Sprachlich vermittelte Geschlechterkonzepte: Eine diskurslinguistische Untersuchung von Schulbüchern der Wilhelminischen Kaiserzeit bis zur Gegenwart 9783110555578, 9783110553567

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Sprachlich vermittelte Geschlechterkonzepte: Eine diskurslinguistische Untersuchung von Schulbüchern der Wilhelminischen Kaiserzeit bis zur Gegenwart
 9783110555578, 9783110553567

Table of contents :
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
3. Methodisch-empirisches Vorgehen
4. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
5. Aushandlungen des Sagbaren: Der institutionelle Entstehungszusammenhang von Schulbüchern
6. Diskursorientierte Analyse
7. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis

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Christine Ott Sprachlich vermittelte Geschlechterkonzepte

Sprache und Wissen

Herausgegeben von Ekkehard Felder Wissenschaftlicher Beirat Markus Hundt, Wolf-Andreas Liebert, Thomas Spranz-Fogasy, Berbeli Wanning, Ingo H. Warnke und Martin Wengeler

Band 30

Christine Ott

Sprachlich vermittelte Geschlechterkonzepte

Eine diskurslinguistische Untersuchung von Schulbüchern der Wilhelminischen Kaiserzeit bis zur Gegenwart

Zugl. Diss. Universität Würzburg 2016

ISBN 978-3-11-055356-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-055557-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-055372-7 ISSN 1864-2284 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Abbildungsverzeichnis | VIII Tabellenverzeichnis | X

1.2.3 1.2.4

Einleitung | 1 Fragestellung und Konzeption der Arbeit | 1 (Gender-)Linguistik und Schulbuchforschung in Deutschland | 8 Sprache-und-Geschlecht-Forschung | 8 Zur An- und Abwesenheit der Sprachwissenschaft in der Schulbuchforschung | 20 Zum Untersuchungsgegenstand Schulbuch | 32 Forschungsdefizite | 42

2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3

Theoretische Grundlagen | 47 Sprachwissenschaft als Kulturwissenschaft | 47 Diskursanalyse als Analyseperspektive | 49 Sprache, Wissen, Diskurs | 49 Sprache als diskursive Praxis | 53 Intentionalität und Diskurs | 55 Zum Verhältnis von Repräsentation und Konstruktion | 56

3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3

Methodisch-empirisches Vorgehen | 59 Methodische Grundlagen | 59 Das Schulbuchkorpus | 67 Von der Grundgesamtheit zur Schulbuchauswahl | 67 Totalanalyse vs. Partialanalyse | 83 Analyse der Sprache im Schulbuch | 88 Identifikation analyserelevanter sprachlicher Mittel | 88 Beschreibung des Kategorienschemas | 92 Verfahren der Datenauswertung | 125

4 4.1 4.1.1 4.1.2

Ergebnisse der Schulbuchanalyse | 131 Wortorientierte Auswertung | 131 Anzahl weiblicher und männlicher Personenreferenzformen | 131 Zusammensetzung der substantivischen Personenreferenzformen | 136 Mittel der Geschlechtsspezifizierung | 184

1 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2

4.1.3

VI | Inhalt

4.1.4 4.1.5 4.1.6 4.1.7 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.5 5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 6 6.1 6.1.1 6.1.2

Mittel der Geschlechtsabstraktion | 207 Vorkommen von Paarformen | 219 Abfolgen in komplexen koordinierten Phrasen | 226 Integrierte Personenreferenzformen | 246 Auswertung der Propositionsebene | 247 Auswertung der Verbklassen | 248 Auswertung der semantischen Rollen | 250 Detailanalyse der Prädikationen | 256 Ergänzende Auswertung der Eigenschaftszuschreibungen | 287 Im Fokus: Passivität und Modalität | 295 Ergänzende Auswertung der relationierten Einheiten | 299 Auswertung der Textebene | 305 Raumsymbolik | 306 Text-Bild-Beziehungen | 308 Thematisierungen von Geschlechterstereotypie | 311 Veränderungen in Abhängigkeit von AutorInnen, Ländern und Reihen | 313 Zusammensetzung der AutorInnenteams | 313 Länderausgaben im Vergleich | 315 Schulbuchtexte im Reihenvergleich | 317 Zentrale Ergebnisse im Überblick | 319 Aushandlungen des Sagbaren: Der institutionelle Entstehungszusammenhang von Schulbüchern | 333 Grundlagen der Schulbucharbeit und Schulbuchzulassung | 334 Der Umgang mit Geschlecht in der Schulbucharbeit und im Zulassungsverfahren | 347 Nationale und internationale Rechtsgrundlagen | 350 Kriterienkataloge & Co im Ländervergleich | 355 Interviews & Co: Der praktische Umgang mit Geschlecht | 376 Zusammenfassung | 404 Diskursorientierte Analyse | 411 Epistemisch-semantische Analyse | 412 Voraussetzungen des Sprechens über Geschlecht und die Geschlechter | 413 Geschlechtstypische Wissenssegmente in den Konzepten FRAU und MANN | 430

Inhalt | VII

6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5 6.3.6 7

Zusammenführung von AkteurInnenanalyse und Schulbuchstudie | 449 Chronologische Zusammenführung: Institutionell verankerte Einflussnahmen | 450 Zur Umsetzung des redaktionellen Usus | 457 Toleranzbereiche und die Maßstabsproblematik | 462 Sozial- und kulturgeschichtliche Kontextualisierung | 465 Differenzfiguren | 468 Sonderrolle der NS-Jahre | 470 Wandeltendenzen der 1950er und 1960er Jahre | 473 Umbruch seit den 1970er Jahren | 475 Individualisierung, Verkindlichung, Privatisierung | 478 Geschlechtersensible Sprache | 481 Schlussbetrachtung | 487

Literaturverzeichnis | 495 Anhang (elektronisch ausgelagert)

Abbildungsverzeichnis Dimensionen der Korpuskompilierung | 68 SchülerInnenverzeichnis (blanco) | 80 Aufgabenstellungen in historischen Rechenbüchern (BW-99, 108) | 85 Aufgabenstellung mit Teilaufgaben (F-98, 35) | 85 Fiktionaler Bezugstext (MS-86, 77) | 86 Merkkasten, Bezugstext und Aufgabenstellung (VG-B-94, 202) | 86 Auszug aus der Datenbank | 93 Entwicklung der geschlechtsreferentiellen Vorkommen an allen PRF, uneind. PRF separat | 132 Abb. 9: Entwicklung der geschlechtsreferentiellen Vorkommen an allen PRF, uneind. PRF verteilt | 133 Abb. 10: Anteile der Appellativa relativ zu allen PRF eines Zeitabschnitts | 137 Abb. 11: Anteile der Namen relativ zu allen PRF eines Zeitabschnitts | 157 Abb. 12: Sonoritätshierarchie (auf der Grundlage von Nübling 2012b, 331) | 171 Abb. 13: Entwicklung der Sonoritätsgrade des Auslauts bei wVN und mVN | 172 Abb. 14: Entwicklung der Sonoritätsgrade des Anlauts bei wVN und mVN | 173 Abb. 15: Entwicklung der Anteile sonorer Konsonanten an allen Konsonanten in wVN bzw. mVN | 174 Abb. 16: Entwicklung der Akzentstruktur der wVN | 177 Abb. 17: Entwicklung der Akzentstruktur der mVN | 178 Abb. 18: Berühmte Frauen (n=47) nach Tätigkeitsbereichen | 181 Abb. 19: Berühmte Männer (n=587) nach Tätigkeitsbereichen | 183 Abb. 20: Anteile deadjektivischer und departizipialer Singularkonversionen an den PRF eines Zeitabschnitts | 193 Abb. 21: Lexikalische Geschlechtsspezifizierung durch Apposition bei Nachnamen und Namenkürzeln (Abb. 21-1: Apposition mit wPRF – Abb. 21-2: mPRF) | 197 Abb. 22: Anteile von in-Suffigierungen an den wPRF eines Zeitabschnitts | 201 Abb. 23: Anteile von er-Suffigierungen an den mPRF eines Zeitabschnitts | 202 Abb. 24: Anteile von Komposita auf -frau und -mann an den PRF eines Zeitabschnitts | 205 Abb. 25: Anteile von man, jemand, niemand, wer an den PRF eines Zeitabschnitts | 213 Abb. 26: Konjugationstabelle aus einem historischen Sprachbuch (SFÜ-28, 17) | 222 Abb. 27: Anteile kompleonymer Paarformen an allen PRF eines Zeitabschnitts | 224 Abb. 28: Verteilung der semantischen Verbklassen auf die wPRF relativ zu allen wPRF eines Zeitabschnitts | 249 Abb. 29: Verteilung der semantischen Verbklassen auf eind. mPRF relativ zu allen eind. mPRF eines Zeitabschnitts | 249 Abb. 30: Verteilung der häufigsten semantischen Rollen auf die wPRF relativ zu allen wPRF eines Zeitabschnitts | 251 Abb. 31: Verteilung der häufigsten semantischen Rollen auf die eind. mPRF relativ zu allen eind. mPRF eines Zeitabschnitts | 252 Abb. 32: Anteile von Hausarbeit an allen Tätigkeiten von Frauen/Mädchen eines Zeitabschnitts | 258 Abb. 33: Anteile von Hausarbeit an allen Tätigkeiten von Männern/Jungen (nur eind. mPRF) eines Zeitabschnitts | 258 Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8:

Abbildungsverzeichnis | IX

Abb. 34: Anteile Erwerbstätigkeit an allen Tätigkeiten mit wPRF oder mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) nach Zeitabschnitten – durchgezogene Linie: nicht normierte Anteile; gestrichelte Linie: normierte Anteile | 260 Abb. 35: Visualisierung der untersuchten Besitzrelationen | 263 Abb. 36: Anteile Besitztümer an allen Prädikationen mit wPRF eines Zeitabschnitts | 269 Abb. 37: Anteile Besitztümer an allen Prädikationen mit eind. mPRF eines Zeitabschnitts | 269 Abb. 38: Anteile von Verkaufshandlungen an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts | 272 Abb. 39: Anteile von Schulden-Zuschreibungen an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts | 273 Abb. 40: Anteile von Fortbewegungsverben an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts | 274 Abb. 41: Anteile epistemischer Zustandszuschreibungen an allen Prädikationen mit wPRF eines Zeitabschnitts | 278 Abb. 42: Anteile epistemischer Zustandszuschreibungen an allen Prädikationen mit eind. mPRF eines Zeitabschnitts | 278 Abb. 43: Anteile von denken an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts | 279 Abb. 44: Verteilung von vorschlagen auf wPRF und eind. mPRF, ausgewählte Zeitabschnitte | 284 Abb. 45: Anteile präsentativer Informationshandlungen an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts | 287 Abb. 46: Anteile an attributiven und prädikativen Eigenschaftszuschreibungen an allen Prädikationen mit wPRF bzw. eind. mPRF eines Zeitabschnitts | 295 Abb. 47: Anteile von Sport-Relationierungen an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts | 300 Abb. 48: Anteile von Kleidung-Relationierungen an allen Prädikationen mit wPRF eines Zeitabschnitts | 303 Abb. 49: Anteile von Kleidung-Relationierungen an allen Prädikationen mit eind. mPRF eines Zeitabschnitts | 303 Abb. 50: Anteile von Elektrotechnik-Relationierungen in absoluten Zahlen pro Zeitabschnitt | 305 Abb. 51: Darstellung erwerbstätiger Personen 1 (WR-64, 63) | 309 Abb. 52: Darstellung erwerbstätiger Personen 2 (BR-68, 88) | 309 Abb. 53: Undoing gender im Bild (MA-B-97, 102) | 311 Abb. 54: Zusammensetzung der AutorInnenteams, nach Fächern | 314

Tabellenverzeichnis Tab. 1: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Tab. 5: Tab. 6: Tab. 7: Tab. 8: Tab. 9: Tab. 10: Tab. 11: Tab. 12: Tab. 13: Tab. 14: Tab. 15: Tab. 16: Tab. 17: Tab. 18: Tab. 19: Tab. 20: Tab. 21: Tab. 22: Tab. 23: Tab. 24: Tab. 25: Tab. 26: Tab. 27: Tab. 28: Tab. 29: Tab. 30: Tab. 31: Tab. 32:

Ebenen, Objekte und Methoden der diskurslinguistischen Untersuchung | 66 Untersuchungskorpus nach Untersuchungszeiträumen | 82 Semantische Rollen des Kategorienschemas | 117 Beispielabfragen ans Kategorienschema | 128 Anteile von wPRF und mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) im diachronen Vergleich | 135 Anteile weiblich vs. eind. männlich referierender Appellativa an allen wPRF bzw. eind. mPRF eines Zeitabschnitts | 138 Verteilung der Berufsbezeichnungen auf die häufigsten 5 Tätigkeitsbereiche | 142 Zusammenfassung der Auswertung zu den Berufsbezeichnungen | 146 Vorkommen von Mutter und Vater an allen wPRF bzw. eind. mPRF nach Zeitabschnitten | 150 Zehn häufigste weiblich und eind. männlich referierende Gesellschaftsbezeichnungen | 153 Vorkommen von wVN und mVN an allen wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) | 158 Transparente diminuierte wVN nach Zeitabschnitten, alphabetisch | 164 Transparente diminuierte mVN nach Zeitabschnitten, alphabetisch | 164 Vergleich VN und transparenter diminuierter VN nach Geschlechtsreferenz | 165 Die häufigsten wVN im Schulbuchkorpus | 168 Die häufigsten mVN im Schulbuchkorpus | 169 Entwicklung der Silbenzahl von wVN und mVN nach Zeitabschnitten | 175 Verteilung der Geschlechtsreferenzen auf die Genera pro Zeitabschnitt | 187 Verteilung der Geschlechtsreferenzen auf die Singularkonversionen, uneind. separat | 194 Verteilung der Geschlechtsreferenzen auf die Singularkonversionen, uneind. verteilt | 194 Anteile der Suffigierungen an allen derivierten substantivischen wPRF | 199 Anteile geschlechtsneutraler Formen an allen PRF eines Zeitabschnitts nach Geschlechtsreferenzen | 209 Anteile der Kollektiva und Epikoina an allen wPRF bzw. eind. mPRF eines Zeitabschnitts | 214 Anteile der Unisex-Namen an allen wPRF bzw. eind. mPRF eines Zeitabschnitts | 216 Anteile generisch gebrauchter Maskulina an allen PRF eines Zeitabschnitts | 218 Anzahl kkP mit mind. einem geschlechtsspezifizierend referierenden Kern | 229 Verteilung der Erstpositionierung in gemischt-geschlechtsübergreifenden kkP eines Zeitabschnitts nach Geschlechtsreferenzen | 232 Abfolge und Silbenzahl bei w1 (n=159) in zweigliedrigen gemischtgeschlechtsübergreifenden kkP | 239 Abfolge und Silbenzahl bei m1 (n=180) in zweigliedrigen gemischtgeschlechtsübergreifenden kkP | 240 Rangfolge der häufigsten semantischen Rollen | 255 Anteile von Besitzrelationen an allen Prädikationen | 264 Anteile der Sprechaktverben an allen Prädikationen | 280

Tabellenverzeichnis | XI

Tab. 33: Anteile der Direktiva an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) | 283 Tab. 34: Vorkommen von problematisierenden Sprechakten pro Zeitabschnitt | 286 Tab. 35: Anteile von Eigenschaftszuschreibungen an allen Prädikationen mit wPRF eines Zeitabschnitts | 290 Tab. 36: Anteile von Eigenschaftszuschreibungen an allen Prädikationen mit eind. mPRF eines Zeitabschnitts | 291 Tab. 37: Anteile von Passivkonstruktionen an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts | 296 Tab. 38: Anteile von Modalverbkonstruktionen mit hohen und niedrigen Freiwilligkeitsgraden an allen Prädikationen mit wPRF bzw. eind. mPRF eines Zeitabschnitts | 297 Tab. 39: Anteile von Aussehen-Relationierungen an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts | 302 Tab. 40: Zusammensetzung der AutorInnenteams, ausgewählte Titel | 315 Tab. 41: Veränderungen von Aufgaben einer Reihe über 25 Jahre | 318 Tab. 42: Konfligierende Gleichberechtigungsverständnisse in den länderspezifischen Kriterienkatalogen & Co | 375 Tab. 43: Diskurskonstitutive Differenzfiguren für das Sprechen über Frauen/Mädchen und Männer/Jungen | 430

1 Einleitung 1.1 Fragestellung und Konzeption der Arbeit Sprache – gesprochen, geschrieben oder gebärdet – ist ein zentrales Werkzeug der Welterschließung. Kinder eignen sich beim Spracherwerb nicht nur implizites Wissen über grammatische Kategorien an. Sie lernen mit der Sprache ebenso en passant sozial relevante Unterscheidungskategorien, wie die nach Geschlecht über die Wortpaare Frau – Mann und Mädchen – Junge. Geschlecht gehört zu den wichtigsten Identitätskategorien, die im Sprachgebrauch relevant gesetzt werden (vgl. Spieß/Günthner/Hüpper 2012, 1). Erstaunlich wenig systematisch ist bislang aber dazu geforscht worden, wie Sprache im Einzelnen am Aufbau von Geschlechtervorstellungen und Rollenbildern mitwirkt. Welche abstrakteren semantischen Strukturen sind dabei im Deutschen konstitutiv für das Sprechen über Geschlecht und die Geschlechter1, oder anders gefragt: Nach welchen Strukturen ist Geschlechterwissen angeordnet und wie können diese Strukturen über die Analyse von Sprache beschrieben werden? Darin ist die epistemische Seite von Sprache angesprochen und wie von der Sprache ausgehend auf abstrakte semantische Strukturen geschlossen werden kann. Diese Arbeit geht der programmatischen Frage nach, wie Geschlechterkonzepte2 sprachlich vermittelt3 werden, und erweitert sie um die stärker nach Erklärungen suchende Frage, wie diese Geschlechterkonzepte in die untersuchten Texte gelangen. Auf dem Weg zu einer Antwort stellt sie eine linguistische Methode vor, mit der beschreibbar wird, auf welche Weise Sprache am Aufbau von Geschlechtervorstellungen mitwirkt. Sie vollzieht ferner in einem mehrstufigen Verfahren nach, wie es kommt, dass gerade diese (und keine anderen) Geschlechterkonzepte formuliert werden. Die Untersuchung erfolgt am Beispiel von Schulbüchern für den Deutschsprachunterricht und Rechen- bzw. Mathematikunterricht aus den 1890er bis || 1 Die Formulierung Sprechen über Geschlecht und die Geschlechter wird in dieser Arbeit immer wieder so oder sehr ähnlich gebraucht. Zu den Bezeichnungen Geschlecht und Geschlechter s. noch ausführlich Kapitel 1.2.1a. 2 Zum Begriff (Geschlechter-)Konzept s. ausführlich Kapitel 2.2.1. 3 Vermitteln ist hier keineswegs abbildtheoretisch zu verstehen. Der Vermittlungsbegriff richtet den Blick auf die konkret medial-materielle Form von Wissen über Geschlecht(er), rückt also in den Fokus, wie Wissen über Geschlecht(er) mitgeteilt – und im Vermittlungsprozess auch zugleich konstruiert im Sinne von reaktualisiert oder gegebenenfalls auch modifiziert – wird. Stärker als der Konstruktionsbegriff ruft vermitteln die kommunikative Dimension der TextrezipientInnen mit auf (jdm. etw. vermitteln vs. etw. konstruieren).

DOI 10.1515/9783110555578-001

2 | Einleitung

2010er Jahren (zum Korpus s. Kap. 3.2). Sie erfolgt somit an Texten, welche die Geschlechterthematik in der Regel nicht explizit behandeln. Mit dieser Textwahl ist das Interesse an selbstverständlich vorausgesetzten, nicht eigens reflektierten oder zu rechtfertigenden Systematisierungen und Zuschreibungen im Zusammenhang mit der Kategorie Geschlecht fokussiert. Die Auswahl des Gegenstands Schulbuch ist zudem in dessen medien- bzw. textsortenspezifischen4 Besonderheiten begründet. Kaum ein anderes Printprodukt begleitet einen jungen Menschen unabhängig von dessen Zugangsmöglichkeiten zu Lesegelegenheiten die Kindheit und Jugend hindurch. Und obwohl oder gerade weil den Lehrkräften heute eine Fülle an Bildungsmedien zur Verfügung steht, wird weiterhin dem gedruckten Schulbuch ein hoher Stellenwert beigemessen.5 Jüngste Untersuchungen stellen den festen Platz des Schulbuchs im Unterrichtsalltag vor allem der Kernfächer heraus (s. Kap. 1.2.3a; s. ferner 3.2.1e). Neben seiner Funktion als Hilfsmittel für die Unterrichtsgestaltung (Vorbereitung, Durchführung, Nachbereitung) kommt dem Schulbuch auch ein gesellschaftlicher Stellenwert zu. Denn das Schulbuch ist Baustein der schulischen Sozialisation von Heranwachsenden. Es soll Wissen vermitteln und Wissen angleichen, das „zu einer bestimmten Zeit als notwendig zu Erlernendes gelten soll“ (Wiater 2003, 14), und ist an der Etablierung gemeinsamer Überzeugungen beteiligt. Schulbücher geben nicht nur Fachwissen weiter, zum Beispiel zur Funktionsweise des Viertaktmotors und der aristotelischen Dramentheorie. Sie tradieren und etablieren auch beispielsweise Sprechweisen über Menschen unterschiedlicher Hautfarbe oder Nationalität und vermitteln Vorstellungen zur Rolle des Mannes in einer Gesellschaft. Dieses Wissen ist auch in Schulbüchern für scheinbar besonders sachorientierte Fächer, wie Mathematik (vgl. Postupa/Weth 2011), zu finden und hat teil daran, wie sich SchülerInnen ihr Bild von

|| 4 Der texttypologische Status von Schulbüchern wird in der Linguistik unterschiedlich bewertet. Während Becker-Mrotzek noch von Schulbüchern als „einer zentralen schulischen Textsorte“ (2000, 697f.) spricht, relativiert Adamzik diese schematische Zuordnung: „Es handelt sich nicht um eine Textsorte im engen Sinne, sondern um einen komplexen und multimedialen Verbund verschiedener Bausteine, aus denen teilweise erst im Unterricht ein kohärentes Ganzes rekonstruiert werden kann“ (2012, 53), s. auch Kapitel 1.2.3b. 5 Meister nennt das Schulbuch „das zentrale und unhinterfragte Medium zur Wissensvermittlung im Lernkontext“ (2008, 513). Zusätzliche digitale Angebote, wie CD-ROM-Aufrüstungen von Schulbüchern und Materialien, die online von den Bildungsmedienverlagen flankierend zur Verfügung gestellt werden, tragen möglicherweise gerade dazu bei, dass am vertrauten Schulbuch als Basismaterial festgehalten wird. Eine aktuelle kritische Diskussion des Schulbuchs in Konkurrenz zu alternativen Medien der Wissensvermittlung findet sich bei Hiller (2012).

Fragestellung und Konzeption der Arbeit | 3

einer Welt konstruieren, die ihnen richtig und normal erscheint. Bereits in früher Kindheit beginnen Heranwachsende, sich mit geschlechtsbezogenen Rollenvorstellungen zu vergleichen; diese Auseinandersetzung dauert bis ins Erwachsenenalter an (vgl. Blakemore/Berenbaum/Liben 2009). Schulbücher mögen da zur Verfestigung und Reproduktion von als diskriminierend befundenen Rollenvorstellungen beitragen, wobei umstritten ist, welche Relevanz Schulbuchinhalten in diesen Prozessen zuzugestehen ist (vgl. Fichera 1996, 223f.). Wenn auch die Wirkungsforschung große Leerstellen aufweist (s. Kap. 1.2.4), so braucht es dennoch zunächst oder parallel hierzu belastbare Befunde, welches Wissen Schulbüchern mitgegeben ist; diese können als Grundlage dienen für eine Operationalisierung der Fragen, wie dieses Wissen von SchülerInnen rezipiert wird und wie es sich auf deren Geschlechtervorstellungen auswirkt. Es gehört zu den Möglichkeiten bis hin zu maßgeblichen Funktionen von Schulbüchern, auf das Wertesystem und Normbewusstsein der Kinder und Jugendlichen einzuwirken; Schulbücher bergen somit selbstverständlich manipulatives, weil erzieherisches Potential (s. auch Kap. 1.2.3c). Nach Höhne (2003, 79) erfolgt die Einwirkung nach Maßgabe des gesellschaftlichen common sense.6 Weniger allgemeinverbindlich sowie verschiedene politische Systeme berücksichtigend ist es, Schulbücher als Momentaufnahmen eines Wissensbestands zu lesen, der mindestens mit den Wertvorstellungen der Kontrollinstanzen konform geht. Schulbücher wirken zum einen normierend, indem sie am Sozialisations- und Identifikationsprozess von SchülerInnen partizipieren, unterliegen zum anderen selbst Normierungen. Denn das dem Schulbuch inhärente Wissen muss offiziell autorisiert werden, bevor es für den Schuleinsatz in Frage kommt, und zwar im Rahmen eines staatlich organisierten Zulassungsverfahrens.7 Diese Textanalyse am Beispiel von Schulbüchern macht somit auch einsichtig, welches Geschlechterwissen bildungspolitischen EntscheidungsträgerInnen zu einer Zeit als akzeptabel oder wünschenswert galt und welches Geschlechterwissen dadurch Eingang in schulisches Bildungswissen finden konnte. Das eingangs formulierte Wie-es-kommt, dass gerade diese (und keine anderen) Geschlechterkonzepte im Schulbuch vermittelt werden, kann auf unterschiedliche Weise beantwortet werden. Es wird in dieser Untersuchung einerseits auf die epistemischen Voraussetzungen des Sprechens bezogen, dass über-

|| 6 In Demokratien hat der common sense die Diskurshoheit, in autoritären oder totalitären Systemen ist das hingegen zum Teil deutlich anders gelagert (vgl. Lässig 2010, 207; Linz 2003). 7 Gegenwärtig verzichten die Stadtstaaten Hamburg und Berlin sowie die Bundesländer Schleswig-Holstein und das Saarland auf ein Zulassungsverfahren (vgl. Stöber 2010, 6).

