Sprecherurteile zur Dekomponierbarkeit englischer Idiome: Entwicklung eines Modells der lexikalischen und konzeptuellen Repräsentation von Idiomen bei Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern [Reprint 2014 ed.] 9783110953558, 9783484304710

The volume gives an account of two psycholinguistic studies capturing and comparing judgments by German and English nati

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Sprecherurteile zur Dekomponierbarkeit englischer Idiome: Entwicklung eines Modells der lexikalischen und konzeptuellen Repräsentation von Idiomen bei Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern [Reprint 2014 ed.]
 9783110953558, 9783484304710

Table of contents :
Vorwort
1 Einleitung
1.1 Idiome als interdisziplinärer Untersuchungsgegenstand
1.2 Begrifsklärungen
1.2.1 Dekomponierbarkeit
1.2.2 Idiome
1.2.3 Sprecherurteile
2 Die Entwicklung der linguistischen Idiomforschung
2.1 Nichtgenerative Forschungsansätze
2.2 Beschreibungsversuche von Idiomen im Rahmen der generativen Grammatik
2.2.1 Lexikalische und phrasale Idiome und das Merkmal [±Idiom]
2.2.2 Die Idiomliste
2.2.3 Eine Hierarchie der syntaktischen Fixiertheit
2.2.4 Idiome als semantische Einheiten
2.2.5 Zusammenfassung: Generative Ansätze
2.3 Der Perspektivenwechsel: Die Dekomponierbarkeit von Idiomen
2.4 Zusammenfassung: Linguistische Idiomforschung
3 Psycholinguistische Studien: Verarbeitung und Eigenschaften von Idiomen
3.1 Hypothesen zur Verarbeitung von Idiomen
3.1.1 Die Idiomlistenhypothese
3.1.2 Die lexikalische Repräsentationshypothese
3.1.3 Die direkte Zugriffshypothese
3.1.4 Die Konfigurationshypothese
3.1.5 Zusammenfassende Bewertung der vier Verarbeitungshypothesen
3.2 Eigenschaften von Idiomen
3.2.1 Die Dekompositionshypothese
3.2.2 Der Bekanntheitsgrad
3.3 Zusammenfassung: Psycholinguistische Idiomstudien
4 L2-Idiomstudien: Zum Stand der Forschung und zur Methodologie von Sprecherurteilen
4.1 Idiomstudien mit Nichtmuttersprachlern: Stand der Forschung
4.1.1 Terminologische Unklarheit und Nichtbeachtung von L1- Forschungsergebnissen
4.1.2 Heterogenität der Untersuchungen
4.1.3 Kategorisierung nach inhaltlichen Schwerpunkten
4.1.4 Zusammenfassung: Stand der L2-Forschung
4.2 Sprecherurteile: Methodologische Überlegungen
4.2.1 Zur Notwendigkeit einer Methodendiskussion innerhalb sprachwissenschaftlicher Forschung
4.2.2 Messtheoretische Kriterien von Sprecherurteilen
4.2.3 Zur Repräsentativität von Stichprobe und Datenbasis
4.2.4 Zusammenfassung: Sprecherurteile
5 Sprecherurteile von Nichtmuttersprachlern zur Dekomponierbarkeit englischer Idiome: Erhebung 1
5.1 Die Fragestellungen
5.2 Die Auswahl der Idiome
5.3 Versuchsbedingungen und Instruktionen
5.4 Die Probanden
5.4.1 Kriterien für den Ausschluss aus der Analyse
5.5 Der biographische Fragebogen
5.5.1 Das Profil der Probanden
5.6 Die muttersprachliche Kontrollgruppe
5.7 Ergebnisse
5.7.1 Dekompositionsstatus der verbalen Idiome
5.7.2 Einfluss individueller Sprechermerkmale auf das Dekompositionsurteil
5.7.3 75%-Beurteilerübereinstimmung
5.7.4 Vergleich zwischen Nichtmuttersprachlern und muttersprachlicher Kontrollgruppe
5.7.5 Schwierigkeitsgrad der Dekompositionsentscheidung
5.7.6 Einschätzung des Bekanntheitsgrades der Idiome
5.7.7 Die T(ranslation)-Bedingung
6 Sprecherurteile von Nichtmuttersprachlern zur Dekomponierbarkeit englischer Idiome: Erhebung II
6.1 Die Fragestellungen
6.2 Die Auswahl der Idiome
6.3 Versuchsbedingungen und Instruktionen
6.4 Die Probanden und ihr Profil
6.5 Ergebnisse
6.5.1 Dekompositionsstatus der syntaktisch heterogenen Idiome und 75%-Beurteilerübereinstimmung
6.5.2 Einschätzung des Bekanntheitsgrades der Idiome
6.5.3 Vergleich zwischen Nichtmuttersprachlern und Muttersprachlern: 171 Normidiome
6.6 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse von Erhebung I und II
7 Die lexikalische und konzeptuelle Repräsentation englischer Idiome
7.1 Lexikalische Aspekte der Repräsentation englischer Idiome
7.1.1 Zur Struktur des Lexikons
7.1.2 Duale Repräsentationen von Idiomen: Das DIR-Modell
7.1.3 Bestätigung für das DIR-Modell aus dem Bereich der Morphologie
7.1.4 Zusammenfassung: Lexikalische Repräsentationsaspekte
7.2 Konzeptuelle Aspekte der Repräsentation englischer Idiome
7.2.1 Begriffsklärungen
7.2.2 Konzeptuelle Strukturen als Grundlage für die Bedeutung von Idiomen
7.2.3 Konzeptuelle Aspekte der Repräsentation im Rahmen des DIR-Modells
7.2.4 Zusammenfassung: Konzeptuelle Repräsentationsaspekte
7.3 Vorschläge und Forderungen für zukünftige Forschung
7.3.1 Forschungsaufgaben im Bereich der Psycholinguistik
7.3.2 Forschungsaufgaben im Bereich der Linguistik
7.3.3 Vorschläge für den didaktischen Bereich
7.3.4 Forschungsaufgaben im Bereich der Psychologie
Appendix
Literatur

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Linguistische Arbeiten

471

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Hans Jürgen Heringer, Ingo Plag, Beatrice Primus und Richard Wiese

Beate Abel

Sprecherurteile zur Dekomponierbarkeit englischer Idiome Entwicklung eines Modells der lexikalischen und konzeptuellen Repräsentation von Idiomen bei Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2003

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-30471-5

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2003 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Hanf Buch- und Mediendruck GmbH, Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

IX

1

Einleitung 1.1 Idiome als interdisziplinärer Untersuchungsgegenstand 1.2 Begriffsklärungen 1.2.1 Dekomponierbarkeit 1.2.2 Idiome 1.2.2.1 Traditionelle Definitionsansätze und ihre Probleme 1.2.2.2 Ein erweiterter Definitionsansatz 1.2.3 Sprecherurteile

1 3 7 8 11 11 13 15

2

Die Entwicklung der linguistischen Idiomforschung 2.1 Nichtgenerative Forschungsansätze 2.2 Beschreibungsversuche von Idiomen im Rahmen der generativen Grammatik 2.2.1 Lexikalische und phrasale Idiome und das Merkmal [±Idiom] 2.2.2 Die Idiomliste 2.2.3 Eine Hierarchie der syntaktischen Fixiertheit 2.2.4 Idiome als semantische Einheiten 2.2.5 Zusammenfassung: Generative Ansätze 2.3 Der Perspektivenwechsel: Die Dekomponierbarkeit von Idiomen 2.4 Zusammenfassung: Linguistische Idiomforschung

19 20 22 25 28 31 35 40 42 47

3

Psycholinguistische Studien: Verarbeitung und Eigenschaften von Idiomen 3.1 Hypothesen zur Verarbeitung von Idiomen 3.1.1 Die Idiomlistenhypothese 3.1.2 Die lexikalische Repräsentationshypothese 3.1.2.1 Empirische Überprüfungen der lexikalischen Repräsentationshypothese 3.1.3 Die direkte Zugriffshypothese 3.1.3.1 Empirische Überprüfungen der direkten Zugriffshypothese ... 3.1.4 Die Konfigurationshypothese 3.1.4.1 Empirische Überprüfungen der Konfigurationshypothese 3.1.5 Zusammenfassende Bewertung der vier Verarbeitungshypothesen 3.2 Eigenschaften von Idiomen 3.2.1 Die Dekompositionshypothese 3.2.1.1 Die Vereinbarkeit der Dekompositionshypothese mit existierenden Verarbeitungsmodellen 3.2.1.2 Bestätigungen, Modifikationen und Revisionen der Dekompositionshypothese 3.2.2 Der Bekanntheitsgrad 3.3 Zusammenfassung: Psycholinguistische Idiomstudien

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L2-Idiomstudien: Zum Stand der Forschung und zur Methodologie von Sprecherurteilen 4.1 Idiomstudien mit Nichtmuttersprachlern: Stand der Forschung 4.1.1 Terminologische Unklarheit und Nichtbeachtung von LlForschungsergebnissen 4.1.2 Heterogenität der Untersuchungen 4.1.3 Kategorisierung nach inhaltlichen Schwerpunkten 4.1.3.1 Pragmatisch-didaktische Arbeiten 4.1.3.2 Transfer-oder Informationsintegrationsaspekte 4.1.3.3 Fehleranalysen als Indikator für den fremdsprachlichen Kenntnisstand 4.1.4 Zusammenfassung: Stand der L2-Forschung 4.2 Sprecherurteile: Methodologische Überlegungen 4.2.1 Zur Notwendigkeit einer Methodendiskussion innerhalb sprachwissenschaftlicher Forschung 4.2.2 Messtheoretische Kriterien von Sprecherurteilen 4.2.2.1 Zur Objektivität von Sprecherurteilen 4.2.2.2 Zur Validität von Sprecherurteilen 4.2.3 Zur Repräsentativst von Stichprobe und Datenbasis 4.2.4 Zusammenfassung: Sprecherurteile Sprecherurteile von Nichtmuttersprachlern zur Dekomponierbarkeit englischer Idiome: Erhebung 1 5.1 Die Fragestellungen 5.2 Die Auswahl der Idiome 5.3 Versuchsbedingungen und Instruktionen 5.4 Die Probanden 5.4.1 Kriterien für den Ausschluss aus der Analyse 5.5 Der biographische Fragebogen 5.5.1 Das Profil der Probanden 5.6 Die muttersprachliche Kontrollgruppe 5.7 Ergebnisse 5.7.1 Dekompositionsstatus der verbalen Idiome 5.7.2 Einfluss individueller Sprechermerkmale auf das Dekompositionsurteil 5.7.3 75%-Beurteilerübereinstimmung 5.7.4 Vergleich zwischen Nichtmuttersprachlern und muttersprachlicher Kontrollgruppe 5.7.5 Schwierigkeitsgrad der Dekompositionsentscheidung 5.7.5.1 Zusammenhang zwischen Dekompositionsstatus und Schwierigkeitsgrad der Entscheidung 5.7.6 Einschätzung des Bekanntheitsgrades der Idiome 5.7.6.1 Zusammenhang zwischen Dekompositionsstatus und Bekanntheitsgrad 5.7.7 Die T(ra/is/irf/OAj)-Bedingung

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VII 6

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Sprecherurteile von Nichtmuttersprachlern zur Dekomponierbarkeit englischer Idiome: Erhebung II 6.1 Die Fragestellungen 6.2 Die Auswahl der Idiome 6.3 Versuchsbedingungen und Instruktionen 6.4 Die Probanden und ihr Profil 6.5 Ergebnisse 6.5.1 Dekompositionsstatus der syntaktisch heterogenen Idiome und 75%-Beurteilerübereinstimmung 6.5.1.1 Einfluss individueller Sprechermerkmale auf das Dekompositionsurteil 6.5.2 Einschätzung des Bekanntheitsgrades der Idiome 6.5.2.1 Zusammenhang zwischen Dekompositionsstatus und Bekanntheitsgrad 6.5.3 Vergleich zwischen Nichtmuttersprachlern und Muttersprachlern: 171 Normidiome 6.5.3.1 75%-Beurteilerübereinstimmung: 171 Normidiome 6.5.3.2 Zusammenhang zwischen Dekompositionsstatus und Bekanntheitsgrad: 171 Normidiome 6.6 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse von Erhebung I und II Die lexikalische und konzeptuelle Repräsentation englischer Idiome 7.1 Lexikalische Aspekte der Repräsentation englischer Idiome 7.1.1 Zur Struktur des Lexikons 7.1.2 Duale Repräsentationen von Idiomen: Das DIR-Modell 7.1.2.1 Konstituenteneinträge auf der Zugriffsebene 7.1.2.2 Duale Repräsentationen auf der Inhaltsebene 7.1.2.3 Lexikalische Verbindungen zwischen Konstituentenund Idiomeinträgen 7.1.2.4 Unterschiede zwischen Repräsentationen im L1 und L2-Lexikon 7.1.2.5 Zusammenfassung der zentralen Annahmen des DIRModells 7.1.3 Bestätigung für das DIR-Modell aus dem Bereich der Morphologie 7.1.3.1 Ganzworteinträge versus Dekomposition 7.1.3.2 Ganzworteinträge und Dekomposition 7.1.3.3 Zum Zusammenhang zwischen Dekomponierbarkeit und Transparenz 7.1.3.4 Zum Zusammenhang zwischen Bekanntheitsgrad und Frequenz 7.1.4 Zusammenfassung: Lexikalische Repräsentationsaspekte 7.2 Konzeptuelle Aspekte der Repräsentation englischer Idiome 7.2.1 Begriffsklärungen 7.2.2 Konzeptuelle Strukturen als Grundlage für die Bedeutung von Idiomen

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VIII 7.2.3

7.3

Konzeptuelle Aspekte der Repräsentation im Rahmen des DIR-Modells 7.2.4 Zusammenfassung: Konzeptuelle Repräsentationsaspekte Vorschläge und Forderungen für zukünftige Forschung 7.3.1 Forschungsaufgaben im Bereich der Psycholinguistik 7.3.2 Forschungsaufgaben im Bereich der Linguistik 7.3.3 Vorschläge für den didaktischen Bereich 7.3.4 Forschungsaufgaben im Bereich der Psychologie

201 203 203 203 205 207 208

Appendix

211

Literatur

231

[...] linguists and psychologists talk about different things. It is certainly true that grammarians are more interested in what could be said than in what people actually say, which irritates psychologists, and that psychologists insist on supplementing intuition with objective evidence, which irritates linguists. But these are precisely the differences that patient collaboration should overcome. (Miller 1990: 321)

Vorwort

Das vorliegende Buch wurde im Sommersemester 2001 als Dissertation an der Bergischen Universität Wuppertal angenommen. Für die Druckfassung wurde das Manuskript formal angepasst; vereinzelt wurden Kürzungen oder Ergänzungen vorgenommen. Ich danke Frau Prof. Dr. Dr. h.c. Gisa Rauh für die Betreuung der vorliegenden Arbeit und für die kritischen Gespräche, die wir in diesem Zusammenhang geführt haben. Sie hat mir sowohl Freiräume während der Entstehung der Arbeit gewährt als auch deren Fertigstellung durch zahlreiche konstruktive Anregungen und klärende Hinweise wesentlich unterstützt. Außerdem danke ich Herrn Prof. Dr. Dieter Wolff für das Interesse, das er dem hier gewählten Thema entgegengebracht hat und für seine Bereitschaft zur Übernahme des Zweitgutachtens. Weiterer Dank gilt Herrn Dr. Andreas Zick für die Diskussion von psychologischen Fragestellungen. Er hat mir wertvolle Ratschläge zur Erstellung der Fragebögen sowie Hinweise zur Versuchsdurchführung gegeben. Besonders herzlich bedanke ich mich bei Friederike Pfingsten, die stets bereit war, Entwürfe dieser Arbeit zu lesen und über auftretende Fragen zu diskutieren. Sie hat dadurch dazu beigetragen, Unklarheiten auszuräumen und unsortierte Gedanken zu ordnen. Außerdem haben sie und auch Angelika Huppertz mir zu jeder Zeit bereitwillig Auskunft Uber linguistische Sachverhalte gegeben, vielen Dank dafür. Weiterhin danke ich Colin Foskett für seine Hilfe bei der Aufbereitung des englischen Datenmaterials sowie für die Nennung und Diskussion von Beispielen, vor allem im Bereich englischer Komposita. Jennifer Austin und John McKeown haben ebenfalls hilfreiche muttersprachliche Urteile zu Idiomen abgegeben. Außer Colin Foskett ist Thilo Tappe immer bereit, Fragen linguistischer Art zu beantworten und zu diskutieren. Für ihre kollegiale Unterstützung bin ich beiden zu Dank verpflichtet, ebenso wie Kerstin Blume und Stefan Engelberg, mit denen ich einige semantische Probleme erörtern konnte. Ich bedanke mich außerdem bei Birgit und besonders Christian Klever für ihre Hilfe mit Hard- und Software, für mathematische Ratschläge bei der Auswertung der Erhebungen und für Hinweise bei der Erstellung von Tabellen und Abbildungen. Schließlich ein herzliches Dankeschön an meinen Mann, Jürgen Kleid, vor allem für die Geduld und den Humor, mit denen er mir während der Entstehung dieser Arbeit begegnet ist. Meinen Eltern, Regina und Waither Abel, denen ich für ihre stetige Unterstützung danke, ist dieses Buch gewidmet. Beate Abel, Wuppertal, im September 2002

1 Einleitung

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Formulierung eines Modells der lexikalischen und konzeptuellen Repräsentation von Idiomen bei Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern. Dazu werden Sprecherurteile zur Dekomponierbarkeit englischer Idiome detailliert erhoben und analysiert, wobei die Urteile von Nichtmuttersprachlern im Vordergrund stehen. 1 Die Befunde werden zur Validierung muttersprachlicher Urteile herangezogen, die bisher nur selten untersucht wurden und dabei heterogene Ergebnisse geliefert haben. Der Vergleich der beiden Sprechergruppen führt zur Entwicklung eines integrativen Modells, das Aussagen darüber trifft, wie dekomponierbare und nichtdekomponierbare Idiome im muttersprachlichen (LI-) bzw. im nichtmuttersprachlichen (L2-) mentalen Lexikon repräsentiert sind und welche Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zwischen dem L I - und L2Lexikon im Hinblick auf die Speicherung und Verarbeitung von Idiomen bestehen. Das Modell geht von dualen Idiomrepräsentationen aus, d.h. es werden Konstituenteneinträge und Idiomeinträge angenommen. Außer lexikalischen Aspekten der Repräsentation werden auch konzeptuelle Aspekte berücksichtigt. Damit wird die linguistische Beschreibungsebene verlassen und zusätzlich eine allgemein kognitive bzw. psychologische Ebene zur Erklärung der Verarbeitung und Repräsentation von Idiomen herangezogen. Das vorliegende Buch ist wie folgt strukturiert: In Kapitel 1 wird aufgezeigt, warum Idiome einen Untersuchungsgegenstand darstellen, der aus der Sicht verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen bzw. Teildisziplinen der Linguistik betrachtet werden sollte (1.1). Außerdem wird das Verständnis der thematisch zentralen Begriffe der vorliegenden Arbeit - „Dekomponierbarkeit" (1.2.1), „Idiome" (1.2.2) und „Sprecherurteile" (1.2.3) - diskutiert. Kapitel 2 stellt die Entwicklung der angelsächsischen Idiomforschung in den 1960er und 70er Jahren dar. Neben der Beschreibung einiger nichtgenerativer Forschungsansätze (2.1) werden vor allem Ansätze diskutiert, die vor dem Hintergrund der zu dieser Zeit vorherrschenden generativen Phrasenstruktur- bzw. Transformationsgrammatik (z.B. Chomsky 1957, 1965) entstanden sind (2.2). Diese Arbeiten haben die Grundlagen für weitere Forschung geliefert, sind aber aus heutiger Sicht als theoretisch nicht optimales Fundament zu bewerten. 2 Unter 2.3 wird der Perspektivenwechsel aufgezeigt, durch den die Dekompo-

1

2

Der Begriff „Nichtmuttersprachler" wird hier als Übersetzung von non-native Speaker verwendet und ist abzugrenzen von den innerhalb der didaktisch orientierten Literatur üblichen Bezeichnungen foreigrt language learner bzw. „Fremdsprachenlerner". Während der Begriff „Lerner" bestimmte Defizite impliziert, soll durch „Sprecher" betont werden, dass sprachliche Urteilsfähigkeit kontinuierlich verteilt ist und nicht a priori davon ausgegangen werden sollte, dass Nichtmuttersprachler „schlechtere" Urteile abgeben als Muttersprachler. Generell gilt, dass Bezeichnungen wie „Sprecher", „Lerner", „Autor" etc. im Folgenden generisch zu verstehen sind. Diese Einschätzung bedeutet nicht, dass völlig auf syntaktische Analysen verzichtet werden sollte. Einige jüngere morphosyntaktische Arbeiten liegen mit van Gestel (1989, 1995) oder Schenk (1995) vor. Außerdem ist zu beachten, dass die im Zusammenhang mit Idiomen lohnenswertere Forschung zum Lexikon in den 60er und frühen 70er Jahren noch nicht hinreichend etabliert war; sie wurde erst durch Impulse wie z.B. die Lexicalist Hypothesis (Chomsky 1970) angeregt.

2 nierbarkeit als zentraler Aspekt bei der Beschreibung von Idiomen herausgestellt wurde und der dazu geführt hat, dass der Forschungsschwerpunkt von der generativ orientierten Linguistik in die Psycholinguistik verlagert wurde. Kapitel 3 gibt einen Überblick Uber die einflussreichsten psycholinguistischen Studien der späten 70er sowie der 80er und 90er Jahre und zeigt auf, welche verschiedenen, empirisch überprüfbaren Hypothesen zum Verarbeitungs- und Verstehensprozess englischer Idiome entwickelt wurden (3.1) bzw. welche Eigenschaften von Idiomen als relevant für deren Verarbeitung und ihr grammatisches Verhalten identifiziert werden konnten (3.2). Die unterschiedlichen Ergebnisse, die im Zusammenhang mit der Dekompositionshypothese (3.2.1) berichtet wurden (vgl. Gibbs et al. 1989a,b,c 3 versus Titone und Connine 1994a), haben die in den Kapiteln 5 und 6 vorgestellten eigenen Erhebungen motiviert. Die in Kapitel 3 diskutierten Studien konzentrieren sich vorwiegend auf isolierte, gut operationalisierbare und damit experimentell nachprüfbare lexikalische Aspekte der Verarbeitung von Idiomen; konzeptuelle Faktoren werden nicht berücksichtigt (vgl. dazu 7.2). Kapitel 4 liefert theoretische und methodologische Grundlagen für die in den darauf folgenden Kapiteln dargestellten Untersuchungen über nichtmuttersprachliche Urteile zum Dekompositionsstatus englischer Idiome. Der erste Teil von Kapitel 4 gibt einen Überblick über den Stand der L2-Forschung auf diesem Gebiet. Dabei wird deutlich, dass bisher keine systematische Forschung existiert. Diesem Missstand wirken die in den Kapiteln 5 und 6 dargestellten Untersuchungen sowie das in Kapitel 7 auf dieser Grundlage entwickelte Modell entgegen. Im zweiten Teil des vierten Kapitels werden grundlegende methodologische Überlegungen zur Erhebung von Sprecherurteilen angestellt. Die Diskussion messtheoretischer Kriterien wie Objektivität und Validität (4.2.2) sowie die Ausführungen zur Repräsentativität von Stichproben und Datenbasen (4.2.3) sind notwendig, weil die innerhalb der Linguistik zunehmende interdisziplinäre Forschung nur dann vergleichbar und konstruktiv durchgeführt werden kann, wenn Transparenz bezüglich der verwendeten Methodik besteht. Kapitel 5 und 6 beschreiben die Erhebungen von Urteilen deutscher Sprecher zur Dekomponierbarkeit englischer Idiome und deren Ergebnisse. Während in Erhebung I (Kapitel 5) ausschließlich verbale Idiome, d.h. Idiome der Form V + Det + N, untersucht werden, analysiert Erhebung II (Kapitel 6) Urteile zu Idiomen verschiedener syntaktischer Form. Die in den Kapiteln 5 und 6 gelieferten Daten sind einerseits als Normwerte für zukünftige Forschung auf diesem Gebiet zu verstehen, die eine systematische und im Hinblick auf Urteile zum Dekompositionsstatus der Idiome kontrollierte Forschung ermöglichen. Andererseits bilden die Daten die Grundlage für das im abschließenden Kapitel entwickelte Modell der dualen Idiomrepräsentation (DIR-Modell). Kapitel 7 beschäftigt sich mit der lexikalischen (7.1) und konzeptuellen (7.2) Repräsentation englischer Idiome. Das DIR-Modell berücksichtigt die Ausbildung und Aktivierung von Konstituenteneinträgen, Idiomeinträgen sowie konzeptuellen Strukturen, bildet Unter-

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Gibbs hat 1989 mit verschiedenen Koautoren drei inhaltlich eng verbundene Studien zur Dekomponierbarkeit von Idiomen veröffentlicht. Wenn im Folgenden auf die Gesamtheit dieser drei Studien referiert wird, werden sie zur Verkürzung als Gibbs et al. (1989a,b,c) bezeichnet. Die aUntersuchung wurde von Gibbs und Nayak durchgeführt, die b-Untersuchung von Gibbs, Nayak, Bolton und Keppel und die c-Untersuchung von Gibbs, Nayak und Cutting.

3 schiede zwischen dekomponierbaren und nichtdekomponierbaren Idiomen ab und beschreibt Unterschiede muttersprachlicher und nichtmuttersprachlicher Repräsentationen. Dadurch können die in Kapitel 5 und 6 festgestellten Unterschiede in den Dekompositionsurteilen von Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern integriert und in einem theoretischen Rahmen erklärt werden. Das Kapitel endet mit einem Ausblick auf zukünftige Forschung (7.3), wobei sich gemäß der in 1.1 begründeten interdisziplinären Ausrichtung die diskutierten Vorschläge und Forderungen auf linguistische, psycholinguistische, didaktische und psychologische Bereiche beziehen.

1.1 Idiome als interdisziplinärer Untersuchungsgegenstand

Die in der vorliegenden Arbeit vorgenommenen Betrachtungen sind grundsätzlich innerhalb der Linguistik bzw. in verschiedenen Teilgebieten der Linguistik sowie der Psychologie zu verankern. Idiome markieren eine Schnittstelle zwischen der sprachlichen und kognitiven Ebene und sind nur umfassend zu beschreiben, wenn sowohl lexikalische als auch konzeptuelle Strukturen dabei berücksichtigt werden. Die hier durchgeführten empirischen Untersuchungen und die daraus resultierenden Überlegungen zur Verarbeitung und Repräsentation von Idiomen im muttersprachlichen und nichtmuttersprachlichen Lexikon sind psycholinguistisch orientiert und berühren Fragestellungen der kognitiven Linguistik sowie der Fremdsprachenforschung. Die Verankerung des Untersuchungsgegenstandes in mehreren Teilgebieten der Linguistik und der Psychologie ergibt sich einerseits aus der Tradition der Idiomforschung, deren anfangs linguistische Fragestellungen sich in psycholinguistische verändert haben, und andererseits aus dem hier gewählten empirischen Verfahren, welches nichtmuttersprachliche mit muttersprachlichen Daten in Verbindung bringt. Idiome (zur genaueren Begriffsklärung vgl. Abschnitt 1.2.2) stellen innerhalb der Linguistik einen problematischen Gegenstandsbereich dar, da ihre Beschreibung und Erklärung nur mit Mühe in existierende Grammatikmodelle, vor allem die syntaxbasierte generative Grammatik im Sinne von Chomsky (vgl. z.B. Chomsky 1957, 1965, 1970, 1980, 1981), integriert werden können. Unter anderem aufgrund dieser theorieintern begründeten Schwierigkeiten (vgl. dazu Jackendoff 1995) hat sich die Untersuchung englischer Idiome sowohl im Hinblick auf die Fragestellungen als auch bezüglich der Vorgehensweisen in zunehmendem Maße von der Linguistik in die Psychologie bzw. die Psycholinguistik verlagert. 4 Die vorliegende Arbeit ist von ihrer Anlage sowie der Art und Weise der Durchführung der empirischen Erhebungen im Bereich der Psycholinguistik anzusiedeln. Die Psy4

Die Psycholinguistik untersucht neben der Sprachverarbeitung auch die Sprachproduktion und den Spracherwerb sowie die psychologische Plausibilität linguistischer Theorien. Einen ausführlichen Überblick über die Inhalte der Psycholinguistik gibt z.B. Tanenhaus (1988). Nach wie vor als „programmatisch" für die Aufgaben der Psycholinguistik gilt der Bericht der ersten Sommerschule für Psycholinguistik, die 1953 an der Indiana University stattfand und deren Ergebnisse in Osgood und Sebeok (1954) veröffentlicht sind. Lewandowsky (1990: 847f.) liefert diesbezüglich eine Zusammenfassung, die als kurze Definition des Begriffes Psycholinguistik dienen kann.

4 cholinguistik beschäftigt sich traditionellerweise mit der Verarbeitung und Speicherung von sprachlichen Einheiten sowie der experimentellen Erhebung sprachlicher Daten. Letzteres stellt eine Verknüpfung zur empirischen Linguistik dar, die diesen Aspekt als wichtiges Kriterium für sprachwissenschaftliche Forschung betont (vgl. dazu z.B. Schlobinski 1996: 1 lf.). Die empirische Sprachwissenschaft verfolgt den Ansatz, auf der Grundlage von erhobenen Daten Aufschluss über sprachliche Phänomene zu erhalten. Dabei wird zunächst lediglich Beobachtungsadäquatheit beansprucht, „[...] von der aus auf Erklärungen rückgeschlossen werden kann." (Schlobinski 1996: 14). Der in der vorliegenden Arbeit verwendete Ansatz, Methoden, Hypothesen und Befunde aus der LI-Forschung teilweise auf die L2-Forschung zu übertragen bzw. dort zu überprüfen, bringt Aspekte ein, die im weiteren Sinne innerhalb der angewandten Linguistik anzusiedeln sind. Es herrscht Uneinigkeit darüber, was unter der Teildisziplin „angewandte Linguistik" zu verstehen ist.5 Hier wird sie u.a. im Sinne Sridhars (1993: 4f.) verstanden, der die Validierung linguistischer Theorien mit Hilfe von verschiedenen, auch L2-Sprechergruppen als „angewandte Linguistik" bezeichnet. Kennzeichnenderweise werden dabei nicht nur Sprecherurteile von ein oder zwei Informanden über einige wenige, konstruierte Sätze o.ä. erhoben, sondern Urteile großer Probandengruppen über „echte", häufig in einen Kontext eingebettete Sprachdaten. Das theoretische Erkenntnisinteresse steht dabei im Vordergrund und hat Priorität über beispielsweise Probleme aus der Praxis des Fremdsprachenunterrichts. Selbstverständlich ergeben sich aus einem solchen Vorgehen, wenn auch nicht primär intendiert, nutzbare Erkenntnisse und Schlussfolgerungen, die in der Fremdsprachenforschung und bei Überlegungen zum Fremdsprachenunterricht Verwendung finden können (vgl. dazu z.B. Wolff 1994b). Überlegungen zur Repräsentation von Sprache im mentalen Lexikon und die Verbindung von sprachlichen mit allgemein kognitiven Strukturen werden zunehmend von kognitiv orientierten Linguisten diskutiert, z.B. von Lakoff (1990, 1991), Langacker (1991), Gibbs (1994a,b, 1995) oder Gibbs und Colston (1995). Nach Schwarz ( 2 1996:9) ist die kognitive Linguistik „[...] auf die Beschreibung und Erklärung der mentalen Sprachstrukturen und -prozesse ausgerichtet [...]", wobei die „[...] Erforschung der Interaktion zwischen der Repräsentation und der Verarbeitung sprachlichen Wissens" einen zentralen Stellenwert einnimmt. Traditionellerweise ist die Verknüpfung zwischen Linguistik und Psychologie besonders eng; so hat beispielsweise Chomsky (1980: 4) die generative Linguistik als Teilgebiet der kognitiven Psychologie beschrieben: „I would like to think of linguistics as that part of psychology that focuses its attention on one specific cognitive domain and one faculty of mind, the language faculty." Dabei ist es wichtig zu beachten, dass es innerhalb der als kognitiv bezeichneten Linguistik verschiedene Strömungen gibt, die jeweils andere Schwerpunkte setzen. Wenn hier im Folgenden von „kognitiver Linguistik" gesprochen wird, ist damit die Ausrichtung gemeint, die Sprache nicht als ein autonomes Phänomen betrachtet, sondern versucht, sprachliche Strukturen und Prozesse mit anderen kognitiven, vor allem konzeptuellen Vorgängen in Verbindung zu bringen (vgl. Lakoff 1991, Lakoff

5

So wurde z.B. Ende 1998 in der BAAL mail list im Internet (http://www.baal.org.uk) unter dem Thema „Defining Applied Linguistics", vor allem zwischen Hudson, Lonergan und Hauge, eine kontroverse Diskussion über die Inhalte der angewandten Linguistik geführt.

5 und Johnson 1980, Langacker 1991, Gibbs 1994a,b etc.). Die Hinwendung zu solchen kognitiven Erklärungsansätzen und die damit einhergehende Vernetzung von Linguistik und Psychologie hat bereits in den späten 70er Jahren begonnen und seitdem kontinuierlich mehr Anhänger gefunden. 6 Relevant für die Idiomforschung und damit auch für die vorliegende Arbeit ist der Perspektivenwechsel, der mit einer Hinwendung zur Psycholinguistik und kognitiven Linguistik in Abgrenzung zur generativen Linguistik chomskyscher Prägung im Hinblick auf das Verständnis des mentalen Lexikons als Ort der Repräsentation von Sprache einhergeht. Innerhalb der generativen Linguistik wird das (mentale) Lexikon 7 als Speicher sprachlicher Entitäten betrachtet: „We take the lexicon to be a set of lexical entries, each specified as to category and complement structure, with further idiosyncrasies." (Chomsky 1981a: 93). Für diesen, vorwiegend an syntaktischen Phänomenen interessierten Forschungszweig spielen die Vernetzung verschiedener Sublexika oder die interne Struktur und Organisation des Lexikons und seine Verknüpfung mit anderen kognitiven Prozessen eine nachgeordnete Rolle (vgl. z.B. Chomsky 1981a: 145). Das Lexikon hat hauptsächlich die Aufgabe, die Argumentstruktur von lexikalischen Einträgen zu spezifizieren (vgl. z.B. Andrews 1988, Stowell 1992); die Generierung sprachlicher Strukturen wird über syntaktische Prozesse vorgenommen. Unter der oben beschriebenen kognitiv linguistischen Perspektive kommt dem Lexikon verstärkt ein erklärender Stellenwert zu. Diesen Trend hat van der Linden (1989: 128) beschrieben: „A tendency in current linguistic theory is to shift the „explanatory bürden" from the syntactic component to the lexicon." Dieser Anspruch begründet sich durch die Zielsetzung, „die strukturell-repräsentationalen und prozeduralen Prinzipien der menschlichen Sprachfähigkeit in ihrer kognitiven Realität zu beschreiben und zu erklären" (Schwarz 1997: 24). Damit geht einher, dass sprachliche Strukturen nicht isoliert betrachtet, sondern eher in einen allgemein kognitiven Zusammenhang gestellt werden. 8 Die kognitive Linguistik (vgl. Lakoff 1991, Gibbs 1994a,b) thematisiert demzufolge eher den Aufbau allgemein konzeptueller und nicht einzelsprachlicher Strukturen - ein Aspekt, für den die Analyse von sprachlichen Konzepten bei Nichtmuttersprachlern im Vergleich zu Muttersprachlern besonders aufschlussreich sein kann. So stellt sich beispielsweise die Frage, ob grundlegende metaphorische Konzepte, die für Gibbs und Kollegen (Gibbs 1990, 1994a,b, 6

7

8

Einen kurzen historischen Überblick zur Entwicklung der kognitiven Wissenschaften liefert Schwarz (21996). So wurde Ende der 70er Jahre die Zeitschrift Cognitive Science gegründet. Gemessen an den Veröffentlichungsdaten einschlägiger Publikationen erlebt die kognitive Linguistik - beeinflusst von der länger existierenden kognitiven Psychologie - in den 90er Jahren einen ersten Höhepunkt (vgl. z.B. Langacker 1987, 1990, Miller 1990, Felix, Habel und Rickheit 1994, Gibbs 1996, Kertösz 1997, Schönefeld 1997 sowie die von Dirven, Langacker und Taylor herausgegebene Buchreihe Cognitive Linguistics Research (z.B. Geiger und Rudzka-Ostyn 1993, Casad 1996) oder die 1990 gegründete Zeitschrift Cognitive Linguistics usw.). Die Begriffe „mentales Lexikon" und „Lexikon" werden häufig synonym verwendet: „We postulate that speakers of a language are equipped with an internal „dictionary" which we shall refer to as the mental lexicon, or lexicon, which contains all the information they have internalized concerning the words of their language" (Haegeman 1994: 37). Vgl. dazu: „[...] the formal structures of language are studied not as if they were autonomous, but as reflections of general conceptual organization, categorization principles, and processing mechanisms." (Gibbs 1996: 28).

6 1995, Gibbs und O'Brien 1990, Gibbs und Colston 1995, Gibbs, Bogdanovich, Sykes und Barr 1997, Nayak und Gibbs 1990) die figurative Bedeutung vieler Idiome motivieren, als Universalien verstanden werden können und somit sprachübergreifend Gültigkeit haben. Im Hinblick auf ein zu entwickelndes Modell des LI- bzw. L2-Lexikons ist zu fragen, wie bei der Sprachverarbeitung auf konzeptuelle Repräsentationen zugegriffen wird (vgl. dazu Kapitel 7). Die oben kurz beschriebene Verankerung der vorliegenden Arbeit in mehreren Teildisziplinen bringt einerseits Vorteile mit sich, andererseits entstehen dadurch Probleme. Die Integration verschiedener Forschungsansätze aus unterschiedlichen Bereichen beeinträchtigt zwangsläufig die Integrität der Einzeldisziplinen. Diese Einschränkung wird jedoch durch die positiven Aspekte, die sich durch eine interdisziplinäre Organisation ergeben, gerechtfertigt und ausgeglichen. Ein Vorteil besteht beispielsweise darin, dass Erkenntnisse aus der LI-Forschung zu englischen Idiomen fiir Studien mit Nichtmuttersprachlern nutzbar gemacht werden können. Es wird angesichts der Fülle heutzutage existierender Forschungsergebnisse immer wichtiger, neben den notwendigen neuen Forschungsarbeiten die bereits vorhandenen, durch theoretische und empirische Untersuchungen bestätigten Befunde auf ihre Gültigkeit und vor allem auf ihre Verwertbarkeit für angrenzende Themenbereiche zu überprüfen. Eine solche Validierung und Replikation von empirischen Ergebnissen und die sich daraus in aller Regel ergebenden Modifikationen sind für die Theoriebildung ebenso unerlässlich wie die „Neuproduktion" von empirischen Daten, oder anders ausgedrückt: „[...] it is unwise continually to seek more facts when we have not made füll use of the facts already available" (Fiske 1983: 65). 9 Die Forschungslage zur Beurteilung und zur mentalen Repräsentation von englischen Idiomen durch Nichtmuttersprachler befindet sich derzeit in einem ähnlichen Anfangsstadium wie die Forschung auf diesem Gebiet für Muttersprachler zu Beginn der 1970er Jahre. Deshalb erscheint es für die L2-Idiomforschung sinnvoll, die Erkenntnisse der muttersprachlichen Idiomforschung weitestgehend zu verwenden, um so einerseits zu integrativen Ergebnissen zu kommen, andererseits aber auch wertvolle Erkenntnisse für beide Richtungen im Einzelnen gewinnen zu können. Dies gilt auch für die Forschung zum mentalen Lexikon. Es wird - aus kognitiver Perspektive betrachtet - immer deutlicher, dass die mentalen Repräsentationen für die Muttersprache und weitere Sprachen eng zusammenhängen, i.e. semantisch und konzeptuell vernetzt sind (vgl. z.B. Singleton 1993, 1997). Insofern sind vergleichende Betrachtungen zum LI- und L2-Lexikon - wie sie in der vorliegenden Arbeit angestellt werden - unumgänglich; sie werden jedoch nur selten angestellt und kaum empirisch überprüft.

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Diese Argumentation hat innerhalb der Psychologie in den 80er Jahren zur Entwicklung der so genannten Metaanalyse geführt. Darunter versteht man ein statistisches Verfahren, mit dem qualitative Zusammenfassungen existierender Ergebnisse durch quantitative, d.h. statistische Methoden optimal ergänzt werden können (vgl. zur Einführung Fricke und Treinies 1985). Das Thema der vorliegenden Arbeit lässt keine Metaanalyse im statistischen Sinne zu; es wird aber dennoch versucht, bereits existierende und neu gewonnene empirische Befunde möglichst ökonomisch zu integrieren.

7 Die vorangegangenen Ausführungen liefern erste Hinweise auf die verschiedenen Schwerpunkte, die innerhalb unterschiedlicher Teildisziplinen und in der vorliegenden Arbeit bei der Analyse von Idiomen gesetzt werden. Darauf wird ausführlicher vor allem in den Kapiteln 2 und 3 eingegangen, die einen Forschungsüberblick über linguistisch und psycholinguistisch orientierte Arbeiten geben und das hier gewählte Vorgehen begründen. Im nun folgenden Abschnitt wird eine - teilweise vorläufige - Klärung der zentralen Begriffe „Dekomponierbarkeit", „Idiome" und „Sprecherurteile" vorgenommen, um das in der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegte Verständnis dieser Begriffe zu verdeutlichen.

1.2 Begriffsklärungen

In den oben beschriebenen linguistischen Teildisziplinen herrschen über die Definitionen der genannten Begriffe jeweils unterschiedliche Auffassungen. Das liegt sowohl an sich unterscheidenden Forschungstraditionen als auch an unterschiedlichen theoretischen Grundannahmen, mit denen wiederum andere Forschungsmethoden und -ziele einhergehen. Besonders deutlich werden diese Unterschiede im Vergleich der kognitiven Linguistik, wie sie z.B. von Lakoff (1991) oder Gibbs (1994a,b, 1995) vertreten wird, und der generativen Linguistik chomskyscher Prägung (vgl. z.B. Chomsky 1957, 1965, 1980). Die unterschiedlichen Zielsetzungen beider Forschungsrichtungen wurden bereits in Abschnitt 1.1 thematisiert. 10 So unterscheiden sich beispielsweise die Auffassungen und Annahmen, die mit den Begriffen Kompositionalität und Dekomponierbarkeit einhergehen. Der Begriff der Kompositionalität spielt in der formalen Semantik eine Rolle, der Terminus Dekomponierbarkeit ist in der kognitiven (vgl. z.B. Langacker 1987: 448ff.) und psycholinguistischen Idiomforschung (vgl. z.B. Gibbs 1990, 1993, 1994a,b, Gibbs und Nayak 1989, Gibbs, Nayak und Cutting 1989) relevant (vgl. 1.2.1). Obwohl beide Termini unterschiedliche Sachverhalte bezeichnen, sind sie dennoch eng miteinander verbunden. Unter der Bezeichnung „Idiom" (vgl. 1.2.2) werden in der psycholinguistischen Literatur mehr Ausdrücke subsumiert als in generativ orientierten Arbeiten. Ebenso unterschiedlich ist die Auffassung darüber, was unter einem „Sprecherurteil" zu verstehen ist (vgl. 1.2.3). Die folgenden Ausführungen grenzen die unterschiedlichen Konzeptionen voneinander ab und zeigen, welche Definitionen für die vorliegende Arbeit relevant sind.

10

Lakoff (1991) liefert einen Überblick über die Prämissen, die der generativen und der kognitiven Linguistik zugrunde liegen. Es soll in der vorliegenden Arbeit, die eher psycholinguistisch und kognitiv als generativ orientiert ist, nicht darum gehen, die beiden genannten Forschungsrichtungen im Hinblick auf ihre Basisannahmen und die sich daraus ergebenden Forschungsmethoden zu bewerten. Es ist aber wichtig, auf die verschiedenen Grundannahmen und ihre Implikationen hinzuweisen, um eventuellen Missverständnissen, vor allem terminologischer Art, vorzubeugen.

8 1.2.1

Dekomponierbarkeit

In der englischsprachigen Literatur ist der Begriff compositionality, der im Deutschen in der Regel mit „Kompositionalität" übersetzt wird,11 von dem der decomposition zu unterscheiden, der hier mit „Dekomponierbarkeit" bzw. „Dekomposition" übersetzt wird (vgl. dazu Fußnote 13). Beide Begriffe stehen miteinander in Beziehung, bezeichnen aber jeweils etwas anderes und implizieren vor allem verschiedene theoretische Grundannahmen. Die Bezeichnung compositionality wird von den meisten Autoren im Zusammenhang mit dem Frege zugeschriebenen Kompositionalitätsprinzip verwendet: „The compositionality principle, in its most general form, can be expressed as follows: The meaning of an expression is a function of the meanings of its parts and of the way they are syntactically combined." (Partee 1984: 281). Das Prinzip besagt, dass die Bedeutung von komplexen Ausdrücken oder auch die Gesamtbedeutung eines Satzes sich aus den Bedeutungen der einzelnen Konstituenten ergibt bzw. in funktionaler Abhängigkeit dazu steht. Partee (1984: 281) verweist zu Recht darauf, dass die Formulierung „is a function o f dabei eine zentrale Rolle spielt und dass spezifiziert werden muss, welches theoretische Verständnis von Syntax und Semantik zugrunde gelegt wird. Innerhalb der generativen Grammatik bzw. der generativen Syntaxtheorie chomskyscher Prägung wird davon ausgegangen, dass die Grammatik die syntaktische Struktur generiert, deren semantische Interpretation sich dann kompositionell ergibt. Probleme mit der Annahme des Kompositionalitätsprinzips ergeben sich dann, wenn zur eindeutigen semantischen Interpretation eines Satzes der Gesamtkontext herangezogen werden muss, was bei Metaphern oft der Fall ist, oder wenn - wie bei Idiomen - die Gesamtbedeutung eines komplexen Ausdrucks von der Kombination der wörtlichen Bedeutungen der einzelnen Konstituenten abweicht. Die Schwierigkeiten, die Syntax und Semantik figurativer Ausdrücke zu beschreiben und zu erklären (vgl. Kapitel 2), haben dazu geführt, solche Ausdrücke unter generativer Perspektive als grundsätzlich nichtkompositionell zu bezeichnen. In der psycholinguistisch orientierten Idiomforschung wird die Bezeichnung compositional bzw. noncompositional in der Regel dann verwendet, wenn auf generative Ansätze referiert wird, weil - wie oben beschrieben - der Begriff der compositionality dort traditionell verankert ist: „It has been widely assumed that phrasal idioms are noncompositional or that the meaning of an idiom is not a function of the meaning of its parts." (Gibbs und Nayak 1989: 100) oder „[...] the traditional noncompositional definition of idioms" (Titone und Connine 1994a: 251). Unter psycholinguistischer Perspektive ist jedoch nicht die Kompositionalität eines Ausdrucks entscheidend, sondern dessen Dekomponierbarkeit. Der Terminus decomposition, der vor allem von Gibbs et al. (1989a,b,c) geprägt wurde und der von anderen Autoren manchmal auch als decompositionality (vgl. z.B. Cacciari und Glucksberg 1991: 218) bezeichnet wird, ist zwar in Anlehnung an den Begriff composi11

Bei der Übersetzung von compositionality werden im Deutschen die Varianten Kompositionalität bzw. Komposition verwendet. So findet man die Beschreibung von Freges Prinzip in Bußmann (21990: 402) unter dem Stichwort „Kompositionsprinzip", in Lewandowski (1990: 578) unter „Kompositionalitätsprinzip der Bedeutung".

9 tionality entstanden, muss aber in einem anderen Sinne verstanden werden. Gibbs und Nayak (1989) definieren den Begriff und die damit einhergehenden Hypothesen folgendermaßen (vgl. dazu 3.2.1): „[...] idioms are partially analyzable and speaker's assumptions about how the meaning of the parts contribute to the figurative meanings of the whole determines the syntactic behavior of idioms. We dub this idea the idiom decomposition hypothesis." (Gibbs und Nayak 1989: 104). Das bedeutet, dass Dekomponierbarkeit sich auf die Analysierbarkeit von Idiomen bezieht, d.h. auf die Annahmen von Sprechern darüber, inwieweit die Bedeutungen der einzelnen Konstituenten eines Idioms zu der figurativen Gesamtbedeutung beitragen. Dabei ist zu beachten, dass hierbei zunächst die wörtliche Bedeutung der Konstituenten gemeint ist. Dies geht aus zahlreichen Äußerungen von Gibbs und anderen Autoren hervor: „[...] idioms [...] whose individual words have literal relations to their figurative referents [...]" (Gibbs und Nayak 1989: 109) oder „[...] idioms may vary with respect to [...] the way in which the literal meaning of their word constituents contribute (or do not contribute) to the overall idiomatic interpretation of the phrase [...]" (Titone und Connine 1994a: 251). Gibbs relativiert seine Aussagen später dahingehend, dass es nicht unbedingt die wörtliche Bedeutung sein muss, als vielmehr ein eigener, unabhängiger Beitrag der jeweiligen Konstituente: „[...] not necessarily their putative literal meanings. [...] their individual components contribute some sort of independent meanings to the phrases' overall interpretations." (Gibbs 1995: 100). Inwieweit hier metaphorische oder konzeptuelle Faktoren eine Rolle spielen bzw. zur Erklärung herangezogen werden sollten, wird unter 7.2 diskutiert. Gemäß der oben zitierten idiom decomposition hypothesis - die im Folgenden übersetzt als Dekompositionshypothese bezeichnet wird - und zahlreichen empirischen Befunden dazu (vgl. Gibbs et al. 1989a,b,c sowie 3.2.1) gehen die Annahmen der Sprecher über die Dekomponierbarkeit von Idiomen mit bestimmten grammatischen Eigenschaften - z.B. syntaktischer Produktivität oder lexikalischer Flexibilität - der jeweiligen Idiome einher. Bei dieser „Übereinstimmung" von Dekompositionsstatus und grammatischen Eigenschaften der Idiome handelt es sich jedoch nicht um syntaktische Prinzipien o.ä., sondern jeweils um subjektive Einschätzungen.12 Gibbs und Kollegen (Gibbs et al. 1989a,b,c) haben drei unterschiedliche Gruppen von Idiomen identifiziert, die in der einschlägigen Literatur in der Regel als normally decomposable, abnormally decomposable sowie semantically nondecomposable bezeichnet werden (vgl. z.B. Gibbs und Nayak 1989: 108 oder Titone und Connine 1994a: 251 sowie 3.2.1). Für die deutsche Übersetzung der englischen Ausdrücke wurde in der vorliegenden Arbeit folgende Festsetzung vorgenommen: Die den drei Gruppen zugehörigen Idiome werden als „dekomponierbare", „anormal dekomponierbare" und „nichtdekomponierbare" Idiome bezeichnet.13 Beispielidiome für die drei Gruppen sind miss the boat, promise the moon bzw. kick the bucket (Gibbs und Nayak 1989: 133). Bei 12

13

Insofern ist es fast redundant, von „Sprecherurteilen zur Dekomponierbarkeit" zu sprechen, da der Begriff Dekomponierbarkeit bereits impliziert, dass es sich dabei um Beurteilungen von Sprechern handelt. Die Bezeichnungen „dekomponierbar" oder „Dekomponierbarkeit" werden immer dann verwendet, wenn damit auf die inhärenten Eigenschaften der Idiome Bezug genommen wird. Die Bezeichnungen „Dekomposition" oder „Dekompositionsstatus" werden dann verwendet, wenn es sich um die Urteile der Sprecher über die Zuordnung der Idiome zu den drei genannten Gruppen handelt.

10 dekomponierbaren Idiomen befindet sich mindestens eine der Konstituenten im gleichen semantischen Feld wie ihr idiomatischer Referent (Gibbs und Nayak 1989: 107) oder eine Konstituente wird in ihrer wörtlichen Bedeutung verwendet (Titone und Connine 1994a: 251); so bezeichnet das Verb in miss the boat eine „verpasste" Gelegenheit und die NP in pop the question bezieht sich auf eine bestimmte Art von Frage, einen Heiratsantrag. Bei anormal dekomponierbaren Idiomen ist eine metaphorische Beziehung zwischen den Konstituenten und der figurativen Bedeutung auszumachen (Titone und Connine 1994a: 251, Gibbs und Nayak 1989: 109). Bei (anormal) dekomponierbaren Idiomen spielen konzeptuelle Strukturen beim Verstehensprozess eine Rolle, beispielsweise in Form von zugrunde l i e g e n d e n k o n z e p t u e l l e n M e t a p h e r n w i e GOOD IS UP, HAPPY IS UP, TIME IS MONEY e t c .

(Lakoff und Johnson 1980, vgl. 7.2). Auf das Zusammenwirken von lexikalischen und konzeptuellen Repräsentationen wird in Kapitel 7 ausführlich eingegangen. Bei nichtdekomponierbaren Idiomen, z.B. kick the bücket, chew the fat, shoot the breeze, blow the g a f f , kann im Gegensatz zu dekomponierbaren keine Verbindung zwischen der Bedeutung der Konstituenten und ihren jeweiligen figurativen Referenten hergestellt werden (Gibbs und Nayak 1989: 105f., vgl. aber Hamblin und Gibbs 1999). In der vorliegenden Arbeit werden - in Übereinstimmung mit Titone und Connine (1994a: 251) - nichtdekomponierbare Idiome mit solchen gleichgesetzt, die traditionellerweise als nichtkompositionell bezeichnet werden (vgl. dazu 1.2.2). Der Unterschied zwischen Kompositionalität und Dekomponierbarkeit besteht demnach darin, dass Kompositionalität ausschließlich auf der sprachlichen Ebene und damit bei der Bedeutung von (einzelnen) Wörtern angesiedelt ist, während für das Urteil über den Dekompositionsstatus von Idiomen neben lexikalischen Aspekten auch konzeptuelle Faktoren, z.B. zugrunde liegende metaphorische Konzepte, eine Rolle spielen (vgl. dazu 7.2). Das Thema Dekomponierbarkeit sollte nicht diskutiert werden, ohne auf die Rolle dieses Forschungszweiges innerhalb der Morphologie zu verweisen (vgl. 7.1.3), da morphologische Dekomposition mit idiomatischer Dekomposition eng verbunden ist. Erkenntnisse aus Untersuchungen zu morphologisch komplexen Wörtern, d.h. derivierten oder flektierten Wörtern bzw. Komposita, werden in der vorliegenden Arbeit als Bestätigung der Annahmen herangezogen, die hier zur lexikalischen Repräsentation von Idiomen getroffen werden (vgl. 7.1). Die in diesem Abschnitt diskutierte Abgrenzung von Kompositionalität und Dekomponierbarkeit steht in engem Zusammenhang mit Unterschieden zwischen generativ orientierter Linguistik und Psycholinguistik. Bertinetto (1995) verweist in diesem Zusammenhang auf die bereits oben angedeuteten „Gefahren" von „Bindestrich"-Disziplinen: Andere theoretische Prämissen sowie unterschiedliche methodische Vorgehensweisen fuhren häufig zu terminologischer Verwirrung und theoretisch widersprüchlichen Positionen. Bertinettos in Bezug auf die Morphologie getroffenen Aussagen gelten mutatis mutandis auch für Idiome: [...] there may be a fundamental mismatch between a linguistic and a psycholinguistic approach, w.r.t. the identification of morphemic components. A word may be morphologically complex from the linguistic (diachronical) point of view, while being synchronically accessed as a monomorphemic entity. (Bertinetto 1995: 19)

11

Deshalb plädiert Bertinetto - wie Lakoff (1991) - gegen eine Polarisierung der Disziplinen und für eine konstruktive Zusammenarbeit im Hinblick auf die eigentlich relevante Frage, i.e. wo die Grenze zwischen kompositioneilen und nichtkompositionellen Prozessen liegt. Sein Fazit kann auch als Motto bzw. Motivation für die vorliegende Arbeit über Sprecherurteile zur Dekomponierbarkeit von Idiomen dienen: „The debate about compositionality vs. non-compositionality remains one of the central issues in contemporary psycholinguistic research, as well as in linguistics proper." (Bertinetto 1995: 9).

1.2.2 1.2.2.1

Idiome Traditionelle Definitionsansätze und ihre Probleme

Die im vorangegangenen Abschnitt geführte Diskussion über die Begriffe Kompositionalität bzw. Dekomponierbarkeit ist eng mit der Bestimmung des Begriffs „Idiom" verbunden. Betrachtet man in der deutsch- oder englischsprachigen Literatur Definitionsansätze von Idiomen, z.B. in allgemein sowie sprachwissenschaftlich orientierten Wörterbüchern oder in Aufsätzen, die innerhalb der generativen Grammatik im Sinne von Chomsky oder noch vor der Entwicklung dieses Modells verfasst wurden, wird deutlich, dass die Nichtkompositionalität von Idiomen in nahezu allen Definitionsversuchen verankert wird. Zur Veranschaulichung seien im Folgenden einige dieser Ansätze zitiert. Idiome werden beschrieben als: [...] phrase or sentence whose meaning is not clear from the meaning of its individual words and which must be leamt as a whole unit. (Oxford Advanced Learner's Dictionary, Encyclopedic Edition, 1992: 448) [...] a group of words which, as a whole, has a different meaning from the meaning of the words taken individually. (Oxford Pocket English Idioms 1992: 8)[...] a constituent or series of constituents for which the semantic interpretation is not a compositional function of the formatives of which it is composed. (Fraser 1970: 22) Eine feste Wortverbindung, [...], deren Gesamtbedeutung sich nicht aus ihren lexikalischen Einzelbedeutungen und ihrer syntaktischen Struktur ableiten läßt; eine Wortverbindung, deren Bedeutung durch die normale Semantik oder wörtliche Bedeutung nicht zu erklären ist - die also als ganze gelernt und gespeichert werden muß [...]. (Lewandowski 1990: 419) In den oben angeführten Definitionsansätzen wird die Bezeichnung „Idiom" für solche Ausdrücke reserviert, deren Bedeutungen sich - im Sinne des Kompositionalitätsprinzips nicht aus den Bedeutungen der einzelnen Konstituenten ergeben. Eine solch eng gefasste Begriffsklärung ist innerhalb eines wissenschaftlichen Paradigmas notwendig, das sich wie z.B. die generative Grammatik - auf eine rein sprachliche Beschreibungs- bzw. Erklärungsebene beschränkt, syntaktische Prozesse als autonom betrachtet und davon ausgeht, dass die Semantik durch die Syntax bestimmt wird. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die definitorisch verankerte Nichtkompositionalität von Idiomen wirklich auf alle Ausdrücke zutrifft, die normalerweise unter der Bezeichnung „Idiom" subsumiert werden und die beispielsweise in Idiomwörterbüchern aufgeführt oder in linguistischen Studien über Idiome (z.B. Fraser 1970) zum Untersuchungsgegenstand gemacht werden. Bei genauer Be-

12 trachtung der dort auftretenden Idiome wird deutlich, dass darunter zahlreiche Ausdrücke sind, die mindestens eine Konstituente enthalten, die auch in der idiomatischen Lesart ihre wörtliche Bedeutung behält. 14 So verwendet Fräser (1970) u.a. break the ice und pop the question, die in den Untersuchungen von Gibbs und Nayak (1989) und Titone und Connine (1994a) als eindeutig dekomponierbar beurteilt werden und somit kompositioneile Anteile aufweisen (vgl. 1.2.1). Idiome wie z.B. follow the crowd, get the message, miss the boat, pop the question etc. sollten zutreffenderweise eher als „teilweise kompositionell" bezeichnet werden. Dies geschieht aber nicht; es wird von der tatsächlich vorhandenen Nichtkompositionalität einiger Idiome - die nicht so zahlreich sind, wie weitläufig aufgrund des stets als Beispiel angeführten kick the bücket angenommen wird (vgl. z.B. Gibbs 1995: 99) - auf alle Idiome verallgemeinert. Demzufolge werden auch Idiome, die kompositionelle Anteile haben, als nichtkompositionell bezeichnet. Auch die in einigen der oben zitierten Definitionsansätze gezogene Schlussfolgerung, alle Idiome müssten als Ganzes gelernt und gespeichert werden, ist eine Annahme, die - wenn überhaupt (vgl. z.B. Kövecses und Szabö 1996, Hamblin und Gibbs 1999) - nur für die tatsächlich nichtkompositionellen Idiome Gültigkeit hat. Allerdings müssen in diesem Zusammenhang auch konzeptuelle Aspekte berücksichtigt werden, die jedoch in rein linguistisch orientierten Ansätzen a priori nicht vorgesehen sind (vgl. 7.2). Für die vorliegende Arbeit bereitet die traditionellerweise deflnitorisch verankerte Nichtkompositionalität Probleme, da es unter Beibehaltung dieser Definition nicht möglich ist, die gesamte Gruppe der normalerweise als Idiom bezeichneten Ausdrücke zu beschreiben. Außerdem ist für die hier relevante psycholinguistische Perspektive die Nichtkompositionalität ein nachgeordnetes Kriterium (vgl. 1.2.1). Deshalb ist es angemessener und zutreffender, im Folgenden mit „Idiom" alle Ausdrücke zu bezeichnen, die als dekomponierbar, anormal dekomponierbar und nichtdekomponierbar eingeschätzt werden können. Dabei werden neben semantischen auch kognitive bzw. konzeptuelle Aspekte berücksichtigt. Das bedeutet, dass ein Definitionsansatz, der den Begriff Idiom an Dekomponierbarkeit bindet, mehr Ausdrücke umfasst als einer, der den Begriff an Nichtkompositionalität knüpft. Die Frage, inwiefern Kompositionalität und Dekompositionsstatus miteinander einhergehen, ist noch ungeklärt. Wie bereits unter 1.2.1 dargestellt, schreiben Gibbs und Nayak (1989) sowie Titone und Connine (1994a) dekomponierbaren Idiomen kompositioneile Anteile zu.15 Dieser Ansicht wird hier grundsätzlich zugestimmt (für eine ausführlichere Diskussion vgl. Kapitel 7). Mit Titone und Connine (1994a: 251) wird hier auch davon ausgegangen, dass im traditionellen Sinne nichtkompositionelle Idiome höchstwahrscheinlich von Sprechern übereinstimmend als nichtdekomponierbar eingeschätzt werden. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass ein Urteil über Nichtdekomponierbarkeit mehr Aspekte beinhaltet als die Nichtkompositionalität auf syntaktisch-semantischer Ebene. Es sei an dieser Stelle noch auf lexikographisch orientierte Ansätze verwiesen, die - im Einklang mit der vorliegenden Arbeit - Kompositionalität nicht als dichotom, sondern als 14

15

Man vergleiche z.B. die folgenden Idiomwörterbücher: für das Englische Seidl und McMordie (1988, 1992) oder Phythian (1990), für das Deutsche Friederich (1966), für Übersetzungen Deutsch - Englisch Taylor und Gottschalk ( J 1966) usw. Dass dekomponierbare Idiome nicht im traditionellen Sinne kompositioneil sind, zeigt sich daran, dass es in der Regel eine kompositionelle wörtliche und eine (dekomponierbare) figurative Lesart gibt, die sich voneinander unterscheiden.

13

graduierbar verstehen und die die Bezeichnung „Idiom" explizit nur für diejenigen Ausdrücke verwenden, die „wholly non-compositional in meaning and wholly nonproductive in form" (Wood 1986: II, 95), d.h. in der hier verwendeten Terminologie nichtdekomponierbar sind. 16 Wood (1986: II) nennt diese, von ihr auch als opak bezeichneten Idiome, „true idioms" und grenzt sie von Kollokationen und anderen „semi-compositional expressions", z.B. Kolligationen, ab (Wood 1986: 50, 52). 17 Eine ähnliche terminologische Abgrenzung nimmt Howarth (1996, 1998) vor. In Anlehnung an Arbeiten aus der russischen Lexikologie trennt er Wortkombinationen in funktionale Ausdrücke - z.B. Sprichwörter oder Slogans - und kompositioneile Einheiten; Letztere werden in „grammatical composites" und „lexical composites" unterteilt (Howarth 1998: 27). „Kompositionen" wird hierbei im Sinne von „phrasal" verstanden, d.h. die Bezeichnung grammatisch oder lexikalisch hängt von den jeweils auftretenden Wortarten ab: Verb-Nomen- oder Adjektiv-Nomen-Kombinationen beispielsweise sind demzufolge lexikalisch, Kombinationen mit Präpositionen grammatisch. Beide Kategorien werden dann anhand eines so genannten Kollokationskontinuums in „free combinations", „restricted collocations", „figurative idioms" oder „pure idioms" unterteilt (Howarth 1998: 28). Die „pure idioms" entsprechen Woods „true idioms", d.h. den nichtkompositionellen, nichtdekomponierbaren Idiomen. Dekomponierbare und anormal dekomponierbare Idiome würden in Woods und Howarths Ansatz unter Kollokationen fallen. 18 Positiv an den beiden letztgenannten Definitionsversuchen ist die Verwendung eines Kontinuums zur Beschreibung verschiedener idiomatischer Ausdrücke. Problematisch bleibt dabei, auf welche Art und Weise die Zuordnung zu den einzelnen Kategorien des Kontinuums erfolgen soll: „The difficulty lies in finding an authority for deciding on what substitutions 19 are permitted" (Howarth 1998: 28). Je mehr Kategorien vorgesehen sind, umso schwieriger ist eine eindeutige Zuordnung.

1.2.2.2

Ein erweiterter Definitionsansatz

Wie oben dargelegt, werden in der vorliegenden Arbeit unter der Bezeichnung „Idiom" mehr Ausdrücke subsumiert, als das traditionellerweise unter Beachtung des definitorisch 16

17

18

19

Wood (1986) widmet eine komplette Monographie der Frage nach der „richtigen" Definition von Idiomen; ein Beleg dafür, dass in dieser Hinsicht wegen der terminologischen Vielfalt Diskussionsbedarf herrscht. Die Bezeichnungen Kollokation und Kolligation gehen auf Firth (1951 bzw. 1957) zurück. Es ist kritisch anzumerken, dass Woods Ausführungen kaum bzw. an vielen Stellen gar nicht durch sprachliche Beispiele unterstützt werden und deshalb nicht immer deutlich wird, welche Ausdrücke sie welchen Bezeichnungen zuordnen würde. Wood (1986) grenzt Idiome und Kollokationen klar voneinander ab, während bei Howarth (1998) beide Begriffe miteinander verwoben sind: Er fasst unter seinem „Collocational Continuum" Kollokationen und Idiome zusammen. In Howarth (1996) wird dargelegt, dass die Zuordnung über Substitutionstests erfolgen kann; sind z.B. Nomen oder Verb einer Phrase austauschbar, handelt es sich um eine freie Kombination, bei „pure idioms" kann kein Austausch vorgenommen werden. Dies deckt sich mit Befunden von Gibbs, Nayak, Bolton und Keppel (1989), die zeigen konnten, dass nichtdekomponierbare Idiome am wenigsten lexikalisch flexibel sind.

14 verankerten Kriteriums der Nichtkompositionalität der Fall sein dürfte. Weiterhin wird hier die Dekomponierbarkeit eines Idioms als zentraler Aspekt betrachtet. Ein so verstandener Idiombegriff umfasst nach Ansicht der Verfasserin die Ausdrücke, die von Linguisten, Lexikologen und naiven Sprechern normalerweise mit der Bezeichnung „Idiom" assoziiert werden. Dies spiegelt sich u.a. darin wider, dass diese Idiome den Gegenstand sprachlicher Untersuchungen darstellen (vgl. Kapitel 2, 3, 4, 5 und 6) oder Aufnahme in Idiomwörterbücher finden. Die Unterscheidung in Idiom, Kollokation oder Kolligation - mit ihren jeweils dazukommenden Unterteilungen - ist sicherlich auf einer theoretischen Ebene präziser, aber nicht unbedingt psychologisch plausibler. Weiterhin ist in der Formulierung der Dekompositionshypothese die Instanz festgelegt, die über die Zuordnung eines Idioms in seine jeweilige Kategorie entscheidet: Es ist der jeweilige Sprecher und nicht der Linguist oder dessen theoretische Festlegung. Damit wird gleichzeitig darauf verwiesen, dass der Dekompositionsstatus eines Idioms nichts Fixiertes ist, sondern von Sprecher zu Sprecher variieren kann. Wie oben beschrieben wurde, kann das Übertragen einer Definition, die sich lediglich auf eine kleine Teilmenge einer viel größeren und damit erheblich mehr Mitglieder umfassenden Gruppe bezieht, zu Verwirrung und Missverständnissen führen. Auch innerhalb der psycholinguistischen empirischen Forschung hat die uneinheitliche Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes zu zahlreichen widersprüchlichen Befunden geführt. 20 Deshalb sollte eine differenziertere als die traditionellerweise vorgenommene Begriffsklärung angestrebt werden. Um der heterogenen Gruppe der Idiome gerechter zu werden und um alle Klassen von Idiomen einzuschließen, wird für die vorliegende Arbeit die folgende Definition formuliert: Ein Idiom ist ein aus mehreren Konstituenten bestehender sprachlicher Ausdruck, dessen Gesamtbedeutung von der Summe der Bedeutungen der einzelnen Konstituenten abweichen kann. Idiome bilden eine heterogene Klasse, d.h. sie variieren in ihrer Ausprägung auf unterschiedlichen Dimensionen, z.B. in Bezug auf ihren Dekompositionsstatus, womit auch ihre syntaktische und lexikalische Flexibilität verbunden ist. Das Ausmaß der Ausprägung auf den jeweiligen Dimensionen kann von jedem Sprecher beurteilt werden.21 Diese Definition hat im Vergleich zu den am Anfang von 1.2.2 vorgestellten den Vorteil, das gesamte Spektrum der normalerweise unter dem Begriff „Idiom" zusammengefassten Ausdrücke abzudecken. Sie trifft zu auf Phrasen, die in einschlägigen Wörterbüchern aufgelistet werden, auf Ausdrücke, die in der Idiomforschung zum Untersuchungsgegenstand gemacht werden und demzufolge auch auf diejenigen Ausdrücke, die in den hier vorgestellten empirischen Studien untersucht wurden (vgl. Kapitel 5 und 6).

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Wie in Abschnitt 3.1 ausführlich beschrieben wird, nimmt der Dekompositionsstatus eines Idioms entscheidenden Einfluss auf dessen Verarbeitung. Werden die in Experimenten verwendeten Idiome nicht im Hinblick auf ihren Dekompositionsstatus kontrolliert, ergeben sich z.B. unterschiedliche Reaktionszeiten, die dann nicht eindeutig auf das Wirken dieses Faktors zurückgeführt werden können. Die hier verwendeten Begriffe syntaktische und lexikalische Flexibilität werden in Kapitel 3.2 ausführlich thematisiert und erläutert.

15 1.2.3

Sprecherurteile

Ebenso wie für die in den beiden vorangegangenen Abschnitten diskutierten Begriffe gilt auch für den Begriff „Sprecherurteil", dass darüber in den verschiedenen Teildisziplinen der Linguistik, vor allem der generativen Linguistik im Vergleich zur Psycholinguistik, ein anderes Verständnis zugrunde liegt. Ein erster Unterschied besteht darin, dass innerhalb der generativen Grammatik im Sinne von Chomsky in der Regel die Bezeichnung „Intuition" und nicht „Sprecherurteil" verwendet wird, obwohl damit - zumindest oberflächlich betrachtet - das Gleiche benannt wird, nämlich der Kommentar eines Sprechers zu sprachlichen Daten. Weiterhin ist es in der generativen Grammatik üblich, die Intuitionen eines Sprechers über die Grammatikalität eines Satzes zu betrachten und daraus Rückschlüsse auf die zugrunde liegende Kompetenz zu ziehen. Dieser Anspruch wird im Rahmen psycholinguistischer Modelle nicht zwangsläufig erhoben; die Akzeptabilitätsurteile oder Reaktionszeiten von Sprechern werden als Verhaltensdaten verstanden, d.h. es wird versucht, sie zunächst als eigenständige Daten zu analysieren. Aussagen über die Kompetenz werden wenn überhaupt - nur sehr vorsichtig formuliert. Dies begründet sich durch die in den beiden Teildisziplinen jeweils vorgenommene andere Gewichtung von grundlegenden theoretischen Konzepten wie Kompetenz und Performanz sowie der damit verbundenen Unterscheidung zwischen Akzeptabilitäts- und Grammatikalitätsurteil. Die unterschiedliche Gewichtung wiederum hat u.a. mit der Verschiebung des Blickwinkels zu tun, der sich daraus ergibt, ob eher der „empiricist view" - wie im Falle der Psycholinguistik - oder der „rationalist view" - wie im Falle der Transformationsgrammatik - eingenommen wird (Chomsky 1965: 52). Auf die grundlegenden Begriffe Kompetenz und Performanz wird im Folgenden kurz eingegangen; anschließend wird das in der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegte Verständnis von Sprecherurteilen dargestellt. Die generative Grammatik chomskyscher Prägung versteht sich als Theorie der linguistischen Kompetenz. Die Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz wurde von Chomsky (1965) eingeführt und stellt bis heute einen „conceptual cornerstone of modern linguistic theory" (Birdsong 1989: 71) dar. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Unterscheidung wird sie hier als Zitat wiedergegeben: Linguistic theory is concerned primarily with an ideal speaker-listener, in a completely homogenous speech-community, who knows its language perfectly and is unaffected by such grammatically irrelevant conditions as memory limitations, distractions, shifts of attention and interest, and errors (random or characteristic) in applying his knowledge of the language in actual performance. [...] To study actual linguistic performance, we must consider the interaction of a variety of factors, of which the underlying competence of the speaker-hearer is only one. In this respect, study of language is no different from empirical investigation of other complex phenomena. We thus make a fundamental distinction between competence (the speaker-hearer's knowledge of his language) and performance (the actual use of language in concrete situations). Only under the idealization set forth in the preceding paragraph is performance a direct reflection of competence. In actual fact, it obviously could not directly reflect competence. [...] The problem for the linguist [...] is to determine from the data of performance the underlying system of rules that has been mastered by the speaker-hearer and that he puts to use in actual performance. (Chomsky 1965: 3f.) Unter Kompetenz wird demnach - auf einer relativ abstrakten Ebene - die perfekte Sprachkenntnis eines idealisierten Sprechers oder Hörers verstanden, während mit Performanz die

16 tatsächliche, durchaus „fehlerhafte" Sprachverwendung in konkreten Situationen bezeichnet wird. Unter der in der vorliegenden Arbeit relevanten Perspektive werden Sprecherurteile, d.h. Intuitionen von Sprechern über sprachliche Daten, dem Bereich der Performanz zugeordnet (vgl. z.B. Chaudron 1983: 344 oder Birdsong 1989: 72) und unterliegen demzufolge den dort per definitionem verankerten Einschränkungen wie z.B. Gedächtniseffekten oder Aufmerksamkeitsschwankungen seitens des Sprechers. Obwohl es innerhalb der generativen Grammatik und - in abgeschwächter Form - innerhalb der Psycholinguistik ein allgemein akzeptiertes Vorgehen ist, aus sprachlichen Urteilen Schlüsse auf zugrunde liegende sprachliche Strukturen zu ziehen, ist nach wie vor ungeklärt, inwieweit diese Rückschlüsse zulässig sind. 22 Es sollte stets beachtet werden, dass der linguistischen Theoriebildung idealisierte Annahmen zugrunde liegen, die wissenschaftstheoretisch notwendig, realiter aber nicht gegeben sind. 23 Bei dem Versuch, den Begriff „Sprecherurteil" zu spezifizieren, muss auf die Unterscheidung zwischen Akzeptabilitäts- und Grammatikalitätsurteil eingegangen werden, da diese beiden Arten von Urteilen in einer anderen Relation zu den Konstrukten der Kompetenz bzw. Performanz stehen. Chomsky (1965: 11) verweist darauf, dass die Akzeptabilität im Bereich der Performanz, die Grammatikalität im Bereich der Kompetenz anzusiedeln ist. Beide Konstrukte, Akzeptabilität und Grammatikalität, sind ein „matter of degree" (Chomsky 1965: 11), d.h. sie sollten nicht als statisch, sondern eher als abstufbar (vgl. dazu Chomsky 1965: 148ff.) und ineinander übergehend verstanden werden. Das Urteil über die Grammatikalität einer Äußerung ist nur ein Faktor - derjenige, der die Kompetenz betrifft - , der neben vielen anderen Faktoren, die die Performanz betreffen, wie z.B. stilistische Aspekte o.ä., die Akzeptabilität einer Äußerung bestimmt. Während Chomsky (1965) den Terminus „Grammatikalität" gemäß der Ausrichtung seiner Publikationen ausschließlich auf die Syntax bezieht, wird in der vorliegenden Arbeit zur Abgrenzung von Grammatikalitäts- und Akzeptabilitätsurteil die Definition übernommen, die von Haegeman (1994: Ii.) herausgearbeitet wird. Sie verweist darauf, dass die Intuitionen von Sprechern immer Akzeptabilitätsurteile darstellen. Grammatikalität ist ein theoretisches Konstrukt; der Linguist muss entscheiden, ob die Bewertung eines Satzes als nicht akzeptabel auf grammatische Prinzipien oder andere Faktoren zurückzuführen ist. Unter theoretischem Aspekt, d.h. im Hinblick auf die Entwicklung eines - syntaxbasierten - Grammatikmodells, ist Grammatikalität zwar das abstraktere Konstrukt, aber das wichtigere (Chomsky 1965: 11). Unter dem Blickwinkel psycholinguistischer oder kogniti-

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Chomsky weist auf die Gefahren dieser Vorgehensweise hin: „This is the position that is universally adopted in practice, although there are methodological discussions that seem to imply a reluctance to use observed performance or introspective reports as evidence for some underlying reality." (Chomsky 1965: 18f.). Eine ausführliche Behandlung dieser Problematik liefert Birdsong (1989). So kann es de facto keinen „idealisierten Sprecher oder Hörer in einer vollständig homogenen Sprachgemeinschaft" geben. Das Bewusstsein über dieses theorieintern begründete Problem und die Notwendigkeit, von idealisierten Annahmen auszugehen, drückt Chomsky (1995: 18) folgendermaßen aus: „Problem (2c) [i.e. How does Jones [i.e. a speaker/hearer] put this knowledge [i.e. knowledge of the I-language] to use?] calls for the development of performance theories [...]. Put generally, the problems are beyond reach [...]. But highly idealized aspects of the problem are amenable to study."

17 ver Fragestellungen jedoch ist das Akzeptabilitätsurteil das aufschlussreichere und angemessenere, das zudem gar nicht zwingend den Anspruch erhebt, die linguistische Kompetenz widerzuspiegeln, sondern eher dazu dienen soll, Abstufungen eines Konstruktes zu verdeutlichen. Das Urteil über die Akzeptabilität sprachlicher Daten wird von vielen Faktoren beeinflusst, die in Abhängigkeit zu den zur Untersuchung stehenden Sprachdaten, den jeweiligen Fragestellungen und nicht zuletzt dem urteilenden Sprecher variieren können. Im Hinblick auf die in Kapitel 5 und 6 erhobenen Sprecherurteile zur Dekomponierbarkeit von Idiomen sollte die Bezeichnung „Akzeptabilitätsurteil" in einem erweiterten Sinne verstanden werden, da es bei diesen Einschätzungen nicht um die Akzeptabilität einer Äußerung als grammatisch oder ungrammatisch geht, sondern vielmehr um ein Urteil über das Verhältnis zwischen der Bedeutung der Konstituenten und der Gesamtbedeutung eines Idioms, das als mehr oder weniger semantisch bzw. konzeptuell plausibel empfunden wird. Bisher wurde noch nicht konkret definiert, was genau unter einem Sprecherurteil zu verstehen ist. Besonders dann, wenn Sprecherurteile als - erweiterte - Akzeptabilitätsurteile verstanden werden, müssen mehrere Aspekte, die einem solchen Urteil implizit sind, berücksichtigt werden. Chaudron (1983), der statt des geläufigen Terminus „Sprecherurteil" den Begriff „metalinguistische Urteile" verwendet, damit aber das Gleiche bezeichnet, liefert folgende ausfuhrliche Definition, die auch für die vorliegende Arbeit als Grundlage dienen kann: [...] metalinguistic judgements might include not only statements about intuitions of grammaticality but also, for example, opinions or attitudes about the style or content of utterances, perceptions of the segmentation of words into sounds, and categorial or abstract knowledge about language, its structure, and its use. In addition to being linguistic performances themselves, these statements are metalinguistic in that they treat language as an object. (Chaudron 1983: 344) Aus dieser Definition wird ersichtlich, was in der vorangegangenen Diskussion bereits angedeutet wurde: Ein metalinguistisches Urteil, d.h. ein Sprecherurteil, kann mehr beinhalten als die Intuition über Grammatikalität oder, anders ausgedrückt, eine Intuition über die Grammatikalität eines Satzes ist nur eine mögliche Form eines Sprecherurteils. Auch Sorace (1996) verweist auf die enge Verbindung zwischen Sprecherurteilen (judgements) und Intuitionen: 24 „Intuitions are registered and reported by the speaker in the form of judgements, which are linguistic descriptions and may therefore be inaccurate." (Sorace 1996: 379). Mit dem Hinweis darauf, dass Urteile linguistische Beschreibungen sind und demnach auch fehlerhaft sein können, wird auch von Sorace betont, dass es sich bei Urteilen um Performanzdaten handelt oder - anders ausgedrückt - um sprachliche Verhaltensdaten.

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Sorace diskutiert außerdem, dass mit der Verknüpfung zwischen Intuitionen und Urteilen ein Paradoxon der linguistischen Forschung beschrieben wird: Urteile werden als empirische, „objektive" Fakten betrachtet, mit denen grammatische Modelle überprüft werden. Diese wurden jedoch ebenfalls auf der Grundlage von Intuitionen - denen des Linguisten - entwickelt. Wenn aber zwischen Urteilen und Intuitionen per definitionem keine Unterschiede bestehen, überprüft man letztlich Intuitionen mit Intuitionen. Diese methodologisch unbefriedigende Situation ist in der Linguistik jedoch unabänderlich: „[...] there are no ways of measuring the mental representation of linguistic knowlegde other than asking informants to provide acceptability judgements." (Sorace 1996: 380, vgl. auch Chomsky 1995:18).

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Eine weitere wichtige Unterscheidung zur begrifflichen Spezifikation von Sprecherurteilen trifft Nunnally (1978, nach Chaudron 1983: 344f.), der judgements von sentiments abgrenzt. Judgements sind Urteile, für die es - zumindest theoretisch betrachtet - eine korrekte Antwort gibt, d.h. die an einem theoretischen Konstrukt oder einer Hypothese überprüft werden können, während sentiments persönliche Einstellungen oder Präferenzen der Sprecher widerspiegeln. Sprecherurteile zur Dekomponierbarkeit von Idiomen sind demnach sowohl im Sinne von Nunnally als auch von Chaudron metalinguistic judgements und reflektieren außer konzeptuellen Faktoren bestimmte Aspekte des kategorialen oder abstrakten Wissens über Sprache bzw. das Wissen über die Segmentierung von Mehrwortausdrücken in ihre Konstituenten. Die bisherigen Ausführungen berücksichtigend wird im Folgenden der Terminus „Sprecherurteil" verwendet. Diese Wortwahl impliziert, dass es sich dabei um Akzeptabilitätsurteile handelt, die im Rahmen psycholinguistischer Forschung als Verhaltens- oder Performanzdaten angesehen werden. In Abgrenzung dazu wird der Begriff „Intuition" nur dann verwendet, wenn ausgedrückt werden soll, dass es sich im Rahmen der Theorie der generativen Grammatik um die Beurteilung der Grammatikalität eines Satzes handelt, die für Rückschlüsse auf die Kompetenz dienen soll. Durch die Verwendung des Begriffes „Sprecherurteil" soll auch betont werden, dass es sich bei der jeweils vorliegenden Einschätzung des Dekompositionsstatus von Idiomen um eine individuelle Entscheidung handelt. Erst durch die Betrachtung der Urteile einer großen Anzahl von Sprechern kann man zu allgemein gültigen Aussagen über den Dekompositionsstatus eines Idioms gelangen. Die Frage, wie viele Sprecher im Kontext der hier vorliegenden Studie untersucht werden sollten, ist eine wahrscheinlichkeitstheoretische. Ebenso zwangsläufig stellen sich bei den hier durchgeführten statistischen Analysen messtheoretische Fragen, z.B. nach der Validität und Reliabilität von Sprecherurteilen im Allgemeinen bzw. von nichtmuttersprachlichen Urteilen im Speziellen. Da die Diskussion dieser Fragen weit über den Rahmen der hier in der Einleitung beabsichtigten Begriffsklärung hinausgeht, wird sie an späterer Stelle vorgenommen (vgl. 4.2). In den vorangegangenen Abschnitten von Kapitel 1 wurden der Gegenstandsbereich der vorliegenden Arbeit umrissen und wesentliche Begriffsklärungen vorgenommen. Es wurde festgestellt, dass die Begriffe „Idiom" und „Dekomponierbarkeit" sehr eng miteinander verbunden sind. Die Bezeichnungen „Kompositionalität" und „Dekomponierbarkeit" bezeichnen unterschiedliche Sachverhalte und entstammen verschiedenen theoretischen Ansätzen.

2 Die Entwicklung der linguistischen Idiomforschung

In diesem Kapitel wird die Entwicklung der angelsächsischen Idiomforschung über den Zeitraum der späten 1950er, 60er und frühen 70er Jahren dargestellt. Es wird gezeigt, welche linguistischen Fragestellungen in dieser Zeit dominant waren. Dadurch sollen charakteristische Aspekte dieses Zweigs der Idiomforschung nachgezeichnet und parallel dazu nachvollziehbar gemacht werden, warum in den 70er Jahren ein Perspektivenwechsel innerhalb der Idiomforschung stattgefunden hat, der von linguistischen, syntaxbasierten Analysen zu lexikon- und kognitionsorientierten Fragestellungen führte. Die Beschränkung auf angelsächsische Forschung impliziert eine Abgrenzung zu der Vielzahl von Untersuchungen, die von Autoren aus der ehemaligen Sowjetunion und anderen östlichen Ländern durchgeführt wurden, z.B. Vinogradov (1953, 1954), Reichstein (1974), Mel'cuk (1960, alle zitiert nach Strässler 1982) sowie Amosova (1963, zitiert nach Lipka 1974). Sie werden hier nicht berücksichtigt, da der Forschungsschwerpunkt dieser Autoren im Bereich der Lexikographie und Phraseologie anzusiedeln ist und damit für den vorliegenden Zusammenhang keine unmittelbare Relevanz hat. In Abschnitt 2.1 werden zunächst einige Aufsätze dargestellt, die zeitlich gesehen vor der Entwicklung der generativen Grammatik anzusiedeln sind (Bar-Hillel 1955, Hockett 1956, 1958). Abschnitt 2.2 gibt einen Überblick über die generativ bzw. syntaktisch orientierten Arbeiten der 60er und 70er Jahre. Die Etablierung der Idiomforschung als kleiner, aber mehr oder weniger eigenständiger Forschungszweig vollzieht sich in dieser Zeit im Zusammenhang mit der Entwicklung der generativen Grammatik bzw. der Transformationsgrammatik (Chomsky 1957, 1965). In dieser Zeit finden sich zunehmend Versuche, Idiome im Rahmen dieses Grammatikmodells zu beschreiben und zu erklären (vgl. z.B. Katz und Postal 1963, Weinreich 1969, Fräser 1970, Newmeyer 1974). Die Trennung von syntaktischer (vgl. 2.2.1, 2.2.2, 2.2.3) und semantischer (vgl. 2.2.4) Erklärungsebene sowie die Dominanz syntaktischer Fragestellungen innerhalb der generativen Grammatik ist u.a. ausschlaggebend dafür, dass Idiome ein im Rahmen der Theorie sehr schwierig zu erklärendes Phänomen darstellen. Bis heute gibt es bei der Beschreibung von Idiomen modelltheoretisch begründete Schwierigkeiten. Dabei liegt - aus Sicht der in der vorliegenden Arbeit vertretenen Analyse - das Hauptdefizit in der Beschränkung auf die linguistische Ebene und damit einhergehend in der Nichtbeachtung konzeptueller Strukturen, die zur Erklärung von Idiomen unerlässlich sind (vgl. 7.2). Die Postulate und Zusatzannahmen, die es ermöglichen sollten, Idiome dennoch im Rahmen der Transformationsgrammatik erklären zu können, haben dazu geführt, die Idiomforschung aus anderer Perspektive weiterzuführen (vgl. Kapitel 3). Den Übergang dazu stellen die Arbeiten von Nunberg, Wasow und Sag dar (Nunberg 1978, Wasow, Sag und Nunberg 1982, Nunberg, Sag und Wasow 1994, vgl. 2.3), die sich von den generativen Arbeiten abgrenzen und auf andere Weise syntaktische und semantische Aspekte zur Erklärung des grammatischen Verhaltens von Idiomen heranziehen.

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2.1 Nichtgenerative Forschungsansätze

Den Beginn der systematischen Auseinandersetzung mit Idiomen innerhalb der Linguistik markieren drei Aufsätze, die in den 50er Jahren erschienen sind (Bar-Hillel 1955, Hockett 1956, 1958) und die als „historische Vorläufer" der Forschungsrichtung bezeichnet werden können. Diese Arbeiten beschäftigen sich mit der Identifikation und Beschreibung von Idiomen; also mit der Frage, was unter einem Idiom zu verstehen ist, wie es entsteht, woran man es erkennt und wie es - im Rahmen traditioneller Grammatikmodelle - zu beschreiben und erklären ist. Die genannten Aufsätze sind weniger theoretisch als vielmehr historisch betrachtet interessant: Sie stehen mehr oder weniger ohne wechselseitigen Bezug nebeneinander, zeigen die mit dem Thema verbundene Problematik nur im Ansatz auf und behandeln Idiomatizität nicht als eigenen Gegenstandsbereich, sondern im Rahmen anderer, übergeordneter Fragestellungen, z.B. der Übersetzungstheorie (Bar-Hillel) oder der diachronen Linguistik (Hockett). Bar-Hillel (1955) 1 diskutiert - mit einer bis heute gültigen Aktualität - die Probleme, die Idiome für computergesteuerte Übersetzungsprogramme darstellen. Die Schwierigkeiten bestehen vor allem darin, dass zur Interpretation von Idiomen in der Regel kontextuelles oder Weltwissen herangezogen werden muss, das auf einer kognitiven und nicht sprachlichen Ebene angesiedelt ist. Bar-Hillel legt eine Begriffsklärung zugrunde, die den nichtkompositionellen Charakter von Idiomen herausstellt: „[...] an expression, in the usage of a language, that is peculiar to itself either in grammatical construction or in having a meaning which cannot be derived as a whole from the conjoined meanings of its elements." (BarHillel 1955: 185). Die Überlegungen dazu, wie Übersetzungen von Idiomen auf dem Computer realisiert werden könnten, können im Rückblick als analog zu denen betrachtet werden, die später im Rahmen der Transformationsgrammatik angestellt wurden, um dort Idiome in die reguläre syntaktische Derivation einzubinden (vgl. dazu 2.2): Es wird angenommen, dass eine Art von „Lexikon" existieren muss, das die Bedeutungen von Idiomen enthält. Die Frage, in welcher Form diese dort gespeichert sind - als Ganzes, als einzelne Wörter oder isolierte Morpheme - , bleibt in Bar-Hillels Ausführungen ungeklärt. Sein Fazit ist pessimistisch: Er sieht keine befriedigende Lösung dafür, wie alle nötigen syntaktischen und semantischen Informationen mit entsprechenden Regeln der Einsetzung für die elektronische Übersetzung von Idiomen von einem Computer bereitgestellt werden könnten. Bar-Hillel (1955: 191) schlägt vor, den „Übersetzungsfeinschliff' von einem Menschen durchfuhren zu lassen, um die Unzulänglichkeiten des Programms auszugleichen. Die Arbeiten von Hockett (1956, 1958) werden von vielen Autoren als eigentlicher Beginn der Idiomforschung betrachtet. Hockett beschäftigt sich hauptsächlich mit der Beschreibung und Etymologie von Idiomen. In zwei Aufsätzen - der zweite Aufsatz ist eine unwesentlich veränderte und verkürzte Version des ersten - legt er dar, wie idiomatische Ausdrücke entstehen und welche Typen unterscheidbar sind. Bei der Lektüre seiner Arbei1

Noch früher veröffentlichte Arbeiten, die sich dem Titel nach mit Idiomen beschäftigen, z.B. Smith (1925) „Words and idioms" oder Roberts (1944) „The science of idiom", legen einen allgemein kulturellen und keinen linguistisch enger gefassten Idiombegriff zugrunde.

21 ten wird deutlich, dass Hockett insgesamt einen relativ weit gefassten Idiombegriff zugrunde legt; seine Definition des Begriffs beinhaltet jedoch auch als zentralen Aspekt das Fehlen einer „regulären" Beziehung zwischen Form und Bedeutung: „An idiom is a grammatical form - Single morpheme or composite form - the meaning of which is not deducible from its structure." (Hockett 1956: 222). Damit können sowohl einzelne Morpheme als Idiome betrachet werden als auch ganze Gedichte oder Romane. Die Bildung von neuen Idiomen betrachtet Hockett als ständigen kreativen Prozess, bei dem jedoch bestimmten Mustern der Vorzug vor anderen gegeben wird. Es fällt in den Bereich der historischen Linguistik, diesen Bildungsprozess aufzuzeigen. Ein neu gebildeter sprachlicher Ausdruck besteht aus bekannten Konstituenten, die zwar nach bekannten Regeln, aber dennoch in einer neuartigen Form zusammengesetzt werden. Damit aus der neu konstituierten Form ein Idiom entsteht, muss die sprachliche Form selbst, der Kontext, in dem die neue Form erstmals aufgetreten ist, oder beides „more or less unusual" sein (Hockett 1956: 223), damit der neue Ausdruck behalten wird und sich mit der Zeit als fixierter Ausdruck etablieren kann. Prozesse, die zur Idiombildung beitragen, sind für Hockett die Derivation, die anaphorische Substitution, im weiteren Sinne die Verwendung von Zahlen, Abkürzungen und die Veränderungen des Betonungsmusters. Die Namensgebung hält Hockett zwar für einen kreativen Prozess, der ständig neue Formen hervorbringt, aber deshalb nicht zur Idiombildung beiträgt, weil er nicht sprachverändernd wirkt. Hocketts deskriptiver Ansatz mit Fokus auf die Entstehung von Idiomen ist für heutige Fragestellungen nicht mehr relevant. Überlegungen, die zunehmend in den 1990er Jahren zur Entstehung und Bildung von Idiomen angestellt werden, verfolgen eher Fragen nach zugrunde liegenden metaphorischen Konzepten und ihrer Rolle bei der Entstehung von Idiomen (vgl. 7.2 sowie z.B. Gibbs und O'Brien 1990, Gibbs und Nayak 1991, Gibbs 1992, 1994a,b, Gibbs et al. 1994, aber auch Glucksberg et al. 1992, 1993 etc.). Hocketts Verdienst liegt darin, dass er bereits in den 50er Jahren daraufhingewiesen hat, dass die Untersuchung figurativer Sprache bis dahin vernachlässigt wurde und dass sich die Sprachwissenschaft, will sie die Sprache umfassend beschreiben, auch mit Idiomen beschäftigen muss (Hockett 1956: 229). Als weiterer prominenter Aufsatz aus dieser Zeit ist noch Malkiel (1959) zu erwähnen, der im Rahmen seiner Studien über irreversible Binominale auch fixierte Phrasen behandelt. Malkiel (1959: 115) beschreibt Idiome ebenfalls als nichtkompositionell, grenzt sie aber deutlich von seinem Untersuchungsgegenstand ab und warnt: „[...] one does well to steer clear of any reference to the ill-definied category of idioms." An dieser Stelle sind noch einige andere, nichtgenerative Publikationen zu nennen, die unter der Überschrift „Typologien" oder „Klassifikationen" von Idiomen subsumiert werden können, z.B. Healey (1968), Makkai (1972) oder Rose (1978). Diese Arbeiten kategorisieren Idiome nach semantischen Kriterien und erfüllen dadurch einen klassifizierenden, deskriptiven Zweck, liefern jedoch darüber hinaus keine weitergehenden Aussagen über das grammatische Verhalten oder die lexikalische Repräsentation der Idiome. Sie werden deshalb an dieser Stelle nicht diskutiert.

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2.2

Beschreibungsversuche von Idiomen im Rahmen der generativen Grammatik

In der vorliegenden Arbeit ist mit der Bezeichnung „generative Grammatik" das von Chomskys Publikationen geprägte Grammatikmodell gemeint. Dieses Modell umfasst sowohl syntaktische (vgl. z.B. Chomsky 1957) als auch semantische Aspekte (vgl. z.B. Katz und Fodor 1963, Chomsky 1965). 2 Die Entwicklung sowie die Grundannahmen der generativen Grammatik können an dieser Stelle nicht ausführlich dargestellt werden; zum Überblick sei z.B. auf Newmeyer (1980), Horrocks (1987), Haegeman (1994) oder Chomsky (1957, 1965, 1970, 1981, 1994) verwiesen. Aus Gründen, die im Folgenden kurz diskutiert werden, waren die Beschreibung und Analyse von Idiomen seit den Anfangen der generativen Grammatik in diesem Grammatikmodell problematisch. Durch die Dominanz der generativen Grammatik im angloamerikanischen Raum wurden ihre Annahmen zum syntaktischen und später auch semantischen Verhalten von Idiomen dennoch richtungsweisend und haben lange Zeit die Forschung auf diesem Gebiet beeinflusst. Für die untergeordnete Rolle, die idiomatische Ausdrücke innerhalb der generativen Grammatiktheorie gespielt haben, war anfangs die Autonomie der Syntax verantwortlich: „We are forced to conclude that grammar is autonomous and independent of meaning [...]" (Chomsky 1957: 17). Betrachtet man ausschließlich die Syntax - und nur syntaktisch wohlgeformte Idiome - , werden die Besonderheiten von Idiomen zunächst nicht evident und haben somit innerhalb dieser Theorie vordergründig keinen Erklärungsbedarf. Mit den Arbeiten von z.B. Katz und Fodor (1963) und entsprechend Chomsky (1965) wurde die Semantik in die grammatische Beschreibung integriert. Da die Probleme bei der Beschreibung und Erklärung von Idiomen im Rahmen der generativen Grammatik an der Schnittstelle von Syntax und Semantik angesiedelt sind, wurden sie in diesem Kontext zunehmend zum Untersuchungsgegenstand (vgl. Katz und Postal 1963, 2.2.1, Weinreich 1969, 2.2.2, Fräser 1970, 2.2.3 etc.). 3 Ein weiterer Grund für die trotz dieser Forschungen marginale Rolle der Idiome innerhalb der generativen Grammatik liegt darin, dass dort ausschließlich grammatische Aspekte berücksichtigt werden und beispielsweise Fragen nach der Verarbeitung von Idiomen und 2

3

In Syntactic Structures (1957) konzentrierte sich Chomsky ausschließlich auf die Syntax. Katz und Fodor (1963) erweiterten das dort vorgestellte Modell um semantische Aspekte, d.h. sie lieferten die interpretative Semantik für die syntaktischen Strukturen (vgl. dazu Newmeyer 1980: 73ff., 134). Diese Erweiterung schlägt sich in Chomskys folgenden Publikationen nieder (vgl. z.B. 1965, 1970). Davon klar abzugrenzen ist die Richtung der so genannten generativen Semantik, als deren Hauptvertreter James McCawley, George Lakoff, John R. Ross und Paul Postal bezeichnet werden können (vgl. dazu Newmeyer 1980: 15 lff.). Der theoretische Ansatz der generativen Semantik und der damals herrschende Konflikt zwischen generativen Syntaktikern und generativen Semantikem werden an dieser Stelle nicht diskutiert, da diese Aspekte im vorliegenden Zusammenhang nur am Rande von Bedeutung sind. Die Arbeiten in 2.2.4 von Chafe (1968, 1970) und Newmeyer (1972, 1974) sind der generativen Semantik zuzurechnen, werden aber hier ausschließlich im Hinblick auf ihre Aussagen über Idiome betrachtet und bewertet und nicht in Bezug auf ihre grundlegende theoretische Ausrichtung. Chomsky (1957: 93) verweist auf die Notwendigkeit dazu: „There is no aspect of linguistic study more subject to confusion and more in need of clear and careful formulation than that which deals with the points of connection between syntax and semantics."

