von Rawls’ Urzustandsbewohnerinnen als gerecht zu erscheinen, sind deutlich höher, als die, die Hobbes’sche Naturzustandsbewohnerinnen stellen würden: „1. Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Gundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist. 2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, daß (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, daß sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen“ (Rawls 1979, S. 81).

Den Punkt 2a) formulierte er zum Differenzprinzip aus, dem zufolge Institutionen, die „bessere[..] Aussichten“ für einige Personen bieten, nur dann legitim sind, wenn sie zugleich „zur Verbesserung der Aussichten der am wenigsten begünstigten Mitglieder der Gesellschaft beitragen“ (Rawls 1979, S. 96).

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Ähnlich wie in Hobbes’ Leviathan geht es auch in Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit in erster Linie darum, wie eine Gruppe von Menschen ihr soziales Zusammenleben legitimerweise organisiert. Da auch Rawls nicht von einem allumfassenden Weltstaat ausgeht, stellt sich wiederum die Frage, wie sich die Einteilung der Welt in gegeneinander mehr oder minder abgeschlossene politische Gemeinwesen zu Rawls’ Konzeption der Gerechtigkeit verhält. Die Tatsache, dass man in einer nationalstaatlich organisierten Welt als Staatenlose oder Flüchtende an Staatsgrenzen zu sterben droht, stellt eine deutliche Herausforderung für Rawls’ Gerechtigkeitstheorie dar. Wer in einer – bei Rawls (2002, S. 32–34) so nicht vorgesehenen ersten Entscheidungssituation – abwägen müsste, ob es überhaupt eine in Staaten unterteilte Welt geben soll, und unter dem Schleier des Nichtwissens mit dem Risiko rechnen müsste, diese Welt selbst als Staatenlose oder Flüchtende zu bewohnen, müsste sich – risikoscheu wie Rawls Urzustandsbewohnerinnen sind – nach dem Differenzprinzip gegen eine solche Einrichtung der Welt entscheiden. Schließlich ist nicht ohne weiteres einzusehen, dass die Existenz von Staaten zur Verbesserung der Aussichten von denjenigen am wenigsten begünstigten Personen beitragen, die an ihren Grenzen sterben (Benhabib 2008, S. 97). Wiederum gäbe es dieselben zwei in Bezug auf Hobbes skizzierten Möglichkeiten, die Theorie so auszubauen, dass sie diesem Problem entkommt: Entweder durch die Annahme, dass es fest definierte Gruppen von Menschen immer schon vor dem Vertragsschluss gibt, oder durch den Nachweis, dass eine Welt von begrenzten staatlichen Gemeinwesen unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten einer Welt ohne Staaten immer noch vorzuziehen ist, wofür entsprechende Anforderungen an die Staaten gestellt werden müssten. Tatsächlich wählt Rawls (2002, S. 8–9, 23–30, 38–39; 2003, S. 111–115) in den späteren Werken, in denen er seine Thesen reformuliert, eine Kombination beider Möglichkeiten. Wie Benhabib (2008, S. 79–96) ausführlich darlegt, bieten diese kurzen Überlegungen keine überzeugende Thematisierung des Problems politischer Grenzen. Rawls’ Verständnis kultureller Gemeinschaften erweist sich als allzu holistisch, um überzeugen zu können, seine normativen Überlegungen fallen allzu knapp und apodiktisch aus, um den Ansprüchen seiner eigenen Gerechtigkeitstheorie zu genügen.

4.3.3 Kein Menschenrecht ohne Grenzen: Hannah Arendt und das Recht, Rechte zu haben Diese beiden Beispiele zeigen nicht nur, dass liberale Theorien dazu neigen, das Problem politischer Mitgliedschaft und politischer Grenzen zu verdrängen, sie verdeutlichen auch, dass es liberalen Ansätzen schwerfällt, die Existenz und

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Durchsetzung effektiver politischer Grenzen überhaupt zu rechtfertigen, ohne die universalistische und egalitären Grundannahmen der eigenen Theorie zu gefährden. Wie jedoch Hannah Arendts Argument über das „Recht, Rechte zu haben“ (Arendt 2013, S. 614) zeigt, lässt sich das Problem auch nicht auflösen, indem man den menschenrechtlichen Universalismus liberaler Theorien gegen Staaten und ihre Grenzen ausspielt. Denn die liberale Freiheit der Menschenrechte ist ohne klar begrenzte politische Gemeinwesen, in denen sie Bedeutung haben, und ohne eine politische Ordnung, die sie durchsetzt, schlicht wirkungslos (Arendt 2013, S. 601–625; Benhabib 2008, S. 56–74). Auch wenn es der liberalen Theorie schwerfällt, Grenzen paradoxiefrei zu rechtfertigen, gibt es innerhalb des liberalen Denkens außer dem historisch außer Reichweite scheinenden Weltstaat keine einfache Alternative zur Grenze. Umso problematischer ist die Verdrängung des Problems in prominenten liberalen Theorien. Diese Theorien erheben den Anspruch, die Legitimität von Staaten mit begrenztem Territorium und Staatsvolk in einer verallgemeinerungsfähigen Weise aus der natürlichen Freiheit und individuellen Vernunft der Subjekte begründen zu können. Dieser Begründungsversuch gelingt ihnen nur, indem sie die für die Individuen höchst folgenreiche Frage politischer Grenzen und ­politischer Mitgliedschaft ausblenden. Damit verleihen sie einer – in ihrem eigenen theoretischen Rahmen – vernünftig kaum rechtfertigbaren Form der Herrschaft von Menschen über Menschen den Anschein von Gerechtigkeit, Vernunft oder gar Naturnotwendigkeit. So droht normative politische Theorie effektiv zur herrschaftssichernden Ideologie zu werden.8

4.4 Das Dilemma in der republikanischen Theorie Das Gegenkonzept zum Liberalismus innerhalb der politischen Philosophie der westlichen Neuzeit bilden Ansätze, die nicht die Freiheit und Interessen der Individuen, sondern das kollektive Recht auf Selbstbestimmung in den Vordergrund rücken. Weil politische Gemeinschaften, kollektive Lebensformen und die kollektive Selbstbestimmung in dieser republikanischen bzw. kommunitaristischen bzw. demokratietheoretischen Linie einen sehr viel höheren Stellenwert haben als im Liberalismus, bietet sie zunächst eine bessere Ausgangslage für eine Legitimierung politischer Grenzen.

8Zum

Ideologiebegriff in Bezug auf politische Theorie s. Jaeggi (2009).

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Die gängigsten Ansätze sind dabei nicht antiliberal gegen die individuelle Selbstbestimmung gerichtet. Vielmehr setzen sie gerade damit an, dass individuelle Selbstbestimmung nur im Rahmen kollektiver Selbstbestimmung gedacht werden kann. Dieses Argument tritt in vielen verschiedenen Formen auf (Walzer 1995). Dass bei der Thematisierung der Frage von politischer Mitgliedschaft und Grenzen auch in diesem Kontext Probleme auftreten, skizziere ich im Folgenden an zwei Beispielen. Dabei wähle ich mit Jean-Jacques Rousseau und Michael Walzer wiederum einen klassischen Kontraktualisten und einen zeitgenössischen Gerechtigkeitstheoretiker.

4.4.1 Selbstbestimmung für Bürgerinnen, Fremdbestimmung für Fremde: Die Grenzen des Rousseau’schen Staates In der Struktur der Argumentation ähnelt Rousseaus kontraktualistisches Begründungsprogramm dem Hobbes’ zunächst stark – wiederum soll sich die Legitimität politischer Herrschaft in der vernunftbasierten Zustimmung aller Betroffenen Individuen unter Beweis stellen, wiederum wird diese Zustimmung in Form eines Vertragsschlusses imaginiert, der den (endgültigen) Übergang zwischen Natur- und Gesellschaftszustand markiert. Weil Rousseau (2004, S. 6–23) den Naturzustand jedoch gänzlich anders beschreibt als Hobbes – insbesondere sind die Naturzustandsbewohnerinnen mit einem viel größeren Maß an Freiheit, Sicherheit und Selbstbestimmung ausgestattet –, stellt er demokratietheoretische Anforderungen an den Staat, die bei Hobbes nicht auftauchen. Rousseaus selbstbestimmte Subjekte wären nicht bereit, einen Gesellschaftsvertrag zu unterschreiben, der einen Souverän einsetzt, dessen Legitimität bereits aus dem bloßen Gewährleisten von Sicherheit resultiert. Damit würden sie die Freiheit, die eigene Herrin zu sein, aufgeben, wozu sie in Rousseaus Konstruktion nicht bereit sein können. Sie können einem Staat nur dann zustimmen, wenn die Gesetze, denen sie unterworfen sind, zugleich ein Ausdruck ihres eigenen Willens sind. Im Handeln des Souveräns muss sich der Gemeinwillen des Volkes ausdrücken. Daher ist die zentrale Frage dieser politischen Theorie die, wie sich dieser Gemeinwillen, der Rousseau zufolge weder mit dem addierten Willen der Einzelnen noch mit dem Willen der Mehrheit noch mit dem Willen aller identisch ist, bestimmen lässt (Rousseau 2003, S. 16–19, 27–42). Statt um die Formierung des Gemeinwillens geht es im vorliegenden Text jedoch um die Eingrenzung des Volkes, das diesen Willen hat. In Bezug auf diese Frage hat Rousseaus Ansatz zunächst einen offensichtlichen Vorteil g­ egenüber

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den liberalen Vertragstheorien: Während es liberal schwer zu begründen ist, warum die Sicherheit oder Freiheit der einen zu schützen und zu bewahren ist, die der anderen aber an den Außengrenzen eingeschränkt wird, lässt sich demokratietheoretisch durchaus argumentieren, dass es das souveräne Recht eines Volkes ist, über die eigene Mitgliedschaft und somit über die eigenen Grenzen zu entscheiden. Aufgrund ihrer kontraktualistischen Anlage kann jedoch auch Rousseaus Republikanismus dem Paradoxon politischer Mitgliedschaft nicht entkommen: Damit ein Volk eine souveräne Entscheidung über seine Mitgliedschaft und Grenzen treffen kann, muss es zunächst existieren. Wenn es sich selbst aber in einem Vertragsschluss konstituiert, müsste schon vor demselben, also von Natur aus feststehen, wer zum Volk gehört und wer nicht. Während die politische Ordnung für die Mitglieder ein Ausdruck von Selbstregierung ist, bleibt insbesondere die Sicherung der Grenzen für alle Nichtmitglieder ein Phänomen der Fremdherrschaft – sie sind von den jeweiligen Entscheidungen betroffen, ohne dass Sie an der zugrunde liegenden Willensbildung partizipieren könnten. Somit verstrickt sich auch Rousseaus demokratietheoretischer Kontraktualismus in eine Paradoxie.

4.4.2 Komplexe Gleichheit nach innen, begrenze Hilfspflichten nach außen: Die Grenzen des Walzer’schen Staates Eine deutlich bessere Ausgangslage für die Begründung der Legitimität von Grenzen bietet Michael Walzers 1983 veröffentlichtes gerechtigkeitstheoretisches Hauptwerk Sphären der Gerechtigkeit (2006). Anders als bei den drei zuvor skizzierten Theorien handelt es sich bei Walzers Theorie nicht um ein kontraktualistisches Modell, was sich in Bezug auf die Rechtfertigung von Grenzen als vorteilhaft erweist – und während die kontraktualistischen Theorien zur Verdrängung dieser Frage neigen, diskutiert Walzer (2006, S. 65–107) sie gleich im zweiten Kapitel ausführlich. Walzer argumentiert zwar nicht in dem Sinne antimodern oder antiliberal, dass er sich auf metaphysische Gründe berufen oder gegen die Selbstbestimmung der Einzelnen stellen würde; er übt aber zweierlei Kritik an liberalen Ansätzen. Zum einen moniert er, dass die formale und rationale Prüfung der Verallgemeinerbarkeit von Normen, die der liberalen Theorie als Prüfstein der Gerechtigkeit gilt, wenig damit zu tun habe, wie Fragen der Gerechtigkeit real diskutiert werden. Daher gelte es, sich näher an den empirischen Moralvorstellungen verschiedener Gesellschaften zu orientieren. Zum anderen betont er, dass Selbstbestimmung und

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Gerechtigkeit immer nur im Kontext konkreter, kulturell geprägter, ‚dichter‘ normativer Vorstellungen möglich seien. Weil kulturelle Gruppen und ihre kollektiv geteilten kulturellen Wertvorstellungen einen höheren Stellenwert erhalten, ist seine politische Theorie somit kommunitaristisch. Weil die Normvorstellungen unterschiedlicher Gruppen selbst unterschiedlich sind, ist sie pluralistisch – wenn auch nicht relativistisch (Walzer 2006, S. 2–64). Weil es Walzer zufolge ohne die verschiedenen kulturellen Gemeinschaften und ihre dichten moralischen Traditionen Gerechtigkeit schlicht nicht geben kann, muss die Erhaltung kultureller Gemeinschaften als Vorbedingung von Gerechtigkeit selbst auch gerecht sein. Ein notwendiges Mittel zu diesem gerechten Ziel besteht Walzer zufolge in der Einrichtung und Sicherung von politischen Außengrenzen, über die die politische Gemeinschaft souverän entscheidet. „[W]ir, die wir bereits Mitglieder sind, nehmen die Auswahl vor, und zwar gemäß unserem Verständnis davon, was Mitgliedschaft in unserer Gemeinschaft bedeutet und welche Art von Gemeinschaft wir zu haben wünschen“ (Walzer 2006, S. 66). Jedoch hält Walzer nicht jede Form von Grenzpolitik für gerecht, sondern ­qualifiziert das souveräne Recht auf Kontrolle der eigenen Grenzen. Insbesondere geht er davon aus, dass es ein universelles „Prinzip der gegenseitigen Hilfe“ (Walzer 2006, S. 67) gebe, dem zufolge „unter gewissen Umständen Fremde (nicht aber Feinde) einen Anspruch haben können auf unsere Gastfreundschaft, unsere Hilfe und unser Wohlwollen“ (Walzer 2006, S. 67). Zwei von jeder ­politischen Bindung losgelöst betrachtete, einander fremde Einzelne schuldeten sich wechselseitig aktive Hilfe, „wenn sie 1) von einer der beiden Parteien benötigt oder gar dringend gebraucht wird und wenn 2) die Risiken und Kosten, die diese Hilfe verursacht, für die helfende Partei relativ gering sind“ (Walzer 2006, S. 68). Wenn die (potenziell) hilfegebende Person Teil einer politischen Gemeinschaft sei, gehe die (ohnehin begrenzte) Hilfspflicht auf die Gemeinschaft über. Jedoch sei diese Pflicht im Umfang eingeschränkt und hänge wie im Fall zweier fremder Individuen sowohl von der akuten Notlage der hilfesuchenden Person als auch von den Möglichkeiten, Risiken und Kosten aufseiten der hilfestellenden Gemeinschaft ab. Wenn die Immigration entweder den Fortbestand der bisherigen kollektiven Lebensweise des Landes in Gefahr bringe oder durch Inanspruchnahme großer ­Ressourcen die individuellen Lebenspläne der Bestandsbevölkerung einschränke, seien dies unzumutbare Kosten, die den Rahmen der Pflicht auf wechselseitige Hilfe sprengten. Insgesamt sei die Aufnahme von Ausländerinnen lediglich eine Frage „der Mildtätigkeit, nicht etwa [eine] der Gerechtigkeit“ (Walzer 2006, S. 69). Ergo gibt

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es für Walzer kein einklagbares Recht auf Einwanderung, im Falle von Flüchtlingen aber eine eingeschränkte Pflicht zur Hilfeleistung (Walzer 2006, S. 67–68, 83–92).9 Während das erklärte Ziel von Walzers Theorie ein erhöhtes Maß von Umverteilung zur Ermöglichung „komplexe[r] Gleichheit“ (Walzer 2006, S. 46) ist, begrenzt er die Reichweite der Umverteilung von Gütern und somit der Gleichheit effektiv auf die politische Gemeinschaft. Dadurch legitimiert er zugleich starke Außengrenzen der politischen Gemeinschaft und somit de facto Ungleichheit. Dieses Problem ähnelt stark dem zuvor anhand der Vertragstheorien aufgezeigten Paradox. Weil im Zentrum von Walzers Philosophie aber nicht ein (hypothetischer) Vertragsschluss zwischen Freien und Gleichen steht, die sich nach Maßgaben individueller Vernunft auf die Regeln des Zusammenlebens einigen, sondern vielmehr die historisch gewachsene politische und kulturelle Gemeinschaft mit ihren empirischen Moralvorstellungen, verwickelt er sich nicht direkt in Paradoxien. Jedoch basiert seine Legitimation politischer Grenzen auf einem problematischen Verständnis von politischer Gemeinschaft.10 Walzer vertritt nicht nur die These, dass Gerechtigkeit und Selbstbestimmung der Einbindung in die dichten Gerechtigkeitsvorstellungen einer kollektiv geteilten Lebensform bedürfen, er schreibt diesen politisch-kulturellen Gemeinschaften auch immer wieder Ursprünglichkeit und Abgeschlossenheit zu, was empirisch kaum haltbar ist. Wenn er das Aufkommen territorial-nationalistischer Bewegungen nach dem Zusammenbruch des österreichisch-ungarischen ­Imperiums diskutiert, beschreibt er dies nicht etwa als einen Umbruch und als das Entstehen eines neuen Denkens, sondern als Quasi-Rückkehr zu einer „in einem tieferen Sinne“ (Walzer 2006, S. 82) immer schon gegebenen und für die kollektive Selbstbestimmung notwendigen Einheit von Volk, Kultur und

9Eine

andere Position vertritt Walzer in Bezug auf politische Nichtmitglieder, die als Arbeitskräfte in ein Land geholt wurden. Diese ökonomische Verstrickung erzeuge weitergehende Ansprüche – wenn auch kein absolutes Recht auf Einbürgerung (Walzer 2006, S. 92–104). 10Zudem ist nicht immer klar, wie seine Theorie, deren wichtigste Argumentationsfigur nicht in einer rationalen Verallgemeinerbarkeitsprüfung besteht, sondern darin, dass er von der weiten Verbreitung bestimmter Normen auf ihre legitime Geltung schließt, Relativismus einerseits und naturalistische Fehlschlüsse andererseits vermeidet. In Bezug auf Migration drückt sich dieses Problem so aus, dass er die Gerechtigkeit einer Begrenzung von Zuwanderung letztlich damit begründet, dass Menschen es als gerecht empfänden, wenn dies geschähe. Ob dieses Gerechtigkeitsempfinden womöglich nur eine ideologische Verbrämung der Verteidigung nicht rechtfertigbarer Privilegien sein könnte, fragt er nicht (Walzer 2006, S. 70–80). Wenn er konstatiert, dass Staaten eher bereit sind, denen Asyl zu gewähren, die sie als Angehörige der eigenen Kultur verstehen, fragt er nicht, ob dies eine ungerechte partikulare Einschränkung eines Menschenrechts ist, sondern erklärt den Partikularismus selbst kurzerhand zu einer universellen Gerechtigkeitsnorm (Walzer 2006, S. 78–80, 88–91).

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Territorium. Darüber hinaus konzeptualisiert er die kulturelle Identität politischer Gemeinschaften in einem Maße als geschlossen und homogen, die Aufrechterhaltung dieser Geschlossenheit und Homogenität in einem Maße als notwendige Bedingung demokratischer Selbstbestimmung, das historisch, kulturtheoretisch, nationalismustheoretisch und demokratietheoretisch kaum haltbar ist (Benhabib 2002, S. 39–42; 2008, S. 115–128; Wimmer 2004). Dieses Problem lässt auch seine Rechtfertigung politischer Grenzen zweifelhaft erscheinen. Nichtsdestoweniger buchstabiert Walzers Thematisierung der politischen Gemeinschaft und ihrer Grenzen einige Konsequenzen von Arendts Kritik des Liberalismus in lehrreicher Weise aus: Wenn individuelle Autonomie und Menschenrechte nur im Rahmen einer politischen Gemeinschaft sowie einer diese Rechte sanktionierenden Staatlichkeit möglich sind, müssen die Erhaltung von Staat und politischer Gemeinschaft einen entsprechenden Stellenwert erhalten. Das wiederum heißt, dass die Frage politischer Zugehörigkeit explizit reflektiert und in Bezug auf die Erhaltung der Bedingungen kollektiver und individueller Autonomie reflektiert werden muss. Dabei müssen jedoch die Probleme von Walzers Lösungsansatz vermieden werden.

4.5 Benhabibs diskursethischer Mittelweg Seyla Benhabibs Die Rechte der Anderen bietet hierfür einen vielversprechenden Ansatz. In diesem Buch zeigt sie zunächst sehr viel ausführlicher als ich in diesem Paper auf, wie die gängigen neukantianischen Theorien des liberalen Mainstreams das Dilemma der politischen Mitgliedschaft verdrängen und wie kommunitaristische Theorien es einseitig kollektivistisch auflösen (Benhabib 2008, S. 75–128). Mit Verweis auf Arendts These vom Recht, Rechte zu haben, hält sie jedoch daran fest, dass die einfache Ablehnung von Staatlichkeit und begrenzter Mitgliedschaft im Namen universeller Rechte keine haltbare Position ist (Benhabib 2008, S. 56–74). Daher legt auch sie eine normative Theorie begrenzter Staatlichkeit vor, bei der sie im Rahmen einer diskursethisch begründeten Theorie deliberativer Demokratie im Anschluss an Jürgen Habermas argumentiert.

4.5.1 Die Grundanlage der diskursethisch begründeten Demokratietheorie Jürgen Habermas (1999, S. 277–292) hat den diskursethischen Ansatz prominent als Vereinigung der Stärken von liberalen und republikanischen Theorien beschrieben. Einerseits bietet dieser wie liberale Theorien einen rationalen,

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(quasi-)transzendentalen Maßstab zur Prüfung der Verallgemeinerbarkeit von Normen. Normen können demnach als gerecht gelten, wenn sie dem Diskursprinzip D und dem Universalisierungsprinzip U genügen. D besagt, dass „nur die Normen Geltung beanspruchen dürfen, die die Zustimmung aller Betroffenen als Teilnehmerinnen eines praktischen Diskurses finden können“ (Habermas 1999, S. 49). U ist eine Argumentationsregel, nach der die Beteiligten in diesen Diskursen argumentieren müssen und die besagt, „daß eine Norm genau dann gültig ist, wenn die voraussichtlichen Folgen und Nebenwirkungen, die sich aus ihrer allgemeinen Befolgung für die Interessenlagen und Wertorientierungen eines jeden voraussichtlich ergeben, von allen Betroffenen gemeinsam zwanglos akzeptiert werden könnten“ (Habermas 1999, S. 60).

Andererseits bleibt das Rationalitätsverständnis der diskursethisch begründeten politischen Theorie – in expliziter Abgrenzung gegen Rawls (Habermas 1999, S. 75–77, 87–94) – nicht unhistorisch und formal, sondern ist als rationale Rekonstruktion historischer Prozesse angelegt. Die Geltung von Normen soll nicht von der politischen Philosophie, sondern in real vollzogenen Diskursen entschieden werden. Diese Diskurse wiederum können immer nur in realen historischen Diskursgemeinschaften mit ihren dichten kulturellen Bedeutungen und Narrativen stattfinden. In Diskursen könnten diese Gemeinschaften überkommene oder neue Normen auf deren Gerechtigkeit hin prüfen. Damit diese Normen aber effektive Geltung haben können, müssen sie in Recht umgesetzt werden. Dafür bedarf es nicht nur einer sie durchsetzenden Staatsgewalt, sondern auch eines politischen Systems, das Gerechtigkeitsgrundsätze in sanktionierbares positives Recht umsetzt. Als zentrale Institution hierfür benennt Habermas die Parlamente, in denen im Konfliktfall durch Mehrheitsregel Entscheidungen gefällt werden. Damit die so gefassten Gesetze tatsächlich eine diskursethische Legitimation erhalten können, reiche es nicht aus, dass die Parlamente von der Bevölkerung gewählt seien und diese repräsentierten, darüber hinaus müssten sie im stetigen „Modus der Belagerung“ (Habermas 1999, S. 626) durch die außerparlamentarische zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit operieren, durch diese beobachtet werden und für deren Diskurse offen sein (Habermas 1998, S. 623–631; 1999, S. 293–305).

4.5.2 Seyla Benhabibs Diskursethik der politischen Grenzen Vor diesem theoretischen Hintergrund betont Benhabib (2008, S. 24–35) in Hinblick auf die Frage von Grenzen und Mitgliedschaft, dass auch eine so verstandene Demokratie einer Eingrenzung des Staatsvolkes bedürfe: Es müsse festgelegt sein,

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wer sich an den institutionell-demokratischen Prozessen beteiligen kann, was insbesondere heißt, dass der Zugang zum Wahlrecht definiert und damit eingeschränkt werden muss. Ohne eine solche formale Eingrenzung politischer Zugehörigkeit sei ein demokratischer Prozess und sei somit auch demokratische Selbstregierung unmöglich. Jedoch konzipiert sie die politische Gemeinschaft und die Form der Zugehörigkeit weitaus weniger kulturalistisch und Kultur weitaus weniger holistisch als Walzer. Gegen Walzer und den späten Rawls betont sie, dass Kulturen und somit auch kulturelle Gemeinschaften immer unabgeschlossen, an den Grenzen immer unscharf und stets im Wandel begriffen seien. Zuwanderung könne das kulturelle Selbstverständnis der politischen Gemeinschaft zwar verändern, aber eine solche Veränderung finde ohnehin statt. Dadurch schwächt sie Walzers Argument, demzufolge Zuwanderung eine vormalige kulturelle Homogenität und damit letztlich die Möglichkeit demokratischer Selbstbestimmung unterminiere, erheblich ab. Nichtsdestotrotz hält auch sie daran fest, dass das Demos ein Recht hat, über seine Grenzen und insbesondere über die Aufnahme neuer Mitglieder demokratisch zu bestimmen (Benhabib 2002, S. 1–23; 2008, S. 24–32, 78–93, 120–128). Der antiessenzialistische Kulturbegriff und der diskursethische Universalismus haben zur Konsequenz, dass dieses Recht auf souveräne Grenzsicherung weitaus schwächer ausfällt als bei Walzer. Mit Blick auf die Situation von Staatenlosen und Geflüchteten sowie unter Bezugnahme auf den dritten Definitivartikel in Kants Zum ewigen Frieden (Kant 1970, S. 213) begründet Benhabib zunächst ein allgemeines Recht auf Einreise. Weil das Leben von Flüchtenden und Staatenlosen ohne ein solches Recht akut gefährdet sei, was die von ihr als unmittelbar geltende Metanorm verstandenen Voraussetzungen eines jeden Diskurses (analog zu Habermas’ Diskursprinzip D) unterminiere, habe jeder Staat die Pflicht, Menschen einreisen zu lassen. Nach dieser Einreise sei zu prüfen, ob die Person tatsächlich von Staatenlosigkeit, Verfolgung usw. betroffen sei und gegebenenfalls ein Recht auf Aufenthalt zu gewähren. Ein darüberhinausgehendes allgemeines Recht auf Einwanderung, soziale Teilhabe und politische Mitgliedschaft sieht Benhabib dagegen nicht. Zwar betont sie, dass die Abschottung der politischen Gemeinschaft nicht total sein dürfe und es eine Möglichkeit des Zugangs auch zu politischer Mitgliedschaft geben müsse, wie genau dieser geregelt ist und wer wann Zugang erhalte, sei das souveräne Recht des Demos (Benhabib 2008, S. 24–32, 44–55, 134–142, 168–173).11

11Dieses souveräne Recht qualifiziert Benhabib (2008, S. 51) insofern, als sie – im Gegensatz zu Walzer – ein Gebot der Nichtdiskriminierung formuliert.

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An dieser Stelle tritt wieder das in Abschn. 4.4 diskutierte demokratietheoretische Dilemma auf: Einerseits soll Demokratie darin bestehen, dass die von einer Entscheidung Betroffenen, in demokratischen Prozessen selbst über die sie betreffenden Normen und Institutionen entscheiden. Andererseits sind von der Entscheidung, wie man Teil des Staatsvolkes werden kann, insbesondere diejenigen Personen betroffen, die nicht Teil des Staatsvolkes sind und die dementsprechend nicht am sie betreffenden Entscheidungsprozess teilhaben können. Jedoch – und dies ist der diskursethische Trumpf, den Benhabib (2008, S. 24–32, 134–142, 168–173) gegen das Dilemma politischer Mitgliedschaft ausspielt – schwächt das Konzept der von einer zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit ‚belagerten‘ Parlamente das Dilemma erheblich ab. Eine Notwendigkeit der Begrenzung besteht nur in Hinblick auf die staatlichen Institutionen, also in Hinblick auf aktives und passives Wahlrecht. Für die Beteiligung an den Aushandlungen der allgemeineren Öffentlichkeit bedarf es dagegen keiner formalen Zugangsberechtigung, vielmehr ist eine solche Begrenzung aus diskursethischer Perspektive sogar explizit verboten. Weil die Institutionen, in denen über Rechtsnormen entschieden wird, sich im steten ‚Belagerungszustand‘ durch die allgemeine Öffentlichkeit befinden und für deren Diskurse offen sein müssen, können so auch diejenigen, die keine formalen Beteiligungsrechte haben, informeller Teil des demokratischen Prozesses sein, in dem über ihre Zugehörigkeit zur politischen Gemeinschaft entschieden wird.12 Auf diese Weise findet Benhabib einen politisch-theoretischen Umgang mit dem Dilemma politischer Mitgliedschaft, der sich nicht in Paradoxien verstrickt. Bezieht man jedoch die sozialen Dynamiken von Identitätsbildung und Exklusion ein, die in diesen Aushandlungen wirken, zeigt sich auch in ihrem Ansatz ein Problem.

4.6 Die Lücke in Benhabibs Theorie und ihre Füllung: Jurispathos 4.6.1 Optimistische Theorie, pessimistische Fallstudien: Die Spannung in Benhabibs Werk Dass ein Problem besteht, wird dadurch sichtbar, dass sich Benhabib in ihren theoretischen Überlegungen stets optimistisch zeigt, dass öffentliche Aushandlungen zu mehr Offenheit und einer Universalisierung von Normen führen, ihre Fallstudien aber nur begrenzten Anlass für solchen Optimismus liefern. 12Ein

Beispiel für solche Prozesse sind die Kämpfe von Sans Papiers in Frankreich (Löw 2013).

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Zwar formuliert Benhabib in Bezug auf diese Aushandlungen keine explizite geschichtsphilosophische Teleologie, wählt aber in den theoretischen Abschnitten doch immer wieder optimistische Formulierungen, die eine Tendenz andeuten, in der sich überkommene Partikularismen und substanzialistische Nationalismen nach und nach auflösen und eine zunehmend offene Rechtsordnung entsteht. Die entsprechenden demokratischen Aushandlungen und die durch sie angestoßenen legislativen und juristisch-interpretativen Prozesse bezeichnet Benhabib in Anlehnung an Derridas Iterabilitätsbegriff als „demokratische Iterationen“ (Benhabib 2008, S. 175). Rechtsnormen, die zunächst das Privileg einer bestimmten Gruppe – etwa vermögender, weißer, männlicher Staatsbürger – seien, könnten im Rahmen demokratischer Iterationen nach und nach offener werden, wenn bis dato ausgeschlossene Gruppen dieses Recht in öffentlichen Aushandlungen einfordern und erkämpfen. Indem die Ausgeschlossenen die bislang exklusiven Normen wiederholten und für sich reklamierten, könnten diese ihren exklusiven und partikularen Charakter verlieren. Das gelte neben den Rechten von Nicht-Bürgerinnen auch für die von Frauen, kulturellen Minderheiten und anderen marginalisierten Gruppen. Wenn demokratische Iterationen zu solchen Ergebnissen führen, spricht Benhabib in Anlehnung an Robert Cover und Frank Michelman von „jurisgenerativen Debatten“ (Benhabib 2008, S. 177) oder Jurisgenerativität (Benhabib 2008, S. 30–31, 173–179). Die Mehrzahl von Benhabibs Beispielen für demokratische Iterationen bezieht sich auf Fragen kultureller Differenz. Die Ergebnisse dieser Aushandlungen widersprechen ihrem theoretischen Optimismus recht deutlich. In Bezug auf Konflikte um das Kopftuch in öffentlichen Einrichtungen Deutschland, Frankreich und der Türkei zeigt sie zwar, dass sich dabei in der Öffentlichkeit sehr viel komplexere Identitäten formieren, als es stereotype Darstellungen wollen, und sich diese Identitäten im Prozess der Aushandlung auch verschieben. Gerade in Bezug auf die Rechtsnormen, um die es bei den Begriffen demokratischer Iteration und Jurisgenerativität letztlich geht, zeigt sie jedoch mindestens so viel Verfestigung wie Öffnung auf (Benhabib 2002, S. 94–100, 117–119, 2006, S. 51–61; 2008, S. 179–196; 2011, S. 175–181). Die von ihr analysierte Aushandlung um muslimisches Eherecht in Indien endet damit, dass die Rechte muslimischer Frauen unter dem Druck von antimuslimischem Hindunationalismus und muslimischen Traditionalismus eingeschränkt werden (Benhabib 2002, S. 91–94, 115–117), beim Streit um die Berufung auf die Kultur der Täterinnen als Verteidigungsstrategie in Strafprozessen vor US-Gerichten beschreibt sie ähnliche Dynamiken (Benhabib 2002, S. 86–90, 100–104). Ihre einzige Fallstudie in Hinblick auf politische Mitgliedschaft nimmt zwar einen positiveren Ausgang, bleibt aber ebenfalls ambivalent: Als

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­chleswig-Holstein 1989 einigen Einwohnerinnen, die keine deutsche StaatsS angehörigkeit, aber einen dauerhaften Aufenthaltsstatus hatten, das Wahlrecht bei Kommunalwahlen verleihen wollte, stieß dies auf massiven Widerstand vonseiten der Unionsparteien. Dieser Konflikt führte schließlich zu einer Verfassungsklage gegen das neue Wahlgesetz. Das Bundesverfassungsgericht gab der Klage statt und erklärte das vorgesehene Ausländerwahlrecht für grundgesetz­ widrig. Nach dem Grundgesetz müsse alle Staatsgewalt vom Volke ausgehen, womit das deutsche Volk gemeint sei, dem Ausländerinnen bzw. Nichtbürgerinnen nicht angehörten. Trotz dieses vorläufigen Scheiterns der Initiative zur politischen Integration von Ausländerinnen sieht Benhabib dadurch langfristig einen effektiven Öffnungsprozess angestoßen: Zunächst wurde mit dem 1993 in Kraft getretenen Vertrag von Maastricht EU-Ausländerinnen mit festem Wohnsitz in Deutschland schließlich doch ein kommunales Wahlrecht in ihrem jeweiligen Wohnort gewährt. Darüber hinaus habe das Bundesverfassungsgericht in seinem ablehnenden Urteil bereits darauf hingewiesen, dass es der Legislative freistehe, das Staatsangehörigkeitsrecht zu ändern. Tatsächlich sei es dann zu einem „Prozeß intensiver demokratischer Iterationen“ (Benhabib 2008, S. 200) gekommen, der im Jahr 2000 zu einem neuen Staatsbürgerschaftsrecht geführt habe, das Immigrantinnen die Einbürgerung deutlich erleichtere (Benhabib 2008, S. 196–202). Ambivalent sind die Ergebnisse dieser Fallstudie insofern, als Benhabib zwar demonstrieren kann, dass es in der Bundesrepublik nach 1990 intensive Aushandlungen über die Frage politischer Zugehörigkeit gegeben hat, in der sich die Vorstellung, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, weitgehend durchsetzen konnte, was die Vorstellung vom deutschen Volk veränderte und eine entsprechende Reform des Staatsbürgerschaftsrechts ermöglichte. Im Ausgangsproblem des kommunalen Wahlrechts hatte sich die Veränderung jedoch nicht durch demokratische Aushandlungen in Deutschland, sondern durch ein europäisches Abkommen ergeben. Zudem bleibt die Neuregelung wiederum auf EU-Bürgerinnen begrenzt, sodass alle anderen weiterhin vom kommunalen Wahlrecht ausgeschlossen bleiben. Während Benhabibs Theorie demokratischer Iterationen ausgesprochen optimistisch formuliert ist, deuten ihre Analysen konkreter Aushandlungen darauf hin, dass dieser Optimismus einer gewissen Einschränkung und Qualifizierung bedarf. Auch wenn die einzige von ihr diskutierte Aushandlung, in der es wirklich um die Grenzen von Staatsbürgerschaft geht, noch am ehesten zu einem Ende kommt, das Benhabibs theoretischen Diskurs-Optimismus rechtfertigen könnte, gibt es keinen Grund davon auszugehen, dass es hier nicht zu denselben Dynamiken von Festschreibung, Partikularismus, Ethnozentrismus und Exklusion kommen kann wie bei den von ihr analysierten Aushandlungen kultureller Differenz.

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Damit ziehe ich das grundlegende normative Argument, das Benhabib formuliert, nicht in Zweifel: Sie zeigt überzeugend auf, dass die Infragestellung der Exklusivität bestimmter Rechtsnormen zu gesellschaftlichen Aushandlungen führen kann, in deren Laufe sich gesellschaftlich etablierten Vorstellungen wandeln, was wiederum eine offenere Auslegung oder Formulierung der Normen ermöglicht. Diese These ist umso überzeugender, wenn man über Benhabibs Fallstudien hinausgeht und die Veränderungen des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts von den 1980ern bis heute in Betracht nimmt. Damit eröffnet sie eine vielversprechende Perspektive auf das Dilemma der Grenze. Jedoch muss auch die Frage gestellt werden, unter welchen Bedingungen solche Prozesse erfolgreich sind oder scheitern.

4.6.2 Der theoretische Lückenfüller: Jurispathos als Residualkategorie In Die Rechte der Anderen reflektiert Benhabib dieses Problem nicht ausführlich und bietet dementsprechend auch keine Begriffe, um es zu erfassen. Im 2006 veröffentlichten Nachfolgewerk Another Cosmopolitanism ändert sie dies und liefert einen Begriff nach: Wenn demokratische Iterationen nicht zu einer Öffnung der Rechtsordnung führen, sondern Exklusionen aufrechterhalten oder verschärfen, spricht sie – wiederum in Anlehnung an Cover – von Jurispathos bzw. jurispathischen Debatten. Dieser Begriff hat bei Benhabib jedoch eher den Status einer Residualkategorie, in die alles fällt, was nicht in ihre optimistische Hauptargumentation passt. Zudem beschränkt sie sich in Another Cosmopolitanism darauf, kurz anzuerkennen, dass es das Problem gibt, ohne weiter auszuführen, wie damit theoretisch oder politisch umzugehen wäre (Benhabib 2006, S. 49–50, 70). Im 2011 erschienenen Band Dignity in Adversity folgen etwas längere Ausführungen, die aber zusammengenommen immer noch kaum eine Buchseite füllen (Benhabib 2011, S. 16–17, 151–152, 182–183). Insbesondere bleiben zwei entscheidende Fragen weitestgehend ungeklärt: Erstens diskutiert Benhabib nicht, wie jurispathische Debatten funktionie­ ren. Es wäre zu klären, welche institutionellen und diskursiven Dynamiken und Mechanismen am Wirken sind, wenn die Ansprüche exkludierter Gruppen unerhört bleiben und die Privilegien anderer Gruppen gewahrt werden. Zweitens bleibt unklar, warum es zu jurispathischen Debattenverläufen kommt. Dementsprechend wäre nach den institutionellen und sozialen Ursachen zu fragen, die jurispathische Diskursdynamiken (oder Statiken) bedingen und begünstigen.

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Diese Fragen spielen bei Benhabib insbesondere deshalb kaum eine Rolle, weil sie in erster Linie als normative politische Theoretikerin schreibt. Als solcher geht es ihr zuvorderst um die Frage, was sein soll, und nur sekundär um die Frage, warum es nicht so ist, wie es sein soll. Ein solches Vorgehen ist jedoch riskant und setzt sich letztlich einem Ideologieverdacht aus: Wenn die nationalstaatlich-liberaldemokratische Ordnung, die Benhabib mit ihrer politischen Theorie legitimiert, die genannten Diskursblockaden, Ausschlüsse und Marginalisierungen nicht nur akzidenziell, sondern systematisch oder gar notwendig produziert und aufrechterhält, liefe ihre Theorie Gefahr, Unfreiheit und Ungleichheit als Teil des besten Weges zu Freiheit und Gleichheit zu verklären. Dieser Gefahr kann politische Theorie nur entgehen, wenn sie sich einer gesellschaftstheoretischen und ideologiekritischen Reflexion öffnet. Sie muss systematisch daraufhin befragt werden, welche sozialen Dynamiken und Ausschlüsse die Gesellschaftsordnung produziert, die mit der politischen Ordnung einhergeht, für die sie selbst eine Legitimation liefert. Auch wenn Benhabibs diskursethische Thesen den überzeugendsten politisch-theoretischen Umgang mit dem Problem politischer Mitgliedschaft darstellen, gilt diese Notwendigkeit für ihren Ansatz in verschärfter Weise: Gerade weil sie den realen gesellschaftlichen Aushandlungen ein so großes theoretisches Gewicht zumutet, muss sie reflektieren, welche Dynamiken in diesen Aushandlungen wirken und das ihnen zugeschriebene Rationalisierungspotenzial gegebenenfalls blockieren. Meine Kritik zielt daher zunächst nicht darauf, ihren Ansatz politisch-theoretisch zu verändern, sondern darauf, ihn gesellschaftstheoretisch und ideologiekritisch zu supplementieren.

4.6.3 Die Expansion des Jurispathosbegriffes Eine solche Supplementierung müsste insbesondere darauf fokussieren, ob und wie die von der diskursethisch begründeten politischen Philosophie legitimierte gesellschaftliche Ordnung – also eine sozialstaatlich eingehegte kapitalistische Ökonomie und eine supranational erweiterte nationale Staatlichkeit – auf die demokratischen Iterationen zurückschlägt und jurispathische Prozesse bei der Aushandlung politischer Zugehörigkeit wahrscheinlicher macht. Theoriesystematisch bietet es sich dabei zunächst an, Habermas‘ in früheren gesellschaftstheoretischen Werken entwickelten, in den politisch-theoretischen Texten aber an den Rand gedrängten Begriff der systematisch verzerrten Kommunikation aufzugreifen und in die politische Theorie zu integrieren. Konkreter gilt es, Rassismus und Nationalismus als systematisch verzerrtes

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­ ommunikationsverhältnis zu fassen und darzulegen, wie diese Verzerrungen K dazu führen, dass demokratische Aushandlungen politischer Mitgliedschaft nicht den von Benhabib erhofften jurisgenerativen, sondern einen jurispathischen Effekt zeitigen (Biskamp 2016a, S. 327–392; 2016b). Diese Diskussionen lassen sich jeweils nur anhand spezifischer historischer Kontexte vollziehen, wobei der europäische Fall besonders reizvoll ist. Dies gilt nicht nur, weil sich Benhabib selbst darauf bezieht, sondern auch, weil hier eine Gleichzeitigkeit eines kosmopolitisch anmutenden Rückbaus von Grenzen im Innern und einer Absicherung der Außengrenzen vorliegt, die von intensiven öffentlichen Aushandlungen begleitet wird. Will man die geforderte Supplementierung an diesem Fall vollziehen, gilt es insbesondere vier soziologische und politikwissenschaftliche Forschungsstränge in Benhabibs theoretische Begriffe zu übersetzen und zu integrieren. Dies ist erstens die politikwissenschaftliche Migrationspolitikforschung, die untersucht, wie die politischen Entscheidungsprozesse über das europäische Grenzregimes in den politischen Systemen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten unter dem Druck öffentlicher Akteure ablaufen (Buckel 2013; Forschungsgruppe Staatsprojekt Europa 2014). Dieser Forschungsstrang ist notwendig, um die politischen Dynamiken zu verstehen, die den Entscheidungen über die Durchlässigkeit der europäischen Innen- und Außengrenzen zugrunde liegen und die dabei als Machtkampf verschiedener Interessen und Hegemonieprojekte erkennbar werden. Zweitens ist es die kritische Grenzregimeforschung, die zum einen die Dynamiken von Migrationsprozessen, zum anderen die sozialen Ausschlüsse gegenüber Migrantinnen analysiert (Schwenken 2006; Heimeshoff et al. 2014; Hess und Kasparek 2010). Dieser Forschungsstrang arbeitet heraus, welche Herrschaftseffekte die Grenzen für diejenigen haben, die sie überschreiten wollen, und welche Strategien zur Sicherung und zur Überschreitung der Grenze genutzt werden. Drittens ist es die Rassismusforschung und sind es dabei insbesondere diejenigen Ansätze, die Rassismus als ein Diskursphänomen erfassen, bei dem in Aushandlungen von Identität und Differenz Ausschlüsse und Marginalisierungen produziert werden (Terkessidis 2004; Rommelspacher 1995; Mecheril 2017). Diese Perspektive eröffnet den Blick auf die diskursiven Dynamiken, in denen die öffentliche Aushandlung über die Rechte der Anderen gerade nicht zu mehr Offenheit, sondern zur Stabilisierung bestehender sowie zur Schaffung neuer Ausschlüsse führen kann. Viertens schließlich ist es die soziologische Zivilgesellschafts- und Migrationsforschung, welche die transnationalen und multikulturellen Identitätsbildungsprozesse in Migrationsgesellschaften analysiert (Alexander 2006, S. 395–457; Alba und Foner 2015). Dieser Forschungsstrang bietet einen empirisch fundierten Blick auf die Aushandlungen um politische Zugehörigkeit und Migration. Durch eine systematische Einbeziehung dieser vier Forschungsstränge wäre es möglich,

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Benhabibs Konzept jurispathischer Debatten von einer Residualkategorie zu einem empirisch fundierten und theoretisch tragfähigen Konzept aufzubauen und somit eine gesellschaftstheoretische Reflexion ihrer normativen politischen Theorie zu leisten.

4.7 Fazit Die in der ersten Hälfte dieses Aufsatzes formulierten Einwände gegen liberale und republikanische Ansätze zeigen, dass es sich bei der meist an den Rand politischer Theorien verdrängten Frage politischer Mitgliedschaft und politischer Grenzen um ein Problem handelt, das immer wieder zu Paradoxien führt (Hobbes, Rawls, Rousseau) oder durch problematische Setzungen einseitig aufgelöst wird (Walzer). Indem sie darauf verweist, dass demokratische Iterationen eine Möglichkeit bieten, mit dem sich die Spannung von Menschenrechtsprinzip und Demokratieprinzip auflösen lässt, gelingt es Benhabib, das Problem politischer Mitgliedschaft ohne Paradoxien oder essenzialistische Setzungen zu theoretisieren. Auch wenn sie damit eine überzeugende normative Theorie politischer Mitgliedschaft und ihrer Grenzen vorlegt, bürdet sie den gesellschaftlichen Aushandlungen dabei ein sehr großes normatives Gewicht auf – und Benhabibs eigenen Fallstudien deuten an, dass die realen Aushandlungen dieses Gewicht oft nicht tragen können. Um nicht selbst ideologisch zu werden, bedarf (nicht nur diese) politische Theorie daher einer ideologiekritischen und gesellschaftstheoretischen Reflexion der realen sozialen Dynamiken, die die von ihr legitimierte Ordnung hervorbringt.

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Floris Biskamp ist Politikwissenschaftler und Soziologe und arbeitet derzeit als Koordinator des Promotionskollegs „Rechtspopulistische Sozialpolitik und exkludierende Solidarität“ an der Universität Tübingen. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen politische Theorie, Gesellschaftstheorie, politische Ökonomie, Religionspolitik, Populismusforschung und Rassismusforschung.

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Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion. Schwarze Deutsche und die symbolische Herrschaft in Deutschland Emmanuel Ndahayo

Zusammenfassung

Mit der Entwicklung der deutschen Staatsbürgerschaft hat die Bedeutung von „Volkszugehörigkeit“ abgenommen und die Einbürgerungsbedingungen wurden erleichtert. Der Zugang zum formal-rechtlichen Status geht aber nicht immer mit einer effektiven sozialen Inklusion einher. Die Realisierung der Staatsbürgerschaft durch Schwarze Deutsche ist – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – von einer verringerten gesellschaftspolitischen Partizipation, Ungleichbehandlung, mangelhafter Anerkennung und schwacher sozialer Zugehörigkeit gekennzeichnet. Der vorliegende Beitrag geht diesen Fragen am Beispiel Deutscher mit ursprünglicher Herkunft aus Gebieten der Subsahara-Afrika nach, die hierzu im Rahmen qualitativer Interviews Auskunft gaben. Schlüsselwörter

Staatsbürgerschaft · Afrikanisch · Deutschland · Migration · Inklusion ·  Partizipation

E. Ndahayo (*)  Seminar für Sozialwissenschaften, Universität Siegen, Siegen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. J. Grünendahl et al. (Hrsg.), Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion, Studien zur Migrations- und Integrationspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25534-3_5

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5.1 Einführung: Forderung von Schwarzen1 Deutschen nach Anerkennung und Gleichheit In einer Pressemitteilung2 präsentierten die Neuen Deutschen Organisationen (NDO)3 am 29.02.2016 „konkrete Forderungen“ für die Bekämpfung der Diskriminierung und Benachteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund. Mit der Bezeichnung „Neue Deutsche Organisationen“ wollten sie signalisieren, dass sie sich nicht mehr als Migrantinnen und Migranten fremdbezeichnen lassen wollten4. Dem Verständnis der NDO nach unterstelle die Bezeichnung „Deutsche mit Migrationshintergrund“ eine unvollständige Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft auf Basis der Herkunft und daher auch eine Staatsbürgerschaft mit Defiziten. Mit der neuen Selbstbezeichnung wollen NDO darauf hinweisen, dass sie ohne Abstriche zur deutschen Gesellschaft gehören, weil Deutsch-Sein nicht mehr von der Herkunft abhängig ist5. In vielerlei Hinsicht hat aber die Herkunft der Menschen immer noch Folgen bezüglich der Realisierung6 der Staatsbürgerschaft, auch im deutschen Kontext. Trotz des formalen Status werden manche Deutsche – insbesondere Angehörige der Minderheiten – bei der gesellschaftlichen Teilhabe und sozialen

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diesem Beitrag wird die Initiale des Adjektivs „Schwarz“ im Zusammenhang mit der Bezeichnung „Schwarze Menschen“ immer groß geschrieben. Der Begriff „Schwarze Deutsche“ bzw. „Schwarze Menschen“ in Deutschland ist politisch definiert und verweist auf Menschen, die wegen ihres Aussehens (noch) nicht in die allgemeine Wahrnehmung passen, die mit dem Deutsch-Sein bzw. mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft oft verbunden wird. In diesem Beitrag übernehme ich diesen politisch definierten Begriff, mit Fokus auf Menschen mit subsahara-afrikanischer Abstammung. 2Neue deutsche Medienmacher e.  V. http://neue-deutsche-organisationen.de/fileadmin/ user_upload/PM_NDO_2016.pdf. (Zugriff am 02.05.2018). 3Unter dem Motto „Deutschland neu denken“ kamen zum ersten Mal am 6. und 7. Februar 2015 Vertreterinnen bzw. Vertreter von 80 Organisationen zusammen und nannten ihre Organisationen „Neue Deutsche Organisationen“. Diese Organisationen wollten nicht mehr als Migrantenorganisationen bezeichnet werden. (vgl. http://neue-deutsche-organisationen. de/de/. Zugriff am 02.11.2016). 4Neue Deutsche Organisationen. http://neue-deutsche-organisationen.de/de/ (Zugriff am 02.05.2018). 5Neue Deutsche Organisationen. http://neue-deutsche-organisationen.de/de/ (Zugriff am 02.05.2018). 6Die Realisierung der Staatsbürgerschaft lässt sich insbesondere durch gesellschaftspolitische Partizipation, gesellschaftliche Teilhabe, Gleichbehandlung, Chancengleichheit, Anerkennung und sozialer Zugehörigkeit erkennen.

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­ ugehörigkeit benachteiligt. Der Zugang zum Status der deutschen StaatbürZ gerschaft garantiert keine soziale Inklusion und keine Gleichbehandlung (vgl. Gosewinkel 2001). Diesem Umstand treten die NDO mit ihrer Forderung nach Gleichstellung in der aktuellen Gesellschaft entgegen. Aus dieser Forderung kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass sich einige Deutsche von Exklusion betroffen fühlen. Dies wird später im empirischen Teil des vorliegenden Beitrags deutlich. Die NDO verstehen die Alltagspraxis hinsichtlich der Staatsbürgerschaft als ein Spannungsfeld, in welchem Staatsangehörige trotz des inklusionsversprechenden Passes Exklusion erleben können. In diesem Aufsatz fokussiere ich mich auf Schwarze Deutsche unter den Neuen Deutschen7. Den Vorwurf der NDO ernstnehmend, will ich danach fragen, wie Schwarze Deutsche die Realisierung ihres Staatsbürgerschaftsstatus wahrnehmen. Dieser Beitrag beruht hauptsächlich – neben einer Literaturrecherche – auf narrativen Interviews, die mit Neuen Deutschen ursprünglich aus Gebieten der Subsahara geführt wurden. Er bezieht sich also auf ihre Wahrnehmungen zur Realisierung der Staatsbürgerschaft, d. h. zu ihrem Erleben im Hinblick darauf, deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu sein und trotzdem nur mangelhafte Teilhabe in der deutschen Gesellschaft zu erfahren. Bevor ich mich mit diesen Wahrnehmungen beschäftige, skizziere ich die Entwicklung des deutschen Staatsbürgerschaftsgesetzes und fasse die Lage Schwarzer Menschen in Deutschland mit Blick auf ihre soziale Inklusion bzw. Exklusion zusammen.

5.2 Die Entwicklung des Gesetzes zur Staatsbürgerschaft und seines Inklusionscharakters in Deutschland Mit der Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) 1999, das am 1. Januar 2000 in Kraft getreten ist, wurden wesentliche Aspekte des ius soli eingeführt und die Einbürgerung von Migrantinnen bzw. Migranten wurde erleichtert. Mit diesem neuen Rechtsdokument, das später mehrmals leicht modifiziert wurde, verabschiedete Deutschland sich von einem Gesetz, das in vielerlei Hinsicht als veraltet betrachtet werden konnte. Das alte Gesetz, das unter dem Namen Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz RuStAG 1913 in Kraft getreten

7In

Anlehnung an die Neue Deutsche Organisation verwende ich für deren Mitglieder oder den durch sie vertretenen Menschen im Folgenden die Bezeichnung „Neue Deutsche“.

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war und das bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts nur sehr leicht verändert wurde, war restriktiv und unvereinbar mit der Realität einer modernen westlichen Gesellschaft. Es stützte sich hauptsächlich auf das Prinzip der „Volkszugehörigkeit“ (vgl. Howard 2008, S. 42; Winter 2013, S. 301–302). Obwohl es im neuen Gesetz immer noch Elemente gibt, die auf das Erbe des „Volksprinzips“ verweisen, hat die Reform zahlreiche Änderungen eingeführt, die dem Einwanderungscharakter der deutschen Gesellschaft gerechter wurden (vgl. Green 2000; Gerdes und Faist 2006; Heckman 2003; Howard 2008, 2012; Winter 2013). Zu diesen Änderungen zählt beispielsweise der Erhalt der Staatsbürgerschaft bei Geburt, sofern ein Elternteil eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt; die (wenn auch nur in eingeschränkten Fällen erteilte) doppelte Staatsbürgerschaft; Erleichterung von Voraussetzungen für die Einbürgerung und ein schnelleres Einbürgerungsverfahren. Die Erleichterung des Zugangs zur Staatsangehörigkeit geht aber nicht immer mit der Realisierung dieses Status einher. Auch wenn Staatsbürgerschaft im deutschen Nationalstaat formal Inklusion und gleiche Rechte bewirken soll, sehen sich Bürgerinnen bzw. Bürger Ungleichheit erzeugenden Alltagspraxen ausgesetzt, wodurch Inklusionsversprechen schnell wieder in Exklusionsprozessen münden können. Ungeachtet der rechtlichen Gleichstellung schließt der Besitz der Staatsbürgerschaft also eine faktische Diskriminierung nicht aus. In diesem Sinne garantiert der Besitz des Status nicht den uneingeschränkten Genuss der Rechte und Privilegien als Staatsbürgerin bzw. Staatsbürger. Um gleiche Bedingungen herzustellen, besteht weiter Handlungsbedarf. In diesem Zusammenhang und im deutschen Kontext wurde das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom Bundestag 2006 beschlossen und 2009 leicht verändert. Das Ziel des Gesetzes8 ist, wie in § 1 zu lesen ist, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“9.