4 | Einleitung

haupt auf diese oder jene Art über die Differenzkategorie Geschlecht gesprochen werden kann (s. Kap. 6.1). Andererseits wird das Wie-es-kommt auf die engeren und weiteren Rahmenbedingungen bezogen, in denen Schulbücher entstehen und zu denen sie sich zugleich in ihrer Auswahl an Sprechweisen positionieren. Die Perspektiven sind miteinander verschränkt, denn die kognitiv-semantischen Möglichkeitsbedingungen, im Schulbuch über Geschlecht und die Geschlechter zu sprechen, sind zeitgebunden; sie sind keine unhintergehbare Bedingung jeden Sprechens, sondern immer vorläufig (s. grundlegend Kap. 2.2.1). Wegen ihres Interesses an Voraussetzungen des Sprechens über Geschlecht und über die Geschlechter geht diese Arbeit den Schritt von der Kontextanalyse zur Diskursanalyse (s. zu den theoretischen Grundlagen Kap. 2.2). Aushandlungen, welches Geschlechterwissen in den Schulbüchern vermittelt werden soll, sind Untersuchungsgegenstand im Rahmen der Aufarbeitung des engeren Entstehungszusammenhangs von Schulbüchern (s. Kap. 5 und 6.2). Personen und Institutionen, die auf die inhaltliche sowie konkret sprachliche Gestaltung von Schulbüchern einzuwirken versuchen, werden identifiziert und institutionell verankerte Einflussnahmen (v. a. der Schulbuchzulassungsbehörden) auf ihre Durchsetzungs- sowie Innovationskraft befragt. Bei der Kontextualisierung des schulbuchimmanenten8 Geschlechterdiskurses in den weiten Entstehungszusammenhang (s. Kap. 6.3) wird das Schulbuch bzw. der Ausschnitt Schulbuch des Geschlechterdiskurses als am gesamtgesellschaftlichen Geschlechterdiskurs partizipative Instanz gewürdigt (zum Begriff Diskurs s. Kap. 2.2.1): Es werden jene diskurskonstitutiven epistemischen Strukturen mit kulturgeschichtlichen Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit in Beziehung gesetzt; außerdem zeigt dieser Teil der Arbeit, mit welchen anderen Ausschnitten des Geschlechterdiskurses (z. B. dem Geschlechterdiskurs der Reformpädagogik) das Schulbuch verbunden ist und gegebenenfalls konkurriert. Erst wenn zeitlich parallel stattfindende, potentiell alternative Sprechweisen nachvollzogen werden, wird eine Positionierung des Diskursausschnitts Schulbuch zu anderen Ausschnitten des Geschlechterdiskurses erkennbar.

|| 8 Schulbücher sind mit zahlreichen Diskursen verbunden; jede Aussage über Personen kann als dem Geschlechterdiskurs zugehörig bzw. als an diesem partizipierend betrachtet werden. Unter den Bezeichnungen Schulbuchdiskurs oder schulbuchimmanenter Diskurs wird somit ein spezifischer Ausschnitt des Geschlechterdiskurses (s. Kap. 2.2.1) verstanden. Der Geschlechterdiskurs, der beispielsweise in Pressetexten stattfindet, muss dabei zum Schulbuchdiskurs keineswegs gleich oder ähnlich verlaufen.

Fragestellung und Konzeption der Arbeit | 5

Damit sind wesentliche Aspekte angesprochen, die in der vorliegenden Arbeit behandelt werden. Die leitende Untersuchungsfrage nach der sprachlichen Vermitteltheit von Geschlechterkonzepten lässt sich in folgende vier untergeordnete Leitfragen bzw. Leitfragenkomplexe differenzieren: Wie werden Geschlechterkonzepte im Schulbuch sprachlich vermittelt?

(1) a. b. c.

Wie wird im Schulbuch über Geschlecht und die Geschlechter gesprochen? Welche sprachlichen Mittel sind an der Konstituierung von Geschlechterwissen beteiligt? Welche Geschlechterkonzepte werden entworfen? Nach welchen abstrakten semantischen Strukturen wird die Differenzkategorie Geschlecht und werden im Besonderen Geschlechterkonzepte in Sprache gebracht?

(2) Was sind die institutionellen Rahmenbedingungen für dieses Sprechen? a. Welche AkteurInnen9 verfügen über Definitionsmacht bei der Formulierung von Schulbuchwissen? b. Welchen Einfluss üben AkteurInnen auf die inhaltliche und sprachliche Gestaltung des Wissensaspekts Geschlecht im Schulbuch aus? c. Welche Geschlechtervorstellungen werden zu welcher Zeit bildungspolitisch legitimiert oder sanktioniert? (3) Wie ist der schulbuchimmanente Geschlechterdiskurs in den sozial- und kulturgeschichtlichen Zusammenhang eingebunden? Inwiefern bestimmt der weite Entstehungszusammenhang mit, was im Schulbuch zu sagen möglich ist? (4) a. b. c.

Inwiefern verkörpert sich in den Dimensionen (1)–(3) ein Wandel? Inwiefern verändert sich das Sprechen über Geschlecht und die Geschlechter? Inwiefern verändern sich die institutionellen Rahmenbedingungen? Wie ist der schulbuchimmanente Geschlechterdiskurs zu verschiedenen Zeiten in den sozial- und kulturgeschichtlichen Entstehungszusammenhang eingebunden?

Kern dieser Arbeit ist die Schulbuchanalyse oder -studie. Sie geht mit insgesamt 88 Schulbüchern und knapp 25.000 Datensätzen, im Unterschied zu vielen bisherigen Schulbuchstudien vor allem, aber nicht nur zum Untersuchungsaspekt Geschlecht, systematisch vor, d. h., die Ergebnisse der Untersuchung beruhen auf einer vergleichsweise großen Stichprobe (s. Kap. 3.2) und haben keinen anekdotischen Charakter. Mit Schulbüchern aus den vergangenen dreizehn Jahrzehnten wählt diese Arbeit zudem einen diachronen Zugang, der Vergleiche von Zeitabschnitten untereinander ermöglicht und Wandelerscheinungen, aber

|| 9 Ich wähle die geschlechtersensible Formulierung AkteurInnen anstelle von Akteure und akzentuiere damit die personale Dimension sozialer Handlungen im Vergleich zur institutionellen (s. auch Kap. 2.2.3).

6 | Einleitung

auch Traditionen erst sichtbar macht. Gerade Untersuchungen, die sich – sicherlich aus guten Gründen – auf eine Epoche, wie zum Beispiel die NS-Zeit, konzentrieren, können zwar Aussagen darüber treffen, wie Geschlecht als Kategorie sozialer Unterscheidung versprachlicht wird; sie können aber in dieser Fokussierung nur eingeschränkt einschätzen, ob jenes Sprechen – um im Beispiel zu bleiben – NS-typisch in Abgrenzung zur Zeit vor- und nachher ist. Im Vorgehen unterscheidet sich diese Untersuchung außerdem von älteren Schulbuchanalysen zu Rollenvorstellungen (vgl. z. B. Lopatecki/Lüking 1989) und zwar vor allem, weil diese Untersuchung am Sprachgebrauch ansetzt. Analyseansätze zur Identifizierung von Geschlechterstereotypen können schwerlich überzeugen, bei denen Schulbücher auf vorab definierte Typologien durchgegangen werden (s. zu diesen Studien Kap. 1.2.2b) und welche direkt im ersten Schritt fragen, welches Stereotyp – wütender Junge und um sozialen Ausgleich bemühtes Mädchen – wo im Text zu finden ist. Stereotype10 werden in der vorliegenden Untersuchung gerade nicht zum Ausgangspunkt der Analyse gemacht, weil dies den Blick für Unerwartetes oder Widersprüchliches versperren kann; die vorliegende Arbeit wählt hingegen ein im Schwerpunkt induktives Verfahren (s. ausführlich Kap. 3.3). Ausgehend von diesem detaillierten Blick auf die Sprache setzt die Beschreibung epistemischer Strukturen an, die zu Geschlechterwissen bislang nicht konsequent sprachorientiert erfolgte. Indem diese Arbeit aus den Sprachgebräuchen dem Sprechen zugrunde liegende epistemische Strukturen zu erschließen versucht, bewegt sie sich auch auf dem Feld einer Linguistischen Epistemologie (nach Busse 2008a).11 Die Untersuchung versteht sich dabei als empirische Fundierung einer epistemologischen Diskurs- und im Besonderen Genderlinguistik. Das entwickelte Kategorienschema der Schulbuchanalyse (s. Kap. 3.3.2) und die epistemisch-semantische Analyse (s. Kap. 6.1) sind außerdem methodischer Beitrag zu einer umfassenderen Methodik genderlinguistischer Forschung. Die Arbeit als Ganze ordnet sich dabei der deskriptiven Ausprägung der Genderlinguistik zu (s. auch Kap. 1.2.2d). Zusammen mit der kontextsensitiven Perspekti|| 10 Der Terminus Stereotyp wird in dieser Arbeit nicht im Sinn von Sprachstereotyp, sondern in einem sozialwissenschaftlichen Verständnis in Orientierung an Lippman (1964 [engl. 1922]) als Denkstereotyp, als sozial geteilte Vorstellungen über Personen als Mitglieder einer sozialen Gruppe, gebraucht (vgl. auch Zybatow 1995), auf das sich die sozio- oder diskurslinguistischen Untersuchungen von Reichelt (2014, v. a. 56–66), Stocker (2005) und Frank (1992) beziehen (vgl. ferner Quasthoff 1973; 1987). 11 Das bedeutet aber nicht, dass diese epistemischen Strukturen der Sprache vorgängig oder von ihr unabhängig wären.

Fragestellung und Konzeption der Arbeit | 7

vierung von Text ist damit das Profil des Dissertationsprojekts beschrieben. Es ist darin anschlussfähig an kulturwissenschaftlich interessierte Teildisziplinen der Linguistik und mit dem Interesse an der Ko(n)textverbundenheit von Sprache sowie dem diachronen Ansatz an die historische Sprachgebrauchsforschung. Es greift ebenfalls Gegenstandsbereiche und Leerstellen der Bildungsmedienforschung sowie Bildungs- bzw. Bildungssystemforschung auf, der Sozial- und Geschlechtergeschichte und Wissenssoziologie. Auf die wichtigsten Bezugsdisziplinen gehe ich im Verlauf dieser Arbeit ein. Die Genderlinguistik und Schulbuch- bzw. in einem weiteren Verständnis die Bildungsmedienforschung sind als die thematisch und in Bezug auf den Gegenstand einschlägigen Bezugsdisziplinen zu nennen. Die Diskurslinguistik weist neben der Genderlinguistik einschlägige theoretische Anschlussstellen auf und hat außerdem einen wesentlichen Teil zur Konzeption und Methodik dieser Arbeit beigetragen (s. im Besonderen Kap. 3.1). Die Arbeit gliedert sich nun wie folgt: Zunächst erfolgt im Rahmen des Kapitels 1.2 die disziplinäre Kontextualisierung zum einen in die Genderlinguistik, zum anderen in die Schulbuchforschung, in deren Zusammenhang auch das Verhältnis der Disziplinen (Gender-)Linguistik und Schulbuchforschung zueinander, bisherige Forschungsschwerpunkte sowie -defizite thematisiert werden. Daran schließen knapp gehaltene Ausführungen zu den theoretischen Grundlagen dieser Arbeit an, welche in der kulturwissenschaftlichen Linguistik im Allgemeinen und der Diskurslinguistik sowie der Genderlinguistik in Anlehnung an Foucault im Besonderen zu finden sind (Kap. 2). Diese bereiten das Kapitel 3 zum methodisch-empirischen Vorgehen vor. Hier werden die methodischen Grundlagen der Arbeit, das Schulbuchkorpus sowie das Verfahren der Schulbuchanalyse vorgestellt und die Analyseebenen Intratext, AkteurInnen und Diskurs in Beziehung zueinander gesetzt. In ihrem weiteren Aufbau unterscheidet sich die Arbeit von der Abfolge der genannten Fragenkomplexe (1) bis (4). Die hierarchieniedrigeren Leitfragen sind den drei Analyseebenen folgendermaßen zugeordnet: Auf Analyseebene der Schulbücher, der intratextuellen Analyse (Kap. 4), werden die sprachlichen Mittel, die an der Konstituierung von Geschlechterwissen und im Besonderen an der Konstruktion von Geschlechterkonzepten beteiligt sind, analytisch beschrieben. Die Ebene umfasst somit die Frage (1.a) und bereitet eine Antwort auf (1.b) vor. Anschließend wird untersucht, wie es kommt, dass gerade diese (und keine anderen) Geschlechterkonzepte im Schulbuch vermittelt werden. Zunächst wird der institutionelle Entstehungszusammenhang von Schulbüchern (Kap. 5) aufgearbeitet und hierin dem Fragenkomplex (2) nachgegangen. Hierbei werden Aushandlungsprozesse zu Geschlechterwissen nachgezeichnet. Im

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Rahmen der diskursorientierten Analyse (Kap. 6) werden bisherige Untersuchungsergebnisse zusammengeführt sowie neu perspektiviert: Erstens wird das erhobene Sprachmaterial auf abstrakte semantische Strukturen befragt, die Voraussetzung für das Sprechen über Geschlecht und die Geschlechter sind, und darauf ausgewertet, welche Geschlechterkonzepte Schulbücher etablieren; Erstens beantwortet damit die Fragen (1.b) und (1.c). Zweitens wird die Teilfrage (2.b) nach den AkteurInnen und institutionellen Einflussnahmen auf Schulbuchwissen mit den Schulbuchstudienergebnissen in Verbindung gesetzt. Und drittens wird der schulbuchimmanente Geschlechterdiskurs in seiner diskursiven Verbundenheit mit dem sozial- und kulturgeschichtlichen Entstehungszusammenhang in den Blick genommen und auf die Leitfragen (3) eine Antwort gegeben. Der Fragenkomplex (4) zu Wandelphänomenen wird auf allen Analyseebenen thematisiert.

1.2 (Gender-)Linguistik und Schulbuchforschung in Deutschland Die Genderlinguistik bzw. die Sprache-und-Geschlecht-Forschung (zur Unterscheidung s. den folgenden Gliederungspunkt) und die Schulbuchforschung sind bereits hinsichtlich des Untersuchungsthemas und hinsichtlich des Gegenstands Schulbuch als einschlägige Bezugsdisziplinen benannt. Die Spracheund-Geschlecht-Forschung wird im Folgenden in Grundzügen vorgestellt (Kap. 1.2.1), die vielgestaltige Schulbuchforschung dabei in Bezug zu dieser gesetzt (Kap. 1.2.2) und das Schulbuch auf seinen textlichen Status befragt (Kap. 1.2.3). An diese Gegenstandsbeschreibung Schulbuch schließt eine knappe Darstellung von Forschungsdefiziten der gegenwärtigen Genderlinguistik, der schulbuch- und bildungsmedienbezogenen Linguistik und der Schulbuch- und Bildungsmedienforschung an; hierbei wird darauf eingegangen, an welchen Leerstellen und Defiziten diese Arbeit ansetzt (Kap. 1.2.4). Einschlägige Termini, wie Geschlecht, (Kon-)Text und Schulbuch, werden im Lauf des Kapitels 1.2 geklärt.

1.2.1 Sprache-und-Geschlecht-Forschung a) Entwicklung der Disziplin Die Sprache-und-Geschlecht-Forschung ist jener Zweig der germanistischen Linguistik, der sich mit der sprachlichen Dimension der Geschlechterthematik befasst. Begründet wurde die linguistische Disziplin in den 1970er Jahren durch

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die feministische Sprachwissenschaft (auch: feministische Linguistik), die aus gesellschaftskritischer Perspektive auf Sprachgebräuche blickt und ihre Wurzeln in der angloamerikanischen Soziolinguistik sieht (vgl. Hellinger 1990, 9).12 Aber nicht erst seit den 1970er Jahren setzen sich WissenschaftlerInnen aus sprachlicher Sicht mit der Kategorie Geschlecht auseinander. Mitte des 17. Jahrhundert war der Mythos einer Frauensprache in den kolonisierten Gebieten begründet und in ethnolinguistischen Publikationen tradiert worden (zur Übersicht vgl. Glück 1979). Jespersen (1925 [engl. 1922], 220) nimmt unter anderem auf diese frühen Arbeiten Bezug und attestiert Frauen in seiner Sprachphilosophie eine beschränktere Sprachfähigkeit im Vergleich zu jener von Männern.13 Sehr viel älter als dieser Ansatz ist die Tradition in der Grammatikschreibung, die bis auf Protagoras zurückgeht, die grammatische Kategorie Genus mit anthropologischen Kategorien in Verbindung zu setzen oder aus diesen abzuleiten (vgl. Forer 1986; Leiss 1994; Irmen/Steiger 2005); die Sprache-und-GeschlechtForschung spricht in diesem Zusammenhang von einer „Sexierung“ (Leiss 1994, 294) oder „Sexualisierung“ der Grammatik (Irmen/Steiger 2005, 218), bei der auch Geschlechterstereotype und soziale Hierarchisierungen auf das Genussystem übertragen wurden. Eine Vielzahl an älteren „Genustheorien reflektierte die vorherrschende Auffassung über die soziale und kulturelle Stellung der Geschlechter“ (Irmen/Steiger 2005, 229), Grimms Position gehört zu den bekanntesten: das masculinum scheint das frühere, größere, festere, sprödere, raschere, das thätige, bewegliche, zeugende; das femininum das spätere, kleinere, weichere, stillere, das leidende, empfangende; das neutrum das erzeugte, gewirkte, stoffartige, generelle, unentwickelte, collective […]. Diese kennzeichen stimmen zu den bei dem natürlichen genus oben S.[…] aufgestellten. (Grimm 1890 [1831], 357)

Die Beziehung sprachlicher und sozialer Kategorien ist somit in der Grammatikschreibung des Deutschen früher Diskussionsgegenstand (vgl. auch Doleschal 2002). Auch die feministisch-kritische Sicht auf Sprache kann auf eine weiter

|| 12 Vgl. ferner die frühen Publikationen aus dem Angloamerikanischen: Key (1975) und Lakoff (1975). 13 Dies äußere sich beispielsweise in einer einfacheren Syntax (v. a. in der Verwendung von Parataxen), Frauen seien weniger innovativ im Sprechen und wiesen einen geringeren Wortschatz auf, weswegen sie schneller und länger sprächen. Weibliches Sprechen wird somit als defizitär im Vergleich zum männlichen Sprechen gezeichnet, was bei Jespersen (1925 [engl. 1922], 228–238) mit einem evolutionsbedingten Unterschied zwischen Frauen und Männern erklärt wird.

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zurückreichende wissenschaftliche Tradition zurückblicken. Der Linguist Baudouin de Courtenay (1923) vermutete beispielsweise, dass gesellschaftliche Ungleichheit zwischen Frauen und Männern sprachsystemisch, zum Beispiel auf Ebene der Morphologie, reflektiert würde.14 Als Begründerinnen der deutschsprachigen feministischen Linguistik gelten Trömel-Plötz (1978) und Pusch (1979). Fortgeführt wird die kritische Forschungsperspektive gegenwärtig mit Öffnung zur Queertheorie von unter anderem Hornscheidt (z. B. 2012). Breitere Akzeptanz und Bedeutung erlangten aus der frühen Sprache-und-Geschlecht-Forschung innerhalb der Linguistik die Forschungsaktivitäten beispielsweise von Schoenthal (z. B. 1989; 1998), Bußmann (z. B. 1995) und Günthner (z. B. 1992). In den vergangenen Jahren wurde für die Disziplin auch die Bezeichnung Genderlinguistik geprägt,15 die sich im Namen klarer in den inter- und transdisziplinären Gender Studies verortet, dabei weiterhin mehrheitlich in ihrer aktuellen germanistischen Ausprägung auf gesellschaftskritische Wertungen verzichtet (vgl. den Sammelband Günthner/ Hüpper/Spieß 2012; vgl. besonders Spieß 2012). Sprache, Denken und soziale Realität(en) werden in der Sprache-undGeschlecht-Forschung im Zusammenhang betrachtet. Internalisierte Geschlechtervorstellungen und die patriarchale Gesellschaftsstruktur würden sich – so die Auffassung der frühen feministischen Sprachwissenschaft – in der Sprache widerspiegeln, d. h., der Abbildcharakter von Sprache wurde herausgestellt. Das Gesprächsverhalten von Frauen, das als grundsätzlich different zu dem von Männern erachtet wurde, galt als Ausdruck für ihren inferioren sozialen Status (vgl. Trömel-Plötz 1978 in Anlehnung an Lakoff 1975). In die Kritik geriet dieser Ansatz, weil weibliches Sprechen hier defizitär erschien. Er wurde neu akzentuiert zugunsten eines wertfreien Differenzansatzes: Frauen und Männer sprechen unterschiedlich, aber gleichwertig. Kritik am Differenzansatz wiederum richtete sich vor allem auf die ihm inhärente starre Geschlechterdichotomie sowie auf eine zu stark vereinfachende Unterscheidung in eine Frauen- und eine Männersprache, die in ihrer pauschalen Kategorisierung empirisch nicht haltbar war

|| 14 „Diese in der sprache zum vorschein kommende weltanschauung, nach welcher das männliche als etwas ursprüngliches und das weibliche als etwas abgeleitetes aufgefaßt wird, verstösst gegen die logik und gegen das gerechtigkeitsgefühl. Und trotzdem ist sie so tief in die psychik von Europäern und Semiten eingewurzelt, dass sie sogar in die künstlichen hilfssprachen übergegangen ist. So finden wir z. b. in Esperanto bovo nicht nur als ‚rindvieh‘ im allgemeinen, sondern auch als ‚stier‘ […] und bovino als ‚kuh‘, patro als ‚vater‘ und patrino als ‚mutter‘.“ (Baudouin de Courtenay 1929 [1923], 231f., zit. nach Pusch 1984 [1980], 66f.). 15 Zum Teil ist auch die Bezeichnung linguistische Geschlechterforschung gebräuchlich (vgl. Bußmann 2008, 409f.).

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(vgl. zusammenfassend Klann-Delius 2005, 39–93). In den 1980er und vor allem 1990er Jahren setzte sich ein konstruktivistischer Ansatz durch.16 Seinen VertreterInnen ist die Annahme gemein, dass diejenige Wirklichkeit bzw. derjenige Wirklichkeitsentwurf, die bzw. der sozial akzeptiert ist und als normal gilt, durch unter anderem sprachliche Praktiken dazu gemacht wird. Sprache wird – einmal mehr, einmal weniger – wirklichkeitsverändernder Handlungscharakter zugesprochen und zwar insofern, als sich Veränderungen im Sprachgebrauch auf das Denken und mittelbar auch auf gesellschaftliche Verhältnisse auswirken können. Geschlecht erfuhr vor allem in den 1980er Jahren eine terminologische Ausdifferenzierung. Neben der grammatischen Kategorie Genus für ‚grammatisches Geschlecht‘ und Sex(us)/sex – oder: natürliches Geschlecht, biologisches Geschlecht, biologisches Genus, referentielles Genus (vgl. z. B. Bußmann 1995, 117f.) – etablierte sich nun gender für ‚soziales Geschlecht‘17. Geschlecht als gender gilt nicht als feste Eigenschaft einer Person, sondern als erworben und in alltäglichen Interaktionen aktiv her- und dargestellt. Die Differenzierung in sex und gender schuf neue Sichtweisen auf das Verhältnis der Geschlechter; Unterscheidungen (nach Charaktereigenschaften, Aufgabengebieten etc.) zwischen Männern und Frauen waren nicht länger in Rekurs auf körperliche Unterschiede zu erklären oder zu legitimieren. In der Geschlechterforschung wurde von West/Zimmermann (1987) und unter Einbezug der ethnomethodologischen Grundlagenforschung von Garfinkel („Agnes-Studie“ 1967) das Konzept doing gender eingeführt, welche für die stete situative Her- und Darstellung von Geschlecht steht (vgl. einführend FaulstichWieland/Weber/Willems 2009).18 West/Zimmermann (1987) grenzten sich dabei programmatisch von der gerade eingeführten Unterscheidung von Sexus und

|| 16 Zu den verschiedenen Ausprägungen vgl. ausführlicher Schwarze (2008, 191–195). 17 Soziales Geschlecht sollte nicht in eins gesetzt werden mit Hellingers gleichnamiger Bezeichnung im Zusammenhang mit personal referierenden Ausdrücken. Soziales Geschlecht steht bei Hellinger (1990, 61) für das (zunächst kotextunabhängige) prototypische natürliche (!) Geschlecht, das mit einem Ausdruck verbunden ist. Es ist beispielsweise bei der Form nach geschlechtsneutralen Ausdrücken wirksam, die überzufällig häufig mit Pronomen im Maskulinum oder Femininum aufgegriffen werden; zum Beispiel: engl. genusloses lawyer wird mit he pronominal aufgegriffen, secretary dagegen mit she. 18 Später relativierten West/Fenstermaker (1995) die Annahme, dass eine Geschlechterkategorisierung ständig und in jeder Interaktion hergestellt würde, zugunsten eines umfassenderen doing difference-Ansatzes, demzufolge unterschiedliche Kategorien der sozialen Unterscheidung (z. B. körperliche Behinderung, religiöse Zugehörigkeit, Geschlecht) je nach Situation verschieden relevant gesetzt werden können.