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damit auch nach konzeptuellen Faktoren nicht beantwortet werden können (vgl. 7.2). Wie bereits erwähnt, können Idiome nur umfassend beschrieben und erklärt werden, wenn sowohl linguistische als auch konzeptuelle Faktoren berücksichtigt werden. Das theoretische und methodische Inventar der generativen Grammatik ist jedoch nicht darauf ausgerichtet, Idiome auch im Hinblick auf ihre kognitiven Anteile zu beschreiben bzw. zu erklären. Der geringe Stellenwert von Idiomen in generativen Publikationen wird im Folgenden anhand einiger charakteristischer Äußerungen von Chomsky veranschaulicht. Chomsky diskutiert Idiome nur selten - und wenn, dann in der Regel kurz oder in Fußnoten (vgl. z.B. Chomsky 1957, 1965, 1980, 1981, 1995). Die Passagen, in denen sie betrachtet werden, bleiben relativ abstrakt und dienen weniger einer detaillierten Analyse von idiomatischen Strukturen als vielmehr der Unterstützung von grundlegenden Annahmen innerhalb des generativen Grammatikmodells, so z.B. zum Nachweis der Existenz von Tiefen- und Oberflächenstruktur (Chomsky 1980: 153). In der Regel beschreibt Chomsky idiomatische Ausdrücke jedoch als Ausnahmen, für die seine Annahmen keine Gültigkeit haben (vgl. Chomsky 1981). Chomsky (1980: 149) definiert den Begriff „idiomatisch" als synonym mit „nichtkompositionell": „These are idiomatic in the sense that their meaning is noncompositional". Als Beispiele dafür nennt er take care of, make mention of, kick the bücket u.a.4 Die Eigenschaften von idiomatischen Ausdrücken unterscheiden sich zunächst nicht nennenswert von denen „wörtlicher" Ausdrücke: Sie sind meistens syntaktisch wohlgeformt und verhalten sich syntaktisch oft „as if they were single words" (Chomsky 1980: 150). Deshalb geht Chomsky (1980: 150) davon aus, dass Idiome zunächst ebenso basisgeneriert werden wie nichtidiomatische Ausdrücke: „Thus, the base rules will freely generate „John kicked the bücket" [...] with syntactic structures that are realized for nonidioms [...]." Hinzukommen muss dann noch die so genannte „idiom rule", eine lexikalische Regel, die z.B. Idiome wie kick the bücket der Kategorie Verb zuweist und die als Bedeutung dieser VP die festlegt (Chomsky 1980: 150). Diese Idiomregeln sind idiosynkratisch und applizieren auf der Ebene der Tiefenstruktur, wo sie die Idiome, bei denen dies erforderlich ist, als unzugänglich für Transformationen markieren (Chomsky 1980: 152). Chomskys Ausführungen bleiben an dieser Stelle relativ unspezifisch, da er in diesem Zusammenhang nicht an einer Diskussion über Idiome und deren syntaktischen und semantischen Eigenschaften interessiert ist, sondern eher an Argumenten für die Trennung von Tiefen- und Oberflächenstruktur. Er räumt abschließend ein: „[...] nontrivial problems remain concerning idioms." (Chomsky 1980: 157). Während Chomsky in Rules and Representation (1980) das grammatische Verhalten von Idiomen zur Unterstützung seiner theoretischen Annahmen heranzieht, grenzt er sie in Lectures on Government and Binding (1981) als Ausnahmen ab (vgl. z.B. 1981: 35, 37, 139 (Fußnote 19), 148 (Fußnote 113), 150 (Fußnote 128)) und damit aus dem Geltungsbereich

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Die beiden erstgenannten wären unter der in der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegten Definition entweder gar nicht als Idiome zu identifizieren oder wenn, dann eher als dekomponierbare Idiome, d.h. als Idiome, die in der Regel kompositionelle Anteile haben, obwohl sie hier als Beispiele für Nichtkompositionalität angeführt werden.

24 der Theorie aus.5 Im Zusammenhang mit der Diskussion der Thetatheorie heißt es beispielsweise: We therefore require that subcategorization entails 6-marking. That is, all complements of a head are 6-marked by the head, as stated above. The sole exception to this requirement is the case of idioms. In the case of the idiom take advantage of Bill, for example, no actual 6-role is assigned to advantage, though we might say that the idiom rule that converts the phrase take advantage o/into a derived lexical item (cf. note 94) permits this derived item to 9-mark the object Bill. (Chomsky 1981:37) In der im Zitat erwähnten Fußnote 94 diskutiert Chomsky dann die Möglichkeit, dass sich Idiome im Hinblick auf Transformationen eventuell darin systematisch voneinander unterscheiden, dass einige, z.B. kick the bucket, ein externes Subjekt haben und deshalb transformationsresistent sind bzw. sein müssen, während andere nur VP interne Rollen tragen und somit fur move a frei zugänglich sind. Auf die in der vorliegenden Arbeit verwendete Terminologie übertragen heißt das, dass einige Idiome nichtkompositionell sind, während andere kompositioneile Anteile haben, was sich auf deren grammatische Eigenschaften auswirkt. Der hier angedeutete Ansatz zur Distinktion von Idiomen in verschiedene Gruppen wird jedoch nicht weiter verfolgt, d.h. es wird nicht ausgeführt, was eventuell die Unterscheidungen motivieren könnte; Chomsky verweist lediglich auf die Notwendigkeit einer weiterführenden Untersuchung der Eigenschaften von Idiomen. Die obigen, an einigen Arbeiten von Chomsky orientierten Ausführungen veranschaulichen, dass Idiome aufgrund ihrer inhärenten Eigenschaften und Merkmale innerhalb der generativen Grammatik fast zwangsläufig als sprachliche Besonderheiten ausgegrenzt und deshalb auf eine nachgeordnete Rolle festgelegt werden müssen. Berechtigt ist in diesem Zusammenhang der von Weinreich (1969) vorgebrachte Einwand, dass Idiome oder andere figurative Sprachphänomene einen so großen und bedeutenden Teil der Sprache ausmachen, dass es für die generative Grammatik, die den Anspruch auf deskriptive Adäquatheit für alle sprachlichen Einheiten erhebt, nicht akzeptabel ist, sie stets als Ausnahmen auszuklammern. Dieses Argument hat einige Autoren dazu veranlasst, innerhalb des generativen Grammatikmodells - im Hinblick auf die Semantik - und mit dem zur Verfügung stehenden Inventar Erklärungsmöglichkeiten für die spezifischen Eigenschaften von Idiomen zu untersuchen. Die prominentesten Arbeiten, z.B. die von Katz und Postal (1963, vgl. 2.2.1), Weinreich (1969, vgl. 2.2.2), Fräser (1970, vgl. 2.2.3) und Chafe (1968, vgl. 2.2.4), werden im Folgenden vorgestellt, 6 weil die Zusatzannahmen, die in diesen Untersuchungen gemacht wurden, letztendlich dazu geführt haben, die Analyse von Idiomen aus der generativen Grammatik in die Psycholinguistik zu verlagern (vgl. Kapitel 3). Dieser Wechsel von einer Teildisziplin der Linguistik in eine andere wurde nötig, da trotz der zunehmenden Berücksichtigung semantischer Aspekte die grundlegenden Annahmen der generativen 5

6

Der zugrunde gelegte Idiombegriff bleibt in Chomskys Ausführungen stets relativ unklar; alle Ausdrücke, die in der einen oder anderen Weise fixiert erscheinen, werden unter dem Stichwort Idiom subsumiert. Dabei ist interessant zu beobachten, dass Katz und Postal (1963), Weinreich (1969) und - eingeschränkt - Fräser (1970) zwar semantische Aspekte fokussieren, dies aber stets unter Berücksichtigung der Syntax und vor allem im Einklang mit chomskyschen Annahmen tun. Chafe (1968, 1970) bildet diesbezüglich eine Ausnahme (vgl. 2.2.4).

25 Grammatik nicht ausreichen, um Idiome umfassend zu beschreiben. Dazu müssen jedoch nicht nur psycholinguistische Aspekte berücksichtigt, sondern auch - unter Rückgriff auf die Psychologie - konzeptuelle Faktoren herangezogen werden (vgl. 7.2).

2.2.1

Lexikalische und phrasale Idiome und das Merkmal [±Idiom]

Katz und Postal (1963) beschäftigten sich als Erste eingehender mit der semantischen Interpretation von Idiomen und dem Verhältnis zwischen deren semantischen und syntaktischen Aspekten. Sie beschränken ihre Betrachtungen auf nichtkompositionelle Idiome: The essential feature of an idiom is that its full meaning [...] is not a compositional function of the meanings of the idiom's elementary grammatical parts. For example, the meaning of the idiom kick the bucket cannot be regarded as a compositional function of the meanings kick, ed, the, bucket, regardless of the syntactic structure attributed to kicked the bucket by the structural descriptions of the sentences in which it appears. Hence the projection rules that a semantic theory provides to obtain the meaning of compound expressions and sentences as a compositional function of the meaning of their elementary parts cannot obtain the idiomatic meaning of an idiomatic stretch from the meanings of the syntactically atomic parts of that stretch. (Katz und Postal 1963: 275) Anhand dieser Ausführungen wird ersichtlich, dass Idiome im Rahmen der Transformationsgrammatik vor allem deshalb problematisch sind, weil davon ausgegangen wird, dass Projektionsregeln syntaktische Strukturen interpretieren und semantisch nichtkompositionelle Bedeutungen dabei nicht berücksichtigt werden können. Die Autoren wollen dieses Defizit im Rahmen der semantischen Komponente der linguistischen Beschreibung ausgleichen. Dazu führen sie zunächst eine Unterscheidung zwischen lexikalischen und phrasalen Idiomen ein. Unter lexikalischen Idiomen subsumieren die Autoren Wörter, die aus zwei oder mehreren Morphemen bestehen, z.B. tele+phone, bari+tone, und deren Bedeutung als Ganzes gespeichert ist, d.h. diese Bedeutungen sind nicht das Ergebnis von kombinierten Projektionsregeln für die einzelnen Morpheme, die separat gelistet sind: They [i.e. the lexical idioms] are marked as idioms by virtue of the fact that in the dictionary of the semantic component (not identical with the lexicon of the syntactic component) these sequences of two or more morphemes are directly assigned readings that represent their senses. (Katz und Postal 1963: 276) Als prototypisches Beispiel für die von ihnen als phrasal bezeichneten Idiome fuhren die Autoren kick the bucket an. Bei Idiomen dieser Form ergibt sich das Problem, dass hier sowohl eine idiomatische als auch eine wörtliche - von den Autoren als kompositioneil bezeichnete - Lesart vorliegen kann. Es wird davon ausgegangen (Katz und Postal 1963: 276), dass es eine große Klasse von Idiomen gibt, die sich so verhalten. Die Autoren stehen nun vor dem Problem, im Rahmen ihres Grammatikmodells erklären zu müssen, wie Idiome dieser Form auf der syntaktischen Ebene eine identische Struktur haben, aber gleichzeitig auf der semantischen Ebene zwei Lesarten zur Verfügung stehen müssen - einerseits die idiomatische, andererseits die wörtliche. Dies erfordert eine Erweiterung früherer theoretischer Überlegungen: „[...] it is necessary to broaden the conception of the dictionary subpart of a semantic component presented in previous discussions of semantic theory."

26 (Katz und Postal 1963: 277). Die Autoren schlagen vor, das dictionary1 als zweiteilig zu betrachten: Es gibt einen Teil für lexikalische Items, wozu auch die lexikalischen Idiome gezählt werden, und einen fiir phrasale Idiome. Die Einträge für die phrasalen Idiome sollen aus morphologischen, syntaktischen und semantischen Informationen bestehen; über die Einträge der anderen werden an dieser Stelle keine konkreten Aussagen gemacht. Der Unterschied zwischen den lexikalischen und phrasalen Einträgen besteht darin, auf welcher Ebene der syntaktischen Struktur die semantische Information weitergegeben wird. Die idiomatische Lesart wird dem höchsten Knoten der Phrase zugewiesen, während die wörtliche Lesart den terminalen Elementen zugewiesen wird. Dieses Postulat trägt der Sichtweise Rechnung, dass phrasale Idiome nicht in ihre Komponenten zerlegt werden können und somit eine Bedeutungszuweisung für die einzelnen Konstituenten, die dann zusammengesetzt werden müssten, wenig sinnvoll wäre. Die Autoren weisen darauf hin, dass dieses Vorgehen nur auf syntaktisch wohlgeformte Phrasen anwendbar ist. Syntaktisch nichtwohlgeformte Phrasen können nicht durch die syntaktische Komponente des Grammatikmodells generiert werden. Die Arbeit von Katz und Postal stellt für zahlreiche andere Autoren den Ausgangspunkt für weitere generative Forschung über Idiome dar. Die grundlegende Einteilung in lexikalische und phrasale Idiome wurde dabei von den meisten übernommen, während die Annahmen über den Lexikoneintrag in der Folgezeit einige Modifikationen und Ergänzungen erfahren haben. In einem späteren Aufsatz führt Katz (1973) die oben dargelegten Vorstellungen weiter aus bzw. passt sie an die Entwicklungen an, die in den zehn Jahren zwischen den beiden Publikationen innerhalb der Transformationsgrammatik stattgefunden haben. Er hält an der Unterscheidung in lexikalische und nichtlexikalische, i.e. phrasale Idiome fest und verweist erneut auf die zentrale Bedeutung des Konzeptes der (Nicht)Kompositionalität: „The pervasiveness of compositional structure in natural languages is thus demonstrated: only by assuming it can idioms eis a type of construction be defined, as the contrasting cases, the irregularities at the semantic level." (Katz 1973: 358). Die Entscheidung, ob die Bedeutung einer Phrase kompositionell ist oder nicht, kann laut Katz nicht immer eindeutig gefällt werden.8 Deshalb besteht sein Ziel darin, eine Eigenschaft zu identifizieren, die allen Idiomen gemeinsam ist und die mit den formalen Strukturen der Grammatik beschrieben werden kann. Er nimmt an, dass lexikalische Idiome, also morphologisch komplexe Ausdrücke wie z.B. phono+graph, als eine Einheit gespeichert sind (1973: 360ff.). Das dictionary weist ihnen eine Bedeutung zu. Außerdem wird der gesamte Ausdruck einer lexikalischen Kategorie - N, V oder A - zugeschlagen und durch lexikalische Einsetzung der weiteren Derivation zugeführt. Für phrasale Idiome könnten nun theoretisch - analog zu den lexikalischen Idiomen - die gleichen Annahmen 7

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Wie aus den angeführten Zitaten bereits deutlich wurde, unterscheiden Katz und Postal zwischen dem lexicon der syntaktischen Komponente und dem dictionary der semantischen Komponente (vgl. dazu auch Katz 1973: 259). Diese Aussage stimmt mit der hier vertretenen Meinung überein, dass Kompositionalität kein „Entweder-Oder-Phänomen" ist, sondern dass es durchaus Idiome gibt, die kompositioneile Anteile haben (und die dann von den meisten Sprechern - auf einer anderen Ebene - als dekomponierbar beurteilt werden), und dass es Idiome gibt, die nichtkompositionell, d.h. in der Regel nichtdekomponierbar sind.

27 gemacht werden. Aus semantischen Gründen ist es wünschenswert, ihnen keine interne Phrasenstruktur zuzuschreiben; allerdings gibt es phonologische und syntaktische Gründe, die eine interne Phrasenstruktur erforderlich machen, vor allem die Tatsache, dass die meisten phrasalen Idiome zumindest einige Transformationen zulassen. Deshalb geht Katz davon aus, dass Sprecher sich ihr strukturelles Wissen über das syntaktische Verhalten nichtidiomatischer Strukturen zunutze machen, wenn sie über das grammatische Verhalten idiomatischer Ausdrücke entscheiden.9 Um den speziellen Anforderungen von lexikalischen und nichtlexikalischen Idiomen gerecht zu werden, um eventuelle Unterschiede in ihrer Behandlung zu vermeiden und um sie innerhalb des generativen Grammatikmodells beschreiben zu können, schlägt Katz (1973: 363) vor, das syntaktische Merkmal [± Idiom] einzuführen. Dieses Merkmal erweitert den Lexikoneintrag des Idioms dahingehend, dass alle Konstituenten - Katz verwendet an dieser Stelle den Begriff Morpheme - des Idioms mit ihren jeweiligen Merkmalsspezifikationen, inklusive des „neuen" Merkmals [± Idiom], repräsentiert werden. Die lexikalische Einsetzung des Lexikoneintrages erfolgt sukzessive für die einzelnen Morpheme oder Konstituenten, die nach und nach mit den Eigenschaften ihres jeweiligen syntaktischen Knotens versehen werden. Zur Veranschaulichung sei ein Beispiel für einen solchen Lexikoneintrag gegeben (vgl. Katz 1973: 364): kick [+ V, + Idiom], the [+ Det, + Idiom], bücket [+ N, + Idiom ] [+NP, +Idiom,... ] [+VP,... ] Eine spezielle Einsetzungsregel sorgt dafür, dass die syntaktischen Merkmale, besonders [+Idiom], bis zum dominierenden Knoten transportiert werden. Das Merkmal [+Idiom] belegt die Phrase mit einer Beschränkung gegen die Anwendbarkeit von Transformationen.10 Der Lexikoneintrag ist verbunden mit einer lexikalischen Lesart im dictionary, die dem Lexikoneintrag als Ganzem zugewiesen wird und somit die semantische Komponente abdeckt. Als Vorteil seiner Analyse betrachtet Katz deren „Ökonomie": Mit der Annahme nur eines Merkmals, [± Idiom], und einer zusätzlichen Einsetzungsregel lassen sich alle Idiome, lexikalische und nichtlexikalische, d.h. phrasale, beschreiben. Damit grenzt er sich von Vorschlägen ab, die von Weinreich (1969) oder auch Fräser (1970) gemacht wurden und die mehr Zusatzannahmen benötigen. Diese beiden Ansätze werden in den folgenden Abschnitten diskutiert (2.2.2 bzw. 2.2.3).

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10

Die Implikationen, die eine solche Annahme mit sich bringt, werden von Katz nicht diskutiert. Gibbs et al. (1989a,b,c, vgl. 3.2.1) legen die gleiche Annahme zugrunde - mit dem Unterschied, dass sie das syntaktische Verhalten in Abhängigkeit zum semantischen Urteil über den Dekompositionsstatus beschreiben und nicht - wie Katz - umgekehrt. Im Zusammenhang mit Transformationen macht Katz einige interessante Beobachtungen, die er jedoch nicht näher ausführt, die aber später von psycholinguistischer Forschung (vgl. Kapitel 3) spezifiziert werden konnten. Er verweist darauf, dass sich Idiome trotz ihrer gleichen oder sehr ähnlichen Oberflächenform in ihrer Toleranz gegenüber Transformationen unterscheiden. Die einzelnen Konstituenten weisen dabei keine systematischen syntaktischen Eigenschaften auf, ihr Transformationsverhalten scheint von „inherent properties" (Katz 1973: 363) eher bestimmt zu werden als von syntaktischen Beziehungen der einzelnen Konstituenten zueinander. Mit „inhärenten Eigenschaften" können nur semantische gemeint sein, die auch das Urteil über den Dekompositionsstatus beeinflussen.

28 Zu den Vorschlägen von Katz bleibt Folgendes kritisch anzumerken: Innerhalb des generativen Grammatikmodells stellt die Annahme eines syntaktischen Merkmals [± Idiom] und einer speziellen lexikalischen Einsetzungsregel eine theoriekonforme und konsequente Erweiterung dar, die hilft, das Verhalten zumindest einiger Idiome beschreiben zu können. Ob damit jedoch dem sehr heterogenen syntaktischen Verhalten verschiedener Idiomtypen Rechnung getragen werden kann, bleibt zweifelhaft. Katz' Ausführungen bleiben relativ unspezifisch und werden - wenn überhaupt - nur am Beispiel des prototypischen - nichtkompositionellen, nichtdekomponierbaren, opaken - Idioms kick the bücket überprüft. Katz erwähnt zwar, dass die Entscheidung Uber Kompositionalität oder Nichtkompositionalität von Idiomen nicht eindeutig zu treffen ist, berücksichtigt jedoch bei seinen theoretischen Überlegungen ausschließlich nichtkompositionelle.

2.2.2

Die Idiomliste

Weinreich (1969) legte einen Aufsatz vor, der die Idiomforschung nachhaltig beeinflusst hat und der deshalb hier ausführlicher dargestellt wird." Er bemüht sich darin um eine differenzierte Definition des Idiombegriffes, stellt eine im Vergleich zu Katz und Postal (1963) modifizierte semantische Analyse vor, postuliert die Existenz einer „Idiomliste" und diskutiert die Probleme, die sich für eine Idiomanalyse im Rahmen der generativen Grammatik ergeben. Bezüglich der Identifikation von Idiomen und ihrer Abgrenzung zu nichtidiomatischen Ausdrücken schließt Weinreich (1969: 26) sich zunächst der damaligen Standarddefinition des Begriffes an: „[...] a complex expression whose meaning cannot be derived from the meanings of its elements." Er repräsentiert die einzelnen Morpheme in Großbuchstaben und ihre Bedeutungen in kleinen Buchstaben und versucht, so auch formal deutlich zu machen, dass die kumulative Bedeutung der einzelnen Konstituenten eines Ausdrucks eher eine Funktion als eine Sequenz darstellt und dass semantische Funktionen asymmetrisch sein können. Für idiomatische Ausdrücke gilt dabei, dass die Kombination der einzelnen Morpheme oder Konstituenten A und B des Idioms nicht die erwartete semantische Funktion der Bedeutungen a und b ergibt, sondern eine andere Bedeutung, x genannt. Dadurch stellt sich die Frage, was die Bedeutung von x ist. Betrachtet man x als semantische Funktion f (y,z), wobei y ungleich a und z ungleich b ist, wird deutlich, dass die „idiomatische" Bedeutung y eines Morphems A sich auf verschiedene Weise von der wörtlichen Bedeutung a absetzen kann: So kann eine oder können mehrere Bedeutungskomponenten der wörtlichen Bedeutung fehlen oder zusätzlich vorhanden sein - ein Phänomen, das auch bei nichtidiomatischen Ausdrücken vorkommt, wenn diese mehrere „wörtliche" Bedeutungen haben, z.B. news im Allgemeinen und news in newsboy oder red in red hair im Vergleich zu red apple. Weiterhin stellt Weinreich fest, dass für eine idiomatische Lesart auch immer ein spezieller semantischer Kontext verfügbar sein muss. Unter Berücksichtigung der Polysemie kommt er schließlich zu einer neuen, umfassenderen Definition des Begriffes „Idiom", wobei er Idiome in die größere Klasse der phraseologischen Einheiten einordnet: 11

Die Arbeit wurde 1969 publiziert, aber bereits 1966 öffentlich vorgestellt. Das erklärt, warum sich einige Autoren, z.B. Chafe (1968, vgl. dazu 2.2.4), vor 1969 auf diese Arbeit beziehen können.

29 [...] let us stabilize our terminology, calling any expression in which at least one constituent is polysemous, and in which a selection of subsense is determined by the verbal context, a phraseological unit. A phraseological unit that involves at least two polysemous constituents, and in which there is a reciprocal contextual selection of subsenses, will be called an idiom. Thus, some phraseological units are idioms; others are not. Expressions that are not phraseological units we will call free constructions. (Weinreich 1969: 42) Diese Definition ist zwar noch nicht umfassend genug, sie geht aber über die bis dahin in der Literatur geläufigen hinaus: Eine phraseologische Einheit wird nur dann als Idiom bezeichnet, wenn sie mindestens zwei polyseme Konstituenten beinhaltet und der Kontext die jeweils speziellen Bedeutungen selegiert. Zur Verdeutlichung sei hier ein Beispiel angeführt, red herring, das drei Lesarten haben kann. Eine Lesart ist eine freie Konstruktion: ein bestimmter Fisch, der rote Haut hat. Die beiden anderen Lesarten sind phraseologische Einheiten: einerseits ein geräucherter und mit Salpeter behandelter Fisch, also eine Art Räucherhering, andererseits ein Ablenkungsmanöver, eine falsche Spur. Nur die letzte Bedeutung ist idiomatisch. Als zusätzliches Kriterium fur „true idioms" (Weinreich 1969: 44) wird noch die fehlende Ambiguität bezeichnet. Ausdrücke wie spie and span, kith and kin, hem and haw sind nicht ambig, da ihre Konstituenten nur in dieser Kombination auftreten und einzeln keine Bedeutung (mehr) haben, also in Weinreichs Terminologie keine subsenses haben. Die Stellung von Idiomen im Rahmen der Transformationsgrammatik hält Weinreich aufgrund des Generierbarkeitsproblems und der Resistenz gegenüber von Transformationen für problematisch. Er geht davon aus, dass phraseologische Einheiten im Hinblick auf ihre eingeschränkte Transformierbarkeit ebenso in ihrem Lexikoneintrag 12 markiert sind wie für andere syntaktische Merkmale (Weinreich 1969: 53). Dabei stellt sich die Frage, ob phraseologische Einheiten als Ganze im Lexikon gespeichert sind und demzufolge als Ganze die Markierung tragen oder ob sie in ihre Konstituenten zerlegt gespeichert sind und somit j e d e Konstituente markiert sein muss. Weinreich plädiert für die Speicherung als Ganzes, aber in einer separaten Idiomliste. 13 In der Annahme von Katz und Postal, das Lexikon sei für lexikalische Einheiten und phrasale Idiome geteilt, sieht er indirekt eine Bestätigung seines Vorschlags (Weinreich 1969: 57). Die Einträge in der Idiomliste haben die Form von Morphemsträngen - mindestens zwei Morpheme bis hin zu Satzlänge - mit den dazugehörigen Phrasenstrukturen, der entsprechenden figurativen Bedeutung, kontextuellen Merkmalen sowie Markierungen für zulässige bzw. nicht erlaubte Transformationen. Zusätzlich

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Da es sich hier um die semantische Komponente des Lexikons handelt, verwendet Weinreich wie Katz und Postal (1963) in diesem Zusammenhang stets den Begriff dictionary. Heutiger Terminologie folgend wird hier jedoch der Begriff Lexikon oder Lexikoneintrag verwendet. Typisch und verantwortlich für die teilweise unzulässigen Verallgemeinerungen ist Weinreichs Vorgehen bei seiner Argumentation. Er wählt ein einziges Beispiel, shoot the breeze, warnt aber gleichzeitig davor, sich nur anhand einzelner Beispiele zu orientieren: „The phraseological phenomena are so diversified that no single example can illustrate the problems by itself." (Weinreich 1969: 53). Er verweist demnach darauf, dass Idiome sehr heterogen sind und demzufolge auch nicht die syntaktischen und lexikontheoretischen Probleme einiger Idiome auf alle Idiome generalisiert werden sollten, wählt dann aber mit shoot the breeze ein nichtkompositionelles - nichtdekomponierbares - Idiom und verallgemeinert die Ergebnisse, die die Betrachtung dieses einen Idioms liefert, letztendlich doch auf die gesamte Gruppe der Idiome.

30 wird eine so genannte idiom comparison rule eingeführt, die die Einträge der Idiomliste mit den terminal strings - die durch die lexikalische Regel aus der kategorialen Komponente und dem Lexikoneitrag entstanden sind - vergleicht. Im Falle von teilweiser - wie groß und von welcher Art die Abweichungen sein dürfen, wird von Weinreich nicht spezifiziert oder kompletter Übereinstimmung löscht die Idiomvergleichsregel die semantischen Merkmale und Transformationsoptionen des terminal string und ersetzt sie durch das, was im Eintrag der Idiomliste spezifiziert ist. Die Applikation der Idiomvergleichsregel soll optional sein und dadurch der Tatsache Rechnung tragen, dass idiomatische Ausdrücke in der Regel einen homophonen wörtlichen Gegenpart haben, der durchaus für Transformationen zugänglich sein kann. Die Vorteile, die die Einführung der Idiomliste und der Idiomvergleichsregel mit sich bringen, liegen darin, dass alle phonologischen, syntaktischen und morphologischen Informationen, mit denen der wörtliche Ausdruck durch die grammatische Basis, d.h. die kategoriale Komponente, und das Lexikon ausgestattet ist, beibehalten werden können. Als Nachteile seines Postulats betrachtet Weinreich einerseits die zusätzlich nötig werdenden Vergleichs- und Anpassungsprozesse und andererseits die Tatsache, dass syntaktisch nichtwohlgeformte Idiome nach wie vor ein Problem darstellen, denn allein die Existenz der Idiomliste und der Idiomvergleichsregel können noch nicht die Generierung von Ausdrücken wie tooth and nail u.ä. erklären. Mit dem expliziten Postulat der Idiomliste hat Weinreich als Erster eine theoretische Basis für nachfolgende experimentelle Forschung im Rahmen der Psycholinguistik geliefert, bei der versucht wird, Speichermodelle empirisch zu überprüfen und zu zeigen, dass es bei der Verarbeitung von Idiomen, aufgrund der stattfindenden Vergleichsprozesse zwischen generierten Phrasen und ihren eventuell vorhandenen Einträgen in der Idiomliste, zu komplexeren kognitiven Prozessen kommt und demzufolge länger dauern müsste, auf die Bedeutung von Idiomen zuzugreifen. Diese Studien wurden in den frühen 70er Jahren durchgeführt (vgl. z.B. Bobrow und Bell 1973) und werden in Abschnitt 3.1 dargestellt. Abschließend ist kritisch anzumerken, dass Weinreichs Definitionsansatz und die damit einhergehenden Annahmen einerseits berechtigterweise auf den Aspekt der Polysemie und den Einfluss des Kontextes verweisen, die bei vielen Idiomen zweifellos eine Rolle spielen. Andererseits sind diese Aussagen nach wie vor eingeschränkt auf die sprachliche Ebene und demzufolge nicht ausreichend, um die Bedeutung aller Idiome angemessen zu beschreiben. So stellt sich die Frage, ob bei nichtkompositionellen Idiomen wie beispielsweise kick the bücket oder shoot the breeze von Polysemie gesprochen werden kann oder ob hier nicht auf einer kognitiven Ebene konzeptuelle Faktoren zum Verstehen des Ausdrucks beitragen. Im folgenden Abschnitt wird ein weiterer, vorwiegend für die Syntax von Idiomen relevanter Ansatz vorgestellt. Danach werden die Arbeiten von Chafe (1968, 1970) und Newmeyer (1972, 1974) diskutiert, die gerade in der Syntaxbasiertheit der Transformationsgrammatik die Gründe für die Schwierigkeiten von Idiomen sehen.

31 2.2.3

Eine Hierarchie der syntaktischen Fixiertheit

Fräser (1970) stellt eine Hierarchie der syntaktischen Fixiertheit (frozermess hierarchy) auf, die Idiome je nach Ausmaß ihrer syntaktischen und lexikalischen Flexibilität unterscheidet und in Abhängigkeit davon ihr grammatisches Verhalten vorhersagen können soll. Fräser legt seinen Ausführungen eine nichtkompositionelle Definition zugrunde: „I shall regard an idiom as a constituent or series of constituents for which the semantic interpretation is not a compositional function of the formatives of which it is composed." (Fräser 1970: 22). Er übernimmt die von Katz und Postal (1963) vorgeschlagene Einteilung in lexikalische und phrasale Idiome, um zu vermeiden, dass jedes Morphem bzw. einzelne Wort unter obiger Definition als Idiom gilt. Die lexikalische Einsetzung lexikalischer und phrasaler Idiome in den Phrasenstrukturbaum verläuft in ähnlicher Weise wie bei monomorphemischen Einheiten. Was jedoch für monomorphemische Einträge unproblematisch ist, wirft im Zusammenhang mit phrasalen Idiomen einige Fragen auf, die teilweise bereits in den oben vorgestellten Arbeiten thematisiert wurden: Welche Tiefenstrukturrepräsentation hat ein phrasales Idiom? Wie können Idiome durch die Phrasenstrukturregeln basisgeneriert werden? Wie verhält es sich mit den Beschränkungen, die bestimmte Idiome im Hinblick auf einige syntaktische Transformationen aufweisen? Fräser betrachtet zunächst Idiome mit wörtlichem Gegenstück, z.B. pass the buck, und plädiert dafür, dass die wörtliche und die idiomatische Lesart die gleiche syntaktische Tiefenstrukturrepräsentation haben. Belege für diese Annahme sieht er darin, dass einige Idiome syntaktische Transformationen erlauben und darin, dass die phonologische Form für beide Ausprägungen exakt die gleiche ist. Die Annahme einer zugrunde liegenden Tiefenstruktur für die wörtliche und idiomatische Lesart löst jedoch noch nicht das Problem der semantischen Interpretation. Für die wörtliche Lesart wird davon ausgegangen, dass die semantische Interpretation der Phrase sich aus den Bedeutungen der einzelnen Konstituenten ergibt, die in deren jeweiligen Lexikoneinträgen vermerkt sind. Um die idiomatische Lesart erklären zu können, macht Fräser folgende Zusatzannahme: Die syntaktisch-phonemische Komponente des lexikalischen Eintrags eines phrasalen Idioms besteht aus einem ganzen Bündel von Merkmalen, die z.B. im Falle von hit the sack alle drei Konstituenten spezifizieren. Ein Teil enthält demnach das syntaktische Merkmal [+V] und die phonemische Repräsentation von hit, ein zweiter enthält [+DET] und die phonemische Repräsentation von the und ein dritter enthält [+N] und die phonemische Repräsentation von sack (vgl. Katz 1973). Die mit dieser Komponente einhergehende semantische Repräsentation wäre go to bed. Im Vergleich zu Lexikoneinträgen monomorphemischer Formen ist wichtig, dass die syntaktisch-phonemischen Merkmale und die semantischen völlig unabhängig voneinander sind, d.h. dass mit den einzelnen Konstituenten des Idioms keinerlei semantische Information assoziiert ist (Fräser 1970: 27).14 Die lexikalische Einsetzung eines phrasalen Idioms findet dann genau wie die eines monomorphemischen Eintrages statt. Die semantische Lesart wird mit der das Idiom dominierenden Konstituente verknüpft, in diesem Falle mit der VP.

14

Diese „Autonomieamiahme" ist theorieintern begründet, wurde jedoch häufig kritisiert und angezweifelt (vgl. z.B. Jackendoff 1995).

32 Problematischer als verbale Idiome mit wörtlichem Gegenstück sind Idiome, die eine andere syntaktische Ausprägung haben. Als exemplarische Fälle diskutiert Fräser N-NKomposita (z.B. cheese soup, filing cabinet), diskontinuierliche Idiome (bring (something) to light, lead (someone) a merry chase), Idiome mit possessiven NPs (lose one's mind, break someone's heart), verbale Idiome, bei denen die NP einen restriktiven Relativsatz enthält (kill the goose that lays the golden egg) sowie syntaktisch nichtwohlgeformte Idiome (trip the light fantastic, by and large). Für die N-N-Komposita schlägt Fräser, was die syntaktisch-phonemische Komponente angeht, einen ähnlich komplexen Eintrag vor wie für phrasale Idiome. Bei diskontinuierlichen Idiomen und Idiomen mit possessiven NPs müssen die Selektionsrestriktionen dergestalt erweitert werden, dass eine Variable mit den ihr jeweils eigenen Eigenschaften abgebildet werden kann. Im Fall von z.B. bring (something) to light enthält die syntaktisch-phonemische Komponente des Lexikoneintrags vier Segmente, wobei die Ausprägung der Variablen something durch die - vorgeschalteten - Selektionsrestriktionen bestimmt wird. Für die komplexen Idiome, die einen Relativsatz beinhalten, wird ebenfalls ein entsprechend erweiterter Lexikoneintrag postuliert. Die Überfuhrung der Tiefen- in die Oberflächenstruktur verläuft dabei für die wörtliche wie für die idiomatische Lesart in gleicher Weise. Idiome, die von anderen Autoren „nicht wohlgeformt" genannt werden, bezeichnet Fräser als Idiome „ohne wörtliches Gegenstück". Durch diese Terminologie bringt er zum Ausdruck, dass sie rein syntaktisch durchaus als wohlgeformt betrachtet werden können und insofern der Grammatik erlauben, die richtige phonologische Ausprägung sowie zulässige syntaktische Transformationen zuzuweisen. Zusammengefasst heißt das: [...] I am making the claim that an idiom and its literal counterpart should be analyzed as having identical deep structure syntactic representations. [...] All other idioms - those I've called without literal counterpart - are analyzed as having a deep structure representation analogous to an expression which resembles the idioms in its surface structure representation. (Fraser 1970: 31) Als zweites grundlegendes Problem wurden eingangs die Beschränkungen genannt, denen einige Idiome hinsichtlich bestimmter syntaktischer Transformationen unterliegen. Fraser wendet sich gegen den von Weinreich (1969) und Katz (1968)15 gemachten Vorschlag, Idiome seien im Hinblick auf die Unzulässigkeit bestimmter syntaktischer Transformationen im Lexikoneintrag markiert.16 Statt von Transformationen spricht er, um theoretische und terminologische Verwirrung zu vermeiden, von Operationen, die über Phrasen definiert sind. Die von ihm betrachteten Beispiele für Operationen sind die Adjunktion, Einsetzung, Permutation, Extraktion und Rekonstitution (Fraser 1970: 36ff.). Bei der Anwendung von Transformationen werden diese Operationen verwendet, um die Tiefenstruktur in ihre jeweilige Oberflächenform zu überfuhren. Unter der Operation der Adjunktion versteht Fraser z.B. die gerundive NP-Transformation (John hit the ball -> John's hitting the ball), während ein Beispiel fur die Einsetzungsoperation die Bewegungstransformation des indirekten Objekts ist (John read the riot act to the class —> John read the class the riot

15 16

Fraser bezieht sich hier auf ein unveröffentlichtes Manuskript; die Aussagen darin sind aber höchstwahrscheinlich mit denen in Katz (1973) zu vergleichen. Eine detaillierte Diskussion einzelner Transformationen, z.B. der unspecified NP deletion, liefern Fraser und Ross (1970) sowie - als Reaktion darauf - Mittwoch (1971).

33 act). Die Permutationsoperation kann am Beispiel der Partikelbewegung verdeutlicht werden: lay down the law —> lay the law down. Die Extraktion kann durch eine ganze Reihe von Transformationen herbeigeführt werden, u.a. durch die Passivbewegung (The law was laid down by her father). Die mit der Operation der Rekonstitution einhergehende Transformation ist die so genannte action nominalization transformation (He laid down the law to his daughter —> His laying down of the law to his daughter). Verschiedene Idiome erlauben verschiedene Operationen. Statt jeweils für die zulässigen Operationen markiert zu sein, postuliert Fräser eine frozenness hierarchy, deren Ebenen nach den zulässigen Operationen benannt sind. Den Ebenen werden repräsentative Beispiele von Idiomen zugeordnet. Idiome auf einer bestimmten Ebene gehören automatisch auch zu jeder darunterliegenden, d.h. diese Idiome erlauben die jeweiligen Operationen, ohne ungrammatisch zu werden. Die Ebenen - L steht für Level - der Gefrorenheitsskala sehen folgendermaßen aus (Fräser 1970: 39): L6 L5 L4 L3 L2 L1 L0

Unrestricted Reconstitution Extraction Permutation Insertion Adjunction Completely Frozen

Idiome ohne wörtliches Gegenstück gehören zu den völlig gefrorenen Idiomen auf Ebene 0. Ein Ausdruck, der zu Ebene 6 gehört, kann nach Fräsers Definition kein Idiom sein, da er dann Operationen wie die Topikalisierung erlaubt. Seiner Intuition folgend liefert Fräser jeweils ca. 20 idiomatische Beispiele für jede der relevanten sechs Ebenen (L 0 bis L 5). Unter L 5 führt er z.B. blow the whistle on, crack the whip over, pop the question, spill the beans, tip the scale at, toe the line an, unter L 4 führt er z.B. break the ice, draw a blank, give the axe to auf, unter L 3 fasst er bring down the house, give away the show, put down one's foot usw. zusammen, in L 2 ordnet er z.B. bear witness to, lend a hand to, harp on, look for ein, zu L 1 gehört für ihn z.B. kick the bucket, aspire to, insist on, burn the candle at both ends, catch fire und L 0 schließlich ordnet er u.a. bite off one's tongue, face the music, kick over the traces und stew in one's own juice zu. Fräsers Ausführungen können an einigen Stellen kritisiert werden. Zunächst ist anzumerken, dass sich Fräser, in Abgrenzung zu Weinreich und Katz, gegen die Markiertheit von Idiomen ausspricht, dann aber selbst davon Gebrauch macht: But the most significant feature of this proposed hierarchy is the following: any idiom marked as belonging to one level is automatically marked as belonging to any lower level. [...] each idiom has as one of its syntactic features the name of the level to which it belongs, (e.g. pass the buck to is marked as [+L5], [...]. (Fraser 1970: 39,41) Besonders die zuletzt zitierte Aussage macht deutlich, dass Fräsers Ansatz sich nur oberflächlich von denen unterscheidet, die er aufgrund der Markiertheitsannahme kritisiert. Ob der Lexikoneintrag eines Idioms bezüglich der Unzulässigkeit von Transformationen markiert ist (Weinreich 1969: 53) oder - wie bei Fraser - das Merkmal [+L5] trägt, ist lediglich ein terminologischer Unterschied; die den Ansätzen zugrunde liegende Idee ist die gleiche.

34 Ein weiterer Kritikpunkt liegt darin, dass Fräser ausschließlich seine eigenen Intuitionen als Grundlage für die Formulierung der frozenness hierarchy verwendet. Dabei schränkt er selbst die Gültigkeit der Hierarchie ein, indem er auf die Wichtigkeit interindividueller Differenzen bei der Beurteilung des grammatischen Verhaltens von Idiomen verweist: It is important to keep in mind that idioms, more than most aspects of language, vary enormously from Speaker to Speaker. Thus it is quite possible that some of the examples presented will be found unacceptable to the reader when I have claimed they are perfectly acceptable transforms of a particular idiom. And vice-versa. (Fräser 1970: 23)

Fräser zieht aus dieser Erkenntnis jedoch keine Konsequenzen; er hält daran fest, seine Analysen auf ein einzelnes Urteil, sein eigenes, zu gründen. Dies wird in der vorliegenden Arbeit anders gehandhabt: Weil davon ausgegangen wird, dass sich Sprecher hinsichtlich ihrer Einschätzung über linguistische Eigenschaften und konzeptuelle Aspekte von Idiomen unterscheiden, werden hier die Urteile von vielen Sprechern erhoben (vgl. dazu 4.2, 5.4, 6.4) sowie der Einfluss individueller Merkmale auf die Beurteilung des Dekompositionsstatus kontrolliert (5.7.2, vgl. auch 7.3). Fräser räumt weiterhin ein, dass die gesamte Hierarchie überdacht werden müsse, sollten die Intuitionen anderer Sprecher mehrheitlich auf eine andere Einteilung verweisen - dass dies der Fall ist, zeigt die Kritik von Newmeyer (1974: 328, vgl. 2.2.4). Dadurch wird auch Fräsers - im Widerspruch zu seinem eigenen Hinweis auf die Existenz individueller Unterschiede stehende - Behauptung entkräftet, die grundlegenden Annahmen seiner Hierarchie hätten allgemeine Gültigkeit: „[...] the general claims about idioms [...] hold true for each Speaker [...]" (Fräser 1970: 23). Eine positive Konsequenz von Fräsers Ansatz ist die Betonung des Kontinuums, auf dem sich die große Gruppe der Idiome unterscheiden lässt. Dieser Aspekt wurde vorher nicht explizit thematisiert. Einschränkend wirkt sich aus, dass Fräsers Kriterien für die Unterscheidung ausschließlich syntaktischer Natur sind. Wie in der vorliegenden Arbeit gezeigt wird, sind andere Kriterien, z.B. der Dekompositionsstatus, ebenfalls aufschlussreich im Hinblick darauf, welches Idiom einer bestimmten Fixiertheitsebene zugeordnet werden kann. Es wäre interessant, die Idiome, die Fräser den verschiedenen Ebenen seiner Fixiertheitsskala zuordnet (Fräser 1970: 40f.), im Hinblick auf ihren Dekompositionsstatus (vgl. Kapitel 3, 5, 6) zu überprüfen. Auf Ebene 0 und 1 müssten sich die nichtdekomponierbaren Idiome finden, auf Ebene 5 und 6 die dekomponierbaren. Dieser Vergleich wird dadurch erschwert, dass Fräser zahlreiche Ausdrücke als Beipiele angibt, die in der vorliegenden Arbeit und anderen einschlägigen Studien nicht als Idiome bezeichnet werden, z.B. add up to, ask for, belong to, try for, care (a lot) for, depend on, look for, dawn on (Fräser 1970: 40f.). Die Studien, die die Annahmen Fräsers einer empirischen Überprüfung unterziehen, kommen zu gegenteiligen bzw. widersprüchlichen Ergebnissen. So können Gibbs und Gonzales (1985) die Aussagen von Fräser nicht bestätigen, während Reagan (1987) durch die Befragung verschiedener Sprechergruppen zu Aussagen kommt, die teilweise mit Fräser übereinstimmen. Abschließend sei angemerkt, dass sich die Prominenz von Fräsers frozenness hierarchy eher auf ihre intuitive Plausibilität als auf ihre theoretische Stichhaltigkeit gründet. So versuchen einige Autoren, Fräsers Aussagen durch Gegenbeispiele zu widerlegen. McCawley

35 (1971) liefert - wie Makkai (1972: 55) bestätigt - richtige Gegenbeispiele zu Fräser, die belegen, dass die Annahmen, es gäbe innerhalb von Idiomen z.B. keine Konjunktion oder Pronominalisierung, nicht uneingeschränkt gültig sind. In diesem Zusammenhang sei auf eine Publikation von Machonis (1985) verwiesen, die wenig Beachtung gefunden hat, obwohl oder weil sie einen interessanten Gegenpol zu den bisher besprochenen Aufsätzen darstellt. Der Autor versucht nachzuweisen, dass sich die meisten verbalen Idiome im Hinblick auf die drei Transformationen Passiv, Partikelbewegung und Dativalternation nicht anders verhalten als nichtidiomatische Ausdrücke. Anders als die bisher vorgestellten Autoren stützt er sich dabei auf ein Korpus, das über 4000 englische Idiome enthält. Mit der durch das Korpus zur Verfügung gestellten breiteren Datenbasis untersucht Machonis nicht nur die traditionellerweise immer zitierten nichtkompositionellen Idiome, sondern eben auch die zahlenmäßig wahrscheinlich größere Gruppe der teilweise kompositionellen, d.h. dekomponierbaren Idiome. Auf der Grundlage dieser wesentlich repräsentativeren Datenauswahl kann Machonis in Bezug auf Fräsers Hierarchie der syntaktischen Fixiertheit zeigen, dass diese nicht haltbar ist und dass sich die Resistenz eines Idioms gegenüber einer bestimmten Transformation nicht zwangsläufig auf eine andere überträgt. 17 Er macht deutlich, dass die Annahme der Transformationsunfähigkeit nur für einen kleinen Teil der Idiome Gültigkeit beanspruchen kann, da sich ebenso viele, wenn nicht mehr, Beispiele für „transformationsfähige" Idiome finden lassen. Leider liefert auch Machonis keine systematische Analyse der Eigenschaften, die das unterschiedliche syntaktische Verhalten der Idiome begründen könnten. In den bisher dargestellten Untersuchungen wurde vorwiegend versucht, die syntaktischen Probleme zu beleuchten, die sich für Idiome im Rahmen der Transformationsgrammatik ergeben. Semantische Aspekte wurden dabei zwangsläufig in Betracht gezogen, da an der Schnittstelle von Syntax und Semantik die Besonderheiten von Idiomen besonders evident werden. Das Ziel der Zusatzannahmen, z.B. der Idiomliste oder des Merkmals [± Idiom], bestand darin, die syntaktischen Eigenschaften von Idiomen so zu spezifizieren, dass auch fixierte Ausdrücke im Rahmen des generativen Grammatikmodells chomskyscher Prägung beschreibbar wurden. Im nun folgenden Abschnitt werden einige Arbeiten vorgestellt, die teilweise nicht mehr mit der Annahme vereinbar sind, dass die Syntax die generierende Komponente der Grammatik ist.

2.2.4

Idiome als semantische Einheiten

Chafe (1968, 1970) macht am Beispiel der Idiome eine grundsätzliche Kritik am Modell der generativen Grammatik chomskyscher Prägung fest. Er vertritt die Position, dass Idiome sprachliche Phänomene darstellen, die mit den Annahmen der generativen Syntax 17

Machonis kritisiert auch die Annahmen, die von Katz und Postal (1963), Weinreich (1969) sowie Newmeyer (1972) im Hinblick auf die Speicherung von Idiomen gemacht wurden. Er präferiert statt einer Lösung innerhalb des generativen Modells die so genannte „lexicon-grammar", die ganzen Sätzen - und nicht nur einzelnen Wörtern - lexikalische Einträge zugesteht. Diese Annahme stimmt tendenziell überein mit Überlegungen, die im Hinblick auf die mentale Repräsentation von Idiomen in Kapitel 7 angestellt werden.

36 unvereinbar sind. Er fordert, dass Idiome oder andere figurative Ausdrücke, die aufgrund ihrer Häufigkeit einen sehr wichtigen Bestandteil der Sprache ausmachen, im Rahmen jeder linguistischen Theorie problemlos erklärt werden können müssen. Theorien, die sie als Randerscheinung betrachten und komplexe Zusatzannahmen brauchen, um sie zu integrieren, können dem Anspruch nicht gerecht werden, die natürlichen Sprachen theoretisch präzise abzubilden. Deshalb plädiert Chafe für einen Paradigmenwechsel, der weg von syntax- und hin zu semantikbasierten Grammatikmodellen geht. Mit dieser Forderung ist Chafe einer der Ersten, die die Beschreibung des grammatischen Verhaltens von Idiomen aus der Semantik und nicht aus der Syntax heraus motivieren. Mit seiner Kritik richtet sich Chafe (1968, 1970) vor allem gegen die Arbeiten von Katz und Postal (1963) sowie Weinreich (1969), die bis dahin einflussreichsten Beschreibungsansätze von Idiomatizität im Rahmen der Transformationsgrammatik. Chafe weist die vier dort thematisierten Besonderheiten von Idiomen - 1) die Nichtkompositionalität der Bedeutung, 2) die Transformationsbeschränkungen, 3) das Basisgenerierungsproblem im Falle syntaktisch nichtwohlgeformter Idiome sowie 4) die Frage, warum bei wohlgeformten Idiomen, die neben ihrer idiomatischen Lesart auch eine wörtliche haben, die idiomatische Lesart viel häufiger ist als die wörtliche - als unzureichend zurück. Weinreichs Vorschlag, für jeden Eintrag in der Idiomliste die transformationalen Besonderheiten des jeweiligen Idioms zu vermerken, hält Chafe für wenig elegant und unökonomisch. Die transformationalen Beschränkungen von Idiomen seien nicht so unsystematisch, wie es ein jeweiliger idiosynkratischer Listeneintrag suggerieren würde. Ebenso kritisch bewertet Chafe die Annahme Weinreichs, nichtwohlgeformte Idiome seien im Gegensatz zu wohlgeformten als Ganze in der Idiomliste gespeichert. Diese Annahme betone zu sehr die Unterschiede zwischen beiden Ausprägungen und vernachlässige die Gemeinsamkeiten, so Chafe. Zusammenfassend kritisiert Chafe an Katz und Postal, dass deren Analyse wesentliche Besonderheiten von Idiomen nicht berücksichtigt, während Weinreich bei dem Versuch, diese Schwächen im Rahmen des chomskyschen Paradigmas zu beheben, zu viele Sonderannahmen benötigt. Die Gründe für die an Katz und Postals sowie Weinreichs Ansätzen aufgezeigten Schwierigkeiten, Idiome im Rahmen der generativen Grammatik zu beschreiben bzw. zu erklären, liegen für Chafe in der zentralen Rolle der Syntax. Deshalb nimmt er eine theoretische Position ein, bei der die Semantik und nicht die Syntax die grammatischen Strukturen generiert. Es kann an dieser Stelle nicht auf die gesamte Konzeption der von Chafe vertretenen generativen Semantiktheorie eingegangen werden (vgl. dazu Chafe 1968, 1970), sondern lediglich auf den Teil, der für die Beschreibung und Erklärung von Idiomen relevant ist. Ein Begriff von zentraler Bedeutung ist dabei der der „Symbolisierung", ein Konversionsprozess von semantischen zu phonetischen Einheiten. Während in generativen Syntaxmodellen die generierten syntaktischen Strukturen einer semantischen und phonologischen Interpretation unterzogen werden, generiert in dem von Chafe präferierten Modell die semantische Komponente die grammatischen Strukturen, die dann in phonetische Strukturen „umgewandelt" werden. Die Entstehung von Idiomen beschreibt Chafe folgendermaßen: [...] I believe that idiomaticization can be seen as a kind of semantic change which produces a discrepancy between semantic arrangements (those directly manifested in meaning, concepts, ideas or whatever the phenomena of this area may be called) and those 'post-semantic' arrangements which enter directly into symbolization. [...] Idiomaticization is a historical process by which certain spe-

37 cific semantic arrangements enter into a special kind of semantic 'split'. After such a split has taken place the original semantic arrangement is typically still present in the language. But in addition a new semantic unit has been formed by a shrinkage of the composite meaning into a new unitary meaning. (Chafe 1968: 120) Bei historischem Sprachwandel vollzieht sich demnach folgender Prozess (Chafe 1968: 120): Semantics

^

Post-semantics

s

Pre-phonetics

^

Phonetics

Der Prozess der Symbolisierung - in obiger Abbildung repräsentiert durch das „s" - findet dabei zwischen der postsemantischen und der präphonetischen Stufe statt. Die postsemantische Ebene entspricht in chomskyscher Terminologie in etwa der Ebene der Oberflächenstruktur, während die Tiefenstruktur zwischen der semantischen und der postsemantischen Ebene anzusiedeln ist. Betrachtet man nun als Beispiel das semantic arrangement, i.e. die semantische Konstellation 18 kick the bucket, ist diese mit der Zeit zu einer Einheit mit der Bedeutung die verschmolzen. Die ursprüngliche, wörtliche Bedeutung bleibt parallel dazu erhalten. Hat ein wohlgeformtes Idiom ein wörtliches Äquivalent, sind beide auf die gleiche Art symbolisiert. Bevor die semantische Einheit eines Idioms jedoch durch den Prozess der Symbolisierung in eine präphonetische Einheit umgewandelt werden kann, muss sie zunächst in eine wörtliche postsemantische Konstellation umgewandelt werden. Das Idiom kick-the-bucket - Chafe verdeutlicht die semantische Einheit des Idioms durch Bindestriche - muss also konvertiert werden in eine postsemantische Konstellation. Das wörtliche Gegenstück, kick the bucket, ist eine semantische Konstellation, keine semantische Einheit. Die Regel, die diesen Konversionsprozess ermöglicht, wird als literalization rule bezeichnet: A literalization rule recapitulates the historical process of idiomaticization, but in a reverse direction. Idiomaticization creates a single semantic unit out of an arrangement of units, while literalization - part of the process of encoding meanings into sounds - changes the single semantic unit back into the arrangement which is its historical antecedent. (Chafe 1968: 121) Einschränkend wird vermerkt, dass nicht alle Idiome durch das „Verdichten" von semantischen Konstellationen zu semantischen Einheiten entstehen, sondern dass einige Idiome auch aus der Verkürzung von literarischen Zitaten entstehen, z.B. kingdom come, ein Bibelzitat, oder trip the light fantastic, ein Zitat aus Miltons „L'Allegro". Chafe geht davon aus, dass jedes Idiom seine eigene spezielle Literalisierungsregel hat, die dann beim Übergang von der Semantik zur Phonetik aktiviert wird. Wenn nach Applizierung der Regel immer noch eine semantische Konstellation besteht, hat das Idiom ein wohlgeformtes wörtliches Gegenstück. Den Vorteil seiner Analyse im Vergleich zu einer syntaxbasierten, die - von der syntaktischen Komponente ausgehend - feststellen muss, dass sich die Bedeutung eines Idioms nicht aus den Bedeutungen der einzelnen Konstituenten zusammensetzen lässt, sieht Chafe darin, dass nun Idiome genau wie andere Ausdrücke als semantische Einheiten betrachtet werden können, die allerdings mit Hilfe der Literalisierungsregel konvertiert werden müssen.

18

Chafe unterscheidet zwischen semantic unit, d.h. der semantischen Einheit, i.e. dem Idiom und semantic arrangement, d.h. der semantischen Konstellation.

38 Eine kritische Betrachtung der Ausführungen Chafes macht deutlich, dass er seinen eingangs formulierten Ansprüchen nicht gerecht werden kann. Zunächst ist generell anzumerken, dass Chafes ausschließliche Konzentration auf semantische und phonetische Prozesse und die Nichtbeachtung syntaktischer Prozesse erhebliche Beschränkungen darstellen. Im Hinblick auf Idiome ist zu kritisieren, dass die Schwierigkeiten, diese umfassend zu beschreiben, durch Chafes Wechsel von der Syntax in die Semantik als generierende Komponente nur verschoben werden und sich keinesfalls dadurch lösen lassen. Chafe muss ebenfalls auf Zusatzannahmen zurückgreifen, obwohl er dieses Vorgehen beispielsweise an Weinreich kritisiert. So scheint Chafes Annahme idiosynkratischer Literalisierungsregeln genauso motiviert zu sein bzw. die gleichen Prämissen auszudrücken wie Weinreichs idiosynkratische Listeneinträge. Dass sich die Probleme und Annahmen gleichen, liegt wahrscheinlich daran, dass Chafe keinen grundsätzlich anderen Ansatz wählt, sondern nur einen vordergründig anderen. Ob die Syntax oder die Semantik als generierende Komponente betrachtet wird, ändert nichts daran, dass auf rein sprachlicher Ebene die Besonderheiten von Idiomen nicht vollständig erfasst werden können. Die Behandlung der Idiome beschränkt sich in beiden Fällen jeweils auf deren Beschreibung im Rahmen des generativen Grammatikmodells. Da diese Beschreibung immer in Abgrenzung zur wörtlichen Sprache geschieht, müssen jeweils Zusatzannahmen gemacht werden, die den „defekten" oder „unregelmäßigen" Charakter von Idiomen auszugleichen versuchen. Um die Besonderheiten von Idiomen nicht nur beschreiben, sondern auch erklären zu können, muss eine Erweiterung des theoretischen Rahmens vorgenommen und die konzeptuelle Ebene berücksichtigt werden (vgl. dazu Kapitel 7). 19 Zum Abschluss der Beschreibungsversuche von Idiomen im Rahmen generativer Ansätze werden im Folgenden kurz die Arbeiten von Newmeyer (1972, 1974) 20 vorgestellt, der wie Weinreich (1969) eine Art Idiomliste postuliert, diese allerdings als Idiominventar (Newmeyer 1974: 336) bezeichnet. Newmeyers Ausführungen schließen sich an die von Chafe an, da Newmeyer den Ansatz verfolgt, aufgrund der Semantik eines Idioms sein syntaktisches Verhalten vorherzusagen. Wie die anderen in Abschnitt 2.2 vorgestellten Autoren bleibt auch Newmeyer (1972, 1974) der traditionellen, nichtkompositionellen Definition von Idiomen verhaftet. Newmeyer richtet sich zunächst gegen die Auffassung, dass Idiome als Einheiten im Lexikon erscheinen. Er geht davon aus, dass bezüglich der Lexikoneinträge der lexikalischen 19

20

Abschließend sei noch auf eine Anmerkung verwiesen, die Chafe eher am Rande trifft, die aber für den vorliegenden Zusammenhang bedeutsam und unter dem Aspekt heutiger Forschungsergebnisse relevant ist. Chafe thematisiert die Transparenz bzw. Opakheit von Idiomen und ihre Rolle bei der Erklärung für das unterschiedliche Verhalten der Idiome. Er bemerkt: „Perhaps it is possible to distinguish a class of 'semi-idioms' whose literalization are amenable to restricted kinds of semantic tampering." (Chafe 1968: 125). Mit diesem Hinweis auf eine eher kontinuierliche und nicht statische Einteilung der Idiome im Hinblick auf ihr semantisches und syntaktisches Verhalten und die Rolle der Transparenz dabei deutet Chafe Aspekte an, die sich als wichtig erwiesen haben und die heute diskutiert werden (vgl. Kapitel 3 und 7). Da der Aufsatz von 1974 eine überarbeitete und an den entscheidenden Stellen elaboriertere Version des Aufsatzes von 1972 ist, wird im Folgenden hauptsächlich auf die spätere Publikation eingegangen.

39 Einheiten kein Unterschied zwischen der idiomatischen und wörtlichen Lesart besteht bzw. dass diese Bedeutungen miteinander verbunden sind: „[...] the lexical items of which idioms are composed have identical entries to homophonous lexical items in their literal senses. A transderivational constraint relates the actual meaning, the literal meaning, and the lexical items involved." (Newmeyer 1974: 327). Newmeyer übernimmt die nichtkompositionelle Definition des Begriffes Idiom von Fräser und betrachtet zunächst zyklische Transformationen, z.B.passive, unspecified object deletion, conjunct movement, subject raising, tough movement und there insertion. Er versucht zu zeigen, dass die semantische Repräsentation sowohl der idiomatischen („M") als auch der wörtlichen Bedeutung („M2") eines Idioms bestimmt, ob das Idiom die jeweilige Transformation zulässt oder nicht: „Put simply, a cyclic rule operates internally to an idiom only if both M, and M2 govern the rule in question." (Newmeyer 1974: 329). Die Beispiele bury the hatchet, pull one 's leg oder spill the beans zeigen, dass sowohl die idiomatische als auch die wörtliche Lesart Passivierung erlaubt: someone was teased / someone 's leg was pulled; peace was made / the hatchet was buried usw. Zu den nicht passivierbaren Idiomen gehören z.B. kick the bucket, sit on pins and needles oder shoot the bull, weil hier lediglich die wörtliche Bedeutung, M2, passiviert werden kann, nicht aber die idiomatische, Mi, oder die wörtliche Paraphrasierung der idiomatischen Lesart.21 In ähnlicher Weise führt Newmeyer für die anderen oben genannten zyklischen Transformationen Beispiele an und versucht dadurch zu belegen, dass die semantischen Eigenschaften der idiomatischen und wörtlichen Lesart einen Einfluss auf das syntaktische Verhalten der idiomatischen Ausdrücke bezüglich dieser Transformationen nehmen. Nichtzyklische Transformationsregeln, z.B. Topikalisierung, Fragebildung, Einsetzung von Adverbien, Pronominalisierung oder Partikelbewegung, beinhalten die Löschung, Einsetzung oder Bewegung einzelner Konstituenten eines Idioms. Solche Veränderungen können an nichtkompositionellen „full idioms" nicht vorgenommen werden, da diesen ja per definitionem eine - syntaktisch sichtbare - interne, d.h. kompositioneile Struktur abgesprochen wird. Newmeyer (1974: 335) liefert dafür folgende Beispiele: *the beans, John spilled (Topikalisierung), *where did the family have a skeleton? In the closet (Fragebildung), *Mary kicked the bucket and George kicked one too (Pronominalisierung) usw. Um auf theoretischer Ebene die Beschränkungen von Idiomen im Hinblick auf Transformationen beschreiben zu können, führt Newmeyer (1974: 336) folgendes Postulat ein: „The grammar of every language contains an idiom inventory, which is a list of ordered pairs of semantic representations (M), M2). Each pair on this list is called an idiom source. Any item in the lexicon may be marked with the designation of one or more idiom sources." Das „Idiominventar" ist verknüpft mit einer transderivationalen Beschränkung (1) und einer Bedingung für die lexikalische Einsetzung (2): (1) For each idiom source, an idiom with meaning M, is derived from its paired M2, a subpart of some initial P-marker. Rules applying to structures derived from M2 must obey all the government conditions of both M, and M2. (2) In each idiomatic derivation, there may be inserted at shallow structure for those nodes corresponding to subparts of M2, only those lexical items marked with

21

Die wörtliche Paraphrasierung der idiomatischen Lesart, also z.B. die im Falle von kick the bücket, wird häufig - verwirrenderweise - auch als figurative Paraphrase bezeichnet.

40 the designation of the idiom source whose M! and M2 have govemed the application of the cyclic rules in that derivation. (Newmeyer 1974: 336f.) Das bedeutet, dass es während einer idiomatischen Ableitung zwei verschiedene Phrasenstrukturbäume - initial P-marker - gibt, von denen der eine die semantische Repräsentation der wörtlichen, der andere die der idiomatischen Lesart trägt. Beide beeinflussen die Anwendung der zyklischen Transformationsregeln. Die lexikalischen Einheiten, die als Konstituenten das Idiom bilden, sind im Lexikoneintrag als Bestandteile des Idioms markiert und tragen somit beide semantische Bedeutungen, die wörtliche und die idiomatische. Zunächst werden die wörtlichen Bedeutungen der Konstituenten der Phrase in die Derivation eingesetzt, diese können dann bei Bedarf durch das Idiominventar um die idiomatische Lesart ergänzt bzw. durch diese ersetzt werden. Für die Veränderungen der Phrase durch Transformationen im Verlauf der Einsetzung werden beide Lesarten benötigt. Newmeyer selbst beschreibt den zentralen Unterschied seiner Analyse im Vergleich zu denen von z.B. Weinreich (1969) oder Fräser (1970) damit, dass er Idiome lediglich als semantische Einheiten betrachtet, aber nicht als lexikalische, d.h. sie werden nicht direkt als Ganze in die Derivation eingesetzt. Der Schwachpunkt von Weinreichs und Fräsers Analyse liegt für Newmeyer darin, dass eine ganzheitliche Einsetzung in der Tiefenstruktur erfolgen soll, also bevor zyklische Transformationsregeln appliziert werden, was zur Folge hat, dass Transformationsbeschränkungen nicht erklärt werden können. Die Kritik an Newmeyers Vorschlägen ähnelt der an Chafes. Den in den Mittelpunkt gestellten Schwächen der syntaktisch orientierten Analysen von Katz und Postal, Weinreich oder Fräser wird nur oberflächlich begegnet und es werden letztlich ähnliche Konstrukte vorgeschlagen. So wendet sich Newmeyer zu Beginn seiner Ausführungen gegen Einträge in der Idiomliste, postuliert aber dann selbst eine Liste, die er Idiominventar nennt. Deren Inhalte werden zwar etwas anders konzipiert, die zugrunde liegende Annahme jedoch ist die gleiche. Dennoch bleibt als positive Konsequenz des Versuches, bei der Beschreibung von Idiomen zunehmend semantische Aspekte zu berücksichtigen, festzuhalten, dass sich der Blickwinkel in der Idiomforschung in diese Richtung verschoben hat. Wie u.a. in Abschnitt 2.3 und 3.2 aufgezeigt wird, ist ein semantischer Ansatzpunkt dem Gegenstand angemessener als ein syntaktischer, wenn auch immer noch nicht ausreichend (vgl. dazu Kapitel 7).

2.2.5 Zusammenfassung: Generative Ansätze In Abschnitt 2.2 wurde diskutiert, welche Annahmen im Rahmen des generativen Grammatikmodells chomskyscher Prägung gemacht wurden, um Idiome beschreiben zu können und sie nicht stets als Besonderheiten ausgrenzen zu müssen. Dabei ist festzustellen, dass der semantischen Komponente zunehmend mehr Aufmerksamkeit zugekommen ist. Katz und Postal (1963) fuhren die seitdem häufig übernommene Unterscheidung zwischen lexikalischen und phrasalen Idiomen sowie das Merkmal [± Idiom] ein (vgl. 2.2.1). Dieses Merkmal erweitert den Lexikoneintrag des Idioms und garantiert, dass alle Konstituenten des Idioms mit ihren jeweiligen Merkmalspezifikationen repräsentiert werden. Durch eine gesonderte Einsetzungsregel werden die Merkmale der weiteren Derivation zugeführt. Weinreich (1969) postuliert, dass Idiome in einer separaten Idiomliste im men-

41 talen Lexikon gespeichert sind (vgl. 2.2.2), wo sie mit ihren Phrasenstrukturen, der figurativen Bedeutung, kontextuellen Merkmalen sowie Markierungen für erlaubte bzw. nicht erlaubte Transformationen versehen sind. Eine Idiomvergleichsregel gewährleistet, dass das homophone wörtliche Gegenstück des Idioms - d.h. das Idiom in seiner wörtlichen Lesart als solches erkannt und nicht den Beschränkungen der idiomatischen Lesart unterworfen wird. In 2.2.3 wurde Fräsers (1970) Hierarchie der syntaktischen Fixiertheit vorgestellt, die das unterschiedliche grammatische und lexikalische Verhalten von Idiomen durch ihre jeweilige Position auf der Gefrorenheitsskala erklären soll. Auf den sieben Ebenen der Hierarchie sind verschiedene syntaktische Transformationen, i.e. Operationen, zulässig. Empirische Überprüfungen der zunächst intuitiv postulierten Hierarchie liefern sowohl bestätigende (z.B. Reagan 1987) als auch konträre (Gibbs und Gonzales 1985) Befunde. Chafe (1968, 1970) versucht, das grammatische Verhalten von Idiomen nicht mehr unter syntaktischer, sondern ausschließlich unter semantischer Perspektive zu beschreiben (vgl. 2.2.4). Chafe kritisiert Katz und Postal (1963) sowie Weinreich (1969) und behandelt vor allem die diachrone Entstehung von Idiomen. Idiome werden als semantische Einheiten aufgefasst, die von semantischen Konstellationen - den wörtlichen Gegenstücken - abzugrenzen sind. Newmeyer (1972, 1974) versucht - in der Tradition von Chafe - durch seine Annahme des Idiominventars Idiome ausschließlich als semantische und nicht als lexikalische Einheiten zu betrachten, d.h. sie werden nicht als Ganze in die Derivation eingesetzt. Alle vorgestellten Arbeiten können die grundsätzlichen Schwierigkeiten, die Idiome innerhalb der generativen Grammatik bereiten, nicht überzeugend überwinden. Vor allem werden keine Erklärungen für das Verhalten von Idiomen geliefert; bestenfalls werden Beschreibungen auf einer rein sprachlichen Ebene ermöglicht. Die für das generative Grammatikmodell notwendigen Annahmen sind jedoch mit der Einfuhrung des Merkmals [± Idiom], der Idiomliste und der Beobachtung der syntaktischen Fixiertheit bereitgestellt, so dass es innerhalb dieses theoretischen Rahmens zunächst keinen direkten Bedarf für weitere Forschung gibt. 22 Mit dem u.a. aus den oben dargestellten Arbeiten resultierenden, steigenden Forschungsinteresse an Idiomen in anderen Bereichen der Linguistik lässt sich gleichzeitig ein Abklingen der Forschungsaktivität im Rahmen der generativen Grammatik feststellen. Den Übergang zu den im folgenden Kapitel dargestellten psycholinguistischen Untersuchungen markieren die Arbeiten von Nunberg, Sag und Wasow (Nunberg 1978, Wasow, Sag und Nunberg 1982 sowie Nunberg, Sag und Wasow 1994). Diese Autoren machen erstmals den Versuch, das syntaktische Verhalten von Idiomen systematisch nicht nur mit ihrer Semantik, sondern vor allem mit ihrem Dekompositionsstatus zu erklären. Da sie durch ihre Annahmen die theoretischen Grundlagen für viele der in Kapitel 3 beschriebenen empirischen Studien liefern und auch als Basis für die in Kapitel 5 und 6 vorgestellten eigenen Untersuchungen dienen, werden sie im nächsten Abschnitt besprochen.

22

Aktuellere Beschreibungsversuche im Rahmen der X-bar-Theorie finden sich z.B. in den Sammelbänden von Everaert und van der Linden (1989) sowie Everaert, van der Linden, Schenk und Schreuder (1995).

42 2.3

Der Perspektivenwechsel: Die Dekomponierbarkeit von Idiomen

Der zentrale Unterschied der Arbeiten von Nunberg (1978), Wasow, Sag und Nunberg (1982) und Nunberg, Sag und Wasow (1994) im Vergleich zu den bisher dargestellten liegt in der Annahme des Dekomponierbarkeitskonzeptes, welches als entscheidender Faktor für das Verhalten der Idiome herangezogen wird, und in der Aussage, dass Idiome nicht in einheitlicher Weise analysiert werden können, sondern je nach ihrer Lokalisation auf verschiedenen relevanten Dimensionen, z.B. der Syntax, Semantik und Pragmatik, unterschiedlich betrachtet werden müssen. Mit Perspektivenwechsel ist die von den genannten Autoren vertretene Annahme gemeint, dass die Konstituenten eines Idioms identifizierbare Bedeutungen haben und insofern zur Gesamtbedeutung beitragen. Dies ist eine Abkehr von der bis dahin postulierten Nichtkompositionalität von Idiomen. Es ist jedoch zu beachten, dass der hier so bezeichnete Perspektivenwechsel noch nicht umfassend genug ist, denn auch er bleibt ausschließlich der sprachlichen Ebene verhaftet (vgl. Kapitel 7). Nunberg (1978), dessen Arbeit im Bereich der Pragmatik anzusiedeln ist, beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Phänomen der Polysemie und den Problemen, die multiple lexikalische Einträge für syntaxorientierte Grammatikmodelle bereiten. Er übernimmt die von Katz und Postal (1963) eingeführte Unterscheidung in lexikalische und phrasale Idiome, wendet sich jedoch gegen die von den meisten Autoren zugrunde gelegte nichtkompositionelle Definition von Idiomen (Nunberg 1978: 117ff.). Er definiert den Begriff nach pragmatischen Kriterien über den Konventionalisierungsgrad des jeweiligen Idioms. Ähnlich wie Katz und Postal (1963) siedelt er die Diskussion so genannter lexikalischer Idiome, z.B. nylon (für Strümpfe) und country (für ein bestimmtes Musikgenre), im Bereich der Morphologie an, die phrasaler Idiome, z.B. kick the bücket, pay Up service, I should hope to kiss a pig, im Bereich der Syntax und Semantik. Er weist die von Weinreich (1969), Fräser (1970), Katz (1973) und anderen Autoren (vgl. 2.2) in die Diskussion eingebrachten Vorschläge zurück, die Konstituenten eines Idioms wären mit Merkmalen versehen, die bestimmte syntaktische Modifikationen oder Transformationen erlauben bzw. verhindern, z.B. dem Merkmal [-Passive] (nach Weinreich 1969) oder [+ Idiom] (nach Katz 1973). Seinen Einwand gegen die oben genannten Analysen begründet Nunberg mit der „Unlernbarkeit" solcher Markierungen, d.h. er bezweifelt, dass Sprecher Evidenz dafür erhalten können, dass bücket in kick the bücket als Idiom markiert ist und piper in pay the piper nicht (Nunberg 1978: 120).23 Nunberg postuliert vielmehr, dass das unterschiedliche syntaktische Verhalten von strukturell gleichen Idiomen, z.B. kick the bücket und pay the piper, auf ihre Semantik zurückzuführen ist. Dabei lehnt er sich teilweise an Newmeyer (1972, 1974, vgl. 2.2.4) an, der davon ausgeht, dass das syntaktische Verhalten eines Idioms ausschließlich auf der Grundlage seiner Gesamtbedeutung vorhergesagt werden könne. So ließen sich Idiome wie kick the bücket deshalb nicht passivieren, weil die wörtliche Paraphrase die ebenfalls intransitiv sei. Anhand von Gegenbeispielen wie give up the ghost oder pop the question, die beide passiviert werden können, ohne ihre idiomatische Lesart zu 23

Anhand dieses Argumentes, das von Vertretern der generativen Grammatik chomskyscher Prägung sicherlich als irrelevant betrachtet werden würde, wird die Schwierigkeit deutlich, zwei von den Grundannahmen her nur bedingt kompatible Erklärungsansätze miteinander zu vergleichen.

43 verlieren, modifiziert Nunberg (1978: 120) diese Annahme dahingehend, dass nicht die Semantik der gesamten idiomatischen Phrase entscheidend für die Zulässigkeit syntaktischer Operationen ist, sondern die Semantik der einzelnen Konstituenten des Idioms: If the behavior of idioms can be predicted neither by form or meaning alone, then it must be due to the relation between the two. But we cannot address this relation if we say that phrasal idioms are simply given a single semantic representation, which is unrelated to the meaning of its parts. Rather, we have to talk about idioms as partially analyzable. (Nunberg 1978: 121) Zusätzlich verweist Nunberg darauf, dass Sprecher ihr semantisches Wissen und ihr Weltwissen Uber die einzelnen Konstituenten eines Idioms einsetzen und dass es - neben anderen Faktoren - auch davon abhängt, welche Verwendungskontexte für ein bestimmtes Idiom als zulässig empfunden werden und welche nicht. So impliziert beispielsweise das Verb pop in pop the question eine relativ plötzliche Handlung, so dass ?John popped the question step by step, in a series of increasingly amourous letters oder - im Falle von hit the panic button - ?Peter is slowly hitting the panic button nicht verwendet werden bzw. als sehr ungewöhnlich beurteilt werden. Für Nunberg (1978: 122) bedeutet das: „[...] they [the speakers] must in every case have fairly uniform assumptions about the beliefs that license the idiomatic use." Er geht noch einen Schritt weiter, indem er die Hypothese aufstellt, dass Sprecher nicht nur Intuitionen über den „Verwendungszweck" eines Idioms haben, sondern dass sich diese Annahmen auch auf das syntaktische Verhalten der Idiome auswirken. Die Grammatik würde dann Sätze wie The bucket was kicked by John generieren, aber aus funktionalen, pragmatischen Gründen würde eine idiomatische Lesart ausgeschlossen werden (vgl. Nunberg 1978: 123). Eine Einschränkung dieses Ansatzes besteht darin, dass damit keine systematischen Erklärungen möglich sind, sondern nur Erklärungen von Fall zu Fall; ein Vorgehen, das aus Sicht der Syntax nicht erwünscht ist und nicht akzeptiert wird. Am Beispiel der Passivtransformation zeigt Nunberg auf, dass der Dekompositionsstatus eines Idioms entscheidenden Einfluss auf dessen syntaktisches Verhalten nimmt. So passivieren Sprecher deshalb nur dekomponierbare Idiome - also Idiome mit kompositionellen Anteilen, bei denen die einzelnen Konstituenten zur Gesamtbedeutung beitragen - , weil sie wissen, dass die Fokusposition, die die NP des Idioms nach der Transformation einnehmen würde, nur dann sinnvoll ist, wenn der Hörer aufgrund der Dekomponierbarkeit des Idioms auch in der Lage ist, den Referenten zu identifizieren, was eben nur bei dekomponierbaren Idiomen der Fall ist. Da die Einteilung in dekomponierbare und nichtdekomponierbare Idiome für die vorliegende Arbeit eine zentrale Rolle spielt und Nunberg nach Wissen der Verfasserin der Erste ist, der sie explizit vornimmt, seien an dieser Stelle seine Begriffsklärungen wiedergegeben: Let us say that an idiom is normally decomposable when it is analyzed as involving only conventions whereby each of its constituents can be used to refer to the constituents of its referent in certain situations. Thus, the convention governing the use of pop the question could be stated as 'The NP the question is used to refer to a marriage proposal when the verb pop is used to refer to the act of uttering it.' (Nunberg 1978: 128) Als Beispiele für normal dekomponierbare Idiome gibt er pop the question, pass the buck draw the line, foot the bill, lay a ghost, blaze a trail, steal the limelight, stretch a point, break the ice u.a. an. Als eine Untergruppe der normal dekomponierbaren Idiome werden

44 die abnormally decomposable idioms bezeichnet:24 „[...] we can identify the referents of their constituent terms, but it is only in virtue of our knowledge of conventional metaphors that we know what that relation is invoked to identify." (Nunberg 1978: 129). Beispiele fur anormal dekomponierbare Idiome sind raise the roof, hit the ceiling, ring a bell, hit the panic button, take the fifth, carry the torch u.a. Beispiele für nichtdekomponierbare Idiome, die sich dadurch auszeichnen, dass der Sprecher bzw. Hörer nicht in der Lage ist, den Beitrag der einzelnen Konstituenten zur Gesamtbedeutung nachzuvollziehen, und die implizit über die Abgrenzung zu den beiden anderen Gruppen definiert werden, sind kick the bucket, take a powder, shoot the breeze, give a damn, chew the fat, hit the spot u.a. (Nunberg 1978: 127). Zur Bestätigung der oben genannten drei Gruppen führt Nunberg die Zulässigkeit von Modifikationen - in der Regel der NP des Idioms, aber auch des Verbs - an. Dekomponierbare Idiome sind relativ frei modifizierbar, ohne ihre idiomatische Lesart zu verlieren, während das bei nichtdekomponierbaren nicht der Fall ist. Anormal dekomponierbare Idiome sind zwar freier modifizierbar als nichtdekomponierbare, aber nicht so flexibel wie dekomponierbare. Nunbergs zentrale Aussage zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Intuitionen von Sprechern darüber, wie die einzelnen Konstituenten des Idioms zu seiner Gesamtbedeutung beitragen, die syntaktische und lexikalische Flexibilität des Idioms determinieren. Dieser von Nunberg erstmals in dieser Deutlichkeit vollzogene Perspektivenwechsel initiierte die Abkehr von strukturellen - syntaktischen - Erklärungsversuchen innerhalb der Idiomforschung. Es bleibt kritisch anzumerken, dass sowohl Nunbergs Ansatz als auch die seiner Richtung folgenden Arbeiten sprachliche Aspekte fokussieren und zu wenig den Einfluss kognitiver bzw. konzeptueller Faktoren berücksichtigen (vgl. dazu Kapitel 7). Nunbergs pragmatisch orientierte Publikation hat zunächst nicht viel Beachtung gefunden. Dies änderte sich mit der wenig später vorgelegten Arbeit von Wasow, Sag und Nunberg (1982), die versuchen, ihre an Nunberg (1978) angelehnte Analyse von Idiomen deutlicher in die Theorie der generativen Grammatik einzubetten bzw. die dort vorgebrachten Argumente für das syntaktische Verhalten der Idiome zu entkräften.25 Ihre Intention dabei ist die gleiche wie die Nunbergs: Zu zeigen, dass die Ursachen für die Schwierigkeiten, das Verhalten von Idiomen innerhalb der Transformationsgrammatik zu erklären, weniger an deren vermeintlich fehlerhaftem syntaktischen Verhalten liegen als vielmehr an dem zugrunde gelegten, zu eingeschränkten Verständnis des Begriffs Idiom. Ihre Hauptkritik richtet sich demnach gegen die als axiomatisch betrachtete Nichtkompositionalität von Idiomen. Sie führen vier Beispiele an (Wasow, Sag und Nunberg 1982: 108f.), die zeigen sollen, dass 24

25

Anormal dekomponierbare Idiome stellen eine umstrittene Gruppe dar (vgl. Titone und Connine 1994a sowie 3.2) und werden deshalb in der vorliegenden Arbeit nicht berücksichtigt. Der Vollständigkeit halber wird hier jedoch Nunbergs (1978) Definition angegeben. Wasow, Sag und Nunberg (1982) beginnen ihre Argumentation mit einer Kritik daran, dass Idiome innerhalb der generativen Grammatik als Belege für die Existenz von Transformationen vorgebracht werden. Sie kritisieren, dass - z.B. von Chomsky (1980) - angenommen wird, syntaktisch wohlgeformte Idiome würden wesentlich häufiger vorkommen als syntaktisch nichtwohlgeformte. Ihre „Gegenbeispiele" belaufen sich allerdings lediglich auf 12 nichtwohlgeformte Idiome, so dass ihr Vorwurf, Chomskys Argument würde auf einer statistischen Asymmetrie beruhen, ebenso für sie selbst gültig ist.

45

entgegen der traditionellen Annahme - die einzelnen Konstituenten eines Idioms Bedeutungen tragen und so zur Gesamtbedeutung des Idioms beitragen. Als Erstes liefern sie Belege für die Möglichkeit der Modifikation; so gibt es einige Idiome, die interne Modifikation zulassen, z.B. leave no legal stone unturned oder kick the filthy habit. Ebenso können Teile von Idiomen quantifiziert werden, z.B. pull a string or two, touch a couple of nerves. Als drittes belegen sie, dass Topikalisierung durchaus für einige Idiome möglich ist: Those strings he wouldn 7 pull for you, und viertens liefern sie Evidenz für die Löschung der VP, z.B. in My goose is cooked, butyours isn't. Diese vier Transformationen verändern alle die interne Struktur des Idioms, ohne dass es dadurch seine idiomatische Lesart verliert. Dies ist nur dann möglich, wenn die einzelnen Konstituenten bedeutungstragend sind. In dieser Annahme sehen die Autoren ihre Abkehr von bisherigen Analysen, die bis dahin innerhalb der generativen Grammatik zu Idiomen vorgenommen wurden: This, then, is our fundamental break with the previous generative literature on idioms: we claim that the pieces of an idiom typically have identifiable meanings which combine to produce the meaning of the whole. (Wasow, Sag und Nunberg 1982: 109) Die syntaktischen Eigenschaften der Idiome sind demzufolge aufgrund ihrer semantischen Eigenschaften vorhersagbar bzw. sie sind eine Funktion davon, wie die Bedeutungen der einzelnen Konstituenten untereinander und mit ihren jeweiligen wörtlichen Bedeutungen verbunden sind. Man beachte, dass die Autoren mit dem Hinweis auf die identifizierbaren Bedeutungen auf der semantischen Ebene bleiben und keine außersprachlichen, konzeptuellen Aspekte berücksichtigen, obwohl dies zur umfassenden Beschreibung und vor allem Erklärung des Verhaltens von Idiomen notwendig ist (vgl. Kapitel 7). Wasow, Sag und Nunberg (1982: 1 lOff.) identifizieren - in Abhängigkeit zu ihren syntaktischen und semantischen Eigenschaften - verschiedene Typen von Idiomen, die sich im Hinblick auf syntaktische Transformationen systematisch voneinander unterscheiden. Die Autoren grenzen - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - einige Typen voneinander ab und gehen dabei über die von Nunberg (1978) vorgeschlagene Einteilung anhand des Dekompositionsstatus hinaus, da sie als zusätzliches Unterscheidungskriterium die Dimension Transparenz / Opakheit einbringen (vgl. dazu 7.1.3.3). Zunächst wird die Gruppe der syntaktisch nichtwohlgeformten Idiome beschrieben, die keine syntaktische Variation erlauben und die ihre Interpretation wahrscheinlich aus dem Lexikon erhalten. Als Nächstes ist die Gruppe der syntaktisch invariablen Idiome abzugrenzen. Innerhalb dieser Gruppe wird unterschieden zwischen semantisch opaken und semantisch transparenten Idiomen, z.B. kick the bücket bzw. saw logs. Die Autoren gehen davon aus, dass bei opaken Idiomen die idiomatische Bedeutung der gesamten Phrase zugewiesen wird und sich nicht aus den Bedeutungen der einzelnen Konstituenten zusammensetzen lässt. Die von Nunberg eingeführte, semantische Bezeichnung „nichtdekomponierbar" wäre also - streng genommen - nur auf diese Gruppe anzuwenden. Syntaktisch betrachtet hat das Idiom die Struktur der jeweils dominierenden Konstituente, beispielsweise einer Verbalphrase. Daraus folgt, dass alle syntaktischen Operationen, die die interne Struktur dieser Phrase verletzen, zu ungrammatischen Ergebnissen führen. Im Fall der syntaktisch invariablen, semantisch transparenten Idiome gilt, dass die Bedeutung der transparenten Idiome aus der (wörtlichen) Bedeutung der einzelnen Konstituenten rekonstruiert werden kann.

46 Als Vertreter einer weiteren Gruppe nennen Wasow, Sag und Nunberg (1982: 111) take advantage of (vgl. dazu vor allem Bresnan 1976). In diesem Fall ist die Bedeutung des Idioms eine Funktion der Bedeutungen der einzelnen Konstituenten. Da eben auch die einzelnen Teile bedeutungstragend sind, können sie durch syntaktische Operationen getrennt werden, ohne dass deshalb die Gesamtbedeutung verloren geht. Eine andere, der letztgenannten verwandte Gruppe bilden Idiome wie spill the beans, die ebenfalls kompositionell und transparent sind sowie neben ihrer idiomatischen auch eine wörtliche Lesart haben. Solche Idiome verstehen die Autoren als konventionalisierte Metaphern. Als letzte Gruppe werden syntaktisch sehr flexible Idiome beschrieben, z.B. pull strings. Begründet wird ihr syntaktisch flexibles Verhalten hauptsächlich mit pragmatischen Argumenten, die allerdings nicht näher ausgeführt werden und von den Autoren selbst noch als relativ vorläufig bezeichnet werden. Wasow, Sag und Nunberg (1982) gehören mit ihren Analysen zu den wenigen Autoren dieser Zeit, die sich explizit gegen die traditionell zugrunde gelegte nichtkompositionelle Definition von Idiomen wenden und darauf aufmerksam machen, dass es verschiedene Typen von Idiomen gibt, die gemäß ihrer syntaktischen, semantischen und pragmatischen Eigenschaften unterschieden werden können und vor allem müssen, will man ihr grammatisches Verhalten im Rahmen zeitgenössischer Grammatiktheorien angemessen beschreiben und bestenfalls erklären können. Entscheidend ist dabei das Postulat, dass - zumindest fiir bestimmte Gruppen von Idiomen - die Semantik der einzelnen Konstituenten des Idioms die Syntax der gesamten Phrase beeinflusst. Kritisch bleibt anzumerken, dass die Autoren nur sehr wenige Beispiele für die einzelnen Typen von Idiomen liefern und dass die Zuordnung der Beispiele sowie die Einteilung der Gruppen eher intuitiv als systematisch zu erfolgen scheinen. Ein weiteres Problem ergibt sich durch die Berücksichtigung der Dimension Transparenz / Opakheit. Dieser Faktor wird terminologisch nicht eindeutig abgegrenzt, was dazu führt, dass die Beziehungen zwischen den Dimensionen Dekomponierbarkeit und Transparenz vermischt werden, statt dass deutlich herausgearbeitet wird, worin genau die Verbindungen bestehen und wie sie das Verhalten der Idiome beeinflussen.26 Weiterhin wird versäumt zu spezifizieren, wie die wörtliche und die idiomatische Bedeutung miteinander zusammenhängen. Darauf wird in der vorliegenden Arbeit in Kapitel 7 eingegangen, wo eine Modellvorstellung zur lexikalischen und konzeptuellen Repräsentation von Idiomen vorgestellt wird. Dabei werden sowohl Konstituenten- als auch Idiomeinträge berücksichtigt sowie die Verbindungen zwischen beiden diskutiert. Das Fazit, das Wasow, Sag und Nunberg ziehen, wurde zum Ausgangspunkt und Leitmotiv der im nächsten Kapitel dargestellten Untersuchungen: [...] it is clear that idioms cannot be analyzed in a uniform fashion: there is a ränge of idiom types, difFering along various syntactic, semantic, and pragmatic dimensions. To a large extent, the syntactic behavior of idioms is determined by the semantic relationships among their parts. The failure

26

Die Autoren stehen damit nicht allein: Klare Definitionen und Abgrenzungen dieser beiden Dimensionen und eine Beschreibung ihrer Interaktionen werden in den meisten Arbeiten zum Thema nicht vorgenommen (vgl. dazu 7.1.3.3). In ihrem Aufsatz von 1994 (vgl. dazu die Ausführungen weiter unten) versuchen Nunberg, Sag und Wasow, das Versäumte nachzuholen.

47 to recognize this fact has been the central weakness of most generative discussions of idioms. (Wasow, Sag und Nunberg 1982: 114) In einem späteren Aufsatz nehmen die gleichen Autoren (Nunberg, Sag und Wasow 1994) terminologische Präzisierungen vor, halten aber grundsätzlich an ihren früheren Aussagen fest. Sie verweisen mit Nachdruck darauf, dass eine bloße Betrachtung syntaktischer und semantischer Faktoren von Idiomen zu einer „Übergrammatikalisierung" des Phänomens führt und dass pragmatische Aspekte ebenso Berücksichtigung finden müssen. Statt des Begriffes „dekomponierbar" verwenden die Autoren nun den Ausdruck „idiomatically combining expression" oder „idiomatic combination" (Nunberg, Sag und Wasow 1994: 496), um Idiome zu bezeichnen, deren Konstituenten einen Beitrag zur idiomatischen Gesamtbedeutung liefern. Die Dimension der Transparenz ist davon unabhängig; idiomatische Kombinationen können transparent oder opak sein. Die vorher als nichtdekomponierbar bezeichneten Idiome werden jetzt als „idiomatic phrases" beschrieben. Als zentrale semantische Eigenschaften von Idiomen werden der Konventionalisierungsgrad des Idioms identifiziert, seine Transparenz bzw. Opakheit und sein Dekompositionsstatus, wobei Konventionalisierungsgrad und Dekompositionsstatus nach Meinung der Autoren oft konfiindiert werden. Entscheidend ist jedoch, dass die Autoren zeigen, dass die meisten Idiome, die traditionellerweise als phrasal bezeichnet wurden und als deren definierende Eigenschaft Nichtkompositionalität unterstellt wurde, zumindest teilweise kompositioneil, d.h. dekomponierbar sind.

2.4 Zusammenfassung: Linguistische Idiomforschung

Die Ausführungen von Nunberg (1978), Wasow, Sag und Nunberg (1982) sowie Nunberg, Sag und Wasow (1994) markieren den Perspektivenwechsel, der sich durch das Konstrukt der Dekomponierbarkeit innerhalb der Idiomforschung vollzogen hat und der zu den im nächsten Kapitel dargestellten Untersuchungen geführt hat. Nunberg (1978) hat als Erster darauf verwiesen, dass nicht die Semantik der gesamten idiomatischen Phrase über die Zulässigkeit von z.B. syntaktischen Transformationen entscheidet, sondern der semantische Beitrag der einzelnen Konstituenten des Idioms. Er führt die Bezeichnung dekomponierbar, anormal dekomponierbar und nichtdekomponierbar ein, um zwischen den verschiedenen Gruppen von Idiomen zu unterscheiden und verweist darauf, dass die Intuitionen von Sprechern darüber, wie die einzelnen Konstituenten des Idioms zu seiner Gesamtbedeutung beitragen, die syntaktische und lexikalische Flexibilität des Idioms determinieren. Diese Aussagen werden von Wasow, Sag und Nunberg (1982) durch Beispiele für mögliche Transformationen, bei denen die Idiome ihre figurative Lesart behalten, belegt. Die syntaktischen Eigenschaften von Idiomen sind demnach aufgrund ihrer semantischen Eigenschaften vorhersagbar. Da Letztere sich gemäß der oben postulierten drei Dekompositionsgruppen unterscheiden, sollte das Verhalten von Idiomen in Abhängigkeit zu ihrem Dekompositionsstatus beschrieben und erklärt werden.

48 Mit dem vorliegenden Kapitel wurde die Entwicklung der Idiomforschung innerhalb früher Versionen der generativen Grammatik nachgezeichnet und dadurch ein Einblick in den kontinuierlichen Verlauf dieser Forschungsrichtung gegeben. Anhand ausgewählter Arbeiten wurde versucht nachzuvollziehen, welche Probleme vor allem das syntaktische Verhalten von Idiomen innerhalb der generativen Grammatik bereitet hat und welche zusätzlichen Annahmen gemacht wurden, um einer angemessenen Beschreibung von Idiomen innerhalb dieser Theorie näher zu kommen (vgl. 2.2.5). Aus heutiger Sicht wird deutlich, dass der Rahmen der generativen Grammatik zu eng gefasst ist, um die Eigenschaften und das grammatische Verhalten von Idiomen umfassend beschreiben und erklären zu können. Dazu müssen - über die linguistische Ebene hinaus konzeptuelle Faktoren berücksichtigt werden (vgl. dazu Kapitel 7). Als erster Schritt in diese Richtung kann die in 2.3 dargestellte Veränderung der Perspektive gelten, aus der Idiome zunehmend betrachtet wurden. Dies hat dazu geführt, dass sich der Forschungsschwerpunkt von der Syntax in die Semantik und dadurch in die Psycholinguistik verlagert hat. Im nun folgenden Kapitel 3 wird aufgezeigt, welche Fragen bei psycholinguistischen Untersuchungen im Vordergrund stehen und wie versucht wird, die im vorliegenden Kapitel diskutierten theoretischen Überlegungen im Experiment zu operationalisieren. Die teilweise kontroversen Ergebnisse, die vor allem während der 1980er Jahre publiziert wurden, haben den Ausgangspunkt für die in Kapitel 5 und 6 dargestellten eigenen Untersuchungen geliefert.

3 Psycholinguistische Studien: Verarbeitung und Eigenschaften von Idiomen

Wie im vorangegangenen Kapitel bereits angedeutet, lässt sich zu Beginn der 80er Jahre eine Verlagerung des Schwerpunktes innerhalb der Idiomforschung feststellen: Psycholinguistische Studien lösen die bis dahin vorherrschenden Untersuchungen im Rahmen linguistischer Theorien, vor allem des generativen Grammatikmodells, ab. Diese „Trendwende" spiegelt sich u.a. in der Anzahl der Publikationen wider, die in den jeweiligen Gebieten veröffentlicht werden. Für die rapide Zunahme psycholinguistischer Arbeiten und die Abnahme ausschließlich linguistisch orientierter Forschung sind mehrere Gründe zu nennen. Einerseits waren durch die bis dahin existierenden Erkenntnisse im Rahmen der generativen Grammatik (vgl. 2.2) die Möglichkeiten dieses theoretischen Modells ausgeschöpft und dessen teilweise Inadäquatheit, Idiome umfassend beschreiben und ihr syntaktisches, semantisches und lexikalisches Verhalten erklären zu können, deutlich geworden. Zusätzlich war das Interesse an der Beschäftigung mit figurativer Sprache innerhalb generativer Ansätze seit jeher gering ausgeprägt (vgl. dazu Honeck 1980), da figurative Ausdrücke in der Regel als Abweichung oder Ausnahme von wörtlicher Sprache und als irrelevant für die Theoriebildung betrachtet wurden. Andererseits entdeckten gegen Ende der 70er Jahre Psycholinguisten den Bereich der figurativen Sprachphänomene als bisher wenig erforschtes Gebiet, für dessen Untersuchung die Psycholinguistik in besonderem Maße geeignet ist. Die Annahmen, die innerhalb von Grammatikmodellen gemacht wurden, konnten z.B. in Reaktionszeitexperimenten überprüft werden und so zur empirischen Klärung linguistischer Probleme beitragen. Als Prototyp der figurativen Sprache wurde lange Zeit vor allem die Metapher untersucht, 1 aber auch Sprichwörter und Idiome wurden zunehmend zum Gegenstand empirischer Forschung (vgl. dazu Honeck 1980). Das primäre Anliegen der psycholinguistischen Untersuchungen war, die in der Grammatiktheorie gemachten Annahmen zur linguistischen Kompetenz durch pragmatische und kontextuelle, also performanzorientierte Faktoren zu ergänzen und dadurch das allgemeine Verständnis linguistischer Prozesse zu erhöhen. Es bestand, wie Honeck (1980: 39) formuliert, „the need to incorporate great flexibility in models of linguistic understanding." 2 Im vorliegenden Kapitel werden ausschließlich diejenigen Arbeiten betrachtet, die die Verarbeitung, Speicherung und Repräsentation englischer Idiome zum Gegenstand haben. Dabei wird deutlich werden, dass die in den 70er und frühen 80er Jahren vorherrschende und von linguistischen Theorien transportierte - Auffassung, Idiome seien per definitionem (vgl. 1.2.2) nichtkompositionell, im Laufe der Zeit einer detaillierteren Analyse gewichen 1

2

Bereits in den späten 70er Jahren wurden zwei Konferenzen zum Thema „Metapher" abgehalten: Die Illionois Conference on Metaphor and Thought, 1977, und die Interdisciplinary Conference on Metaphor, 1978; zusätzlich wurden mehrere Symposien zum Thema veranstaltet. Die experimentelle und theoretische Forschung auf dem Gebiet der Metapher hatte zu dieser Zeit einen ersten Höhepunkt erreicht. Einen informativen und aktuellen Überblick über die Entwicklung der psycholinguistischen Forschung zur figurativen Sprache liefern Pollio, Smith und Pollio (1990), Katz (1996) sowie Honeck (1980, 1996).

50 ist, die davon ausgeht, dass es verschiedene Gruppen von Idiomen gibt, die sich im Grad ihrer Kompositionalität unterscheiden. Zusätzlich konnten andere Faktoren identifiziert und in der Folgezeit untersucht werden, die ebenfalls Einfluss auf das syntaktische, semantische und lexikalische 3 Verhalten der Idiome sowie auf ihre Verarbeitung und Speicherung im mentalen Lexikon nehmen. Die ausgewählten Arbeiten werden einerseits chronologisch, andererseits nach Forschungsschwerpunkten diskutiert. Da die empirischen Befunde verschiedener Autoren zu einer zugrunde liegenden Hypothese häufig heterogen sind, werden auch einander entgegenstehende Befunde dargestellt. Die Heterogenität der Befundlage erklärt sich zum Teil daraus, dass zu Beginn der Forschung die Datenbasis, d.h. die Idiome, nicht kontrolliert verwendet wurde. Fälschlicherweise wurde von einem homogenen Datenpool ausgegangen, d.h. allen Idiomen wurden die gleichen linguistischen Merkmale zugeschrieben. Mit fortschreitender Forschung konnten die verschiedenen Dimensionen, auf denen sich die große Gruppe der Idiome unterschiedlich ausprägt, zunehmend besser kontrolliert und im Experiment getrennt werden. Demzufolge wurden die empirischen Befunde und die damit einhergehenden Interpretationen eindeutiger. Ein Charakteristikum fast aller Studien ist der Mangel an einem übergeordneten, die Einzelbefunde integrierenden Modell bzw. einer solchen Theorie. Die meisten Autoren beschränken sich auf die relativ isolierte Betrachtung einer empirisch überprüfbaren Fragestellung. Dennoch wird in den folgenden Abschnitten der Versuch unternommen, jeweils eine theoretische Einordnung vorzunehmen. Der erste Abschnitt des vorliegenden Kapitels (3.1) stellt zunächst die „erste Generation" empirisch überprüfbarer Hypothesen vor (Bobrow und Bell 1973, Swinney und Cutler 1979, Gibbs 1980). Die im Nachhinein in der Rezeption dieser Studien herausgestellten theoretischen Unterschiede sind genauer betrachtet geringer als die zugrunde liegenden Gemeinsamkeiten. So beschäftigen sich alle drei Hypothesen mit der Frage, ob sowohl die wörtliche als auch die figurative Bedeutung eines Idioms während des Verarbeitungsprozesses abgerufen wird und in welcher Reihenfolge der Zugriff erfolgt. Jede der drei diskutierten Hypothesen kommt zu einem anderen Ergebnis. Die Heterogenität dieser Befunde veranlasste Cacciari und Tabossi (1988) sowie Tabossi und Cacciari (1988) zu weiteren empirischen Überprüfungen und dazu, ein anderes Verarbeitungsmodell zu postulieren, welches den Übergang zu der „Folgegeneration" der frühen Hypothesen markiert, weil hier die strikte Trennung von wörtlicher und idiomatischer Bedeutung bzw. Repräsentation aufgegeben wird (vgl. 3.1.4). Die im zweiten Abschnitt (3.2) dargestellten Befunde machen deutlich, dass die in 3.1 diskutierten Verarbeitungsunterschiede verschiedener Idiome systematisch auf den jeweiligen Dekompositionsstatus des Idioms zurückgeführt werden können (vgl. Gibbs et al. 3

Mit „lexikalischem Verhalten" ist in diesem Kontext die Flexibilität eines Idioms im Hinblick auf die Austauschbarkeit von Wörtern gemeint. Gibbs et al. (1989b) untersuchen, welche Idiome lexikalisch verändert werden können und dennoch ihre figurative Bedeutung behalten. Ein Beispiel ist das dekomponierbare Idiom break the ice, das als crack the ice immer noch seine idiomatische Bedeutung hat. Das nichtdekomponierbare Idiom kick the bücket hingegen verliert als kick the pail oder punt the bücket seine idiomatische Lesart. Die hier intendierte Lesart von „lexikalisch" ist nicht zu verwechseln mit der, die in Kapitel 7 verwendet wird. Dort bezieht sich „lexikalisch" im Gegensatz zu „konzeptuell" auf alle sprachlichen Merkmale, die im Lexikon repräsentiert sind, also syntaktische, semantische, morphologische und phonologische.