8Es

ist wichtig an dieser Stelle anzumerken, dass im Gesetzestext von ‚Rasse‘ die Rede ist. Im deutschsprachigen Raum wird der Begriff ‚Rasse‘ vor allem bezüglich der deutschen Geschichte im Allgemeinen aufgrund dessen ideologischer Konnotation nicht mehr verwendet. Die Vorstellung, dass es menschliche ‚Rassen‘ gibt, ist dennoch nicht ganz verschwunden. 9Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Juris. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. http://www.gesetze-im-internet.de/agg/BJNR189710006.html (Zugriff am 02.05.2018).

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Aus den genannten Gründen wurde eine Antidiskriminierungsstelle auf Bundesebene für die Umsetzung des AGG’s bzw. zum Schutz vor Benachteiligungen errichtet. Das AGG wird im vorliegenden Aufsatz nicht mit dem Ziel erwähnt, den Inhalt detailliert zu bearbeiten, sondern um zu zeigen, dass (1) Ungleichheiten bzw. Ungleichbehandlungen auf Basis der im Gesetz genannten Gründe vorhanden sind; und dass (2) Gleichberechtigung nicht immer Gleichbehandlung oder gleiche Chancen bedeutet. Der rechtliche Status der Staatsbürgerschaft und die Gleichheit bzw. Gleichbehandlung unter Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürgern sind also zwei verschiedene Dinge (vgl. Dahrendorf 2000, S. 137). Die soziale Exklusion bzw. Diskriminierung betrifft einige Minderheiten in Deutschland, wie Schwarze (vgl. Nestlinger et al. 2017), auch wenn sie die Staatsbürgerschaft besitzen. Aus dieser auf symbolischer Herrschaft (Bourdieu 1991a; Weiß 2013) beruhenden Exklusion gehen symbolische Kämpfe von Schwarzen hervor. Durch diese Kämpfe verlangen Schwarze Deutsche mehr Gleichstellung und Teilhabe in der Gesellschaft. In diesem Sinne können die Forderungen von NDO verstanden werden.

5.3 Zwischen formaler und praktischer Staatsbürgerschaft: Ein Defizit? Exklusion bzw. die exkludierende Wirkung von Staatsbürgerschaft ist ein Charaktermerkmal von Nationalstaaten. Diese schaffen rechtliche und praktische Grundlagen dafür, dass diejenigen, die nicht über die Staatsangehörigkeit verfügen, gegenüber denen, die diesen Status besitzen, exkludiert werden. Die formale Staatsbürgerschaft beendet die rechtliche Exklusion, sie garantiert aber nicht die volle Anerkennung im Sinne der sozialen Zugehörigkeit und auch nicht den vollen Genuss von Rechten, Privilegien und Ressourcen als Staatsbürgerin bzw. Staatsbürger. Diesbezüglich wurden bestimmte Menschengruppen, wie Frauen, Juden und Schwarze in der Geschichte bei der Realisierung der Staatsbürgerschaft benachteiligt und sogar ausgeschlossen, obwohl sie staatsangehörig waren. Diese Art von Exklusion bzw. des Defizits besteht weiterhin und bezieht sich u. a. auf die Herkunft, vermutete oder zugeschriebene Zugehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht. Das staatsbürgerschaftliche Defizit lässt sich anhand der mangelhaften gesellschaftlichen Teilhabe feststellen. Konkret ist das z. B. bei Migrantinnen bzw. Migranten an einer hohen Arbeitslosigkeit, erzwungener oder freiwilliger Ghettoisierung, schlechter Wohnsituation, materieller Unsicherheit, freiwilliger

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oder erzwungener Marginalisierung bezüglich der sozialen Zugehörigkeit und der nationalen Identität zu erkennen (Lockwood 2000, S. 174). Das Defizit zeigt sich also entweder in fehlenden immateriellen und materiellen Ressourcen, deren Folge die mangelnde Verwirklichung vorhandener formaler Rechte und Privilegien sein kann oder wenn es eine Verhinderung der vollständigen Ausübung von vorhandenen Rechten gibt (vgl. Lockwood 2000, S. 165). Das Defizit bei der Staatsbürgerschaft kann als Machtdefizit, Stigmatisierungsdefizit und fiskalisches Defizit (vgl. Lockwood 2000, S. 165–176) auftauchen. Beim Machtdefizit, so Lockwood, geht es um eine Situation von Machtlosigkeit oder Machtasymmetrie, in der Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger ihre Rechte oder Privilegien nur eingeschränkt realisieren können. Bei diesen machtasymmetrischen Beziehungen haben rivalisierende Menschen oder Gruppen formal gleiche Rechte, aber unterschiedliche Ressourcen bzw. Chancen diese auch durchzusetzen. Das fiskalische Defizit, so Lockwood (2000, S. 171) bezieht sich auf einen Mangel an finanziellen Ressourcen. Macht- und Fiskaldefizite hängen in den meisten Fällen mit einer Stigmatisierung von betroffenen Personen zusammen. Die Stigmatisierung betrifft überwiegend Angehörige von Minderheiten innerhalb der Gesellschaft und verknüpft sich mit einer offenen oder subtilen Diskriminierung (Lockwood 2000, S. 167). Schwarze Deutsche werden nicht immer als Deutsche, sondern als „andere Deutsche“ (vgl. Mecheril und Teo 1994) betrachtet und behandelt. Die Situation dieser Menschen als „andere Deutsche“, d. h. als Teil der deutschen Gesellschaft mit unvollkommener Zugehörigkeit, kann durch die Dichotomie Inklusion/ Exklusion in der Gesellschaft bei der Ausübung der Staatsbürgerschaft analysiert werden.

5.4 Schwarze Deutsche zwischen Inklusion und Exklusion Das statistische Bundesamt10 gab am 01.08.2017 an, dass 2016 rund 740.000 Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland lebten. Laut dem Bundesamt (Stand 31.12.2016) gab es 510.535 Menschen mit afrikanischen Staatsbürgerschaften in Deutschland, darunter 171.255 Menschen aus Nordafrika. Diesen

10Statistisches Bundesamt (2017). Bevölkerung mit Migrationshintergrund um 8,5  % gestiegen. https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2017/08/ PD17_261_12511.html (Zugriff am 10.08.2017).

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Daten zufolge gab es ca. 230.000 Deutsche mit afrikanischer Abstammung und 339.280 afrikanische Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara in Deutschland. Diese auf der Herkunft beruhenden Zahlen exkludieren Schwarze Menschen aus nicht-afrikanischen Staaten (beispielsweise aus europäischen und amerikanischen Ländern). Im Allgemeinen werden Schwarze Menschen oft nicht als zugehörig zur deutschen Gesellschaft wahrgenommen, da Deutsch-Sein historisch hauptsächlich mit weißer Haut gekoppelt ist. Dies ist häufig auch der Fall bei denjenigen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Viele Autorinnen und Autoren vertreten die Auffassung, dass Schwarze in Deutschland besonders mit Rassismus, Stereotypen, Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert wurden oder immer noch werden (vgl. ADB und cbN 2004; Arndt et al. 2006; Benndorf 2008; BMJ 2012; ECRI 2009; Kaufmann 2016; Mabuduko 2011; Mbombi 2011; Nestlinger et al. 2017; Oguntoye et al. 1986; Pokos 2009; Sow 2008; Wachendorfer 2006, etc.). Diesen Autorinnen und Autoren zufolge beruhen die Benachteiligungen und die Diskriminierungen von Schwarzen überwiegend auf traditionellen, immer noch bestehenden Stereotypen und Vorurteilen (vgl. Arndt et al. 2006). Schwarze Menschen in Deutschland wurden lange Zeit – und werden immer noch – als ‚andere‘ Menschen konstruiert, nicht nur weil sie oder ihre Vorfahren als Migrantinnen bzw. Migranten nach Deutschland gekommen sind, sondern auch und vor allem auf Grund ihrer Hautfarbe (vgl. Arndt 2006; Nestlinger et al. 2017, S. 45). Aufgrund ihres Aussehens passen sie nicht ins Bild, das mit dem Deutsch-Sein oft verbunden wird. Es handelt sich um ein Bild, das unbewusst konstruiert wird; das nicht mehr thematisiert werden muss, sondern ganz im Allgemeinen als „normal“ angesehen wird (vgl. Arndt et al. 2006). Schwarz-Sein dagegen wird als „abweichend“ betrachtet. In diesem Sinne werden Weiß-Sein und SchwarzSein im Allgemeinen hierarchisiert und Weiß-Sein wird mit positiven und Schwarz-Sein mit negativen Eigenschaften versehen (ebd.). Dieses symbolische Ausschlussprinzip wird in vielerlei Hinsicht mit rassistischen Vorstellungen zementiert. Dieser Sachverhalt ist ebenfalls in den Ausführungen der Psychologin Ursula Wachendorfer (2006, S. 57) vorzufinden: „Die Unterscheidung und Bewertung der Menschen nach Hautfarbe, die durch eine scheinbar natürliche Ordnung qua Biologie und Genetik sozusagen vorgegeben sein soll, hat in Deutschland eine lange Tradition. Heute wird die Hautfarbe mit Bedeutung aufgeladen, indem sie mit bestimmten Eigenschaften ausgestattet und hierarchisiert wird und zwar im Sinne einer Superiorität von Weißen und Inferiorität von Schwarzen.“

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Relevant ist hier die Bedeutung der Hautfarbe in der deutschen Gesellschaft. Sie wird mit einer Art der Hierarchisierung der Menschen assoziiert. Als Folge zählt sie zu den Faktoren, die die Benachteiligung begünstigen. Die amerikanische Soziologin Frankenberg (1993) und die deutsche Psychologin Wachendorfer (2006, S. 57) stellen dar, dass Weiß-Sein mit strukturellen Vorteilen und Privilegien verbunden ist. Dies impliziert, dass Schwarz-Sein auch an strukturelle Nachteile und Einschränkungen gekoppelt ist, da Privilegien nur bestehen können, wenn es gleichzeitig auch eine Kehrseite – also Benachteiligungen – gibt. Die Diskriminierung stützt sich erheblich auf die Herkunft, Hautfarbe, Traditionen und auch auf Kulturen der Mitglieder der betroffenen Menschengruppe. So meinte Weber (1922, S. 217) bereits, dass Schwarze im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen in der Geschichte herabgesetzt wurden. In Einwanderungsgesellschaften gibt es gesellschaftliche Machtverhältnisse, die Menschen aufgrund ihres Hintergrundes benachteiligend oder privilegierend prägen (vgl. advd 2013, S. 10 f.). Menschen werden in diesen strukturellen Verhältnissen anhand ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe privilegiert (z. B. weiße Männer in westlichen Gesellschaften) oder benachteiligt (z. B. Frauen – auch in Nicht-Einwanderungsgesellschaften – oder/und Schwarze Menschen in vielen von weißen Männern dominierten Gesellschaften). Schwarze Menschen in Deutschland sind als Mitglieder einer Minderheitsgruppe von einer solchen Realität der deutschen Gesellschaft betroffen. Im Vergleich zu weißen Menschen mit Migrationsgeschichte sind Schwarze sowie ihre Kinder und Kindeskinder als Mitglieder der schwarzen „sichtbaren“ Minderheit langfristiger und intensiver von Diskriminierung in Deutschland betroffen (vgl. SVR-Forschungsbereich 2018; Weiß 2017, S. 89). Dies impliziert, dass die Hautfarbe und die vermeintliche Zugehörigkeit auf den deutschen Märkten (wie z. B. auf dem Arbeitsmarkt) eine Rolle spielen und dass sich dies auf Lebens-, Zugangs- und Anschlusschancen von Menschen auswirkt. Die Benachteiligungen passieren in Verhandlungen in der Gesellschaft sowohl zwischen Individuen als auch unter Menschengruppen und sie sind daher von rassistischen Klassifikationen beeinflusst. Weiß (2001, S. 83) weist wie folgt auf diesen Umstand hin: „Man sollte soziale Ungleichheit also nicht einfach auf ihre kulturellen Aspekte reduzieren, sondern man muss genauer zeigen, wie sich z.B. rassistische Klassifikationen mit ökonomischen und anderen sozialen Strukturen vermitteln“.

Die Zugehörigkeit zu einer Menschengruppe steht also mit wirtschaftlichen, politischen und anderen sozialen Strukturen in Verbindung und ist zudem verknüpft

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mit Konflikten, die aus dem Kampf um die Machtverteilung und Teilhabe an ­Ressourcen erfolgen (vgl. Scherr 2000, S. 402). Die Geschichte sowie die Gegenwart Schwarzer Menschen in Deutschland sind also durch gesellschaftliche Zuschreibungen und Zurücksetzungen gekennzeichnet. Bei der Entwicklung der deutschen Gesellschaft tauchen rassistische Vorstellungen gegen sie nicht selten auf. Von Autorinnen und Autoren wie Gutema (2011); Kampmann (1994); Oguntoye et al. (1986); Opitz (1986) erfahren wir, wie Schwarze schon vor der Kolonialzeit in der deutschen Gesellschaft rassistisch und diskriminierend betrachtet wurden. Sie galten dort als Exoten und waren erheblichen Klischees von Seiten der Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt. Diese Situation verfestigte sich noch zunehmend durch die Sklaverei. Viele dieser rassistischen Stereotype existierten bis in die Zeit des Kolonialismus und in die der Weimarer Republik, sie gipfelten im Nationalsozialismus (vgl. Aikins 2004; Al-Samarai 2004b; Anderson 1991; Bechhaus-Gerst 2004; Eicker 2009; Möhle 2002; Oguntoye 2004; Okpara-Hofman 2004; Opitz 1986; Reiprich und Ngambi Ul Kuo 1986) und setzen sich bis in die heutige Zeit weiter fort (vgl. Emde 1986; Kampmann 1994; Kaufmann 2016; Nagl 2004). Laut dem 19.–22. Bericht der Bundesrepublik Deutschland vom Jahr 2013 nach Artikel 9 des ICERD werden Schwarze Menschen in Deutschland in der Gegenwart mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit konfrontiert. Diese Aussage wurde vom ENAR (European Network Against Racism) in seinem Bericht „Afrophobia in Europe (ENAR Shadow Report 2014–2015)“, der im Jahr 2016 veröffentlicht wurde, bestätigt. Der Rassismus bleibt oft unbemerkt, weil er häufig falsch verstanden wird. Rassismus hat oft mit böser Absicht nichts zu tun. Er beruht eher auf Hierarchisierung von Menschen auf Basis vermeintlicher oder tatsächlicher Unterschiede, zum Beispiel der Herkunft, die Hautfarbe und der Kultur. Es ist relevant darauf hinzuweisen, dass rassistische Diskriminierung nicht davon abhängt, ob sie absichtsvoll geschieht, sondern davon abhängt ob der/die Diskriminierte damit benachteiligt bzw. bevorzugt wird. Die rassistische Diskriminierung könnte sowohl auf individueller als auch institutioneller und struktureller Ebene geschehen. Aufgrund symbolischer Herrschaft (Bourdieu 1991a; Weiß 2013) ist der strukturelle und institutionelle Rassismus schwerer anzuerkennen und daher auch schwerer zu bekämpfen. Historisch betrachtet lässt sich eine Weiterentwicklung einer negativen Darstellung von Schwarzen Menschen in Deutschland (vgl. Nestlinger et al. 2017, S. 67–68), die mit Benachteiligung in der deutschen Gesellschaft verbunden ist, feststellen. Im Nationalsozialismus, und auch nach dem zweiten Weltkrieg gab es einen politisch manifestierten Willen, die Präsenz von Schwarzen auf deutschem Boden zu limitieren oder sogar zu verhindern. In der jungen Bundesrepublik

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gab es beispielweise Überlegungen und Vorschläge darüber, afrodeutsche Babys zwangsmäßig abtreiben zu lassen oder in Deutschland geborene afrodeutsche Kinder in die Herkunftsländer ihrer Schwarzen Elternteile zu schicken (vgl. Deutscher Bundestag 1952; Kampmann 1994, S. 127). Anhand dieser Beispiele kann man eine Vorstellung davon bekommen, in welcher Lage diese Kinder oder ihre Eltern und andere Schwarze Menschen in Deutschland in der Vergangenheit ­lebten. Die Situation hat sich sicher mittlerweile verändert, doch trotz einiger positiver Entwicklungen werden Schwarze Menschen in Deutschland bis in die heutige Zeit weiterhin mit rassistischen Vorstellungen und Praxen konfrontiert. Dies passiert unabhängig davon, ob man einen deutschen Pass, einen Bildungstitel oder einen anderen Status hat. Beispielsweise weist Karamba Diaby, ein Bundestagsabgeordneter mit afrikanischem Hintergrund darauf hin, dass er aufgrund seiner Hautfarbe wiederholt diskriminiert werde (Diaby und Sudholt 2016). Auch der Fall von Jerome Boateng, der von einem deutschen Politiker11 als ein nicht normaler und nicht erwünschter Nachbar beurteilt wurde, nur weil er ein Schwarzer ist, ist ein weiterer Beleg für rassistische Vorstellungen gegen Schwarze Menschen in Deutschland. Wenn Schwarze Deutsche mit einem guten Bildungsabschluss, mit einer guten sozio-ökonomischen Lage oder mit einem parlamentarischen Status auf Grund der Herkunft und Hautfarbe offen rassistisch beleidigt werden, ist es ein klarer Hinweis darauf, dass das Leben Schwarzer Menschen in Deutschland im Allgemeinen von Diskriminierungen, Herabsetzungen und Benachteiligungen gekennzeichnet ist.

5.5 Symbolische Herrschaft in Deutschland In Anlehnung an Bourdieus (1991a, b, 1992, 1994, 1997a, b) Ansätze in Bezug auf „symbolische Herrschaft “ und „männliche Herrschaft“ weist Weiß (2001, 2017) auf symbolische Klassifikation in Gesellschaften hin und spricht auf der einen Seite von „symbolischer Macht bzw. Gewalt“ und auf der anderen Seite von „symbolischen Kämpfen“. Für Bourdieu (1991b, S. 487) ist die symbolische Macht

11Es

handelte sich um den AfD-Politiker Alexander Gauland. Für mehr Informationen kann dieser Artikel der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) interessant sein: Wehner und Lohse (2016). „Nicht als Nachbarn“. Gauland beleidigt Boateng. http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/afd-vize-gauland-beleidigt-jerome-boateng-14257743.html (Zugriff am 26.03.2018).

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„eine Macht, die jedes Mal ausgeübt wird, wenn eine Macht (…) in die Hände von Agenten gelangt, deren Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien den Strukturen dieser Macht oder, genauer gesagt, ihrer Verteilung angepasst sind und die daher dazu neigen, sie als natürlich, als selbstverständlich wahrzunehmen und die ihr zugrunde liegende willkürliche Gewalt zu verkennen, sie also als legitim anzuerkennen.“

Die Begriffe „natürlich“, „selbstverständlich“, „selbstläufig“ und „legitim“ gehen mit symbolischer Herrschaft einher. In diesem Sinne sagt Weiß (2017, S. 230) auch Folgendes: „Symbolische Herrschaft wird aus der Perspektive der Akteure unsichtbar, weil asymmetrische Klassifikationen, inkorporierte Praxis und soziale Institutionen das Herrschaftsverhältnis so natürlich erscheinen lassen, dass die Welt nicht anders denkbar ist“

Für Weiß (2001, S. 96, 2017, S. 230) sind institutionalisierte Aspekte des Rassismus hinsichtlich symbolischer Gewalt nur schwer erkennbar, da symbolische Gewalt in der dominanten Kultur als natürlich, selbstverständlich und selbstläufig wahrgenommen wird. So werden Rassismus und rassistische Klassifikationen (fast) unerkennbar durch symbolische Gewalt reproduziert (vgl. Weiß 2001, S. 96). Durch symbolische Kämpfe12 versuchen einige handelnde Akteurinnen und Akteure „rassistisches symbolisches Kapital im Wert herabzusetzen oder in seinen Voraussetzungen zu untergraben“ (Weiß 2001, S. 96). Einige politische und soziale Bewegungen wollen in der Auseinandersetzung mit symbolischen Kämpfen die rassistischen Klassifikationen und die damit einhergehenden Folgen konsolidieren, während andere sie abbauen oder sogar abschaffen wollen (vgl. Weiß 2001, S. 96). Bei symbolischen Kämpfen wird „die doxische Selbstverständlichkeit rassistischer Klassifikationen in Frage gestellt“ (Weiß 2013, S. 65). Für Weiß (2013, S. 61) geschehen symbolische Kämpfe nicht nur „in öffentlichen Arenen“, sondern auch „in halböffentlichen und in privaten Interaktionen“. Gegen Diskriminierungen und Benachteiligungen haben Schwarze Menschen in der deutschen Geschichte und auf unterschiedlichen Wegen versucht sich zu wehren und zu handeln. Sie haben sich schon in unterschiedlichen Zeiten gegen diese Situation ausgesprochen und protestiert. Das Engagement für mehr Rechte und für bessere Lebensbedingungen von Schwarzen Menschen in Deutschland bzw. in Europa begann schon vor dem Kolonialismus. Das bekannteste

12Symbolische

­verstehen.

Kämpfe sind in Anlehnung an den Begriff „symbolische Herrschaft“ zu

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Engagement in diesem Zusammenhang ist die engagierte wissenschaftliche Arbeit mit dem Titel „De Jure Mauro in Europa“, die Anton Wilhelm Amo im Jahr 1729 veröffentlichte. In seiner Arbeit schrieb Amo über die mangelhaften Rechte der „Mohren“13 bzw. der Schwarzen in Europa. Es ist von großer Bedeutung, dass diese Arbeit in einer Zeit geschrieben wurde, in der das heutige nationale Staatsbürgerschaftskonzept in Europa entstanden ist. Die Geschichte und allgemein geteilte Erfahrungen von Schwarzen Menschen haben dazu beigetragen, dass sie sich oft bemüht haben, sich als Schwarze zusammenzuschließen und zu handeln, bzw. ihre symbolischen Kämpfe zu führen. Im Zuge dessen gründeten sich mehrere afrikanische Vereinigungen. Die bekanntesten Vereinigungen sind die Liga zur Verteidigung der Negerrasse14, die 1929 gegründet wurde, die Initiative Schwarze Menschen (ISD) und die Schwarze Frauen in Deutschland (ADEFRA), die in den 1980er Jahren gegründet wurden. Die beiden letztgenannten Organisationen definieren sich nicht per se als afrikanisch. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, dass Schwarze Deutsche als Deutsche in der Gesellschaft anerkannt werden und nicht auf ihre ursprüngliche Herkunft reduziert werden sollen. Sie kämpfen gesellschaftspolitisch dafür, dass

13Der

„Mohr“ wurde als „böser Mensch“ im Gegensatz zum Weißen angesehen (vgl. Opitz 1986, S. 19 f.). „Mohr“ war ein stereotypisierender Begriff, der mit physischen Merkmalen wie dunkler Haut, dicken Lippen, großen Ohren mit großen und dicken Ohrringen etc., aber auch mit geistigen Besonderheiten wie Wildheit, Rohheit oder mangelhafter Entwicklung des Geistes assoziiert wurde. Im Mittelalter, wo die Kirche und das Christentum das Leben und die Vorstellungen der Menschen stark lenkten, war der Mohr, also der Andere, in Hexen- und Teufelsbeschreibungen zu finden (vgl. Opitz 1986, S. 19 f.). 14Die Bezeichnung „Neger“ machte einen Unterschied zwischen „helleren und dunkleren“ Afrikanern bzw. Afrikanerinnen, löste den Begriff „Mohr“ ab und führte zur Trennung des Kontinents in einen „schwarzen“ und einen „weißen“ Teil (Opitz 1986, S. 20). Für Opitz (1986, S. 20) war die kolonialistische Ideologie der Trennung von Afrika zu dieser Zeit schon entwickelt und die Kolonisierung in Sicht. In Deutschland ist das Wort „Neger“ nicht mehr legitim. Es ist mit der traurigen Geschichte der Schwarzen Menschen, die als Sklaven gedient haben und die oft wie Menschen unterer Klasse behandelt wurden, verbunden. Das Wort „Neger“ kommt ursprünglich aus dem Lateinischen „niger“ und bedeutet „schwarz“ (die Farbe). Zu der Zeit der Sklaverei und des Kolonialismus wurde dieses Wort aber abwertend und verletzend gegenüber afrikanischen Menschen benutzt: Mit dem Begriff „Neger“ war nicht nur die Hautfarbe gemeint, sondern auch die den Schwarzen Menschen zugeschriebenen Charaktere wie Animalität, Primitivität, Unwissenheit, Chaos, Faulheit, Schmutz etc. (vgl. Kilomba 2009). Das „N-Wort“ wurde strategisch genutzt, „um das Gefühl von Verlust, Minderwertigkeit und die Unterwerfung unter weiße koloniale Herrschaft zu implementieren“ (Kilomba 2009). Wird dieses Wort in der Gegenwart benutzt, ist das eine Anlehnung an die Herr-Untertanen-Dichotomie der Sklaverei und des Kolonialismus und an die asymmetrischen Beziehungen zwischen den Weißen (in einer überlegenen Position) und den Schwarzen (in einer unterlegenen Position).

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auch Schwarze Menschen in der Mitte der deutschen Gesellschaft ankommen und dort als voll zugehörig wahrgenommen werden. In den jüngsten Jahren gründeten sich weitere Organisationen und Netzwerke mit vergleichbaren Zielen. Zu nennen sind beispielsweise der Zentralrat der afrikanischen Gemeinde in Deutschland, Africa Positive und die sich noch in der Gründungsphase befindende Bundesvereinigung Mandatsträger Afrikanischer Abstammung (BMA). Das verbindende Thema all dieser Organisationen und zahlreicher Einzelpersonen sind Inklusionskämpfe. In diesem Zusammenhang sind auch die Forderungen der NDO nach mehr Inklusion den symbolischen Kämpfen zuzuordnen.

5.6 Wahrnehmungen Schwarzer Deutscher zur Realisierung ihrer Staatsbürgerschaft Nachfolgend werden Ergebnisse aus qualitativen Befragungen mit Schwarzen Deutschen bezüglich ihrer Teilhabe und Gleichbehandlung in der deutschen Gesellschaft präsentiert. Dabei wird der Fokus auf die Wahrnehmungen der Befragten über ihre Behandlung (Gleich- bzw. Ungleichbehandlung) auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt gelegt.

5.6.1 Realisierung der Staatsbürgerschaft: zwischen Gleichberechtigung und gleichen Chancen Die Staatsbürgerschaft ermöglicht eine formale Gleichberechtigung bei allen, die sie haben. Diese Tatsache bestätigen auch die Neuen Deutschen. Sie bezeugen viele rechtliche Entwicklungen in ihrem Leben, die mit ihrem neuen Status der Staatsbürgerschaft zusammenhängen. Diese vorteilhaften Entwicklungen lassen sich beispielsweise durch Erleichterung beim Reisen erkennen. Dort ist der deutsche Pass hilfreicher als ein Pass eines afrikanischen Staates. Mit der deutschen Staatsbürgerschaft bekommen die Neuen Deutschen formal mehr Rechte und Privilegien. Dieser Status schützt aber nicht davor, dass Menschen weiterhin diskriminiert werden, oder z. B. schlechtere Chancen als weiße Deutsche auf dem Arbeitsmarkt haben. In den Erzählungen der Befragten tauchte die Erfahrung auf, dass eine gute Qualifikation zwar gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt anzubieten vermag, aber dass sie alleine nicht genügt. Einige Befragte besitzen einen Abschluss, aber sie haben keine passende Arbeitsstelle. Es ist generell anerkannt, dass die Chancen einen Job zu finden, nicht nur von der Qualifikation der Bewerberinnen bzw. Bewerber abhängig sind, sondern auch

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von anderen Faktoren wie unbewusste Wahrnehmungen oder Assoziationen, ­Vorurteilen, Stereotypen, Klischees, Interessen und Erwartungen von Kunden und Kundinnen, Bevorzugung von Menschen der eigenen Gruppe, persönliche Kontakte usw. Informelle Faktoren – wie persönliche und familiäre Beziehungen, aber auch Klischees – spielen also eine große Rolle auf den gesellschaftlichen Märkten. Die dortigen ungleichen Chancen von Neuen bzw. Schwarzen Deutschen liegen zum Teil darin begründet, dass sie im Vergleich zu den weißen Deutschen bei diesen informellen Kriterien schlecht abschneiden oder dass sie mit Vorurteilen und Klischees behaftet sind. Der formale Status garantiert also keine Chancengleichheit. Im Bericht aus dem Jahr 2013 vom Europäischen Netzwerk gegen Rassismus (ENAR) wurde darauf hingewiesen, dass Menschen mit afrikanischer Herkunft zu den vulnerablen Minderheitsgruppen gehören, die neben Sinti und Roma sowie Frauen und Muslimen sehr stark von Diskriminierungen betroffen seien (ENAR 2014, S. 15). An diesem Punkt stützt sich der Bericht auf Feststellungen, die nicht in Deutschland gesammelt worden sind. Eine ähnliche Situation ist aber auch in Deutschland feststellbar, wie auch im Bericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) 2009 angedeutet wurde. Schwarze Deutsche wurden in der deutschen Geschichte bis heute stark mit rassistischen Diskriminierungen konfrontiert. Dies lässt sich durch die im Rahmen der vorliegenden Arbeit berücksichtigten Interviews mit Deutschen mit subsahara-afrikanischer Herkunft bestätigen. Die Erfahrungen der Befragten in Bezug auf ihre Ungleichbehandlung sind unterschiedlich und auch nicht durchgehend negativ. Sie bestätigen aber, dass der Status der Staatsbürgerschaft nicht unbedingt sichere und gleiche Chancen für eine gesellschaftliche Teilhabe bedeutet.

5.6.2 Zum Hintergrund der Benachteiligungen In Bezug auf den Arbeitsmarkt stellt der Forschungsbereich beim Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen (SVR) (2014, S. 29) fest, dass unbewusste Assoziationen, Stereotype und Vorurteile eine entscheidende Rolle bei der Auswahl und Einstellung von Arbeitskräften spielen. Wenn es um die Benachteiligung aufgrund von Stereotypen, Vorbehalten und Vorurteilen geht, die eher unterschwellig zur Wirkung kommen, bedeutet die formale Qualifikation nicht mehr viel. Dies kann teilweise erklären, warum Schwarze Menschen in Deutschland besonders von Arbeitslosigkeit und ungünstigen Beschäftigungsverhältnissen betroffen sind, wie es auch Benndorf (2008) und Mabuduko (2011) in

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ihren Beiträgen sagen. Diskriminierung, die sich in Benachteiligung ausdrücken kann, fängt also schon vor dem Kontakt mit den Bewerberinnen bzw. Bewerbern an. Das bedeutet, dass Schwarze Menschen oft keine Chance bekommen, ihre Fähigkeiten zu zeigen oder nachzuweisen, da ihre Bewerbungen, nur aufgrund ihrer „abweichenden“ Namen oder Lebensläufe nicht berücksichtigt werden. Es ist irreführend, wenn Diskriminierungen ausschließlich mit bewusstem Rassismus oder einer beabsichtigten Bösartigkeit verknüpft wird. Diejenigen, die eine diskriminierende Entscheidung treffen, sind sich dessen vielfach nicht bewusst. Sie haben oft keine Intention, andere Menschen zu benachteiligen. In vielen Fällen glauben sie wirklich, dass sie richtig und gerecht handeln. Denn Rassismus ist latent und wegen der symbolischen Herrschaft oft „normal und selbstverständlich“. Die Diskriminierung hängt öfter mit in der Gesamtgesellschaft verankerten bewertenden Einstellungen gegenüber den Benachteiligten zusammen. Die Benachteiligung kann also ein Resultat von einem breiten geteilten Bild oder einer (negativen) Einstellung in Bezug auf eine Menschengruppe sein. Wie oben gesehen, verbinden viele Menschen in der deutschen Gesellschaft falsche Bilder oder falsche Einstellungen mit dem Schwarz-Sein (vgl. Arndt 2006; Arndt et al. 2006; Nestlinger et al. 2017). Dies kann an dem Beispiel von Herrn Zenawi15 verdeutlicht werden, einem Interviewpartner, der sich auf dem Arbeitsmarkt im Kontakt mit seinem Arbeitgeber auf Grund seiner Hautfarbe diskriminiert gefühlt hat. Er erzählt: ja gut bin ich hingegangen zu dieser (2) angestellte dieses Unternehmen, ja haben die Formular alles, ja ne dann habe ich alles hingelegt, dann haben Sie weiß ich nicht Ihren Pass () meinen deutschen Ausweis habe ich ä:::::: hingelegt, dann fragte Ihre Arbeitserlaubnis haben Sie dabei?@Ch:::@

Herr Zenawi weist darauf hin, dass man ihn nach einer Arbeitserlaubnis gefragt hat, obwohl er einen deutschen Ausweis vorgelegt hatte. Durch das Aussehen wurde Herr Zenawi nicht als Deutscher betrachtet, der hierzulande selbstverständlich über eine Arbeitsberechtigung verfügt. Die gängige Annahme, die mit Benachteiligungen verbunden ist, dass Schwarze nicht Deutsch sein können, bestätigt Frau Murube, eine weitere Interviewpartnerin. Sie erzählt:

15Es handelt sich hier wie bei allen weiteren Namen der Interviewpartner bzw. Interviewpartnerinnen, sowie bei Namen von Orten in Interviewpassagen um einen codierten Namen, der zum Zwecke der Anonymisierung verwendet wird.

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Also die gucken dich, du bist schwarz und für den die fragen erste Mal manche: Kannst du mich hören und so. Und äh das spielt keine Rolle. Das spielt eine Rolle, wenn die anfangen zu fragen nach deine Ausweis oder Reisepass – viele die sagen so wie so: haben Sie Reisepass? Die fragen nich nach Ausweis, weil die gehen davon aus, dass du das nich hast. Weil, deswegen diese Papier kommt zum Schluss, wenn es sein soll. Aber (1) dieser erste Eindruck du bis (2) du bis fremd, du bis schwarz, du bis Afrikaner. (1) Das is was die Leute erste Mal sehen. Nich die Frage, dass du eingebürgert bis kommt zum Schluss, ja.

Die hier ausgewählten Beispiele zeigen, wie symbolbesetzt bestimmte Bestandteile der Interaktion sind (hier die Hautfarbe) und wie sie zum Teil unbewusste Folgehandlungen in Gang setzen. Teil dieser irrationalen Folgehandlung können diskriminierende Handlungen/Fragen/Aussagen sein. Diese Diskrepanz zwischen routinierter Praxis (die Klassifikation aufgrund der Hautfarbe) und dem vermeintlich neutralen Auswahlprozess mag erklären, wie Ungleichbehandlungen im Erwerbsbereich funktionieren, wovon insbesondere Schwarze betroffen sein können. Aufgrund ihres Aussehens, das oft mit Stereotypen und Klischees verbunden ist, können die betreffenden Personen auch als unqualifiziert, unfähig oder unzuverlässig gesehen werden16. Frau Murube hat eine ähnliche Diskriminierungserfahrung wie Herr Zenawi erlebt, aber bei ihr ging diese in der Praxis noch erheblich weiter. Sie ist der Meinung, dass manche Ansprechpersonen in Ämtern und Beratungsstellen oder auch Personen, die über eine Einstellung entscheiden oft nicht auf den Ausweis schauen würden. Stattdessen nähmen sie eine schnelle Beurteilung anhand des Aussehens vor. Frau Murube habe selbst diese Erfahrung gemacht, als sie auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz war. Ein Sachbearbeiter habe ihr mitgeteilt, dass weiße Deutsche bei der Verteilung der Plätze Vorrang hätten. So erzählte Frau Murube: Ähm, was ich erlebt, das is klar (1) wie immer Rassismus manchmal. Ähm Arbeitskollege, die eine irgendwie nich so gut behandelt haben oder gepetzt haben oder (1) ähm (2) es gab (aber) meistens in Löwenscheid, deswegen hasse ich es, () betonen: ich hasse Löwenscheid. Ähm (1) in Löwenscheid hab ich so viel Rassismus erlebt. Ich habe Rassismus im Krankenhaus, ich habe Rassismus ähm am Arbeitsplatz, wo ich arbeiten konnte in, in (1) Löwenscheid, beim Arbeitsamt – ich fand das rassistisch, weil wo ich dann nach ein Möglichkeit ähm gesucht habe (1) mich

16Der

neueste bekannte Fall in diesem Sinne fand 2017 in Bielefeld statt. Dort wurde ein Deutscher mit afrikanischer Herkunft entlassen, mit der Begründung, er sei zu langsam (faul!) gewesen. Der Betroffene bestreitet diesen Vorwurf und verweist auf die Zahl von ihm bearbeiteten Akten (vgl. Reichenbach, Jens 2018).

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­ eiterzubilden halt wie ich – hab ich Ausbildung, ich denk ich wollte auch ­Fotografin w werden und so alles. Und dann bin ich zum Arbeitsamt und dann der Typ der da gearbeitet hat, alles was er gemacht is mir dann ein (1) ein Liste zu zeigen von Deutsche. Und er hatte das ganz deutlich gesagt (1) es is nich übertrieben oder so, er hat gesagt: Guck mal das is eine Liste von deutsche Kinder, die einen Platz suchen und die warten auf Plätze. Nach dem Motto was, was denkst du denn was wir für dich sollen (halt)? (1) Ja. Und im Krankenhaus auch, Löwenscheid war sehr schlimm.

Frau Murube ist davon überzeugt, dass die erfahrene Diskriminierung mit ihrer Herkunft und ihrer Hautfarbe zu tun hatte. Sie ist davon überzeugt, dass sie im Vergleich mit weißen Deutschen anders betrachtet und behandelt wurde oder immer noch wird. Sie erzählt, dass es Stellen gibt, die sie aufgrund ihrer Qualifikation hätte bekommen können, aber die sie auf Grund ihrer Hautfarbe nicht bekam. Daher denkt sie, dass sie auf dem Arbeitsmarkt nicht gleich behandelt wird. Sie glaubt, dass die Tatsache, dass sie Afrikanerin ist, mit bestimmten Assoziationen verknüpft wird, die oft eine Sonderbehandlung und einen Nachteil für sie bedeuten. So sagt sie weiter: Und ähm (1) ja sonst, manchmal auch in der Uni (1) hat man gesehen – wenn du Afrikaner bist es is – oder schwarz bist, ich weiß es nich dass das wegen diese (2) diese, diese, was die über Afrika wissen, was die über Afrika im Fernsehen sehen. Du wirst so empfangen wie jemand der gar nich kann.

Viele Befragte haben wie Frau Murube mitgeteilt, dass ihnen oft auf Grund ihres Aussehens unterstellt würde, dumm zu sein. Frau Murube zufolge sind die Vorurteile und Klischees, die Diskriminierung zur Folge haben, in der Mehrheitsgesellschaft verbreitet und geteilt. Frau Murube stellt fest, dass sich das institutionalisierte Bild über Schwarze als Menschengruppe negativ auf ihre Chancen auf deutschen Märkten auswirkt. Die Ungleichbehandlung auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere beim Einstieg, wird auch von Herrn Kanambe, einem weiteren Interviewpartner, bestätigt, aber mit einer anderen Perspektive: Glück oder Zufall. Er ist der Meinung, dass er als Migrant und zumal als schwarze Person nur Glück beim beruflichen Einstieg gehabt habe und er sieht sich selbst als Ausnahme. So sagt Herr Kanambe: (3) Ja, und in der Arbeit – also wir hatten insofern, ich hatte Glück sag ich mal. In so Position zu kommen – als Programmierer (2) aufgenommen zu werden gegenüber Deutsche, die da waren, (2) die auch Programmierer waren. Äh, hatte ich () Glück, also is nich immer gesagt, dass man so ein Glück hat, weil als Ausländer oder als Afrikaner (1) oder Migranten muss man schon besonders (sein), um – um diese äh Stelle zu bekommen.

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Herr Kanambe spricht die Problematik Schwarzer Arbeitsuchender selbst an. Er sieht sich durchaus als qualifiziert, hat aber Zweifel nur aufgrund seiner Qualifizierung eingestellt worden zu sein. Er betrachtet seine Aufnahme in die Arbeit als Glück, weil er denkt, dass es nicht üblich ist, dass eine Schwarze Person einen Job erhält, wenn diese mit weißen Deutschen konkurriert. Mit gefestigten Vorstellungen kann es passieren, dass Schwarze nur aufgrund ihrer Hautfarbe als unfähig beurteilt werden. Ein Schwarzer müsse im Vergleich zu anderen Deutschen besonders gut bzw. besser sein, um eine Stelle zu erhalten und zu behalten, so Herr Kanambe. Dies wurde auch in der empirischen Studie von Nestlinger et al. (2017, S. 39–41) bestätigt. Dieses Besonders-Gut-Sein müssen Schwarze auf dem Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt beweisen. Einige interviewte Personen teilten mit, dass sie oft unterschätzt wurden, nur weil sie Schwarz waren. In diesem Sinne erzählt Herr Kanambe weiter: Und die haben immer gezweifelt an dem (was ich mach). Weil die haben immer so – den Afrikaner ist primitiv (2) aufgenommen. Ja wieso? Du bist – du kommst doch aus Afrika. Du musst nicht – sowas kannst du gar nicht kennen.

Herr Kanambe ist wie Frau Murube der Meinung, dass diese abwertenden Vorurteile über Schwarze Menschen in Bildungseinrichtungen und auf dem Arbeitsmarkt üblich seien. Die Diskriminierung geht weiter, auch wenn die Einstellung stattgefunden hat. Etlichen interviewten Personen zufolge befinden Schwarze Beschäftigte sich oft unter dem Druck nachweisen zu müssen, dass die generalisierten Vorurteile oder Klischees über Schwarze Menschen nicht auf sie zutreffen. Die Ungleichheit kann also in ungleichen Arbeitsbedingungen stattfinden. Die befragten Personen sind auf Basis eigener Erfahrungen der Meinung, dass sie ihre Fähigkeiten stärker als ihre anderen weißen Kolleginnen und Kollegen immer wieder beweisen und nachweisen müssen. Dies betrachten die Betroffenen als Ungleichheit.

5.6.3 Nachrangigkeit und Diskriminierung Diskriminierung geht nicht immer mit offener Ablehnung einher, sondern könnte auch in einem vermeintlich inklusiven Kontext als Ausbeutung oder bewusster nachrangiger Behandlung erfolgen. Frau Murube beschwert sich im ­Interview, dass sie sich aufgrund ihrer Herkunft in einer schwachen Position befindet, sodass sie in vielen Fällen jede Tätigkeit akzeptieren musste, was ihr als Job vorgeschlagen wurde, auch wenn das entweder deutlich unter ihren Qualifikationen

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lag oder gar keiner besonderen Qualifikation bedurfte. In einigen Fällen arbeitet sie ohne Bezahlung. Dies beurteilt sie nicht nur als Diskriminierung, sondern auch als Ausbeutung. Frau Murube und Herr Kanambe haben die Erfahrung gemacht, in der sie bei ihrer gesellschaftlichen Partizipation weniger Chancen haben als ihre weißen Kolleginnen bzw. Kollegen, weil man sie nur auf Grund ihrer Hautfarbe und Herkunft für bestimmte Themen und Fragestellungen als nicht kompetent erachtet. Frau Murube ist ihren Erzählungen nach nicht faul oder dumm. Sie erzählt, dass sie trotz ihrer ehrenamtlichen Tätigkeiten und nachgewiesenen Kompetenzen keinen bezahlten Job bekommt. Sie beklagt, dass von ihr initiierte Projekte „geklaut“ werden. Die Umsetzung dieser Projekte werde von Anderen mit einem festen Arbeitsvertrag übernommen. Nicht sie sondern andere profitieren also von ihren Initiativen. Dazu erzählt sie: wirklich ich hab das mehrmals erlebt – viele haben keine Ahnung was Leute mit Migrationshintergrund oder die Leute aus Afrika (2) wie sie gelebt haben, was sie hier brauchen, was die durchmachen hier, welche Probleme sie haben. Die sehen das von außen, die ähm die haben ihre andere Idee oder die die bewerten das irgendwie oder analysieren sie, aber ohne ähm Idee zu haben, ohne ohne Information zu haben so wie halt so von weit weg, aber das sind die da sitzen. Und wenn du auch eine Projekt machst, die wollen dass du (1) diese Projekt vielleicht machst ehrenamtlich, du bringst auch Kunden, halt diese Betroffene, weil du die schnell dran kommst, aber du würdest das nicht leiten können oder Entscheidung treffen können. Die wollen nur oben sein, du bist unten. Und du arbeitest für den und die schreiben Berichte. So is das.

Frau Murube ist nicht festangestellt. Sie arbeitet ehrenamtlich. Sie fühlt sich ausgenutzt und denkt, dass diese Ausnutzung bewusst betrieben wird. Für sie geht es nicht darum, dass man an ihrer Qualifikation zweifelt, da sie schon durch ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten bewiesen hat, dass sie fähig ist. Vielmehr geht es ihr darum, dass man sie als Afrikanerin nicht ernst nimmt und dass die Einrichtung nur von ihrer Präsenz bzw. von ihren Projekten profitiert und sie dadurch ausbeutet. Diese Situation ist für sie schwer auszuhalten, aber sie weiß auch keinen Weg dagegen anzukämpfen, um etwas an dieser Lage zu verändern. Frau Murube, die Erfahrung bei verschiedenen Einrichtungen und in unterschiedlichen Städten gemacht hat, ist der Auffassung, dass diese Lage jedoch nicht überall gleich sei. Sie macht Unterschiede zwischen Städten aus und meint, dass der Zustand in der anderen Stadt, wo sie früher gelebt hat, schlimmer gewesen ist. Dies führt zu der Annahme, dass Diskriminierung oder Ausbeutung auch nicht bei allen Firmen oder Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen vorhanden ist.

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Wie bereits erwähnt, denkt Frau Murube, dass der Faktor, dass sie schwarz ist, eine Rolle bei ihrer Benachteiligung spielt. Von ihr erwarte man, dass sie als Afrikanerin nur nachrangige Tätigkeiten erfülle und dass sie das so akzeptiere. Sie vertritt den Standpunkt, dass ihre Fähigkeiten wichtig sind und dass man sie braucht, aber dass man sie nicht fest beschäftigen, sondern nur von ihr profitieren will. Weiterhin ist Frau Murube der Meinung, dass sie absichtlich auf einer nachrangigen Position bei den ehrenamtlichen Tätigkeiten gehalten wird. Sie meint, sie wird genutzt um Kunden mit Migrationshintergrund anzuziehen. Sie gibt an, dass die Betreuung von akquirierten Kunden und Kundinnen, die eigentlich das Hauptamt ausmacht, von anderen Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern übernommen wird, die in den Augen von Frau Murube dafür nicht gut qualifiziert sind. Neben der fehlenden erwerbsmäßigen Anerkennung ist sie in ihrer Tätigkeit auch noch unterfordert. Sie nimmt an, dass sie aber selbst die Betreuung von Kunden und Kundinnen übernehmen könnte und dass sie dafür sowohl in der Lage als auch qualifiziert sei. Die Unterstellung von Ausbeutung kommt auch im Fall von Herrn Kanambe zum Tragen. Er ist auch der Meinung, dass Schwarze in ihren Karrieren nachrangig behandelt werden und er nennt ein Beispiel aus der Politik, in der er auf lokaler Ebene aktiv ist. Er teilt mit, dass es schwierig für ihn als Schwarzer ist, an eine gute Position zu kommen. So sagt er: Ja das ist zu der Geschichte mit der (3) Integration – auch so im Rat bin ich – jetzt im Gemeinderat. (3) Wenn man so die Ausschüsse (2) – ja, sieht man auch im Bundestag – du kriegst dann Jugend und Soziales (1), also Ausschuss für Finanzen, für (1) Bau – die wichtigste, da kommst du nicht ohne Weiteres rein, ja. Es hängt ja auch damit zusammen, dass man auch nicht so fachlich äh (1) ja. Aber zum Teil auch wiederum, weil man glaubt nicht, dass du so fähig bist, dass du so eine Ressource (1) leiten kannst. Zwar bist du gewählt und du bist dabei, das ist sehr gut und schön, aber (2) wenn’s drauf ankommt (3) bist du doch (1) draußen.

Herr Kanambe berichtet von Zurechnungsprozessen, an welche die Verteilung prestigeträchtiger Aufgaben geknüpft ist. Herr Kanambe erzählt nicht explizit, dass er diskriminiert wird, sondern er formuliert eigentlich eine plausible Beobachtung über Vergabemechanismen, bei denen er bereits zu Beginn benachteiligt wird. Wie Frau Murube ist Herr Kanambe auch der Auffassung, dass er in diesen strukturellen Vergabemechanismen aufgrund seiner Hautfarbe benachteiligt wird.

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5.6.4 Diskriminierung trotz deutscher Staatsbürgerschaft? Die befragten Personen besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit, sie sind jedoch der Auffassung, dass sie auf Grund ihrer Herkunft und Hautfarbe und trotz ihres gegenwärtigen Status benachteiligt werden. Mit diesem Status kämpfen sie weiterhin gegen Diskriminierung oder versuchen zu beweisen, dass sie trotz möglicher Vorbehalte besser als konkurrierende weiße Personen sind. Aus den Befragungen ist zusammenfassend zu entnehmen, dass der erhaltene formale Status der deutschen Staatsangehörigkeit die Benachteiligungen aufgrund der Herkunft und Hautfarbe nicht verhindern kann. In diesem Sinne erzählt Herr Kanambe, dass er eine nachrangige Position in der Politik innehat und dass er immer nur als Vertreter in Ausschüssen nominiert wird, weil er schwarz ist: Ich bin fas – ich war im Ausschuss dort, ich komme dort – wiederum als Vertreter – mhm. Ich bin immer meistens Vertreter. Vielleicht kann man sagen ja Migranten (1) mit Migrationshintergrund, schwarz vielleicht nich ganz, aber als Vertreter is noch vertretbar.

Der lokale Politiker Herr Kanambe denkt, dass er eine bessere Position haben könnte, wenn er kein schwarzer Migrant wäre. An dieser Situation kann die Staatsbürgerschaft nichts ändern. Die Diskriminierungserfahrung trotz Besitz einer Staatsangehörigkeit hat Frau Murube auch erlebt. Ihr berufliches Leben war so unsicher, dass sie sich entschlossen hat zu studieren, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Nach dem Studium ist ihr klar geworden, dass nicht nur der Abschluss das Problem war, sondern dass auch ihre Herkunft und Hautfarbe eine Rolle bei ihrer Benachteiligung spielten. Ihren Erzählungen nach überschatten ihre Herkunft und ihr Aussehen ihren Abschluss und ihre Fähigkeiten. Trotz ihres Abschlusses, bewiesener Kompetenzen und Status als deutsche Staatsbürgerin wird Frau Murube nicht fest angestellt, auch bei der Umsetzung der Projekte, die sie selbst initiiert hat. Deswegen ist ihre Hoffnung mit der Zeit verschwunden, sodass sie überlegt, mit der Einrichtung nichts mehr zu tun zu haben und anderswo ganz neu anzufangen. So erzählt sie weiter: Woanders(…), ich dann neu anfangen kann wenn Kollege und so (1) und es is auch nich einfacher so, weil man sieht auch in diesem Bereich auch (1) wie gesagt in diese Bereich mit Migrationshintergrund wie jemand mit Migrationshintergrund passen würde, da sitzen auch Deutsche. Da kommst du auch nich dran. Nich einfach so dran.

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Mit dem Begriff „Deutsche“ meint Frau Murube nicht Deutsche im Sinne von deutschen Staatsangehörigen – wozu sie selbst auch zählt – sondern weiße Deutsche. Frau Murube ist im Endeffekt davon überzeugt, dass sie im Vergleich zu weißen Deutschen – oder im erweiterten Sinne zu weißen Menschen – in der deutschen Gesellschaft benachteiligt wird. Dass sich Frau Murube nicht mit einbezieht, wenn sie über Deutsche spricht, obwohl sie ja mittlerweile deutsche Staatsbürgerin ist, zeigt gewissermaßen, dass Frau Murube ebenfalls diese tief in der Gesellschaft verankerten Denkschemata übernommen hat. Sie empfindet keinerlei Zugehörigkeit zu Deutschen.

5.7 Fazit Die Funktion des sozialen Kapitals auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt, die Differenz zwischen (rassistischer) routinierter Alltagspraxis und der vermeintlich positivistischen, d. h. von Bewertungen freien Handlung, die Kategorisierung auf Grundlage verbreiteter Bilder, die Zurechnungspraxis von Kompetenzen bzw. Inkompetenzen und die Hierarchisierung von Akteurinnen und Akteuren sind alles Beispiele für Verhältnisse die, wenn man ausschließlich den formalrechtlichen Status der Staatsbürgerschaft betrachtet, derzeit kaum beachtet werden. Verschiedene soziale und strukturelle Mechanismen, die auf veralteten rassistischen Praxen beruhen, ermöglichen eine Ungleichbehandlung jenseits formaler Staatsbürgerschaft gegen Schwarze. Die befragten Schwarzen Deutschen vertreten überwiegend den Standpunkt, dass die schlechte soziale und berufliche Situation von Schwarzen eine direkte Folge des Rassismus, der Diskriminierung, von Klischees und falschen Vorstellungen gegen sie als Schwarze sei und dass allein der Status der Staatsbürgerschaft daran nicht viel ändern kann. Rassistische Diskriminierung von Schwarzen gehört immer noch zum Alltag in Deutschland. Es braucht tiefgreifende Handlungen um Veränderungen bewirken zu können. In diesem Sinne versuchen die Neuen Deutschen bzw. Schwarzen Deutschen durch ihre symbolischen Kämpfe zu handeln. Der neue Status ermöglicht es den Betroffenen nicht, der Ungleichbehandlung zu entkommen, die in vielen Fällen auf unbewussten Assoziationen sowie Klischees aufgrund der Hautfarbe und Herkunft beruhen. Der formale Akt der Erhaltung eines deutschen Passes reicht nicht aus, um die (post-)kolonialen Bilder von Schwarzen aufzuheben. Immerhin ermöglicht er Ihnen einen Anspruch auf neue Rechte und Privilegien als „Neue Deutsche“. Er ermöglicht ihnen einen Zugang zu den „Peripherien“ der Staatsbürgerschaft. Um einen Zugang

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zum „Zentrum“, d. h. zur vollständigen Anerkennung und gesellschaftlichen ­Partizipation zu erhalten muss noch gekämpft werden. In diesem Sinne finden die symbolischen Kämpfe Schwarzer Menschen statt. Sie verlangen mehr gesellschaftspolitische Partizipation, Gleichbehandlung, Anerkennung und soziale Zugehörigkeit. Sie haben die formal-rechtliche Staatsbürgerschaft und sie fordern die Einlösung der mit ihr verbundenen Versprechen.

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Emmanuel Ndahayo  hat sein Masterstudium und anschließend seine Promotion in Sozialwissenschaften an der Universität Siegen absolviert. In seinem Dissertationsprojekt hat er sich mit der Realisierung der Staatsbürgerschaft durch deutsche BürgerInnen mit afrikanischer Herkunft beschäftigt. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen. Im Rahmen seiner aktuellen Forschungstätigkeiten beschäftigt er sich – anhand des Global-citizenship-Ansatzes mit Blick auf globale soziale Rechte – mit Partizipationsmöglichkeiten abgelehnter Schutzsuchender.