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gender ab, weil mit dieser Unterscheidung unveränderliche natürliche Unterscheidungskategorien zum nicht verhandelbaren Ausgangspunkt für soziale Konstruktionen von Geschlecht gemacht würden (vgl. Gildemeister 2010, 137f.). Undoing gender ergänzte das doing gender-Konzept einige Jahre später dahingehend, dass die Her- und Darstellung von Geschlecht nun flexibler perspektiviert wird: Je nach Situation kann gender unterschiedlich relevant bis hin zu irrelevant, deswegen auch: undoing, gesetzt werden (vgl. Hirschauer 1994; 2001). Die Konzepte des doing und undoing gender spielen vor allem in interaktions- und gesprächsanalytischen genderlinguistischen Arbeiten eine wichtige Rolle (vgl. z. B. Franz/Günthner 2012). Auch erkenntnistheoretisch erwies sich die noch junge Unterscheidung zwischen Sexus und gender als problematisch. Butler (1991 [engl. 1990]) und Gildemeister/Wetterer (1992) hinterfragten diese Trennung, weil damit die Geschlechterdifferenz lediglich auf den Körper verlagert würde, der aber in Weiterführung des konstruktivistischen Modells selbst nicht außerhalb diskursiver Praxis stehen könnte. Wie die Kategorie Sexus als ganze seien auch Unterscheidungen verschiedener Sexus, die anhand biologischer Merkmale (z. B. Genitalien; Chromosomen) vorgenommen werden, kulturell bedingt und damit hinterfragbar (vgl. Butler 1991 [engl. 1990], 22–24). Die poststrukturalistische und radikal konstruktivistische feministische Linguistik (wie auch verwandte Disziplinen, wie die Pädagogik) zieht aus der Problematisierung der Sexus-gender-Unterscheidung Konsequenzen und geht über Bezeichnungstraditionen der älteren feministischen Sprachkritik hinaus: Anstelle von „Genus-Sexus-Relation“ ist dort die Rede von „Genus-GenderRelation“ (vgl. z. B. Hornscheidt 2008, 145). Da die Vorstellung einer vordiskursiven ontologischen Natürlichkeit von Geschlechterkategorien problematisiert worden war (vgl. Butler 1991 [engl. 1990], 22–24), wurde nach einem Oberbegriff für soziale Konstruktionen der Kategorie Geschlecht gesucht, der auf den Körper bezogene Konstruktionen einschließt. Im Englischen ist hierfür weiterhin gender in entsprechend erweitertem Verständnis gebräuchlich, wie bei West/Zimmermann in doing gender (und ebenso in Hirschauers Adaption der Formulierung in seinem Konzept von undoing gender, vgl. eingehender Hirschauer 2014). Für das Deutsche schlagen Dietze u. a. (2007, 16) die Groß- und Recte-Schreibung vor, wie sie auch im genannten Beispiel „Genus-Gender-Relation“ verwendet ist.

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Diese Arbeit verwendet als Oberbegriff die Bezeichnungen Geschlecht (Sg.)/ Geschlechter (Pl.), adjektivisch: geschlechtlich.19 Die Singularbezeichnung fokussiert Geschlecht als eine überindividuelle, sozial bedeutungsvolle Differenzkategorie, Geschlechter erfasst verschiedene Ausprägungen. Lediglich in der Anwendung des doing/undoing gender-Konzepts wird in dieser Arbeit auf das englische gender als Oberbegriff zurückgegriffen: Unter doing gender sind Relevantsetzungen der Kategorie Geschlecht und einzelner kategorialer Ausprägungen erfasst. Von Interesse sind vornehmlich sprachliche, weniger bildliche Relevantsetzungen, sei es in Form von Personenbezeichnungen, wie Frau oder Mann (im Unterschied zu beispielsweise Person), oder in Form geschlechtsdifferenter Zuschreibungen (z. B. Reiten als Tätigkeit von weiblichen Personen; Erfolg als Eigenschaft von männlichen Personen). Geschlechtsdifferente Zuschreibungen etablieren nicht nur die Kategorie an sich, sondern reichern Ausprägungen der Kategorie mit weiteren unterscheidenden Merkmalen an. Doing female bzw. doing male als spezifische Ausprägungen eines doing gender meint, bezogen auf Sprache, im Besonderen, dass eine Verbindung hergestellt oder verstärkt wird zwischen einem sprachlichen Ausdruck, wie einer Personenbezeichnung, und einer Tätigkeit, einer Eigenschaft oder auch einem phonologischen Merkmal (z. B. Vollvokale), die oder das geschlechtstypisierend weiblich bzw. männlich verteilt ist. Unter undoing gender wiederum werden (1.) Irrelevantsetzungen der Kategorisierung von Personen nach dem Geschlecht gefasst, zum Beispiel in Form der Personenbezeichnung Person, sowie (2.) Irrelevantsetzungen geschlechtstypisierender Sprechweisen, d. h. zum einen undoing gender durch z. B. ein doing male weiblicher Figuren20 in einen traditionell männlich kodierten Bereich, zum anderen undoing gender durch die Zurücknahme geschlechtstypisierend gebrauchter Strukturen (z. B. Diminution bei Frauenbezeichnungen). Welche sprachlichen Mittel in der Schulbuchanalyse berücksichtigt werden, führt das Kapitel 3.3 aus. Wie zu Beginn der Disziplingeschichte verbindet die neue feministische und queertheoretisch fundierte Sprachkritik Wissenschaft und politischen Aktivismus. Neu sind der konsequent intersektionale Ansatz (vgl. z. B. AG Feministisch Sprachhandeln 2015) und öffentlichkeitswirksame Forderungen21 nach einer

|| 19 Da der Begriff Geschlecht in der vorliegenden Arbeit nicht auch für die grammatische Kategorie Genus gebraucht wird, besteht keine missverständliche Mehrfachbelegung von Geschlecht. 20 Zur Bezeichnung Figur der Schulbuchpersonen s. Kapitel 3.2.2. 21 Vgl. beispielsweise das Spiegel Online-Interview mit Hornscheidt vom 24.04.2014 (Trenkamp/Hornscheidt 2014).

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Sprache, welche die Geschlechterdichotomie nicht permanent hervorhebt, sondern inklusive Sprachräume für unterschiedliche Geschlechtsidentitäten (z. B. auch für Trans*Personen22) eröffnet. Man muss nun die politische Programmatik, die mit diesem Ansatz verbunden ist, nicht teilen, um dennoch Impulse dieser jüngeren Ausprägung der Sprache-und-Geschlecht-Forschung aufgreifen zu können. Ihrer konsequenteren Berücksichtigung der konstruktivistischen Perspektive auf Sprache beispielsweise wird in der vorliegenden Arbeit Rechnung getragen, wie ich im Kapitel 2.3 noch erläutere, wenn die Perspektive auch nicht in dieser Radikalität übernommen wird. b) Gegenstände und Arbeitsfelder Anfänglicher Gegenstand der angloamerikanischen und der Sprache-undGeschlecht-Forschung im deutschsprachigen Raum waren Untersuchungen zum Kommunikationsverhalten von Frauen in Abgrenzung zu dem von Männern; bald kamen Analysen von Schrifttexten hinzu (vgl. Hornscheidt 2006, 275). Typische germanistische Gegenstände sind die Werbesprache (vgl. z. B. Hullmann 2003; für die englischsprachige Forschung vgl. z. B. Williamson 1978) sowie vor allem journalistische Texte, wenngleich im Fall der Werbesprache häufig eher inhaltsanalytische Analysen betrieben werden und Illokutionen oder perlokutionäre Effekte im Allgemeinen, nicht nur in genderlinguistischen Untersuchungen, seltener bis kein Gegenstand sind (vgl. Ott/Staffeldt 2013). In der Sprache-und-Geschlecht-Forschung werden gemeinhin die beiden Untersuchungsbereiche Sprachsystem und Sprachgebrauch unterschieden (so z. B. in Samel 2000). Häufig allerdings ist eine trennscharfe Zuordnung von ForscherInnen oder Untersuchungen zu einem der beiden Untersuchungsbereiche nicht möglich, weil Sprache-und-Geschlecht-ForscherInnen Sprachsystemisches häufig unter pragmatisch-konstruktivistischer Perspektive betrachten und als zur Konvention erstarrte Sprachgebräuche fassen (s. auch Kap. 2.3). Wenn in Sprache vermittelte Rollenvorstellungen – in Form von Textanalysen – oder Frauen und Männer in ihrem Gesprächsverhalten kontrastiv untersucht werden, können diese Untersuchungen als sprachgebrauchsorientierte Forschung klassifiziert werden (so z. B. Römer 1973; Pusch 1984 [1983a]; Breiner 1996; Günthner/Kotthoff 1992; Trömel-Plötz 1996). Analysen von Texten, in denen über Personen gesprochen wird, fokussieren meist substantivische Personenbezeichnungen, lexikographische Analysen betrachten den in Wörterbüchern vorzufindenden Wortschatz (vgl. Pober 2007; Breiner 1996). Vor allem

|| 22 Zum Begriff Trans* vgl. beispielsweise Bittner (2012, 8–11).

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Zeitungen und Zeitschriften wurden in dieser methodischen Fokussierung auf Rollenvorstellungen sowie die Verwendung geschlechtersensibler Sprache im engeren Sinn untersucht (vgl. im Überblick Pettersson 2011a, 23–35). Mit Personennamen befassen sich unter genderlinguistischer Perspektive systematisch Oelkers (z. B. 2003) und Nübling (z. B. 2009).23 Einen Fokus auf den Handlungscharakter und das Handlungspotential von Sprache legt Spieß in ihren genderlinguistischen Arbeiten (z. B. zu Bezeichnungen, wie Karrierefrau, Softie, vgl. Spieß 2012; 2013). Unter geschlechtersensibler Sprache wird meist verstanden, dass TextproduzentInnen personal referierende Ausdrücke so wählen, dass weibliche und männliche Personen gleich häufig benannt und/oder der Form nach gleichermaßen angesprochen werden (z. B. über Paarformausdrücke) und/oder sprachliche Räume für mehr als zwei geschlechtliche Identitäten geschaffen werden (z. B. über den dynamischen Unterstrich) und/oder dass die Differenzkategorie Geschlecht beim Sprechen über Personen nicht bzw. potentiell nicht aktiviert wird (vgl. Gleichstellungsbeauftragte Universität Köln 2014; AG Feministisch Sprachhandeln 2015). Ich verwende die Bezeichnung in den genannten drei Dimensionen. In einem weiteren Sinn kann nicht nur der Umgang mit personal referierenden Ausdrücken als geschlechtersensibel oder -unsensibel klassifiziert werden, sondern sich zum Beispiel auch auf Redewendungen und Witze erstrecken. Geschlechtersensibilität, auch unabhängig von Sprache, steht in dieser Arbeit für einen Umgang mit Geschlecht, der am Gleichberechtigungsgrundsatz und im Besonderen am Gleichheitsgebot von Frau und Mann orientiert ist und gegebenenfalls auch queere Geschlechterentwürfe zu berücksichtigen versucht. Geschlechtsreflexivität dagegen bezeichnet umfassender ein Bewusstsein für die Differenzkategorie Geschlecht. Werden Konventionen des Deutschen betrachtet, Geschlecht in Sprache auszudrücken, so betreffen solche Untersuchungen das Sprachsystem. Vor allem um das Verhältnis von Genus und ‚Sexus‘24 bei personal referierenden Ausdrücken sowie das Diskriminierungspotential sogenannter generischer Maskulina (zum Begriff generisch s. den nachfolgenden Einschub) wurden zum Teil hitzige Diskussionen geführt (vgl. Forer 1986; Leiss 1994; Köpcke 1982;

|| 23 Neue genderonomastische Perspektiven auf unter anderem das Deutsche wurden im Rahmen der Tagung Rufnamen als soziale Marker. Namenvergabe und Namenverwendung vom 14./15.09.2015 an der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz gerichtet. 24 Die Markierung verweist darauf, dass die Verwendung von Sexus in diesem Zusammenhang inzwischen problematisiert wurde (s. hierzu das vorherige Kap. 1.2.1a).

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Köpcke/Zubin 2012; Kalverkämper 1979a; 1979b; Trömel-Plötz 1978; Pusch 1979).25 Zur Verwendung von generisch bei personal referierenden Ausdrücken

Der Terminus generisch wird in der linguistischen Forschungsliteratur für geschlechtsübergreifend referierende Maskulina verwendet. Übernommen ist der Terminus aus der Referenzsemantik, in der Generizität eine Art der Referenz bezeichnet. Zwar hat sich in der Referenzsemantik bislang keine Systematik durchgesetzt, welche unterschiedlichen Arten von Referenz potentiell anzusetzen sind (vgl. Heusinger 2011, 1026); eine Unterteilung in spezifische und nicht-spezifische Referenz ist nach Vater (2012, 28) aber etabliert. Nicht-spezifische Referenz wird mitunter unterschieden in unspezifische und generische Referenz, wobei letztere Kategorie Bezugnahmen auf die Klasse oder Gattung erfasst, wie die generische Referenz von Hunde in der Allaussage Hunde sind Säugetiere auf die Klasse der Hunde, für welche die Prädikation Säugetiere sein gilt.26 In der Sprache-und-Geschlecht-Forschung hingegen wird generisch für personal referierende Ausdrücke und vor allem in Bezug auf movierbare Maskulina gebraucht, die eine geschlechtsübergreifende Lesart anbieten – entweder im Sinn von ‚beide Geschlechter umfassend‘ oder im Sinn von ‚vom Geschlecht abstrahierend‘ (vgl. im Überblick Pettersson 2010; vgl. Duden-Grammatik 2016, 1007: „unspezifische[r] oder gemischte[r] Bezug“).27 Beispiele für geschlechtsabstrahierendes „generisches“ Referenzpotential bei Maskulina sind:28

|| 25 Einen Überblick über die verschiedenen Positionen gibt Schwarze (2008). Heute spricht sich unter anderem Bär (2004) gegen die Annahme eines engen Genus-‚Sexus‘-Zusammenhangs bei Personenbezeichnungen aus. Seine Argumentation führt er am Beispiel der Bezeichnungen für Lebewesen allgemein (inklusive Tierbezeichnungen) sowie weiterer Substantivgruppen (auch inklusive unbelebter Konkreta, wie Tisch). Wenn aus Bärs Auswahl an Beispielsubstantiven allerdings alle nicht-personalen Bezeichnungen und generisch gebrauchten Maskulina herausgenommen werden, bleibt eine nur kleine Gruppe an Personenbezeichnungen, bei der Genus und ‚Sexus‘ nicht übereinstimmen (Weib, Mädchen, Mensch, Person, Individuum, Zwitter), übrig. Die Zahl an Belegen unter den personalen Bezeichnungen, die aus synchroner Perspektive gegen einen Genus-‚Sexus‘-Zusammenhang sprechen, ist für das Deutsche insgesamt sehr niedrig, besonders Fälle wie Weib oder Mädchen, bei denen der ‚Sexus‘ der so bezeichneten Person als semantisches Merkmal der Personenbezeichnung angenommen wird (vgl. Schoenthal 1989, 304; Dittmann 2002, 68). 26 Chur (1993) und Leslie (2012) plädieren darüber hinaus für eine weitergehende Unterscheidung generischer Referenzen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. 27 Verbreitet sind aber auch Gebrauchsweisen von prinzipiell movierbaren Maskulina mit Referenz auf eine weibliche Person, zum Beispiel prädikativ gebraucht, wie in Ich (w) als Linguist (vgl. Schröter/Linke/Bubenhofer 2012, 360). 28 Hornscheidt (2006) lehnt die Möglichkeit ab, auf eine vom Geschlecht abstrahierte Person referieren zu können, weil Maskulina in psycholinguistischen Studien kognitiv nicht geschlechtsabstrahierend rezipiert werden, sondern mehrheitlich eine geschlechtsspezifizierend männliche Vorstellung aktivieren: „Die Annahme einer Möglichkeit einer genderunspezifizie-

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(1) Viele Arbeitnehmer wünschen sich flexiblere Arbeitszeiten. (2) Der Arbeitnehmer von heute wünscht sich flexiblere Arbeitszeiten. (3) Ein Vorgesetzter muss sich schließlich durchsetzen können!

Beispiele für gemischt-geschlechtliche „generische“ Referenz sind ferner: (4) Zu den Schülern dieser Klasse gehören auch Lena und Mirko. (5) Lena und Mirko sind häufige Kunden im Schülercafé. Pettersson (2010, 134–137) stellt heraus, dass generisch als spezifische Art des Referierens von der Forschung – nicht nur der Sprache-und-Geschlecht-Forschung, sondern auch in der Grammatikschreibung bei der Beschreibung des Genus-‚Sexus‘-Zusammenhangs (vgl. Doleschal 2002) – zunehmend umgedeutet wurde zu einer semantischen Eigenschaft personal referierender Ausdrücke; die Referenzfunktion sei mit der Denotation und der Frage, auf welche Geschlechterkategorie eine Personenbezeichnung referiert, vermischt worden. Auch Hornscheidt (2006, 104–107) weist beispielsweise auf diese Vermischung hin. Als Erklärung für die Gebrauchsweise von generisch für geschlechtsübergreifende Referenz bietet Pettersson (2011a, 62) an, dass referenzfunktional generische Aussagen häufig ein „geschlechtsübergreifendes Potenzial“ aufweisen und „der Terminus generisch auf den semantisch-pragmatischen Bereich der Geschlechtsmarkierung der Referenten übertragen“ wurde. Laut Hoberg (2013, 107) seien Allaussagen sogar die „Hauptdömane des generischen Maskulinums“. Die Beispiele (1) bis (3) beinhalten generische Maskulina (s. die Hervorhebungen in den Beispielsätzen) und sind gleichzeitig Beispiele für referenzfunktional generische Aussagen über prototypische VertreterInnen der Klasse/Gattung der Arbeitnehmer und Vorgesetzten. In den Beispielsätzen (4) und (5) aber gehen die verschiedenen Verständnisse von generisch nicht zusammen, da referenzfunktional keine Aussage über die Klasse/Gattung der Schüler oder Kunden getroffen wird. Und umgekehrt finden sich Beispiele, die in referenzfunktionaler Hinsicht als generisch zu klassifizieren sind, in Bezug auf die Geschlechtsreferenz29 aber als spezifisch bzw. geschlechtsspezifizierend, wie Die deutsche Frau hat das Wahlrecht 1918 erhalten (Beispiel in Anlehnung an Pettersson 2010, 137). In der Sprache-und-Geschlecht-Forschung wird die Bezeichnung generisches Maskulinum problematisiert, weil Maskulina in geschlechtsübergreifender Verwendung keineswegs auch oder mehrheitlich als geschlechtsübergreifende Referenz rezipiert werden (zu psycholinguistischen Studien s. noch untenstehende Ausführungen).

Zwar ist die Existenz eines Genus-‚Sexus‘-Zusammenhangs in der Forschung keineswegs unumstritten, doch wird er aus synchroner Perspektive für die Gruppe der Personenbezeichnungen inzwischen auch in einschlägigen linguistischen Nachschlagewerken als weitgehend akzeptiert konstatiert:30 Wenn ein personal referierender Ausdruck ein feminines Genus hat, dann referiert der

|| renden generischen Wahrnehmung […] wird vom Prinzip her und als Möglichkeit hier verworfen“ (Hornscheidt 2006, 108). 29 Zum Begriff Geschlechtsreferenz s. ausführlich Kapitel 2.3. 30 Vgl. den Eintrag zu Genus im Metzler Lexikon Sprache (vgl. Schoenthal 2010, 232).

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Ausdruck konventionell auf eine oder mehrere weibliche Personen, und wenn er maskulin ist, dann referiert er konventionell auf eine oder mehrere männliche Personen. Die allerdings parallel zu dieser Gebrauchskonvention etablierte generische Gebrauchsweise bei personal referierenden Ausdrücken im Maskulinum ist eine Sprachkonvention, die den Zusammenhang zwischen Genus und ‚Sexus‘ unterläuft. Hauptgegenstand der feministischen Sprachkritik hieran ist, dass nur dem Maskulinum, das mit Männlichkeit assoziiert werde, die Fähigkeit zugestanden wird, eine Stellvertreterfunktion für alle Geschlechter einzunehmen (vgl. Samel 2000, 55). Stets unter der Voraussetzung eines engen Zusammenhangs zwischen Genus und ‚Sexus‘ sehen SprachkritikerInnen in generischen Maskulina eine sprachliche Asymmetrie: Weibliche Personen seien hier lediglich mitgemeint und weniger sichtbar, anders als männliche Personen, die sich bei den meisten maskulinen Personenbezeichnungen nicht in gleicher Häufigkeit die Frage stellen müssten, ob sie angesprochen sind. Personal referierende Ausdrücke im Maskulinum weisen einen breiteren Anwendungsbereich auf, d. h., sie können wegen ihrer sowohl konventionell geschlechtsspezifizierenden als auch konventionell geschlechtsübergreifenden Gebrauchsweise in mehr Situationen verwendet werden (vgl. Hellinger 1990). Zum einen seien weiblichen Personen so weniger Identifikationsangebote in Sprache gegeben, zum anderen zeige sich hierin eine Geringerschätzung des Weiblichen gegenüber dem Männlichen bzw. eine Höherbewertung des Männlichen, weil dem Femininum die Stellvertreterfunktion nicht oder kaum zugestanden wird (zu den Asymmetrien im Überblick vgl. Stahlberg u. a. 2007). Und tatsächlich bestätigen psycholinguistische Studien, dass dem konkreten Äußerungszusammenhang nach geschlechtsübergreifend gebrauchte Maskulina, zu denen auch feminine Pendants existieren – wie Mitarbeiter (m), Mitarbeiterin (f); jeder (m), jede (w) –, bei PropandInnen kaum zu einem gedanklichen Einbezug von weiblichen Personen führen, sondern eine starke männliche mentale Repräsentation hervorrufen.31 Jüngste Forschungen ergaben außerdem, dass paarformulierte Berufsbezeichnungen bereits bei Grundschulkindern eine astereotype Identifizierung mit Berufen begünstigen und Mädchen beispielsweise an stereotyp männlichen Berufen mehr Interesse zeigen, wenn diese als Paarform (z. B. Ingenieurinnen und Ingenieure) und nicht in Form generischer

|| 31 Vgl. Klein (1988), Irmen/Köhncke (1996), Braun u. a. (1998), Stahlberg/Sczesny (2001), Irmen/Roßberg (2004), Stahlberg u. a. (2007), Gygax u. a. (2008), vgl. zur Diskussion Kusterle (2011, 82–116). Forschungsergebnisse aus dem Projekt Language, Cognition, Gender finden sich außerdem unter http://www.unifr.ch/psycho/itn-lcg/en/news [Stand: 01.02.2017].