51 1989a,b,c sowie 3.2.1). Es wird versucht, durch eine detailliertere Analyse des Datenmaterials, die in frühen empirischen Studien versäumt wurde, die Vorhersagen über das syntaktische, semantische und lexikalische Verhalten der Idiome zu präzisieren und somit die Aussagekraft der zugrunde liegenden theoretischen Annahmen zu erhöhen. Unter 3.2.2 wird ein weiterer Faktor diskutiert, der sich bei der Verarbeitung von Idiomen als wichtig herausgestellt hat: der Bekanntheitsgrad (vgl. z.B. Schweigert 1986, 1991, Schweigert und Moates 1988, vgl. auch 7.1.3.4). Das Problem bei dem Versuch, integrierende Aussagen über die Vielzahl der Einzelbefiinde zu verschiedenen Faktoren zu treffen, besteht darin, dass häufig die Begriffe nicht einheitlich definiert und teilweise bei der empirischen Überprüfung konfundiert werden. 4 So ist es äußerst schwer, die Relevanz der einzelnen Faktoren zu bestimmen. Die oben genannten gehören jedoch zu den einflussreichsten und sind vor allem im Hinblick auf Nichtmuttersprachler und deren Verarbeitung von Idiomen (vgl. dazu Kapitel 5, 6, 7) von Bedeutung. Es ist dabei zu beachten, dass in den im Folgenden vorgestellten Untersuchungen konzeptuelle Faktoren nicht berücksichtigt werden (vgl. dazu 7.2). Die dadurch vorgenommene Beschränkung auf die linguistische Ebene kann das komplexe Phänomen der Verarbeitung von Idiomen jedoch nicht umfassend genug beschreiben bzw. erklären (vgl. dazu Kapitel 7). Das vorliegende Kapitel soll einen Überblick über die psycholinguistischen Forschungsaktivitäten geben, die zur Verarbeitung und Repräsentation englischer Idiome durchgeführt wurden. Die hier diskutierten theoretischen Annahmen und empirischen Erkenntnisse sind in die in den Kapiteln 5 und 6 dargestellten eigenen Untersuchungen eingeflossen und werden darin überprüft bzw. modifiziert.

3.1

Hypothesen zur Verarbeitung von Idiomen

Frühe experimentelle Studien zum Verarbeitungsprozess von Idiomen gingen - konform mit den zu dieser Zeit vorherrschenden Annahmen der generativen Grammatik (vgl. 2.2) davon aus, dass Idiome nicht zerlegbare Einheiten sind und dass ihre Bedeutungen in einer separaten Idiomliste - unabhängig von der wörtlichen Bedeutung der Konstituenten - gespeichert sind (Weinreich 1969). Unter psycholinguistischer Perspektive stellte sich demzufolge die Frage, wie beim Verarbeitungsprozess auf die idiomatische Bedeutung zugegriffen wird. Von besonderem Interesse ist dabei, ob die wörtliche Bedeutung des idiomatischen Ausdrucks zuerst, parallel oder gar nicht erfasst und verarbeitet werden muss, um zu einer idiomatischen Interpretation zu gelangen. Im Hinblick auf diese Fragestellung

4

Unter Stichwörtern wie beispielsweise „Lexikalisierung" (vgl. z.B. Schraw et al. 1988) oder „Transparenz" (Keysar und Bly 1995, vgl. dazu auch 7.1.3.3) werden noch zahlreiche andere Faktoren bezüglich ihres Einflusses auf die Verarbeitung oder Repräsentation von Idiomen untersucht. Bei genauerer Betrachtung lassen sich diese Faktoren meistens entweder dem Konstrukt der Dekomponierbarkeit oder des Bekanntheitsgrades unterordnen. Sie werden deshalb an dieser Stelle nicht ausführlich vorgestellt.

52 wurden drei der empirischen Überprüfung zugängliche Hypothesen formuliert und in drei dafür bekannt gewordenen Studien untersucht: erstens die Idiom List Hypothesis (Bobrow und Bell 1973, vgl. 3.1.1), zweitens die Lexical Representation Hypothesis (Swinney und Cutler 1979, vgl. 3.1.2) und drittens die Direct Access Hypothesis (Gibbs 1980, vgl. 3.1.3). Sie werden im Folgenden auf Deutsch als „Idiomlistenhypothese", „lexikalische Repräsentationshypothese" und „direkte ZugrifFshypothese" bezeichnet. Da nahezu alle folgenden psycholinguistischen Studien sich in der einen oder anderen Weise auf diese drei Hypothesen beziehen, werden sie und die zu ihnen durchgeführten Experimente in den nächsten Abschnitten ausführlicher vorgestellt und die relevanten empirischen Ergebnisse diskutiert. Eine andere Perspektive nimmt die abschließend dargestellte Configuration Hypothesis (Cacciari und Tabossi 1988, Tabossi und Cacciari 1988, vgl. 3.1.4) ein, die eher als die drei anderen Hypothesen geeignet ist, die Befunde der späten 80er und vor allem der 90er Jahre zu integrieren und deren Annahmen teilweise in Kapitel 7 aufgegriffen werden.

3.1.1

Die Idiomlistenhypothese

Bobrow und Bell (1973) beschäftigten sich als Erste mit den Prozessen, die bei der Verarbeitung5 englischer Idiome aktiviert werden. Das Ziel ihrer Untersuchung bestand darin, die Existenz zweier verschiedener Verarbeitungsmodi empirisch zu überprüfen, eines wörtlichen und eines idiomatischen. Dabei gehen die Autoren davon aus, dass die Bedeutung eines Idioms als ein Eintrag in einer separaten Idiomliste (vgl. Weinreich 1969, 2.2.2) gespeichert ist (Bobrow und Bell 1973: 343). Diese Annahme führt zu der Folgerung, dass sich die Verarbeitung von Idiomen - „komplexer Idiomwörter" in Bobrows und Beils Terminologie - von der von Ausdrücken, die Wort für Wort analysiert und verstanden werden, unterscheiden müsste. Die Autoren führten zwei Experimente durch, um ihre Hypothese zu testen. In der ersten Untersuchung wurden den Versuchspersonen jeweils fünf Sätze vorgelegt. Die ersten vier Sätze bestanden in Versuchsbedingung A aus wörtlich ambigen Sätzen: Mary fed her dog biscuits, John observed the wild lndian dance, John saw the children run in the house, John and Mary know how many people fail, in Versuchsbedingung B aus idiomatisch ambigen Sätzen: John and Mary buried the hatchet, John gave Mary the slip, John let the cat out of the bag, John was in hot water. In beiden Bedingungen gab es in der Mitte einen Füllsatz: John smelled a rat. Der fünfte Satz war in beiden Bedingungen ein Satz der Versuchsbedingung B, d.h. ein idiomatisch ambiger Satz mit einer wörtlichen und gleichzeitig einer idiomatischen Bedeutung.6 Die Aufgabe der Versuchspersonen bestand darin, für jeden Satz beide Bedeutungen, die wörtliche und die idiomatische, zu finden und anzugeben, welche der beiden möglichen Interpretationen sie zuerst wahrgenommen haben. Die Hypothese war, dass Bedingung A eher eine wörtliche Interpretation des fünften Satzes induzie5

6

Die Begriffe comprehension, understanding und processing werden im Englischen von den meisten Autoren synonym verwendet und in der vorliegenden Arbeit in der Regel mit „Verarbeitung" übersetzt. Dieses Vorgehen ist methodisch zu kritisieren: Die fünf idiomatisch ambigen Sätze aus Bedingung B werden gleichzeitg als Testsätze in A und als Kontrollsätze in B verwendet.

53 ren würde und Bedingung B eher eine idiomatische. Diese Annahme wurde durch die Ergebnisse nur teilweise bestätigt. Bedingung A hat dazu geführt, dass die Testpersonen nach vier wörtlich ambigen Sätzen einen idiomatisch ambigen fünften Satz eher wörtlich interpretieren. In Bedingung B konnte aber nicht gezeigt werden, dass vorangehende idiomatisch ambige Sätze auch die idiomatische Interpretation des fünften Satzes erhöhen. Das bestätigte die Befunde einer Voruntersuchung, in der sich gezeigt hatte, dass die Tendenz, idiomatisch ambige Sätze eher idiomatisch zu interpretieren, bereits von Anfang an so hoch ist, dass dies durch einen entsprechenden Kontext nicht mehr signifikant erhöht werden kann.7 Dieser Deckeneffekt8 sollte durch die Auswahl anderer Idiome in einem zweiten Experiment, das die Befunde des ersten replizieren und spezifizieren sollte, vermieden werden. Die verwendeten Idiome waren John stabbed Mary in the back, John had sticky fingers, John was climbing the walls, John made a big splash. Zusätzlich sollte die zweite Studie die Hypothese testen, dass die idiomatische Interpretation eher durch lexikalische Ambiguität, z.B. The fans were noisy, als durch strukturelle, z.B. John and Mary talked about the problem with the president, induziert werden würde (Bobrow und Bell 1973: 345). Jeweils fünf Sätze mit einer dieser Ambiguitäten wurden von einem idiomatisch ambigen Testsatz gefolgt. Die Probanden hatten wiederum die Aufgabe zu entscheiden, welche Bedeutung der Phrase sie zuerst verstehen, die wörtliche oder die idiomatische. Die Ergebnisse zeigten, dass sich weder vorangehende Sätze mit lexikalischer noch solche mit struktureller Ambiguität präferierend auf eine idiomatische Lesart auswirken. Die Versuchsbedingung, bei der idiomatisch ambige Sätze vorangingen, war die einzige, die die Wahrscheinlichkeit der idiomatischen Lesart des Testsatzes erhöhte. Aufgrund der diesmal gering gewählten Ausprägung des Idiomatizitätsgrades stellte sich dieser Effekt nur in dieser Bedingung ein. Obwohl die Autoren selbst die methodischen Schwächen ihres Testmaterials erkennen (Bobrow und Bell 1973: 346), interpretieren sie die wenn überhaupt nur als Tendenz erkennbaren statistischen Unterschiede zwischen der Verarbeitung von wörtlichen und idiomatisch ambigen Sätzen zugunsten ihrer Hypothese, d.h. als Evidenz für die Existenz zweier unterschiedlicher Verarbeitungsmodi. Bis heute wird die Untersuchung von Bobrow und Bell als eindrucksvoller Beleg für die Idiomlistenhypothese zitiert und vor allem dafür, dass immer zuerst die wörtliche Bedeutung von Idiomen aktiviert wird und erst bei Zurückweisung dieser Bedeutung die idiomatische Lesart abgerufen wird. Es wird in der Regel nicht beachtet, dass die Untersuchung erhebliche methodische Mängel aufweist, die gezogenen 7

8

Man beachte, dass dieser Befund - im Nachhinein - als Beleg für die von Gibbs (1980) formulierte direkte Zugriffshypothese (vgl. Abschnitt 3.1.3) geweitet werden kann, die besagt, dass ein direkter Zugriff auf idiomatische Bedeutungen möglich ist. Ein Deckeneffekt entsteht dann, wenn eine Aufgabe in einem psychologischen Test zu leicht konzipiert ist und alle Versuchspersonen bei dieser Aufgabe hohe Testwerte erreichen. Eventuell bestehende interindividuelle Unterschiede werden durch die geringe Schwierigkeit nivelliert. (Es gibt auch so genannte BodenefFekte, die dann entstehen, wenn Aufgaben zu schwer sind). Bei der hier vorliegenden Untersuchung wollten die Autoren durch die Bezeichnung „Deckeneffekt" ausdrücken, dass die untersuchten Idiome „zu eindeutig" die idiomatische Lesart induzierten. Sie verwendeten deshalb im nächsten Experiment andere Idiome, haben aber aus dieser Beobachtung keine weiteren Erkenntnisse gezogen, z.B. über die verschiedenen Ausprägungen an Idiomatizität - oder des Dekompositionsstatus durch die sich unterschiedliche Idiome auszeichnen.

54 Schlussfolgerungen aufgrund der geringen Datenbasis relativ spekulativ sind, die Operationalisierungen an einigen Stellen recht unmotiviert erscheinen und dass die Ergebnisse in dieser Form nie repliziert, sondern eher widerlegt werden konnten. Insofern sollten die Ergebnisse nur unter Vorbehalt interpretiert werden. Die im folgenden Abschnitt dargestellte Untersuchung von Swinney und Cutler (1979) steht den Befunden von Bobrow und Bell kritisch gegenüber.

3.1.2

Die lexikalische Repräsentationshypothese

Swinney and Cutlers (1979) Ziel besteht in der Entwicklung eines Verarbeitungsmodells, das sowohl wörtliche, d.h. kompositionelle, als auch idiomatische, d.h. nichtkompositionelle, sprachliche Einheiten abdecken kann. In der Tradition der Annahmen der generativen Grammatik nehmen die Autoren diese strikte Zweiteilung an, wobei Idiome dabei kategorisch als nichtkompositionelle Ausdrücke betrachtet werden (Swinney und Cutler 1979: 523). Die lexikalische Repräsentationshypothese geht davon aus, dass Idiome in der gleichen Weise wie andere lexikalische Ausdrücke im Lexikon gespeichert und abgerufen werden, d.h. sie wendet sich gegen die Annahme einer separaten Idiomliste. Vor allem kritisieren die Autoren die Annahme, dass zuerst eine Analyse der wörtlichen Bedeutungen der Konstituenten durchgeführt werden muss, bevor der idiomatische Verarbeitungsmodus einsetzt. Sie nehmen an, dass die wörtliche und idiomatische Bedeutung eines Idioms gleichzeitig aktiviert wird, ähnlich wie bei lexikalischen Ambiguitäten. Von der Gleichzeitigkeit der Aktivierung wird auch in der vorliegenden Arbeit ausgegangen (vgl. auch Caramazza et al. 1988 oder Frauenfelder und Schreuder 1992 sowie 7.1.3). Die Nachvollziehbarkeit der Argumentation von Swinney und Cutler und die Abgrenzung zur Idiomlistenhypothese wird allerdings dadurch erschwert, dass keine konkreten Aussagen zur Art der „lexikalischen Repräsentation" der idiomatischen Bedeutung gemacht werden. Swinney and Cutler kritisieren an den empirischen Überprüfungen der Idiomlistenhypothese (Bobrow und Bell 1973) hauptsächlich das methodische Vorgehen. Verfahren, bei denen die Versuchspersonen erst nach der Konfrontation mit dem Testmaterial befragt werden, können immer nur bedingt gültige Ergebnisse liefern. Deshalb wählen Swinney und Cutler zur Überprüfung ihrer Hypothese eine Reaktionszeitmessung, die die Zeit bis zum lexikalischen Zugriff bzw. die Verarbeitung der Konstituenten besser erfassen kann. 9 Die Probanden wurden instruiert, die ihnen auf dem Bildschirm dargebotenen Phrasen danach zu beurteilen, ob sie bedeutungsvolle Phrasen des Englischen darstellten. Wenn idiomatische Bedeutungen in einer gesonderten Idiomliste gespeichert wären, die erst nach einer - fehlgeschlagenen - wörtlichen Analyse aktiviert würden, müsste die Zeit, die die Versuchspersonen für ihre Entscheidung über die Sinnhaftigkeit der Phrase benötigen, für Idiome länger sein als für nichtidiomatische Phrasen. Die lexikalische Repräsentationshypothese hingegen sagt vorher, dass die Reaktionszeit für die idiomatische Lesart eines Idioms schneller ist als die für wörtliche Kontrollphrasen oder die für die wörtliche Bedeu9

Einen Überblick über den Einsatz der verschiedenen Messverfahren in der experimentellen Psycholinguistik gibt Katz (1996).

55 tung des Idioms und zwar deshalb, weil für die wörtliche Bedeutung des Idioms oder auch für wörtliche Kontrollphrasen noch die Beziehung der Lexeme untereinander berücksichtigt werden muss, was bei idiomatisch fixierten Phrasen entfällt. An dieser Stelle ist Folgendes kritisch anzumerken: Die vorgebrachte Argumentation besagt, dass gleichzeitig die wörtliche und die idiomatische Bedeutung eines Idioms aktiviert werden und dabei die idiomatische durch ihre Fixiertheit, d.h. Lexikalisierung in Swinney und Cutlers Terminologie, einen Verarbeitungsvorteil hat. Die Annahme der Lexikalisierung impliziert aber einen separaten Lexikoneintrag für die idiomatische Bedeutung, gegen dessen Existenz die Autoren vorher mit Bezug auf die Idiomlistenhypothese Einwände vorgebracht haben. Somit kann festgehalten werden, dass sowohl Bobrow und Bell als auch Swinney und Cutler von einem separaten Lexikoneintrag für die idiomatische Bedeutung ausgehen müssen. Um ihre Hypothesen zu überprüfen, führten Swinney und Cutler zwei Experimente durch. In Experiment 1 mussten die Versuchspersonen so schnell wie möglich entscheiden, ob die ihnen auf dem Bildschirm dargebotenen Phrasen bedeutungsvoll sind oder nicht. Die Ergebnisse zeigten, dass die Akzeptabilitätsurteile für die idiomatischen Phrasen schneller erfolgten als für die entsprechenden Kontrollphrasen. Die Autoren deuten dies als Evidenz für die lexikalische Repräsentationshypothese: Auf einen fixierten Ausdruck kann schneller zugegriffen werden als auf die Bedeutungen sowie die syntaktischen und semantischen Beziehungen mehrerer Wörter der Kontrollphrase. In einem zweiten Experiment wurde getestet, ob der Grad der von Fräser (1970, vgl. 2.2.3) beschriebenen syntaktischen Fixiertheit eines Idioms Einfluss auf seinen lexikalischen Status hat oder ob die oben beschriebenen Ergebnisse auf alle Idiome generalisiert werden können. Dazu wurden Idiome mit vier unterschiedlichen Graden an Fixiertheit ausgewählt, die den Versuchspersonen in gleicher Weise wie in Experiment 1 dargeboten wurden und die sie ebenfalls so schnell wie möglich auf ihre Sinnhaftigkeit überprüfen sollten. Die Ergebnisse zeigten - im Gegensatz zu späterer Forschung (vgl. z.B. Gibbs 1989a,b,c) - keine Unterschiede in der Abhängigkeit zum Grad der Fixiertheit: „[...] the results do suggest that idioms are to some extent unified with respect to access, retrieval, and representation in the lexicón." (Swinney und Cutler 1979: 532). Die wenig detaillierten und teilweise widersprüchlichen Aussagen der Autoren zum Status der Lexikalisierung der idiomatischen Bedeutung eines Idioms erschweren eine abschließende kritische Bewertung sowie eine eindeutige theoretische Einordnung der Untersuchung. Die lexikalische Repräsentationshypothese hat viele Folgestudien initiiert, die die Befunde von Swinney und Cutler (1979) und ihre zugrunde liegenden Annahmen einerseits stützen, andererseits aber auch nicht bestätigen konnten. Im Folgenden sollen die wichtigsten dieser Untersuchungen kurz dargestellt werden.

3.1.2.1

Empirische Überprüfungen der lexikalischen Repräsentationshypothese

Estiii und Kemper (1982) konnten die Annahmen von Swinney und Cutler (1979) empirisch stützen. Auch sie fanden Verarbeitungsunterschiede in Abhängigkeit zur wörtlichen bzw. figurativen Interpretation von Idiomen. 24 verschiedene Idiome wurden in Sätze eingebettet, die entweder die wörtliche Lesart oder die figurative Lesart eines Idioms indu-

56 zierten bzw. einen ambigen Kontext darstellten, der beide Lesarten zuließ. In der Kontrollbedingung wurde das Zielwort, d.h. das letzte Wort des Idioms, in einem nichtidiomatischen Kontext präsentiert. Durch eine Vorstudie wurde sichergestellt, dass die beabsichtigte Lesart auch tatsächlich induziert wurde. In der eigentlichen Versuchsbedingung hatten die Probanden drei verschiedene Aufgaben zu erfüllen: Bei der so genannten Identitätsaufgabe ging es um einen Worterkennungsprozess; die Probanden erhielten das Schlüsselwort - das letzte Wort des Idioms, z.B. hatchet - und mussten dann reagieren, wenn sie es in dem ihnen präsentierten Satz wiedererkannten. Bei der zweiten, einer Reimaufgabe, sollten die Probanden dann reagieren, wenn sie ein Wort hörten, z.B. ratchet, das sich auf ihr Schlüsselwort reimte. Diese Aufgabe erforderte zusätzlich zu der Worterkennung eine phonologische Analyse und einen phonologischen Vergleich.10 Bei der so genannten Kategorienaufgabe sollten die Probanden dann reagieren, wenn sie ein Mitglied einer bestimmten semantischen Kategorie hörten. Im Falle von bury the hatchet war ihr Schlüsselwort dann beispielsweise a tool. Die drei verschiedenen Bedingungen sollten es ermöglichen, die Einflüsse des Kontexts auf die Interpretation der Idiome systematisch zu variieren. Es wird davon ausgegangen, dass die Reaktionszeiten auf die einzelnen Bedingungen die Verfügbarkeit von Informationen über Wortidentität, phonologische Eigenschaften und semantischen Inhalt des Zielwortes widerspiegeln. Die Reaktionszeiten der Probanden konnten einerseits im Hinblick auf die drei verschiedenen Aufgabentypen (Worterkennung, Reim, Kategorie) analysiert werden sowie andererseits bezogen auf die vier verschiedenen Satzbedingungen (wörtliche, figurative, ambige bzw. nichtidiomatische Lesart). Es zeigte sich, dass erwartungsgemäß auf die Worterkennung am schnellsten reagiert wurde, gefolgt von der Reimaufgabe und der Kategorienaufgabe. Im Vergleich zu der nichtidiomatischen Satzkontrollbedingung waren die Reaktionszeiten in allen drei idiomatischen Satzbedingungen - also wörtliche, idiomatische, ambige Lesart - schneller. Zwischen der wörtlichen und der flgurativen Lesart zeigte sich kein signifikanter Unterschied. Estiii und Kemper (1982) interpretieren ihre Ergebnisse im Einklang mit Swinney und Cutler (1979) dahingehend, dass Idiome als diskrete lexikalische Einträge verarbeitet werden. Aus der Tatsache, dass Zielwörter in idiomatischen Kontexten schneller verarbeitet wurden als in nichtidiomatischen Kontrollsätzen, schließen die Autoren, dass die Probanden in der Lage waren, Wortidentität, phonologische Eigenschaften und semantischen Inhalt der jeweils letzten Wörter der Idiome zu antizipieren. Dabei ist wichtig zu beachten, dass in einer Kontrolluntersuchung gezeigt werden konnte, dass die Probanden nicht in der Lage waren, das genaue Wort zu antizipieren, was lediglich auf Frequenzeffekte verweisen würde, sondern „[...] cohorts of words defined by common syntactic and semantic properties" (Estiii und Kemper 1982: 566). Demzufolge scheinen die wörtliche und die figurative Lesart eines Idioms simultan verarbeitet zu werden. Estiii und Kemper (1982) postulieren zwei Schritte im Verarbeitungsprozess. Sie gehen erstens davon aus, dass bei der Verarbeitung eines Idioms immer dessen figurative Bedeu10

Aktuelle Untersuchungen zum lexikalischen Zugriff gehen von einer modalitätenspezifischen Zugriffsweise aus (vgl. 7.1.1). Es ist demnach fraglich, ob es sinnvoll bzw. zulässig ist, in verschiedenen Versuchsbedingungen eines Experimentes die Modalitäten zu variieren und anschließend die Befunde zu verallgemeinern.

57 tung abgerufen wird. Diese figurative Bedeutung wird dann in die Informationen aus dem Satzkontext integriert. Je nach Beschaffenheit und Länge des Kontextes kann dieser Prozess für die idiomatische Lesart eines Idioms schneller vollzogen werden als z.B. für die wörtliche. Vier weitere Experimente zur Bestätigung der Befunde von Swinney und Cutler (1979) werden von Glass (1983) berichtet und häufig als eindrucksvolle Belege der lexikalischen Repräsentationshypothese zitiert. Eine genauere Betrachtung der Untersuchung macht jedoch deutlich, dass mit den Befunden kritisch umgegangen werden sollte. Im ersten Experiment wurden den Probanden nacheinander zwei Phrasen präsentiert. Zuerst sahen sie eine Paraphrase der wörtlichen oder figurativen Bedeutung eines Idioms, auf die sie per Knopfdruck reagieren sollten, sobald sie die Paraphrase gelesen und verstanden hatten. Die Paraphrase wurde gefolgt von einem Idiom, das entweder die gleiche wörtliche oder figurative Bedeutung wie die vorher gezeigte Paraphrase oder eine andere wörtliche oder figurative Bedeutung hatte. Im ersten Fall mussten die Probanden einen Knopf für „gleich" drücken, im zweiten einen für „verschieden". Die Hypothese dabei war, dass gemäß der Idiomlistenhypothese „gleich"-Urteile dann schneller gemacht werden müssten, wenn das Idiom auf eine wörtliche Paraphrase folgt, weil davon ausgegangen wird, dass immer zuerst die wörtliche Bedeutung einer Phrase verarbeitet und erst bei Zurückweisung dieser Bedeutung aus einer Idiomliste im mentalen Lexikon die figurative Bedeutung der Phrase abgerufen wird. Gemäß der lexikalischen Repräsentationshypothese wird davon ausgegangen, dass es für die „gleich"-Urteile keinen Reaktionszeitunterschied zwischen wörtlichen und figurativen Paraphrasen geben darf, da beide Bedeutungen gleichzeitig abgerufen werden.11 Die Ergebnisse bestätigten die Vorhersagen der lexikalischen Repräsentationshypothese, die hier die Nullhypothese darstellte, d.h. es wurde kein Unterschied vorhergesagt und auch keiner gefunden. In den folgenden drei Experimenten wandelte Glass (1983) sein Vorgehen jeweils leicht ab, um die Reliabilität seines ersten Ergebnisses zu testen. Es konnte in allen folgenden Untersuchungen bestätigt werden. Aus den Befunden seines vierten Experimentes, bei dem die Probanden instruiert wurden, nur dann mit „gleich" zu antworten, wenn Paraphrase und Idiom die gleiche wörtliche Bedeutung haben, schlussfolgerte Glass, dass die figurative Interpretation eines Idioms immer abgerufen wird, auch wenn die Probanden sich eigentlich auf die wörtliche Interpretation konzentrieren sollen. Damit sind Glass' Untersuchungen durchgängig konsistent mit den Annahmen der lexikalischen Repräsentationshypothese, die vorhersagt, dass bei der Interpretation von Idiomen sowohl deren wörtliche als auch deren figurative Bedeutung abgerufen wird. Eine Bewertung der von Glass vorgelegten Studien fällt schwer, da sowohl die Durchführung als auch die Darstellung erhebliche Mängel aufweisen. So schafft er es nicht, die Aspekte, die er an der Arbeit von Swinney und Cutler als vernachlässigt kritisiert, selbst zu berücksichtigen. Glass löst beispielsweise seine eigene Forderung, den Faktor „Bekanntheitsgrad der Idiome" zu untersuchen, nicht ein. Er führt diesbezüglich keinerlei Erhebung 11

Glass (1983: 431) drückt sich an dieser Stelle entweder sehr unklar aus, oder es liegt ein Druckfehler in der Publikation vor; auf alle Fälle sagt die lexikalische Repräsentationshypothese keine Unterschiede voraus.

58 oder Messung durch, sondern teilt zur Auswahl seiner Daten lediglich mit: „A set of 30 common idioms was obtained through library research" (Glass 1983: 431). Darüber hinaus ist die Gesamtzahl der verwendeten Idiome mit 30 relativ gering. Hinzu kommt, dass die Idiome sehr willkürlich ausgewählt zu sein scheinen, es finden sich so heterogene wie a bull in a china shop, hard to swallow, hard and fast, lose face, chew the fat, have a finger in the pie usw. Zu gering ist auch die Stichprobengröße, die zwischen 14 und 18 Probanden pro Experiment liegt. Ein weiteres Problem sind die Widersprüche, die sich beim Lesen des Aufsatzes ergeben.12 Die getroffenen Aussagen sollten demnach mit Vorsicht behandelt werden. Botelho da Silva und Cutler (1993) liefern mit einer Untersuchung des syntaktischen Verhaltens von Idiomen einen Beleg für die von Swinney und Cutler (1979) indirekt ausgedrückte Annahme, dass Idiome als „unitary lexical items" (Botelho da Silva und Cutler 1993: 140) gespeichert sind. Sie untersuchten Idiome ohne sinnvolle wörtliche Interpretation. Diese sind im Englischen - im Gegensatz zum Französischen, Deutschen oder Portugiesischen - relativ selten, weshalb ihnen in der anglo-amerikanischen Forschung wenig Interesse entgegengebracht wurde. In einem Wiedergabeexperiment fanden die Autoren keinen Unterschied zwischen wohlgeformten und nichtwohlgeformten Idiomen. Allerdings tendierten die Probanden dazu, Idiome, die semantisch oder syntaktisch transformiert dargeboten worden waren, in ihrer ursprünglichen — wenn auch nichtwohlgeformten - Form wiederzugeben. Diesen Befund interpretieren Botelho da Silva und Cutler (1993) als Hinweis auf die Lexikalisierung der Idiome. Einschränkend verweisen die Autoren auf den Pilotcharakter ihrer Studie, was angesichts der geringen Stichprobengröße gerechtfertigt ist. Empirische Evidenz gegen die lexikalische Repräsentationshypothese bzw. gegen einige ihrer Annahmen wurde von Burt (1992) vorgelegt. Sie wendet sich vor allem gegen die Annahme der Lexikalisierung von Idiomen als Erklärung für deren Verarbeitung. Burt (1992: 584) argumentiert, dass der Zugriff auf die Bedeutung eines Idioms in einem gesonderten Lexikoneintrag keinen ökonomischen Prozess darstellt, denn der Leser oder Hörer einer Wortsequenz kann zu Beginn der Analyse nicht erkennen, ob ein bestimmtes Lexem den Anfang eines idiomatischen Ausdrucks darstellt oder nicht. Er wäre theoretisch gezwungen, bei jedem Wort nach einem eventuell vorhandenen idiomatischen Lexikoneintrag zu suchen - der, wie vielfach angenommen wurde, unter dem ersten Wort gespeichert sein müsste - und, wenn der Zugriff darauf erfolgt ist, diesen dann mit der tatsächlichen Abfolge der Wortsequenz zu vergleichen. Burt (1992: 585) plädiert im Gegensatz dazu dafür, dass es keine wesentlichen Unterschiede beim Verstehen von idiomatischen und wörtlichen Ausdrücken gibt und dass erst nach dem lexikalischen Zugriff auf die Bedeutung der Konstituenten zusätzliches Wissen über die idiomatische Interpretation notwendig wird. Diese Annahme wird auch in der vorliegenden Arbeit gemacht und in Kapitel 7 näher ausgeführt.

12

So erfahrt der Leser z.B. zunächst: „Subjects were instructed to respond 'same' if the idiom had the same literal or figurative meaning as the preceding paraphrase and 'different' if it did not" (Glass 1983: 431), und später (433): „If the idiom had the same literal orfigurativemeaning as the preceding paraphrase, the subjects would press the left-hand button which was labeled 'different'." (kursive Hervorhebungen durch die Verfasserin).

59 Drei Experimente, in denen Burt Faktoren wie Bekanntheitsgrad, Auftretenshäufigkeit, Transparenz und Länge der Idiome systematisch variierte, lieferten keine Evidenz für die Lexikalisierung von Idiomen. Daraus wird geschlussfolgert: „Lexicalisation is an unprofitable construct in that it treats idioms as unanalyzable units [...]." (Burt 1992: 601). In Übereinstimmung mit Forschungen von Gibbs und seinen Kollegen (vgl. dazu 3.2.1) hält sie das Konzept der Dekomponierbarkeit von Idiomen für relevanter und erfolgversprechender, um die den Idiomen zugrunde liegenden Verarbeitungsmechanismen zu untersuchen und erklären zu können. Die obige Darstellung der Forschungsaktivitäten zur lexikalischen Repräsentationshypothese hat verdeutlicht, dass es sowohl positive als auch negative Evidenz für deren zugrunde liegende Annahmen gibt. Vor einer abschließenden Stellungnahme wird nun zunächst eine weitere Hypothese vorgestellt, die der Frage nachgeht, ob wörtliche und idiomatische Bedeutungen in Abhängigkeit voneinander - gleichzeitig oder nacheinander - oder unabhängig voneinander abgerufen werden.

3.1.3

Die direkte Zugriffshypothese

Als dritte Verarbeitungshypothese ist die direkte Zugriffshypothese von Gibbs (1980) zu nennen, wobei seine Untersuchung außer Verarbeitungs- vor allem Gedächtnisprozesse für Idiome in Abhängigkeit zum Kontext fokussiert. In dem hier relevanten Experiment lasen die Versuchspersonen kurze Geschichten, die in einem idiomatischen Ausdruck endeten. Darauf folgte eine Paraphrase des Idioms, die je nach Versuchsbedingung variiert wurde: Die Paraphrase drückte entweder die wörtliche oder die idiomatische Bedeutung des Idioms aus. Die Probanden hatten die Aufgabe zu beurteilen, ob die Bedeutung der Paraphrase mit dem Inhalt der Geschichte bzw. der Bedeutung des Idioms übereinstimmte oder nicht. Gemessen wurde die Zeit, die die Testpersonen für das Lesen der Geschichte und des Idioms sowie für die Beurteilung der Paraphrase benötigten. Die Reaktionszeiten der Versuchspersonen verweisen darauf, dass bei entsprechendem Kontext die idiomatische Bedeutung von Idiomen in kürzerer Zeit verarbeitet wird als die wörtliche Interpretation. Daraus folgert Gibbs (1980), dass es einen direkten Zugriff auf die idiomatische Bedeutung im Lexikon gibt und dass die Verarbeitung der wörtlichen Bedeutung eines Idioms keine notwendige Voraussetzung für das Verstehen des idiomatischen Ausdrucks ist, wie z.B. von Bobrow und Bell (1979) angenommen wird. Über die Art der Speicherung im Lexikon und die genauen Verarbeitungsprozesse trifft Gibbs keine weiteren Aussagen (vgl. dazu aber Kapitel 7), da für ihn eher Gedächtnisprozesse für wörtliche oder idiomatische Ausdrücke im Mittelpunkt stehen.

3.1.3.1

Empirische Überprüfungen der direkten Zugriffshypothese

Gibbs hat in späteren Arbeiten (z.B. Gibbs 1985, 1986) Belege für die von ihm vertretene direkte Zugriffshypothese vorgelegt. Darin liefert er Argumente dafür, dass vor allem frequente Idiome ohne eine Analyse der wörtlichen Bedeutung verstanden werden können (zur Rolle der Frequenz beim lexikalischen Zugriff vgl. 7.1.2 und 7.1.3 sowie 7.1.3.4). Dies ist

60 besonders relevant für Idiome, die gar keine wohlgeformte wörtliche Bedeutung haben, z.B. kingdom come, trip the light fantastic, take a leak, by and large (Gibbs 1985). Diese Befunde können jedoch nicht auf wenig frequente Idiome generalisiert werden. Gibbs (1986) bestätigt, dass eine wörtliche Interpretation nicht unbedingt der figurativen vorangehen muss, sondern dass das Idiom direkt mit seiner übertragenen Bedeutung verstanden werden kann. Needham (1992), der wie Gibbs (1980, 1985, 1986) das Ausmaß untersucht, in dem während -der Verarbeitung von Idiomen eine wörtliche Verarbeitung stattfindet, kritisiert an den Untersuchungen von Gibbs, dass dieser keine Onlineverfahren zur Messung der Verarbeitung eingesetzt, sondern in der Regel mit gedächtnisbasierten Methoden gearbeitet hat. Deshalb könne aus Gibbs Untersuchungen methodologisch betrachtet nur geschlossen werden, dass die wörtliche Bedeutung nicht notwendigerweise aktiviert werden muss, um zu einer figurativen Interpretation eines Idioms zu gelangen. Es können jedoch keine Aussagen über das eventuelle Ausmaß getroffen werden, in dem vielleicht doch begonnen wird, die Phrasen auch wörtlich zu verarbeiten. Dabei beruft Needham (1992) sich auf Studien von Seidenberg, Tanenhaus, Leiman und Bienkowski (1982) sowie Swinney (1979), die für ambige Wörter gefunden haben, dass zumindest am Anfang des Verarbeitungsprozesses auf alle verfügbaren Bedeutungen zugegriffen wird (vgl. dazu auch 7.1). Übertragen auf Idiome würde das bedeuten, dass zumindest begonnen wird, diese auch wörtlich zu verarbeiten (vgl. dazu vor allem Cacciari und Tabossi 1988 sowie 3.1.4). Wenn tatsächlich begonnen wird, Idiome auch wörtlich zu verarbeiten, stellt sich als Nächstes die Frage, welche weiteren Stufen der wörtlichen Verarbeitung ausgeführt werden und wann der Prozess der wörtlichen Verarbeitung beendet wird.13 Als Testmaterial verwendete Needham verbale Idiome, die im Hinblick auf ihren Bekanntheitsgrad und die Verfügbarkeit ihrer wörtlichen Interpretation ausgewählt wurden. Die muttersprachlichen Probanden lasen kurze Geschichten, wobei im letzten Satz je nach Versuchsbedingung das Nomen verändert wurde. In der Idiombedingung stellte das Nomen des Idioms die Anapher für den in der Geschichte vorher genannten Referenten dar und war ein Mitglied der gleichen semantischen Kategorie, z.B. She spilled the beans und She was putting some vegetables in a pan. In der Anapherbedingung war das Nomen auch ein Mitglied der gleichen semantischen Kategorie, aber kein Idiom: She spilled the carrots. In der Kontrollbedingung gehörte das Nomen in die Kategorie des Kontrollreferenten und war kein Idiom, z.B. She spilled the beer. Das eigentliche Testwort, auf das die Probanden per Knopfdruck so schnell wie möglich reagieren mussten, war für alle Experimentalbedingungen identisch und stammte jeweils aus dem gleichen Satz wie der Referent. Aufgabe der Probanden war es zu entscheiden, ob das Testwort in der vorangegangenen Geschichte aufgetaucht war oder nicht.

13

Nach van Dijk und Kintsch (1983) sind die Stufen, die auf den lexikalischen Zugriff folgen, die Konstruktion von Propositionen und die Spezifikation von Referenten von Pronomen oder Anaphern. Dieser Annahme will Needham nachgehen: „The question addressed in the current experiments is whether this stage of literal processing, the search for and identification of the referent of an anaphor, will take place when the anaphor in question is part of an idiomatic phrase whose figurative interpretation is induced by context." (Needham 1992: 4).

61 Als abhängige Messungen dienten einerseits die Reaktionszeit, andererseits die Fehlerrate bei der Entscheidung, ob das Testwort vorher aufgetaucht war oder nicht. Für die Reaktionszeit ergaben sich keine signifikanten Unterschiede in den drei verschiedenen Versuchsbedingungen. Eine Analyse der Fehlerrate zeigte, dass in der Anapherbedingung signifikant weniger Fehler gemacht wurden als in den beiden anderen Bedingungen; zwischen Idiom- und Kontrollbedingung war der Unterschied nicht bedeutsam. Daraus schließt Needham, dass im Fall der Idiome die Referenten nicht aktiviert werden. Um die Reliabilität der Ergebnisse zu überprüfen, führte Needham ein zweites Experiment durch. Getestet wurde, ob die Ergebnisse eventuell darauf zurückgeführt werden könnten, dass die Kategorienmitglieder der Idiombedingung (beans) weniger eng mit dem Referenten (vegetables) assoziiert waren als die Kategorienmitglieder der Anapherbedingung (carrots). Die Befunde des zweiten Experiments konnten zeigen, dass die Ergebnisse des ersten Experiments reliabel sind, d.h. sie wurden nicht durch eine fehlerhafte Auswahl des Testmaterials hervorgerufen. Needham sieht durch seine Untersuchungen die Befunde von Gibbs bestätigt, dass keine komplette wörtliche Verarbeitung stattfinden muss, wenn idiomatische Ausdrücke verarbeitet werden. Gleichzeitig führen Needhams Befunde Gibbs Ergebnisse weiter, da Needham eine direkte Messung, eine Onlinemessung vornahm, und so erstens die durch gedächtnisbasierte Messungen hervorgerufenen „Verfälschungen" der Ergebnisse verhindern konnte und zweitens eine spezifische Stufe des Verarbeitungsprozesses untersuchte und darüber detailliertere Aussagen machen kann als Gibbs, der aufgrund seines Vorgehens die Ergebnisse auf den gesamten Verarbeitungsprozess verallgemeinern muss. Definitive Aussagen darüber, ob eine wörtliche Verarbeitung immer stattfindet, bzw. eine genaue Bestimmung des Zeitpunktes, zu dem diese eingestellt wird, können auch Needhams Studien nicht liefern. Weitere Forschung muss hier Aufschluss liefern. Zusätzliche Belege für die direkte Zugriffshypothese berichten Schweigert (1986) sowie Schweigert und Moates (1988), während Schweigert (1991) eher Evidenz gegen sie anbringt. Diese Arbeiten werden - allerdings unter anderem Gesichtspunkt - in 3.2.2 diskutiert. Als vierte Hypothese über die Verarbeitung von Idiomen wird nun die Konfigurationshypothese (Cacciari und Tabossi 1988, Tabossi und Cacciari 1988) diskutiert. Die Motivation für die Entwicklung dieses Ansatzes ist als Reaktion auf die ambige Forschungslage zu verstehen, die vor allem im Zusammenhang mit der lexikalischen Repräsentationshypothese (Swinney und Cutler 1979) und der direkten Zugriffshypothese (Gibbs 1980, 1986) Ende der 80er Jahre nach wie vor bestand.

3.1.4

Die Konfigurationshypothese

Wie oben bereits erwähnt, stellt die Konfigurationshypothese den Übergang zu den Studien dar, die in den späten 80er und 90er Jahren einzelne, vor allem semantische Merkmale verschiedener Idiome untersucht haben und die die bisher festgestellten Verarbeitungsunterschiede systematisch darauf zurückführen. Der Vorteil der Konfigurationshypothese besteht hauptsächlich darin, dass die polarisierende Trennung von wörtlicher und idiomatischer Verarbeitung und die damit einhergehende Separierung der lexikalischen Einträge für Idiome aufgehoben wird. Dadurch ist die Konfigurationshypothese besser geeignet, die

62 Annahme von kontinuierlichen Dimensionen, auf denen sich Idiome verteilen lassen und die in den nächsten Abschnitten (vgl. 3.2) besprochen werden, abzubilden. Die Annahmen der Konfigurationshypothese wurden erstmals in Cacciari und Tabossi (1988) sowie Tabossi und Cacciari (1988) formuliert und in der Folgezeit in mehreren empirischen Untersuchungen überprüft (vgl. z.B. Stock 1989, Cacciari und Glucksberg 1991, Stock, Slack und Ortony 1993, McGlone, Glucksberg und Cacciari 1994, Tabossi und Zardon 1995, van de Voort und Vonk 1995). Cacciari und Tabossi (1988) untersuchten zunächst die Verarbeitung italienischer verbaler- Idiome, die opak und nichtkompositionell waren und denen durch das Ersetzen des letzten Wortes des Idioms eine sinnvolle wörtliche Bedeutung gegeben werden konnte, z.B. The tennis player was in seventh heaven —> The tennis player was in seventh position (Cacciari und Tabossi 1988: 670). Die Autorinnen führten drei lexikalische Entscheidungsaufgaben mit Reaktionszeitmessung durch. Das Ergebnis des ersten Experimentes bestätigte die Ergebnisse von Estiii und Kemper (1982) sowie Gibbs (1980), also der direkten Zugriffshypothese. Die Interpretation eines idiomatischen Ausdrucks ist sofort verfügbar, ohne dass notwendigerweise das letzte, idiomatisch entscheidende Wort visuell präsentiert werden muss. Dies deutet darauf hin, dass für bestimmte Wortfolgen die idiomatische Interpretation gegenüber der wörtlichen dominant ist und dass nicht zwangsläufig zuerst eine wörtliche Interpretation der Konstituenten erfolgen muss. In einem zweiten Experiment wurde die Datenauswahl dahingehend verändert, dass Idiome verwendet wurden, deren Bedeutung bei unvollständiger Präsentation nicht vorhersehbar ist, d.h. das letzte Wort musste verfügbar sein, um das Idiom als solches zu erkennen, z.B. The girl decided to teil her boyfriend to go to the devil (Cacciari und Tabossi 1988: 675). Das veränderte Datenmaterial führte dazu, dass die Ergebnisse sich wesentlich von denen des ersten Experiments unterschieden. Wenn weder der Satz, in den das Idiom eingebettet ist, noch der idiomatische Ausdruck selbst eine idiomatische Lesart forcieren, wird die figurative Interpretation nicht automatisch aktiviert, auch nicht am Ende des idiomatischen Ausdrucks. Dieses Ergebnis steht sowohl der lexikalischen Repräsentationshypothese als auch der direkten Zugriffshypothese entgegen. Vielmehr verweisen die Ergebnisse darauf, dass bei diesem Typ von Idiomen und ohne kontextuelle Hinweisreize idiomatische Ausdrücke zunächst ausschließlich wörtlich verarbeitet werden. Unter der Voraussetzung, dass der Leser durch Kontextvergleich erkannt hat, dass die wörtliche Lesart wenig sinnvoll ist, sollte das dritte Experiment überprüfen, nach welcher Zeit die idiomatische Interpretation einsetzt. Entgegen der Annahme von Gibbs (1980) zeigte sich, dass die idiomatische Interpretation ein relativ langsamer Prozess ist, der erst ca. 300 Millisekunden (ms) nach Präsentation des letzten Wortes des Idioms einsetzt. Die wörtliche Bedeutung des letzten Wortes des Idioms wird und bleibt dabei aktiviert. Die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen stehen sowohl der direkten Zugriffshypothese, die besagt, dass die idiomatische Interpretation schneller ist als die wörtliche, als auch der lexikalischen Repräsentationshypothese entgegen, die die Verfügbarkeit beider Interpretationen am Ende eines idiomatischen Ausdrucks vorhersagt. Keine der beiden Hypothesen kann erklären, warum die wörtliche Interpretation des letzten Wortes auch nach 300 ms noch präsent ist. Als Erklärung ihrer Befunde und als Alternative zu den genannten anderen Hypothesen formulieren Cacciari und Tabossi (1988: 678) die Konfigurationshypothese:

63 [...] idioms are not encoded as separate entries in the mental lexicon. Rather, their meaning is associated with particular configurations of words and become available [...] whenever sufficient input has rendered the configuration recognizable. The individual words that participate in the configuration are the same texical items that are accessed ordinarily during comprehension. (Cacciari und Tabossi 1988: 678) Dabei stellt sich vordringlich die Frage, ab wann eine Konfiguration, also ein Idiom, als solches erkannt wird. Die Autorinnen gehen davon aus, dass es vor allem in verbalen Idiomen „SchliisseF'-Konstituenten gibt, die für die Bedeutung des gesamten Ausdrucks relevanter sind als andere. Die Konfiguration kann erst dann als Idiom erkannt werden, wenn auf das Schlüsselwort zugegriffen wurde. Aus dieser Annahme folgt, dass es nur eine Art der Verarbeitung eines idiomatischen Ausdrucks gibt, die so lange wörtlich ist, bis durch die Aktivation des Schlüsselwortes die gesamte Konfiguration als Idiom erkannt wird. Von diesem Punkt an können die verbleibenden Konstituenten direkt figurativ verarbeitet werden. 1 4 Ein Vorteil der Konfigurationshypothese liegt darin, dass sie unterschiedliche Verarbeitungszeiten für verschiedene Idiome erklären kann. J e nachdem, an welcher Stelle das Schlüsselwort in der Phrase auftaucht, wird eine figurative Interpretation zeitlich gesehen früher oder später initiiert. Ein weiteres wichtiges Merkmal der Hypothese ist die Implikation, dass jedes Wort nur einmal im Lexikon repräsentiert ist und nicht als wörtlich oder figurativ markiert sein muss (vgl. dazu aber Kapitel 7). Darüber hinaus ermöglicht die Konfigurationshypothese die Behandlung von Idiomen mit einer sinnvollen wörtlichen Bedeutung und ohne eine solche. Beide Arten von Idiomen sind auf die gleiche Weise repräsentiert und werden auf die gleiche Weise verarbeitet. Ein dritter Vorteil besteht darin, dass die Konfigurationshypothese die syntaktische Zerlegung und Veränderbarkeit von Idiomen zulässt, die wie alle anderen Phrasen verarbeitet werden können, bei denen diese syntaktischen Veränderungen auch zulässig sind. Die Autorinnen verweisen darauf, dass ein Problem ihres Modells in der exakten B e stimmung des Schlüsselwortes liegt. Obwohl der Einfachheit halber zunächst angenommen, muss diese Schlüsselkonstituente weder ein einzelnes Inhaltswort sein noch muss es zwangsläufig nur eine Schlüsselkonstituente pro Idiom geben. Ein weiteres Problem stellt die Bezeichnung „Konfiguration" dar. Sie ist nicht spezifisch genug, um beispielsweise diejenigen Transformationen festzulegen, die an bestimmten Idiomen zulässig sind. Trotz dieser Schwächen hat die Konfigurationshypothese entscheidende Vorteile gegenüber früheren Annahmen und scheint geeigneter zu sein, eine Vielzahl verschiedener empirischer Befunde innerhalb eines theoretischen Rahmens zu erklären bzw. vorhersagen zu können.

14

Damit schränken die Autorinnen die oben getroffene Aussage ein, dass die wörtliche Bedeutung der letzten Konstituente eines Idioms aktiviert wird und aktiviert bleibt, wenn die figurative Interpretation einsetzt. Der Widerspruch ergibt sich wahrscheinlich aus einer Vermischung von Zugriffs- und Inhaltsebene des mentalen Lexikons.

64 3.1.4.1

Empirische Überprüfungen der Konfigurationshypothese

Die Konfigurationshypothese hat in verschiedenen empirischen Untersuchungen Bestätigung erfahren. McGlone, Glucksberg und Cacciari (1994) beschäftigten sich mit lexikalisch flexiblen oder semantisch produktiven Idiomen und untersuchten die Reaktionszeiten auf lexikalische Varianten von Idiomen, z.B. miss the whole fleet statt miss the boat oder white sheep of the family statt black sheep of the family im Vergleich zu ihren wörtlichen Paraphrasen. Die Konfigurationshypothese ist das einzige der bisher diskutierten Verarbeitungsmodelle, das die Abstufungen zwischen Idiomen, veränderten Idiomen und wörtlicher Sprache abdecken kann, die drei anderen Verarbeitungshypothesen basieren auf der Annahme einer einzigen, fixierten Idiomform, die keine Varianten zulässt und deren Bedeutung deshalb in Listen oder anderen separaten Lexikoneinträgen gespeichert sein muss. Die von McGlone, Glucksberg und Cacciari (1994) durchgeführten Untersuchungen konnten zeigen, dass Varianten von Idiomen mit einem hohen Bekanntheitsgrad zwar nicht ganz so schnell verarbeitet werden wie die Originalidiome - diesen Verarbeitungsvorteil für Idiome bestätigt die direkte Zugriffshypothese von Gibbs (1980) - , aber genauso schnell wie ihre wörtlichen Paraphrasen. Die Verarbeitungsstrategien scheinen dabei vom Ausmaß der Variation abzuhängen. Wird nur wenig verändert, wie z.B. in spill a single bean statt spill the beans, scheint nach wie vor direkt auf die idiomatische Bedeutung zugegriffen werden zu können. Bei umfassenderen Variationen, wie z.B. bei It's raining the whole kennel statt It's raining cats and dogs, werden vermutlich die Bedeutungen der einzelnen Konstituenten sowie die strukturellen Beziehungen zur Bedeutungsgenerierung verwendet, d.h. die Verarbeitung entspricht den Prozessen, die auch bei der Verarbeitung von wörtlicher Sprache ablaufen. Auf der Grundlage ihrer experimentellen Studien schlussfolgern die Autoren, dass eine Kombination der verschiedenen Strategien am wahrscheinlichsten ist bzw. dass die wörtlichen Bedeutungen der Konstituenten eines Idioms bei der Interpretation zur Verfugung stehen, auch wenn auf die idiomatische, phrasale Bedeutung direkt zugegriffen werden kann: Word meanings, then, seem to be routinely activated, even when we use opaque idioms such as kick the bucket. People cannot isolate or ignore the meanings of words or the meanings of phrases when engaging in discourse. At the same time, people rely on familiar, memorized phrases and expressions [...]. Like such memorized word strings as songs and poems, idioms are recognized as having their own meanings, but they are simultaneously treated as linguistic entities and analyzed as such. (McGlone, Glucksberg und Cacciari 1994: 185) Ähnliche Befunde, die die Annahmen der Konfigurationshypothese unterstützen, werden von Tabossi und Zardon (1993, 1995) berichtet. Sie untersuchten die Reaktionszeiten bei der Verarbeitung von auditiv präsentierten Idiomen und konnten zeigen, dass - entgegen den Vorhersagen der lexikalischen Repräsentationshypothese (Swinney und Cutler 1979) die wörtliche und idiomatische Bedeutung nicht gleichzeitig zu Beginn der Phrase aktiviert werden, sondern dass die idiomatische Bedeutung erst dann aktiviert wird, wenn die jeweilige Schlüsselkonstituente des Idioms erkannt wurde. In zwei lexikalischen Entscheidungsexperimenten untersuchten die Autoren insgesamt 24 italienische verbale Idiome, die von zwei Inhaltswörtern gefolgt werden - V (NP) (PP) z.B. lavare un'offesa colsangue oder tirare acqua al suo mulino (Experiment 1) bzw. fare l'awocato del diavolo oder avere il

65 cuore in gola (Experiment 2, vgl. Tabossi und Zardon 1993: 160f.). Dabei variierten sie systematisch die Stelle der Schlüsselkonstituente - hier als idiom key bezeichnet - , an der das Idiom als solches erkennbar und die figurative Bedeutung aktiviert wird. Im ersten Experiment war das Schlüsselwort des Idioms das erste Inhaltswort, im zweiten Experiment das zweite. Die Idiome wurden im Satzkontext auditorisch dargeboten, gleichzeitig erschien auf einem Bildschirm ein Wort, das semantisch mit der Bedeutung der Idiome verbunden war. Die Aufgabe der Testpersonen bestand darin, trotz der Ablenkung durch 108 Füllwörter, von denen 60 Pseudowörter waren, zu entscheiden, ob es sich bei dem visuell dargebotenen Wort um ein Wort der italienischen Sprache handelte oder nicht. Die Ergebnisse konnten zeigen, dass die Bedeutung eines Idioms erst mit dem Schlüsselwort aktiviert wird, d.h. mit der Konstituente, die die Phrase eindeutig als Idiom erkennbar werden lässt. Das erste Wort, hier das Verb des Idioms, hat in keiner der beiden Versuchsbedingungen die idiomatische Bedeutung aktiviert; dies kann als Hinweis darauf gedeutet werden, dass zunächst immer auf den - wörtlichen oder prototypischen, eventuell auch frequentesten lexikalischen Eintrag der einzelnen Konstituenten zugegriffen wird (vgl. dazu 7.1). Tabossi und Zardon (1993: 154f.) fuhren eine Diskussion über die Rolle des uniqueness point und recognition point bei der lexikalischen Verarbeitung. Unter uniqueness point wird der Punkt verstanden, an dem sich das Wort von jedem anderen in der Sprache eindeutig unterscheidet, 15 während der recognition point den Punkt bezeichnet, an dem das Wort - auch über kontextuelle Faktoren - von anderen möglichen Kandidaten unterschieden werden kann. Je früher der uniqueness oder recognition point erreicht wird, umso schneller wird das Wort erkannt, das Gleiche gilt analog für den key point in Idiomen, der auch als idiom key bezeichnet wird (Tabossi und Zardon 1995). Die Autoren weisen darauf hin, und diese Bemerkung kann hier nur unterstrichen werden, dass der key point in Idiomen nicht direkt vergleichbar ist mit dem uniqueness oder recognition point. Der key point entspricht weder dem uniqueness noch dem recognition point. Ihr Fazit lautet: [...] semantic activation of an idiom occurs late in the string, and how late may depend on factors such as the location of the key, for which there is no obvious correspondence in the processing of individual lexical items. (Tabossi und Zardon 1993: 155) Die theoretische Spezifikation der Schlüsselkonstituente ist problematisch; die Autoren bestimmen ihn über „probabilistic terms", wobei sich diese über den tatsächlichen Sprachgebrauch definieren: [...] it [i.e. the idiom key] does not reflect any formal property of idioms, but the fact that when certain words co-occur in the language very frequently they are part of an idiom. (Tabossi und Zardon 1993: 156) Eine weitere Untersuchung, die die Befunde der Konfigurationshypothese bestätigt, wurde von van de Voort und Vonk (1995) vorgelegt. Sie beschäftigten sich mit phrasenintern und

15

Als Beispiel führen sie powder an, dessen uniqueness point bei powd- erreicht ist, da kein anderes englisches Wort diese initiale Kombination aufweist. Kritisch ist dieses Beispiel deshalb, da nach powd- zwar eine „initiale Einzigartigkeit" besteht, nicht jedoch eine finale; powd- kann verschiedene Suffixe binden, z.B. powder, powdered, powdering, powderer usw.

66 phrasenextern modifizierten verbalen holländischen Idiomen 16 und konnten mit ihren Ergebnissen die Annahmen der Idiomlistenhypothese, der lexikalischen Repräsentationshypothese und der direkten ZugrifFshypothese widerlegen, die besagen, dass die Bedeutungen von Idiomen wie die eines einzigen lexikalischen Items gespeichert sind und auch so auf sie zugegriffen wird. Die Autoren spezifizieren den Begriff der Schlüsselkonstituente: Durch die unterschiedlichen Reaktionszeiten auf intern bzw. extern modifizierte Idiome schließen sie, dass eine Idiomkonfiguration nur dann als solche erkannt werden kann, wenn die Schlüsselkonstituente nicht modifiziert wird: An idiom is processed literally until the configuration is recognized. In order to recognize the configuration and to gain access to the overall idiom meaning, the nonmodified meanings of the key words have to be accessed. (van de Voort und Vonk 1995: 294) Die Autoren postulieren eine zusätzliche Stufe im Verarbeitungsprozess, die einsetzt, nachdem die idiomatische Bedeutung bereits aktiviert wurde. Es wird davon ausgegangen, dass trotz der aktiven idiomatischen Bedeutung weiterhin die wörtlichen Bedeutungen der Konstituenten verarbeitet werden und diese auf ihre Kompatibilität mit der idiomatischen Bedeutung geprüft werden. Dabei ist besonders die Akzeptanz der Schlüsselkonstituenten wichtig, die z.B. durch interne Modifikation heruntergesetzt wird und ein Erkennen des Idioms erschwert. Die eventuell vorhandenen Modifizierer werden ebenfalls im Hinblick auf ihre Kompatibilität mit der idiomatischen Gesamtbedeutung überprüft. Wenn die Modifikation mit der idiomatischen Lesart übereinstimmt, wird der entsprechende neue Bedeutungsanteil integriert; stimmt sie nicht überein, wird eine idiomatische Lesart zurückgewiesen. Weitere Bestätigung für die Konfigurationshypothese liefern Cutting und Bock (1997, Experiment 2). Sie untersuchten die Produktion von Idiomen und konnten aufgrund von blends - hier der Vermischung von zwei verschiedenen Idiomen, die die Probanden vornahmen - zeigen, dass bei der Verarbeitung von Idiomen die wörtliche Bedeutung der Konstituenten aktiviert ist, und zwar in der von der Konfigurationshypothese postulierten Weise. Aus dem Bereich der Computerlinguistik kommen ebenfalls Belege fiir die Flexibilität und vielseitige Anwendbarkeit der Konfigurationshypothese. Stock (1989) sowie Stock, Slack und Ortony (1993) konnten zeigen, dass die Annahmen der Konfigurationshypothese geeigneter sind als die der anderen Idiomverarbeitungsmodelle, um einen syntaktischen Parser, d.h. ein Sprachverarbeitungsprogramm, auf dem Computer zu implementieren. Die korrekte Erkennung und Verarbeitung von Idiomen hat Computerprogramme stets vor große Probleme gestellt (vgl. 2.1, Bar-Hillel 1955). Das Programm WEDNESDAY 2 jedoch (vgl. dazu Stock 1989 sowie Stock, Slack und Ortony 1993) verzichtet auf die Annahme von Idiomlisten. Es geht - in Übereinstimmung mit der Konfigurationshypothese - davon aus, dass Idiome im „normalen" Lexikon integriert und dort als „[...] more information 16

Der Vorteil bei diesem Datenmaterial besteht darin, dass im Holländischen sowohl interne als auch externe Modifikationen innerhalb der idiomatischen Phrase vorgenommen werden (van de Voort und Vonk 1995: 294). Im Englischen (und Deutschen) dagegen stehen externe Modifikationen vor der Phrase, z.B. He eventually spilled the beans, während interne Modifikationen innerhalb der Phrase auftreten, z.B. He did not spill a Single bean.

67 about particular words" (Stock, Slack und Ortony 1993: 238) gespeichert sind. Der entscheidende Vorteil einer solchen Konzeption liegt darin, dass auf diese Weise syntaktisch flexible Idiome erkannt und verarbeitet werden können.

3.1.5

Zusammenfassende Bewertung der vier Verarbeitungshypothesen

Zum Abschluss des Abschnittes 3.1 werden die Ausfuhrungen noch einmal rekapituliert: Die Diskussion der Verarbeitungshypothesen hat einen Überblick über die psycholinguistischen Forschungsaktivitäten gegeben sowie aufgezeigt, welche Fragestellungen in diesem Bereich dominiert haben und in welche Forschungsrichtung sich die Untersuchungen in jüngerer Zeit bewegen. Da die hier vorgestellten theoretischen Annahmen und empirischen Befunde in die eigenen Analysen und Modellvorstellungen zur mentalen Repräsentation von Idiomen eingeflossen sind (vgl. Kapitel 5, 6 und 7), war die ausführliche Darstellung für das weitere Verständnis der vorliegenden Arbeit wichtig. Die zuerst vorgestellten und diskutierten drei Hypothesen zur Verarbeitung von Idiomen - die Idiomlistenhypothese, die lexikalische Repräsentationshypothese und die direkte Zugriffshypothese - wurden unter dem Stichwort „erste Generation" von Verarbeitungsmodellen subsumiert, weil sie den Anfang der experimentellen psycholinguistischen Idiomforschung darstellen. Die dort empirisch überprüften Fragestellungen resultierten aus den im Rahmen der generativen Grammatik (vgl. 2.2) gemachten Annahmen über das syntaktische Verhalten von Idiomen und deren Repräsentation im Lexikon. Es wurde davon ausgegangen, dass die Bedeutung von Idiomen per definitionem nichtkompositionell ist und dass Idiome syntaktisch, semantisch und lexikalisch nicht variabel sein können. Demzufolge wurde - explizit oder implizit in allen drei Hypothesen - die Annahme zugrunde gelegt, dass die Bedeutung eines Idioms wie die einer einzigen lexikalischen Einheit gespeichert ist. Die empirischen Untersuchungen waren darauf ausgerichtet zu testen, ob bei der Verarbeitung von Idiomen die wörtliche und idiomatische Bedeutung nacheinander oder parallel aktiviert werden. Die Befundlage zu allen drei Hypothesen war und ist heterogen. Bobrow und Bell (1973) finden Evidenz dafür, dass immer zuerst auf die wörtliche Bedeutung eines Idioms zugegriffen wird. Diese wird verworfen, so dass in einem nächsten Schritt die figurative Bedeutung des Idioms aus einer separaten Idiomliste abgerufen werden muss. Swinney und Cutler (1979) belegen, dass die Suche nach der wörtlichen und figurativen Bedeutung gleichzeitig initiiert wird, während Gibbs (1980) Belege dafür anbringt, dass direkt auf die idiomatische Bedeutung zugegriffen werden kann. Die zuletzt dargestellte Konfigurationshypothese unterscheidet sich von den Hypothesen der „ersten Generation" dadurch, dass die Polarisierung zwischen wörtlicher und idiomatischer Bedeutung aufgehoben wird. Es wird davon ausgegangen, dass ein Idiom an einem bestimmten Punkt als Konfiguration erkannt wird und dass dieser Konfiguration unter Aktivierung der wörtlichen Bedeutungen der Konstituenten eine idiomatische Lesart zugewiesen werden kann. Das impliziert, dass sich die Verarbeitungsstrategien von wörtlichen und idiomatischen Ausdrücken nicht wesentlich voneinander unterscheiden und dass auch die Verarbeitung von syntaktisch oder semantisch variierten Idiomen erklärt werden kann. Die Konfigurationshypothese ist deshalb den anderen drei Hypothesen überlegen.

68 Ein Mangel aller vier hier diskutierten Verarbeitungshypothesen besteht darin, dass sie wie die Arbeiten im Rahmen der linguistischen Idiomforschung (vgl. Kapitel 2) - konzeptuelle Faktoren vernachlässigen. Diese müssen jedoch bei einer umfassenden Erklärung von Idiomen berücksichtigt werden. Deshalb wird in Kapitel 7 bei der Formulierung eines integrativen Modells für englische Idiome im LI - und L2-Lexikon zwar auf lexikalischer, d.h. linguistischer Ebene auf einige grundlegende Annahmen der Konfigurationshypothese zurückgegriffen; das dort entwickelte Modell wird aber um konzeptuelle Aspekte ergänzt (vgl. 7.2). In 3.1 wurde versucht, die Untersuchungen und Ergebnisse, über die im Zusammenhang mit den verschiedenen Hypothesen berichtet wurde, miteinander zu vergleichen bzw. die Aussagen miteinander in Beziehung zu setzen. Die Schwierigkeiten, die dabei auftraten, sind unter anderem darauf zurückzuführen, dass einerseits die Untersuchungen jeweils einen anderen Ausschnitt des Verarbeitungsprozesses beleuchten und andererseits in den meisten Fällen verschiedenes Datenmaterial verwendet wurde. Die im folgenden Abschnitt dargestellten Untersuchungen machen eine Entwicklung deutlich, die auf ihre Art zur Homogenisierung der Studien und Befunde führt: Zunehmend werden systematisch Merkmale von Idiomen, vor allem deren Dekomponierbarkeit, untersucht, die als Erklärung für unterschiedliches syntaktisches, semantisches und lexikalisches Verhalten dienen können. Der Dekompositionsstatus eines Idioms wird dabei unter anderem auch dazu herangezogen, die unterschiedlichen Verarbeitungszeiten für verschiedene Idiome zu erklären. Im Nachhinein können dadurch teilweise sowohl die Befunde der lexikalischen Repräsentationshypothese als auch der direkten Zugriffshypothese als korrekt bestätigt werden. Die Idiomlistenhypothese findet in der Literatur der späten 80er und 90er Jahre kaum noch Beachtung - wahrscheinlich deshalb, weil die Ergebnisse von Bobrow und Bell (1973) nie repliziert werden konnten und die zugrunde gelegten Annahmen zunehmend als überholt bewertet wurden. Die Ergebnisse der Konfigurationshypothese sind am besten mit den Aussagen der Forschung über Dekomponierbarkeit in Einklang zu bringen. Es ist wichtig zu beachten, dass die Forschung über die Dekomponierbarkeit von Idiomen nicht direkt zur Formulierung eines weiteren Verarbeitungsmodells führt, sondern eher eine Dimension beschreibt, auf der sich Idiome systematisch unterscheiden lassen und anhand derer präzisere Aussagen über die Verarbeitung getroffen werden können. Deshalb wird diese Forschungsrichtung im nun folgenden Abschnitt gesondert betrachtet.

3.2

E i g e n s c h a f t e n v o n Idiomen

Wie oben bereits angedeutet, hat die uneinheitliche Befundlage der Studien über die Verarbeitung von Idiomen in den 80er Jahren vermehrt dazu geführt, die in den Untersuchungen verwendeten Idiome im Hinblick auf ihre inhärenten Eigenschaften oder Merkmale zu überprüfen. Die daraufhin einsetzende Forschungsaktivität machte die Dekade zwischen Mitte der 80er und Mitte der 90er Jahre - gemessen an der Art und Anzahl der einschlägi-

69 gen Publikationen - zu einem Höhepunkt in der psycholinguistischen Idiomforschung. Nicht nur die Anzahl der publizierten Arbeiten, sondern vor allem die inhaltliche Vielfalt der Studien erschwert einen systematischen Überblick. Die vorwiegend experimentell durchgeführten Untersuchungen überprüfen jeweils isolierte Aspekte des Verarbeitungsoder Interpretationsprozesses und einzelne Merkmale von Idiomen, wobei der bereits erwähnte Mangel an theoretischen Modellen eine Integration der Befunde nahezu unmöglich macht. Hinzu kommt die große Heterogenität in den verwendeten Versuchsdesigns: Die Zusammensetzung und die Größe der Testpersonengruppen sowie die Auswahl der untersuchten Idiome schwankt erheblich; die Operationalisierungen der Fragestellungen sind genauso uneinheitlich wie die Art der Messung und die Auswertungsverfahren. Das gemeinsame Ziel der zahlreichen Studien ist jedoch die Identifikation verschiedener Dimensionen, auf denen sich Idiome systematisch unterscheiden lassen. Anhand solcher Merkmale kann das verwendete Datenmaterial besser kontrolliert und die Aussagekraft der Ergebnisse präzisiert werden. Die in diesem Zusammenhang untersuchten Eigenschaften oder Faktoren sind sehr vielfaltig. Neben dem Faktor Dekomponierbarkeit, der eine herausgehobene Stellung einnimmt und deshalb im Folgenden ausführlich diskutiert wird, wurden intensiv Aspekte wie der Bekanntheitsgrad eines Idioms (vgl. 3.2.2), die Verfügbarkeit der wörtlichen Interpretation des Idioms (Cronk und Schweigert 1992, Cronk, Lima und Schweigert 1993), die Vorhersagbarkeit der idiomatischen Interpretation (vgl. z.B. Cacciari und Tabossi 1988, Tabossi und Cacciari 1988, Cacciari und Glucksberg 1991) oder die Sinnhaftigkeit der wörtlichen Interpretation (vgl. z.B. Popiel und McRae 1988, Mueller und Gibbs 1987) untersucht und ihr jeweiliger Einfluss auf die Interpretation und Verarbeitung des Idioms getestet. Da an dieser Stelle nicht alle Faktoren betrachtet werden können, wird eine Beschränkung auf diejenigen vorgenommen, die für die in Kapitel 5 und 6 dargestellten eigenen Untersuchungen von Wichtigkeit sind: die Dekomponierbarkeit und der Bekanntheitsgrad. Dass dem Faktor der Dekomponierbarkeit bei der Erforschung der Merkmale von Idiomen eine besonders dominante Stellung zukommt, hat mehrere Gründe. Zunächst hat die Arbeit von Nunberg (1978, vgl. 2.3) zumindest in Ansätzen die theoretische Grundlage für eine Einteilung der Idiome in dekomponierbare, anormal dekomponierbare und nichtdekomponierbare Idiome geliefert. Zum anderen ist der Dekompositionsstatus von Idiomen ein experimentell überprüfbares und gleichzeitig psychologisch plausibles 17 Konstrukt, das sich in psycholinguistischen Experimenten gut operationalisieren lässt. Einen großen Beitrag zu der Erkenntnis, dass der Dekompositionsstatus eines Idioms entscheidenden Einfluss auf dessen syntaktisches, semantisches und lexikalisches Verhalten sowie auf dessen mentale Repräsentation nimmt, haben die Arbeiten von Gibbs und seinen Kollegen geliefert. Gibbs und Nayak (1989) stellten mit der Dekompositionshypothese eine experimentell überprüfbare Hypothese auf, die in der Folgezeit vielfach untersucht wurde. Obwohl es auch Arbeiten gibt, die die von Gibbs gefundene Einteilung der Idiome in die verschiedenen Klassen nicht so deutlich bestätigen (vgl. z.B. Titone und Connine 1994a), übernehmen

17

Mit Schönefeld (1997) wird hier dem Begriff der psychologischen „Plausibilität" der Vorzug vor psychologischer „Realität" gegeben, da die Realität mentaler Repräsentationen (noch) schwieriger zu belegen ist als deren Plausibilität.

70 seitdem viele Autoren diese differenziertere Sicht auf die syntaktischen und semantischen Eigenschaften der verschiedenen Idiome. Da die Forschung zur Dekomponierbarkeit von besonderer Wichtigkeit für den theoretischen Hintergrund der im Anschluss beschriebenen eigenen empirischen Untersuchungen ist, werden die relevanten Studien hier ausfuhrlich dargestellt. Zunächst werden die Arbeiten von Gibbs und seinen Mitarbeitern diskutiert (vgl. 3.2.1), da sie als wegweisend für die Entwicklung und den jeweiligen Stand der Forschung auf diesem Gebiet angesehen werden können. In 3.2.1.1 wird die Vereinbarkeit der Dekompositionshypothese mit existierenden Verarbeitungsmodellen diskutiert. Danach (vgl. 3.2.1.2) werden einige empirische Untersuchungen anderer Autoren vorgestellt (z.B. Titone und Connine 1994a, van de Voort und Vonk 1995), die die Annahmen der Dekompositionshypothese bestätigen oder modifizieren konnten oder in Anlehnung daran ähnliche Forschungen durchgeführt haben.

3.2.1

Die Dekompositionshypothese

Wie in 2.3 beschrieben, geht der Ansatz, das syntaktische Verhalten eines Idioms auf seine semantische Dekomponierbarkeit zurückzufuhren, ursprünglich auf Nunberg (1978) zurück. Gibbs et al. (1989a,b,c) haben in drei umfassend angelegten Studien Nunbergs Aussagen als Dekompositionshypothese spezifiziert und sie so für die experimentelle Überprüfung zugänglich gemacht. Gibbs und Nayak (1989) führen als Hauptargument gegen die - von Weinreich (1969) mit dem Postulat der Idiomliste unterstützte und mit Hilfe der Idiomlisten- sowie der lexikalischen Repräsentationshypothese überprüfte - traditionelle Auffassung, Idiome seien nichtkompositionell, d.h. ihre Bedeutung sei im mentalen Lexikon wie die eines einzigen „langen" Wortes gespeichert, die syntaktische Produktivität von Idiomen an. Einige Idiome sind syntaktisch produktiv, d.h. sie erlauben syntaktische Veränderungen, ohne dadurch ihre ursprüngliche figurative Bedeutung zu verlieren; bei anderen Idiomen ist dies nicht der Fall. Die Annahmen, die im Rahmen der generativen Grammatik gemacht wurden (vgl. 2.2), z.B. die Markierung eines syntaktisch inflexiblen lexikalischen Eintrags mit dem Merkmal [± Idiom] oder beispielsweise dem Merkmal [-passive], können diesen Unterschied nicht zufriedenstellend erklären. Sie sind lediglich in der Lage, für die Gruppe der syntaktisch unproduktiven - d.h. der nichtdekomponierbaren - Idiome Aussagen zu treffen. Gibbs und Nayaks (1989) zentrale Hypothese ist nun, dass das syntaktische Verhalten von Idiomen hauptsächlich von ihrer internen Semantik bestimmt wird. Es wird nicht davon ausgegangen, dass alle Idiome syntaktisch fixiert oder in ihrer Bedeutung nichtkompositionell sind. Der Vorteil von Gibbs und Nayaks Annahme besteht darin, dass ihre Hypothese auf die gesamte Gruppe der Idiome bezogen werden kann und nicht von vornherein einen Großteil ausschließt. Die Autoren gehen davon aus, dass die Konstituenten eines Idioms semantisch analysierbare Einheiten sind und dass die Urteile der Sprecher darüber, wie die Bedeutungen der einzelnen Teile zur figurativen Bedeutung der gesamten Phrase beitragen, das syntaktische Verhalten des Idioms determinieren. Diese Annahme bezeichnen sie als Dekompositionshypothese (Gibbs und Nayak 1989: 104, vgl. 1.2.1). Es gibt verschiedene Möglichkeiten zu zeigen, dass den Teilen eines Idioms Bedeutungen zugewiesen werden und dass somit bei der Mehrzahl der Idiome die Konstituenten zur

71

figurativen Interpretation der gesamten Phrase beitragen. So können die Konstituenten eines Idioms modifiziert werden, z.B. durch das Einfügen eines Adjektivs, wie in leave no legal stone unturned, oder eines Relativsatzes, z.B. in Your remark touched a nerve that I didn't know existed. Ernst (1981) verweist darauf, dass diese internen Modifikationen die Bedeutung einzelner Konstituenten leicht modifizieren, was nur möglich ist, wenn diese einzeln zur Gesamtbedeutung beitragen. Andere Modifikationen einzelner Konstituenten sind z.B. die Quantifizierung, wie in touch a nerve a couple of times, oder die Topikalisierung, wie in Those strings he wouldn'tpullforyou. Je analysierbarer, d.h. je dekomponierbarer ein Idiom auf semantischer Ebene ist und je bewusster sich der Sprecher über den Bedeutungsbeitrag der einzelnen Konstituenten ist, umso wahrscheinlicher ist es, dass das Idiom syntaktisch produktiv und frei modifizierbar ist. Das Konzept der verschiedenen Ausprägungsgrade an semantischer Dekomponierbarkeit impliziert, dass Idiome auf einem Kontinuum variieren, wobei die Pole von völlig dekomponierbar bis gar nicht dekomponierbar reichen. Gibbs und Nayak (1989) verweisen außerdem darauf, dass ein Idiom dann von Sprechern als dekomponierbar beurteilt wird, wenn die wörtliche und die figurative Bedeutung der Konstituenten dem gleichen semantischen Feld oder der gleichen konzeptuellen Domäne angehören, wie z.B. b e i p o p the question. In einer Reihe von experimentellen Studien überprüften die Autoren die Vorhersagen der oben beschriebenen Dekompositionshypothese. Zuerst wurde überprüft, ob die theoretisch angenommene Unterteilung in dekomponierbare, anormal dekomponierbare und nichtdekomponierbare Idiome auch psychologische Plausibilität hat, d.h. ob Sprecher in der Lage sind, Idiome in diese drei Kategorien einzuteilen. Die Aufgabe der Probanden bestand darin zu beurteilen, ob die einzelnen Konstituenten des Idioms einen Beitrag zur figurativen Interpretation des Idioms lieferten. Zunächst sollten die Idiome in zwei Klassen eingeteilt werden: in dekomponierbare und nichtdekomponierbare. Anschließend sollten die dekomponierbaren nochmals unterteilt werden, und zwar in normal dekomponierbare, d.h. solche, die einen wörtlichen Bezug zu ihren figurativen Referenten haben, und in anormal dekomponierbare, also solche, die dazu einen metaphorischen Bezug haben. Die Ergebnisse zeigen, dass die Sprecher übereinstimmend die verschiedenen Gruppen bzw. Grade an Dekomponierbarkeit erkennen können.18 Ein zweites Experiment konnte zeigen, dass dekomponierbare Idiome als syntaktisch produktiver angesehen werden als die beiden anderen Klassen von Idiomen, d.h. dass dekomponierbare Idiome trotz syntaktischer Variation ihre figurative Bedeutung eher behalten als anormal dekomponierbare oder nichtdekomponierbare Idiome. Der Grund dafür liegt gemäß der Dekompositionshypothese darin, dass die einzelnen Konstituenten von dekomponierbaren Idiomen separierbare Bedeutungen haben, die eben auch individuell modifiziert werden können. In einem dritten Experiment konnte dieser Befund noch dadurch gestützt werden, dass gezeigt werden konnte, dass dekomponierbare Idiome am ehes-

18

Bei genauer Lektüre von Gibbs und Nayak (1989: 108) wird deutlich, dass die hier verwendeten Idiome einer Vorauswahl unterzogen worden waren, d.h. in Bezug auf die drei Kategorien der Dekomponierbarkeit präselegiert wurden. Dieses Vorgehen determiniert die Ergebnisse erheblich und muss deshalb kritisiert werden. Die Untersuchung von Titone und Connine (1994a) sowie die in Kapitel 5 und 6 vorgestellten Untersuchungen vermeiden bewusst eine Vorauswahl der Idiome, um die Ergebnisse nicht zu beeinflussen.

72 ten pronominalisiert werden können, während diese Transformation bei den beiden anderen Kategorien nicht so leicht akzeptiert wird. Ein viertes Experiment untersuchte die Relevanz der Unterscheidung in transparente und opake Idiome. Als transparente Idiome werden solche bezeichnet, deren figurative Interpretation mit ihrer wörtlichen Bedeutung verbunden ist oder als metaphorische Erweiterung der wörtlichen Bedeutung bezeichnet werden kann. Es ist kritisch anzumerken, dass Gibbs und Nayak (1989) hier - wie zahlreiche andere Autoren auch - keine klare Abgrenzung zwischen Transparenz und Dekomponierbarkeit vornehmen. Die beiden Konstrukte werden häufig konfundiert (für eine Klärung der Begriffe vgl. 7.1.3.3). Als Beispiel für ein transparentes Idiom wird skating on thin ice gegeben, dessen wörtliche Bedeutung sehr verwandt mit der figurativen Bedeutung „sich in einer heiklen Situation befinden" ist. Bei opaken Idiomen, z.B. kick the bücket, besteht zwischen der figurativen und der wörtlichen Bedeutung höchstens noch ein historischer Zusammenhang, der aber für die meisten Sprecher nicht mehr nachvollziehbar ist. Da es bei opaken Idiomen schwer bis unmöglich ist, den Beitrag der einzelnen Konstituenten zur Gesamtbedeutung zu bestimmen, müssten der Hypothese zufolge transparente Idiome dekomponierbarer sein als opake. Die Ergebnisse bestätigten diese Annahme. Transparenz und Dekompositionsstatus hängen also eng zusammen und wirken sich auf die syntaktische Produktivität aus. Das Konstrukt der Transparenz bzw. Opakheit ist eng mit der wörtlichen Bedeutung des Idioms verknüpft. Deshalb wurde in einem fünften Experiment untersucht, ob sich Idiome mit einer wörtlich sinnvollen Interpretation, z.B. ring a bell, pass the buck, carry a torch, von wörtlich wenig sinnvollen Idiomen, z.B. fit the bill, pop the question, crack a joke, im Hinblick auf ihre syntaktische Produktivität unterscheiden.19 Die Ergebnisse zeigten, dass die wörtliche Sinnhaftigkeit keinen besonders aussagekräftigen Prädiktor für die syntaktische Produktivität des Idioms darstellt, sondern dass die semantische Dekomponierbarkeit entscheidender ist. Das sechste Experiment diente dazu, den Einfluss aller drei Faktoren - Dekomponierbarkeit, Transparenz / Opakheit bzw. wörtliche Sinnhaftigkeit - auf die syntaktische Flexibilität der Idiome zu testen. Die Befunde weisen darauf hin, dass semantische Dekomponierbarkeit und metaphorische Transparenz deutlich mit syntaktischer Produktivität korrelieren - die Korrelationskoeffizienten liegen bei r = 0,38 bzw. r = 0,34 - , während zwischen wörtlicher Sinnhaftigkeit und syntaktischer Produktivität so gut wie kein Zusammenhang besteht; der KorrelationskoefFizient liegt bei r = 0,01. Syntaktische Produktivität und semantische Dekomponierbarkeit interkorrelieren zu r = 0,56 miteinander, d.h. die beiden Konstrukte sind nicht unabhängig voneinander. Der semantische Dekompositionsstatus ist somit der beste Prädiktor für syntaktische Produktivität und klärt 15% der Varianz auf, gefolgt von metaphorischer Transparenz mit 13% Varianzaufklärung. Wörtliche Sinnhaftigkeit kann keine Varianz aufklären. Semantische Dekomponierbarkeit und metaphorische Transparenz klären zusammen 17% der Varianz auf. Die Tatsache, dass der größte Varianzanteil nicht aufgeklärt werden kann, weist darauf hin, dass noch andere Faktoren das syntaktische Verhalten der Idiome beeinflussen. Wenn die Gruppe der anormal dekompo-

19

Im Englischen wird oft von literally well formed idioms gesprochen, die nicht zu verwechseln sind mit syntactically well formed idioms. Bei der Übersetzung ins Deutsche wird jeweils versucht, eine eindeutige Formulierung zu verwenden.

73 nierbaren Idiome aus der Analyse von Experiment 6 ausgeschlossen wird, steigt die Korrelation zwischen semantischer Dekomponierbarkeit und syntaktischer Produktivität von r = 0,38 auf immerhin r = 0,43 an; ein erster Hinweis darauf, dass die Gruppe der anormal dekomponierbaren Idiome keinen eindeutigen Status zu haben scheint. Dies und andere Gründe haben dazu geführt, bei der Erhebung von nichtmuttersprachlichen Dekompositionsurteilen (vgl. Kapitel 5 und 6) diese Gruppe nicht zu berücksichtigen. Abschließend kann festgehalten werden, dass die Ergebnisse die Annahmen der Dekompositionshypothese bestätigen. Die syntaktische Flexibilität von Idiomen ist demnach kein Zufallsphänomen, sondern kann vor allem über den Dekompositionsstatus und die metaphorische Transparenz des Idioms erklärt werden. Je analysierbarer, d.h. je dekomponierbarer ein Idiom ist, umso syntaktisch flexibler ist es. Gibbs und Nayaks (1989) Beobachtungen zur syntaktischen Produktivität von Idiomen werden durch die Arbeiten von Gibbs, Nayak, Bolton und Keppel (1989) ergänzt, die die lexikalische Flexibilität von Idiomen untersuchen. So können bei einigen Idiomen ohne Verlust der figurativen Bedeutung Wörter variiert werden, z.B. in hit the hay und hit the sack, die beide go to sleep bedeuten. Die zentrale Hypothese der drei in dieser Untersuchung dargestellten Studien ist die, dass - analog zu den Befunden zur syntaktischen Produktivität - die lexikalische Flexibilität eines Idioms abhängig ist von seiner semantischen Dekomponierbarkeit. Diese Annahme konnte im Verlauf der Untersuchungen bestätigt werden: Dekomponierbare Idiome sind lexikalisch flexibler als anormal dekomponierbare oder nichtdekomponierbare. Das Ausmaß der lexikalischen Veränderung wurde je nach Versuchsbedingung systematisch variiert. So wurde entweder keine Veränderung des Idioms, eine Veränderung des Verbs, des Nomens oder beider Konstituenten durchgeführt. Pop the question, als Beispiel für ein dekomponierbares Idiom, wurde demnach verändert in burst the question, pop the request oder burst the requesf, carry a torch, ein anormal dekomponierbares Idiom, wurde zu hold a torch, carry a light oder hold a light und kick the bücket, der „Prototyp" des nichtdekomponierbaren Idioms, wurde zu punt the bücket, kick the pail oder punt the pail. Die Testpersonen erhielten zu den veränderten Idiomen die Paraphrase des Originalidioms und sollten beurteilen, inwieweit die Paraphrase noch die Bedeutung des veränderten Idioms wiedergibt, also inwieweit das Idiom lexikalisch verändert werden kann, ohne seine ursprüngliche figurative Bedeutung zu verlieren. Die Ergebnisse konnten zunächst nicht eindeutig interpretiert werden, da die Versuchspersonen - wie auch schon in anderen Untersuchungen - Probleme bei der Einschätzung der anormal dekomponierbaren Idiome hatten. Als diese von der Analyse ausgeschlossen wurden, ergab sich eine Tendenz in Richtung der Hypothese, d.h. die dekomponierbaren Idiome wurden als lexikalisch flexibler eingeschätzt als die nichtdekomponierbaren. In einem zweiten Experiment wurde der Einfluss der wörtlichen Wohlgeformtheit auf die lexikalische Flexibilität getestet. Mueller und Gibbs (1987) konnten zeigen, dass Idiome mit einer sinnvollen wörtlichen Interpretation schneller verarbeitet werden bzw. ihre Bedeutung eher erschlossen werden kann als die von Idiomen, die keine semantisch wohlgeformte wörtliche Bedeutung haben. Das legt den Schluss nahe, dass auf wörtlich bedeutungsvolle Idiome eher die Regeln der semantischen Komposition zutreffen und sie sich somit bezüglich der lexikalischen Flexibilität wie dekomponierbare Idiome verhalten, näm-

74 lieh lexikalisch flexibel. Um zu überprüfen, inwieweit lexikalische Flexibilität, wörtliche Sinnhaftigkeit und Dekompositionsstatus zusammenhängen, legten Gibbs et al. (1989b) ihren Testpersonen wörtlich sinnvolle sowie wörtlich nicht sinnvolle, lexikalisch variierte Idiome zur Beurteilung vor. Die Art der Veränderung sowie die Instruktionen an die Versuchspersonen waren dabei die gleichen wie im ersten Experiment. Die Ergebnisse zeigten, dass die Versuchspersonen bezüglich der lexikalischen Flexibilität keinen signifikanten Unterschied zwischen wörtlich sinnvollen und wörtlich nicht sinnvollen Idiomen getroffen haben. Wörtlich sinnvolle Idiome sind also nicht lexikalisch flexibler. Dieses Ergebnis zeigt, dass sich die lexikalische Flexibilität von Idiomen besser über ihren Dekompositionsstatus als über die wörtliche Sinnhaftigkeit erklären lässt. In einem dritten Experiment untersuchten Gibbs et al. (1989b) die Beziehung zwischen syntaktischer Produktivität und lexikalischer Flexibilität. Syntaktisch produktive Idiome sollten lexikalisch flexibler sein als syntaktisch gefrorene. Diese Hypothese wurde von den Ergebnissen bestätigt und als weiterer Beleg für die Gültigkeit der Dekompositionshypothese gewertet. Allgemein sollte beachtet werden, dass in der dargestellten Untersuchung lexikalische Flexibiliät ausschließlich mit Synonymen der Originalkonstituenten getestet wurde. Um die Akzeptanz lexikalischer Veränderung in ihrer ganzen Bandbreite zu testen, müssten die Effekte umfassenderer Modifikationen untersucht werden. Als eine wesentliche Bedingung für die Akzeptanz einer lexikalischen Veränderung des ursprünglichen Idioms betrachten die Autoren das semantische Feld, aus dem die Ursprungskonstituenten und ihr Substitut kommen. Das Substitut muss aus dem gleichen semantischen Feld kommen wie die Originalkonstituente, damit die figurative Bedeutung erhalten bleiben kann. 20 Abschließend diskutieren die Autoren die Implikationen der Befunde für Theorien über die Verarbeitung von Idiomen. Es könnte sein, dass verschiedene Idiomtypen unterschiedlich verarbeitet werden. Dekomponierbare Idiome werden eventuell eher wie wörtliche Sprache verarbeitet - was nicht gleichzusetzen ist mit der Annahme der Idiomlistenhypothese, dass immer zuerst die wörtliche Bedeutung eines Idioms verarbeitet wird und erst dann die figurative. Die figurative Bedeutung nichtdekomponierbarer Idiome ist wahrscheinlich lexikalisiert, d.h. sie muss direkt vom mentalen Lexikon abgerufen werden und kann nicht aus der Bedeutung der einzelnen Konstituenten „zusammengesetzt" werden. Damit wollen die Autoren allerdings nicht suggerieren, dass es zwei bzw. nur diese zwei Verarbeitungsmechanismen für idiomatische Ausdrücke gibt. Sie gehen davon aus, dass Sprecher - eventuell sogar parallel - Kompositions- und direkte Zugriffsstrategien verwenden. Diese Annahme wird auch in Arbeiten zu morphologisch komplexen Wörtern vertreten (z.B. Caramazza et al. 1988, Frauenfelder und Schreuder 1992, vgl. dazu 7.1.3). Das von Gibbs et al. (1989b) gezogene Fazit stimmt grundsätzlich mit den Annahmen überein, die in der vorliegenden Arbeit in Kapitel 7 getroffen werden. Gibbs et al. (1989b) machen in ihren Ausführungen jedoch keine genaueren Angaben zur Repräsentation dieser

20

Gibbs et al. (1989b: 66) geben dem semantischen Feld noch eine wichtigere Bedeutung bezüglich der semantischen Dekomponierbarkeit: „We suggest that semantic fields are exactly what speakers make assumptions about in determining the analyzability of an idiom. It is precisely those idioms whose individual components come from the same semantic field as their idiomatic referents that are analyzable or decomposable."

75 Informationen im Lexikon und zum Zeitpunkt bzw. der Art und Weise des mentalen Zugriffs. Dies wird in der vorliegenden Arbeit geleistet (vgl. vor allem 7.1). Gibbs, Nayak und Cutting (1989) beschäftigen sich genau mit der Frage, die in Gibbs et al. (1989b) nur ansatzweise diskutiert wurde, nämlich dem Zusammenhang zwischen semantischem Dekompositionsstatus und der Schnelligkeit der Verarbeitung. Die zugrunde liegende Hypothese war dabei, dass nichtdekomponierbare Idiome schneller verarbeitet werden miissten als dekomponierbare oder anormal dekomponierbare, da nichtdekomponierbare wahrscheinlich lexikalisiert sind und demzufolge leichter aus dem mentalen Lexikon abgerufen werden können müssten. In einem ersten Experiment mussten die Testpersonen entscheiden, ob die ihnen visuell dargebotenen Phrasen - Idiome aller drei Typen sowie wörtliche Kontrollphrasen - einen sinnvollen Satz bildeten oder nicht. Vorhergesagt wurde eine längere Reaktionszeit für die wörtlichen Phrasen im Vergleich zu allen Idiomtypen sowie für die dekomponierbaren Idiome im Vergleich zu den anormal oder nichtdekomponierbaren, da die kompositioneile Analyse eines dekomponierbaren Idioms mehr Zeit benötigt als der Abruf einer lexikalisierten Bedeutung aus dem Lexikon. Die Ergebnisse konnten die Hypothesen nicht bestätigen. Zwar beurteilten die Probanden dekomponierbare und anormal dekomponierbare Idiome schneller als die wörtlichen Kontrollphrasen und bestätigten damit die Ergebnisse von Gibbs und Gonzales (1985) sowie von Swinney and Cutler (1979). Ebenfalls ist dieses Ergebnis konsistent mit Gibbs Annahme (1980, 1986), dass Idiome schneller verstanden werden als wörtliche Phrasen. Unerwarteterweise brauchten die Probanden aber am längsten, um die nichtdekomponierbaren Idiome zu beurteilen. Zur Erklärung dieses nicht vorhergesagten Ergebnisses wurde der Dekompositionsstatus, der offensichtlich etwas mit der Schnelligkeit der Verarbeitung zu tun hat, einer genaueren Analyse unterzogen. Die Untersuchung von Gibbs und Gonzales (1985) hatte ergeben, dass syntaktisch gefrorene Idiome schneller verarbeitet werden als syntaktisch produktive. Da syntaktische Produktivität und Dekompositionsstatus korrelieren, hatten Gibbs et al. (1989c) geschlossen, dass nichtdekomponierbare Idiome, die eher syntaktisch gefroren sind, schneller verarbeitet werden. Die ausgebliebene Bestätigung dieser Hypothese veranlasste die Autoren nun dazu, die von Gibbs und Gonzales verwendeten syntaktisch gefrorenen Idiome im Nachhinein auf ihren Dekompositionsstatus zu untersuchen. 1985, zum Zeitpunkt der Durchführung der Studie von Gibbs und Gonzales, war das Konzept der Dekomposition noch nicht als relevant erkannt und deshalb nicht kontrolliert worden. Die Hälfte der in Gibbs und Gonzales als syntaktisch gefroren identifizierten Idiome waren nach Einschätzung der Testpersonen von Gibbs et al. (1989c) anormal dekomponierbar, so dass die Effekte der schnelleren Verarbeitung dieser Idiome eher auf ihr Ausmaß an Dekomposition als an syntaktischer Produktivität zurückzuführen sind. Dekomponierbarkeit beeinflusst die Schnelligkeit der Verarbeitung also mehr als syntaktische Eigenschaften. Um diese Annahme genauer zu untersuchen, und unter Berücksichtigung des Dekompositionsstatus der Idiome wurden die Reaktionszeitdaten aus Gibbs und Gonzales (1985) reanalysiert. Normal und anormal dekomponierbare Idiome werden schneller verarbeitet als wörtliche Kontrollphrasen, ein Sachverhalt, der sich für nichtdekomponierbare Idiome genau entgegengesetzt verhält. Betrachtet man die Reaktionszeiten der drei Idiomtypen, so werden anormal dekomponierbare am schnellsten verarbeitet, gefolgt von normal dekomponierbaren und nichtdekomponierbaren

76 Idiomen. Der Verarbeitungsvorteil für anormal dekomponierbare Idiome im Vergleich zu normal dekomponierbaren könnte darin liegen, dass anormal dekomponierbare syntaktisch gefrorener sind als normal dekomponierbare. Dieses Argument ist allerdings widersprüchlich, denn wenn man der Argumentation konsequent folgt, dann müssten die nichtdekomponierbaren Idiome am schnellsten verarbeitet werden, da diese noch gefrorener sind bzw. theoretisch sein müssten als anormal dekomponierbare. Trotz der teilweise heterogenen Befunde ist ein über mehrere Studien konstantes Ergebnis der Verarbeitungsvorteil von normal dekomponierbaren gegenüber nichtdekomponierbaren Idiomen. Diese Tatsache und die Schwierigkeiten, die immer wieder bezüglich der anormal dekomponierbaren Idiome auftreten, sind ein weiterer Hinweis darauf, dass die Kategorie der anormal dekomponierbaren Idiome problematisch ist. Die Autoren schließen aus ihren Befunden, dass für die Verarbeitungsschnelligkeit der Dekompositionsstatus wichtiger ist als das Ausmaß an syntaktischer Gefrorenheit. Die Beziehung zwischen semantischer Dekomponierbarkeit und syntaktischer Produktivität fassen die Autoren abschließend wie folgt zusammen: Although there is a positive correlation between the semantic analyzability of idioms and their degree of syntactic flexibility, differences in the processing of idioms is not so much due to their syntactic productivity per se, as to the degree, and nature, of these phrases' semantic decomposition. (Gibbsetal. 1989c: 590) Die oben vorgestellten drei 1989er-Studien von Gibbs und seinen Kollegen haben die psycholinguistische Idiomforschung nachhaltig beeinflusst. Das Konzept der Dekomponierbarkeit und die Verteilung der großen und heterogenen Gruppe der Idiome auf drei Untergruppen mit verschiedenem Dekompositionsstatus haben erheblich dazu beigetragen, das unterschiedliche syntaktische und lexikalische Verhalten zu erklären und dadurch differenziertere Aussagen über die heterogene Gruppe der Idiome zu ermöglichen. Ein Vorteil der Arbeiten von Gibbs und seinen Kollegen liegt vor allem darin, dass die dort experimentell überprüften Faktoren in nachfolgenden empirischen Untersuchungen kontrolliert eingesetzt und somit die Ergebnisse eindeutiger im Hinblick auf das Wirken der verschiedenen Faktoren interpretiert werden konnten. Bevor die Dekompositionshypothese im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit existierenden Verarbeitungsmodellen überprüft wird (3.2.1.1) und Bestätigungen, Modifikationen und Revisionen diskutiert werden (3.2.1.2), sollen die wichtigsten Befunde von Gibbs et al. (1989a,b,c) zusammengefasst werden: Idiome unterscheiden sich bezüglich ihres Dekompositionsstatus. Es gibt dekomponierbare, anormal dekomponierbare und nichtdekomponierbare Idiome. Dekomponierbare Idiome sind im Vergleich zu anormal und nichtdekomponierbaren Idiomen transparenter, syntaktisch produktiver (Gibbs und Nayak 1989) und lexikalisch flexibler (Gibbs, Nayak, Bolton und Keppel 1989). Der Dekompositionsstatus kann diese Effekte besser erklären als z.B. die wörtliche Wohlgeformtheit des Idioms. Zur Verarbeitung der Idiome der unterschiedlichen Dekompositionskategorien wird angenommen, dass dekomponierbare eher wie wörtliche Sprache, d.h. „Wort für Wort", verarbeitet werden; nichtdekomponierbare Idiome sind vermutlich lexikalisiert (Gibbs et al. 1989b, vgl. dazu auch 7.1). Dekomponierbare Idiome werden schneller verarbeitet als nichtdekomponierbare Idiome (Gibbs et al.

77 1989c). Für die Verarbeitungsschnelligkeit ist der Dekompositionsstatus ausschlaggebender als die syntaktische Produktivität. Der Dekompositionsstatus eines Idioms kann demnach als wichtigster Faktor betrachtet werden, um das unterschiedliche Verhalten eines Idioms auf verschiedenen Dimensionen zu erklären. Andere mögliche Einflussfaktoren scheinen diesem nachgeordnet zu sein. Die folgende Abbildung 1 gibt einen Überblick über das Kontinuum mit den Endpunkten „dekomponierbar" und „nichtdekomponierbar". Die bisher diskutierten Faktoren lassen sich in Abhängigkeit zum Dekompositionsstatus des Idioms dort anordnen. Es ist zu beachten, dass die hier aufgeführten Faktoren von unterschiedlicher Qualität sind. Während es sich bei der Dekomponierbarkeit, der syntaktischen Produktivität und der lexikalischen Flexibilität um Eigenschaften von Idiomen handelt, die von Sprechern beurteilt werden, sind Transparenz (vgl. dazu vor allem 7.1.3.3) und Lexikalisierung Konstrukte, die eher auf einer theoretischen Ebene anzusiedeln sind. Die Verarbeitungsgeschwindigkeit schließlich stellt eine messbare Größe dar, die über Reaktionszeitmessungen ermittelt wird.