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‘Betwixt and Between:’ Residency Status and Societal Participation of U.S. War Resisters in Canada Sarah J. Grünendahl

Abstract

Both during the Vietnam War and the Afghanistan and Iraq Wars, U.S. war resisters sought refuge in Canada to forestall military service. In particular, members of the Vietnam ‘cohort’ have entered and contributed to various domains of Canadian society. Afghanistan/Iraq War resisters, conversely, have tried to secure permanent status in vain. Taking its departure from an exploratory interview study, this chapter illustrates how the latter war resisters therefore avoid any sort of involvement or deeper commitment to Canada. A comparison of both groups’ experiences thus sheds light on opportunities for, and limits to, migrants’ societal participation as a result of their legal status. Apart from a presentation of the findings, the chapter offers an exploration of theoretical concepts, formulated by Agamben and Bhabha, respectively, ­vis-à-vis the empirical results. Keywords

Homo sacer · Political participation · Refugee · Third space · War resisters

S. J. Grünendahl (*)  Universität Siegen, Siegen, Deutschland Hochschule Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. J. Grünendahl et al. (Hrsg.), Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion, Studien zur Migrations- und Integrationspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25534-3_6

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6.1 Introduction War is one of the root causes of forced migration. It prompts individuals to leave their home in hopes of averting an imminent threat to their life. In the extreme, they may choose to seek refuge in another country, upon which they need to secure the right to legally remain in their destination state, e.g. as refugees. As camps and shelters illustrate, however, this is anything but a straightforward endeavor. In fact, claims may be pending for an extended period of time. In the meantime, the indeterminate legal status puts any such (forced) migrant in a position in which they are “betwixt and between” (Turner 1969, p. 95). They have severed ties to their country of origin, yet they lack permanent residency where they have chosen to come, not to mention the new country’s citizenship. This amounts to an exclusion from many of the rights they would otherwise be afforded. As refugee claimants, theirs is a liminal existence inasmuch as they constantly need to expect a change of status, i.e., at worst a deportation order if their claims are decided in the negative. In that case, the applicants’ interim protection will be revoked, thus coercing them to return to their country of origin. Menjívar (2006, p. 1008) uses the term “liminal legality” to describe the often protracted uncertainty and vicissitude inherent in the determination of admissibility process. And Bailey et al. (2002, p. 139), in their research concerning the situation of migrants with temporary protection status, refer to the indeterminate waiting as “permanent temporariness.” This chapter analyzes how prolonged waiting affects the ways in which refugee claimants relate to and participate in society in the receiving country. Framed optimistically, they are on the threshold: There is a chance for them to start over and hence potential for improvement, e.g. if citizenship is eventually obtained and ­allows for their full inclusion. And yet, given that key aspects of their livelihood are beyond their control, this transitional stage may be perceived as unproductive, marked by passivity (cf. Rotter 2016) and, as such, a waste of life time (cf. Turnbull 2016). In the same vein, claimants’ “deportability” (de Genova 2002, p. 439) may limit the degree to which they feel comfortable with being visible in society. After all, by drawing too much attention to themselves, they may put their status in jeopardy. The objective for the research project is to shed light on the interplay between residency status and societal participation. Empirically, this paper takes its departure from a less apparent, yet compelling case of war-induced forced migration: The sample includes U.S. American

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war resisters1 who fled to Canada during the Vietnam and the Afghanistan and Iraq Wars, not so much to escape a war-torn homeland, but rather to forestall a deployment order to a combat zone. Theirs is an interesting case because some of the common obstacles in relocation processes do not apply. As far as anglophone Canada is concerned, both countries, by and large, share the same language. Culturally, both Canada and the United States hark back to a similar, rather intertwined heritage and continue to be intermeshed to this day, not least due to a common consumer goods sector. It stands to reason that the absence of any such (dramatic) linguistic and cultural barriers facilitates an easy transition, if compared to other (forced) migration phenomena. However, as the experiences of members of the Afghanistan/Iraq War2 sample show, the integration process may be fraught with similar challenges and hence stall in a comparable fashion. Inasmuch as the aforementioned obstacles can be ruled out, the study design allows to isolate the effects of other integration impediments from those of language and cultural barriers. One such factor in the case at hand is legal uncertainty: Unlike the Vietnam War ‘cohort,’ contemporary war resisters have failed to secure legal status in Canada, though over a decade has passed since the first individuals arrived in 2004.3 Their diametrically opposed experiences structure how members of each war resister ‘generation’ perceive, as well as embrace, their respective places in Canadian society. Vietnam War resisters’ narratives of their successful integration into Canadian society thereby throw the Afghanistan/Iraq War resisters’ uncertainty with regard to their status as well as their limited options into relief.

1In the context of this study, the label “war resister” denotes a person who would have been compelled, either as a result of the draft or individual enlistment, to serve in the United States Armed Forces, but, rather than to comply with a deployment, chose to migrate to Canada. The term is a reference to the mere act of resistance and is in keeping with how respondents self-identified. What is more, it applies to persons irrespective of their standing with the United States Armed Forces, i.e., it can comprise, among others: draft-eligible men who fled before or at any point after their induction; persons who enlisted in a given branch of the United States Armed Forces or, by extension, the National Guard voluntarily, but eventually chose to leave; as well as soldiers with or without combat experience. What makes “war resister” the word of choice is that terms such as “draft dodger” or “deserter” are not only more limited in scope, oftentimes they are also somewhat derogatory (cf. Squires 2013, p. ix). 2Due to protection of privacy concerns, the theater of war is not specified in the case of the Afghanistan and Iraq Wars. Please see the section concerned with the case study for more details. 3An early documented case is that of Jeremy Hinzman who filed for refugee status in Canada on the grounds of a conscientious objection to the Iraq War in January 2004 (cf. Immigration and Refugee Board of Canada 2005).

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The case study lends itself to an exploration of two theoretical concepts. First, the experiences are considered vis-à-vis Agamben’s theorization of political (dis-) empowerment, as represented in the Roman figure of law, homo sacer. Remarkably enough, the book of the same title (1998) treats precisely the dissimilar endowment with rights which also characterizes the two sample groups. Second, the paper draws on Bhabha’s (1994) concept of a third space, i.e., an in-between space thought to be conducive to the (re-)negotiation of identity, elicited not least by overlaps of different (cultural) positions and histories. The following section will give a short introduction to the case study in regard to sampling and methodology. In the subsequent section, key findings will be presented and illustrated by interview excerpts. It follows a section on the theoretical framework, in which the findings will be discussed in relation to the two theoretical concepts put forward by Agamben and Bhabha, respectively. A conclusion highlights what can be learned from this particular study about the situation of forced migrants on the whole, i.e., not least about the ways in which forced migrants participate in society.

6.2 The Case Study To accommodate the biographical and exploratory character of the study, qualitative interviews provide the basis for the research project. They were conducted with U.S. American war resisters from the Vietnam, Afghanistan and Iraq Wars, respectively, during Stephen Harper’s last premiership (2011–2015). All respondents had chosen to move to Canada in hopes of finding a safe haven and not being deployed to a war zone. Whatever their affiliation with the United States Armed Forces, they found the particular circumstances of their (impending) military service irreconcilable with their understanding of civic duty.4 Though the incentive to leave both the military and their country of birth was the same for Vietnam War resisters and Afghanistan/Iraq War resisters, respectively, they came to this decision under vastly different circumstances—the keyword being conscription. Furthermore, on account of changed immigration policy, they entered Canada on quite dissimilar premises and, ultimately, were not successful in equal measure at securing permanent residency and/or citizenship. This goes to show

4Against

the backdrop of the United States, Krebs (2009) sheds light on the often assumed nexus between citizenship and military service, offering, at the same time, a reflection on potential repercussions of the Vietnam War on the so-called citizen-soldier tradition.

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that inclusion, e.g. by way of naturalization, is by no means a universal matter of course. Instead, it is contingent on favorable circumstances at the time. The former of the two war resister ‘cohorts’ sought to evade the draft which was in place in the United States during the Vietnam War in the late 1960s and early 1970s. The prospect of having to fight in a fairly controversial war prompted the exodus of approximately 50,000 draft-eligible men to Canada (cf. Hagan 2001). On the whole, Vietnam War resisters did not encounter too many obstacles, though Canadian border officials possibly were more lenient with ‘draft dodgers’ than deserters (cf. Squires 2015, p. 156; Stewart 2015, p. 190): Provided an immigrant accumulated sufficient points for a combination of given skills, landed immigrant status was at hand (cf. Green and Green 1999, p. 432); in other words, anyone passing the threshold number of points obtained the right to remain in Canada, generally immediately at the border. What is more, in due course ­Vietnam War resisters were able to take out Canadian citizenship—if you will, as the ultimate token of their integration. The myth of Canada as a ‘refuge from militarism’ then forged persists to this day—though it has meanwhile been debunked (cf. Jones 2008). Conversely, the latter group, consisting of soldiers due to deploy to Afghanistan or Iraq from 2001 onward, once joined the military voluntarily; after all, the United States Armed Forces have been an all-volunteer force since the end of the Vietnam War (cf. Bailey 2007). Research shows that enlistments are not least motivated by educational aspirations and the prospect of upward social mobility (cf. Kleykamp 2006)—reasons that were also cited by respondents in this very sample. Eventually refusing to be complicit in the Afghanistan and Iraq Wars, however, an estimated 3005 individuals mimicked the Vietnam War resisters’ migration to Canada, as early as 2004. For a lack of landed immigrant status and of time, applying for refugee status was cited as the most feasible option for these war resisters, not least because Canadian immigration policies have become geared more towards educational attainment and employability over time (cf. Ferrer et al. 2014). One way in which the government led by Prime Minister Stephen Harper may have hampered the application process additionally is Operational Bulletin 202: As per this decree, a member of the armed forces deemed a deserter can be marked as criminally inadmissible to Canada (cf. Citizenship and

5As

there are no official records of the number of Afghanistan and Iraq Wars resisters in Canada, the estimate is based on a House of Commons debate. According to NDP Member of Parliament Libby Davies, there were approximately 300 war resisters in Canada as of September 27, 2010 (cf. House of Commons Debates, 2010, Sept. 27).

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Immigration Canada 2010). Though the pending refugee claims afforded Afghanistan/Iraq War resisters an interim leave to remain in Canada, they needed to be ready for a deportation order at any time. The same, if enforced, would not only entail a return to the United States, but quite likely also a court-martial and, in the extreme, a criminal conviction. In terms of Afghanistan/Iraq war resisters’ societal inclusion in Canada, these were rather adverse conditions. What is more, the circumstances of their livelihood also cast doubt on the question if Canadian citizenship would ever be within reach for this ‘cohort’ of war resisters. The interviews took their departure from respondents’ respective migration experiences, their perceptions of living in Canada and their societal participation. Particular heed was paid to any type of political activism aimed at Afghanistan/ Iraq War resisters’ right to remain in Canada permanently. In addition, participants were asked to talk about any other issues in which they had been involved throughout their lives. On average, interviews lasted one hour and forty-five minutes. An exploratory study such as the one at hand calls for an inductive approach. Grounded Theory provides the methodological framework for the research. Accordingly, the overall objective for the analysis was to identify a basic social concern in all the narratives, not least by narrowing down any assigned codes to a core category. In light of the comparable circumstances which sparked the migration decision, the codes of one group came to inform the coding of the other. As to the later stages in the respective migration processes, the divergent trajectories yielded more heterogeneous codes between the groups. By way of contrast and comparison, the codes of one ‘cohort’ served as the foil for the other ‘cohort,’ and vice versa, in naming each group’s basic social concerns.

6.3 Findings In both war resister ‘generations,’ the clustering of the codes brought to light a tripartite pattern: Initially, respondents observed an increasing estrangement from the military, ultimately feeding into a deliberation process concerning any available options to forestall their complicity in the war efforts, followed by their flight to Canada. Upon arrival, they related they needed to ‘find their feet’ and make adjustments in order to transition into their new lives. Turner (1969, p. 95) uses the term “liminality” to refer to this in-between state, in which “the past is momentarily negated, suspended, or abrogated, and the future has not yet begun” (1982, p. 44). Permanent status, i.e., the right to legally remain in Canada, was the resisters’ desired outcome—the capstone of their migration, if you will. The

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aforementioned process is reminiscent of van Gennep’s (1960) rites of passage: It breaks down into phases of separation (leaving the military and the United States), transition (adjusting to Canada) and incorporation (getting status). According to the narratives, however, both the duration and intensity of each stage varied between the two groups of war resisters. Vietnam War resisters, in retrospect, relayed their migration as a smooth experience. With the caveat that memories of initial setbacks have likely faded vis-àvis the comfortable lives they built, theirs was a comparatively straightforward transition and, on the whole, they soon became participating members of Canadian society. In war resister Vernon’s6 case, for instance, the immigration official at the border briefly brought up his military status but merely “asked if I knew the potential consequences if I tried to go back to the U.S. and I said yes I did! .. and then I was on my way with landed immigrant status.” From there, respondents in this study report, it was almost a matter of course to obtain citizenship. Said Victor: “When my five years [as a landed immigrant; SJG] was up I became a Canadian citizen.” Vaughan equally remembered his move as fairly unhampered: “From the day I moved up to Canada in [19xx] I’ve basically been able to live my life the way I want to live it.” And Virgil, in a comment on the overall social climate in Canada over the years, added: “It’s let me contribute to my chosen society,” e.g. by taking an active role in Canadian politics. As these interview quotes illustrate, respondents were perfectly at peace with their migration decisions, they had built successful lives in Canada and were making use of their (political) rights as citizens. While Vietnam War resisters in this sample by and large looked upon their biographies as coherent, the ongoing lack of status for Afghanistan/­Iraq War resisters proved a disjunctive experience for them. Their case called Vietnam War resisters’ understanding of Canada as a refuge into question. Consider Vincent’s statement, for example: “[Pierre Elliott; SJG] Trudeau stated outright explicitly Canada should be a haven from militarism … under Stephen Harper and the Tories this country has become a haven for militarism.” Consequently, narratives suggest, Vietnam War resisters have had to reconsider their perceptions of Canada, i.e., they have had to weigh their own migration experiences against the current situation.

6In

keeping with privacy protection tenets, all interviews have been anonymized to safeguard the respondents’ identities. Accordingly, individuals go by alias names or, due to the small potential sample of Afghanistan/Iraq War resisters, no names at all. References to places and dates, if given in square brackets, have been modified so as to prevent any disclosure of the interviewees.

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The pervasive theme in the sample of Afghanistan/Iraq War resisters was their liminal, i.e., uncertain, existence, given their pending refugee claims. The in-vivo code ‘being in limbo’ was indicative of the transitional phase and exemplified the incertitude on the part of the respondents. One individual described the situation thus: “I’m still falling .. I have a work visa .. I have health insurance .. my ability to see a doctor here (long pause) but I’m still in limbo . still kind of free falling.” Under these circumstances, war resisters seemed reluctant to make too many commitments of any kind. In the words of another participant: “I can’t think about those long-term decisions cause always in the back of my mind .. I’m still kind of on uneven ground.” As the statement of another interviewee suggests, the ongoing precarious legal status created a sense of discontinuity: “You don’t know if we’re gonna get status or not ….. and … so everything’s kind of on hold.” Effectively, then, Afghanistan/Iraq War resisters, arguably like refugee claimants elsewhere, found it difficult to go forward in life and maintain an orientation to the future. Their migration was thus a somewhat disjunctive experience as war resisters indeterminably lingered on the threshold to, yet were denied, permanent residency. The following comments from respondents throw the repercussions, e.g. the resultant sense of heteronomy, into relief. One individual’s impression, for instance, was that “my life isn’t my own.” Another observed that if it was not for their deportability, war resisters could afford to take a more active role in Canadian society: “It holds you . it holds us back you know what I mean like (long pause) because you never know who’s looking … and how that would affect your own situation.” This goes to show that Afghanistan/Iraq War resisters’ shortcomings were not only formal in character, i.e., they not only lacked political rights and representation which citizenship would afford them, their societal participation by informal means, e.g. through civic engagement, was equally curtailed by their precariousness. The mere prospect of an incorporation served as the ever-present backdrop against which Afghanistan/Iraq War resisters negotiated their current as well as potential positions in Canada.

6.4 Theoretical Framework The above presentation of the findings touches upon two key themes. First, legal status determines to what extent and in which ways war resisters have been able to contribute to the society of their chosen country. As landed immigrants, Vietnam War resisters were able to build new lives in Canada right from the start and to increasingly bring their political weight to bear, not least upon taking out Canadian citizenship. Afghanistan/Iraq War resisters, on the contrary, were in no

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position to take an equally participatory role as they lacked a secure permanent status, not to mention the political rights of a Canadian citizen. What is more, their unresolved cases with the United States Armed Forces were prone to limit the degree to which they could exercise their rights as U.S. citizens. There was hence a dichotomy between these two sample groups in regard to available means of societal, more precisely political, participation. Second, both war resister ‘generations’ in this sample perceived the denied legal status for Afghanistan/Iraq War resisters as a disjunctive experience. Vietnam War resisters, by and large, had come to think of Canada as a ‘safe haven’ for war resisters, given that they themselves were granted status and an opportunity to build new lives. Considering the situation of contemporary Afghanistan/Iraq War resisters against the backdrop of their own experiences, Vietnam War resisters’ understanding of Canada as a ‘refuge from militarism’ was shaken; not least, their own migration would likely not have been possible under the present circumstances. To Afghanistan/Iraq War resisters, their flight to Canada meant to abandon any plans they may have had for the future, e.g. in terms of a career; in turn, they had hoped to start over in Canada. However, their attempts at getting established in their country of refuge were hampered by the pending refugee claims. Under these circumstances, it proved difficult to ascertain how best to fit in and participate in society. That being said, both Vietnam and Afghanistan/Iraq War resisters have had to undergo a renegotiation process in regard to their sense of self on the whole as well as to their sense of self in relation to Canadian society. In the section at hand, the above findings will be put into conversation with two theoretical concepts. As to the matter of societal participation, Italian philosopher Giorgio Agamben offers a practical framework for this case study. Borrowing from Roman law, he introduced the figure of the homo sacer to contemporary philosophy. In his book of the same title, Agamben conceptualizes a distinction between “bare life/political existence, zoē/bios, exclusion/inclusion” (1998, p. 12; emphasis GA). Political existence means ‘qualified’ life in society, being a member of a political community and being bestowed with rights and representation (ibid., p. 9). Bare life, conversely, means animal life or reproductive, private life (ibid., pp. 9, 65); it entails non-status and disempowerment, given that the person has been banned from their political community; instead, the person exists in a zone of indistinction (ibid., p. 97) and, inasmuch as the normal order no longer applies, in a state of exception. The figure of the homo sacer is someone who has been forcibly reduced to bare life by a sovereign and, as a result, lives as an ‘outcast’ (ibid., p. 53).

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Arguably, this describes the contrast which was also observable between the two sample groups: Vietnam War resisters had secured comprehensive means of societal participation along with their permanent status. In the Agambenian sense, theirs was a political existence inasmuch as they were integrated in the Canadian political community, provided they had at some point become Canadian citizens. As such, they were eligible to vote in elections or run for office themselves. Similarly, Vietnam War resisters could afford to take a public stance, visibly advance their standpoints and thereby shape the social environment in which they lived. Though they could choose the degree to which they participated in society, they were indeed able to exercise their political rights at any time and did not lack political representation, if they so pleased. Afghanistan/Iraq War resisters, on the other hand, as per Agamben’s definition, fit the description of homines sacri. That is to say, their situation in Canada bore all of the characteristics of Agamben’s concept of a bare life.7 To begin with, their existence was marked by a lack of permanent status in Canada and, in the same vein, a sense of heteronomy. After all, bereft of many of the rights and opportunities which a permanent status and Canadian citizenship, respectively, would afford them, these war resisters were at the mercy of the Canadian authorities. If they drew too much attention to themselves, e.g. through civic engagement, they would put their leave to remain in jeopardy. Hence, a private life, keeping a low profile, for instance, offered some degree of protection—and was possibly inevitable for war resisters affected by post-traumatic stress disorder. By the same token, Afghanistan/Iraq War resisters were largely excluded from the political community in Canada. What is more, their deportability and disempowerment rendered them liminal beings: Constantly on the threshold, they fell into a zone of indistinction. As to the (re-)negotiation of identity, the analysis furthermore draws on postcolonial theorist Homi K. Bhabha’s concept of a third space. In The Location of Culture (1994), the latter is characterized as an ‘in-between space,’ though merely notional in character, which comes into being as a result of encounters between different (cultural) positions (cf. Bhabha 1994, p. 4). As such, the third space is part of “neither the one nor the other” (ibid., p. 25; emphasis HKB), rendering it a place of hybridity and ambiguity. Alternatively, Bhabha uses the term ‘interstice’

7Building

on Hannah Arendt’s work, Agamben (1998) himself frames refugees as bare life. Scholars have since critically discussed the theorization’s applicability, as well as the limits thereof, to refugees’ and/or asylum seekers’ situation; see, for instance, Simon Turner (2016), Jonathan Darling (2009) and Patricia Owens (2009).

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for the resultant “overlap and displacement of domains of difference” (ibid., p. 2). It implies both interruption and discontinuity, for instance in terms of space and time. Metaphorically, it can be thought to mark a hiatus or caesura. Within this “[t]hird space of enunciation” (ibid., p. 37), Bhabha posits, previous conceptions may be called into question and unhinged: By way of discourse, meaning and identity are subject to (re-)negotiation so that new positions, or at least a ‘new reading’ of previous positions, can emerge (ibid., p. 37). That being said, the third space lends itself as a “terrain for elaborating strategies of selfhood […] that initiate new signs of identity” (ibid., p. 1), and, arguably in the same vein, a fresh understanding of how individuals relate to their (possibly changed) social environments. Here is how third space theory applies to Vietnam War resisters, first of all: As stated above, respondents in this sample relayed to be at peace with the lives they had built for themselves in Canada; their narratives told of a positive experience and did not foreground any challenges they likely equally encountered. The sea change event—or chain of events—came with the so-called “War on Terrorism” and, more specifically, Canada’s denial of permanent status to Afghanistan/Iraq War resisters. To Vietnam War resisters’ bewilderment, previous conceptions seemingly no longer applied. In light of this more ambiguous image, they have had to reassess their understanding of Canada as a ‘refuge from militarism,’ as which they had come to frame it. The realization that, in this day and age, they would likely not be granted status has spurred a renegotiation process on the part of Vietnam War resisters in regard to their own position within Canadian society. In devising a ‘new reading’ of Canada, they have had to reconsider how they can maintain their sense of belonging and identification with their chosen country, i.e., their Canadian selves. And how does third space theory apply to the sample of Afghanistan/Iraq War resisters? Though different in character, a renegotiation process is all the more crucial for this contemporary ‘cohort:’ Not only did they abandon any previous plans for their future, their move also necessitated an adjustment to a new social environment. Hence, key aspects of their livelihood were called into question. Accordingly, an assessment of their current situation and any available options was in order, so as to find their personal, professional and societal niches, respectively, and to establish a new sense of self. Meanwhile, they were liminal beings. They lived in between countries, i.e., were part of neither as they had divorced themselves emotionally from the United States, yet, lacking legal status, were also unable to establish a sense of belonging in Canada. Against this background, this chapter conceptualizes the third space in which Afghanistan/Iraq War resisters found themselves, as an ‘anteroom:’ Physically, they may have been on Canadian

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territory, but, metaphorically, they have remained separate from the larger society. The in-betweenness renders them ambiguous or hybrid figures. Further, reminiscent of Bhabha’s third space of enunciation, Afghanistan/Iraq War resisters were engaged in constant negotiations with the Canadian authorities with regard to their leave to remain in Canada and, conceivably, the option to eventually take out citizenship.

6.5 Conclusion This chapter examined the interplay of legal status, as evidenced in residency, and societal participation on the part of U.S. war resisters who fled to Canada to avert their involvement in the Vietnam War and the Afghanistan and Iraq Wars, respectively. Taking its departure from qualitative interviews, the study showed that respondents in the former war resister ‘cohort’ quickly deemed themselves participating members of Canadian society, as a result of the opportunities their landed immigrant status had afforded them. Members of the latter group of war resisters, conversely, due to their precarious liminal status as refugee claimants and the indeterminate waiting, were extremely hesitant to make any sort of social or emotional commitment to Canada, e.g. by way of civic engagement. The groups’ divergent experiences thereby reveal a dialectic of inclusion in and exclusion from societal participation and, more specifically, from the political community in their country of refuge. The study also goes to show that legal uncertainty proves a strong deterrent to integration, even in the absence of language and cultural barriers—factors which had no significant bearing on this sample. At the theoretical level, the chapter explored the applicability of Agamben’s concept of a homo sacer and Bhabha’s concept of a third space to the above findings. In keeping with Agamben’s theorization of political (dis-)empowerment, the war resister ‘cohorts’ represent the two extremes of a political existence on the one hand and disenfranchisement on the other. Only the juxtaposition of these two opposites throws the unique experiences of each group into relief, thus shedding light on the situation of U.S. war resisters in Canada over time. As to Bhabha’s concept of a third space, the same serves as a space in which a renegotiation of identity, in relation to the larger cultural and social environments, can occur. The concept lends itself to the operationalization of the war resisters’ experiences inasmuch as Vietnam War resisters, prompted by the denial of status to Afghanistan/Iraq War resisters, have had to reassess their understanding of Canada as a ‘safe haven’ and their own (changing) societal position; not finding closure on

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their migration, Afghanistan/Iraq War resisters, in turn, were still in the process of eking out a living and redefining a self-image under rather uncertain conditions. With an eye to the field of forced migration and to refugee-related policy, the following can be derived for practice from these findings: A straightforward and reliable determination of admissibility facilitates societal participation, as does providing for opportunities to get involved in the country of destination from the very start. Such circumstances foster a sense of commitment and belonging, both of which are important building blocks for migrants’ inclusion should they eventually be granted status. Conversely, research shows that protracted displacement and the inherent dread of deportation may come at “the risk that these people will remain removed from such participation, even as full citizens,” as Coates and Hayward (2005, p. 84) pointedly observe. Thus, the conclusion to keep in mind, for authorities and scholars concerned with the integration of migrants alike: Legal uncertainty may prove more exclusionary in character than any language or cultural barriers.

References Agamben, G. (1998). Homo sacer: Sovereign power and bare life. Stanford: Stanford University Press. Bailey, B. (2007). The army in the marketplace: Recruiting an all-volunteer force. The Journal of American History, 94(1), 47–74. Bailey, A. J., Wright, R. A., Mountz, A., & Miyares, I. M. (2002). (Re)producing Salvadoran transnational geographies. Annals of the Association of American Geographers, 92(1), 125–144. Bhabha, H. K. (1994). The location of culture. London: Routledge. Citizenship and Immigration Canada. (2010). Operational Bulletin 202: Instruction to immigration officers in Canada on processing cases involving military deserters. Coates, T., & Hayward, C. (2005). The costs of legal limbo for refugees in Canada: A ­preliminary study. Refuge, 22(2), 77–87. Darling, J. (2009). Becoming bare life: Asylum, hospitality, and the politics of encampment. Environment and Planning D: Society and Space, 27(4), 649–665. de Genova, N. P. (2002). Migrant ‘illegality’ and deportability in everyday life. Annual Revue of Anthropology, 31(1), 419–447. Ferrer, A. M., Picot, G., & Riddell, W. C. (2014). New directions in immigration policy: Canada’s evolving approach to the selection of economic immigrants. International Migration Review, 48(3), 846–867. Green, A. G., & Green, D. A. (1999). The economic goals of Canada’s immigration policy: Past and present. Canadian Public Policy/Analyse de Politiques, 25(4), 425–451. Hagan, J. (2001). Northern passage: American Vietnam war resisters in Canada. Cambridge: Harvard University Press.

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Sarah J. Grünendahl,  Absolventin der Regionalwissenschaften Nordamerika, ist Promovendin im Fach Politikwissenschaft an der Universität Siegen und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Düsseldorf. In ihrem Dissertationsprojekt beschäftigt sie sich mit den Migrations- und Integrationserfahrungen US-amerikanischer Kriegsverweigerer, die sich durch Flucht nach Kanada einem Militäreinsatz in Vietnam, Afghanistan bzw. Irak entzogen haben.

7

Citizenship in Action: Praktiken der Inklusion und Exklusion aus transatlantischer Perspektive Oliver Schmidtke

Zusammenfassung

Dieses Kapitel geht dem Zusammenhang zwischen der an die Staatsbürgerschaft gebundene Inklusions- und Exklusionsdynamik und dem Bemühen nach, Immigranten erfolgreich gesellschaftlich zu integrieren. Wie am kanadischen Beispiel illustriert wird, ist das Inklusionsversprechen eines liberalen Staatsbürgerschaftsrechts keineswegs allein durch den Rechtsanspruch, gleichberechtigter Bürger eines Landes zu sein, eingelöst. Das kanadische Migrationsregime unterstreicht, dass gesellschaftliche Akzeptanz, soziale Inklusion und politische Teilhabe unverzichtbare Bestandteile der multikulturellen Variante der Staatsbürgschaft sind. Aus dieser Perspektive wird anhand des kanadischen Kontexts Staatsbürgerschaft als weitreichende staatliche und zivilgesellschaftliche Handlungspraxis interpretiert, die stets auch politisch umstritten ist. Unter der konservativen Regierung Harpers (2006–2015) kam es zur schrittweisen Abkehr vom inklusivistischen und auf Gleichberechtigung abhebenden kanadischen Staatsbürgerschaftsmodell. Die Skizze der Erfahrungen Kanadas verweist generalisierend und aus vergleichend transatlantischer Perspektive auf die zentrale Rolle der politischen Eliten und bürokratischen Praxis in der Regulierung von sozialer und symbolischer In-/Exklusion. Schlüsselwörter

Staatsbürgerschaft · Kanada · Migration · In- und Exklusion · Multikulturalismus

O. Schmidtke (*)  Centre for Global Studies, University of Victoria, Victoria, Kanada E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. J. Grünendahl et al. (Hrsg.), Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion, Studien zur Migrations- und Integrationspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25534-3_7

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7.1 Einleitung: die Verknüpfung von Staatsangehörigkeit und Multikulturalismus in Kanada Mit seiner Hinwendung zum Multikulturalismus in der zweiten Hälfte des 20ten  Jahrhunderts hat Kanada das gleichberechtigte Inklusionsversprechen zum zentralen Baustein seines Staatsbürgerschaftsregimes gemacht. Dieses Versprechen richtet sich insbesondere an die Neuankömmlinge in der kanadischen Gesellschaft: Die Verpflichtung, kulturelle Differenz öffentlich anzuerkennen und zu schützen, ist über die vergangenen Jahrzehnte zu einem integralen Bestandteil der nationalen Identität Kanadas geworden. Der Multikulturalismus als parteiübergreifend akzeptierte Politik und die immer weiter vertiefte kulturelle Heterogenität der kanadischen Gesellschaft haben den Weg zu einem Ethos der Pluralität geebnet, der von einer Mehrheit der Kanadier wertgeschätzt wird und in der staatlichen Handlungspraxis institutionell verankert ist (Bauder 2013; Courchene und Seidle 2007; Triadafilopoulos 2012; Winter 2014a). Seit Ende der sechziger Jahre wurde der Multikulturalismus zu einer staatlichen Politik gemacht, die auch durch große Teile der Zivilgesellschaft getragen wird.1 Die Erfolgsgeschichte Kanadas hinsichtlich der Inklusion von Migranten reflektiert diese Verpflichtung auf den multikulturellen Ethos: Im Migrant Integration Policy Index, der 148 Indikatoren und langfristige Prozesse der gesellschaftlichen Integration von Neuankömmlingen in vergleichender Perspektive untersucht, schneidet Kanada überaus gut ab.2 Unter den großen Einwanderungsländern haben Kanada und die USA die umfassendsten Programme, die die Integration von Migranten unterstützen und rassistisch motivierte Diskriminierung bekämpfen. Wie später noch genauer auszuführen sein wird, kann Kanada auf eine besondere Erfolgsgeschichte zurückblicken, die die Art betrifft, in der Migranten ein unverzüglicher Zugang zur Staatsbürgerschaft sowie zu gleichberechtigten Chancen im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt ermöglicht wird (Aydemir und Borjas 2007). Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, wenn Kanada für viele Beobachter eine Vorbildfunktion darin innehat, wie die komplexe und politisch umstrittene

1Nach

einer von der CBC (Canadian Broadcasting Corporation) im Jahr 2014 angestellten Studie halten 75 % der Befragten Kanada für ein Land, in dem unterschiedliche ethnischen Gruppen willkommen sind (siehe: http://www.cbc.ca/news/canada/canadian-attitudes-toward-immigrants-conflicted-poll-says-1.2826022). 2Siehe: http://www.mipex.eu/canada3.

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Aufgabe, Einwanderung und Einbürgerung zu gestalten, am besten zu bewerkstelligen ist. Vor allem durch sein Punktesystem der Rekrutierung von Einwanderern und das hieran gebundene System der Vergabe von Staatsbürgerschaft ist Kanada zum Vorbild für Europa und zum veritablen Konkurrenten für andere Länder geworden, die sich um die bestausgebildetsten Migranten aus der ganzen Welt bemühen (Bauder und Shields 2015). Kanada ist mit einer der höchsten pro-Kopf Zuwanderung zu einem der wichtigsten Einwanderungsländer geworden. Trotz der jüngsten wirtschaftlichen Krise hat Kanada an seiner langfristigen Planung für Einwanderung festgehalten. Zwischen 250.-330.000 Einwanderer kommen seit 1990 jährlich ins Land. Kanadas große Städte weisen einen außergewöhnlichen Grad der ethnisch-kulturellen und religiösen Vielfalt auf. Im Jahr 2016 machten die im Ausland geborenen Einwanderer 21.6 % der kanadischen Bevölkerung aus, ein Anteil, der im Vergleich zu anderen westlichen Nationen nur in Australien höher liegt. Über 70 % der Neuankömmlinge zieht es in die großen Städte des Landes. So sind 46 % der Bevölkerung Torontos außerhalb Kanadas geboren. Im Jahr 2017 wurden in Städten wie Toronto, Vancouver und Montreal die sogenannten visible minorities (‚sichtbare Minderheiten‘) zur Mehrheit der Einwohner. Im Vergleich hierzu: Im Jahr 1960 zählten nur 2 % der Bevölkerung zu den visible minorities in Toronto. Dieser dramatische Anstieg an kultureller Diversität hat das Bild der kanadischen Nation und der politischen Gemeinschaft, zu der die Bürger sich zugehörig fühlen, radikal verändert.3 Dieses Kapitel baut auf der theoretischen Annahme auf, dass die an die Staatsbürgerschaft gebundene Inklusions- und Exklusionsdynamik ein rechtlich und symbolisch bedeutsamer Baustein in dem Bemühen ist, Immigranten erfolgreich gesellschaftlich zu integrieren (Hyman et al. 2011). Wie am kanadischen Beispiel illustriert wird, ist das an ein liberales Staatsbürgschaftsrecht geknüpfte Inklusionsversprechen jedoch keineswegs durch den rechtlichen Status allein eingelöst. Das kanadische Migrationsregime unterstreicht, dass gleichberechtigte soziale Inklusion und politische Teilhabe unverzichtbare Bestandteile der multikulturellen Variante der Staatsbürgschaft sind. Gleichzeitig wird anhand des kanadischen Falles dargelegt, wie anfällig die Inklusionsverpflichtung gegenüber Veränderungen in der politischen und administrativen Praxis ist.

3Gleichzeitig

werden die Begriffe von Mehrheits- und Minderheitsgruppe und somit der begriffliche Rahmen, in dem Prozesse der Integration und Akkulturation in der Tradition von Robert Park und der Chicagoer Schule gedacht werden, durch diese Entwicklung grundsätzlich in Frage gestellt.

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7.2 Inklusion und Exklusion als konstitutive Elemente der Staatsbürgerschaft Um den inkludierenden und exkludierenden Effekten mit Blick auf das kanadische Staatsbürgerschaftsregime nachzugehen, wird hier ein Verständnis des Staatsbürgerschaftsbegriffs herangezogen, das diesen in seiner gesellschaftlichen Praxis kontextualisiert. Im Kern ist Staatsbürgerschaft ein rechtlicher Status, der Mitgliedschaft in einer staatlichen Gemeinschaft reguliert und deren Mitglieder mit Rechten und Pflichten ausstattet. Dieser Status strukturiert das komplexe Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgern. Staatsbürgerschaft reguliert Zugehörigkeit jedoch in einem zweifachen Sinn: in einem rechtlichen als auch in einem identitär-sozialen Sinn. In letzterer, an T.H. Marschall geschulten Hinsicht, wird Staatsbürgerschaft zu einem Modus der gesellschaftlichen Inkorporation, der politisch sanktionierte Erwartungen insbesondere dahin gehend formuliert, wie das national gefasste Gemeinwesen seine Mitglieder behandelt und unter welchen Bedingungen Angehörige anderer Staaten zum Teil der eigenen Gemeinschaft werden können (Bloemraad et al. 2010; Joppke 2010; Kershaw 2010). Unter theoretischen Vorgaben hat Turner (1990) Staatsbürgerschaft als eine für die politische Gemeinschaft konstitutive Bedingung beschrieben, unter der sich soziale Integration und Solidarität ausprägen können. Aus dieser Perspektive stellt Staatsbürgerschaft die Grundbedingung einer demokratisch verfassten Gemeinschaft dar und gleichzeitig ist sie auf Prozesse der demokratischen Willensbildung und solidarischen Handelns angewiesen, um die staatsbürgerlichen Rechte in der Praxis bedeutsam werden zu lassen. Die Herausgeber dieses Bandes sprechen in dieser Hinsicht von einer ‚Verknüpfung von Staatsbürgerschaftsvergabepraxis und Inklusionsheuristik‘, die – in der Forschungsperspektive Brubakers (1994) – auf die historisch langfristige Formierung nationaler Identität abhebt. Die identitätsstiftenden Codes der nationalen Gemeinschaft prägen die Kriterien, unter denen Staatsbürgerschaft vergeben wird, und den Modus, durch den Neuankömmlinge inkludiert werden. Diese an der longue durée geschulte Perspektive geht von geschichtlich und kulturell tief verankerten Staatsbürgerschaftsregimen aus, die ihre eigene, kulturell untermauerte Pfadabhängigkeit entwickeln. Die von Brubaker idealtypisch vorgenommene Kontrastierung des deutschen und französischen Staatsbürgerschaftsregimes ist eine prominente Version dieses Interpretationsansatzes. Zwar hat Kanada einen tief verwurzelten eigenen Idealtypus eines solchen Staatsbürgerschaftsmodells geschaffen, doch wird ein derartiger analytischer Zugang der dynamischen Fortentwicklung dieses Modells nicht vollständig gerecht.

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In der nachfolgenden Interpretation des kanadischen Falles wird eine stärker praxis-orientierte Version dieser Interpretation entwickelt. Die zentrale Annahme ist hier, dass die Staatsbürgerschaft zwar institutionell durch nationale Modelle geformt ist, doch die administrative Praxis und der politische Kontext, in dem diese zur Anwendung kommen, können entscheidend und historisch relativ kurzfristig variieren. In dieser Perspektive wird das kanadische Modell – unabhängig von dessen generell inklusiven Grundprinzipien und ideellen Grundlagen – als strukturell anfällig gegenüber neuen Praktiken der Exklusion interpretiert, die insbesondere ausgewählte Einwanderergruppen und Minderheiten trifft.

7.3 Grundzüge des kanadischen Staatsbürgerschaftsmodells Staatsbürgerschaft in Kanada ist schwerlich allein in der Spannung zwischen dem Republikanischen Prinzip des ius soli und dem geburtsbasierten Prinzip des ius sanguinis-Prinzip zu verorten. Bei der Vergabe der Staatsbürgerschaft wird eine Mischung beider Prinzipien zur Grundlage genommen, wobei das entscheidende – territorial gefasste – Kriterium die Dauer des Aufenthaltes in Kanada ist. Wie im Folgenden ausgeführt wird, ist Kanada ein vergleichsweise großzügiger Staat, was die Vergabe der Staatsangehörigkeit angeht: Zum einen ist für Einwanderer ein unkomplizierter, direkter und relativ kurzer Weg zum Erhalt der Staatsbürgerschaft vorgezeichnet. Zum anderen räumt die Geburt in Kanada einen unmittelbaren und nur äußerst geringfügig beschränkten Rechtsanspruch auf die kanadische Staatsbürgerschaft ein. Im internationalen Vergleich sind sehr hohe Einbürgerungsraten die Folge (Picot und Hou 2011): Entsprechend der Angaben von Citizenship and Immigration Canada haben im Jahr 2011 85 % aller Einwanderer, die hierfür qualifiziert waren, für die Naturalisierung optiert (im Vergleich hierzu in Deutschland oder Frankreich liegen diese Werte jeweils bei ca. 40 % und für Großbritannien und für die Niederlande bei ca. 60 %). Die Prozesse und Kriterien, durch die die kanadische Staatsbürgerschaft erworben wird, beschreibt allerdings nur einen Teil der gesellschaftlichen Praxis, die sich an die Aufgabe knüpft, Neuankömmlinge in die Gesellschaft zu integrieren und die aus der Immigration resultierende kulturelle Differenz zu regulieren. Kymlicka hat von einem neuen Typus der multikulturellen Staatsbürgerschaft gesprochen, der den kanadischen Fall charakterisiere (Kymlicka 1995, 2010). In dessen Zentrum steht die Frage, inwieweit man die nationale Gestaltung von Migration und Integration als ein zentrales Element darin beschreiben kann, wie Gesellschaften ihren Gemeinschaftsbegriff und den ihm zugrundeliegenden

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Begriff von Nationalstaatlichkeit bestimmen. Migration stellt stark exkludierende Konzepte der politischen Gemeinschaft infrage und lädt zur kritischen Reflexion über die grundlegenden Regeln der Staatsbürgerschaft ein (Berry 2013; Kymlicka 1995). Der inklusivistische Geist des multikulturellen Modells hat einen bindenden Charakter für staatliches Handeln: Die Integration von Einwanderern wurde dementsprechend als Verpflichtung für alle Regierungsbereiche beschrieben, ein Mandat, das sich bruchlos an die Prioritäten des expandierenden Wohlfahrtsstaates in den siebziger Jahren anschloss. Die Aufgabe der Integration von Migranten war nicht allein dem Markt oder der Zivilgesellschaft überlassen (Abu-Laban und Gabriel 2002). Gleichzeitig sind staatlich zentrierte politische Strategien und Programme teilweise dafür verantwortlich, dass eine Dynamik in Gang gesetzt wurde, die in ihrer Wirkung weit über die Initiativen der Bundesregierung hinausgeht. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zeigen, wie sich der Multikulturalismus zu einer Art politischem Schirm entwickelt hat, unter dem Bürgerrechtler, Einwanderer- und Minderheitengruppen, Gewerkschaftsverbände, Parteien und private Konzerne darin involviert sind, die Bedeutung der abstrakten Prinzipien der kulturellen Vielfalt in konkrete soziale und politische Initiativen zu übersetzen (Falge et al. 2012). Hieraus hat sich wiederum eine öffentlich sanktionierte Erwartung an den Staat ergeben, dass dieser sich um die Korrektur von Formen der systematischen Exklusion von oder Diskriminierung gegen bestimmte Gruppen bemühen muss. Entgegen der europäischen Tradition, in der der Status der Staatsangehörigkeit immer auch (oder sogar zuvörderst) als ein Instrument des Schutzes der eigenen nationalen Gemeinschaft auftritt, gewinnt dieser Status im kanadischen Kontext die Bedeutung, gleichberechtigter Inklusion aller Staatsbürger. Der egalitäre, auf Inklusion abhebende Ethos des kanadischen Staatsbürgerschaftsregimes wird in den Zeilen deutlich, in denen die kanadische Regierung den grundlegenden Bezug zwischen ‚citizenship‘ und Multikulturalismus herstellt: Canadian multiculturalism is fundamental to our belief that all citizens are equal. Multiculturalism ensures that all citizens can keep their identities, can take pride in their ancestry and have a sense of belonging. Acceptance gives Canadians a feeling of security and self-confidence, making them more open to, and accepting of, diverse cultures. The Canadian experience has shown that multiculturalism encourages racial and ethnic harmony and cross-cultural understanding.4

4Siehe

hierzu: http://www.cic.gc.ca/english/multiculturalism/citizenship.asp.

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147

Die Betonung des Grundsatzes der Gleichheit und Gleichbehandlung aller Bürger beschreibt einen weitreichenden Auftrag an staatliches Handeln: die geteilte Staatsbürgerschaft stellt einen Satz an Instrumenten dar, die in der sozialen und politischen Praxis die Gleichheit aller Staatsbürger reklamiert und das – gleichberechtigte – Zusammenleben verschiedener kultureller Gruppen reguliert. Als die konstitutiven Elemente des multikulturellen Staatsbürgerschaftsbegriffs kanadischer Prägungen können folgende Elemente ausgemacht werden: a) Rechtliche und soziale Inklusion durch zügige Vergabe des Staatsbürgerschaftsrechts; b) Verfassungsrechtlich verbriefter Schutz von Minderheitenrechten; und c) Soziale und politische Inklusion als zentraler Bestandteil des kanadischen Staatsbürgerschaftsmodells.

7.3.1 Rechtliche und soziale Inklusion durch zügige Vergabe der Staatsbürgerschaft Die schnelle und unbürokratische Vergabe der kanadischen Staatsbürgerschaft ist zentraler Baustein der kanadischen Einwanderungs- und Integrationspolitik: entsprechend dem multikulturellen Ethos sollen Immigranten baldmöglichst nach ihrer Ankunft in rechtlich gleichgestellte Bürger des Landes verwandelt und mit gleichberechtigten Zugang zu den Lebenschancen in Kanada ausgestattet werden (Bloemraad 2002, 2006). Bis 2010 konnten sich permanent residents bereits nach drei Jahren um die Staatsangehörigkeit bewerben; die sogenannte residence requirement ist jetzt auf sechs Jahre ausgeweitet und an zusätzliche Bedingungen geknüpft (hierzu unten mehr). Der schnelle Erwerb der Staatsangehörigkeit ermöglicht die rechtliche Gleichstellung von Einwanderern auf dem Arbeitsmarkt und die Inklusion in das politische System. Bloemraad zeigt in ihrer vergleichenden Studie, wie die hohen Einbürgerungsraten in Kanada ein bewusster Teil des staatlich sanktionierten Multikulturalismus und dessen Zieles der gleichberechtigten Inklusion von Neuankömmlingen ist. Die liberale Vergabe der doppelten Staatsangehörigkeit ist ein anderer Ausdruck dieser multikulturellen Variante: Der Zugang zur Staatsangehörigkeit wird vorrangig über die aktive gesellschaftliche Teilhabe als gleichberechtigter Citoyen am politischen Gemeinwesen und nicht über die kulturell oder ethnisch definierte Zugehörigkeit zu einer Nation definiert. In diesem Verständnis ist Staatsangehörigkeit weniger eine Frage nationaler Loyalität, denn eine Frage geteilter Werte und gesellschaftlicher Praktiken. Diesen republikanischen Geist einer auf politische Rechte und Werte aufbauenden Staatsbürgerschaft wird im kanadischen Fall mit einem multikulturellen Verständnis der nationalen

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Gemeinschaft und kollektiven Identität verknüpft. Die relativ liberale Vergabe der Staatsbürgerschaft ist so auch ein Indiz dafür, dass Einwanderung und kulturelle Differenz ein ausschlaggebender, normativ explizit gewünschter Pfeiler der nationalen Identität geworden sind.

7.3.2 Verfassungsrechtlich verbriefter Schutz von Minderheitenrechten Diese veränderte politische Haltung und Verpflichtung gegenüber Einwanderern fand auch in verfassungsrechtlichen Reformen seinen Ausdruck. Im Jahr 1982 wurde die neue Verfassung (Canadian Charter of Rights and Freedoms) mit dem Ziel entworfen, das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern neu und demokratischer zu gestalten. Eine wichtige Komponente dieser neuen Verfassung war die explizite Anerkennung und der robustere rechtliche Schutz von Gruppenrechten.5 Dieser Grundsatz verpflichtet das Land auf den Kampf gegen Diskriminierung, die Förderung von gesellschaftlichen Teilhaberechten, den Schutz der Chancengleichheit und das Recht von ethnisch-kulturellen Gruppen, ihrer kulturellen Tradition öffentlich Ausdruck zu verleihen. Dieser rechtliche Schutz gilt für Gruppen wie sprachliche Minderheiten, ethnisch-kulturelle Gruppen und die Ureinwohner. Diese Gruppenrechte sind ausdrücklich als (gleichberechtigte) Ergänzung zu den individuellen Freiheitsrechten im ersten Teil der Verfassung festgeschrieben. Dieser grundrechtliche Schutz von Minderheitenrechten ist in dieser Form in den westlichen liberalen Demokratien ohne Gegenstück. Das zweite Element dieses neuen Ansatzes in der Gestaltung von Migration war die Art, in der staatliche Stellen die Aufgabe einer weitgefächerten Integrationspolitik übertragen bekommen haben, die die Anerkennung und Förderung von kultureller Vielfalt zu einem grundlegenden Merkmal der kanadischen Gesellschaft werden lassen sollte. In den siebziger Jahren wurde der Multikulturalismus unter Pierre Elliot Trudeau vorrangig durch die staatliche Förderung des kulturellen Erbes von Migrantengruppen und deren Möglichkeit, aktiv

5Die in diesem Abschnitt der Charter (16–27) festgeschriebenen Rechte geben Minderheiten die Berechtigung, ihre sprachlichen und kulturellen Traditionen für öffentliche und erzieherische Zwecke zu nutzen sowie ihre kulturellen Traditionen zu schützen. Der Multiculturalism Act von 1988 ergänzt die Charter und gibt allen Angehörigen der kanadischen Gesellschaft das ausdrückliche Recht, ihre Kultur und angestammten Sprachen zu bewahren (siehe: Magsino et al. 2000).

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am öffentlichen Leben Kanada teilzuhaben, forciert. Diese Ausrichtung multikultureller Politikentwürfe verschob sich in den achtziger Jahren zusehends in Richtung von Gesetzesinitiativen, die sich rassistischer oder diskriminierender Praktiken gegenüber Migranten- oder Minderheitengruppen annahmen (Li 2003). Der 1988 verabschiedete Multiculturalism Act lieferte die offizielle Bestätigung und rechtliche Grundlage, um Fragen der Gleichheit, Identität und Gerechtigkeit mit größerem politischen Gewicht angehen zu können.6 Ein ehemaliger Human Rights Commissioner hat den Multiculturalism Act ein ‚interpretatives Prisma‘ genannt, durch das hindurch Gerichte angehalten sind, individuelle Freiheitsrechte und den multikulturellen Schutz von Gruppenrechten miteinander zu vereinbaren (der Begriff der ‚reasonable accommodation‘ prägt diese Rechtspraxis). Auf dieser Grundlage haben kanadische Staatsbürger ein bedeutsames rechtliches Instrument in die Hand bekommen, um gegen Fälle der Diskriminierung oder hate speech anzugehen oder die kulturellen Praktiken der eignen Gruppe in der Öffentlichkeit zu schützen.7

7.3.3 Soziale und politische Inklusion als zentraler Bestandteil des kanadischen Staatsbürgerschaftsmodells Die soziale Inklusion und die politische Partizipation sind regulative Prinzipien des modernen, multikulturell gewendeten Staatsbürgerschaftsverständnisses in Kanada. Insbesondere aus der europäischen Perspektive wird die Gestaltung von Migration häufig auf die Frage des erfolgreichen Anwerbens hoch qualifizierter Migranten reduziert. Der Blick auf den kanadischen Kontext zeigt jedoch, wie die erfolgreiche gesellschaftliche Inklusion von Migranten sich in sehr viel komplexeren und längerfristigen Prozessen vollzieht. Während europäische Staaten zuweilen Teile der kanadischen Anwerbepraxis kopieren, sind sie in der Regel weit davon entfernt, die umfassenden Integrationsprogramme zu entwickeln, wie der kanadische Staat sie über die letzten Jahrzehnte hervorgebracht hat. So ist

6Die

hier einschlägige Passage aus dem Multiculturalism Act lautet: „All federal institutions should promote policies, programs and practices that Canadians of all origins have an equal opportunity to obtain employment and advancement in those institutions.“ 7Siehe hierzu die 2011 Ausgabe von Law Now zu Multicultural Canada: http://www.lawnow.org/wp-content/uploads/2012/08/LawNow353.pdf.

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beispielsweise Einwanderung zu einer Querschnittsaufgabe staatlichen Handelns geworden, die sich durch fast alle Ministerien zieht (von der Wirtschaftspolitik zu Bereichen der Sozial-, Gesundheits- und Bildungspolitik). Ein wichtiges Element dieser Politik sind die sogenannten„settlement pro­ grams“, die staatliche Förderprogramme vor allem in den Bereichen des Arbeitsmarktes, der Fortbildung und Sprachvermittlung umfassen (dazu gehören auch Programme der Equity Employment, mit denen Formen der Benachteiligung bestimmter Migrantengruppen im Arbeitsmarkt bekämpft werden sollen). Das Budget für diese settlement programs bewegt sich gegenwärtig auf einem jährlichen Niveau von über 600 Mio. CAD $. Diese Maßnahmen haben entscheidend dazu beigetragen, dass Einwanderer sich relativ bruchlos in den Arbeitsmarkt einfügen, in der ersten Generation bereits zum Einkommensniveau der in Kanada Geborenen aufschließen, und oftmals höhere Abschlüsse im Bildungssystem als die einheimische Bevölkerung erzielen (Nohl et al. 2014). Ähnlich verhält es sich mit der politischen Dimension des Inklusionsversprechens: Multikulturalismus ist eben nicht nur eine Politik der öffentlichen Anerkennung ethnisch-kultureller Differenz, sondern ganz zentral eine Versicherung auf gleiche politische Teilhabe an der Zivilgesellschaft. In dieser Hinsicht hat die staatliche Verpflichtung auf den Schutz von Minderheitenrechten seine eigene Dynamik entwickelt: gruppenspezifische Belange von Migranten und Minderheiten sind zum festen Bestandteil und zur innovativen Kraft des politischen Systems Kanadas geworden. Besonders in urbanen Zentren ist ein weit gefächertes Netz zivilgesellschaftlichen Engagements entstanden, das die Interessen von Einwanderern und Minderheiten vertritt und kanadische Institutionen an das Gleichheitsgebot des kanadischen Multikulturalismus erinnert. Auf diese Weise verleiht das multikulturelle Staatsbürgerschaftsmodell dem Desiderat eines ‚active citizenship‘, eines mündigen, aktiven und engagierten Citoyens einen konkreten gesellschaftlichen Resonanzboden (O’Neill et al. 2013). Höhere Raten politischen Engagements von Minderheiten sowie eine allgemein ausgeprägtere Civic Visibility dieser Gruppen im öffentlichen Leben sind die Folge (Bloemraad et al. 2015). In Kanada verhilft auch das Mehrheitswahlrecht Immigranten und Minderheiten zu einer starken politischen Präsenz in parlamentarischen Meinungsbildungsprozessen. Insbesondere in urbanen Zentren ist die Stimme dieser Gruppen von entscheidendem Gewicht bei der Formierung politsicher Mehrheiten und öffentlichen Debatten (zu den verschiedenen Dimensionen der politischen Inklusion von Immigranten und Minderheiten in Kanada siehe den vergleichend angelegten Band von Bilodeau 2016).

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7.4 Kanadische Staatsbürgerschaft unter den Konservativen: Die schrittweise Aushöhlung des inklusivistischen Ethos in der Praxis Die Beschreibung der zentralen Säulen des kanadischen Staatsbürgerschaftsregimes sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Staatsbürgerschaft als weitreichende staatliche und zivilgesellschaftliche Handlungspraxis interpretiert werden kann, die stets auch politisch umstritten ist. Über einen Zeitraum von zehn Jahren unter der konservativen Regierung Harpers (2006–2015) kam es zur allmählichen Abkehr vom inklusivistischen und auf Gleichberechtigung abhebenden kanadischen Staatsbürgerschaftsmodell. Die schrittweise Abwendung vom Geist der multikulturellen Staatsbürgerschaft wird im Folgenden mit Blick auf zwei entscheidende Entwicklungen beschrieben: a) die Verschärfung des Zugangs zum Staatsbürgerschaftsrecht und die neoliberale Logik in der Migrationspolitik; und b) die Dominanz von Sicherheitspolitik gegenüber einer inklusivistischen Staatsbürgerschaftspolitik.