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Maskulina (Ingenieure) formuliert sind (vgl. Vervecken/Hannover/Wolter 2013; Vervecken/Hannover 2015; vgl. grundlegend zu Geschlechterstereotypen Eckes 2010). Eine weitere Asymmetrie betrifft die Wortbildung im Deutschen (vgl. weiterhin Stahlberg u. a. 2007): Formen, die zur Bezeichnung weiblicher Personen verwendet werden (z. B. Mitarbeiterinnen), seien häufiger Sekundärbildungen zu Formen, die (nur oder auch) für männliche Personen verwendet werden (z. B. Mitarbeiter), als umgekehrt. Personenbezeichnungen für Frauen sind im Vergleich komplexer sowie morphologisch nicht gleichwertig, sondern markiert, weil explizit als weiblich „symbolisiert“ (Doleschal 1992, 80). Pusch (1984 [1980], 55) sieht hierin eine „Abhängigkeitsrelation“ ausgedrückt, denn „[g]äbe es nicht die maskulinen Grundformen, so auch nicht die abgeleiteten Formen auf -in.“ Semantisch ungleiche Lexempaare, wie Sekretärin und Sekretär, bei denen die Personenbezeichnungen für männliche Personen häufiger positiver belegt seien, sowie lexikalische Lücken stellten weitere Asymmetrien des Deutschen dar; als lexikalische Lücke gilt beispielsweise, dass unter den Anreden keine männliche Entsprechung zur Anrede Fräulein gebräuchlich ist, mit welcher der soziale Status ‚nicht verheiratet‘ relevant gesetzt wird (vgl. weiterführend Breiner 1996). In der jüngeren poststrukturalistischen Sprache-und-Geschlecht-Forschung wird ferner mit dem Begriff AndroGenderung, verstanden als „Normsetzung und Universalisierung männlich konstruierter […] Positionierungen und Vorstellungen als allgemeinmenschlich“ (AG Einleitung 2011, 24), Kritik an einem Sprachgebrauch zusammengefasst, der eine männliche Sichtweise zur normalen Sichtweise macht; die ältere Forschung spricht von Androzentrismus (vgl. Samel 2000, 55). Diese männliche Sichtweise finde sich beispielsweise in Formulierungen wie Mit der Geschlechtsreife wird der Mensch gebärfähig und Die Deutschen und ihre Männer, die nicht gleichermaßen akzeptabel sind wie Mit der Geschlechtsreife wird der Mensch zeugungsfähig und Die Deutschen und ihre Frauen (Beispiele aus Pusch 1984 [1983b]).32 Eine androzentrische Normsetzung werde ferner von Grammatiken etabliert, die maskulinen Personenbezeichnungen in Abgrenzung zu deren femininen Pendants den Status des geschlechtsneutralen „Grundworts“ (Doleschal 2002, 15) zuweisen und die generische Gebrauchsweise nicht mehr als eine additive Variante zur geschlechtsspezifizierenden auffassen. Die Etablierung einer solchen Grammatikschreibung lässt

|| 32 Dies ist gerade deswegen erstaunlich, weil es sich bei Mensch (ein Epikoinon, s. Kap. 3.3.2c unter Geschlechtsneutrale Formen) und die Deutschen (Adjektivkonversion im Plural) ausdrucksseitig um geschlechtsneutrale Ausdrücke handelt.

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sich laut Doleschal (2002, 14–16) in den 1960er Jahren beobachten: Die geschlechtsübergreifende Verwendung von jenen Maskulina, die auch geschlechtsspezifizierend gebraucht werden, wird dort als fixer Bestandteil des deutschen Sprachsystems definiert und die potentiell soziale Dimension dieser Gebrauchskonvention ausgeklammert.

1.2.2 Zur An- und Abwesenheit der Sprachwissenschaft in der Schulbuchforschung Die Sprache-und-Geschlecht-Forschung in ihren Anfängen brachte dem Schulbuch als einem Bestandteil schulischer Sozialisation noch ein vergleichsweise großes Interesse entgegen. Dieses überschnitt sich mit der ideologiekritischen Schulbuchforschung, die sich ebenso wie die feministische Sprachwissenschaft in den 1970er Jahren Gehör verschaffte. Die wissenschaftshistorische Beziehung beider Disziplinen soll nun zunächst in den Blick genommen werden. Darauf folgt ein Forschungsüberblick über die Schulbuchforschung zu Geschlechterdarstellungen/-konstruktionen33 und über den Stellenwert der Sprache in diesen Untersuchungen. Der Fokus liegt auf methodischen Aspekten. Davon ausgehend wird ein Erklärungsansatz vorgestellt, warum die Linguistik das Schulbuch für Wissensanalysen kaum für sich entdeckt hat (vgl. hierzu ausführlich Ott 2015a), und kurz auf das Spannungsfeld von Deskription und Kritik eingegangen, in dem sich die linguistische Schulbuchforschung und damit auch die vorliegende Arbeit zu positionieren hat. a) Alte Freundinnen: Feministische Sprachkritik und Schulbuchkritik Bildungsmedienforschung wurde in ihren Anfängen und bis in die 1980er Jahre überwiegend als Schulbuchkritik mit dem Ziel der Revision von im Schulbuch vermitteltem Wissen betrieben.34 Was dabei revisionsbedürftig erschien, war

|| 33 Die Studien sprechen zum Teil von Geschlechterdarstellungen, zum Teil von Geschlechterkonstruktionen. Diesen Sprachgebräuchen wird an dieser Stelle mit der Doppelformulierung Rechnung getragen. 34 Dieses Kapitel wurde in einer früheren Fassung in Ott (2013) publiziert. Bis ins 19. Jahrhundert reicht die Debatte um Revisionen von Schulbuchinhalten zurück und betraf vor allem das im Geschichtsschulbuch vermittelte historische Wissen. In Deutschland wurden Schulbuchinhalte in den 1960er Jahren zum wissenschaftlichen Thema (vgl. Hacker 1980, 12).

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zeitabhängig.35 Wenn Gerd Stein (1977) das Schulbuch als „Politikum“ bezeichnet, spielt er damit auf Versuche unter anderem politischer Gruppen an, auf Schulbuchinhalte Einfluss auszuüben. Am Beispiel des Bildungsmediums schlechthin wurden gerade in den 1970er Jahren öffentlichkeitswirksame Debatten um das vermeintlich richtige zu propagierende Werte-, Politik- und Wirtschaftssystem geführt. Auch die erstarkende Frauenbewegung mischte sich in die Diskussion um Schulbuchinhalte ein und drängte auf eine gleichberechtigte Darstellung von Frauen/Mädchen und Männern/Jungen im „Kampf gegen den Sexismus in Schulbüchern“ (Barz 1982, 100). Aus den Reihen der Wissenschaft wurde Schulbuchkritik von SozialwissenschaftlerInnen, HistorikerInnen, DidaktikerInnen oder auch LinguistInnen geäußert. Beinahe in allen diesen Schulbuchanalysen, die vor allem in den 1980er Jahren sehr zahlreich entstanden, war der Schulbuchkritik auch Sprachkritik inhärent, weil sich Geschlechterungerechtigkeit in der Sprache äußere und in der Sprache reproduziert werde: Die negativen Definitionen von uns Frauen sind in unser Sprachsystem eingegangen, […] es sind sprachliche Formulierungen; sie werden reproduziert als sprachliche Äußerungen in den Konversationen des Alltags, sie werden dann in sprachlichen Produktionen festgehalten, wie z. B. […] in Lehrbüchern und Wörterbüchern, und in unseren Gesetzestexten zementiert. Sie schaden uns täglich. (Trömel-Plötz 1982, 192, 194; Hervorh. CO)

Auch die Schulbuchsprache arbeite an der Verbreitung eines asymmetrischen Geschlechterverhältnisses mit. In den breit rezipierten Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs von Guentherodt u. a. (1980) werden Bildungsmedien daher auch als eigener Gegenstand der Sprachkritik genannt: Wir [= die Verfasserinnen der Richtlinien; Anm. CO] wenden uns deshalb an alle, die professionell und offiziell geschriebene Sprache produzieren, vor allem an die, die – ob im Kindergarten, an der Schule oder an der Universität – Sprache lehren und an die, die in den Medien, in der Verlagsarbeit und anderswo Sprache verbreiten. Wir wenden uns an die Verfasserinnen und Verfasser von Lehr- und Fachbüchern, Berufsberatungstexten, […] Wörterbüchern […]. (Guentherodt u. a. 1980, 15f.; Hervorh. CO)

Die feministische Linguistik als dezidiert sprachkritische Forschung war die erste linguistische Teildisziplin, die sich intensiver mit dem Medium Schulbuch, || 35 Erst nach dem Ersten Weltkrieg sollten beispielsweise Militarismus und Anti-Demokratismus aus allen Fächern verbannt und die Bücher stärker didaktisiert werden (vgl. Pöggeler 2003, 33).

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mindestens theoretisch (s. unten Abschnitt c), beschäftigte und den Blick von SchulbuchforscherInnen auf sprachliche Feinheiten lenkte. b) Schulbuchforschung zur Geschlechterthematik Den Anfang der Schulbuchforschung zum Thema Geschlecht machte im deutschsprachigen Raum Inge Sollwedel 1967 (vgl. Sollwedel 1967a; 1967b).36 Die Publizistin rückte zum einen erstmals die Differenzkategorie Geschlecht in den Mittelpunkt der Analyse von Schulbuchwissen und bewertete die Analyseergebnisse zum anderen aus feministisch-kritischer Perspektive. Geschlechterunterschiede wurden von Sollwedel nicht als naturgegeben vorausgesetzt, sondern als soziale Konstruktionen aufgefasst, an deren Aufbau Schulbücher mitwirkten. Laut Fichera (1996, 140) läutete sie damit einen „Paradigmenwechsel“ der geschlechtsbezogenen Schulbuchforschung ein. Voraussetzung hierfür war wiederum, dass Sollwedel eine populärwissenschaftliche Verbreitung ihrer Analysen gelang (vgl. z. B. Sollwedel 1967b; 1970) sowie Arbeitskreise der Frauenbewegung dabei halfen, die Kritik an PädagogInnen oder an bildungspolitisch Interessierte weiterzugeben, so dass weitere Schulbuchanalysen mit gleichen theoretischen Grundannahmen angestellt wurden. Unmittelbare bildungspolitische Konsequenzen zeitigten diese frühen Untersuchungen allerdings nicht (vgl. Fichera 1996, 152), doch entfalteten sie wohl unter AutorInnen und RedakteurInnen Wirkung: [N]och 1970 gestand uns ein Schulbuchverlagslektor, mit welchem Schock man seinerzeit begriffen hätte, daß in praktisch allen Lesebüchern die Frau unterschlagen sei oder nur in minderwertigen Rollen auftauche. (Gmelin/Saussure 1971, 85, zit. nach Fichera 1996, 141)

Dem Wandel im Umgang mit Geschlecht in der Schulbucharbeit und Schulbuchzulassung soll noch eingehend im Kapitel 5.2 nachgegangen werden. Anfangs lag der Fokus feministischer Schulbuchanalysen, so auch bei Sollwedel, auf Frauen und Mädchen (vgl. auch Silbermann/Krüger 1971; Karsten 1978; Ohlms 1984). Darin ist die Schulbuchforschung ein Kind ihrer Zeit: Vor dem Hintergrund der Bildungsreformdebatte der End-60er und 1970er Jahre stand die strukturelle Benachteiligung von Frauen und Mädchen im bundesrepublikanischen Bildungssystem im Mittelpunkt der Schul- und Bildungsfor-

|| 36 Einen Überblick über die internationale Schulbuchforschung zu Geschlechterdarstellungen bzw. -konstruktionen mit weiterführenden Literaturverweisen gibt Moser (2013, 11–16). Neueste internationale Arbeiten sind in Mills/Mustapha (2015) versammelt.

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schung (vgl. Krüger 2011, 21; vgl. auch Schultz 1980). Spätestens in den 1990er Jahren werden Männer und Frauen gleichermaßen in den Blick genommen, seit kurzem auch Trans*- und Inter*-Identitäten (vgl. Bittner 2012; Göbel/Bittner 2013). Im Anhang 1–1 befindet sich eine 182 Titel umfassende Bibliographie zur im Schwerpunkt deutschen Schulbuchforschung zum Wissensaspekt Geschlecht, von den Anfängen des Forschungsbereichs bis 2015 (nach Erscheinungsjahr alphabetisch in Dekaden gegliedert).37 Wegen der Fülle an Untersuchungen und der zum Teil methodisch deutlich differenten Zugriffe auf das Sprachmaterial – mit Konsequenzen für die Analyseergebnisse – kann keine detaillierte Ergebnisdarstellung der einzelnen Studien geleistet werden; in unterschiedlicher Ausführlichkeit stehen Überblicksdarstellungen zu bisherigen Studien bei Fichera (1996), Hunze (2003) und Moser (2013, 11–23). An geeigneten Stellen aber werden in der vorliegenden Schulbuchanalyse einschlägige oder abweichende Ergebnisse früherer Untersuchungen einbezogen. Zentrale Untersuchungsaspekte der ausgewerteten Studien stellt der folgende Absatz vor; in diesem Zuge gehe ich auch auf das Engagement von LinguistInnen im Forschungsbereich ein und komme auf den Stellenwert linguistischer Analyseaspekte zu sprechen. Über die Jahre haben sich Schulbuchanalysekataloge entwickelt, die quantitative mit qualitativen Fragestellungen zum Wissensaspekt Geschlecht kombinieren.38 In der Regel wählten jene Studien, welche sich der Kataloge bedienten sowie an deren Ausdifferenzierung mitwirkten, ein inhaltsanalytisches Analyseverfahren nach Berelson (z. B. Silbermann/Krüger 1971; Karsten 1978) oder nach Mayring (z. B. Moser 2013), zum Teil kam ein differenziertes Kodiersystem zur Anwendung (z. B. Lindner/Lukesch 1994). Kodiermöglichkeiten fielen aber bisweilen recht pauschal aus (z. B. sinngemäß: Ist das zu untersuchende Merkmal systematisch vorhanden? Antwortmöglichkeiten: Ja/Nein, so bei Lindner/ Lukesch 1994). Leifert (2011) schlägt einen qualitativen Ansatz, die Objektive

|| 37 Der Anhang ist nicht Bestandteil der Druckfassung, sondern steht zum Download unter https://www.degruyter.com/view/product/491314 bereit. Diejenige Forschungsliteratur – darunter vor allem Schulbuchstudien –, welche ich vor allem während eines Forschungsaufenthalts an der Bibliothek des Georg-Eckert-Instituts – Leibniz Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig einsehen konnte, sind in der Liste durch Kursivierung hervorgehoben. 38 Neben Quantitäten erfassenden Katalogen und der stärker qualitativ konzipierten Analyse von Fichera/Weyershäuser (1986) sollten Synthesen beider Typen besonders wirkmächtig werden. In allgemeine Schulbuchanalyseraster (vgl. das Reutlinger Raster von Rauch/Tomaschewski aus dem Jahr 1993 oder das Salzburger Raster von Astleitner/Sams/Thonhauser 1998) wurden die Katalogkriterien jedoch nicht integriert.

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Hermeneutik nach Oevermann vor, um die Ergebnisoffenheit im Zuge der Analyse möglichst groß zu halten. Andere, vor allem frühe Studien wiederum analysierten sehr fragmentarisch und bestehen beispielsweise aus einer Auflistung von als auffällig bewerteten Belegen und/oder explizieren und reflektieren ihre Methodik nicht (z. B. Glötzner 1982a; Müller 1984). Ein auf Einzelbelegen fußendes Vorgehen ist dann jedoch methodisch problematisch, wenn davon ausgehend verallgemeinernde Interpretationen angestellt werden – so wurde Schlauberger als Bezeichnung für einen Jungen pauschal als Klischeereproduktion der intellektuellen Überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau gewertet (vgl. Verleger 1984); dass die Bezeichnung auch eine abwertende Bedeutungskomponente hat (und hatte, vgl. WDG-5 1980, 3228), blieb unerwähnt. Wenngleich sich Studien auf feministisch-sprachkritische Forschung beriefen, so beteiligten sich germanistische LinguistInnen selbst nicht oder nicht erkennbar an entsprechenden Untersuchungen, auch wenn die feministischlinguistische Kritik durchaus das Schulbuch als Sozialisationsinstanz betraf.39 Ihre sprachkritischen Bestrebungen wurden von WissenschaftlerInnen anderer Disziplinen aufgegriffen, vor allem ihre Überlegungen zur Sichtbarkeit von Frauen und Mädchen in Sprache (vgl. Barz 1982 in Referenz auf Trömel-Plötz u. a. 1981). Die meisten Studien untersuchen standardmäßig das Zahlenverhältnis weiblicher und männlicher Personen sowie im Besonderen das Zahlenverhältnis von weiblichen sowie männlichen HandlungsträgerInnen, wobei „Handlungsträgerschaft“ unterschiedlich definiert ist (s. ausführlicher Kap. 3.3.2d unter Semantik). Welche berufliche oder familiäre Rolle die Figuren ausfüllen oder in welchen Tätigkeiten oder „Handlungsfeldern“ (z. B. Handlungsfeld Beruf) sie gezeigt werden, sind weitere häufige Fragen an die Schulbücher (z. B. in Freudenberg-Findeisen 2004; Lindner/Lukesch 1994; Barz 1982; ähnlich auch Thomas 1999; Kaiser-Meßmer 1994). Zum Teil besteht die Analyse darin, Schulbücher auf vorab definierte Typologien auszuwerten (vgl. Karsten 1978; Lopatecki/Lüking 1989): Werden Mädchen als hilfsbedürftig, fürsorglich, passiv dargestellt etc.? Solche Verfahren sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie bestätigen, was bereits erwartet und deswegen erfragt wurde – andere Geschlechterkonzeptbestandteile bleiben unberücksichtigt. In den Schulbuchstudien ist die Lexik, im Besonderen sind es die Personenbezeichnungen, zentraler Gegenstand quantitativer und qualitativer Daten-

|| 39 In den Fremdsprachen – auch im Bereich Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache – ist dies anders gelagert, hier wurden zum Beispiel mit Hellinger (1980) und Zumbühl (1982) linguistisch fundierte Untersuchungen zu Geschlechterbildern angestellt.

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erhebung. Offen bleibt aber meist, ob bei quantitativen Erhebungen jede Personenbezeichnung und jedes Pronomen oder aber unterschiedliche Figuren gezählt wurden (bei Silbermann/Krüger 1971 und Freese 1985: Figuren). Formulierungen, wie zum Beispiel „wie oft sind männliche und weibliche Geschlechtsangehörige […] gezeigt?“ (Karsten 1978, 30), machen es zudem schwer, aus der Retrospektive zu entscheiden, ob beispielsweise in Studien ermittelte Vorkommen von Berufen auf eine Auszählung von Berufsbezeichnungen, von Handlungen, die als berufsmäßige gedeutet wurden, oder auf eine Auszählung von bildlichen Darstellungen (vermutlich) berufstätiger Personen zurückgehen. Vorkommen von Berufen, die auf Grundlage der letztgenannten beiden Formen zusammengetragen wurden, beruhen dann bereits auf einem interpretatorischen Schluss, der den Blick für sprachliche Konstruktionsmechanismen verstellt bzw. unterschiedliche Konstruktionsverfahren nicht voneinander zu unterscheiden zulässt.40 Auch die Verwendung geschlechtersensibler Sprache wird im Schulbuch mitunter thematisiert (vgl. z. B. Lindner/Lukesch 1994; Fischer 2000), der UNESCO-Leitfaden Promoting gender equality through textbooks (Brugeilles/Cromer 2009) geht hierbei auch auf Neutralformen (z. B. Partizipkonversionen im Plural, personale Kollektivbezeichnungen) und Unisex-Namen ein, also Namen, die für Personen unterschiedlichen Geschlechts gebräuchlich sind (z. B. Robin). Das Sprechen von Schulbuchfiguren, ihr Gesprächs- und Entscheidungsverhalten sowie ihre InteraktionspartnerInnen ebenso wie auch Abfolgen in Paarformen stellen in englischsprachigen Untersuchungen sowie in Untersuchungen zu deutschen Englischbüchern beliebte Erhebungs- und Auswertungskategorien dar (vgl. z. B. Rampillon 1986a; Zumbühl 1982; Hellinger 1980), werden in der deutschsprachigen Forschung hingegen weitgehend ausgespart. Wenige der Studien verwenden ein nachvollziehbares Analyseinstrumentarium, das die sprachliche Umsetzungsebene genauer berücksichtigt. Die Linguistin Hellinger (1980) wandte dezidiert linguistische Kategorien in einer Schulbuchanalyse an, konzentrierte sich dabei auf erzählende oder dialogische Texteinheiten in deutschen Englischbüchern; Übungsaufgaben und Vokabellisten blieben außen vor. Sie untersuchte die Texte auf Vorkommen von weiblichen und männlichen ReferentInnen („female and male referents“, Hellinger 1980, 268), unterschieden unter anderem danach, ob Frauen/Mädchen oder

|| 40 Diese Konstruktionsmechanismen aufzuzeigen, war auch nicht primäres Ziel jener Untersuchungen; ihnen ging es mehrheitlich um eine Zustandsbeschreibung, die Ausgangspunkt für Veränderungen des Schulbuchwissens sein sollte. Für diesen zweiten Schritt wiederum ist die Kenntnis konkreter Konstruktionsmechanismen allerdings von Vorteil.

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Männer/Jungen die Erzählung tragen. In Gesprächssituationen erhob Hellinger die Verteilung von Turns. Ferner wertete sie das Sprechen über die Geschlechter auf Individualität aus (Personenbezeichnung vs. Name, Vorname vs. Nachname) und Possessivkonstruktionen auf einseitige ‚Unterordnungen‘, „subordinations“, wie in John’s wife (Hellinger 1980, 270f.). Im Unterschied zu inhaltsanalytisch ausgerichteten Studien fragte Hellinger nach der sprachlichen Vermitteltheit von Stereotypisierungen und untersuchte Verben auf semantische Ähnlichkeiten, wobei die semantischen Kategorien bei den Verben recht grob ausfallen und in dieser Grobheit bedingt aussagekräftig sind. Rampillon (1986a; 1986b) griff vor allem auf gesprächsanalytische Untersuchungskategorien zurück und fragte nach „diskriminierende[n] Sprachmuster[n]“ (1986b, 315, eine nähere Definition fehlt) in Schulbuchtexten – nach Gesprächsanteilen (Frequenz), nach initiativen Sprachhandlungen, nach Abfolgen in Binomialia sowie nach dem Vorkommen generisch gebrauchter Maskulina. Lindner/Lukesch (1994, 66) unterschieden an Verbgruppen „Verben der Bewegung“ und „Verben des Sprechens“. Bei den Sprechaktverben interessierte im Rahmen der Auswertung, ob Schulbuchfiguren Äußerungen „leise/unselbstbewusst“ oder „laut/selbstbewusst“ (Lindner/Lukesch 1994, 122f.) tätigten, Klassifizierungen aus der Pragmatik kamen nicht zur Anwendung. Auch „Reihenfolgeeffekte“ (Lindner/Lukesch 1994, 67) in Phrasen mit mehreren personal referierenden Ausdrücken waren Gegenstand der Analyse, wenn auch eine eingehende Auswertung zu Reiheneffekten ausblieb. Einen differenzierten Blick auf personal referierende Ausdrücke richtete Schmökel (1988), die wichtige Erhebungsprobleme klar anspricht: Sollten nur die Namen gezählt werden oder auch die anderen Bezeichnungen, die für eine Person stehen, wie z.B. Schwester oder Freund? Wie ist mit Personalpronomen umzugehen oder auch mit den Personenbezeichnungen, die in einer Aufgabe mehrfach wiederholt werden? Und auf welche Weise sind Nennungen, wie z.B. Christinas Vater, zu behandeln? (Schmökel 1988, 8f.)

Das Phänomen des generischen Maskulinums wurde in Schulbuchstudien erst in jüngster Zeit offensiver als Erhebungsproblem thematisiert (vgl. Schärer 2008; Moser 2013; vgl. aber auch die Ausnahme Briegel 1982), dabei ist es von entscheidender Relevanz für die Datenaufnahme wie auch -auswertung, ob eine Personenbezeichnung als geschlechtsübergreifend oder als männlich referierend kategorisiert wird (s. ausführlich Kap. 3.3.2c unter Pragma-Grammatik). Briegel (1982) ging mit der Erhebungsproblematik potentiell generisch gebrauchter Maskulina folgendermaßen um:

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Methodisch gesehen, wurde das Problem in dieser Arbeit […] so gelöst, daß Berufsbezeichnungen, die nicht extra in der femininen Form dargestellt wurden, in die Tabellen der männlichen Darstellungen hereingenommen wurden, da nicht geklärt werden kann, ob beispielsweise die Bezeichnung „Autofahrer“ für Männer u n d Frauen gilt, oder ob sie in traditionellem Bewußtsein und entsprechend der grammatikalischen Form nur Angehörige des männlichen Geschlechts betrifft. (Briegel 1982, 54)

Moser (2013, 209) ging ebenso vor: Für eine Kodierung als generisches Maskulinum „muss eindeutig aus dem Text hervorgehen, dass es sich um weibliche und männliche Charaktere handelt […]. Ist dies unklar, wird männliche Personenbezeichnung kodiert.“ (Hervorh. i. O.) In ihrer Schulbuchstudie zu schweizerischen Primarstufenbücher in deutscher oder französischer Sprache zeigte Schärer (2008) ein Interesse an grundlegenden grammatischen Phänomenen (z. B. Abweichungen vom Genus-‚Sexus‘-Zusammenhang). Sie unterschied bei personal referierenden Ausdrücken zwischen konventioneller Bedeutung (z. B. eine Person = konventionell geschlechtsneutral) und kotextabhängiger Referenz (z. B. könnte Person dem Kotext nach auf einen Mann referieren). Keine der früheren Studien, die für die vorliegende Arbeit eingehender ausgewertet wurden, richtete einen derartig differenzierten Blick auf Personenbezeichnungen und personal referierende Pronomen. Die propositionale Ebene wurde bei Schärer nicht in die Analyse einbezogen. Die neueste umfassendere Studie zu Geschlechterdarstellungen/-konstruktionen im Schulbuch stammt von der bereits erwähnten Psychologin Moser (2013). Sie wählte Schulbücher der Primarstufe für die Fächer Deutsch und Mathematik. Das Kategorienschema baut auf Lindner/Lukesch (1994) auf und erfasst neben der Wortebene auch die propositionale Ebene. Alle Verben wurden bei Moser unter der Skala Handlung kategorisiert, Einschränkungen des Geltungsbereichs von Aussagen (z. B. in Form von Modalverben) blieben unberücksichtigt, um die Analyse handhabbarer zu halten. Daneben wurden im Bereich der Lexik bislang nur ansatzweise Ausdrücke, welche eine Personenbezeichnung enthalten (z. B. Arbeiterbewegung), selbst aber nicht (unbedingt) eine Personenbezeichnung sind, betrachtet, und zwar von Miehling (2003) in ihrer lexikographisch ausgerichteten historischen DaFLehrwerksanalyse.