< dekomponierbar transparent syntaktisch produktiv lexikalisch flexibel Bedeutung nicht lexikalisiert schnelle Verarbeitung

> nichtdekomponierbar opak syntaktisch unproduktiv lexikalisch inflexibel Bedeutung lexikalisiert langsame Verarbeitung

Abbildung 1: Kontinuierlich verteilte Eigenschaften von Idiomen

3.2.1.1

Die Vereinbarkeit der Dekompositionshypothese mit existierenden Verarbeitungsmodellen

Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, inwieweit die Aussagen der Dekompositionshypothese mit denen der vier unter 3.1 beschriebenen Verarbeitungsmodelle vereinbar sind. Die Arbeiten von Gibbs und seinen Kollegen haben gezeigt, dass die Dekomponierbarkeit eine so zentrale Eigenschaft von Idiomen darstellt, dass Theorien zur Verarbeitung von Idiomen in der Lage sein müssen, diesen Aspekt abzubilden. Die drei Verarbeitungsmodelle der so genannten „ersten Generation" können im Grunde gar nicht mit den Annahmen der - zeitlich betrachtet später entwickelten - Dekompositionshypothese vereinbar sein, da alle drei davon ausgehen, dass Idiome in ihrer Bedeutung nichtkompositionell sind. Das bedeutet, dass Idiome mit kompositioneilen Anteilen, die in heutiger Terminologie als dekomponierbare oder anormal dekomponierbare Idiome bezeichnet werden, von vornherein vom Gültigkeitsbereich der drei Verarbeitungsmodelle ausgeschlossen sind. Trotzdem könnte versucht werden, im Nachhinein die Ergebnisse der Untersuchungen zur Idiomlistenhypothese (Bobrow und Bell 1973), zur lexikalischen Repräsentationshypothese (Swinney und Cutler 1979) und zur direkten Zugriffshypothese (Gibbs 1980) mit Unterschieden im Dekompositionsstatus und den damit einhergehenden

78 anderen Merkmalen der verwendeten Idiome zu erklären. Dies scheitert jedoch daran, dass Gibbs (1980) nicht angibt, welche Idiome er untersucht hat bzw. daran, dass für die wenigen von Bobrow und Bell sowie von Swinney und Cutler verwendeten Idiome keine Referenzwerte bezüglich des Dekompositionsstatus vorliegen, wie sie z.B. von Titone und Connine (1994a, vgl. 3.2.1.2) berichtet werden. Es bleibt demnach die Einschränkung bestehen, dass die drei Verarbeitungsmodelle nur im Hinblick auf eine bestimmte Untergruppe von Idiomen, die nichtdekomponierbaren, entwickelt wurden und demzufolge nicht geeignet sind, die Verarbeitungsmechanismen für alle Idiome zu erklären. Da die Konfigurationshypothese als einziges der vier Verarbeitungsmodelle ihre Annahmen so formuliert, dass die gesamte Gruppe der Idiome damit beschrieben werden kann, ist sie am ehesten mit den Aussagen der Dekompositionshypothese vereinbar. Eine Beeinträchtigung der Vereinbarkeit beider Hypothesen wurde von Gibbs et al. (1989c) für solche Idiome gesehen, die wörtlich nichtwohlgeformt sind, z.B. by and large oder crack a joke, da die Konfigurationshypothese davon ausgeht, dass die wörtliche Bedeutung der Konstituenten verarbeitet wird. Dieser Einwand ist zurückzuweisen, da auch die Konstituenten von wörtlich wenig sinnvollen Idiomen eine wörtliche Bedeutung haben, die demzufolge auch abgerufen werden kann. Der Einwand sollte dahingehend modifiziert werden, dass eher diejenigen Idiome für das Konfigurationsmodell problematisch sind, deren Konstituenten ausschließlich in idiomatischen Ausdrücken vorkommen und deshalb keine „eigene" wörtliche Bedeutung haben. Englische Beispiele für solche Ausdrücke sind at one feil swoop, a dab hand at, hale and hearty, kith and kin oder ofyore\ für das Deutsche ist z.B. Lug und Trug, Saus und Braus oder Fug und Recht zu nennen. Es ist zu beachten, dass es sehr wenige Idiome gibt, die solche „unikalen" Elemente enthalten. Wie auch die genannten Beispiele zeigen, ist deren Vorkommen in irreversiblen Binominalen häufiger. Gibbs et al. (1989c) schränken ihre Kritik am Konfigurationsmodell mit Verweis darauf ein, dass die Mehrheit der Idiome mit einer wenig sinnvollen wörtlichen Interpretation ihrer Beobachtung nach dekomponierbar ist und dass der Dekompositionsstatus auch für die Anwendbarkeit des Konfigurationsmodells entscheidender ist als das „Defizit" einer wenig sinnvollen wörtlichen Interpretation. Generell schließen sich also beide Ansätze nicht aus: For the most part, the idiom decomposition hypothesis is neutral with respect to whether or not understanders actually activate the „literal" senses of individual words during idiom processing. Our proposal simply argues that people recognize the individual parts of decomposable idioms as having independent, figurative meanings that contribute to an idiom's overall figurative interpretation. (Gibbs et al. 1989c: 589) Sowohl die Konfigurationshypothese als auch die Dekompositionshypothese stellen aktuelle, plausible und vor allem mehrfach empirisch bestätigte Annahmen zur Verarbeitung und zu Merkmalen von Idiomen dar. Zusätzlich sind beide Hypothesen miteinander vereinbar bzw. stellen sinnvolle Ergänzungen zu den Annahmen der jeweils anderen dar. Aus diesem Grund werden beide Hypothesen in den in Kapitel 5 und 6 diskutierten eigenen Untersuchungen als theoretische Grundlagen verwendet. Allerdings müssen dabei einige Modifikationen und Revisionen der Dekompositionshypothese berücksichtigt werden, die sich in weiteren empirischen Untersuchungen ergeben haben und die im nun folgenden Abschnitt diskutiert werden.

79 3.2.1.2

Bestätigungen, Modifikationen und Revisionen der Dekompositionshypothese

Die Analyse der Dekomponierbarkeit von Idiomen wurde in den 90er Jahren von vielen Autoren aufgegriffen und als valides Konstrukt akzeptiert (vgl. außer den Arbeiten von Gibbs und seinen Kollegen - z.B. Gibbs 1990, 1991, 1992, 1993, 1994a,b, 1995, Gibbs und Nayak 1991, Hamblin und Gibbs 1999 - vor allem die Sammelbände von Cacciari und Tabossi 1993 sowie Everaert, van der Linden, Schenk und Schreuder 1995, auch Cacciari und Glucksberg 1991, Connine, Blasko, Brandt und Layer 1992, Barkema 1993, 1996a,b, Titone und Connine 1994a,b, Geeraerts 1995, van de Voort und Vonk 1995, Cutting und Bock 1997 etc.). Es besteht allgemeine Übereinstimmung darin, dass ein sehr großer Teil von Idiomen dekomponierbar ist und dass damit die Bedeutung dieser Idiome zumindest teilweise kompositioneil ist. Das bedeutet, dass die Ergebnisse früherer Arbeiten, die davon ausgingen, Idiome seien inhärent nichtkompositionell, relativiert werden müssen. Da die Forschungsarbeiten von Gibbs und seinen Kollegen sehr umfassend sind und die Ergebnisse in vielen Studien bestätigt werden konnten, haben die meisten Autoren die Befunde übernommen und auf der Grundlage der Einteilung in dekomponierbare, anormal dekomponierbare und nichtdekomponierbare Idiome weitere Aspekte untersucht, z.B. das syntaktische oder semantische Verhalten. Die Präzisierung, die die Berücksichtigung des Dekompositionsstatus mit sich bringt, hat sich dabei positiv auf diese Befunde ausgewirkt. Es gibt einige wenige Arbeiten, die entweder im Hinblick auf die Erfassung oder die Benennung der Kategorien eine Abweichung von der Dekompositionshypothese darstellen. Andererseits können diese Arbeiten aber auch, aufgrund der Vergleichbarkeit der Ergebnisse, indirekt als Bestätigung der Befunde bzw. der Einteilung in die verschiedenen Dekompositionsklassen betrachtet werden. Zunächst werden zwei Arbeiten vorgestellt (van de Voort und Vonk 1995 sowie Cacciari und Glucksberg 1991), die Modifikationen der Kategorisierung vorgenommen haben. Im Anschluss werden zwei Untersuchungen diskutiert (Hamblin und Gibbs 1999 sowie Titone und Connine 1994a), die Revisionen der Dekompositionshypothese nahe legen. Dabei ist die Studie von Titone und Connine (1994a) von besonderer Relevanz für die in den Kapiteln 5 und 6 dargestellten eigenen Untersuchungen, da sie teilweise zu anderen Ergebnissen kommt als die Arbeiten von Gibbs et al. (1989a,b,c) und muttersprachliche Referenzwerte liefert, die als Grundlage des Vergleichs von Muttersprachlern und den für die vorliegende Arbeit befragten Nichtmuttersprachlern dienen. In Anlehnung an die Arbeiten von Geeraerts (1995) haben van de Voort und Vonk (1995) die Erhebung der Dekomponierbarkeit verändert und sind dadurch zu einer anderen Einteilung der Idiome gelangt. Die Ergebnisse stimmen demnach nicht in allen Teilen mit den Befunden und Vorhersagen von Gibbs und Kollegen (1989a,b,c) überein, sind aber dennoch grundsätzlich mit den Annahmen Uber die Dekomponierbarkeit von Idiomen zu vereinbaren. Vor allem bezüglich der Verarbeitung von Idiomen kommen die Autoren zu anderen Aussagen. 21 Van de Voort und Vonk (1995) erheben die Dekomponierbarkeit 21

Van de Voort und Vonk verstehen die Dekompositionshypothese fälschlicherweise als eine Theorie über die Verarbeitung von Idiomen. Gibbs et al. wollten jedoch vor allem Aussagen über den Zusammenhang von Dekomponierbarkeit und syntaktischer Produktivität treffen. Annahmen über die Konsequenzen des Dekompositionsstatus für die Verarbeitung von Idiomen werden in der Originalversion der Dekompositionshypothese lediglich am Rande geäußert.

80 einerseits über die so genannte motivatedness, andererseits über das Konzept der isomorphic ity. Dabei wird unter den Begriffen Folgendes verstanden: The motivatedness of an idiom is the extent to which a plausible relation can be found between the figurative meaning of the whole phrase and the literal meaning of its parts. [...] The isomorphicity of an idiom is the extent to which its figurative meaning can be distributed over its parts, (van de Voort und Vonk 1995: 287f.) Zur Verdeutlichung des Begriffes Isomorphizität kann ein Beispiel gegeben werden: Die Bedeutung des Idioms pop the question ist insofern isomorph, als hier die Bedeutung to make a marriage proposal eindeutig auf die Konstituenten verteilt werden kann: pop —> make, the question -> a marriage proposal. Vor allem die Komponente der Isomorphizität stellt eine Erweiterung des Konzepts von Gibbs und Nayak (1989: 108) dar, die zur Erhebung der Dekomponierbarkeit lediglich einschätzen ließen, „whether the individual components of each idiom made some unique contribution to the phrase's figurative paraphrase", was ungefähr dem Konzept der motivatedness entspricht. Durch ihre Operationalisierung kommen van de Voort und Vonk (1995: 288) zu vier Dekomponierbarkeitsgruppen. Den dekomponierbaren Idiomen entsprechen die Idiome, die übereinstimmend22 sowohl als isomorph als auch als motiviert beurteilt werden. Den nichtdekomponierbaren Idiomen entsprechen diejenigen, die auf beiden Dimensionen negativ bewertet werden. Die beiden Gruppen, die entweder auf der einen oder auf der anderen Dimension positiv oder negativ ausgeprägt sind, d.h. [+isomorph, -motiviert] bzw. [-isomorph, +motiviert], befinden sich auf dem Kontinuum zwischen den beiden Polen und entsprechen am ehesten der Klasse der anormal dekomponierbaren Idiome. Die Tatsache, dass Sprecher darüber Urteile abgeben können, bestätigt die von Gibbs et al. (1989a,b,c) gefundenen Kategorien und die psychologische Plausibilität des Konzeptes. Die von van de Voort und Vonk (1995) vorgeschlagenen Kategorien sind unter theoretischer Perspektive interessant, zur Verwendung bei der Erhebung von Sprecherurteilen scheinen sie jedoch zu komplex zu sein. Eine andere „Variante" der drei Abstufungen an Dekomponierbarkeit wird von Cacciari und Glucksberg (1991) vorgestellt, die unter Berücksichtigung der Befunde der Dekompositionshypothese und des Konfigurationsmodells einen Aspekt untersuchen, der in der bisherigen Diskussion vernachlässigt wurde, aber eng mit der Dekomponierbarkeit und syntaktischen Produktivität von Idiomen verbunden ist: die semantische Produktivität von Idiomen. Zusätzlich rücken die Autoren pragmatische, diskursorientierte Überlegungen in den Vordergrund und versuchen, diese mit den Beobachtungen zu verbinden, die z.B. von Gibbs und Kollegen im Zusammenhang mit dem grammatischen Verhalten der Idiome gemacht wurden. Die Erkenntnisse über die Dekomponierbarkeit von Idiomen und die damit einhergehende syntaktische und semantische Flexibilität machen Forschungen zur semantischen Produktivität erforderlich. Cacciari und Glucksberg (1991) definieren den Begriff der semantischen Produktivität wie folgt:

22

Die Autoren verwenden das 75%-Übereinstimmungskriterium; das bedeutet, dass mindestens 75% der Probanden in ihrer Einschätzung des jeweiligen Idioms übereinstimmen. Dieses Kriterium hat sich als reliabel erwiesen und wurde auch in den in Kapitel 5 und 6 vorgestellten Untersuchungen verwendet.

81 Semantic productivity is the use of lexical and syntactic Operations to create new idiomatic

meanings from old ones. [...] Semantic productivity is the ability of people to create new idiomatic meanings by changing various aspects of an idiom's individual elements. (Cacciari und Glucksberg 1991: 223) Bisherige Studien über die lexikalische Flexibilität von Idiomen haben untersucht, inwieweit diese ihre figurative Bedeutung behalten, wenn eine Konstituente gegen eine andere ausgetauscht wird. Nicht berücksichtigt wurde hingegen, inwieweit sich die figurative Bedeutung verändern kann und trotzdem noch als idiomatisch empfunden wird bzw. welche kontextuellen oder kommunikativen Aspekte bei der Veränderung eine Rolle spielen. In diesem Zusammenhang wäre auch der Einfluss konzeptueller Faktoren zu nennen; dieser Aspekt wird allerdings auch von Cacciari und Glucksberg (1991) vernachlässigt (vgl. aber 7.2). Semantisch produktive Operationen haben eine besondere kommunikative Funktion, die vom Sprecher bewusst eingesetzt wird. Cacciari und Glucksberg (1991) zeigen am Beispiel von Idiomen, die sie als nichtdekomponierbar identifiziert haben, dass auch diese Idiome semantisch produktiv, d.h. lexikalisch und syntaktisch veränderbar sind. Daraus folgern die Autoren, dass die semantische Produktivität unabhängig sowohl von syntaktischer als auch von lexikalischer Flexibilität sein kann. Eine empirische Überprüfung dieser Annahme konnte zeigen, dass Sprecher von kontextuell eingebetteten, semantisch veränderten Idiomen, z.B. He has three lefi feet, sinnvolle Paraphrasen bilden konnten, d.h. keine Probleme hatten, die veränderten Idiome zu verstehen. Darüber hinaus waren die Paraphrasen aller Probanden sehr ähnlich, d.h. die Veränderung des Idioms evozierte eine relativ eindeutige Modifikation der ursprünglichen idiomatischen Bedeutung. Die Autoren sehen dadurch ihre Annahme bestätigt, dass Idiome zumindest in entsprechendem Kontext semantisch produktiv sind und dass die Flexibilität und Produktivität eines Idioms durch die funktionalen Relationen zwischen seinen Konstituenten und der idiomatischen Bedeutung gesteuert werden. Cacciari und Glucksberg (1991) gehen davon aus, dass lexikalische Substitution, syntaktische Operationen oder semantische Produktivität immer dann möglich sind, wenn die funktionalen Relationen erhalten bleiben und wenn die Veränderungen für den Hörer motiviert sind, d.h. erkennbar und nachvollziehbar einem Diskursziel dienen. Das bedeutet, dass sowohl die interne Semantik des Idioms als auch der Diskurskontext die funktionalen Determinanten der Verwendung und der Variation des Idioms darstellen. Die Diskursproduktivität ist demnach ein entscheidender Faktor für die Zulässigkeit der semantischen Veränderungen. Auf der Grundlage dieser Betrachtungen entwickeln die Autoren eine funktionale Typologie englischer Idiome, die sich zwar terminologisch, aber nicht grundlegend von der „Typologie" der dekomponierbaren, anormal dekomponierbaren und nichtdekomponierbaren Idiome von Gibbs et al. unterscheidet. Sie ist besonders deshalb interessant, weil sie die beiden Faktoren Dekomponierbarkeit und Transparenz / Opakheit zu integrieren versucht (vgl. dazu 7.1.3.3) und gleichzeitig Aussagen über die mentale Repräsentation von Idiomen trifft (vgl. Kapitel 7). Die einzelnen Kategorien der Typologie geben an, inwiefern sich die Idiome unterscheiden, die bezüglich ihrer semantischen und syntaktischen Flexibilität sowie Produktivität variieren. Die Ergebnisse des Konfigurationsmodells sowie der Dekompositionshypothese berücksichtigend, bietet sich zunächst eine Unterteilung der Idiome in zwei Klassen an, die

82 der nichtanalysierbaren, bei denen keine Beziehung zwischen den einzelnen Konstituenten und der Bedeutung des Idioms besteht, im Folgenden als „Typ N" bezeichnet, und die der analysierbaren, bei denen eine solche Beziehung besteht und die „Typ A" genannt werden. Letztere werden nochmals gemäß ihrer Transparenz bzw. Opakheit unterschieden. Davon wird noch ein dritter Typ M abgegrenzt. Typ N-Idiome, wie z.B. by and large, spie and span, sind weder semantisch noch lexikalisch flexibel und demzufolge auch unproduktiv im Diskurs. Idiome dieses Typs sollten als spezielle lexikalische Einträge behandelt werden, ähnlich wie lange Wörter. Die Autoren schränken jedoch ein, dass es reine Typ N-Idiome wahrscheinlich nicht gibt, da in der Regel zumindest eine Konstituente modifiziert werden kann. So ist z.B. bei entsprechendem Kontext die Modifikation by and not-so-large durchaus denkbar und verständlich (Cacciari und Glucksberg 1991: 231). Typ A-Idiome werden in verschiedene Untergruppen aufgeteilt, je nachdem, wie die wörtliche Bedeutung auf die figurative Bedeutung des Idioms übertragbar ist. Ein Beispiel für den Typ AO, Analysierbar-Opak, ist kick the bucket. Die Wortbedeutung der einzelnen Konstituenten lässt keinen transparenten Rückschluss auf die Bedeutung des Idioms zu. Beim Typ AT, Analysierbar-Transparent, gibt es semantische Relationen zwischen den Konstituenten des Idioms und den Komponenten der idiomatischen Bedeutung, was durch metaphorische Verbindungen der Konstituenten und der Bedeutung zustande kommt. Beispiele sind break the ice oder spill the beans. In diese Kategorie fallen sowohl normal als auch anormal dekomponierbare Idiome, woran deutlich wird, dass Cacciari und Glucksberg den Faktor Transparenz bzw. Opakheit dem der Dekomponierbarkeit überordnen. Bestimmende Faktoren für die Zulässigkeit von Veränderungen von analysierbaren Idiomen sind die folgenden: Any operations that (a) respect the semantics of each element, (b) preserve the relationship between the idiom's elements and meaning components, and (c) respect the idiom meaning itself should be acceptable and interpretable provided that a reasonable communicative intent can be inferred. Lexical substitutions should be acceptable if they satisfy these conditions. [...] Lexical variants that violate the conditions specified above should be considered unacceptable. (Cacciari und Glucksberg 1991: 234) Für syntaktische Veränderungen gilt das Gleiche: Sowohl die semantischen als auch die pragmatischen Aspekte des Idioms müssen durch die Modifikation bewahrt bleiben, damit die veränderte Bedeutung akzeptabel ist. Der Grund und die Angemessenheit der Veränderung im Kontext muss für den Hörer erkennbar sein. Der letzte Typ wird als Typ M, Quasi-Metaphorisch, bezeichnet. Er wird folgendermaßen beschrieben: „In these idioms the literal referent of the idiom is itself an instance of the idiomatic meaning." (Cacciari und Glucksberg 1991: 230). Als Beispiel wird carry coals to Newcastle angeführt. Das Idiom stellt ein prototypisches Beispiel dar für etwas, das an einen Ort gebracht wird, obwohl es dort schon in großer Menge vorhanden ist. Idiome des Typs M haben eine ähnlich kommunikative Funktion wie Metaphern, bei denen das Vehikel als ideales Beispiel der metaphorischen Kategorie dient, wie in My surgeon was a butcher. Die lexikalische Flexibilität von Typ M-Idiomen ist sehr beschränkt. Die Substitution einer Konstituente ist dann akzeptabel, wenn ihre Bedeutung mit der ursprünglichen in

83 engem Zusammenhang steht. Erlaubte syntaktische Operationen müssen durch den Diskurs motiviert und im Kontext interpretierbar sein. Was die Verarbeitungsstrategien von Idiomen angeht, so sehen Cacciari und Glucksberg ihre Typologie im Einklang mit den Vorhersagen der Konfigurationshypothese, d.h. dass Idiome den gleichen allgemeinen syntaktischen und semantischen Verarbeitungsstrategien unterliegen wie wörtliche Sprache. Das bedeutet gleichzeitig, dass die wörtliche Bedeutung eines Idioms immer generiert und auch - wenn möglich - angewendet wird. 23 Die Kategorisierungen von Cacciari und Glucksberg sind umfassender als die von Gibbs und Kollegen, aber durchaus mit diesen kompatibel. Die Typ N-Idiome von Cacciari und Glucksberg entsprechen der Gruppe der nichtdekomponierbaren Idiome von Gibbs, Typ A entspricht der Gruppe der dekomponierbaren. Die Idiome des Typs AO sind mit den anormal dekomponierbaren zu vergleichen, die des Typs AT mit den normal dekomponierbaren. Der Typ M in der Typologie von Cacciari und Glucksberg ist eher als eine zusätzliche Kategorie zu verstehen, die sich mehr auf Metaphern als auf Idiome bezieht und insofern nicht direkt mit Gibbs Einteilung vergleichbar ist. Obwohl die gleichzeitige Berücksichtigung von Transparenz und Dekomponierbarkeit einerseits begrüßenswert ist, ist sie andererseits gerade im Zusammenhang mit Sprecherurteilen nicht angebracht (vgl. dazu 7.1.3.3). Deshalb wird im Rahmen der eigenen Untersuchungen (vgl. Kapitel 5 und 6) nicht von Cacciaris und Glucksbergs Typologie Gebrauch gemacht, sondern auf Gibbs Kategorien der Dekomponierbarkeit zurückgegriffen. Die bisherigen Ausführungen haben verdeutlicht, dass das theoretisch postulierte Konstrukt der Dekomponierbarkeit von Idiomen theoretisch valide und psychologisch plausibel ist. Sprecher haben mehr oder weniger übereinstimmende Intuitionen über die Dekomponierbarkeit von Idiomen. Der Dekompositionsstatus wiederum erklärt auf systematische Weise deren syntaktisches und lexikalisches Verhalten. Zum Abschluss der Ausfuhrungen über die Dekompositionshypothese werden zwei Arbeiten vorgestellt, die nahe legen, bestimmte Revisionen an einigen Aussagen der Dekompositionshypothese vorzunehmen. Es sind dies einerseits Befunde zu nichtdekomponierbaren Idiomen (Hamblin und Gibbs 1999) und andererseits Urteile zur Einteilung in dekomponierbare, anormal dekomponierbare und nichtdekomponierbare Idiome (Titone und Connine 1994a), die nur bedingt mit denen von Gibbs und Kollegen übereinstimmen. Hamblin und Gibbs (1999) konnten zeigen, dass - entgegen den bisherigen Annahmen die Bedeutungen der einzelnen Konstituenten von nichtdekomponierbaren Idiomen zur Gesamtbedeutung des Idioms beitragen können. Diese Beobachtung impliziert, dass auch nichtdekomponierbare Idiome keine völlig fixierten Einheiten sind, sondern, wie dekomponierbare oder anormal dekomponierbare Idiome, ein gewisses Maß an lexikalischer Flexibilität sowie syntaktischer und semantischer Produktivität erlauben (vgl. dazu Cacciari und Glucksberg 1991).

23

Im Fall der nichtanalysierbaren Idiome macht die Anwendung der wörtlichen Bedeutung der Konstituenten keinen Sinn, so dass die Suche nach der wörtlichen Bedeutung nicht erfolgreich ist und das Verstehen des Idioms verzögern kann, was die langsamere Verarbeitung von nichtdekomponierbaren, i.e. nichtanalysierbaren, Idiomen erklärt.

84 Hamblin und Gibbs (1999) untersuchten verbale Idiome und haben in drei Experimenten die Hypothese getestet, dass die wörtliche Bedeutung des Verbs die figurative Gesamtbedeutung der Phrase beeinflusst. Dazu wurde in einer Vorstudie erhoben, welches Adverb die Aktivität, die in einem Verb ausgedrückt wird, besonders gut modifizieren kann. Die Probanden konnten dabei zwischen zwei Alternativen wählen. Die von der Mehrheit präferierte Modifikation wurde als „konsistent" mit der Bedeutung des Verbs eingestuft, die andere als „inkonsistent". Die Adverbien wurden später den Paraphrasen der Idiome hinzugefügt, so dass sich als konsistente Paraphrase von z.B. kick the blicket to die quickly ergab, als inkonsistente Paraphrase to die slowly (vgl. Hamblin und Gibbs 1999: 28). Unabhängig davon, ob die Idiome nur mit variierter Paraphrase dargeboten wurden oder ob die Idiome in den Kontext einer kurzen Geschichte eingebettet waren, deren Inhalt entweder konsistent oder nicht konsistent mit dem Idiom war, schätzten die Probanden jeweils die konsistente Variante als angemessener ein. Diese Präferenz erklärt sich daraus, dass Sprecher offensichtlich die Bedeutung des idiomatischen Verbs „analysieren" - dekomponieren bzw. verarbeiten - und Adverbien bzw. Kontexte, die dazu nicht passen, als verwirrend empfinden und zurückweisen. In einem dritten Experiment wurde die lexikalische Flexibilität der nichtdekomponierbaren Idiome untersucht. Dazu wurde das Verb des Idioms entweder durch in der Bedeutung ähnliche oder unähnliche Verben substituiert. Pull someone 's leg wurde so beispielsweise zu jerk someone 's leg bzw. Stretch someone 's leg oder chew the fat wurde verändert in gnaw the fat bzw. chomp the fat. Die Aufgabe der Probanden bestand darin, die Ähnlichkeit der substituierten Varianten mit der Originalbedeutung des Idioms einzuschätzen. Die Substitute mit ähnlichen Verben schnitten dabei besser ab als die unähnlichen. Die lexikalische Flexibilität, die dadurch auch für nichtdekomponierbare Idiome bestätigt wird, wurde bisher als eine Eigenschaft betrachtet, die nur auf dekomponierbare Idiome zutrifft. Die Bedeutung nichtdekomponierbarer Idiome ist demzufolge auch anhand der Semantik der einzelnen Konstituenten nachzuvollziehen und damit analysierbar, d.h. dekomponierbar. Die Studie von Hamblin und Gibbs (1999) ist die erste und bisher einzige Untersuchung, die zeigt, dass auch im Fall der nichtdekomponierbaren Idiome die Bedeutungen der Konstituenten einen Einfluss auf die Gesamtbedeutung nehmen und dass daraus eine lexikalische Flexibilität folgt. Betrachtet man die Ergebnisse im Hinblick auf die Verarbeitung von Idiomen, können sie als eine weitere Bestätigung der Konfigurationshypothese gewertet werden. Wie in diesem Modell angenommen, bis zur Studie von Hamblin und Gibbs (1999) aber nicht explizit bestätigt, werden offensichtlich auch im Falle der nichtdekomponierbaren Idiome die wörtlichen Bedeutungen der Konstituenten aktiviert. Demnach können Sprecher beim Verarbeitungsprozess die wörtlichen Bedeutungen der Konstituenten nicht ignorieren, auch dann nicht, wenn diese, wie bei nichtdekomponierbaren Idiomen, wenig zur figurativen Gesamtbedeutung beitragen.24 Es bleibt festzuhalten, dass durch die Befunde von Hamblin und Gibbs (1999) der graduelle Charakter des Konstrukts Dekomponierbarkeit unterstrichen wird. Auf nichtdekom-

24

Generell sollte beachtet werden, dass aufgrund der geringen Stichprobengröße und der relativ kleinen Anzahl der verwendeten Idiome in der Studie von Hamblin und Gibbs (1999) zu sehr verallgemeinernde Aussagen vermieden werden sollten. Auf dem Gebiet der nichtdekomponierbaren Idiome besteht noch Forschungsbedarf.

85 ponierbare Idiome können unter bestimmten Bedingungen Prozesse applizieren, die normalerweise eher für Idiome am anderen Ende des Kontinuums Gültigkeit haben. Das zeigt, wie wichtig es ist, Verarbeitungsmodelle so flexibel zu formulieren, dass sie dieses Kontinuum abbilden können. Ein solches Modell wird in Kapitel 7 vorgestellt. Die Ausführungen zur Dekompositionshypothese abschließend wird nun eine Studie von Titone und Connine (1994a) vorgestellt, die für die in den Kapiteln 5 und 6 dargestellten Untersuchungen von besonderer Bedeutung ist, da sie einerseits die dort zum Vergleich verwendeten muttersprachlichen Dekompositionsurteile liefert, andererseits bezüglich der Urteile zu teilweise anderen Ergebnissen kommt als Gibbs und Nayak (1989) und insofern eine erneute Überprüfung (vgl. Kapitel 5 und 6) erforderlich macht. Titone und Connine (1994a) listen Normwerte für 171 Idiome auf, die sie nach familiarity, compositionality, predictability und literality von einer repräsentativen Sprechergruppe einschätzen ließen. Die Bereitstellung von Normwerten ist zur Kontrolle des Datenmaterials zukünftiger empirischer Untersuchungen unerlässlich, wird jedoch nur selten vorgenommen (für nichtmuttersprachliche Normwerte vgl. Kapitel 5 und 6). In Anlehnung an Nunberg (1978) und die Arbeiten von Gibbs et al. (1989a,b,c) wird der Begriff compositionality wie folgt definiert: „[...] the way in which the literal meanings of their [i.e. the idioms'] word constituents contribute (or do not contribute) to the overall idiomatic interpretation of the phrase [...]." (Titone und Connine 1994a: 251). Da die Autorinnen die Ergebnisse von Gibbs und seinen Kollegen replizieren wollten, übernahmen sie zur Erhebung des Dekompositionsstatus das Vorgehen aus den Untersuchungen von Gibbs und Nayak (1989) sowie von Gibbs, Nayak und Cutting (1989). In einem ersten Schritt sollten die Probanden entscheiden, ob ein Idiom dekomponierbar oder nichtdekomponierbar ist. Danach sollten sie die Idiome der ersten Gruppe weiter differenzieren und sie in normal dekomponierbare und anormal dekomponierbare einteilen. Das Ergebnis der Dekompositionseinschätzung der Sprecher von Titone und Connine (1994a) weicht erheblich von dem ab, das Gibbs et al. berichtet haben. Absolut betrachtet wählten die Probanden von Titone und Connine die Kategorie „nichtdekomponierbar" in 58,1% der Fälle, die Kategorie „dekomponierbar" in 41,9% der Fälle.25 Insgesamt wurden unter dem 75%-Übereinstimmungskriterium 61 Idiome als nichtdekomponierbar eingestuft, 26 als dekomponierbar. Das entspricht, bezogen auf 171 Idiome, einem Prozentsatz von 35,7% bzw. 15,2%. Nur 4% der insgesamt 171 untersuchten Idiomen wurden als anormal dekomponierbar eingestuft. Die von Gibbs und Kollegen befragten Personen verteilten die Idiome im Gegensatz dazu eher gleichmäßig auf die drei Kategorien dekomponierbar, anormal dekomponierbar und nichtdekomponierbar, so dass in die Oberkategorie „dekomponierbar", wozu die anormal dekomponierbaren gerechnet werden, 60% der Idiome fielen; 30% wurden als nichtdekomponierbar und 8% als nicht kategorisierbar eingestuft. Diese gleichmäßige Verteilung bzw. die Präferenz für die Oberkategorie „dekomponierbar" ist wahrscheinlich auf die Präselektion des Datenmaterials zurückzuführen, die von Gibbs und Kollegen unzulässigerweise vorgenommen und auf die bereits kritisierend hingewiesen wurde (vgl. 3.2.1). Die 25

Gibbs et al. (1989a,b,c) liefern keine absoluten Werte für die Einteilung der Idiome in die drei Kategorien.

86 Autoren haben ihre Ergebnisse jedoch nie darauf zurückgeführt, sondern immer postuliert, dass das ausgewogene Ergebnis die „natürliche" Verteilung der Idiome auf die verschiedenen Dekompositionsklassen widerspiegelt. Um weitere Evidenz für ihre asymmetrische Verteilung zu finden, führten Titone und Connine (1994a) eine Zusatzstudie zur Dekomponierbarkeit von Idiomen durch. Sie fanden den von ihnen beobachteten Trend bestätigt; die Testpersonen stuften weiterhin die Idiome eher als nichtdekomponierbar ein, so dass die Autorinnen schlussfolgern: This comparison reflects the overall trend for subjects to rate idioms as nondecomposable and shows a certain amount of consistency for these ratings across different groups of subjects and differing instructions. (Titone und Connine 1994a: 260) Damit bestehen Widersprüche zwischen den Befunden von Titone und Connine und denen von Gibbs und Kollegen, die bis dato nicht überprüft wurden. Dies wird in den hier dargestellten eigenen Untersuchungen (vgl. Kapitel 5 und 6) geleistet. Durch die Überprüfung an einer anderen Sprechergruppe werden dabei gleichzeitig zusätzliche Erkenntnisse gewonnen, die die Formulierung eines integrativen Modells der Repräsentation von Idiomen ermöglichen (vgl. Kapitel 7). Der vorangegangene Abschnitt hat das Konzept der Dekomponierbarkeit in seinen verschiedenen Ausprägungen und die dazu durchgeführten Untersuchungen vorgestellt. Es wurde gezeigt, dass einerseits die Kategorisierung der Idiome in verschiedene Dekompositionsgruppen ein theoretisch valides und psychologisch plausibles Konstrukt ist, andererseits aber divergierende Befunde existieren, die einer Klärung bedürfen. Im nächsten Unterkapitel wird ein Faktor diskutiert, der - ähnlich wie die Dekomponierbarkeit - entscheidenden Einfluss auf die Verarbeitung und Repräsentation von Idiomen nimmt: der Bekanntheitsgrad des Idioms.

3.2.2

Der Bekanntheitsgrad

Im Folgenden wird der im Englischen verwendete Begriff familiarity mit „Bekanntheitsgrad" übersetzt. Wie im Zusammenhang mit dem in der vorliegenden Arbeit entwickelten Modell zur lexikalischen und konzeptuellen Repräsentation von Idiomen deutlich wird (vgl. Kapitel 7), ist es wichtig, den Faktor Bekanntheitsgrad von dem der Frequenz abzugrenzen, da damit unterschiedliche Sachverhalte bezeichnet werden (vgl. 7.1.3.4). Dies wird jedoch häufig versäumt. In der einschlägigen Literatur wird der Bekanntheitsgrad eines Idioms häufig über seine Frequenz, also die Auftretenshäufigkeit des Idioms bzw. seiner Konstituenten, definiert, teilweise aber auch über das Ausmaß, in dem die Bedeutung eines Idioms verstanden werden kann oder bekannt ist: Familiarity has been defined as the frequency with which a listener or reader encounters a word in its written or spoken form (Gernsbacher, 1984) and the degree to which the meaning of a word is well known or easily understood (Nusbaum, Pisoni, und Davis, 1984). (Titone und Connine 1994: 250) Die hier deutlich werdende synonyme Verwendung der Begriffe Frequenz und Bekanntheitsgrad ist einerseits unter dem Aspekt zu rechtfertigen, dass Sprecher wahrscheinlich

87 kaum in der Lage sind, bei ihren Einschätzungen zwischen der „objektiven" Auftretenshäufigkeit eines Idioms und seinem subjektiven Bekanntheitsgrad zu unterscheiden. Abgesehen davon liegen zur Bestimmung einer objektiven Auftretenshäufigkeit von Idiomen bis heute keine reliablen Zahlen vor. Wie in 7.1.3.4 ausführlich dargestellt wird, gibt es zwar Frequenzanalysen fur einzelne Wörter (vgl. z.B. Kucera und Francis 1967), nicht aber für Idiome. Andererseits ist es aus theoretischer Perspektive wichtig, die beiden Faktoren zu unterscheiden. In der vorliegenden Arbeit wird die Position vertreten, dass die Frequenz als linguistisch relevanter Faktor betrachtet werden sollte, der sich auf die lexikalische Repräsentation auswirkt, während das Urteil über den Bekanntheitsgrad wahrscheinlich auch durch extralinguistische Faktoren beeinflusst werden kann, die auf der konzeptuellen Ebene anzusiedeln sind. So könnte das Urteil über den Bekanntheitsgrad die „Vertrautheit" mit relevanten zugrunde liegenden Konzepten widerspiegeln. Da diese zusätzliche Dimension in den in diesem Abschnitt diskutierten Arbeiten keine Rolle spielt, wird die Notwendigkeit nicht deutlich, die beiden Faktoren Frequenz und Bekanntheitsgrad zu unterscheiden (vgl. dazu 7.1.3.4, 7.2). Im Folgenden werden drei Studien diskutiert (Schweigert 1986, 1991, Schweigert und Moates 1988), in denen der Einfluss des Bekanntheitsgrades der figurativen Interpretation eines Idioms auf seine Verarbeitung untersucht wurde. Ziel dieser Arbeiten war es, über die Kontrolle des Faktors Bekanntheitsgrad Evidenz für die eine oder andere der unter 3.1 diskutierten Verarbeitungshypothesen liefern zu können. In den experimentellen Studien der 70er und frühen 80er Jahre wurde es versäumt, den Bekanntheitsgrad der in den Untersuchungen verwendeten Idiome zu kontrollieren. Darin sieht Schweigert einen Hauptgrund für die widersprüchlichen Ergebnisse dieser Zeit. Schweigert unterscheidet zunächst mehrere Bekanntheitsgrade und definiert die Begriffe highly familiar, less familiar bzw. unfamiliar idiom wie folgt: A highly familiar idiom [...] is likely to befrequentlyencountered, used most often in its idiomatic sense [...]. A less familiar idiom [...] is likely to be infrequently encountered and may be more frequently used in its literal sense than would a familiar idiom. [...] A less familiar idiom is recognizable as an idiom and the person has stored an idiomatic meaning for that idiom, but the person may seldom encounter the phrase. An unfamiliar idiom is not recognized by a person as an idiom and thus has no idiomatic meaning for that person. (Schweigert 1986: 34f.) In Abhängigkeit zum Bekanntheitsgrad überprüfte Schweigert (1986) die Lesezeit und den Zugriff auf die idiomatische Lesart von Idiomen. Ihre Hypothese war, dass die Lesezeit kürzer und der Zugriff schneller ist, je bekannter das Idiom ist. Die Idiome wurden eingebettet in drei verschiedene Satztypen präsentiert: einen Typ, der die wörtliche Lesart des Idioms fördern sollte, einen, der eher die idiomatische Lesart initiierte und einen, bei dem gleichermaßen beide Lesarten angemessen waren. Die Ergebnisse bestätigten die Hypothesen. Sätze, die weniger bekannte Idiome enthielten, wurden signifikant langsamer gelesen als Sätze, in denen bekannte Idiome vorkamen. Dieser Bekanntheitsgradeffekt wurde allerdings sowohl für die Sätze gefunden, die eine wörtliche Lesart initiierten als auch für die, die eher eine idiomatische Lesart hervorriefen. Dieser Befund steht zunächst Gibbs' (1980) Beobachtungen entgegen, dass die idiomatische Lesart von Idiomen schneller erfasst werden kann als deren wörtliche Lesart. Diesen Unterschied führt Schweigert (1986: 39) je-

88 doch nicht auf grundsätzliche, sondern lediglich auf methodische Unterschiede bei der Durchführung ihrer und der Studie von Gibbs zurück. Denn im Vergleich mit den Verarbeitungsmodellen von Bobrow und Bell (1973) sowie Swinney und Cutler (1979) ist die direkte Zugriffshypothese von Gibbs (1980) angesichts der von Schweigert gefundenen Daten am geeignetsten, ihre Befunde zu erklären. Für weitere Forschung entscheidend ist, dass der Bekanntheitsgrad eines Idioms Einfluss auf die Lesezeit nimmt und somit in Untersuchungen zur Verarbeitung von Idiomen stets berücksichtigt werden sollte. Kritisch bleibt anzumerken, dass Schweigert die Auswahl der von ihr verwendeten Idiome nur im Hinblick auf deren Bekanntheitsgrad, nicht jedoch auf syntaktische oder lexikalische Merkmale kontrolliert hat.26 So finden sich unter den bekannten Idiomen so heterogene wie ort the other hand, hit the road oder burned out, bei den unbekannten z.B. asleep at the switch, know which side his bread is buttered on oder upset the applecart. Darüber hinaus wurde zwar die Silbenanzahl in den verschiedenen Satztypen - wörtliche Lesart, idiomatische Lesart, beide Lesarten - konstant gehalten, nicht aber die Position der Idiome, was unter Umständen zu verschiedenen Lesezeiten gefuhrt haben könnte.27 In einer weiteren Studie konnten Schweigert und Moates (1988) die Ergebnisse von Schweigert (1986) bestätigen. Den Probanden wurden wiederum Sätze präsentiert, die eine wörtliche oder idiomatische Lesart von bekannten Idiomen induzierten. Dabei ging der Hälfte der Idiomsätze eine kurze Geschichte voran, die den Satz, der jeweils für 100 Millisekunden auf dem Bildschirm gezeigt wurde, in einen adäquaten Kontext einbettete. Gemessen wurde, wie häufig ein Satz präsentiert werden musste, damit der Proband alle Wörter laut vorlesen konnte; der Durchschnitt bei solchen Aufgaben liegt ungefähr bei ein bis zwei Wörtern pro 100 ms. Die Anzahl der benötigten Präsentationen wurde als Index für die Komplexität der Verarbeitung gewertet, die erwartungsgemäß in Abhängigkeit zur Lesart- und Kontextbedingung variieren sollte. Zusätzlich wurde mit einigen der Testpersonen am darauf folgenden Tag ein cued reca//-Gedächtnistest durchgeführt. Überprüft werden sollte der von Gibbs (1980) beschriebene so genannte double-take effect. Gibbs geht davon aus, dass Idiome, die in einer wörtlichen Lesart verwendet werden, zunächst — wie es die direkte Zugriffshypothese vorhersagt - idiomatisch verarbeitet werden, diese Interpretation aber als nicht adäquat zurückgewiesen werden muss. Als Konsequenz wird dann auf eine wörtliche Interpretation zugegriffen. Dieser zusätzliche „Verarbeitungsaufwand", den die wörtliche Lesart verursacht, führt im nachfolgenden cued reca//-Gedächtnistest zu einer besseren Wiedergabeleistung. Die Ergebnisse zeigen, dass generell ein entsprechender Kontext die Lesegeschwindigkeit erhöht, d.h. dass Idiome in isolierten Sätzen mehr Präsentationen benötigen, um gelesen werden zu können, als Idiome, die im Anschluss an eine kurze Geschichte gezeigt werden. Idiome mit einer wörtlichen Lesart benötigen mehr Präsentationen als Idiome mit idiomatischer Lesart oder Kontrollsätze; dieser Effekt war im durchgeführten Experiment unabhängig von den Kontextbedingungen. An Idiome mit wörtlicher Lesart konnten sich 26 27

Da das Konzept der Dekomponierbarkeit erst seit 1989 berücksichtigt wird, konnte Schweigert mögliche Interkorrelationen dieser beiden Faktoren nicht kontrollieren. Zur Verdeutlichung sei ein Beispiel der verwendeten Sätze gegeben (Schweigert 1986: 37): The coast is clear today with sunny skies and no chance of rain (wörtliche Lesart); The burglar waits anxiously for the sign that the coast is clear (idiomatische Lesart); They will call to see if the coast is clear today for the trip (beide Lesarten).

89 die Probanden im cued recall-Test besser erinnern als an Idiome mit idiomatischer Lesart, was die Befunde und Annahmen der direkten Zugriffshypothese und den double-take effect (Gibbs 1980) bestätigt. In einer dritten Studie (Schweigert 1991), die ähnlich aufgebaut und durchgeführt wurde wie die von Schweigert und Moates (1988), konnte im Gegensatz zu den beiden anderen, oben diskutierten Untersuchungen die direkte Zugriffshypothese (Gibbs 1980) nicht bestätigt werden. Deshalb und aufgrund der im Allgemeinen heterogenen Datenlage kommt Schweigert (1991: 313) zu dem Schluss, dass keine der bis dahin bekannten Hypothesen über die Verarbeitung von Idiomen, weder die Idiomlistenhypothese - wörtliche Verarbeitung zuerst - , noch die lexikalische Repräsentationshypothese - parallele Verarbeitung von wörtlicher und idiomatischer Bedeutung - , noch die direkte Zugriffshypothese - idiomatische Verarbeitung zuerst - zutreffend ist. Stattdessen schlägt Schweigert vor, Verarbeitungsunterschiede von Idiomen mit Hilfe des Bekanntheitsgrades zu erklären. Dabei solle der Faktor Bekanntheitsgrad als Kontinuum betrachtet werden. Für Idiome, die am Ende „weniger bekannt" liegen, wird demnach primär die wörtliche Bedeutung aktiviert und erst bei Bedarf die figurative. Vielleicht laufen auch beide Prozesse gleichzeitig ab, wobei die wörtliche Interpretation in diesem Falle schneller verfügbar wäre. Am anderen Ende des Kontinuums wird zuerst die figurative Bedeutung verarbeitet und die wörtliche erst dann, wenn es erforderlich ist. Eventuell werden auch beide Bedeutungen parallel verfügbar gemacht, aber die wörtliche, die in diesem Fall weniger wahrscheinlich erscheint, müsste konsistent mit den Befunden von z.B. Gibbs (1980), Mueller und Gibbs (1987), Schweigert und Moates (1988) - mehr Zeit in Anspruch nehmen. Die Idiome, die in der Mitte des Kontinuums liegen, weisen wahrscheinlich keine Verarbeitungsunterschiede zwischen ihrer wörtlichen und figurativen Interpretation auf, was die Befunde von Estiii und Kemper (1982) und auch Schweigert (1986) erklären könnte. Eine abschließende Betrachtung der wenigen Arbeiten, die zum Bekanntheitsgrad vorliegen und die oben diskutiert wurden, macht deutlich, dass dieser Faktor eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Idiomen spielt. Allerdings ist noch nicht endgültig geklärt, was genau ein Urteil über den Bekanntheitsgrad impliziert und wie der Bekanntheitsgrad von dem Faktor Frequenz abzugrenzen ist (vgl. dazu 7.1.3.4). Die Vorteile von Schweigerts (1991) Annahme eines Bekanntheitsgradkontinuums sind ebenso offensichtlich wie die Annahme von Gibbs et al. (1989a,b,c) in Bezug auf die Dekomponierbarkeit: Die heterogene Befundlage der bisher existierenden Studien kann nun darauf zurückgeführt werden, dass die verschiedenen Autoren Idiome verwendeten, die sich auf den Kontinua unterschiedlich verteilen. Je nachdem, an welchem Punkt auf dem Kontinuum das jeweilige Idiom angesiedelt ist, unterscheidet sich die Art seiner Verarbeitung. Reanalysen des Datenmaterials könnten hier wertvolle Aufschlüsse liefern, sind aber in vielen Fällen nicht möglich, da oft - vor allem in den früheren Studien der 70er und 80er Jahre - nicht angegeben wird, welche Idiome genau verwendet wurden. Da mit fortschreitender Forschung immer deutlicher wurde und wird, dass die Auswahl und Kontrolle des Datenmaterials - vor allem hinsichtlich der oben genannten Faktoren - entscheidend für die Reliabilität der Ergebnisse ist, finden sich in den 90er Jahren vermehrt Studien, die in repräsentativen Untersuchungen versucht haben, „Normwerte" verschiedener Idiome auf unterschiedlichen Dimensionen zu bestimmen. Schweigert und Cronk (1992) legen solche

90 Listen für den Bekanntheitsgrad sowie für die Verfügbarkeit der wörtlichen Interpretation eines Idioms vor (vgl. auch Cronk, Lima und Schweigert 1993 oder Titone und Connine 1994a).

3.3

Zusammenfassung: Psycholinguistische Idiomstudien

Zum Abschluss des vorliegenden Kapitels können die zentralen Aussagen wie folgt rekapituliert werden: Es wurden die wesentlichen Aspekte der Entwicklung der psycholinguistischen Idiomforschung dargestellt. Am Beginn dieser Entwicklung steht die so genannte „erste Generation" von Hypothesen über die Verarbeitung von Idiomen, die der herkömmlichen nichtkompositionellen Definition von Idiomen verhaftet sind. Die Idiomlistenhypothese, die lexikalische Repräsentationshypothese und die direkte Zugriffshypothese haben Vorschläge zur Behandlung von Idiomen aufgegriffen, die innerhalb der generativen Grammatik gemacht wurden und eine strikte Trennung von wörtlicher und idiomatischer Lesart zugrunde legen. Gegenstand der empirischen Forschung war demzufolge, ob die beiden Lesarten nacheinander und - falls dies zutrifft - in welcher Reihenfolge sie aktiviert und abgerufen werden oder ob beide Lesarten parallel verarbeitet werden. Die widersprüchliche Befundlage, die auch durch zahlreiche Folgestudien nicht geklärt werden konnte, hat zum Postulat eines weiteren Verarbeitungsmodells geführt, der Konfigurationshypothese. Dieses Modell hebt die Polarisierung zwischen wörtlicher und idiomatischer Interpretation auf und geht davon aus, dass an einem bestimmten Punkt im Verarbeitungsprozess Konfigurationen erkannt werden, die mit der idiomatischen Lesart verbunden sind. Die Konfigurationshypothese ist vom Grundsatz her angemessener als die „erste Generation" von Hypothesen und somit besser geeignet, die Verarbeitung von Idiomen zu beschreiben. Allerdings bleibt auch die Konfigurationshypothese - wie die Modelle der „ersten Generation" - unzureichend, da sie sich auf lexikalische Aspekte der Verarbeitung beschränkt. Wie in Kapitel 7 dargelegt wird, müssen auch konzeptuelle Faktoren berücksichtigt werden, um zu einer adäquaten Beschreibung und Erklärung der Repräsentation von Idiomen zu gelangen. Parallel zu den unter 3.1 beschriebenen Entwicklungen auf dem Gebiet der Verarbeitungsmodelle wurden zunehmend inhärente Eigenschaften oder Merkmale von Idiomen untersucht, anhand derer die große Gruppe der idiomatischen Ausdrücke systematisch unterschieden werden kann. Als Hauptmerkmal wurde dabei der Faktor der Dekomponierbarkeit identifiziert. Es konnte gezeigt werden, dass sich Idiome in dekomponierbare, anormal dekomponierbare und nichtdekomponierbare unterscheiden lassen und dass die syntaktische sowie die semantische Produktivität und die lexikalische Flexibilität bei dekomponierbaren Idiomen höher ist. Auch der Verarbeitungsprozess wird vom Dekompositionsstatus beeinflusst. Neben der Dekomponierbarkeit stellt der Bekanntheitsgrad eines Idioms eine zentrale Dimension dar, mit deren Hilfe Verarbeitungsunterschiede, aber auch grammatisches Verhalten beschrieben werden können. Fragen nach Unterschieden zwischen Frequenz und Bekanntheitsgrad (vgl. dazu 7.1.3.4) sowie nach dem Zusammenhang von Dekompositionsstatus und Bekanntheitsgrad (vgl. Kapitel 5, 6 und 7) wurden dabei

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bisher vernachlässigt. Die vorliegende Arbeit berücksichtigt beides und erfüllt damit die an zukünftige Forschung zu stellende Forderung, dass Hypothesen über die Verarbeitung oder Repräsentation von Idiomen Dimensionen wie die Dekomponierbarkeit und den Bekanntheitsgrad nicht außer Acht lassen dürfen. Die Kapitel 2 und 3 haben die linguistische und psycholinguistische Forschungstradition ausführlich dargestellt. Auf dieser Basis werden im nun folgenden Kapitel der Stand der L2-Idiomforschung betrachtet und die Methodologie von Sprecherurteilen diskutiert. Damit stellt das vierte Kapitel den Ausgangspunkt für die in den beiden anschließenden Kapiteln vorgestellten eigenen empirischen Untersuchungen dar.

4

L2-Idiomstudien: Zum Stand der Forschung und zur Methodologie von Sprecherurteilen

Wie der Titel des vorliegenden Kapitels andeutet, werden hier zwei Themenbereiche betrachtet, die die Motivation und Grundlage für die folgenden Kapitel liefern. Einerseits wird am Stand der Forschung, die bisher zum Thema „Idiome und Nichtmuttersprachler" durchgeführt wurde, aufgezeigt, dass systematische Forschung, die mit den in Kapitel 3 dargestellten Ergebnissen in Einklang steht, dringend erforderlich ist. Andererseits wird das in den eigenen Untersuchungen (vgl. Kapitel 5 und 6) gewählte methodische Vorgehen, die Erhebung von nichtmuttersprachlichen Urteilen, kritisch diskutiert und erläutert. Diese grundsätzlichen Überlegungen erscheinen notwendig, da die in den folgenden beiden Kapiteln beschriebenen Untersuchungen „Pilotcharakter" haben und deshalb nicht auf eine etablierte Forschungstradition zurückgegriffen werden kann. Der hier verfolgte Ansatz, Sprecherurteile von Nichtmuttersprachlern nicht primär als Indikator für deren „defizitäre" fremdsprachliche Kompetenz anzusehen, sondern sie eher als Validierungsmöglichkeit bestehender psycholinguistischer Modellvorstellungen zu betrachten (vgl. Sridhar 1993: 4f. sowie 1.1), hat bisher relativ selten Anwendung gefunden.1 Was die konkreten Forschungsinhalte betrifft, wurden bisher - nach Wissen der Verfasserin - keine Studien über Sprecherurteile von Nichtmuttersprachlern zur Dekomponierbarkeit englischer Idiome durchgeführt. Insofern können die in Kapitel 5 und 6 dargestellten Untersuchungen als Pilotstudien verstanden werden, die durch die Überprüfung der Übertragbarkeit bzw. Gültigkeit der mit Muttersprachlern gewonnenen Erkenntnisse eine systematische Nutzung der bereits existierenden Befunde ermöglichen. Eine Übertragung der Dekompositionsurteile von der Gruppe der Muttersprachler auf die der Nichtmuttersprachler ist ohne die hier vorgenommene empirische Überprüfung nicht zulässig, da abgesehen von der ungeklärten Befundlage im Bereich der Dekompositionsforschung (vgl. 3.2.1.2) - zu wenig über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Sprechergruppen bekannt ist. Mit Pilotcharakter ist auch gemeint, dass die in Kapitel 5 und 6 beschriebenen nichtmuttersprachlichen Urteile über den Dekompositionsstatus von Idiomen als Norm- oder Referenzwerte dienen können, die für zukünftige Forschung unerlässlich sind. Bisher liegen lediglich muttersprachliche Normwerte vor (Titone und Connine 1994a). Wenn jedoch, um Aufschluss über Abrufmechanismen im L2-Lexikon zu erhalten, Reaktions- und Zugriffszeiten von Idiomen bei Nichtmuttersprachlern erforscht werden (vgl. dazu 7.3.1), müssen die verwendeten Idiome bezüglich ihres Dekompositionsstatus und ihres Bekanntheitsgrades kontrolliert werden, um die Fehler zu vermeiden, die in der LI-Forschung lange Zeit für die heterogene Befundlage verantwortlich waren (vgl. Kapitel 3).

1

Innerhalb der Idiomforschung kann die Untersuchung von Schraw, Trathen, Reynolds und Lapan (1988), die versuchen, die Verfügbarkeit derfigurativenBedeutung eines Idioms in Abhängigkeit zur Lexikalisierung und dem Bekanntheitsgrad zu erklären, als einziges der Verfasserin bekanntes Beispiel für diesen Ansatz genannt werden.

93 Das vierte Kapitel ist folgendermaßen aufgebaut: In 4.1 wird darauf eingegangen, welche experimentellen Arbeiten bereits zum Thema „Idiome und Nichtmuttersprachler" durchgeführt wurden. Am Stand der Forschung wird ersichtlich, dass wesentliche Defizite bestehen, die durch die eigenen Untersuchungen (Kapitel 5 und 6) ausgeglichen werden. Es wird diskutiert, dass auf dem Gebiet der L2-Idiomforschung terminologische Unklarheit herrscht und LI-Forschungsergebnisse nicht berücksichtigt werden (vgl. 4.1.1). Anhand einiger Beispiele wird die Heterogenität der Untersuchungen veranschaulicht (vgl. 4.1.2). Schließlich wird versucht, die existierenden Arbeiten nach inhaltlichen Schwerpunkten zu kategorisieren (vgl. 4.1.3), um trotz der Heterogenität einen Überblick über den Stand der Forschung zu ermöglichen. Daran anschließend werden unter 4.2 grundsätzliche methodologische Überlegungen zu Sprecherurteilen angestellt, die an die in der Einleitung unter 1.2.3 begonnene Diskussion anknüpfen, aber im Vergleich zu dieser, die eher allgemeiner Art war, messtheoretische und statistische Aspekte fokussieren. Zunächst wird begründet, warum eine Methodendiskussion für wichtig erachtet wird (vgl. 4.2.1). Es folgen Ausführungen zur Objektivität (4.2.2.1) und Validität (4.2.2.2) von Sprecherurteilen, wobei die Validität vor allem im Hinblick auf nichtmuttersprachliche Urteile diskutiert wird. Abschließend wird ein statistischer Aspekt thematisiert: die Frage nach der Repräsentativität von Stichprobe und Datenbasis (vgl. 4.2.3).

4.1

Idiomstudien mit Nichtmuttersprachlern: Stand der Forschung

Der folgende Überblick beschreibt die experimentelle Forschungslage des hier zur Diskussion stehenden Gebietes, berücksichtigt aber keine rein deskriptiven, didaktisch orientierten Ansätze. Diese haben eine eigene, längere Tradition und es lassen sich demzufolge zahlreiche Arbeiten nennen, die sich unter diesem Aspekt mit Fremdsprachenlernern und Idiomen beschäftigen, z.B. Dussel (1961), Hohmann (1967a,b), Adkins (1968), Wingfield (1968), Glaap (1979), Weller (1979), Alexander (1978, 1979, 1984, 1985), Alexander und Plein (1991), Bromley (1984), Coulmas (1985), Otier (1986), Petrovic (1988), Sornig (1988), McCaskey (1994), Duquette (1995), Richards (1996), Lennon (1998) etc. Die Inhalte dieser Arbeiten lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass Anleitungen - die j e nach den zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuellen didaktischen Kriterien ausgerichtet sind und deshalb erheblich variieren - für den Umgang mit Idiomen im Fremdsprachenunterricht gegeben werden. Häufig wird beklagt, dass Idiome im Fremdsprachenunterricht vernachlässigt werden (vgl. z.B. Glaap 1985). Generell fällt auf, was auch für die experimentell orientierten Arbeiten gilt und an deren Beispiel im Folgenden ausgeführt wird: Es herrscht terminologische Unklarheit, LI-Forschungsergebnisse werden nicht berücksichtigt und vor allem fehlen theoretische Modelle, die eine die einzelnen Ansätze verbindende Systematik herstellen könnten.

94 Betrachtet man die experimentellen Untersuchungen, die zum Verstehen oder zur Produktion2 von Idiomen durch Nichtmuttersprachler bisher durchgeführt wurden, d.h. Arbeiten, in denen im weitesten Sinne kontrollierte empirische Erhebungen durchgeführt wurden, um zu Aussagen zu gelangen, wird deutlich, dass sowohl quantitativ als auch qualitativ Nachholbedarf besteht. Generell kann festgestellt werden, dass es nur wenige Untersuchungen zu diesem Themenbereich gibt. Beispiele, die in den nächsten Abschnitten kurz betrachtet werden, sind Howarth (1996, 1998), Irujo (1986a,b, 1993), Lattey (1994), Lehtonen und Sajavaara (1988), Muikku-Werner (1995), Sajavaara und Lehtonen (1989), Walters und Wolf (1988,1992), Wolf und Walters (1988) sowie Yorio (1989). Keine dieser Arbeiten ist vom Ansatz und Aufbau her mit den eigenen, in Kapitel 5 und 6 vorgestellten Untersuchungen vergleichbar. Sie werden an dieser Stelle vorgestellt, um einen Überblick über die Heterogenität der Forschungslage zu geben und dadurch die Notwendigkeit zu verdeutlichen, systematische Forschung auf diesem Gebiet durchzuführen.

4.1.1

Terminologische Unklarheit und Nichtbeachtung von LI-Forschungsergebnissen

Bei der Lektüre der oben genannten Arbeiten wird zunächst deutlich, dass in der Regel klare terminologische Abgrenzungen - wie sie unter 1.2.2 diskutiert wurden - fehlen. Oft dienen die Begriffe „Idiom" oder „Idiomatizität" lediglich als Schlagwörter; die Ausführungen beziehen sich dann eher auf figurative Sprache im Allgemeinen oder auf Ausdrücke, die in der vorliegenden Arbeit nicht als Idiome verstanden werden. So beschäftigt sich z.B. Howarth (1998: 24) mit „phraseology" bzw. „collocations", die er als Oberbegriff für Idiome versteht, Yorio (1989: 55) mit „conventionalized language", worunter er undifferenziert „idioms, formulas, prefabricated patterns, etc." fasst, und Walters und Wolf bezeichnen die phrasalen Verben „hit it o f f ' (1988: 199) bzw. „be o f f ' (1992: 73) als Idiome. Es wird demnach nicht konsistent zwischen Idiomen und anderen Formen figurativer Sprache differenziert, obwohl sich diese voneinander unterscheiden und demzufolge auch die theoretischen Überlegungen sowie die empirischen Untersuchungen dazu variieren sollten. In einigen der oben genannten Arbeiten wird gar nicht spezifiziert, was unter dem Begriff „Idiom" verstanden wird (vgl. z.B. Lehtonen und Sajavaara 1988 oder Lattey 1994). Wenn - wie beispielsweise bei Irujo (1986b) - angegeben wird, welche Definition des Begriffs „Idiom" zugrunde gelegt wird, zeigt sich, dass es die traditionelle, d.h. nichtkompositionelle Definition von Idiomen ist. Die Schwierigkeiten und Probleme, die mit einer solchen Begriffsklärung verbunden sind, wurden in 1.2.2 ausführlich dargelegt. In keiner der Arbeiten werden - z.B. bei der Auswahl der untersuchten Daten - Faktoren wie z.B. die Dekomponierbarkeit der Idiome berücksichtigt. Ebenso wenig werden andere Erkenntnisse, die die zahlreichen psycholinguistischen Untersuchungen mit Muttersprach-

2

Obwohl es in der vorliegenden Arbeit ausschließlich um das Verstehen bzw. die Verarbeitung von Idiomen geht, wurde bei der Literaturrecherche zunächst bewusst keine thematische Eingrenzung auf Verstehens- oder Verarbeitungsprozesse vorgenommen; es wurden möglichst umfassend alle empirischen Arbeiten betrachtet, die im weitesten Sinne unter den Stichwörtern „Idiom" und „Nichtmuttersprachler" subsumiert werden können.

95 lern erbracht haben (vgl. Kapitel 3), in die Überlegungen miteinbezogen. 3 Die dort gewonnenen empirischen und theoretischen Erkenntnisse werden kaum bzw. gar nicht genutzt, um auf dem Gebiet der Verarbeitung oder Verwendung von Idiomen in einer Zweitsprache zu präziseren Aussagen zu kommen. Dies ist umso bedauerlicher, als die Befunde über die Eigenschaften von Idiomen gezeigt haben, dass diese einen so wesentlichen Aspekt für das grammatische Verhalten, die Interpretation, die Verarbeitung und Repräsentation der Idiome darstellen, dass ein Mangel an Kontrolle dieser Faktoren zwangsläufig zu wenig aussagekräftigen Ergebnissen führen muss - auch und vor allem, wenn Nichtmuttersprachler untersucht werden.

4.1.2

Heterogenität der Untersuchungen

Die eingangs genannten Arbeiten sind so heterogen, dass eine systematische Darstellung kaum möglich ist. Die Heterogenität bezieht sich dabei vor allem auf die Muttersprachen der Probanden; so werden z.B. Sprecher des Finnischen (Lehtonen und Sajavaara 1988), Hebräischen (Walters und Wolf 1992), Koreanischen (Yorio 1989), Spanischen (Irujo 1986a) oder Kantonesischen, Deutschen, Griechischen, Japanischen, Mandarin, Thailändischen sowie der Sprachen More 4 und Tswana 5 (Howarth 1996: 141) untersucht. Weiterhin unterscheiden sich die Sprecher, mit denen die Untersuchungen durchgeführt wurden, im Hinblick auf ihre Englischkenntnisse. Ebenfalls sehr unterschiedlich ist die Anzahl der befragten Sprecher sowie die jeweils vorgelegte Aufgabenstellung. Zur Verdeutlichung dieser Heterogenität seien einige der Studien kurz beschrieben: Irujo (1986a) beispielsweise führte ihre Untersuchungen mit zwölf Venezolanern durch, die bereits seit knapp drei Jahren in den USA lebten und dort studierten. Als Material dienten 45 englische Idiome; getestet wurden Aspekte wie Wiedererkennen, Verstehen, Erinnern und die Produktion dieser Idiome. Lehtonen und Sajavaara (1988 bzw. Sajavaara und Lehtonen 1989) untersuchten fünf finnische Studenten, die mindestens sechs Monate in einem englischsprachigen Land verbracht hatten, und fünf finnische Studenten, die nicht für längere Zeit im englischsprachigen Ausland waren. Ihnen wurden 48 englische Sätze vorgelegt, die ein „conventional syntagm or idiom" (Sajavaara und Lehtonen 1989: 43) enthielten, wobei die Autoren keine Angaben dazu machen, welche sprachlichen Ausdrücke sie darunter subsumieren. Die Aufgabe bestand darin zu beurteilen, ob der Satz akzeptabel war oder nicht. Walters und Wolf (1988, Experiment 2) legten zehn Englischstudenten „hit it o f f ' vor; die Probanden sollten mit Hilfe anderer vorgegebener Vokabeln dessen Bedeutung erschließen. Yorio (1989) überprüfte Texte eines Koreaners, der seit fünf Jahren in den USA lebte, 3

4

5

Als Ausnahme sind hier die Arbeiten von Irujo (1986a, 1993) zu nennen. Die Autorin untersucht Transfereffekte sowie die Ursachen für die Vermeidung von englischen Idiomen in der Sprachproduktion von spanischen Muttersprachlern. Dabei berücksichtigt sie Faktoren wie die semantische Transparenz und die Frequenz der Idiome (vgl. aber 4.1.3.2). Die Sprache More, auch Moré oder Mooré, wird in Burkina Faso und Ghana gesprochen und hat ca. vier Millionen Sprecher. Eine andere Sprache, die ebenfalls als More, aber auch als Itene bezeichnet wird, wird in Bolivien von ca. 100 Sprechern verwendet. Tswana ist eine Bantusprache und wird z.B. in Botswana von ca. drei Millionen Menschen gesprochen.

96 sowie Texte von 25 Studenten unterschiedlicher, nicht näher spezifizierter Muttersprachen, die im Durchschnitt seit sechs Jahren in den USA lebten, im Hinblick auf die Produktion von „conventionalized language" (Yorio 1989: 60). An dieser Untersuchung ist zu kritisieren, dass die Probanden völlig willkürlich ausgewählt wurden: „[...] the data for this paper came to me almost by accident." (Yorio 1989: 60). Ebenso unsystematisch verfährt der Autor mit den Ausdrücken, die er als Beispiele für „Idiomatizität" ansieht, z.B. most of the time, summer holidays, good friends, a happy childhood, a human being, improved greatly - Phrasen, die normalerweise (vgl. 1.2.2) nicht als Idiome bezeichnet werden. Howarth (1996) schließlich untersuchte die Verwendung von Kollokationen in akademischen Texten von neun Englischlehrern und einem Deutschlehrer aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern, die in England ein einjähriges Zusatzstudium absolvierten. Wie der kurze Überblick zeigt, sind die Arbeiten so heterogen, dass verallgemeinernde Vergleiche kaum möglich sind. Die Probanden unterscheiden sich nicht nur bezüglich ihrer Muttersprache, sondern auch - gemessen an ihrer Aufenthaltsdauer in englischsprachigen Ländern - erheblich im Hinblick auf ihre Englischkenntnisse. In allen Studien ist die Anzahl der untersuchten Probanden sehr gering, so dass die Ergebnisse nicht als repräsentativ gewertet werden können. Die Aufgabenstellungen sind so unterschiedlich, dass auch hier kaum Vergleichsmöglichkeiten bestehen. Dadurch, dass die Forschungsparadigmen der LlIdiomforschung nicht berücksichtigt werden, ergeben sich auch diesbezüglich keine Vergleichsmöglichkeiten.

4.1.3

Kategorisierung nach inhaltlichen Schwerpunkten

Wird dennoch der Versuch unternommen, die genannten Arbeiten zu gruppieren, lässt sich folgende Einteilung vornehmen: Es gibt Arbeiten mit pragmatisch-didaktischem Schwerpunkt (4.1.3.1) - diese stehen in der Tradition der eingangs beschriebenen, rein deskriptiven Ansätze - , Untersuchungen über Transfer- bzw. Informationsintegrationsaspekte (4.1.3.2) und Analysen über die Produktion von Idiomen zur Bestimmung des Kenntnisstandes in der Fremdsprache (4.1.3.3). Zu den drei genannten Schwerpunkten werden im Folgenden jeweils einige Arbeiten kurz vorgestellt, um einen Eindruck der Forschungsrichtungen zu vermitteln.

4.1.3.1

Pragmatisch-didaktische Arbeiten

Wie eingangs erwähnt, verzichten die Aufsätze mit pragmatisch-didaktischem Schwerpunkt in der Regel auf experimentelle Überprüfungen ihrer Aussagen. Es gibt allerdings einige wenige Ausnahmen, z.B. Muikku-Werner (1995) und Irujo (1986b), die versuchen, ihre Ausführungen mit empirischen Studien zu belegen. Während Irujo (1986a,b) sich auf englische Idiome bezieht, beschreibt Muikku-Werner (1995) Lerner des Finnischen und finnische Idiome. Beide thematisieren die Probleme, die Idiome bei der Vermittlung im gesteuerten Zweitsprachenerwerb bereiten und geben Empfehlungen, vor allem für Lehrer, was auf diesem Gebiet verbessert werden könnte.

97 Als Grund dafür, dass Idiome den Fremdsprachenlernem Schwierigkeiten bereiten, gibt Irujo (1986b: 236) deren Nichtkompositionalität an. Dieses Argument findet sich auch in didaktisch orientierten Arbeiten ohne experimentellen Anteil, z.B. bei Richards (1996: 32) und Soraig (1988: 282). In keiner der pragmatisch-didaktisch orientierten Arbeiten wird darauf verwiesen, dass zahlreiche Idiome kompositioneile Anteile haben und insofern der Versuch des Dekomponierens eines Idioms in vielen Fällen eine hilfreiche Strategie beim Verstehensprozess darstellen kann. Vielmehr werden als relativ allgemeine Strategien, wie mit Idiomen im Unterricht umgegangen werden sollte, z.B. die folgenden empfohlen: die Bewusstmachung ambiger Diskurskontexte (Muikku-Werner 1995: 81), das Kontrastieren der wörtlichen und figurativen Bedeutung eines Idioms (Irujo 1986b: 239), das Spielen von Idiomcharaden oder das Aufführen von Rollenspielen, in denen Idiome vorkommen (Irujo 1986b: 240). Die Liste der Strategien kann fortgesetzt werden - z.B. um die Kategorisierung idiomatischer Ausdrücke im Hinblick auf ihre kommunikative Funktion, die darin bestehen kann, eine Meinung auszudrücken, Gefühle mitzuteilen, Einstellungen zu vermitteln usw. (Sornig 1988: 286f.) oder um das Erstellen einer Liste gehörter oder gelesener Idiome (Richards 1996: 33) - , wenn die unter 4.1 erwähnten deskriptiven didaktischen Arbeiten hinzugenommen werden. Dies soll aber an dieser Stelle nicht geschehen, da die Arbeiten keinen direkten Bezug zu den in Kapitel 5 und 6 vorgestellten eigenen Untersuchungen aufweisen. Es seien lediglich noch die Arbeiten von Hieke und Lattey (1983), Lattey (1986) sowie Lattey und Hieke (1990) erwähnt, die in ihren Arbeitsbüchern zum Umgang mit Idiomen in Situationskontexten die Strategie verfolgen, die Idiome nach Themengebieten zu sortieren, um so das Lernen der richtigen Verwendung zu erleichtern. Ihre Aufteilung richtet sich nach dem Referenten des jeweiligen Idioms, z.B. „focus on the individual - non-negative", „focus on the individual - negative", „focus on the interrelationship of individuals", „the individual and the world" usw. (Lattey und Hieke 1990: v). Die vorgeschlagenen Strategien können sicherlich im Unterricht eine Hilfe sein. Es muss jedoch gefordert werden, dass Faktoren, die in empirischen Studien als relevant für das grammatische Verhalten sowie die Verarbeitung von Idiomen identifiziert wurden, dabei auch Berücksichtigung finden. Deshalb sollte den Fremdsprachenlernem Bewusstheit über Faktoren wie beispielsweise die Dekomponierbarkeit oder Transparenz vermittelt und dieses Wissen mit den oben genannten Strategien kombiniert werden.

4.1.3.2 Transfer- oder Informationsintegrationsaspekte Andere Arbeiten diskutieren Transfer- oder Informationsintegrationsaspekte zwischen LI und L2 (z.B. Irujo 1986a, 1993, Sajavaara 1986, Lehtonen und Sajavaara 1988, Sajavaara und Lehtonen 1989, Walters und Wolf 1988, 1992, Wolf und Walters 1988). Beide Richtungen, die Transferforschung und die Informationsintegrationsforschung, haben eine lange, eigene Tradition und sollen an dieser Stelle nicht näher diskutiert werden (zu Ersterem vgl. z.B. Gass und Selinker 1983, Kellermann 1986, 1983, 1995, Odlin 1989, Ringbom 1992, zu Letzterem vor allem N. Anderson 1981, 1982). Insofern stehen bei den oben genannten Arbeiten eher Fragen nach dem Transfer bzw. der Informationsintegration im Vordergrund als Fragestellungen, die sich explizit auf Idiome beziehen. Deshalb soll im

98 Folgenden nur kurz auf die Arbeiten von Irujo (1986a, 1993) eingegangen werden, da diese noch am deutlichsten Bezüge zur Idiomforschung aufweisen. Der Ausgangspunkt von Irujos Untersuchung (1986a) war die Frage, ob Wissen aus der Muttersprache verwendet, i.e. transferiert wird, um in der Fremdsprache Idiome zu verstehen und zu produzieren. Die in der Studie verwendeten 45 englischen Idiome wurden nach ihrer Zugehörigkeit zu drei „Ähnlichkeitsgruppen" ausgesucht, so dass 15 Idiome ein identisches Äquivalent im Spanischen hatten, 15 einem spanischen Idiom ähnlich waren und 15 sprachlich verschieden im Vergleich zu ihrem entsprechenden spanischen Ausdruck waren. Zur Veranschaulichung der drei Ähnlichkeitsgruppen sei jeweils ein Beispiel gegeben (vgl. Irujo 1986a: 302ff.): to break the ice /romper el hielo (identisch), to kill two birds with orte stone / matar dos pájaros de un tiro (to kill two birds from one shot, ähnlich) bzw. to pull his leg / tomarle el pelo (to take to him the hair, verschieden). Die Ergebnisse von zwei Verständnisaufgaben zeigten, dass - bezogen auf die drei Gruppen von Idiomen - die in LI und L2 identischen und ähnlichen Idiome gleich gut und vor allem besser als in beiden Sprachen verschiedene Idiome verstanden wurden. Für die Produktion ergaben sich vergleichbare Befunde: Identische Idiome wurden häufiger richtig in einen Lückentext eingesetzt oder übersetzt als ähnliche oder verschiedene Idiome. Irujos Befunde liefern Evidenz für das Vorhandensein sowohl von positivem Transfer als auch von InterferenzefFekten, d.h. negativem Transfer. Sprecher verwenden also ihr muttersprachliches Wissen, um in einer anderen Sprache Idiome zu verstehen und zu verwenden, begehen dabei aber auch systematische Fehler. In einer späteren Arbeit untersuchte Irujo (1993) die häufig angestellte, aber nicht experimentell überprüfte Vermutung, dass Sprecher es vermeiden, fremdsprachliche Idiome zu verwenden, weil sie sie für zu sprachspezifisch und demzufolge für nicht transferierbar halten. Die Probanden hatten die Aufgabe, die Idiome - die gleichen, die in früheren Publikationen von Irujo verwendet wurden (vgl. z.B. Irujo 1986a) - vom Spanischen ins Englische zu übersetzen. Dabei zeigte sich, dass die Idiome am häufigsten übersetzt, d.h. verwendet wurden, die in der Muttersprache ein Äquivalent haben sowie besonders frequent und semantisch transparent sind; für Irujo wiederum ein Hinweis auf positiven Transfer. Die Produktion von Idiomen wird demnach nicht grundsätzlich vermieden, sondern richtet sich nach Faktoren, die auch in der Ll-Forschung (vgl. Kap. 3) als relevant erachtet wurden. Einschränkend muss darauf verwiesen werden, dass die von Irujo verwendeten Operationalisierungen der Faktoren Frequenz und Transparenz nicht mit denen anderer Autoren übereinstimmen (vgl. z.B. Keysar und Bly 1995 sowie 7.1.3.3 und 7.1.3.4). Dennoch ist es positiv zu bewerten, dass Irujo versucht, diese Faktoren in ihre Überlegungen miteinzubeziehen.

4.1.3.3

Fehleranalysen als Indikator für den fremdsprachlichen Kennmisstand

In einigen Untersuchungen werden über Fehleranalysen bezüglich der schriftlichen Produktion von Idiomen Rückschlüsse auf den Kenntnisstand in der Fremdsprache gezogen (z.B. Yorio 1989 (vgl. dazu aber die Kritik in 4.1.2), Lattey 1994, Howarth 1996, 1998). Lattey (1994) untersuchte geschriebene Dialoge von deutschen Muttersprachlern, die die Aufgabe hatten, im Unterricht erworbene englische Idiome in konkreten schriftlichen Kon-

99 texten zu verwenden. Hier wie auch in früheren Arbeiten (z.B. Lattey und Hieke 1990) gruppierte Lattey die Idiome zu Lernzwecken in verschiedene „pragmatische Kategorien", z.B. in Idiome, die die Welt, das Individuum oder die Interaktionen zwischen Individuen fokussieren (Lattey 1994: 298, vgl. auch Lattey und Hieke 1990: v-vi sowie 4.1.3.1). Die durch die Nichtmuttersprachler produzierten Daten wurden einer Fehleranalyse unterzogen, die sowohl pragmatische als auch grammatische Verstöße berücksichtigte. Es zeigte sich, dass die deutschen Lerner in ihrer Verwendung der englischen Idiome u.a. Fehler machen bezüglich des potentiellen Referenten, auf den sich ein Idiom beziehen kann, bezüglich der strukturellen Abhängigkeit, in der ein Idiom mit anderen grammatischen Konstruktionen steht oder auch in Bezug auf Transfereffekte, die bei ähnlichen Idiomen zwischen der LI und der L2 entstehen. Da für Lattey der Erwerb und die Anwendung der Idiome im Vordergrund stehen, sind ihre Ausführungen, die sich auf die Fehler bei der Produktion von Idiomen beziehen, für die in der vorliegenden Arbeit zur Diskussion stehenden Überlegungen zur Verarbeitung und Repräsentation von Idiomen nicht direkt relevant. Ein Anknüpfungspunkt besteht jedoch in der Verbindung, die Lattey (1994: 31 lf.) abschließend zwischen Idiomen und kognitiven Strukturen herstellt; so stellt sie z.B die Frage, ob Idiome kognitive Universalien sein können. Sie stellt beides in einen - noch weitgehend ungeklärten - Zusammenhang und fordert mehr Forschung auf diesem Gebiet (vgl. dazu 7.3.4). Die vorliegende Arbeit greift den Gedanken der engen Verknüpfung von Idiomen, die auf der sprachlichen Ebene angesiedelt sind, und anderen kognitiven Ebenen auf, indem konzeptuelle Faktoren bei der Repräsentation von Idiomen berücksichtigt werden (vgl. 7.2). Über die Universalität dieser Strukturen kann derzeit noch nichts ausgesagt werden. Howarth (1996, 1998) untersucht die schriftliche Verwendung von Kollokationen in akademischen Texten von Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern. Er nimmt eine sehr detaillierte Aufschlüsselung des Oberbegriffs „word combinations" vor (Howarth 1998: 27f.), die bereits in 1.2.2 beschrieben wurde. Wie dort schon dargelegt, ist seine als Kontinuum zu verstehende Unterteilung in „free combinations", „restricted collocations", „figurative idioms" und „pure idioms" durchaus mit der Skala dekomponierbare / nichtdekomponierbare Idiome vergleichbar. Unter Kollokationen versteht er mehr oder weniger fixierte Wortkombinationen, die als komplette Satzkonstituente eine syntaktische Funktion erfüllen. Aus den in den Texten identifizierten Fehlern, die die Nichtmuttersprachler vor allem im Bereich der „restricted lexical collocations" (Howarth 1998: 34) produzierten, leitet Howarth Aussagen über Strategien der Verwendung von Kollokationen durch Nichtmuttersprachler ab, z.B. die Vermeidung der Ausdrücke, das Experimentieren mit fixierten Ausdrücken, den Transfer der Kollokationen von der LI in die L2, Analogiebildung und Wiederholung von einigen wenigen, als richtig bekannten Kollokationen. Obwohl Howarth die Produktion der Kollokationen fokussiert und insofern seine Ausführungen für die vorliegende Arbeit nicht weiter relevant sind, besteht Übereinstimmung darin, die „word combinations" (Howarth 1998: 42) als Kontinuum zu definieren. Ebenso kann seiner Kritik zugestimmt werden, dass den Endpunkten des Kontinuums, den „free combinations" und „idioms" - die mit den Endpunkten „dekomponierbar" und „nichtdekomponierbar" verglichen werden können - , bisher zu viel Beachtung entgegengebracht wurde und zu wenig Aufmerksamkeit auf die Vielzahl der Ausdrücke gerichtet wurde, die sich in der schlecht zu definierenden und kaum abgrenzbaren Mitte des Fixiertheitskonti-

100 nuums befinden (Howarth 1998: 42). Ein Grund dafür liegt sicherlich darin, dass die Lokalisierung von Ausdrücken auf diesem Kontinuum inter- und intraindividuellen Faktoren unterliegt, die bisher kaum erforscht sind (vgl. dazu 7.3.4). Außer den unter 4.1.3.1 bis 4.1.3.3 beschriebenen thematischen Schwerpunkten finden sich noch Untersuchungen, die andere Ansätze verfolgen, die aber in der Regel keinen experimentellen Anteil aufweisen. So vertritt beispielsweise Lee (1994) einen angewandt kommunikativen, kulturellen Forschungsansatz. Lee diskutiert Idiome und ihre Verarbeitung durch Nichtmuttersprachler im Rahmen eines Prozessmodells des interkulturellen Verstehens. Dabei liegt der Fokus auf der Entwicklung von Methoden bzw. der Schaffung von Situationen, durch die die Kommunikation zwischen Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern über Idiome initiiert und erleichtert werden kann, um die Probleme der Nichtmuttersprachler mit Idiomen zu minimieren. Bei Lee fallt besonders auf, dass der Idiombegriff sehr undifferenziert verwendet wird und in stereotyper Weise Behauptungen über die unterschiedlichen Verarbeitungsstrategien von Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern aufgestellt werden (vgl. z.B. Lee 1994: 142f.), die empirisch gar nicht belegt sind. Eine Ursache dafür liegt sicherlich in dem Mangel an adäquaten Modellen für Nichtmuttersprachler; ein Defizit, das mit der vorliegenden Arbeit zumindest in Ansätzen ausgeglichen wird (vgl. dazu Kapitel 7).

4.1.4

Zusammenfassung: Stand der L2-Forschung

Die vorangegangenen Ausführungen zum Stand der Forschung auf dem Gebiet der Verarbeitung und Produktion von (englischen) Idiomen durch Nichtmuttersprachler haben deutlich gemacht, dass systematische, vor allem experimentelle Untersuchungen, die die Befunde der LI-Forschung aufgreifen, dringend erforderlich sind. Die bisher existierenden Studien sind gekennzeichnet durch eine uneinheitliche bzw. veraltete Auffassung darüber, was unter Idiomen verstanden werden sollte sowie durch eine große Heterogenität im Hinblick auf Aspekte wie Muttersprache und englische Sprachkenntnisse der Probanden, Aufgabenstellungen im Experiment etc. Die inhaltlichen Schwerpunkte der bisher durchgeführten Untersuchungen liegen entweder im didaktischen Bereich, auf den Fehlern bei der Produktion von Idiomen oder in übergeordneten Forschungsrichtungen wie z.B. dem Transfer oder der Informationsintegration. Die Arbeiten innerhalb dieser Bereiche sind jedoch immer noch zu heterogen, als dass ihre Ergebnisse zu allgemein gültigen Aussagen zusammengefasst werden könnten. Präzisere Aussagen können erst dann getroffen werden, wenn unter Verwendung bereits gewonnener Erkenntnisse mehrere Studien zu einem Forschungsparadigma durchgeführt werden. Die meisten der oben betrachteten Studien zeichnen sich auch dadurch aus, dass die Datenerhebungen wenig systematisch betrieben wurden. Dieser Aspekt wird innerhalb der Sprachwissenschaft nur selten thematisiert. Um diesem Zustand entgegenzuwirken, werden im nun folgenden zweiten Teil des vierten Kapitels grundlegende methodologische Überlegungen zu Sprecherurteilen angestellt.

101

4.2 Sprecherurteile: Methodologische Überlegungen

In der Einleitung der vorliegenden Arbeit (vgl. 1.2.3) wurden allgemeine und terminologische Ausführungen zu Sprecherurteilen gemacht. Dort wurde der Begriff „Sprecherurteil" - in Abgrenzung zu „Intuition" - definiert; Sprecherurteile wurden als Daten beschrieben, die nur mit Vorsicht in einen direkten Zusammenhang zur zugrunde liegenden Kompetenz gestellt werden sollten. Sprecherurteile wurden als Akzeptabilitätsurteile beschrieben, die von Grammatikalitätsurteilen abzugrenzen sind; Letztere können nur von Linguisten getroffen werden (vgl. Haegeman 1994: I i . ) . Im Folgenden werden Betrachtungen zu Sprecherurteilen angestellt, die methodologischer Art sind. In 4.2.1 wird zunächst allgemein darauf eingegangen, warum es innerhalb der Sprachwissenschaft notwendig erscheint, sich über bestimmte Standards bei der Datenerhebung zu verständigen. Unter 4.2.2 werden messtheoretische Kriterien von Sprecherurteilen, die Objektivität (4.2.2.1) und die Validität (4.2.2.2), thematisiert, während in 4.2.3 ein statistischer Aspekt der Datenerhebung, die Repräsentativität von Stichprobe und Datenbasis, betrachtet wird. Es wird dabei herausgearbeitet, warum eine repräsentative und objektive Datenerhebung, d.h. beispielsweise die Erhebung von Urteilen einer repräsentativen Anzahl von naiven Sprechern, als wichtig erachtet wird und warum dieser Form der Datenerhebung in den eigenen Untersuchungen (vgl. Kapitel 5 und 6) der Vorzug gegenüber anderen in der sprachwissenschaftlichen Forschung üblichen Verfahren gegeben wird. Die Tatsache, dass in der vorliegenden Arbeit Datenerhebungs- und Datenauswertungsverfahren der Vorzug gegeben wird, die sich an messtheoretischen und statistischen Kriterien orientieren, bedeutet nicht, dass dieses Vorgehen generell als das geeignetste angesehen wird. Die Wahl der Forschungsmethode sollte immer abhängig sein von der Art der Fragestellung und dem damit einhergehenden Erkenntnisinteresse. So kann es durchaus Themenbereiche innerhalb der Linguistik geben, in denen die Theoriebildung beispielsweise ohne die Befragung zahlreicher Sprecher oder ohne die Betrachtung großer Datenmengen erfolgen kann. Für die in der vorliegenden Arbeit gestellten Fragen wird jedoch das hier gewählte und im Folgenden diskutierte Vorgehen als das adäquateste angesehen.

4.2.1 Zur Notwendigkeit einer Methodendiskussion innerhalb sprachwissenschaftlicher Forschung „I generally prefer not to engage in methodological discussions and would rather just get on with my work." (LakofF 1990: 39). Diese Aussage von Lakoff kann - unter der Annahme, dass sie auf viele Linguisten zutrifft - erklären, warum sich kaum explizite methodologische Überlegungen in linguistischen Arbeiten finden (vgl. aber Schütze 1996). Wie LakofF jedoch weiter ausführt, kann die fehlende Thematisierung von Forschungsmethoden zu Missverständnissen führen: „It is my opinion that much of the acrimonious bickering that has characterized generative linguistics throughout its history has been due to a failure to engage in such discussions and to a lack of charity toward the primary commitments of others." (Lakoff 1990: 39f.). In Übereinstimmung mit dieser Aussage von Lakoff wird es in

102 der vorliegenden Arbeit für nötig erachtet, methodologische Aspekte zu diskutieren und das hier gewählte Vorgehen zu begründen. Intuitionen oder Sprecherurteile stellen das wichtigste methodische Instrumentarium für die sprachwissenschaftliche Forschung dar. Dennoch werden traditionellerweise innerhalb der Sprachwissenschaft kaum theoretische Überlegungen über ihre forschungsmethodisch relevanten Aspekte angestellt. Dafür sind mehrere Gründe zu nennen. Zum einen verweisen Sprachwissenschaftler seit jeher - z.B. im Rückgriff auf Chomsky (1965: 20f.) - auf die spezifischen und einzigartigen Eigenschaften des Untersuchungsgegenstandes der Linguistik, der Sprache, die qualitativ anders ist als Untersuchungsgegenstände anderer, naturwissenschaftlicher Disziplinen. Damit wird oft begründet, dass für die Linguistik andere, i.e. schwächere Kriterien bezüglich der Datenerhebung und -auswertung zu gelten haben als für andere Wissenschaftsgebiete. Als Konsequenz daraus haben sich innerhalb der Linguistik keine Standards für die systematische Datenerhebung und -auswertung ergeben. So besteht im Gegensatz zu beispielsweise psychologischen, sozialwissenschaftlichen oder ähnlich empirisch orientierten Disziplinen bei linguistischen Publikationen nicht die Bedingung, Auskunft über die Herkunft der Daten zu geben (vgl. dazu Schütze 1996: 211 oder Grandy 1981). Damit geht einher, dass Studierende der Linguistik in Statistik, Messtheorie und Wahrscheinlichkeitsrechnung, die die Grundlagen für den experimentellen Umgang mit Daten liefern, nicht ausgebildet werden. Forderungen, diesen Zustand zu ändern, werden in der Regel mit dem Hinweis auf den sich dadurch ergebenden Mehraufwand an Zeit und Geld abgewehrt (Schütze 1996: 211). Die oben angeführten Gründe für die Nichtbeachtung der Kriterien, die bei der Datenerhebung und -interpretation wesentlich sind und die in anderen Wissenschaften als selbstverständlich gelten, sollen im Folgenden einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Zunächst muss hinterfragt werden, ob die Sprache tatsächlich qualitativ mit keinem anderen Untersuchungsgegenstand verglichen werden kann und es insofern wirklich gerechtfertigt ist, innerhalb der Linguistik andere Anforderungen an die Datenerhebung und -auswertung zu stellen als in anderen Disziplinen. Wenn sprachliche Urteile als Verhaltensdaten, d.h. zunächst als Ausdruck einer von Sprecher zu Sprecher variierenden „Reaktion", definiert werden - wie es in der Psycholinguistik, der Fremdsprachenforschung und auch in der vorliegenden Arbeit getan wird - , ist diese qualitative Abgrenzung nicht mehr zu vertreten. Beispielsweise plädiert Schütze (1996: 52) dafür, grammatische Urteile von Sprechern eher als „grammaticality sensations" oder „linguistic reactions" zu bezeichnen. Die Begriffe „Empfindung" oder „Reaktion" machen deutlich, dass es sich damit bei sprachlichen Urteilen um eine Art von „Verhaltensdaten" handelt, die demzufolge in ähnlich standardisierter Form erhoben werden sollten wie dies in den Verhaltenswissenschaften, z.B. der Psychologie, üblich ist. Ein weiteres Argument dafür, warum sich die sprachwissenschaftliche Datenerhebung an die Methodenstandards anderer Wissenschaften anpassen sollte, ist die zunehmende interdisziplinäre Verknüpfung der Linguistik mit anderen Forschungszweigen, z.B. den kognitiven Wissenschaften, vor allem der Psychologie (vgl. 1.1 und Schütze 1996: 210). Es kann nur dann zu einem produktiven Austausch und einer Vergleichbarkeit der Befunde zwischen den Disziplinen kommen, wenn die beteiligten Disziplinen eine bestimmte methodologische Basis garantieren können und über die jeweils unterschiedlichen commitments (vgl. Lakoff 1990: 39f.) Bescheid wissen.

103 Die Zunahme an korpusbasierter linguistischer Forschung in den letzten Jahren (vgl. dazu z.B. Aijmer und Altenberg 1991 sowie 7.1.3.4) ist ein Hinweis darauf, dass es innerhalb der Sprachwissenschaft bereits intensive Bemühungen gibt, die Datenerhebungen mit Hilfe von großen Korpora zu standardisieren, d.h. objektiver und repräsentativer zu machen. Das folgende Zitat von Schütze (1996) zeigt einige Konsequenzen und Forderungen auf, die sich aus einer Zunahme an experimenteller Forschung für die Linguistik ergeben können: Obviously if this trend of linguists basing their theories on experimental data is to continue and grow, linguists will have to be trained in areas that they traditionally have not been required to know anything about: statistics and experimental design in general, and the psychology of grammaticality judgements in particular. [...] every linguistics department should offer a course in experimental linguistics. [...] this would give students a leg up in joining the blossoming interdisciplinary enterprise of cognitive science. (Schütze 1996: 210) Dass zur Zeit erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Disziplinen im Hinblick auf die Datenerhebung bestehen, liegt u.a. auch daran, dass jeweils andere Ziele mit der Interpretation der Daten verbunden sind. So liegt innerhalb der theoretischen Sprachwissenschaft, z.B. der generativen Grammatik, ein anderer theoretischer Anspruch und damit ein anderes Erkenntnisinteresse zugrunde als innerhalb der empirischen Sprachwissenschaft, z.B. der Psycholinguistik. Damit ist auch die unterschiedliche Forderung nach Erklärungs- bzw. Beschreibungsadäquatheit verbunden. Chomsky definiert diese Begriffe folgendermaßen: A grammar can be regarded as a theory of a language; it is descriptively adequate to the extent that it correctly describes the intrinsic competence of the idealized native speaker. [...] To the extent that a linguistic theory succeeds in selecting a descriptively adequate grammar on the basis of primary linguistic data, we can say that it meets the condition of explanatory adequacy. (Chomsky 1965: 24f.) Ziel der generativen Grammatiktheorie ist es, Erklärungsadäquatheit zu erreichen, auch wenn dieses Ziel von Chomsky (1965: 26) noch als „utopisch" bezeichnet wird. Innerhalb empirisch orientierter sprachwissenschaftlicher Disziplinen wird vor allem zunächst Beschreibungs- oder Beobachtungsadäquatheit beansprucht (vgl. Schlobinski 1996: 14). Mit diesem Unterschied im Anspruch geht auch einher, dass die theoretisch orientierte Sprachwissenschaft eher invariante Strukturen, d.h. Universalien fokussiert, während die empirisch orientierte Sprachwissenschaft den Variationen, die zwischen Sprechern auftreten, mehr Bedeutung zukommen lässt (vgl. z.B. Schütze 1996: 99ff., Schlobinski 1996: 14). Daraus folgt, dass es fiir die empirische Sprachwissenschaft von ihrem Anspruch her wesentlich ist, eine möglichst objektive und repräsentative Datenerhebung und -auswertung anzustreben. Schütze (1996: 212) weist richtigerweise darauf hin, dass dieses Vorgehen auch in der theoretischen Sprachwissenschaft nur von Vorteil sein kann: „Linguistics has much to gain and nothing to lose by taking data collection, and particularly judgment collection, much more seriously [...]." Um diesem Anspruch nachzukommen, werden in den nächsten Abschnitten messtheoretische Kriterien von Sprecherurteilen und statistische Aspekte der Datenerhebung genauer betrachtet.

104 4.2.2

Messtheoretische Kriterien von Sprecherurteilen

Die Erhebung von Sprecherurteilen kann im weiteren Sinne als Messung bezeichnet werden, an die innerhalb empirisch orientierter Wissenschaften bestimmte Kriterien gestellt werden. Lienert und Raatz (1994: 7) unterscheiden drei Hauptgütekriterien für Erhebungen: sie sollen objektiv, reliabel und valide sein; außerdem vergleichbar, ökonomisch und nützlich. In den nächsten Abschnitten werden die messtheoretischen Kriterien der Objektivität (vgl. 4.2.2.1) und Validität (vgl. 4.2.2.2) in Bezug auf die Erhebung von Sprecherurteilen diskutiert. Das Kriterium der Reliabilität wird hier nicht betrachtet, da es sich auf die Zuverlässigkeit oder Genauigkeit einer Messung bzw. des Messinstruments bezieht. Die Überprüfung der Reliabilität ist relativ aufwendig und wird in der Regel nur dann durchgeführt, wenn es sich um die Eichung von standardisierten Tests, z.B. Intelligenztests o.ä., handelt. Ausführungen zur Reliabilität von Sprecherurteilen, d.h. zur Frage, warum Sprecher inkonsistente Urteile abgeben, finden sich z.B. bei Sorace (1996: 380ff.). Bei den folgenden Ausführungen werden vor allem die Objektivität und Validität nichtmuttersprachlicher Urteile betrachtet. Es wird gezeigt, dass nichtmuttersprachliche Urteile im messtheoretischen Sinne eine objektive und valide Informationsquelle darstellen und deshalb die in Kapitel 5 und 6 beschriebenen Untersuchungen als zuverlässige Ergänzung zu muttersprachlichen Studien gewertet werden können.

4.2.2.1

Zur Objektivität von Sprecherurteilen

Sacher (1994: 29) sowie Lienert und Raatz (1994: 7f.) unterscheiden drei Aspekte der Objektivität, die sich jeweils auf verschiedene Phasen einer Erhebung beziehen: die Durchführungsobjektivität, die Auswertungsobjektivität sowie die Interpretationsobjektivität. Alle drei sollten gewährleistet sein. Im Hinblick auf die Erhebung von Sprecherurteilen bedeutet „objektiv" demnach, dass die Erhebung von Daten so durchgeführt werden sollte, dass die Person des Untersuchers keinen Einfluss auf die Aussagen des befragten Sprechers nimmt. Demzufolge müssen Untersucher und Befragter verschiedene Personen sein. Wie das folgende Zitat von Chomsky belegt, wird dieser Anspruch nicht in allen Bereichen der Linguistik erhoben: „The problem for the grammarian is to construct a description and, where possible, an explanation for the enormous mass of unquestionable data concerning the linguistic intuition of the native Speaker (often, himself) [...]" (Chomsky 1965: 20). Es ist deutlich, dass hier nicht zwischen Informant, d.h. der Person, die die sprachlichen Daten liefert, und dem Untersucher bzw. Autor unterschieden wird. Gemäß den grundlegenden Annahmen der generativen Grammatik werden Intuitionen von Sprechern über die grammatische Akzeptabilität sprachlicher Daten verwendet, um zu einer Beschreibung und Erklärung grammatischer Phänomene zu gelangen. 6 Als „kompetent", diese Urteile

6

Chomsky weist auf die Gefahren dieser Vorgehensweise hin: „This is the position that is universally adopted in practice, although there are methodological discussions that seem to imply a reluctance to use [...] introspective reports as evidence for some underlying reality." (Chomsky 1965: 18f.).