7.4.1 Verschärfung des Zugangs zum Staatsbürgerschaftsrecht und die neoliberale Logik in der Migrationspolitik Unter der Regierung Stephen Harpers wurde das liberale, multikulturell gestaltete Staatsbürgerschaftsrecht in eine weniger inklusivistische Richtung bewegt. Als zentraler politischer Schritt in diese Richtung kann die umstrittene Gesetzesinitiative Bill C24 ‚Strengthening Canadian Citizenship Act‘ (2014) gelten. Dieses Gesetz führte eine Reihe an Maßnahmen ein, die den Zugang zur Staatsbürgerschaft erschweren oder, wie es in der Rechtfertigung heißt, ‚stärken‘ sollten. Strengere Aufenthaltsbedingungen (residency requirements; Bewerber müssen mindestens vier der letzten sechs Jahre im Land verbracht haben), ein Sprachtest und sogenannte citizenship tests (die vor allem das Wissen des politischen Systems testen; siehe Goodman 2010), beträchtlich höhere Kosten für die Einbürgerung und längere Wartezeiten bei Einbürgerungsverfahren sind die wesentliche Neuerungen, die durch Bill C24 eingeführt wurden. In ihrer vergleichenden Studie kommt Elke Winter (2014) zu dem Ergebnis, dass sich das kanadische Staatsbürgerschaftsmodell nachhaltig auf die in Europa gängigen Bestimmungen und Praktiken zubewege (siehe auch Schmidtke 2014). Die Rechtfertigung für diese Gesetzesänderung war, dass die kanadische Staatsbürgerschaft

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zu leicht zu erhalten und dadurch in seinem Wert beschnitten sei. Die konservative Regierung wollte, dass Neuankömmlinge sich die Einbürgerung ‚verdienen‘ und unter Beweis stellen, dass sie sich diesem Status gegenüber loyal zeigen. Durch diese Maßnahmen sind die Einbürgerungsraten in 2014 und 2015 dramatisch gesunken. Diese Gesetzesinitiative fügt sich in eine längerfristige Entwicklung in der kanadischen Einwanderungspolitik ein: Der Grundsatz, für das Auswahlverfahren der Einwanderer den wirtschaftlichen Nutzen in den Vordergrund zu stellen, wurde – obgleich schon immer ein wesentlicher Bestandteil der Legitimierung des kanadischen Punktesystems – über die vergangenen Jahre zum dominierenden Prinzip in diesem Politikfeld. Im Jahre 1976 hat der damalige Immigration Act die drei Prioritäten der kanadischen Immigrationspolitik wie folgt festgelegt: 1) Zusammenführung von Familien, 2) Humanitäre Angelegenheiten, 3) Förderung von Kanadas wirtschaftlichen, sozialen, demografischen und kulturellen Zielen. Besonders über die vergangenen zehn Jahre hat sich der Fokus entschieden in Richtung von wirtschaftlichen Zielen und dem Anwerben von Einwanderern verlagert, die als am wertvollsten und begehrenswertesten erachtet werden (Schmidtke 2012): Der eklatanteste Schritt in diese Richtung war die Einführung einer Investoren- oder Businessklasse. Innerhalb dieser Kategorie ist der Zugang zu einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung daran gebunden, mindestens 800.000 Dollar zu investieren und Beschäftigung in Kanada zu schaffen (Reitz 2004). Diese Entwicklung wurde begleitet von einer Verschärfung der Qualifikationsstandards im Punktesystem. Im Jahr 2015 wurde ein neues Gesetz verabschiedet, das anordnet, eine der beiden offiziellen Amtssprachen Kanadas erforderlich zu machen und die Gruppe der wirtschaftlichen Migranten enger mit der Verfügbarkeit von Jobangeboten zu verknüpfen. Der nunmehr strenger gehandhabte Grundsatz der sprachlichen Tauglichkeit wird wahrscheinlich die Einwanderung von englischsprachigen Ländern zu Lasten von der nicht-westlichen Welt erhöhen. Des Weiteren wird jüngsten Einwanderergruppen eine Vielzahl von sozialen Dienstleistungen (wie der Zugang zur Gesundheitsvorsorge und Arbeitslosenversicherung) während des anfänglichen Zeitraums ihres Aufenthalts verweigert (Reitz 2004; Reitz et al. 2014). Diese Entwicklungen zeigen an, wie vor allem die konservative Regierung unter Premierminister Harper versucht hat, die Kosten für Einwanderung und Integration auf die Einwanderer selbst abzuwälzen, während die Verantwortung des Staates, den Neuankömmlingen Dienst- und Hilfeleistungen zur Verfügung zu stellen, nachhaltig verringert wird. Über die vergangenen zehn Jahre gab es einen offenkundigen Trend, denjenigen Migranten

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die Einwanderung zu erschweren, die als zu ‚kostenintensiv‘ oder als mögliche Belastung für die kanadische Gesellschaft angesehen werden. Die utilitaristische Logik, die die Vermarktung vorantreibt, ist von einer bedeutenden normativen Spannung gekennzeichnet, die einerseits die Inklusion von hoch qualifizierten Einwandern – die aktiven und produktiven Individuen – als vorteilhaft für die Gesellschaft befürwortet, wenn sie geeignet sind, den Erwartungen auf dem qualifizierten Arbeitsmarkt gerecht zu werden, während andererseits Flüchtlinge und Asylsuchende als sozial-ökonomisch nicht vorteilhaft dargestellt werden. Unter der Schirmherrschaft einer streng marktorientierten Logik kommt den Belangen der Menschenrechte und der Verpflichtung zu sozialer Gerechtigkeit bestenfalls ein sekundärer Rang zu.8 Der offizielle Diskurs zu Migration und Integration hat sich dementsprechend verändert. Im Einklang mit der Marktlogik werden Neuankömmlinge als förderlich für den wirtschaftlichen Wohlstand des Landes angepriesen. Diese sehr einseitige Betrachtungsweise hinsichtlich des ‚vermarktbaren Wertes‘ der Einwanderer ist markant in einer Äußerung von Citizenship and Immigration Canada zu Beginn des neuen Millenniums wiederzufinden: „Our multilingual, multiethnic workforce provides us with a distinct comparative advantage in the global marketplace“ (CIC 2000, S. 2). In ihrem Buch Selling Diversity gehen Abu-Laban und Gabriel (2002) auf die Art und Weise ein, wie Einwanderung, Multikulturalismus und Globalisierung im offiziellen Diskurs als Bestandteil des kosmopolitischen Lebens des 21. Jahrhunderts angepriesen werden und hierbei einer ökonomistischen Verengung der kanadischen Einwanderungspolitik Vorschub leisten. Temporäre Migranten: Kanadas Version eines Gastarbeiter Programms Dieser Befund steht im Einklang mit der Argumentation, dass Kanada den Zugang für nicht dauerhafte Einwohner weiter ausbaut.9 Das Temporary Foreign Wor­ ker Program, das ursprünglich dafür kreiert wurde, vorübergehende berufliche

8In

ihrer Veröffentlichung Selling Diversity gehen Abu-Laban und Gabriel (2002) auf die Art und Weise ein, inwiefern Immigration, Multikulturalismus, Beschäftigungsgerechtigkeit und die Globalisierung als Bestandteil des kosmopolitischen Lebens des 21. Jahrhunderts angepriesen werden, obwohl sie tatsächlich dazu dienen, die Marginalisierung zu verstärken während sie gleichzeitig Kanadas Leistungen vermarkten. 9Die neusten Zahlen sind in dem letzten Bevölkerungsbericht von Statistics Canada unter http://www12.statcan.gc.ca/census-recensement/2011/as-sa/98-310-x/98-310-x2011001eng.cfm ersichtlich.

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Engpässe zu mildern, ist nun schon seit Jahrzehnten etabliert. Allerdings hat das Programm, mit dem Migranten auf Zeit ins Land geholt werden, erst kürzlich eine dramatische Ausweitung erlebt. Im Jahre 2009 wurde eine Anzahl von 250,000 erreicht – mehr als doppelt so viel, wie zu Beginn des Millenniums.10 Im Jahr 2011 betraten 156,000 wirtschaftliche Migranten Kanada als dauerhafte Einwohner, 191,000 Menschen wurden mit einer vorläufigen Arbeitserlaubnis als Arbeitnehmer von der Bundesregierung angenommen. Viele dieser Genehmigungen verlängern sich nach einem Jahr, sodass der Fall eintrat, dass es Ende Dezember 2013 338,000 temporäre ausländische Arbeitskräfte in Kanada gab, die größte erfasste Zahl bisher. Die Anzahl der temporären ausländischen Arbeitskräfte hat sich seit 2006 mehr als verdoppelt (Sweetman und Warman 2010). Die zweite große Gruppe der temporären Einwohner sind internationale Studierende. Deren Zahl hat sich in Kanada über die letzten zwanzig Jahre verfielfacht (von 97,336 im Jahre 1999 auf 495,525 im Jahr 2018). Der Zugang zum Arbeitsmarkt wurde für die internationalen Studierenden sowohl während ihres Studiums als auch nach Absolvierung des Studiums erleichtert. Sie haben die Möglichkeit, bis zu zwei Jahren nach dem Hochschulabschluss in Kanada zu arbeiten, wenn sie ein Jobangebot erhalten, das sich mit ihren Studieninhalten deckt. Eine weitere Gruppe der temporären Einwohner umfasst diejenigen Einwanderer, die sich aufgrund von humanitären oder familiären Gründen im Land aufhalten dürfen. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn Migranten mit einem nicht vertretbaren Härtefall konfrontiert wären, sollten sie Kanada verlassen müssen, um sich für eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis zu bewerben. Die größte Gruppe derjenigen, die Kanada mit einer begrenzten Aufenthaltsgenehmigung betreten haben, sind Arbeitskräfte, die dafür ausgewählt werden, Lücken auf dem Arbeitsmarkt zu füllen und traditionell vor allem im Agrarsektor gearbeitet haben. Jedoch reagieren diese befristeten Arbeitskräfte immer mehr auf Engpässe in allen Sektoren der Dienstleistungsindustrie und teilweise auch im verarbeitenden Gewerbe. Wer Kanada mit einer befristeten Arbeitserlaubnis betreten möchte, muss ein Jobangebot seitens eines kanadischen Arbeitgebers vorweisen können. Die Arbeitserlaubnis ist fest an einen bestimmten Arbeitsplatz gebunden und kann bis zu vier Jahren verlängert werden. Für die Arbeitgeber ist es sehr attraktiv, befristete Arbeitskräfte einzustellen, da diese viel

10Zum

ersten Mal in Kanadas moderner Immigrationsgeschichte hat die Anzahl der temporären ausländischen Arbeitskräfte in Kanada (251,235) die totale Anzahl der dauerhaft zugelassenen Einwohner im gleichen Jahr übertroffen (247,243).

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kostengünstiger sind und sie schneller entlassen werden können. Beispielsweise haben viele dieser befristeten Arbeitskräfte während der jüngsten wirtschaftlichen Rezession ihren Job verloren und mussten das Land verlassen. Kanadische Arbeitgeber sind offiziell dazu berechtigt, befristeten Arbeitskräften weniger Lohn zu bezahlen, als sie gemäß ihrer regulären Arbeitskraft erhalten würden (bis zu 15 % unter dem, was ansonsten vor Ort bezahlt wird). So fallen temporäre Arbeitskräfte regelmäßig der Ausbeutung und Marginalisierung zum Opfer (Worswick 2010). Zusätzlich sind befristete Arbeitskräfte häufig minderwertigen Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Berichte von mangelhaften Unterkünften und z. T. gefährlichen Arbeitsbedingungen haben das Bewusstsein in der Öffentlichkeit in Kanada bezüglich dieser ‚Zweite-Klasse-Einwanderer‘ geweckt (Hennebry 2009; Goldring 2010; Goldring und Landolt 2013; Preibisch und Otero 2014). Hinsichtlich ihres Status sehen sich diese Arbeitskräfte weitgehend der Rechtsansprüche und gewerkschaftlich organisierten Vertretung beraubt, welche die örtlichen Arbeitskräfte gewöhnlich genießen können. Was neu entsteht, ist die Gefahr einer zweitrangigen Arbeiterklasse, die ein weniger robustes Regelwerk und Rechtsansprüche in Anspruch nehmen kann. Dies bringt Kanada viel näher an die soziale Realität in den Vereinigten Staaten von Amerika heran, auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass der stark regulierte kanadische Arbeitsmarkt eine viel geringere Anzahl an irregulären Einwanderern aufweist. Durch die Ausweitung der befristeten Programme haben die neuen Einwanderungs- und Staatsbürgerschaftsstrategien eine der wichtigen Schlüsseltugenden des kanadischen Migrationssystems untergraben: Formen der rechtlichen Exklusion und der zum Teil offiziell sanktionierten Diskriminierung werden schleichend zur gesellschaftlich und politisch akzeptierten Praxis gemacht (Ellermann 2014). Herausforderungen einer für die Einwanderer und Minderheiten gerechten Eingliederung in den Arbeitsmarkt Ein wesentlicher Bestandteil des kanadischen Integrationsmodells ist, dass den Einwanderern eine schnelle und gerechte Eingliederung in den Arbeitsmarkt und in die Bildungseinrichtungen ermöglicht wird. Kanada kann anhand von einer umfassenden Archivierung von Daten nachweisen, dass Einwanderer ähnliche Ergebnisse bezüglich ihrer beruflichen und schulischen Leistungen im Vergleich zu der im Land geborenen Bevölkerung erbringen. Besonders aus einer Perspektive über verschiedene Generationen hinweg betrachtet, hat es Kanada geschafft, strukturelle Nachteile, denen viele Einwandergemeinden im europäischen Zusammenhang ausgesetzt sind, zu vermeiden. Die kanadische Gesellschaft

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zeichnet sich viel mehr durch eine hohe soziale Mobilität im Bildungssystem aus.11 Über die letzten zwei Jahrzehnte gibt es jedoch klare Anzeichen eines anwachsenden Gefälles zwischen den jüngsten Kohorten von Einwanderern und der in Kanada geborenen Bevölkerung bezüglich des Abschneidens auf dem Arbeitsmarkt (Pendakur und Pendakur 2011; Reitz et al. 2014). Der Einkommensunterschied zwischen diesen beiden Gruppen weitet sich aus, und im Gegensatz zu früheren Generationen von Neuankömmlingen sehen sich die Einwanderer heutzutage einem erweiterten und anhaltenden Einkommensgefälle ausgesetzt (Banerjee 2009; Hou und Coulombe 2010). Die Entwicklung der vergangenen 30 Jahre ist bemerkenswert: die Einkommensunterschiede haben von den achtziger Jahren bis hin zu den frühen neunziger Jahren abgenommen, sich kurzfristig während des Aufschwungs in den späten neunziger Jahren verringert, jedoch zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder zugenommen. Während der Wirtschaftskrise im Jahre 2008–2009 hat sich insbesondere die wirtschaftliche Position derjenigen Migranten, die in den fünf Jahren davor nach Kanada gekommen sind, im Vergleich zu den in Kanada Geborenen, verschlechtert. Diese Erkenntnisse bestätigen wiederum den langandauernden Trend der relativen Verringerung der Löhne von aktuellen Einwanderergruppen: Daten der Erhebung im Jahre 2006 zeigen, dass die Neuankömmlinge in den ersten Jahren ihres Aufenthalts zwischen 60 und 70 % des Gehalts der in Kanada Geborenen verdienen, während in den späten 70er Jahren der prozentuale Anteil in einer Spanne zwischen 85 und 90 % lag. Wird der Blick auf die Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt gelenkt, ist festzustellen, dass der kanadische institutionelle Zusammenhang von einem zunehmenden Paradox geprägt wird: Das kanadische Einwanderungssystem ist einerseits daraufhin ausgerichtet, die Einwanderer mit Blick auf ihre Fähigkeiten und ihren potenziellen Beitrag zur Gesellschaft auszuwählen. Andererseits existieren bezüglich der Arbeitsmarktintegration erhebliche Barrieren für Migranten, die sich vor allem aufgrund des komplexen, arbeitsintensiven und kostspieligen Akkreditierungsprozesses ergeben. Der Zugang zum Arbeitsmarkt bleibt oftmals durch berufsspezifische Zugangsbeschränkungen und das Fehlen kanadischer Arbeitserfahrungen verschlossen. Berufliche Vereinigungen errichten dabei regelmäßig hohe Hürden für den Zugang zu qualifizierten Arbeitsplätzen.

11Jedoch

haben einige aktuelle Studien darauf hingewiesen, dass ein relativer Rückzug von individuellen Gruppen, besonders unter den sichtbaren Minderheiten in Kanada stattfindet: Kazemipur und Halli (2001) und Pendakur und Pendakur (2011).

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Bauder (2008; siehe auch Kesler und Bloemraad 2010; Nohl et al. 2014) veranschaulicht, wie subtil die institutionell und kulturell transportierten Mechanismen der Exklusion sind, die Migranten gegenüber den in Kanada Geborenen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligen. Die relative Armut unter den Einwanderern spiegelt diesen Erwerbstrend wider. Besonders sichtbare Minderheiten sind von dem abnehmenden Lebensstandard in Kanadas städtischen Zentren betroffen (siehe Picot et al. 2009). Der relative und absolute Anteil der in Armut lebenden Bevölkerung ist unter den Einwanderern von 1980 bis 2005 dramatisch angestiegen (Picot und Hou 2011). Beispielsweise war Anteil unter den neueren Migranten (diejenigen, die sich fünf Jahre oder kürzer in Kanada aufgehalten), die auf dem Niveau des Mindesteinkommens arbeiten, im Jahre 1980 1.4 mal so hoch wie die der in Kanada Geborenen, im Jahre 2005 hingegen 2.5 mal so hoch. Einige dieser Schwierigkeiten können den normalen Problemen zugerechnet werden, die auftreten, wenn Neuankömmlinge versuchen, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren: in der Übergangsphase sind die Einwanderer mit Herausforderungen wie der Nichtanerkennung von Hochschulabschlüssen oder einem Mangel an Arbeitserfahrung, sprachlichen Fähigkeiten, sozialen Kompetenzen etc. konfrontiert. Jedoch ist es Gegenstand einer intensiven politischen Debatte, ob diese Befunde vom Arbeitsmarkt prinzipiell mit Formen von rassistisch motivierter Diskriminierung in Verbindung gebracht werden kann. Wenn die kanadische Gesellschaft per Definition ein multikultureller Charakter zugesprochen wird, dann muss die Existenz von Rassismus und Xenophobie, die auf das starke Gefühl einer dominanten ethnisch-kulturellen Gruppe aufbauen, geradezu paradox erscheinen. Allerdings gibt es viele empirisch fundierte Nachweise auf Diskriminierung und Rassismus in Kanada, die trotz des multikulturellen Ethos zivilgesellschaftliche Praktiken prägen (Oreopoulos und Dechief 2011).

7.4.2 Dominanz der Sicherheitspolitik gegenüber einer inklusivistischen Staatsbürgerschaftspolitik Trotz dieser weitgehenden Einigkeit, die mit Blick auf die positiven Folgen von Einwanderung in Kanada besteht, sind die Politik und öffentliche Debatte keineswegs immun gegenüber einer politischen Instrumentalisierung von Migranten und Minderheiten. Die Jahre unter der konservativen Regierung in Ottawa waren durch eine Form der Identitätspolitik geprägt, die drohte, Einwanderer und Minderheiten zum negativen Bezugspunkt einer Stärkung der nationalen Identität

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Kanadas zu machen (Harder und Lyubov Zhyznomirska 2012). Der Umgang mit Flüchtlingen in den Jahren 2014 und 2015 wurde von der regierenden politischen Elite unter ähnlichen Vorgaben debattiert: dieses Thema wurde vorrangig unter der Vorgabe des exkludierenden Diskurses über vermeintliche ‚betrügerische Asylsuchende‘ behandelt, die unter Sicherheits- und sozialstaatlichen Kostengesichtspunkten eine Gefahr für die kanadische Gesellschaft darstellten. Der Refugee Exclusion Act aus dem Jahr 2012 brachte eine Reihe von Bestimmungen auf den Weg, deren zentrales Anliegen es war, die Zahl der nach Kanada kommenden Flüchtlinge möglichst gering zu halten. Die niedrigeren staatlichen Obergrenzen führten zu dramatisch gefallene Zahlen für Flüchtlinge. Diese Entwicklung wurde erst nach Amtsantritt der liberalen Regierung unter Justin Trudeau Ende 2015 revidiert. Ein weiteres Beispiel dafür, wie etwa die Sorge um Sicherheit und die Angst vor terroristischen Anschlägen auch in Kanada für innenpolitische Zwecke genutzt wird, sind die Wahlen aus dem Jahr 2015. Konfrontiert mit einer drohenden Wahlniederlage versuchte der damalige konservative Premierminister Harper mit einer populistischen Identitätspolitik zu punkten. Die Konservativen lancierten eine öffentliche Debatte darüber, ob Frauen bei der Einbürgerungsfeierlichkeit den Niqab ablegen müssen. Die nachfolgende kontroverse Diskussion nahmen sie zum Anlass für eine an europäische Verhältnisse mahnende Brandmarkung von Muslimen als kulturell-religiös Andere. Damit präsentierten sich die Konservativen – trotz eines allgemeinen Bekenntnisses zum Multikulturalismus – als jene politische Kraft, die die kanadische Gesellschaft gegen die vermeintlich illiberalen Praktiken von Muslimen schützen und außenpolitisch für Sicherheit vor fundamentalistischer Bedrohung sorgen könne. In dem oben erwähnten Gesetz (Bill C24) wird auch die Aberkennung der Staatsangehörigkeit in Fällen möglich gemacht, in denen Bürger des Landes sich terroristischer Akte oder schwerer Gewaltverbrechen schuldig machen. Jenseits der rechtlich umstrittenen Entscheidung, den Status der Staatsbürgerschaft abzuerkennen, hat diese Debatte auf die politisch und sozial brisante symbolische Dimension der Staatsbürgerschaftspolitik verwiesen. In der öffentlichen Diskussion ging es immer wieder auch um die Frage, wer legitimer Weise – auch jenseits des Rechtsstatus – für sich reklamieren kann, zum kanadischen Gemeinwesen zu gehören. Die exkludierenden Effekte dieser Debatte standen in einem eindeutigen Spannungsverhältnis zu dem einschließenden Geist des multikulturellen Modells. Die Stimmen aus der kanadischen Zivilgesellschaft, die anmahnten, dass bestimmte Minderheiten als ‚Staatsbürger zweiter Klasse‘ behandelt würden,

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unterstreichen, welche Folgen Debatten um die Staatsbürgerschaft mit Blick auf die Anerkennung und den sozialen Status dieser Gruppen haben können. Am Ende erwies sich jedoch, dass diese gegen Minderheiten gerichteten Kampagnen wenig erfolgreich waren und letztlich den Liberalen unter Trudeau zum Wahlsieg verhalfen. Die soziale und symbolische Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen wurde – ganz im Sinne des multikulturellen Staatsbürgerschaftsmodells – von vielen Kanadiern als ‚un-kanadisch‘ wahrgenommen. Ähnlich verhielt es sich mit der parteipolitischen Positionierung gegenüber dem syrischen Flüchtlingsdrama. Während die Konservativen sich aus vermeintlichen Sicherheitsgründen gegenüber der Aufnahme von syrischen Flüchtlingen verweigerten, forderte Trudeau, 25.000 dieser Hilfesuchenden aufzunehmen und entsprach damit dem mehrheitlichen gesellschaftlichen Wunsch, Kanada wieder jene Führungsrolle in der internationalen Flüchtlingspolitik zukommen zu lassen, die es traditionell innehatte. Der Regierungswechsel und eine neue politische Orientierung unter Justin Trudeau zeigt eben auch, wie nachhaltig das multikulturelle Staatsbürgerschaftsmodell die öffentliche Haltung gegenüber Minderheiten und Erwartungen an Regierungshandeln noch immer prägt.

7.5 Abschließende Bemerkungen Kanada hat seit den späten sechziger Jahren ein Staatsangehörigkeitsmodell entwickelt, das sich in seiner multikulturellen Ausrichtung in grundsätzlichen Zügen von den in Europa dominanten Modellen unterscheidet. Die multikulturell gewendete Staatsangehörigkeit hat einen Identitätsbegriff und moralischen Kodex der gleichberechtigten Behandlung von im Land geborenen Bürgern und Einwanderern entwickelt, der seine eigene Logik der sozialen Inklusion generiert und staatlich-institutionelles Handeln insbesondere auf dem Gebiet der Einwanderungs- und Integrationspolitik geprägt hat. Der Status der Staatsangehörigkeit ist der rechtliche, soziale und politische Mechanismus, durch den dieses Versprechen auf gleichberechtigte Inklusion seine regulative Kraft in der Sozial- und Arbeitspolitik, Einwanderungspolitik und in Prozessen der politischen Willensbildung entfaltet. Trotz seiner institutionell-normativen Verankerung in dem politischen Gemeinwesen hat sich das kanadische Staatsangehörigkeitsregime jedoch in dem letzten Jahrzehnt anfällig gegenüber Tendenzen gezeigt, die dessen inklusivistischen Geist infrage stellen. Die Veränderungen unter der zehnjährigen Regentschaft des

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Konservativen Premierministers Harper waren nicht dramatisch, doch haben sie eine schrittweise Abkehr von einigen Grundprinzipien des kanadischen Staatsangehörigkeitsmodells in die Wege geleitet: Zum einen wurden die Zugangsbedingungen zur kanadischen Staatsangehörigkeit deutlich erschwert. Damit wurde signalisiert, dass die Einbürgerung weniger als Anspruch, denn als Privileg für Einwanderer zu begreifen sei, welches diese sich zu verdienen hätten. Gleichzeitig wurden die sozialen Rechte der Immigranten beschnitten, der Staat in Teilen aus der Verantwortung entlassen, Neuankömmlingen gleichberechtigten Zugang zu gesellschaftlichen Lebenschancen zu gewährleisten, und die Rekrutierung und Integration von Immigranten wurde zunehmend der Marktlogik überantwortet. Die Erfahrungen des letzten Jahrzehnts unterstreichen, dass die in der Staatsbürgerschaft sanktionierten Rechtsansprüche auf ein gesellschaftspolitisches Umfeld angewiesen sind, in denen diese ihre praktische Relevanz erhalten. In dieser Hinsicht verweist die Skizze der Erfahrungen Kanadas generalisierend auf die zentrale Rolle der politischen Eliten und administrativen Praxis. So können etwa Verschiebungen im Elitendiskurs nachhaltige – und nicht notwendig intendierte – Folgen haben, die das staatsbürgerschaftliche Inklusionsversprechen gesellschaftlich untergraben. In seiner Wirkung kaum zu überschätzen, war im kanadischen Fall die von Regierungsseite sanktionierte Veränderung des öffentlichen Diskurses zu Migranten und besonders Flüchtlingen und der muslimischen Community in Kanada. Nicht zuletzt aus wahltaktischem Kalkül heraus hat die konservative Regierung einem Diskurs gesellschaftliche Akzeptanz zu geben versucht, der kulturelle Differenz zu einem Bezugspunkt für Narrationen legitimer Zugehörigkeit macht. In dem Wahljahr 2015 erlebte Kanada vonseiten seiner regierenden politischen Elite Formen symbolischer Exklusion von bestimmten Minderheiten, die an europäische Verhältnisse erinnerten und mit dem multikulturellen Ethos nur schwer in Einklang zu bringen waren. Nach fast fünfzig Jahren einer staatlich sanktionierten multikulturellen Staatsbürgerschaft war es für viele Beobachter überraschend festzustellen, wie anfällig die kanadische Gesellschaft für die schrittweise Abkehr von dessen inklusivistischem Geist war (Winter 2014b). Trotz der Wahl der Liberalen unter Justin Trudeau und der Rückkehr zum traditionellen multikulturellen Staatsbürgerschaftsmodell erscheint es weiterhin eine empirisch offene Frage, inwieweit und bis zu welchem Grad hin das kanadische Modell sich gegenüber dem exklusivistischen Impetus nationalistischer Mobilisierung immun zeigt.

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Oliver Schmidtke ist Professor für Politikwissenschaften und Neuere Geschichte an der University of Victoria, wo er auch das Centre for Global Studies als Direktor leitet. Seine Forschungsinteressen liegen in dem Bereich der Migration, Staatsbürgerschaft, und Nationalismus aus vergleichender, transatlantischer Perspektive. Seine jüngste ­Buchpublikation ist: Nohl, A., Schittenhelm, K., Schmidtke, O., and Weiss, A. Work in Transition. Cultural Capital and Highly Skilled Migrants’ Passages into the Labour Market. University of Toronto Press, 2014.

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Stakeholder Citizenship in Deutschland und Kanada? Modelle der Inklusion und Exklusion externer Staatsbürger im Vergleich Martin Weinmann Zusammenfassung

Vergleiche der Einwanderungs- und Staatsangehörigkeitspolitiken Deutschlands und Kanadas haben im letzten Jahrzehnt deutlich zugenommen. Seit den 1990er Jahren betonten Wissenschaftler dabei vorwiegend die Unterschiede zwischen beiden Ländern; mittlerweile werden jedoch zunehmend auch Gemeinsamkeiten hervorgehoben. Dies gilt auch in Bezug auf Politiken gegenüber externen Staatsbürgern. Ein systematischer Vergleich der Regelungen zur Inklusion bzw. Exklusion externer Staatsbürger auf Grundlage eines normativen Konzepts steht jedoch bislang aus. Dies liegt auch daran, dass sich die Migrationsforschung lange Zeit vorwiegend auf die politische Inklusion von Einwanderern durch den Erwerb von Staatsbürgerschaftsrechten konzentriert hat; normative und vergleichende Studien zur Inklusion bzw. Exklusion externer Staatsbürger sind hingegen nach wie vor selten. Ein systematischer Vergleich der Staatsbürgerschaftspolitiken von Kanada und Deutschland anhand des von Rainer Bauböck entwickelten Konzepts der Stakeholder Citizenship, das dazu dienen kann, zu bestimmen, inwiefern Auswanderer und ihre Nachfahren einen Anspruch auf den exterritorialen Erwerb der Staatsangehörigkeit und die damit einhergehenden Rechte haben, leistet einen Beitrag, diese Forschungslücke zu schließen. Im Fokus steht dabei die Frage, inwiefern die externen Staatsbürgerschaftspolitiken der beiden Länder den normativen Ansprüchen des Konzepts gerecht werden.

M. Weinmann (*)  Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Wiesbaden, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. J. Grünendahl et al. (Hrsg.), Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion, Studien zur Migrations- und Integrationspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25534-3_8

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Schlüsselwörter

Migration · Stakeholder Citizenship · Auswanderung · Staatsbürgerschaft · Demokratie

8.1 Migration, Demokratie und externe Staatsbürgerschaft Im „Zeitalter der Migration“ (Castles und Miller 1993; Übers. d. Autors) hat die Zugehörigkeit zu einem politischen Gemeinwesen zunehmend an „Schicksalhaftigkeit“ verloren (Masing 2001, S. 23): Lebensmittelpunkt und Wohnsitz von Menschen sind nicht mehr ‚natürlich‘ und dauerhaft vorgegeben. In einer zunehmend vernetzten Welt ist Mobilität einfacher geworden. Entsprechend sind Migrationsströme globaler geworden und immer mehr Länder sind in signifikanter Weise von internationaler Migration betroffen. Die Bedeutung des Wohnsitzes für die politische Verortung von Menschen nimmt dadurch zu. Diese Entwicklung hat allerdings zu bedeutenden Herausforderungen für den Nationalstaat und die repräsentative Demokratie geführt (Hammar 1990, S. 2):1 Mit Blick auf den Grundsatz der freiheitlichen Selbstbestimmung ist es demokratietheoretisch einerseits problematisch, wenn Einwanderer den politischen Entscheidungen in ihrem Aufenthaltsland unterworfen sind, ohne auf sie Einfluss nehmen zu können. Ähnlich problematisch ist es aber andererseits, wenn Auswanderer die Willensbildung in ihrem Herkunftsland mitbeeinflussen können, von den politischen Entscheidungen jedoch nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr betroffen sind (vgl. u. a. Bauböck 2002, 2005, 2007; Rubio-Marín 2006; Shachar 2003; Spiro 2003). Mit Blick auf die Einschränkungen der repräsentativen Demokratie durch internationale Migration sowie die Konsequenzen für Staatsbürgerschaftskonzepte liegt in westlichen Demokratien nach wie vor ein Schwerpunkt der Forschung auf durch Einwanderung verursachten Herausforderungen. Dies ist naheliegend, da es sich im Wesentlichen um Einwanderungsländer handelt. Hinsichtlich vergleichender Studien zu den Politiken dieser Staaten im Umgang mit Auswanderung besteht nach wie vor eine Forschungslücke (vgl. Bauböck 2006, S. 27). In normativer Hinsicht kann das von Rainer Bauböck entwickelte

1Für

einen Überblick zum Zusammenhang von Migration und Demokratie vgl. Rother (2016).

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­Konzept der Stakeholder Citizenship dazu dienen, zu bestimmen, inwiefern Auswanderer einen Anspruch auf Mitgliedschaft in einem politischen Gemeinwesen haben sollten. Ebenso bietet es einen geeigneten Rahmen zur Analyse externer Staatsbürgerschaftspolitiken (Bauböck 2007, 2009). Es dient in diesem Beitrag als Grundlage für einen systematischen Vergleich der Politiken zur rechtlichen Inklusion und Exklusion von Auswanderern und ihren Nachfahren in Deutschland und Kanada. Im Fokus steht dabei die Frage, inwiefern die externen Staatsbürgerschaftspolitiken der beiden Länder den normativen Ansprüchen des Konzepts gerecht werden. Vergleiche der Einwanderungs- und Staatsangehörigkeitspolitiken der beiden Staaten haben im letzten Jahrzehnt deutlich zugenommen (Bauder et al. 2014; vgl. u. a. Bauder 2008, 2011; Bendel und Kreienbrink 2008; Geißler 2003; Reitz et al. 1999; SVR 2015; Triadafilopoulos 2006; Winter 2007). Dabei betonten Wissenschaftler lange Zeit vorwiegend die Unterschiede zwischen beiden Ländern, z. B. mit Blick auf Staatsbürgerschafts- oder Arbeitsmigrationspolitiken (vgl. u. a. Bauder 2011, 2014; Brubaker 1989). Jedoch rücken in den letzten Jahren zunehmend auch Gemeinsamkeiten beider Länder in den Fokus (vgl. u. a. Kolb 2014; SVR 2015; Triadafilopoulos 2012). Dies gilt auch für deren Politiken gegenüber externen Staatsbürgern (SVR 2015, S. 125–127; Weinmann 2017). Ein tiefergehender und detaillierter Vergleich der jeweiligen Regelungen auf Grundlage eines normativen Konzepts ist jedoch bislang ausgeblieben. Mit dem vorliegenden Beitrag soll diese Forschungslücke geschlossen werden. Im Folgenden wird zunächst Bauböcks Konzept der Stakeholder Citizenship als normative Grundlage dieses Beitrags vorgestellt. Es dient anschließend als analytischer Rahmen für einen Politik- und Rechtsvergleich im Umgang mit externen Staatsbürgern Deutschlands und Kanadas, dem zunächst Hintergrundinformationen zu wichtigen staatsangehörigkeitsrechtlichen Entwicklungen in beiden Staaten vorangestellt werden. Die Ergebnisse der Analyse werden abschließend in einem Fazit zusammengefasst.

8.2 Normativ-analytischer Rahmen: Bauböcks Konzept der Stakeholder Citizenship für externe Staatsbürger Externe Staatsbürgerschaft umfasst Status, Rechte und Pflichten von Menschen, die zeitweise oder dauerhaft außerhalb des Territoriums eines politischen Gemeinwesens leben, das sie nach wie vor als seine Mitglieder ansieht.

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Externe Staatsbürger sind also volle und gleichwertige Mitglieder einer sich selbst regierenden politischen Gemeinschaft, auch wenn sie sich außerhalb dieser Gemeinschaft aufhalten (Bauböck 2009, S. 476–478). Doch inwiefern sollten Auswanderer und ihre Nachfahren überhaupt einen Anspruch auf externe Staatsbürgerschaft haben? Antworten auf diese Frage kann ein von Rainer Bauböck, einem international anerkannten Experten auf den Feldern der normativen politischen Theorie und vergleichenden Forschung zu Staatsbürgerschaftspolitiken, entwickeltes Prinzip liefern. Nach dem von ihm vorgeschlagenen Stakeholder-Prinzip sollten sich selbstregierende politische Gemeinschaften all jene als Staatsbürger inkludieren, deren persönliche Autonomie und/oder persönliches Wohlbefinden aufgrund ihrer Lebensumstände an das Gemeinwohl der politischen Gemeinschaft gebunden ist. Folglich haben alle Individuen einen Anspruch auf Mitgliedschaft in einem Gemeinwesen, deren Grundrechte langfristig vom Schutz durch das Gemeinwesen abhängen (dependency criterion) und die den politischen Autoritäten des Gemeinwesens für einen erheblichen Zeitraum ihres Lebens unterworfen sind (criterion of biographical subjection). Dies trifft unbestritten auf Auswanderer zu, zumindest solange sie nicht die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erwerben. Zudem sind auch ihre Kinder den politischen Autoritäten des Herkunftslands automatisch unterworfen, wenn sie dessen Staatsangehörigkeit bei Geburt im Ausland auf Grundlage des Abstammungsprinzips (ius sanguinis) automatisch erwerben. Bauböck stellt jedoch infrage, ob und inwiefern diese Personen überhaupt ein (automatisches) Recht auf Inklusion in das Gemeinwesen haben sollten. Nach dem von ihm vorgeschlagenen Konzept des stakeholders­ hip leitet sich ein Anspruch auf Staatsbürgerschaft von einem Interesse an einer langfristigen Mitgliedschaft in einer politischen Gemeinschaft ab. Dieses Interesse wiederum gründet sich auf die objektiven Lebensumstände einer Person bzw. ihren individuellen biografischen Bezug zu der jeweiligen politischen Gemeinschaft, d. h. ob sie den kollektiven Entscheidungen in ihrem Lebensverlauf einmal unterworfen war oder sein wird (Bauböck 2009, S. 480–481). Doch wie lange haben Auswanderer und ihre Nachfahren einen biografischen Bezug zu ihrem Herkunftsland und somit ein Recht auf externe Staatsbürgerschaft?

8.2.1 Das Recht auf externe Staatsbürgerschaft Das Recht auf Rückkehr stellt ein grundlegendes Recht von Auswanderern dar. Es begründet auch ihr Recht auf externe Staatsbürgerschaft (Status): Der ersten ­Auswanderergeneration – also Personen mit eigener Auswanderungserfahrung – muss

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aufgrund ihrer biografischen Bezüge ein lebenslanges Recht auf Beibehaltung der Staatsangehörigkeit im Ausland gewährt werden, da es ihnen eine (freiwillige) Rückkehr ermöglicht. Dies gilt unabhängig davon, ob sie ihr Rückkehrrecht in Anspruch nehmen werden oder nicht. Ohne das Recht auf Beibehaltung ihrer Staatsangehörigkeit bei Auswanderung hätten sie auch kein Rückkehrrecht. Dies käme ggf. einem unfreiwilligen Exil gleich. Zwar sollten Auswanderer ein Recht haben, ihre Staatsangehörigkeit freiwillig aufzugeben. Verlieren sie jedoch bei einer Einbürgerung in einem anderen Land automatisch ihre Staatsangehörigkeit, ist ihr Beibehaltungsrecht ernsthaft gefährdet: Sie sind gezwungen, sich zwischen zwei politischen Gemeinschaften zu entscheiden, obwohl sie starke Interessen in beiden haben (Bauböck 2009, S. 482–484). Mit Blick auf die zweite Generation argumentiert Bauböck, dass die Nachfahren von Auswanderern bei ihrer Geburt zwar nicht den politischen ­ Autoritäten unterworfen waren und der Schutz ihrer Grundrechte nicht vom exterritorialen Zugang zur Staatsangehörigkeit des Herkunftslands ihrer Eltern abhängt, wenn ihnen Grundrechte im Geburtsland gewährt werden. Jedoch sind ihre Lebensumstände bis zur Volljährigkeit von den Entscheidungen und Absichten ihrer Eltern geprägt, insbesondere ggf. bestehenden Rückehrabsichten. Aus diesem Grund muss für sie ebenfalls ein Rückkehrrecht bestehen und somit ein Recht, die Staatsangehörigkeit bei Geburt im Ausland zu erhalten (Bauböck 2009, S. 482). Legitim ist es jedoch, bei Erreichen der Volljährigkeit die Stärke ihres Interesses am Herkunftsland der Eltern durch zusätzliche Kriterien zu überprüfen, z. B. durch eine Absicht, zukünftig den Wohnsitz im Herkunftsland der Eltern zu nehmen bzw. durch einen automatischen Verlust der Staatsangehörigkeit, wenn sie bis zu einem bestimmtem Alter dort nicht Wohnsitz genommen haben. Jede entsprechende Bestimmung muss jedoch sicherstellen, dass sie nicht zu Staatenlosigkeit führt (Bauböck 2009, S. 484–485). Eine unbegrenzte intergenerationale Weitergabe der Staatsangehörigkeit im Ausland über das Abstammungsprinzip und somit meist auch die Weitergabe von Mehrstaatigkeit wird grundsätzlich nicht von einem Stakeholder-Prinzip abgedeckt: Für nachfolgende Generationen besteht kein moralisches Recht auf externe Staatsbürgerschaft. Eine unbegrenzte Weitergabe der Staatsangehörigkeit im Ausland ist zwar nicht generell unzulässig, aber zumindest strittig. Grundsätzlich sollten jedoch administrative Ermessensspielräume bestehen, um individuellen Lebensumständen gerecht zu werden: So könnte z. B. Auswanderern der

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dritten Generation, die noch starke Interessen im Herkunftsland ihrer Großeltern nachweisen können, in festgelegten Ausnahmefällen ein Recht auf externe Staatsbürgerschaft eingeräumt werden (Bauböck 2009, S. 485).2

8.2.2 Rechte externer Staatsbürger Das Konzept der Stakeholder Citizenship sieht auch hinsichtlich der externen Staatsbürgerschaftsrechte eine Differenzierung zwischen den einzelnen Auswanderergenerationen vor. Bauböck identifiziert als die zentralen Rechte von Staatsbürgern das Rückkehrrecht, das diplomatische Schutzrecht und das Wahlrecht. Das Recht auf Rückkehr sowie das Recht auf diplomatischen Schutz sollten grundsätzlich unkonditioniert sein: Wem ein Interesse an lebenslanger Mitgliedschaft durch Gewährung der Staatsbürgerschaft zuerkannt wird, dem muss es auch möglich sein, dieser Gemeinschaft durch Wohnsitznahme im Inland vollständig beizutreten und dem muss ggf. der Schutz gewährt werden, der ihm dadurch zusteht (Bauböck 2009, S. 485–486).3 Deutlich anders sieht es hingegen beim Wahlrecht aus: Da die Hoheitsgewalt eines Staates territorial begrenzt ist, ist beim Wahlrecht generelle Gleichheit zwischen internen und externen Staatsbürgern unmöglich. Für Bauböck ist das Wahlrecht somit das zentrale Kriterium der Differenzierung zwischen internen und externen Staatsbürgern. Da Wohnbürger unmittelbarer von politischen Entscheidungen betroffen sind als externe Staatsbürger, haben erstere einen qualitativ stärkeren Anspruch auf Selbstregierung (citizenship involvement).4 Hinzu kommt, dass in kleinen Staaten, die in größerem Umfang von Auswanderung betroffen sind, erhebliche demokratietheoretische Probleme auftreten können: Ein zu großzügiges Auslandswahlrecht könnte zu einer Herrschaft der externen Staatsbürger über die Wohnbevölkerung führen. Die Differenzierung beim Wahlrecht dient folglich dazu, zu vermeiden, dass ‚heimische‘ Bewohner von einer – ggf.

2Bauböcks

Ausführungen beziehen sich zum Teil auch auf denizens (vgl. Bauböck 2009, S. 483), also ausländische (Wohn-)Bürger mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht (vgl. Hammar 1990). Im Fokus dieses Beitrags stehen jedoch ausschließlich externe Staatsbürger. 3Bei Doppelstaatern sollte grundsätzlich das Land des gewöhnlichen Aufenthalts für diplomatischen Schutz zuständig sein, falls dieser in einem dritten Staat benötigt wird. 4Vgl. dazu auch Rubio-Marín (2006, S. 129) und Honohan (2011, S. 548).

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immer größer werdenden – Auslandsbevölkerung überstimmt werden ­können.5 Da die erste Auswanderergeneration mit höherer Wahrscheinlichkeit in das politische Leben des Herkunftslandes involviert ist als die zweite Generation, sollte das externe Wahlrecht auf die erste Auswanderergeneration begrenzt werden (Bauböck 2009, S. 487). Allerdings schlägt Bauböck vor, dass nachfolgende, im Ausland geborene Generationen ein Wahlrecht unter bestimmten Voraussetzungen erhalten könnten, z. B. wenn sie zwischenzeitlich eine gewisse Zeit im Inland gelebt haben, da sie dadurch mehr oder weniger zu Auswanderern der ersten Generation würden (Bauböck 2007, S. 2426). Insgesamt betont er aber auch, dass selbst für dauerhafte Auswanderer der ersten Generation das externe Wahlrecht nicht als ein grundsätzliches Recht, sondern eher als zulässiges und oft auch empfehlenswertes Mittel zum Einbezug transnationaler Akteure in politische Entscheidungen angesehen werden sollte. Staatsbürger, die nur vorübergehend abwesend sind und von den politischen Konsequenzen von Wahlen bei einer Rückkehr vollständig betroffen sind, haben hingegen einen starken Anspruch auf ein externes Wahlrecht. In diesen Fällen sieht Bauböck es zwar als legitim an, das Auslandswahlrecht durch bestimmte Voraussetzungen zu beschränken, z. B. eine individuelle Registrierung oder andere prozedurale Hürden. Allerdings sollte die Möglichkeit zur Wahlteilnahme nicht an eine Anwesenheit im Inland geknüpft werden, sondern durch Briefwahl ermöglicht werden (Bauböck 2007, S. 2402– 2405, 2009, S. 487–488).

8.2.3 Pflichten externer Staatsbürger Bei den Pflichten von Staatsbürgern muss stärker als bei den Rechten zwischen internen und externen Staatsbürgern differenziert werden: Zwar müssen grundsätzlich alle Staatsbürger (sowie alle anderen im Land aufhältigen Personen), die geltenden Gesetze befolgen. Aufgrund der territorial begrenzten Herrschaft eines Staates gilt diese Pflicht jedoch für externe Staatsbürger nicht in gleicher Weise wie für interne. Externe Staatsbürger sind in erster Linie dazu verpflichtet, die Gesetze ihrer Aufenthaltsländer einzuhalten. Hinzu kommt, dass externe rechtliche Pflichten grundsätzlich einer besonderen Begründung bedürfen und ihre

5Zur

Veranschaulichung beschreibt Bauböck an anderer Stelle das Beispiel Ungarns, wo das externe Staatsbürgerschafts- und Wahlrecht „manipuliert […] [worden sei], um eine Regierungspartei an der Macht zu halten“ (Bauböck 2014, S. 6).

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Durchsetzbarkeit aufgrund der territorial beschränkten Staatsgewalt zum Teil schwierig ist. Als mögliche externe Pflichten identifiziert Bauböck Wehrpflicht, Steuerpflicht und Wahlpflicht (Bauböck 2009, S. 488). Der Militärdienst galt lange Zeit als eine der Hauptpflichten von Staatsbürgern. Durch den Trend zu einem alternativen Ersatz- bzw. Zivildienst sowie professionellen Armeen verlor er jedoch zunehmend an Bedeutung. Eine Einberufung externer Staatsbürger ist jedoch in praktischer und moralischer Hinsicht problematisch. Ersteres aufgrund der territorial begrenzten Herrschaft des Staates. Letzteres aufgrund einer möglicherweise – mehr oder weniger unfreiwilligen – Einschränkung des Rückkehrrechts oder gar einer Aufgabe der Staatsangehörigkeit, um nicht eingezogen zu werden. Da allerdings gegen die Einberufung externer Staatsbürger keine grundsätzlichen normativen Widersprüche bestehen, muss sie zumindest für die erste Generation hingenommen werden. Anders sieht es bei der zweiten Auswanderergeneration aus: Da ihnen nach dem Stake­ holder-Prinzip kein Auslandswahlrecht zugestanden wird, sind ihre rechtlichen Ansprüche im Wesentlichen auf ein Rückkehrrecht beschränkt. Zwar werden sie im Falle einer Rückkehr automatisch zu internen Staatsbürgern und müssen daher auch alle heimischen Pflichten von Bürgern akzeptieren. Jedoch sollten sie nicht zu einer zeitweisen und ggf. unfreiwilligen Rückkehr gezwungen werden, um den Militärdienst abzuleisten und dadurch langfristig ihr Recht auf Rückkehr nicht zu verwirken bzw. einzuschränken (Bauböck 2009, S. 489–490). Eine Auslandbesteuerung wird im Rahmen des Stakeholder-Prinzips als nicht legitim erachtet: Steuern sind im Wesentlichen Einnahmen zur Finanzierung öffentlicher Güter, die vorwiegend von Wohnbürgern genutzt werden. Externe Staatsbürger profitieren also im Wesentlichen in ihren Aufenthaltsländern von den durch Steuern geschaffenen öffentlichen Gütern, weshalb das Interesse des Aufenthaltslandes höher ist als das Interesse des Herkunftslandes. Eine legitime Ausnahme besteht jedoch bei externen Staatsbürgern, die einen zweiten Wohnsitz im Inland aufrechterhalten: Werden die im Aufenthaltsland entrichteten Steuern (z. B. im Rahmen eines Doppelbesteuerungsabkommens) auf die im Herkunftsland zu entrichtenden angerechnet (sog. Anrechnungsmethode), dient dies einerseits der Vermeidung von Steuerflucht durch wohlhabende Bürger. Andererseits gewährleistet die Beschränkung auf externe Staatsbürger, die einen zweiten Wohnsitz im Inland aufrecht erhalten, dass nur diejenigen besteuert werden, die auch öffentliche Güter nutzen (Bauböck 2009, S. 490).

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Eine mögliche Wahlpflicht für externe Staatsbürger wird von einem Stakeholder-­ Prinzip nicht abgedeckt: Externe Staatsbürger sind vermutlich eher passive Bürger. Würden gerade sie zur Wahlteilnahme verpflichtet, interne S ­taatsbürger jedoch nicht, könnte es zu einer Überrepräsentation externer Staatsbürger kommen, die in der Regel über geringere Kenntnisse der politischen Gegebenheiten und ggf. auch Tab. 8.1   Normative Analysematrix zur Beurteilung externer Staatsbürgerschaftspolitiken anhand des Stakeholder-Prinzips Recht auf externe Staatsbürgerschaft (Status)

Beibehaltung/genereller Erwerb

Recht für 1. und 2. ­Auswanderergeneration

Verlust bei Annahme einer anderen Nicht legitim Staatsangehörigkeit Möglichkeit zur freiwilligen Auf­ gabe der Staatsangehörigkeit

Erforderlich

2. Auswanderergeneration: Verlust Legitim bei Volljährigkeit unter bestimmten Voraussetzungen 2. Auswanderergeneration: Staatenlosigkeit bei Verlust

Nicht legitim

Ab 3. Auswanderergeneration: Legitim Erwerb im behördlichen Ermessen Rechte externer Staats- Rückkehrrecht bürger

Recht für alle, denen externe Staatsbürgerschaft gewährt wird

Diplomatisches Schutzrecht

Recht für alle, denen externe Staatsbürgerschaft gewährt wird

Wahlrecht

Recht nur für 1. ­Auswanderergeneration

Mögliche Einschränkung: dauer­ haft im Ausland Lebende der 1. Auswanderergeneration

Legitim

Mögliche Ausnahme: zwischen­ zeitlich im Inland Lebende der 2. Auswanderergeneration

Legitim

Mögliche Einschränkung: Regist­ rierung/prozedurale Hürden

Legitim

Mögliche Einschränkung: Anwesenheit im Land

Nicht legitim (Fortsetzung)

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Tab. 8.1   (Fortsetzung) Pflichten externer Staatsbürger

Wehrpflicht

Pflicht für 1. Auswanderergeneration hinzunehmen

Steuerpflicht

Pflicht nicht legitim

Ausnahme: Anrechnung von im Aufenthaltsland entrichteten Steuern bei aufrechterhaltenem Wohnsitz im Inland

Legitim

Wahlpflicht

Pflicht nicht legitim

Quelle: Bauböck (2009), eigene Zusammenstellung

ein geringeres Interesse am Fortbestand der politischen Gemeinschaft verfügen als interne Staatsbürger (Bauböck 2009, S. 491).6

8.2.4 Normative Analysematrix Die von Bauböck aufgestellten normativen Kriterien lassen sich als Analyserahmen zur Untersuchung externer Staatsbürgerschaftspolitiken nutzen. In Tab. 8.1 werden die Kriterien zu einer Analysematrix zusammengefasst, die dann im Folgenden zum Vergleich der Politiken von Deutschland und Kanada dient.

8.3 Vergleich der externen Staatsbürgerschaftspolitiken in Deutschland und Kanada anhand des Konzepts der Stakeholder Citizenship Bauböcks Konzept der Stakeholder Citizenship bietet einen geeigneten Analyserahmen für einen systematischen Vergleich der Politiken zur Inklusion und Exklusion von Auswanderern und ihren Nachfahren in Deutschland und Kanada. Grundlegend für die Analyse ist die Frage, inwiefern die externen Staatsbürgerschaftspolitiken der beiden Länder den normativen Ansprüchen des

6Hinzu

kommt, dass eine Wahlpflicht grundsätzlich normativ umstritten ist. Für einen Überblick zur Diskussion vgl. u. a. Kaeding et al. (2016, S. 85–120), Lever (2010), Birch (2009), Jakee und Sun (2006).

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Konzepts gerecht werden. An dieser Stelle werden zunächst zentrale Hintergrundinformationen zu den Vergleichsländern, insbesondere mit Blick auf das externe Staatsangehörigkeitsrecht, präsentiert. Sie dienen als Kontext für den anschließenden Vergleich der externen Staatsbürgerschaftspolitiken; die Ergebnisse werden am Ende in Tab. 8.2 zusammengefasst.

8.3.1 Hintergrundinformationen zu den Vergleichsländern Deutschland und Kanada wurden mit Blick auf ihre Migrations- und Staatsangehörigkeitspolitik lange Zeit mehr oder weniger ausschließlich als Gegenpole betrachtet (vgl. u. a. Bauder 2011, 2014; Brubaker 1989), was u. a. auf unterschiedliche historische Ausgangssituationen zurückzuführen ist: Deutsch­ land wurde als ethnische Nation beschrieben, in der Staatsbürgerschaft und ­Zugehörigkeit ausschließlich auf Abstammung und Blutsverwandtschaft gründen (Brubaker 1990, 1992). Kanada wurde hingegen als der Prototyp einer multikulturellen Nation identifiziert, die durch Einwanderung entstanden ist und in der Einwanderer ein wesentlicher Bestandteil der Nation sind (Kymlicka 1995, 2010, S. 9). Mittlerweile werden jedoch auch Gemeinsamkeiten zwischen beiden Staaten herausgearbeitet, z. B. im Bereich externer Staatsbürgerschaftspolitiken: In beiden Staaten bestehen Mechanismen zur Begrenzung der Weitergabe von Staatsangehörigkeit an die Nachfahren von Auswanderern, die sich zwar in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung ähneln, im Detail jedoch unterscheiden (SVR 2015, S. 125–127; Weinmann 2017). Ein systematischer Vergleich der Regelungen auf Grundlage eines normativen Konzepts wurde bislang noch nicht vorgenommen.

8.3.1.1 Das Staatsbürgerschaftsrecht in Deutschland: abnehmende Bedeutung des Abstammungsprinzips Seit dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 ist das Abstammungsprinzip (ius sanguinis) das bestimmende (und war lange Zeit sogar das ausschließliche) Kriterium des Staatsangehörigkeitserwerbs in Deutschland und eine „automatische Transformation von Einwanderern in Bürger“ galt lange Zeit als „unvorstellbar“ (Brubaker 1992, S. 185 Übers. d. Autors). Zwar konnten Einwanderer die deutsche Staatsangehörigkeit nach behördlichem Ermessen durch Einbürgerung erhalten. Allerdings bestand bis Anfang der 1990er Jahre keinerlei Rechtsanspruch darauf. Im Rahmen der Staatsangehörigkeitsreform von 1999/2000 wurde das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht schließlich grundlegend reformiert (vgl. u. a. Faist und Triadafilopoulos 2006; Green 2001;

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Wiedemann 2005, S. 30). Am bedeutsamsten war die zuvor heftig debattierte Einführung eines konditionalen ius soli-Elements: Seither erwirbt ein in Deutschland geborenes Kind ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit auf Grundlage des Territorialprinzips neben der auf Grundlage des Abstammungsprinzips erworbenen Staatsangehörigkeit seiner Eltern. Voraussetzung ist jedoch, dass zumindest ein Elternteil seit mindestens acht Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt.7 Bis zu einer erneuten Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2014, mussten sich diese Personen bis zum Eintritt des 23. Lebensjahres entweder für ihre deutsche oder ihre ausländische Staatsangehörigkeit entscheiden (sog. Optionspflicht) (vgl. u. a. Worbs 2014). Seit der Reform sind diejenigen von dieser Optionspflicht befreit, die neben der deutschen nur die Staatsangehörigkeit eines EU-Staates oder der Schweiz besitzen oder in Deutschland aufgewachsen sind (vgl. u. a. Winter et al. 2015). Parallel zum konditionalen ius soli wurde im Jahr 2000 ein Generationenschnitt für im Ausland geborene Nachfahren von Deutschen eingeführt: Die deutsche Staatsangehörigkeit wird seither nicht mehr bei Geburt im Ausland erworben, wenn der deutsche Elternteil bereits selbst im Ausland geboren wurde und dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies gilt als Beleg dafür, dass die Reform von 1999/2000 „als echter Paradigmenwechsel gewollt“ war (Masing 2001, S. 7), da „das bislang unbeschränkt geltende Abstammungsprinzip erstmals angetastet“ wurde (Wiedemann 2005, S. 100).