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c) Linguistik vs. Schulbuchforschung?41 Wer sich in der germanistischen Linguistik mit Bildungsmedien beschäftigt, bemerkt recht schnell, dass hierbei über die Geschlechterthematik hinaus kaum auf schulbuchbezogene – oder allgemeiner: bildungsmedienbezogene – linguistische Forschung zurückgegriffen werden kann.42 Die wenigen linguistischen Aktivitäten scheinen zudem von der pädagogisch dominierten Schulbuchforschung kaum bis gar nicht wahrgenommen worden zu sein (vgl. Matthes/Schütze 2014, 9). Zwar spielen vor allem Sprachbücher und deren Vorläufer, die Schulgrammatiken, immer wieder eine mehr oder minder wichtige Rolle, wenn SprachwissenschaftlerInnen zu ermitteln versuchen, welches linguistische Wissen im Deutschunterricht thematisiert wird. Doch stellen linguistische Untersuchungen eine Ausnahme dar, in denen das Schulbuch als Wissensträger – nicht allein Sprachwissensträger, sondern auch als Träger gesellschaftlichen Wissens – systematisch ausgewertet wird oder die den textlichen Status von Schulbüchern erforschen. Anders in der Anglistik und Amerikanistik: Die englischsprachige Linguistik beschäftigt sich seit über 40 Jahren mit Bildungsmedien (vgl. Sunderland 2006, 76), diese dürfen als etablierter Forschungsgegenstand der Angewandten Linguistik betrachtet werden, wobei vor allem ForscherInnen in Tradition der Critical Discourse Analysis (CDA) educational media (= Bildungsmedien) und teaching/learning materials (TLM) (= Lehr- und Lernmittel) zu ihrem Untersuchungsgegenstand machen (vgl. z. B. Mustapha/ Mills 2015). Referenzrahmen für diese Ausprägung ist im weiteren Sinn die Kritische Theorie (vgl. Jäger 2010; Jäger 2012; Mills 2004; Wodak 2001). Die CDA (sowie deren germanistische Ausprägungen) versteht sich als Korrektiv für als asymmetrisch erachtete gesellschaftliche Machtverhältnisse und „verfolgt politische Ziele, insofern sie Sachverhalte moralisch-ethisch bewertet und für eine Analyse gesellschaftlicher Strukturen eintritt“ (Spieß 2012, 53f.). Worin ist die Abstinenz der Sprachwissenschaft von Schulbüchern und Bildungsmedien begründet und warum wurde auch in der Sprache-undGeschlecht-Forschung die Beschäftigung mit Schulbüchern nicht fortgesetzt (Miehling 2003 und Schärer 2008 ausgenommen)? In Ott (2015a) gehe ich diesen Fragen ausführlicher nach, hier soll auf einen Leitgedanken eingegangen werden, nämlich dass die sozial- und ideologiekritische Dominanz in der Schul-

|| 41 Dieses Kapitel wurde in einer ausführlicheren Fassung in Ott (2015a) publiziert. 42 Einen Forschungsüberblick über schulbuch- und bildungsmedienbezogene Linguistik geben Kiesendahl/Ott (2015), ein Überblick über wissensanalytische linguistische Untersuchungen steht bei Ott (2013).

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buchforschung vor allem der 1970er die Zusammenarbeit mit der germanistischen Mainstream-Linguistik erschwerte. Womöglich hat gerade die kritische Ausprägung der Schulbuchforschung, mit der die feministische Linguistik einen Schulterschluss einging, dazu geführt, dass deskriptiv ausgerichtete Disziplinen in der Linguistik nicht systematisch zu Bildungsmedien forschten. Bereits Mitte der 1960er Jahre war es zu einem Bruch der Sprachwissenschaft, die sich mehrheitlich als deskriptive Wissenschaft sah, mit VertreterInnen eines sprachkritischen Ansatzes gekommen (vgl. Kilian/Niehr/Schiewe 2010, 13–17). Soziolinguistische und psycholinguistische Dimensionen von Sprache blieben lange ausgeklammert (vgl. Schiewe 2002, 212) und normativ-präskriptive Betrachtungen von Sprache – sowohl jene mit konservativer, spracherhaltender Stoßrichtung als auch prospektiv orientierte – wurden innerhalb der Linguistik marginalisiert, die feministische Sprachkritik von der strukturalistischen Systemlinguistik gar als unwissenschaftlich abgelehnt (vgl. Kalverkämper 1979a; 1979b). Selbst die Sprache-und-Geschlecht-Forschung engagierte sich in der Schulbuchforschung nicht sichtbar weiter, vielleicht, weil sie die Thematik als abgearbeitet betrachtete – nicht zuletzt, weil Mitte der 1980er Jahre neue bzw. erstmals Richtlinien für Schulbücher und deren Geschlechterdarstellung aufgestellt wurden (s. Kap. 5.2) – oder weil sie zum teilweise polemisch-aktionistischen Ton der Anfangszeit des eigenen Forschungsgebiets und zu den alten Gegenständen der Kritik auf Abstand gehen wollte. d) Linguistische Schulbuchanalyse zwischen Deskription und Bewertung In der Systematik nach Schiewe (2010, 47) ist die sprachbasierte Kritik der Sprache-und-Geschlecht-Forschung und ist mittelbar auch die feministische Schulbuchkritik der 1970er und vor allem 1980er Jahre, welche – wie im vorausgehenden Kapitel gezeigt – auf Argumentationsfiguren der Sprache-und-Geschlecht-Forschung zurückgriff, Beispiel für eine explizite Sprachkritik, die auf Veränderungen von Sprachgebräuchen abzielt.43 Die Norm, an der Sprache gemessen wird, ist jedoch in diesen Studien keineswegs einheitlich definiert. Schulbuchkritik an den vermittelten Geschlechtervorstellungen bewegte sich von Anfang an in einem Spannungsfeld, worauf sich ihre Kritik im Einzelnen beziehen sollte. Hatte sie nun einzufordern, dass Schulbücher wenigstens ge-

|| 43 Dieses Kapitel ist in einer früheren Fassung in Ott (2013) publiziert.

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sellschaftliche ‚Realitäten‘44 widerspiegelten, oder sollte sie, einem konstruktivistischen Ansatz verpflichtet, bewerten, ob Schulbücher einen zukünftigen Idealzustand entwarfen? Dürfen oder müssen in einem Schulbuch der 1980er Jahre Männer gleichermaßen häufig Hausmann und Vater sein, wie Frauen Hausfrau und Mutter sind? Soll es ebenso viele Mechanikerinnen wie Mechaniker geben, ebenso viele Arzthelfer wie Arzthelferinnen? Oder sollen Berufe oder auch Freizeitaktivitäten, die eine traditionell männliche oder weibliche Kodierung aufweisen, ganz ausgeschlossen bleiben? Die feministische Schulbuchkritik gibt auf diese Fragen unterschiedliche Antworten, wie Fichera (1996, 225– 283) in ihrer Sekundäranalyse von über 100 Schulbuchuntersuchungen zum Wissensaspekt Geschlecht herausgearbeitet hat.45 Ob in der Geschlechterdarstellung ausgewogene Schulbücher derart gestaltet sein sollen, dass für Mädchen und Jungen je spezifische Angebote gemacht werden oder beiden Geschlechtern die gleichen, wird in den Studien meist nicht thematisiert. Diese oder sehr ähnliche Fragen stellen sich auch diejenigen, welche an der Erstellung von Schulbüchern mitwirken, sowie jene Instanzen, die Schulbuchinhalte vor deren Zulassung prüfen, wie im Kapitel 5.2 noch erläutert wird. Ohnehin unterscheiden Untersuchungen mit revisionistischem Anspruch selten zwischen der Beschreibung und der Bewertung der Analyseergebnisse; sie legen auch nicht immer offen, was die Grundlage für ihre Bewertung bildet.46 Als zentrale Begründung für eine Revision der Bildungsmedien nennen feministische Schulbuchkritiken, dass sich die Geschlechterdarstellung im Schulbuch zum Beispiel auf die spätere Berufswahl der Jugendlichen auswirken kann und erst geschlechtersymmetrisch konzipierte Schulbücher ausreichend unterschiedliche Identifikationsangebote für Leserinnen und Leser offerieren (vgl. z. B. Barz 1982). Einen konkreten Bewertungsmaßstab leiten die Studien aus diesem Revisionsanspruch allerdings in der Regel nicht ab. Die moralisch-ethisch motivierte explizite Sprachkritik, die ihre Kritik an Wertvorstellungen ausrichtet und selbst präskriptiv auf Sprachgebräuche einwirken will, ist ein weiterer Typ sprachkritischer Forschung. Die Linguistik unterscheidet davon Sprachkritik, welche die Angemessenheit eines Sprachge|| 44 Die einfachen Anführungszeichen verweisen auf die Konstruiertheit und Relativität dessen, was als Realität angenommen wird. 45 Fichera (1996, 228–248) unterscheidet drei Ansätze feministisch-kritischer Schulbuchforschung: Den Gleichstellungsansatz, den Ansatz, der Lebensrealität von Frauen Wert zu verleihen, und den Androgynitätsansatz. 46 Im Unterschied zu Fischer, die eine von ihr angenommene Lebenswirklichkeit zur Bewertungsgrundlage macht: „Inwieweit entspricht die fiktive Wirklichkeit im Schulbuch den realen gesellschaftlichen Problemen im Verhältnis von Männern und Frauen?“ (2000, 35)

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brauchs einzuschätzen versucht. Ziel solcher Sprachkritik ist, den SprecherInnen verschiedene Versprachlichungsalternativen und damit zusammenhängende Konstruktionen von Wirklichkeit bewusst zu machen und sie zur selbstständigen Beurteilung der Angemessenheit von Sprechweisen anzuleiten (vgl. Schiewe 2011, 23). Natürlich muss auch bei dieser Form der Sprachkritik wenigstens ein Bewertungsmaßstab angeboten werden. Selbst eine dem Selbstverständnis nach deskriptive Forschung, die sich einer Wertung enthält, ist mit Schiewe bereits deswegen als kritisch einzustufen, weil sie in der Deskription (hier: des Geschlechterdiskurses im Schulbuch) sowie der Kontextualisierung (hier: in den institutionellen sowie sozial- und kulturgeschichtlichen Entstehungskontext) aufzeigt, dass es konkurrierende Sprachgebräuche innerhalb ein und desselben Gegenstandsfeldes gegeben hat, dass man etwas so und dann wieder anders bezeichnet hat und sich daraus auch unterschiedliche Sichtweisen, Konstruktionen eines Gegenstandes ergeben. (Schiewe 2010, 48)

Der deskriptive Ansatz ist auch für diese Arbeit maßgeblich (s. auch Kap. 2.2.3 und 3.1). Sie will einsichtig machen, dass sich Wirklichkeit auch „anders sehen, erfassen, kategorisieren“ (Schiewe 2011, 22) lässt: Indem Sprechweisen verschiedener Zeitabschnitte miteinander und von Schulbüchern einer Epoche untereinander verglichen werden, werden diachrone und synchrone Alternativen des Sprechens über Geschlecht und über die Geschlechter nachvollziehbar. Die Untersuchung steht somit einerseits in Tradition der Schulbuchforschung zu Geschlechterdarstellungen/-konstruktionen und andererseits in Tradition der Sprache-und-Geschlecht-Forschung. Sie eignet sich jedoch nicht die explizit sprach- und mittelbar gesellschaftskritische Perspektive an, wie sie in beiden Forschungsbereichen prominent vertreten ist. Als implizit kritisch kann diese Untersuchung aber gelten, weil sie Sprachgebräuche unterschiedlicher sowie gleicher Zeitabschnitte kontrastiert und so auf unterschiedliche Sprechweisen aufmerksam macht und mittelbar auf unterschiedliche Möglichkeitsbedingungen47 des Sprechens über Geschlecht und die Geschlechter hinweist (s. Kap. 4 und 6.1). Indem diese Untersuchung den schulbuchimmanenten Geschlechterdiskurs mit dem Entstehungszusammenhang in Beziehung setzt, zeigt sie außerdem Übereinstimmungen mit oder Abweichungen von Sprechweisen auf, die

|| 47 Auf den Begriff wird bei der Auseinandersetzung theoretischer Grundlagen in Kapitel 2.2.1 näher eingegangen.

32 | Einleitung

Schulbüchern normativ48 vorgegeben sind (s. Kap. 6.2) oder den gesellschaftlichen Diskurs prägen und mit dem schulbuchimmanenten Geschlechterdiskurs gewissermaßen konkurrieren (s. Kap. 6.3). Eine Präferenz für die eine oder andere Sprechweise oder eine Einschätzung, welche Sprechweise gegenüber einer anderen angemessener wäre, wird in dieser Untersuchung nicht gegeben. Ob dezidiert kritisch oder eher deskriptiv – in der Regel blieb und bleibt in Schulbuchstudien zum Wissensaspekt Geschlecht eine systematische Kontextualisierung der im Schulbuch vermittelten Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen in den weiteren Geschlechterdiskurs aus. Das Schulbuch wird dann jedoch nicht als eine am Geschlechterdiskurs teilhabende und von ihm geprägte Textinstanz ernst genommen. Der Text-Kontext-Beziehung soll in dieser Arbeit Rechnung getragen werden, wie unter 1.2.3b vorbereitet und dann im Kapitel 2 theoretisch sowie im Kapitel 3.1 methodisch näher ausgeführt wird. Zunächst aber erfolgt eine begriffliche Einordnung des Untersuchungsgegenstands Schulbuch.

1.2.3

Zum Untersuchungsgegenstand Schulbuch

a) Begriffsklärungen: Das Schulbuch unter Bildungsmedien Für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind diverse Bezeichnungen verbreitet. Zu lesen ist häufig vom Schulbuch, Lehrbuch, Schülerband, Lehrwerk, von Lehr-Lernmitteln, Bildungsmedien und noch einigen weiteren Bezeichnungen. An dieser Stelle soll eine Klärung und Systematisierung der unterschiedlichen Begrifflichkeiten erfolgen, um die entsprechende Gebrauchsweise der in dieser Arbeit verwendeten Bezeichnungen zu erläutern.49 Unter Bildungsmedien verstehe ich Informationsträger, welche von Personen in der Rolle als Lernende und/oder Lehrende für die Aneignung sowie Festigung bzw. für die Vermittlung von Wissen, das in den verschiedenen Bildungsabschnitten (Kinderkrippe, Kindergarten, Schule, Aus- und Weiterbildung, Hochschule) als lehr- und lernrelevant gilt, verwendet werden können und welche für diesen Zweck konzipiert wurden. In der Regel heißt das auch: Das zu lernende Fach- oder Methodenwissen ist im Bildungsmedium didaktisch aufbereitet. Diese Definition von Bildungsmedien umfasst physische und digita-

|| 48 Vergleichsmaßstab, nicht aber Bewertungsmaßstab, sind die in Kapitel 5 ermittelten Vorgaben an Schulbücher sowie verlegerische Selbstverpflichtungen gegenüber Schulbüchern. 49 Bereits in Ott (2015a) wurde eine terminologische Klärung vorgenommen. Auf diese gehen die folgenden Ausführungen mehrheitlich zurück.

(Gender-)Linguistik und Schulbuchforschung in Deutschland | 33

le Bücher (v. a. Schulbücher, Begleitbände oder spezielle Publikationen für Lehrkräfte, akademische Einführungswerke, Quellensammlungen), Hefte (Arbeitshefte, Lösungshefte, aber auch Schulhefte50), lose Materialsammlungen (z. B. von Lehrkräften zusammengetragene Unterrichtsmaterialien inklusive Tafelbilder und Overhead-Folien; Online-Materialsammlungen), Materialien, die im Kern der Veranschaulichung des Lernstoffs dienen (Wandbilder, Karten, Artefakte, Modelle und Präparate), weitere Lehr-Bildmedien (Lehrfilme, LehrDiareihen u. a.), digitale Datenträger, wie CD-ROMs, DVDs und USB-Sticks, die über Hörbeispiele und Visualisierungen hinaus zur spielerischen Interaktion mit dem Lernstoff anleiten können, digitale oder analoge Lernspiele, Lern-Apps (z. B. mobile Sprachtrainer), Lernportale und (andere) virtuelle Lernangebote sowie -umgebungen (z. B. interaktive 3D-Animationen) als Informationsträger im weiteren Sinn. Lehr-Lernmittel werden häufig synonym zu Bildungsmedien gebraucht (vgl. Matthes 2011, 1). Erstere Bezeichnung betont dabei deutlicher die Nutzungsperspektive: Manche Bildungsmedien sind eher für die Hand der Lernenden bestimmt, zum Beispiel Karteikartensysteme, andere wieder eher für die Lehrenden, zum Beispiel der Lehrerband51 (auch Lehrerhandbuch) mit methodischdidaktischen Hinweisen und Lösungen zum Schülerband. Schülerband52 (auch Schülerbuch) meint in diesem Zusammenhang dann das Buch, mit dem die Lernenden im Unterricht oder zur Vor- und Nachbereitung von Unterricht arbeiten.53 Entsprechend führen diese Bücher auch manchmal den Titel Arbeitsbuch. Nur eine partielle Schnittmenge haben Lehr-Lernmittel und Bildungsmedien allerdings dann, wenn unter Lehrmittel jedwedes Hilfsmittel für die Unterrichtsgestaltung durch Lehrende verstanden wird, unabhängig davon, ob das Lehrmittel Wissensträger ist. Zu den Lehrmitteln werden in kultusministeriellen Amtsblättern auch Tafelkreide und Tafellineale gezählt. Mit dem Verständnis

|| 50 Unter einem Schulheft verstehe ich mit Reuter (2015, 178) „eine Sammlung von Schülertexten in Form von Einträgen, die während oder nach dem Unterricht entstehen“. 51 Ich verwende an dieser Stelle Schreibweisen mit integriertem generischen Maskulinum, um die entsprechende Gebrauchskonvention dieser Begriffe wiederzugeben. 52 S. den vorausgehenden Kommentar. 53 Zum Teil werden diese Bücher von den Behörden auch Lernbücher genannt, so in den NSJahren (vgl. z. B. Lernbücher für Volksschulen, Runderlaß des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 10.09.1942 – E II a (C 15 a R. Münster) 1/42). Lernmittel ist als Sammelbezeichnung unter den Kultusbehörden weiter verbreitet; behördliche Bestimmungen zu Zulassungsvoraussetzungen einiger Bildungsmedien, darunter Schülerbände und Atlanten, heißen Lernmittelverordnung (seltener auch Schulbuchverordnung). Die Lernendenperspektive scheint hier hervorgehoben.

34 | Einleitung

von Lehrmittel in der Bildungsmedienforschung ist das nicht mehr vereinbar, denn dort wird der Begriff schlicht als Abkürzung für Lehr-Lernmittel/Lehr- und Lernmittel verwendet und meint in der Regel einen Informationsträger in einer der oben beschriebenen Ausprägungen (vgl. Matthes 2011, 1; ähnlich: Stadtfeld 2011, 70). Sofern ein Lehrmittel im Sinn von Bildungsmedium gedruckt vorliegt, wird auch von Lehrbuch gesprochen, bevorzugt, wenn es sich um akademische Bildungsmedien handelt, die von fachlichen Autoritäten für eine LernendenZielgruppe erstellt wurden.54 Gebräuchlich in der Forschungsliteratur und Verwaltungssprache ist Lehrbuch darüber hinaus weiterhin für den Schülerband (so z. B. in Nálepová/Rykalová 2015); dies ist darauf zurückzuführen, dass sich der Schülerband historisch aus dem Schulbuch als Hilfsmittel der Lehrkraft entwickelte (vgl. Becker 1978, 17f.). Das Schulbuch gilt als prototypisches und traditionsreichstes Bildungsmedium oder Lehr-Lernmittel (vgl. auch Matthes 2011, 1). Im Unterschied zu Matthes (2011, 2) sind LehrerInnenhandbücher oder Quellensammlungen von meinem Schulbuchverständnis, das auch der Korpuszusammenstellung zugrunde liegt (s. Kap. 3.2), nicht erfasst. Schulbuch meint in dieser Untersuchung nur solche Bildungsmedien, die hauptsächlich von der größten Gruppe im Bildungsbereich – den Lernenden – verwendet, meist im Klassensatz angeschafft werden sowie für den regelmäßigen schulischen Gebrauch konzipiert sind. Sie weisen im Unterschied zu Atlanten eine klare didaktische Strukturierung (z. B. in Kapitel, in Aufgaben, Anweisungen zur Arbeitsform) auf und vereinen dabei zwei Nutzungsperspektiven (vgl. Tebrügge 2001, 140f.): Schulbücher können von der Lehrperson bei der Unterrichtsvorbereitung oder als Arbeitsmittel im Unterricht verwendet werden und sind gleichzeitig Lernmittel für SchülerInnen, welche sich auch meist für ein Schuljahr in deren Obhut befinden oder von ihnen käuflich erworben werden müssen. Schülerbände und Arbeitsbücher in der obigen Definition fallen entsprechend unter dieses Verständnis von Schulbuch. Kein Kriterium für die Kategorisierung als Schulbuch ist, dass es sich um eine gebundene Ausgabe handeln muss. Schulbücher können ebenso gut in Form einer gehefteten Broschüre gestaltet sein (vgl. Wiater 2003) – so der Fall bei einigen älteren Rechen- und Sprachbüchern, die dann auch als Heft, zum Beispiel Rechenheft, bezeichnet sind. Schulbücher wurden und werden zudem im Vergleich zu anderen Bildungsmedien, wie zu Wandkarten,55 in hoher Aufla-

|| 54 So tragen viele akademische Publikationen den Untertitel Lehr- und Arbeitsbuch, zum Beispiel in Marx/Weidacher (2014). 55 Während nach E-Mail-Auskunft von Katharina Uphoff (Forschungsstelle Historische Bildmedien der Universität Würzburg) vom 22.10.2014 eine Dorfschule in der Regel lediglich ein

(Gender-)Linguistik und Schulbuchforschung in Deutschland | 35

ge produziert und sind in verhältnismäßig großer Stückzahl überliefert. Dies macht sie unter den Bildungsmedien zu einem der bestzugänglichsten. Noch immer darf das Schulbuch als Leitmedium unter den Bildungsmedien bezeichnet werden. Fächerübergreifend bescheinigte 2002 die Delphi-Studie der Cornelsen-Stiftung den hohen Stellenwert des Schulbuchs gegenüber anderen Medien und Unterrichtsmaterialien (vgl. Cornelsen-Stiftung 2002); erneuert wurde dies für die Kernfächer in einer LehrerInnenumfrage von 2013.56 Fachspezifische empirische Studien zur Wichtigkeit des Schulbuchs in der Unterrichtsrealität finden sich beispielsweise zu Deutschbüchern bei Gehrig (2014) und Ballis/Gaebert (2012), zu Geschichtsbüchern bei Schönemann/Thünemann (2010, 7). Wohl aus diesen Gründen wurde Bildungsmedienforschung in der Breite vor allem als Schulbuchforschung betrieben57 und steht das Schulbuch auch weiterhin im Zentrum der Bildungsmedienforschung.58 Das Schulbuch taucht im beschriebenen Sinn schon seit langem nicht mehr alleine auf, sondern wird in einem sogenannten Medienverbund erstellt und als Medienverbund vermarktet: Neben dem Schülerband gibt es den passenden Band für die Lehrperson, das passende Arbeitsheft, Themenhefte, audio-visuelle Medien, häufig online bereitgestellte Arbeitsblattsammlungen, zum Teil ganze vorgeplante Unterrichtssequenzen und Ähnliches. Solche Pakete werden mitunter als Lehrwerke bezeichnet (vgl. Neuner 2007; Astleitner/Sams/Thonhauser 1998, 38), deren Herzstück das Schulbuch ist, um das sich die anderen Materialien gruppieren. Damit ist die horizontale Bedeutungsebene von Lehrwerk beschrieben. Die vertikale Bedeutungsebene ergibt sich aus ihrem Reihencharakter. Die Bezeichnung Lehrwerk findet ebenso Verwendung, wenn ausgesagt werden soll, dass es sich um eine Reihe handelt, welche für alle oder zahlreiche Jahrgangsstufen einer Schulart ein Schulbuch (plus gegebenenfalls || Wandkarten-Set verwendete, so waren Lesebücher und Rechenhefte hingegen als Klassensatz vorhanden. 56 Durchgeführt wurde die Umfrage von der Universität Augsburg. Eine Kurzzusammenfassung der Ergebnisse der LehrerInnenbefragung Kostenlose Bildungsmedien online steht unter http://www.bildungsmedien.de/index.php/presse/pressedownloads/item/46forschungsprojekt-augsburg [Stand: 01.02.2017] als „Abstract IV“ zur Verfügung. Die Ergebnisse sind ferner ausführlicher dokumentiert in Neumann (2015). 57 Die Internationale Gesellschaft für historische und systematische Schulbuch- und Bildungsmedienforschung trägt dem hohen Stellenwert des Schulbuchs unter den Bildungsmedien und in der Forschung mit der Paarformel Schulbuch- und Bildungsmedienforschung im Gesellschaftsnamen Rechnung, könnte doch auch einfach – das Schulbuch inkludierend – von Bildungsmedienforschung die Rede sein. 58 Vgl. den Methodenband zur Bildungsmedienforschung von Knecht u. a. (2014), dessen Beiträge sich weitgehend auf das Schulbuch beziehen.