105 abzugeben, gelten der Muttersprachler und der Linguist, der die jeweils zu untersuchende Sprache erlernt hat (Chomsky 1965: 18). Das obige Zitat macht deutlich, dass sich linguistische Theoriebildung auf muttersprachliche Intuitionen stützt, wobei der Informant und der Autor ein und dieselbe Person sein können. Dieses Vorgehen verletzt das unter messtheoretischem Gesichtspunkt an empirische Untersuchungen gestellte Gütekriterium der Objektivität und hat Ansatzpunkte für Kritik geliefert, die im Folgenden anhand einiger Beispiele illustriert wird. Dabei wird vor allem die Verschmelzung von Informant und Autor kritisiert, aber auch die Tatsache, dass wenn Informanten befragt werden, üblicherweise nur einige wenige dazu herangezogen werden. So fordert beispielsweise Labov (1972b: 199) nach ausführlichen Betrachtungen zur linguistischen Methodologie (vgl. auch Labov 1972a): „[...] linguists cannot continue to produce theory and data at the same time." Pullum (1987: 453f.) formuliert ironisch überspitzt: „The mean number of speakers on whom the entire corpus of examples in an English syntax paper is checked before publication, including the author, is zero."7 Schütze (1996: 38f.) verweist u.a. auf die Arbeiten von Lasnik und Saito (1984) sowie Aoun et al. (1987) und zeigt, dass dort die Autoren auf der Grundlage ihrer eigenen Intuitionen theoretische Aussagen treffen, die bei einer Überprüfung durch Urteile anderer Sprecher nicht bestehen können. Schlobinski (1996: 12) kritisiert, dass ,,[d]as unzulässige Induzieren [...] kein Einzelfall" innerhalb der theoretischen Sprachwissenschaft ist: „Aufgrund der Befragung weniger Personen wird auf Dialekte größerer regionaler Verbreitung geschlossen [...]." Die Objektivität bei der gerade beschriebenen Verschmelzung von Informant und Autor wird zusätzlich dadurch verletzt, dass Linguisten durch ihren professionellen Umgang mit Sprache „spezialisierte Intuitionen" entwickelt haben, die nicht mehr mit denen von naiven Sprechern vergleichbar sind (für einen Überblick vgl. z.B. Sorace 1990 oder Schütze 1996: 113ff.). Wenn sich Linguisten bei der Theoriebildung auf ihre eigenen oder die Intuitionen einiger weniger Kollegen verlassen, muss gefragt werden, ob diese Intuitionen nicht lediglich die eigenen, von der Theorie bereits geprägten Voreinstellungen widerspiegeln. Ähnliches gilt, wenn zur Überprüfung der Theorie einer fremden Sprache einige wenige muttersprachliche Informanten befragt werden. Diese Vermutung wurde z.B. sowohl von Hill (1961) als auch von Spencer (1973) experimentell bestätigt. Hill (1961) legte seinen naiven Probanden Beispielsätze aus Chomsky (1957) vor und ließ diese Sätze im Hinblick auf ihre grammatische Wohlgeformtheit beurteilen. Es ergaben sich wenig Übereinstimmungen zwischen den Probanden und vor allem Unterschiede zu Chomskys Einschätzungen.8 Spencer (1973) wählte als akzeptabel oder nicht akzeptabel bewertete Sätze aus sechs linguistischen Publikationen aus und legte sie naiven Probanden vor, die sie ebenfalls im Hinblick auf ihre Wohlgeformtheit beurteilen sollten. Die Probanden stimmten in ihren Urteilen untereinander zu 80% überein, jedoch nur zur Hälfte mit den Urteilen der Linguisten. Dieser Sachverhalt ist ein Hinweis darauf, 7

8

In Bezug auf fremde Sprachen kritisiert er: „The mean number of informants used for a study on a foreign language is one. The person in question is known in the trade jargon as 'my principal informant' [...]" (Pullum 1987: 453f.). Vgl. Chaudron (1983: 350) sowie Newmeyer (1980: 30) für Kritik an Hills Vorgehen, das - obwohl es an Chomsky die fehlende Objektivität bemangelt - ebenfalls nicht ausreichend objektiv und repräsentativ ist.

106 dass sprachliche Intuitionen, die von einem oder wenigen muttersprachlichen Informanten oder von Experten, also Linguisten stammen, so spezialisiert sein können, dass sie nicht das Urteil anderer, naiver Sprecher repräsentieren. 9 Schütze (1996) zitiert Greenbaum (1976, 1977), der drei Gründe nennt, warum Linguisten keine objektiven Informanten sind. Das Zitat fasst die oben dargestellten Argumente zusammen: First, after long exposure to closely related sentences their judgements tend to become blurred. [...] Second, linguists are liable to be unconsciously prejudiced by their own theoretical positions, tending to judge in accordance with the predictions of their particular version of grammar. [...] third [...] they look for reasons behind their acceptance or rejection of a sentence, which takes away spontaneity and makes their judgement process different from those of naive subjects [...]. (Schütze 1996: 114f.) Schütze (1996: 115ff.) bestätigt Greenbaums Aussagen durch experimentelle Belege verschiedener Autoren, z.B. Rose (1973) sowie Snow und Meijer (1977). Er räumt allerdings gleichzeitig ein - und dieses Argument soll an dieser Stelle wegen seiner Richtigkeit und Gültigkeit unterstrichen werden - , dass die Tatsache, dass sich die Intuitionen oder Urteile von Linguisten und naiven Sprechern unterscheiden, nicht bedeuten darf, dass die Expertenurteile gar nicht mehr berücksichtigt werden. Es kommt vielmehr darauf an, die Unterschiede beider Sprechergruppen zu identifizieren und die jeweiligen Vor- und Nachteile fur die linguistische Forschung zu bestimmen. Außerdem hängt es, wie eingangs in 4.2 bereits erwähnt, von dem jeweils zur Untersuchung stehenden linguistischen Phänomen ab, ob eher Expertenurteile, die im messtheoretischen Sinne als eingeschränkt objektiv gelten, oder naive Sprecherurteile angemessen sind. Da die Objektivität der Datenerhebung ein wichtiger Faktor in empirischen Untersuchungen ist, wird als Fazit aus obigen Ausführungen in der vorliegenden Arbeit der Ansatz verfolgt, durch die Befragung zahlreicher naiver Sprecher an im messtheoretischen Sinne objektive Sprecherurteile zu gelangen. Im folgenden Abschnitt wird auf ein weiteres Gütekriterium von Messungen eingegangen, die Validität. Im vorliegenden Zusammenhang stellt sich vor allem die Frage nach der Validität nichtmuttersprachlicher Urteile.

4.2.2.2

Zur Validität von Sprecherurteilen

Unter Validität versteht man die Gültigkeit oder Messgenauigkeit eines Erhebungsverfahrens in Bezug auf das Kriterium, das untersucht werden soll (vgl. Clauß und Ebner 1983: 37 oder Sacher 1994: 30f.). Die Validität gibt an, ob tatsächlich das gemessen wird, was gemessen werden soll. Wie bei der Objektivität wird auch im Falle der Validität zwischen verschiedenen Arten unterschieden. Es gibt die inhaltliche Validität, die kriterienbezogene Validität und die Konstruktvalidität (vgl. Lienert und Raatz 1994: 10f.). Bezogen auf den hier vorliegenden Zusammenhang lautet die Frage, inwieweit es gerechtfertigt ist, aus den Urteilen von Sprechern Rückschlüsse auf die zugrunde liegende 9

Chaudron (1983: 350ff.) spricht von „Zirkelschlussgefahr" und liefert weitere experimentelle Bestätigungen dafür. Kritik an Spencer (1973) findet sich bei Schütze (1996: 115f.).

107 sprachliche Kompetenz zu ziehen (vgl. Sorace 1996: 376). Im Hinblick auf die in Kapitel 5 und 6 dargestellten Erhebungen kann konkreter gefragt werden, ob die Urteile von Sprechern - in diesem Falle Nichtmuttersprachlern - Konstruktvalidität aufweisen, d.h. ob die Urteile über die Dekomponierbarkeit von Idiomen tatsächlich Aufschluss geben können über das theoretisch postulierte Konstrukt der Dekomponierbarkeit. Da traditionellerweise innerhalb der Linguistik Intuitionen bzw. Urteile von Muttersprachlern erhoben werden, muss zunächst geprüft werden, ob muttersprachliche Urteile als valide gelten können. Darauf soll an dieser Stelle jedoch nur kurz eingegangen werden, da für die vorliegende Arbeit die Validität nichtmuttersprachlicher Urteile entscheidender ist. Als Faktoren, die die Validität der Urteile beeinträchtigen können, werden häufig extralinguistische Aspekte angeführt, z.B. die kognitive Entwicklung oder der sprachliche Hintergrund des Informanten, der Kontext der Präsentation, Trainingseffekte etc. (vgl. z.B. Chaudron 1983: 346 oder Sorace 1996: 377f.). Chaudron (1983: 372) kommt zu dem Schluss, dass Sprecherurteile trotz des Einflusses der genannten störenden Faktoren als valide bezeichnet werden können. Auch Sorace (1996) kommt zu diesem Fazit; gleichzeitig stellt sie jedoch konkrete Forderungen auf (vgl. Sorace 1996: 391 ff.), wie Urteile erhoben werden sollten, um deren Validität und Reliabilität noch zu steigern. Dazu gehört beispielsweise die Durchführung von Replikationsstudien oder die Identifikation der Faktoren, die keine grammatischen Aspekte reflektieren, aber dennoch die Urteile beeinflussen. Für den vorliegenden Kontext ist die Frage nach der Validität nichtmuttersprachlicher Urteile entscheidender. Würde diesen die Validität abgesprochen werden, wäre es unzulässig, Nichtmuttersprachler zu befragen, um dadurch zu einer Überprüfung der muttersprachlichen Urteile und einer Bestätigung des postulierten Konstruktes zu gelangen. Zunächst kann allgemein festgestellt werden, dass die Berücksichtigung nichtmuttersprachlicher Urteile in den letzten Jahren stetig zugenommen hat. Dies kann vor allem dadurch erklärt werden, dass seit den 70er Jahren die Verknüpfungspunkte zwischen linguistischen, psycholinguistischen und fremdsprachendidaktischen Fragestellungen kontinuierlich zugenommen haben. 10 Indirekt kann dies als Hinweis darauf gewertet werden, dass nichtmuttersprachliche Urteile dazu herangezogen werden, nicht nur muttersprachliche Urteile zu „überprüfen", sondern auch - darüber hinausgehend - im Hinblick auf linguistische Fragestellungen Aufschluss zu geben und zusätzliche Informationen über theoretische Konstrukte zu liefern. Bei der Diskussion um die Aussagekraft oder Validität nichtmuttersprachlicher Urteile sowie bei der Frage, in welcher Beziehung muttersprachliche und nichtmuttersprachliche Urteile stehen, spielt der Begriff der interlanguage eine zentrale Rolle. Damit ist gemeint, dass die Kenntnisse des Nichtmuttersprachlers, die sich in dessen Urteilen ausdrücken und auf dessen fremdsprachliche Kompetenz zurückgeführt werden, im Vergleich zur idealisierten sprachlichen Kompetenz des Muttersprachlers ein Zwischenstadium darstellen, das Elemente der Erstsprache, deren Interferenzen zur Zweitsprache und bereits erlernte Komponenten der Zweitsprache enthält, dem aber gleichzeitig noch Aspekte der Zweitsprache fehlen (vgl. dazu z.B. Selinker 1972, Corder 1974, 1981). Das bedeutet, dass Nichtmuttersprachler eine internalisierte Grammatik haben, die j e nach Leistungsstand in der Fremd10

So verweist z.B. Wolff (1994a: 104) darauf, dass „die Sprachpsychologie in all ihren Spielarten zu einer der wichtigsten Bezugswissenschaften der Fremdsprachendidaktik geworden ist."

108 spräche unterschiedlich ist. Die Intuitionen bzw. Sprecherurteile, die Nichtmuttersprachler liefern, sind demnach Indikatoren ihrer interlanguage-Kompetenz, also einer Kompetenz, die keinen „fertigen" oder „stabilen" Zustand darstellt, wie im Falle des Muttersprachlers angenommen wird, sondern eher eine im Wandel begriffene Wissensrepräsentation ist (vgl. dazu Sorace 1996: 384ff.). Deshalb wird oft in Frage gestellt, dass nichtmuttersprachliche Urteile so valide sein können, wie es muttersprachlichen Urteilen zugeschrieben wird. Dabei ist zu beachten, dass in den obigen Ausführungen mit Verweis auf Chaudron (1983) und Sorace (1996) die allgemein akzeptierte Validität von muttersprachlichen Urteilen zwar bestätigt wurde, es aber auch gegenteilige Befunde gibt. So konnten Carroll, Bever und Pollack (1981) zeigen, dass die Intuitionen von Muttersprachlern über die Akzeptabilität von Sätzen durch extralinguistische Faktoren systematisch variiert werden können, deren Validität also nicht immer als stabil betrachtet werden kann. Nagata (1988) konnte den Einfluss von Wiederholungen auf die Beurteilungen von Sätzen nachweisen und damit die Relativität von Sprecherurteilen aufzeigen. Auch Davies (1990) liefert eine Analyse der „Fehlerhaftigkeit" sprachlicher Intuitionen von Muttersprachlern. Bei der Bewertung der Korrektheit nichtmuttersprachlicher Urteile wird in der Regel das muttersprachliche Urteil als Referenzwert betrachtet. Dieser absolute Anspruch an das muttersprachliche Urteil ist angesichts der Befunde von Carroll, Bever und Pollack (1981), Nagata (1988) und Davies (1990) nicht gerechtfertigt. Auch Sorace (1996: 385) hält dieses Vorgehen für problematisch: „[...] native judgements themselves can be indeterminate, particularly when the objects of investigation are highly marked or very subtle syntactic properties [...]." Die Varianz in den muttersprachlichen und - noch ausgeprägter - in den nichtmuttersprachlichen Urteilen (zum Überblick vgl. Chaudron 1983) kommt umso mehr zum Tragen, wenn es sich z.B. um Urteile über die Dekomponierbarkeit von Idiomen handelt, d.h. um Einschätzungen eines kontinuierlich verteilten Konstrukts, bei dem es per definitionem gar keine einzig mögliche oder richtige Antwort gibt. Das bedeutet, dass es Randbereiche der Grammatik gibt, die im Gegensatz zu bestimmten Kernbereichen, wie z.B. der Syntax, einer ständigen Variation unterliegen, was sich in einer höheren Variabilität der Sprecherurteile dazu ausdrückt. Sorace (1990: 134) verweist darauf, dass diese Variabilität grundsätzlich mit den Annahmen der Universalgrammatik vereinbar ist und insofern - modelltheoretisch betrachtet - kein Hindernis darstellt. Außerdem schlussfolgert sie, dass Varianz in den Urteilen von Nichtmuttersprachlern nicht auf deren mangelnde sprachliche Kompetenz zurückzuführen ist, sondern eher auf die zu beurteilenden Konstruktionen. Diese Aussage hat auch für die Beurteilung der Dekomponierbarkeit von Idiomen durch Nichtmuttersprachler (vgl. Kapitel 5 und 6) Gültigkeit: If near-NSs [i.e. nonnative speakers with nativelike grammatical knowledge (cf 389)] come to attain acceptability hierarchies similar to those acquired by NSs [i.e. native speakers], then their intuitions on peripheral constructions will also be indeterminate (and their judgements will be variable), because of the intermediate grammaticality of these constructions, rather than because of incomplete knowledge representations. (Sorace 1996: 404) Das bedeutet, dass trotz der intra- und interindividuellen Varianz, die angesichts der obigen Ausführungen für Urteile aller Sprecher akzeptiert werden muss, auch nichtmuttersprachliche Urteile durchaus als valide betrachtet werden können (vgl. Chaudron 1983: 370f.,

109 siehe auch Gass (1983) für empirische Evidenz der Validität nichtmuttersprachlicher Urteile). 11 Zu beachten ist dabei, dass ein dem Untersuchungsgegenstand angemessener Kenntnisstand in der Fremdsprache gewährleistet sein muss. Dann ist es gerechtfertigt, die Urteile von Sprechern, auch Nichtmuttersprachlern, als gültige Hinweise auf das zugrunde liegende Konstrukt zu betrachten, in diesem Falle die Dekomponierbarkeit von Idiomen. Die Diskussion in 4.2.2 hat verdeutlicht, dass die Erhebung und Verwendung von naiven muttersprachlichen sowie nichtmuttersprachlichen Urteilen ein objektives und valides Verfahren darstellt. Da die Repräsentativität und damit die Zuverlässigkeit der Urteile mit der Anzahl der befragten Sprecher ansteigt - statistisch gesehen nimmt die Varianz der Urteile dadurch ab ist es empfehlenswert, Sprecherurteile von großen Probandengruppen zu erheben. Deshalb muss neben der objektiven und validen Erhebung von Sprecherurteilen als zusätzliche Bedingung für empirische Untersuchungen gefordert werden, dass eine repräsentative Gruppe von Sprechern befragt wird, d.h. eine ausreichende Anzahl von Sprechern, deren eventuell divergierende Aussagen gleichermaßen berücksichtigt werden. Ähnliche Ansprüche müssen an die zu untersuchenden sprachlichen Daten gestellt werden. Darauf wird im folgenden Abschnitt eingegangen.

4.2.3

Zur Repräsentativität von Stichprobe und Datenbasis

Der Begriff der Repräsentativität gehört zu den statistisch relevanten Aspekten empirischer Untersuchungen. Auch auf diesem Gebiet lassen sich unterschiedliche Ansprüche der verschiedenen Forschungsrichtungen bestimmen (vgl. dazu 1.1): Innerhalb der empirischen Sprachwissenschaft wird es als erforderlich betrachtet, Urteile von möglichst vielen Sprechern zu erheben, während es in den theoretisch orientierten Disziplinen wie der generativen Grammatik in der Regel als ausreichend angesehen wird, einige wenige Intuitionen über die zur Untersuchung stehenden sprachlichen Phänomene zu berücksichtigen. 12 Es stellt sich zunächst die Frage, was unter dem Begriff der Repräsentativität verstanden wird. Clauß und Ebner (1983: 179) nehmen folgende Begriffsklärung vor: „Repräsentative Auswahl führt zu einer Stichprobe, die ein verkleinertes, möglichst wahrheitsgetreues Abbild der Grundgesamtheit darstellt." Nur von einer repräsentativen Stichprobe ist der Rückschluss auf die Grundgesamtheit ein zulässiger Vorgang; die von der kleineren Stichprobe gelieferten Informationen haben unter der Annahme der Repräsentativität Gültigkeit für die gesamte Population. Nach Clauß und Ebner können - bezogen auf wissenschaftliche Untersuchungen der hier zur Diskussion stehenden Art - alle Stichproben, die mehr als 30 Personen umfassen, als groß bezeichnet werden, wobei als typisch solche Stichproben gelten, die zwischen 30 und 100 Probanden berücksichtigen (1983: 176f.). Die Tatsache, dass Ergebnisse empirischer Studien umso verlässlicher werden, j e mehr Probanden während der Untersuchung befragt werden, hängt mit dem so genannten „Gesetz der großen Zahlen"

11

12

Gass (1983) betrachtet Grammatikalitätsurteile nichtmuttersprachlicher Probanden und zeigt, dass ungrammatische Sätze zu 70% von diesen Sprechern auch als solche identifiziert werden. Schlobinski (1996: 9ff.) grenzt „Theorie" und „Empirie" als komplementäre Gegensätze ab, d.h. sie bedingen und benötigen sich gegenseitig (vgl. dazu auch Schütze 1996).

110 zusammen. Dieses Gesetz besagt, dass „die relative Häufigkeit gegen die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses konvergiert" (Krause und Metzler 1988: 22). Übertragen auf den vorliegenden Kontext bedeutet dies, dass mit wachsender Größe der Stichprobe die Genauigkeit der Messergebnisse zunimmt bzw. dass die Repräsentativität der Ergebnisse zunehmend gewährleistet ist. In der theoretischen Sprachwissenschaft wird die oben beschriebene Forderung bezüglich der Repräsentativität häufig nicht eingehalten. So stellt z.B. Schlobinski (1996: 27) fest, dass „in fast allen sprachwissenschaftlichen Untersuchungen aufgrund einer zu kleinen Datenmenge unzureichend verallgemeinert wird." Seine Erklärung für diese unbefriedigende Situation kann nur unterstrichen werden, ist aber nicht als Rechtfertigung oder Entschuldigung zu verstehen: „[...] die Erhebung verbaler Daten [ist] extrem zeit- und geldaufwendig [...] und beides steht Sprachwissenschaftlern nur in geringem Maße zur Verfügung." (Schlobinski 1996: 27). Er betont gleichzeitig, dass jede Datenbasis, die mit Hilfe einer kleinen Stichprobe gewonnen wird, einen Vorteil gegenüber der „Einerstichprobe" darstellt, d.h. der Daten, die lediglich auf der Intuition eines einzelnen Sprechers beruhen. Dennoch muss - zugunsten allgemein gültiger Aussagen - gefordert werden, den oben angegebenen Umfang für repräsentative Stichproben einzuhalten. Die in den Kapiteln 5 und 6 dargestellten eigenen Untersuchungen erfüllen diese Forderung: Insgesamt wurden 182 Sprecher - 151 in Erhebung I, 31 in Erhebung II - befragt; in die Analysen eingegangen sind die Daten von 169 Sprechern. Insofern kann die dort untersuchte Stichprobe als groß genug und repräsentativ bezeichnet werden. Es stellt sich weiterhin die Frage nach der Grundgesamtheit, auf die aus den Daten der Stichprobe Rückschlüsse gezogen werden können. Im vorliegenden Fall wurden Studentinnen und Studenten ausgewählt, die aufgrund ihrer Studienfachwahl vermuten ließen, genug Englischkenntnisse zu haben, um an der Befragung zur Dekomponierbarkeit englischer Idiome teilnehmen zu können (für ein detailliertes Profil der Probanden vgl. 5.5.1 und 6.4). Von dieser Stichprobe ausgehend ist eine Verallgemeinerung auf diejenigen Nichtmuttersprachler gerechtfertigt, die ein ähnliches Profil wie die Probanden aufweisen sowie - mit Vorsicht - auf andere Nichtmuttersprachler, die weniger oder mehr Sprachkenntnisse des Englischen haben. Der Begriff der Repräsentativität bezieht sich nicht nur auf die Anzahl und Auswahl der Probanden, sondern auch auf das Datenmaterial, zu dem Sprecherurteile abgegeben werden sollen. Die Ausführungen in Kapitel 3 haben verdeutlicht, dass die Auswahl des Datenmaterials entscheidenden Einfluss auf die Ergebnisse nimmt bzw. dass nicht sorgfältig ausgewähltes Datenmaterial zu widersprüchlichen und nicht miteinander vergleichbaren Ergebnissen führt. Die Erkenntnis, dass eine repräsentative und anhand bestimmter Kriterien „genormte" Datengrundlage von erheblicher Bedeutung ist, hat auf dem Gebiet der Idiomforschung in den letzten Jahren vermehrt dazu geführt, die Datenbasis sorgfältig repräsentativ - auszuwählen. Deshalb wurde für die vorliegende Arbeit der Anspruch erhoben, aus der Grundgesamtheit der Idiome eine repräsentative Auswahl zu treffen. In den Kapiteln 5 und 6 wird jeweils ausführlich dargelegt, welchen Kriterien die verwendeten Daten genügen mussten. Mit 190 untersuchten verbalen Idiomen (Erhebung I, vgl. 5.2) und 130 beurteilten syntaktisch unterschiedlichen Idiomen (Erhebung II, vgl. 6.2), d.h. einer absoluten Anzahl von 320 untersuchten Idiomen, erscheint es gerechtfertigt, von einer repräsentativen Auswahl zu sprechen.

111

Der Vorteil einer repräsentativen Datengrundlage besteht u.a. auch darin, dass die so ermittelten Ergebnisse als Richtlinien für weitere Forschung verwendet werden können. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit stellen - in Analogie zur Untersuchung von Titone und Connine (1994a) sowie der von Schweigert und Cronk (1992), die Normwerte mit Muttersprachlern ermittelt haben - Normwerte für Nichtmuttersprachler bereit.

4.2.4

Zusammenfassung: Sprecherurteile

Die vorangegangenen Überlegungen zu Sprecherurteilen haben den methodologischen Hintergrund für die Untersuchungen geliefert, die in den beiden nächsten Kapiteln beschrieben werden. Es wurde argumentiert, dass im Hinblick auf eine zunehmende interdisziplinäre Vernetzung der Linguistik mit den kognitiven Wissenschaften, z.B. der Psychologie, zu fordern ist, die Datenerhebung und -beurteilung in der Sprachwissenschaft den Standards in den kooperierenden Wissenschaften so weit wie möglich anzugleichen. Demzufolge sollten Sprecherurteile wie andere Verhaltens- oder Reaktionsdaten erhoben werden. Es wurde gezeigt, dass durch die Trennung von Informant und Autor sowie - damit einhergehend - durch die Befragung naiver Sprecher, die keine spezialisierten Intuitionen über den Untersuchungsgegenstand entwickelt haben, die Objektivität der sprachlichen Urteile gesteigert werden kann (vgl. 4.2.2.1). Weiterhin wurde diskutiert, dass die Urteile von Nichtmuttersprachlern als valide bezeichnet werden und tatsächlich Auskunft über das zugrunde liegende Konstrukt geben können (4.2.2.2). Neben den messtheoretischen Kriterien der Objektivität und Validität wurde ein statistischer Aspekt behandelt, die Repräsentativität von Stichprobe und Datenbasis (4.2.3). Diese muss gewährleistet sein, da nur im Falle einer repräsentativen Auswahl sowohl der Sprecher als auch des zu beurteilenden sprachlichen Materials Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit zulässig sind. Die Ausführungen in 4.1 haben gezeigt, dass es angesichts des Standes der L2-Idiomforschung dringend erforderlich ist, systematische und vor allem mit der LI-Forschung kompatible Untersuchungen durchzuführen. Dies geschieht in den Erhebungen, die in den nächsten beiden Kapiteln beschrieben werden. Die unter 4.2 vorgebrachten Argumente haben das in den eigenen Untersuchungen gewählte methodische Vorgehen erläutert und dessen Vorteile gegenüber anderen Verfahren herausgestellt. Die in der hier vorgenommenen Art und Weise durchgeführten Erhebungen von nichtmuttersprachlichen Urteilen zur Dekomponierbarkeit englischer Idiome sind demnach sowohl vom Stand der Forschung als auch methodologisch betrachtet gut begründet.

5

Sprecherurteile von Nichtmuttersprachlern zur Dekomponierbarkeit englischer Idiome: Erhebung I

In diesem und im nächsten Kapitel werden eigene empirische Erhebungen zur Dekomponierbarkeit englischer Idiome und deren Ergebnisse ausführlich dargestellt und diskutiert. Es handelt sich dabei vorwiegend um die Analyse von nichtmuttersprachlichen Urteilen. In Kapitel 2 und 3 wurden die linguistischen bzw. psycholinguistischen Untersuchungen dargestellt, die zum grammatischen Verhalten sowie zur Verarbeitung und Speicherung von englischen Idiomen durchgeführt wurden. Die Befundlage muss als heterogen bezeichnet werden, auch in Bezug auf das als besonders zur Erklärung geeignete Konstrukt der Dekomponierbarkeit (vgl. 3.2). So ergaben die von Gibbs et al. (1989a,b,c) durchgeführten Studien eine gleichmäßige Verteilung verschiedener Idiome auf die unterschiedlichen Dekompositionskategorien (vgl. 3.2.1), während die Untersuchung von Titone und Connine (1994a) eine asymmetrische Verteilung der Idiome lieferte, bei der die Idiome nur an den Endpunkten der Dekompositionsskala übereinstimmend kategorisiert wurden, während eine große Anzahl von Idiomen nicht eindeutig beurteilt wurde (vgl. 3.2.1.2). Wie in Kapitel 1 erwähnt, sollen in der vorliegenden Arbeit die bereits existierenden und widersprüchlichen Befunde, die ausschließlich anhand muttersprachlicher Urteile ermittelt wurden, überprüft und validiert werden, indem ähnliche Untersuchungen an einer nichtmuttersprachlichen Gruppe vorgenommen werden. Dieses Vorgehen trägt dazu bei, die oben geschilderte uneinheitliche Forschungslage zu klären und liefert gleichzeitig Erkenntnisse über das Konstrukt der Dekomponierbarkeit. Die Theorie- und Modellbildung, die traditionellerweise auf der Grundlage muttersprachlicher Urteile entwickelt wird, kann anhand nichtmuttersprachlicher Urteile überprüft und gegebenenfalls modifiziert werden. Für Konstrukte wie z.B. die Dekomponierbarkeit von Idiomen, die linguistische und kognitive Anteile vereinen, muss gefordert werden, dass die darüber formulierten Hypothesen ihre Gültigkeit nicht nur für Muttersprachler haben, sondern diese auch für Fremdsprachler behalten. In Kapitel 4 wurde verdeutlicht, dass systematische, mit Erkenntnissen aus der LI-Forschung kompatible Studien mit Nichtmuttersprachlern dringend erforderlich sind. Außerdem wurde dargelegt, dass das hier gewählte Vorgehen eine geeignete sowie experimentell valide Methode darstellt, zu repräsentativen und vergleichbaren Befunden zu kommen. Die so gewonnenen Erkenntnisse liefern Einsichten bezüglich der Verarbeitungsprozesse von Idiomen durch Nichtmuttersprachler, die wiederum Hinweise auf die Repräsentation von Idiomen im L I - und L2-Lexikon geben (vgl. dazu Kapitel 7). Es sei nochmals erwähnt, dass die hier vorgestellten Erhebungen zur Dekomponierbarkeit von Idiomen für die Forschung mit Nichtmuttersprachlern Pilotcharakter haben, da bisher keine vergleichbaren Arbeiten durchgeführt wurden. Die ermittelten Werte sollten für weitere Forschungen als Normwerte verwendet werden. Die im Folgenden dargestellte Erhebung I beschäftigt sich mit nichtmuttersprachlichen Urteilen zur Dekomponierbarkeit verbaler englischer Idiome, während in Erhebung II (Kapitel 6) syntaktisch heterogene Idiome von Nichtmuttersprachlern beurteilt werden. Einige Idiome aus Erhebung I und die Idiome aus Erhebung II sind deckungsgleich mit den von

113 Titone und Connine (1994a) untersuchten, so dass sich die Möglichkeit einer Replikation dieser Studie ergibt (vgl. dazu Kapitel 6). Die Beschränkung in Erhebung I auf Idiome der Form V + DET + N - d.h. auf syntaktisch betrachtet „leichte", i.e. normalerweise als gut verständlich empfundene verbale Idiome - sollte gewährleisten, dass sich die Sprecher auf die Dekompositionsaufgabe konzentrieren können. So konnte ausgeschlossen werden, dass das Urteil über den Dekompositionsstatus des jeweiligen Idioms durch die eventuell variierende syntaktische Form beeinflusst wurde. Außerdem können dadurch Vergleiche zwischen den syntaktisch unterschiedlichen Idiomen der beiden Erhebungen angestellt werden. Außer dem Dekompositionsstatus der Idiome wurde in beiden Erhebungen der Bekanntheitsgrad der jeweils verwendeten Idiome erhoben (vgl. dazu 3.2.2, aber auch 7.1.3.4), um den Einfluss dieses Faktors auf das Urteil über den Dekompositionsstatus zu kontrollieren. Weiterhin wurde der Schwierigkeitsgrad der Einschätzung erfasst (vgl. 5.7.5), um die psychologische Plausibilität des theoretisch postulierten Konstrukts Dekomponierbarkeit zu überprüfen: Wenn Nichtmuttersprachler keine Schwierigkeiten haben, Idiome im Hinblick auf deren Dekomponierbarkeit zu beurteilen, kann davon ausgegangen werden, dass das Konstrukt psychologisch plausibel ist. Um extralinguistische Faktoren kontrollieren zu können, wurde allen befragten Sprechern ein biographischer Fragebogen vorgelegt (5.5). In den nächsten Abschnitten werden zunächst die zugrunde liegenden Fragestellungen diskutiert (5.1) und die Kriterien für die Auswahl des Datenmaterials (5.2) sowie die verschiedenen Versuchsbedingungen und Instruktionen beschrieben (5.3). Ebenso werden die nichtmuttersprachlichen Probanden und die Kriterien für den Ausschluss aus der Analyse vorgestellt (5.4), der ihnen vorgelegte biographische Fragebogen und das daraus ermittelte Profil der Probanden beschrieben (5.5) sowie die muttersprachlichen Kontrollprobanden, die an Erhebung I teilgenommen haben, kurz charakterisiert (5.6). Es folgt die ausführliche Darstellung der Ergebnisse (5.7).

5.1 Die Fragestellungen

Bei den Fragestellungen, die der hier dargestellten Erhebung zugrunde liegen, muss beachtet werden, dass es der Pilotcharakter der vorliegenden Erhebung einerseits erforderlich machte, zunächst sehr allgemeine, grundlegende Fragen zu stellen. Andererseits können aufgrund der bereits vorliegenden Ergebnisse aus Untersuchungen mit Muttersprachlern spezifische Fragen gestellt werden, die die Gültigkeit der dort ermittelten Befunde im Hinblick auf eine andere Sprechergruppe überprüfen können. Als Erstes stellt sich die Frage, ob Nichtmuttersprachler ebenso wie Muttersprachler in der Lage sind, Urteile über die Dekomponierbarkeit englischer Idiome abzugeben bzw. als wie verlässlich ihre Urteile darüber bezeichnet werden können. Die Frage der Validität nichtmuttersprachlicher Urteile wurde in Abschnitt 4.2.2.2 diskutiert, wobei berücksichtigt werden muss, dass sich die Überlegungen dazu (vgl. z.B. Chaudron 1983, Sorace 1996) bisher in der Regel auf syntaktische Urteile bezogen haben. Um einen Anhaltspunkt für die Aussagekraft der nichtmuttersprachlichen Urteile über die Dekomponierbarkeit verbaler

114 Idiome zu erhalten, werden die Ergebnisse der hier befragten Nichtmuttersprachler (vgl. 5.7.1 bzw. 5.7.3) mit den Urteilen einer ebenfalls befragten, kleinen Gruppe von Muttersprachlern (siehe 5.6) verglichen (5.7.4). Als Nächstes ist zu fragen, ob extralinguistische Faktoren identifiziert werden können, die möglicherweise die nichtmuttersprachlichen Urteile über den Dekompositionsstatus systematisch beeinflussen. Die Bedeutung extralinguistischer Faktoren sowie interindividueller Differenzen wird in der Regel in sprachwissenschaftlichen Arbeiten nicht berücksichtigt - theorieintern begründet durch die Annahme des idealisierten Sprechers in einer homogenen Sprachgemeinschaft (vgl. dazu 1.2.3), wo per definitionem keine Varianzen vorkommen können. Wie jedoch in 1.2.3 dargelegt, erscheint die Kontrolle dieser Faktoren im Bereich von Verhaltensdaten aufschlussreich und erforderlich (vgl. Schütze 1996: 98ff., Singleton 1997: 1646ff.). Deshalb wird den Teilnehmern an Erhebung I ein biographischer Fragebogen (vgl. 5.5 bzw. Appendix 5) vorgelegt, der einige extralinguistische Faktoren erhebt und es erlaubt, ein Profil der befragten Teilnehmer zu erstellen (vgl. 5.5.1). Dieses Profil hat zusätzlich den Vorteil, die hier untersuchten Sprecher genau zu charakterisieren. So können sie besser mit anderen Sprechergruppen aus bereits existierenden bzw. noch zu leistenden Untersuchungen verglichen werden. Eventuelle Unterschiede in den Ergebnissen können dann systematisch auf diese Faktoren zurückgeführt werden. Wie in 3.2.1.2 diskutiert, gibt es unterschiedliche Befunde darüber, wie sich die Idiome auf die Dekompositionskategorien verteilen. Deshalb muss untersucht werden, welche Idiome von der Mehrheit der Sprecher - d.h. von mindestens 75% - eindeutig kategorisiert werden und welche nicht eindeutig zugeordnet werden können (vgl. 5.7.3). Eine weitere Frage betrifft die psychologische Plausibilität des Konstrukts der Dekomponierbarkeit. Es wird nach jedem Dekompositionsurteil erhoben, wie schwierig die Befragten das jeweilige Urteil empfunden haben (5.7.5). Wenn das - theoretisch postulierte Konstrukt der Dekomponierbarkeit psychologisch plausibel ist, dürften auch Nichtmuttersprachler mit einem Urteil darüber keine Schwierigkeiten haben. Interessant ist im Folgenden ein Vergleich mit den Schwierigkeitsgradangaben der muttersprachlichen Kontrollgruppe (vgl. 5.7.5.2) sowie eine Überprüfung des eventuell bestehenden Zusammenhangs zwischen Dekompositionsurteil und Schwierigkeitsgrad der Entscheidung (vgl. 5.7.5.3). Weiterhin muss der Einfluss des Bekanntheitsgrades des jeweiligen Idioms auf die Beurteilung seines Dekompositionsstatus untersucht werden (vgl. 5.7.6). Der Faktor Bekanntheitsgrad wurde im Rahmen der Idiomforschung zwar als wichtig identifiziert (vgl. dazu 3.2.2), es wurde bisher jedoch versäumt, den direkten Zusammenhang zwischen dem Bekanntheitsgrad eines Idioms und seinem Dekompositionsstatus zu ermitteln. Schließlich ist es fiir die vorliegende Erhebung wichtig zu fragen, inwieweit die Kenntnis bzw. Unkenntnis der deutschen Bedeutung einzelner Konstituenten der Idiome das Urteil über den Dekompositionsstatus beeinflusst. So wäre es beispielsweise möglich, dass die Befragten aufgrund der Unkenntnis von Vokabeln unzulässigerweise auf Nichtdekomponierbarkeit schließen. Um diesen Faktor zu kontrollieren, wurde eine Versuchsbedingung, die so genannte T(ranslation)-Bedingung, verwendet, in der die Befragten die deutschen Übersetzungen der einzelnen Konstituenten der Idiome nachschlagen konnten (vgl. dazu 5.7.7). Der Übersicht halber seien die oben formulierten Fragestellungen abschließend verkürzt zusammengefasst. Ihre Beantwortung erfolgt unter 5.7, dem Ergebnisteil von Erhebung I.

115

1.

Sind Nichtmuttersprachler ebenso wie Muttersprachler in der Lage, Urteile über die Dekomponierbarkeit verbaler englischer Idiome abzugeben? Welche Hinweise auf die Validität nichtmuttersprachlicher Urteile ergeben sich aus einem Vergleich dieser Urteile mit denen von Muttersprachlern? Können individuelle Faktoren identifiziert werden, die die Urteile der Nichtmuttersprachler über den Dekompositionsstatus systematisch beeinflussen? Welche Idiome werden unter dem so genannten 75%-Übereinstimmungskriterium eindeutig als dekomponierbar bzw. nichtdekomponierbar kategorisiert, welche können nicht eindeutig zugeordnet werden? Ist das Konstrukt „Dekomponierbarkeit" psychologisch plausibel, d.h. wie schwierig schätzen Sprecher - Mutter- und Nichtmuttersprachler - das Urteilen über die Dekomponierbarkeit ein? Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Schwierigkeitsgrad der Dekompositionsentscheidung und dem Dekompositionsstatus? Welchen Einfluss nimmt der Bekanntheitsgrad eines Idioms auf die Beurteilung seines Dekompositionsstatus? Inwieweit nimmt die Kenntnis bzw. Unkenntnis der deutschen Bedeutung einzelner Konstituenten der Idiome einen Einfluss auf das Urteil über den Dekompositionsstatus?

2. 3. 4.

5.

6. 7. 8.

5.2

Die Auswahl der Idiome

Um einen möglichst homogenen Datenpool zu erhalten, wurden in Erhebung I ausschließlich Idiome der Form V + DET + N verwendet.1 Die Idiome wurden, wie auch in der Mehrzahl der in Kapitel 3 beschriebenen empirischen Untersuchungen üblich (vgl. z.B. Titone und Connine 1994a), hauptsächlich dem Longman Dictionary of English Idioms (1979) entnommen. Da dieses Wörterbuch vorwiegend am englischen Sprachgebrauch orientiert ist und deshalb amerikanische Idiome dort unterrepräsentiert sind, wurde ergänzend ein aktuelles amerikanisches Idiomwörterbuch verwendet, das NTC's American Idioms Dictionary (1990). Es wurden zunächst alle Wörterbucheinträge der Form V + DET + N berücksichtigt, d.h. es fand keine Zufallsauswahl statt, sondern eine für das jeweilige Wörterbuch umfassende Auswahl.2 Allerdings wurden dabei einige Ausschlusskriterien berücksichtigt, um neben der syntaktischen Homogenität auch Vergleichbarkeit hinsichtlich anderer Aspekte zu gewährleisten. Das führte dazu, dass diejenigen Idiome nicht in die Erhebung aufgenommen wurden, die 1. entweder in den Wörterbüchern mit den Vermerken „becoming rare" (z.B. tie the knot, follow the colours, play the bear), „(rather) rare" {take the count) oder „(rather) old fa1 2

Als Determinantien wurden hier a, an und the aufgefasst. Idiome, die in beiden Wörterbüchern aufgeführt sind, wurden selbstverständlich nur einmal ausgewählt.

116 shioned" (z.B. sign the pledge, drop the pilot, enter the lists, shoot a line, trip/tread a measure) versehen waren oder von zwei Muttersprachlern, die die ausgewählten Idiome daraufhin überprüften, als veraltet angesehen wurden; 2. sich laut Wörterbuchvermerk oder Urteil der Muttersprachler nur in sehr beschränkten Kontexten verwenden lassen, z.B. die the death, top the bill (Theater), go the distance (Sport), cop a plea, take the piss (Slang), scotch a snake (Shakespearezitat), spend a penny (Kindersprache);3 3. beiden Muttersprachlern gänzlich unbekannt waren, da davon ausgegangen werden kann, dass sie wahrscheinlich der Vollständigkeit halber in die Wörterbücher aufgenommen wurden, aber nicht mehr dem aktuellen Sprachgebrauch entsprechen, z.B. get a turn oder give the go-by; 4. beiden Muttersprachlern nicht mit der im Wörterbuch angegebenen Paraphrase bekannt waren und keine andere, eindeutige Paraphrase gefunden werden konnte, wie z.B. im Falle von beat the gun (manage to do sth. before the ending signal), drop a ball (make a blunder, fail in some way), feed the kitty (contribute money), get the air (be ignored or sent away), get the business (be harassed, be given a bad time), get the gate (be sent away, be rejected); 5. neben der V + DET + N-Konstruktion eine weitere NP fordern, um eine wohlgeformte Phrase zu bilden, z.B. to give someone the chop, show someone the door, give someone the boot oder get someone the runaround; 6. im Anschluss an das Nomen ein PP-Komplement fordern, wie z.B. make a pitch for someone / something, pull the plug on something, run an errand for something, open the door to something / someone oder bend the knee to someone; 7. phrasale Verben beinhalten, wie z.B. ride out the storm; 8. normalerweise negiert auftreten, z.B. (not) give a damn; 9. bevorzugt als Imperativ vorkommen, z.B. Shake a leg!, Splice the mainbracel, Perish the thought!, Cut the cackle!, Take a powder!, Have a heart!, (Don't) have a conniption! oder be the limit, das meist in That's the limit! vorkommt; 10. eher als Funktionsverbgefiige bezeichnet werden können, z.B. clear the table, do the dishes oder set the table. Nach Berücksichtigung der angeführten Kriterien wurden insgesamt 190 Idiome der Form V + DET + N in Erhebung I aufgenommen. Wenn in dem Wörterbucheintrag fiir das jeweilige Idiom lexikalische Alternativen angegeben waren, wie z.B. cost a bomb / a packet / the earth, wurde die Variante gewählt, die den beiden muttersprachlichen Beurteilern geläufiger war. Ebenso wurde mit den im Wörterbuch angegebenen Paraphrasen verfahren. Im Fall der Idiome, die sowohl im NTC's als auch im Longman aufgeführt sind, wurden die Paraphrasen in den meisten Fällen aus Longman übernommen; bei Idiomen, wo diese Paraphrase nicht geeignet erschien - beispielsweise weil die gleichen Wörter wie im Idiom verwendet wurden - , wurde entweder die Paraphrase aus dem NTC's verwendet oder eine von den beiden Muttersprachlern vorgeschlagene. Außerdem wurde die NTC s-Paraphrase

3

Besonders im NTC's American Idioms Dictionary (1990) finden sich viele Einträge, die sich auf sehr eingeschränkte Kontexte beziehen, worauf z.B. Flavell (1995) in einer Rezension des Wörterbuches verweist..

117 dann verwendet, wenn sie eindeutiger oder einfacher formuliert war als die Longman-Variante. Das war z.B. bei chew the fat,foot the bill oder Scratch the surface der Fall. In Tabelle 1 sind alle 190 Idiome alphabetisch aufgelistet. Eine Übersicht über ihre jeweilige Paraphrase findet sich in Appendix 1. argue the toss balance the books bang the drum beg the question bite the bullet bite the dust blaze the trail blow a fuse blow the gaff break the bank break the ice break the record bury the hatchet bust a gut call a meeting call the shots call the tune carry the can cause a stir cause an uproar chew the cud clear the air clear the decks climb the walls cook the books cost a bomb count the cost cover the territory crack a book crack a bottle crack a joke crack a smile crack the whip cut a caper cut a dash deliver the goods do a bunk do the honours do the rounds do the trick draw a blank draw the line

drop a brick face the music fan the flames fit the bill flip a coin fly a kite fly the coop follow the crowd foot the bill get a grip get the blues get the brushoff get the eye get the floor get the hump get the message get the nod get the picture get the sack gild the lily go the limit grease the wheels have a ball have a fit have a fling have a go have a stab have an out have the heart hit a snag hit the books hit the bottle hit the ceiling hit the headlines hit the jackpot hit the road hit the roof hit the sack hit the sauce hit the spot hitch a ride hold the aces

hold the fort jump the gun kick a habit kick the bucket know the score learn the ropes lend a hand lift a finger live a lie look the part lose the day lose the thread make a fuss make a killing make a living make a move make a pass make a pile make a splash make the grade make the running make the scene miss the boat miss the mark muddy the waters name the day nurse a grudge oil the wheels overstep the mark pack a punch pad the bill paint the town pass the buck pass the hat pave the way pay a call pay the earth pay the piper play a part play the field play the fool play the game

118 pop the question pound the pavement raise an eyebrow raise the roof rattle the sabre return the compliment ride the storm ride the tiger ring a bell ring the changes rob the cradle rock the boat rule the roost run a mile run the gauntlet save the day say a mouthful say the word scratch the surface see the light see the world seize the opportunity

set the pace set the scene settle a score shoot the breeze shoot the rapids show the flag smell a rat spend a packet spill the beans spin a yarn split the difference stand a chance stay the course steal the show stir the blood stretch a point strike a bargain strike a chord sugar the pill sweep the board swing the lead take a spill

take the bait take the biscuit take the cake take the plunge take the stand tickle the ivories tie the knot tip the balance tip the scales toe the line turn the corner turn the tables turn the tide up the ante upset the apple-cart walk a tightrope wear the pants wear the trousers weather the storm win the day

Tabelle 1: Alphabetische Auflistung aller 190 in Erhebung I untersuchten verbalen Idiome

5.3 Versuchsbedingungen und Instruktionen

Die in Tabelle 1 angeführten 190 verbalen Idiome wurden nach dem Zufallsprinzip auf zwei Gruppen verteilt, Gruppe A und Gruppe B. Die Probanden wurden einer der beiden Gruppen zugeordnet, so dass eine Person 95 Idiome beurteilen musste. Verschiedene Voruntersuchungen hatten ergeben, dass die Beurteilung aller 190 Idiome so lange dauert, dass die Probanden dadurch möglicherweise die Konzentration und das Interesse verlieren könnten. Deshalb erschien eine Verteilung der Idiome auf zwei Gruppen sinnvoll. Die Aufgabe der Probanden bestand darin, für jedes Idiom zu entscheiden, ob sie es für dekomponierbar oder nichtdekomponierbar hielten. Die Instruktion - die vollständig in Appendix 2 wiedergegeben ist - wurde den Teilnehmern jeweils laut vorgelesen. Die Instruktion war - zugunsten der Vergleichbarkeit der Durchführung - eine Übersetzung der Instruktion, die Titone und Connine (1994a: 255f.) ihren Sprechern vorgelegt hatten und die diese wiederum von Gibbs et al. (1989a,c) übernommen hatten. Die deutsche Instruktion weicht insofern von der englischen ab, als die Zusatzaufgabe fehlt, die die muttersprachlichen Sprecher dazu aufforderte, nach der dichotomen Einteilung in dekomponierbare und nichtdekomponierbare Idiome die als dekomponierbar beurteilten zusätzlich in so genannte normal bzw. anormal dekomponierbare Idiome einzuteilen. Auf diese Aufgabe wurde ver-

119 ziehtet, weil Titone und Connine (1994a: 262) bei ihren Sprechern erhebliche Schwierigkeiten festgestellt haben, diese zusätzliche Einteilung vorzunehmen. Die Ergebnisse waren so inkonsistent, dass die Autorinnen an der Plausibilität dieser - theoretisch postulierten und nur von Gibbs et al. (1989a,b,c, vgl. 3.2.1) durch eine entsprechende, aber nicht zulässige Vorauswahl bestätigten - Unterscheidung berechtigte Zweifel ausdrückten. Die Formulierung und Verständlichkeit der deutschen Instruktion wurde vor der eigentlichen Erhebung in einigen Vortests überprüft. Innerhalb der Gruppe A bzw. B gab es jeweils drei Untergruppen: AI, A2, A3 bzw. Bl, B2 und B3. In diesen Untergruppen wurde die Reihenfolge der Idiome systematisch variiert, um Übungs- oder Reihenfolgeeffekten vorzubeugen. Ohne die Variation der Reihenfolge könnte es vorkommen, dass die Probanden sich im Verlauf der Beurteilungsaufgabe an das Konstrukt der Dekomponierbarkeit gewöhnen und z.B. die zuletzt dargebotenen Idiome als dekomponierbarer empfinden als die zu Anfang präsentierten. Die drei Untergruppen von A und B wurden in zwei Varianten präsentiert. In AI-3 bzw. Bl-3 wurde das Idiom mit seiner englischen Paraphrase dargestellt. In der zweiten Bedingung, der so genannten T(ra/w/arton)-Bedingung, die mit ATI, AT2, AT3 bzw. BT1, BT2, BT3 abgekürzt wurde, wurde ebenfalls das Idiom und seine englische Paraphrase präsentiert; zusätzlich erhielten die Probanden dieser Bedingung jedoch einen Anhang mit der deutschen Übersetzung der in den Idiomen vorkommenden Verben und Nomen. Dadurch sollte überprüft werden, ob der Zugriff auf die wörtliche Bedeutung der einzelnen Konstituenten des jeweiligen Idioms die Beurteilung des Dekompositionsstatus beeinflusst oder nicht (vgl. dazu 5.7.7).4 Nach jedem Urteil über den Dekompositionsstatus hatten die Probanden noch die Aufgabe anzugeben, wie leicht bzw. schwer - eingeschätzt auf einer fiinfstufigen Skala - ihnen die jeweilige Entscheidung gefallen ist (vgl. dazu 5.7.5). Ein Skalenwert von 1 bedeutete „sehr leichte" Entscheidung, einer von 5 „sehr schwere" Entscheidung. Wie unter 5.1 bereits erwähnt, hatte eine weitere Probandengruppe die Aufgabe, den Bekanntheitsgrad der Idiome zu beurteilen (vgl. dazu 3.2.2). Bei dieser Erhebung blieb die Einteilung der 190 Idiome auf die zwei Gruppen A und B erhalten, so dass auch hier ein Proband 95 Idiome beurteilen musste. Die Instruktion lautete, für jedes Idiom zu entscheiden, wie gut dem Beurteiler dessen Bedeutung bekannt war. Dazu stand eine siebenstufige Skala zur Verfügung. Die ausführliche Instruktion ist in Appendix 3 dargestellt. Die Dekompositionsuntersuchung dauerte - einschließlich der Zeit, die zum Ausfüllen eines allen Probanden vorgelegten biographischen Fragebogens benötigt wurde (vgl. 5.5) zwischen 45 und 90 Minuten; die meisten Teilnehmer benötigten ca. eine Stunde. Diese Dauer verkürzte sich bei der Erhebung des Bekanntheitsgrades nur unwesentlich.

4

Da in der hier durchgeführten Untersuchung keine Onlinemessungen vorgenommen wurden, kann kein direkter Zusammenhang zwischen der Beurteilung des Dekompositionsstatus und der Aktivierung der wörtlichen Bedeutung der Konstituenten des Idioms vorgenommen werden. Dennoch kann das Nachschlagen der Übersetzung seitens der Probanden, das von ihnen jeweils vermerkt werden musste, erste Hinweise auf einen eventuell bestehenden Zusammenhang liefern.

120

5.4 Die Probanden

Insgesamt nahmen 151 Probanden an Erhebung I teil. Sie wurden an der Bergischen Universität Wuppertal in Lehrveranstaltungen der Anglistik, in seltenen Fällen auch in Lehrveranstaltungen der Germanistik und der Psychologie, rekrutiert und nahmen freiwillig an der Untersuchung teil. Von den 151 Probanden wurden 30 Versuchspersonen - per Zufallsprinzip - dem Teil von Erhebung I zugeteilt, in dem der Bekanntheitsgrad der Idiome erhoben wurde (vgl. Appendix 3). 121 Probanden nahmen an der eigentlichen Untersuchung teil, d.h. sie hatten die Aufgabe, den Dekompositionsstatus der Idiome zu beurteilen und jeweils den Schwierigkeitsgrad ihrer Entscheidung anzugeben (vgl. Appendix 2). Aufgrund bestimmter Kriterien, die im nächsten Abschnitt (5.4,1) diskutiert werden, mussten zwölf Teilnehmer von der Analyse ausgeschlossen werden, so dass schließlich die Daten von 139 Probanden ausgewertet wurden. Dies entspricht - bezogen auf die ursprünglich befragten 151 Sprecher - einem Prozentsatz von 92,05%. Eine Übersicht über die Zuteilung der Probanden von Erhebung I liefert Tabelle 2: Versuchsbedingungen Dekompositionsstatus Bekanntheitsgrad Summe

Probanden insgesamt 121 30 151

Probanden nach Ausschluss 110 29 139

Tabelle 2: Zuteilung der Sprecher auf die beiden Versuchsbedingungen Dekompositionsstatus bzw. Bekanntheitsgrad (Erhebung I)

5.4.1

Kriterien für den Ausschluss aus der Analyse

Sowohl aus der Dekompositions- als auch der Bekanntheitsgraderhebung mussten einige Probanden ausgeschlossen werden. Zugunsten der Homogenität der Probandengruppe verblieben nur Muttersprachler des Deutschen in der Analyse. In der Dekompositionserhebung mussten vier Personen aufgrund dieses Kriteriums ausgeschlossen werden; einer aus Gruppe B (BT1), drei aus Gruppe A (AI, ATI, AT2). Ein weiteres Kriterium für den Ausschluss von der Analyse waren zu lückenhaft ausgefüllte Untersuchungsbögen, wobei ein geringes Maß an Lücken toleriert wurde. Im Dekompositionsbogen wurde bei 95 möglichen Antworten das Fehlen von bis zu fünf Antworten toleriert, im biographischen Fragebogen - vgl. dazu 5.5 - mit 20 Items die fehlende Beantwortung von bis zu drei Fragen. Aufgrund dieses Kriteriums mussten in der Erhebung über den Dekompositionsstatus aus Gruppe B sechs Personen von der Analyse ausgeschlossen werden; in Gruppe A gab es eine Person mit lückenhaften Angaben. Daraus ergibt sich, dass für Gruppe A von 60 ursprünglich befragten Personen 56 in der Analyse verblieben (29 in A, 27 in AT) und für Gruppe B von ursprünglich 61 befragten Personen 54 (26 in B, 28 in BT). Tabelle 3 gibt eine Übersicht über die Zuteilung auf die einzelnen Versuchsbedingungen:

121 Versuchsbedingung A 1 A2 A3

Anzahl der Probanden 9 10 10 £AI-3 = 2 9

AT 1 AT 2 AT 3

9 8 10 2 ATl-3

B1 B 2 B 3

27

2 A gesamt

-

56

2 B gesamt

=

54

7 10 9 £ Bl-3

BT 1 BT 2 BT 3

=

=

26

9 9 10 2

BT 1-3

=

28

2

total

=

HO

Tabelle 3: Zuteilung der Sprecher auf die Versuchsbedingungen der Dekompositionseinschätzung (Erhebung I) In der Bekanntheitsgraderhebung musste aufgrund des Kriteriums „Deutsch als Muttersprache" von den ursprünglich 30 dieser Bedingung zufällig zugeteilten Sprechern einer ausgeschlossen werden. Von den 29 verbliebenen Probanden beurteilten 15 Sprecher die Idiome der Gruppe A, 14 Sprecher die der Gruppe B.

5.5 Der biographische Fragebogen

In Abschnitt 4.2.2.2 wurde bereits kurz auf die Bedeutung extralinguistischer Faktoren im Hinblick auf Sprecherurteile eingegangen. Interindividuelle Unterschiede werden jedoch nur äußerst selten berücksichtigt, wenn es um sprachliche Urteile geht. Das bestätigt Schütze (1996: 98fF.), der einen Überblick über die wenigen existierenden Arbeiten auf diesem Gebiet liefert: Some other factors, such as age, sex, and general cognitive endowment, seem to be obvious candidates but have been given little or no attention in the literature [...]. It appears that no one has yet looked for sex differences in the processing of individual sentences [...]. (Schatze 1996: 99, 112) Um diesen Mangel auszugleichen und vor allem aufgrund des Pilotcharakters der hier durchgeführten Untersuchung wurde es als sinnvoll angesehen, persönliche Daten der be-

122 fragten Sprecher zu erheben, um sie mit der Einschätzung des Dekompositionsstatus in Verbindung setzen zu können. Allen an Erhebung I beteiligten Probanden wurde deshalb im Anschluss an die eigentliche Befragung - d.h. entweder die Einschätzung des Bekanntheitsgrades oder des Dekompositionsstatus der Idiome - ein 20 Items umfassender biographischer Fragebogen vorgelegt, der in Appendix 5 wiedergegeben ist. Darin wurden neben grundlegenden Daten wie Geschlecht (Item 1), Alter (Item 2), und Muttersprache (Item 3) Informationen zur Universitätslaufbahn erhoben, z.B. wurde die Semesteranzahl (Item 9), der angestrebte Abschluss (Item 10) sowie die Fächerkombination (Item 11) erfragt. Um den Leistungsstand 5 der Probanden in der Fremdsprache einstufen zu können, sollten die Teilnehmer zusätzlich angeben, wie lange sie bereits Englisch lernten (Item 4), welche anderen Sprachen sie kennen (Item 8), welche Englischnote sie im Abitur erhalten haben (Item 5) und wie sie ihre heutigen Englischkenntnisse selbst einschätzen würden (Item 7). Außerdem wurde die Häufigkeit (Item 12) und Dauer (Item 13) von Aufenthalten im englischsprachigen Ausland erfragt. Zusätzlich sollten die Teilnehmer Uber ihre Strategien Auskunft geben, wenn sie beim Lesen eines englischsprachigen Textes auf ein ihnen unbekanntes Wort bzw. auf ein ihnen unbekanntes Idiom stoßen (Item 16 und 17). Abschließend wurden die Probanden nach ihrem Leseverhalten gefragt (Items 18, 19, 20). Es sollte deshalb das Leseverhalten beschrieben werden, da die Idiome in schriftlicher Form dargeboten und somit die Verarbeitung geschriebener Sprache untersucht wurde. Wären die Idiome akustisch präsentiert worden, hätten Hörgewohnheiten, z.B. von Radio oder Musik, erfragt werden müssen. Die Erhebung dieser Informationen hat es ermöglicht, ein Profil der Probanden zu erstellen und die Teilnehmer an den verschiedenen Teilen der Erhebung miteinander zu vergleichen. Eine Übersicht darüber wird im nächsten Abschnitt (5.5.1) gegeben. Darüber hinaus konnte die Beurteilung des Dekompositionsstatus mit diesen Daten korreliert und dadurch überprüft werden, ob einige dieser Faktoren einen systematischen Einfluss auf die Sprecherurteile nehmen (vgl. 5.7.2).

5.5.1

Das Profil der Probanden

Durch den oben beschriebenen biographischen Fragebogen kann für die Probanden der einzelnen Versuchsbedingungen ein kurzes, charakterisierendes Profil erstellt werden. Zunächst werden die Probanden der Dekompositionserhebung beschrieben, danach die der Bekanntheitsgraderhebung. Im Anschluss werden beide Probandengruppen miteinander verglichen. Aufgrund der unter 5.4.1 beschriebenen Ausschlusskriterien sind die Daten von 110 Probanden in die Analyse des Dekompositionsstatus eingegangen. Das Profil dieser Probanden stellt sich wie folgt dar: Die 71 weiblichen und 39 männlichen Probanden waren im Durchschnitt 24,8 Jahre alt; das Alter variierte zwischen 20 und 37. Im Durchschnitt hatten 5

In zahlreichen L2-Untersuchungen wird auf die Bedeutung des Leistungsstandes, der proficiency, hingewiesen (vgl. z.B. Börner und Vogel 1994b, Raupach 1994). So kann beispielsweise Kroll (1993) zeigen, dass sich die Sprachverarbeitung von Fremdsprachenanfängern auf lexikalischer Ebene über Wortassoziationen vollzieht, während Fortgeschrittene die L2 auch über zugrunde liegende Konzepte verarbeiten.

123 die Probanden 8,6 Jahre Englisch in der Schule. Eine genauere Analyse dieses Items ergibt, dass 80 Prozent der Befragten, das sind 88 Probanden, 9 Jahre Englisch in der Schule hatten, d.h. sie hatten von der 5. bis zur 13. Klasse Englischunterricht. 10,9 Prozent, d.h. 12 Personen, hatten 7 Jahre und 5,5 Prozent, das sind 6 Personen, 8 Jahre Englischunterricht. Jeweils ein Teilnehmer hatte 3, 4, 5 bzw. 10 Jahre Englisch in der Schule. Die Probanden hatten eine durchschnittliche Abiturnote von 2,2, wobei die Noten 1 bis 5 vertreten waren. Die eigenen, heutigen Englischkenntnisse wurden selbst mit der Note 2,5 beurteilt; auch hier wurden die Noten 1 bis 5 genannt. Die durchschnittliche Semesterzahl lag bei 6,4 und variierte zwischen einem und 20 Semestern. Die Dauer eines Aufenthaltes im englischsprachigen Ausland betrug im Durchschnitt 6,8 Monate. Auch hier gab es große Unterschiede; während einige noch gar nicht im englischsprachigen Ausland gewesen waren, summierten sich die Aufenthalte eines anderen Probanden auf 7 Jahre (für eine Übersicht vgl. Tabelle 4). Von den 29 in der Bekanntheitsgraderhebung verbliebenen Teilnehmern waren 23 weiblich und 6 männlich. Das Durchschnittsalter betrug 25,7 Jahre; es variierte zwischen 21 und 37 Jahren. Im Mittel hatten die Sprecher 8,9 Jahre Englisch in der Schule - die Eckwerte bildeten 6 bzw. 11 Jahre - und eine Abitur- oder andere Abschlussnote von 2,1, wobei die Noten zwischen 1 und 3 variierten. Die selbsteingeschätzte Note für die heutigen Englischkenntnisse lag bei 2,3 und variierte wiederum von 1 bis 3. Im Mittel hatten die Probanden 7,9 Semester absolviert - absolut betrachtet zwischen 4 und 12 Semestern. Die Probanden hatten sich zwischen 0 und 36 Monaten im englischsprachigen Ausland aufgehalten, das entspricht einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 6,5 Monaten. Tabelle 4 liefert eine Übersicht bzw. einen Vergleich der Profile der Probanden der Dekompositionseinschätzung und der Bekanntheitsgraderhebung. Die ersten beiden Werte sind absolute Werte, die folgenden Durchschnittswerte: Profil Anzahl weibl. Probanden Anzahl männl. Probanden Alter Schulenglisch: Jahre Abiturnote in Englisch Note heutige Kenntnisse Semesterzahl Aufenthalt engl. Ausland

Dekomposition Bekanntheitsgrad 71 23 39 6 25,7 24,8 8,6 8,9 2,2 2,1 2,5 2,3 6,4 7,9 6,8 6,5

Tabelle 4: Profil der Probanden der Erhebung des Dekompositionsstatus und des Bekanntheitsgrades (Erhebung I) Die Probanden, die den Dekompositionsstatus der Idiome eingeschätzt haben, sind im Vergleich zu der Gruppe der Probanden, die den Bekanntheitsgrad der Idiome beurteilt haben, etwas jünger und haben eine etwas geringere durchschnittliche Semesteranzahl. Kaum Unterschiede gibt es bezüglich der Abiturnote und der selbsteingeschätzten Note für die heutigen Englischkenntnisse sowie der Dauer des Auslandsaufenthaltes. Es kann demnach davon ausgegangen werden, dass die Einschätzung des Bekanntheitsgrades durch die klei-

124 nere Probandengruppe repräsentativ ist für die andere Probandengruppe, die den Dekompositionsstatus einschätzte.

5.6

Die muttersprachliche Kontrollgruppe

Um die von den nichtmuttersprachlichen Probanden in Gruppe A und Gruppe B gelieferten Urteile über den Dekompositionsstatus anhand muttersprachlicher Urteile überprüfen zu können, wurden die gleichen Daten von einer insgesamt sieben Personen umfassenden muttersprachlichen Gruppe bearbeitet. Vier dieser sieben Muttersprachler waren unter den in den Lehrveranstaltungen rekrutierten Probanden (jeweils zwei in Gruppe A bzw. B). Sie wurden, wie oben erwähnt, aufgrund der Tatsache, dass sie Deutsch nicht als Muttersprache hatten, von der Analyse ausgeschlossen. Ihre Daten konnten aber für die englischsprachige Kontrollgruppe verwendet werden. Drei andere Muttersprachler des Englischen - Lehrende der Universität Wuppertal - schätzten sowohl die Idiome aus Gruppe A als auch die aus Gruppe B ein, so dass für jede der beiden Gruppen jeweils fünf Beurteilungen von Muttersprachlern des Englischen vorlagen. Insgesamt gibt es demnach 10 Datensätze, die von Muttersprachlern im Hinblick auf den Dekompositionsstatus - und den Schwierigkeitsgrad der Entscheidung - eingeschätzt wurden. Man beachte, dass die hier beschriebene muttersprachliche Kontrollgruppe zunächst nur zur Überprüfung der Zuverlässigkeit der nichtmuttersprachlichen Urteile herangezogen wird. Die Kontrollgruppe ist zu klein, um daraus repräsentative Aussagen über das Dekompositionsverhalten von Muttersprachlern abzuleiten. In Erhebung II (vgl. Kapitel 6) werden die von Titone und Connine (1994a) berichteten Urteile einer repräsentativen Gruppe von Muttersprachlern mit denen von Nichtmuttersprachlern verglichen. Daraus können Schlüsse über die Repräsentation von Idiomen im LI - und L2-Lexikon gezogen werden (vgl. Kapitel 7).

5.7

Ergebnisse

Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse von Erhebung I vorgestellt.6 Zuerst werden die Befunde über den Dekompositionsstatus der Idiome dargestellt (vgl. 5.7.1) und der Einfluss der individuellen Merkmale, die im biographischen Fragebogen erhoben wurden, auf das Dekompositionsverhalten untersucht (vgl. 5.7.2). Im Anschluss wird betrachtet, welche Idiome übereinstimmend, d.h. in mindestens 75% der Fälle, der einen oder anderen Kategorie zugeordnet wurden (vgl. 5.7.3). Nach einem Vergleich der Urteile der Nicht6

Die Erfassung und Auswertung der erhobenen Daten erfolgte mit Microsoft Access, die statistischen Berechnungen mit Microsoft Excess. Es ist zu beachten, dass sich die Auswertung aufgrund des Nominalskalenniveaus der Daten auf prozentuale Häufigkeiten beschränken muss.

125 muttersprachler mit denen der muttersprachlichen Kontrollgruppe (5.7.4) wird anschließend untersucht, ob die von den Probanden eingeschätzte Schwierigkeit der Dekompositionsentscheidung einen systematischen Einfluss auf die Entscheidung über den Dekompositionsstatus genommen hat (vgl. 5.7.5). Danach wird die Auswertung der Bekanntheitsgraderhebung vorgestellt und mit den Befunden über den Dekompositionsstatus in Verbindung gebracht (vgl. 5.7.6). Schließlich werden die Ergebnisse der T(raMs/a/i'ow)-Versuchsbedingung diskutiert (vgl. 5.7.7).

5.7.1

Dekompositionsstatus der verbalen Idiome

Betrachtet man zunächst die dichotome Einteilung der 190 V + Det + N-Idiome auf die beiden Kategorien „dekomponierbar" bzw. „nichtdekomponierbar", so ergibt sich folgende Verteilung: 56,5% der Idiome wurden von den Nichtmuttersprachlern (NMs) als dekomponierbar beurteilt, 43,5% der Idiome als nichtdekomponierbar. Um einen Anhaltspunkt für die Zuverlässigkeit dieser nichtmuttersprachlichen Urteile zu haben, können die Befunde der muttersprachlichen Kontrollgruppe (vgl. 5.6) herangezogen werden. Obwohl die Ergebnisse aufgrund der wenigen Muttersprachler des Englischen mit Vorbehalt zu interpretieren sind, kann eine sehr hohe Übereinstimmung zwischen nichtmuttersprachlichen und muttersprachlichen Urteilen festgestellt werden: Die Muttersprachler (Ms) beurteilten 54,8% der Idiome als dekomponierbar und 45,2% als nichtdekomponierbar. 7 Die folgende Abbildung 2 veranschaulicht das Ergebnis:

60 50 40

u g 30 £

20 10

0

dekomponierbar

nichtdekomponierbar

HNMs DMs

Abbildung 2: Dekompositionsstatus der verbalen Idiome (Erhebung I) 7

Titone und Connine (1994a: 259) berichten für englische Idiome verschiedener syntaktischer Formen einen anderen Befund: Ihre Sprecher beurteilten absolut betrachtet 58,1% der Idiome als nichtdekomponierbar, 41,9% als dekomponierbar. Ob dieses umgekehrte Verhalten an der syntaktischen Form der Idiome und damit einhergehend an einer unterschiedlichen Dekomponierbarkeit liegt oder mit einem Unterschied im Dekompositionsverhalten zwischen Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern zu erklären ist, wird in Erhebung II (Kapitel 6) näher betrachtet. Dabei muss auch geklärt werden, warum die hier herangezogene muttersprachliche Kontrollgruppe (5.6) in der Tendenz eher mit den Nichtmuttersprachlern übereinstimmt und nicht mit den von Titone und Connine (1994a) berichteten Werten der von ihnen untersuchten Muttersprachler.

126 Die untersuchten 190 verbalen englischen Idiome werden demnach sowohl von Muttersprachlern als auch von Nichtmuttersprachlern tendenziell eher für dekomponierbar gehalten. Somit können die eingangs unter 5.1 formulierten ersten beiden Fragen positiv beantwortet werden: Nichtmuttersprachler sind in der Lage, valide Urteile über die Dekomponierbarkeit von Idiomen abzugeben. Die Verlässlichkeit ihrer Urteile wird durch die Urteile von Muttersprachlern grundsätzlich bestätigt. Da der auf die dichotome Entscheidung bezogene absolute Prozentsatz nur eine Tendenz angibt, werden unter 5.7.3 genauere Analysen bezüglich der Idiome vorgenommen, die übereinstimmend der einen oder anderen Kategorie zugeordnet wurden. Im nächsten Abschnitt wird zunächst betrachtet, ob individuelle Faktoren einen systematischen Einfluss auf das Urteilsverhalten nehmen.

5.7.2 Einfluss individueller Sprechermerkmale auf das Dekompositionsurteil Wie bereits erwähnt, wurde allen Teilnehmern an Erhebung I im Anschluss an die eigentliche Untersuchung ein biographischer Fragebogen vorgelegt, der es ermöglichte zu überprüfen, ob die Sprecherurteile über den Dekompositionsstatus in systematischer Weise von bestimmten individuellen Faktoren beeinflusst werden (vgl. Fragestellung 3, 5.1).8 Die Analysen für die demographischen Items wie Geschlecht (Item 1) und Alter (Item 2), aber auch für die studiumsbezogenen Items wie angestrebter Studienabschluss (Item 10) und Fächerkombination (Item 11) ergaben - erwartungsgemäß - keinen nennenswerten Einfluss auf das Dekompositionsverhalten. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die englischen oder auch andere Sprachkenntnisse der Probanden, die in mehreren Items erfragt wurden, das Dekompositionsverhalten beeinflusst haben. Diese Faktoren bestimmen einerseits den Leistungsstand in der Fremdsprache und können andererseits Einfluss auf die so genannte Sprachbewusstheit nehmen, die im englischen als language / linguistic / metalinguistic awareness bezeichnet wird (Wolff 1993: 513) und eng mit Sprachkompetenz und Sprachstrukturierung verbunden ist (vgl. Wolff 1992), die sich wiederum auf die Fähigkeit zu dekomponieren auswirken können. Unter Sprachbewusstheit, die definiert wird als die „Fähigkeit [...], die Struktur von Sprache [...] bewußt wahrnehmen und darüber reflektieren zu können" (Wolff 1993: 514), werden Aspekte subsumiert wie „das Segmentieren von Sprache" oder „die bewußte Reflexion über die eigenen Verstehensprozesse" (Wolff 1993: 513); Sprachbewusstheit umfasst ebenso, „die Bedeutung [...] unbekannter Wörter zu erschließen" (Wolff 1993: 513). Direkte Untersuchungen über die Fähigkeit, Sprache zu reflektieren und ihre Auswirkungen auf bzw. ihr Zusammenhang zur Sprachkompetenz sind aufgrund der damit verbundenen Schwierigkeiten bisher nicht durchgeführt worden (Wolff 1993: 515). Da die Fähigkeit zu dekomponieren möglicherweise mit Sprachbewusstheit und den oben genannten, damit einhergehenden Faktoren zusammenhängt, erschien eine diesbezügliche Analyse sinnvoll. Im Folgenden 8

Mit Hilfe des hier bei der Analyse verwendeten Programms Microsoft Access können Verknüpfungen zwischen den beiden Datenbanken hergestellt werden, die die Werte des biographischen Fragebogens bzw. der Dekompositionseinschätzung enthalten. So können gezielt die Dekompositionswerte derjenigen Sprecher selegiert werden, die beispielsweise im Fragebogen in Item 1 den Wert für „weiblich" belegen.

127 werden deshalb die Analysen der Fragebogenitems 3 (bilinguale Sprecher), 5 (Abiturnote), 8 (Kenntnisse in anderen Sprachen) sowie 13 (Auslandsaufenthalt) ausführlicher betrachtet, da diese Informationen einen Zusammenhang zur Sprachbewusstheit bzw. fremdsprachlichen Kompetenz aufweisen. Danach wird noch auf Item 18 eingegangen, das mit der Art der Präsentation des sprachlichen Materials in Erhebung I zusammenhängt: Hier wurde nach der Lesehäufigkeit englischsprachiger Texte gefragt. Damit verbunden ist Item 19, in dem die Art der gelesenen Texte angegeben werden sollte. Bilinguale Sprecher: Über die Angaben in Item 3 (Muttersprache) konnten bilinguale und monolinguale Probanden verglichen werden. So konnte geprüft werden, ob sich das Dekompositionsverhalten beider Gruppen unterscheidet. 9 Ein häufiger Befund der einschlägigen Forschung ist, dass bilinguale Personen in der Regel über mehr Sprachbewusstheit verfügen als monolinguale (vgl. dazu z.B. Wolff 1993). Falls die Beurteilung der Dekomponierbarkeit von Idiomen mit dem Ausmaß an Sprachbewusstheit in Beziehung steht, müssten sich zwischen mono- und bilingualen Probanden Unterschiede ergeben. An der vorliegenden Untersuchung nahmen sechs bilinguale Personen teil. Neben Deutsch waren sie mit Türkisch (zweimal), Niederländisch, Kroatisch, Spanisch und Griechisch aufgewachsen. Eine Analyse des Dekompositionsverhaltens der bilingualen Sprecher ergab keine nennenswerte Abweichung von dem der monolingualen Sprecher (vgl. Abbildung 2: 56,5% dekomponierbar, 43,5% nichtdekomponierbar); die bilingual Aufgewachsenen halten 55,6% der Idiome für dekomponierbar, 44,4% für nichtdekomponierbar. Obwohl dieser Befund wegen der geringen Gruppengröße nicht verallgemeinert werden kann, deutet dieses Ergebnis darauf hin, dass Bilingualität keinen Einfluss auf die Urteile über den Dekompositionsstatus nimmt. Abiturnote: In Item 5 wurde die Abitur- bzw. jede andere Schulabschlussnote in Englisch erhoben. Alle 110 befragten Probanden machten dazu eine Angabe. Acht Personen wussten ihre Note nicht mehr; auf die Noten 1, 2, 3, 4 und 5 verteilten sich die Probanden mit einer Anzahl von 11, 55, 24, 10 und 2. Schulnoten sollten nicht unreflektiert als realistisches Abbild der tatsächlichen Leistung betrachtet werden, da sie häufig nicht den Messgütekriterien Objektivität, Validität und Reliabilität genügen (vgl. dazu Sacher 1994). Dennoch wird hier davon ausgegangen, dass in der Schule besser benotete Probanden auch eine höhere Sprachkompetenz im Englischen aufweisen. Es stellt sich demnach die Frage, ob es einen Unterschied zwischen den Probanden gibt, die in der Schule als „gute" bzw. „schlechte" Schüler beurteilt wurden. Deshalb wurden die elf mit einer Eins benoteten Schüler mit den zwölf Probanden verglichen, die als Schüler eine Vier oder eine Fünf als Abiturnote erhalten hatten. Die „guten" Englischschüler zeigen in ihren Dekompositionsurteilen keine nennenswerten Unterschiede zum Urteilsverhalten der Gesamtstichprobe: Sie halten 56,4% der Idiome für dekomponierbar, 43,6% für nichtdekomponierbar. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Analyse der 58 Sprecher umfassenden Untergruppe, die sich selbst als gut im Englischen bezeichnen,

9

Es kann an dieser Stelle nicht ausführlich auf Bilingualität eingegangen werden. Für einen einführenden Überblick vgl. z.B. Hoffmann (1991), für empirische Untersuchungen - mit Fokus auf Sprachverarbeitung und das bilinguale Lexikon - z.B. Schreuder und Weltens (1993).

128 d.h. die ihre heutigen Englischkenntnisse selbst mit der Note 1 oder 2 einschätzen (Item 7). Hier werden 56,0% der Idiome für dekomponierbar gehalten, 44,0% für nichtdekomponierbar. Die Urteile der „schlechten" Englischschüler weisen eine entgegengesetzte Richtung auf: Sie beurteilen nur 47,1% der Idiome als dekomponierbar und 52,9% als nichtdekomponierbar. Dass die als Schüler mit „sehr gut" benoteten Probanden den Trend der Gesamtstichprobe bestätigen, liegt wahrscheinlich daran, dass es sich bei der Gesamtstichprobe im Durchschnitt ebenfalls um ehemals „gute" Schüler handelt (vgl. Tabelle 4). Es könnte sein, dass die mit einer Vier oder Fünf benoteten Probanden weniger „analytisch" an die Fremdsprache herangehen bzw. weniger prozedurales Sprachwissen zur Verfügung haben (vgl. Wolff 1992, Börner und Vogel 1994a) und deshalb seltener dekomponieren. Da jedoch nicht geklärt ist, ob diese Fähigkeiten überhaupt mit den Urteilen zur Dekomponierbarkeit in Verbindung stehen, müssen die Aussagen spekulativ bleiben. Das im Vergleich zur Gesamtstichprobe abweichende Dekompositionsverhalten der schlechten Englischschüler ist am wahrscheinlichsten als Hinweis darauf zu deuten, dass ein gewisses Maß an Englischkenntnissen notwendig ist, um eine Aufgabe, wie sie in Erhebung I gestellt wurde, angemessen bewältigen zu können. Diese Interpretation ist deshalb am nahe liegendsten, da sonst nicht plausibel erklärt werden kann, warum gerade die schlechten Englischschüler ein Dekompositionsverhalten aufweisen, das sich normalerweise bei Muttersprachlern findet (vgl. dazu Titone und Connine 1994a bzw. Erhebung II, Kapitel 6) und das in Kapitel 7 u.a. mit Frequenzeffekten erklärt wird. Kenntnisse in anderen Sprachen: In Item 8 sollten die Teilnehmer an der Untersuchung angeben, ob sie außer Englisch noch andere Fremdsprachen gelernt haben. Es könnte sein, dass Personen, die mehrere Sprachen gelernt haben, über eine höhere Sprachbewusstheit verfügen (vgl. Wolff 1993) und deshalb andere Dekompositionsurteile fällen. 37 Sprecher haben eine weitere Sprache gelernt, 41 haben zwei, 23 drei und sechs Befragte haben vier weitere Sprachen gelernt. Drei Teilnehmer haben außer Englisch keine weitere Sprache gelernt. Betrachtet man nun die Urteile zur Dekomponierbarkeit in Abhängigkeit zu der Anzahl der Sprachen, die die Probanden außer Englisch noch erlernt haben, ergeben sich keine Unterschiede im Vergleich zur Gesamtstichprobe. Sprecher, die mindestens eine weitere Sprache erlernt haben, dekomponieren 54,4% der Idiome und halten 45,6% für nichtdekomponierbar. Probanden, die mindestens zwei weitere Sprachen erlernt haben, zeigen ein Verhältnis von 54,3% zu 45,7%; bei mindestens drei weiteren Sprachen ergibt sich ein Verhältnis von 54,5% zu 45,5%. Das deutet daraufhin, dass die Anzahl der weiteren erlernten Fremdsprachen keinen Einfluss auf das Dekompositionsverhalten nimmt. Eine deutliche Abweichung, bei der jedoch die Richtung des Dekompositionsurteils erhalten bleibt, stellen die sechs Teilnehmer dar, die vier weitere Sprachen erlernt haben. Sie halten 75% der Idiome für dekomponierbar und nur 25% für nichtdekomponierbar. Es ist möglich, dass „multilinguale" Sprecher über eine besonders hohe Sprachbewusstheit verfügen und diese die Tendenz zum Dekomponieren verstärkt. Die Ergebnisse der letzten Gruppe sollten jedoch aufgrund der geringen Stichprobengröße nicht als aussagekräftig betrachtet werden (man vgl. auch die oben diskutierten Befunde der bilingualen Sprecher).

129 Auslandsaufenthalt: Wenn davon ausgegangen wird, dass sich ein Auslandsaufenthalt positiv auf die fremdsprachliche Kompetenz auswirkt, wie z.B. Freed (1995a,b) darlegt, und diese wiederum Einfluss nimmt auf Urteile über die Dekomponierbarkeit, miissten sich Sprecher, die länger im englischsprachigen Ausland waren, in ihrem Urteilsverhalten von der Gesamtstichprobe unterscheiden. Insgesamt 36 Probanden gaben in Item 13 an, sich 7 Monate oder länger dort aufgehalten zu haben. Diese Gruppe beurteilt im Durchschnitt 57,5% der Idiome als dekomponierbar und 42,3% als nichtdekomponierbar; der Unterschied zur Gesamtstichprobe ist also nicht besonders auffällig. Damit bestätigt dieses Ergebnis den Trend, der sich bereits durch die Auswertung der anderen Items abzeichnet. Die bisher dargestellten individuellen Merkmale - Bilingualität, gute Englischkenntnisse, Kenntnisse in anderen Sprachen sowie längere Auslandsaufenthalte - stehen alle mit dem Konzept der Sprachbewusstheit bzw. dem Leistungsstand in der Fremdsprache in enger Verbindung. Eine zusammenfassende Betrachtung der Analysen ergibt jedoch, dass Sprecher, die diese Merkmale erfüllen, d.h. eher über eine hohe fremdsprachliche Kompetenz verfügen, nicht nennenswert anders über den Dekompositionsstatus urteilen als Sprecher, denen aufgrund ihrer Ausprägung dieser Merkmale eine geringere Sprachbewusstheit zugeschrieben werden kann. Abschließend werden zwei Items betrachtet, die mit der Art der Präsentation der Idiome in der Befragung verbunden sind, dem Leseverhalten der Sprecher. Lesehäufigkeit englischsprachiger Texte: Da den Teilnehmern an Erhebung I die Idiome in schriftlicher Form dargeboten wurden und insofern die visuelle Wahrnehmung bzw. das Leseverhalten eine Rolle spielt - vgl. die Diskussion in 7.1.1 zur Modalitätenspezifität beim lexikalischen Zugriff war es nötig, in einigen Items des Fragebogens genauere Informationen über das Leseverhalten zu erheben. In Item 18 wurde zunächst erfragt, wie häufig die Probanden englischsprachige Texte lesen. Betrachtet man die am häufigsten genannten Zeitangaben, „täglich" (23 Probanden), „mehrmals pro Woche" (51 Probanden) und „einmal pro Woche" (20 Probanden) zeigt sich, dass mit Abnahme der Lesehäufigkeit die Tendenz zunimmt, Idiome zu dekomponieren: Tägliche Leser dekomponieren in 49,8% der Fälle - zum Vergleich: die Gesamtstichprobe dekomponiert 56,5% der Idiome - , Probanden, die mehrmals pro Woche englischsprachige Texte lesen, zu 51,8% und diejenigen, die nur einmal in der Woche Englischsprachiges lesen, zu 57,4%. Es fällt demnach auf, dass sich die Untergruppen der Probanden, die täglich oder mehrmals pro Woche englische Texte lesen, von der nichtmuttersprachlichen Grundgesamtheit unterscheiden und tendenziell nicht dekomponieren. Dieser Befund kann dahingehend interpretiert werden, dass „Vielleser" andere Lese- und Verarbeitungsstrategien bezüglich kurzer phrasaler Einheiten entwickeln. Außerdem wird in Kapitel 7 argumentiert, dass sich durch die häufige Begegnung mit Idiomen deren Repräsentation im Lexikon verändern kann, so dass aufgrund von zusätzlich vorhandenen lexikalischen Einträgen nicht mehr dekomponiert werden muss. Art der gelesenen Texte: Grundsätzlich ist im Vergleich zum Deutschen die Zahl der Idiome in englischen Texten wesentlich höher. Das Auftreten von Idiomen in englischsprachigen Texten variiert dabei je nach Textsorte; in literarischen Texten sind sie häufiger als

130 in Fachzeitschriften. 10 In Lehrbüchern und Grammatiken zum Englischunterricht sind Idiome häufig unterrepräsentiert, vgl. dazu z.B. Glaap (1979) oder Holl und Meyer-Willudda (1983). In Item 19 sollten die Probanden angeben, welche englischsprachigen Texte sie lesen. Zur Auswahl standen die Kategorien Fachzeitschriften oder -bücher, Tages- oder Wochenzeitungen, Literatur oder sonstige Lektüre. Wenn davon ausgegangen wird, dass sich in Fachliteratur weniger Idiome finden als in anderen Textsorten, stoßen Leser von Fachliteratur seltener beim Lesen auf Idiome. Dies könnte ihr Dekompositionsverhalten beeinflussen. Die meisten Versuchspersonen lesen mehrere, d.h. verschiedene Textsorten; es gibt aber auch Probanden, die sich beim Lesen eigenen Angaben zufolge auf eine Textsorte beschränken. So konnten 20 Probanden identifiziert werden, die nur literarische Texte lesen, während sieben Probanden ausschließlich Fachzeitschriften und Fachbücher lesen. Ein Vergleich des Dekompositionsverhaltens dieser beiden Gruppen zeigte, dass die Literaturleser wesentlich weniger dekomponieren, nämlich nur zu 47,2%, während die Fachliteraturleser 53,9% der Idiome dekomponieren. Damit unterscheiden sich die Literaturleser in ihrem Dekompositionsverhalten von dem der Grundgesamtheit, und zwar noch deutlicher als die eben betrachteten „täglichen Leser". Eine mögliche Erklärung wurde bereits angedeutet: Die höhere Frequenz der Idiome wirkt sich wahrscheinlich auf den lexikalischen Zugriff bzw. die lexikalische Repräsentation aus und kann dazu fuhren, dass so genannte Idiomeinträge ausgebildet werden, die das Dekomponieren erübrigen (vgl. dazu Kapitel 7.1). Die Aussagen in Abschnitt 5.7.2 können wie folgt zusammengefasst werden: Durch die Auswertung einiger Items des biographischen Fragebogens wurde überprüft, ob bzw. wie sich bestimmte individuelle Merkmale auf das Dekompositionsverhalten auswirken (vgl. 5.1, Fragestellung 3). Um zu kontrollieren, ob das Dekompositionsverhalten von Faktoren wie z.B. dem Leistungsstand in der Fremdsprache oder der Sprachbewusstheit abhängt, wurden individuelle Merkmale wie Bilingualität, gute Englischkenntnisse, Kenntnisse in anderen Sprachen sowie längere Auslandsaufenthalte in ihrem Einfluss auf das Dekompositionsverhalten untersucht. Die Ergebnisse, die allerdings aufgrund geringer Gruppengrößen und vor allem wegen des eher heuristischen Charakters der Versuchsdurchfiihrung mit Vorsicht zu behandeln sind, geben keine Hinweise auf einen direkten Zusammenhang zwischen diesen Faktoren und dem Dekompositionsverhalten. Die Analyse des Dekompositionsverhaltens der „schlechten Englischschüler" verweist zwar darauf, dass ein gewisses Maß an Englischkenntnissen notwendig zu sein scheint, um die gestellte Aufgabe angemessen bewältigen zu können, darüber hinaus jedoch scheint das Konstrukt der Dekomponierbarkeit unabhängig zu sein von der fremdsprachlichen Kompetenz. Es ist also nicht so, dass Nichtmuttersprachler mit guten Englischkenntnissen prinzipiell weniger oder mehr dekomponieren als andere Nichtmuttersprachler. Allerdings konnten andere Faktoren identifiziert werden, die das Dekompositionsverhalten beeinflussen, z.B. die Lesehäufigkeit oder auch die Art der gelesenen Texte. Die Analyse dieser Items ergab, dass Nichtmuttersprachler, die täglich englischsprachige Texte lesen, und Personen, die vor allem literarische Texte lesen, eher nicht dekomponieren. 10

Hohmann (1967a: 237) beispielsweise erklärt die Vielzahl der Idiome im Englischen durch „Flexionsschwund, der u.a. durch idiomatische Fügungen kompensiert wird."

131 Frage 3 (5.1) kann somit in Ansätzen positiv beantwortet werden, obwohl betont werden muss, dass die extralinguistischen Faktoren noch viel ausführlicher und detaillierter untersucht werden müssen, um diesbezüglich zu wirklich verlässlichen Aussagen gelangen zu können. Um die in Fragestellung 3 thematisierte „systematische" Beeinflussung feststellen zu können, bedarf es weiterer Forschung (vgl. 7.3.4). Die hier berichteten Ergebnisse liefern dennoch Hinweise darauf, dass Sprecher mit hoher Lesehäufigkeit andere Strategien haben, phrasale Einheiten zu analysieren. In Kapitel 7 wird argumentiert, dass dies an besonderen lexikalischen Repräsentationen liegen kann, die sich durch Frequenzeffekte verändern.

5.7.3

75%-Beurteilerübereinstimmung

Bisher wurde die absolute Einteilung der Idiome auf die beiden Kategorien „dekomponierbar" und „nichtdekomponierbar" betrachtet (vgl. 5.7.1). Für weiterführende Analysen stellt sich die Frage, welche Idiome von einer großen Zahl der Probanden übereinstimmend einer der beiden Kategorien zugeordnet wurden (vgl. 5.1, Fragestellung 8). In der einschlägigen Literatur (z.B. Gibbs et al. 1989a,b,c, Titone und Connine 1994a) schwankt die Festlegung darüber, wie viel Prozent der Beurteilerübereinstimmung als ausreichend betrachtet werden kann, zwischen zwei Drittel (67%-Kriterium) und drei Viertel (75%-Kriterium). Für die vorliegende Untersuchung wird das strengere Kriterium, also das 75%-Kriterium gewählt. Das bedeutet, dass im Folgenden nur noch diejenigen Idiome als dekomponierbar bzw. nichtdekomponierbar bezeichnet werden, die übereinstimmend von mindestens 75 Prozent der Probanden als zugehörig zu der einen oder anderen Kategorie beurteilt wurden. Unter dem 75%-Kriterium entfallen von den 190 untersuchten verbalen Idiomen 63 auf die Kategorie „dekomponierbar". Das sind 33,2 Prozent der 190 Idiome. Auf die Kategorie „nichtdekomponierbar" entfallen 29 Idiome, das entspricht einem Prozentsatz von 15,3%." Das bedeutet, dass insgesamt von 190 Idiomen 92, das sind 48,4%, übereinstimmend kategorisiert wurden, bei den verbleibenden 98 Idiomen, das sind 51,6%, gab es eine höhere Variation in den Beurteilungen der Sprecher. Abbildung 3 veranschaulicht dieses Ergebnis. Die darauf folgenden Tabellen liefern eine Übersicht über die eindeutig kategorisierten Idiome und damit eine Beantwortung von Frage 4 (5.1). Tabelle 5 stellt die Idiome dar, die von mindestens 75% der Probanden als „dekomponierbar" beurteilt wurden; Tabelle 6 enthält die Idiome, die von mindestens 75 Prozent der Sprecher in die Kategorie „nichtdekomponierbar" eingeordnet wurden. Bei den in Tabelle 5 angeführten 63 dekomponierbaren Idiomen gibt es zwei Idiome, die mit 100-prozentiger Übereinstimmung in diese Kategorie eingeordnet wurden: follow the crowd und play the fool. Keiner der Befragten hat diese Idiome für nichtdekomponierbar gehalten. Im Falle von get the message stimmten die Befragten bis auf einen überein, was einem Prozentsatz von 98,2 entspricht. Im Durchschnitt lag die Übereinstimmung in der Beurteilung der unter dem 75%-Kriterium dekomponierbaren Idiome bei 85,7%, d.h. der als Mindestwert gesetzte Prozentsatz wurde deutlich überschritten. 11

Der geringe Anteil nichtdekomponierbarer Idiome zeigt, wie irreführend es ist, Idiome per definitionem als nichtkompositionell zu bezeichnen (vgl. 1.2.2 und 2.2).

132

EJdekomponierbar • n i c h t d e k o m p o n i e r b a r O n i c h t eindeutig kategorisiert

Abbildung3: Dekompositionsstatus: 75%-Beurteilerllbereinstimmung (190 Idiome, Erhebung I) balance the books break the bank break the record call a meeting cause an uproar clear the air clear the decks count the cost crack a book crack a bottle crack a joke crack a smile do the rounds draw the line flip a coin follow the crowd get the eye get the message get the picture go the limit hit the bottle

hit the headlines hit the jackpot hit the road hit the spot hitch a ride hold the aces kick a habit know the score lend a hand live a lie lose the day make a living make a move make a pile make the grade make the running miss the boat miss the mark name the day oil the wheels overstep the mark

pad the bill pass the hat pave the way pay the earth play a part play the fool raise an eyebrow return the compliment say a mouthful scratch the surface see the world seize the opportunity set the pace set the scene spend a packet stand a chance stay the course steal the show sugar the pill tip the balance win the day

Tabelle 5: 75%-Beurteilerilbereinstimmung: 63 dekomponierbare Idiome (Erhebung I)

133 blow the gaff bust a gut call the shots climb the walls cut a caper cut a dash do a bunk fly a kite get the hump have a fling

have a stab hit the roof hit the sauce jump the gun kick the bucket make a killing make a pass paint the town pay a call play the field

raise the roof run a mile run the gauntlet shoot the breeze spill the beans strike a chord swing the lead take the biscuit take the cake

Tabelle 6: 75%-Beurteilerübereinstimmung: 29 nichtdekomponierbare Idiome (Erhebung I) Das mit Abstand am übereinstimmendsten als nichtdekomponierbar beurteilte Idiom ist cut a dash. Nur ein Befragter hielt dieses Idiom für dekomponierbar, alle anderen, das waren 98,1% der Befragten, stimmten bezüglich der Nichtdekomponierbarkeit dieses Idioms überein. Wie bei den eindeutig dekomponierbaren Idiomen wurde das 75%-Übereinstimmungskriterium auch bei den nichtdekomponierbaren Idiomen im Durchschnitt übertroffen. Die 29 übereinstimmend als nichtdekomponierbar beurteilten Idiome wurden im Mittel zu 83,9% dieser Kategorie zugeordnet. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ca. die Hälfte - 48,4% - der 190 untersuchten verbalen Idiome eindeutig kategorisiert werden können. Die Übereinstimmung liegt bei ca. 85%, das bedeutet, dass das angesetzte 75%Kriterium noch deutlich übertroffen wird. Die folgende Tabelle 7 fasst die wichtigsten Befunde für das 75%-Kriterium nochmals zusammen:

Anzahl Prozent Ubereinstimmung

dekomponierbare nichtdekomponierbare Idiome Idiome 63 29 33,2 15,3 85,7 83,9

Tabelle 7: Übersicht eindeutig (75%-Kriterium) kategorisierte Idiome (Erhebung I) Um weitere Tendenzen der Dekompositionsurteile festzustellen, wurde überprüft, wie sich die Einteilungen unter dem schwächeren 67%-Übereinstimmungskriterium verhalten. In diesem Fall sind es insgesamt 73 Idiome, die als dekomponierbar betrachtet werden, das entspricht - bezogen auf die 190 untersuchten Idiome - einem Prozentsatz von 38,4%. 42 Idiome werden als nichtdekomponierbar betrachtet, das entspricht 22,1%. Unter dem 67%Übereinstimmungskriterium werden demnach insgesamt 115 Idiome eindeutig kategorisiert, das sind 60,5%. Dieses Ergebnis zeigt, dass unter dem 67%-Kriterium im Vergleich zum 75%-Kriterium die Anzahl der als nichtdekomponierbar eingeschätzten Idiome in der Tendenz stärker zunimmt als die der dekomponierbaren. Dennoch werden insgesamt deutlich mehr Idiome als dekomponierbar betrachtet. Unter dem 67%-Übereinstimmungskriterium werden zusätzlich zu den oben genannten Idiomen als dekomponierbar beurteilt: bury the hatchet, deliver the goods, get a grip, hold the fort, muddy the waters, rule the roost,

134 say the word, show the flag, tip the scales, wear the trousers. Unter dem 67%-Übereinstimmungskriterium werden zusätzlich als nichtdekomponierbar beurteilt: bite the bullet, chew the cud, cook the books, crack the whip, do the trick, face the music, have a fit, hit a snag, look the part, pop the question, ring the changes, spin ayarn, upset the apple-card.

5.7.4

Vergleich zwischen Nichtmuttersprachlern und muttersprachlicher Kontrollgruppe

Die 190 verbalen Idiome wurden der Kontrollgruppe, zehn Muttersprachlern des Englischen, vorgelegt (vgl. 5.6), um zu überprüfen, welche Unterschiede oder Gemeinsamkeiten bezüglich der Dekompositionsurteile sich im Vergleich der beiden Sprechergruppen ergeben. Aufgrund der relativ geringen Anzahl der befragten Muttersprachler sind die Befunde nicht repräsentativ, können aber als tendenzanzeigend gewertet werden. Die Muttersprachler beurteilten unter dem 75%-Kriterium 65 Idiome als dekomponierbar und 40 Idiome als nichtdekomponierbar; 85 Idiome wurden demzufolge nicht eindeutig kategorisiert. Das entspricht, bezogen auf 190 Idiome, einem Prozentsatz von 34,2% für die eindeutig dekomponierbaren und 21,1% für die eindeutig nichtdekomponierbaren Idiome. Somit sind mehr als die Hälfte, 55,3%, für die Muttersprachler „eindeutige" Fälle. Man beachte, dass sich für die muttersprachliche Kontrollgruppe statt des geforderten 75%Kriteriums in den meisten Fällen automatisch ein 80%-Übereinstimmungskriterium ergab, und zwar dadurch, dass sich die zehn Muttersprachler auf die zwei Gruppen A und B verteilten und deshalb jedes der den beiden Gruppen zugeteilten 95 Idiome von fünf Sprechern eingeschätzt wurde. Um als eindeutig kategorisiert zu gelten, mussten jeweils vier von fünf Muttersprachlern das Idiom übereinstimmend als dekomponierbar bzw. nichtdekomponierbar einschätzen. Im Vergleich zu den Nichtmuttersprachlern ergaben sich demnach keine nennenswerten Unterschiede, was die dekomponierbaren Idiome angeht - vgl. zur Übersicht Tabelle 5: 63 Idiome wurden von den Nichtmuttersprachlern für dekomponierbar gehalten. Mit Bezug auf die nichtdekomponierbaren Idiome ist ein Unterschied festzustellen: Die Muttersprachler beurteilen 11 Idiome mehr - 40 im Vergleich zu 29 Idiomen - zu dieser Kategorie zugehörig. Eine Erklärung dafür wurde bereits in 5.7.2 angedeutet und wird in 7.1 ausführlich diskutiert. Die folgende Tabelle 8 liefert eine Übersicht über den Vergleich der Dekompositionsurteile der beiden Sprechergruppen. Die Prozentangaben beziehen sich auf 190. In den folgenden Abbildungen und Tabellen werden die Abkürzungen NMs für Nichtmuttersprachler und Ms für Muttersprachler verwendet.