8.3.1.2 Das Staatsbürgerschaftsrecht in Kanada: traditionelle Kombination aus Abstammungs- und Territorialprinzip Anders als in Deutschland basiert die kanadische Staatsbürgerschaft traditionell auf einer Kombination aus ius soli und ius sanguinis. Die eigenständige kanadische Staatsbürgerschaft wurde durch den Canadian Citizenship Act (im Folgenden: Citizenship Act) von 1947 eingeführt: Bis dahin waren alle Menschen, die in Kanada geboren oder eingebürgert wurden, britische Untertanen. Mit Inkrafttreten des Gesetzes wurde ihnen die kanadische Staatsbürgerschaft verliehen (vgl. Citizenship and Immigration Canada 2015). Die kanadische Staatsangehörigkeit wurde fortan durch die Geburt auf kanadischem Territorium erworben. Bei einer Geburt im Ausland wurde die kanadische Staatsangehörigkeit qua Abstammung

7Ein

weiterer wichtiger Aspekt der Staatsangehörigkeitsreform von 1999/2000 ist u. a. eine deutlich reduzierte Mindestaufenthaltsdauer im Rahmen der Anspruchseinbürgerung.

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erworben, wenn der Vater Kanadier war. War nur die Mutter Kanadierin, erhielten nur unehelich im Ausland geborene Kinder die kanadische Staatsangehörigkeit. Im Rahmen einer Neufassung des Staatsangehörigkeitsgesetzes im Jahr 1977 wurde Mehrstaatigkeit erstmals uneingeschränkt anerkannt. Die kanadische Staatsangehörigkeit ging nun auch bei Annahme einer anderen Staatsangehörigkeit nicht mehr automatisch verloren (vgl. Galloway 2000, S. 99). Zudem erwarben fortan Kinder kanadischer Abstammung, die im Ausland geboren wurden, die kanadische Staatsangehörigkeit unabhängig von Geschlecht und Ehestand ihrer Eltern (vgl. Citizenship and Immigration Canada 2015; Grey und Gill 2015; Knowles 2000). Personen kanadischer Abstammung, die in der zweiten oder nachfolgenden Generation im Ausland geboren wurden, verloren jedoch automatisch die kanadische Staatsangehörigkeit, wenn sie nicht bis zu ihrem 28. Geburtstag eine Beibehaltung beantragten (vgl. Winter 2015, S. 7; Young 1998).8 Im Rahmen einer Staatsangehörigkeitsreform im Jahr 20099 wurde dieser Generationenschnitt für im Ausland geborene Nachkommen kanadischer Staatsbürger durch die sog. First Generation Limitation deutlich verschärft: Seither erwerben im Ausland geborene Kinder der ersten Auswanderergeneration zwar selbst noch die kanadische Staatsangehörigkeit durch Abstammung, geben sie aber nicht mehr an ihre eigenen Kinder weiter, wenn diese auch im Ausland geboren werden. Darüber hinaus wurde es 2009 durch die sog. Repatriation Clause ermöglicht, dass sog. Lost Canadians die kanadische Staatsangehörigkeit (wieder) erlangen können. Dabei handelt es sich um Personen, die aufgrund von Bestimmungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1947, die heute als diskriminierend und unvereinbar mit der Canadian Charter of Rights and Freedoms (im Folgenden auch: Charta) angesehen werden, nie die kanadische ­ Staatsangehörigkeit erhalten bzw. sie verloren haben, z. B. aufgrund der ehelichen Geburt im Ausland als Kind einer kanadischen Mutter und eines nicht-kanadischen Vaters oder durch Annahme einer fremden Staatsangehörigkeit im Ausland (vgl. u. a. Becklumb 2014; Winter 2014a). Durch den sog. Streng­ thening Canadian Citizenship Act von 2014, wurde es einerseits schwieriger, die kanadische Staatsangehörigkeit zu erhalten und leichter sie zu verlieren:

8Weitere

wichtige Neuerungen waren die Einführung eines Einbürgerungsanspruchs sowie die Verringerung der Mindestaufenthaltsdauer für eine Einbürgerung von fünf auf drei Jahre. 9Abgesehen von kleineren Reformen blieb das kanadische Staatsangehörigkeitsrecht zwischen 1977 und 2009 weitgehend unverändert (vgl. Winter 2014a, S. 50).

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Die Mindestaufenthaltsdauer für eine Einbürgerung wurde von bislang drei (der vorangegangenen vier) Jahre auf vier (der vorangegangenen sechs) Jahre erhöht (vgl. u. a. Béchard et al. 2014; Citizenship and Immigration Canada 2014; Winter 2015, S. 18–29).

8.3.2 Externe Staatsbürgerschaft in Deutschland und Kanada 8.3.2.1 Das Recht auf externe Staatsbürgerschaft Sowohl in Kanada als auch in Deutschland haben Staatsangehörige ein Recht, ihre Staatsangehörigkeit bei einem Fortzug ins Ausland beizubehalten: Weder das deutsche, noch das kanadische Staatsangehörigkeitsrecht enthalten eine Regelung, die einen grundsätzlichen Verlust der Staatsangehörigkeit durch Auswanderung vorsieht. Unterschiede zwischen beiden Staaten bestehen im Falle einer Einbürgerung im Ausland: Im Gegensatz zu kanadischen Staatsangehörigen, sind deutsche Staatsangehörige – anders als von Bauböck gefordert – nicht berechtigt, die deutsche Staatsangehörigkeit beizubehalten, wenn sie eine andere Staatsangehörigkeit (durch Einbürgerung im Ausland) annehmen (§ 25 I Staatsangehörigkeitsgesetz, StAG). Der automatische Verlust der Staatsangehörigkeit bei Einbürgerung im Ausland wurde in Kanada im Rahmen der Neufassung des Staatsangehörigkeitsgesetzes im Jahr 1977 abgeschafft (s. Abschn. 8.3.1.2). In Deutschland bestehen Ausnahmen, wenn die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder der Schweiz10 durch Einbürgerung angenommen wird. Zudem kann vor einer Einbürgerung im Ausland eine Beibehaltungsgenehmigung eingeholt werden (§ 25 II StAG). Die Entscheidung darüber liegt allerdings im Ermessen der jeweils zuständigen Behörde. Dabei sind sowohl öffentliche als auch private Belange abzuwägen. Besteht ein gewöhnlicher Aufenthalt im Ausland, ist zu berücksichtigen, ob die Person fortbestehende Bindungen an Deutschland glaubhaft machen kann. Wie genau diese Bindungen aussehen, ist jedoch weder im Gesetz, noch in den Anwendungshinweisen des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsgesetz beschrieben (vgl. Bundesministerium des Innern 2015, S. 46). Die von Bauböck geforderte

10Weitere

Ausnahmen können auf Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrages bestehen; entsprechende Verträge wurden bislang jedoch nicht geschlossen (vgl. Bundesministerium des Innern 2015, S. 36).

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Möglichkeit zum freiwilligen Verzicht auf die Staatsangehörigkeit besteht wiederum in beiden Staaten: Sowohl im kanadischen Staatsangehörigkeitsrecht (§ 9 I Citizenship Act) als auch im deutschen (§§ 18, 26 I StAG) ist dies möglich, wenn eine andere Staatsangehörigkeit im Ausland angenommen wird bzw. wenn Mehrstaatigkeit besteht. Mit Blick auf den exterritorialen Erwerb der jeweiligen Staatsangehörigkeit durch die nachkommenden Generationen bestehen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen Deutschland und Kanada: In Deutschland ist der im Rahmen der Staatsangehörigkeitsreform von 1999/2000 neu geschaffene § 4 IV StAG relevant; in Kanada ist es der im Jahr 2009 durch Bill C-37 neu hinzugefügte § 3 III des Citizenship Act, der die vorige Regelung aufhob (ehemaliger § 8). Im Falle Deutschlands erhält die zweite Auswanderergeneration grundsätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit bei Geburt im Ausland über das Abstammungsprinzip; die Beibehaltung ist auch mit Erreichen der Volljährigkeit an keinerlei Kriterien gebunden. Anders sieht es ab der dritten Auswanderergeneration aus: Ist der deutsche Elternteil selbst nach dem 31.12.1999 im Ausland geboren und hat dort nach wie vor seinen gewöhnlichen Aufenthalt, erhält das Kind nicht mehr automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Stichtagsregelung erklärt sich durch die Staatsangehörigkeitsreform von 1999/2000: Die Beschränkung auf Kinder von nach dem 31.12.1999 im Ausland geborenen Eltern gilt erst ab Inkrafttreten des neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes zum 01.01.2000 (Vertrauensschutz) und wird in der Praxis folglich gerade erst relevant. Es gibt jedoch zwei Ausnahmen, in denen dieser Generationenschnitt nicht gilt: 1) Wenn das im Ausland geborene Kind sonst staatenlos würde bzw. 2) wenn die Eltern innerhalb eines Jahres einen Antrag auf Beurkundung der Geburt im Geburtenregister stellen. Letzteres gilt sowohl für die dritte als auch alle nachfolgenden Auswanderergenerationen. Somit kann die deutsche Staatsangehörigkeit vergleichsweise leicht in der Generationenfolge beibehalten werden, denn es muss weder eine besondere Bindung an das Land noch ein Interesse am Fortbestand der politischen Gemeinschaft nachgewiesen werden. Etwas anders gelagert ist die rechtliche Situation in Kanada: Auch hier erhält die zweite Auswanderergeneration grundsätzlich die kanadische Staatsangehörigkeit bei Geburt im Ausland über das Abstammungsprinzip und auch hier ist die Beibehaltung auch mit Erreichen der Volljährigkeit an keinerlei Kriterien gebunden. Mit Einführung der sog. First Generation Limitation im Jahr 2009 wurde der exterritoriale Erwerb der Staatsangehörigkeit nach der zweiten Auswanderergeneration allerdings vollständig unterbunden: Ein im Ausland geborenes Kind ausgewanderter kanadischer Eltern (zweite Auswandergeneration) kann die kanadische Staatsangehörigkeit nicht mehr an die eigenen

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Kinder (dritte Generation) vererben, wenn diese auch außerhalb Kanadas geboren werden. Ausnahmen von dieser Regel bestehen lediglich, wenn die Eltern im Staatsdienst im Ausland tätig sind (§ 3 IV Citizenship Act). Ansonsten erwerben nachfolgende Generationen die kanadische Staatsangehörigkeit bei Geburt im Ausland selbst dann nicht, wenn sie dadurch staatenlos werden. Ausnahmen für Personen, die z. B. eine besondere Bindung an das Land oder ein Interesse am Fortbestand der politischen Gemeinschaft nachweisen können, bestehen nicht. Die einzige Möglichkeit, die kanadische Staatsangehörigkeit auch für die 3. Auswanderergeneration zu erhalten, besteht folglich darin, dass die Eltern für die Geburt nach Kanada einreisen (vgl. Winter 2014a, S. 58). Mit der Einführung der First Generation Limitation wurde die vorher existierende Regelung aufgehoben. Sie sah vor, dass im Ausland geborene Kinder, deren Eltern selbst schon im Ausland geboren wurden (3. Auswanderergeneration), vor Erreichen des 28. Lebensjahres einen Beibehaltungsantrag stellen mussten, wenn sie die kanadische Staatsangehörigkeit behalten wollten (vgl. u. a. Becklumb 2014, S. 10; Winter 2014b, S. 41).

8.3.2.2 Rechte externer Staatsbürger Die drei von Bauböck als zentral identifizierten staatsbürgerlichen Rechte – Rückkehrrecht, diplomatisches Schutzrecht und Wahlrecht – werden externen Staatsbürgern in Kanada und Deutschland in weitgehend ähnlicher Weise gewährt, jedoch zum Teil abweichend von den normativen Ansprüchen eines Stakeholder-Prinzips. Das Recht auf Freizügigkeit ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948 festgeschrieben. Es umfasst nicht nur die freie Wahl des Wohnsitzes innerhalb eines Staates (Art. 13 I AEMR), sondern auch das Recht, jedes Land – einschließlich des Heimatlandes – zu verlassen und auch wieder in das Heimatland zurückzukehren (Art. 13 II AEMR). Zudem schreibt auch Art. 12 IV des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (sog. UN-Zivilpakt) fest, dass das Recht zur Wiedereinreise in das eigene Land niemandem willkürlich entzogen werden darf. In Kanada sind Ausreise- und Rückehrrecht im Rahmen des Freizügigkeitsrechts in der Erklärung der Grundrechte, der Canadian Charter of Rights and Free­ doms, verfassungsmäßig festgeschrieben. In Art. 6 I der Verfassung heißt es: „Every citizen of Canada has the right to enter, remain in and leave Canada“. In der deutschen Verfassung, dem Grundgesetz (GG), sind Ausreise- und Rückkehrfreiheit hingegen nicht ausdrücklich geregelt. Das in Art. 11 I GG festgeschriebene Freizügigkeitsrecht umfasst jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur die Freizügigkeit im Bundesgebiet, sondern auch die Einreisefreiheit nach Deutschland aus dem Ausland, also die

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Freizügigkeit in das Bundesgebiet; die Ausreisefreiheit wird hingegen durch die allgemeine Handlungsfreiheit geschützt (Art. 2 I GG).11 Das diplomatische Schutzrecht ist in völkerrechtlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Grundsätzlich handelt es sich dabei lediglich um das Recht eines Staates, die eigenen Staatsbürger gegenüber anderen Staaten mit allen diplomatischen Mitteln zu schützen; einen „spezifischen und eigenständigen völkerrechtlichen Anspruch auf diplomatischen Schutz“ haben Individuen nach geltendem Völkerrecht nicht (Peters 2014, S. 350). Ob der Einzelne ein subjektives Recht auf diplomatischen Schutz hat, kann ggf. im nationalen Recht geregelt sein. Es ist also in der Regel abhängig von der Verfassung des jeweiligen Staates. Eine diplomatische Schutzpflicht des Staates und somit ein diplomatisches Schutzrecht des Staatsbürgers ist jedoch weder in Deutschland noch in Kanada verfassungsrechtlich verankert. Wenngleich in Deutschland ein Grundrecht auf diplomatischen Schutz im Grundgesetz „nicht ausdrücklich“ genannt ist, zählt es jedoch „zu den ungeschriebenen Verfassungsregeln“ (Kimminich 1983, S. 220): Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,12 ist aus den in der Verfassung festgeschriebenen Grundrechten eine prinzipielle Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Staatsbürgern abzuleiten, wenn diese von einer ausländischen Hoheitsgewalt verletzt werden (vgl. Schöbener 2014, S. 68). Dennoch besteht generell ein weiter „Ermessenspielraum der Bundesregierung, ob und mit welchen Mitteln sie diplomatischen Schutz gewähren möchte“ (Schöbener 2014, S. 68); dabei müssen die Belange und Interessen der verletzten Person, der Allgemeinheit und der außenpolitischen Beziehungen berücksichtigt werden. Ähnlich ist die Situation in Kanada: Ein generelles Recht auf Schutz im Ausland ist in der Verfassung nicht verbrieft; auch hier handelt es sich eher um Privilegien, die im Ermessen der Regierung liegen. Im aufsehenerregenden Khadr-Fall stellte der Supreme Court, der oberste Gerichtshof von Kanada, allerdings fest, dass zwar kein einklagbares diplomatisches Schutzrecht besteht und ein Handeln der Regierung in ihrem außenpolitischen Ermessen liegt.13 Allerdings sei im betreffenden Fall das in Art. 7 der Charta festgeschriebene Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit des Einzelnen verletzt worden. Zudem stellte das Gericht fest, dass die Regierung verpflichtet sei, im Falle ernsthafter Verletzungen der Menschenrechte

11BVerfG,

Urteil vom 07.05.1953 – 1 BvL 104/52 und BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 – 1 BvR 253/56. 12BVerfG, Urteil vom 16.12.1980 – 2 BvR 419/80. 13Canada (Prime Minister) v. Khadr, 2010 SCC 3, [2010] 1 S.C.R. 44.

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kanadischer Staatsbürger im Ausland die besten ihr zur Verfügung stehenden diplomatischen Mittel einzusetzen, um dem Betroffenen Hilfe zu leisten (vgl. Okowa 2010, S. 478). Sowohl in Kanada als auch in Deutschland besteht unter bestimmten Voraussetzungen ein Wahlrecht für externe Staatsbürger (vgl. a. Bauböck 2005). In beiden Staaten hat jedoch die Frage, wie großzügig oder restriktiv diese Voraussetzungen gefasst sein sollten, in jüngerer Zeit Gerichte und Parlamente beschäftigt. Im Rahmen einer Wahlrechtsreform in Kanada im Jahr 1993 (Bill C-114) wurde erstmals die Möglichkeit geschaffen, dass sich alle Kanadier, die nicht persönlich am Wahltag zur Wahl gehen können (z. B. aufgrund von Abwesenheit oder anderer Einschränkungen), zur Briefwahl registrieren lassen können (Art. 11 Canada Elections Act, CEA). Zuvor war dies nur in Ausnahmefällen möglich, z. B. für Bedienstete der Streitkräfte oder Diplomaten (vgl. Office of the Chief Electoral Officer of Canada 2007, S. 101–103). Seit der Reform sind externe kanadische Staatsbürger wahlberechtigt, wenn sie irgendwann zuvor in Kanada gelebt haben, weniger als fünf Jahre am Stück vor der Registrierung zur Wahl im Ausland gelebt haben und in der Zukunft vorhaben nach Kanada zurückzukehren, um dort ihren Wohnsitz zu nehmen (Art. 222 I CEA).14 Somit sind nicht alle Auswanderer der ersten Generation wahlberechtigt, sondern ihr Wahlrecht ist an einen zeitweisen Aufenthalt im Inland geknüpft. Zudem können auch Angehörige der zweiten Auswanderergeneration wahlberechtigt sein, sofern sie zwischenzeitlich im Inland gelebt haben und die übrigen Voraussetzungen zutreffen. Diese Ausnahme für die zweite Generation steht durchaus im Einklang mit einem Stakeholder-Prinzip, da argumentiert werden kann, dass die Betroffenen durch den zeitweisen Aufenthalt wieder zu Auswanderern der ersten Generation wurden. Auch die Beschränkung für die erste Auswanderergeneration ist vereinbar mit dem Stakeholder-Prinzip, da Bauböck ein Wahlrecht für dauerhafte Auswanderer der ersten Generation nicht als grundsätzliches Recht, sondern eher als zulässiges und empfehlenswertes Mittel ansieht. In Kanada ist die geltende Regelung jedoch nicht unumstritten: Im Anschluss an die 38. Parlamentswahlen 2005 empfahl der oberste kanadische Wahlleiter, der Chief Electoral Officer, die Fünfjahresgrenze für Auslandskanadier aufzuheben. Die fehlende Möglichkeit einer Wahlteilnahme für jene, die fünf Jahre oder länger außer Landes leben, beraube diese Personen ihres Wahlrechts, das von der Charta geschützt

14Ausnahmen von den Voraussetzungen bestehen z. B. für Bedienstete der Streitkräfte, Regierungsangestellte, Angestellte von internationalen Organisationen und ihre Lebenspartner (Art. 222 II CEA).

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sei. Er schlug vor, die bestehenden Regelungen zu ergänzen, sodass auch Personen, die seit mindestens fünf Jahren abwesend waren und gedenken, ihren Wohnsitz in Kanada zu nehmen, sich ins Wahlregister aufnehmen lassen können (Chief Electoral Officer of Canada 2005). Schützenhilfe erhielt er ein Jahr später von einer Studie des House of Commons Standing Committee on Procedure and House Affairs, das ihm nicht nur zustimmte, sondern noch weiter ging: Nicht nur die Fünfjahresgrenze solle aufgehoben werden, sondern es sollten alle Kanadier, die vom Land abwesend sind, wahlberechtigt sein und zwar unabhängig von ihrer Rückkehrabsicht (House of Commons Canada 2006, S. 11). Ähnlich wie der Chief Electoral Officer im Jahr 2005, argumentierte im Mai 2014 der Oberste Gerichtshof von Ontario: Die Fünfjahresgrenze verletze das demokratische Wahlrecht der Betroffenen, das von § 3 der Charta geschützt wird. Entsprechend setzte das Gericht die betreffenden Regelungen außer Kraft.15 Dieses Urteil wurde zwar offiziell als eine Begründung für einen Gesetzesentwurf der zu diesem Zeitpunkt amtierenden konservativen Regierung angeführt (vgl. Government of Canada 2016a). Tatsächlich sah der Entwurf für den sog. Citizen Voting Act (Bill C-50) jedoch keinerlei Änderungen der im Urteil für ungültig erklärten Regelungen vor und hätte sogar die prozeduralen Hürden zur Ausübung des Wahlrechts erhöht, z. B. durch einen Ersatz der bislang geltenden einmaligen Registrierung durch eine regelmäßige Neuregistrierung vor jeder Bundeswahl (vgl. Canadian Civil Liberties Association 2015; Lithwick 2015, S. 4). Der Gesetzentwurf wurde nach der zweiten Lesung in den zuständigen Ausschuss verwiesen und nicht umgesetzt (vgl. Parliament of Canada 2016). Dies hängt vermutlich auch damit zusammen, dass die Entscheidung des Obersten Gerichtshof von Ontario im Juli 2015 in einem Berufungsverfahren aufgehoben wurde: Allen im Ausland lebenden Kanadiern das Wahlrecht zuzugestehen, würde ihnen ermöglichen auf Entscheidungen einzuwirken, von denen sie selbst nicht in gleichem Maße wie im Land lebende Staatsbürger betroffen sind. Die Fünfjahresgrenze verletze somit zwar Art. 3 der Charta, sei jedoch eine angemessene Beschränkung, die durch Art. 1 gedeckt sei.16 Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wurde wiederum beim Supreme Court angefochten (vgl. Supreme Court of Canada 2016); die Entscheidung steht aus (vgl. Supreme Court of Canada 2018).17

15Frank

et al. v. AG Canada, 2014 ONSC 907 (CanLII). v. Canada (Attorney General), 2015 ONCA 53. 17Gillian Frank et al. v. Attorney General of Canada (Ont.) (Civil) (By Leave). 16Frank

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In Deutschland wurde das Wahlrecht für Auslandsdeutsche im Januar 2013 durch das 21. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (BWahlG) unter Zustimmung aller im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen geändert. Seither sind Auslandsdeutsche – sofern alle sonstigen Voraussetzungen des Wahlrechts erfüllt sind – nur dann wahlberechtigt, wenn sie (a) entweder nach dem vollendeten 14. Lebensjahr mindestens drei Monate ununterbrochen in Deutschland gelebt haben und dieser Aufenthalt nicht länger als 25 Jahre zurückliegt oder (b) aus anderen Gründen persönlich und unmittelbar mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik vertraut geworden und von ihnen betroffen sind (§ 12 II BWahlG). Wahlberechtigte externe Staatsbürger müssen sich grundsätzlich in ein Wählerverzeichnis eintragen lassen (§§ 14 I, 17 I BWahlG); sie können dann durch Briefwahl an Bundestagswahlen teilnehmen (vgl. Auswärtiges Amt 2016b). Erst fünf Jahre vor der Reform von 2013 war eine Lockerung des Auslandswahlrechts vorgenommen worden:18 Auslandsdeutsche waren wahlberechtigt, wenn sie vor ihrem Fortzug mindestens drei Monate ununterbrochen in Deutschland eine Wohnung gehabt oder sich sonst gewöhnlich aufgehalten hatten (§ 12 II BWahlG a. F.). Diese Regelung war jedoch durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2012 mit der Begründung für nichtig erklärt worden, dass es den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl verletze, wenn die Wahlberechtigung von Auslandsdeutschen allein von einem früheren dreimonatigen Daueraufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland abhängig sei.19 Zudem seien durch die Regel auch Personen wahlberechtigt, die Deutschland schon als Säuglinge verlassen hätten, während Auslandsdeutsche ausgeschlossen würden, die mit den politischen Verhältnissen vertraut und von ihnen betroffen sind (z. B. sog. Grenzgänger). Da durch das Urteil dauerhaft im Ausland lebende Deutsche nicht mehr an Bundestagswahlen teilnehmen konnten, war der Gesetzgeber gezwungen zu handeln. Durch die ins Gesetz aufgenommene Alters- und Fortzugsgrenze wurden durch die Lockerung des Auslandswahlrechts im Jahr 2008 abgeschaffte Regelungen wieder aufgegriffen. Gleichzeitig wurde der Kreis der wahlberechtigten, im Ausland lebenden Deutschen erweitert: Seither sind auch externe Staatsbürger wahlberechtigt, die zwar nie hierzulande gelebt haben oder schon vor ihrem 14. Lebensjahr bzw. vor mehr als 25 Jahren fortgezogen sind, die aber persönlich und unmittelbar mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland vertraut sind und von ihnen betroffen sind. Somit

18Gesetz

zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts vom 17. März 2008. Urteil vom 04.07.2012 – 2 BvC 1/11, 2 BvC 2/11.

19BVerfG,

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können zumindest theoretisch auch im Ausland geborene Deutsche nachfolgender Generationen wahlberechtigt sein, wenn sie „persönlich und unmittelbar Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland erworben haben und von ihnen betroffen sind“ (§ 12 II Nr. 2 BWahlG). Nach dem Willen des Gesetzgebers sind die Grenzen persönlicher Vertrautheit und Betroffenheit jedoch recht eng: Die Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland ist im Einzelfall nachzuweisen, wobei eine lediglich passive Kommunikationsteilnahme, z. B. durch den Konsum deutschsprachiger Medien im Ausland nicht ausreicht (vgl. Deutscher Bundestag 2013).20 Wie in Kanada handelt es sich bei der Alters- und Fortzugsgrenze um eine von einem Stakeholder-Prinzip gedeckte Einschränkung für dauerhafte Auswanderer der ersten Generation. Ähnlich wie in Kanada wird das externe Wahlrecht von einem ‚Gebietskontakt‘ abhängig gemacht, jedoch nicht an das Ziel einer zukünftigen Wohnsitznahme im Inland geknüpft. Zudem ist die Dauer der Abwesenheit deutlich weniger restriktiv als in Kanada gefasst, wo externe Staatsbürger nur wahlberechtigt sind, wenn sie zum Zeitpunkt der Registrierung zur Wahl weniger als fünf Jahre am Stück im Ausland gelebt haben. Mit dem Stakeholder-Prinzip ebenfalls vereinbar ist eine Ausnahme für Auswanderer der zweiten Generation, sofern diese zeitweise im Inland gelebt haben. Fraglich ist jedoch, ob die Möglichkeit, das Wahlrecht aufgrund anderer persönlicher Gründe, unmittelbarer Vertrautheit und Betroffenheit zu erlangen, auf Grundlage des Prinzips normativ gerechtfertigt ist: Theoretisch können somit nicht nur Angehörige der zweiten, sondern auch aller nachfolgenden Generationen ein Wahlrecht erlangen, wenn auch nach dem Willen des Gesetzgebers unter engen Voraussetzungen. Auf Grundlage der Ausführungen Bauböcks kann man einerseits argumentieren, dass eine entsprechende Möglichkeit durchaus als vereinbar mit einem Stakeholder-Prinzip angesehen werden kann, da die strengen Voraussetzungen als Indiz für ein Interesse im Fortbestand der politischen Gemeinschaft gewertet werden könnten. Andererseits knüpft Bauböck das externe Wahlrecht grundsätzlich an einen zeitweisen Aufenthalt im Inland, da dadurch nachfolgende, im Ausland geborene Generationen zu Auswanderern der ersten Generation werden.

20Beispielhaft

in der Gesetzesbegründung genannt werden etwa deutsche Ortskräfte an deutschen Auslandsvertretungen, deutsche Mitarbeiter an deutschen Auslandsschulen oder anderen deutschen Institutionen, Korrespondenten deutscher Medien oder Auslandsdeutsche, die am gesellschaftlichen Leben in Deutschland aufgrund ihres Engagements in Verbänden, Parteien und sonstigen Organisationen teilnehmen, vgl. Deutscher Bundestag, Drucksachen 17/11820, 17/12174.

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8.3.2.3 Pflichten externer Staatsbürger Die drei von Bauböck als zentral identifizierten staatsbürgerlichen Pflichten – Wehrpflicht, Steuerpflicht und Wahlpflicht – sind in Kanada und Deutschland für externe Staatsbürger nur schwach ausgeprägt. Eine Wahlpflicht besteht beispielsweise weder in Kanada noch in Deutschland. Weltweit gibt es nur ­ wenige Staaten mit Wahlpflicht; nur ein Drittel der OECD-Staaten verpflichten ihre Staatsbürger gesetzlich zur Wahlteilnahme (vgl. Central Intelligence Agency 2013; Evans 2006). In Kanada besteht keine allgemeine Wehrpflicht; eine Einberufung in Friedenszeiten hat bislang nicht stattgefunden.21 In Deutschland ist die Wehrpflicht seit 2011 ausgesetzt, aber nicht abgeschafft; eine Einberufung ist seither auf den Spannungs- oder Verteidigungsfall beschränkt (Art. 1 Nr. 2 Wehrrechtsänderungsgesetz). Aus diesem Grund wird an dieser Stelle nur knapp auf die grundsätzlichen Regelungen für externe Staatsbürger in Deutschland eingegangen: Bis zur Aussetzung der Wehrpflicht ruhte bei Deutschen, die sich schon dauerhaft im Ausland aufhielten und ihre Lebensgrundlage im Ausland hatten, die Wehrpflicht, wenn anzunehmen war, dass sie ihren ständigen Aufenthalt im Ausland beibehalten. Dies galt insbesondere für im Ausland lebende Deutsche, die zugleich die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates besaßen (vgl. Auswärtiges Amt 2005).22 Doppelstaater, die im Land ihrer anderen Staatsangehörigkeit Wehrdienst leisten wollen, müssen in der Regel zuvor eine Genehmigung einholen. Ansonsten verlieren sie automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit (§ 28 I Nr. 5 StAG).23 Hinsichtlich der Besteuerung externer Staatsbürger lassen sich nur schwer ­verallgemeinernde Aussagen treffen, da die Praxis des internationalen Steuerrechts in vielerlei Hinsicht vom Einzelfall abhängt. Entsprechend ist eine eindeutige Beurteilung auf Grundlage des Stakeholder-Prinzips schwierig. In der Praxis wird in den meisten Ländern der Wohnsitz in den Mittelpunkt gerückt. Welcher Staat für die Besteuerung zuständig ist, hängt aber oftmals auch von der

21Die

Einführung der Wehrpflicht zur Zeit der beiden Weltkriege hat jedes Mal zu starken innenpolitischen Krisen geführt, insbesondere die Einberufung im Rahmen des Ersten Weltkriegs (vgl. Granatstein und Hitsman 2015). 22Insbesondere bei im Inland lebenden Doppelstaatern galt, dass im Land der anderen Staatsangehörigkeit geleisteter (und zuvor genehmigter) Wehrdienst oder anstelle des Wehrdienstes geleisteter Ersatzdienst im Ausland auf den Wehrdienst in Deutschland angerechnet werden konnte. 23Inwiefern die Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland zur Einberufung im Staat der anderen Staatsangehörigkeit führt, hängt allerdings vom Recht des jeweiligen Staates ab (vgl. Auswärtiges Amt 2016a).

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jeweiligen Länderkonstellation und dem Ort des gewöhnlichen Aufenthalts bzw. einem im Inland aufrechterhaltenen Wohnsitz ab. Insofern lassen sich an dieser Stelle nur weitgehend grundsätzliche Regeln zusammenfassen. In Deutschland orientiert sich die Steuerpflicht am sog. Wohnsitzlandprinzip: Lebt ein Staatsbürger im Ausland, hält jedoch einen Wohnsitz im Inland aufrecht, dann ist die betreffende Person mit ihrem auf der gesamten Welt erzielten Einkommen (sog. Welteinkommen) in Deutschland steuerpflichtig – unabhängig davon, ob sie im Inland aufhältig war oder nicht (sog. unbeschränkte Steuerpflicht; § 1 I Einkommensteuergesetz, EStG).24 Die Frage nach dem im Inland fortbestehenden Wohnsitz ist vor allem dann relevant, wenn zwischen Deutschland und dem jeweiligen Land keine Vereinbarung zur Vermeidung von Mehrfachbesteuerung derselben Einnahmen besteht (sog. Doppelbesteuerungsabkommen); entsprechende Abkommen bestehen mit über hundert Staaten. In einzelnen Fällen ist im Rahmen eines Doppelbesteuerungsabkommens vereinbart, dass die im Ausland entrichtete Steuer auf die in Deutschland zu entrichtende angerechnet wird (sog. Anrechnungsmethode; § 34c I EStG) (vgl. Bundesministerium der Finanzen 2016a, b; Vogel und Lehner 2015). Auch im Ausland lebende Kanadier können in Kanada steuerpflichtig sein; auch dort ist vor allem ausschlaggebend, ob ein Wohnsitz im Inland aufrechterhalten wird. Ähnlich wie in Deutschland gilt: Eine Person, die einen Wohnsitz in Kanada hat, muss in Kanada Einkommensteuer auf ihr weltweites Einkommen zahlen (sog. faktische Einwohner; § 2 Income Tax Act).25 Externe Staatsbürger, die einen Wohnsitz im Inland aufrecht erhalten, und in einem Land leben, das ein Steuerabkommen mit Kanada geschlossen

24Wohnsitz bedeutet in diesem Fall eine Wohnung, die jemand innehat und über die er verfügen kann; dazu zählt in der Regel auch eine Ferienwohnung. Das heißt in der Praxis: Wird bei einem Fortzug ins Ausland die bisherige Wohnung komplett aufgeben (Kündigung des Mietvertrags, Auszug, Verkauf, Vermietung), besteht kein Wohnsitz mehr und somit keine Steuerpflicht auf im Ausland erzielte Einkünfte (sog. Territorialitätsprinzip. Ausnahme: ggf. bestehende zu versteuernde Einnahmen aus einer Vermietung der Wohnung; § 1 IV EStG). Ausschlaggebend bei der Bestimmung eines Wohnsitzes sind aber auch eine bestehende ehe- oder lebenspartnerliche Beziehung oder ein familiäres Abhängigkeitsverhältnis (z. B. Finanzierung durch Eltern) im Inland. 25Der Wohnsitzstatus bestimmt sich im Wesentlichen danach, ob eine Wohnung, eine eheoder lebenspartnerliche Beziehung oder ein familiäres Abhängigkeitsverhältnis im Inland besteht. Darüber hinaus spielt eine Rolle, inwiefern im Inland persönlicher Besitz (z. B. ein Auto), soziale Bindungen (z. B. Mitgliedschaften in kanadischen Freizeitorganisationen oder religiösen Organisationen), wirtschaftliche Beziehungen (z. B. kanadische Bankkonten oder Kreditkarten), ein kanadischer Führerschein, Reisepass oder eine Krankenversicherung gegeben sind.

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hat, müssen in der Regel keine Einkommenssteuer in Kanada abführen; Steuerabkommen bestehen mit über 60 Staaten. Ähnlich wie in Deutschland kommt auf ­Grundlage einiger dieser Abkommen die Anrechnungsmethode zum Einsatz, d. h. die niedrigeren Steuern werden bei den höheren Steuern angerechnet. Eine nichtansässige Person, also eine Person, die ihren dauerhaften Wohnsitz im Ausland hat, keinen Wohnsitz im Inland aufrechterhält und sich weniger als 183 Tage im Jahr im Inland aufhält, ist nur einkommensteuerpflichtig auf Einkünfte, die in Kanada erwirtschaftet werden (§§ 3, 115, 212 Income Tax Act) (vgl. Canada Revenue Agency 2013, 2016a, b; Government of Canada 2016b; Tax Defenders 2016).

Tab. 8.2   Übersicht über die Ergebnisse der Analyse externer Staatsbürgerschaftspolitik anhand des Stakeholder-Prinzip in Deutschland und Kanada Kriterium Recht auf externe Staatsbürgerschaft (Status)

Deutschland Beibehaltung/genereller Erwerb

( )

Verlust bei Annahme einer anderen ­Staatsangehörigkeit



Kanada

Möglichkeit zur freiwilligen Aufgabe der ­Staatsangehörigkeit 2. Auswanderergeneration: Verlust bei Voll­ jährigkeit unter bestimmten Voraussetzungen

/

( )

2. Auswanderergeneration: Staatenlosigkeit bei Verlust ab 3. Auswanderergeneration: Erwerb im behördlichen Ermessen Rechte externer Rückkehrrecht Staatsbürger Diplomatisches Schutzrecht

/

( )

/

( )

( )

Wahlrecht Mögliche Einschränkung: dauerhaft im Ausland Lebende der 1. Auswanderergeneration Mögliche Ausnahme: zwischenzeitlich im Inland ( ) Lebende der 2. Auswanderergeneration Mögliche Einschränkung: Registrierung/­ prozedurale Hürden Mögliche Einschränkung: Anwesenheit im Land (Fortsetzung)

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Tab. 8.2   (Fortsetzung) Kriterium

Deutschland

Wehrpflicht / Pflichten externer Staats- Steuerpflicht ( ) bürger Ausnahme: Anrechnung von im Aufenthaltsland entrichteten Steuern bei aufrechterhaltenem Wohnsitz im Inland

Kanada / ( )

Wahlpflicht Anmerkung:  = Kriterium erfüllt; ( ) = Kriterium zum Teil erfüllt; – = Kriterium nicht erfüllt; / = trifft nicht zu Quelle: eigene Zusammenstellung

8.4 Diskussion und Fazit Im vorliegenden Beitrag wurde ein Politik- und Rechtsvergleich externer Staatsbürgerschaftspolitik in Deutschland und Kanada vorgenommen. Den analytischen Rahmen bot ein normatives Konzept, das von Rainer Bauböck entwickelte Konzept der Stakeholder Citizenship. Ein zentrales Ergebnis der Analyse ist, dass beide Staaten – obwohl sie in erster Linie Ein- und nicht Auswanderungsländer sind – Politiken im Umgang mit externen Staatsbürgern entwickelt haben und diese stetig weiterentwickeln. Dies wird u. a. deutlich an der Einführung des Generationenschnitts im Rahmen der deutschen Staatsangehörigkeitsreform von 1999/2000 sowie der Einführung der First Generation Limitation im Rahmen der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in Kanada von 2009. Ein wichtiger Befund des Vergleichs ist zudem, dass im Umgang mit externen Staatsbürgern Gemeinsamkeiten zwischen beiden Staaten in der grundsätzlichen Ausrichtung und Zielsetzung der jeweiligen Politik bestehen, aber auch Unterschiede in den rechtlichen Details, z. B. der Reichweite bzw. Restriktivität einzelner Regelungen. Darüber hinaus lässt sich festhalten, dass zwar in beiden Staaten viele der normativen Anforderungen zumindest zum Teil erfüllt sind, jedoch keiner der Vergleichsstaaten den normativen Anforderungen des Konzepts auf allen Ebenen vollständig gerecht wird (s. Tab. 8.2). Im Bereich der Beibehaltung bzw. des Erwerbs externer Staatsbürgerschaft weisen beide Staaten normative Schwächen auf, wenngleich auf unterschiedlichen Ebenen: In Deutschland besteht eine zu weit gehende Möglichkeit des Erwerbs externer Staatsbürgerschaft. Die Staatsangehörigkeit kann t­heoretisch im Generationenverlauf unbegrenzt im Ausland erworben werden, sofern die Geburt registriert wird; eine besondere Bindung an das Land oder ein ­Interesse

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am Fortbestand der politischen Gemeinschaft muss nicht nachgewiesen werden. Dadurch ist die Gültigkeit des Abstammungsprinzips im Ausland noch vergleichsweise stark. Problematisch ist zudem, dass die deutsche Staatsangehörigkeit bei Annahme einer anderen verloren geht. In Kanada besteht demgegenüber absolut keine Möglichkeit, die Staatsangehörigkeit im Ausland nach der zweiten Auswanderergeneration zu erwerben. Dies ist zwar mit dem Stakeholder-Prinzip durchaus vereinbar. Sofern ein Interesse am Fortbestand der politischen Gemeinschaft nachgewiesen wird, wäre eine Möglichkeit zum Erwerb der Staatsangehörigkeit durch nachfolgende Generationen im behördlichen Ermessen zwar legitim und wünschenswert, ist aber keine notwendige Voraussetzung. Problematischer erscheint, dass die kanadische Staatsangehörigkeit nach der zweiten Generation im Ausland auch dann nicht erworben werden kann, wenn dies zu Staatenlosigkeit führt. Bauböck weist lediglich darauf hin, dass bei der zweiten Generation sichergestellt sein muss, dass Bestimmungen zu einem eventuellen Verlust der Staatsangehörigkeit im Erwachsenenalter nicht zu Staatenlosigkeit führen. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass es mit dem Stakeholder-Prinzip in Einklang steht, dass Nachfahren von Auswandern von Geburt kein Mitglied in irgendeiner politischen Gemeinschaft sind. Die von Bauböck als zentral identifizierten staatsbürgerlichen Rechte werden externen Staatsbürgern in Kanada und Deutschland in weitgehend ähnlicher Weise gewährt: Ein Rückkehrrecht besteht in beiden Staaten. Zudem sind externe Staatsbürger in beiden Staaten unter bestimmten Voraussetzungen wahlberechtigt. Das diplomatische Schutzrecht ist zwar in keinem der beiden Staaten ein verbrieftes Grundrecht. Im Zweifelsfall wurde es in der Vergangenheit jedoch von den obersten Gerichten durchaus als ungeschriebene Verfassungsregel anerkannt. Dennoch besteht jeweils ein weiter Ermessensspielraum der Regierungen. Dies kann dazu führen, dass in Einzelfällen kein diplomatischer Schutz erfolgt. Anders sieht es bei den Pflichten externer Staatsbürger aus: Wehrpflicht, Steuerpflicht und Wahlpflicht bestehen in beiden Staaten entweder gar nicht oder sind nur sehr schwach ausgeprägt. Dies liegt sicher nicht zuletzt daran, dass externe staatsbürgerschaftliche Pflichten in normativer Hinsicht einer hohen Begründungsnotwendigkeit unterliegen und zudem ihre Durchsetzbarkeit aufgrund der territorial beschränkten Staatsgewalt schwierig ist. Abschließend festhalten lässt sich, dass praktische Politik durchaus von normativer Politikwissenschaft lernen kann. Dies gilt vor allem dort, wo ähnliche Fragen gestellt werden, weil aus rechtlich-politischer Sicht demokratietheoretische Probleme auftreten. Sowohl Deutschland als auch Kanada sind nach wie vor auf der Suche nach dem ‚normativ richtigen‘ Umgang mit externen Staatsbürgern. Die jüngeren Entwicklungen im Bereich des Wahlrechts sind wohl

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der eindeutigste Beleg für eine ‚legislative Verunsicherung‘ in diesem Bereich. Im Vordergrund steht dabei die Frage, in welchem Umfang externen Staatsbürgern ein Wahlrecht gewährt werden sollte. In beiden Staaten stellen Judikative und Legislative in normativer Hinsicht ähnliche Fragen, wie sie von Bauböck gestellt und beantwortet werden. Eine enge Koppelung des externen Wahlrechts an einen zurückliegenden und/oder zukünftigen territorialen Bezug zum Herkunftsland und an das damit in Verbindung stehende Interesse am Fortbestand der politischen Gemeinschaft erscheint aus normativer Sicht richtig und ist – zumindest aktuell – weitgehend gewährleistet. Darüber hinaus können Länder aber auch von einem Vergleich ihrer Politiken lernen: Trotz unterschiedlicher historischer Ausgangssituationen stehen viele demokratische Staaten in einer zunehmend globalisierten Welt vor ähnlichen Herausforderungen. Im konkreten Beispiel des Erwerbs externer Staatsbürgerschaft könnte z. B. Kanada von Deutschland lernen, indem es Ausnahmen für den exterritorialen Erwerb der Staatsangehörigkeit nach der zweiten Auswanderergeneration und somit auch die Vermeidung von Staatenlosigkeit schafft. Umgekehrt kann Deutschland von Kanada lernen, indem es eine theoretisch unbegrenzte exterritoriale Weitergabe der Staatsangehörigkeit in der Generationenfolge unterbindet. Beide Staaten würden dadurch den normativen Ansprüchen des Stakeholder-Prinzips in zunehmendem Maße gerecht.

Literatur Auswärtiges Amt. (2005). Merkblatt Wehrpflicht. Stand: November 2005. Berlin. Auswärtiges Amt. (2016a). Merkblatt Wehrpflicht. Stand: März 2016. Berlin. Auswärtiges Amt. (2016b). Wohnsitz im Ausland. http://www.konsularinfo.diplo.de/Vertretung/konsularinfo/de/06/Wahl/WohnsitzAusland.html. Zugegriffen: 6. Febr. 2017. Bauböck, R. (2002). Wessen Stimme zählt? Thesen über demokratische Beteiligung in der Einwanderungsgesellschaft. IWE Working Paper 35. Wien: IWE. Bauböck, R. (2005). Expansive citizenship: Voting beyond territory and membership. Poli­ tical Science and Politics, 38(4), 683–687. Bauböck, R. (2006). Citizenship and migration – Concepts and controversies. In R. Bauböck (Hrsg.), Migration and citizenship. Legal status, rights and political participation (S. 15–31). Amsterdam: Amsterdam University Press. Bauböck, R. (2007). Stakeholder citizenship and transnational political participation: A normative evaluation of external voting. Fordham Law Review, 75(5), 2393–2447. Bauböck, R. (2009). The rights and duties of external citizenship. Citizenship Studies, 13(5), 475–499. Bauböck, R. (2014). Staatsbürgerschaft in Theorie und Praxis. Ein europäischer Streifzug. In Akademie des Jüdischen Museums Berlin (Hrsg.), Konzepte von Citizenship und Teilhabe im europäischen Vergleich. Dokumentation der Fachtagung (S. 6–17). Berlin, 7.–8. April 2014. Berlin: Akademie des Jüdischen Museums Berlin.

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Martin Weinmann hat seinen Magister in Politikwissenschaft (Nebenfächer: Mittlere und Neuere Geschichte, Öffentliches Recht) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz erworben. Derzeit arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe „Internationale Migration“ des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB). Zudem ist er Promotionsstudent am Zentrum für Demokratieforschung der Leuphana Universität Lüneburg.

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Das administrative Konzept von Ethnizität und seine Konstruktion in der Sowjetunion, Deutschland und Israel Lidia Averbukh

Zusammenfassung

Bei der Repatriierung der jüdischen Minderheit aus der Sowjetunion nach Israel und der deutschen Minderheit nach Deutschland ist in beiden Fällen die Zugehörigkeit zur jeweiligen Ethnizität entscheidend. Im Prozess der Einwanderung müssen Mitglieder beider Gruppen die eigene Ethnizität – deutsche Volkszugehörigkeit bzw. jüdische Herkunft – unter Beweis stellen. Diese Beweisführung kann in drei Phasen gegliedert werden: Selbstdeklaration, Dokumentation und Prüfung. Die rechtlichen Grundlagen bilden das Bundesvertriebenengesetz in Deutschland und das Rückkehrgesetz in Israel. Anhand der Kriterien, die zur Verifizierung von Deutschtum bzw. Judentum durch die Aufnahmestaaten Deutschland und Israel herangezogen werden, die ihrerseits von der sowjetischen Konstruktion ethnischer Minderheiten beeinflusst wurden, lassen sich staatliche Methoden ihre Bevölkerung nach ethnischen Kategorien zu organisieren, aufzeigen. Dabei werden zwei theoretische Ethnizitätsdefinitionen, die voluntaristische und essenzialistische, durch den Staat operationalisiert. Schlüsselwörter

Ethnizität · Einwanderungspolitik · Sowjetunion · Deutschland · Israel

L. Averbukh (*)  SWP Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. J. Grünendahl et al. (Hrsg.), Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion, Studien zur Migrations- und Integrationspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25534-3_9

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9.1 Administratives Konzept von Ethnizität bei Bezugnahme auf die voluntaristischen und essenzialistischen Definitionen Ethnizität wird in der politischen Theorie als eine kulturelle Konstruktion ­(Schermerhorn 1970) oder als eine primordiale Identität (Stone und Piya 2007) verstanden. Im ersten Fall ist die gemeinsame Sozialisierung ausschlaggebend, ungeachtet dessen ob eine Blutsverwandtschaft vorliegt. Dieser Ethnizitätsbegriff ist eher inklusiv und rekurriert auf die Fähigkeit des Menschen, sich in einem bestimmten kulturellen Umfeld einem Lernprozess von Sprache und Tradition zu unterziehen. Dieses Verständnis von Ethnizität findet sich auch bei Max Weber, wenn er die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft als voluntaristisch und subjektiv definiert: „Wir wollen solche Menschengruppen, welche aufgrund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonialisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen […] ‚ethnische‘ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft vorliegt oder nicht.“ (Weber 1972)

Die primordial verstandene Ethnizität ist wiederum exklusiv, da die Zugehörigkeit zu einer Ethnie „natürlich“ gegeben sei und man sich dieser wie einem Schicksal nicht entziehen kann. Die kulturelle Einbettung der Person spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Eine exklusiv konstruierte Ethnizität ist biologistisch und erhebt den Anspruch objektiv zu sein. Diese Definition von Ethnizität kontrastiert mit Webers Modell und gründet auf der romantischen Vorstellung eines essenzialistischen Kollektivs nach Herder (Perchinig und Wladasch 2011). Im vorliegenden Artikel soll ein staatliches Konzept von Ethnizität dargestellt werden, welches Ethnizität als eine administrative Kategorie verwendet, die dann wiederum zur Organisation, Regulation und für den Überblick über die Bevölkerung nützlich gemacht wird. Das Konzept von Ethnizität, in Form eines Verwaltungsinstruments, bedient sich der voluntaristischen und essenzialistischen Definitionen zur eigenen Begründung. Eine rechtlich gefasste Ethnizität wird dabei durch das jeweilige Rechtssystem geschaffen und zu einer formalen und legalen Kategorie erhoben. Anhand von zwei ethnischen Gruppen und drei Staaten soll im vorliegenden Artikel das administrative Konzept von Ethnizität veranschaulicht werden. Es handelt sich um Deutsche und Juden in der Sowjetunion, Deutschland und Israel.

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Da die ehemalige Sowjetunion das Musterbeispiel hinsichtlich der staatlichen Konstruktion von ethnischen Identitäten darstellt, wird sie als Ausgangsmodell genommen. Mit den Auswanderungsströmen der 90-er Jahre wurde die sowjetische Konstruktion von Deutschtum und Judentum in die Immigrationspolitik der Einwanderungsländer Deutschland und Israel hineingetragen. Somit beeinflusste die sowjetische Konstruktion von Deutschtum bzw. Judentum die Konstruktion der gleichen Ethnizität in Deutschland bzw. Israel. Dabei lässt sich anhand aller drei Länder zeigen, dass die in Erscheinung tretenden ethnischen Konstruktionen nicht über die Grenzen hinweg einheitlich waren, sondern aus verwaltungstechnischen Gründen von Staaten verändert bzw. neu begründet wurden. Der Begriff der Ethnizität ist in diesem Artikel ein Sammelbegriff dafür, was im sowjetischen System als „nazionalnost’“, im bundesdeutschen Recht als „Volkszugehörigkeit“ und im israelischen Gebrauch als „leom“ in Erscheinung tritt.1

9.2 Verifizierung von Ethnizität in drei Phasen: Selbstdeklaration, Dokumentation und Prüfung Die Konstruktion von Ethnizität für administrative Zwecke steht in Abhängigkeit zu politischen Umständen bzw. Umbrüchen, was besonders deutlich wird, wenn man sie über einen längeren Zeitraum beobachtet. Damit können Veränderungen in der legalen Definition der Ethnizität mit Veränderungen der politischen Situation und der Ideologie des Staates hinsichtlich der Bevölkerungspolitik verknüpft werden. Um den Wandel zu verdeutlichen, dient die Masseneinwanderung nach Deutschland und Israel der 90-er Jahre für die deutsche und israelische Konstruktion von Ethnizität als Zäsur. Mit der deutschen Rückwanderung nach Deutschland und der jüdischen nach Israel entsteht für beide Staaten die Notwendigkeit ihren Ethnizitätenbegriff in einem kurzen Zeitraum auf breiter Skala anzuwenden und dementsprechend anzupassen.

1Die sowjetische Bezeichnung „nazionalnost“ suggeriert richtig, dass „Nationalität“, wenn sie nicht als „Staatsangehörigkeit“ – das heißt als Zugehörigkeit zum Staat und nicht zum Volk – verstanden wird, die gleiche Konnotation tragen kann, wie die Verwendung des Begriffes „Ethnizität“ in diesem Artikel. Grundsätzlich ist eine allgemeinbindende sprachliche Verwendung solcher Begriffe, wie Ethnizität oder Nationalität nahezu unmöglich, da sie durch die lokalen historischen und politischen Begebenheiten gebildet werden und die jeweiligen ideologischen Konzepte beschreiben (Coakley 2012).

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Damit eignen sich diese Migrationsgruppen gut, um im vorliegenden Artikel die rechtliche Konstruktion von Ethnizität aufzuzeigen. Die Methode besteht darin, Gesetzestexte und Direktiven der drei Staaten hinsichtlich ihrer Operationalisierung von Ethnizität zu untersuchen. Für die Sowjetunion erscheint die Analyse der vom Staat regelmäßig publizierten Lexika der Ethnizitäten als sinnvoll. Sie trugen den Charakter von Erlässen und waren dazu gedacht, bei Volkszählungen den Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern die Kategorisierung zahlreicher Ethnizitäten zu erleichtern. Das Ziel dabei war, Informationen über die ethnische Abstammung sowjetischer Bürgerinnen und Bürger zu sammeln. Davon wurden in der Geschichte der Sowjetunion sieben Stück herausgegeben. Alle wurden für die vorliegende Analyse mit dem Fokus auf die Fixierung deutscher und jüdischer Ethnizität gesichtet. Im Falle der Bundesrepublik Deutschland findet die rechtliche Festschreibung von Volkszugehörigkeit im Prozess der Rückwanderung von Volksdeutschen statt. Deswegen wurden für den vorliegenden Beitrag die Gesetzesgrundlagen für die Verifizierung der Volkszugehörigkeit im Bewerbungs- und Einwanderungsprozess analysiert. Der Fokus liegt dabei auf der ethnischen Kategorisierung der Einwanderinnen und Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, den sogenannten Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern. Ähnlich verhält es sich mit Israel. Die Frage nach der jüdischen Zugehörigkeit spielt bei der Aufnahme von Einwanderinnen und Einwanderern eine Rolle (Rückkehrgesetz 1950/1970) und ebenfalls im Registrierungsprozess der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger (Registrierungsgesetz 1949/1965). Wesentliche Rechtsakte wurden in Hinblick auf die russischsprachige Einwanderung analysiert. Im israelischen Einwanderungsrecht ist Judentum nicht als Religion in Form von Konfession, sondern als eine ethno-religiöse Gemeinschaft konstruiert. Damit gehören Jüdinnen und Juden zu einer ethnischen Gruppe, die zugleich Träger der jüdischen Religion ist. Die genaue Betrachtung der Rechtsakte hinsichtlich der Konstruktion von Ethnizität lässt in allen drei Ländern mehrere Gemeinsamkeiten ausmachen. Diese beziehen sich auf den Prozess der Verifizierung von Ethnizität im Rahmen administrativer Verfahren und können zu drei idealtypischen Phasen zusammengefasst werden. Diese drei Phasen müssen von einer Person durchlaufen werden, damit ihr eine ethnische Zugehörigkeit zugewiesen bzw. ihre ethnische Zugehörigkeit bestätigt werden kann. Die erste Phase der Beweisführung markiert die subjektive Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe und ist in Form einer Willenserklärung darzubringen, dass die Person zu der jeweiligen Ethnie gehören möchte. Ein Bekenntnis zum Judentum bzw. Deutschtum gilt dem Aufnahmestaat als ein künftiges Versprechen,

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sich mit der Mehrheitsbevölkerung zu identifizieren und bereit zu sein, sich in diese zu integrieren. Die sogenannte „Selbstdeklaration“ liegt der rechtlichen Definition von Ethnizität und ihrer praktischen, administrativen Anwendung bei der Verifizierung von Zugehörigkeit aller drei Staaten zugrunde. Sie korrespondiert mit dem subjektiven und voluntaristischen Verständnis von Ethnizität nach Weber. Das zweite Kriterium zur Überprüfung der ethnischen Zugehörigkeit ist deren Dokumentation. Ethnizität als administrative Kategorie wird als Vermerk in Personaldokumenten festgehalten und dadurch, gleich dem Geburtsdatum oder der Haarfarbe, für die Verwaltung nützlich gemacht. Da die eingetragene Ethnizität in allen Dokumenten einheitlich sein und außerdem eine Verwandtschaftslinie zu anderen Mitgliedern der ethnischen Gemeinschaft nachweisen muss, da sie in Abhängigkeit von der Ethnizität der Eltern eingetragen wird, ist das Kriterium der Dokumentation an die primordiale und essenzialistische Idee von Ethnizität angelehnt. Das dritte und letzte Kriterium ist das Testen der ethnischen Zugehörigkeit. Naheliegend sind Prüfungen, welche die Vermittlung von Tradition und Sprache feststellen, aber auch Tests, welche die Verwandtschaft zu anderen Mitgliedern der ethnischen Gruppe bestätigen. Daran, welcher Test bei dem Überprüfungsprozess notwendig ist, entscheidet sich, ob das sozial-kulturelle oder das primordiale Konzept vorrangig ist. An den gelisteten Phasen der Beweisführung wird deutlich, dass die staatlichen Institutionen bei ihrem Vorgehen zur Überprüfung von Zugehörigkeit auf den theoretischen Konzepten von Ethnizität aufbauen. In allen drei Beispielstaaten ist die konstruierte Ethnizität ein Produkt aus voluntaristischen und essenzialistischen Ideen.