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Begleitmaterial) bereithält. Bei Reihen, wie zum Beispiel Verstehen und Gestalten für den Deutschunterricht oder Lambacher Schweizer für den Mathematikunterricht, wird Lehrwerk außerdem als Reihenbezeichnung für unterschiedliche Ausgaben eines Lehrwerks, im Kern: des Schulbuchs, gebraucht und damit die Reihentradition fokussiert. Vor allem in der vertikalen Bedeutungsebene wird die Bezeichnung Lehrwerk in dieser Arbeit verwendet. b) Schulbuchforschung als Text-Kontext-Forschung: Zur textuellen Eingebundenheit des Schulbuchs Texte im materiellen Sinn verweisen über sich selbst hinaus, sie stehen in expliziten und impliziten textuellen Bezügen. So gesehen, ist der Text nicht vom Kontext zu trennen (vgl. Bluhm u. a. 2000, 18; grundlegend: Kristeva 1972 [franz. 1967]; Bachmann-Medick 2004). Forschungspraktisch allerdings ist eine künstliche Trennlinie zu ziehen, mit der Untersuchungsdimensionen unterschieden werden können. Der Text steht zum Kontext in einem Inklusionsverhältnis, d. h., der Text ist in den Kontext eingebunden. Das Schulbuch wird in dieser Arbeit als Text eingeordnet. Mit Brinker (2010, 17) wird unter Text „eine begrenzte Folge von sprachlichen Zeichen verstanden, die in sich kohärent ist und die als Ganzes eine erkennbare kommunikative Funktion signalisiert“. Thematisch kohärent beispielsweise ist das Schulbuch allerdings nur bedingt – so nutzt ein Deutschbuch unterschiedliche Rahmensituationen und damit Themen, um Sprachwissen zu vermitteln oder Kommunikationsanlässe für den Kompetenzaufbau im Bereich Sprechen anzubieten. Ausschlaggebend dafür, das Schulbuch als eine textliche Einheit zu kategorisieren, ist der funktionale Zusammenhang, in dem das Schulbuch steht, nämlich als den Unterricht strukturierendes Instrument und als Mittel der Wissensvermittlung (vgl. Gansel 2015; Wiater 2003). Visuelle Zeichen (Abbildungen etc.) sind, mindestens, sofern sie in einem multikodalen Textverbund für das Verstehen der sprachlichen Zeichen relevant sind, ebenfalls vom Textverständnis dieser Arbeit erfasst. In der textlinguistischen Schulbuchforschung finden sich neben der Bezeichnung des Schulbuchs als „Text“ (Adamzik 2012, 56) auch die Bezeichnungen „Textsammlung“ (Adamzik 2011, 368) oder „komplexer Medien- und Textverbund“ (Heer 2010, 476).59 Sammlung und Verbund stellen heraus, dass sich ein Schulbuch aus unterschiedlichen Texten zusammensetzt (z. B. Quellentexte, Beschreibungstexte, Glossar). Die gleichzeitige Bezeichnung als Textsammlung

|| 59 Becker-Mrotzek (2000, 697f.; 699) nennt das Schulbuch eine „zentrale[] schulische[] Textsorte“ und „Textart“.

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und Text stellt keinen Widerspruch dar, wenn eine Sammlung an Texten als nichts anderes als ein neuer, komplexerer Text aufgefasst wird. Der gleichzeitigen Bezeichnung des Schulbuchs als Textsammlung und Text liegt dann allerdings ein weiter Textbegriff zugrunde, der zum Beispiel den Textualitätskriterien von de Beaugrande und Dressler nur partiell oder in einem recht allgemeiallgemeinen Sinn entspricht. Werden nun Analysen innerhalb eines Schulbuchs, also innerhalb eines Texts, durchgeführt, so betreffen diese den Intratext (s. Kap. 3.1: intratextuelle Analyse). Bei der intratextuellen Analyse wird wiederum in analyserelevante Einheiten und deren Kotext unterschieden. In Anlehnung an Catford (1965) und Franck (1996) verstehe ich unter Kotext den unmittelbaren lokalen sprachlichen Kontext zu einer Textstelle, den ich um den lokalen visuellen Kontext erweitere.60 Der Kotext wird bei der Schulbuchanalyse eine wichtige Rolle spielen. Auch über das einzelne Schulbuch hinaus können Zeichen einen Zusammenhang bilden, zum Beispiel über sprachlich-referentielle Bezugnahmen (wie das Zitat), formal-strukturell als gleiche Textstruktur oder kommunikativ-funktional bei gleicher Textfunktion. Schulbücher bilden untereinander einen solchen intertextuellen Zusammenhang, zum Beispiel stehen verschiedene Länderausgaben des gleichen Lehrwerks oder verschiedene Auflagen in einem solchen. Beim Erstellen neuer Schulbücher spielen derartige Zusammenhänge eine wichtige Rolle, da sich an der Vorgängerreihe oder an prominenten Konkurrenzwerken orientiert wird. Insofern ist ein Schulbuch dem nächsten bereits der Kontext. Zum Kontext, wie er in dieser Arbeit gefasst wird, zählt aber weit mehr: Kontext wird in der Linguistik sehr unterschiedlich verwendet.61 Diese Arbeit erfasst mit Kontext den Entstehungszusammenhang von Schulbüchern. Aus forschungspraktischen Gründen führt sie eine Unterscheidung des Kontexts in einen engeren Kontext als institutionellen Entstehungszusammenhang und einen weiteren Kontext als sozial- und kulturgeschichtlichen Entstehungszusammenhang ein.62 Diese Kontexte sind prinzipiell nicht materiell, werden aber

|| 60 Zur Trennung in Kotext und Kontext vgl. auch Busse (2015, 104), Braun u. a. (1998, 270), Pettersson (2011a), Spieß (2011). 61 Einen Überblick gibt Franck (1996), vgl. ferner Spieß (2011, 147–149) und Meier/Reisigl/ Ziem (2014). 62 Spieß (2011, 188) gelangt zu einer ähnlichen Systematik in der analytischen Strukturierung des Kontexts von Texten: unmittelbarer/lokaler, situativer/institutioneller und kultureller/gesellschaftlich-struktureller Kontext. Die in dieser Arbeit betrachteten Kontexte sind zudem parallelisierbar mit Landwehrs Unterscheidung in einen institutionellen und historischen Kontext (vgl. Landwehr 2009). Die Zweiteilung des Kontexts stellt im Übrigen keine maximale Systematisie-

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greifbar in Form von vor allem Texten, die wiederum Gegenstand der Untersuchung des Entstehungszusammenhangs und damit Ausgangspunkt für die kontextsensitive Interpretation der Ergebnisse aus der intratextuellen Schulbuchanalyse sein können. Wie sich diese beiden kontextuellen Untersuchungsdimensionen in die vorliegende Arbeit einfügen, wird im Zusammenhang mit den methodischen Grundlagen ausgeführt (s. Kap. 3.1). Der institutionelle Entstehungszusammenhang erfasst die institutionellen Bedingungen (vgl. auch Landwehr 2009, 107), unter denen Schulbücher entstehen. In Deutschland sind Einflussnahmen staatlicher Einrichtungen auf Schulbuchwissen in der Praxis der Schulbuchzulassung institutionalisiert, weswegen diese Praxis eingehender untersucht wird (s. Kap. 5). Einschlägige Textdokumente für den institutionellen Entstehungszusammenhang sind beispielsweise Schulbuchzulassungsverordnungen oder Schulbuchgutachten. Schulbücher müssen den Schulbuchzulassungsverordnungen entsprechen und auf Gutachtenkritik (z. B. am Aufbau eines Schulbuchs) durch entsprechende Änderungen reagieren. Adamzik (2011) spricht hier von der Eingebundenheit des Schulbuchs in ein „Textsortennetz“, das bei Heer (2010, 475) eingehend beschrieben ist. Warnke schlägt (2002, 136) die Bezeichnung „Diskursivität“ vor, um die Einbettung von (Einzel-)Texten in diskursive Zusammenhänge zu erfassen – ohne seine Überlegungen allerdings am Schulbuch auszurichten – und bereitet damit begrifflich und konzeptionell den Brückenschlag von einer kontextsensitiven Textbetrachtung zu einer an diskursiven Zusammenhängen interessierten Textbetrachtung vor, die in meinen Augen mehr zu leisten hat, als intertextuelle Bezüge aufzuzeigen. Ich komme darauf im Kapitel 2 zurück (s. ferner Kap. 3.1). Über den institutionellen Kontext hinaus stehen Schulbücher in einem weiteren Kontext: Die Produktion von Schulbüchern findet vor einem sozial- und kulturgeschichtlichen Hintergrund statt, dessen sich die TextproduzentInnen nicht notwendigerweise umfassend bewusst sind (s. noch Kap. 2.2.1).63 Dieser wirkt dennoch auf die Arbeit an Schulbüchern mit ein, ist also auch KoKonstrukteur. Im Vergleich der Schulbuchinhalte mit dem weiten Entstehungszusammenhang werden darüber hinaus mögliche alternative Sprechweisen zu Geschlechterrollenvorstellungen erkennbar, die mit denen der Schulbücher || rung dar; zu weiteren Kontexttypen vgl. Landwehr (2009) und zu Systematisierungsmöglichkeiten vgl. Spieß (2011, 143–154 und 187–194). 63 Damit ist nicht gesagt, dass dieser Entstehungszusammenhang außerhalb des Einflussbereichs von Diskursen stehen könnte. Gleichzeitig wirken Schulbücher selbst an der Konstruktion, Transformation oder Verfestigung von gesellschaftlich geteiltem Wissen, wie es in den Schulbüchern vorzufinden ist, mit – dies liegt nicht zuletzt daran, dass Schulbuchwissen als Wissen erscheint, dem für den Unterricht eine Deutungshoheit zugestanden wird.

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konkurrieren bzw. zu denen sich die Schulbücher – intentional oder nicht – positionieren. Unter Einbezug des sozial- und kulturgeschichtlichen Entstehungszusammenhangs können im Besonderen Wandelphänomene erst eingeordnet werden, die in der Versprachlichung von Geschlechterwissen festzustellen sind, so zum Beispiel als überraschend oder erwartbar. In Vorbereitung vor allem auf die Aufarbeitung des institutionellen Entstehungszusammenhangs wird im Folgenden kurz dargestellt, welche Institutionen und Personengruppen in der „Diskursarena Schulbuch“ (Höhne 2003, 61) prinzipiell zu berücksichtigen sind. c) Schulbuchforschung als Wissensproduktionsforschung An Schulbücher werden vielfältige Erwartungen gerichtet: Sie sollen Kinder und Jugendliche mit einem Wissenskanon, der aus sehr unterschiedlichen Gründen als vermittlungsrelevant erachtet wird, vertraut machen, die Schulbücher sollen dieses Wissen strukturieren und die Wissensvermittlung (z. B. in Form von Arbeitsanweisungen) steuern, die SchülerInnen bei der Wissensaneignung unterstützen, indem Schulbücher motivieren, Angebote für einen differenzierten Unterricht machen, und sie sollen Wissen festigen, indem beispielsweise Merkkästen, ein Glossar oder Wiederholungsfragen aufgenommen sind (vgl. Hacker 1980; vgl. die sehr ähnlichen Funktionsbeschreibungen der sowjetischen und der DDR-Schulbuchforschung in Bamberger 1995, 68f.; vgl. ferner Kahlert 2010). Zu diesen pädagogisch-didaktischen Anforderungen an Schulbücher treten weitere, die Wiater (2003, 14) als die gesellschaftlichen Funktionen von Schulbüchern bezeichnet. Dazu zählt er: ̶ ̶ ̶ ̶ ̶ ̶

die Normierung der Lerninhalte im Sinne der staatlichen Verfassung die Gewährleistung der Konformität des schulischen Lernens mit den obersten Bildungs- und Erziehungszielen die Sicherung eines lehrplanbezogenen Basiswissens und Basiskönnens im jeweiligen Bundesland die Gewährleistung von Chancengleichheit im Bildungswesen die Unterstützung bildungspolitischer Ziele im jeweiligen Bundesland die Abgrenzung dessen, was zur Kultur in der Gesellschaft zählt. (Wiater 2003, 14)

Die ersten drei bis vier Funktionen sind seit den 1970er Jahren in vielen Schulgesetzen der Länder aufgeführt und damit explizit formulierter Anspruch, an dem sich Schulbücher auch im Zulassungsverfahren messen lassen müssen (vgl. Wendt 2010, 85). Uneinigkeit besteht angesichts dieser Anforderungen allerdings in der Frage, ob Schulbücher als Innovationsträger (vgl. Kahlert 2010; Matthes/Heinze 2003) oder Traditionalisten zu klassifizieren sind (vgl. Lässig

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2010). Die beiden Beschreibungen sprechen unterschiedliche Wissensbestände im Schulbuch an: Innovativ könnten neue Schulbücher vor allem in Bezug auf das zu vermittelnde Fachwissen und die methodisch-didaktische Konzeption sein; sie bewegen sich mitunter näher am aktuellen Forschungsstand, als es Lehrpläne können (vgl. Menzel 2010; kritisch hierzu Lässig 2010, 209). Und traditionell bzw. konservativ-träge seien Schulbücher vor allem in Bezug auf gesellschaftliche Veränderungen, die sich eher zeitverzögert im Schulbuch niederschlagen und entsprechend „langfristig wirkende Wahrnehmungsmuster und Deutungen kommunizieren“ (Lässig 2010, 219). Unbestritten ist, dass auf Schulbücher vielfältige Kräfte wirken. Lässig beschreibt dies folgendermaßen: In Schulbüchern spiegeln sich das Wissen und die Werte, die eine Gesellschaft und speziell ihre politischen Eliten als wichtig definieren und deshalb an die nächste(n) Generation(en) weitergeben wollen. Indirekt lassen sie aber auch erkennen, welche sozialen, ethnischen oder religiösen Gruppen im Prozess der Aushandlung dieser Werte keine oder nur eine marginale Rolle gespielt haben bzw. spielen und wessen Weltbilder dominant sind. […] Schulbücher sind, so ließe sich zugespitzt formulieren, Konstruktionen und zugleich auch Konstrukteure sozialer Ordnungen und gesellschaftlichen Wissens. (Lässig 2010, 203)

Schulbücher schlicht als Spiegelbilder gesellschaftlichen Wissens betrachten zu können, würde Lässigs Position nur unzureichend zusammenfassen. Ihr geht es in Anlehnung an Höhne (2003) vielmehr um die Konzeption des Schulbuchs als Wissenskonstruktion und -konstrukteur, das auch für diese Arbeit grundlegend ist. Das in den Schulbüchern vermittelte Wissen ist Ergebnis dieser komplexen Aushandlungsprozesse, die Höhne in seiner Theorie64 des Schulbuchs ins Zentrum rückt und als „Diskursarena“ fasst (Höhne 2003, 61); zugleich hat das Schulbuch – das ist schließlich die zentrale Funktion eines Bildungsmediums als Wissensvermittler – Anteil am Aufbau von Wissen aufseiten derer, die mit dem Schulbuch arbeiten (vgl. bereits Schallenberger 1973). Welche Personen und Institutionen, welche AkteurInnen,65 sind das nun, die mit unterschiedlichen Mitteln, Ressourcen und unterschiedlichem Wirkungsgrad darauf Einfluss zu nehmen versuchen, was am Ende im Schulbuch zu lesen ist und somit – potentiell wenigstens – seinen Weg in die Köpfe der SchülerInnen macht? Neben der Wissenschaft (Fachwissenschaft, Didaktik, Pä-

|| 64 Höhne (2003) legt nicht die erste Theorie vor. Stein (1995) nennt für die deutschsprachige Forschung Kopp (1965) als Vordenker einer Theorie des Schulbuchs. 65 Zur Bezeichnung AkteurIn s. bereits Kapitel 1.1, FN 9.

(Gender-)Linguistik und Schulbuchforschung in Deutschland | 41

dagogik) sind hier zum Beispiel Lehrkräfte in der Funktion als AutorInnen oder GutachterInnen, behördliche Zulassungsstellen sowie Kirchen, die an der Genehmigung von Schulbüchern beteiligt sind, oder außerhalb des Schulsystems stehende meinungsbildende Instanzen, wie JournalistInnen, zu nennen. Diese und weitere AkteurInnen sind hier zusammengetragen (vgl. auch Lässig 2010, 207): – BildungswissenschaftlerInnen – FachdidaktikerInnen – FachwissenschaftlerInnen – SchulbuchautorInnen – SchulbuchredakteurInnen – VerlegerInnen – Kultusbehörden / Landesschulinstitute – Schulbuchzulassungskommissionen – GutachterInnen – Religiöse Gemeinschaften – LehrerInnenverbände – Elternverbände – Wirtschaftsverbände – Gewerkschaften – Parteien – JournalistInnen Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; die vertikale Abfolge impliziert auch keine Hierarchie dieser Kräfte zueinander. Die Aufstellung soll hingegen verdeutlichen, welche Vielzahl an Kräften auf das Schulbuch wirkt.66 Im Kapitel 5, das sich ausführlicher dem institutionellen Entstehungszusammenhang von Schulbüchern widmet, werden darunter jene AkteurInnen ermittelt, welche unmittelbar auf Schulbuchinhalte einwirken können.

|| 66 Die AkteurInnen versuchen von zum Teil konkurrierenden Standpunkten aus, Einfluss zu nehmen (z. B. Wirtschaftsverbände vs. Gewerkschaften), inhaltliche Überlegungen von AutorInnenseite stehen mitunter marktwirtschaftlichen Überlegungen auf Verlagsseite gegenüber etc. Die AkteurInnen stehen dabei nicht außerhalb von Diskursen, sondern agieren in einem Möglichkeitsraum, der selbst diskursiv konstituiert ist (s. Kap. 2.2.3).

42 | Einleitung

1.2.4

Forschungsdefizite

Trotz 40 Jahren Sprache-und-Geschlecht-Forschung zum Deutschen besteht gerade in Bezug auf die Analyse von nicht-gesprochensprachlichen Texten ein Defizit an methodologischen Grundlagen. Anders als in der angloamerikanischen linguistischen Geschlechterforschung, die sich in den vergangenen Jahrzehnten in den applied linguistics etabliert hat und die zuletzt methodologische Grundlagenforschung forcierte (vgl. Harrington u. a. 2008; Mills/Mullany 2011; Baker 2014), fehlt für das Deutsche ein etabliertes, verschiedene sprachliche Phänomene erfassendes linguistisches Methodeninventar für die Untersuchung des Sprechens über Geschlecht und der Versprachlichung von Geschlechterkonzepten ebenso wie eine Methodologie, auf das bzw. die zurückgegriffen werden könnte. Im Unterschied zur Sprache-und-Politik-Forschung beispielsweise fehlt es der gegenwärtigen Sprache-und-Geschlecht-Forschung zum Deutschen auch an Räumen der Diskussion und Programmbildung – seien dies Tagungen, Arbeitstreffen oder auch Publikationen. Monographien zur Spracheund-Geschlecht-Forschung, zum Beispiel von Klann-Delius (2005), kommen das Verdienst der disziplinären und disziplingeschichtlichen Dokumentation zu; sie fokussieren aber weniger auf Methodologisches. An neueren Schriften sind vor allem Günthner/Hüpper/Spieß (2012) oder auch der Thema Deutsch-Band 5 (Eichhoff-Cyrus 2004) anzuführen, welche die jüngere Forschung bündeln, eine Bandbreite an Fragestellungen sowie methodischen Zugängen vorstellen, in diesem Rahmen jedoch nur bedingt zur konzeptionellen Weiterentwicklung der Disziplin beitragen können.67 Die Arbeit wirkt an einer Weiterentwicklung der Sprache-und-GeschlechtForschung vor allem in zweierlei Hinsicht mit: (1.) Sie leistet einen von der Erhebungspraxis ausgehenden Methodenbeitrag zur Analyse von sprachlich vermittelten Geschlechterkonzepten, indem sie ein basales, dabei differenziertes Analyseverfahren vorstellt, das personal referierende Ausdrücke sowie Aussagen (Prädikationen) über Personen erfasst (s. ausführlich Kap. 3.3.2). Basal ist es, weil es auf beinahe jeden Text angewendet werden kann, in dem über Personen gesprochen wird. Während sich Analysen zu als gesellschaftlich relevant erachtetem Wissen (z. B. aus dem Umfeld der Diskurslinguistik) häufig auf die Lexik beschränken, nimmt die Aussagenebene in dieser Untersuchung ebenfalls einen wichtigen Raum ein. Neben sprachsystemischen sind unter anderem gen-

|| 67 Der von Constanze Spieß und Martin Reisigl für 2017 angekündigte Doppelband Sprache und Geschlecht (Heft 90 und 91 der Reihe Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie) wird dazu beitragen, die Lücke zu schließen.

(Gender-)Linguistik und Schulbuchforschung in Deutschland | 43

deronomastische Kategorien integriert und Überlegungen zu einer Analyse von Agentivität zu Erhebungskategorien operationalisiert. Diese Arbeit verbindet sich (2.) mit einer linguistischen Epistemologie, wie sie theoretisch in Kapitel 2.2 und forschungspraktisch im Kapitel 6.1 entfaltet wird. Bislang ist vor allem das Programm einer epistemologischen Diskurslinguistik formuliert, jedoch wurden wenige empirische Untersuchungen mit linguistisch-epistemologischem Erkenntnisinteresse angestellt (vgl. z. B. Ziem 2008a; 2008b; Fraas/Meier 2013) und hat sich die Genderlinguistik zudem an dieser empirischen Fundierung nach meinem Kenntnisstand noch nicht beteiligt. Daher sind das Verfahren wie die Ergebnisse ein Beitrag zu einer linguistischen Epistemologie von Geschlecht. Vor allem in diesen beiden Hinsichten also will sich die Untersuchung an der Profilierung einer Methodik und auch Methodologie der Sprache-undGeschlecht-Forschung beteiligen. Nachdem die Linguistik dem Schulbuch als Untersuchungsgegenstand nur wenig Interesse entgegengebracht hat, zeichnet sich hier in den letzten Jahren eine Trendwende ab (vgl. den Sammelband Kiesendahl/Ott 2015; die DGVMitteilungen 4/2015). Wissensanalytische linguistische Untersuchungen zum Schulbuch sind aber weiterhin rar (vgl. z. B. Dreesen/Judkowiak 2011). Doch gerade hier liegen Potentiale einer inter- oder sogar integrativ-transdisziplinären Forschung von Linguistik und erziehungswissenschaftlich geprägter Bildungsmedienforschung (vgl. auch Fey/Matthes 2015). Methodisch und vom Erkenntnisinteresse her an den Sozialwissenschaften ausgerichtete Schulbuchuntersuchungen haben nämlich bislang kaum herausgearbeitet, welche Rolle der Sprache bei der Konstruktion von kollektivem Wissen zukommt (vgl. aber die Ausnahmen Höhne/Kunz/Radtke 2005; Fey 2015). Eine sprachorientierte Analyse aber kann verständlicher machen, wie im Schulbuch Wissen vermittelt wird. Die vorliegende quantitativ-qualitative Sprachgebrauchsanalyse leistet dies für den Wissensaspekt Geschlecht. Sie begegnet darüber hinaus weiteren Defiziten der Schulbuchforschung: Die Schulbuchforschung entstand im 19. Jahrhundert aus dem Bedürfnis nach Kontrolle über das als relevant und richtig erachtete Schulbuchwissen, vor allem zur Nationalgeschichte (vgl. Pöggeler 2003). Dieser Schwerpunkt auf Schulbuchinhalten bzw. der Ideologiekonformität68 von Schulbüchern blieb in der Folgezeit erhalten und bildete auch die Grundlage der in den 1960er und 1970er Jahren an Fahrt aufnehmenden deutschen Schulbuchforschung, die nach Pluralismus und Multiperspektivität im Schulbuch verlangte (vgl. Wiater 2003, 16–19; Höpken 2003). Methodische Fragen rückten in der Folgezeit in den || 68 Ideologie ist wertneutral gebraucht.