Anzahl Prozent

dekomponierbare Idiome NMs Ms 63 65 33,2 34,2

nichtdekompo- nicht eindeutig nierbare Idiome kat. Idiome Ms NMs Ms NMs 29 40 98 85 15,3 51,5 44,7 21,1

Tabelle 8: Vergleich der Dekompositionsurteile (75%-Kriterium) beider Sprechergruppen (Erhebung I)

135 Die oben genannten Zahlen der als eindeutig dekomponierbar und nichtdekomponierbar eingestuften Idiome berücksichtigen nicht, inwieweit die Urteile über die einzelnen Idiome deckungsgleich sind, d.h. ob die gleichen oder unterschiedliche Idiome von der einen oder anderen Sprechergruppe übereinstimmend beurteilt wurden. Dieser Vergleich wird nun angestellt. Die Nichtmuttersprachler stuften 29 Idiome als nichtdekomponierbar ein. 18 dieser Idiome wurden auch von den Muttersprachlern als nichtdekomponierbar eingestuft, das entspricht einem Prozentsatz von 62,1%. Die verbleibenden 11 Idiome wurden von den Muttersprachlern nicht eindeutig kategorisiert, d.h. die Einteilung genügte nicht mehr dem 75%-Übereinstimmungskriterium. Allerdings bleibt die Tendenz des Urteils bestehen, d.h. 9 dieser 11 Idiome wurden auch von den Muttersprachlern - mit einer Übereinstimmung von 60% - als nichtdekomponierbar angesehen. Nur zwei Idiome, bust a gut und have a fling, die von den Nichtmuttersprachlern als nichtdekomponierbar eingestuft wurden, sind von den Muttersprachlern zu 60% übereinstimmend als dekomponierbar betrachtet worden. Sieht man von diesen beiden Ausnahmen ab, kann zusammenfassend festgehalten werden, dass beide Sprechergruppen mit einer relativ großen Übereinstimmung - zu 93,1% in der Tendenz und zu 62,1 % unter dem 75%-Kriterium - bestimmte Idiome als nichtdekomponierbar beurteilen. Für die 63 Idiome, die von den Nichtmuttersprachlern übereinstimmend als dekomponierbar eingestuft wurden, ergibt sich eine noch höhere Übereinstimmung im Vergleich mit den Urteilen der Muttersprachler. Für 45 dieser Idiome, also in 71,4% der Fälle, wird die Beurteilung von den Muttersprachlern geteilt. Von den verbleibenden 18 Idiomen werden 10 auch von den Muttersprachlern tendenziell als dekomponierbar eingestuft, allerdings mit einer geringeren Übereinstimmung von nur 60%. Die restlichen 8 Idiome halten die Muttersprachler im Gegensatz zu den Nichtmuttersprachlern fiir nichtdekomponierbar. 12 Know the score ist das einzige Idiom, das eindeutig gegenteilig beurteilt wird: Es wird von den Muttersprachlern zu 75% übereinstimmend als nichtdekomponierbar betrachtet, von den Nichtmuttersprachlern übereinstimmend als dekomponierbar. Im Folgenden werden in Tabelle 9 die 45 dekomponierbaren und in Tabelle 10 die 18 nichtdekomponierbaren Idiome aufgelistet, die sowohl von den Muttersprachlern als auch von den Nichtmuttersprachlern übereinstimmend beurteilt wurden. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Nichtmuttersprachler und die muttersprachliche Kontrollgruppe relativ übereinstimmende Urteile zur Dekomponierbarkeit der Idiome abgeben. Das verweist u.a. - vgl. Fragestellung 2 (5.1) - auf die Validität der nichtmuttersprachlichen Urteile. Beide Sprechergruppen schätzen - unter dem 75%-Übereinstimmungskriterium jeweils ein Drittel, d.h. 33 bzw. 34 Prozent der 190 Idiome als eindeutig dekomponierbar ein. Von beiden Gruppen werden weniger Idiome als eindeutig nichtdekomponierbar beurteilt, 15 bzw. 21 Prozent. In beiden Gruppen wird eine relativ große Anzahl von Idiomen 51 bzw. 44 Prozent - nicht übereinstimmend kategorisiert.

12

Allerdings ist hier die Übereinstimmung in der Gruppe der Muttersprachler nicht hoch; sie liegt mit Ausnahme eines einzigen Idioms - bei 60%.

136 balance the books break the record call a meeting cause an uproar count the cost crack a book crack a bottle crack a smile do the rounds draw the line flip a coin follow the crowd get the eye get the message get the picture

go the limit hit the headlines hit the jackpot hit the road hit the spot hitch a ride hold the aces live a lie make a living make a move make the grade miss the mark name the day overstep the mark pad the bill

pay the earth play a part play the fool raise an eyebrow return the compliment say a mouthful see the world seize the opportunity set the pace set the scene spend a packet stand a chance stay the course tip the balance win the day

Tabelle 9: 75% Beurteilerübereinstimmung beider Sprechergruppen: 45 dekomponierbare Idion (Erhebung I) blow the gaff climb the walls cut a dash do a bunk fly a kite get the hump

hit the roof hit the sauce kick the bucket paint the town play the field raise the roof

run the gauntlet shoot the breeze spill the beans strike a chord swing the lead take the biscuit

Tabelle 10: 75%-Beurteilerübereinstimmung beider Sprechergruppen: 18 nichtdekomponierbare Idiome (Erhebung I) Die inhaltliche Übereinstimmung in der Beurteilung durch die beiden hier befragten Sprechergruppen, d.h. die Idiome, die sowohl von den Nichtmuttersprachlern als auch den Muttersprachlern unter dem 75%-Kriterium als dekomponierbar bzw. nichtdekomponierbar eingestuft wurden, ist für die dekomponierbaren Idiome mit über 70 Prozent relativ hoch. Bei den nichtdekomponierbaren Idiomen ergibt sich zunächst nur eine Übereinstimmung von 62 Prozent, die sich aber - tendenziell, d.h. ohne das 75%-Kriterium - auf 93 Prozent erhöht. Betrachtet man die zahlenmäßige Verteilung der Idiome auf die drei Kategorien eindeutig dekomponierbar, eindeutig nichtdekomponierbar bzw. nicht eindeutig kategorisierbar, stellt dieses Ergebnis die „Umkehrung" der Befunde von Titone und Connine (1994a: 259) dar. Die Teilnehmer dieser Untersuchung, auf die an späterer Stelle noch ausführlicher eingegangen wird (vgl. 6.5.3), beurteilten 35 Prozent der Idiome als nichtdekomponierbar und 15 Prozent als dekomponierbar. Es stellt sich demnach die Frage, worauf die Präferenz des Urteils „dekomponierbar", die in der vorliegenden Untersuchung von der muttersprachlichen und nichtmuttersprachlichen Gruppe gezeigt wurde, zurückzuführen ist. Es kann sein, dass die hier verwendeten verbalen Idiome aufgrund ihrer syntaktischen Form eher für dekomponierbar gehalten werden als andere Idiome. In der Studie von Titone und Connine (1994a) wurden Idiome sehr unterschiedlicher syntaktischer Formen verwendet und bei der

137 Analyse nicht getrennt betrachtet (vgl. dazu Kapitel 6). Die Tatsache, dass die muttersprachliche Kontrollgruppe (vgl. 5.6) in der vorliegenden Erhebung andere Urteile abgibt als die von Titone und Connine (1994a) befragten Sprecher, die ebenfalls Muttersprachler des Englischen waren, kann darüber erklärt werden, dass unter den hier befragten Muttersprachlern vorwiegend Linguisten waren, die möglicherweise analytischer als naive Sprecher an Aufgaben solcher Art herangehen (vgl. dazu 4.2.2.1).

5.7.5

Schwierigkeitsgrad der Dekompositionsentscheidung

Alle Probanden, die an der Erhebung über den Dekompositionsstatus der Idiome teilgenommen haben, sollten gleichzeitig angeben, wie schwer ihnen die jeweilige Entscheidung darüber gefallen ist. Wie bereits unter 5.1 und 5.3 beschrieben, stand den Teilnehmern der Befragung dazu eine 5-Punkte-Skala zur Verfügung, wobei ein Skalenwert von 1 bedeutete, dass ihnen die Entscheidung über den Dekompositionsstatus „sehr leicht" gefallen ist, ein Skalenwert von 5 bedeutete „sehr schwere" Entscheidung. Mit der Erhebung des durch die Probanden selbst eingeschätzten Schwierigkeitsgrades ihrer Dekompositionsentscheidung werden drei Ziele verfolgt: Erstens ergibt sich daraus ein Hinweis auf die psychologische Plausibilität des Konstruktes Dekomponierbarkeit (vgl. 5.1, Fragestellung 5 sowie Schönefeld 1997). Wenn das zunächst theoretisch postulierte Konstrukt der Dekomponierbarkeit psychologisch plausibel ist, dürfte die Aufgabe, Idiome im Hinblick auf ihre Dekomponierbarkeit zu beurteilen, keine Schwierigkeiten bereiten. Die Plausibilität des Konstruktes würde demnach bestätigt werden, wenn die Probanden ihre jeweiligen Dekompositionsentscheidungen tendenziell als leicht einschätzen. Selbstverständlich besteht ein Unterschied zwischen dem eigentlichen Urteil über den Schwierigkeitsgrad der Entscheidung und der daraus abgeleiteten Plausibilität des Konstruktes; es erscheint aber zulässig, von dem einen auf das andere zu schließen. Zweitens ist interessant zu überprüfen, ob die Einschätzung des Schwierigkeitsgrades im Vergleich zwischen muttersprachlicher Kontrollgruppe und Nichtmuttersprachlern variiert. Es wird angenommen, dass Entscheidungen in einer fremden Sprache mehr Schwierigkeiten bereiten als in der Muttersprache. Drittens kann überprüft werden, ob es im Hinblick auf die empfundene Schwierigkeit einen Unterschied zwischen dem Urteil über Dekomponierbarkeit bzw. Nichtdekomponierbarkeit gibt (vgl. 5.1, Fragestellung 6). Wie in früheren Forschungen, vor allem von Gibbs et al. (1989c), gezeigt werden konnte, ist die Verarbeitungsgeschwindigkeit für die beiden Kategorien von Idiomen unterschiedlich. Nichtdekomponierbare Idiome werden langsamer verarbeitet als dekomponierbare. Traditionellerweise wird in der Psycholinguistik davon ausgegangen, dass längere Verarbeitungszeiten komplexere zugrunde liegende Prozesse reflektieren. Wenn davon ausgegangen wird, dass sich dekomponierbare und nichtdekoinponierbare Idiome im Hinblick auf ihre Verarbeitungszeit unterscheiden und eventuell jeweils andere Verarbeitungsprozesse bzw. Repräsentationen aktiviert werden, ist es wahrscheinlich, dass sich diese Unterschiede in einer anderen Einschätzung des Schwierigkeitsgrades der Dekompositionsentscheidung widerspiegeln und dass das Urteil „nichtdekomponierbar" als schwieriger empfunden wird als das Urteil „dekomponierbar".

138 Im Folgenden werden die Einschätzungen des Schwierigkeitsgrades durch die Nichtmuttersprachler mit denen der muttersprachlichen Kontrollgruppe verglichen. In der Gruppe der Nichtmuttersprachler wurden von 10450 möglichen Einschätzungen des Schwierigkeitsgrades - 110 Versuchspersonen gaben jeweils eine Einschätzung für 95 Idiome ab - tatsächlich 10423 abgegeben. Das entspricht 99,7 Prozent; es fehlte also nur in 27 Fällen eine Einschätzung. Die folgende Abbildung 4 liefert eine Übersicht über die absolute Häufigkeit, mit der jeder Skalenwert gewählt wurde:

Skalenwerte

Abbildung 4: Einschätzung des Schwierigkeitsgrades (NMs) der Dekompositionsentscheidung (Erhebung I) Wie Abbildung 4 veranschaulicht, hatten die nichtmuttersprachlichen Teilnehmer an Erhebung I keine Schwierigkeiten, über den Dekompositionsstatus der Idiome zu entscheiden. Die ersten beiden Skalenwerte, „sehr leichte" und „leichte" Entscheidung, wurden zu 61,2% gewählt. Im Vergleich dazu wurden die beiden Varianten „schwere" und „sehr schwere" Entscheidung (Skalenwert 4 bzw. 5) nur zu 14,2% gewählt. Zu knapp einem Viertel, nämlich 24,6%, wurde die Entscheidung mit einem mittleren Schwierigkeitsgrad bewertet. Dieses Ergebnis bestätigt die erste eingangs formulierte Vermutung. Es zeigt, dass das Konstrukt der Dekomponierbarkeit für Nichtmuttersprachler psychologisch plausibel ist und dass bei der Beurteilung des Dekompositionsstatus keine nennenswerten Schwierigkeiten empfunden werden. Der Trend der Einschätzung der Nichtmuttersprachler wird durch einen Vergleich mit den Einschätzungen der zehn an Erhebung I beteiligten Muttersprachler bestätigt. Von den in dieser Gruppe möglichen 950 Angaben zum Schwierigkeitsgrad der Dekompositionseinschätzung wurden 942 gemacht. Das entspricht einem Prozentsatz von 99,2, d.h. es fehlten nur 8 Angaben. Die Verteilung der Häufigkeiten, mit denen die fünf Skalenwerte gewählt wurden, veranschaulicht Abbildung 5. Bei den Muttersprachlern ist noch deutlicher, dass die Entscheidung über den Dekompositionsstatus eines Idioms keinerlei Schwierigkeiten bereitet.

139

1

2

3

4

5

Skalenwerte

Abbildung 3: Einschätzung des Schwierigkeitsgrades (Ms) der Dekompositionsentscheidung (Erhebung I)

Die ersten beiden Skalenwerte werden zu 70,3% gewählt, die beiden hinteren Skalenwerte nur zu 11%. Eine Entscheidung von mittlerer Schwierigkeit wurde für 18,7% der Idiome getroffen. Somit bestätigt auch die Gruppe der Muttersprachler die psychologische Plausibilität des Konstruktes Dekomponierbarkeit. Frage 5 (vgl. 5.1) kann demnach positiv beantwortet werden. Die Dominanz der ersten beiden Skalenwerte in beiden Gruppen kann zusätzlich als Hinweis darauf gedeutet werden, dass die Befragten sich über ihre Urteile relativ sicher zu sein scheinen. Wie erwartet, fallt den nichtmuttersprachlichen Probanden das Dekompositionsurteil etwas schwerer als den Muttersprachlern.

5.7.5.1

Zusammenhang zwischen Dekompositionsstatus und Schwierigkeitsgrad der Entscheidung

Es stellt sich die Frage, ob zwischen dem Dekompositionsstatus der Idiome und dem Schwierigkeitsgrad der Entscheidung ein Zusammenhang besteht (vgl. 5.1, Fragestellung 6). In Abschnitt 5.7.5 wurde vermutet, dass sich die Verarbeitungsunterschiede zwischen dekomponierbaren und nichtdekomponierbaren Idiomen in der subjektiv eingeschätzten Schwierigkeit der Dekompositionsentscheidung widerspiegeln. Vorhergesagt wurde eine als leichter empfundene Einschätzung für die dekomponierbaren Idiome. Betrachtet man für die Gruppe der Nichtmuttersprachler den Mittelwert der Einschätzungen des Schwierigkeitsgrades der Entscheidung auf der 5-Punkte-Skala für alle 190 Idiome, ergibt sich ein Wert von 2,27 mit einer durchschnittlichen Standardabweichung von 1,01. Für die unter dem 75%-Beurteilerübereinstimmungskriterium eindeutig als dekomponierbar bzw. nichtdekomponierbar eingestuften Idiome (vgl. 5.7.3) ergibt sich ein differenzierteres Bild. Die Schwierigkeit der Dekompositionsentscheidung wurde für die 63 eindeutig dekomponierbaren Idiome im Durchschnitt mit 1,9 bewertet; für die 29 eindeutig nichtdekomponierbaren Idiome lag dieser Durchschnittswert bei 2,4.

140 Zieht man zum Vergleich die Werte der muttersprachlichen Kontrollgruppe heran, so ergibt sich Folgendes: Der Mittelwert der Einschätzungen des Schwierigkeitsgrades der Entscheidung auf der 5-Punkte-Skala für alle 190 Idiome liegt bei 2,01, die durchschnittliche Standardabweichung bei 1,00. Als durchschnittliche Werte für die von den Muttersprachlern eindeutig eingeschätzten Idiome - 65 dekomponierbare und 40 nichtdekomponierbare - ergeben sich 1,8 für die eindeutig dekomponierbaren und 2,0 für die nichtdekomponierbaren. Tabelle 11 gibt einen Überblick: dekomponierbare Idiome Ms NMs 65 Anzahl 63 Schwierigkeitsgrad 1,9 1,8

nichtdekomponierbare Idiome NMs Ms 29 40 2,4 2,0

Tabelle 11: durchschnittlicher Schwierigkeitsgrad, Vergleich beider Sprechergruppen (75%-Kriterium, Erhebung I) Somit kann Frage 6 (vgl. 5.1) für beide Sprechergruppen dahingehend beantwortet werden, dass es offenbar mehr Schwierigkeiten bereitet, das Urteil über Nichtdekomponierbarkeit zu fällen als das über Dekomponierbarkeit. Diese subjektive Einschätzung steht in Übereinstimmung mit den Befunden von Reaktionszeitexperimenten, die für nichtdekomponierbare Idiome eine langsamere Verarbeitungsgeschwindigkeit festgestellt haben (vgl. 3.2).

5.7.6 Einschätzung des Bekanntheitsgrades der Idiome Wie in 5.3 beschrieben, hatten 30 bzw. - nach Ausschluss eines Teilnehmers verbleibende - 29 Befragte die Aufgabe, den Bekanntheitsgrad der Idiome einzuschätzen. Dazu stand ihnen eine 7-Punkte-Skala zur Verfügung, wobei Wert 1 bedeutete, dass der Sprecher „absolut nicht" wusste, was das Idiom bedeutet und ein Wert von 7, dass er genau wusste, was das Idiom bedeutet. Um die Vergleichbarkeit mit den Ergebnissen bereits durchgeführter Untersuchungen zu gewährleisten, ist der Wortlaut der Instruktion (vgl. Appendix 3) eine Übersetzung der englischen Instruktion, die in der einschlägigen Literatur zur Erhebung dieses Faktors normalerweise verwendet wird (vgl. z.B. Titone und Connine 1994a: 255). Die Wichtigkeit des Faktors Bekanntheitsgrad, aber auch die Probleme, die mit der Operationalisierung dieses Begriffs verbunden sind (vgl. auch 7.1.3.4), wurden bereits in Abschnitt 3.2.2 diskutiert. Dort wurde darauf verwiesen, dass die beiden Aspekte frequency und familiarity, also die Auftretenshäufigkeit und der subjektiv empfundene Bekanntheitsgrad eines Idioms, so eng miteinander verbunden sind, dass Sprecher - insbesondere Nichtmuttersprachler - , die darüber Urteile abgeben sollen, kaum in der Lage sind, zwischen beiden zu unterscheiden, obwohl theoretisch betrachtet Unterschiede bestehen. Deshalb wurde in der vorliegenden Untersuchung danach gefragt, wie gut die Probanden die Bedeutung des jeweiligen Idioms kennen - eine Frage, die auch von Nichtmuttersprachlern einfach und zuverlässig beantwortet werden kann. Titone und Connine (1994a: 255) lassen ihre Versuchsteilnehmer sowohl die Frequenz als auch den Bekanntheitsgrad einschätzen, verweisen aber selbst auf die enge Verknüpfung zwischen beiden. Da sie die Ergebnisse

141 beider Erhebungen getrennt berichten, ist ein direkter Vergleich mit den hier gewonnenen Daten möglich (vgl. dazu 6.5.3.1). In der vorliegenden Arbeit wird - anders als bei Titone und Connine (1994a) - die Position eingenommen, dass die Frequenz eine statistisch zu bestimmende Größe ist (vgl. 7.1.3.4). Um die Glaubwürdigkeit der Angaben über den Bekanntheitsgrad zu prüfen, wurden die Probanden im Anschluss gebeten, für drei der von ihnen mit „7", d.h. „genauer Kenntnis" beurteilten Idiome die Bedeutung aufzuschreiben. Diese Zusatzaufgabe war freiwillig. Sie wurde von 23 der 29 Probanden erfüllt, das entspricht einem Prozentsatz von 79,3%. Bis auf einige wenige Ausnahmen wurde die Bedeutung dieser als bekannt eingestuften Idiome korrekt angegeben. Daraus lässt sich ableiten, dass die Teilnehmer sich bemüht haben, den Bekanntheitsgrad realistisch einzuschätzen und auch wahrheitsgemäß dokumentiert haben, wenn ihnen eine Bedeutung nicht bekannt war. Die Auswertung der Angaben zeigt, dass der durchschnittliche Bekanntheitsgrad aller 190 verbalen Idiome bei 3,83 liegt, die durchschnittliche Standardabweichung beträgt 1,78. Bezogen auf die Anzahl der Idiome heißt das, dass 105 Idiome oberhalb des statistischen Mittelwerts der Skala - d.h. über 3,5 - angesiedelt sind, und somit tendenziell als „bekannt" beurteilt werden, während 85 Idiomen ein Wert kleiner als 3,5 zugewiesen wurde, d.h. ein Wert, der in Richtung „unbekannt" deutet. Genaueren Aufschluss über die Bekanntheitsgrade liefert die folgende Abbildung 6, die die Häufigkeitsverteilungen der einzelnen Skalenwerte veranschaulicht. Wie Abbildung 6 illustriert und eine Analyse der Häufigkeiten, mit der die einzelnen Skalenwerte zur Einschätzung des Bekanntheitsgrades gewählt wurden, bestätigt, haben die Probanden die ihnen zur Verfügung stehende 7-Punkte-Skala eher als 3-Punkte-Skala genutzt. Es ergeben sich deutliche Cluster um die Skalenwerte 1, 4 und 7. Es scheint, dass die Sprecher bevorzugt einfache Entscheidungen, nämlich „bekannt", „unbekannt" und „teilweise bekannt" getroffen haben.

Abbildung 6: Häufigkeitsverteilung Bekanntheitsgrad (7-Punkte-Skala, Erhebung I)

142 Die Häufigkeiten um die Werte 1 und 2 addieren sich zu 980, die um die Werte 3, 4 und 5 zu 906 und die um die Werte 6 und 7 zu 861. Aufgrund dieser Clusterbildung liegt es nahe, die Verteilung des Bekannheitsgrades der Idiome für weitere Analysen innerhalb dieser drei Gruppen zu betrachten. Abbildung 7 verdeutlicht diese Häufigkeitsverteilungen: 1200

unbekannt

t e i l w e i s e bekannt

bekannt

Abbildung 7: Häufigkeitsverteilung Bekanntheitsgrad (3-Punkte-Skala, Erhebung I) Mit Hilfe des erhobenen Bekanntheitsgrades kann nun im nächsten Abschnitt untersucht werden, welcher Zusammenhang zwischen dem Dekompositionsstatus eines Idioms und seinem Bekanntheitsgrad besteht.

5.7.6.1

Zusammenhang zwischen Dekompositionsstatus und Bekanntheitsgrad

Wie in Abschnitt 3.2.2 dargestellt, konnte gezeigt werden (vgl. z.B. Schweigert 1986, 1991 oder Schweigert und Moates 1988), dass der Bekanntheitsgrad eines Idioms Einfluss nimmt auf dessen Verarbeitung sowie die syntaktische Flexibilität (vgl. dazu Reagan 1987). Die Verarbeitungsgeschwindigkeit und die syntaktische Flexibilität wiederum sind abhängig vom Dekompositionsstatus (vgl. Gibbs et al. 1989a,b,c): Dekomponierbare Idiome werden schneller verarbeitet und sind syntaktisch produktiver (Gibbs et al. 1989a). In der vorliegenden Untersuchung stellt sich die Frage, welcher Zusammenhang zwischen der Einschätzung des Dekompositionsstatus und dem Bekanntheitsgrad der Idiome besteht (vgl. 5.1, Fragestellung 7). Dazu wird der von den Nichtmuttersprachlern eingeschätzte Bekanntheitsgrad des jeweiligen Idioms mit seinem Dekompositionsstatus korreliert. Es werden die von den Nichtmuttersprachlern unter dem 75%-Kriterium eindeutig kategorisierten Idiome betrachtet. Man beachte dabei, dass alle hier relevanten Dekompositionsurteile und Bekanntheitsgradwerte von Nichtmuttersprachlern geliefert wurden. Für die in Erhebung I verwendeten 190 verbalen Idiome Hegen keine muttersprachlichen Bekanntheitsgradwerte vor. Ein Vergleich zwischen beiden Probandengruppen in Bezug auf die Korrelation zwischen Dekompositionsstatus und Bekanntheitsgrad ist jedoch für 171 syntaktisch komplexe Idiome möglich, die in Erhebung II (vgl. Kapitel 6) untersucht wer-

143 Für die 63 von den Nichtmuttersprachlern übereinstimmend als dekomponierbar beurteilten Idiome (vgl. 5.7.3) ergibt sich ein durchschnittlicher Bekanntheitswert von 4,66. Dem gegenüber steht ein durchschnittlicher Bekanntheitswert von 2,88 für die übereinstimmend als nichtdekomponierbar beurteilten Idiome. Eine detailliertere Betrachtung des Bekanntheitsgrades in Bezug auf die einzelnen Skalenwerte zeigt folgende Verteilung: Für 2 der 63 dekomponierbaren Idiome, das sind 3,2%, geben die Befragten an, die Bedeutung nicht zu kennen (Skalenwert 1 oder 2). Für 18 Idiome, das sind 28,6%, geben sie an, die Bedeutung genau zu kennen (Skalenwert 6 oder 7). Die Mehrzahl, nämlich 43 Idiome oder 68,2%, werden auf der Bekanntheitsgradskala mit einem Mittelwert von 3, 4 oder 5 eingeschätzt. Für die 29 nichtdekomponierbaren Idiome zeigt sich eine Verschiebung in Richtung „unbekannt". Nur 1 Idiom, das entspricht 3,4%, ist den Nichtmuttersprachlern genau bekannt, und zwar kick the bücket. 16 Idiome, 55,2%, haben einen mittleren Bekanntheitsgrad. Bei 12 nichtdekomponierbaren Idiomen (41,4%), ist den Befragten die Bedeutung nicht bekannt. Tabelle 12 gibt eine Übersicht über diese Verteilung. Die Zuteilung wurde dabei folgendermaßen vorgenommen: Liegt der numerische Mittelwert des Bekanntheitsgrades für ein Idiom zwischen 1 und 2,49, wird dieses Idiom Säule 1 (Skalenwerte 1 und 2, „unbekannt") zugeschlagen, liegt er zwischen 2,50 und 5,49, wird das Idiom Säule 2 (Skalenwerte 3, 4 und 5, „teilweise bekannt") zugeordnet, liegt er zwischen 5,50 und 7, wird das Idiom Säule 3 (Skalenwerte 6 und 7, „bekannt") zugewiesen. Frage 7 (vgl. 5.1) beantwortend kann festgehalten werden, dass die dekomponierbaren Idiome im Durchschnitt als bekannter eingeschätzt werden als die nichtdekomponierbaren. Ein detaillierter Überblick über die 63 eindeutig dekomponierbaren und 29 eindeutig nichtdekomponierbaren Idiome mit dem Mittelwert ihres jeweiligen Bekanntheitsgrades findet sich in Appendix 6.

Skalenwert 1,2 Skalenwert 3,4,5 Skalenwert 6,7 Summe Bekanntheitsgrad

dekomponierbare Idiome Anzahl Prozent 3,2 2 43 68,2 28,6 18 100,0 63 4,66

nichtdekomponierbare Idiome Anzahl Prozent 12 41,4 16 55,2 1 3,4 29 100,0 2,88

Tabelle 12: Zusammenhang Dekompositionsstatus (75%-Kriterium) und durchschnittlicher Bekanntheitsgrad (3-Punkte-Skala, Erhebung I) Die Zahlen in Tabelle 12 zeigen deutlich, wie sich bei den eindeutig nichtdekomponierbaren Idiomen die Beurteilung des Bekanntheitsgrades zu den niedrigen Skalenwerten verschiebt, die für „unbekannt" stehen. Dass die Probanden dennoch in der Lage sind, zwischen den beiden Faktoren Dekomponierbarkeit und Bekanntheit zu unterscheiden, und nicht etwa die beiden Konzepte verwechseln, belegen diejenigen Idiome, die zwar als dekomponierbar beurteilt werden, aber trotzdem einen niedrigen Bekanntheitsgrad aufweisen, z.B. päd the bill, crack a book, pay the earth, tip the balance, spend a packet usw., aber

144 auch kick the bücket, welches einen sehr hohen Bekanntheitsgrad aufweist und dennoch eindeutig als nichtdekomponierbar beurteilt wird. Es stellt sich die Frage, warum dekomponierbare Idiome als bekannter eingestuft werden. Beide Urteile, sowohl das über den Dekompositionsstatus als auch das über den Bekanntheitsgrad, scheinen miteinander verbunden zu sein bzw. sich gegenseitig zu bestätigen. Die Tatsache, dass dekomponierbare Idiome kompositionelle Anteile haben, d.h. dass die Bedeutungen der Konstituenten eines dekomponierbaren Idioms zur Gesamtbedeutung beitragen, könnte auch dazu führen, dass dieses Idiom als bekannter eingestuft wird. Die Möglichkeit der sequenziellen Verarbeitung und auch die höhere syntaktische Produktivität sowie lexikalische Flexibilität von dekomponierbaren Idiomen lassen sie eventuell als bekannter erscheinen. Weiterhin ist es möglich, dass die Einschätzung des Bekanntheitsgrades Auskunft darüber gibt, wie plausibel die Bedeutung des Idioms auf konzeptueller Ebene ist. Das würde bedeuten, dass der Bekanntheitsgrad keine ausschließlich linguistisch zu definierende Größe ist, sondern auf Verbindungen zwischen der lexikalischen und der konzeptuellen Ebene hinweist. In diesem Zusammenhang wird nochmals deutlich, wie wichtig es ist, die Begriffe Frequenz und Bekanntheitsgrad voneinander abzugrenzen (vgl. 7.1.3.4). Es muss unterschieden werden zwischen der Urteilsebene, die dem Sprecher bewusst ist, und der lexikalischen Repräsentationsebene, auf der sich lexikalische Einträge ausbilden und die bewussten Prozessen nicht zugänglich ist. Während auf der Urteilsebene der Bekanntheitsgrad relevant ist, ist möglicherweise auf der Repräsentationsebene die Frequenz, d.h. die objektive Auftretenshäufigkeit entscheidend. Auf diesen für die lexikalische und konzeptuelle Repräsentation wichtigen Aspekt wird unter 7.1.3.4 und 7.2 eingegangen.

5.7.7

Die T(ra«sto/on)-Bedingung

Insgesamt 55 Sprecher - 27 in Gruppe A und 28 in Gruppe B - wurden zufällig der so genannten T-Bedingung zugeteilt, d.h. einer Versuchsbedingung, in der sie die Möglichkeit hatten, die deutsche Übersetzung der in den Idiomen vorkommenden Verben und Nomen in einem Anhang nachzuschlagen (vgl. 5.3 und Appendix 4). Die Probanden wurden gebeten, durch eine Markierung an der Übersetzung des Wortes sowie an dem jeweiligen Idiom kenntlich zu machen, wenn sie von der Möglichkeit des Nachschlagens Gebrauch gemacht hatten. Mit Hilfe der T(ranslation)-Bedingung sollte sichergestellt werden, dass die Nichtmuttersprachler die Unkenntnis einer Vokabel nicht automatisch mit dem Urteil „nichtdekomponierbar" gleichsetzen (vgl. 5.1, Fragestellung 8). Den Angaben der Teilnehmer zufolge wurde die Möglichkeit des Nachschlagens insgesamt bei 104 von 190 Idiomen genutzt, das entspricht einem Prozentsatz von 54,7%. Im Einzelnen wurde 607 mal die Übersetzung einer oder beider Konstituenten eines Idioms konsultiert. Mit Abstand am häufigsten wurde die Bedeutung des jeweiligen Nomens nachgeschlagen, nämlich insgesamt in 466 Fällen. Das ist mehr als viermal so häufig wie bei den Verben, deren Übersetzung insgesamt 101 mal nachgeschlagen wurde. Die Übersetzung sowohl des Verbs als auch des Nomens eines Idioms wurde nur 40 mal nachgesehen.

145 Am häufigsten wurden die folgenden Nomen nachgeschlagen (die Zahl in Klammern gibt die absolute Häufigkeit an): gaff, gauntlet (je 19); bunk (18); ante (17); caper, coop, hump (je 16); spill und plunge (je 15). Alle diese Nomen gehören entweder zu den unter dem 75%-Kriterium nichtdekomponierbaren Idiomen - blow the g a f f , run the gauntlet, do a bunk, cut a caper, get the hump - oder zu den nicht eindeutig kategorisierten Idiomen - up the ante, fly the coop, take a spill, take the plunge. Die am häufigsten nachgeschlagenen Verben sind päd (15); gild (8); toe (6); pound, spill, sweep (je 5); blaze, crack, hitch und pop (je 4). Diese Verben gehören hauptsächlich zu nicht eindeutig klassifizierten Idiomen - gild the lily, toe the line, pound the pavement, sweep the board, blaze the trail, pop the question aber auch zu unter dem 75%-Kriterium eindeutig als dekomponierbar beurteilten Idiomen - päd the bill, crack a book / bottle/ joke / smile, hitch a ride. Nur eines der häufig nachgeschlagenen Verben ist eine Konstituente eines unter dem 75%-Kriterium nichtdekomponierbaren Idioms - spill the beans. Die Idiome, bei denen am häufigsten die Übersetzung beider Konstituenten nachgeschlagen wurde, sind bust a gut (8), welches eindeutig nichtdekomponierbar ist, sowie gild the lily (6) und blaze the trail (5), die beide nicht eindeutig klassifiziert wurden. Andere Idiome, bei denen die Übersetzung beider Konstituenten nachgesehen wurde, wurden nur ein- oder zweimal nachgeschlagen. Um für alle unter dem 75%-Kriterium eindeutig beurteilten Idiome zu überprüfen, wie der Dekompositionsstatus und die Tendenz, die Übersetzung einer oder mehrerer Konstituenten des Idioms nachzuschlagen, miteinander zusammenhängen, wurden diese Idiome einer genaueren Analyse unterzogen. Von den 104 Idiomen, bei denen eine oder beide Konstituenten nachgeschlagen wurden, waren 22 eindeutig dekomponierbare und 21 eindeutig nichtdekomponierbare. Das entspricht - bezogen auf die Gesamtzahl der eindeutig dekomponierbaren Idiome von 63 - einem Prozentsatz von 34,9% und - bezogen auf die Gesamtzahl der eindeutig nichtdekomponierbaren Idiome von 29 - einem von 72,4%. Das heißt, dass ca. zwei Drittel aller als dekomponierbar eingestuften Idiome als solche kategorisiert werden, ohne dass die Probanden die Bedeutung der Konstituenten nachschlagen. Genau entgegengesetzt werden die als nichtdekomponierbar klassifizierten Idiome behandelt. Hier wird für mehr als zwei Drittel die deutsche Übersetzung nachgeschlagen. Trotz Kenntnis der Bedeutung werden die Idiome dann als nichtdekomponierbar eingestuft. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Nichtmuttersprachler ihre Kenntnis der Bedeutung einer oder beider Konstituenten nicht mit „dekomponierbar" gleichsetzen bzw. verwechseln. In diesem Sinne kann Frage 8 (vgl. 5.1) dahingehend beantwortet werden, dass das Urteil über den Dekompositionsstatus von Vokabelkenntnissen getrennt werden kann. Die Tendenz, für nichtdekomponierbare Idiome häufiger die deutsche Bedeutung der Konstituenten nachzuschlagen, entsteht wahrscheinlich dadurch, dass die Probanden überprüfen möchten, ob ihr Eindruck, dass die einzelnen Komponenten des Idioms nicht zu seiner Gesamtbedeutung beitragen, auf eine eventuelle Unkenntnis der Bedeutung des Wortes zurückzuführen ist. Wenn sie sich dann durch Nachschlagen versichert haben, dass dieser Eindruck nicht auf mangelnde Vokabelkenntnisse ihrerseits, sondern eher auf semantische Merkmale des Idioms zurückzuführen ist, beurteilen sie das Idiom als nichtdekomponierbar. Eine interpretierende Zusammenfassung sowie eine abschließende Diskussion der wichtigsten Ergebnisse von Erhebung I werden nach der Darstellung von Erhebung II, am Ende des nächsten Kapitels, vorgenommen.

6

Sprecherurteile von Nichtmuttersprachlern zur Dekomponierbarkeit englischer Idiome: Erhebung II

Die in diesem Kapitel dargestellte Untersuchung - im Folgenden als Erhebung II bezeichnet - ähnelt in Aufbau und Durchfuhrung der im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Erhebung I. Der wesentliche Unterschied besteht in der Auswahl der Idiome: Während in Erhebung I eine Beschränkung auf verbale englische Idiome vorgenommen wurde, werden in Erhebung II Idiome verschiedener syntaktischer Formen untersucht. Damit wurden hauptsächlich zwei Ziele verfolgt. Erstens sollte das in Erhebung I festgestellte Dekompositionsverhalten der Nichtmuttersprachler überprüft und dabei der Frage nachgegangen werden, ob die syntaktische Komplexität der Idiome einen Einfluss auf die Beurteilung des Dekompositionsstatus nimmt. Zweitens wird durch Erhebung II ein direkter Vergleich mit der von Titone und Connine (1994a) durchgeführten Untersuchung möglich, so dass auf der Grundlage einer breiten Datenbasis überprüft werden kann, ob bzw. wie sich die Dekompositionsurteile von Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern unterscheiden. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse tragen dazu bei, in Kapitel 7 ein Modell über die Repräsentation von Idiomen im muttersprachlichen bzw. nichtmuttersprachlichen Lexikon zu entwickeln. Der Aufbau des vorliegenden Kapitels ist in vielen Teilen parallel zu Kapitel 5. An einigen Stellen kann die Darstellung des Vorgehens und der Befunde jedoch verkürzt werden, da sich durch die Ähnlichkeit der beiden Erhebungen Überschneidungen ergeben.

6.1 Die Fragestellungen

Die Fragestellungen in Erhebung II beschränken sich im Wesentlichen auf die Überprüfung der wichtigsten Befunde aus Erhebung I sowie auf den bereits oben erwähnten Vergleich mit den Urteilen der von Titone und Connine (1994a) befragten Muttersprachler. Als Erstes muss überprüft werden, ob der Trend zum Dekomponieren, den die Nichtmuttersprachler in Erhebung I gezeigt haben, auf die syntaktisch „einfache" bzw. produktive Form der dort untersuchten verbalen Idiome zurückzufuhren ist oder ob diese Tendenz auch mit Idiomen syntaktisch unterschiedlicher Form beibehalten wird. Damit in Zusammenhang steht die Analyse der Idiome, die unter dem 75%-Übereinstimmungskriterium eindeutig beurteilt werden (vgl. 6.5.1). Als zweites ist zu fragen, ob der in Erhebung I gefundene Zusammenhang zwischen Bekanntheitsgrad und Dekompositionsstatus auch in Erhebung II bestätigt werden kann (vgl. 6.5.2). Drittens stellt sich die Frage, welche Unterschiede oder Gemeinsamkeiten bezüglich der Dekompositionsurteile von Muttersprachlern (vgl. Titone und Connine 1994a) und Nichtmuttersprachlern im direkten Vergleich von 171 Idiomen festzustellen sind (vgl. 6.5.3). Dabei wird auch der Zusammenhang zwischen Dekompositionsstatus und Bekanntheitsgrad untersucht (vgl. 6.5.3.1). Zusammenfassend können folgende Fragen formuliert werden:

147 1. 2. 3. 4. 5.

6.2

Beurteilen Nichtmuttersprachler auch syntaktisch heterogene Idiome eher als dekomponierbar? Welche syntaktisch heterogenen Idiome werden unter dem 75%-Übereinstimmungskriterium eindeutig als dekomponierbar bzw. nichtdekomponierbar beurteilt? Bestätigt sich der bereits in Erhebung I gefundene positive Zusammenhang zwischen Dekompositionsstatus und Bekanntheitsgrad? Wie unterscheiden sich muttersprachliche und nichtmuttersprachliche Urteile über den Dekompositionsstatus? Beurteilen auch Muttersprachler dekomponierbare Idiome als bekannter?

Die Auswahl der Idiome

Die in Erhebung II untersuchten Idiome sind identisch mit einer Teilmenge der Idiome, die Titone und Connine (1994a) ihren muttersprachlichen Probanden vorgelegt haben. Die Autorinnen ließen 171 Idiome anhand mehrerer Dimensionen beurteilen (vgl. 3.2.1.2); 41 davon waren verbale Idiome und wurden bereits in Erhebung I von Nichtmuttersprachlern beurteilt. Die verbleibenden 130 Idiome wurden den Teilnehmern an Erhebung II zur Beurteilung vorgelegt. Die Idiome entstammen dem Longman Dictionary of English Idioms (Titone und Connine 1994a: 254), welches auch für die Auswahl der Idiome in Erhebung I verwendet wurde. Auch die Paraphrasen wurden diesem Wörterbuch entnommen. Die 130 Idiome aus Erhebung II werden zunächst gesondert betrachtet (6.5.1, 6.5.2) und anschließend (6.5.3) mit den Werten der 41 Idiome aus Erhebung I kombiniert, um einen direkten Vergleich der insgesamt 171 Idiome, die durch Muttersprachler und Nichtmuttersprachler beurteilt wurden, vornehmen zu können (vgl. Appendix 7). In Tabelle 13 sind alle 130 Idiome der Erhebung II alphabetisch aufgelistet (vgl. auch Appendix 1). a fish out of water a flash in the pan a frog in o.'s throat a piece of cake a rule of thumb add fuel to the fire against the grain armed to the teeth as like as two peas in a pod at the back of o.'s mind back to square one be a wet blanket be on cloud nine be the cat's whiskers be the spitting image of so. beat so. to the punch behind the times

below the belt bet o.'s bottom dollar bite so.'s head off blow o.'s mind blow o.'s top blow so. to kingdom come born with a silver spoon in o.'s mouth bring home the bacon bum the midnight oil button o. 's lips by word of mouth can't believe o.'s ears carry a torch for so. cash in o.'s chips chew the fat climb on the bandwagon

come up roses cook so.'s goose cool o. 's heels cost an arm and a leg cover (up) o. 's tracks cramp so.'s style dance to another tune dressed to kill drive a hard bargain eat o.'s words fall from grace fall on deaf ears feather o.'s nest fit as a fiddle food for thought force so. 's hand frighten out of o. 's wits

148 get o.'s goat give it a whirl give so. plenty of rope give so. the cold shoulder give so. the creeps give so. the willies go the whole hog go to pieces handle sth./so. with kid gloves have an axe to grind have cold feet have egg on o.'s face hold o.'s horses horse of another color in a pickle in hot water in seventh heaven in the nick of time keep a level head keep an ace up o.'s sleeve kick up o.'s heels lay down the law lead so. up a blind alley learn sth. by heart lend so. an ear let the cat out of the bag lie through o.'s teeth

lose face lose o.'s cool lose o.'s grip lose o.'s touch make a clean sweep make no bones about sth. nip sth. in the bud out of the blue out of thin air over the hill par for the course pay lip service to sth. pay through the nose play sth. by ear play the market play with fire pour o.'s heart out praise so./sth. to the skies pull so.'s leg pull the plug on sth. put the screws on rack o.'s brains rake over the coals read between the lines rise to the bait rule with an iron fist run into the ground

save o.'s skin scream blue murder seal so.'s fate shut o.'s trap sit on the fence skate on thin ice slip o.'s mind speak o.'s mind steal so.'s thunder swallow o.'s pride take a back seat take so. to the cleaners take sth. with a grain of salt take the bull by the horns talk a mile a minute the letter of the law the long arm of the law the tip of the iceberg throw so. to the wolves throw the book at so. twist so.'s arm under so.'s thumb under the weather waste o.'s breath with flying colors would give the world

Tabelle 13: Alphabetische Auflistung aller 130 in Erhebung II untersuchten Idiome

6.3

V e r s u c h s b e d i n g u n g e n u n d Instruktionen

Die 130 Idiome wurden zufällig auf zwei Gruppen, All und BII, verteilt, so dass jeder Teilnehmer an der Befragung 65 Idiome im Hinblick auf den jeweiligen Dekompositionsstatus beurteilen musste. Die Aufgabe der Probanden war die gleiche wie in Erhebung I: Für jedes Idiom sollte beurteilt werden, ob es nach Meinung der Probanden dekomponierbar ist oder nicht. Auch die Instruktion war identisch mit der aus Erhebung I (vgl. 5.3 und Appendix 2). Innerhalb der beiden Gruppen All und BII gab es - wie in Erhebung I - jeweils drei Untergruppen, AII1, AII2, AII3 bzw. BII1, BII2, BIO, in denen die Reihenfolge der Idiome systematisch variiert wurde, um ReihenfolgeefFekten vorzubeugen. In Erhebung II wurde darauf verzichtet, die Probanden nach dem Urteil über den Dekompositionsstatus noch den Schwierigkeitsgrad der Entscheidung einschätzen zu lassen. Befunde dazu liegen bereits ausreichend aus Erhebung I vor (vgl. 5.7.5).

149 Nach der Entscheidung über den Dekompositionsstatus der Idiome erhielt jeder Proband die Aufgabe, in einem nächsten Untersuchungsteil die 65 der anderen Gruppe zugeordneten Idiome bezüglich ihres Bekanntheitsgrades zu beurteilen. Auch hier stand - wie in Erhebung I - eine siebenstufige Skala zur Verfügung; die Instruktion war identisch mit der unter 5.3 beschriebenen (vgl. auch Appendix 3). Insgesamt bearbeitete demnach jeder Teilnehmer an Erhebung II alle 130 Idiome, die Hälfte im Hinblick auf ihren Dekompositionsstatus, die andere Hälfte bezüglich ihres Bekanntheitsgrades. Im Anschluss daran wurde jedem Teilnehmer der bereits unter 5.5 beschriebene biographische Fragebogen (vgl. Appendix 5) vorgelegt. In Erhebung II wurde nicht nur auf die Einschätzung des Schwierigkeitsgrades der Entscheidung über den Dekompositionsstatus, sondern auch auf die T(rans/ai/'o«)-Bedingung verzichtet, weil die damit verbundenen Fragestellungen (vgl. 5.1) bereits ausreichend in Erhebung I beantwortet werden konnten (vgl. 5.7.5 und 5.7.7). Außerdem sollte durch den Verzicht auf diese Aufgaben Zeit bei der Versuchsdurchfuhrung eingespart werden, die für das Urteil über den Bekanntheitsgrad benötigt wurde. Die Teilnahme an Erhebung II dauerte dennoch etwas länger als die Teilnahme an Erhebung I, im Durchschnitt ca. 75 Minuten.

6.4 Die Probanden und ihr Profil

An Erhebung II nahmen 31 Muttersprachler des Deutschen teil. Sie wurden an der Bergischen Universität Wuppertal über Aushänge am schwarzen Brett rekrutiert und nahmen freiwillig an der Untersuchung teil. Während die Teilnehmer an Erhebung I, die in Lehrveranstaltungen rekrutiert wurden, in Gruppen an der Untersuchung teilnahmen, meldeten sich die Teilnehmer an Erhebung II einzeln an und füllten die Bögen in der Regel auch allein aus, manchmal in kleinen Gruppen zu zwei oder drei Personen. Tabelle 14 gibt eine Übersicht über die Zuteilung der Probanden - nach Ausschluss einer Teilnehmerin - auf die Untergruppen von Gruppe A II bzw. B II: Versuchsbedingung All 1 A II 2 A II 3

Anzahl der Probanden 5 5 5 ^ An i-3

B II 1 B II 2 B II 3



15

5 5 5 2 B n i-3

=

I .oui

=30

15

Tabelle 14: Zuteilung der Sprecher auf die Versuchsbedingungen (Erhebung II)

150 Die Kriterien für den Ausschluss aus der Analyse waren die gleichen wie in Erhebung I (vgl. 5.4.1). Potenzielle Teilnehmer, die nicht Deutsch als Muttersprache hatten, wurden nicht zugelassen, so dass niemand aufgrund dieses Kriteriums im Nachhinein ausgeschlossen werden musste. Es gab in Erhebung II keine lückenhaft ausgefüllten Bögen, die in Erhebung I in sieben Fällen zu einem Ausschluss geführt hatten. In Erhebung II musste lediglich eine Teilnehmerin ausgeschlossen werden, da sich herausstellte, dass sie bereits an Erhebung I teilgenommen hatte. Durch die wiederholte Teilnahme an Untersuchungen mit den gleichen Aufgabenstellungen kann es zu Übungseffekten kommen, die sich auf das Urteilsverhalten auswirken und somit die Ergebnisse beeinflussen können. Für die anderen war die Teilnahme an Erhebung II die erste dieser Art. Der biographische Fragebogen ermöglichte - wie in Erhebung I - das Erstellen eines Profils der Probanden. Eine hohe Übereinstimmung mit den in Erhebung I befragten Sprechern ist deshalb wünschenswert, weil für weitere Analysen (siehe 6.5.3) die dort erhobenen Urteile der 41 verbalen Idiome mit den Ergebnissen der hier untersuchten 130 Idiome kombiniert werden. Tabelle 15 veranschaulicht, dass die Probandengruppen eine sehr hohe Ähnlichkeit aufweisen und insofern einem Vergleich bzw. einer Kombination ihrer Urteile nichts entgegensteht. Bei den Werten für Erhebung I in Tabelle 15 ist zu beachten, dass dort die biographischen Daten aller Teilnehmer an Erhebung I eingegangen sind, d.h. sowohl die Angaben der Probanden der Dekompositionserhebung als auch die der Teilnehmer an der Bekanntheitsgraderhebung. Die Werte dieser beiden Gruppen wurden jeweils um die Gruppengröße gewichtet. Die Angaben in den beiden ersten Zeilen sind absolute Werte, danach werden Durchschnittswerte dargestellt. Profil Anzahl weibl. Probanden Anzahl männl. Probanden Alter Schulenglisch: Jahre Abiturnote in Englisch Note heutige Kennmisse Semesterzahl Aufenthaltsdauer engl. Ausland

Erhebung I 94 45 25,0 8,7 2,2 2,5 6,7 6,7

Erhebung II 20 10 24,6 8,9 2,0 2,4 5,4 6,7

Tabelle 15: Profil der Probanden (Vergleich Erhebung I und II)

6.5

Ergebnisse

Im Folgenden werden zunächst die Ergebnisse dargestellt, die sich auf die 130 in Erhebung II untersuchten Idiome beziehen. Sie werden jeweils mit den Ergebnissen aus Erhebung I verglichen. Zuerst werden die Urteile über den Dekompositionsstatus ausgewertet und vor allem die Ergebnisse betrachtet, die sich unter dem 75%-Übereinstimmungskriterium erge-

151 ben (vgl. 6.5.1). Es folgt eine Analyse der Bekanntheitsgradeinschätzung (6.5.2) sowie eine Überprüfung des Zusammenhangs zwischen Bekanntheitsgrad und Dekompositionsstatus (6.5.2.1). In Abschnitt 6.5.3 werden die Werte der in Erhebung II untersuchten 130 Idiome mit den Werten der 41 verbalen Idiome aus Erhebung I zusammengefügt, so dass als Datenbasis die 171 Idiome zur Verfügung stehen, die auch von Titone und Connine (1994a) untersucht wurden (vgl. Appendix 7). Damit liegt eine direkt Vergleichsbasis für muttersprachliche und nichtmuttersprachliche Urteile hinsichtlich des Dekompositionsstatus sowie dessen Zusammenhang zum Bekanntheitsgrad der Idiome vor (6.5.3.1).

6.5.1 Dekompositionsstatus der syntaktisch heterogenen Idiome und 75%-Beurteilerübereinstimmung Betrachtet man zunächst die absolute Einteilung der 130 syntaktisch heterogenen Idiome in dekomponierbare und nichtdekomponierbare, ergibt sich ein ähnliches Bild wie in Erhebung I: 55,2% der Idiome werden von den Nichtmuttersprachlern für dekomponierbar gehalten, 44,8% für nichtdekomponierbar. Zum Vergleich: In Erhebung I wurden 56,5% als dekomponierbar beurteilt, 43,5% als nichtdekomponierbar. Frage 1 (vgl. 6.1) kann demnach positiv beantwortet werden: Nichtmuttersprachler beurteilen Idiome unabhängig von ihrer syntaktischen Form eher als dekomponierbar. Genauere Analysen ermöglichen die eindeutig kategorisierten Idiome, die im Folgenden betrachtet werden. Unter dem 75%-Übereinstimmungskriterium ergibt sich ebenfalls eine Bestätigung der Ergebnisse von Erhebung I: 38 Idiome, das entspricht bei einer Grundgesamtheit von 130 Idiomen einem Prozentsatz von 29,2%, werden übereinstimmend, d.h. von mehr als 75% der Befragten, dekomponiert; 23 Idiome, das entspricht 17,7%, werden übereinstimmend als nichtdekomponierbar eingestuft. Das bedeutet, dass insgesamt 46,9% übereinstimmend in die eine oder andere Kategorie eingeordnet werden konnten, während 53,1% nicht eindeutig klassifiziert werden können. Tabelle 16 liefert einen Überblick über die Anzahl der unter dem 75%-Übereinstimmungskriterium beurteilten Idiome in Erhebung II; zum Vergleich werden die Werte aus Erhebung I ebenfalls angeführt. Die Gesamtzahl der untersuchten Idiome war in Erhebung I 190, in Erhebung II 130; die Prozentzahlen beziehen sich jeweils auf diese Werte. Abbildung 8 veranschaulicht die Verteilung der eindeutig kategorisierten und nicht eindeutig kategorisierten Idiome in Erhebung II (für Erhebung I vgl. Abbildung 3). dekomponierbare Idiome EI Ell 63 38 Anzahl 33,2 29,2 Prozent

nichtdekomponierbare Idiome EI Ell 23 29 15,3 17,7

nicht eindeutig kat. Idiome EI Ell 98 69 51,5 53,1

Tabelle 16: Vergleich des Dekompositionsstatus (75%-Kriterium, Erhebung I und II)

152

• dekomponierbar • nichtdekomponierbar • nicht eindeutig kategorisiert

Abbildung 8: Dekompositionsstatus: 75%-Beurteilerübereinstimmung (130 Idiome, Erhebung II) Es zeigt sich, dass das Ergebnis aus Erhebung I in Erhebung II weitestgehend bestätigt wird. Der größte Unterschied im Vergleich zwischen beiden Erhebungen ergibt sich bei den unter dem 75%-Kriterium als dekomponierbar eingestuften Idiomen. Dieser Kategorie werden in Erhebung II 4% der Idiome weniger zugeordnet. Bei den eindeutig nichtdekomponierbaren Idiomen finden sich dafür in Erhebung II 2,4% mehr Idiome als in Erhebung I. Es zeigt sich demnach ein leichter Trend, dass die in Erhebung II untersuchten syntaktisch komplexen Idiome seltener als dekomponierbar empfunden werden. Zur Übersicht - und als Antwort auf Fragestellung 2 (vgl. 6.1) - werden in den Tabellen 17 und 18 die von den Nichtmuttersprachlern eindeutig kategorisierten Idiome aufgelistet. add fuel to the fire armed to the teeth at the back of o.'s mind back to square one be the spitting image of so. behind the times by word of mouth can't believe o.'s ears cover (up) o.'s tracks dance to another tune fall from grace fall on deaf ears food for thought

force so.'s hand go to pieces handle sth./so. with kid gloves lend so. an ear lose face lose o.'s cool lose o.'s grip play with fire pour o. 's heart out praise so./sth. to the skies rack o. 's brains read between the lines

rule with an iron fist save o.'s skin seal so.'s fate slip o.'s mind speak o.'s mind take a back seat talk a mile a minute the letter of the law the long arm of the law the tip of the iceberg twist so.'s arm under so. 's thumb waste o.'s breath

Tabelle 17: 75%-Beurteilerübereinstimmung: 38 dekomponierbare Idiome (Erhebung II)

153 a piece of cake a rule of thumb be a wet blanket blow o.'s top cash in o.'s chips chew the fat eat o.'s words get o.'s goat

give it a whirl give so. the willies have an axe to grind kick up o.'s heels make no bones about sth. nip sth. in the bud pay through the nose pull so.'s leg

rake over the coals rise to the bait scream blue murder take so. to the cleaners take sth. with a grain of salt under the weather with flying colors

Tabelle 18: 75%-Beurteilerübereinstimmung: 23 nichtdekomponierbare Idiome (Erhebung II) Eine Analyse der Idiome, die unter dem schwächeren 67%-Übereinstimmungskriterium als eindeutig kategorisiert bezeichnet werden können, verändert das oben beschriebene Ergebnis nicht grundlegend. Sowohl für die dekomponierbaren als auch die nichtdekomponierbaren Idiome kommen jeweils 20 Idiome zu den unter dem 75%-Kriterium eingestuften dazu.

6.5.1.1

Einfluss individueller Sprechermerkmale auf das Dekompositionsurteil

Es wird an dieser Stelle darauf verzichtet, den Einfluss der individuellen Merkmale der Probanden auf die Einschätzung des Dekompositionsstatus detailliert darzustellen (vgl. dazu 5.7.2). Eine Überprüfung der Befunde aus Erhebung I konnte nicht für jedes Item durchgeführt werden, da sich aufgrund der geringeren Teilnehmerzahl in Erhebung II teilweise nicht die gleichen „Oppositionspaare" bilden ließen. Während beispielsweise in Erhebung I ein Vergleich zwischen den mit einer Eins bzw. einer Vier oder Fünf benoteten Schüler vorgenommen werden konnte, war das aufgrund der Verteilung der Noten in Erhebung II nicht möglich. Die dennoch durchgeführten Analysen zeigen, dass der in Erhebung I gefundene Trend durch die Daten in Erhebung II bestätigt wird. Items, die mit dem Faktor Sprachbewusstheit in Verbindung gebracht werden können, nehmen kaum einen Einfluss auf die Beurteilung der Dekomponierbarkeit, während - wie in Erhebung I - auch in Erhebung II diejenigen Probanden, die täglich englischsprachige Bücher lesen, in der Tendenz weniger dekomponieren als andere Teilnehmer, die seltener lesen.

6.5.2

Einschätzung des Bekanntheitsgrades der Idiome

Wie oben bereits erwähnt, schätzten alle 30 Probanden, deren Daten in die Analyse von Erhebung II eingingen, die Idiome, die sie nicht nach Dekomponierbarkeit beurteilten, auf ihren Bekanntheitsgrad hin ein. Dazu stand ihnen - wie in Erhebung I - eine 7-PunkteSkala zur Verfügung. Wert 1 bedeutete, dass der Proband „absolut nicht" wusste, was das Idiom bedeutet, Wert 7, dass er der Meinung war, die Bedeutung „ganz genau" zu kennen (vgl. 5.7.6). Wiederum wurde mit einer freiwilligen Zusatzaufgabe, bei der die Probanden für drei der von ihnen mit „7" beurteilten Idiome die Bedeutung angeben sollten, die Glaubwürdigkeit dieser Angaben überprüft. Von den 30 in der Analyse verbliebenen Testpersonen er-

154 füllten 27 diese Aufgabe, das entspricht einem Prozentsatz von 90%. In Erhebung I hatten 79,3% der Teilnehmer diese Zusatzaufgabe erfüllt. Die 27 Personen aus Erhebung II, die fi-eiwillig diese Zusatzaufgabe erfüllt haben, lieferten 81 Bedeutungsumschreibungen verschiedener Idiome. Nur vier davon, das sind 4,9%, stimmten nicht mit der korrekten Bedeutung des Idioms überein, d.h. dass in 95,1% aller Fälle die Probanden auch tatsächlich wussten, was das Idiom bedeutet, wenn sie es mit „7" beurteilt haben. Wie in Erhebung I zeigt sich, dass die Probanden die differenzierten Möglichkeiten, die eine 7-Punkte-Skala bietet, nicht genutzt haben, sondern ihre Urteile um die Endpunkte bzw. die Mitte der Skala herum gruppierten. Dieses Ergebnis war aufgrund der Befunde von Erhebung I erwartet worden. Die Skala wurde jedoch bewusst in Erhebung II nicht verändert und in eine 3-Punkte-Skala umgewandelt, um die Ergebnisse der beiden Erhebungen besser vergleichen zu können. Abbildung 9 veranschaulicht die Verteilung der Werte des Bekanntheitsgrades auf der 7-Punkte-Skala; Abbildung 10 zeigt die Werte der zusammengefassten 3-Punkte-Skala. Wie Abbildung 10 verdeutlicht, zeigt die Clusterung um die Werte 1 und 2 (Säule „unbekannt"). 3, 4 und 5 (Säule „teilweise bekannt") bzw. 6 und 7 (Säule „bekannt"), dass die Idiome von Erhebung II entweder als bekannt oder unbekannt empfunden werden; der mittlere „Weiß-nicht"-Bereich wird nicht so häufig gewählt. Im Durchschnitt wurde den 130 Idiomen ein Bekanntheitsgrad von 4,09 zugewiesen, die Standardabweichung betrug 1,85. In Erhebung I (vgl. 5.7.6) lag der Durchschnitt für die 190 Idiome bei 3,83, die Standardabweichung bei 1,78. Das heißt, dass die Bedeutung der Idiome in Erhebung II insgesamt als etwas bekannter beurteilt wurde als die in Erhebung I. Eine Analyse bezogen auf den statistischen Mittelwert der 7-Punkte-Skala ergibt, dass 49 Idiomen, das entspricht 37,7%, ein Wert unter bzw. bis 3,5 zugewiesen wurde. Die Mehrzahl der insgesamt 130 Idiome, also 81 (62,3%), liegen in der „bekannten" Hälfte der Skala. Zum Vergleich: In Erhebung I wurde 105 Idiomen ein Wert über 3,5 zugewiesen, 85 Idiomen einer unter 3,5. Das zeigt, dass in Erhebung I 55,3% in der „bekannten" Hälfte der Skala anzusiedeln sind, 44,7% in der „unbekannten" Hälfte.

Skalenwerte

Abbildung 9: Häufigkeitsverteilung Bekanntheitsgrad (7-Punkte-Skala, Erhebung II)

155

unbekannt

teilweise bekannt

bekannt

Abbildung 10: Häufigkeitsverteilung Bekanntheitsgrad (3-Punkte-Skala, Erhebung II)

6.5.2.1

Zusammenhang zwischen Dekompositionsstatus und Bekanntheitsgrad

Eine Analyse des Zusammenhangs zwischen den eindeutig dekomponierbaren bzw. eindeutig nichtdekomponierbaren Idiomen und ihrem Bekanntheitsgrad zeigt, dass die 38 unter dem 75%-Kriterium eindeutig dekomponierbaren Idiome im Durchschnitt einen Bekanntheitsgrad von 4,90 erhalten, der damit deutlich über dem Mittelwert von 4,09 aller 130 Idiome liegt. Eindeutig dekomponierbare Idiome werden demnach als bekannter beurteilt. Der durchschnittliche Bekanntheitsgrad der 23 eindeutig nichtdekomponierbaren Idiome liegt um genau zwei Skalenpunkte unter dem der dekomponierbaren bei 2,90. Um die Verteilung der Ubereinstimmend beurteilten Idiome auf die einzelnen Skalenwerte zu betrachten, werden diese - wie im vorangegangenen Abschnitt - zur besseren Übersicht zu einer 3Punkte-Skala zusammengefasst. Tabelle 19 stellt die Verteilung im Überblick dar:

Skalenwert 1,2

dekomponierbare nichtdekomponierbare Idiome Idiome Anzahl Prozent Anzahl Prozent 1 2,6 21,7 5

Skalenwert 3,4,5 Skalenwert 6,7

27 10

71,1 26,3

Summe

38

100,0

Bekanntheitsgrad

4,90

18

78,3

-

-

100,0

23 2,90

Tabelle 19: Zusammenhang Dekompositionsstatus (75%-Kriterium) und Bekanntheitsgrad (3-Punkte-Skala, Erhebung II) Liegt der numerische Mittelwert des Bekanntheitsgrades für ein Idiom zwischen 1 und 2,49, wird dieses Idiom Säule 1 (Skalenwert 1 und 2, „unbekannt") zugeschlagen, liegt er

156 zwischen 2,50 und 5,49, wird das Idiom Säule 2 (Skalenwert 3, 4 und 5, „teilweise bekannt") zugeordnet, liegt er zwischen 5,50 und 7, wird das Idiom Säule 3 (Skalenwert 6 und 7, „bekannt") zugewiesen. Die Ergebnisse bestätigen die Befunde aus Erhebung I und lassen eine positive Antwort auf Frage 3 zu (vgl. 6.1): Die Bedeutung der Ubereinstimmend als dekomponierbar beurteilten Idiome wird am bekanntesten eingeschätzt, die nicht eindeutig kategorisierten Idiome nehmen einen mittleren Stellenwert ein und die übereinstimmend als nichtdekomponierbar beurteilten Idiome sind am unbekanntesten. Eine Erklärung für diesen Zusammenhang wurde bereits unter 5.7.6.1 angedeutet und wird in Kapitel 7 wieder aufgegriffen. Wie im nächsten Abschnitt gezeigt werden kann, lässt sich dieser Zusammenhang auch bei Muttersprachlern feststellen.

6.5.3 Vergleich zwischen Nichtmuttersprachlern und Muttersprachlern: 171 Normidiome In Erhebung I wurden 190 verbale Idiome untersucht, in Erhebung II 130 syntaktisch komplexe Idiome. Für 171 dieser insgesamt betrachteten 320 Idiome liegen so genannte Normwerte - u.a. bezüglich des Dekompositionsstatus und des Bekanntheitsgrades - von einer Gruppe von Muttersprachlern des Englischen vor (vgl. Titone und Connine 1994a). Diese 171 Idiome, die sich aus 41 verbalen Idiomen der Erhebung I und allen 130 in Erhebung II untersuchten Idiomen zusammensetzen und im Folgenden als Normidiome bezeichnet werden (vgl. Appendix 7), sollen nun zu einem direkten Vergleich zwischen den Dekompositionsurteilen von Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern herangezogen werden. Das bedeutet, dass sich im Folgenden alle Angaben auf die neue Grundgesamtheit der 171 Normidiome beziehen. Alle Werte für Nichtmuttersprachler, über die berichtet wird, stammen aus einer kombinierten Analyse der entsprechenden Idiome aus Erhebung I und II. Die Werte für die Muttersprachler sind der Veröffentlichung von Titone und Connine (1994a) entnommen. Die muttersprachliche Kontrollgruppe aus Erhebung I (vgl. 5.6) findet im Zusammenhang mit den 171 Normidiomen keine Berücksichtigung mehr. Dafür sind vor allem zwei Gründe zu nennen: Erstens wurde in Erhebung I deutlich, dass einige der muttersprachlichen Kontrollprobanden wahrscheinlich spezialisierte Intuitionen aufweisen (vgl. dazu 4.2.2.1) und zweitens ist die Gruppe der von Titone und Connine (1994a) untersuchten Muttersprachler ausreichend groß und damit repräsentativ, so dass in Erhebung II nicht zusätzlich Werte der muttersprachlichen Kontrollgruppe erhoben und mit denen der Muttersprachler von Titone und Connine (1994a) kombiniert werden mussten. Die Anzahl der befragten Muttersprachler und Nichtmuttersprachler ist jeweils von ausreichender und vergleichbarer Größe. Titone und Connine (1994a: 255) ließen 30 Personen den Bekanntheitsgrad und 56 Personen den Dekompositionsstatus einschätzen. Die Autorinnen verweisen darauf (Titone und Connine 1994a: 255), dass sie zweimal 28 Personen zum Dekompositionsstatus befragt haben, wobei beiden Gruppen eine ungleiche Anzahl von Idiomen, 111 bzw. 60, zur Beurteilung vorgelegt wurde. In Erhebung I, der die 41 verbalen Idiome entnommen sind, schätzten insgesamt 110 Sprecher den Dekompositions-

157 status und 29 den Bekanntheitsgrad ein; in Erhebung II wurden die 130 Idiome von 30 Sprechern im Hinblick auf Dekompositionsstatus und Bekanntheitsgrad beurteilt. 1 Betrachtet man zunächst die dichotome Einteilung der 171 Normidiome auf die beiden Kategorien, so werden von der Gruppe der Nichtmuttersprachler 52,6% der Idiome als dekomponierbar beurteilt, 47,4% als nichtdekomponierbar. Titone und Connine (1994a: 259) berichten für die Gruppe der Muttersprachler eine durchschnittliche Verteilung von 41,9% ftir die Kategorie dekomponierbar und 58,1% für die Kategorie nichtdekomponierbar. Demnach zeigt sich bereits bei der dichotomen Einteilung ein grundsätzlicher Unterschied zwischen beiden Sprechergruppen. Frage 4 (vgl. 6.1) kann dahingehend beantwortet werden, dass Nichtmuttersprachler Idiome eher als dekomponierbar beurteilen, während Muttersprachler sie eher für nichtdekomponierbar halten.

6.5.3.1

75%-Beurteilerübereinstimmung: 171 Normidiome

Die folgende Abbildung 11 illustriert den Vergleich der beiden Sprechergruppen im Hinblick auf die eindeutig, d.h. mit 75%-Beurteilerübereinstimmung als dekomponierbar bzw. nichtdekomponierbar eingestuften Normidiome. Wie in Kapitel 5 steht die Abkürzung NMs für Nichtmuttersprachler und Ms für Muttersprachler. Tabelle 20 gibt einen Überblick über die Anzahl und den Prozentsatz der nichtmuttersprachlichen (NMs) und muttersprachlichen (Ms) Urteile über die unter dem 75%-Kriterium übereinstimmend kategorisierten Idiome. Dabei geben die Zahlwerte die Anzahl der Idiome an, die Prozentzahlen beziehen sich auf die hier zugrunde gelegte Gesamtzahl von 171.

dekomponierbar

nicht dekorrponierbar

nicht eindeutig kategorisiert

QNMs DMs Abbildung 11: Dekompositionsstatus (75%-Kriterium), Vergleich NMs und Ms, 171 Normidiome

1

Es muss beachtet werden, dass die Idiome in Erhebung I und II aufgrund ihrer großen Anzahl jeweils in zwei Gruppen geteilt wurden und insofern immer nur von der Hälfte der angegebenen Sprecher beurteilt wurden.

158 dekomponierbare Idiome NMs Ms Anzahl 45 26 Prozent 26,3 15,2

nichtdekompo- nicht eindeutig nierbare Idiome kat. Idiome NMs Ms NMs Ms 61 91 84 35 20,5 35,7 53,2 49,1

Tabelle 20: Dekompositionsstatus (75%-Kriterium), Vergleich NMs und Ms, 171 Normidiome Wie Tabelle 20 zeigt, stufen die Nichtmuttersprachler 45 der 171 Normidiome als eindeutig dekomponierbar ein, die Muttersprachler 26. Für 17 dieser Idiome ist die Beurteilung beider Gruppen übereinstimmend. Das entspricht, bezogen auf die 45 Idiome der Nichtmuttersprachler, einem Prozentsatz von 37,7%, bezogen auf die 26 von den Muttersprachlern eindeutig eingestuften Idiome einem Prozentsatz von 65,4%. Was die eindeutig nichtdekomponierbaren Idiome betrifft, stufen die Nichtmuttersprachler von 171 Idiomen 35 in diese Kategorie ein, die Muttersprachler 61. Eine Überschneidung für beide Gruppen ergab sich für 23 Idiome, das entspricht - bezogen auf die 35 eindeutig nichtdekomponierbaren Idiome der Nichtmuttersprachler - einem Prozentsatz von 65,7% bzw. - bezogen auf die 61 eindeutig nichtdekomponierbaren Idiome der Muttersprachler - einer Übereinstimmungsrate von 37,7%. Eine Auflistung der Idiome, die unter dem 75%-Kriterium von beiden Sprechergruppen Ubereinstimmend beurteilt wurden, findet sich in Appendix 8. Die Anzahl der von beiden Sprechergruppen übereinstimmend unter dem 75%-Kriterium beurteilten Idiome ist mit 17 dekomponierbaren und 23 nichtdekomponierbaren relativ gering. Über die Gründe dafür kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Möglicherweise unterliegen die Urteile über die Dekomponierbarkeit von Idiomen einer so hohen interindividuellen Varianz, dass keine höhere Übereinstimmung erzielt werden kann. Weitere Forschung muss Aufschluss über die Faktoren liefern, die dafür verantwortlich sind (vgl. 7.3.4). Es könnte auch sein, dass die hier befragten Sprechergruppen noch zu klein sind, um zu höherer Übereinstimmung zu gelangen.

6.5.3.2 Zusammenhang zwischen Dekompositionsstatus und Bekanntheitsgrad: 171 Normidiome An mehreren Stellen wurde bereits auf die Bedeutung des Faktors Bekanntheitsgrad verwiesen (vgl. 3.2.2, 5.7.6, 6.5.2). Für die Gruppe der Nichtmutterspachler wurde sowohl in Erhebung I als auch in Erhebung II ein Zusammenhang zwischen dem Bekanntheitsgrad und dem Dekompositionsstatus festgestellt: Die Bedeutungen von als dekomponierbar beurteilten Idiomen wurden in beiden Erhebungen als bekannter eingeschätzt. Es stellt sich die Frage, ob dieser empirisch ermittelte Zusammenhang auch für Muttersprachler Gültigkeit hat. Die Möglichkeit zur Überprüfung dieser Frage ergibt sich durch die Normwerte für die Dimension familiarity, die Titone und Connine (1994a: 255, 265ff.) für die 171 von ihnen untersuchten Idiome angeben (vgl. auch 3.2.1.2). Die Autorinnen erheben die Dimension familiarity durch zwei Messungen: eine Frequenzerhebung (frequency) und eine Bekanntheitsgraderhebung (meaningfulness) (Titone und Connine 1994a:

159 255). Während durch die erste Instruktion versucht wird, die „objektive" Frequenz des Idioms festzustellen, zielt die zweite eher auf den für den Sprecher „subjektiven" Bekanntheitsgrad des Idioms ab.2 Auf die Probleme der Frequenzerhebung wurde bereits unter 5.7.6 eingegangen. Abgesehen von den theoretischen Einwänden gegen eine solche Erhebung muss zusätzlich davon ausgegangen werden, dass die Instruktion der Frequenzerhebung - „[...] decide how frequently you have seen, heard, or used the idiom without consideration of whether or not you know what it means" (Titone und Connine 1994a: 255) - bereits Muttersprachlern Schwierigkeiten bereitet. In Erhebung I und II wurde den Nichtmutterspachlern nur die leichter verständliche Instruktion für den subjektiven Bekanntheitsgrad vorgelegt, den sie auf einer 7-Punkte-Skala einschätzen sollten: A rating of 1 would mean that you have absolutely no idea what the idiom means, a 4 that you are moderately certain of what it means, and a 7 would indicate that you are 100% certain of the idiom meaning and could easily put it into your own words. (Titone und Connine 1994a: 255) Da Titone und Connine (1994a: 265ff.) die Werte ihrer beiden familiarity-Messungen getrennt angeben, ist unter Verwendung der Ergebnisse ihrer Bekanntheitsgraderhebung ein direkter Vergleich möglich.3 Die folgende Tabelle 21 zeigt im Überblick den Zusammenhang zwischen den unter dem 75%-Übereinstimmungskriterium eindeutig beurteilten Idiomen und ihrem eingeschätzten Bekanntheitsgrad. Dabei liegen jeweils die Idiome zugrunde, die von der jeweiligen Sprechergruppe als eindeutig kategorisierbar identifiziert wurden. Es zeigt sich, dass der in Erhebung I und II mit Nichtmuttersprachlern gefundene Trend durch Ergebnisse aus Untersuchungen mit Muttersprachlern - außer den Daten von Titone und Connine (1994a) konnten auch Befunde von Gibbs und Nayak (1989) dazu herangezogen werden - bestätigt werden kann: Eindeutig dekomponierbare Idiome werden grundsätzlich, d.h. sowohl von Muttersprachlern als auch von Nichtmuttersprachlern, als bekannter eingeschätzt als nichtdekomponierbare; die unter dem 75%-Kriterium nicht eindeutig kategorisierten Idiome nehmen für alle Gruppen einen Platz zwischen den eindeutig dekomponierbaren und eindeutig nichtdekomponierbaren Idiomen ein. Der Status „nichtdekomponierbar" korreliert in allen Gruppen mit dem niedrigsten Bekanntheitsgrad. Dieses über die Sprechergruppen konsistente Ergebnis verweist darauf, dass - wie bereits unter 5.7.6.1 angedeutet - der Bekanntheitsgrad nicht als ausschließlich linguistische Größe betrachtet werden sollte. Es sollte vielmehr davon ausgegangen werden, dass das Urteil über den Bekanntheitsgrad zugrunde liegende konzeptuelle und damit sprachübergreifende Strukturen widerspiegelt. In Kapitel 7 wird argumentiert, dass dekomponierbare Idiome über die lexikalischen Einträge der einzelnen Konstituenten verarbeitet werden können, vo2

3

Eine weitere Studie, die Bekanntheitsgradwerte von Muttersprachlern berichtet, wurde von Schweigert und Cronk (1992/93) vorgelegt. Sie ist nicht zu einem direkten Vergleich geeignet, da erstens nur 51 der dort verwendeten 314 Idiome auch in Erhebung II bzw. bei Titone und Connine (1994a) untersucht wurden und zweitens Schweigert und Cronk (1992/93) eine 5-Punkte-Skala zur Einschätzung des Bekanntheitsgrades verwendet haben, deren Werte sich nur unter Vorbehalt auf eine 7-Punkte-Skala umrechnen lassen. In Appendix A der Untersuchung von Titone und Connine (1994a: 265ff.) bezieht sich die erste Spalte, FREQ, auf die Werte der Frequenzerhebung, die dritte Spalte, MEAN, auf die Bekanntheitsgraderhebung. Die MEAN- Werte wurden hier zum Vergleich herangezogen.

160 rausgesetzt, dass zusätzlich eine konzeptuelle Ebene aktiviert wird. Ein hoher Bekanntheitsgrad könnte auf diese „Vertrautheit" oder .Abrufbarkeit" der zugrunde liegenden Konzepte hinweisen, die bei nichtdekomponierbaren Idiomen in dieser Form nicht abgerufen werden müssen. Untersuchung

dekomponierbare Idiome

nichtdekomponierbare Idiome

nicht eindeutig kat. Idiome

NMs Erhebung I NMs Erhebung II NMs Normidiome Ms Normidiome (TC) Ms (GN) NMs Erhebung I NMs Erhebung II NMs Normidiome Ms Normidiome (TC) Ms (GN) NMs Erhebung I NMs Erhebung II NMs Normidiome Ms Normidiome (TC) Ms (GN)

Bekanntheitsgrad 4,66 4,90 4,90 5,92 6,22 2,88 2,90 2,99 5,76 5,13 3,58 4,04 3,95 5,78 5,54

Anzahl 63 38 45 26 10 29 23 35 61 7 98 69 91 84 7

Tabelle 21: Zusammenhang Dekompositionsstatus (75%-Kriterium) und Bekanntheitsgrad, Vgl. NMs und Ms, Erhebung I, II, 171 Normidiome Die Werte in Tabelle 21 beziehen sich auf die Einschätzung des Bekanntheitsgrades auf der 7-Punkte-Skala. Angegeben ist jeweils der durchschnittliche Bekanntheitsgrad. Je näher der Wert an 7 liegt, umso bekannter ist die Bedeutung des Idioms. Die Werte der Untersuchung von Gibbs und Nayak (1989) wurden mit Hilfe der von Titone und Connine (1994a) ermittelten Normwerte für den Bekanntheitsgrad errechnet. In der Tabelle wird die Untersuchung von Titone und Connine (1994a) mit TC abgekürzt, die von Gibbs und Nayak (1989) mit GN. Gibbs und Nayak (1989: 133f.) listen in ihrem Appendix A jeweils 12 Idiome auf, die von ihren Probanden als eindeutig dekomponierbar, nichtdekomponierbar und anormal dekomponierbar beurteilt wurden. Hier konnten diejenigen Idiome zu einem Vergleich herangezogen werden, für die von Titone und Connine (1994a) Normwerte vorliegen. Die Kategorie anormal dekomponierbar wurde hier als nicht eindeutig kategorisiert bezeichnet (für eine kritische Betrachtung dieser Kategorie vgl. Titone und Connine 1994a: 262). Die Gesamtzahl der untersuchten Idiome war in Erhebung I 190, in Erhebung II 130 und in beiden Normidiom-Studien 171. Gibbs und Nayak (1989) untersuchten insgesamt 36 Idiome, von denen in Tabelle 21 jedoch nur 24 berücksichtigt werden konnten.

161

6.6 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse von Erhebung I und II

In Kapitel 5 und 6 wurden Untersuchungen zu Sprecherurteilen über die Dekomponierbarkeit englischer Idiome vorgestellt. Dabei wurden hauptsächlich Daten von Nichtmuttersprachlern analysiert und mit denen von Muttersprachlern verglichen. In Erhebung I wurden 190 verbale Idiome untersucht (5.2). Insgesamt konnten die Daten von 139 Nichtmuttersprachlern ausgewertet werden; 110 Sprecher beurteilten den Dekompositionsstatus, 29 den Bekanntheitsgrad der Idiome (5.4). In Erhebung II wurden 130 syntaktisch heterogene Idiome analysiert (6.2); 30 Nichtmuttersprachler (6.4) lieferten sowohl Dekompositionsurteile als auch Angaben zum Bekanntheitsgrad der Idiome. Durch die Auswertung des biographischen Fragebogens (5.5, 5.7.2), den alle Teilnehmer ausfüllten, konnte erstens gezeigt werden, dass die in Erhebung I und II befragten Sprecher eine homogene Gruppe darstellen (6.4) und es insofern unproblematisch ist, ihre Daten teilweise gemeinsam auszuwerten (6.5.3). Zweitens konnten die so erhobenen Daten zeigen, dass Faktoren, die den Leistungsstand in der Fremdsprache oder die Sprachbewusstheit beeinflussen können, wie z.B. Bilingualität, Kenntnisse in anderen Sprachen oder Auslandsaufenthalte, keinen direkten Einfluss auf die Dekompositionsurteile erkennen lassen. Allerdings verändert sich das Dekompositionsverhalten von Nichtmuttersprachlern durch tägliches Lesen literarischer Texte; diese Sprecher zeigen - wie Muttersprachler - die Tendenz, Idiome eher nicht zu dekomponieren. Es wird davon ausgegangen, dass diese Veränderung auf FrequenzefFekte zurückgeführt werden kann, die Einfluss auf die lexikalische Repräsentation der Idiome nehmen (vgl. dazu 7.1). Die Angaben zum Schwierigkeitsgrad der Dekompositionsentscheidung (5.7.5) lieferten zunächst eine Bestätigung der psychologischen Plausibilität des Konstrukts Dekomponierbarkeit. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass das Urteil über die unter dem 75%Übereinstimmungskriterium als dekomponierbar eingestuften Idiome von beiden Sprechergruppen als leichter empfunden wird als das Urteil über Nichtdekomponierbarkeit. Diese Einschätzung bestätigt Reaktionszeitexperimente, in denen eine langsamere Verarbeitung für nichtdekomponierbare Idiome festgestellt werden konnte (vgl. 3.2). Mit Tabelle 22 wird nochmals ein Überblick über das Dekompositionsverhalten unter dem 75%-Übereinstimmungskriterium der Nichtmuttersprachler aus Erhebung I und II sowie ein Vergleich zwischen der muttersprachlichen und nichtmuttersprachlichen Gruppe anhand der 171 Normidiome (N) gegeben. dekomponiernichtdekomponierbare Idiome bare Idiome Anzahl Prozent Anzahl Prozent NMs E I 63 33,2 29 15,3 29,2 17,7 NMs E II 38 23 NMs N 45 35 20,5 26,3 15,2 61 35,7 26 Ms N

nicht eindeutig kat. Idiome Anzahl Prozent 98 51,5 69 53,1 91 53,2 84 49,1

Tabelle 22: Dekompositionsstatus (75%-Kriterium), Vergleich NMs und Ms, Erhebung I, II, 171 Normidiome

162 Die Prozentzahlen von Erhebung I beziehen sich auf 190 Idiome, die von Erhebung II auf 130 Idiome und die der Normidiome auf 171. Die Werte der Zeile „Ms N" entstammen der Untersuchung von Titone und Connine (1994a). Der Vergleich der Dekompositionsurteile von Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern in Bezug auf die 171 Normidiome unterschiedlicher syntaktischer Form bestätigt das Ergebnis, das sich bereits in Erhebung I mit den 190 verbalen und in Erhebung II mit den 130 syntaktisch komplexen Idiomen gezeigt hat. Während Nichtmuttersprachler dazu tendieren, Idiome zu dekomponieren, zeigen Muttersprachler die Tendenz, sie nicht zu dekomponieren. Eine Erklärung für diesen Unterschied wird im nächsten Kapitel geliefert, wo ein Modell zur lexikalischen und konzeptuellen Repräsentation englischer Idiome entwickelt wird. Darin wird erklärt, wie und warum sich die lexikalischen Repräsentationen im muttersprachlichen bzw. nichtmuttersprachlichen Lexikon unterscheiden. Beide Sprechergruppen weisen eine 75%-Beurteilerübereinstimmung nur für ca. die Hälfte der Idiome auf. Weitere Forschung (vgl. 7.3.2) muss Aufschluss darüber geben, anhand welcher Kriterien diese Idiome, die sich zwischen den eindeutigen Eckpunkten des Dekompositionskontinuums befinden, kategorisiert werden können bzw. durch welche Eigenschaften sie sich auszeichnen. Ein anderer Aspekt, der durch die große Anzahl der nicht eindeutig kategorisierbaren Idiome von beiden Sprechergruppen unterstrichen wird, ist der Einfluss extralinguistischer oder interindividueller Faktoren, die sich auf die Dekompositionsurteile auswirken. Auch auf diesem Gebiet ist weitere Forschung erforderlich (vgl. 7.3.4). Die Befunde zum Bekanntheitsgrad der Idiome bzw. zum Zusammenhang zwischen dem Dekompositionsstatus (75%-Kriterium) und dem Bekanntheitsgrad wurden unter 5.7.6 und 6.5.2 diskutiert. Es wurde festgestellt, dass eindeutig dekomponierbare Idiome von beiden Sprechergruppen als bekannter eingestuft werden als eindeutig nichtdekomponierbare Idiome (6.5.3.2). Dieses Ergebnis wurde mit zugrunde liegenden konzeptuellen Strukturen in Verbindung gebracht, die im nächsten Kapitel diskutiert werden.

7 Die lexikalische und konzeptuelle Repräsentation englischer Idiome

In diesem abschließenden Kapitel wird - unter Verwendung der in den beiden vorangegangenen Kapiteln gewonnenen Erkenntnisse - ein Modell zur Repräsentation englischer Idiome entwickelt, das sowohl linguistische als auch konzeptuelle - und damit psychologische - Aspekte der Sprachverarbeitung abbildet. Das hier entworfene Modell der dualen Idiomrepräsentation - kurz DIR-Modell - integriert nicht nur auf lexikalischer Ebene Einzelworteinträge und gleichzeitig vorhandene Phraseneinträge, sondern es verbindet auch die lexikalische Ebene mit einer allgemein kognitiven, indem es konzeptuelle Repräsentationen lexikalischer Einträge berücksichtigt. Die Dualität des Modells kommt demnach innerhalb der lexikalischen Ebene sowie auch zwischen den zwei Repräsentationsebenen zum Tragen. Weiterhin ermöglicht das DIR-Modell die Abbildung muttersprachlicher und nichtmuttersprachlicher Verarbeitungsprozesse, d.h. es erklärt, warum unterschiedliche Repräsentationen im LI - und L2-Lexikon vorhanden sind und wie sich in Abhängigkeit dazu die Verarbeitungsstrategien für Idiome unterscheiden. Wie die Ausführungen in Kapitel 2, 3 und 4 gezeigt haben, existiert bisher kein vergleichbares Modell. Die in 3.1.1-3.1.3 diskutierte „erste Generation" von Verarbeitungsmodellen - die Idiomlistenhypothese (Bobrow und Bell 1973), die lexikalische Repräsentationshypothese (Swinney und Cutler 1979) und die direkte Zugriffshypothese (Gibbs 1980) - ist angesichts der in Kapitel 5 und 6 dargestellten Befunde von ihrem theoretischen Ansatz her nicht ausreichend. Die drei genannten Hypothesen beschränken sich auf die Frage nach der Aktivierung der wörtlichen oder figurativen Bedeutung eines Idioms und gehen davon aus, dass die Bedeutung eines Idioms als langes Wort gespeichert ist. Die Existenz eines Kontinuums mit unterschiedlichen Graden an Kompositionalität und Dekomponierbarkeit wird dabei nicht berücksichtigt, obwohl diese Eigenschaften als zentral für Idiome identifiziert werden konnten (vgl. 3.2) und auch für das L2-Lexikon Gültigkeit haben (vgl. Kapitel 5 und 6).1 Das DIR-Modell setzt die eingangs (vgl. vor allem Kapitel 2 und 3) dargestellte bisherige Forschungstradition konsequent in lexikontheoretischer Richtung fort, vermeidet die dort aufgezeigten Schwierigkeiten und Defizite und geht durch die Integration einer konzeptuellen Ebene darüber hinaus. Eine solche Modellvorstellung ist angesichts der Forschungslage dringend erforderlich, damit die vorwiegend isoliert nebeneinander stehenden Einzelstudien und ihre Befunde in einen theoretischen Rahmen integriert werden können. In Abschnitt 7.1 werden zunächst die sprachliche Ebene betrachtet und die lexikalische Repräsentation bzw. der lexikalische Zugriff auf englische Idiome im LI- und L2-Lexikon diskutiert. Zur Bestätigung der vorgenommenen theoretischen Betrachtungen werden empi-

1

Die in 3.1.4 vorgestellte Konfigurationshypothese (Cacciari und Tabossi 1988) lasst sich mit den Befunden zum unterschiedlichen Dekompositionsstatus von Idiomen vereinbaren. Sie ist flexibel genug, durch einige Zusatzannahmen auch auf die Repräsentation von Idiomen im L2-Lexikon übertragen werden zu können. Deshalb fließen Grundgedanken der Konfigurationshypothese in die hier angestellten Überlegungen mit ein.

164 rische Befunde und daraus entstandene Modellvorstellungen zur lexikalischen Repräsentation morphologisch komplexer Wörter herangezogen (7.1.3). Die in Abschnitt 7.1 vorgenommene Beschränkung auf die lexikalische Ebene ist deshalb sinnvoll, weil auf diese Weise die hier gemachten Annahmen mit bereits existierenden Überlegungen vergleichbar bleiben. Unter Berücksichtigung der gleichen theoretischen Prämissen kann gezeigt werden, wie die Grundgedanken bestehender Theorien konsequent weiterzuführen sind. Zusätzlich wird durch das DIR-Modell deutlich, dass die lexikalische Repräsentation von Idiomen im Einklang stehen kann mit Sprachverarbeitungsmodellen für ähnlich komplexe und fixierte sprachliche Ausdrücke, z.B. Komposita, und dass somit der Idiomen traditionellerweise (vgl. Kapitel 2) zugeschriebene Sonderstatus zumindest teilweise überwunden werden kann. Diese Annäherung ist erstrebenswert, da sprachliche Ausdrücke, die bezüglich ihrer Komplexität und Fixiertheit ein Kontinuum darstellen bzw. auf diesem Kontinuum sehr nah beieinander anzusiedeln sind, mit dem gleichen oder zumindest einem sehr ähnlichen theoretischen Inventar beschrieben werden sollten und - wie hier gezeigt - auch so beschrieben werden können. Es ist davon auszugehen, dass die Prozesse zur Verarbeitung und lexikalischen Repräsentation von Idiomen sich nicht wesentlich von denen unterscheiden, die beispielsweise bei der Verarbeitung von Komposita relevant sind,2 was sich in den jeweils postulierten Verarbeitungsmodellen widerspiegeln sollte. Ein weiterer Vorteil der zunächst vorgenommenen Beschränkung der hier angestellten Überlegungen auf lexikalische Aspekte liegt darin, dass diese Annahmen in psycholinguistischen Untersuchungen, z.B. in lexikalischen Entscheidungsexperimenten, operationalisierbar, d.h. gut experimentell überprüfbar sind. Wenn jedoch mehr als eine Beschreibung von Idiomen auf lexikalischer, d.h. rein sprachlicher Ebene erreicht werden soll, muss zusätzlich die konzeptuelle Repräsentation von Idiomen berücksichtigt werden. Dies geschieht in Abschnitt 7.2, in dem die ausschließlich linguistische Behandlung der Repräsentation von Idiomen um konzeptuelle Aspekte ergänzt wird. Naturgemäß haben die in 7.2 entwickelten Modellvorstellungen eher heuristischen als operationalisierbaren Charakter. Sie sind dennoch als Grundlage und übergeordneter theoretischer Rahmen für weitere Untersuchungen notwendig. Zum Abschluss des vorliegenden Kapitels werden Inhalte und Ziele zukünftiger Forschung diskutiert (7.3).

7.1

Lexikalische Aspekte der Repräsentation englischer Idiome

Im Folgenden wird ein Modell der dualen Idiomrepräsentation konzipiert, das den Zugriff auf bzw. die Repräsentation und Verarbeitung von englischen Idiomen sowohl im LI- als auch im L2-Lexikon abbilden kann. Das DIR-Modell wird am Beispiel englischer Idiome entwickelt und illustriert, ist aber allgemein genug formuliert, um auch auf andere Sprachen anwendbar zu sein. Wie bereits erwähnt, konzentrieren sich die Ausfuhrungen in 7.1 zunächst auf die rein sprachlichen, d.h. lexikalischen Aspekte der Sprachverarbeitung. 2

Darauf verweist auch Jackendoff (1995: 149): „We will see that the lexical machinery necessary for compounds is sufficient for most of the noncompositional treatment of idioms."

165 Abschnitt 7.1.1 gibt einen kurzen Überblick über die allgemeine Struktur des Lexikons, die für die weiteren Ausführungen, d.h. im Hinblick auf die Sprachverarbeitung, relevant ist. Daran anschließend wird in 7.1.2 das DIR-Modell vorgestellt und ausführlich diskutiert. Dazu gehören die Betrachtung der Zugriffs- (7.1.2.1) sowie der Inhaltsebene und Überlegungen zum Zeitpunkt der Aktivierung der Idiomrepräsentation (7.1.2.2). Weiterhin werden die lexikalischen Verbindungen zwischen Konstituenten- und Idiomeinträgen beleuchtet (7.1.2.3) sowie Unterschiede zwischen Repräsentationen im LI - und L2-Lexikon diskutiert (7.1.2.4). In Abschnitt 7.1.3 wird auf die offensichtlich bestehenden, jedoch bisher kaum berücksichtigten Parallelen zwischen morphologisch komplexen Wörtern und Idiomen vor allem im Hinblick auf den lexikalischen Zugriff, die Repräsentation und die Verarbeitung eingegangen. Das DIR-Modell versteht Idiome als komplexe sprachliche Einheiten und rückt sie in die Nähe von morphologisch komplexen Wörtern; deshalb können für die Konzeption des dualen Idiomrepräsentationsmodells Erkenntnisse aus morphologisch orientierten Untersuchungen nutzbar gemacht werden. Die dort gewonnenen Erkenntnisse dienen als Bestätigung für die Annahmen des DIR-Modells.

7.1.1

Zur Struktur des Lexikons

Da die hier interessierenden Fragen der Sprachverarbeitung und des lexikalischen Zugriffs in den Bereich der Psycholinguistik gehören (vgl. Kapitel 1), wird im Folgenden die Struktur des Lexikons näher betrachtet, die unter dieser Perspektive relevant ist. Das bedeutet, dass vor allem verschiedene lexikalische Aktivierungsebenen betrachtet werden; Fragen nach phonologischen oder phonetischen Repräsentationen sowie semantischen oder syntaktischen Merkmalen im Lexikon werden nicht berücksichtigt. In Arbeiten, die sich mit dem Zugriff auf lexikalische Einträge und deren Verarbeitung beschäftigen, z.B. in psycholinguistischen Reaktionszeitexperimenten (vgl. z.B. MarslenWilson et al. 1994 oder Zwitserlood 1994), wird in der Regel zwischen verschiedenen Ebenen oder Komponenten des Lexikons unterschieden. Es wird angenommen, dass die verschiedenen Komponenten unterschiedliche Aspekte des lexikalischen Wissens beinhalten und zu verschiedenen Zeitpunkten während der Verarbeitung aktiviert werden. Diese theoretisch postulierte Segmentierung des Lexikons ist experimentell nicht direkt nachprüfbar und sollte deshalb eher als ein heuristisches Instrument verstanden werden, um zwischen verschiedenen lexikalischen Vorgängen und Prozessen besser unterscheiden zu können. Für die weiteren Überlegungen wird hier mit Caramazza und Miceli (1990: 2) sowie Drews, Zwitserlood, Bolwiender und Heuer (1994: 274) angenommen, dass im Lexikon zunächst grundsätzlich zwei „Eingangskanäle" zu unterscheiden sind. Visueller Input - d.h. Buchstabenfolgen oder Wörter wie sie z.B. in der vorliegenden Arbeit (vgl. Kapitel 5 und 6) verwendet wurden - wird über entsprechende visuelle Prozesse in ein orthographisches Inputlexikon überführt bzw. mit der dort vorhandenen orthographischen Repräsentation in Verbindung gebracht. Analog dazu gelangt auditorischer Input über entsprechend andere Prozesse in ein phonologisches Inputlexikon bzw. zur Übereinstimmung mit der dort vorhandenen phonologischen Repräsentation. Diese Ebene des Lexikons wird als Zugriffs-

166 komponente (vgl. Drews et al. 1994: 275) oder Inputsystem (Taft 1988: 657) bezeichnet und ist modalitätenspezifisch (vgl. dazu auch Marslen-Wilson et al. 1994). Die nächste Ebene wird als Inhaltskomponente (Drews et al. 1994: 275), Zentralsystem (Taft 1988: 657) oder lexikalisch-semantisches System (Caramazza und Miceli 1990: 2) bezeichnet und ist modalitätenunabhängig, d.h. dass sowohl die Informationen des phonologischen als auch die des orthographischen Inputlexikons hier Zugang finden. Normalerweise ist die Ebene der Inhaltskomponente gemeint, wenn - beispielsweise in syntaktisch oder semantisch orientierten Arbeiten - der Begriff „lexikalischer Eintrag" verwendet wird (vgl. Tyler 1989, Marslen-Wilson et al. 1994). Hier sind - zumindest theoretischen Annahmen zufolge - semantische und syntaktische Informationen über die jeweilige Wortform repräsentiert. Die Outputkomponente bereitet auf einer nächsten Ebene die jeweils modalitätenspezifisch intendierte Produktion vor: Das orthographische Outputlexikon enthält Informationen über die Schreibweise, das phonologische Outputlexikon stellt Informationen über die Aussprache bereit. Die beschriebene Trennung in drei oder mehr Ebenen und die Verteilung der Art der lexikalischen Informationen - phonologisch, morphologisch, semantisch, syntaktisch - auf die verschiedenen Ebenen ist theoretisch stipuliert. Es herrscht Uneinigkeit darüber, in welcher Reihenfolge bzw. mit welcher Priorität welche Informationen abgerufen werden. So gehen beispielsweise Clifton, Frazier und Connine (1984), Ferreira und Clifton (1986), Rayner und Frazier (1987) und Frazier (1987, 1989) - die von Tyler (1989: 443) als „Amherst group" bezeichnet werden - davon aus, dass beim Zugriff auf den lexikalischen Eintrag zuerst syntaktische Informationen verfugbar werden, die die weitere Verarbeitung determinieren. Semantische und pragmatische Informationen sind nach Ansicht der Amherst-Gruppe für die Syntax irrelevant und werden deshalb erst zu einem späteren Verarbeitungszeitpunkt aktiviert. Tyler (1989: 456) kritisiert das methodische Vorgehen dieser Autoren und liefert, ebenso wie Tanenhaus und Carlson (1989), Evidenz dafür, dass alle Aspekte der lexikalischen Information, auch semantische und pragmatische, beim Zugriff zur Verfügung stehen, d.h. bei der Worterkennung aktiviert werden. Grundsätzlich wird diese Position hier unterstützt. Wenn auch im Folgenden versucht wird, die oben beschriebenen einzelnen Ebenen und die dort vorhandenen, jeweils unterschiedlichen Informationen in der Diskussion zu trennen, muss generell davon ausgegangen werden, dass der Zugriff und die Verarbeitung, die in Millisekunden erfolgen, eher „integrativ" erfolgen. Abbildung 12, die auf Caramazza und Miceli (1990: 2), Drews, Zwitserlood, Bolwiender und Heuer (1994: 274) sowie Taft (1988: 659) zurückgeht, veranschaulicht - innerhalb der gestrichelten Linien - die für die weitere Diskussion relevanten Komponenten des Lexikons. Da die bisher betrachteten Studien zur Verarbeitung und Repräsentation von Idiomen (vgl. 3.1) sowie die in Kapitel 5 und 6 vorgestellten Erhebungen zu Sprecherurteilen zur Dekomponierbarkeit von Idiomen mit visuellen Stimuli durchgeführt wurden, beschränkt sich das Schaubild auf visuellen Input. Da die Produktion, d.h. die Outputkomponente, im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter berücksichtigt wird, ist sie hier nicht genauer spezifiziert. Verbindungen der lexikalischen Ebene zur konzeptuellen Ebene werden zunächst noch ausgeklammert (vgl. aber 7.2). Die Informationen auf der Inhaltsebene werden vereinfachend als „lexikalischer Eintrag" bezeichnet, obwohl natürlich die Komponente, die als „orthographisches Inputlexikon"

167 beschrieben ist, auch einen Teil des gesamten lexikalischen Eintrags, i.e. der Repräsentation im mentalen Lexikon, darstellt. Der lexikalische Eintrag enthält vor allem semantische und syntaktische Informationen, die Uber Merkmalspezifikationen notiert sind. Wie eingangs bereits erwähnt, geht es in der vorliegenden Arbeit nicht um die Ausbuchstabierung dieser Merkmale,3 sondern um die Verdeutlichung der verschiedenen Ebenen, die bei der Verarbeitung von Idiomen relevant sind und damit die Art der Repräsentation determinieren.

visueller Input

modalitätenspezifische Zugriffsebene

i orthographisches Inputlexikon

y 1

modalitätenunabhängige Inhaltsebene

lexikalischer Eintrag [ Output

Abbildung 12: Schematische Darstellung der verschiedenen Ebenen im mentalen Lexikon

7.1.2 Duale Repräsentationen von Idiomen: Das DIR-Modell Grundsätzlich stellt sich für Idiome die Frage, ob deren Verarbeitung Uber den Zugriff auf die einzelnen Konstituenten erfolgt oder ob es separate lexikalische Einträge, die im Folgenden als „Idiomeinträge" bezeichnet werden, geben muss, die die idiomatische Bedeutung und eventuell relevante syntaktische oder lexikalische Besonderheiten der gesamten idiomatischen Phrase enthalten. Im Rahmen des hier postulierten DIR-Modells wird davon ausgegangen, dass bei - ausreichend frequenten - Idiomen duale Repräsentationen vorliegen und dass bei der Verarbeitung beide, d.h. die Einzelworteinträge und die Idiomeinträge, aktiviert werden.4 Die Notwendigkeit und Schnelligkeit des Zugriffs auf die jeweilige Repräsentation variiert in Abhängigkeit zum Dekompositionsstatus und damit einhergehenden relevanten Faktoren. Bei dekomponierbaren Idiomen, die kompositionelle Anteile haben (vgl. Kapitel 1 und 3), tragen die lexikalischen Einträge der einzelnen Konstituenten zur Verarbeitung bei. Für nichtdekomponierbare - d.h. in der Regel nichtkompositionelle 3 4

Versuche dazu finden sich z.B. in Coopmans und Everaert (1988), Everaert (1989, 1993), Webelhuth und Ackerman (1994) oder van Gestel (1995). Die daraus sich ergebenden „Redundanzen" sind fllr die hier zugrunde gelegte Konzeption des Lexikons kein Problem (vgl. dazu 7.1.2.3).