9.3 Die sowjetische Ethnizitätenordnung Multiethnische Staaten bilden eine Fundgrube für die Forschung zu ethnischen Identitäten. Da ein solcher Staat die vorzufindenden Ethnizitäten in allerlei formalen Kriterien definieren und somit rechtlich erschaffen muss, erfordert die Selbstbezeichnung als „multiethnisch“ eine institutionalisierte Kategorisierung von Ethnien. Die sowjetische Politik gegenüber verschiedenen ethnischen Gruppen, stellt eine besondere Fallstudie dar. Nach Rogers Brubaker wurden ethnische Minderheiten in der Sowjetunion nicht nur toleriert und akzeptiert, sondern vielmehr aktiv als konstitutive Elemente des Staates und der Gesellschaft institutionalisiert (Brubaker 1994). Ethnie und gegebenenfalls dazugehörige Subethnien wurden als

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eigenständige administrative Kategorien etabliert, die scharf von Staatsbürgerschaft als einer Zugehörigkeit zum Staat getrennt wurden. Die Analyse der sogenannten „Lexika der Ethnizitäten“2, welche im Vorfeld periodisch stattfindender Volkszählungen publiziert wurden, listen die anerkannten Ethnien samt Subethnien auf und erklären ausdrücklich nach welchen Kriterien die jeweilige Zugehörigkeit der Befragten notiert werden soll. Grundsätzlich galt bei Volksbefragungen seit Beginn der Sowjetunion das Prinzip der Selbstdeklaration, das heißt aber nicht, dass die Befragten ihre Wunschethnizität benennen konnten oder ihnen eine Wahl zwischen mehreren Ethnizitäten offen stand. Vielmehr wurden die etlichen möglichen Selbstbezeichnungen nach dem „Lexikon der Ethnizitäten“ auf eine vorgesehene Anzahl an zugelassenen Ethnizitäten gestutzt – 195 im Jahr 1926, 110 in 1937, 99 in 1939, 126 in 1959, 122 in 1970, 123 in 1979, 128 in 1989. Um die endgültige Fixierung innerhalb des angelegten Rahmens zu vollziehen, wurden neben der Selbstbezeichnung außerdem zwei weitere Kriterien hinzugezogen, wie die Muttersprache der Befragten und/oder ihre Herkunftsregion. Außerdem wird die scheinbare Liberalität der Methode der Selbstbenennung auch durch den Umstand eingeschränkt, dass Ethnizität als administrative Kategorie bereits in die Geburtsurkunde des Kindes eingetragen wurde und sich durch etliche weitere Dokumente durchzog. Das hatte auch den Umstand zur Folge, dass sowjetische Bürgerinnen und Bürger seit ihrer Kindheit mit dem Bewusstsein aufwuchsen, eine bestimmte und unverrückbare Ethnizität zu haben. Diese Wahrnehmung bleibt in postsowjetischen Ländern auch heute noch bestehen und die Selbstidentifikation nach ethnischer Zugehörigkeit ist weiterhin nicht ungewöhnlich.3 Die einzige Möglichkeit über die eigene ethnische Zugehörigkeit zu entscheiden erhielten Kinder aus Mischehen, die bei der Ausstellung des ersten eigenen Passes zwischen einer der beiden Ethnizitäten der Eltern wählen mussten, wobei oftmals die Zugehörigkeit des Vaters behalten wurde. Eine Doppelethnizität, die in der Geburtsurkunde noch notiert wurde, hätte wohl mit jeder weiteren Generation eine Schwierigkeit für die Bürokratie dargestellt.

2Im

Russischen wird der Begriff nationalnost’ verwendet. Er steht für „Ethnizität“, wie in dem entsprechenden Lexikon des Jahres 1926 ausdrücklich vermerkt ist. 3Mit dem Zerfall der Sowjetunion wurde der Vermerk der Ethnizität in den Pässen der Nachfolgestaaten abgeschafft. Nichtsdestotrotz findet man ihn heute in einer Reihe weiterer Dokumente, wie z. B. im Armeeausweis der Russischen Föderation. Außerdem werden von Zeit zu Zeit Gesetzesinitiativen bekannt, den ethnischen Vermerk in den Pass zurückzuholen. Prominent ist diese Forderung für die Agenda der Kommunistischen Partei Russlands.

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Damit zeigt sich die sowjetische Konstruktion von Ethnizität als eine v­orgegebene und exklusive Identität, die sich über angebliche primordiale Stammeszugehörigkeit aus der Zeit vor der Gründung des Staates zu erklären versucht. Kulturelle Parameter, wie beispielsweise die Muttersprache, spielen insoweit eine Rolle, als dass sie eine primordiale Zugehörigkeit vielmehr unterstützen und zu deren Beweis herangezogen werden. Eine kulturelle Einbettung in die ethnische Gruppe, als auch die Pflege von Traditionen, spielten bei der Erfassung der Ethnizität keine Rolle. Das liegt auch daran, dass eine Reduktion der Ethnizität auf eine rein administrative Kategorie, die wiederum ausschließlich auf der primordialen Definition aufbaut, die inhärenten kulturellen Organisationsstrukturen, die für die interne Selbstverwaltung ethnischer Gemeinschaften typisch sind (Bousetta 2000), über die Zeit verschwinden lässt. Stattdessen werden Ethnizitäten durch den Staat verwaltet, der die Grenzen ethnischer Gemeinschaften nun selbst bestimmt und reguliert, wie z.B. im Falle von Kindern aus Mischehen. In der Sowjetunion führte die Verstaatlichung von Ethnizitäten und ihre Handhabung zu rein administrativen Zwecken zu deren Russifizierung und Assimilierung.

9.4 Konstruktion des Deutschtums in der Sowjetunion und in Deutschland im Zuge der Einwanderung von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern Im Falle der deutschen Minderheit gestaltete sich der Assimilationsprozess zu sowjetischen Bürgerinnen und Bürgern hin sehr langsam, da sich die auf dem sowjetischen Territorium befindenden Deutschen als Exilantinnen und Exilanten verstanden, deren Kernland und Kernidentität außerhalb sowjetischer Grenzen lag und an einen anderen Souverän – Deutschland – gebunden war. Ihre Sowjetisierung wurde erst dann zu einem erklärten politischen Ziel, als Deutschland im Zweiten Weltkrieg zu einer gegnerischen Kriegspartei erklärt wurde und sie in den Verdacht der Illoyalität gerieten. Eine darauffolgende großflächige Deportation der Deutschen von der Kriegslinie in das Landesinnere hinein, stellte zum einen eine geografische Abtrennung von anderen deutschen Bevölkerungsgruppen Osteuropas dar und leitete zum anderen ihren eigenständigen Versuch ein, die deutsche Identität zu bewahren, indem man auf mitgenommene, wenn auch bereits veraltete Bräuche und Traditionen zurückgriff. Jedenfalls war jegliche öffentliche Solidarität mit einem fremden Souverän unmöglich und eine Aufrechterhaltung des Deutschtums aufgrund des fehlenden Austauschs mit Deutschen außerhalb der Sowjetunion äußerst schwierig (Kurske 2013).

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Im „Lexikon der Ethnizitäten“ wurden Deutsche bis zur ersten Volkszählung nach dem Krieg im Jahr 1959 als eine Minderheit unter zahlreichen anderen Minderheiten der Sowjetunion gelistet. Erst danach tauchten sie in der Kategorie der Ethnizitäten auf, die hauptsächlich außerhalb der Sowjetunion leben. Zu dem Oberbegriff „Deutsche“ wurden zudem folgende Selbstbezeichnungen dazugezählt: „deutschsprachige Schweizer“ ab der Volksbefragung von 1926 und „Österreicher“, „Bayern“, „Germanen“, „Sachsen“, und „Friesen“ ab 1937. Das Kriterium der Erkennung war die deutsche Muttersprache. Die Konzeption der deutschen Nation gründet nach Brubaker (1990) auf dem Verständnis des Deutschtums als einer ethnischen Volkszugehörigkeit. Das zeigt sich unter anderem durch die Betonung der gemeinsamen deutschen Herkunft, die nicht an ein Staatswesen geknüpft war, sondern über territoriale Grenzen hinweg bestand und Lebensmittelpunkte in allerhand verschiedenen Staaten zuließ (Hochman und Heilbrunn 2016). Im modernen deutschen Recht bleibt deutsche Volkszugehörigkeit unabhängig von der deutschen Staatsangehörigkeit eine eigene Kategorie. Sie ist festgehalten in § 116,1 Grundgesetz und erläutert im § 6 des Bundesvertriebenengesetzes. In der bis 24.05.2007 gültigen Fassung lauteten die Kriterien zur Feststellung der deutschen Volkszugehörigkeit folgendermaßen: 1). Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird. 2). Wer nach dem 31. Dezember 1923 geboren worden ist, ist deutscher Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität muss bestätigt werden durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache. Diese ist nur festgestellt, wenn jemand im Zeitpunkt der Aussiedlung aufgrund dieser Vermittlung zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann. Ihre Feststellung entfällt, wenn die familiäre Vermittlung wegen der Verhältnisse in dem jeweiligen Aussiedlungsgebiet nicht möglich oder nicht zumutbar war. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum wird unterstellt, wenn es unterblieben ist […], jedoch aufgrund der Gesamtumstände der Willen unzweifelhaft ist, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören.

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Demnach war die deutsche Volkszugehörigkeit bis 24.05.2007 als exklusiv und primordial definiert, da sie entsprechend dem Abstammungsprinzip „ius sanguinis“ vererbt wird und eine andere Volkszugehörigkeit ausschließt. Die biologische Verbindung wird außerdem betont in der Forderung, dass die deutsche Sprache familiär vermittelt werden soll. Damit weist die Sprache als ein soziales und damit erlernbares ethnisches Attribut nicht auf eine inklusive Handhabung der Volkszugehörigkeit hin, sondern dient vielmehr als ein bestätigendes Element zur Überprüfung der Abstammung. Die deutsche Volkszugehörigkeit im Sinne des § 6 BVFG ist ein für die Zwecke des Bundesvertriebenengesetzes geschaffener Rechtsbegriff (VGH-Baden-Württemberg – Urteil, 6 S 2102/91 vom 02.12.1992). Sie ist damit kein Selbstzweck an sich und kein Beweis für die Kontinuität des ethnischen deutschen Nationalverständnisses aus der Zeit des Dritten Reiches, sondern vielmehr ein Mittel zur Identifikation der Personen, die als Deutschstämmige wegen nationalsozialistischer Verbrechen verfolgt wurden und im heutigen Deutschland einen Anspruch auf Kompensation haben (Faist et al. 2004). Damit ist die deutsche Volkszugehörigkeit im modernen Recht ein erklärtes konstruiertes Instrument, welches sich bewusst von völkischen und essenzialistischen Interpretationen abgrenzt, aber bei der getreuen Identifikation der Betroffenen nicht umhin kann auf das ehemals angewandte essenzialistische Konzept zurückzugreifen. Die bewusste Konstruktion zeigt sich besonders deutlich in der Anwendung von Stichtagen, vgl. 31.12.1923, und der Eingrenzung des Territoriums, vgl. Artikel 116GG. Seit der Masseneinwanderung aus der Sowjetunion wird der entsprechende Status der Volkszugehörigen ausschließlich sogenannten Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern verliehen. Diese sind Personen, die „als deutsche […] Volkszugehörige […] die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes [ihren] ständigen Aufenthalt genommen [haben].“4

Um sich in Deutschland niederlassen zu können und anschließend die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen zu bekommen, muss ihre „Spätaussiedlereigenschaft“ festgestellt werden. Maßgeblich für die Feststellung ist ihr Deutschsein.

4Baltische

Staaten gehören seit ihrer Aufnahme in die EU nicht dazu.

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Innerhalb des Verifizierungsprozesses der deutschen Zugehörigkeit bei ­ pätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion könS nen die oben genannten drei Phasen – Selbstdeklaration, Dokumentation und Prüfung – ausgemacht werden. Entsprechend der obigen Definition lag bis 2007 eine Selbstdeklaration dann vor, wenn man sich in der Heimat „nur“ zum Deutschtum bekannt hat. Dieses Bekenntnis manifestierte sich wiederum in stetiger behördlicher Dokumentation als volksdeutsch nach dem Recht des Herkunftslandes. Auch die Abstammung von anderen Volksdeutschen fand ihren Ausdruck in solchen Dokumenten, wie der Geburts- oder Heiratsurkunde. Schließlich musste die Beherrschung der deutschen Sprache durch eine Prüfung belegt werden. Die Hauptsäule war eindeutig das Selbstbekenntnis zum Deutschtum. Dokumentation und Prüfung dienten eher dazu dieses Bekenntnis zu belegen. Eine umfangreiche Sammlung von Gerichtsentscheidungen präzisierte seit der Rückwanderung von Volkszugehörigen, wie die obigen Verifizierungskriterien am Beispiel einzelner Fälle anzuwenden sind. Entsprechend dem Umstand, dass die deutschen Rückwanderinnen und Rückwanderer seit den 90-er Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion kamen, wurde die sowjetische Kategorisierung von ethnischen Deutschen und damit der Vermerk von Ethnizität in den Personaldokumenten zum Hauptbeweismittel der deutschen Volkszugehörigkeit bei der Einwanderung. In dieser Logik wurde das deutsche Recht hinsichtlich der Frage, wer deutsch ist, durch die sowjetische Ethnizitätenpolitik beeinflusst (Panagiotidis 2012). Eine Selbstdeklaration als deutsch im Falle der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler aus dem ehemaligen Gebiet der Sowjetunion wurde angenommen, wenn der Eintrag für Nationalität im sowjetischen Innenpass durchgängig „deutsch“ lautete (VGH-Baden-Württemberg – Urteil, 16  S 3032/94 vom 22.03.1995). Auch wenn die familiäre Zugehörigkeit zum deutschen Volk über die Eltern offensichtlich war, das Bekenntnis zum Deutschtum aber keinen Ausdruck in den Dokumenten fand und daher der Wille zum deutschen Volk zu gehören in Zweifel gezogen werden konnte, gab es keine Garantie für die Einstufung der Person als Spätaussiedlerin oder Spätaussiedler und damit kein Anrecht auf Rückwanderung nach Deutschland. Das heißt im Umkehrschluss jedoch nicht, dass der Person ihre deutsche Volkszugehörigkeit aberkannt wurde.5 So entschied das

5Diese Logik wird außerdem ersichtlich in der Behandlung anderer deutscher Minderhei­ ten, z. B. in Südamerika, als Volkszugehörige, die jedoch kein Recht auf Aufnahme auf Grundlage des Bundesvertriebenengesetzes gegenüber Deutschland einfordern können ­ (Klekowski von Koppenfels 2002).

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Bundesverfassungsgericht im Jahr 2007 (vgl. Urteil 1BvR 546/04) im Fall eines Klägers, der sich in der Sowjetunion mit Eindruck und Erfolg darum bemüht hat, den Vermerk über die Ethnizität von „Deutsch“ zu „Russisch“ abändern zu lassen. Darüber hinaus konnten beim Kläger keine ausreichenden Sprachkenntnisse bestätigt werden, die seinen Willen zum deutschen Volk dazuzugehören bekräftigen könnten. An diesem Gerichtsurteil zeigt sich deutlich, dass der ausgesprochene Wille zur Zugehörigkeit zwar ein stärkeres Kriterium darstellte, aber nicht als glaubwürdig angesehen wurde, wenn er bürokratisch nicht durchgehend seinen Ausdruck fand. Eine Abänderung des Vermerks der deutschen Zugehörigkeit im sowjetischen Pass zu einer anderen Ethnizität wurde jeweils vor dem Hintergrund der historischen Umstände interpretiert. Wenn die Veränderung vor dem 22.06.1941 – dem Tag der Kriegserklärung des nationalsozialistischen Deutschlands gegenüber der Sowjetunion – erfolgte, konnte diese Maßnahme nicht als ein Versuch gewertet werden sich vor Diskriminierung und Repression zu schützen (VGH-Baden-Württemberg – Urteil, 16 S 482/93 vom 04.02.1994). Wenn die Umstände eine freie Ausübung des Deutschtums zuließen, galt ein Eintrag einer anderen Zugehörigkeit als ein Bekenntnis zu einer anderen Ethnizität. Das exklusive Konzept der deutschen Volkszugehörigkeit schloss eine andere Volkszugehörigkeit zur gleichen Zeit aus.6 Darüber hinaus wurde in mehreren Urteilen entschieden auf welche Weise das deutsche Volkstum übermittelt werden sollte. Ganz wichtig war, dass die deutsche kulturelle Prägung innerhalb der Familie stattfand. Möglich war auch, dass die Überlieferung der deutschen Kultur durch einen Dritten erfolgte, sofern diese Person die deutsche Volkszugehörigkeit besaß und bestenfalls als Bezugsperson in einer häuslichen Gemeinschaft mit der Antragstellerin oder dem Antragsteller gelebt hat und ein Verwandtschaftsverhältnis bestand (VGH-Baden-Württemberg – Urteil, 16 S 3086/93 vom 24.02.1995). Dass die deutsche Sprache eine Muttersprache darstellte und sie nicht im Vorfeld der Auswanderung erlernt

6Eine

Ausnahme wurde gemacht für Jüdinnen und Juden, da Judentum in der BRD als eine Konfession in der Sowjetunion allerdings als Ethnizität eingetragen waren. Im Gerichtsurteil aus dem Jahr 1992 wurde beschlossen, dass „bei der Feststellung der Volkszugehörigkeit […] der heterogene Charakter der jüdischen Bevölkerung zu berücksichtigen“ ist (VGH-Baden-Württemberg – Urteil, 6 S 842/90 vom 13.05.1992). Bis dahin war die Frage ob man jüdisch und gleichzeitig deutsch sein kann, von den jeweiligen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern mit durchaus unterschiedlichem Ausgang beantwortet worden. ­(Panagiotidis 2012).

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wurde, musste durch die Anwendung spezifischer Dialekte oder durch Umgangssprache bestätigt werden. Diese Anforderung galt für deutsche Rückwanderinnen und Rückwanderer aus allen Gebieten und war unabhängig vom unterschiedlichen historischen Schicksal und Situation (BVerwG 9 C 8/96, Urteil vom 12.11.1996). Auf Unzumutbarkeit konnten sich jedoch Deutsche in der Sowjetunion berufen, „wenn Ihr Prägungszeitraum mindestens zur Hälfte in die Zeit von 1945 bis 1964“ fiel (VGH-Baden-Württemberg – Beschluss, 16 S 3377/96 vom 06.05.1997). Die Unzumutbarkeit der kulturellen Prägung wurde Gegenstand mehrerer Gerichtsentscheidungen, die den sogenannten „Prägungszeitraum“ genauer definierten (VGH-Baden-Württemberg – Urteil, 6 S 431/97 vom 26.03.1999; VGH-Baden-Württemberg – Urteil, 6 S 1992/99 vom 11.04.2001). Schließlich wurde die Unzumutbarkeit auf den Zeitraum bis 13.12.1955 festgesetzt, da „nach Bekanntwerden des Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR“ an diesem Tag „über die „Aufhebung der Kommandantur““ die Vermittlung der deutschen Sprache „nicht mehr generell unmöglich“ war (VGH-Baden-Württemberg – Urteil, 6 S 1992/99 vom 11.04.2001). Das Verfahren der Überprüfung deutscher Volkszugehörigkeit änderte sich dramatisch mit der letzten Fassung des Bundesvertriebenengesetzes vom 14.9.2013. Der veränderte zweite Paragraph lautet: (2) [Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist] wer […] sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt […] hat. Das Bekenntnis auf andere Weise kann insbesondere durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen oder durch den Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse erbracht werden. […]. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum wird unterstellt, wenn es unterblieben ist, […] jedoch auf Grund der Gesamtumstände der Wille unzweifelhaft ist, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören.

Diese Fassung hat weitreichende Veränderungen für die Aufnahme von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler. Der aktuelle Gesetzestext verzichtet auf die Einschränkung, man dürfe nur zum Deutschen Volk gehören und sich nur als deutsche Volkszugehörige bzw. deutscher Volkszugehöriger deklariert haben. Damit vollzog die Bundesgesetzgebung eine Öffnung des exklusiven Konzeptes von Ethnizität, wobei die Lockerung der Aufnahmeregelungen und damit des Ethnizitätsbegriffs sicherlich auch im Zusammenhang mit der mittlerweile vergleichsweise geringen Anzahl potenzieller Einwandererinnen und Einwanderer steht.

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Auch müssen deutsche Sprachkenntnisse nicht mehr familiär vermittelt ­orden sein. Eine Überprüfung auf lokalen Dialekt kann nun durch ein w anerkanntes Sprachzertifikat kompensiert werden. Auch das ist ein Hinweis darauf, dass die Akzeptanz und Anwendung der Idee der primordialen Volkszugehörigkeit schwindet. Stattdessen wird Sprache von einem Instrument zur Überprüfung von Abstammung zu einem Kriterium für bessere Integration im Aufnahmeland (Klekowski von Koppenfels 2002). Ein Sprachzertifikat ist der Beweis der unternommenen Bemühungen die deutsche Sprache zu lernen und damit eine Willensbekundung zum guten gesellschaftlichen Auskommen. Außerdem können ehemals abgelehnte Bewerberinnen und Bewerber sich um eine erneute Überprüfung ihres Status als Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler bemühen. Grundsätzlich kann anhand dieser Gesetzesentwicklung beobachtet werden, dass das Aufnahmeverfahren in den Status der deutschen Volkszugehörigkeit dem Prozess der Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft ähnlicher wird. Man könnte sogar behaupten, der Rechtsstatus der Volkszugehörigkeit wird zunehmend unnötig, da die Kriegsfolgen mit der Rückführung von Millionen von deutschen Volkszugehörigen bereinigt sind. Somit ist die Idee der Volkszugehörigkeit im Nachkriegsrecht als ein Identifikationsinstrument von Vertriebenen und Verfolgten ausgeschöpft. Die zunehmende Verschmelzung von deutscher Volkszugehörigkeit mit deutscher Staatsbürgerschaft im aktuellen Staatsbürgerschaftsrecht, bei dem deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ungeachtet ihrer Abstammung automatisch auch Volksdeutsche sind, ist ein Indiz dafür, dass die exklusive Definition von Ethnizität hinter die der inklusiven Ethnizität zurücktritt. Damit ist die administrative Kategorie der Volkszugehörigkeit eindeutig ein historisches Überbleibsel zur Identifikation bestimmter Einwanderungsgruppen und auf dem direkten Weg endgültig Geschichte zu werden.

9.5 Konstruktion des Jüdischen in der Sowjetunion und die israelische Frage danach, wer eigentlich jüdisch ist Die jüdische Minderheit, die sich großflächig über die gesamte Sowjetunion verteilte und von Ort zu Ort unterschiedliche kulturelle und religiöse Eigenheiten aufwies, stellte in Hinblick auf ihre Kategorisierung als eine ethnische Gruppe eine besondere Herausforderung dar. Bei Jüdinnen und Juden sowie anderen ethnischen Minderheiten, war es ein politisches Ziel, unabhängige Entitäten vorzubeugen und eine Assimilierung der ethnischen Minderheiten hin zu sowjetischen

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Bürgerinnen und Bürgern zu befeuern (Orbach 1982). Insbesondere in der „Judenfrage“ erschien eine Integration in die nationale Mehrheit die einzige Lösung zu sein, da die Absonderung der jüdischen Bevölkerung bereits im Zarenreich ein politisches Problem darstellte. Uneinig war man sich aber darüber, ob eine Klassifizierung als eigenständige Ethnizität zielführend war, da diese wiederum die Einforderung besonderer Gruppenrechte, wie z. B. eines autonom verwalteten Gebiets, nach sich ziehen könnte (Benjamin 1984). Die jüdische Religion spielte in Verbindung zur Kategorisierung der jüdischen Ethnien insoweit eine Rolle, als dass sie als ein ehemals konsolidierendes aber nun überfälliges Kriterium des Jüdischseins verstanden wurde. Somit konnte man sich als ein rein biologischer Jude bzw. Jüdin verstehen und sich als jüdisch bezeichnen ohne religiös oder praktizierend zu sein. Die religiöse Intoleranz in der Sowjetunion, führte zudem dazu, dass sich von Generation zu Generation zunehmend weniger sowjetische Jüdinnen und Juden mit Judentum als Religion überhaupt auskannten (Gitelman 2001). Das „Lexikon der Ethnizitäten“ kannte fünf Gruppen von jüdischen Minderheiten. Die fünf unterschiedlichen jüdischen Ethnizitäten unterschieden sich in Sprache und Region und umfassten: Aschkenasische Juden mit der Muttersprache Jiddisch, Krimjuden mit Tatarisch, Bergjuden mit Tatisch und Althebräisch, Georgische Juden mit Georgisch und Zentralasiatische Juden mit Tadschikisch und Usbekisch. In allen sowjetischen Volkszählungen, außer in der von 1939, wurden diese Gruppen als eigenständige und vollwertige Ethnizitäten aufgeführt.7 Aschkenasische Juden stellten die Mehrheit dar und waren im Gegensatz zu anderen jüdischen Gruppen lose auf dem gesamten Territorium verteilt, sodass die Errichtung einer Jüdischen autonomen Region im Fernen Osten Russlands in den dreißiger Jahren in erster Linie deren Ansiedlung und Bündelung vorsah. Der politische Aspekt der Kategorisierung in unterschiedliche jüdische Ethnien war besonders evident im Falle der Bergjuden, deren Gründungsmythos als einer das Judentum praktizierenden Untergruppe der iranisch stämmigen Tät, von sowjetischen Aktivisten und Funktionären der Kommunistischen Partei bereits in frühen Jahren der Sowjetunion adaptiert wurde (Anisimov 1932). Mit der beginnenden Emigration nach Israel und im Verlaufe der anti-israelischen Kampagne in der Presse zu Beginn der 70er Jahre, wurde die Akzeptanz oder Ablehnung der Tät-Identität zu einem Loyalitätstest gegenüber dem sowjetischen Staat (Chlenov 2000).

7In

der Volkszählung von 1939 gab es nur eine jüdische Kategorie. Andere jüdischen Gruppen wurden als mögliche Selbstbezeichnungen gelistet.

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Karaim, die sich selbst als eine jüdische Volksgruppe verstehen, wurden in der Sowjetunion als eine gänzlich unabhängige Ethnizität vermerkt und in keinen Zusammenhang mit anderen jüdischen Gruppen gebracht. Ihr Jüdischsein wurde als eine religiöse Zugehörigkeit aber nicht als Ethnizität verstanden.8 Im heutigen Israel gibt es keine klare Richtlinie darüber, ob Karaim im religiösen Sinne als jüdisch eingestuft werden können, gleichwohl sie auf der Grundlage des Rückkehrgesetzes ein Recht auf Einwanderung haben und somit nach dem ethnischen Konzept Israels zum jüdischen Volk gehören (Einhorn 2009). Die Kategorisierung des Judentums im sowjetischen Raum, als einer ethnischen Zugehörigkeit mit ursprünglich religiösen Attributen, fand ihren Nachklang im israelischen Staatsbürgerschaftsrecht, d.  h. Einwanderungs- und Einbürgerungsrecht durch die Immigration sowjetischer Jüdinnen und Juden. Die administrative ethnische Definition war in Israel jedoch auch schon früher bekannt, waren doch die israelischen Gründungsväter maßgeblich von der osteuropäischen Erfahrung beeinflusst. Die Staatsgründung Israels, wie die Errichtung eines jeden Nationalstaates, war fest verbunden mit der Frage nach dem authentischen Nationalvolk und damit nach der natürlichen und rechtmäßigen Staatsbürgergemeinschaft. Bei der Erschaffung des jüdischen Nationalstaates Israel musste eine Definition des Jüdischseins gefunden werden, die als eine rechtliche Kategorie weitere Anwendung im Staatsbürgerrecht finden würde. Damit erweiterte sich die tausende Jahre alte Debatte darüber, wer eigentlich jüdisch ist, um eine moderne staatsrechtliche Dimension, die nicht mehr lediglich die diasporische jüdische Gemeinde konstituierte, sondern einen neuen Staat, der vielfältige diasporische Interpretationen des Jüdischen wiederum vereinen und verrechtlichen könnte. Insbesondere bei den Überlegungen darüber, wem nach dem Rückkehrgesetz die Einwanderung nach Israel offenstehen soll, kam man nicht umhin das Jüdischsein staatsrechtlich zu konzeptualisieren. Historisch war das Vertrauen auf die Selbstdeklaration die entscheidende Determinante in der Überprüfung der Volkszugehörigkeit. Wenn jemand sich als Jüdin oder Jude bezeichnete, nahm man automatisch an, dass sie bzw. er auch Jüdin/Jude ist. Zweifel und Skeptizismus fanden im Zuge der Aufklärung Einzug in die jüdischen Gemeinden, zusammen mit einer einhergehenden Konfessionalisierung und Säkularisierung des Judentums, sowie der Assimilierung durch Eheschließungen zwischen

8Ähnlich

sahen auch die Nazionalsozialisten Karaim nicht als jüdisch an, weswegen sie, obwohl gänzlich von Deutschland okkupiert, vielerorts überleben konnten.

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Angehörigen verschiedener Religionen. Da die Situation des jüdischen Staates in den ersten Jahren seit der Staatsgründung gefährlich und risikoreich war, konnte Bequemlichkeit kein Grund für Einwanderung sein. Die Jüdinnen und Juden, die nach Israel einwanderten kamen als Schutzsuchende und/oder als überzeugte Zionistinnen und Zionisten. Die Gefahr, jemand würde sich für eine Jüdin oder einen Juden ausgeben, um ein ökonomisch vorteilhafteres Leben zu erreichen, war minimal, sodass das Vertrauen darauf, dass jeder der als Jude kommt auch Jude ist, die erste Zeit den Aufnahmeprozess bestimmt hat. Obwohl die Selbstdeklaration die subjektive Phase in der Verifizierung von Zugehörigkeit darstellt und vom Aufnahmestaat und seinen Institutionen sehr viel Vertrauen einfordert, stellte insbesondere im israelischen Fall, das Bekenntnis zum Judentum ein Bekenntnis zum jungen Staat selbst und damit zum zionistischen Projekt dar. Mit dieser informellen Handhabung des ersten Rückkehrgesetzes von 1950 gab man sich in der Regel zufrieden.9 Festgeschrieben wurde Selbstdeklaration als Verifizierungsprinzip während der Amtszeit des Innenministers Israel Bar-Yehuda von der zionistischen Arbeiterpartei am 10ten März 1958. Die Direktive, welche die Festschreibung der Person entsprechend des Registrierungsgesetzes regeln sollte, lautete: a) Jede Person, die sich selbst als Juden deklariert, soll als Jude registriert werden, ohne dass weitere Beweise dafür nötig sind; b) Beide Eltern müssen angeben, dass ihr Kind jüdisch ist. Diese Deklaration wird als die Selbstdeklaration des Kindes angesehen.

An dieser Stelle ist es wichtig zu unterstreichen, dass diese Deklaration keine liberale und individualistische Innovation darstellte, sondern grundsätzlich durch pragmatische Überlegungen geleitet war. Solch ein Vorgang der Registrierung wurde als der einfachste Weg gesehen bürokratischer Verwirrung zu entgehen (Feldestein 2012). Die Direktive behielt ihre Gültigkeit für lediglich vier Monate, bis sie durch den nachfolgenden Innenminister Moshe Shapiro aus der religiösen Partei Mafdal, durch die streng halachische Definition des Judentums ersetzt wurde. Demnach ist

9Außerdem konnten ehemalige Holocaustüberlebende in der Regel keine Dokumente vorweisen, geschweige denn, dass die zeitliche Nähe zur Schoah es nicht erlaubt hätte, sie einem selektiven Verifikationsprozess zu unterziehen. Gleichzeitig brachten Holocaustüberlebende der assimilierten jüdischen Gemeinden aus Westeuropa eine hohe Anzahl an Mischehen ins Land (Kranz 2015).

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jüdisch, wer von einer jüdischen Mutter abstammt. Festgeschrieben wurde dieses matriliniare Kriterium allerdings erst in der späten Fassung des Rückkehrgesetzes aus dem Jahr 1970. Seitdem können Personen einwandern, die mütterlicherseits eine jüdische Verwandtschaftslinie nachweisen können sowie deren Kinder, Enkelkinder und jeweilige Partnerinnen und Partner. Mit der Erweiterung 1970 wurde die Einwanderung also auch denjenigen ermöglicht, die bis dato nicht nach Israel immigrierten, weil sie ihre nicht-­ jüdischen Angehörigen zurücklassen hätten müssen. Die größte Einwanderungsgruppe, die sich damit vertreten fühlte und seit dem Zerfall der Sowjetunion das Rückkehrgesetz in Anspruch nehmen konnte, waren Einwanderinnen und Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Auf dem Gebiet der heutigen GUS-Staaten befand sich eine der zahlenstärksten Gruppen der jüdischen Diaspora weltweit. Sie war für den Staat Israel eine Quelle potenzieller Einwanderung, die sich mit einer Million russischsprachiger Einwandererinnen und Einwanderer in den Neunzigern zu einem regelrechten Migrationsstrom ergoss. Seit 1970 findet man im Rückkehrgesetz überdies eine explizite Erwähnung der notwendigen Dokumentation. Paragraph 11 schreibt fest: A person shall not be registered as a Jew by ethnic affiliation or religion if a notification under this Law or another entry in the Registry or a public document indicates that he is not a Jew, so long as the said notification, entry or document has not been converted to the satisfaction of the Chief Registration Officer or so long as declaratory judgment of a competent court or tribunal has not otherwise determined.

Seit der Masseneinwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion müssen in Bewerbungsprozessen allerlei Dokumente der Bewerberin oder des Bewerbers, der Eltern und Großeltern vorgelegt werden, die die Abstammung belegen. ­Darunter fallen unter anderem Geburts- und Heiratsurkunden. Eine generationenübergreifende Stringenz bezüglich des Ethnizitätenvermerks ist theoretisch nicht notwendig, da die jüdische Herkunft der Großelterngeneration zur Einwanderung genügt. Vielmehr sollen Dokumentenfälschung und Missbrauch erkannt werden. Hinzu kommt, dass die sowjetische Bürokratie meistens die Abstammung väterlicherseits dokumentierte, was der Matrilinearität des jüdischen Rechts entgegensteht. Theoretisch könnte es vorkommen, dass bei einer sowjetischen Bürgerin oder einem Bürger mit dem jüdischen Vermerk in den Dokumenten, die weibliche jüdische Verwandtschaftslinie bereits vor länger als drei Generationen unterbrochen ist und sie bzw. er somit nicht mehr einwandern dürfte. Am israelischen administrativen Konzept der Zugehörigkeit zum Judentum sieht man deutlich, dass das Aufnahmeland sich an das ethnische Konzept

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des Herkunftslandes anpassen musste, da die Ethnizität der Migrantinnen und ­Migranten nur über mitgebrachte Attribute verifiziert werden kann. Jüdische Einwanderinnen und Einwanderer aus der westlichen Welt müssen wiederum Beweise vorlegen, die mit der Konzeption der jüdischen Zugehörigkeit in ihrem Herkunftsland einhergehen. Dazu gehört ein Brief eines Rabbiners, eines jüdischen Gerichts oder Einträge ritueller Heirat, Beschneidung, Beerdigung etc. (Jewish Agency 2016). Israel übernimmt die Verifizierungsmethoden des Auswanderungslandes. Bei diesen Einwanderungsströmen ist der religiöse Aspekt der jüdischen Zugehörigkeit offensichtlich höher als bei russischsprachiger ­Einwanderung. Im Falle der Letzten scheint die essenzialistische Konzeption des Judentums mit der Entwicklung der Technologien eine neue Dimension erfahren zu haben. Nach einem Skandal im Jahr 2013 hat das israelische Innenministerium bestätigt, dass manche russischsprachige Einwanderer und Einwanderinnen sich mittlerweile DNA-Tests unterziehen müssen, um ihre Verwandtschaft zu jüdischen Angehörigen zu verifizieren, wenn sie außerhalb der Ehe geboren wurden. Einerseits erscheint es als logisch im Rahmen eines auf Abstammung basierten Rechts, welches das Rückkehrgesetz seit 1970 darstellt, Verwandtschaftstests durchzuführen. Andererseits erlaubt das Rückkehrgesetz ausdrücklich auch die Einwanderung adoptierter Kinder (McGonigle und Herman 2015). Problematisch ist die staatlich verrechtlichte Definition, wer jüdisch ist oder aufgrund der Verwandtschaft mit einer Jüdin bzw. einem Juden einwandern darf, in Gesellschaften, die einem anderen Familienmodell folgen. So stellte die Anerkennung der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk für Einwanderungsfamilien aus Äthiopien nicht zuletzt aufgrund traditionell fluider Familienstrukturen ein Problem dar (Shafir und Peled 2002). Beispielsweise sind polygame Ehen in dem sich am westlichen Familienmodell orientierendem Rückkehrgesetz nicht vorgesehen.

9.6 Beeinflussung und Weiterentwicklung über die Grenzen hinweg In allen drei Beispielstaaten zeigen sich drei Phasen im Verifizierungsverfahren der Ethnizität. An vorderster Stelle steht die Selbstdeklaration der Person, die mit einem Bekenntnis zu der jeweiligen ethnischen Gruppe angehören zu wollen, gleichgesetzt werden kann. Im Falle der Sowjetunion entschieden die Variablen Muttersprache sowie Region darüber, ob der Selbstdeklaration der Person Glauben geschenkt wird. Außerdem ist nicht zu vergessen, dass durch die lückenlose Dokumentation der

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Ethnizität seit der Geburt eigentlich kaum Entscheidungsspielraum bestand. Das sowjetische Ethnizitätenkonzept beeinflusste das deutsche Recht zur ­Volkszugehörigkeit, da man angesichts der Einwanderung mehrerer Millionen Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler die Verifizierungsprozesse an die neuen Herausforderungen anpassen musste. Hier zeigen sich alle drei Phasen: Selbstdeklaration, Dokumentation und (Sprach)-prüfung kompakt im Text des Bundesvertriebenengesetzes und werden in jedem individuellen Prozess der Feststellung der Spätaussiedlereigenschaft angewendet. Im israelischen Fall bestimmte die Selbstdeklaration als Jüdin oder Jude das Aufnahmeverfahren bis zu dem Zeitpunkt, als Einwanderung nach Israel, Alija, zu einem Massenphänomen wurde und das ethnische Konzept nun staatlich definiert werden musste. Seit der großen Alija aus den ehemaligen Sowjetstaaten kann man beobachten, dass die ohnehin seit 1970 ethnische Konstruktion der jüdischen Zugehörigkeit nun mit besonderem Nachdruck durch Abstammungsurkunden und DNA-Tests belegt werden muss. Die Veränderungen, die mit der Einwanderung des sowjetischen Ethnizitätskonzepts von statten gingen, veränderten wiederum nicht absolut das ethnische Konzept des Aufnahmelandes. Das Verifizierungsverfahren von Ethnizität wurde jeweils angepasst hinsichtlich der postsowjetischen Einwanderung. Das Verfahren für andere Einwandererinnen und Einwanderer deutscher Volkszugehörigkeit sowie jüdischen Gruppen, die nach Deutschland bzw. nach Israel einwandern wollen, gestaltet sich unabhängig davon. Bei der administrativen Kategorisierung der Ethnizität fällt auf, dass die Kriterien sich des kulturellen und/oder des essenzialistischen Konzepts bedienen. Verstaatlichte Ethnizität muss sich durch einen Rückgriff auf eine vorstaatliche ethnische Gruppenzugehörigkeit legitimieren. An den ausgewählten Beispielen sieht man wie sich diese Legitimationskette durchzieht. Angefangen mit der Organisation der Bevölkerung in der Sowjetunion, die primordiale und kulturelle Elemente für sich nützlich machte, müssen die ethischen Gruppen bei der weiteren Migration durch die Konzepte der Aufnahmeländer als legitime Einwandererinnen und Einwanderer verifiziert werden.

9.7 Rechtsakte Sowjetunion Lexika der Nationalitäten 1926: http://demoscope.ru/weekly/knigi/slovar/slovar_1926.pdf zuletzt aufgerufen am 16.11.2016

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1937: http://demoscope.ru/weekly/knigi/slovar/slovar_1937.pdf zuletzt aufgerufen am 16.11.2016 1939: http://demoscope.ru/weekly/knigi/alfavit/nacionaln_1939.html zuletzt aufgerufen am 16.11.2016 1959: http://demoscope.ru/weekly/knigi/alfavit/nacionaln_1959.html zuletzt aufgerufen am 16.11.2016 1970: http://demoscope.ru/weekly/knigi/slovar/slovar_1970.pdf zuletzt aufgerufen am 16.11.2016 1979: http://demoscope.ru/weekly/knigi/slovar/slovar_1979.pdf zuletzt aufgerufen am 16.11.2016 1989: http://demoscope.ru/weekly/knigi/alfavit/nacionaln_1989.html zuletzt aufgerufen am 16.11.2016 Deutschland Bundesvertriebenengesetz Volkszugehörigkeit § 6 seit 14.9.2013: https://www.gesetze-im-internet.de/ bvfg/__6.html; http://www.buzer.de/gesetz/10918/a185181.htm zuletzt aufgerufen am 16.11.2016 Spätaussiedlereigenschaft § 4: https://www.gesetze-im-internet.de/bvfg/__4. html zuletzt aufgerufen am 16.11.2016 Israel Rückkehrgesetz 1950/1970: https://www.knesset.gov.il/laws/special/eng/return. htm zuletzt aufgerufen am 16.11.2016 Registrierungsgesetz 1949: http://www.geocities.ws/savepalestinenow/israellaws/fulltext/regofinhabitantsord.htm zuletzt aufgerufen am 10.04.2016 Registrierungsgesetz 1965: http://www.israellawresourcecenter.org/israellaws/ fulltext/populationreglaw.htm zuletzt aufgerufen am 16.11.2016

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Lidia Averbukh, Dipl.sc.pol., Studium der Politikwissenschaft an der Hochschule für Politik der Universität München, ist seit 2016 Doktorandin der Bundeswehruniversität München und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin im Rahmen des Projekts „Israel in einem konfliktreichen regionalen und globalen Umfeld: Innere Entwicklungen, Sicherheitspolitik und Außenbeziehungen“. Ihr thematischer Schwerpunkt sind innergesellschaftliche Dynamiken und das israelische Rechtssystem.

Working Hand or Humans? Temporary Migrants in Israel and Germany: Between Acceptance and Rejection in the Social and Legal Spheres

10

Dani Kranz and Hani Zubida

Abstract

Based on its self-definition Israel encourages co-ethnic immigration; citizenship is immediately available to co-ethnic immigrants. Germany has a similar citizenship policy although it does not aim at encouraging co-ethnic immigration anymore. Despite these different laws of return, the core pillars of German, and Israeli citizenship rest on ethnicity as in jus sanguinis, access to either citizenship by way of kinship ties to a German, or Israeli citizen are limited, and obtaining either by way of jus soli remains problematic. Yet, both countries have experienced significant labor migration, with labor migration to Germany being a longer established phenomenon than labor ­ migration to Israel. Also, in both cases, labor migration was defined as temporary based on the idea of both countries being the national homes of Germans, and Jews, respectively. The labor migrants had a purpose, and after that purpose had been fulfilled they were expected to ‘go home’—which did not happen in either country. This scenario led to a double helix of incorporation and rejection of those who are defined as TLMs (temporary labor migrants) in Israel and Germany on the legal, formal level of citizenship, and on the social D. Kranz (*)  Two Foxes Consulting, Bergheim, Deutschland E-Mail: [email protected] H. Zubida  The Max Stern Yezreel Valley College, Afula, Israel E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. J. Grünendahl et al. (Hrsg.), Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion, Studien zur Migrations- und Integrationspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25534-3_10

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level. Meanwhile, those who were initially defined as TLMs have become a significant part of society, demographics and the labor markets, while the numbers of those who were incorporated into society and the state—in terms of ­citizenship and rights—are small. Despite general exclusionary policies, both countries show specific dynamics over time, resulting in changes in immigration policy, and citizenship law. Keywords

Labor migration · Inclusion · Exclusion · Citizenship · Germany · Israel

10.1 Introduction Temporary labor migrants (TLM) in both countries, Germany and Israel, are foreign individuals who are not citizens. At their core both Germany and Israel are ethno-nationalist states with a legal structure that manifests these fundaments. The Israeli legal framework offers citizenship only to one specific group of immigrants. These are individuals recognized as Jews1 under the new amendment, 1970, of the Law of Return2 according to which they and their immediate families are eligible immediately for citizenship. In Germany TLMs might naturalize based on the criteria of eligibility of the citizenship and residence law. Moreover, EU citizens in Germany have legally enshrined access to the labor market and residence, but this should not be confused with full formal legal participatory and basic rights, which are reserved for citizens. Israel does not have migrant workers with a comparable legal status as the EU citizens in Germany, and all and any TLMs have only temporary access to residence, and they are subject to labor restrictions. Germany as opposed to Israel recently launched a policy to hire skilled migrants from countries beyond the EU and to facilitate their way into

1The

amended Law of Return defines an eligible Jew as an individual with at least one grandparent who was a Jew. This stipulation regularly leads to a mismatch between the orthodox rabbinic definition of ‘Jew’ and the more permissive definition of the state. Yet, even that more permissive definition of the state bases on the grandparent that makes for eligibility being recognized rabbinically. Israeli citizenship for Jews can never be divorced from the orthodox interpretation of the Halacha (Jewish religious law). 2http://www.mfa.gov.il/mfa/mfa-archive/1950-1959/pages/law%20of%20return%2057101950.aspx, accessed February 7, 2017.

10  Working Hand or Humans? …

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p­ ermanent residence, with naturalization being possible in due course. Israel, by its self-definition as the Jewish state3 does not have a policy that aims at the permanent integration by way of official residence or citizenship of non-Jewish laborers, regardless of skill level. Parents of children born in Israel constitute the only exemption to date (Zubida et al. 2014). Their access to residence and citizenship is decided upon on a case by case basis by the Israeli Ministry of the Interior, and administrative courts (ibid.), but not by way of an overarching legal framework (Kemp and Kfir 2016). Despite Germany being more permissive than Israel, the underlying ethno-­ nationalism of both countries limits the leeway for TLMs to be included in the fabric of the state. Where is this leeway? What different intersections apply in the two countries, and to the immigrants, respectively? And how does the double helix of incorporation/non-incorporation, acceptance/rejection work that r­eflects within the socio-legal structure of citizenship? While the two countries offer a valuable comparison, we also ask where do Israel and Germany compare, and where do they diverge on the level of migration, labor, and citizenship policy, and in more mundane expressions of acceptance/rejection, incorporation/non-incorporation? To follow up on this agenda, we will examine the socio-legal and social structure of citizenship or permanent residency, and unravel the tie of the legal and the social spheres in both countries.

10.2 Theoretical Aspects: Citizenship Theory, the Construction, and the Treatment of Others Examining the nature of citizenship through only two lenses, liberal and republican traditions, we argue that the tension between these two traditions and the nature of the state reveals much about the nature of citizenship and identity in Israel and Germany. Furthermore, the constructions of citizenship—and with it inclusion—reveal as much about ideas and notions of non-citizens and the politics and economics of exclusion. In the liberal tradition, citizenship can be described as a bundle of rights. Here, the nature of citizenship is largely dependent on the rights of the individual within the state and civil rights, and the state-citizen relationship is paramount (Heater 1999).

3 http://www.mfa.gov.il/mfa/foreignpolicy/peace/guide/pages/declaration%20of%20 establishment%20of%20state%20of%20israel.aspx, accessed February 7, 2017.

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The concept of modern citizenship was born with the French Revolution4, with the idea that citizenship, and not race, ethnicity, religion or any other ­primordial status was supposed to make people members of the polity. The assurance of the equality of citizens was a critical endeavor (Marshall 1998; Heater 1999). Given that, in the liberal tradition, the state’s main purpose is to protect the civil rights of its citizenry, it has the obligation to protect its citizens from majorities passing illiberal laws, which might impinge upon civil rights (Spinner 1994). This makes the role of the state problematic, as the liberal tradition unequivocally asserts a minimalist state (Spinner 1994; Dagger 1994; Heater 1999). Since the boundaries between state and citizen are permeable, and the needs of citizen groups vary, it is possible for the state to become a more dominant player than intended (Smith 1999). Due to the fact that liberal theory stresses the importance of rights and leaves little room for obligations, the discussion of civic virtues is problematic (­ Renshon 2005) although in recent years, there has been a growing call for a role for civic virtues as part of the discourse of the liberal tradition (Dagger 1994; Heater 1999). In sum, the liberal tradition concentrates on the individual citizen, their relationship with the nation state and their civil rights (Waters 1989) in a minimalist manner, and as equally politically situated citizens. Recently, more scholars have been introducing the notion of virtues to the liberal debate on citizenship (Waters 1989; Dagger 1994; Heater 1999). However, most of them still consider the role of virtues to be marginal, while others who disagree try to formulate a new framework for the nature of citizenship, for example, Dagger’s (1994) ‘republican liberalism.’ Yet, the republican tradition has been playing an important role in how citizenship is lived. If the liberal tradition of citizenship is chiefly concerned with rights, its opposite is the republican tradition with its main concept of active-­ citizenship. When analyzing citizenship through the prism of the republican tradition, citizenship identity is an active experience that carries within it not just rights, which play a secondary role, but duties, in the name of determining, protecting and promoting the common good in order to strengthen the basis of connections between members and the state (Oldfield 1990; Peled 1992; Heater 1999). The focus of republican citizenship is the shared moral purpose, which originates a notion of civic virtue and criteria for membership in the community.

4This

is not to say that the French concept of citizenship is not underpinned by surreptitious discourses (cf. Simon and Clément 2006).

10  Working Hand or Humans? …

225

The major difference between the two traditions is that the liberal tradition views its citizens as individuals, while the central tenet of the republican ­citizenship tradition is the community. In the republican tradition, the republic itself is the community to which every individual must contribute to the common good. The community may be organic or created and/or imposed, which weaves the individual to the community of citizens (Schnapper 1998) or the Andersonian (1991) notion of “invisible community.” This new collective identity is usually a major component of the civic ­religion. By joining the nation (or accepting this identity) the individual becomes a part of something greater than himself and in the process, eliminates some of the individuality that is the source of his humanity (Cohen 1996, p. 802). Any individual who wants to join this community does not only need to fulfill the formal requirements, but they must be accepted, and in sync with a community of values (Anderson 2013). Heater (1999, p. 53) would counter that this is a functional aspect of citizenship: “(t)he purpose of (republican) citizenship is to connect the individual and the state in a symbiotic relationship so that a just and stable republican polity can be created and sustained and the individual citizen can enjoy freedom.” Through the collective of the state both are strong and stable, and individual rights and freedom are insured. However, individual rights and freedom, according to the republican tradition, should never precede the good of the community and/or the state.5 Not infrequently power-stakeholders manipulate this new collective identity as a rationale for exclusion from membership, othering those whom it wishes to exclude, engaging its own logic to determine the basis on which exclusion takes place (Honig 1998).

10.3 The Base of Inclusion: Civic Religion and Overlaps between the Legal and Social Spheres Civic religion is a religion that is at the service of the state (in the Israeli case the basis are Jewish religious symbols, those, however, can be interpreted as containing secular content, i.e., menorah, flag, etc.). It plays an important role in the republican tradition as a mechanism for socialization and the cultivation of a positive commitment to the state within the citizenry, as well as to differentiate between those who belong to the collective and those who do not. States tend

5A

central feature of the neo-republicanism comes as a reaction to criticism on the weak sense of community to which the liberal tradition led.

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toward one or another end, but we find that within societies, groups use their socio-political-cultural assets to pull the definition into different directions: the definition of citizenship is a continuous state-society discourse (Liebman and Don-Yehya 1983). In the Israeli case, we find three major elements, which have been considered central to republican membership: (a) a sense of patriotism/nationalism (b) military service and (c) civic religion. These aspects of republican-based citizenship are intrinsically related to the idea of Israel not just as “the home for the Jews” but home for the “New Jew” who is a self-assured, “single identified” Jewish citizen who understood that the state, embodied in a physical place, was their permanent home. The newest Basic Law, the Nationality Law of 2018 exemplifies this notion. It lacks the term equality and underlines that Israel is the home of the Jewish people, and that its sole official language is that of the New Jew: modern Hebrew. This law manifests that the expected connection—love of country, patriotism, Judaization—has taken place for a significant part of the Jewish Israeli population. This connection has been fostered and etched in through military service. Leaving the state, i.e., emigrating, remains a betrayal of the collective (Cohen 2007).6 In a state where security plays such a central role in survival and in politics, it is unremarkable that military service would be an integral part of republican citizenship while military participation is very limited for non-­Jewishnon-citizens (Yuval-Davis and Anthias 1989). Citizens who work to ensure a strong state and good policies are implementing political judgment, which, in the mind of the citizen-civilian is exactly what courage is to the citizen-soldier. Yuval-Davis and Anthias (ibid.) note that beyond the traditional scope of citizen soldier, women contribute to the protection and propagation of the nation (and of the state) by birthing, keeping traditions, and inculcating future generations. Germany, in its current territory is the result of World War II and the reunification of 1990. The former had led to vast losses of German territories and human life. The loss of land and the endeavor to create mono-ethnic nation states in Europe resulted in ethnic Germans7 being displaced to—mainly—West G ­ ermany from Central and Eastern Europe in the immediate post-war period ­(Steinert

6In

the Hebrew language this is referred to in a term that is charged with normative aspects and goes back directly to the ethos of Zionism – ‫ ירידה‬descending and ‫ עליה‬ascending. 7These Germans came only to be legally recognized as such by way of Nazi edict that had turned them into citizens of Nazi Germany after the Nazis had conquered the respective Eastern European countries, leading in consequence to their expulsion (Gosewinkel 2016).