44 | Einleitung

Vordergrund, um das empirische Defizit der sozial- und ideologiekritischen Schulbuchforschung der 1970er Jahre zu beheben und die Forschung zu Schulbüchern zu verobjektivieren (vgl. Stein 1979, 5–8). Diese wissenschaftsgeschichtliche Einordnung erklärt, warum Schulbuchforschung lange Zeit ausschließlich produktorientiert betrieben wurde, also an den Inhalten interessiert war, und den Weg zum Schulbuch sowie den Einsatz oder die Wirkung von Schulbüchern kaum in den Blick nahm.69 Der Fokus der produktorientierten Schulbuchforschung liegt und lag dabei auf Fibeln und Lesebüchern sowie Bildungsmedien für Staatskunde/Sozialkunde/Politik, Geschichte und Erdkunde/Geographie.70 Schulbuchuntersuchungen zum Geschlechterwissen wurden schwerpunktmäßig in den 1980er Jahren betrieben (s. Anhang 1–171). Eine durchgehende diachrone Perspektive auf das schulbuchimmanente Geschlechterwissen fehlt in der gegenwärtigen Schulbuchforschung (vgl. aber zu anderen Analyseschwerpunkten Wicki 2006; Postupa/Weth 2011; Stürmer 2014). Wie Schulbücher entstehen, welchen Marktzwängen die Schulbucharbeit (auch) unterworfen ist, wie ausgehandelt wird, was im Schulbuch stehen darf und was nicht – auch diesen Fragen ging die Schulbuchforschung bislang kaum systematisch nach. Zunächst finden sich in der Forschungsliteratur Erfahrungsberichte, zum Teil anekdotisch-polemische Erzählungen aktiver oder ehemaliger SchulbuchautorInnen, -redakteurInnen und -verlegerInnen – ein Versuch, deren Perspektive einzubinden.72 Wenn WissenschaftlerInnen am Schulbuch, mit Weinbrenner (1995) gesprochen, prozessorientiert forschten, konzentrierten sie sich auf die detaillierte Beschreibung des staatlichen Genehmigungsverfah-

|| 69 Weinbrenner (1995) unterscheidet entsprechend die prozessorientierte, die produktorientierte und die wirkungsorientierte Schulbuchforschung. Die prozessorientierte hat unter anderem die Schulbuchentwicklung und -approbation zum Forschungsgegenstand. 70 Dies mag mit einem entsprechenden Sammlungsschwerpunkt auf Geschichte, Geographie/ Erdkunde, Politik/Sozialkunde, Erstleseunterricht/Lesebücher der größten internationalen Schulbuchbibliothek, angegliedert an das Georg-Eckert-Institut (Braunschweig), zusammenhängen. An Schulbuchsammlungen mit größerem Fächerkanon sind außerdem zu nennen: die Johannes-Guthmann-Sammlung der Universität Erlangen-Nürnberg, die Ichenhausener FranzPöggeler-Sammlung, die Bibliothek des Cassianeums an der Universität Augsburg oder der Schulbuchbestand der Bibliothek für bildungshistorische Forschung (BBF) in Berlin. 71 Der Anhang ist nicht Bestandteil der Druckfassung, sondern steht zum Download unter https://www.degruyter.com/view/product/491314 bereit. 72 Vgl. beispielsweise Jeismann (1987), Helbig (1979), Dauch (1973); zur Sicht der Zulassungsbehörde vgl. Stillemunkes (1998). Neuere Beiträge von AutorInnen und Verlagen sind in Fuchs/ Kahlert/Sandfuchs (2010) versammelt; vgl. ferner Hessenauer (2011, 176f., Anm. 52 und 56) sowie die vom Georg-Eckert-Institut (GEI) zusammengetragene Literaturliste zur Schulbuchzulassung (2014).

(Gender-)Linguistik und Schulbuchforschung in Deutschland | 45

rens, diachron oder vor allem synchron.73 Umfassender ist Hessenauers (2011) Ansatz, die auch verlagswirtschaftliche Aspekte der Schulbucharbeit zum Untersuchungsgegenstand erhebt. Empirische ethnographisch-diskursanalytische Fallstudien zur Wissensaushandlung im Rahmen der Schulbucherstellung wurden ferner von Macgilchrist (2011) durchgeführt. Es fehlt weiterhin weitgehend an wissenschaftlichen Untersuchungen, in denen Meinungen, Einstellungen, Erfahrungswerte von SchulbuchautorInnen und -redakteurInnen zum Gegenstand von Schulbuchforschung gemacht werden. Dass die Auseinandersetzung mit der Produktionsseite von Schulbüchern neue Forschungsperspektiven auf Schulbuchwissen bietet, haben 2015 gleich zwei Tagungen zum Thema herausgestellt.74 Theoretisch ist die Diskursarena ausgemessen (vgl. Höhne 2003; auch Lässig 2010). Für die DDR arbeitete Stürmer (2014) diese Diskursarena quellengestützt auf. Für die Bundesrepublik steht eine solche Aufarbeitung noch aus, bei der konsequent der institutionelle Kontext von Schulbüchern im Rahmen von Schulbuchanalysen reflektiert wird. Hier zeigt die vorliegende Untersuchung auf, wie der Diskursarena forschungspraktisch beizukommen ist, ohne dies allerdings für den gesamten Untersuchungszeitraum und in der prinzipiell denkbaren Breite leisten zu können (s. Kap. 5). Nicht nur in Bezug auf den institutionellen Entstehungszusammenhang besteht ein Defizit an kontextsensitiver Schulbuchforschung, wie Fuchs (2011, 15) konstatiert.75 Für Heinze kann Schulbuchforschung nur unter Einbezug des Kontexts der Schulbücher betrieben werden, weil Text und Kontext aufeinander bezogen sind, der Kontext als Wissensfiguration aufgefasst wird, „deren Rekonstruktion es erst ermöglicht, das jeweilige Schulbuch angemessen zu verstehen.“ (Heinze 2011, 22; ähnlich bereits Schallenberger 1976, 4) Eine kontextsensitive Schulbuchforschung berücksichtigt beispielsweise leitende pädagogische

|| 73 Einen Überblick über jüngere Veränderungen geben Stöber (2010) und Wendt (2010); Brandenberg (2006) und Leppek (2002) arbeiteten stärker die rechtliche Seite der Schulbuchzulassung heraus. Hambrink (1979) und Lackamp/Ziegenspeck (1978) untersuchten das staatliche Verfahren der 1970er Jahre empirisch und Müller (1977) leistete in seiner Dissertationsschrift die umfassendste historische Aufarbeitung. 74 Die Tagung des Georg-Eckert-Instituts Knowledge production in a hybrid age: Contemporary and historical perspectives on producing textbooks and digital educational media vom 3.–5. Dezember 2015 in Braunschweig (vgl. Sammler u. a. 2016) und die Jahrestagung 2015 der Internationalen Gesellschaft für historische und systematische Schulbuch- und Bildungsmedienforschung vom 9.–11. Oktober in Ichenhausen zum Thema Bildungsmedien auf dem Prüfstand: Autorisierung, Verbot, Legitimierung und Delegitimierung (vgl. Matthes/Schütze 2016). 75 Für die Schweiz wurde das Defizit im interdisziplinären SNF-Sinergia-Projekt Transformation schulischen Wissens seit 1830 (2013–2015) systematisch angegangen.

46 | Einleitung

Prinzipien sowie die Kulturgeschichte.76 Zu Geschlechterkonstruktionen steht eine solche Aufarbeitung noch aus.77 Kaum Forschung wird auch zur Wirkungs- und Rezeptionsseite der Schulbücher betrieben. Es besteht dabei mit Fuchs (2011, 8) ein „Mangel sowohl an empirischem Wissen über die Wirkungsmechanismen des Schulbuchs als auch über die Transformation des Wissens vom Schulbuch zum Schüler“.78 Inwiefern Schulbücher auf das Weltwissen der SchülerInnen einwirken und am Aufbau von sozial geteiltem Wissen zu Geschlechterrollen beteiligt sind, wäre auch für diese Untersuchung eine interessante Frage. Forschungsdesigns aus den im Kapitel 1.2.1b genannten psycholinguistischen Studien zum generischen Maskulinum und sprachlichen Ersetzungsstrategien beispielsweise könnten zum Einsatz kommen – in diesen bildeten zwar keine Schulbücher die Textgrundlage, doch wäre es ein Leichtes, das Untersuchungsdesign auf Schulbücher anzuwenden. In der vorliegenden Arbeit wird die Frage nach der Wirkung von Schulbuchwissen dergestalt mitreflektiert, dass potentielle Einflussnahmen auf das Welt- und Gesellschaftsbild von SchülerInnen herausgearbeitet werden. Die vorliegende Arbeit versteht sich somit nicht nur als methodischer bis methodologischer sowie forschungspraktischer Beitrag zur Genderlinguistik und Diskurslinguistik, gerade in ihrer epistemologischen Ausprägung, sondern füllt auch die Lücke einer breit angelegten Längsschnitt-Schulbuchstudie (hier: Mathematik-/Rechenbücher und Deutschsprachbücher/kombinierte Lese- und Deutschsprachbücher) und verbindet die produktorientierte mit einer prozessorientierten Schulbuchforschung. Der Fokus liegt dabei auf der Sprache der Schulbücher bzw. sprachlich vermittelten Geschlechterkonzepten.

|| 76 Beispiele für die Rückbindung von Schulbuchinhalten an kulturgeschichtliche Strömungen geben Jonker (2010) und Wicki (2006), vgl. ferner Depaepe/Simon (2003). 77 In Ansätzen leisten dies Fichera (1996) und Fischer (2000) hinsichtlich des bildungspolitischen Kontexts. 78 An Beiträgen zur Wirkung und Verwendung von Schulbüchern und damit zur schulpraktischen Transformation von Schulbuchwissen sind für das Fach Geschichte die Studien von Borris (2006; 2010) zu nennen, für Mathematik Fricke/Lühmann (1979), zu Sachbüchern Rauch/Wurster (1997) und für verschiedene Fächer (darunter Deutsch) Neumann (2015) und Schümer (1991).

2 Theoretische Grundlagen Warum wird im Schulbuch auf genau diese oder jene Weise über Geschlecht gesprochen? Eine solche Frageperspektive ist auf Gegenstandsbereiche ausgerichtet, die über jene der Systemlinguistik deutlich hinausgehen. Der große Unterschied besteht, mit Busse gesprochen, darin, dass zunächst die „in und mit Sprache verhandelten Inhalte“ (Busse 2013a, 157; Hervorh. CO) – in dieser Arbeit also die sprachlich vermittelten Geschlechterkonzepte – und in einem weiteren Schritt die Struktur (bzw. Strukturen) dieser sprachlich vermittelten Geschlechterkonzepte in den Mittelpunkt linguistischen Erkenntnisinteresses gerückt werden (vgl. Busse 2013a, 157f.). Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass mit dieser Frageperspektive der engere und weitere Kontext von sprachlichen Äußerungen an Relevanz gewinnt. Eine disziplinäre Verortung hat die vorliegende Arbeit, welche diese Frageperspektive einnimmt, in der kulturwissenschaftlichen Linguistik und hier vor allem der Diskurslinguistik. Mit ihnen teilt sie auch die Annahme, dass Sprache nicht einfach Mittel von Kommunikation oder Spiegel sozialer ‚Realitäten‘ ist, sondern SprecherInnen an der Konstruktion von Bedeutung und von gesellschaftlich geteiltem Wissen mitwirken. Diese Prämissen sind sehr gut an die diskurstheoretische Geschlechterforschung anschlussfähig. Auf welche Theorien sich diese Arbeit beruft und welche erkenntnis- und sprachtheoretischen Prämissen ihr zugrunde liegen, soll im Folgenden erläutert werden. In dem Zusammenhang wird geklärt, in welcher Hinsicht sich diese Arbeit als eine diskurslinguistische versteht.

2.1 Sprachwissenschaft als Kulturwissenschaft In der Weitung der Schulbuchsprache um ihren Kontext stimmt die Arbeit mit Zielvorstellungen konzeptionell überein, wie sie für die kulturwissenschaftliche Linguistik formuliert sind: Sie kommt der Forderung Wengelers (2006, 3) nach, dass eine kulturwissenschaftliche Linguistik „Sprache als kulturelles System bzw. in ihren kulturellen Bezügen beschreiben und erklären“ soll; anderenorts spricht Wengeler von gesellschaftlichen, sozial- und kulturgeschichtlichen Zusammenhängen, in die sprachliche Äußerungen eingebettet oder „‚verstrickt‘“79

|| 79 Wengeler greift hier in Referenz auf Busse das Bild von Kultur als Bedeutungsgewebe auf, das Clifford Geertz von Max Weber übernommen hat, um die Semiotik von Kultur und die kulturelle Eingebundenheit von Individuen zu veranschaulichen.

DOI 10.1515/9783110555578-002

48 | Theoretische Grundlagen

(Wengeler 2013, 46) sind, die die SprecherInnen beeinflussen und die in linguistische Analysen einbezogen werden sollten (vgl. Wengeler 2013, 45f.; 2010, 78). Das Interesse von SprachwissenschaftlerInnen an der kulturellen Dimension von Sprache ist dabei kein neues Phänomen. In der Sprachwissenschaft finden sich schon früh und an prominenter Stelle Ansätze für ein Sprachverständnis, wonach Sprache als kulturspezifischer sowie potentiell veränderbarer Sprachgebrauch zu denken ist. Die kulturwissenschaftliche Linguistik kann sich hierin unter anderem auf Humboldt beziehen, dessen Schriften ein Sprachbegriff zu eigen ist, der die kulturelle Geprägtheit – und damit Kulturspezifik – von Sprache hervorhebt („Die Sprache ist gleichsam die äusserliche Erscheinung des Geistes der Völker; ihre Sprache ist ihr Geist und ihr Geist ihre Sprache“ 1963 [1835], 414f.) und der zugleich die soziale Wirksamkeit von Sprache stark macht („Die Sprache […] ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energeia)“ 1963 [1835], 418).80 Folgt die Sprachwissenschaft einem kulturwissenschaftlichen Ansatz, dann ist mit Wengeler Zielsetzung solcher Forschung, Sprachphänomene nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu erklären und dies „vor dem Hintergrund philosophischer, religiöser, politischer, gesellschaftlicher, ökonomischer, technisch-naturwissenschaftlicher, ästhetischer und alltagsweltlicher Zusammenhänge“, wie Gardt (2007, 36; vgl. auch 2003, 272) potentielle Kontexte einer kulturbezogenen Sprachwissenschaft benennt. Wie die Ausführungen deutlich machen, wird Sprache von der kulturwissenschaftlichen Linguistik eng mit dem Kontext zusammengedacht. Anspruch dieser Arbeit ist es, sprachliche Phänomene sowohl zu beschreiben als auch – gemäß der kulturwissenschaftlichen Ausrichtung – unter Berücksichtigung ihres Entstehungszusammenhangs zu erklären und zwar in folgender Hinsicht: Bei der Erklärungssuche steht im Mittelpunkt, die Sprechweisen des Schulbuchs mit ihrem Kontext in Bezug zu setzen und hieraus abzuleiten, wie sich das Schulbuch zu diesem positioniert. Bei der Betrachtung des institutionellen Entstehungszusammenhangs werden hierbei unmittelbare Versuche der Einflussnahme auf Schulbuchwissen berücksichtigt. Weiterer zentraler Bestandteil der Erklärungssuche ist es, die im Schulbuch vorzufindenden Sprechweisen über Geschlecht und im Besonderen über Frauen und Männer auf ihre epistemischen Voraussetzungen zu befragen (s. die weiteren Ausführungen im Folgekapitel 2.2). Die Diskurslinguistik – als eine Ausprägung kulturwissenschaftlich orientierter Linguistik – hat die theoretischen Grundlagen für eine solche Fra-

|| 80 Die darauf aufbauenden Ansätze von Weisgerber (Inhaltsbezogene Grammatik) oder die Annahme eines sprachlichen Relativitätsprinzips von Whorf und Sapir blieben in ihrer Wirkung auf die germanistische Linguistik beschränkt (vgl. Bußmann 2008, 293f.).

Diskursanalyse als Analyseperspektive | 49

geperspektive, welche das Verhältnis von Sprache und Wissen betrifft, geschaffen.

2.2 Diskursanalyse als Analyseperspektive Die kontextsensitive Perspektive auf Schulbuchwissen hat ihre Verankerung in der kulturwissenschaftlichen Linguistik. In Verbindung mit Foucaults Diskurstheorie sowie mit deren geschlechtertheoretischen Weiterführung ergibt sich die theoretische Basis der Arbeit. Erst in dieser Verbindung geht sie den Schritt von einer kulturwissenschaftlichen Text-Kontext-Studie (s. Kap. 1.2.3b) zu einer diskurslinguistischen Untersuchung. Diskursanalyse wird dabei weniger als Methodik betrachtet, sondern stellt eine Analyseperspektive auf Sprache dar, die erkenntnistheoretische Positionen voraussetzt und für die Linguistik neue Sichtweisen auf ein Thema schafft.81 In letzterem Aspekt sieht auch Busse das Potential des Diskurs-Begriffs für die Sprachwissenschaft. Eine „diskursanalytische Perspektive“ oder „Fragerichtung“ (Busse 2013b, 37; Hervorh. i. O.) ermögliche ihm zufolge, das linguistische Erkenntnisinteresse auf die „Tiefensemantik“ (z. B. Busse 2000, 42) von Texten und Aussagen zu richten, also auf semantische Zusammenhänge, die auf einem abstrakteren Niveau liegen. SprecherInnen und RezipientInnen sind jene abstrakteren semantischen Strukturen nicht notwendigerweise bewusst, für das Verstehen und Hervorbringen sprachlicher Äußerungen aber sind sie Voraussetzung (vgl. Busse 2000, 42).

2.2.1 Sprache, Wissen, Diskurs Für eine Neuperspektivierung linguistischer Erkenntnisinteressen war Foucaults Beschreibung des Diskurses als eine „Menge von Aussagen, die einem

|| 81 Wie diskursanalytische Forschung im Einzelnen aussehen kann, diskutieren die verschiedenen Disziplinen, die diskursanalytisch arbeiten, durchaus kontrovers. In der Linguistik wurden hierfür Modelle entwickelt, wie DIMEAN von Spitzmüller und Warnke (2008; 2011) oder Spieß’ diskurslinguistische Mehrebenenanalyse (vgl. Spieß 2008). Beide versuchen, bestehende linguistische Verfahren und Analysekonzepte zu einer diskurslinguistischen Methodologie zusammenzuführen. Die kritische Ausprägung hingegen hat konkrete Überlegungen zu einer „Methode der Diskurs- und Dispositivanalyse“ (Jäger 2001, 96) angestellt, verortet diese über die Jahre zunehmend weniger in der Linguistik als in den Sozialwissenschaften (vgl. Jäger 2012). Im Zuge der Vorstellung des methodischen Zugangs dieser Arbeit (s. Kap. 3.1) wird erläutert, auf welche bestehenden Ansätze ich mich beziehe.

50 | Theoretische Grundlagen

gleichen Formationssystem zugehören“ (Foucault 1981 [franz. 1969], 156), besonders wirkmächtig. Unterschiedliche Interpretationen von Aussagen (im Original: énoncés) haben innerhalb der Linguistik unterschiedliche Varianten einer linguistischen Diskursanalyse nach Foucault entstehen lassen (vgl. zusammenfassend Warnke 2008, 27f.; vgl. auch Reisigl 2013). Busse spricht sich für ein abstraktes Verständnis von Aussagen aus und zwar als „Wissenssegmente“, die sich wiederum in sprachlichen Zeichen materialisieren (vgl. Busse 1987, 224; 2013a, 150). Die Gleichsetzung von Diskurs und Sprache sowie von Diskurs- und Sprachanalyse kann bei einem epistemologischen Diskursverständnis, wie dem von Busse, als reduktionistisch eingestuft werden. Entsprechend ist auch weder die alleinige Beschreibung dessen, was (in einem Textkorpus über ein Thema) gesagt wird, als ausreichend einzuordnen, um von einer linguistischen Diskursanalyse nach Foucault zu sprechen. Noch dürften unter der Voraussetzung, énoncés als Wissenseinheiten zu fassen, Beschreibungen textübergreifender sprachlicher Strukturen hinlänglich für die Begründung einer Disziplin der Diskurslinguistik sein. Es bedarf eines weiteren Abstraktionsschritts, um von der Sprach- zur Diskursanalyse zu gelangen, theoretisch wie methodisch: Diskursanalytische Untersuchungen werden als Wissensanalysen gefasst, diskurslinguistische Untersuchungen entsprechend als Wissensanalysen, welche den Zugang über die Sprache wählen. Diskurslinguistische Untersuchungen dieser Lesart zeigen einerseits auf, wie Sprache am Aufbau überindividuellen Wissens teilhat. Diese Arbeit untersucht die sprachliche Vermittlung von Geschlechterkonzepten. Geschlechterkonzept meint in Anlehnung an Busses (2012, 541) kognitivistisch-semantische Definition von Konzept eine „epistemische Größe[], die Struktureinheiten des Wissens und der Kognition“ betrifft und zwar im Fall von Geschlechterkonzept Struktureinheiten des überindividuellen und sprachlich vermittelten Wissens über Geschlecht als sozial bedeutungsvolle Kategorie und über ihre kategorialen Ausprägungen.82 Diese Struktureinheiten des Wissens entsprechen Busses Lesart der énoncés als Wissenssegmente. Diskurslinguistische Untersuchungen wollen andererseits die Möglichkeitsbedingungen freilegen, dass sich Wissenssegmente in der ermittelten Weise zu Konzepten – hier: Geschlechterkonzepten – zusammensetzen.83 Diese Möglich|| 82 Diese Definition von Konzept ist nahe an einem kognitiven Stereotyp-Verständnis, das bei Gülich (1981 [1978]) und dann Zybatow (1995) im Denkstereotyp-Begriff (in Abgrenzung zum Sprachstereotyp, dem semantischen Stereotypenbegriff Putnams) gefasst ist (vgl. Stocker 2005, 55–82). 83 Ob Möglichkeitsbedingungen des Sagbaren Gegenstand einer diskurslinguistischen Arbeit sein sollen, ist in der Forschung keinesfalls unumstritten (vgl. z. B. Gardt 2003, 288). Für Busse stellen sie 1987 und deutlicher profiliert in 2013a den Kern diskurssemantischen Forschens dar;

Diskursanalyse als Analyseperspektive | 51

keitsbedingungen, verstanden als verfestigtes System von Regelhaftigkeiten, regeln das Auftreten und die Verteilung von Wissenssegmenten („Aussagen [= énoncés]“ Foucault 1981 [franz. 1969], 156). Weisen sie thematische Ähnlichkeit auf, so ergeben sie ein „Formationssystem“ (Foucault 1981 [franz. 1969], 156) oder, raummetaphorisch gesprochen, einen Möglichkeitsraum, wie sich Wissen über Geschlecht anordnen kann und wie über Geschlecht(er) gesprochen werden kann. Diskurslinguistische Untersuchungen, welche die Möglichkeitsbedingungen des Sagbaren beschreiben wollen, untersuchen also, was die Voraussetzungen bzw. Bedingungen für das Auftauchen, Hervorbringen und Verstehen von Wissen (hier: Geschlechterwissen) sind, das sprachlich vermittelt ist.84 Anstelle von überindividuellem oder kollektivem Wissen ist im Folgenden meist von soziokulturellem Wissen die Rede. Soziokulturelles Wissen meint solches Wissen, das in einer Gesellschaft ( sozial/sozio-) verbreitet ist, sich in Symbolsystemen ( kulturell), wie Sprache, manifestiert und durch diese Symbolsysteme wiederum hervorgebracht wird (vgl. Höhne 2010). Dieses Wissen ist veränderbar, weil es einer diskursiven Praxis (s. Kap. 2.2.2) unterliegt. Soziokulturell betont die Zeichenhaftigkeit von Wissen und hebt nicht allein auf dessen gesellschaftliche Geteilt- und Geprägtheit ab.85 Sprachliche Zeichen werden als das zentrale Symbolsystem der Wissenskonstituierung und -konstruktion gesehen. Denn auch auf nicht-sprachliche Symbolsysteme wird durch und in Sprache zugegriffen bzw. erst in der sprachlichen Vermitteltheit erhalten diese Symbolsysteme (kulturelle) Bedeutung (vgl. Linke 2008, 25; Spieß 2011, 550). In diesem Sinn ist Busse zuzustimmen, dass über die semantische Analyse von Sprache ein Zugang zur Wissensebene sowie zu den Möglichkeitsbedingungen besteht (vgl. Busse 2013a, 147).86

|| auch der Soziologe Diaz-Bone (2010) sieht darin einen entscheidenden und originären Beitrag der Linguistik zur interdisziplinären Diskursforschung. An dieser Stelle sei auf den Sozialwissenschaftler Höhne verwiesen, der in seinem Entwurf einer Thematischen Diskursanalyse (TDA) von 2010 [erstmals 2003] das Programm einer linguistischen Epistemologie in die Sozialwissenschaften einführte. 84 Busse spricht in stärkerer Orientierung auf die Rezeptionsseite auch von „Verstehensvoraussetzungen“ (z. B. Busse 2008b, 67). 85 Ich schließe hier an Geertz’ semiotischen Kultur-Begriff an, der davon ausgeht, dass sich Kultur in umfassenderen Symbolsystemen manifestiert. 86 Die Soziologen Berger/Luckmann (1977 [engl. 1966]) wählten in ihrer Wissenstheorie ebendiesen Zugang; sie definieren Sprache als „Fundament und Instrument eines kollektiven Wissensbestandes“ sowie als „Medium“, das „[i]ntersubjektive Erfahrungsablagerungen“ weitertradiert (Berger/Luckmann 1977 [engl. 1966], 72f.).