168 Idiome müssen jedoch Idiomeinträge vorhanden sein. Dekomponierbare Idiome können unter bestimmten Bedingungen - zusätzlich zu den Repräsentationen ihrer einzelnen Konstituenten Idiomeinträge ausbilden. Die Annahme von Idiomeinträgen kann mit dem traditionell etablierten Postulat der Idiomliste (vgl. 2.2.2, 3.1.1, 3.1.3) in Verbindung gebracht werden. Die hier eingenommene Sichtweise geht jedoch darüber hinaus und ist differenzierter, da sie gleichzeitig die Existenz von dekomponierten Einträgen nicht ausschließt und vor allem darauf verweist, dass nicht alle Idiome - quasi per definitionem - Idiomeinträge haben, sondern diese nur unter bestimmten Bedingungen ausgebildet werden. Evidenz für die Richtigkeit dieser Annahmen liefern sowohl Befunde aus der Forschung zu morphologisch komplexen Wörtern (vgl. dazu 7.1.3) als auch Aussagen zahlreicher Sprecher, die angeben, dass sie die Bedeutung der einzelnen Konstituenten heranziehen, um die Bedeutung eines Idioms zu verstehen (vgl. dazu 7.1.2.4). Weitere Bestätigung für die Annahmen des DIR-Modells liefert eine Studie von Titone und Connine (1999). Anhand von Augenbewegungen bei der Verarbeitung von Idiomen untersuchten die Autorinnen die Frage, zu welchem Ausmaß die wörtliche bzw. die figurative Bedeutung der Konstituenten abgerufen wird (vgl. 3.1). Ihre Befunde ergaben Hinweise auf die Aktivierung von beiden Bedeutungen, so dass auch sie dafür plädieren, von dualen - in ihrer Terminologie „hybriden" - Repräsentationen auszugehen. An der Studie von Titone und Connine (1999) ist zu kritisieren, dass nicht zwischen (nicht)dekomponierbar und (nicht)kompositionell unterschieden wird, sondern beide Konstrukte unzulässigerweise vermischt werden (vgl. dazu 1.2.1), dass Faktoren wie die Frequenz nicht berücksichtigt werden und vor allem, dass die Überlegungen ausschließlich auf der lexikalischen Ebene verharren. Das DIR-Modell geht darüber hinaus, indem es konzeptuelle Repräsentationen mit einbezieht (vgl. 7.2). Dennoch ist die Untersuchung von Titone und Connine (1999) positiv zu bewerten, weil sie - mit einem anderen empirischen Vorgehen und unter anderen theoretischen Prämissen - unabhängig von den hier durchgeführten Erhebungen zu vergleichbaren Schlussfolgerungen kommt. Da im DIR-Modell von dualen Repräsentationen ausgegangen wird, muss im Folgenden spezifiziert werden, ob diese bereits auf der Zugriffsebene zugänglich sind (vgl. 7.1.2.1) oder ob sie erst auf der Inhaltsebene verfügbar sein können (vgl. 7.1.2.2). Dabei wird auch geklärt, von welchen Faktoren die Ausbildung der Idiomeinträge abhängt, wann sie aktiviert werden und welche Verbindungen zwischen den einzelnen Konstituenten und dem Idiomeintrag bestehen (7.1.2.3). Die Ausführungen werden hauptsächlich am Beispiel verbaler Idiome illustriert, die vor allem in Erhebung I (vgl. Kapitel 5) untersucht wurden; sie sind jedoch auch übertragbar auf syntaktisch anders aufgebaute Idiöme (vgl. Erhebung II, Kapitel 6). Die Überlegungen beziehen sich vor allem auf semantische Informationen. Phonologischer Input, 5 syntaktische Aspekte des Lexikoneintrags (vgl. dazu z.B. Coopmans und Everaert 1988, Everaert 1989, 1993, van Gestel 1989, 1995, Schenk 1995, 7.3.2) sowie der Output, d.h. die Produktion 6 von Idiomen, werden nicht berücksichtigt.

5

6

Der Verfasserin ist keine Untersuchung zur Verarbeitung von Idiomen bekannt, die sich mit akustischem Datenmaterial beschäftigt. Es gibt sehr wenig Studien, die die Produktion von Idiomen untersuchen (vgl. aber Irujo 1993 oder - mit Kindem als Testpersonen - Levorato und Cacciari 1992).

169 7.1.2.1

Konstituenteneinträge auf der ZugrifFsebene

Auf der Zugriffsebene geht es zunächst lediglich um den Abgleich zwischen visuellem Input und der entsprechenden, im orthographischen Inputlexikon gespeicherten Wortform. Auf dieser Ebene ist irrelevant, ob der Input, z.B. das Verb, Teil eines Idioms ist oder nicht. Es wird angenommen, dass jede Wortform, d.h. jedes nicht weiter dekomponierbare Element, eine eigene, modalitätenspezifische Zugriifsrepräsentation hat (vgl. dazu z.B. Taft 1988). In diesem Zusammenhang ist es wichtig festzuhalten, dass die morphologische Struktur der Mehrzahl der untersuchten Idiome bzw. ihrer Konstituenten nicht komplex ist, d.h. es handelt sich in der Regel um freie Wurzelmorpheme. 7 Das bedeutet, dass der lexikalische Verarbeitungsprozess von Idiomen, bei dem die semantische oder lexikalische Dekomposition eine zentrale Rolle spielt, nicht zusätzlich von morphologischen Dekompositionsprozessen (vgl. dazu 7.1.3) beeinflusst wird bzw. nur in einigen wenigen Fällen, in denen derivierte oder flektierte Wörter Konstituenten der Idiome bilden. Da der Input von links nach rechts gelesen und verarbeitet wird, kann davon ausgegangen werden, dass auf die erste Konstituente eines Idioms, d.h. das Verb, genauso zugegriffen wird wie auf denselben Input in einem Kontext, in dem er nicht Teil eines Idioms ist. Da auf der Zugriffsebene lediglich ein orthographischer Abgleich stattfindet, gibt es dort, beispielsweise für das Verb kick, nur eine Repräsentation; verschiedene semantische Lesarten spielen auf der Zugriffsebene keine Rolle. Gemäß den Befunden zahlreicher psycholinguistischer Untersuchungen nimmt auf dieser Ebene die Frequenz der jeweiligen Wortform bzw. semantisch verwandter Wörter - man vergleiche die Befunde zum kumulativen Frequenzeffekt (Bradley 1981, Burani und Caramazza 1987, Col6, Beauvillain und Segui 1989) - Einfluss auf die Schnelligkeit des Abgleichs. Dieser Effekt wurde in bisherigen Reaktionszeitexperimenten zur Verarbeitung von Idiomen nicht berücksichtigt, sollte in zukünftigen Untersuchungen aber kontrolliert werden (vgl. 7.3.1).

7.1.2.2

Duale Repräsentationen auf der Inhaltsebene

Wenn dem orthographischen Input im Inputlexikon eine Repräsentation zugeordnet wurde, wird die nächste Ebene, das Inhaltssystem, aktiviert. Der auf dieser Ebene repräsentierte 7

Die Verben der in Erhebung I untersuchten V + Det + N-Idiome (vgl. 5.2) wurden jeweils im Infinitiv dargeboten. Nach dem bestimmten oder unbestimmten Artikel folgte in den meisten Beispielen das Nomen im Singular, z.B. bust a gut, call a meeting, crack the whip. Einige wenige der Idiome beinhalten ein Flexionssuffix, nämlich den Plural, z.B. clear the decks, cook the books, grease the wheels, oder das Gerundium, wie in make a killing, make a living und make a running. Einige Idiome beinhalten ein Kompositum, z.B. hit the headlines, raise an eyebrow, say a mouthful, upset the apple-cart, walk a tightrope, oder ein deriviertes Nomen, z.B. cause an uproar, get the brushoff, seize the opportunity. Auch die Konstituenten der in Erhebung II untersuchten Idiome sind in der Mehrzahl morphologisch betrachtet nicht komplex, d.h. sie setzen sich aus freien Wurzelmorphemen zusammen, z.B. a fish out of water, bring home the bacon, fall from grace, lead up a blind alley, par for the course. Es gibt einige Idiome mit pluralflektierten Nomina, z.B. as like as two peas in a pod, cash in your chips, hold your horses, mit Partizipien, z.B. armed to the teeth, born with a silver spoon, dressed to kill, oder mit dem Genitivmarker, z.B. blow someone 's mind, feather one's nest, lie through one s teeth.

170 lexikalische Eintrag enthält alle für die weitere sprachliche Verarbeitung relevanten Informationen, d.h. solche, die dem jeweiligen Wort als Teil einer idiomatischen Konfiguration gegebenenfalls sowohl besondere syntaktische als auch spezielle semantische Eigenschaften zuordnen. Für die weiteren Überlegungen interessieren vor allem die semantischen Informationen, d.h. die verschiedenen möglichen Lesarten des Wortes und die Frage der Aktivierung dieser Lesarten. Ebenfalls ist zu fragen, wie die „Komposition" von Bedeutungen in Phrasen erfolgt. Es wird hier davon ausgegangen, dass die häufigste oder die prototypische Bedeutung eines Wortes den Kern des lexikalischen Eintrags bildet, um den herum sich die anderen möglichen Lesarten gruppieren. Das impliziert, dass nicht jede Lesart eines Wortes einen eigenen lexikalischen Eintrag darstellt. So hat beispielsweise das Verb play eine - sehr allgemeine - Kernbedeutung, die dann durch das jeweilige Argument semantisch spezifiziert wird: play football, play chess, play the guitar, play the piano, play a role, play dead, play second fiddle, play the field, play the market usw. Die im jeweiligen Kontext adäquate Lesart wird durch das Zusammenwirken mit der Bedeutung des jeweils folgenden Arguments festgelegt. Dieser Vorgang ist bei wörtlich zu interpretierenden Phrasen wie play football oder play the guitar ebenso wirksam wie bei figurativen Phrasen, z.B. play dead, play second fiddle oder play the market. Daraus könnte gefolgert werden, dass die adäquate Lesart des Verbs bei verbalen Idiomen erst über die Aktivierung des weiteren sprachlichen Inputs, d.h. des Artikels (vgl. dazu Fellbaum 1993) bzw. der NP, identifiziert werden kann. Belege für die Notwendigkeit des Zugriffs auf die lexikalischen Konstituenten, die dem Verb folgen, konnten Tabossi und Zardon (1993) liefern (vgl. 3.2.1.2). Sie konnten zeigen, dass die Aktivierung der Bedeutung des Verbs, d.h. der ersten Konstituente verbaler Idiome, allein noch nicht ausreicht, um die idiomatische Lesart abzurufen. Dieser Befund legt den Schluss nahe, dass auch noch die folgenden Konstituenten eines Idioms, d.h. bei verbalen Idiomen der Artikel und vor allem die NP, aktiviert werden müssen, bevor das Idiom als solches erkannt werden kann. Berücksichtigt man eventuell vorhandenes Kontextwissen, kann eher davon ausgegangen werden, dass der Zeitpunkt der Aktivierung der Idiomrepräsentation frühestens nach der Aktivierung des lexikalischen Eintrags der ersten Konstituente möglich ist. Das würde bedeuten, dass nicht zwangsläufig fiir jede Konstituente eines Idioms, vor allem für die vom lexikalischen Kopf weiter rechts stehenden, sowohl die Zugriffs- als auch die Inhaltsebene aktiviert werden muss. Wenn davon ausgegangen wird, dass beispielsweise der lexikalische Eintrag der ersten idiomatischen Konstituente eine Verbindung zu einem vorhandenen Idiomeintrag hat, ist es bei Idiomen, die aus mehreren Konstituenten bestehen - z.B. einem Verb mit nominalem oder präpositionalem Komplement - möglich, dass auf den lexikalischen Eintrag der NP oder PP nicht gesondert zugegriffen werden muss, sondern dass direkt die Gesamtbedeutung des Idioms über den lexikalischen Eintrag der vorangehenden Konstituente auf der Inhaltsebene aktiviert wird. Für dekomponierbare Idiome wird innerhalb des DIR-Modells davon ausgegangen, dass sie aufgrund ihrer kompositioneilen Anteile nicht zwangsläufig einen Idiomeintrag benötigen, um verarbeitet werden zu können. Allerdings müssen dann bei der Verarbeitung zusätzlich zu den lexikalischen Repräsentationen auch konzeptuelle Repräsentationen bzw.

171

Kontextwissen herangezogen werden. Darauf wird unter 7.2 näher eingegangen. Auf lexikalischer Ebene werden zunächst die möglichen Bedeutungen der einzelnen Konstituenten kombiniert. Diese Bedeutungskomposition unterscheidet sich nicht wesentlich von der, die beispielsweise auch bei morphologisch komplexen Wörtern, z.B. Komposita, notwendig ist (vgl. 7.1.3). Unter bestimmten Bedingungen können dekomponierbare Idiome zusätzlich zu den Einzelworteinträgen einen Idiomeintrag erhalten. Je häufiger die idiomatische Konfiguration als solche auftritt, umso wahrscheinlicher ist die Ausbildung eines Idiomeintrags, d.h. eines separaten Eintrags für diese spezifische Konfiguration mit allen relevanten semantischen und syntaktischen Eigenschaften.8 Für nichtdekomponierbare Idiome wird innerhalb des DIR-Modells davon ausgegangen, dass sie einen separaten Idiomeintrag ausbilden müssen. Sie haben keine kompositioneilen Anteile, d.h. ihre Bedeutung muss gesondert notiert werden. Wie oben ausgeführt, wird im DIR-Modell davon ausgegangen, dass frühestens nach dem Zugriff und der inhaltlichen Aktivierung der ersten Konstituente ein eventuell vorhandener Idiomeintrag aktiviert werden kann. Es muss an dieser Stelle gefragt werden, ob der Punkt im Verarbeitungsprozess genauer spezifiziert werden kann, an dem ausreichend Information vorhanden ist, um die idiomatische Bedeutung des Idioms abrufen zu können. Einige Autoren haben diesen Punkt als point of idiom recognition bezeichnet (Flores d'Arcais 1993: 80, vgl. auch Cacciari und Tabossi 1988, Tabossi und Cacciari 1988, Cacciari und Glucksberg 1991, Tabossi und Zardon 1995 sowie 3.1.4). Er ist nicht generell zu bestimmen, da er von der Ausprägung verschiedener Faktoren abhängt, z.B. dem Bekanntheitsgrad des Idioms, der Frequenz der einzelnen Wörter sowie dem bereits vorhandenen Kontextwissen. Vor allem der Bekanntheitsgrad ist von Sprecher zu Sprecher unterschiedlich und trägt somit zur Variabilität dieses Punktes bei. Flores d'Arcais (1993: 81) spricht zusätzlich vom point of idiom uniqueness, dem Punkt, an dem das Idiom eindeutig bzw. ausschließlich als solches identifizierbar ist. In vielen Fällen muss dazu das letzte Wort des Idioms bekannt, d.h. gelesen und verarbeitet sein. Je nach Bekanntheitsgrad und der Ausprägung der anderen beeinflussenden Faktoren kann der point of idiom recognition dem point of idiom uniqueness vorangehen. Beide Punkte können im Verarbeitungsprozess erst nach Aktivierung der lexikalischen Einträge auf der Inhaltsebene - zumindest für die erste Konstituente - erreicht werden, nachdem (vor allem) semantische Informationen abgerufen wurden. Es ist möglich, dass der point of idiom recognition der Punkt im Verarbeitungsprozess ist, an dem auf der konzeptuellen Ebene das mit den lexikalischen Einträgen korrespondierende Konzept aktiviert wird (vgl. 7.2). Im nun folgenden Abschnitt wird spezifiziert, welche Verbindungen zwischen den Einzelwort- und den Idiomeinträgen bestehen. Im Anschluss daran wird aufgezeigt, dass die in

8

Es kann hier nicht genauer spezifiziert werden, wie viele Begegnungen" mit dem Idiom nötig sind, um einen Idiomeintrag auszubilden. Auch Caramazza et al. (1988: 300, Fußnote 2) verweisen darauf, dass die Frage, ob einmaliges Lesen oder Hören für die Ausbildung eines eigenen Eintrags ausreicht oder ob es zu zahlreichen Begegnungen kommen muss, nicht zu beantworten ist. Es sollte auch beachtet werden, dass hierbei durchaus interindividuelle (Gedächtnis-) Unterschiede eine Rolle spielen können (vgl. 7.3.4).

172 Kapitel 5 und 6 empirisch festgestellten Unterschiede zwischen Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern mit den Annahmen des DIR-Modells erklärt werden können.

7.1.2.3

Lexikalische Verbindungen zwischen Konstituenten- und Idiomeinträgen

Da das DIR-Modell postuliert, dass duale Repräsentationen existieren, d.h. sowohl Idiomeinträge als auch lexikalische Einträge für die einzelnen Konstituenten vorliegen können, stellt sich die Frage, wie die lexikalischen Einträge der einzelnen Konstituenten mit dem Idiomeintrag verbunden sind. Diese Frage hängt zusammen mit der vor allem in den 1970er Jahren geführten Diskussion über lexikalische Redundanzregeln (vgl. z.B. Jackendoff 1975), die klären sollten, wie beispielsweise die lexikalischen Einträge von Wörtern wie decide und decisión oder destroy und destruction miteinander verbunden sind bzw. wie vermieden werden kann, dass zu viel redundante Information im Lexikon steht.9 Jackendoff (1975) unterscheidet zwischen morphologischen und semantischen Regeln und verweist darauf, dass der Inhalt eines lexikalischen Eintrags immer nur teilweise über Redundanzregeln und dadurch geschaffene Verbindungen mit anderen lexikalischen Einträgen spezifiziert werden kann. Diese „Anteiligkeit" ist ein Charakteristikum lexikalischer Regeln, welches nicht für syntaktische Regeln gilt (Jackendoff 1975: 669). Im Rahmen des DIR-Modells wird davon ausgegangen, dass lexikalische Redundanzregeln die Einzelworteinträge mit dem jeweiligen Idiomeintrag, der zusätzlich die idiosynkratische semantische Information enthält, verbinden (vgl. dazu Jackendoff 1975: 663). Diese Regeln können als „Verbindungslinien" konzeptualisiert werden, deren Charakter jedoch sehr unterschiedlich ausbuchstabiert werden kann. So bleibt beispielsweise Jackendoff (1975) unbestimmt bezüglich der genauen Art der Verbindung zwischen den lexikalischen Einträgen. Eine Möglichkeit, verwandte lexikalische Einträge miteinander zu verbinden, besteht in der Vergabe von - willkürlichen - Nummern (vgl. Jackendoff 1975: 642). So könnte der Eintrag für decide die Nummer 784 tragen. Der Eintrag für decisión bräuchte dann lediglich die Nummer von decide zu enthalten sowie eine Spezifikation der Redundanzregel, die aus einem verbalen Eintrag einen nominalen macht. Jackendoff verwirft diese Analyse wieder, sie könnte aber auf Idiome übertragen werden. Der Idiomeintrag würde demnach die Nummern der einzelnen Worteinträge beinhalten plus zusätzlicher semantischer Informationen und syntaktischer Beschränkungen. Die Idee bzw. Metapher der Nummerierung lexikalischer Einträge, um ihre Verbindungen untereinander abzubilden, findet sich beispielsweise auch in Fromkins Modular Coaddressing Model (vgl. Emmorey und Fromkin 1988: 131), das sich mit den Verbindungen lexikalischer Einträge in verschiedenen Sublexika - phonologischer, orthographischer oder semantischer Art - beschäftigt. Eine andere Möglichkeit zur Beantwortung der Frage der Verbindung der dualen Repräsentationen liefern zwei von Bybee (1985, 1988, vgl. auch 1995a,b) beschriebene Mechanismen der lexikalischen Speicherung, die als „lexikalische Verbindung" - lexical connec9

Man beachte, dass im Gegensatz zur damals vorherrschenden Transformationsgrammatik in dem hier zugrunde gelegten Ansatz Redundanzen im Lexikon kein grundsätzliches Problem mehr darstellen.

173 tion - und „lexikalische Stärke" - lexical strength - bezeichnet werden (Bybee 1988: 125). Beide Mechanismen bilden lexikalische Netzwerke und sind flexibel genug, um Frequenzeffekte berücksichtigen zu können. 10 Mit lexikalischer Verbindung ist gemeint, dass Morpheme über gemeinsame semantische und phonologische Merkmale assoziiert oder verbunden werden. 11 In dieser Terminologie wird unter der Bezeichnung „semantisches Merkmal" beispielsweise die Zugehörigkeit von zwei Wörtern zum gleichen semantischen Feld oder die Verbundenheit von Wörtern über semantische Relationen wie Synonymie oder Antonymie verstanden. Die Verbindungen konzeptualisiert Bybee als Linien von unterschiedlicher Stärke (vgl. Bybee 1988: 126). Bybee (1988) geht davon aus, dass neue, morphologisch komplexe Wörter gelernt werden, indem sie auf der Grundlage ihrer semantischen und phonologischen Merkmale Verbindungen - Verbindungslinien - mit dem existierenden, d.h. bereits gespeicherten lexikalischen Material bilden. Dabei betreiben Sprecher bzw. Hörer Segmentierung, d.h. Dekomposition: „The word is not physically dismembered, but its parts are nonetheless identified" (Bybee 1988: 127). Diese Analyse ist direkt auf Idiome und die Ausbildung von Idiomeinträgen bzw. deren Verbindung zu den Einträgen der einzelnen Konstituenten übertragbar. Der Sprecher kennt alle oder einige der einzelnen Konstituenten des Idioms und ihre wörtliche oder prototypische Bedeutung und erwirbt für eine bestimmte - i.e. die idiomatische - Konfiguration dieser Konstituenten in einem bestimmten Kontext eine neue Bedeutung, die von den Bedeutungen der einzelnen Konstituenten abweichen kann. Die jeweiligen lexikalischen Einträge der das Idiom bildenden Konstituenten werden über Verweise - „Linien" - mit dem Idiomeintrag verbunden. Aufgrund der phonologischen und 10

11

Bybee (1985, 1988) verfolgt einen - vorwiegend morphologisch orientierten - Ansatz, der in wesentlichen Teilen von grundlegenden Annahmen der generativen Grammatik abweicht. Dennoch betonen zahlreiche Autoren (vgl. dazu Schreuder und Baayen 1995: 152) die Plausibilität und Relevanz von Bybees Erkenntnissen und stellen in den wichtigsten Punkten generelle Übereinstimmung fest. Eine von Bybees grundlegenden Annahmen ist die, dass das Lexikon eine separate Komponente der Grammatik darstellt, die von der Syntax abzugrenzen ist. Innerhalb der generativen Grammatik werden lexikalische Repräsentationen als statisch und fixiert betrachtet, während morphologische Regeln als dynamisch angesehen werden. Diese strikte Trennung von Regeln und Repräsentationen wird von Bybee (1985, 1988, 1995a,b) abgelehnt; sie plädiert dafür, (morphologische) Regeln und (lexikalische) Repräsentationen als die zwei Endpunkte eines Kontinuums zu verstehen, so dass es einige Regeln geben kann, die Eigenschaften haben, die normalerweise mit Repräsentationen in Zusammenhang gebracht werden. Gleichzeitig kann es einige Repräsentationen geben, die Ähnlichkeiten mit Regeln haben. Daraus ergibt sich, dass morphologische Regeln eher als Muster zu interpretieren sind, die aus der intrinsischen Organisation des Lexikons, d.h. den lexikalischen Repräsentationen, entstehen (Bybee 1988: 125). Demzufolge postuliert Bybee auch kein Grammatikmodell mit zwei separaten Bereichen - einerseits der morphologischen Komponente und andererseits dem Lexikon - , sondern geht davon aus, dass das Lexikon ausreicht, um morphologische Gegebenheiten abzubilden. Dazu werden die zwei Mechanismen der lexikalischen Verbindung und der lexikalischen Stärke benötigt. „Each lexical word is a pairing of a set of semantic features with a set of phonological features. Relations among words are set up according to shared features. [...] Sets of connections that parallel one another by running between the same two items may accumulate to form connections of varying strength, depending on the number of features connected, and in some cases on the content of the features. [...] morphological relations are semantic and phonological connections that run in parallel." (Bybee 1988: 126f.).

174 orthographischen Identität der Konstituenten bestehen bereits Verbindungen, es müssen lediglich semantische und syntaktische Besonderheiten notiert werden. Der Vorteil einer solchen Annahme besteht darin, dass morphologische Beziehungen graduell beschrieben werden können.12 Bybees zweites theoretisches Konstrukt neben der lexikalischen Verbindung ist die lexikalische Stärke. Während andere Lexikonkonzeptionen, z.B. die der generativen Grammatik, davon ausgehen, dass das mentale Lexikon das Analogon zu einem Wörterbuch darstellt, d.h. dass die Form der einmal dort „abgelegten" Einträge fixiert ist, postuliert Bybee ein dynamisches Modell, in dem die lexikalischen Einträge nicht alle und zu jeder Zeit den gleichen Status haben, sondern durch die Häufigkeit ihrer Verwendung beeinflusst und variiert werden können. So nehmen häufig frequentierte Formen in ihrer lexikalischen Stärke zu, seltener frequentierte werden schwächer. Demnach ist die lexikalische Stärke ein Index der Wortfrequenz.13 Auch im Rahmen des DIR-Modells wird von einer solchen dynamischen oder flexiblen Konzeption des Lexikons ausgegangen. Es wird angenommen, dass die mentale Repräsentation von Idiomen über Konstituenteneinträge oder Idiomeinträge variabel ist, d.h. dass es jederzeit zur Neubildung, aber auch zur „Verblassung" von Konstituenten- und Idiomeinträgen kommen kann. Die beiden Konstrukte, lexical strength und lexical connection, interagieren auf vielfältige Weise miteinander und spielen auch bei der Verarbeitung von neuen Wörtern eine Rolle. Komplexe, niedrig frequente Wörter werden über ihre Basiswörter, die bereits im Lexikon gespeichert sind, gelernt und gespeichert.14 Außerdem können frequente Wörter mit der Zeit, auch wenn sie ursprünglich über andere Wörter gespeichert wurden, „lexikalisch stark" genug werden, um einzeln gespeichert zu werden und um dann selbst als Basis für neue Einträge zu dienen. Diese Annahme wird auch im DIR-Modell vertreten: Frequente Idiome erhalten einen eigenen lexikalischen Eintrag, auch wenn sie kompositionelle

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Bybee (1988: 128) verweist darauf, dass auf diese Weise Probleme gelöst werden können, die in anderen theoretischen Ansätzen bestehen und vor allem mit der Annahme der Bedeutungskonstanz, dem Hauptkriterium zur Identifikation von Morphemen, bzw. der theoretisch postulierten l:l-Entsprechung von phonologischer Form und Bedeutung zusammenhängen. So kann sich unter Bybees Annahme beispielsweise die lexikalische Verbindung für die Wörter der englischen Wochentage über ihr gemeinsames -ifoy-Morphem herausbilden, das alle semantischen und phonologischen Merkmale teilt. Dass die Konstituenten Mon-, Tues-, Wednes- usw. keine eigenständige Bedeutung mehr haben, stellt in diesem Rahmen kein Problem dar, weil die lexikalischen Vernetzungen nicht nur auf morphologischer Ebene, sondern auch auf semantischer und phonologischer vollzogen werden. Man beachte, dass in diesem Zusammenhang kein Unterschied getroffen werden kann zwischen der Bezeichnung „frequent" und „frequentiert". Es stellt sich grundsätzlich die Frage, ob „frequente" Wörter auch häufiger „frequentiert" werden, d.h. ob es eine Übereinstimmung zwischen der objektiven Auftretenshäufigkeit und der subjektiven Verwendung von Wörtern gibt. Im Einklang mit anderen existierenden Arbeiten zum Thema (vgl. vor allem Baayen 1992, 1993 sowie Baayen und Lieber 1997) wird in der vorliegenden Arbeit davon ausgegangen, dass die Frequenz mit der Frequentierung einhergeht. Eine diese Annahme unterstützende Aussage findet sich in Sandra (1990: 556): „Another suggestion might be that the transparent Compounds used are indirectly linked to their related primes. An associative pathway would link a related prime to its associate that is embedded in the Compound."

175 Anteile haben (vgl. dazu auch Caramazza et al. 1988 sowie Frauenfelder und Schreuder 1992 bzw. 7.1.3). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die lexikalische Speicherung und Organisation - über den Mechanismus der lexikalischen Verbindung - die Fähigkeit beinhaltet, Netzwerke phonologischer und semantischer Art zu bilden sowie - über den Mechanismus der lexikalischen Stärke - die Frequenz als lexikalische Organisationsstruktur mit einzubeziehen. Die interne Struktur von Wörtern kann demnach als Set von Relationen mit anderen Wörtern konzeptualisiert werden: „[...] morphological analysis proceeds directly from the discovery of relations among words, which is precisely how speakers and linguists accomplish morphological analysis." (Bybee 1988: 139). Auf Idiome übertragen bedeutet dies, dass für frequente dekomponierbare und nichtdekomponierbare Idiome ein Idiomeintrag ausgebildet wird, der mit den Einträgen der einzelnen Konstituenten über phonologische und semantische Verbindungen verknüpft ist. Im Falle von dekomponierbaren Idiomen sind die semantischen Verbindungen zwischen den verschiedenen Einträgen stärker ausgeprägt, da die Semantik der einzelnen Konstituenten und die Semantik des gesamten Ausdrucks eher deckungsgleich sind. Bei nichtdekomponierbaren Idiomen ist diese Verbindung wesentlich schwächer ausgeprägt. Die phonologischen Verbindungen sind in beiden Fällen vorhanden. Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten die Grundlagen des DIR-Modells erläutert wurden, wird im nun folgenden Unterkapitel gezeigt, dass die Annahmen auch für das L2-Lexikon Gültigkeit haben.

7.1.2.4

Unterschiede zwischen Repräsentationen im L I - und L2-Lexikon

Die Ausführungen in Kapitel 4.1 haben verdeutlicht, dass ein hoher Bedarf besteht, Befunde zur Verarbeitung und Repräsentation von Idiomen im LI- und L2-Lexikon in einem gemeinsamen theoretischen Rahmen zu integrieren. Die hier dargestellten Annahmen zum L2-Lexikon werden auf der Grundlage des gesteuerten, schulischen L2-Erwerbs getroffen, da die Teilnehmer an Erhebung I und II ein solches Profil aufweisen (vgl. dazu 5.5.1, 5.7.2, 6.4). Die Aussagen haben aber auch für den natürlichen L2-Erwerb Gültigkeit, da im Rahmen des DIR-Modells mögliche Unterschiede zwischen dem natürlichen - LI-ähnlichen und dem gesteuerten Fremdsprachenerwerb keine Schwierigkeit darstellen. Der Kontinuumsgedanke, der dem Modell zugrunde liegt, kann die ineinander greifenden Übergänge zwischen der LI und dem natürlichen bzw. schulischen L2-Erwerb problemlos abbilden. Eine gemeinsame Behandlung muttersprachlicher und nichtmuttersprachlicher Repräsentationen ist deshalb nahe liegend, da aktuelle Forschung auf dem Gebiet des L2-Lexikons gezeigt hat, dass das L I - und das L2-Lexikon qualitativ sehr ähnlich sind (vgl. z.B. Singleton 1993, 1994, 1996a,b, 1997, Singleton und Little 1991). 15 Es wird in diesen Arbeiten eingeräumt, dass einige Bereiche oder Funktionen der verschiedensprachigen Lexika 15

In den 1970er und 80er Jahren wurde angenommen, dass das LI- und das L2-Lexikon grundsätzlich verschieden sind. So vertreten z.B. Laufer (1989) und Meara (1984) die Position, dass das LlLexikon vorwiegend semantisch, das L2-Lexikon hauptsächlich phonologisch organisiert ist. Befunde der 90er Jahre (vgl. z.B. Singleton 1993, 1994, 1996,a,b, 1997, Cook 1992, 1993, de Groot 1992, Kroll 1993 etc.) liefern zunehmend Evidenz gegen diese Annahme.

176 eines Sprechers unabhängig voneinander sein können (vgl. Singleton 1996a: 251); die Mehrzahl der empirischen Befunde weist jedoch daraufhin, dass es viele Verbindungen der Lexika untereinander gibt, die konzeptueller (vgl. dazu 7.2) oder aber auch lexikalischer Art sein können (vgl. z.B. Cook 1992, 1993, de Groot 1992, Kirsner et al. 1984, 1993, Kroll 1993, Singleton 1993, 1994, 1996a,b 1997, Singleton und Little 1991). Die meisten neueren Untersuchungen zum L2- oder bilingualen 16 Lexikon unterscheiden zwischen der sprachspezifischen lexikalischen Repräsentation und der übergeordneten konzeptuellen Repräsentation (vgl. de Groot 1992, Kroll 1993) und betonen den Netzwerkcharakter der bilingualen oder fremdsprachlichen lexikalischen Organisation (vgl. Kirsner, Smith, Lockhart und King 1984). Auch Cieslicka-Ratajczak (1994) verweist auf den sich in immer mehr Studien abzeichnenden Netzwerkcharakter und die zunehmende Relevanz von Untersuchungen zum L2-Lexikon, sowohl für den Bereich der Fremdsprachenforschung (vgl. dazu vor allem Börner und Vogel 1994a) als auch für die Theoriebildung des LI-Lexikons (für ähnliche Einschätzungen vgl. z.B. Cook 1993, Laufer 1991 oder Appel 1996). Angesichts des oben skizzierten Forschungsstandes wäre es wenig plausibel, zwei getrennte Modelle für die mentale Repräsentation von Idiomen im LI-Lexikon einerseits und im L2-Lexikon andererseits zu entwickeln. Das DIR-Modell ist besonders geeignet, das L l und das L2-Lexikon zu verbinden: Die in den vorangegangenen Abschnitten zunächst für das LI-Lexikon dargestellten Annahmen haben, wie im Folgenden gezeigt wird, mutatis mutandis auch für das L2-Lexikon Gültigkeit. Bezogen auf die oben diskutierten Annahmen des DIR-Modells ist festzustellen, dass die Wahrscheinlichkeit für die Ausbildung eines Idiomeintrags bei Nichtmuttersprachlern geringer ist, da diese wesentlich seltener als Muttersprachler auf Texte oder mündliche Kommunikationssituationen stoßen, in denen Idiome verwendet werden. 17 Das bedeutet, dass Nichtmuttersprachler bei der Verarbeitung eines Idioms häufiger auf die lexikalischen Repräsentationen der einzelnen Konstituenten zugreifen müssen, da ihnen gar keine Idiomrepräsentation zur Verfügung steht. Demzufolge ist das Dekomponieren für Nichtmuttersprachler eine „normale" Strategie, die allerdings nicht in allen Fällen zum erfolgreichen Verstehen führt. Bestätigungen für diese Annahme haben die Sprecher geliefert, die an den in Kapitel 5 und 6 dargestellten Befragungen teilgenommen haben. Fast alle antworteten auf die Frage, was sie tun, wenn sie in einem englischsprachigen Text auf ein ihnen unbekanntes Idiom stoßen - vgl. Frage 16 im biographischen Fragebogen (Appendix 5) dass sie von den „einzelnen Komponenten / Einzelwörtern / Konstituenten auf die Gesamtbedeutung schließen" oder versuchen, „die wörtliche Übersetzung in den Zusammenhang einzupassen" oder dass sie sich die „unterschiedlichen Bedeutungen für die Verben und Nomen des Idioms durch den Kopf gehen lassen". Die Befragten verwendeten Ausdrücke wie „übersetzen", „herleiten", „deuten", „erschließen" oder „raten", um ihre Strategien zu beschreiben. Es 16

17

Der Begriff „bilingual" wird in diesem Kontext in einem weiten Sinne verstanden. Er impliziert nicht, dass die L2 vom Kindesalter an natürlich erworben wurde, sondern bezeichnet vielmehr den gesteuerten schulischen Zweitsprachenerwerb ab dem Jugendalter. Wenn im Folgenden vom „bilingualen Lexikon" gesprochen wird, sind damit die Repräsentationen im LI- und L2-Lexikon gemeint (zur Definitionsproblematik vgl. z.B Schreuder und Weltens 1993: 2ff.). Ein Grund dafür liegt darin, dass viele schulische Lehrwerke wegen der vermeintlichen Verständnisschwierigkeiten auf die Verwendung von Idiomen verzichten.

177 kann davon ausgegangen werden, dass dabei auch konzeptuelles Wissen herangezogen wird (vgl. 7.2). Im Gegensatz dazu brauchen Muttersprachler, bei denen der vorhandene Idiomeintrag aktiviert werden kann, Idiome nicht zu dekomponieren. 18 Dieser durch das DIR-Modell vorhergesagte Unterschied wurde nicht nur durch die Äußerungen der Befragten, sondern auch durch ihr tatsächliches Dekompositionsverhalten empirisch bestätigt (vgl. Erhebung I und II, Kapitel 5 und 6). Dort wurde gezeigt, dass Nichtmuttersprachler grundsätzlich häufiger dekomponieren als Muttersprachler (5.7.1, 5.7.3, 6.5.1, 6.5.3) und dass bei Nichtmuttersprachlern, die täglich oder mehrmals wöchentlich englischsprachige Texte lesen - diese Texte waren vor allem literarische Texte, in denen häufig Idiome vorkommen - , die Tendenz zum Nichtdekomponieren zunimmt (vgl. 5.7.2). Durch die höhere Frequenz der Idiome können sich Idiomeinträge ausbilden. Insofern spiegeln die unterschiedlichen Urteile der beiden Sprechergruppen über den Dekompositionsstatus der Idiome die zugrunde liegenden lexikalischen Repräsentationen wider. Der Vorteil einer Analyse, die duale Repräsentationen berücksichtigt, liegt darin, dass Unterschiede bezüglich des LI- und L2-Lexikons mit den gleichen theoretischen Annahmen erklärt werden können, nämlich über graduelle Abstufungen, die auf unterschiedlich häufige „Begegnungen" mit dem sprachlichen Material zurückgeführt werden. Die Idiomeinträge stellen zusätzliche Informationen über besonders häufige oder bekannte sprachliche Formen dar.

7.1.2.5

Zusammenfassung der zentralen Annahmen des DIR-Modells

Die in den vorangegangenen Abschnitten unter verschiedenen Gesichtspunkten getroffenen Aussagen zum DIR-Modell können wie folgt zusammengefasst werden: > Für die Konstituenten von Idiomen können duale Repräsentationen vorliegen, d.h. außer den lexikalischen Einträgen der einzelnen Konstituenten können sich Idiomeinträge ausbilden. > Bei der Verarbeitung werden - wenn vorhanden - beide Repräsentationen aktiviert. > Der Dekompositionsstatus determiniert die Notwendigkeit der Ausbildung der jeweiligen Repräsentation: Für nichtdekomponierbare - d.h. in der Regel nichtkompositionelle - Idiome müssen Idiomeinträge vorhanden sein, in denen die besondere idiomatische Bedeutung notiert ist. Bei dekomponierbaren Idiomen, die kompositioneile Anteile haben, können die lexikalischen Einträge der einzelnen Konstituenten zur Verarbeitung beitragen. > Dekomponierbare Idiome benötigen aufgrund ihrer kompositionellen Anteile nicht zwingenderweise einen Idiomeintrag, um verarbeitet werden zu können. Allerdings müssen dann bei der Verarbeitung zusätzlich zu den lexikalischen Repräsentationen auch 18

Dies steht mit der von Börner und Vogel (1994b: 8) bezüglich der Modellierung des L2-Lexikons formulierten Vermutung in Einklang, dass ,,[i]n der Rezeption [...] die Bildungs- und Analyseregeln der Morphologie sowie die kontextgebundenen Bedeutungsverschiebungen der Semantik intensiver genutzt [...]" werden können. D.h. Nichtmuttersprachler machen sich beim Verarbeitungsprozess die „Analyseregeln" zunutze und zerlegen, i.e. dekomponieren komplexe Ausdrücke in ihre Bestandteile.

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konzeptuelle Repräsentationen bzw. Kontextwissen herangezogen werden (vgl. dazu 7.2). Außer dem Dekompositionsstatus bestimmt die Frequenz eines Idioms die Ausbildung des Idiomeintrags: Je häufiger das Idiom als idiomatische Konfiguration auftritt, umso wahrscheinlicher ist die Ausbildung eines Idiomeintrags, d.h. eines separaten Eintrags für diese spezifische Konfiguration mit allen relevanten semantischen und syntaktischen Eigenschaften. Der Idiomeintrag kann frühestens nach dem Zugriff und der inhaltlichen Aktivierung der ersten Konstituente des Idioms aktiviert werden. Lexikalische Redundanzregeln verbinden die einzelnen Konstituenteneinträge mit dem Idiomeintrag. Diese „Regeln" können als Verweise oder „Verbindungslinien" konzeptualisiert werden, die aufgrund der phonologischen und orthographischen Identität der Konstituenten teilweise bereits bestehen. Zusätzlich müssen die idiomatischen und syntaktischen Besonderheiten notiert werden. Bei dekomponierbaren Idiomen sind die semantischen Verbindungen zwischen den verschiedenen Einträgen stärker ausgeprägt, da die Semantik der einzelnen Konstituenten und die Semantik des gesamten Ausdrucks eher deckungsgleich sind. Bei nichtdekomponierbaren Idiomen ist diese Verbindung wesentlich schwächer ausgeprägt. Die Repräsentation von Idiomen über Konstituenteneinträge oder Idiomeinträge ist variabel, d.h. dass es bei entsprechender Frequenz zur Neubildung, aber im gegenteiligen Fall auch zum „Verblassen" von Konstituenten- und Idiomeinträgen kommen kann. Nichtmuttersprachler bilden seltener einen Idiomeintrag aus, da sie weniger häufig als Muttersprachler auf Texte oder mündliche Kommunikationssituationen stoßen, in denen Idiome verwendet werden. Das bedeutet, dass Nichtmuttersprachler bei der Verarbeitung eines Idioms deshalb häufiger auf die lexikalischen Repräsentationen der einzelnen Konstituenten zugreifen müssen, weil ihnen gar keine Idiomrepräsentation zur Verfugung steht. Demzufolge dekomponieren Nichtmuttersprachler häufiger als Muttersprachler. Sprecherurteile spiegeln unterschiedliche zugrunde liegende Repräsentationen im Llbzw. L2-Lexikon wider.

Wie eingangs bereits erwähnt, beschränken sich die oben zusammengefassten Annahmen des DIR-Modells zunächst auf lexikalische Aspekte der Verarbeitung und Repräsentation englischer Idiome (für konzeptuelle Aspekte vgl. 7.2). Es wird deutlich, dass durch die Möglichkeit dualer Repräsentationen der Sonderstatus, der Idiomen traditionellerweise zugeschrieben wurde (vgl. Kapitel 2, 3.1.1-3.1.3), abgeschwächt wird. Dies ist aus mehreren Gründen wünschenswert: Erstens ist die Behandlung von Idiomen als sprachliche Ausnahmen angesichts der Häufigkeit, mit der idiomatische Ausdrücke vor allem in der englischen Sprache auftreten, nicht zu rechtfertigen. Zweitens wird besonders am Beispiel der zahlreichen dekomponierbaren, d.h. teilweise kompositioneilen Idiome deutlich, dass sie sich nicht grundsätzlich von anderen sprachlichen Ausdrücken, die aus mehreren Konstituenten bestehen, unterscheiden. Im Hinblick auf die Komplexität von sprachlichen Ausdrücken und damit einhergehend auf deren Kompositionalität und deren Verarbeitung ist von einem Kontinuum auszugehen. Daraus folgt drittens, dass ein allgemein gültiges Sprachverarbeitungsmodell in der Lage sein muss, mit sehr ähnlichem bzw. bestenfalls dem gleichen theoretischen Inventar die Repräsentation und Verarbeitung von sprachlichen

179 Ausdrücken, die sich an verschiedenen Punkten dieses Kontinuums befinden - z.B. monomorphemische Wörter, derivierte oder flektierte Wörter, Komposita, Idiome etc. - , adäquat beschreiben und erklären zu können. Zur Überprüfung der Plausibilität und Kompatibilität der hier im Hinblick auf Idiome getroffenen Annahmen werden als Nächstes morphologisch komplexe Wörter betrachtet. Die in diesem Bereich durchgeführten Untersuchungen und aufgestellten Verarbeitungsmodelle werden diskutiert und dahingehend überprüft, ob sie die im Rahmen des DIRModells gemachten Aussagen stützen können.

7.1.3

Bestätigung für das DIR-Modell aus dem Bereich der Morphologie

Im Folgenden wird gezeigt, dass die im Rahmen des DIR-Modells für Idiome getroffenen Aussagen durch theoretische und empirische Erkenntnisse über morphologisch komplexe Wörter bestätigt werden können. Dabei wird deutlich, dass die lexikalische Repräsentation und Verarbeitung von morphologisch komplexen Wörtern, besonders Komposita, und Idiomen Gemeinsamkeiten aufweisen, die es nahe legen, zwischen beiden sprachlichen Ausdrücken enge Verbindungen herzustellen. Es ist zu beachten, dass die aufgezeigten Parallelen sich auf Aspekte beziehen, die unter der hier eingenommenen psycholinguistischen Perspektive relevant sind. Die zahlreichen linguistisch ausgerichteten Arbeiten im Bereich der Morphologie (z.B. Lieber 1981, Selkirk 1982, Aronoff 1976, 1994, Aronoff und Anshen 1998, für einen Überblick vgl. Spencer 1991, Katamba 1993, Spencer und Zwicky 1998) werden an dieser Stelle nicht berücksichtigt, da die dort behandelten Fragestellungen und theoretischen Zielsetzungen andere sind als die hier diskutierten. Das Unterkapitel ist folgendermaßen gegliedert: Nach einer kurzen Diskussion des morphologischen und idiomatischen Dekompositionsbegriffs werden in 7.1.3.1 Ansätze diskutiert, die eine strikte Trennung von Ganzworteinträgen und Dekompositionsprozessen vornehmen. In 7.1.3.2 werden Modelle vorgestellt, die beide Aspekte integrieren. Dabei wird unterschieden zwischen Arbeiten zu derivierten und flektierten Wörtern sowie Komposita. Nach einer kurzen Zusammenfassung der wesentlichen Aussagen und einem Vergleich mit den im DIR-Modell gemachten Annahmen werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede von vier Faktoren diskutiert, die in der Idiomforschung einerseits und der Morphologie andererseits eine wesentliche Rolle spielen: Dekomponierbarkeit und Transparenz (7.1.3.3) sowie Bekanntheitsgrad und Frequenz (7.1.3.4). Die deutlichste Parallele zwischen morphologisch komplexen Wörtern und Idiomen besteht in der Relevanz von Dekompositionsprozessen für ihre Verarbeitung. Fragen zur (Nicht)Dekomponierbarkeit morphologisch komplexer Wörter gehören in der Morphologie seit langem zu den zentralen Forschungsthemen (vgl. dazu z.B. Bertinetto 1995, Dressler und Burani 1995), in der Idiomforschung ist der Dekompositionsbegriff seit den Arbeiten von Gibbs und seinen Kollegen (1989a,b,c, vgl. 3.2) etabliert. Es stellt sich die Frage, ob es sich dabei um den gleichen Dekompositionsbegriff handelt. Betrachtet man die Definitionen beider Dekompositionsbegriffe wird deutlich, dass sich zunächst der morphologische von dem idiomatischen unterscheidet. In der Morphologie geht es vor allem um die Frage, ob morphologisch komplexe Wörter in dekomponierter Form, d.h. getrennt nach Wurzeln

180 und Affixen, im Lexikon gespeichert sind (vgl. z.B. Bertinetto 1995: 9f.), während sich die idiom decomposition hypothesis auf Sprecherurteile über die Bedeutungskomposition von Idiomen bezieht (Gibbs und Nayak 1989: 104, vgl. auch 3.2.1). Obwohl der morphologische Dekompositionsbegriff sich vordergründig auf strukturelle Aspekte beschränkt, stellt sich auch in diesem Zusammenhang die Frage nach der Bedeutungskomposition. Wenn eine morphologische Dekomposition vorgenommen wird, muss auch der semantische Beitrag der einzelnen Konstituenten bestimmt werden. So setzt sich beispielsweise die Bedeutung von singer aus der Bedeutung des Verbs sing und der des agentiven Suffixes -er, someone who performs the action expressed by the verb, zusammen. Auch im Rahmen der Morphologie wird die graduelle Abstufung des semantischen Kontinuums dekomponierbar - nichtdekomponierbar deutlich. Während produktive, semantisch und phonologisch transparente Affixe als semantisch dekomponierbar bezeichnet werden können, 19 ist die Bedeutung unproduktiver oder opaker Affixe nicht isolierbar, d.h. sie ist nichtdekomponierbar (vgl. dazu auch Frauenfelder und Schreuder 1992: 173ff., Marslen-Wilson et al. 1994). Bei genauerer Betrachtung zeigt sich demnach, dass morphologische und semantische Dekomposition miteinander verbunden sind bzw. zahlreiche Berührungspunkte aufweisen. Deshalb wird im Folgenden geprüft, inwieweit die im Rahmen der Morphologie angestellten theoretischen Überlegungen und vor allem die experimentell gewonnenen Erkenntnisse auf den Bereich der Idiome übertragbar sind bzw. ob die im Rahmen des DIR-Modells gemachten Annahmen mit Befunden aus dem Bereich der Mophologie vereinbar sind. Dazu werden Modellvorstellungen zur lexikalischen Repräsentation morphologisch komplexer Wörter betrachtet. 20

19

20

Zum Zusammenhang bzw. zur Konfundierung der Begriffe Transparenz und Dekomponierbarkeit vgl. 7.1.3.3. Als Ausgangspunkt für morphologisch orientierte Überlegungen zur lexikalischen Repräsentation komplexer Wörter wird häufig die in Chomsky (1970) getroffene Unterscheidung zwischen der so genannten transformationalist hypothesis einerseits und der lexicalist hypothesis andererseits genannt. Chomsky (1970: 187) diskutiert Unterschiede zwischen gerundiven und derivierten Nominalen - z.B. John 's refusing the offer vs. John 's refusal of the offer - und kommt zu dem Schluss, dass die Bildung der gerundiven, i.e. flektierten Form wegen ihrer produktiven Eigenschaften und ihrer transparenten Bedeutung durch die transformationeile, i.e. syntaktische Komponente der Grammatik erklärt werden kann, während derivierte Formen aufgrund ihrer idiosynkratischen Eigenschaften als Basisstrukturen im Lexikon gespeichert sind (Chomsky 1970: 193). Im vorliegenden Zusammenhang ist besonders interessant, dass Chomsky (1970: 214f.) auch auf eine dritte Kategorie von Nominalen eingeht. Diese Konstruktionen weisen sowohl Merkmale der gerundiven als auch der derivierten Nominale auf, z.B. John 's refusing of the offer. Aufgrund dieser „peculiar properties" (Chomsky 1970: 214f.) bezeichnet er sie als „mixed forms" und „rather clumsy" und ordnet sie der Gültigkeit der lexicalist hypothesis zu, „though much less clearly so". Damit deutet sich für die von Chomsky untersuchten Daten an, was auch für die hier untersuchten Idiome bestätigt werden kann: Es gibt eindeutig zu beschreibende Daten, die an den Endpunkten eines Kontinuums anzusiedeln sind, während die Konstruktionen, die eine Mischform darstellen, stets ein Problem für die Beschreibung und Erklärung darstellen. Die Annahme der Trennung und unterschiedlichen Behandlung von derivierten und flektierten Formen hat der Bedeutung einer eigenständigen morphologischen Komponente neues Gewicht verliehen und dementsprechend viel Forschung initiiert (für einen Überblick vgl. Spencer 1991: 62ff.).

181 7.1.3.1

Ganzworteinträge versus Dekomposition

Untersuchungen zur Frage der Repräsentation morphologisch komplexer Wörter lassen sich zwischen zwei Eckpunkten verankern, dem Decomposition Model (Taft und Forster 1975, Taft 1979, 1984), welches davon ausgeht, dass morphologisch komplexe Wörter in dekomponierter From gespeichert sind, und der Füll Listing Hypothesis (Butterworth 1983), die besagt, dass sie als Ganzes in einem separaten lexikalischen Eintrag gelistet sind. Diese Polarität ist vergleichbar mit den in Kapitel 3 diskutierten Verarbeitungsmodellen von Idiomen der ersten und zweiten Generation, z.B. dem Ansatz von Swinney und Cutler (1979) und dem von Cacciari und Tabossi (1988). Wie eingangs unter 7.1.3 bereits erwähnt, spielt bei der hier eingenommenen Perspektive die Ausbuchstabierung von grammatischen Merkmalen von Stämmen und Affixen keine Rolle. Linguistisch relevante Fragen, beispielsweise ob Affixe eigene lexikalische Einträge haben und wie diese aussehen (vgl. dazu Williams 1981, Selkirk 1982), ob Affixe Köpfe sein können (vgl. dazu Williams 1981) oder wie Wortbildungsregeln aussehen (vgl. dazu Lieber 1981, Selkirk 1982), werden vernachlässigt und sollen deshalb auch an dieser Stelle nicht im Einzelnen berücksichtigt werden. Als Hauptvertreter der Füll L/si/Vig-Position wird häufig Butterworth (1983) genannt, der selbst kaum eigene experimentelle Forschung auf diesem Gebiet betrieben hat, dessen Sammelreferat jedoch stets als Plädoyer dafür zitiert wird, dass die Bedeutung komplexer Wörter als Ganzworteintrag im Lexikon gespeichert ist. Obwohl Butterworth von vielen (vgl. z.B. Caramazza, Laudanna und Romani 1988, Frauenfelder und Schreuder 1992) als eindeutiger Verfechter der Füll Listing Hypothesis, i.e. von Ganzworteinträgen, bezeichnet wird, räumt er selbst die Notwendigkeit von „fall-back procedures" (Butterworth 1983: 280, 290) ein, d.h. der Möglichkeit, bestimmte komplexe Wörter in ihre Konstituenten zu zerlegen bzw. deren Zusammensetzung nach Regeln, deren Spezifikation er offen lässt, zu vollziehen.21 Dadurch wird die Extremität und Polarität der Füll Listing Hypothesis aufgelöst, ein Aspekt, der in der Rezeption von Butterworth in der Regel nicht berücksichtigt wird. Die Arbeit von Taft und Forster (1975) stellt den Gegenpol zur Füll Listing Hypothesis dar und gilt als eine der ersten experimentellen Bestätigungen eines stattfindenden Dekompositionsprozesses bei der Verarbeitung morphologisch komplexer Wörter. Die Autoren konnten in mehreren lexikalischen Entscheidungsexperimenten mit präfigierten englischen Wörtern zeigen, dass diese in ihre morphologischen Konstituenten zerlegt werden, bevor der lexikalische Zugriff erfolgt. Sie formulierten ein Modell der Worterkennung, das diesen Prozess berücksichtigt (Taft und Forster 1975: 644) und von ihnen als Decomposition oder Parsing oder Prefix Stripping Model bezeichnet wird. Es postuliert die Repräsentation von einzelnen Morphemen (vgl. auch Taft 1979, 1984, 1988) und besagt, dass affigierte Wörter Uber die lexikalische Repräsentation ihres Stammmorphems erkannt werden und der

21

Das Hauptargument fllr die Notwendigkeit einer solchen Analyse sind Wörter, die von Sprechern - als Versprecher oder Neologismen - produziert werden, aber keine real existierenden Wörter der Sprache darstellen. Diese könnten nicht produziert werden, wenn Sprecher tatsächlich nur eine Liste von Wörtern gespeichert hätten.

182 Zugriff auf diese Repräsentation erst erfolgt, nachdem die Affixe „abgetrennt" wurden.22 In einem späteren Aufsatz modifiziert Taft (1988) diese extreme Position dahingehend, dass er für verschiedene Komponenten bzw. Ebenen des Lexikons verschiedene Repräsentationen annimmt. Für die modalitätenspezifischen - visuell oder akustisch ausgerichteten - Inputsysteme gibt es eine der jeweiligen Modalität entsprechende Repräsentation, während das zentrale System modalitätenneutral ist und Informationen über die Aussprache, die Schreibung und die syntaktischen Eigenschaften eines Wortes enthält. Taft geht davon aus, dass die lexikalische Repräsentation des Inputsystems eine Repräsentation der Stammmorpheme darstellt, während im zentralen System komplette Wörter repräsentiert sind. Die Aufweichung des Prefix Stripping Models wurde u.a. durch Befunde von Taft, Hambly und Kinoshita (1986) nötig, die in auditorischen lexikalischen Entscheidungsaufgaben zeigen konnten, dass präfigierte Wörter schneller erkannt werden ais Stämme und insofern Präfixe beim Zugriff auf lexikalische Einträge eine Rolle spielen müssen. Diese Vorhersage steht dem vorher postulierten Modell entgegen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Autoren, die Evidenz für die Endpunkte des Kontinuums (morphologische) Nichtdekomponierbarkeit / Dekomponierbarkeit liefern - Butterworth (1983) mit der Füll Listing Hypothesis einerseits sowie Taft und Forster (1975) mit dem Morphological Decomposition Model andererseits - bei genauerer Betrachtung bzw. angesichts späterer Forschungsergebnisse (Taft, Hambly und Kinoshita 1986, Taft 1988) die ursprünglich eingenommenen Randpositionen verlassen und dafür plädieren, dass für eine angemessene Beschreibung lexikalischer Repräsentationen morphologisch komplexer Wörter davon ausgegangen werden sollte, dass sowohl Einträge in dekomponierter Form als auch Ganzworteinträge vorhanden sind. Im nächsten Abschnitt werden die Modelle vorgestellt, die beide Repräsentationsformen in systematischer Weise berücksichtigen.

7.1.3.2

Ganzworteinträge und Dekomposition

Eine Betrachtung der Mehrzahl der aktuellen Untersuchungen zur lexikalischen Repräsentation morphologisch komplexer Wörter zeigt, dass hier von den gleichen Voraussetzungen ausgegangen wird wie im eingangs formulierten DIR-Modell. Es werden Modellvorstellungen favorisiert, die duale Repräsentation zulassen, d.h. die Existenz sowohl von Ganzworteinträgen als auch von Einträgen der einzelnen Konstituenten. Im Folgenden werden sowohl Studien zu derivierten und flektierten Wörtern als auch zu Komposita betrachtet. Die elaboriertesten Modelle für derivierte und flektierte Wörter sind das so genannte Augmented Addressed Morphology Model (Caramazza, Laudanna und Romani 1988) sowie das Morphological Race Model (Frauenfelder und Schreuder 1992). Als Abkürzungen für diese Modelle werden im Weiteren AAMM bzw. MRM verwendet.

22

„The evidence [...] supports the idea that affixed words are recognized via access to a lexical representation of their stem morpheme, and that for prefixed and inflected words this access is achieved after the affix has been stripped off." (Taft 1988: 662).

183 Caramazza, Laudanna und Romani (1988) führten lexikalische Entscheidungsaufgaben mit visuell dargebotenen, flektierten italienischen Verben durch, vorwiegend mit Nichtwörtern, d.h. nicht real existierenden Wörtern. Die Untersuchungen lieferten Evidenz für das von ihnen postulierte AAMM. Darin wird grundsätzlich eine Unterscheidung zwischen der Repräsentation bekannter Wörter im Gegensatz zu der von unbekannten Wörtern getroffen.23 Caramazza et al. (1988) gehen davon aus, dass für bekannte Wörter ein Ganzworteintrag vorliegt, über den der Zugriff erfolgt, während unbekannte Wörter über die Dekompositions- oder Parsingroute, d.h. den Zugriff auf die einzelnen Morpheme, verarbeitet werden.24 Eine wichtige zugrunde liegende Annahme dabei ist, dass der Zugriff auf das ganze Wort immer schneller erfolgt als auf die Morphemrepräsentation. Caramazza et al. (1988, vgl. Experiment 1 und 2) konnten mit ihren Befunden die Ergebnisse von Taft und Forster (1975) replizieren und präzisieren bzw. die dort für derivierte Verben getroffenen Aussagen für flektierte bestätigen: Die morphologische Dekomponierbarkeit von (Nicht)wörtern nimmt Einfluss auf deren Verarbeitung. Dabei ist irrelevant, ob es sich um präfigierte oder suffigierte Wörter handelt. Das AAMM geht über die Vorhersagen des Dekompositionsmodells von Taft und Forster (1975) hinaus, da Caramazza et al. (1988) den Bekanntheitsgrad eines Wortes als entscheidenden Faktor für dessen lexikalische Repräsentation mit einbeziehen. Durch die systematische Kontrolle ihrer experimentellen Stimuli hinsichtlich verschiedener Faktoren, z.B. ihrer Frequenz, Länge und Ähnlichkeit zu anderen Wörtern, beugen die Autoren gleichzeitig diesbezüglicher Kritik vor, die den Befunden von Taft und Forster (1975) häufig entgegengebracht wurde (vgl. z.B. Burani et al. 1984 oder Martin 1982). Wenn auch das AAMM differenziertere Aussagen treffen kann als die Füll Listing Hypothesis (Butterworth 1983) oder das Morphological Decomposition Model (Taft und Forster 1975) und insofern diesen überlegen ist, bleiben einige Kritikpunkte bestehen. Diese werden im MRM (Frauenfelder und Schreuder 1992) aufgegriffen und zu beheben versucht. Für Frauenfelder und Schreuder (1992) liegt ein zentraler Mangel der oben genannten Verarbeitungsmodelle erstens in der Nichtbeachtung der Produktivität (zur Rolle und Ermittlung der Produktivität vgl. vor allem Baayen 1992, 1993, Baayen und Lieber 1997, van Marie 1992) und zweitens in der Nichtbeachtung von bestimmten Faktoren, z.B. der Frequenz oder Transparenz, die die Geschwindigkeit und den Erfolg der Verarbeitung beeinflussen. Außerdem fehlt - besonders in den frühen Überlegungen von z.B. Butterworth (1983) und Taft und Forster (1975) - ein Mechanismus, der für neu, d.h. produktiv gebildete Wörter deren Bedeutung erschließen kann. Im AAMM können zwar durch die 23

24

Die Autoren verweisen selbst auf die Schwierigkeit der Bestimmung des Bekanntheitsstatus: „How much experience is needed in order to store an access unit in the lexical system? Is one presentation of a stimulus sufficient? Or, do we need multiple presentations before an access unit is permanently stored in the system? In the absence of a theory of lexical acquisition there is not much more that can be said here." (Caramazza et al. 1988: 300, Fußnote 2). Daher der Name des Modells: „The 'Addressed' part of the model's name reflects the assumption that morphological representations for known (previously experienced) words are not accessed through an active, prelexical decomposition (or parsing) of the orthographic input string; the 'Augmented' part of the model's name indicates that the model has been extended to include a procedure for access of words not previously experienced (novel words)." (Caramazza et al. 1988: 300).

184 Dekompositionsroute produktiv gebildete Formen berücksichtigt werden, es wird aber stipuliert, dass der direkte Zugriff auf eine Ganzwortrepräsentation in jedem Falle schneller ist. Die unterschiedlichen Verarbeitungsmechanismen dürfen sich im AAMM nicht überlappen, d.h. die Reihenfolge ist festgelegt: Der Zugriff auf einen Ganzworteintrag erfolgt immer zuerst, die Dekompositionsroute ist demnach lediglich ein „back-up" Prozess. 25 Das MRM nimmt diese Unterscheidung nicht vor. Es geht - wie das AAMM - von dualer Repräsentation aus, d.h. davon, dass Wörter sowohl einen Ganzworteintrag haben als auch über ihre einzelnen Konstituenten zu erkennen sind. Beide Routen werden bei der Verarbeitung aktiviert und es ist nicht - wie beim AAMM - theoretisch vorbestimmt, welche Route gewinnt. Während Baayen (1992) ausschließlich die Frequenz als wichtigen Faktor für die Schnelligkeit der Worterkennung zulässt (vgl. aber Baayen 1993), verweisen Frauenfelder und Schreuder (1992) auf die Bedeutung inhärenter phonologischer und semantischer Faktoren wie z.B. der Transparenz. 26 Sie versuchen, diese Faktoren in ihrem MRM abzubilden. Wie oben bereits erwähnt, werden im MRM die direkte Route, die zum Ganzworteintrag führt, und die Parsingroute, die zu den Einträgen der Konstituenten fuhrt, gleichzeitig aktiviert. Für die direkte Route wird nun davon ausgegangen, dass die Frequenz des Wortes der entscheidende Faktor für die Verarbeitungsschnelligkeit ist. Je häufiger eine Wortform in der Sprache vorkommt, umso höher ist das Aktivierungsniveau ihrer Zugriffsrepräsentation. Die Schnelligkeit der Parsingroute hängt ebenfalls von distributionalen Eigenschaften ab. Dabei ist jedoch weniger die absolute Auftretenshäufigkeit von Stamm und Affix ausschlaggebend, als vielmehr der erfolgreiche Abschluss der Parsingroute. 27 Zusätzlich sind bei der Parsingroute inhärente Faktoren für die Verarbeitungsschnelligkeit verantwortlich, d.h. die phonologische und/oder semantische Transparenz. Je transparenter ein Wort ist, umso einfacher, i.e. schneller wird es geparst. Das MRM sagt demnach vorher, dass transparente und niedrig frequente Formen über die Parsingroute verarbeitet werden, hoch frequente Formen über die direkte Route, unabhängig von der morphologischen Struktur. Eine

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Der Kerngedanke dieser Argumentation findet sich bereits bei Butterworth (1983: 280, 290). Es wird zwischen phonologischer und semantischer Transparenz unterschieden. Die phonologische Transparenz wird definiert über die Ähnlichkeit zwischen dem derivierten Wort und der Basisform, z.B. in Bezug auf die Vokalqualität, das Betonungsmuster etc. Im Bereich der Semantik sprechen Frauenfelder und Schreuder (1992) mit Aronoff (1976) von semantischer Kohärenz. Eine Wortbildungsregel gilt als semantisch kohärent, wenn es möglich ist, die Bedeutung eines mit dieser Regel gebildeten Wortes vorherzusagen. Diese inhärenten Faktoren sind eng mit der Produktivität verbunden: Wörter, die mit produktiven Affixen gebildet werden, sind eher phonologisch transparent und semantisch kohärent als Wörter, die mit unproduktiven Affixen gebildet werden (vgl. Frauenfelder und Schreuder 1992: 173ff.). „A parse involves first dividing the input into its morphological parts, and then recombining the syntactic and semantic properties of these parts into a coherent whole. If this process is completed before the direct route has delivered its meaning representation then we can speak of a successful parse" (Frauenfelder und Schreuder 1992: 176) und weiter: „[...] the activation level of a given affix is determined only by the number of successful parses of words with that affix, and not by the number of times a word form with this affix has occured." (Frauenfelder und Schreuder 1992: 178).

185 Schwierigkeit, die sich bei der Vorhersage ergibt, ist die genaue Bestimmung des Zusammenwirkens der Faktoren Frequenz und Transparenz.28 Die zentralen Aussagen des AAMM (Caramazza et al. 1988) und des MRM (Frauenfelder und Schreuder 1992) zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Modelle zur Erklärung der Verarbeitung und lexikalischen Repräsentation von morphologisch komplexen Wörtern sowohl die Annahme eines Ganzworteintrags als auch den Zugriff über die einzelnen Konstituenten beinhalten. Die Auswahl der jeweiligen Zugriffsroute hängt von Faktoren wie Frequenz und Transparenz ab (vgl. dazu 7.1.3.3 und 7.1.3.4). Damit stehen die für Idiome im Rahmen des DIR-Modells getroffenen Annahmen im Einklang mit den für derivierte und flektierte Wörter entwickelten Modellvorstellungen. Im nun folgenden Abschnitt werden Komposita diskutiert, die eine spezielle Form der morphologisch komplexen Wörter darstellen. Es wird darauf eingegangen, worin sich derivierte und flektierte Wörter von Komposita unterscheiden und wo Verbindungen zwischen Komposita und Idiomen bestehen. Der grundlegende Unterschied zwischen den oben diskutierten derivierten und flektierten Wörtern und den nun im Zentrum stehenden Komposita besteht darin, dass in der generativen Grammatik angenommen wird, dass vor allem flektierte, aber auch derivierte Wörter durch die Anwendung von Wortbildungsregeln entstehen, bei denen sich systematisch z.B. ein Affix mit einem Morphem verbindet, während ein Kompositum durch die nicht vorhersagbare Kombination von zwei freien Morphemen entsteht (vgl. Chomsky 1970, Williams 1981, Anderson 1982, Selkirk 1982, Di Sciullo und Williams 1987 u.a.). Komposita nehmen demnach eine Stellung zwischen Wörtern und Phrasen, i.e. Idiomen ein (vgl. dazu Di Sciullo und Williams 1987: 14). Wie weiter unten deutlich wird, bestehen jedoch trotz dieses Unterschieds Gemeinsamkeiten in Bezug auf Annahmen über die Verarbeitung. Zwischen Komposita und Idiomen gibt es mehrere Parallelen. Die bedeutendste und im vorliegenden Zusammenhang wichtigste Parallele liegt im Bereich der graduellen Nichtkompositionalität. So gibt es Komposita, die - wie zahlreiche Idiome - kompositioneile Anteile haben und dekomponierbar sind. Andere Komposita sind eher mit nichtdekomponierbaren Idiomen zu vergleichen. Innerhalb der Morphologie und speziell in Bezug auf Komposita wird in diesem Zusammenhang von Transparenz bzw. Opakheit gesprochen (zur Kompatibilität der Begriffe Dekomponierbarkeit und Transparenz siehe 7.1.3.3). Während die Untersuchungen zu derivierten und flektierten Wörtern zahlreich sind, gibt es vergleichsweise wenig Studien zur lexikalischen Repräsentation und Verarbeitung von Komposita. Als Grund für diese „Vernachlässigung" wird häufig die gerade erwähnte nichtkompositionelle Natur der Komposita genannt (vgl. z.B. Sandra 1990: 530), d.h. die Tatsache, dass die Bedeutung von Komposita nicht systematisch mit der Bedeutung ihrer Konstituenten verbunden ist. Dieses Argument hat sich jedoch in seiner Pauschalität bereits für Idiome als zu undifferenziert erwiesen (vgl. 1.2.2). Im Folgenden wird nun ausfÜhr-

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Die Tatsache, dass diese Faktoren häufig sehr unterschiedlich definiert und operationalisiert bzw. teilweise gar nicht systematisch kontrolliert werden, ist wahrscheinlich mit dafür verantwortlich, dass Studien in diesem Bereich zu sehr heterogenen Ergebnissen kommen (vgl. dazu Henderson 1985).

186 licher auf drei experimentelle Studien zur Verarbeitung von Komposita eingegangen (Sandra 1990, Zwitserlood 1994, Su 1998). Sandra (1990) untersucht in drei lexikalischen Entscheidungsexperimenten die Frage, ob holländische N + N-Komposita eine eigene lexikalische Repräsentation haben, auf die bei der Verarbeitung zugegriffen wird, oder ob sie im lexikalischen Eintrag ihres Stammmorphems 29 repräsentiert sind und demzufolge vor dem Zugriff dekomponiert werden müssen. Sandra (1990) verwendet das Verfahren des semantischen Priming. Dabei wird der Testperson vor dem eigentlichen Zielwort, dem target, auf das sie möglichst schnell reagieren muss, ein semantisch verwandtes Wort, der prime, dargeboten. Die zugrunde liegende Annahme ist die, dass semantisch verwandte Primes die Reaktionszeit auf das Zielwort verkürzen, da sie eine Voraktivierung herstellen (Collins und Loftus 1975). So verwendete Sandra (1990, Exp. 1) beispielsweise brood („Brot") als Prime für boterblom („Butterblume") oder koe („Kuh") als Prime für melkweg („Milchstraße"). Wenn während der Verarbeitung auf die einzelnen Komponenten eines Kompositums zugegriffen wird, müsste durch die Primingtechnik die Reaktionszeit auf das Kompositum verkürzt werden. Der Faktor Transparenz wurde in einer Vorstudie kontrolliert, in der Testpersonen verschiedene Komposita vorgelegt wurden, deren Bedeutung sie erklären sollten. Das Kompositum gilt als umso transparenter, je häufiger bei der Erklärung eine Konstituente des Kompositums verwendet wurde. Als Beispiel für ein transparentes Kompositum wird „[...] a teaspoon is a spoon used for drinking tea" angegeben (Sandra 1990: 537). Man beachte, dass dadurch der kompositionelle Charakter deutlich wird und insofern transparente Komposita, wie dekomponierbare Idiome, kompositionelle Anteile haben. Sandra (1990) konnte zeigen, dass sich für semantisch opake und Pseudokomposita, d.h. monomorphemische Wörter, bei denen eine bestimmte Buchstaben- oder Lautsequenz mit einem real existierenden Morphem übereinstimmt, z.B. boycott oder /»erring, keine Primingeffekte ergeben (Experiment 1), wohl aber für semantisch transparente Komposita (Experiment 2). Experiment 3 lieferte Hinweise darauf, dass in transparenten Komposita auf beide Konstituenten zugegriffen wird, in opaken Komposita nur auf die erste. Sandra schließt aus seinen Untersuchungen, dass semantisch transparente Komposita keine unabhängige lexikalische Repräsentation haben, sondern dekomponiert werden, während für opake Komposita eine eigene lexikalische Repräsentation existiert.30

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Auf die Frage, welche Konstituente genau das Stammmorphem darstellt, geht Sandra nicht näher ein. Es muss kritisch angemerkt werden, dass diese Befunde auch auf Frequenzeffekte zurückgeführt werden können. Sandra versäumt es, die Frequenz seiner Stimuli zu kontrollieren. Er gibt lediglich den Hinweis: „The primed constituent was always of higher frequency than the compound in which it occured" (Sandra 1990: 537). Daraus wird nicht deutlich, dass die Frequenz systematisch erhoben wurde. Es ist möglich, dass - in Übereinstimmung mit Vorhersagen des AAMM (Caramazza et al. 1988) oder des MRM (Frauenfelder und Schreuder 1992) - die opaken Komposita bekannte Wörter darstellen und demzufolge auf einen Ganzworteintrag schneller zugegriffen werden kann. Sandra räumt - im Gegensatz zu den oben genannten Autoren - nicht die Möglichkeit ein, dass transparente Komposita aufgrund ihrer Frequenz einen eigenen Eintrag bekommen: „[...] the two constituents in the compound are accessed because the word itself is not represented in the mental lexicon. In that case, the meaning of the compound would be determined each time anew, a situation which is not unlikely for truly transparent compounds." (Sandra 1990: 544).

187 Eine weitere Untersuchung zur lexikalischen Repräsentation von Komposita legt Zwitserlood (1994) vor. Sie lehnt sich dabei an die Arbeiten von Marslen-Wilson, Tyler, Waksler und Older (1992, 1994) an, die in mehreren Reaktionszeitexperimenten 31 englische Derivationspräfixe und -suffixe untersucht und dabei deren Transparenz berücksichtigt haben. Vor allem aus den Befunden ihrer Untersuchungen zu Suffixen 32 schlussfolgem Marslen-Wilson et al. (1994), dass transparente Wortformen mit dem lexikalischen Eintrag des Stammes verbunden sind, opake nicht. Das bedeutet, dass semantisch transparente, morphologisch komplexe Wörter auf der Ebene des lexikalischen Eintrags in dekomponierter morphologischer Form repräsentiert sind und dass bei der Verarbeitung morphologisch und semantisch verwandter Wörter auf das gleiche Stammmorphem zugegriffen wird. 33 Zwitserlood greift auf die Definition von Transparenz von Marslen-Wilson et al. (1994: 5) zurück: „A morphologically complex word is semantically transparent if its meaning is synchronically compositional." Sie versucht, Aufschluss über verschiedene Repräsentationsebenen, eine semantische und eine morphologische, im Lexikon zu erhalten. 34 In einem ersten lexikalischen Entscheidungsexperiment wurde gezeigt, dass bei der Verarbeitung eines Kompositums unabhängig von der semantischen Transparenz dessen morphologische Komplexität erkannt wird. Dieses Ergebnis interpretiert Zwitserlood (1994: 354) als Hinweis auf eine morphologische Repräsentationsebene, d.h. dass Komposita in enger Verbindung zu den sie konstituierenden Morphemen gespeichert sind bzw. dahingehend, dass alle Komposita, unabhängig von ihren semantischen Eigenschaften, als morphologisch komplexe Wörter auf einer bestimmten Ebene lexikalisch repräsentiert sind (Zwitserlood 1994: 364). In einem zweiten Experiment wurden semantische Primingeffekte für transparente und teilweise opake Komposita gefunden, nicht jedoch für echt opake. Daraus schlussfolgert Zwitserlood, dass echt opake Komposita auf semantischer Ebene nicht mit ihren Konstituenten verbunden sind, sondern sich wie monomorphemische Wörter verhalten, d.h. eine eigene semantische Repräsentation haben, während transparente und teilweise opake semantisch mit der Bedeutung ihrer Konstituenten verbunden sind (Zwitserlood 1994: 365). Darüber hinaus schließt Zwitserlood jedoch auch für transparente und teilweise opake Komposita die Existenz einer eigenen semantischen Repräsentation nicht aus. Su (1998) untersucht chinesische Komposita und kontrastiert diese mit Phrasen, eine im vorliegenden Zusammenhang besonders interessante Perspektive. Im Chinesischen können

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Es handelt sich hier um cross-modal immediate repetition priming (Marslen-Wilson et al. 1994: 6). Dabei wird den Testpersonen das Primewort, z.B. happiness, akustisch dargeboten, das Zielwort, z.B. happy, auf das so schnell wie möglich reagiert werden soll, wird visuell dargeboten. Während sich Marslen-Wilson et al. (1994) in Experiment 1, 2 und 3 mit suffigierten Wörtern beschäftigen, untersuchen die Experimente 4 und 5 präfigierte Wörter, Experiment 6 sowohl präals auch suffigierte Wörter. Stößt der Leser/Hörer auf eine suffigierte Form, wird zuerst der Stamm und dessen mögliche Suffixe aktiviert. Das tatsächliche Suffix des Inputs hemmt dann die Aktivierung der anderen Suffixe. Für präfigierte Wörter entfällt dieser Schritt, da das Präfix vom Beginn des Wortes an bekannt ist und keine weiteren Präfixe aktiviert werden müssen. „Priming found for transparent compounds can always be interpreted as arising at a semantic level, but if the same effects are found for opaque compounds, this would provide strong evidence for a separate contribution of morphology." (Zwitserlood 1994: 344).

188 Komposita und Phrasen weder phonologisch - es gibt keine Betonungsunterschiede - noch orthographisch - es gibt keine unterschiedlichen Zwischenräume zwischen Wortgrenzen abgegrenzt werden. Man beachte, dass Letzteres keineswegs auf das Chinesische beschränkt ist: Es gibt englische Komposita, die nicht zusammengeschrieben werden, z.B. primary school, window pane, beauty contest, washing machine, orange juice, sleeping partner (stiller Teilhaber), sleeping policeman (Bodenschwelle zur Verkehrsberuhigung) etc. bzw. über deren Schreibweise - als ein Wort, mit Bindestrich, in zwei Wörtern - Uneinigkeit herrscht. Daran wird erneut der Kontinuumsaspekt deutlich, der bei der Beschäftigung. mit der Verarbeitung und Repräsentation von morphologisch komplexen Wörtern, Komposita und Idiomen eine zentrale Rolle spielt.35 Su (1998: 182, Fußnote 6) bezeichnet Komposita als „semantically idiomatic morpheme pairs" und Phrasen als „semantically transparent morpheme pairs". Semantische Idiomatizität wird dabei als Nichtdekomponierbarkeit definiert: „[...] semantic idiomaticity means that the meaning of the morpheme pair can not be derived by combining the meanings of the two morphemes." (Su 1998: 182, Fußnote 6). Problematisch ist dabei, dass durch die definitorische Festlegung von Komposita als „semantisch idiomatisch", d.h. nichtdekomponierbar, im Gegensatz zu „semantisch transparent" ausgeschlossen wird, dass es dekomponierbare Komposita geben kann, von deren Existenz jedoch ausgegangen werden muss (vgl. Sandra 1990, Zwitserlood 1994). Su versucht, in zwei lexikalischen Entscheidungsexperimenten den Einfluss der Faktoren Frequenz und semantische Idiomatizität auf die Form der lexikalischen Repräsentation von Komposita zu bestimmen. Die Ergebnisse zeigen, dass Komposita schneller erkannt werden als Phrasen und die Urteile der Testpersonen darüber weniger fehleranfällig sind.36 In Experiment 1 wurde der Verarbeitungsvorteil auf die semantische Idiomatizität der Komposita zurückgeführt und daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass Komposita wie monomorphemische Wörter, d.h. über einen Ganzworteintrag, im Lexikon gespeichert sind, auf den der Zugriff schneller erfolgen kann. In Experiment 2 konnte sowohl für Komposita als auch für Phrasen ein Frequenzeffekt nachgewiesen werden. Das führt Su zu folgender Vermutung: „[...] the representations of transparent [i.e. Phrasen] versus idiomatic [i.e. Komposita] morpheme pairs are not all-or-none, but in a kind of gradient manner, with frequency and semantic idiomaticity as the two dimensions determining the strength of the representations." (Su 1998: 195). Damit steht Su in Übereinstimmung mit der auch in der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegten Annahme, dass morphologisch komplexe Wörter, Komposita, Idiome und Phrasen bezüglich ihrer lexikalischen Repräsentation auf einem Kontinuum platziert werden müssen bzw. sowohl Ganzworteinträge als auch Einträge der einzelnen Konstituenten vorhanden sind und dass die Art und Weise des Zugriffs durch Faktoren wie Frequenz und Fixiertheit der Bedeutung beeinflusst wird. Mit der Formulierung „strength of representation" knüpft Su an Ausführungen von Bybee (1985, 1988) an, die hier bereits im Zusammenhang mit der Verbindung der lexikalischen Einträge untereinander diskutiert wurden (vgl. dazu 7.1.2.3).

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Zur Rolle der Orthographie vgl. auch Henderson (1985: 36ff.). Es muss kritisch angemerkt werden, dass die Stichprobengröße mit N = 20 (Experiment 1) bzw. N = 15 (Experiment 2) als sehr gering und eventuell nicht repräsentativ zu bewerten ist.

189 Die letzten beiden Unterkapitel zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die dort diskutierten Untersuchungen und Befunde die Annahmen bestätigen, die im Rahmen des DIR-Modells bezüglich der Repräsentation von dekomponierbaren und nichtdekomponierbaren Idiomen gemacht wurden. Sowohl die Untersuchungen zur lexikalischen Repräsentation von derivierten und flektierten Wörtern als auch von Komposita gehen von einer dualen Repräsentation dieser Wörter im Lexikon aus. Wenn auch der Einfluss der Faktoren Frequenz und Transparenz noch nicht detailliert erforscht ist, so besteht Übereinstimmung darin, dass sie determinieren, auf welchen Eintrag schneller zugegriffen werden kann bzw. welche Route die erfolgreichere und damit wahrscheinlichere für den lexikalischen Zugriff darstellt (vgl. Frauenfelder und Schreuder 1992). Sowohl Sandra (1990) als auch Zwitserlood (1994) und Su (1998) liefern Evidenz dafür, dass opake Komposita - die mit nichtdekomponierbaren Idiomen zu vergleichen sind - eine eigene semantische Repräsentation haben; ein Befund, der von Marslen-Wilson et al. (1994) für derivierte Wörter bestätigt werden konnte. Das bedeutet, dass opake morphologisch komplexe Wörter im Lexikon über einen eigenen (Ganzwort)Eintrag verfügen. Transparente oder teilweise opake Komposita - die mit dekomponierbaren Idiomen zu vergleichen sind - können zwar auch einen eigenen Eintrag erhalten (vgl. Zwitserlood 1994), sind aber vor allem über ihre einzelnen Konstituenten, d.h. in dekomponierter Form repräsentiert. Dies steht im Einklang mit den unter 7.1.2 getroffenen Aussagen, dass bei der Verarbeitung von dekomponierbaren Idiomen die lexikalischen Einträge der einzelnen Konstituenten eine Rolle spielen, während nichtdekomponierbare Idiome einen Idiomeintrag ausbilden müssen. Um die Kompatibilität von Verarbeitungsmodellen im Bereich der Morphologie bzw. der Idiomforschung zu erhöhen, ist der Einfluss von Faktoren wie Transparenz und Frequenz noch zu klären. Im Zusammenhang mit Idiomen wurden bisher die mit Transparenz und Frequenz „verwandten" Faktoren Dekomponierbarkeit und Bekanntheitsgrad als relevant identifiziert (vgl. Kapitel 5 und 6). Da diese Faktoren eine zentrale Position in Modellen zur lexikalischen Repräsentation einnehmen, ist es wichtig, das Verhältnis von Dekomponierbarkeit und Transparenz (vgl. 7.1.3.3) bzw. Bekanntheitsgrad und Frequenz (vgl. 7.1.3.4) zu betrachten. Im Vorgriff auf die in den folgenden Abschnitten vorgenommene Diskussion kann festgestellt werden, dass die Faktoren Dekomponierbarkeit und Transparenz viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Gleichzeitig wird aufgezeigt, dass der Begriff Transparenz im Zusammenhang mit Sprecherurteilen aufgrund seiner geringen psychologischen Plausibilität nicht relevant ist. Für die Faktoren Bekanntheitsgrad und Frequenz wird gezeigt, dass sie jeweils auf unterschiedliche Sachverhalte hinweisen.

7.1.3.3

Zum Zusammenhang zwischen Dekomponierbarkeit und Transparenz

Der in der Idiomforschung gebräuchliche Dekompositionsbegriff bezieht sich auf Sprecherurteile zur Bedeutungskomposition. Ein Idiom wird als dekomponierbar bezeichnet, wenn ein Sprecher angibt, dass die Bedeutungen der einzelnen Konstituenten zur Gesamtbedeutung des Idioms beitragen. Insofern kann der Dekompositionsbegriff der Idiomfor-

190 schung (vgl. 1.2.1) auch als semantische Dekomposition bezeichnet werden. 37 Diese ist abzugrenzen von der morphologischen oder lexikalischen Dekomposition, die sich auf die Zusammensetzung von Wurzel und Affix bezieht. Wie aus der Diskussion unter 7.1.3.1 und 7.1.3.2 deutlich wurde, spielt in der morphologischen Literatur der Begriff der semantischen Transparenz eine Rolle (vgl. z.B. Sandra 1990, Frauenfelder und Schreuder 1992, Marslen-Wilson et al. 1994, Zwitserlood 1994, Su 1998). Es wird im Folgenden gezeigt, dass in der Idiomforschung der Begriff „Dekomponierbarkeit" fast deckungsgleich mit dem in der Morphologie verwendeten Begriff „semantische Transparenz" definiert wird. Es ist zwar auf theoretischer Ebene ein Unterschied feststellbar, der aber im Kontext von Sprecherurteilen keine psychologische Plausibilität besitzt. Deshalb ist es zulässig, die in der morphologischen Literatur beobachteten Effekte für transparente bzw. opake morphologisch komplexe Wörter auf dekomponierbare bzw. nichtdekomponierbare Idiome zu übertragen. Marslen-Wilson et al. (1992, 1994) betonen zunächst die Wichtigkeit, in experimentellen Untersuchungen die morphologischen, d.h. strukturellen Eigenschaften eines Wortes Präfix versus Suffix, Derivations- versus Flexionsmorphem - von den semantischen bzw. phonologischen Eigenschaften - d.h. der semantischen bzw. phonologischen Transparenz zu trennen. 38 Die zugrunde gelegte Begriffsbestimmung des Faktors Transparenz / Opakheit unterscheidet sich kaum von der, mit der in der Idiomforschung der Faktor Dekomponierbarkeit / Nichtdekomponierbarkeit bezeichnet wird (vgl. z.B. Gibbs et al. 1989a,b,c sowie Titone und Connine 1994a): „Over time these forms may become semantically opaque (i.e. noncompositional in meaning) [...]" (Marslen-Wilson et al. 1994: 4) und „[...] A morphologically complex word is semantically transparent if its meaning is synchronically compositional." (Marslen-Wilson et al. 1994: 5). 39 Transparenz („semantically transparent") wird in diesen Zitaten über Dekomponierbarkeit, d.h. semantische Dekomposition („its meaning is [...] compositional") definiert. „Synchron kompositionell" bezieht sich dabei auf den aktuellen Sprachgebrauch, d.h. die aktuelle Bedeutung der einzelnen Konstituenten und nicht deren etymologisch zu motivierende Bedeutung. Auch Zwitserlood (1994) führt die synchrone Verbindung der einzelnen Konstituenten als Kriterium an. Sie unterscheidet 37

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Diese Gleichsetzung betont, dass davon ausgegangen werden sollte, dass Sprecher semantische und nicht morphologische oder lexikalische Entscheidungen treffen (vgl. Sandra 1990: 553). Die hier gewählte Bezeichnung semantische Dekomposition ist nicht zu verwechseln mit semantischen Dekompositionsstrukturen von Verben, die in rein semantisch orientierten Ansätzen diskutiert werden (vgl. z.B. Kaufmann 1995). Zu Recht kritisieren die Autoren den Mangel an systematischer Kontrolle dieser Faktoren: „[...] the properties of phonological and semantic transparency, which interact with morphological type to determine the psycholinguistic organization of the lexical entry and its associated access representation. These factors are potentially crucial in determining how the linguistic analysis of the morphological properties of a language like English can be translated into psychological claims about full listing and decomposition at different levels of the mental lexicon. Despite this, these factors have never been systematically treated in psycholinguistic analyses of lexical access and representation." (Marslen-Wilson, Tyler, Waksler & Older 1994: 5). Als Beispiel für transparente Derivationsmorpheme geben die Autoren un- und -ness an, wie z.B. in happiness oder unhappy. Derivationsmorpheme wie re- in release oder -ment in department sind opak. Flexionsmorpheme werden grundsätzlich als semantisch transparent bezeichnet. Phonologische Opakheit gibt es sowohl für Derivations- als auch für FlexionsafFixe.

191 folgendermaßen zwischen transparenten („fully transparent"), teilweise opaken („partially opaque") und echt opaken („truly opaque") Komposita: The meaning of a fully transparent compound is synchronically related to the meaning of its composite words (e.g. milkman). Semantic opacity refers to the situation in which the relation between the meaning of the whole compound and (one of) its constituents is not apparent, or '... lost in the mists of etymological history' (Monsell, 1985, p. 186). Compounds can be truly opaque when there is no semantic relation with any constituent (e.g. blackguard), or partially opaque when a semantic relationship with one constituent exists (e.g. jailbird). [...] their meaning [i.e. the meaning of opaque compounds] cannot be derived from the meanings of their constituents [...]. (Zwitserlood 1994: 344) Diese Beschreibung von semantisch transparenten, teilweise opaken bzw. echt opaken Komposita ist analog zu der, die für normal dekomponierbare, anormal dekomponierbare und nichtdekomponierbare Idiome vorgenommen wird. Dies verdeutlichen beispielsweise die folgenden Ausfuhrungen zu „semantically nondecomposable idioms": „[...] the idiom meaning cannot be compositionally derived from the words that comprise the string (unless extended knowledge of the idioms's etymology, or sufficient contextual contraint, is available)." (Titone und Connine 1994a: 251). Der bei Marslen-Wilson et al. (1994) und Zwitserlood (1994) verwendete Begriff der Synchronic findet hier über das (nicht vorhandene) etymologische Wissen des Sprechers Berücksichtigung. Die angeführten Begriffsbestimmungen von Marslen-Wilson et al. (1994), Zwitserlood (1994) und Titone und Connine (1994a) machen deutlich, dass auf theoretischer bzw. definitorischer Ebene die Begriffe Transparenz und Dekomponierbarkeit häufig vermischt werden. Sandra (1990) geht explizit auf die Abgrenzung zwischen transparency und compositionality ein: „Whereas the former notion [i.e. transparency] refers to the relationship between compound and constituent meanings, the latter [i.e. compositionality] refers to the possibility of determining the wholeword meaning from the constituent meanings." (Sandra 1990: 550). Wie oben bereits aufgezeigt, stimmt die hier von Sandra gegebene Definition des Begriffes compositionality mit der Definition des Begriffs Dekomponierbarkeit überein, die auch in der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegt wurde. Während compositionality die Möglichkeit bezeichnet, die Gesamtbedeutung aus der Konstituentenbedeutung abzuleiten, beschreibt transparency das Verhältnis zwischen der Gesamtbedeutung des Kompositums und der Bedeutung der einzelnen Konstituenten des Kompositums. Diese Abgrenzung der beiden Begriffe ist für einige ausgewählte Beispiele nachvollziehbar. Das am häufigsten bemühte Beispiel in diesem Zusammenhang ist blackbird. Es wird argumentiert (vgl. z.B. Sandra 1990: 550), dass blackbird transparent ist - es handelt sich bei einer männlichen41 Amsel um einen schwarzen Vogel - , aber nicht dekomponierbar. 42 Bei vielen anderen Beispielen ist es jedoch nicht einfach, die theoretische Trennung nachzuvollziehen. Naive

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Deshalb sind opake Komposita besonders wichtig, um Aufschluss über die Struktur des Lexikons zu erhalten. Während Primingeffekte bei transparenten Komposita auf semantischer Ebene entstehen können, sind solche Effekte bei opaken Komposita über die Existenz einer unabhängigen morphologischen Ebene erklärbar. Wie verändert sich das Ausmaß an Transparenz im Fall einer weiblichen, d.h. braunen Amsel? Es kann bezweifelt werden, dass blackbird tatsächlich als nichtdekomponierbar beurteilt werden würde. Wahrscheinlich ist es zumindest teilweise dekomponierbar.

192 Sprecher, die diesbezüglich nicht vorgebildet sind, werden kaum zwischen den beiden Faktoren unterscheiden können. Darüber hinaus stellt das Dekomponieren für Sprecher eine natürliche Strategie dar. Es ist aus Sprecherperspektive nahe Hegend, bei Verständnisschwierigkeiten des gesamten Ausdrucks zu versuchen, aus den Bedeutungen der einzelnen Konstituenten die Gesamtbedeutung abzuleiten. Genau dieses Vorgehen wird als „Dekomponierbarkeit" eines komplexen Ausdrucks bezeichnet. Das Konstrukt der Transparenz hingegen, d.h. das Verhältnis zwischen der Gesamtbedeutung eines komplexen Ausdrucks und der Bedeutung der einzelnen Konstituenten, ist viel abstrakter und vor allem weniger „nützlich" für den Verstehensprozess. Es besteht für einen Sprecher bzw. Hörer keine Notwendigkeit, sich die Frage nach der Transparenz eines Ausdrucks zu stellen. Wenn er die Gesamtbedeutung kennt - und dies ist die Voraussetzung für ein Urteil über Transparenz (vgl. Sandra 1990: 550) braucht er sich nicht mehr nach dem Verhältnis zwischen dieser Gesamtbedeutung und der Bedeutung der einzelnen Konstituenten des Ausdrucks zu fragen, sondern wird mit der Verarbeitung weiterer Teile des Satzes fortfahren. Das Konstrukt der Transparenz ist demnach - im Gegensatz zu dem der Dekomponierbarkeit - außerhalb von linguistischen oder psycholinguistischen Untersuchungen nur bedingt relevant. 43 Zusammenfassend kann festgestellt werden: Erstens wird die auf theoretischer Ebene getroffene Unterscheidung der beiden Konstrukte Dekomponierbarkeit und Transparenz in vielen Untersuchungen nicht konsequent eingehalten; es finden sich häufig definitorische Verknüpfungen beider Termini. Zweitens kann davon ausgegangen werden, dass die strikte Trennung beider Konstrukte, die bereits theoretisch nicht konsequent durchzuhalten ist, im Zusammenhang mit Urteilen naiver Sprecher wenig psychologisch plausibel ist. Drittens stellt das Dekomponieren eines Ausdrucks für den Verstehensprozess eine wesentlich nahe liegendere Strategie für Sprecher dar als die Analyse der Transparenz. Dies bestätigt nochmals, dass im Zusammenhang mit Sprecherurteilen der Faktor Dekomponierbarkeit der aussagekräftigere ist. Die aufgezeigte enge Verknüpfung beider Faktoren legt es nahe, Erkenntnisse aus morphologischen Untersuchungen zur Transparenz für die hier interessierenden Fragestellungen der Dekomponierbarkeit nutzbar zu machen und umgekehrt. Dadurch erhöht sich nicht nur die Kompatibilität von Modellen, die in beiden Bereichen entwickelt werden, sondern es wird zusätzlich der bereits erwähnte Kontinuumsaspekt von morphologisch komplexen Wörtern und Idiomen bestätigt. Im nächsten Abschnitt wird der Faktor „Auftretenshäufigkeit" einer lexikalischen Einheit, der in allen psycholinguistischen Verarbeitungsmodellen eine Rolle spielt, auf seine Kompatibilität hin untersucht. In Studien zur Verarbeitung von Idiomen wird der Bekanntheitsgrad erhoben, in morphologischen Untersuchungen wird die Frequenz berücksichtigt. Der nun folgende Vergleich der beiden Termini soll klären, ob sie synonym sind oder ob damit jeweils unterschiedliche Sachverhalte bezeichnet werden.

43

Wie in 3.2 dargestellt, haben Gibbs und Nayak (1989, Experiment 4) Urteile über den Zusammenhang zwischen Transparenz und syntaktischer Flexibilität von Idiomen erhoben. Es ergab sich eine hohe Interkorrelation mit dem eingeschätzten Dekompositionsstatus, ebenfalls ein Hinweis auf die enge Verknüpfung beider Konzepte.

193 7.1.3.4 Zum Zusammenhang zwischen Bekanntheitsgrad und Frequenz Betrachtet man Definitionen der beiden Faktoren Bekanntheitsgrad und Frequenz und deren Operationalisierung in experimentellen Studien wird deutlich, dass die Faktoren jeweils andere Sachverhalte beschreiben, die am besten - im Falle der Frequenz - als „objektive Auftretenshäufigkeit" bzw. - im Falle des Bekanntheitsgrades - als „subjektive Auftretenshäufigkeit" umschrieben werden können. Damit geht einher, dass die Frequenz ein linguistisch relevanter Faktor ist, der sich auf die lexikalische Repräsentation auswirkt, während das Urteil über den Bekanntheitsgrad durch extralinguistische Faktoren beeinflusst wird, die u.a. auf der konzeptuellen Ebene anzusiedeln sind. In morphologischen Untersuchungen versteht man unter der Frequenz einer Wortform deren Auftretenshäufigkeit in der Sprache.44 Somit stellt die Frequenz eine statistisch ermittelbare und in diesem Sinne „objektive" Größe dar, die seit geraumer Zeit mit Hilfe von Korpusanalysen bestimmt wird.45 Während lange Zeit für das Englische ausschließlich das - mittlerweile veraltete - Korpus von Kucera und Francis (1967) verwendet wurde - u.a. von Taft und Forster (1975), Bradley (1980) - , stehen heute wesentlich größere Korpora zur Verfügung, beispielsweise das English Cobuild Corpus (18 Millionen Wörter) - u.a. verwendet von Baayen (1992) - , das Oxford Hector Pilot Corpus (18 Millionen Wörter), das British National Corpus (100 Millionen Wörter) oder das Bank of English Corpus (323 Millionen Wörter, für eine Anwendung vgl. Moon 1999). Bereits unter 3.2.2 wurden verschiedene Definitionen des in der Idiomforschung relevanten Faktors Bekanntheitsgrad (familiarity) gegeben. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man von einer Gleichsetzung der Begriffe Bekanntheitsgrad und Frequenz ausgehen, z.B. in der auf Gernsbacher zurückgehenden Begriffsbestimmung: „Familiarity has been defined as the frequency with which a listener or reader encounters a word in its written or spoken form (Gernsbacher, 1984) [...]" (Titone und Connine 1994: 250). Andere Definitionen (vgl. 3.2.2, Schweigert 1986: 34f., Titone und Connine 1994: 250) machen jedoch deutlich, dass die hier zugrunde gelegte Begriffsbestimmung sich insofern von der in der Morphologie unterscheidet, als dass sich der Bekanntheitsgrad auf die durch Sprecher eingeschätzte, d.h. eher „subjektive" Auftretenshäufigkeit bezieht und nicht auf eine statistisch zu ermittelnde. Die Repräsentativität oder „Objektivität" wird in diesem Fall dadurch erreicht, dass viele Sprecher nach einer Einschätzung gefragt werden und für weitere Untersuchungen die übereinstimmend beurteilten Idiome verwendet werden (vgl. z.B. Schweigert 1986: 35f.). Die Subjektivität der Bekanntheitsgradeinschätzung kommt am deutlichsten in der Definition zum Ausdruck, die (nach Titone und Connine 1994a: 250) auf Nusbaum et al. (1984) zurückgeht und die von Titone und Connine (1994a: 255) richtigerweise als meaningfulness bezeichnet wird. Diese Definition wurde auch in den in 44

45

Es muss jeweils festgelegt werden, in Bezug auf welche Wortform - die Wurzel, den Stamm, das derivierte oder flektierte Wort - die Auftretenshäufigkeit ermittelt wird. Die jeweils zugrunde gelegte Form determiniert das Ergebnis der Analyse, das in Abhängigkeit dazu sehr unterschiedlich ausfallen kann und insofern die Objektivität des ermittelten Frequenzwertes relativiert. In älteren Untersuchungen wurde nicht auf eine systematische Kontrolle der Frequenz geachtet. Seit den 1970er Jahren wird jedoch in den meisten Untersuchungen zur Worterkennung eine nachprüfbare Erfassung der Frequenz durchgeführt. Statistische und rechnerische Details zur Erhebung finden sich z.B. in Baayen (1992).