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1995). For all those who were not displaced immediate access to German ­citizenship was based on their descent.8 Ethnic Germans and their immediate kin could immigrate to Germany, which means that Germany defined itself first and foremost as the home of all ethnic Germans, and thus continued legally and socially in its notion of being an ethno-nationalistic nation state. At the same time, the cold war, which had ensued post-1945 related to these ethnic Germans as pawns in a global power struggle (von Koppenfels 2001), which, in turn was facilitated domestically by the pre-existing notions of the descent base of Germanness, and German citizenship. The historical baseline of who is German—and who is not—was carried on into the new country (Wagner 2014).9 The self-definition is enshrined in the Basic Law10, and was part of the Kriegsfolgenbereinigungsgesetz (literally: law to even out the effects of war). Jus sanguinis remains the prime route to obtain citizenship, while jus soli offers another inroad, which is riddled with obstacles.11 Germany ties citizenship to fewer obligations than Israel. It abolished its military service in July 2011 for peace times. Unlike the construction of the Israeli new Jew, the new German12 is barely explicated but conveyed discursively by intermediaries. It is, supposedly, a citizen who learned from its country’s gruesome past, and disavows racism, stands for democracy, and a modern, if ethno-nationalistically based, nation state (Cohen and Kranz 2015). Populist movements and the right swing of the German electorate in recent state e­ lections question just how strong this new German really is, and how many ­Germans

8Citizens

of the former GDR were by definition included in the bracket of ethnic Germans, and had technically immediate access to West German citizenship too. 9The situation was different for German speaking, culturally and descent-wise Jews from Eastern Europe, who unlike their Christian counterparts might or might not be included into (West) German citizenry, and accepted as ‘German repatriates’ (Panagiotidis 2012). They lacked the crucial intermediary sphere of ‘Christian religion.’ 10Germany, like Israel, has no constitution. In Germany the Basic Law functions as a constitution replacement, and enshrines the basic tenets of the country, including the definition who is considered a German—and by that token has the right to German citizenship in Sec. 116 of the Basic Law. 11Under specific conditions, which are decided on a case by case basis, Germany knows discretionary citizenship. With specific countries dual citizenship is permitted by definition, with other countries it depends on the discretion of German authorities. 12That the ‘old’ German is hiding in the subtexts of society and has resurfaced with full force can be evidenced by populist movements like PEGIDA and an unprecedented right swing of the German electorate in recent elections.

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i­dentify with these ideals as the middle classes, and educated strata shows ­sympathies for these movements (Vorländer 2015). The right swing across the wider populations goes so far that researchers refer to the trend as the ‘uninhibited center’, as the previous taboos have increasingly fallen and the discourse gives increasingly more space to right, chauvinist, and nationalist attitudes that catch on in particular with the middle classes, which one had assumed to be core pillars of the new Germany (Decker et al. 2016). Germany does not use religious symbols in its flag or as a passport emblem, yet, hefty debates have taken place on whether public servants should be permitted to wear a head scarf—a key symbol for Islam in Germany, and opposed to the Germany specific consensus of ­laïcité—or if a cross can adorn a classroom, indicating that inter-religious as well as religious/secular conflicts in Germany are rife and that Christianity is more than just a religion (Anidjar 2015). Yet, in the present the largest minority ­religion, Islam has morphed into being the symbol of the other per se and ­‘burkinis’ dominated the German mainstream media in the summer 2016. In early 2018, the new minister of the interior and of home outlined that Islam does not belong to Germany in an interview with Germany’s most widely consumed newspaper (Bild, March 16, 2018). Pursuant, he outlined that Germany is a traditionally Christian country. In other words, moderate to secular version of Christianities13 infuse German culture publicly as well as privately although their role is contentious. Ultimately, the interpretation of these Christianities—mainly ­Catholics and Protestants—feeds back into historic constructions of Germanness and Christianity as linked (Panagiotidis 2012), white Germans as the normative group of citizens (Hauschild 1997; Shachar 2009), which pose on-going problems in the acceptance of ‘other’ Germans (Decker et al. 2014, 2016; Wagner 2014), or, as can be seen now, their rejection which is at the same time at odds with the Basic Law that enshrines freedom of religion. In the same vein, those who wish to use the inroad of jus soli need to make amends: by and far they need to choose Germany over all other countries, they must prove their mastery of the German language, culture and the basic tenets of German democracy with its underlying values (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2015); according to Anderson (2013) they must be able to join the ‘community of values.’ They also must renounce their citizenship of origin lest specific legalese applies, or discretionary permission is granted. Children of an

13The

ethnic German majority belongs to various Catholic or Protestant streams, or their families belonged to any of these denominations.

10  Working Hand or Humans? …

229

eligible non-citizen resident are an exemption. Since 2000 they obtain c­ itizenship upon birth on German soil if one of their parents has been a German resident for a specified period of time, which means of course that this parent might be a non-citizen but s/he speaks German and knows German culture as the permission of residence hinges on these parameters. This non-citizen parent can bestow access to German citizenship to their child, and this child will not have to decide between their parents’ and their German citizenship anymore since 2014. Yet, whether this permission remains is questionable as anti-migrant and anti-­nonGerman sentiment has been increasing (Bericht der Beauftragten 2016). None of this applies to jus sanguinis Germans, as evidenced by the mass migration of ethnic Germans after the fall of the iron curtain. They did not always speak ­German, while guest workers and their descendants might speak German natively, and have lived in the country for decades, but remain ethnic, or religious others, non-citizens and at times alienated residents (Kalmijn 2015—for pan-European data; Mandel 2008). Yet, once citizenship is obtained, all Germans have the same rights, which does not mean that structural disadvantages of non-ethnic German citizens cease to exist. At the same time, the descendants of naturalized guest workers might even make it to the national level of politics. Such an ascent of a naturalized non-Jew is so far unimaginable in Israel (Illouz 2013), although guest workers and their lobby groups have gained in visibility, not always in positive manner, due to their campaigning and challenging the hegemonic discourse.

10.4 Labor Migration in Israel and Germany 10.4.1 Israel Israel had a long history of hiring Palestinian (mainly Muslim) day laborers as a regular part of its labor force. Once this supply of labor was cut off during the 1988 civil uprising (Intifada), Israeli employers demanded workers to replace time-sensitive agricultural and construction workers.14 Manpower firms pressured the government to supply a steady stream of TLMs to fill a variety of low-paid, low-prestige jobs rather than modernize conditions or make jobs more appealing to Israelis (Bartram 2011). Israel may also have contracted with migrants to

14Nonetheless,

illegal Palestinians migrant laborers remain a permanent fixture in Israel – however, they are blocked from citizenship access, other socio-economic progress, mainly due to the ongoing Israeli-Palestinian conflict.

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­ eaken the Palestinian hand in negotiations (Raijman and Kemp 2007). There are w now anywhere between 250,000 and 350,000 TLMs—approximately two thirds of whom have fallen out of legal status. The Hebrew term for this group is ‘illegal workers’15, which does not negate that they work, although under the illegal ­bracket. TLMs comprise about 5 % of the total population and 11% of the labor force in Israel. Foreign workers come predominantly from Africa, Asia, Eastern Europe and South America (Nathan 2012). The Israeli government issues a limited number of permits to manpower firms with low skilled laborers annually, and only caregivers have no quota. To a limited extent, Israeli law has tried to protect the workers although labor relations are complex as employers are simultaneously responsible for offering work and for responding to workers’ complaints about it. As legal status is tied to their employment these workers are afraid to complain and lose their legal residency as well, as many paid high fees to work in Israel and are worried they will not be able to re-pay them if they are deported. Despite these precarious conditions, migrants remain in Israel and continue to remit funds (Harper and Zubida 2016). The World Bank (Ratha et al. 2011) reports that remittances flowing from Israel are ranked among the world’s top remitting countries. Furthermore, over time some migrants have formed families in Israel. Their children have sometimes found a home in Israel but often live on the periphery of Israeli society. Many of the 1200 ‘Israeli children’16 of these labor migrants, self-identify as Israelis, which is supported by them taking part in the school system, and by them being socialized as Israelis (Zubida et al. 2014). The Israeli government has practiced intermittent periods of acceptance and rejection of the foreign workers and their children. The practice of denying the petitions of TLM children in the political arena is linked to Jewish religious-nationalistic coalitions unlike the less religious centrist-nationalist coalitions known as national unity governments, which are more accepting of this community. Still, the number of workers and illegal workers continues to grow, as does their percentage in the total work force. Despite Israeli government protests that “(t)he State of Israel does not regard itself as an immigration country (for non-Jews)” (Nathan 2012), the tenure of workers is no longer based on time limited rotation

Hebrew “Ovdim Lo Huki’im” ‫ עובדים לא חוקיים‬illegal workers. number refers to the children that were known as ‘Israeli Childrenʼ – that were united by the NGO with a similar name that fought to adjust their status in Israel. For more information please see the web page of the NGO at: http://www.israeli-children.org.il/ about-the-oragnization, accessed February 7, 2017.

15In

16This

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initially envisioned by the government in the 1990s, and is becoming permanent yet not legalized. While these labor migrants usually come from countries of the global south, or poor East European countries, another batch of labor migrants exists in Israel: ‘mumhim zarim’ (foreign experts), who usually come from countries of the global north. About 2500 live and work in Israel at any time; there is no quota for them. While they are privileged in terms of their professions, and shielded by corporate lawyers (Kranz 2012), their sojourn in Israel is also time-limited. This in turn poses a striking contrast to Germany. Those who are highly skilled, and who can fill in labor market shortages can obtain permanent residence rather easily— Israel on the other hand has no policy to retain those highly skilled foreign, as in non-Jewish, experts, much to the chagrin of employers, and some ‘mumhim zarim’ must leave Israel again after their legally limited stay. In a nutshell, Israel to date has no policy that would allow integrating non-Jewish foreigners who came to Israel for reasons other than family reunion, and regardless of their level of skills.

10.4.2 Germany Based on the shortage of local laborers as a result of WWII and its aftermath, combined with the labor force needed to sustain the West German17 economic miracle, Germany signed hiring contracts with Italy (1955), Spain and Greece (1960), Turkey (1961) Morocco and South Korea (1963), Portugal (1964), ­Tunisia (1965) and, lastly, the former Yugoslavia (1968). Laborers recruited in these countries were usually unskilled, and a significant amount came from rural and impoverished regions (Rüzgar and Schaft 2014, p. 68). The German policy at the time was similar to the current Israeli one: the migrants were permitted to stay temporarily, it was not intended for them to settle, let alone naturalize. Much like the Hebrew term, the German term Gastarbeiter (guest worker) gives this idea

17To

date, the vast majority of all foreigners live in the former West of the country. While some migration from other socialist countries occurred to the GDR, it is numerically ­insignificant compared to West Germany. Furthermore, the integration in the former East are even more problematic than in the former West, and the level of xenophobia remain higher in the East (Decker et al. 2014, p. 61). Decker is part of a team at Leipzig University which has been conducting long-term research in this area since 2002. The research findings remain, problematically, stable, substantiating Aced’s et al. (2014) discourse analysis.

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away. By the early 1970s, however, it became clear that these guests had turned into permanent fixtures. Beside the problem of the guests staying, another problem was at bay: the families of the guest workers. German law enshrines the right to family reunion18, making spouses and children eligible for co-migration to Germany, which occurred in vast numbers but was only legally fixed in 1981 (Joppke 1998). Until this point in time, the migration of family members had been guided by decree –as is the case in Israel to date—but not by law (Joppke 1998, p. 284), underlining the distinction between German citizens whose right to family reunion is enshrined in the Basic Law as opposed to foreigners who might, or might not, benefit from what only in 1981 was reinterpreted as a “universal human right, and independent of national citizenship.” (ibid.). Mechanisms designed to integrate these unplanned permanent foreign residents were lacking—integration courses, that is courses to equip immigrants with skills in: German language, culture, and society19, only became legally mandatory 2005 (Bassen 2014, p. 136), with the implementation of the new residence law (Aufenthaltsgesetz). Prior to this date, the acquisition of language, and integration was deemed a private endeavor—as is the case with Israel to date. Unsurprisingly, the intersection of barriers to enter the German mainstream led to a high social cohesion amongst the guest workers and their families, buttressing segregation from German mainstream society, and leading to what was to become known as “parallel society” in German public, and academic discourse (Heitmeier and Schröder 1997). With the economic slowdown of the 1970s, West Germany did not require additional immigrants, and those in the country suffered from increasing unemployment rates (Rüzgar and Schaft 2014, p. 69). The existing hiring initiatives were terminated, and programs were launched to entice guest workers to return to their countries of origin20 . While the latter had some effect, many stayed in West Germany. Their staying in the country led to the scenario that is still palpable today, namely, immigrants still belong to the poorest group in the country, social marginalization as well as lack of contacts to native Germans is an issue, the parallel society discourse did very little to solve the problem, but it magnified it (Kaschuba 2007), and created ‘essentialized’ others (Chirot and Reid 1997).

18This

legal area is highly dynamic, and the requirement for co-migrating spouses (non-married partners are disregarded) has been changing throughout since the founding of West Germany in 1949 (Block 2016). 19The contents of the courses remain contentious (cf. Bassen 2014). 20These initiatives remain in effect; see www.bamf.de/DE/Rueckkehrfoerderung/rueckkehrfoerderung-node.html, accessed February 7, 2017.

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It is also evident among the different groups of immigrants that the actual, and assumed closeness constructed by way of shades of whiteness, and reified by way of cultural and religious similarity to German mainstream society plays a crucial role (Decker et al. 2014, p. 67, 2016; Wagner 2014). While each of the European labor migrant groups suffered from initial discrimination, the integration of guest workers of Christian religion into German society is much better than that of Turks, Moroccans, and Tunisians who are Muslims in their majority (Kalmijn 2015). The European foreigners moved from guest workers to immigrants and then EU citizens (or were shielded by their Christian heritage in the case of ex-Yugoslavians), while Turks, Moroccans and Tunisians21 came to represent in public discourse the acronym for the negatively connoted term Ausländer ­(foreigner), and pursuant as failing immigrants who never really integrated, failed in the educational system, and who came to be perceived as an increasing threat and not being able to integrate into German mainstream society (Kaschuba 2008).22 Negative perceptions for their religion, Islam, tied strongly into this nexus. If and in how far Islam23 forms part of Germany, or more like if it can be integrated into Germanness remains an on-going, and often polemically conducted argument of two increasingly vitriolically opposed camps as we have shown. This debate takes place across media outlets, in political debates, and it is fired up by the discursively constructed refugee crisis, which serves as a smoke screen for pre-existing, domestic problems (Kranz 2018). The new desirable immigrants: Make It in Germany In 2013, Germany launched a campaign: ‘Make it in Germany.’ The aim of this initiative is to selectively recruit skilled and semi-skilled workers for professions that suffer shortages. German language skills are required in order to foreclose

21Individuals

of Maghrebian descent or who immigrated from the Maghreb countries have been subject to increasing negative publicity in the wake of the discoursively constructed refugee crisis since 2015. 22The book Deutschland schafft sich ab (Germany abolishes itself) by Thilo Sarrazin (2010) triggered a strong public debate about the immigration to Germany in 2013. Sarrazin’s book is right-wing and brought to the fore problematic areas of migration policy and migration, while blaming immigrants for the current state of affairs, and furthermore, discrediting them as genetically different to ‘native’ Germans. 23A similar discussion took part during the so-called ‘circumcision debate’ in the summer of 2012, when male circumcision for religious reasons became a major issue and both circumcising religions, Islam and Judaism, were similarly disparaged evidencing that neither Islam nor Judaism are part of the hegemonic German mainstream.

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attempts of mass migration. Unlike in the 1950s and 1960s, there are no state treaties, and the workers are targeted directly via an elaborate online presence in India, Indonesia, and Vietnam.24 The candidates are scanned carefully, job postings are individualized, visas for the potential immigrants and their families are prearranged. Germany’s desired new immigrants are hand selected, their personal and family needs are taken into consideration: permanent residence, and even citizenship is on the horizon. One research project found that the children of these new immigrants, especially those from Vietnamese families, ‘overachieve’ in schools (El-Mafaalani 2013). Yet, no data exist so far on the social integration of these new immigrant groups, their friendship networks, or those of their children. Yet, negative depictions of them like of the Muslim Gastarbeiter do not exist. Between invisibility and facing deportation: EU citizen immigrants Citizens of EU countries hold the right to live, and work in Germany. There are notable differences in the perception of fellow EU citizens that reflect on the perceived status of their native country: citizens from the ‘old’, Western EU, are perceived differently compared with citizens from the ‘new’ EU countries. Similarly, Bulgarian and Romanian citizens received the same entitlements as other EU citizens only in early 2014, leading to a strong increase of immigrants from these countries, who have been publicly dubbed Armutsflüchtlinge (poverty refugees). These ‘refugees’ were eyed with suspicion especially after it emerged that some took advantage of the German social system (Schwarz and Martens 2014).25 At the same time, others from these countries were exploited by their employers, and subjected to work conditions that undercut local laborers, leading to demands of a minimum wage (Leubecher 2015). While EU migrant workers are stratified by way of their country of origin, and level of professional engagement, they are privileged legally, and benefit from a more positive perception based on their whiteness (Wagner 2014). ­Negative stereotypes that relate to Muslims do not apply to them. Germany, unlike Israel, is interested in keeping highly qualified foreigners in the country in general, although an informal stratification between the different citizenships exist.

24www.make-it-in-germany.com,

accessed February 7, 2017. perception became more problematic when it emerged that a significant number were Sinti and Roma, a minority that suffers from general prejudice in Germany (Antidiskrimierungsstelle des Bundes, ADS, 2013, http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Pressearchiv/DE/2013/Internationaler%20Tag%20der%20Roma_20130405.html), accessed February 11, 2017.

25This

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­ enerally, these individuals are a valuable human resource. The same applies to G citizens of non-EU countries who are highly qualified: while there is a definite stratification, and intersections apply, those who are qualified easily obtain permanent resident status. They can naturalize in due course, and in some cases keep their citizenship of origin. To conclude, labor migrants in Germany are a stratified group, differentiated by their native country, levels of education, rights, religion, and perception by the German majority. The policies concerning the initial guest workers did not come out of nowhere, neither do the debates about ‘poverty refugees’, and the invisibility of (most) EU citizens (or global northerners). Their different social perceptions and legal statuses provide clues about German national identity, long-standing prejudices, which reflected in the rights, or lack thereof, of foreigners (Raijman et al. 2003). Germans, like Israelis, have a clear ranking of who should be able to obtain German citizenship (Raijman 2012). This citizenship can neither be unmoored from intermediary spheres of language and culture (Preuss 2003), nor religion (Panagiotidis 2012), nor from the issue of whiteness, which often remains un-reflected (Wagner 2014), but the social and education class of labor migrants plays a key role in their integration into, marginalization, or legal rejection in everyday life. At the same time, German citizenship law, the highly complex, socio-legal sibling of debates about ‘Germanness’ remains a legally highly dynamic area. Hence, on all levels, German policy towards labor migration, citizenship and everyday life lead to murky waters of an identity matrix, which constantly changes, at times in an explosive manner.

10.5 Concluding Remarks—Ethno-Religious Citizenship Discourse Looking at both the German and Israeli cases unveils a mixed pattern of comparison. On the one hand we can find similarities between the two cases: religion plays a significant role—in Israel religion is an inclusive mechanism for Jews— and it is out in the open as a defining pillar of Israel as a Jewish state. In Germany religion also plays a significant role—however, it is used as an exclusive mechanism to exclude non-Christian others, currently mainly Muslims and historically Jews (Anidjar 2003; Gosewinkel 2016). Moreover, in both countries religion is embedded in the underlying national concept. This makes it hard to impossible for foreigners and ethno-religious others to be included in the national body, i.e. gain citizenship, and in case they pass the citizenship threshold they still are excluded from the national ethos and

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narrative of a positive emotional belonging and might never become part of it. In Israel and Germany the ethno-national concept is central to the personal belonging26 and social acceptance. Yet, within the realm of differentiation between locals and foreigners on the base of religion explicitly as part of the national definition the countries separate. In the Israeli case this is a public and known practice, which is embedded in the declaration of establishment of the Israeli state and defines it as first Jewish and only after democratic; in the German case this practice does exist. It is latent, there are no legal or constitutional bases for this practice—it is solely moored in underlying baseline attitudes that result in specific practices of exclusion (Aced et al. 2014; Cohen and Kranz 2015; Panagiotidis 2012). This leads to the question of social integration: are there any paths of ­integration for non-co-ethnic incomers in these countries? For the German case the answer is layered, as personal belonging and social inclusion might conflict but are constructed in dependence on religion, education and generational status. The benchmark criteria are not set in any formal way and can be a combination for acceptance or for rejection—the “decision” to integrate or not goes back to social practices, which are informal and fluid—that are embedded in the social praxis. On the contrary, in the Israeli case—the question of belonging transcends the formal criteria of citizenship—and is focused on one issue—religion. For example, citizens of the non-ethno-religious Jewish group are formally part of the state, they are part of the citizenry and technically they are eligible for full equality. However, if they are not Jews or not rabbinically recognized as Jews27 they will not become full members of the collective regardless of any social praxis, or them having undergone a ‘social conversion’ (Harper and Zubida 2010a, b). If we examine the legal structure in both cases we find significant differences between the two cases. On the one hand, in Germany the regulation of acceptance is based on primary laws and legislation which makes it transparent, regulated and justiciable.28 On the other hand, the Israeli case presents us mainly with directives—non-legislated ones which allow the state to use un-reflected identity investments of individual Israeli case workers who are equipped with full discretionary powers (Kranz 2016). By that token, the social and legal exclusionary

26Karen

Körber elaborated on this lack of belonging and to be more than just German citizens in regard to Russian speaking Jewish youngsters (Körber 2018). 27According to the orthodox interpretation of the Halacha. 28As Joppke (1998) outlined this transparency did not always exist, and decisions based on decree concerning family reunion for non-German citizens existed until 1981.

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mechanism in Israel is based on deeply held identity praxes that do not even need to be enshrined in formalized legislature. By the same token, by not enshrining them into legalese the state decreases the risk to include unwanted others as they have no legal leg to litigate for malpractice or discrimination (Kemp and Kfir 2016). Finally, based on these different social and legal logics, non-governmental organizations (NGOs) as representatives of German, and Israeli civil society, respectively, occupy different statuses. Their ability to significantly affect the discourse differ significantly. The local German NGO’s also have a major impact on the country’s socio-legal conduct towards immigrants (and refugees)—and in the German case most of these NGO’s are locally funded and supported by local Germans. The Israeli case shows the opposite. On a state level Israel is not tied to any supranational law like Germany to EU law, granting non-ethnic Germans immigration rights by way of their citizenship. The state of Israel, during the post WWII era, was the one of the initiators of the UN “Convention Relating to the Status of Refugees”29 and signed the convention. When it comes to implementing the convention at present for refugees and asylum seekers Israel does not practice it due to various arguments, most of them technical, the most significant one relies on the fact that the asylum seekers and refugees traversed Egypt after fleeing their home countries and should have stayed in Egypt. ­Moreover, the majority of the Israeli public does not support financially or socially civil rights NGO’s. As a result, most of the funds are directed via foreign states. This resulted in a campaign against NGO’s based on the fact that these illegitimately interfere in domestic affairs, which eventually led the Israeli Knesset to legislate a law known as the “transparency law.” According to the bill all NGO’s that receive funds from foreign states will have to report the source of their funding in a clear and observable way on every publication and disclose it in every discussion. The NGO personnel will have to state publicly the name of the NGO they belong to when in meetings with government officials and will obey to stricter transparency codes than NGO’s that are locally funded. To conclude—as can be seen from the analysis above—both countries present us with a socio-legal structure which makes it hard for non-co-ethnic TLMs or non-co-ethnic immigrants of any kind to permeate the majority society. The permeability of these societies to immigrants and foreigners changes due to intersections with ethno-religious and socially determined legal practices—these can

29http://www.unhcr.org/3b66c2aa10

accessed February 7, 2017.

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be seen above as not common in both states. We argue that the expressions of these praxes are socio-historically based and the permission/ability/willingness to express them socially and within law varies between Israel and Germany.

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Dani Kranz  ist Direktorin von Two Foxes Consulting, Senior Research Affiliate an der Bergischen Universität Wuppertal sowie External Research Affiliate am Zelikovitz Center for Jewish Studies, Carleton University, Ottawa, Kanada. Ihr akademischer Hintergrund sind Sozialanthropologie, Sozialpsychologie und Geschichte, ihre Expertise liegt in den Bereichen der Migrations- und Ethnizitätsforschung, Rechtsanthropologie, Anthropologie des Staates/Staatlichkeit, sowie der angewandten Anthropologie. Ihre gegenwärtige Forschung stellt die Trialektik von Juden, Muslimen und Christen in Deutschland in

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D. Kranz and H. Zubida

ihren Mittelpunkt. Ihre primären geografischen Forschungsgebiete sind Deutschland und Israel/Palästina, wo sie sowohl im Rahmen von Langzeitethnografien als auch mit Mixed ­Methods Ansätzen forscht. Sie lebt in Deutschland und Israel.

Hani Zubida  ist Aktivist und Wissenschaftler in Israel; er ist zudem medial präsent. Er ist Professor für Politikwissenschaft am Max Stern Yzreel Valley College in Afula. In seiner Forschung und seinen Veröffentlichungen beschäftigt er sich unter anderem mit den Themen Arbeitsmigration und Remittance, der Genese sozialer Grenzen, Identität, Fußball, Nationalität und Ethnizität sowie politischen Prozessen. Hani Zubida veröffentlicht in zahlreichen wissenschaftlichen Zeitschriften und Büchern zu diesen Themen. Derzeit lebt er in Israel.

Inside Participation, Outside Citizenship: What We Can Learn about Citizenship from Undocumented Youth

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Elizabeth Benedict Christensen

Abstract

Currently in the United States, approximately 2.1 million children and youth are “undocumented” or without legal status. Due to the 1982 Supreme Court Case, Plyler v. Doe, these children have the right to basic education; from kindergarten through high school (K-12), immigration status cannot be checked or used as a means to bar these children from education. Thus, undocumented children and youth are inside participation, but outside citizenship status while growing up in the United States. With qualitative data constructed in conjunction with thirty-three undocumented youth, this chapter explores how participation in everyday life, social activities, and education structures undocumented youth’s understanding and experiences of citizenship. Because this particular immigrant population straddles the boundaries of inclusion and exclusion, their unique experiences allow for fruitful discussion about “lived citizenship,” e.g. citizenship which is defined and earned via participation in everyday life, regardless of legal citizenship status. Empirical findings demonstrate that undocumented children and youth consider themselves to be U.S. citizens precisely because of their inclusion in the educational system and participation in everyday activities―even when they know they are undocumented growing up.

E. Benedict Christensen (*)  Copenhagen Business School, Frederiksberg, Dänemark E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. J. Grünendahl et al. (Hrsg.), Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion, Studien zur Migrations- und Integrationspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25534-3_11

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E. Benedict Christensen

Keywords

1.5 generation youth · Undocumented · Children’s & youth’s citizenship · Participation parity

11.1 Introduction Approximately 2.1 million undocumented youth currently reside in the United States—many of whom have spent the majority of their lives there (Batalova and McHugh 2010; Passel et al. 2014). Due to the Supreme Court Case, Plyler v. Doe (1982), all children living in the United States are entitled to a free primary and secondary (K-12) education, regardless of immigration status (Olivas 2005). Thus, undocumented children and youth are recognized as individuals deserving of certain rights and protections from the onset of their lives in the United States. Due to their systematic inclusion in the educational system, undocumented children and youth are socialized in everyday life in ways vastly unlike their undocumented adult peers (e.g. Abrego 2011; Cebulko 2014; Gonzales 2011; Gonzales et al. 2013; Suárez-Orozco et al. 2011). Furthermore, immigration scholars have argued that individuals who migrate at young ages neither neatly resemble first nor second generation immigrants’ educational, social, and cultural experiences (e.g. Cebulko 2014; Gonzales 2015; Rumbaut 1976; Suárez-Orozco and Suárez-Orozco 2001). Rumbaut (1976) thus created the term “1.5 generation” to capture the unique experiences of individuals who were born in one country, but migrated at or before the age of twelve. Depending upon when these individuals migrated, they may or may not remember their homelands and hold on to their past ways of belonging culturally, socially, and educationally. In contrast to the first generation, who immigrated as adults, the 1.5 generation grows up and is socialized in their host country: the United States. Both the immigration cohort and the Plyler v. Doe (1982) ruling make the 1.5 generation’s experiences particularly different from their adult contemporaries. The 1.5 generation undocumented youth are systematically included as members in everyday life and students in the educational system―a vast contrast to the undocumented adults who are laborers living on the margins of society. However, the 1.5 generation’s recognition as validated members, individuals in need of protection, and people worthy of inclusion is temporal. Once they reach adulthood and exit high school, their everyday lives are marked by

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exclusion, rather than inclusion, as there is no easy path to tertiary education, ­citizenship, or the labor market. Scholars (e.g. Gonzales et al. 2013) have therefore argued that “these young people who migrate with their parents at early ages, and grow up in the United States, move through confusing and contradictory experiences of belonging and rejection as they make critical transitions to adolescence and adulthood” (p. 1175). These undocumented youth thus have experiences inside participation, but outside citizenship in their childhoods. However, at the time of writing, all undocumented individuals have a particularly tenuous future in the United States―children, youth, and adults alike. The Development, Relief, and Education for Alien Minors Act (“DREAM Act”) proposed in 2001 has never passed, which means there is neither a way to adjust undocumented status to “legal,” nor a pathway to citizenship (see e.g. American Immigration Council 2011). Through Deferred Action for Childhood Arrivals (DACA), some undocumented youth have been eligible for a two-year legal stay, including authorization for state-based driver’s licenses and employment (e.g. USCIS 2016). At the time of writing, the future of DACA remains unknown; information on the United States Customs and Immigration Services website refers to the rescindment of DACA, followed by court orders reinstating acceptance of applications. Importantly, individuals who qualify for and receive DACA are not immune to deportation; DACA is temporary and does not provide a pathway to legal status. For decades, while the presence of 1.5 generation undocumented youth was largely known, it was also largely accepted. These youth were not generally targeted for deportation unless they had a criminal background. However, given the recent and ongoing changes in United States immigration policy, Shear and Nixon (2017) find that these youth have an uncertain attachment to the United States: “President Trump has directed his administration to enforce the nation’s immigration laws more aggressively, unleashing the full force of the federal government to find, arrest and deport those in the country illegally, regardless of whether they have committed serious crimes.” As such, the experiences of 1.5 generation undocumented youth documented within this chapter may dramatically change in the coming months or years. By qualitatively exploring the experiences of 1.5 generation undocumented youth, I shed light on how participation in everyday life structures these youth’s understanding and expectations of citizenship. Through the concepts of “participation parity” (Fraser 2001) and the “everyday” (de Certeau 1984; ­Lefebvre 1984), I explore 1.5 generation undocumented youth’s lived experiences of ­citizenship. Citizenship scholars have claimed that in addition to the nation state,

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citizenship is experienced and expressed at the local level via everyday practices (e.g. Fenster 2005; Hopkins and Blackwood 2011; Purcell 2003; Varsanyi 2006). Though the individuals included in this study are undocumented and thus not citizens, their everyday practices and experiences nonetheless offer important, qualitative contributions to citizenship studies. Firstly, I explore what “citizenship” means to this population, adding empirical knowledge to the field of study. Secondly, I examine how everyday participation structures both the understanding of and expectations of citizenship in the United States. Thirdly, I find that citizenship is conceptualized through experiences of everyday participation, rather than citizenship or legal status. This chapter takes its departure from my dissertation, which focused on the way 1.5 generation undocumented youth experienced and coped with sense of belonging in their everyday lives. I particularly focus on how some 1.5 generation undocumented youth view themselves as citizens in relation to their American peers. Through participation in the educational system, youth learn English; embrace what they call “American norms” in terms of food, music, and pledging allegiance to the American flag; build friendships, and often have no reason to question their immigration status. Notably, even undocumented children and youth who knew of their non-legal status growing up often fail to see the difference between themselves and their legal American peers precisely because of their participation parity. As such, studying the experiences of 1.5 generation undocumented youth can reveal the “double-edged nature of citizenship” (Gonzales 2015, p. 7; see also Gonzales 2011): individuals who are not citizens can perceive of themselves as such, just as individuals who are citizens do not necessarily identify with their country of citizenship.

11.2 Theoretical Traditions T.H. Marshall’s theory of citizenship (1950) entails the relationship between a subject and a governing body and the civil, social, and political rights and responsibilities that result from this relationship. Though his definition does not go uncontested, he is often cited as laying the framework for modern citizenship studies (e.g. Baubock 2003; Turner 1990). However, since Marshall, a number of scholars have cited the modern-day difficulty in defining citizenship (Purcell 2003), especially as both immigration and globalization fundamentally challenge the classic, nation-state based citizenship model (e.g. Bloemraad et al. 2008; Christensen and Jensen 2011; Delanty 2003). While critically, ­undocumented

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immigrants are not citizens of the state or governing body they live in, it is also acknowledged that there has never been precise overlap between nation-state boundaries and the residents of those states (e.g. Yuval-Davis 2006) and further, that undocumented immigration is becoming more prominent specifically because of globalization (e.g. Varsanyi 2006). Being recognized as a citizen in a nation is not merely a symbolic or legal ­matter, but rather a phenomenon that has implications for everyday life. Sociologist Warming (2011) has argued that “full citizenship comprises more rights than just the right of participation” (np). Immigration scholar Menjívar (2006) has written that legal status―or lack thereof―shapes a person’s identity, their interactions and relationships with others, their participation in their local communities, and their connections to their homelands. Citizenship scholars have emphasized that there are multiple dimensions of citizenship, for example, citizenship as legal status, rights, activity, and sentiment―all of which influence each other (e.g. Baubock 2003; Bosniak 2000; Carens 2000; Kostakopoulou 2003). Delanty (2003) has researched “citizenship identity,” which he conceptualized as the subjective feelings of belonging to and identification with one’s society. The inclusion of the psychological dimension of citizenship―of how individuals construct their collective identity and sentiment to a nation—is gaining traction within citizenship studies (e.g. Bosniak 2000; Carens 2000; Coutin 1999). Some scholars increasingly argue that how individuals feel about their place in society is just as important to citizenship as legal identity (e.g. Bloemraad et al. 2008; Kostakopoulou 2003). Scholars of citizenship studies have argued that in addition to the macro and nation state level, citizenship is also experienced through local, micro practices in everyday life (e.g. Baubock 2003; Fenster 2005; Hopkins and Blackwood 2011; Purcell 2003; Varsanyi 2006). Thus, it is not only legal status and identification that are important to citizenship, but also how individuals experience and perceive their positions in their societies through the most banal everyday interactions. While this psychological and sentimental aspect of citizenship is an important and under-explored dimension, so too is what children’s citizenship scholar Warming (2011) calls the “generational order perspective.” Warming (2011) observed that Marshall and other citizenship scholars did not take children’s perspectives into account when theorizing citizenship. Thus, a study that focuses on micro-level interactions, sentiments, and children’s perspectives can reveal important dynamics about citizenship that are often taken for granted. Various citizenship scholars (e.g. Hopkins and Blackwood 2011; Lister et al. 2003; Miller-Idriss 2006) have argued that their colleagues often focus on how citizenship is produced from above via structures, i­nstitutions,

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E. Benedict Christensen

and policies to the detriment of understanding how citizenship is lived and ­experienced from below. Miller-Idriss (2006) therefore argued that as a result of focusing on legal and institutional structures, “we have come to think of citizenship as a fairly unified and static concept” (p. 541), though inarguably, citizenship is not a uniform experience. Scholars have also argued that due to the paucity of empirical studies, “we know very little about what it means to individuals to be citizens or how their identities as citizens influence their everyday lives” (Lister et al. 2003, p. 543). Therefore, it is perhaps unsurprising that some scholars have begun urging researchers to move “out of the laboratory to explore the everyday interactions that citizenship research increasingly directs us to” (Hopkins and Blackwood 2011, p. 218). The 1.5 generation undocumented youth represent a particularly interesting case in relation to citizenship studies because they were born in one country, but socialized in a second country; may or may not have two points of cultural, social, and educational reference; and are systematically included in the fabric of the United States as members and students in contrast to their parents or first generation undocumented adults, who are laborers and on the margins of society. Because of this, Gonzales (2015) has argued that in relation to first generation adult immigrants, the 1.5 generation undocumented youth occupy a relatively privileged position, which leads to “a more stable point of entry into American society” (p. 9). Gonzales (2015) has furthermore argued that during their early lives, 1.5 generation undocumented youth “enjoy spaces of belonging that supersede legal citizenship” (p. 5). Processes of educational inclusion extend the right to participate in everyday life on a par with peers, not only educating and socializing these youth, but also recognizing and legitimizing them as members of society. However, this recognition as rights-bearers in need of and entitled to special protection, as well as validated members of society is short-term; as these individuals enter adulthood, they no longer have the right to participate on par with peers in everyday life and experience challenges accessing university education, the labor market, and achieving upward mobility (e.g. Abrego and Gonzales 2010). Nonetheless, their everyday, early childhood lives are marked by inclusion, participation, and protection. Attention to the concept of the “everyday” is thus important, but often overlooked in scholarly literature. Lefebvre (1984) has argued that because the everyday is an omnipresent experience, it is often taken to be ­“(apparently) insignificant” (p. 24) and “taken for granted” (p. 24). He has furthermore written that everyday activities “follow each other in such a regular, unvarying succession that those concerned have no call to question their sequence” (p. 24).

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Both L ­ efebvre (1984) and de Certeau (1984) have acknowledged that tasks such as working, ­commuting, talking, reading, moving, cooking, shopping, and paying bills are ­common, everyday activities that are conducted with such frequency that they are often engrained, unreflected, and routine. However, in my research I discovered that everyday life is anything but banal for 1.5 generation undocumented youth who are acutely aware of the situations, locations, and interactions that might cause discomfort, insecurity, and compromised sense of self. This particular chapter focuses on the relationship between everyday life, ­participation parity, and constructions of citizenship. As such, it incorporates youth’s memories of participation in childhood, which requires attention to the concept of “participation parity” (Fraser 2001), a sub-concept from recognition theory. Fraser and Honneth (2003) defined “reciprocal recognition” as the capability of “participating on par with one another in social life” (p. 29). Fraser’s (2001) concept of participation parity captures the same phenomenon: having equal opportunities for participation in everyday life. Fraser (2001) argued that there is a subjective and objective condition to participation parity; the subjective condition is intersubjective, entails the social sphere, and necessitates equal respect to achieve equal opportunity. The objective condition requires material resources to be equally distributed while ensuring an individual’s independence and ­eliminating inequality, dependence, exploitation, and disparity. The objective condition further captures how external structures such as policies and resources promote or prohibit such participation. Though neither Fraser nor Honneth specifically researched or discussed undocumented immigrants, the concept of participation parity—the ability to participate on par with peers in everyday life—can be extended to their experiences in childhood in relation to educational inclusion. In the United States, undocumented children are eligible to participate in everyday life in the educational sphere precisely due to the protections and rights extended by Plyler v. Doe (1982). In doing so, they are not only participating, but also contributing to their societies as quasi-equals. They participate in their host society in ways that are commensurate with their particular life stage and also learn what being “American” entails. Thus, the concept of participation parity can help illuminate how educational participation facilitates how 1.5 generation undocumented youth come to consider themselves members, if not also citizens of the United States―even when they know they are undocumented. As empirical data reveals, as youth learn English, embrace cultural norms, and develop friendships, they also view themselves, their participation, and their membership in relation to their American peers.

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11.3 Research Methods To explore the relationship between participation parity, everyday life, and citizenship, as well as contribute to citizenship and undocumented research, I have followed the advice of a number of scholars who have argued for the need to study these experiences through qualitative methods. This includes researchers who have argued for qualitative methods in researching the children of immigration, e.g. both the children of immigrants and children who have migrated (e.g. Gonzales 2011; Suárez-Orozco and Suárez-Orozco 2001); 1.5 generation immigrants (e.g. Benesch 2008; Kebede 2010; Kim et al. 2003); what citizenship and legal status means for individuals (e.g. Hopkins and Blackwood 2011; Lister et al. 2003; Miller-Idriss 2006); undocumented immigrant youth (e.g. Cebulko 2014; Gonzales 2011; Suárez-Orozco et al. 2011; Willen 2007); and the effects of undocumented legal status on the everyday experiences of immigrants (e.g. Cebulko 2014; Gonzales 2007, 2011; Gonzales and Chavez 2012; Willen 2007). My study was non-hypothesis driven, but rather exploratory and designed to capture a range of emotional experiences related to the phenomenon of living and experiencing everyday life with undocumented ­status. Taking inspiration from immigration and citizenship scholars, and qualitative researchers, firsthand accounts are necessary. As Kvale and Brinkmann (2009) have argued: “qualitative research interviews give voice to people in expressing their opinions, hopes, and worries in their own words” (p. 311). Atkinson (1998) has also written “if we want to know the unique experience and perspective of an individual, there is no better way to get this than in the person’s own voice” (p. 5). Furthermore, Thomsen (2012) wrote in her research specifically on undocumented immigrants that it is imperative “to give the migrants themselves a voice so that their experiences of the migration process are exposed, and their narrations used as valid empirical data for understanding and conceptualizing irregular migration” (p. 101). Finally, both Sigona (2012) and Willen (2007) have acknowledged the importance of studying the impact of “illegality” in immigrants’ everyday, embodied experiences of being-in-the world in everyday life. In order to elicit the experiences, voices, emotions, and perspectives from 1.5 generation undocumented youth, I conducted semi-structured interviews with thirty-three undocumented youth. To recruit and gain the trust of these individuals, I used four methods to gain access: 1. contacting organizations working with and for (undocumented) immigrants and their rights; 2. searching the internet for

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articles written by or about 1.5 generation undocumented youth; 3. my p­ ersonal network working within education; and 4. purposive sampling via snowball ­recruitment. Interviews were conducted in 2012 in Connecticut, New Jersey, New York, Pennsylvania, Massachusetts, and Texas. These locations were explicitly chosen, as there is a documented paucity of research on the experiences of undocumented immigrants living outside of California (e.g. Cebulko 2014). Interviews lasted between one-and-a-half and three hours and were conducted only after I had discussed voluntary participation and research ethics and received informed consent from each participant. All interviews were recorded and transcribed by me personally, and then recordings were destroyed. I analysed the more than thousand pages of qualitative data through content analysis, a flexible method for organizing and processing data into thematic categories, so as to understand a particular phenomenon―in this case, how undocumented youth experience their everyday lives in and out of citizenship. The empirical data represented in this chapter constitutes a small portion of the overall interview material and questions which focused on everyday life, for example about how and when youth found out about their undocumented legal status; the everyday challenges status presented them in school, work, friendships, transportation and beyond; and if they shared this information with their network or purposely hid it. As the interviews were semi-structured, I let the conversation flow as organically as possible. However, I always asked the same first question: “tell me your immigration story.” This incredibly open-ended question led to important information about how individuals crossed rivers and borders with coyotes or arrived in the United States on a tourist visa via plane, illustrating the great lengths immigrants go through to come to the United States and how individuals skirt the boundaries of legality.

11.4 Discussion In this section, I integrate qualitative research with 1.5 generation undocumented youth to contribute empirical understanding about what citizenship means to children and youth with neither legal nor citizenship status. In particular, I find that participation in everyday life, the acquisition of knowledge, growing up in the United States, and the establishment of attachments and relationships are fundamental not only for how children and youth define citizenship, but also how they come to view themselves as citizens in their host society.

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11.4.1 Growing up  “American” During the interview with Gabriela, a Brazilian-American woman who came to Connecticut at the age of seven, we discussed her perceptions of “home.” As part of her answer, Gabriela emphasized the role that age and time played in her construction of home: “[Brazil] is not really my home anymore. This is. I’ve grown up here. I have been here for fifteen years…that is where I came from, it’s not home.” The process of growing up “American” in the United States means that not only length of time, but also the particular age and life stage of immigrants are important to consider in constructions of home and integration processes. Gabriela continued to discuss the differences between immigration as an adult or a child and said “when you are adult and come here…you can always go back because you do remember more of the country where you came from…If you came here when you were young, it’s kind of a difficult situation. You have grown up here and…you always think this is your home.” For Gabriela, going back to her homeland would be difficult, as she would have neither the same memories nor frame of references as her undocumented parents. Brazilian-born Gustavo shared similar perceptions about growing up in the United States, including how length of time in his current home has fostered a sense of identity to his host country. Gustavo arrived in Massachusetts at the age of nine and explained I have grown up here. I have spent most of my life here…and I have grown a sense of nationalism to America. You know? Even patriotism to America. Of course, I still have the Brazilian heritage behind me, but I have spent most of my life here. This is where I have assimilated fully, into every aspect. Into politics, the culture, unhealthy food…

Critically, however, the sense of patriotism, nationalism, and assimilation that Gustavo feels is a result of not only embracing cultural norms, but also learning them through participation in everyday life and attendance in school. Mexican-born Sofía arrived in Texas at the age of five and did not know while growing up that she was undocumented. Sofía recalled moving from Mexico to the United States, but was explicitly told by her parents to never disclose this information; she was instructed to tell anyone who asked that she was born in the United States. Sofía grew up in a community with a strong Mexican heritage and immigrants who were both documented and undocumented, so being Mexican was quite common. However, Sofía remembered that her parents emphasized her participation in school and extracurricular activities over participating in events with the Mexican community, including immigrant protests. Sofía recalled that growing up, there were immigrant marches, protests, or a “day without a Mexican,” where Mexican

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immigrants would stay home from work to make visible their contributions to the community. While Sofía recalled wondering “is it good to be Mexican? Is it bad to be Mexican?” her parents withheld her participation in these marches in favor of her attendance in school. Sofía remembered “coming into the classroom and literally about more than half of the class was gone, because they were all immigrants. All the students were gone because the kids were with the parents, marching.” She added My parents always stressed education. They said “I don’t care what everyone around you is doing, you are going to go to class.” So, I never actually participated. I never really knew what it meant, to tell you the truth. My parents never participated, either. They very much kept to themselves. It was like they were not really wanting to get involved in the whole political situation.

Though Sofía has since changed―and when we met was very politically active— she recalled that at the heart of her parents’ focus was their desire for her to “be like a normal American:” to participate in education and pursue extracurricular activities like student government and karate with other American peers. Ofelia, who emigrated from Colombia to Massachusetts at age twelve, also referenced a desire to be the “most American” she could be while growing up: I always have problems with my identity, saying “who am I?” I came to the country when I was twelve. I was very little and I didn’t do all of my growing up in Colombia, so I couldn’t define myself as a Colombian person, and then I came here and I couldn’t define myself as an American person because I had an accent, I was different, my skin was darker.

Ofelia’s comments illustrate the intersection between sentiments, identity, and nationality and furthermore, the confusion between these phenomena for 1.5 generation immigrants. Yet again, there is reference to age at migration in relation to these confusing questions―particularly due to the dual frames of reference. Because Ofelia left Colombia at age twelve, she was young and did not complete all of her socialization processes in her homeland and therefore felt as if she could not define herself, her practices, and her sense of citizenship in relation to Colombia. Yet at the same time, she neither completely felt nor identified with being American because she felt, looked, and spoke differently. Both her physical appearance and her accent presented difficulties in relation to defining who she was and where she felt she belonged. Ofelia continued: I came in sixth grade and it was really tough. A lot of the kids are discriminating against you, they bully you. So, I mean, I always wanted to appear the “most ­American” that I could. I wanted to get rid of my accent, I didn’t want to speak

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­ panish, I didn’t want anyone to know I spoke Spanish. I just didn’t want anything S to do with the Latino culture.

Notably, Ofelia’s statements illustrate two important phenomena in relation to how she experienced everyday life in her host country: an intense desire to fit in with the people she encountered in everyday life and the purposeful avoidance of activities which could give others the impression that she was not part of the United States society. For children and youth, the desire to fit in and be accepted may be stronger than for adults, especially due to the fact that socialization processes can be chaotic in relation to identity-formation processes. Marcelo, a Mexican-born Connecticut resident since the age of six also referred to perceptions of “normalcy” in relation to his everyday routines growing up. However, his statements indicate not an intense desire to be normal, but rather the perception that he was “normal” in relation to his American citizen peers. In particular, Marcelo explained that he “had no idea” about his undocumented status growing up precisely because he was “just living a normal life.” He further explained that Everything that my friends had, I had. Being able to go to the park, being able to go to an after school program, since it was a public school, nothing was ever asked of me, but just to attend school.

Like the other youth I spoke with, the young age at migration, combined with the many years lived in the United States helped shape Marcelo’s sense of home in the United States. Furthermore, his statements illustrate that he compared himself and his activities to his peers: “everything” they had and did, he had and did—going to the park, to school, and to an after school program. Because Marcelo was participating on par with peers in everyday life, he constructed his sense of self, identity, and place in relation to the American children around him. Marcelo learned of his undocumented status when he was a teenager and wanted to get a job, which required legal identification and a social security number. It was at this time that he learned he had no social security number because of his undocumented immigration status. He explained that he felt like he “couldn’t do anything about it” and had already been living in the United States for quite some time: What I consider the main part of my growing up was here. Because from nine, I learned everything here. Going back wasn’t an option. I don’t have anyone there. I don’t have any friends. I was nine, I don’t remember anyone there in Mexico.

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Like the other undocumented youth, Marcelo referred to growing up in the United States and the length of time lived in the country―a combination of time and life stage that fundamentally set the 1.5 generation apart from their adult contemporaries. Unlike individuals who migrate as adults, “growing up” in a country, whereby being socialized, participating in everyday life via education, and learning social and cultural norms is different than working every day. Furthermore, ­Marcelo noted that returning to his homeland was not an option precisely because he did not know or remember anyone there; the lack of attachments to his homeland was vastly different than the friends he had established in his homeland. Like Marcelo, Ana Maria also knew that she was undocumented growing up because her mom was forthcoming about these details. When we met, Ana Maria had been a resident of New York for almost two decades, after coming from ­Ecuador at the age of two. When I asked about if and how she knew of her undocumented legal status growing up, she explained: “my mom always told me. Just growing up, she was always honest about these things.” However, despite Ana Maria’s knowledge of her non-legal status, as well as the fact that her mother was also undocumented, Ana Maria constructed her sense of self and place in relation to peers from the same age, rather than those of the same legal status. ­Specifically, she explained: I would see [my mom] working at low-paid jobs. She was being exploited. Having to balance two or three jobs, trying to take me to school, my siblings, and all that—I always knew. She would always tell me: “you don’t have papers, you are just going to work twice as hard.” Or “you are going to have to finish school, because I didn’t get to do that.” But I didn’t really think it was going to have the same impact, because I was being raised here. I learned how to speak English, I was going to school. I always thought it was a different environment, but it still had a similar impact.

Thus, while Ana Maria was well aware of the hard work, challenges, and exploitation her undocumented mother faced in everyday life, Ana Maria’s everyday life was different: she was a student in the educational system, rather than an employee. Even though her mother was forthcoming about the struggles awaiting her later in life, Ana Maria acknowledged that particularly because she grew up in the United States, learned English, and went to school, her life and expectations were different. Regardless of the fact that the two women shared the same undocumented status, their participation in everyday life was vastly different because of their life stage at immigration. Ana Maria thus created her sense of self and place during childhood in relation to these everyday activities, and furthermore came to have the expectation that she would continue to have

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the ­opportunity to participate on par with citizen peers as she entered adulthood. It was precisely due to the inclusion in the educational system that Ana Maria’s everyday life was structured as a participant, rights-holder, and insider that ­allowed her to create these, albeit false, expectations.

11.5 Conclusions The particular circumstances of 1.5 generation undocumented children and youth represent interesting points and experiences to consider in relation to theoretical and political constructions of “citizenship.” The stories of the undocumented youth represented here constitute only a small portion of the overall 2.1 million undocumented children and youth living in the United States. Nonetheless, these stories offer details about the lived experiences of children and youth who are inside participation, but outside citizenship. Due to the Supreme Court Case, Plyler v. Doe (1982), all children and youth are entitled to a primary and basic education and thus, critically, regardless of immigration status, undocumented children are incorporated into the everyday social fabric of the nation. Their participation parity structures their everyday lives as included participants and members, allows them to create attachments to the United States and U.S. citizens, and is precisely what makes them expect that the opportunities to continue on par with peers will continue over time―though this is a false illusion. Childhood is conditioned by protection, inclusion, and de facto legality. Regardless of knowledge about undocumented legal status growing up, individuals view themselves, their places, and their identities in relation to their American citizen peers rather than the adults that share their same undocumented legal status. These children and youth learn English, build friendships, and view their futures in their host society through everyday activities such as going to school, the park, or other social activities. By applying the concept of participation parity, it becomes clearer that participation in everyday activities alongside American citizen peers has lasting effects on these youth. Their memories, identities, and notions of citizenship are fundamentally formed by experiences rather than their official citizenship status. Age and time spent in the United States make the experiences of the 1.5 generation vastly different from their second generation counterparts. Fundamentally, the stories from these individuals who are neither children nor yet adults, neither citizens though completely excluded from the United States illustrate that age at immigration―and thus immigration cohort―matter tremendously. Though scholars studying citizenship do not often consider generation or age within citizenship

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studies―which makes children’s citizenship all the more underexplored—these stories represent important theoretical and empirical findings for citizenship studies. Context matters; one does not necessarily need citizenship or even legal status to experience citizenship’s dimensions: responsibilities, rights, sense of identity, and psychological attachment to a country. For children, participation in everyday life is key: participating in education means contributing to one’s society in ways that are commensurate with life stage and age. For these undocumented children and youth, living citizenship entails not only participating, but also learning and establishing relationships. In turn, knowledge, language acquisition, friendships, and social activities lead to the ­sentimental dimensions of citizenship: of feeling sense of self, identity, place, and connection to the United States. Citizenship and immigration scholars should continue to research how children construct and live citizenship, how ­undocumented individuals can experience citizenship status despite their non-legal ­statuses, and the sentimental dimensions of citizenship. Such research is needed now more than ever, as the balance between globalization, human mobility, and ­restrictive immigration control is particularly tenuous.

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Elizabeth Benedict Christensen  promovierte 2016 an der Copenhagen Business School in Latin American & Caribbean Migration Studies. Die Inspiration für dieses Kapitel entstammt ihrer Dissertation mit dem Titel “The Constantly Contingent Sense of Belonging of the 1.5 Generation Undocumented Youth: An Everyday Perspective.” Elizabeth Benedict Christensen arbeitet derzeit als externe Dozentin und Beraterin in Projekten im Bereich Einwanderung, Diversität und Kommunikation am Department of Management, Society, and Communication der Copenhagen Business School.

Teilhabe versus Handlungsohnmacht. Die Bedeutung des Rechtsstatus für Schülerinnen im Übergangsalter

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Imogen Feld

Zusammenfassung

Allgemeinbildende Schulen sind zentral zur Herausbildung von Fähigkeiten, um staatsbürgerliche Rechte auszuüben. Bereits Marshall beschreibt, wie formale Schulbildung eine Voraussetzung ist, um politische, soziale und juristische Rechte wahrzunehmen (Marshall, Citizenship and Social Class. In J Manza, M Sauder (Hrsg), Inequality and Society, W W Norton und Company Incorporated, New York, 2009). Zugleich ist die Bildung zur gesellschaftlichen Teilhabe innerhalb der Schule in verschiedenen Schulgesetzen der Länder in Deutschland verankert. Die im Schulgesetz formulierten normativen Ansprüche zur Herausbildung der gesellschaftlichen Teilhabe werden in dem vorliegenden Beitrag anhand wahrgenommener staatsbürgerlicher Rechte von jungen Frauen, die verschiedene Schultypen in Berlin besuchen, gegenübergestellt. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass sich ihre Teilhabemöglichkeiten zum einen formal durch rechtliche Bedingungen definieren, zum anderen durch die Wahrnehmung überhaupt teilhaben zu dürfen, geprägt sind. Schlüsselwörter

Teilhabe · Schule · Inklusion · Exklusion · Staatsbürgerschaft ·  Cultural citizenship

I. Feld (*)  King’s College London, London, Vereinigtes Königreich E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. J. Grünendahl et al. (Hrsg.), Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion, Studien zur Migrations- und Integrationspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25534-3_12

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I. Feld

12.1 Einleitung In der Diskussion um Staatsbürgerschaft spielt die Schule als Ort der Herausbildung von Fähigkeiten, um an gesellschaftlichen Prozessen teilzuhaben, eine bedeutsame Rolle. In diesem Beitrag soll basierend auf dieser normativen Grundlage untersucht werden, wie junge Frauen in Berlin, die sich gerade innerhalb der Statuspassage zwischen Sekundarstufe I und der weiterführenden Schule bzw. schulischen Ausbildung befinden, vor dem Hintergrund unterschiedlichen rechtlichen Voraussetzungen ihre derzeitige rechtliche Situation wahrnehmen und welche Konsequenzen dies für ihre gegenwärtige und zukünftige gesellschaftliche Teilhabe hat. In der allgemeinbildenden Schule wird bereits der Anspruch gesetzt, selbstständige und mündige Bürger/-innen zu erziehen. Sie sollen unabhängig von Herkunft und Geschlecht dazu befähigt werden, an Politik, Gesellschaft und Kultur und an der Gestaltung der eigenen Lebenswelt teilzuhaben (Fend 2006; Grundmann 2010; Klieme et al. 2007). Die besondere Stellung der Schule für die gesellschaftliche Teilhabe zeigt sich in der von Dahrendorf (2007) geäußerten Verbindung zwischen dem Bildungssystem und der Demokratie. So fördert das Bildungssystem die Wahrnehmung der gesellschaftlichen und politischen Rechte aller Staatsbürger/-innen (Dahrendorf 2007; Marshall 2009). Demokratie ist wiederum gebunden an gesellschaftliche Teilhabe bzw. die Fähigkeit des öffentlichen Ausdruckes der eigenen Meinung, die in der Schule vermittelt werden und als lernbar gestaltet sein soll (Liebau 2007). Im Hinblick auf eine immer stärker divergierende Gesellschaft ist es bedeutsam herauszuarbeiten, wie die Schule auf die Teilhabe in der Gesellschaft vorbereitet und inwiefern dies mit verschiedenen Merkmalen (z. B. sozialer Status, Migrationshintergrund, Geschlecht) der Schüler/-innen zusammenhängt. Zwar werden junge Frauen in der Bildungsdiskussion allgemein als Bildungsgewinnerinnen dargestellt (Schweer 2009), „aber dieser Vorsprung wirkt sich beim Zugang zu qualifizierten Ausbildungsplätzen nicht entsprechend aus“ (Granato und Schittenhelm 2004, S. 33; Leven et al. 2010). Die Benachteiligung betreffe vielmehr speziell junge Frauen mit Migrationshintergrund (Granato 2006): „Die Gruppe der Mädchen mit Migrationshintergrund [trägt] das größte Risiko […], zu den Ungelernten zu gehören und damit in eine gesellschaftlich periphere Statusposition abgedrängt zu werden. Ihre Chancen, einen Ausbildungsplatz zu finden, sind vergleichsweise am geringsten“ (Bednarz-Braun und Heß-Meining 2004, S. 180).

Vor diesem Hintergrund werden in diesem Beitrag Schüler/-innen vor und im Bildungsübergang mit einem sogenannten Migrationshintergrund untersucht.

12  Teilhabe versus Handlungsohnmacht …

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Dabei spielt in der genaueren Betrachtung weniger der Migrationshintergrund, sondern der damit verbundene rechtliche Status eine bedeutsame Rolle. Deshalb werden staatsbürgerliche Rechte als Analyseraster herangezogen, um die Teilhabesituation der interviewten Frauen je nach Rechtsstatus zu identifizieren. Die Interviews wurden 2011 geführt, daher haben sich die rechtliche Situation sowie politischen Bedingungen verändert. Trotz dieser zeitlichen Distanz zeigen die hier dargelegten Materialien, welche Bedeutung Staatsbürgerschaft und die damit verbundenen Rechte im Leben der jungen Frauen haben und welche Exklusions- und Inklusionsmechanismen damit verbunden sind. So folgt nach der Diskussion, welche Bedeutung Staatsbürgerschaft für die Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit zu staatlichen Gesellschaften hat, eine theoretische Einordnung des Konzepts der Staatsbürgerschaft bezogen auf schulische Bildung. Ausgehend von dieser Ebene, welche Bildungsverantwortung Schule hat, Schüler/-innen zu Staatsbürger/-innen zu erziehen, wie dies gesetzlich verankert ist und was dies bedeutet, werden im darauffolgenden Teil theoretische Überlegungen zu ‚cultural citizenship‘ angestellt und ihre Verankerungsmöglichkeiten im Schulalltag thematisiert. Dies dient als theoretische Einbettung, um das Konzept der Staatsbürgerschaft und die damit verbundenen Statussituationen sowie Mitgestaltungsmöglichkeiten der jungen Frauen innerhalb der Schule anhand von Fallbeispielen zu illustrieren und dabei die Frage zu beantworten, wie sich die Schüler/-innen je nach rechtlichem Status in ihren wahrgenommenen Teilhabemöglichkeiten unterscheiden.

12.2 Staatsbürgerschaft und Zugehörigkeit Staatsbürgerschaft impliziert zum einen den Status der Zugehörigkeit in Form einer Mitgliedschaft zu einem territorialen Gebiet, zum anderen Rechte, die mit diesem Status verbunden sind. Diese Rechte sollen potenziell dazu befähigen, die Gesamtpraxis zu gestalten, kooperativ in der staatlichen Gemeinschaft zu agieren. Staatsbürgerschaftsrechte werden Menschen zuerkannt, die ein volles Mitglied der nationalen Gemeinschaft sind und definieren eine aktive und passive Mitgliedschaft in Nationalstaaten. Diese Mitgliedschaft ist mit universellen und institutionalisierten Rechten und Pflichten verbunden und gewährleistet ein bestimmtes Niveau an rechtlicher Gleichheit (Barbalet 1988; Janoski und Gran 2002; Kivisto und Faist 2007; Marshall 2009). Allerdings impliziert diese Definition der Zugehörigkeit mittels der Staatsbürgerschaft auch die Nicht-Zugehörigkeit derjenigen Personen, die diesen rechtlichen Status nicht aufweisen und verhindert ihnen somit den Zugang zu bestimmten Rechten. Die Autoren Nassehi und Schroer w ­ arnen

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I. Feld

„vor einer konzeptionellen Überschätzung – aber auch Unterschätzung – des Staatsbürgermechanismus“ (Nasseehi und Schroer 2000, S. 45). Unabhängig von der Staatsangehörigkeit beteiligen sich Mitglieder einer Gesellschaft am Arbeitsmarkt und ermöglichen dadurch einen politischen Input in Form finanzieller Ressourcen mittels Steuereinnahmen. Zugleich sind sie Nutznießer/-innen politischen Outputs, wie wohlfahrtsstaatlicher Zuwendungen und des Bildungssystems (Bös 2000). Hinsichtlich der Wahlberechtigung bildet die Staatsbürgerschaft ein Ausschlusskriterium, die eine Unterscheidung zwischen Staatsbürger/-in und Nicht-Staatsbürger/-in offensichtlich werden lässt. Die Staatsbürgerschaft bildet eine Basis, um politische und zivile Rechte auszuüben (Marshall 2009). Laut Marshall (2009) ist die gleiche Verteilung der staatsbürgerlichen Rechte Bedingung, um als volles und gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft behandelt zu werden. Die Vorenthaltung dieser Rechte führt zu Marginalisierung. Die Errungenschaften der modernen Staatsbürgerschaft werden darin gesehen, dass alle Mitglieder eines Staates partizipieren sollen. Der staatsbürgerliche Status bzw. die staatsbürgerlichen Rechte ermöglichen persönliche Autonomie, soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und die Inklusion in moderne Gesellschaften (Kymlicka und Norman 1994; Mackert und Müller 2007; Roche 2002). Im Laufe der Analyse der Fallbeispiele werden drei Zugehörigkeitstypen eine Rolle spielen, die anhand des Konzepts der Staatsbürgerschaft und den damit verbundenen Rechten identifiziert werden können. Erstens Personen mit vollem Zugang zu staatlichen Rechten aufgrund ihrer deutschen Staatsbürgerschaft. Diese können sich aufgrund ihres rechtlichen Status vollständig an gesellschaftlichen Prozessen beteiligen, beispielsweise in naher Zukunft über die Beteiligung an überregionalen Wahlen. Zweitens Personen mit unbefristeten Aufenthaltsstatus, die keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, sich also perspektivisch nicht z. B. an überregionalen Wahlen beteiligen können und aus dieser Konsequenz heraus überregional nicht direkt parlamentarisch repräsentiert werden. Als dritte Gruppe können Personen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus ­definiert werden, die in ihrer Bewegungsfreiheit, Beteiligung am Arbeitsmarkt, ihrer unmittelbaren Zukunftsplanung eingeschränkt und aufgrund der ihnen nicht zugänglichen Rechte marginalisiert sind. Gerade diese dritte Gruppe kann nicht unbedingt trennscharf verstanden werden, da hier rechtliche Regelungen wie anerkannter Aufenthalt oder Status der Duldung auch einen erheblichen Einfluss auf die wahrgenommenen Rechte haben. Die Darstellungen der Zugehörigkeitstypen sind in den hier dargestellten Ausführungen nicht ausschöpfend, aber ermöglichen, eine diesbezügliche Statusdifferenzierung vorzunehmen.

12  Teilhabe versus Handlungsohnmacht …

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12.3 Die schulische Bildungsverantwortung zur staatsbürgerlichen Teilhabe Der Begriff der gesellschaftlichen Teilhabe ist aufgrund seiner Dichte an Implikationen und Komplexität erklärungsbedürftig. Teilhabe lässt sich laut Bartelheimer (2004) als „Chance oder Handlungsspielräume messen, eine individuelle gewünschte und gesellschaftlich übliche Lebensweise zu realisieren“ (2004, S. 53). Folglich ist Teilhabe ‚aktiv‘ und wird als soziales Handeln und in sozialen Beziehungen ausgeführt. In der Theorie werden darüber hinaus verschiedene Grade der Teilhabe beschrieben, die begrifflich differenziert werden. Kronauer (2002) arbeitet in seiner Schrift „Exklusion“ u. a. drei Formen der materiellen, politisch-institutionellen und kulturellen Teilhabe heraus und orientiert sich an Marshalls „Bürgerrechte und soziale Klassen“ (1950). Die Teilhabedimensionen sind die „maßgeblichen Dimensionen innerhalb des Modus der gesellschaftlichen Zugehörigkeit“ (Kronauer 2002, S. 152). Der Zugang zum staatlich finanzierten Bildungssystem ist ein Bestandteil sozialer staatsbürgerlicher Rechte zur gesellschaftlichen Teilhabe und in diesem wird sowohl notwendiges Wissen für den Erwerbsmarkt als auch allgemeines Wissen zur eigenen Lebensführung vermittelt (Roche 2002). Das Recht auf Schulbildung ist in Deutschland in den Schulgesetzen der Länder verankert. Um die rechtlichen Implikationen der gesellschaftlichen Teilhabe in der Schule aufzuzeigen, folgt ein Exkurs in das Berliner Schulgesetz, welches besagt, dass jede junge Person ein „Recht auf zukunftsfähige schulische Bildung und Erziehung“ unabhängig von Geschlecht, Abstammung, Sprache und Herkunft hat (vgl. ­Berliner SchulG § 2 Abs. 1, 28.05.2010). Auf der normativen Ebene sollen mithilfe des Schulbesuchs „Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Werthaltungen“ vermittelt werden, damit die Schüler/-innen selbstständig entscheiden und lernen können. Darüber hinaus sollen Schüler/-innen befähigt werden, ihr „Leben aktiv zu gestalten“ und „verantwortlich am sozialen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen“ (vgl. Berliner SchulG § 3 Abs. 1, 28.05.2010). Bildung in der Schule bereitet Jugendliche gemäß der Citizenship-Theorien für ihre zukünftige Position als Bürger/-in vor (Gordon et al. 2000). Die Schüler/-innen werden im Schulgesetz verpflichtet „regelmäßig am Unterricht und an den sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen aktiv teilzunehmen, die erforderlichen Arbeiten anzufertigen und die Hausaufgaben zu erledigen“ ­(Berliner SchulG § 46 Abs. 2, 28.05.2010). Die Verteilung auf die verschiedenen Schulformen erfolgt nach „Fähigkeiten und Begabungen“, die in Prüfungen

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I. Feld

f­ estgestellt werden (Berliner SchulG § 2 Abs. 1, 28.05.2010). Diese Zuteilung auf die verschiedenen Schulen hat einen Einfluss auf die gesellschaftliche Teilhabe und die damit verbundenen Lebenschancen. Der Besuch einer Schulform beeinflusst Zugänge zu bestimmten Bildungsinstitutionen sowie die Art der Bildung, die zugänglich gemacht wird und den damit verbundenen Optionen im weiteren Lebensverlauf. Indem ein gleicher Zugang zu Bildung ermöglicht werde, werde die Voraussetzung für eine vollständige soziale und politische Partizipation geschaffen. Die Notwendigkeit zur Chancengleichheit besteht laut Dahrendorf nicht nur auf struktureller Ebene (Zugang zu Schulen, Schulbussen, Tageschulen), sondern die Schüler/-innen und Eltern müssen über Bildungsopportunitäten systematisch informiert und für eine höhere Bildung motiviert werden (Dahrendorf 2007). Infolgedessen sollen illegitime Ungleichheiten reduziert werden, sodass es allein vom „Ehrgeiz des Schülers“ abhänge „seine Lektionen ordentlich zu lernen, seine Prüfungen abzulegen und auf der Bildungsleiter aufzusteigen“ (Marshall 1992, S. 88). Dennoch dürfen legitime Ungleichheiten weiter existieren, da sie „Anreize für ­ Veränderungen und Verbesserungen“ schüfen (Marshall 1992, S. 82). Marshall ­ sowie Dahrendorf argumentieren, dass zwar die gleichen Chancen zum Zugang zur Bildung notwendig für den Abbau von illegitimen Ungleichheiten, die auf die Herkunft gründen, sind, aber dennoch Unterschiede aufgrund von Leistung legitim seien (Dahrendorf 2007; Marshall 2009). Dies entspricht einem meritokratischen Leitbild, wonach Positionen in der Gesellschaft basierend auf Leistung verteilt werden (Solga 2006). Diese klassischen Theorien zu Bildungsrechten und Schule dienen zur Erklärung, wie die Zugänge im Bildungssystem funktionieren. Allerdings lassen diese Theorien die Ausschlussmechanismen unberücksichtigt, die bereits aus sozialen Statusunterschieden abgeleitet werden können. Somit fehlt die Thematisierung der Unterschiede, die auf Bildung in der Herkunftsfamilie aber auch auf Unsicherheiten aufgrund des eigenen rechtlichen Status basieren und berücksichtigen somit keine herkunftsbedingten „Handikap[s]“ (Bourdieu 2005, S. 145). Die Schule ermöglicht den Mitgliedern eines Staates, sich diesem zugehörig zu fühlen und am kollektiven Leben der Bezugsgesellschaft teilzuhaben. Entsprechend argumentiert Meyer (1977): „Individuals come to be defined as possessing the competencies and moral orientations to participate in an expanded collective life“ (Meyer 1977, S. 70). Diesbezüglich diskutiert Meyer, dass die Ausweitung des Bürger/-innen-Status auf einen Großteil der Bevölkerung die soziale Gleichheit unterstütze. Dennoch nähmen bestimmte Individuen weiterhin eine übergeordnete gesellschaftliche Position innerhalb staatlicher Institutionen ein, wodurch auf dieser Ebene neue Bedingungen der Kontrolle und Manipulation möglich seien. Aus dieser Argumentation lässt sich die inkludierende Bedeutung der Schule in

12  Teilhabe versus Handlungsohnmacht …

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der Gesellschaften ableiten. Gleichwohl wird betont, dass sich die Verteilung der Teilhabemöglichkeiten je nach gesellschaftlicher Position unterscheide. Aus diesem Grund bildet Schulbildung eine grundsätzliche Basis, um am zukünftigen gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Um dies zu gewährleisten, ist der Zugang zur Bildung unabdingbar. Allerdings wird damit noch nicht berücksichtigt, wie sich dieser Zugang gestaltet und inwiefern familiäre Bedingungen sowie rechtlichen Statusbedingungen der Schüler/-innen die Bildungslaufbahn beeinflussen.

12.4 Cultural Citizenship1 Trotz Bildung als Voraussetzung gesellschaftlich teilzuhaben, ist es hinsichtlich der gesellschaftlichen Zugehörigkeit relevant, welche Themen in den Bildungskanon aufgenommen werden und welche nicht. Laut Schiffauer (2001) führt die curriculare Nicht-Thematisierung der Migrationsgeschichte zur Differenzierung „zwischen dem richtigen, dem harten Stoff – der Deutschland ins Zentrum rückt – und dem Additiv, das der Migrationssituation Rechnung trägt“ (Schiffauer 2001, S. 243). Die Integration von entsprechenden Themen erhöht gemäß dem Ansatz der „Cultural Citizenship“ (Miller 2002; Rosaldo 1994) die Anerkennung der pluralistischen Interessen, die von einem eurozentrischen Curriculum abweichen. Gemäß dieser Überlegung wird für eine „Cultural Citizenship“ plädiert. „Cultural citizenship refers to the right to be different and to belong in participatory democratic sense. It claims that, in a democracy, social justice calls for equity among all citizens […]“ (Rosaldo 1994, S. 402).

In diesem Sinne kann soziale Gerechtigkeit hergestellt werden, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft unabhängig von ihrer Herkunft gleichberechtigt anerkannt werden. „Cultural Citizenship“ thematisiert die positive Anerkennung von Unterschieden in der Gesamtgesellschaft (Miller 2002). Dies könne wiederum erfolgen, indem Schulen Differenzen inhaltlich anerkennen, wodurch diese Anerkennungsprozesse entsprechend gesellschaftlich rückgekoppelt werden könnten (Miller 2002).­

1

An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Verwendung des Begriffs „Kultur“ bereits eine Distinktion zwischen anerkannter, zugehöriger Kultur und nichtanerkannter, nicht‐ zugehöriger Kultur impliziert und diesen Prozess damit reproduziert. Dennoch ermöglicht, die Verwendung des Begriffs „Kultur“ auf diese Prozesse hinzudeuten und sie damit zu identifizieren. In diesem Sinne hat sich die theoretische Debatte u. a. in Richtung Global Citizenship Education weiterentwickelt.

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Bezüglich der schulischen Implementierungen wird argumentiert, dass auch das Wissen, das der genuinen Herkunftskultur entwächst, anerkannt und Bestandteil des Schulcurriculums sein sollte (Banks 2008). Connell (1992) begründet, dass eine ­solche Anerkennung Bestandteil der Wissensgewinnung in der Demokratie ist und plädiert für ein „Counter-Hegemonic Curriculum“: „Since a necessary part of knowledge and skills of participants in democracy is an understanding of the cultures and interests of the other participants, this criterion also rules out curricula produced from single socially-dominant standpoint“ ­(Connell 1992, S. 139).

Das Verständnis für die Kultur und die Interessen anderer Mitglieder der Gesellschaft gehöre zu den notwendigen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Demokratie. Zugehörigkeit und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Teilhabe sind nicht nur in formalen Rechten manifestiert, sondern auch in dem Sinne, inwiefern verschiedene inhaltliche Interessen und Themen auch u. a. in der Schule vertreten werden können. Diesbezüglich ist nicht nur eine Wahrnehmung der Unterscheidung in hegemoniales und nicht-anerkanntes Wissen bedeutsam, sondern auch inwiefern die staatsbürgerlichen Rechte allen Mitgliedern der Gesellschaft die Möglichkeit geben, an verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen teilzuhaben.

12.5 Gesellschaftliche Teilhabe junger Frauen im Übergang In den folgenden Ausführungen werden Fallbeispiele von jungen Frauen diskutiert, die im Rahmen einer Interviewstudie in einem außerschulischen Jugendprojekt zu ihrer derzeitigen und prospektiven gesellschaftlichen Teilhabe untersucht wurden. Die jungen Frauen besuchen verschiedene Schulformen in Berlin. Sie besitzen zwar alle einen Migrationshintergrund, dieser hat jedoch aufgrund ihres unterschiedlichen rechtlichen Status sehr verschiedene Auswirkungen auf ihre Teilhabemöglichkeiten und -perspektiven.2 2Zur Konzeption der Studie: Die Datengrundlage für die Arbeit bilden 10 Leitfadeninterviews, die mittels der Methode der Typenbildung nach Kelle und Kluge (2010) ausgewertet wurden. Der Kontakt zu den jungen Frauen wurde über einen interkulturellen Mädchenclub hergestellt. Acht der jungen Frauen zwischen 14 und 20 Jahren haben einen türkischen bzw. syrischen Migrationshintergrund. Die unterschiedliche Schulsituation der untersuchten jungen Frauen spiegelt sich im Besuch von Realschulklassen der integrierten Sekundarschulen sowie im Besuch von Gymnasien und Förderschulen wieder. Die verwendeten Namen der Interviewten in diesem Beitrag sind Pseudonyme.

12  Teilhabe versus Handlungsohnmacht …

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Die befragten Schülerinnen befinden sich außerdem in der besonderen ­ ituation, dass sie die 9. oder 10. Klasse verschiedener Schulformen besuchen S und vor der Entscheidung stehen, weiter die allgemeinbildende Schule zu besuchen oder die ‚erste Schwelle‘3 in das Ausbildungssystem zu bewältigen. „In modernisierten Gesellschaften [werden] Weichen für berufliche Möglichkeiten […] und spätere soziale Platzierungen im Erwachsenleben gestellt – und somit auch für die Transformation oder Reproduktion sozialer Ungleichheiten im Kontext von Migration“ (King und Koller 2009, S. 9). Daher bildet ‚der Übergang‘ einen entscheidenden Zeitpunkt, an dem junge Menschen überlegen, wie sie ihr Leben führen möchten (Cornelißen 2009; Schittenhelm 2008). Somit bedeutet diese Statuspassage nicht nur einen Wechsel der Schulform, sondern bildet auch eine bedeutsame Entscheidung, was den Einstieg in die Gesellschaft und die Statusveränderungen im Vergleich zu den Eltern betrifft (Schittenhelm 2010). Der empirische Teil dieses Beitrags untergliedert sich in drei Teile: 1. die Bedeutung des rechtlichen Status für die jungen Frauen, um gegenwärtig und ­prospektiv gesellschaftlich teilhaben zu können, 2. der Einfluss dieses Status für die Zukunftsplanung der jungen Frauen und 3. die Art und Weise, wie die für die jungen Frauen relevanten gesellschaftlichen Themen innerhalb des schulischen Kontextes behandelt werden.

12.6 Die Bedeutung des rechtlichen Status Citizenship is the feeling of belonging to a community of citizens (Osler und Starkey 2005, S. 11).

Die jungen interviewten Frauen haben unterschiedliche Migrationsgeschichten und dementsprechend unterschiedliche Perspektiven auf die deutsche Staatsbürgerschaft und deren Vorzüge. Vier der jungen Frauen stellen in diesem Abschnitt ihre Sicht über die Vorteile des Besitzes einer deutschen Staatsbürgerschaft für das Leben in Deutschland dar. In den Fällen, in denen ein dauerhafter Aufenthaltsstatus, aber keine deutsche Staatsbürgerschaft vorliegt, zeigt sich deutlich, welche rechtlichen Unterschiede beim Übergang ins Erwachsenenalter bedeutsam sind. Im Falle eines unsicheren dauerhaften Aufenthalts wird

3Der

Übergang von der Schule in die berufliche Bildung wird als ‚erste Schwelle‘ bezeichnet. Die ‚zweite Schwelle‘ kennzeichnet den Übergang von der Berufsausbildung in die Erwerbstätigkeit (Palamidis und Schwarze 1989).

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I. Feld

die Bedeutung der deutschen Staatsbürgerschaft als Garant, langfristig in ­Deutschland leben zu dürfen, verstanden. Wenn allerdings die deutsche Staatsbürgerschaft vorhanden ist, dann verlieren die damit verbundenen Rechte an Brisanz, da diese aufgrund des Vorhandenseins als selbstverständlich angenommen werden. Hierbei wird deutlich, dass die deutsche Staatsbürgerschaft eine längerfristige Sicherheit des persönlichen Werdegangs erlaubt. Dilan ist 18 Jahre alt und aus Syrien geflüchtet. Sie ist eine politisch interessierte Kurdin, deren Eltern nicht alphabetisiert sind. Sie befindet sich durch die derzeitig besuchte Förderschule schon in einem direkten Arbeitsbezug, da sie neben der Schule ein Praktikum als Krankenpflegerin absolviert. Dilan schildert, dass sie sich vom Status der Duldung und der verbundenen Unsicherheit ihres Bleiberechts belastet fühlt.4 Sie erklärt, dass ihr eine deutsche Staatsbürgerschaft einen sicheren Aufenthalt in Deutschland erlauben und ihr eine Reihe von Rechten zur uneingeschränkten Teilhabe in Deutschland ermöglichen würde. Ich kann arbeiten. ich kann mir ein Haus kaufen. oder ich kann irgendwas machen wobei ich mir denke ich bin sehr sicher hier in Deutschland. das ich irgendwo anders hinziehe oder irgendwann abgeschoben werde oder so. und das kann ich nicht mit einer Duldung machen oder einen normalen Pass. die können mich jederzeit abschicken.

Dilans Darstellung ist von der Unsicherheit geprägt, abgeschoben zu werden. In ihren Handlungsmöglichkeiten fühlt sie sich eingeschränkt, da sie zum derzeitigen Zeitpunkt weder arbeiten noch ein Haus kaufen oder das Bundesland verlassen5 kann. Die Möglichkeit abgeschoben zu werden, ist aufgrund ihres Rechtsstatus für sie präsent. Ihr Wunsch, einen deutschen Pass zu erhalten, geht daher eng mit ihrem Streben nach Planungssicherheit und Handlungsmöglichkeiten in Deutschland einher. Durch ihren Asylstatus ist sie weder ein ‚vollwertiges‘ Mitglied im syrischen noch im deutschen Staat, weswegen sie in der Zuerkennung von Rechten, wie einem dauerhaften Aufenthalt, von den staatlichen Institutionen abhängig ist (Bauböck 2002).

4Befindet

sich eine Person im Status der Duldung, ist sie formal legal als Ausländer/-in in Deutschland, aber dennoch von einer möglichen Abschiebung betroffen (vgl. Duden Recht A-Z 2007). 5Während eines laufenden Asylverfahrens gelten räumliche Beschränkungen für den oder die Asylbeantragende bzw. -beantragenden (AsylVfG § 56, Abs. 1 bis 3, 23.06.2011).

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Die nächsten beiden Fälle haben zwar keine deutsche Staatsbürgerschaft, aber die Möglichkeit, sich für die deutsche Staatsbürgerschaft zu entscheiden.6 Seda und Betül haben derzeit die Möglichkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen und erwägen dies aufgrund der damit verbundenen Vorteile. Betül ist 16 Jahre alt und besucht die 9. Klasse des Realschulzweigs einer Sekundarschule. Ihre Eltern sind aus der Türkei nach Deutschland migriert und haben keinen Schulabschluss. Betül erklärt ihre Motivation, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen damit, dass diese ihr im Vergleich zur türkischen Staatsbürgerschaft sowohl ermöglicht, viel zu vereisen als auch in der Türkei zu leben. Zusätzlich führt sie an, dass sie sich durch die deutsche Staatsbürgerschaft auch an den parlamentarischen Wahlen beteiligen kann. Seda ist 16, besucht die 10. Klasse eines Gymnasiums und plant ein gutes Abitur zu absolvieren, um sich gut auf dem Arbeitsmarkt positionieren zu können. Ihre Eltern sind aus der Türkei nach Deutschland migriert. Ihre Mutter ist Friseurin und ihr Vater ist Bauarbeiter. Seda schätzt die mit der deutschen Staatsbürgerschaft verbunden Privilegien wie folgt ein: Ähm. da hat man mehrere Chancen glaub. ich mal hier in Deutschland. ich weiß nicht. auch im Beruf. ähm. ich weiß nicht manche sagen ja auch. Ausländer. so. vielleicht wollen die ja nicht so viele Ausländer und so. und wenn man Staatsbürgerschaft hat. Deutsche ist. kommt das vielleicht auch besser an ich weiß nicht.

Seda verbindet mit der deutschen Staatsbürgerschaft eine höhere gesellschaftliche Anerkennung und damit mehr Chancen bei der Arbeitssuche, da sie dann nicht als „Ausländerin“ identifiziert werde. Gleichzeitig wird hier auch eine Ambivalenz ihrer Zugehörigkeit deutlich, indem sie von „die“ spricht, die nicht „so viele Ausländer und so“ haben wollen und bei denen sie auch mit diesem Status besser ankommen möchte. In diesem Zusammenhang könnte bereits infrage gestellt werden, ob allein der Status der deutschen Staatsbürgerschaft für die Zugehörigkeit ausreicht und welche anderen Grenzen der Anerkennung trotz des Status weiterhin bestehen

6Zur Zeit der Interviews galt die Optionspflicht im strengeren Sinne, die besagte, dass Personen, die in Deutschland geboren wurden und deren Eltern beide keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen (ausgenommen die eines Mitgliedstaates der EU oder Schweiz), sich bis zum 23. Lebensjahr für die deutsche oder die andere Staatsbürgerschaft entscheiden müssen. Seit September 2014 ist diese Optionspflicht abgeschwächt worden und in Deutschland geborene Personen mit Eltern außereuropäischer Staatsbürgerschaft dürfen unter bestimmten Bedingungen beide Staatsbürgerschaften behalten (vgl. StAG § 29, 13.11.2014).

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bleiben würden. Weiter erklärt sie, dass ihre Eltern die d­ eutsche ­Staatsbürgerschaft beantragen möchten, damit sie „auch bessere Chancen in der Zukunft und so“ haben. Beide jungen Frauen erwarten durch die deutsche Staatsbürgerschaft eine Optionsvielfalt bezüglich ihrer Mobilität bzw. im Berufsleben sowie das Recht, an politischen Prozessen zu partizipieren. Dies unterstreicht, dass den jungen Frauen die Unterschiede zwischen verschiedenen Staatsbürgerschaften im transnationalen Kontext sehr wohl bewusst sind und sie eher die deutsche Staatsbürgerschaft bevorzugen, da diese für sie persönlich mehr Rechte einräumt, dies aber dennoch nicht unbedingt bedeutet, als deutsche Staatsbürgerin voll inkludiert zu sein. Im Vergleich dazu, wenn die deutsche Staatsbürgerschaft vorhanden ist, sind die damit verbundenen Rechte sowie Vorzüge eher unbekannt, wie dies Hilals Ausführungen verdeutlichen, die eine deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Hilal ist 15 und besucht die 10. Klasse des Realschulzweiges einer Sekundarschule. Sie plant nach der 10. Klasse auf das Gymnasium zu wechseln und danach zu studieren. Hilal ist Kurdin, ihre Eltern sind aus der Türkei nach Deutschland migriert, haben keinen Schulabschluss und arbeiten als Produktionsleitung und Reinigungskraft. Sie hat die deutsche Staatsbürgerschaft und nimmt folgendermaßen dazu Stellung: Ich find’s gut. obwohl ich hab bis jetzt nichts großartiges davon gespürt. ich kenn jetzt nicht den Unterschied. ob ich jetzt einen türkischen hab oder einen deutschen. ich weiß auch nicht wo jetzt der Unterschied ist oder so. aber ich. bis jetzt hat es mir ja nicht weiter geholfen. ich könnte jetzt auch mit der türkischen Staatsbürger- ich merk da kein Unterschied.

Hilal kann als deutsche Staatsbürgerin keinen Unterschied darin sehen, eine deutsche oder türkische Staatsbürgerschaft zu besitzen. Ihr sind rechtliche Einschränkungen des Aufenthalts in Deutschland fremd. In diesem Fall zeigt sich, dass, so lange sie selbst nicht von den Nachteilen der fehlenden deutschen Staatsbürgerschaft betroffen ist, die mit der Staatsbürgerschaft abgeleiteten Rechte nicht relevant erscheinen. So ist Hilal in diesem Fall nicht bewusst, welche Entscheidungs- sowie Handlungsfreiheiten sie in Deutschland im Vergleich zu Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft bzw. zu Personen ohne längere Aufenthaltsperspektive hat. Bedingt durch den vorhandenen Rechtsstatus der jungen Frauen wird der Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft unterschiedlich wahrgenommen. Dilan beurteilt sie im Kontext des Aufenthaltsrechts, wohingegen Hilal als deutsche Staatsbürgerin keinen Unterschied zur türkischen Staatsbürgerschaft erkennen kann. Betül und Seda haben zwar ein uneingeschränktes Aufenthaltsrecht, erhoffen sich durch eine deutsche Staatsbürgerschaft jedoch größere Reisemobilität und bessere Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Der eigene Status beeinflusst in d­ iesem

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Kontext auch die Wahrnehmung der Bedeutung der deutschen Staatsbürgerschaft für die eigene Lebensführung in Deutschland. Wenn zwischen deutschen Staatsbürger/-innen und Nicht-Staatsbürger/-innen differenziert wird, werden beiden Personengruppen unterschiedliche Rechte zuteil, die die einen nutzen können und von denen die anderen ausgeschlossen sind (Mackert 2006). Die Handlungsmöglichkeiten werden dadurch eingeschränkt bzw. ausgeweitet. Vor allem wenn diese als Normsetzungen wahrgenommen werden (Mackert 2006), wie beispielsweise für Dilan die Teilnahme am Arbeitsmarkt. Das Gefühl der „Vollinklusion“ erfolgt in der Regel durch den Erhalt oder Besitz der Staatsbürgerschaft, da dadurch staatsbürgerliche Rechte im ganzen Umfang zugesprochen werden (Mau 2007). Allerdings kann auch im Fall von Seda gezeigt werden, dass sich dies nicht praktisch in einer Form des Zugehörigkeitsgefühls manifestieren muss, indem sie „die“ identifiziert, bei denen sie in ihrer Vorstellungen bessere Chancen auf dem Erwerbsmarkt hat, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Im nächsten Teil wird aufgezeigt, wie die Zukunftsplanung sowie die Teilhabemöglichkeiten der Schülerinnen divergieren, je nachdem welchen rechtlichen Status sie besitzen.

12.7 Zukunftsplanung und Teilhabemöglichkeiten Die jungen Frauen unterscheiden sich in ihrer Zukunftsplanung, in der Sicherheit diese zu gestalten. Allgemein wollen alle am Arbeitsmarkt partizipieren, unter anderem, um unabhängig sein zu können. Teilweise existieren genaue Zukunftspläne sowie Strategien, wie diese erreicht werden können. Einige der jungen Frauen haben unrealistische Zukunftspläne und wissen nicht, wie diese erreicht werden können. Andere sind aufgrund ihrer Ausgangsbedingungen verunsichert, da diese keine Planungssicherheit geben. Ein spezieller Fall hebt sich hervor, da aufgrund struktureller Einschränkung die eigene Lebensplanung beschränkt ist und auch keine längerfristige Sicherheit gegeben werden kann. Dilans Pläne werden rechtlich eingeschränkt, wodurch sie sich nicht aktiv für ihre Berufswünsche einsetzen kann. Dies führt zu folgender Einschätzung ihrer unmittelbaren, beruflichen Zukunft: Das ist schwierig. deswegen weiß ich ja nicht. ich weiß es halt nicht. ich weiß gar nicht so genau was ich werden will. ich kann nur eine schulische Ausbildung machen das mach ich ja jetzt. zwei Jahre Pflege-Assistentin äh Sozialassistentin. und dann (pff) bild ich mich halt weiter dann. Ne.

Dilan ist sich sehr unsicher, welchen beruflichen Weg sie verfolgen kann. Aufgrund ihrer Duldung ist Dilan in der Wahl ihrer Ausbildung rechtlich

274

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e­ ingeschränkt und nicht berechtigt auf dem Arbeitsmarkt zu arbeiten. An anderer Stelle wird deutlich, dass das Wichtigste für Dilan momentan ist, dass sie ihren Abschluss und einen deutschen Pass erhält. Eine Strategie, mit der sie das unmittelbare Ziel, die Aufhebung der Duldung, erreichen will, nennt sie allerdings nicht, vielmehr zeigt sie sich dahin gehend sehr unsicher. Im Vergleich zu den anderen jungen Frauen ist sie in ihrer beruflichen Zukunftsplanung gehemmt, da sie aufgrund ihres rechtlichen Status nicht längerfristig planen kann, sondern sich eher in einer wartenden Position befindet. Eine Sicherheit im Aufenthalt könnte ihr eine längerfristige Planung ermöglichen und eine entsprechende Lebensplanung erlauben. Im Vergleich dazu hat Güpse, die die 10. Klasse eines Gymnasiums besucht, ganz andere Möglichkeiten Pläne zu entwickeln. Ihre Eltern sind aus der Türkei nach Deutschland migriert und arbeiten als Bäcker und Krankenpflegerin. Sie selbst hat einen anerkannten Aufenthaltsstatus und kann sich vorstellen, in die Türkei zu migrieren: Also das liegt daran. das ich gerne in die Türkei auswandern möchte. in der Türkei. da ich hier in Deutschland lebe und deutsch studieren möchte. und deutsch auch als Leistungsfach im Abi haben möchte. habe ich mir überlegt. ja ich kann gut deutsch sprechen. ich habe eine gute Note im Deutschfach. also im Fach Deutsch. also kann ich auch das studieren. in der Türkei Deutschlehrerin werden an einer Schule. oder an einer privaten Schule arbeiten. oder eine Nachhilfe in der Türkei aufmachen. dann verdien ich auch gut Geld. ja daher.

Güpse möchte nach ihrem Studium in die Türkei auswandern und dort als Deutschlehrerin arbeiten. Die Wahrscheinlichkeit, ihre Pläne umzusetzen, unterlegt sie mit guten Leistungen im Fach Deutsch und der Absicht, Deutsch als Leistungsfach zu wählen. Güpse fühlt sich nicht in ihrer rechtlichen Situation eingeschränkt und kann ausgereifte Zukunftspläne entwickeln und formulieren, wie sie diese erreichen kann. Dies begründet sie basierend auf ihrem kulturellen Kapital (Bourdieu 2006) in Form ihrer guten Noten und der besuchten Schulform aber auch ihrem sozialen Kapital (Coleman 1988), da sie angibt, Verwandte in der Türkei zu haben, die sie unterstützen können. Sie legt verschiedene Ressourcen dar, die ihr bei der Realisierung ihrer Pläne behilflich sein können. Auch die anderen jungen Frauen formulieren mehr oder weniger realistische Pläne und Strategien diese umzusetzen und fühlen sich nicht wie Dilan darin aufgrund ihres Aufenthaltsstatus verunsichert. Dilans Fall verdeutlicht, dass der Aufenthaltsstatus bedeutsam ist für die individuelle Lebensplanung und welche Konsequenzen eine fehlende Aufenthaltssicherheit für die jeweilige Planungssicherheit im Vergleich zu jungen Frauen hat,

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deren Aufenthalt gesichert ist. Das Gefühl von Machtlosigkeit, also „das Gefühl der O ­ hnmacht (sense of powerlessness)“ (Bröckling 2007, S. 192) im Sinne von ­geringer Teilhabe, zeigt sich an ihrer nicht-aktiven Haltung. Im Gegensatz dazu fühlt sie sich nicht als Gestalterin bzw. Regierende ihrer selbst (Bröckling 2007), sondern ist durch Regulierungen ihres Aufenthaltsrecht in ihrer Partizipation eingeschränkt. Im nächsten Abschnitt wird dargestellt, wie die jungen Frauen die thematische Setzung innerhalb der Schule wahrnehmen und welche nicht vom Curriculum gesetzten Themen für sie bedeutsam sind. Hier wird zum einem exemplarisch deutlich, wie Lehrkräfte mit Meinungen, die von dem gesellschaftlichen Konsens abweichen umgehen, zum anderen welche unterschiedlichen Meinungen unter den jungen Frauen existierten, abweichende Themen des bestehenden Schulkanons innerhalb der Schule zu behandeln. Dies beschreibt über den rechtlichen Status hinaus die Möglichkeiten der jungen Frauen, sich in der Schule mit gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen, die von ihrer eigenen Migrationsgeschichte geprägt sind bzw. ihr politisches Interesse thematisieren und somit als zugehöriges Mitglied der deutschen Gesellschaft anerkannt zu werden.

12.8 Schulische Anerkennung nicht-hegemonialer Themen Bezüglich der aktiven schulischen Mitgestaltung der Schülerinnen ist die Wahl der Themen, mit denen sich die jungen Frauen im schulischen Kontext beschäftigen wollen, auffällig. Im Zuge der MSA-Prüfungen (Mittlerer Schulabschluss) haben sie die Möglichkeit, eigene Themenschwerpunkte zu setzen. Die ausgewählten Themen illustrieren, dass diese stark mit ihrem Migrationshintergrund in Zusammenhang stehen: „Deutschland. Gefühlte Heimat. Trotzdem Fremd?!“, „Vergleich von der Musik Mozarts mit der Musik im osmanischen Reich“ oder „Die Migrationsgeschichten unserer Eltern“. Dies lässt ein Interesse der jungen Frauen dafür vermuten, sich mit Themen ihrer Migration bzw. der ihrer Eltern auseinander zu setzen. In den Interviews stoßen die Fragen nach Themenergänzungen und die Zufriedenheit mit dem aktuellen Lehrplan auf verschiedene Ansichten, die sich erstrecken vom Wunsch, eigene Themen innerhalb der Schule diskutieren zu können, über die Verantwortung, Bildung über das Curriculum hinaus selbstständig nachzugehen, bis zur Hinnahme des Curriculums im gegebenen Zustand. Die jungen Frauen, die sich das Einbringen eigener Themen wünschen, beschreiben das Bedürfnis, verschiedene Inhalte im Unterricht zu besprechen, die mit dem Herkunftsland der jungen Frauen bzw. ihrer Eltern verbunden ­werden und ­bisher

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nicht aufgegriffen wurden. An dieser Stelle wurden Themen wie „Atatürk“ oder die „drei Weltreligionen“ genannt. Andere möchten sich mit dem Konflikt zwischen Kurd/-innen und der Türkei auseinandersetzen. Darüber hinaus wird in zwei Fällen, wenn eine Diskussion in ihrem Sinne aufkommt, eine ablehnende Haltung aufseiten der Lehrkraft festgestellt, wie in folgender Aussage von Dilan deutlich wird: Mit meinen Lehrer. mit meinen Lehrer diskutiere ich öfter über das. weil er der Meinung ist dass die PKK7 als Terroristen in Deutschland sind und sowas. und ich ne ganz andere Meinung hab. weil ich persönlich ne Kurdin bin.

Dilan erklärt, dass sie mit ihrem Lehrer über die Thematik der Kurd/-innen diskutiert, dass sie also ein gesteigertes Interesse an der Thematik hat, da sie sich mit der ethnischen Gruppe der Kurd/-innen identifiziert. Wohingegen der Lehrer ihr zufolge die kurdische Partei PKK mit Terroristen gleichsetzt. Durch die Abwertung der PKK als Terroristen wird kein realistischer Diskurs zwischen Dilan und ihrem Lehrer möglich, sondern bereits definiert, welche gesellschaftlichen Akteure oder politischen Organisationen Legitimität besitzen bzw. welche nicht und dadurch eine sehr undifferenzierte Perspektive auf ein politisch komplexes Thema durch die Lehrkraft erlaubt. Hier kann auch wieder von einem gesellschaftlichen Ausschluss gesprochen werden, da der politische Diskurs über die Kurd/-innenproblematik nur einseitig vom Lehrer betrachtet wird, statt sich auf einen differenzierteren Diskurs mit der Schülerin einzulassen. Ähnlich erfährt Hilal eine ablehnende Haltung ihres Lehrers zum Islam: Er sagt. boa. sagt sagt immer dass unser Prophet. er deutet immer darauf an dass er ein schlechter Mann war und so. Kinder vergewaltigt hätte und so. was eigentlich gar nicht stimmt. dass er vier Frauen hatte. er weiß ja gar nicht die Vorgeschichte warum er vier Frauen hatte. und so. also soll er gar nicht so groß reden.

Hilals Lehrer macht negative Äußerungen über den Islam und den Propheten Mohammed. Dadurch wird Hilal das Gefühl vermittelt, dass ihre Schule den „Islam voll fertig machen“ will. Zu einem späteren Zeitpunkt beschwichtigt sie, dass ihr Lehrer nicht für seine Meinung verantwortlich zu machen sei, da er mit dem Thema in der Schule in Kontakt gekommen sei und die geäußerten Inhalte „gelernt“ hätte. Hierbei nimmt sie Bezug auf ein eurozentristisch geprägtes Geschichtsbild, das die Grundlage für deutsche Curricula bildet. In diesem Zusammenhang gerät das spezifische Wissen der jungen Frauen in Konflikt mit

7Partiya

Karkerên Kurdistanê; Arbeiterpartei Kurdistan.

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dem Wissen der Lehrer/-innen. Die jungen Frauen werden in der Entwicklung ihrer Bildung in diesen Bereichen, die sich außerhalb des Lehrplans befinden, nicht unterstützt. Diese Konfliktlage verdeutlicht, ähnlich wie die verschiedenen Statusunterschiede, dass das Wissen und der Diskussionsbedarf der jungen Frauen nicht anerkannt werden. Somit wird eine Differenz zwischen zugehörigem Wissen und nicht-zugehörigem Wissen hergestellt. Die Grenzziehung wird dadurch nicht entlang von Staatsbürgerschaft und Nicht-Staatsbürgerschaft gezogen, sondern entlang der nationalen Zugehörigkeit und Nicht-­Zugehörigkeit basierend auf Themen und politischen Meinungen, die in der Schule streitbar oder nicht streitbar sind. Wenn die jungen Frauen nach ergänzenden Themen im Lehrplan gefragt werden, positionieren sie sich unterschiedlich. Teilweise sind Inhalte erwünscht, die das Herkunftsland ihrer Eltern thematisieren, teilweise werden entsprechende Ergänzungen abgelehnt. So positioniert sich Hilal folgendermaßen, wenn sie zum Berliner Lehrplan und entsprechenden Ergänzungswünschen befragt wird: Ich lebe in Deutschland. wir leben in Europa. ist doch wohl klar dass wir dann die Geschichte wissen. ich mein wenn irgendein Schüler über die Türkei über ihr Heimatland wissen will. soll sie ab in die Türkei gehen und dort lernen. oder zu Hause nachfragen. wir sind in Deutschland. wir sind in einer deutschen Schule. da lernt man über Deutsche. über die deutsche Geschichte. ich mein wenn wir in die Türkei gehen reden die auch über die türkische Geschichte und nicht über die deutsche Geschichte. das ist doch vollkommen idiotisch.

Hilal empfindet die Ergänzung des Lehrplans beispielsweise durch die türkische Geschichte als „idiotisch“ und plädiert dafür, dass ein Interesse an der türkischen Geschichte selbstreguliert und -verantwortlich befriedigt werden soll. So können die Interessierten in „ihr Heimatland“ fahren oder „zu Hause“ nachfragen. Diese Meinung wird von Güpse (10. Klasse, Gymnasium) geteilt. Auch sie wünscht sich keine Ergänzung des Geschichtsunterrichts durch außereuropäische Themen. Seda und Selcan8 zeigen sich zufrieden mit dem Curriculum, da innerhalb der Schule für sie interessante Themen wie Ehrenmord, Zwangsheirat und Todesstrafe behandelt werden. Weitere Themen werden nicht gewünscht, da Geschichte, wie Seda erzählt, allgemein eher als langweilig empfunden wird.

8Selcan

ist 20, besucht die 9. Klasse einer Realschule und ist mit ihren Eltern aus Syrien nach Deutschland migriert. Sie ist Kurdin und hat in Deutschland einen anerkannten Aufenthaltsstatus.

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Drei der jungen Frauen formulieren den Wunsch, den Unterricht um die i­nteressierenden interkulturellen Themen zu ergänzen. Diese Schülerinnen haben Erwartungen an das Curriculum, die sie nicht befriedigt sehen. Ferner wird in Dilans Fall im Unterricht keine Plattform geboten, ihr Wunschthema auf einer neutralen und wissensvermittelnden Ebene zu behandeln. Hilal empfindet eine Ergänzung, in der genauer auf die türkische Geschichte eingegangen wird, als nicht notwendig, plädiert für die Selbstverantwortung. Ein Teil der Schülerinnen ist zufrieden mit dem Curriculum, auch wenn die Inhalte teilweise langweilig erscheinen. Sie haben sich den hegemonialen Inhalten angepasst und wünschen sich keine weiteren Themen (Connell 1992). In diesen Interviewausschnitten wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit spezifischen Themen eher um Ehrenmorde und Zwangsheirat rangiert, die gewisse Stereotype über Bevölkerungsgruppen reproduzieren. Die von den jungen Frauen eigenständig gewählten Themen in den Schulen finden wenig Anklang im Unterricht. Dadurch fehlt eine demokratische Setzung von Inhalten im Unterricht, die eine allgemeine Mitbestimmung der Schülerinnen erlauben würde. Darüber hinaus würde eine Diskussion kritischer bis hin zu extremen Themen im Unterricht erlauben, dass Schüler/-innen in ihrer Meinung respektiert werden. Auf dieser Grundlage könnten diese Positionen kritisch reflektiert werden und sie würden somit nicht mit ihrer politischen Position alleine gelassen werden, sondern müssten diese faktisch begründen und könnten auch ernstgemeinte Gegenargumente mit reflektieren (Nussbaum 2012).

12.9 Diskussion In any country, the achievement of democracy and citizenship is an ongoing struggle, in the sense that the full realization of civil, political and social rights for all, balancing freedoms with equality, is always likely to be an aspiration rather than a fact (Osler und Starkey 2005, S. 11).

Die in diesem Beitrag skizzierten Fälle illustrieren, welche handlungspragmatische Implikation Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus für die Teilhabe und somit für die Inklusion in der Gesellschaft haben. Die jungen Frauen bilden nur einen Ausschnitt von Jugendlichen mit Statusunterschieden in einer bestimmten Region ab. Zugleich zeigen sie, wie sich der rechtliche Status auf die jeweilige Lebensgestaltung auswirkt, obwohl sie sich in Faktoren wie Alter, Geschlecht, dem sozialen Hintergrund ähneln. Gerade am Beispiel der Duldung wird aufgezeigt, inwiefern dies Konsequenzen für die Unsicherheit der weiteren

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Lebensplanung hat, inwiefern der Nicht-Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft diesen Ausschluss begünstigt. Im Falle, dass die deutsche Staatsbürgerschaft oder ein längerer Aufenthaltsstatus vorhanden ist, hat dies eine geringere Relevanz für die gegenwärtige und längerfristige Lebensgestaltung. Allerdings wird durch einen fehlenden Aufenthaltstitel die gegenwärtige Nicht-Zugehörigkeit deutlich in Handlungseinschränkungen, z. B. bei der unmittelbaren Bildungsplanung nach der Allgemeinbildenden Schule schulischen Bildung aber auch für weitere Lebensperspektiven innerhalb von Deutschland. Unabhängig von der deutschen Staatsbürgerschaft oder dem Aufenthaltsstatus kann in den in diesem Beitrag gezeigten Fällen dargestellt werden, wie Themen wie der Islam oder die Kurd/-innenproblematik, im von den jungen Frauen dargestellten Schulalltag behandelt werden. Hier wird deutlich, dass ein stärkerer Diskurs über Zugehörigkeit der Mitglieder in einer Gesellschaft notwendig ist. Dies könnte in einer stärkeren Auseinandersetzung mit den verschiedenen Mitgliedern einer diversen Gesellschaft und der Anerkennung der damit verbunden Unterschiede ihrer Mitglieder, wie im Konzept der „Cultural Citizenship“ (bzw. Global Citizenship Education) beschrieben, erfolgen. Bezüglich der thematischen Gestaltung des Unterrichts wird in den vorliegenden Fällen dargestellt, welche Ausschlussmechanismen hinsichtlich der Themensetzung in der Schule greifen und inwiefern zwischen Anerkennung und Ablehnung unterschieden wird. Daher dient dieser Beitrag auch als Bildungsplädoyer für eine inklusive Schule im weiteren Sinne, die eine demokratische Mitgestaltung innerhalb des Schulkontextes ermöglicht und sich mit diversen Meinungen auseinandersetzt. Dies aber benötigt eine Sensibilität aufseiten der Schule, Maßstäbe zur Vorbereitung auf das gesellschaftliche Leben heranzuziehen, die nicht auf eine technokratische Ebene reduziert sind. Entgegen dieser Mechanismen argumentieren Osler und Starkey (2005), dass sich die Citizenship-Education, nicht auf das Recht auf Bildung und einen egalitären Zugang zum Bildungssystem beschränken darf. Die Schule muss sich als zugänglicher und anpassungsfähiger Ort gestalten, damit Schüler/-innen ihr Recht auf Bildung zugestanden wird, welches damit einhergeht, dass Schüler/-innen in ihrer Diversität anerkannt werden und an verschiedenen gesellschaftlichen Prozessen teilhaben können (Osler und Starkey 2005). Gerade auch im Hinblick auf die derzeitige Diskussion um Rechte von geflüchteten Menschen unterstreicht das dargestellte Handlungsgefüge, dass es für die eigenständige Lebensplanung eine große Bedeutung hat, welchen Rechtsstatus eine Person innehat. Am Beispiel von Dilan wird sehr deutlich, inwiefern eine fehlende Aufenthaltssicherheit für eine junge Person zermürbend ist. Darüber hinaus ist im Hinblick auf die Frage nach Inklusion in der Schule im

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I. Feld

­ eiteren Sinne relevant, auf welche Art und Weise Schüler/-innen sich i­nnerhalb w der Schule unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem rechtlichen Status, aber auch ihrer Fähigkeit sich in der Schule einbringen können und anerkannt werden. Daher sollte im Umgang mit Schüler/-innen von heute reflektiert werden, wie Bildung zur gesellschaftlichen Teilhabe und zum demokratischen Zusammenleben unabhängig von Rechtsstatus gestaltet wird, um eine demokratische Gesellschaftsform zu stabilisieren (Nussbaum 2012).

Literatur Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) vom 26.06.1992 in der Fassung vom 23.6.2011. Banks, J. A. (2008). Diversity, group identity, and citizenship education in a global age. Educational Researcher, 37(3), 129–139. Barbalet, J. M. (1988). Citizenship: Rights, struggle and class inequality. Concepts in Social Thought. Minneapolis: Minnesota. Bartelheimer, P. (2004). Teilhabe, Gefährdung und Ausgrenzung als Leitbegriffe der Sozialberichterstattung. SOFI-Mitteilungen, 21, 47–61. Bauböck, R. (2002). How migration transforms citizenship: international, multinational and transnational perspectives. IWE-Working Papers Series. Bednarz-Braun, I., & Heß-Meining, U. (2004). Migration, Ethnie und Geschlecht: Theorie­ ansätze, Forschungsstand, Forschungsperspektiven. Wiesbaden: VS Verlag. Bös, M. (2000). Die rechtliche Konstruktion von Zugehörigkeit. Staatsangehörigkeit in Deutschland und den USA. In K. Holz (Hrsg.), Staatsbürgerschaft: Soziale Differenzie­ rung und politische Inklusion (S. 94–118). Wiesbaden: VS Verlag Bourdieu, P. (2005). Plädoyer für eine rationale Hochschuldidaktik. In M. Steinrücke (Hrsg.), Wie die Kultur zum Bauern kommt: Über Bildung, Schule und Politik (S. 144– 153). Hamburg: VSA Verlag. Bourdieu, P. (2006). Kulturelles Kapital und kulturelle Praxis. In M. Steinrücke (Hrsg.), Wie die Kultur zum Bauern kommt. Über Bildung, Schule und Politik (S. 112–143). Hamburg: VSA Verlag. Bröckling, U. (2007). Das unternehmerische Selbst: Soziologie einer Subjektivierungsform. Berlin: Suhrkamp. Coleman, J. S. (1988). Social capital in the creation of human capital. American Journal of Sociology, 94, 95–120. Connell, R. W. (1992). Citizenship, social justice and curriculum. International Studies in Sociology of Education, 2(2), 133–146. Cornelißen, W. (2009). Sex and Gender im Jugendalter. In M. Schweer (Hrsg.), Sex and Gender: Interdisziplinäre Beitrage zu einer gesellschaftlichen Konstruktion (S. 23–38). Frankfurt a. M.: Internationaler Verlag der Wissenschaften. Dahrendorf, R. (2007). Zu viel des Guten. Über die Dynamik von Staatsbürgerschaft. In J. Mackert & H. P. Müller (Hrsg.), Moderne (Staats) Bürgerschaft: Nationale Staats­ bürgerschaft und die Debatte der Citizenship Studies (S. 97–118). Wiesbaden: VS Verlag.

12  Teilhabe versus Handlungsohnmacht …

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Imogen Feld promovierte 2016 an der Universität Hamburg, davor studierte sie Soziologie an der Philipps-Universität Marburg. Sie hat mehrere Jahre am Arbeitsbereich „Evaluation von Bildungssystemen“ in der Fakultät Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg gearbeitet. Gegenwärtig ist sie Postdoctoral Fellow gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an der School of Education, Communication and Society am King’s College London. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Soziale Disparitäten, elterliche Eingebundenheit im Schulkontext, Citizenship Education und international vergleichende Erziehungswissenschaft.