194 Kapitel 5 und 6 vorgestellten Erhebungen zugrunde gelegt: „Familiarity has been defined as [...] the degree to which the meaning of a word is well known or easily understood [...]". Es stellt sich dabei die Frage, wie Sprecher zu der Einschätzung kommen, dass sie die Bedeutung eines Wortes bzw. Idioms „gut kennen oder leicht verstehen". Die Ergebnisse der in Kapitel 5 und 6 dargestellten Erhebungen haben gezeigt, dass eindeutig dekomponierbare Idiome sowohl von Muttersprachlern als auch von Nichtmuttersprachlern als bekannter eingeschätzt werden. Dekomponierbare Idiome haben kompositionelle Anteile (1.2.1) und müssen nicht zwangsläufig - so die Annahmen des DIR-Modells (7.1.2) - , einen Idiomeintrag ausbilden. Dann werden aber konzeptuelle Faktoren relevant (vgl. 7.2). Es liegt deshalb die Vermutung nahe, dass in die Einschätzung des Bekanntheitsgrades die Verknüpfbarkeit der Wortbedeutungen mit zugrunde liegenden Konzepten einfließt. Dadurch wird der Bekann the itsgr ad zu einem Faktor, der nicht nur auf linguistische, sondern auch auf konzeptuelle Aspekte verweist. Wenn demnach Bekanntheitsgrad und Frequenz zwei unterschiedliche Sachverhalte bezeichnen, muss gefordert werden, auch für Idiome die Frequenz, d.h. die objektive Auftretenshäufigkeit, festzustellen. Moon (1999: 265) verweist jedoch darauf, dass die Bestimmung der Frequenz von Idiomen selbst in sehr großen Korpora, z.B. dem Oxford Hector Pilot Corpus, dem British National Corpus oder dem Bank of English Corpus, aufgrund der besonderen Eigenschaften von Idiomen sehr schwierig ist. So konnte Moon im Oxford Hector Pilot Corpus zweimal den Ausdruck looking for a needle in a haystack finden, im zwanzigmal größeren Bank of English Corpus mit einem relativ variabel gehaltenen Suchauftrag - needle* und haystack* im Abstand von maximal fünf Wörtern - 80 Einträge, diese wiesen aber bereits Varianten wie several haystacks, hay, haystack situation, finding a needle etc. auf. Diese Auftretenshäufigkeit stellt eine Quote von 1:4 Millionen dar und ist vergleichbar mit der Frequenz von seltenen Wörtern wie beispielsweise disequilibrium, methylated, ungentlemanly oder zydeco (vgl. Moon 1999: 266). Idiome wie spill the beans und call the shots treten im Oxford Hector Pilot Corpus einmal pro einer Million Wörter auf. Im Bank of English Corpus wurden fur skate on thin ice 241, fur beat about / around the bush 109 Einträge gefunden.46 Die geringe Frequenz kann teilweise über die Art der Textsorten und Gesprächssituationen erklärt werden, die in diesen Korpora abgebildet werden; so konnte Moon (1999: 271) feststellen, dass Idiome am häufigsten in journalistischen Texten auftreten, die in den genannten Korpora noch unterrepräsentiert sind. Auch Watson (1998: 16) verweist darauf, dass Idiome in „British tabloid journalism" sowie in der Werbung sehr häufig verwendet werden.47 Aufgrund der geringen Frequenz von Idiomen in den derzeit verfugbaren Korpora und aufgrund der Tatsache, dass große Korpora und die dadurch ermöglichten Analysen generell erst seit geraumer Zeit einen festen Platz in der linguistischen Forschung einnehmen (vgl. dazu z.B. Aijmer und Altenberg 1991 oder Percy, Meyer und Lancashire 1996), ist es nicht verwunderlich, dass in der Idiomforschung bis dato die „subjektive" Art der Frequenzerhebung dominiert, die dann treffenderweise als Bekanntheitsgrad bezeichnet wird. 46 47

Interessant ist, dass in allen Fällen die idiomatische Lesart und nicht die wörtliche Bedeutung verwendet wurde. Besonders häufig treten Idiome in belletristischen Texten auf, die jedoch nur selten Aufnahme in die Korpora finden.

195 Es darf jedoch nicht der Fehler gemacht werden, den Bekanntheitsgrad mit Frequenz gleichzusetzen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass aufgrund der unterschiedlichen Begriffsbestimmungen und Operationalisierungen von Frequenz und Bekanntheitsgrad keine direkte Vergleichbarkeit zwischen beiden Faktoren gegeben ist. Allerdings bestehen Parallelen zwischen beiden. So verweist beispielsweise Bertinetto (1995: 15) darauf, dass der Faktor Frequenz mit allen anderen relevanten Faktoren - Dekomponierbarkeit, Transparenz, Produktivität, (Ir)Regularität etc. - interagiert, wobei allerdings die genaue Art des Einflusses noch nicht geklärt ist. In zukünftigen experimentellen Studien zur Verarbeitung und Repräsentation von Idiomen sollte die Frequenz der einzelnen Konstituenten oder der gesamten Konfiguration berücksichtigt werden (vgl. dazu 7.3.1).

7.1.4 Zusammenfassung: Lexikalische Repräsentationsaspekte Abschnitt 7.1 hat sich mit lexikalischen Aspekten der Repräsentation englischer Idiome beschäftigt. Auf der Grundlage der in Kapitel 5 und 6 durchgeführten Untersuchungen wurde ein Modell zur Verarbeitung von Idiomen entwickelt, das von dualen Idiomrepräsentationen ausgeht. Wie in 7.1.2 ausführlich diskutiert wurde, spielt bei der Verarbeitung von dekomponierbaren Idiomen der Zugriff auf die lexikalischen Einträge der einzelnen Konstituenten eine Rolle. Dekomponierbare Idiome können, wenn eine bestimmte Auftretenshäufigkeit gegeben ist, zusätzlich einen separaten Idiomeintrag ausbilden. Nichtdekomponierbare Idiome müssen einen eigenen Idiomeintrag ausbilden, um verarbeitet werden zu können. In 7.1.2.3 wurden die lexikalischen Verbindungen der dualen Repräsentationen, d.h. der Konstituenten- und Idiomeinträge, diskutiert. Schließlich wurden Unterschiede zwischen Repräsentationen im LI- und L2-Lexikon, die in unterschiedlichen Sprecherurteilen beider Gruppen deutlich werden (vgl. Kapitel 5 und 6), beschrieben und erklärt. Die wichtigsten Annahmen des DIR-Modells wurden - Abschnitt 7.1.2 abschließend - zusammengefasst. In 7.1.3 konnten die Annahmen des DIR-Modells bestätigt werden, indem gezeigt wurde, dass sie in Einklang mit experimentellen Befunden und daraus entwickelten Modellen stehen, die im Hinblick auf die Verarbeitung morphologisch komplexer Wörter entstanden sind. Es wurde herausgearbeitet, dass zwischen Idiomen und morphologisch komplexen Wörtern - derivierten und flektierten Wörtern sowie besonders Komposita - zahlreiche Parallelen bestehen und dass davon ausgegangen werden muss, dass diese sprachlichen Einheiten auf einem Kontinuum angeordnet sind. Insofern ist es nahe liegend, für deren Verarbeitung ähnliche Prozesse anzunehmen und diese mit vergleichbarem Inventar zu beschreiben. Um die Kompatibilität idiomatischer und morphologischer Verarbeitungsmodelle zu erhöhen, wurden in 7.1.3.3 und 7.1.3.4 die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Faktoren Dekomponierbarkeit und Transparenz bzw. Bekanntheitsgrad und Frequenz diskutiert. Dabei wurde verdeutlicht, dass Dekomponierbarkeit und Transparenz auf theoretischer Ebene sehr eng miteinander verbunden sind, die Dekomponierbarkeit jedoch im Zusammenhang mit Sprecherurteilen das psychologisch plausiblere Konstrukt darstellt. In Bezug auf den Bekanntheitsgrad und die Frequenz wurde zwischen subjektiver und objektiver Auftretenshäufigkeit unterschieden. Für Idiome ist der Bekanntheitsgrad der

196 relevantere Faktor, es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Frequenzeffekte, auch wenn sie derzeit für Idiome noch nicht statistisch einwandfrei zu erheben sind, einen Einfluss auf die Verarbeitung nehmen. Wie eingangs bereits erwähnt, wurden die Ausführungen in Abschnitt 7.1 auf die linguistische Ebene, d.h. rein lexikalische Aspekte, beschränkt. Dieses Vorgehen wurde gewählt, um die Vergleichbarkeit des hier entwickelten DIR-Modells mit bereits existierenden Modellen zu gewährleisten. Die Ausführungen zur Kompatibilität mit Modellen, die im Rahmen der Morphologie entstanden sind, haben die Nützlichkeit dieses Vorgehens belegt: Nur bei gleichen theoretischen Prämissen können Befunde und Erkenntnisse aus unterschiedlichen Forschungsbereichen füreinander nutzbar gemacht werden. Es konnte gezeigt werden, dass Idiome auf einem Kontinuum mit morphologisch komplexen Wörtern anzusiedeln sind und ihnen nicht zwangsläufig ein Sonderstatus hinsichtlich ihrer Repräsentation und Verarbeitung zugeschrieben werden muss. Ebenfalls ist durch die zunächst vorgenommene Eingrenzung auf linguistische Aspekte die Operationalisierbarkeit der hier getroffenen Annahmen in zukünftigen psycholinguistischen Experimenten gewährleistet (vgl. dazu 7.3.1). Dennoch müssen, um zu einer umfassenden Erklärung der Repräsentation von Idiomen zu gelangen, Faktoren berücksichtigt werden, die über die sprachliche Ebene hinausgehen. Deshalb werden im nun folgenden Abschnitt konzeptuelle Aspekte der Repräsentation diskutiert, die auf einer kognitiven Ebene zu lokalisieren sind.

7.2

Konzeptuelle Aspekte der Repräsentation englischer Idiome

Die Aufteilung des siebten Kapitels in zwei Abschnitte, die sich zunächst mit lexikalischen (7.1) und dann mit konzeptuellen Aspekten (7.2) der Repräsentation von englischen Idiomen beschäftigen, bedeutet nicht, dass die lexikalische und die konzeptuelle Ebene unabhängig voneinander sind. Die Trennung beider Aspekte trägt lediglich der Tatsache Rechnung, dass in den meisten der bisher betrachteten Arbeiten eine Beschränkung auf die sprachliche Ebene vorgenommen wird. Diese Isolierung der sprachlichen Ebene von anderen kognitiven Modulen resultiert aus einigen grundlegenden Annahmen der frühen generativen Grammatik (vgl. dazu Kapitel 1). Hinzu kommt, dass die vorwiegend introspektiven Methoden der Linguistik nicht primär dazu führen, Aussagen über konzeptuelle Repräsentationen treffen zu können (vgl. dazu Croft 1998 und Sandra 1998). Durch zunehmende Forschungstätigkeit im Bereich der kognitiven Linguistik (vgl. Kapitel 1) wird jedoch immer häufiger gefordert, diese Isolierung aufzugeben und Sprache in einen größeren, d.h. einen allgemein kognitiven Kontext zu stellen (vgl. z.B. Lakoff 1989, 1990, Pederson und Nuyts 1997). Auch im Rahmen der Forschung zum zweisprachigen Lexikon spielt die Integration von sprachlichen und konzeptuellen Aspekten eine zentrale Rolle (de Groot 2000, Pavlenko 1999, 2000a,b). Da die vorliegende Arbeit sowohl in der kognitiven Linguistik (vgl. Kapitel 1) als auch in der Forschung zum L I - und L2-Lexikon (vgl. 4.1, Kapitel 5 und 6, 7.1.2.4) verankert ist, darf die Behandlung konzeptueller Repräsentationen im vorliegenden Zusammenhang nicht fehlen.

197 Abschnitt 7.2 gliedert sich wie folgt: In 7.2.1 wird gezeigt, dass der Begriff „Konzept" sehr unterschiedlich aufgefasst werden kann. Es wird geklärt, wie der Begriff in der vorliegenden Arbeit zu verstehen ist und wie lexikalische von konzeptuellen Repräsentationen abgegrenzt werden. Im Anschluss wird in 7.2.2 die besondere Rolle konzeptueller Strukturen für die Bedeutung von Idiomen diskutiert. Dabei wird die heterogene Forschungslage deutlich, die auf diesem Gebiet herrscht. In 7.2.3 wird gezeigt, wie diese Widersprüche durch die im Rahmen des DIR-Modells gemachten Annahmen (7.1.2) aufgelöst werden können und wie im DIR-Modell konzeptuelle und lexikalische Repräsentationen gemeinsam zur Verarbeitung von Idiomen beitragen.

7.2.1

Begriffsklärungen

In der einschlägigen Literatur treten die Begriffe „konzeptuelle Repräsentation", „konzeptuelle Struktur" oder „Konzept" in scheinbar synonymer Verwendung auf. Dabei ist jedoch zu beachten, dass je nach Disziplin - Linguistik oder Psychologie (vgl. dazu Redder und Rehbein 1999) bzw. Fremdsprachenforschung - und innerhalb der Disziplin wiederum je nach theoretischem Rahmen damit andere Sachverhalte gemeint sind. Dies wird anhand einiger Beispiele im Folgenden kurz illustriert; im Anschluss daran werden die für die vorliegende Arbeit relevanten Definitionen der Begriffe „lexikalische" bzw. „konzeptuelle Repräsentation" gegeben. Im Rahmen der angelsächsischen generativen Grammatik ist Jackendoff (z.B. 1987, 1989, 1992, 1996) zu nennen, der in seinen Arbeiten versucht, Chomskys Grammatikmodell um konzeptuelle Strukturen zu erweitern (Jackendoff 1989: 69). Jackendoff fordert, dass eine Sprachtheorie in der Lage sein muss, die Verbindung zwischen linguistischen Ausdrücken und den jeweils dazugehörigen Konzepten abzubilden. Er differenziert in Anlehnung an E- und I-Sprache zwischen E(xternalen)-Konzepten und I(nternalen)-Konzepten; Letztere unterteilt er in Satzkonzepte und lexikalische Konzepte. Jackendoff (1989: 78f.) postuliert, dass die Grammatik drei autonome Strukturebenen hat - eine phonologische, eine syntaktische und eine konzeptuelle - , die durch jeweils entsprechende Bildungsregeln generiert werden. Korrespondenzregeln verbinden die Ebenen untereinander. Man beachte, dass Jackendoff (1989: 79f.) die konzeptuelle Ebene als linguistische Ebene versteht, die Teil des Lexikons ist. Damit unterscheidet sich Jackendoffs Ansatz von dem, der hier eingenommen wird: Wie weiter unten ausgeführt, wird in der vorliegenden Arbeit die konzeptuelle Ebene als sprachunabhängige Ebene verstanden. Für den deutschsprachigen Raum ist die Unterscheidung zwischen einer semantischen und einer konzeptuellen Repräsentation lexikalischer Einheiten auf Bierwisch (1983) zurückzuführen. Auch in Rauh (1988) finden sich unter Verwendung der Bezeichnungen „Begriff' und „Begriffsschema" im Zusammenhang mit semantischen Relationen Ausfuhrungen zur Bedeutung konzeptueller Aspekte (vgl. z.B. Rauh 1988: 332ff). Bierwisch (1983) geht davon aus, dass semantische Repräsentationen aus Konstanten und Variablen bestehen und durch die Interaktion mit konzeptuellen Repräsentationen die je nach Kontext adäquate Bedeutung bilden. Es wird in diesem Zusammenhang von „twolevel semantics" gesprochen (vgl. z.B. Schwarze und Schepping 1995), wobei dieser Begriff darauf hinweist, dass hier konzeptuelle Aspekte als Unterstützung oder Ergänzung

198 der semantischen Repräsentation verstanden werden. Der Grundgedanke dieses Ansatzes steht im Einklang mit der hier vertretenen Auffassung. Innerhalb der oben genannten linguistischen Ansätze werden die Begriffe „konzeptuell" und „semantisch" relativ klar voneinander abgegrenzt. Der Fokus liegt auf der semantischen, d.h. der sprachlichen Ebene. Hillert (1993: 205) verweist darauf, dass in psychologisch orientierten Ansätzen häufig der Begriff „konzeptuell" durch „semantisch" ersetzt wird und dadurch in der Folge eine Konfundierung der beiden Ebenen stattfindet. Diese terminologische Verwirrung findet sich auch in der Forschung zum bilingual memory. Dieser Oberbegriff wird häufig verwendet, um Arbeiten zum zwei- und mehrsprachigen mentalen Lexikon zusammenfassend zu bezeichnen (Hummel 1993: 267). Diese Forschungsrichtung hat ihren Ursprung in der psychologischen Gedächtnisforschung (vgl. dazu z.B. Ervin-Tripp 2000). Im Rahmen psychologischer Experimente werden Konzepte traditionellerweise als Bilder operationalisiert, d.h. es geht in der Regel um die Frage, wie mentale Bilder und das verbale Gedächtnis interagieren (Kieras 1978). Diese Frage dominierte lange Zeit die bilinguale Gedächtnisforschung - wie z.B. das Symposium Concepts and their surface representations, das von der Eastern Psychologial Association veranstaltet wurde, belegt (vgl. dazu das Sonderheft der Zeitschrift Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, darin z.B. Potter et al. 1984, Kroll und Potter 1984, Glucksberg 1984, Kolers und Brison 1984, Snodgrass 1984). In den 1990er Jahren wird vermehrt - nach wie vor hauptsächlich von Psychologen - die unklare Trennung zwischen semantischer und konzeptueller Repräsentationsebene sowie der Mangel an einer übereinstimmenden definitorischen Festlegung beider Ebenen thematisiert, wie z.B. die Peer commentaries in der Zeitschrift Bilingualism: Language and Cognition zeigen (vgl. z.B. Pavlenko 1999, 2000a,b, de Groot 2000, Ervin-Tripp 2000, Francis 2000, Green 2000, Roelofs 2000, Vaid 2000). Mittlerweile ist der Trend erkennbar, dass zwischen mentalen Bildern und Konzepten unterschieden wird. In Übereinstimmung mit der in der vorliegenden Arbeit eingenommenen Position wird von einigen der oben erwähnten Autoren (z.B. Potter et al. 1986, Potter und Kroll 1987, Kroll und Sholl 1992) die Ansicht vertreten, dass es im zwei- oder mehrsprachigen Lexikon für die jeweiligen Sprachen separate lexikalische Repräsentationen gibt, dass aber auf konzeptueller Ebene sprachen- und modalitätenunspezifische Repräsentationen bestehen. Diese konzeptuellen Repräsentationen sind umfassender als mentale Bilder und eng mit den lexikalischen Repräsentationen verbunden. Dieser Konzeptbegriff nähert sich dem an, der im Rahmen der Idiomforschung relevant ist. Hier werden konzeptuelle Strukturen als zugrunde liegende Metaphern (im Sinne von Lakoff und Johnson 1980) verstanden, die die Bedeutung von Idiomen motivieren (vgl. dazu 7.2.2). Aufgrund der dargestellten divergierenden Auffassungen über semantische und konzeptuelle Repräsentationen ist es erforderlich, die Begriffe in der hier intendierten „Lesart" zu spezifizieren. In der vorliegenden Arbeit wurde bisher bewusst der Begriff lexikalische, und nicht semantische Repräsentation verwendet. Diese Terminologie wurde gewählt, um zu verdeutlichen, dass damit die linguistische Ebene gemeint ist, die außer semantischen Aspekten auch syntaktische, phonologische und morphologische Aspekte umfasst (vgl. Hillert 1993: 205). Der Unterschied zwischen konzeptuellen und lexikalischen Repräsentationen wird wie folgt definiert: Konzeptuelle Repräsentationen beziehen sich auf mentale Konstrukte, mit deren Hilfe Weltwissen verarbeitet bzw. organisiert wird. Konzepte sind nicht-

199 linguistische Entitäten und somit auf einer allgemein kognitiven Ebene anzusiedeln. Sie sind in Bezug auf das Sprachsystem autonom; das bedeutet, dass trotz möglicherweise entstehender enger Verbindungen zwischen konzeptuellen und lexikalischen Repräsentationen keine direkte Analogie oder eine l:l-Entsprechung zwischen beiden besteht (vgl. dazu auch Schwarze und Schepping 1995, Nuyts und Pederson 1997). Konzepte sind komplexe, netzwerkartig verbundene Abstraktionen und werden wahrscheinlich nicht als Ganzes aktiviert, sondern anteilig, je nachdem, welche Aspekte im jeweiligen Kontext relevant sind (Paradis 2000). In Bezug auf die Verarbeitung von Idiomen kann davon ausgegangen werden, dass bei einigen Idiomen zugrunde liegende Metaphern im Sinne von Lakoff und Johnson (1980) aktiviert werden, wie z.B. ANGER IS HEATED FLUID IN A CONTAINER. Andere Idiome, bei denen beispielsweise eine Konstituente in einer metaphorisch erweiterten Lesart auftritt, z.B. miss the boat oder pass the hat, aktivieren möglicherweise konzeptuelle Informationen in Bezug auf diese spezielle Lesart. Insofern ist hier mit der Bezeichnung „konzeptueller Aspekt der Repräsentation" die jeweils relevante konzeptuelle Struktur gemeint, die für das jeweilige Idiom aktiviert wird. Lexikalische Repräsentationen sind linguistische Entitäten, die in bestimmten Kontexten durch konzeptuelle Repräsentationen ergänzt werden können bzw. müssen, damit die komplette Verarbeitung der lexikalischen Einheit möglich ist. Dies ist vor allem bei Idiomen der Fall, weshalb in einem Sprachverarbeitungsmodell beide Repräsentationen berücksichtigt werden sollten.

7.2.2

Konzeptuelle Strukturen als Grundlage für die Bedeutung von Idiomen

Ungefähr seit Mitte der 1990er Jahre wird von einigen Autoren die Rolle von Konzepten oder konzeptuellen Strukturen bei der Verarbeitung von Idiomen thematisiert (vgl. z.B. Gibbs 1990, 1992, 1995, aber auch Kreuz und Graesser 1991, Cacciari und Glucksberg 1995a,b, Murphy 1997). In Anlehnung an die kognitive Linguistik im Sinne von Lakoff (z.B. 1989, 1991) werden Konzepte in diesem Zusammenhang als zugrunde liegende Metaphern (Lakoff und Johnson 1980) verstanden, die die Bedeutung der Idiome motivieren. Es wird demnach davon ausgegangen, dass - wie hier am Beispiel der Domäne „Feuer" verdeutlicht (Kövecses und Szabö 1996: 333f.) - die konzeptuelle Metapher ANGER IS FIRE idiomatischen Ausdrücken wie smoke was coming out of his ears, she was spitting fire, he was fuming zugrunde liegt. Ähnliche konzeptuelle Metaphern sind LOVE IS FIRE oder ENTHUSIASM IS FIRE, die die Bedeutung von Idiomen wie the fire between them went out, I am burning with love, she carries a torch for him bzw. the crowd caught fire, don't be a wet blanket, he was burning with excitement etc. motivieren. Kövecses und Szabö (1996: 330) weisen zu Recht darauf hin, dass diese, für die Mehrheit der Idiome postulierte konzeptuelle Fundierung nicht automatisch mit Vorhersagbarkeit der Bedeutung gleichzusetzen ist. So kann für einige Idiome, z.B. für kick the bucket, keine konzeptuelle Motivation festgestellt werden. Trotz des durch die angeführten Beispiele plausibel erscheinenden Zusammenhangs zwischen konzeptuellen Strukturen bzw. den ihnen zugrunde liegenden konzeptuellen Metaphern und Idiombedeutungen besteht keine Einigkeit darüber, ob die Bedeutung von Idio-

200 men tatsächlich auf konzeptuelle Strukturen zurückgeführt werden sollte bzw. ob Letztere bei der Verarbeitung von Idiomen eine zentrale Rolle spielen. Hauptvertreter und Befürworter der grundlegenden Beziehung zwischen der Bedeutung von Idiomen und den damit verbundenen Metaphern ist die Forschungsgruppe um Gibbs (vgl. z.B. Gibbs und O'Brien 1990, Nayak und Gibbs 1990, Gibbs 1992, Gibbs 1995, Gibbs und Colston 1995, Gibbs, Bogdanovich, Sykes und Barr 1997). Der Ausgangspunkt für Gibbs und seine Kollegen bestand darin, die figurative Bedeutung von Idiomen systematisch auf die Existenz konzeptueller Metaphern zurückzuführen und die idiomatische Bedeutung dadurch zu motivieren. Aus den Befunden ihrer Reaktionszeitexperimente (Gibbs und O'Brien 1990, Nayak und Gibbs 1990) folgerten sie, dass die konzeptuellen Metaphern bei der Verarbeitung von Idiomen automatisch aktiviert werden. In späteren Arbeiten relativieren Gibbs, Bogdanovich, Sykes und Barr (1997) die Zwangsläufigkeit der Aktivierung der Metaphern. Vielmehr verweisen sie darauf, dass detaillierter untersucht werden muss, bei welchen Idiomen und unter welchen Bedingungen genau im Verarbeitungsprozess von Idiomen die Konzepte aktiviert werden (für eine Antwort vgl. 7.2.3). Als Kritiker der Auffassung, dass bei der Verarbeitung von Idiomen automatisch die zugrunde liegenden Metaphern aktiviert werden, sind vor allem Glucksberg und Kollegen zu nennen (vgl. z.B. Glucksberg, Brown und McGlone 1993, Cacciari und Glucksberg 1995b, Kreuz und Graesser 1991, Murphy 1997). So konnten Glucksberg, Brown und McGlone (1993) in Lesezeitexperimenten keine Belege für die automatische Aktivierung der Konzepte finden. Die Autoren schlussfolgern vielmehr, dass die Aktivierung der zugrunde liegenden Metaphern einen mehr oder weniger bewussten und dadurch zeitaufwendigen Prozess darstellt. Cacciari und Glucksberg (1995b) richten sich vor allem gegen die von Gibbs und O'Brien (1990) postulierte und dort experimentell bestätigte Annahme, dass Sprecher bei der Verarbeitung von Idiomen - durch die Aktivierung der Konzepte - die wörtliche Bedeutung der Konstituenten ignorieren können. 48 In eigenen Untersuchungen und mit Verweis auf bereits existierende experimentelle Befunde (z.B. Cacciari und Glucksberg 1991, Cacciari und Tabossi 1988, Flores d'Arcais 1993, Tabossi und Zardon 1993, 1995) liefern sie Unterstützung für die gegenteilige Annahme, d.h. dafür, dass Sprecher die Aktivierung der wörtlichen Bedeutung der einzelnen Konstituenten nicht unterdrücken können. Cacciari und Glucksberg (1995b) weisen zusätzlich darauf hin, dass sich die Frage nach den Konzepten, die möglicherweise beim Verarbeitungsprozess aktiviert werden, im Falle der zahlreichen Idiome verkompliziert, die sowohl eine wohlgeformte wörtliche als auch eine idiomatische Bedeutung haben, wie z.B. fly a kite oder carry a torch. Wie Schwanenflugel (1991), Schwanenflugel, Akin und Lüh (1992) sowie Paivio, Yuille und Madigan (1968) (alle zitiert nach Cacciari und Glucksberg 1995b) zeigen konnten, ist es leichter, mentale Bilder oder Konzepte von konkreten Situationen, d.h. der wörtlichen Bedeutung zu bilden als von abstrakten Situationen, d.h. der idiomatischen Bedeutung. Cacciari und Glucksberg (1995b) führten drei Experimente durch, um zu klären, ob die aktivierten mentalen Bilder oder Konzepte bei der Verarbeitung von Idiomen die figurative

48

Man beachte in diesem Zusammenhang auch die Befunde von Stroop (1935), durch dessen Experimente bereits gezeigt werden konnte, dass beim Lesen von Wörtern zwangsläufig deren Bedeutung aktiviert wird.

201

oder wörtliche Bedeutung widerspiegeln. Ihre Ergebnisse weisen darauf hin, dass die aktivierten Konzepte eher die wörtliche Bedeutung der Idiome visualisieren. Konzeptuelle Metaphern scheinen demnach keine so zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Idiomen zu spielen, wie von Gibbs und Kollegen angenommen wird. Wie die obigen Ausführungen verdeutlicht haben, sind die Befunde der Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen konzeptuellen Strukturen und der Bedeutung von Idiomen sehr heterogen. Im folgenden Abschnitt wird gezeigt, dass für die Widersprüchlichkeit der Forschungslage im Rahmen des DIR-Modells Erklärungen gefunden werden können. Die dort gemachten und in 7.1.2 ausführlich beschriebenen Annahmen liefern Hinweise darauf, wann - wie von Gibbs und Kollegen postuliert - Konzepte aktiviert werden und wann wie von Glucksberg und Kollegen vertreten - dies nicht zu erfolgen braucht. Dabei liefert die auf der Grundlage der Befunde von Kapitel 5 und 6 innerhalb des DIR-Modells vorgenommene Integration des LI- bzw. L2-Lexikons wertvolle Erkenntnisse.

7.2.3

Konzeptuelle Aspekte der Repräsentation im Rahmen des DIR-Modells

Wie bereits in 7.1 angedeutet wurde, bleibt die Erklärung der Verarbeitung und Repräsentation von Idiomen unvollständig, wenn lediglich die lexikalische Ebene berücksichtigt wird. Im Folgenden wird spezifiziert, unter welchen Bedingungen es im Verarbeitungsprozess von Idiomen notwendig sein kann, dass konzeptuelle Strukturen oder Repräsentationen zum Tragen kommen. In Abschnitt 7.1.2 wurde ausgeführt, dass dekomponierbare Idiome kompositionelle Anteile haben, d.h. dass die Wortbedeutungen der einzelnen Konstituenten zur idiomatischen Bedeutung beitragen. Dekomponierbare Idiome können einen Idiomeintrag ausbilden. Nichtdekomponierbare Idiome müssen einen Idiomeintrag ausbilden. Wenn ein Idiomeintrag vorhanden ist, besteht keine Notwendigkeit, dass zusätzlich zur lexikalischen Repräsentation automatisch die konzeptuelle Ebene aktiviert wird. Der vorhandene Lexikoneintrag liefert dem Sprecher auf der sprachlichen Ebene alle Informationen, die zu einer vollständigen Verarbeitung notwendig sind, nämlich die idiomatische Bedeutung plus der damit einhergehenden syntaktischen Besonderheiten. Wie in 7.1.2 dargestellt wurde, bilden sich Idiomeinträge bei einer bestimmten Auftretenshäufigkeit der idiomatischen Konfiguration aus. Da Muttersprachler ständig mit Idiomen konfrontiert werden, ist die Existenz von Idiomeinträgen im muttersprachlichen Lexikon sehr wahrscheinlich, während sie im L2-Lexikon häufiger fehlen (vgl. die Befunde von Kapitel 5 und 6). Im vorangegangenen Abschnitt (7.2.2) wurden die Arbeiten von Glucksberg, Brown und McGlone (1993) besprochen, die zeigen konnten, dass bei der Verarbeitung von Idiomen nicht zwangsläufig Konzepte aktiviert werden. Die Autoren spezifizieren nicht, wovon die Aktivation abhängt, sondern schlussfolgern lediglich: „We conclude that conceptual analogies play little, if any, role in idiom comprehension unless people have the time (and motivation) to make considered judgements." (Glucksberg, Brown und McGlone 1993: 711). Unter Berücksichtigung der Annahmen des DIR-Modells und vor allem im Hinblick auf die unterschiedlichen Repräsentationen im LI- und L2-Lexikon können nun die Bedingungen für die Aktivation der konzeptuellen Repräsentationen spezifiziert werden: Wenn kein

202 Idiomeintrag vorhanden ist und die Verarbeitung des Idioms deshalb auf der sprachlichen Ebene allein nicht erfolgreich abgeschlossen werden kann, werden andere kognitive Ebenen zum Verstehen herangezogen, d.h. es wird konzeptuelles Wissen aktiviert. Die auf der lexikalischen Ebene repräsentierten Wortbedeutungen lösen sozusagen die Aktivation der mit ihnen verbundenen Konzepte aus. Es ist möglich, dass sich die von Gibbs und Kollegen bzw. Glucksberg und Kollegen analysierten Idiome und die jeweils beiragten Sprecher im Hinblick auf die Ausbildung der Idiomeinträge unterschieden haben. So könnten die unterschiedlichen Befunde beider Forschungsgruppen erklärt werden. Festzuhalten bleibt, dass vor allem bei Nichtmuttersprachlern Folgendes gegeben ist: „[...] time (and motivation) to make considered judgements" (Glucksberg, Brown und McGIone 1993: 711). Die Motivation besteht dabei in dem Bedürfnis, die Bedeutung des völlig oder teilweise unbekannten Idioms im vorliegenden Kontext richtig interpretieren zu können. Dass Nichtmuttersprachler durch die zusätzliche Aktivation konzeptueller Strukturen auch mehr Zeit zur Verarbeitung benötigen, ist in zukünftigen Reaktionszeitexperimenten an dieser Probandengruppe zu klären (vgl. 7.3.1). Ebenfalls zu klären ist die kulturelle Kompatibilität bzw. Universalität konzeptueller Strukturen sowie eventuell wirksame interindividuelle Unterschiede im Hinblick auf konzeptuelle Repräsentationen (vgl. dazu 7.3.4). Die Annahme, dass bei fehlenden lexikalischen Repräsentationen, im Falle der Idiome bei fehlendem Idiomeintrag, auf konzeptuelle Strukturen zurückgegriffen wird, steht im Einklang mit Befunden aus der Forschung zum bilingualen Lexikon. So postulieren Kroll und Sholl (1992) ein Modell der bilingualen Gedächtnisrepräsentation, in dem es sowohl lexikalische, als auch konzeptuelle Verbindungen zwischen der LI und der L2 gibt. Dabei ist der Leistungsstand in der Fremdsprache eine Variable, die auf die Aktivation der jeweiligen Repräsentationsebene Einfluss nimmt. Mit zunehmendem Leistungsstand in der Fremdsprache erhöht sich der Zugriff auf die konzeptuelle Ebene, während in frühen Stadien des Fremdsprachenlernens die lexikalischen Verbindungen wichtiger sind. Diese Annahme wird durch die vorliegende Arbeit bestätigt: Die Verarbeitung von Idiomen und damit einhergehend der Zugriff auf die konzeptuelle Ebene setzt eine fortgeschrittene Beherrschung der L2 voraus. Dies ist bei den hier befragten Nichtmuttersprachlern der Fall; sie weisen langjährige Englischkenntnisse auf (vgl. 5.5.1 und 6.4). Die Vorhersage des DIR-Modells, dass durch Frequenzeffekte, die ebenfalls mit zunehmendem Leistungsstand in der Fremdsprache einhergehen, zusätzlich Idiomeinträge ausgebildet werden können, die auf der lexikalischen Ebene anzusiedeln sind und den Zugriff auf die konzeptuelle Ebene optional machen, widerspricht dem nicht. Es besteht ein Unterschied zwischen den frühen Stadien des Fremdsprachenlernens, in denen der Sprecher ausschließlich auf die lexikalische Ebene angewiesen ist (vgl. Kroll und Sholl 1992), und der im Rahmen des DIRModells postulierten Bereitstellung zusätzlicher Informationen, die im fortgeschrittenen Stadium durch das Hinzukommen dualer lexikalischer Repräsentationen entstehen können. In Bezug auf die Arbeit von Kroll und Sholl (1992) ist kritisch anzumerken, dass die dort angestellten Untersuchungen und die daraus abgeleiteten Aussagen sich auf einzelne Wörter beziehen und nicht, wie im DIR-Modell, auf über die Wortgrenze hinausgehende lexikalische Einheiten und dass extralinguistische Faktoren wie die Frequenz, die Einfluss auf

203 lexikalische Repräsentationen nehmen, aber von anderer Qualität sind als linguistische Faktoren, keine Berücksichtigung finden.

7.2.4

Zusammenfassung: Konzeptuelle Repräsentationsaspekte

In Abschnitt 7.2 wurden die in 7.1.2 dargelegten Annahmen des DIR-Modells um konzeptuelle Aspekte erweitert. In 7.2.1 wurden konzeptuelle Repräsentationen als komplexe, nichtlinguistische Entitäten definiert, die auf einer allgemein kognitiven Ebene anzusiedeln sind. Lexikalische Repräsentationen sind auf der linguistischen Ebene zu lokalisieren. Die in 7.2.2 dargestellte heterogene Forschungssituation zu der Frage, ob bei der Verarbeitung von Idiomen zwangsläufig konzeptuelle Strukturen aktiviert werden müssen, konnte in 7.2.3 geklärt werden. Es wurde postuliert, dass nur bei fehlendem Idiomeintrag die Aktivation konzeptueller Repräsentationen erfolgen muss, damit die Verarbeitung erfolgreich abgeschlossen werden kann.

7.3

Vorschläge und Forderungen für zukünftige Forschung

Die vorangegangenen Kapitel haben einige Hinweise darauf geliefert, was zukünftige Forschung über Idiome leisten sollte. Besonders deutlich wurde der Bedarf an Forschung hinsichtlich der Repräsentation und Verarbeitung von Idiomen im LI- und L2-Lexikon. Die folgenden Anregungen lassen sich, entsprechend der interdisziplinären Ausrichtung der vorliegenden Arbeit, verschiedenen Bereichen zuordnen: Die ersten vier Vorschläge (7.3.1) - Reaktionszeitexperimente mit Nichtmuttersprachlern, Kontrolle der Frequenz von Idiomen bzw. ihrer Konstituenten, semantische Primingaufgaben sowie Kontextuntersuchungen - beziehen sich auf zukünftige psycholinguistische Forschung. Danach werden zwei Aspekte diskutiert (7.3.2), die in Zukunft im Rahmen der Linguistik näher untersucht werden sollten: das syntaktische Verhalten von Idiomen und die grammatischen Eigenschaften der nicht eindeutig kategorisierbaren Idiome. Unter 7.3.3 werden Implikationen für den Fremdsprachenunterricht genannt, d.h. einige didaktische Anregungen gegeben. Die letzten beiden Forderungen für zukünftige Forschung sind dem Bereich der Psychologie zuzurechnen (7.3.4); sie beziehen sich auf die Universalität konzeptueller Repräsentationen und interindividuelle Unterschiede.

7.3.1

Forschungsaufgaben im Bereich der Psycholinguistik

Reaktionszeitexperimente mit Nichtmuttersprachlern: Unter psycholinguistischer Perspektive ist es vor allem erforderlich, lexikalische Entscheidungsexperimente mit Nichtmuttersprachlern durchzuführen. Da in Untersuchungen mit Muttersprachlern gezeigt werden konnte (vgl. Kapitel 3), dass der Dekompositionsstatus eines Idioms entscheidenden Einfluss auf seine Verarbeitung und andere Eigenschaften nimmt, muss dieser in Experimenten

204 mit Nichtmuttersprachlern kontrolliert werden. Mit den Ergebnissen aus Erhebung I und II (vgl. Kapitel 5 und 6) wurden dazu die Grundlagen geliefert. Es sollte untersucht werden, inwieweit sich die nichtmuttersprachlichen Reaktionszeiten auf dekomponierbare bzw. nichtdekomponierbare Idiome unterscheiden. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass Nichtmuttersprachler generell lexikalische Entscheidungen etwas langsamer treffen als Muttersprachler. Diese Hypothese ist bisher nach Wissen der Verfasserin - nicht experimentell überprüft worden. Für weitere Forschungen zum Zusammenhang zwischen dem LI- und L2-Lexikon ist ein Vergleich der Reaktionszeiten beider Sprechergruppen dringend erforderlich. Gibbs et al. (1989c) lieferten Evidenz dafür (vgl. 3.2), dass dekomponierbare Idiome schneller verarbeitet werden können als nichtdekomponierbare. Ob dieser Befund durch Daten von Nichtmuttersprachler bestätigt werden kann oder ob die Ergebnisse von Gibbs einer kritischen Revision bedürfen, wäre zu zeigen. Für Letzteres würde sprechen, dass durch die zusätzliche Aktivation konzeptueller Strukturen mehr Zeit zur Verarbeitung benötigt wird. Auch dieser Aspekt sollte in zukünftigen Reaktionszeitexperimenten - mit Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern - überprüft werden. Kontrolle der Frequenz von Idiomen bzw. ihrer Konstituenten: Zahlreiche morphologisch orientierte Reaktionszeitexperimente haben gezeigt, dass auf der Zugriffsebene nicht nur die Frequenz der jeweiligen Wortform einen Einfluss auf die Schnelligkeit des Abgleichs und somit auf die lexikalische Entscheidung nimmt (vgl. 7.1.3), sondern auch die Frequenz von semantisch verwandten Wörtern. Diesen Effekt bezeichnet man als kumulativen Frequenzeffekt. In einigen Experimenten konnte gezeigt werden (vgl. z.B. Bradley 1981, Burani und Caramazza 1987, Colé, Beauvillain und Segui 1989), dass das Erkennen von morphologisch komplexen Wörtern nicht nur von deren eigener Frequenz abhängt, sondern auch von der Frequenz anderer Wörter der gleichen morphologischen Familie, d.h. beispielsweise von der Frequenz von Wörtern, die den gleichen Stamm haben. So fanden Burani und Caramazza (1987) in zwei visuellen lexikalischen Entscheidungsaufgaben mit derivierten italienischen Wörtern - verbale Wurzeln und adjektivische sowie nominale Suffixe - sowohl einen Effekt der Wurzelfrequenz als auch der Gesamtwortfrequenz. Colé, Beauvillain und Segui (1989: lOff.) konnten ebenfalls zeigen, dass bei suffigierten französischen Wörtern - neben der jeweiligen Wortfrequenz - die kumulative Wurzelfrequenz einen Einfluss auf die Schnelligkeit der lexikalischen Entscheidung nimmt. Der kumulative Frequenzeffekt kann für Idiome von Bedeutung sein. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Frequenz der einzelnen Konstituenten einen Einfluss auf die Verarbeitung - und lexikalische Repräsentation - des gesamten Idioms nimmt. Wenn sich beispielsweise ein verbales Idiom aus einem sehr häufig auftretenden Verb und Nomen zusammensetzt, können diese Konstituenten beim lexikalischen Zugriff wahrscheinlich schneller aktiviert werden als sehr selten auftretende Konstituenten. Dieser Faktor könnte für Unterschiede in der Verarbeitungsschnelligkeit verantwortlich sein, er wurde jedoch bisher in Idiomstudien nicht kontrolliert. Für weitere experimentelle Studien ist dies entsprechend zu fordern. Dazu muss zunächst die Frequenz der einzelnen Konstituenten eines Idioms festgestellt werden. Ebenso muss die „objektive" Auftretenshäufigkeit von idiomatischen Ausdrücken als Ganzen bestimmt werden. Wie unter 7.1.3.4 diskutiert, sind Idiome in Korpora unterrepräsentiert. Dieser Meingel muss ausgeglichen werden, um aussagekräf-

205 tige Frequenzanalysen durchführen zu können. Wenn die Voraussetzungen für die Bestimmung der Frequenz gegeben sind, können Idiome im Experiment kontrollierter eingesetzt werden. Die Ergebnisse dieser Studien sind dann eindeutiger auf die Wirksamkeit von Faktoren wie Frequenz rückführbar. Ebenso ist noch ungeklärt, wie der Zusammenhang zwischen der Frequenz der einzelnen Konstituenten und dem Bekanntheitsgrad des Idioms ist bzw. wie sich die Frequenz der einzelnen Konstituenten auf die Ausbildung eines Ganzworteintrags auswirkt. Auch diesbezüglich sollte weitere Forschung initiiert werden. Semantische Primingaufgaben: Um weitere experimentelle Erkenntnisse über Idiome und deren lexikalische Repräsentation zu erhalten, könnten - angeregt durch die Kompositaforschung (vgl. 7.1.3.2 oder auch Sandra 1990: 533) - semantische Primingaufgaben für Idiome durchgeführt werden. Aus experimentell bestätigten Primingeffekten von initialen und finalen Konstituenten bei Komposita kann abgeleitet werden, dass beispielsweise - bei entsprechendem Kontext - miss ein Prime für boat sein müsste. Zu untersuchen wäre weiterhin, ob und unter welchen Bedingungen boat miss voraktivieren kann. In Anlehnung an die Befunde von Sandra (1990) und Zwitserlood (1994) wäre zu erwarten, dass dekomponierbare Idiome Primingeffekte aufweisen, nichtdekomponierbare jedoch nicht. Semantische Primingexperimente können Aufschluss über die Existenz von dualen Repräsentationen liefern. Wenn während der Verarbeitung eines Idioms auf die einzelnen Konstituenten zugegriffen bzw. die Inhaltsebene aktiviert wird - was bei dekomponierbaren Idiomen zu erwarten ist - , würde ein Primingeffekt die Reaktionszeit auf das Idiom verkürzen (vgl. Sandra 1990, Experiment 1). Wenn sich für nichtdekomponierbare Idiome keine Primingeffekte zeigen, würde das die Existenz von Idiomeinträgen bestätigen (vgl. Zwitserlood 1994, Experiment 2). Zusätzlich ist interessant zu untersuchen, ob Primewörter, die sich auf die wörtliche bzw. figurative Bedeutung des Idioms beziehen - z.B. boot bzw. die für kick the bücket - , unterschiedliche Auswirkungen auf die Reaktionszeit nehmen oder nicht. Kontextuntersuchungen: Sprecherurteile von Muttersprachlern (vgl. Gibbs et al. 1989a,b,c sowie Titone und Connine 1994a) und Nichtmuttersprachlern (vgl. Kapitel 5 und 6) über den Dekompositionsstatus von Idiomen wurden bisher nur in Isolation erhoben. Theoretisch betrachtet dürften die Urteile über den Dekompositionsstatus auch nicht in Abhängigkeit zum Kontext variieren. Um dies zu bestätigen und dadurch das Konstrukt der Dekomponierbarkeit zu stärken, sollten in Zukunft solche Beurteilungen im Kontext überprüft werden.

7.3.2

Forschungsaufgaben im Bereich der Linguistik

Syntaktisches Verhalten von Idiomen: Die vorliegende Arbeit hat sich auf die lexikalische und konzeptuelle Repräsentation von Idiomen konzentriert und syntaktische Aspekte dabei weitestgehend außer Acht gelassen (vgl. aber Kapitel 2). Dennoch ergeben sich aus den hier angestellten Betrachtungen Hinweise auf das syntaktische Verhalten von Idiomen, die in zukünftigen Arbeiten mit dieser Ausrichtung berücksichtigt werden sollten.

206 Die engen Verbindungen, die in Abschnitt 7.1.3.2 zwischen Idiomen und Komposita aufgezeigt wurden, beziehen sich auf deren Semantik, Repräsentation und Verarbeitung. Trotz dieser deutlichen Parallelen besteht in syntaktischer Hinsicht zwischen Idiomen und Komposita der Unterschied, dass Idiome in der Regel Phrasen und nicht, wie Komposita, einzelne Wörter sind. Demzufolge unterscheiden sich die syntaktischen Positionen, die Idiome bzw. Komposita einnehmen können, und damit einhergehend das syntaktische Verhalten. Gibbs et al. (1989a,b,c, vgl. 3.2.1) konnten zeigen, dass dekomponierbare im Gegensatz zu nichtdekomponierbaren Idiomen syntaktisch flexibel sind, d.h. Erstere lassen Modifikationen und Transformationen zu, Letztere nicht (vgl. aber Hamblin und Gibbs 1999, 3.2.1.2). Für die Syntax bedeutet dieser Unterschied, dass bei dekomponierbaren Idiomen die interne Struktur für die Syntax sichtbar sein muss, da sonst keine Modifikationen möglich wären, während bei nichtdekomponierbaren Idiomen dies nicht der Fall sein darf. Weitere Forschung muss die genauen Bedingungen spezifizieren, die den syntaktischen Unterschied zwischen dekomponierbaren und nichtdekomponierbaren Idiomen abbilden und das unterschiedliche syntaktische Verhalten erklären können. Es gibt einige wenige syntaktisch orientierte Arbeiten, die diesen Aspekt in Ansätzen aufgreifen (z.B. van Gestel 1989, 1995, Schenk 1995). So erweitert van Gestel (1989, 1995) die Annahme von Di Sciullo und Williams (1987), dass Idiome als syntaktische Objekte gespeichert sind, und plädiert für eine en bloc-Einsetzung in die Syntax. Er geht davon aus, dass Idiome als fertige Baumstrukturen im Lexikon gespeichert sind und so in die Ableitung eingesetzt werden. Die Baumstrukturen enthalten alle für das jeweilige Idiom wesentlichen idiosynkratischen Informationen. Van Gestel (1995) geht davon aus, dass die Form der Baumstruktur in Abhängigkeit zum Dekompositionsstatus des Idioms variiert, damit bestimmte syntaktische Veränderungen an dekomponierbaren Idiomen durchgeführt werden können. Die Ausfuhrungen dazu bleiben jedoch relativ unspezifisch. Aus Schenks (1995) Ausführungen wird deutlich, dass dieser Autor sich mit seinen Annahmen auf nichtdekomponierbare Idiome beschränkt. Er definiert Idiome als semantisch leere Konstituenten. Er postuliert zwei Arten von Operationen: Die einen, z.B. Topikalisierung oder Modifikation, können nur an semantisch nicht leeren Konstituenten ausgeführt werden, die anderen, zu denen beispielsweise die Passivierung gehört, sind auch bei semantisch leeren Konstituenten möglich. Erstere führen bei - nichtdekomponierbaren Idiomen zu ungrammatischen Ergebnissen. Grundsätzlich geht Schenk, wie van Gestel (1989, 1995), davon aus, dass auf der Grundlage der lexikalischen Information und von Idiombildungsregeln eine Baumstruktur generiert wird, auf die dann die oben genannten Operationen angewendet werden können. Die Arbeiten von van Gestel (1989, 1995) und Schenk (1995) unternehmen zwar den Versuch einer syntaktischen Analyse von Idiomen (für morphosyntaktische Ansätze vgl. z.B. Everaert 1989), erscheinen aber bei weitem noch nicht ausreichend. Sie können jedoch, in Kombination mit den in dieser Arbeit angestellten Betrachtungen, als Ausgangspunkt für zukünftige Forschung dienen. Grammatische Eigenschaften nicht eindeutig kategorisierbarer Idiome: In Erhebung I und II (vgl. Kapitel 5 und 6) wurde das Kriterium der 75%-Beurteilerübereinstimmung verwendet, um eindeutig dekomponierbare und eindeutig nichtdekomponierbare Idiome voneinander abzugrenzen. Wie die Übersicht in Abschnitt 6.6 zusammenfassend zeigt, werden sowohl

207 von Muttersprachlern (vgl. Titone und Connine 1994a) als auch von Nichtmuttersprachlern (Erhebung I und II) nur ca. die Hälfte der zur Beurteilung stehenden Idiome eindeutig kategorisiert. Während die grammatischen Eigenschaften dekomponierbarer und nichtdekomponierbarer Idiome relativ gut untersucht sind (vgl. z.B. Gibbs et al. 1989a,b,c, 3.2), bereitet die große Gruppe der nicht eindeutig kategorisierbaren Idiome immer wieder Schwierigkeiten. So ist beispielsweise ungeklärt, warum sie nicht übereinstimmend beurteilt werden können (vgl. dazu Titone und Connine 1994a). Es könnte sein, dass inhärente grammatische - Merkmale dafür verantwortlich sind. Über die grammatischen Eigenschaften von nicht eindeutig zuordenbaren Idiomen, z.B. die syntaktische oder semantische Produktivität, ist bisher jedoch nichts bekannt. Weitere Forschung muss dazu beitragen, dass die Idiome, die zwischen den gut identifizierbaren Eckpunkten dekomponierbar - nichtdekomponierbar liegen, näher beschrieben werden können.

7.3.3

Vorschläge für den didaktischen Bereich

Dekomponierbarkeit als Strategie: Die Befunde der Erhebungen I und II (Kapitel 5 und 6) haben gezeigt, dass die Dekomponierbarkeit für Nichtmuttersprachler eine plausible Eigenschaft von Idiomen darstellt und dass sie das Dekomponieren von Idiomen als Verstehensstrategie wesentlich häufiger als Muttersprachler einsetzen. Dieses Verhalten zeigt, dass Nichtmuttersprachler idiomatischen Ausdrücken nicht so „hilflos" begegnen, wie traditionellerweise immer angenommen wird. Dieses Vorurteil hat zum „Ausschluss" von Idiomen aus den meisten schulischen Lehrbüchern gefuhrt (vgl. dazu Bliemel 1996 und Freckmann 1997). Es ist die Forderung zu stellen, dass Nichtmuttersprachler darauf aufmerksam gemacht werden sollten, dass sich Idiome hinsichtlich ihres Dekompositionsstatus unterscheiden und dass sie sich auf ihr Urteil darüber verlassen können. Ebenso sollte die Rolle zugrunde liegender Konzepte verdeutlicht werden. So können aus zunächst unbewussten Strategien, dem Dekomponieren von Idiomen und dem Abrufen von zugrunde liegenden Konzepten, bewusste Lern- oder Verstehensstrategien werden, die gezielter eingesetzt und zur Sprachbewusstheit beitragen können. Kövecses und Szabö (1996) konnten in einem informellen Experiment die Wirksamkeit dieses Vorgehens bestätigen. Sie machten eine Gruppe von Fremdsprachenlernern auf den Zusammenhang zwischen konzeptuellen Metaphern und der Bedeutung figurativer Ausdrücke aufmerksam. In einer darauffolgenden Lückentextaufgabe war diese Gruppe in der Lage, die Bedeutung bzw. das fehlende Wort des Idioms zu inferieren. Eine andere Gruppe von Fremdsprachenlernern, die vorab lediglich die Bedeutung von figurativen Ausdrücken auswendig gelernt hatte, schnitt im Vergleich dazu wesentlich schlechter ab. Daraus folgt, dass die Nutzung von konzeptuellen Strukturen eine hilfreiche Strategie sein kann. Implikationen für den Fremdsprachenunterricht: Für die Erstellung von Lehrbüchern bzw. für den Fremdsprachenunterricht im Allgemeinen ist zu fordern, dass mehr authentisches Material verwendet wird. Dieses enthält zahlreiche Idiome, wodurch deren „objektive" Auftretenshäufigkeit für die Nichtmuttersprachler erhöht wird.

208 Weiterhin sollte im Fremdsprachenunterricht verdeutlicht werden, dass mit dem Dekompositionsstatus des Idioms eine Reihe anderer grammatischer Eigenschaften systematisch einhergeht, beispielweise die syntaktische und lexikalische Flexibilität.

7.3.4

Forschungsaufgaben im Bereich der Psychologie

Universalität konzeptueller Repräsentationen: Gibbs und Kollegen haben gezeigt (Gibbs 1990, 1994a,b, Gibbs und O'Brien 1990), dass konzeptuelle Metaphern eine hohe psychologische Realität haben, d.h. dass Menschen problemlos in der Lage sind, mentale Bilder von idiomatischen Ausdrücken zu visualisieren und zu beschreiben. Dabei fanden die Autoren eine hohe interindividuelle Übereinstimmung bei der Beschreibung der visualisierten Konzepte, was als Hinweis auf die Universalität von konzeptuellen Repräsentationen innerhalb einer Kultur gedeutet werden kann. Die Erforschung der interkulturellen Kompatibilität konzeptueller Strukturen steht noch am Anfang (vgl. dazu Pavlenko 1999, 2000a,b sowie das Sonderheft Bilingualism: Language and Cognition, 3 (1), 2000). In der vorliegenden Arbeit wurden deutsche Muttersprachler zum Englischen befragt. Aufgrund der hohen Ähnlichkeit der beiden Kulturen kann hier davon ausgegangen werden, dass auch die sprachenunabhängigen konzeptuellen Strukturen, mit denen beispielsweise metaphorische Erweiterungen motiviert werden, eine hohe Übereinstimmung aufweisen. Weitere Forschung auf diesem Gebiet ist jedoch dringend erforderlich. Interindividuelle Unterschiede: Es wurde in der vorliegenden Arbeit an mehreren Stellen darauf hingewiesen, dass die Befunde aus Sprachverarbeitungsstudien häufig nahe legen, von der Existenz interindividueller Unterschiede auszugehen. Dieser Aspekt wird innerhalb der generativ orientierten linguistischen Forschung vernachlässigt, da kompetenztheoretisch fundierte Ansätze von einem idealen Sprecher ausgehen, d.h. also per definitionem keine interindividuellen Unterschiede zulassen. Unter der hier eingenommenen Perspektive, die sich an Performanzdaten orientiert, ist es jedoch wichtig, auf diese Unterschiede einzugehen (vgl. dazu 5.1, Fragestellung 3, sowie 5.7.2). Schütze (1996) hat bereits darauf verwiesen (vgl. 4.2), dass - u.a. wegen der geringen Forschungsaktivität auf diesem Gebiet - noch unklar ist, welche individuellen Merkmale einen systematischen Einfluss auf sprachliches Verhalten bzw. sprachliche Wahrnehmung nehmen können. Auch die in Kapitel 5 und 6 durch den biographischen Fragebogen erhobenen Daten (5.5, 5.7.2) konnten hier nur bedingt Aufschluss liefern. Es ist denkbar, dass Dekomponierbarkeit nicht ausschließlich eine den Idiomen inhärente Eigenschaft ist, sondern dass bestimmte Sprecher „Dekomponierer" sind, während andere als „Nichtdekomponierer" bezeichnet werden könnten. In Bezug auf konzeptuelle Repräsentationen und deren Aktivierung liegen bisher kaum Forschungsbefunde vor. Die oben zitierten Untersuchungen von Gibbs (1990, 1994a,b) sowie Gibbs und O'Brien (1990), die auf interindividuelle Übereinstimmung hinweisen, müssen auf ihre Gültigkeit überprüft werden. In Bezug auf mentale Repräsentationen konnten in der psychologischen Forschung zahlreiche interindividuelle Unterschiede nachgewiesen werden (Paivio 1986: 96ff). Es wäre demnach nicht verwunderlich, wenn sich auch im Hinblick auf die Aktivierung konzeptueller Strukturen Unterschiede finden ließen.

209 „Dekomponierer" wären wahrscheinlich „Konzeptualisierer", von denen sich andere Sprecher systematisch abgrenzen ließen. Diese möglicherweise wirksamen, persönlichkeitspsychologischen Einflussfaktoren sollten in Zukunft untersucht werden. Wie die vorliegende Arbeit gezeigt hat, kann ein solch komplexes Phänomen wie die Dekomponierbarkeit von Idiomen und damit einhergehend die Repräsentation und Verarbeitung von Idiomen nur im Zusammenspiel verschiedener Disziplinen, vor allem der Linguistik und der Psychologie, angemessen beschrieben und erklärt werden.

Appendix

1

Alphabetische Auflistung aller 3 2 0 untersuchten Idiome mit Paraphrase

Im Folgenden sind alle Idiome aufgelistet, die in Erhebung I und II verwendet wurden. Nach der Paraphrase ist jeweils in Klammem angegeben, in welcher Erhebung das Idiom untersucht wurde (I bzw. II). Die Idiome der ersten Erhebung haben alle die syntaktische Form V + DET + N. Die Idiome der zweiten Erhebung sind von unterschiedlicher syntaktischer Form. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28.

a fish out of water; awkward because in a situation one is not accustomed to (II) a piece of cake; something that can be done or obtained very easily (II) add fuel to the fire; make an already difficult situation, e.g. an argument, worse by one's action or words (II) against the grain; in opposition to a natural tendency, custom, etc. (II) argue the toss; oppose or argue with a decision that has already been taken and that cannot be changed (I) armed to the teeth; fully armed with the necessary weapons, tools, etc. (II) as like as two peas in a pod; very or exactly alike (II) at the back of one's mind; in a person's thoughts (II) back to square one; back to the original starting point, especially because a situation has been reached in which no further progress is possible and the work, activity, etc., must be begun again (II) balance the books; determine through accounting that accounts are in balance, that all money is accounted for (I) bang the drum; give one's vigorous support to sth. (I) be a wet blanket; be a dull or boring person who spoils other people's happiness (II) be on cloud nine; be very happy (II) be the cat's whiskers; be the person or thing most highly approved of or regarded (II) be the spitting image; look very like (another person, especially a relative) (II) beat to the punch; do or obtain something before (someone) (II) beg the question; fail to deal with or answer effectively the point that is being discussed (I) behind the times; old-fashioned; not fashionable, usual etc. at the particular time (II) below the belt; (of an attack, blow, remark etc.) not in accordance with rules; unfair (II) bet your bottom dollar; be completely certain (or prepared to bet everything one has because one is completely certain) (II) bite someone's head off; shout at someone angrily; scold (II) bite the bullet; face sth. unpleasant (I) bite the dust; die (I) blaze the trail; be the very first in doing sth.; show the way in some new activity or area of knowledge (I) blow a fuse; suddenly become very angry; lose one's temper (I) blow someone's mind; experience or cause someone to experience great mental excitement (II) blow the gaff; reveal a secret (about a person or thing), e.g. to the police (I) blow to kingdom come; kill (a person), especially by using explosives or another very violent method (II)

212 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68.

blow your top; become very angry (II) born with a silver spoon; have wealthy parents, be born into a rich family (II) break the bank; win all the money that is being risked at a game of chance, esp. in a casino (I) break the ice; ease the nervousness or formality in a social situation by a friendly act, conversation etc. (I) break the record; go faster, be greater, do better etc. than was ever the case before (I) bring home the bacon; succeed in doing something, e.g. in earning enough money to support one's family (II) burn the midnight oil; work very late, especially to study (II) bury the hatchet; agree to be friends after having a quarrel, esp. a long one (I) bust a gut; make a great effort (to do sth.) (I) button your lips; keep silent (II) by word of mouth; spoken and not written (II) call a meeting; ask that people assemble for a meeting (I) call the shots; control events or a situation, decide what should be done and when (I) call the tune; control affairs, events, etc.; be in a powerful and controlling position (I) can't believe my ears; cannot accept something one has just heard (II) carry a torch (for someone); be in love (with someone), especially someone who does not return one's love (II) carry the can; accept the responsibility (for so. or for sth. that so. else has done) (I) cash in your chips; die (II) cause a stir; shock or alarm people (I) cause an uproar; cause an outburst or sensation (I) chew the cud; think deeply about sth. (I) chew the fat; talk about affairs, events, etc., esp. those of other people, in a careless way (II) clear the air; reduce or get rid of misunderstandings, doubts or worries, esp. by talking about them (I) clear the decks; make everything ready, esp. before great activity, a fight, etc. (I) climb on the bandwagon; begin to do something that other people are doing, e.g. to support a politician or plan because it seems to be profitable or advantageous (II) climb the walls; be extremely anxious, bored, excited (I) come up roses; have a happy or successful result (II) cook his goose; ruin the chances of success of a person, organization, etc. (II) cook the books; change the written details or records of what a business, organization, person etc. has spent and earned, esp. in order to take money unlawfully (I) cool his heels; have nothing to do, especially while being kept waiting (II) cost a bomb; cost a large amount of money (I) cost an arm and a leg; cost (someone) a large amount of money (II) count the cost; consider the risks, possible difficulties and losses before doing sth. (I) cover the territory; deal with many things, much space or much information from many points of view (I) cover up one's tracks; hide one's activities or movements, especially when these would show one's guilt in a crime, etc. (II) crack a book; open a book to study (I) crack a bottle; open a bottle, esp. a bottle of wine, and drink it, often in honour of a special occasion (I) crack ajoke; tell a joke (I) crack a smile; smile a little, perhaps reluctantly (I) crack the whip; use one's power or influence over other people in a vigorous or severe manner; be in control (I)

213 69.

cramp someone's style; make it difficult for someone to do something in the way that he likes or is accustomed to do it (II) 70. cut a caper; dance about in an excited way; act in a joyful foolish manner (I) 71. cut a dash; try to impress others, esp. by wearing smart clothes or spending a lot of money (I) 72. dance to another tune; behave in a completely different way, especially when one is forced to do so; express completely different opinions (II) 73. deliver the goods; produce the results that one is expected to produce (I) 74. do a bunk; disappear or go away unexpectedly (I) 75. do the honours; take charge of of a situation and act as the host, e.g. introduce people to one another or serve people at a meal (I) 76. do the rounds; visit a number of people or places, usu. in a customary order (I) 77. do the trick; have the desired effect; fulfil one's or its purpose or intention (I) 78. draw a blank; fail to discover or find out about sth. after searching hard and asking many questions (I) 79. draw the line; set limits (to one's own or another person's behaviour, etc.), esp. when one refuses to go past these limits (I) 80. dressed to kill; (esp. of a woman) dressed in clothes that are intended to attract attention (II) 81. drive a hard bargain; try to get results very favourable to oneself, especially in a business agreement (II) 82. drop a brick; make a mistake, esp. to do or say sth. wrong or unsuitable in a particular sit. (I) 83. eat his words; admit that something one has said was wrong; take back humbly something one has said (II) 84. face the music; face the difficulties arising from sth. one has done (I) 85. fall from grace; lose favour, especially because of a bad or foolish action (II) 86. fall on deaf ears; (of requests for help, etc.) be or remain unnoticed or disregarded (II) 87. fan the flames; make an already difficult situation, e.g. an argument, worse by one's actions or words (I) 88. feather one's nest; make sure of one's own profit, etc., especially in a dishonest way (II) 89. fit as a fiddle; in very good physical condition; very healthy (II) 90. fit the bill; do or be everything that is needed or expected (I) 91. flash in the pan; something that only lasts for a very short time, e.g. a success or something that has not happened before and is unlikely to happen again (II) 92. flip a coin; let chance decide between two possibilities by throwing a coin in the air (I) 93. fly a kite; find out what the public think of a subject by spreading stories, suggestions, etc. (I) 94. fly the coop; escape; get out or get away (I) 95. follow the crowd; do or say the same as most other people, esp. because one is weak or has no ideas of one's own (I) 96. food for thought; something that leads one to think carefully and which itself provides material for consideration (II) 97. foot the bill; pay for sth., esp. sth. expensive or extravagant (I) 98. force someone's hand; make a person do something that he may not want or be ready to do (II) 99. frighten out of one's wits; frighten (so.) so much that he does not know what he is doing (II) 100. frog in one's throat; be unable to speak clearly bee. one needs to cough or has a sore throat (II) 101. get a grip; take or keep firm control (of a situation, oneself, disobedient persons etc.) (I) 102. get the blues; become sad or depressed (I) 103. get the brushofif; be ignored, sent away, rejected (I) 104. get the eye; to be looked at or stared at, either with interest or liking or in a cold and unfriendly way (I) 105. get the floor; receive official permission to address the audience (I) 106. get the hump; be or become displeased, annoyed etc. (I) 107. get the message; understand what so. means (I)

214 108. 109. 110. 111. 112. 113. 114. 115. 116. 117. 118. 119. 120. 121. 122. 123. 124. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131. 132. 133. 134. 135. 136. 137. 138. 139. 140. 141. 142. 143. 144. 145. 146. 147. 148. 149.

get the nod; get chosen (I) get the picture; understand the situation (I) get the sack; get fired, be dismissed from one's employment (I) get your goat; cause someone much annoyance (II) gild the lily; attempt to improve so. or sth. that is already attractive, esp. in a manner that spoils the object's original worth or appearance (I) give (someone) the creeps; cause (someone) to have feelings of dislike, fear, nervousness, etc., esp. so that he has the sensation of something moving slowly over his flesh (II) give (someone) the willies; cause (someone) to feel nervous or very anxious (II) give it a whirl; try (sth. or so. new) to see if it works well or if one likes it (II) give plenty of rope; let (someone, especially a foolish person) act as he pleases and he will cause his own ruin, destruction, etc. (II) give the cold shoulder; be unfriendly to (someone), especially by refusing to speak to or meet him, usually because one is angry, offended, etc. (II) go the limit; do as much as possible (I) go the whole hog; do something as completely and thoroughly as possible (II) go to pieces; fall into a bad condition; especially (of a person) to become suddenly confused or distressed (II) grease the wheels; make doing or getting sth. easier; help things to run smoothly (I) handle with kid gloves; treat (a person, situation, etc.) gently or with caution (II) have a ball; have great fun; enjoy oneself very much (I) have a fit; be very angry (I) have a fling; do or say exactly what one wishes; enjoy oneself freely, esp. before or after a period of seriousness, work, etc. (I) have a go; make an attempt (at sth. or doing sth.) (I) have a stab; use or try sth. (I) have an axe to grind; be trying to gain personal profit or advantage (II) have an out; have an excuse, have a means of escape or avoiding sth. (I) have cold feet; become nervous or afraid and not wish to be involved in a very important decision or a difficult or dangerous situation (II) have egg on your face; be shown to be foolish (or silly) (II) have the heart; be willing (to do sth.), to be cruel enough to do sth. (I) hit a snag; run into a problem (I) hit the books; begin to study (I) hit the bottle; drink (alcoholic drinks) heavily (I) hit the ceiling; become very angry (I) hit the headlines; be brought to the notice of the public, esp. suddenly (I) hit the jackpot; have a great success or a piece of good luck, esp. to win a lot of money (I) hit the road; begin a journey; start to move or travel (I) hit the roof; become very angry (I) hit the sack; lie down to sleep; go to bed (I) hit the sauce; drink alcohol, especially heavily and habitually (I) hit the spot; be exactly right (I) hitch a ride; get a ride from a passing motorist (I) hold the aces; be in a position of control because one has greater power or advantages than another (I) hold the fort; look after a business, organization, state of affairs, etc., while the person who is usually in charge or responsible is absent (I) hold your horses; stop or wait, especially to control oneself before acting hastily (II) horse of another color; quite a different matter, question, or point (II) in a pickle; in an awkward or difficult situation (II)

215 150. in hot water; in trouble (II) 151. in seventh heaven; in a state of great happiness or contentment (II) 152. in the nick of time; at the last possible moment (to prevent something unpleasant or bad from happening or to gain a desired result) (II) 153. jump the gun; be too hasty, e.g. in beginning sth. new that has not been completely decided upon, start before everyone else (I) 154. keep a level head; be calm, sensible, and able to judge well, especially in difficult situations (II) 155. keep an ace up your sleeve; have an idea, plan, piece of information, etc., that one keeps secret in order that it may be used at the best possible moment (II) 156. kick a habit; break a (bad) habit (I) 157. kick the bucket; die (I) 158. kick up your heels; enjoy oneself, especially in complete freedom (II) 159. know the score; know all that there is to be known about a situation, esp. to realize the bad things or difficulties of life (I) 160. lay down the law; give orders or express one's opinion with great force, often when one has no right to (II) 161. lead up a blind alley; an activity, sit., etc., that does not lead to any success or advantage (II) 162. learn by heart; learn or know (a piece of writing, etc.) thoroughly, so that one can remember it exactly (II) 163. learn the ropes; learn all the details, rules and organization of a business, method, etc. (I) 164. lend (someone) an ear; listen to or pay attention to (so.'s statement, request, etc.) (II) 165. lend a hand; give so. some help (I) 166. let the cat out of the bag; make known something that was a secret, especially to make it known accidentally and at the wrong time (II) 167. letter of the law; the exact meaning of a written agreement, law, etc. (II) 168. lie through one's teeth; tell lies in an open and unashamed manner (II) 169. lift a finger; make any effort (to do sth., esp. to give help to so.) (I) 170. live a lie; follow a way of life or continue doing sth. which one feels (knows) is dishonest (I) 171. long arm of the law; the control or power of the law, especially when it seems to stretch over a wide area (II) 172. look the part; have the appearance, e.g. in one's clothes, manner of behaving, etc., of being a particular kind of person (I) 173. lose face; lose the respect or good opinion that others have of one; be made humble (II) 174. lose one's touch; lose one's usual skill; no longer be as skilful! as one has been (II) 175. lose the day; lose in a competition, argument etc., be unsuccessful (I) 176. lose the thread; fail to follow the course or development (of an argument, conversation etc.) (I) 177. lose your cool; become excited, angry, etc., lose control of one's feelings (II) 178. lose your grip; lose control (of a job, situation, etc.), e.g. to allow the quality of one's work to become worse (II) 179. make a clean sweep; cause a complete change, e.g. by getting rid of unwanted pers. or th. (II) 180. make a fuss; make a bother about so., argue about so. or sth. (I) 181. make a killing; make a great profit, esp. quickly, easily, through being clever in business (I) 182. make a living; earn enough money to live on (I) 183. make a move; leave, depart; to begin to act; take the first action towards doing sth. (I) 184. make a pass; attempt to begin a sexual relationship with someone (I) 185. make a pile; make a lot of money (I) 186. make a splash; attract much attention (I) 187. make no bones about; say or do (something) without restraint, delay, or deception (II) 188. make the grade; do as well as is expected; succeed (I) 189. make the running; be the leader, e.g. in a competition, set the fashion or stand, in an activity (I) 190. make the scene; be present, arrive at a certain place or event (I)

216 191. miss the boat; be too late or fail to take advantage of a chance when it is offered (I) 192. miss the mark; do sth. unsuccessfully; esp. to make a wrong judgement (I) 193. muddy the waters; cause confusion in a situation, discussion, etc., that had been clear and simple before (I) 194. name the day; say on which day a wedding or other formal event is to take place (I) 195. nip in the bud; put an end to (an action, situation, etc.) before it has properly begun (II) 196. nurse a grudge; keep a feeling of envy or dislike towards some person (I) 197. oil the wheels; make doing or getting sth. easier; help things to run smoothly (I) 198. out of the blue; unexpectedly; without warning (II) 199. out of thin air; from nothing; from nowhere (II) 200. over the hill; (of a person) past one's youth and becoming old; past the worst part, especially of an illness, and getting better (II) 201. overstep the mark; go beyond permitted limits, do more than is allowed (I) 202. pack a punch; provide a burst of energy, power, or excitement; have an effect, e.g an alcoholic drink (I) 203. pad the bill; put unnecessary items in a bill to make the total cost higher (I) 204. paint the town; go out to drink and have a good time; celebrate wildly (I) 205. par for the course; not different from what one would usually expect; typical; average (II) 206. pass the buck; pass on to so. else a responsibility that one should accept for oneself (I) 207. pass the hat; attempt to collect money for some (charitable) project (I) 208. pave the way; make everything ready (for sth.) (I) 209. pay a call; go to the toilet (I) 210. pay lip service; express agreement (with an idea, statement, etc.) without sincerely meaning it or without taking action in support of it (II) 211. pay the earth; pay a large amount of money (I) 212. pay the piper; pay the cost of a loss, job, sth. enjoyed etc. (I) 213. pay through the nose; pay a very high price (for something) (II) 214. play a part; be concerned (in an activity, course of events etc.); help towards doing sth. (I) 215. play by ear; deal with (matters) as they arise, without making plans in advance (II) 216. play the field; take advantage of all the chances offered to one, esp. to have several different boyfriends or girlfriends without becoming emotionally tied to one in particular (I) 217. play the fool; behave foolishly, sometimes in order to amuse other people (I) 218. play the game; behave in a just, honourable, and fair manner (I) 219. play the market; try to make money on the stock market by buying and selling stocks (II) 220. play with fire; take risks, especially when these are foolish and unnecessary (II) 221. pop the question; ask so. to marry one (I) 222. pound the pavement; walk through the streets looking for a job (I) 223. pour one's heart out; tell all one's personal worries, problems, feelings, etc. (to someone) (II) 224. praise to the skies; express great admiration for (someone or something); speak highly of (a person or thing) (II) 225. pull someone's leg; make fun of a person in a friendly way, e.g. by trying to make him believe something that is not true (II) 226. pull the plug (on something or someone); stop being supportive of it or them; destroy them or it, e.g. by cutting off supplies, finance, etc. (II) 227. put the screws on; use force or threats to make (someone) do something (II) 228. rack one's brains; find out someone's ideas and use his knowledge of a subject (II) 229. raise an eyebrow; show surprise, e.g. by moving one's eyebrows (I) 230. raise the roof; make a great deal of noise, esp. because of excitement or anger (I) 231. rake over the coals; discuss or examine memories of the past, especially unpleasant ones; return to an argument, discussion etc. that has been left or forgotten (II)

217 232. rattle the sabre; express anger, fierceness etc. without actually taking action to support these feelings; attempt to impress or make so. afraid by a show of anger etc. (I) 233. read between the lines; discover the true facts or a person's real feelings or opinions that are not directly expressed in words; understand more than is actually written or spoken (II) 234. return the compliment; do or say the same things that another person has done or said to one, esp. to invite the other person to have a meal, come to one's house etc. (I) 235. ride the storm; control or deal with a situation of great disorder or violence (I) 236. ride the tiger; live in a very uncertain or dangerous way (I) 237. ring a bell; remind so. of sth. (I) 238. ring the changes; give or add variety, esp. by doing or arranging things in a different way (I) 239. rise to the bait; act in exactly the manner that so. else hoped one would; often to be drawn in a situation, especially in a conversation, that gives amusement to others (II) 240. rob the cradle; marry or date so. who is much younger than you are (I) 241. rock the boat; spoil or trouble a comfortable situation, esp. unnecessarily (I) 242. rule of thumb; a rough or inexact guide or principle used for quick calculations or to get things done quickly (II) 243. rule the roost; be the master or most powerful person in a family, group etc. (I) 244. rule with an iron fist; control or rule (a person, group of people, country, etc.) very severely (II) 245. run a mile; avoid something (I) 246. run into the ground; go into hiding (II) 247. run the gauntlet; risk danger, anger, criticism, etc. (I) 248. save the day; bring success when failure seems certain (I) 249. save your skin; escape or help someone to escape from a danger, e.g. of being killed or hurt or of failing to do something (II) 250. say a mouthful; say a lot, say sth. very important or meaningful (I) 251. say the word; give approval; express one's intentions to so. (I) 252. scratch the surface; just begin to find out about sth. (I) 253. scream blue murder; make a great deal of noise, especially in complaint (II) 254. seal one's fate; ensure that something, especially something unpleasant, happens to someone or oneself in the future (II) 255. see the light; understand or agree with sth., esp. sth. one has been unable to understand or has not agreed with before (I) 256. see the world; have experience of life, esp. in many different countries and under widely varying conditions of wealth, misfortune etc. (I) 257. seize the opportunity; take advantage of an opportunity or situation (I) 258. set the pace; establish the speed or rate at which, or the manner in which, an activity is to be carried out (I) 259. set the scene; describe a place or situation in detail (I) 260. settle a score; get revenge for a wrong or injury that one has suffered (I) 261. shoot the breeze; talk; have an informal conversation (I) 262. shoot the rapids; do sth. that is risky or dangerous (I) 263. show the flag; make clear what one's opinions are, esp. to support them against opposition (I) 264. shut your trap; stop talking or say nothing (II) 265. sit on the fence; not to make any clear choice or decision between two possibilities or opposing groups of people; not take sides (II) 266. skate on thin ice; do something dangerous (II) 267. slip one's mind; be forgotten (II) 268. smell a rat; suspect that sth. is wrong, that so. is trying to deceive one (I) 269. speak your mind; say clearly what one thinks without fear; speak honestly and openly (II) 270. spend a packet; spend a large amount of money (I) 271. spill the beans; reveal or make known sth. that has been kept secret (I)

218 272. spin a yam; make an excuse by telling an untrue story (I) 273. split the difference; (of two or more people) agree on a figure halfway between two figures, esp. between the amount one person is willing to pay and the price for which another will sell (I) 274. stand a chance; have a chance (I) 275. stay the course; continue sth. through to the end in spite of difficulties (I) 276. steal someone's thunder; spoil a person's attempt to be impressive by doing what he had intended to do before him (II) 277. steal the show; attract all the attention, take attention away from others (I) 278. stir the blood; cause so. to become excited or eager (I) 279. stretch a point; give an inaccurate (but partly true) account (I) 280. strike a bargain; reach an agreement on a price for sth. (I) 281. strike a chord; make one remember so. or sth.; be familiar in some way (I) 282. sugar the pill; make sth. that is necessary but unpleasant seem attractive (I) 283. swallow one's pride; do something even though one would usually feel ashamed to do it (II) 284. sweep the board; win all the prizes, gain the greatest amount of success (I) 285. swing the lead; avoid doing one's work or duty (I) 286. take a spill; have a fall, tip over (I) 287. take someone to the cleaners; cause (someone) to lose all or a great deal of money, etc., esp. through betting or failing in business (II) 288. take the back seat; take or be given a position of less importance, influence, etc. (II) 289. take the bait; react as so. wanted you to (I) 290. take the biscuit; be the best or worst of sth. (I) 291. take the bull by the horns; deal with something difficult boldly or without delay (II) 292. take the cake; be the best or worst of sth. (I) 293. take the plunge; make a decision to do sth. risky, dangerous, or difficult (I) 294. take the stand; go to and sit in the witness chair in a courtroom (I) 295. take with a grain of salt; doubt that (something, especially a statement) is completely true, important, effective, etc. (II) 296. talk a mile a minute; speak rapidly and without a pause (II) 297. throw the book at; charge (a person) with several faults or crimes at once; criticize or punish (a person) severely (II) 298. throw to the wolves; allow (a person one no longer has use for) to be put in a dangerous or difficult situation, e.g. to take the blame (II) 299. tickle the ivories; play the piano (I) 300. tie the knot; get married (I) 301. tip of the iceberg; the smallest sign of a larger problem, difficulty, situation, etc. (II) 302. tip the balance; influence (decide) the result of an event in one particular way when several results are possible (I) 303. tip the scales; decide the result of some action, event, or disagreement that is in doubt by adding a little additional weight to one of the choices (I) 304. toe the line; obey orders, accept the ideas, principles, etc. of another person or group (I) 305. turn the comer; start to get better, esp. after an illness, difficult period, etc. (I) 306. turn the tables; change a situation so that one gains a position of advantage (over one's opponent or enemy) after being at a disadvantage (I) 307. turn the tide; cause a reversal in the direction of events or in public opinion (I) 308. twist someone's arm; force or persuade someone to do something, e.g. by threats or by making a very serious request (II) 309. under someone's thumb; under the control or influence of someone (II) 310. under the weather; unwell or not cheerful (II) 311. up the ante; increase the amount of money needed and offered for sth. (I) 312. upset the apple-cart; spoil sth. that has been carefully planned (I)

219 313. walk a tightrope; be in a situation where one must be very cautious (I) 314. waste your breath; speak without effect; especially when one is trying to persuade someone of something (II) 315. wear the pants; be the ruling partner in a marriage (I) 316. wear the trousers; be the ruling partner in a marriage (I) 317. weather the storm; deal successfully with or survive a difficult time (I) 318. win the day; win in a competition, argument etc.; be successful in one's efforts (I) 319. with flying colors; completely or very successfully (II) 320. would give the world; would very much like (to do or have something, be somewhere, etc.) (II)

2 Fragebogen Dekompositionsstatus

Appendix 2 zeigt die Instruktion und einen Auszug aus dem Fragebogen, der den Sprechern für das Urteil über den Dekompositionsstatus vorgelegt wurde. Es ist zu beachten, dass das Layout des Fragebogens hier zum Zwecke der Darstellung verändert wurde.

Instruktion In der folgenden Untersuchung geht es um englische Idiome. Ein Idiom ist ein Ausdruck, der aus mehreren Wörtern besteht und eine bestimmte Bedeutung hat. Auf den folgenden Seiten sind englische Idiome mit einer Umschreibung ihrer Bedeutung aufgelistet. Ihre Aufgabe besteht darin, die Idiome in zwei Kategorien einzuteilen: in Idiome, deren einzelne Wörter zu ihrer übertragenen Bedeutung beitragen (sogenannte dekomponierbare Idiome) und in Idiome, deren einzelne Wörter nicht zu ihrer übertragenen Bedeutung beitragen (sogenannte nichtdekomponierbare Idiome). Ein Beispiel filr ein dekomponierbares Idiom ist play the market, was soviel bedeutet wie try to make money on the stock market by buying and selling stocks. Hier ist das wort play mit der Idee des try to make money verbunden, während sich das Wort market auf stock market bezieht. Ein Beispiel für ein nichtdekomponierbares Idiom ist chew the fat, was soviel bedeutet wie talk about affairs or events, especially those of other people, in a careless way. Hier haben die einzelnen Wörter des Idioms keine direkte Verbindung zur Bedeutung des Idioms. Es wird Ihnen immer zuerst das Idiom präsentiert und dann seine Bedeutung. In der dritten bzw. vierten Spalte kreuzen Sie dann bitte an, ob Sie persönlich das Idiom für dekomponierbar oder nichtdekomponierbar halten. Es gibt dabei keine „richtigen" oder „falschen" Entscheidungen; es kommt auf Ihre persönliche Einschätzung an! Entscheiden Sie sich bitte bei jedem Idiom für eine Möglichkeit. In der fünften Spalte geben Sie bitte an, wie leicht oder schwer Ihnen die jeweilige Entscheidung über Dekomponierbarkeit bzw. Nichtdekomponierbarkeit gefallen ist. Für diese Angabe des „Schwierigkeitsgrades" steht Ihnen eine Skala von 1 bis 5 zur Verfügung: 1 sehr leichte

2

3

4

5 sehr schwere Entscheidung

Tragen Sie in der fünften Spalte bitte eine „1" ein, wenn Ihnen die Entscheidung „sehr leicht" gefallen ist bzw. je nach Abstufung eine andere Zahl. „5" bedeutet „sehr schwere" Entscheidung. Beispiel:

220

Idiom

Bedeutung

play the market

try to make money on the stock market by buying and selling stocks

chew the fat

talk about affairs or events, especially those of other people, in a careless way

dekomponierbar

nichtdekomponierbar

X

Schwierigkeitsgrad 1—2—3—4—5 2

X

1

Blättern Sie jetzt bitte um und beginnen Sie mit Ihrer Einteilung in dekomponierbare und nichtdekoftiponierbare Idiome. Vielen Dank für Ihre Mitarbeit!

Auszug aus dem Fragebogen

Idiom

Bedeutung

lend a hand

give someone some help

win the day

win in a competition, argument etc.; be successful in one's efforts

make a splash

attract much attention

do the trick

have the desired effect; fulfil one's or its purpose or intention

pay the earth

pay a large amount of money

make a killing

make a great profit, esp. quickly, easily, through being clever in business

kick a habit

break a (bad) habit

toe the line

obey orders, accept the ideas, principles, etc. of another person or group

hit a snag

run into a problem

dekomponierbar

nichtdekomponierbar

Schwierigkeitsgrad 1—2—3—4—5

3 Fragebogen Bekanntheitsgrad Appendix 3 zeigt die Instruktion und einen Auszug aus dem Fragebogen, der den Sprechern für das Urteil über den Bekanntheitsgrad vorgelegt wurde. Es ist zu beachten, dass das Layout des Fragebogens hier zum Zwecke der Darstellung verändert wurde.

221 Instruktion In der folgenden Untersuchung geht es um englische Idiome. Gin Idiom ist ein Ausdruck, der aus mehreren Wörtern besteht und eine bestimmte Bedeutung hat. Auf den folgenden Seiten sind 95 englische Idiome aufgelistet. Ihre Aufgabe besteht darin, für jedes der folgenden Idiome zu entscheiden, wie gut Sie die Bedeutung des Idioms kennen. Für diese Einschätzung Ihrer Kenntnis der Bedeutung des Idioms steht Ihnen eine Skala von 1 bis 7 zur Verfügung. „1" heißt, dass Sie absolut nicht wissen, was das Idiom bedeutet. Eine Einschätzung von „4" heißt, dass Sie sich einigermaßen sicher darüber sind, was das Idiom bedeutet und „7" heißt, dass Sie genau wissen, was das Idiom bedeutet, und dies auch mit eigenen Worten ausdrücken können. Sie wissen, was das Idiom bedeutet: 1 absolut nicht

2

3

4

5

6

7 genau

Sie finden die Skala für die Einschätzung Ihrer Kenntnis der Bedeutung hinter jedem Idiom; bitte kreuzen Sie die jeweilige Ziffer an oder umkringeln Sie sie. Entscheiden Sie sich bitte bei jedem Idiom für eine Ziffer auf der Skala. Beispiel: Idiom play the market chew the fat

Einschätzung Ihrer Kenntnis der Bedeutung des Idioms

1 1

X 2

3

4

3

4

5

6

5

7

X

7

Blättern Sie jetzt bitte um und beginnen Sie mit Ihrer Einschätzung, wie gut Ihnen die Bedeutung des jeweiligen Idioms bekannt ist. Vielen Dank für Ihre Mitarbeit!

Auszug aus dem Fragebogen Idiom ride the storm blaze the trail play a part hit the roof run the gauntlet tip the balance crack a book have a ball play the fool cover the territory break the record seize the opportunity cause an uproar climb the walls fly a kite

Einschätzung Ihrer Kenntnis der Bedeutung des Idioms 1 2 3 4 5 6 7 1 2 3 4 5 6 7 1 2 3 4 5 6 7 1 2 3 4 5 6 7 1 2 3 4 5 6 7 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

2 2 2 2 2 2 2 2 2 2

3 3 3 3 3 3 3 3 3 3

4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

5 5 5 5 5 5 5 5 5 5

6 6 6 6 6 6 6 6 6 6

7 7 7 7 7 7 7 7 7 7

222 4

Fragebogen T(ra«s/a//o«)-Bedingung

Der Fragebogen der T-Bedingung ist in großen Teilen deckungsgleich mit dem Fragebogen zum Dekompositionsstatus (vgl. Appendix 2). In der T-Bedingung gab es jedoch zusätzlich die Möglichkeit, die deutsche Bedeutung der verbalen und nominalen Konstituenten der Idiome in einem Übersetzungsanhang nachzuschlagen. Appendix 4 stellt den Teil der Instruktion dar, durch den die in Appendix 2 dargestellte Instruktion ergänzt wurde sowie einen Auszug aus dem Übersetzungsanhang. Die zusätzliche Instruktion wurde eingefügt zwischen der Beispieltabelle und der abschließenden Aufforderung, nun umzublättern und mit der Einteilung zu beginnen. Der Übersetzungsanhang folgte auf die Seiten, auf denen die Sprecher ihr Dekompositionsurteil eintragen sollten. Es ist zu beachten, dass das Layout des Fragebogens hier zum Zwecke der Darstellung verändert wurde.

Ergänzende Instruktion Wenn Sie nicht entscheiden können, ob Sie das jeweilige Idiom für dekomponierbar oder nichtdekomponierbar halten, können Sie im Anhang die deutsche Übersetzung der Verben und Nomen nachschlagen, die in den Idiomen vorkommen. Diese Zusatzinformation kann Ihnen eventuell die Entscheidung erleichtern. Wenn Sie ein Wort nachgeschlagen haben, markieren Sie bitte sowohl das Idiom (z.B. unterstreichen, ankreuzen, abhaken) als auch das nachgeschlagene Wort (bitte im Anhang in dem dafür vorgesehenen Kästchen).

Auszug aus dem Übersetzungsanhang Bitte machen Sie ein Kreuz o.ä. in das Kästchen vor dem Wort, das Sie nachgeschaut haben und markieren Sie das betreffende Idiom! Vielen Dank!

• • • • • • • • • • • • • • • • • •

argue (v) bait (n) chew (v) dash (n) eyebrow (n) fly(v) gaff (n) hold (v) ivory (n) jump (v) knot (n) lend (v) meeting (n) name (v) out (adj) part (n) rattle (v) score (n)

(sich) streiten Köder kauen Schwung, Elan Augenbraue fliegen (Angeln) Landungshaken halten Elfenbein springen, einen Satz machen Knoten leihen, verleihen Treffen, Besprechung (be)nennen aus, raus (An)Teil; Rolle klappern, rasseln Punkte-, Spielstand

223

5 Biographischer Fragebogen

Appendix 5 zeigt den biographischen Fragebogen, den jeder nichtmuttersprachliche Teilnehmer an Erhebung I und II nach der eigentlichen Beurteilungsaufgabe ausgefüllt hat. Das Layout wurde hier zum Zwecke der Darstellung vereinfacht. Vielen Dank für Ihre bisherige Mitarbeit! Abschließend wäre es hilfreich, wenn Sie noch einige Angaben zu Ihrer Person machen würden. Selbstverständlich werden diese Angaben anonym behandelt. An den Stellen, wo ein • steht, kreuzen Sie bitte Zutreffendes an; wo ein steht, tragen Sie bitte selbst etwas ein. 1) Sie sind

2) Sie sind

weiblich



männlich

• Jahre alt.

3) Ihre Muttersprache ist aufgewachsen sind, bitte die verschiedenen Sprachen angeben.) (Wenn Sie mehrsprachig 4) Wie lange haben Sie in der Schule das Fach Englisch belegt? ab Klasse 5 bis Klasse ab Klasse 7 bis Klasse Sonstiges 5) Welche Abitur- oder andere Abschlussnote hatten Sie in Englisch in der Schule? Note: weiß ich nicht mehr



6 ) ZUSATZFRAGE NUR FÜR STUDIERENDE DER ANGLISTIK/AMERIKANISTIK IN WUPPERTAL

Welche Noten haben Sie laut Leistungsnachweis in den von Ihnen bereits belegten CLC Elementary Note: weiß ich nicht mehr CLC Intermediate Note: weiß ich nicht mehr CLC Advanced Note: weiß ich nicht mehr

CLCs erreicht? • • •

7) Mit welcher Schulnote von 1 bis 5 würden Sie selbst Ihre heutigen Englischkenntnisse beurteilen? (Bitte nur eine Note angeben.) Note: 8) Haben Sie außer Englisch noch andere Sprachen gelernt und wie schätzen Sie - mit je einer Schulnote von 1 bis 5 - Ihre heutigen Kenntnisse in diesen Sprachen ein? Ich habe keine andere Sprache gelernt. • Ich habe noch folgende Sprachen gelernt: 1. Note: 2. Note: 3. Note: 4. Note: 5. Note: 9) Im wievielten Semester sind Sie?

im

Semester

224 10) Welchen Abschluss streben Sie an? Magister Staatsexamen (für Lehramt) Diplom

• • •

11) Welches Fach bzw. welche Fächer studieren Sie? 12) Wie häufig waren Sie schon im englischsprachigen Ausland? noch nie • ca. mal 13) Wie lange haben Sie sich insgesamt im englischsprachigen Ausland aufgehalten? ca. Wochen / Monate / Jahre (Unzutreffendes bitte durchstreichen) 14) Was war der Grund für Ihren Aufenthalt? (Mehrfachnennungen möglich) Urlaub • Schüleraustausch • Auslandsstudium • Foreign Language Assistant • Sonstiges (bitte kurz beschreiben) 15) In welchem englischsprachigen Land waren Sie ? (Mehrfachnennungen möglich) Great Britain (= England, Schottland, Wales) • Irland (Nord-Irland eingeschlossen) • USA • Kanada • Australien • Sonstige: 16) Wie verhalten Sie sich normalerweise, wenn Sie in einem englischsprachigen Text auf ein Ihnen unbekanntes Idiom stoßen? Bitte versuchen Sie, so genau wie möglich anzugeben, was Sie dann tun und wovon Ihr Verhalten abhängt. 17) Wie verhalten Sie sich normalerweise, wenn Sie in einem englischsprachigen Text auf ein Ihnen unbekanntes einzelnes Wort stoßen? Bitte versuchen Sie, so genau wie möglich anzugeben, was Sie dann tun und wovon Ihr Verhalten abhängt. 18) Lesen Sie englischsprachige Texte und wenn ja, wie oft? nein • ja, und zwar täglich • mehrmals pro Woche • einmal pro Woche • seltener, ca. 19) Wenn Sie englischsprachige Texte lesen, was für Texte sind das? (Mehrfachnennungen möglich) Fachzeitschriften, Fachbücher o.ä. • Tageszeitungen, Wochenzeitungen o.ä. • Literatur • Sonstige, z.B.

225 20) Können Sie generell eine Tendenz angeben, ob sie mehr Kontakt zu amerikanischem Englisch oder zu britischem Englisch haben? mehr Kontakt zu amerikanischem Englisch • mehr Kontakt zu britischem Englisch • zu beiden gleich viel Kontakt •

6 75%-Beurteilerübereinstimmung (Erhebung I, NMs): 63 dekomponierbare und 29 nichtdekomponierbare Idiome und ihr jeweiliger Bekanntheitsgrad

Die folgende Auflistung gibt einen Überblick über die von den Nichtmuttersprachlern unter dem 75%-Kriterium beurteilten 63 eindeutig dekomponierbaren und 29 eindeutig nichtdekomponierbaren Idiome mit dem Mittelwert ihres jeweiligen Bekanntheitsgrades. Die Idiome sind nach ihrem Bekanntheitsgrad aufsteigend sortiert, d.h. j e kleiner der angegebene Bekanntheitsgrad, umso unbekannter ist das Idiom. Für die 63 unter dem 75%-Beurteilerübereinstimmungskriterium von den Nichtmuttersprachlern als dekomponierbar eingestuften Idiome ergibt sich: pad the bill

1,93

crack a book pay the earth tip the balance spend a packet do the round break the bank

2,27 2,43 2,60 2,64 2,73 2,79

make the grade balance the books clear the decks crack a bottle count the cost make a pile hit the bottle hit the headlines stand a chance

3,14 3,29 3,47 3,50 3,60 3,60 3,79 3,86 3,93

stay the course get the eye say a mouthful crack a joke crack a smile hitch a ride set the scene miss the boat

4,00 4,07 4,07 4,15 4,20 4,27 4,29 4,40

call a meeting miss the mark set the pace know the score get the picture oil the wheels go the limit kick a habit pass the hat sugar the pill clear the air

4,43 4,43 4,47 4,53 4,67 4,71 4,79 4,79 4,79 4,79 4,86

make the running see the world win the day seize the opportunity flip a coin overstep the mark play a part name the day hit the road draw the line pave the way hit the jackpot hold the aces live a lie lose the day

5,00 5,07 5,07 5,13 5,20 5,20 5,20 5,27 5,33 5,43 5,53 5,60 5,67 5,67 5,71

226 return the compliment scratch the surface hit the spot raise an eyebrow

5,71 5,71 5,86 5,87

play the fool break the record

6,00 6,13

get the message cause an uproar make a move follow the crowd make a living steal the show lend a hand

6,13 6,27 6,27 6,33 6,33 6,33 6,79

Für die 29 unter dem 75%-Beurteilerübereinstimmungskriterium von den Nichtmuttersprachlem als nichtdekomponierbar eingestuften Idiome ergibt sich: bust a gut do a bunk blow the gaff cut a dash get the hump have a stab

1,36 1,50 1,57 1,71 1,79 1,79

cut a caper swing the lead run the gauntlet shoot the breeze call the shots make a killing hit the sauce paint the town spill the beans strike a chord have a fling

2,00 2,07 2,10 2,14 2,21 2,43 2,50 2,60 2,67 2,71 2,73

fly a kite take the biscuit play the field make a pass jump the gun raise the roof run a mile pay a call hit the roof take the cake

3,00 3,00 3,47 3,65 3,73 3,79 3,83 3,86 3,87 3,87

climb the walls

5,27

kick the bucket

6,60

7 Alphabetische Auflistung der 171 Normidiome

Appendix 7 listet die 171 Normidiome auf, für die von Titone und Connine (1994a) muttersprachliche Urteile vorliegen. Für 41 dieser Idiome wurden in Erhebung I nichtmuttersprachliche Beurteilungen erfragt, die anderen 130 Idiome wurden in Erhebung II Nichtmuttersprachlem zur Beurteilung vorgelegt. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

a fish out of water a piece of cake add fuel to the fire against the grain armed to the teeth as like as two peas in a pod at the back of one's mind back to square one

9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

be a wet blanket be on cloud nine be the cat's whiskers be the spitting image beat to the punch beg the question behind the times below the belt

17. 18 19. 20.

21. 22.

23, 24, 25, 26.

27. 28.

29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67.

68. give it a whirl 69. give plenty of rope 70. give the cold shoulder 71. go the whole hog 72. go to pieces 73. grease the wheels 74. handle with kid gloves 75. have a fling 76. have an axe to grind 77. have cold feet 78. have egg on your face 79. hit the jackpot 80. hit the sack 81. hit the sauce 82. hold your horses 83. horse of another color 84. in a pickle 85. in hot water 86. in seventh heaven 87. in the nick of time 88. jump the gun 89. keep a level head 90. keep an ace up your sleeve 91. kick the bucket 92. kick up your heels 93. lay down the law 94. lead up a blind alley 95. learn by heart 96. learn the ropes 97. lend (someone) an ear 98. let the cat out of the bag 99. letter of the law 100. lie through one's teeth 101. long arm of the law 102. lose face 103. lose one's touch 104. lose your cool 105. lose your grip 106. make a clean sweep 107. make a pass 108. make no bones about 109. make the scene 110. miss the boat 111. nip in the bud 112. nurse a grudge 113. out of the blue 114. out of thin air 115. over the hill 116. pack a punch 117. paint the town 118. par for the course

228 119. pass the buck 120. pay lip service 121. pay through the nose 122. play by ear 123. play the market 124. play with fire 125. pop the question 126. pour one's heart out 127. praise to the skies 128. pull someone's leg 129. pull the plug (on sth. or so.) 130. put the screws on 131. rack one's brains 132. raise the roof 133. rake over the coals 134. read between the lines 135. ride the storm 136. rise to the bait 137. rule of thumb 138. rule with an iron fist 139. run into the ground 140. save your skin 141. scream blue murder 142. seal one's fate 143. shoot the breeze 144. shut your trap 145. sit on the fence

8

146. skate on thin ice 147. slip one's mind 148. speak your mind 149. spill the beans 150. spin a yarn 151. steal someone's thunder 152. steal the show 153. swallow one's pride 154. take someone to the cleaners 155. take the back seat 156. take the bull by the horns 157. take the cake 158. take with a grain of salt 159. talk a mile a minute 160. throw the book at 161. throw to the wolves 162. tie the knot 163. tip of the iceberg 164. twist someone's arm 165. under someone's thumb 166. under the weather 167. upset the apple-cart 168. waste your breath 169. wear the pants 170. with flying colors 171 .would give the world

171 Normidiome: von NMs und Ms übereinstimmend (75%-Kriterium) beurteilte Idiome

Appendix 8 listet von den 171 Normidiomen diejenigen Idiome auf, die unter dem 75%Kriterium von beiden Gruppen übereinstimmend beurteilt wurden. Es sind 17 dekomponierbare und 23 nichtdekomponierbare Idiome. 17 dekomponierbare Idiome: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

back to square one by word of mouth can't believe one's ears cover (up) one's tracks force someone's hand handle sth./so. with kid gloves lose one's cool lose one's grip play with fire

10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

praise so./sth. to the skies rule with an iron fist save one's skin seal so.'s fate speak one's mind steal the show take a back seat talk a mile a minute

23 nichtdekomponierbare Idiome: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

apiece of cake be a wet blanket blow one's top chew the fat eat one's words get one's goat have a fling have an axe to grind hit the sauce kick the bucket make a pass make no bones about sth.

13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.

nip sth. in the bud paint the town pull so.'s leg raise the roof rake over the coals shoot the breeze take so. to the cleaners take sth. with a grain of salt take the cake under the weather with flying colors

Literatur

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