52 | Theoretische Grundlagen

In Anlehnung an Busse (2013a, 147) und vor allem Wengeler (2010, 75–77) sowie Höhne (2010, 425) werden Diskurse in dieser Arbeit forschungspraktisch gefasst als: Gesamtheit thematisch zusammengehöriger sprachlich-semiotischer Einheiten, die soziokulturelles Wissen bündeln, anordnen und hervorbringen. Diese Arbeit versteht sich den bisherigen Ausführungen zufolge also als diskurslinguistisch, weil sie über die Suche nach tiefensemantischen Strukturen zu den Möglichkeitsbedingungen von sprachlich vermitteltem Wissen vorzudringen versucht. Sie möchte zeigen, welche abstrakten, kognitiv-semantischen Strukturen diesem Sprechen zugrunde liegen und gleichzeitig in Sprache etabliert und transformiert werden, d. h.: „wie [es] kommt […], daß eine bestimmte Aussage erschienen ist und keine andere an ihrer Stelle“ (Foucault 1981 [franz. 1969], 42). Im Rahmen der diskursorientierten Analyse soll in dieser Arbeit die epistemisch-semantische Analyse Aufschluss über die innere Struktur des Geschlechterdiskurses liefern und herausarbeiten, wann und wie sich diese Struktur verändert. Die Analyse bietet somit eine epistemologische Erklärung für die Frage nach dem „wie es kommt“. Zugleich läuft dieser Ansatz für sich genommen aber Gefahr, die gesellschaftliche Dimension von Sprache auszuklammern und Diskurse isoliert von ihrem historischen Zusammenhang zu betrachten, so dass die Zeitgebundenheit der vermittelten Geschlechterkonzepte und des Handlungsspielraums der DiskursteilnehmerInnen an Sprechweisen unreflektiert bleiben; eine solchermaßen fokussierte epistemologische diskursanalytische Forschung lässt Diskurse als ahistorische und kontextlose Größen erscheinen. Dem begegnet diese Arbeit, indem sie den institutionellen sowie sozialund kulturgeschichtlichen Entstehungszusammenhang der analysierten Texte in die Untersuchung einbezieht (vgl. auch Gardt 2007; Wengeler 2010; zur sprachzentrierten geschichtswissenschaftlichen Diskursanalyse vgl. Landwehr 2009). Hierin schließe ich an Spieß (2008, 243) an, die fordert, in diskurslinguistischen Untersuchungen „sprachexterne[] Faktoren und Handlungen“ mitzuerfassen, weil diese die Sprachproduktion und -rezeption mitbeeinflussen (vgl. ausführlicher Spieß 2011, 143–155; 187f.); auch im diskurslinguistischen Analysemodell DIMEAN (s. Kap. 3.1) wird deren Einbezug vorgeschlagen (vgl. Warnke/Spitzmüller 2008, 39). In der Rückbindung des Texts an seinen Kontext wird außerdem beschreibbar, wie Texte mit ihrem Kontext diskursiv verbunden sind (s. bereits Kap. 1.2.3b), welche gesellschaftlichen oder bildungspolitischen Debatten sie beispielsweise konterkarieren oder stützen. Zugriffsgröße auf Diskurse bleibt in der Forschungspraxis die Einheit Text – schriftliche wie mündliche –, in dieser Untersuchung ist es das Schulbuch

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(s. zum textlinguistischen Status des Schulbuchs Kap. 1.2.3b). Schulbücher sind als Wissensträger mit unterschiedlichen Diskursen verbunden; sie geben den Lernenden Deutungen einer sozialen und historischen Wirklichkeit vor, sind dabei selbst Ergebnis diskursiver Praxis, wie in Kapitel 5 nachgezeichnet wird, und wegen ihrer exponierten Stellung im Bildungssystem (s. Kap. 1.2.3a) von besonderem analytischen Interesse. Grundlage für eine linguistische Diskursanalyse ist die Zusammenstellung eines Textkorpus (vgl. bereits Busse/ Teubert 1994). Während Jung (1996, 463) und Teubert (1998, 190) einfordern, dass die auszuwählenden Texte vor allem einschlägig und in hohem Maß relevant für einen bestimmten Diskurs sein müssten,87 reicht Warnke (2008, 36) ein irgendwie gearteter formaler oder funktionaler Zusammenhang; für Busse (2013a, 148) machen gemeinsame semantische Merkmale oder „solche Teilaspekte, die sich typischerweise der bewussten Aufmerksamkeit der DiskursAkteure entziehen“, die Zugehörigkeit zu einem Diskurs aus. Für die Zugehörigkeit eines Texts zum Geschlechterdiskurs ist auch meines Erachtens nicht die explizite Thematisierung von zum Beispiel Geschlechterstereotypen oder geschlechtersensibler Sprache erforderlich. Thematisch aus der obigen DiskursDefinition setzt entsprechend nicht voraus, dass das Untersuchungsthema in potentiellen Korpus-Texten auch als Textthema behandelt werden müsste.

2.2.2 Sprache als diskursive Praxis Wirklichkeit und Wahrheit sind mit Foucault dynamisch sowie zeit- und raumabhängig zu denken und als diskursive Konstruktionen zu verstehen.88 Der Sprache allerdings gesteht Foucault diesen Handlungscharakter gerade nicht zu.89 Er geht von einem strukturalistischen Sprachverständnis aus, wonach sprachliche Zeichen kontextunabhängig feste Bedeutungen haben (vgl. Foucault 1981 [franz. 1969], 74; herausgearbeitet von Busse 1987, 242f.; Spieß 2011, 97–99). Legt man hingegen einen handlungstheoretischen Sprachbegriff an und fasst Sprache als Praxis – in dieser Arbeit: als Mittel der Konstituierung und Konstruktion von Geschlechterwissen –, so erlaubt dies, Diskursanalyse || 87 Teubert (1998, 190) nennt solche Texte „Leittexte[]“, deren Sonderstatus sich daraus ergebe, dass andere Texte häufig auf diese Bezug nehmen. 88 Das meint nicht, dass Foucault radikaler Relativist gewesen wäre. Er stellt vor allem heraus, dass auch ‚Wahrheit‘ eine historische Halbwertszeit hat (vgl. Foucault/Martin 2005 [1982]). 89 Foucault weist deswegen die Gleichsetzung von énoncés mit sprachlichen Aussagen zurück (vgl. 1981 [franz. 1969], 157f., ferner 74).

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und Sprachanalyse enger aufeinander zu beziehen (vgl. grundlegend Spieß 2011; vgl. ferner Hornscheidt 2006; 2008). Eine Gleichsetzung von Diskurs- und Sprachanalyse wird zwar weiterhin verworfen (s. bereits Kap. 2.2.1). Jedoch ist es mit der konstruktivistischen Öffnung von Foucaults Sprachbegriff, die in seinen Schriften punktuell angelegt ist,90 möglich, Sprache – hier: die Sprache von Schulbüchern – als dynamisches Mittel einer diskursiven Praxis, die eine Praxis der Herstellung soziokulturellen Wissens ist, zu untersuchen. Die vorliegende Untersuchung geht von einem solchen pragmatischkonstruktivistischen Sprachbegriff aus und insofern über Foucault hinaus. Diese Weiterentwicklung der Foucault’schen Position teilt sie mit poststrukturalistischen Geschlechtertheorien, wie der von Butler (z. B. 1991 [engl. 1990]).91 Sprache kann Butler zufolge nicht auf eine außersprachliche Wirklichkeit oder auf vermeintlich vordiskursive Geschlechterklassifikationen Bezug nehmen. Vielmehr sind soziale wie auch biologistische Kategorisierungen in Frau und Mann als sozial relevante Unterscheidungen und diskursive Konstruktionen aufzufassen, die in der steten performativen Wiederholung als natürlich verstanden werden (s. auch Kap. 1.2.1a). Die Annahme der aktiven Herstellung von Geschlechterkategorien ist auch West/Zimmermann (1987: doing gender) und Hirschauer (1994; 2001: undoing gender) zu eigen. In Übereinstimmung mit Spieß (2012) halte ich eine Verbindung von Butlers diskursanalytisch fundierter Geschlechtertheorie mit den ethnomethodologischen Konzepten des doing und undoing gender für sinnvoll und forschungspraktisch ergiebig, auch wenn diese aus unterschiedlichen Theorietraditionen stammen.92 Entsprechend werden sprachliche doing und undoing gender-Praktiken, verstanden als Relevant- und Irrelevantsetzungen der Kategorie Geschlecht und geschlechtsdifferenter Zuschreibungen (s. Kap. 1.2.1a; 3.3.1), in dieser Arbeit systematisch in den Blick genommen.

|| 90 Vgl. zur Anschlussfähigkeit Foucaults an einen handlungstheoretischen Sprachbegriff: „[…] zu zeigen, daß Sprechen etwas tun heißt“ (Foucault 1981 [franz. 1969], 298.). 91 In Butlers Geschlechtertheorie werden Foucaults relativistische Ansätze sowie vor allem dessen Subjektkonzeption der späteren Schaffensphase mit Derridas Dekonstruktion und Austins Sprechakttheorie verbunden. 92 In der englischsprachigen Genderlinguistik, hier vor allem in der Critical Discourse Analysis, ist diese Verbindung gang und gäbe (vgl. z. B. Lazar 2005).

Diskursanalyse als Analyseperspektive | 55

2.2.3 Intentionalität und Diskurs Sprachliche Äußerungen werden in der Diskurslinguistik sowie in Butlers Geschlechtertheorie nicht primär als individuelle Absichten und Diskurse nicht als intentional steuerbar entworfen (vgl. Butler 2009 [engl. 2004], 9; Warnke 2008, 44). Dennoch kann Sprache bzw. sprachlichen Handlungen Intention zugesprochen werden, kann beispielsweise nach Motiven der Textproduktion gefragt werden, ohne davon auszugehen, dass Diskurse steuerbar wären oder dass die TextproduzentInnen außerhalb des Diskurses stünden. Ihr Schreiben oder Sprechen ist von vornherein durch mehr oder weniger reflektierte persönliche, soziale, institutionelle usw. Setzungen (mit-)bestimmt (vgl. Wengeler 2013, 46); schließlich bleiben die an der Textproduktion Beteiligten den Formationsregeln bzw. Möglichkeitsbedingungen weitgehend unterworfen.93 Schulbücher sind regulierte Wissensträger; das soziokulturelle Wissen, das behördlich geprüften Schulbüchern mitgegeben ist, kann als wenigstens von den Kontrollinstanzen nicht abgelehnter Entwurf einer sozialen Wirklichkeit verstanden werden. Über das Instrument der Schulbuchzulassung filtern Staaten, welches Wissen überhaupt in die Schule Eingang findet. In dieser Hinsicht werden Schulbücher durchaus diskursregulierend eingesetzt, ohne natürlich Diskurse vollumfänglich steuern zu können. In dieser Untersuchung betrifft die Möglichkeit intentionaler Einflussnahme den Ausschnitt Schulbuch vom Geschlechterdiskurs. Diese Einflussnahmen werden sichtbar gemacht. Es wird hierbei nicht verfolgt, individuelle oder kollektive Absichten aufzuzeigen. Die Auseinandersetzung mit den Aushandlungsprozessen soll dagegen nachvollziehbar machen, was den VerfasserInnen von Schulbüchern dem institutionellen Entstehungszusammenhang nach zu verschiedenen Zeiten zu sagen möglich ist – stets vor dem Hintergrund, dass auch die Positionen der AkteurInnen der „Diskursarena Schulbuch“ (s. Kap. 1.2.3c) und beispielsweise in Form eines Schulgesetzes materialisierte institutionelle Rahmenbedingungen diskursiv erzeugt sind. Um die personale Dimension dieser Aushandlungen zu akzentuieren, fasst die Arbeit Akteur als Personenbezeichnung und verwendet die geschlechtersensible Formulierung AkteurInnen (s. bereits Kap. 1.1, FN 9). Damit wird aber nicht ausgeschlossen, dass AkteurInnen auch oder vor allem als Insti-

|| 93 Vgl. in diesem Sinn Busse (2009, 22) oder Margarete und Siegfried Jäger: „Alle stricken zwar am Diskurs mit, aber kein einzelner und keine einzelne Gruppe bestimmt den Diskurs oder hat genau das gewollt, was letztlich dabei herauskommt“ (Jäger/Jäger 2010, 29). Spieß (2011, 152) spricht deswegen auch von relativer Intentionalität der DiskursteilnehmerInnen.

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tution (z. B. als Behörde) oder in anderen organisatorischen Zusammenhängen (z. B. in einem Verband) auftreten könnten (s. auch Kap. 1.2.3c).94 Im Zuge der Analyse des institutionellen Entstehungszusammenhangs (auch: AkteurInnenanalyse) werden notwendigerweise Machtgefüge thematisiert, sie werden jedoch nicht zum Analyseziel erhoben (vgl. auch Busse 2013b, 36; Wengeler 2013, 45; s. auch Kap. 1.2.2d). Auch führt diese Schulbuchanalyse nicht zu einer moralisch-ethischen Bewertung der vorgefundenen Geschlechterkonzepte oder arbeitet sie auf die Ableitung von Handlungsvorschlägen oder gar -direktiven hin. Es bietet sich allerdings in einem nächsten Schritt durchaus an, fachlich informierte Überlegungen über eine bildungspolitische Nutzbarkeit der Analyseergebnisse anzustellen; Bestandteil dieser Arbeit ist dies nicht.

2.3 Zum Verhältnis von Repräsentation und Konstruktion Ein pragmatisch-konstruktivistischer Sprachbegriff hat Konsequenzen für das Bedeutungsverständnis. Die Annahme einer reinen Abbild- oder Repräsentationsfunktion von Sprache ist mit der konstruktivistischen Ablehnung einer vordiskursiven Wirklichkeit, auf die mit Sprache Bezug genommen werden könnte, nicht vereinbar (vgl. z. B. Spitzmüller/Warnke 2011, 54; Spieß 2008, 244f.). Wird Bedeutung konsequent vom Sprachgebrauch her gedacht, so liegt Bedeutung nicht in den Worten selbst, sondern wird diskursiv hergestellt, tradiert und gegebenenfalls aktualisiert. Die Konventionalität von Zeichen steht dann im Zentrum eines pragmatisch-konstruktivistischen Bedeutungsverständnisses: Sprachliche Einheiten haben konventionalisierte Bedeutungen und werden im Prozess der Konventionalisierung autorisiert.95 Mit einem Ausdruck kann eine mit ihm konventionalisiert verbundene Bedeutung aufgerufen werden. Den SprecherInnen einer Sprachgemeinschaft wiederum erscheinen einzelne Bedeutungsaspekte wie unveränderbare semantische Merkmale. Manche Bedeutungsaspekte sind dabei im Vergleich zu anderen Aspekten verfestigter

|| 94 Gerade forschungspraktisch kann keineswegs jede das Schulbuchwissen betreffende sprachliche Handlung auf Individuen zurückgeführt werden. Dies ist besonders bei Rechtsund Verwaltungstexten der Fall, die vielleicht von einer/einem MinisterIn unterzeichnet wurden, deren VerfasserInnen aber andere sind. 95 Zur Konventionalität/Usualität von Bedeutung vgl. grundlegend Keller/Kirschbaum (2003); Busse (2005, v. a. 1309); vgl. zur Auseinandersetzung mit Diskurs- und poststrukturalistischer Geschlechtertheorie Hornscheidt (2006, 43), von wo die Erweiterung von konventionell zu konventionalisiert herstammt. Mit konventionalisiert wird das Prozesshafte der Bedeutungsherstellung hervorgehoben.

Zum Verhältnis von Repräsentation und Konstruktion | 57

(lexikalisiert) bis hin zu naturalisiert, sie gelten gewissermaßen als nicht mehr sprachlich verhandelbar. Diskurse nehmen in diesem Prozess der Bedeutungsverfestigung eine Ordnungsfunktion ein. Durch sie erhalten spezifische Sprachverwendungsweisen erst repräsentationalen Status. Auf die konventionalisierte Bedeutung kann dann im Standardfall mit einem sprachlichen Ausdruck Bezug genommen werden. In manchen Bedeutungstheorien wird dabei die Referenzentität im Außersprachlichen verortet, in jüngeren Theorien, wie auch im Umfeld der linguistischen Diskursanalyse, als Referenz auf Konzepte verstanden (vgl. z. B. Busse 2012, 87; 161; 476). Auf die konventionalisierte Bedeutung eines Ausdrucks wird dem pragmatischkonstruktivistischen Bedeutungsverständnis zufolge nicht schlicht Bezug genommen, zugleich wird im Akt der Bezugnahme die Verbindung zwischen Ausdruck und Referenzentität auch aktualisiert und verfestigt oder gegebenenfalls verschoben. Als Verschiebung kann beispielsweise gewertet werden, wenn ein konventionell geschlechtsübergreifend gebrauchter Ausdruck, wie Kind, im konkreten Äußerungszusammenhang mit einem geschlechtsspezifizierend weiblich gebrauchten Ausdruck (z. B. Latifa oder Tochter) referenzidentisch ist und das Mehr an Information (hier: die Zuordenbarkeit zu einer Geschlechterkategorie) nun mit dem geschlechtsneutralen Ausdruck in Verbindung gebracht werden kann.96 Diese Arbeit, wie noch im Kapitel 3.3.2 ausgeführt wird, erfasst solche kotextuellen Verschiebungen systematisch in der sprachlichen Analyse der Schulbücher. Mit dem Kind-Beispiel wird im Übrigen nicht behauptet, dass im genannten Vorkommen eine veränderte Bedeutung von Kind vorliegen würde; erst, wenn sich über einen längeren Zeitraum in verschiedenen sprachlichen Zusammenhängen umfängliche Häufigkeiten solcher einseitig geschlechtsspezifizierend weiblichen Gebrauchskotexte feststellen ließen und gleichzeitig geschlechtsübergreifende Gebrauchskotexte abnähmen, dann wären Voraussetzungen dafür erfüllt, von einem Bedeutungswandel bei Kind zu sprechen. Vor diesem Hintergrund nun können Referenz und referieren, wie sie in dieser Arbeit gebraucht werden, eingeordnet werden: Referenz bezeichnet den Akt des sprachlichen Bezugnehmens, durch welchen zugleich eine konventionalisierte Verbindung zwischen Ausdruck und Referenzentität (hier: als kognitive Größe) bestätigt wird oder auch eine von der Konvention abweichende kotextuelle Verbindung hergestellt wird. Es wird ein weites Referenzverständnis ange-

|| 96 Umgekehrt wird natürlich auch das Mehr an Information von Kind, nämlich die Alterskategorisierung, mit dem Vornamen und der Bezeichnung als Tochter in Verbindung gebracht. Zusammengenommen ergibt sich eine differenzierte Vorstellung von der (fiktiven oder realen) Person Latifa.

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legt, auch prädikativ verwendete Ausdrücke werden als am Konstruktionsprozess teilhaftig und als referentiell verstanden. In der Weiterführung meint Geschlechtsreferenz dann den Akt des sprachlichen Bezugnehmens auf eine mit dem Ausdruck konventionell verbundene Geschlechterkategorie oder auf eine kotextuell angezeigte von der Konvention abweichende Geschlechterkategorie. Für das Deutsche sind zudem im Bereich der movierbaren Maskulina sowie der nicht-genusfesten personal referierenden Ausdrücke im Maskulinum (z. B. Personalpronomen, Adjektivkonversionen im Singular) mehrere, mindestens zwei97 geschlechtsreferentielle Gebrauchskonventionen anzunehmen: eine geschlechtsspezifizierend männliche und eine geschlechtsübergreifende Gebrauchsweise. Hier muss der Kotext zur Distinktion herangezogen werden (s. ausführlich Kap. 3.3.2c unter Pragma-Grammatik). Warnke (2013, 109) ist, diese Ausführungen zum Verhältnis von Repräsentation und Konstruktion abschließend, in seiner Beschreibung des Verhältnisses von Repräsentation und Konstruktion voll und ganz zuzustimmen: „Aussagen im Diskurs schaffen durch die Zeit die Wirklichkeiten, von denen sie sprechen. In der Zeit eines je aktuellen Sprachvollzugs funktionieren sie repräsentational“. Wenn in dieser Arbeit davon gesprochen wird, dass Sprache für x steht, dass ein Ausdruck x bezeichnet oder x meint, dann ist dies selbst ein Reflex dieser „Doppelgesichtigkeit des Diskurses“ (Warnke 2013, 109) – und steht nicht im Widerspruch zum konstruktivistischen Sprachbegriff.

|| 97 S. zur dritten, geschlechtsspezifizierend weiblichen (!) Gebrauchsweise von Maskulina, die konventionell geschlechtsspezifizierend männlich oder geschlechtsübergreifend referieren können, das Beispiel in Kapitel 1.2.1b, FN 27.

3 Methodisch-empirisches Vorgehen 3.1 Methodische Grundlagen Welcher Verfahren kann man sich konkret bedienen, um die leitende Untersuchungsfrage nach der sprachlichen Vermitteltheit von Geschlechterkonzepten beantworten zu können? Ein „Algorithmus von systematisch abzuarbeitenden Arbeitsschritten“ (Busse 2013b, 37) hat sich bislang weder in der Diskurs- noch in der Genderlinguistik etabliert. Zu unterschiedlich sind die Diskursverständnisse und Zielsetzungen – zur Auswahl steht (mindestens): die Beschreibung dessen, was gesagt wird; die Rekonstruktion von Möglichkeitsbedingungen des Sprechens; die Offenlegung von Machtstrukturen und gegebenenfalls die Formulierung von Handlungsempfehlungen.98 Noch rudimentärer existiert der Entwurf einer genderlinguistischen Methodik,99 wie im Kapitel 1.2.4 zu Forschungsleerstellen ausgeführt. Die neueren Bestrebungen zu einer solchen Methodik (vgl. Spieß 2012) lassen sich dabei am ehesten mit einer diskurslinguistischen Methodologie verbinden, mit der sie erkenntnistheoretische Grundlagen teilen (s. v. a. Kap. 2.2). Dieses Kapitel stellt vor, welche Überlegungen der Konzeption der vorliegenden Arbeit, wie sie einleitend in Kapitel 1.1 skizziert wurde, vorausgingen und an welches methodologische Modell sich die Arbeit anlehnt. Warnke/Spitzmüller (2008) und Spitzmüller/Warnke (2011) haben mit DIMEAN ein „methodologisches Set an Möglichkeiten einer linguistischen Diskursanalyse“ (2011, 199) vorgelegt, das linguistische Analyseverfahren unter der Flagge einer diskursanalytisch interessierten Linguistik zusammenführt (vgl. auch Warnke 2008). DIMEAN ist die Abkürzung für Diskurslinguistische MehrEbenen-Analyse. Das Modell stellt drei Ebenen diskurslinguistischen Forschens vor, 2008 noch als „Stufen empirischer Analyse“ (Warnke/Spitzmüller 2008, 24) bezeichnet, wobei sie nicht konsekutiv abgearbeitet werden müssten (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011, 187):

|| 98 Nicht einmal allen diskurslinguistischen Ansätzen ist gemein, dass sprachliche Zeichen im Fokus stehen: Jäger (2012) relativiert die sprachliche Dimension seiner Kritischen Diskursanalyse, was auch das Erkenntnisinteresse weg von der Sprache bzw. von der Vermittlungsleistung sprachlicher Zeichen in der Wissenskonstituierung und -konstruktion lenkt. Vgl. zu den unterschiedlichen methodischen Schwerpunktsetzungen diskurslinguistischer Forschungsansätze und Schulen Reisigl (2013). 99 Auszunehmen ist hier die gesprächs- und interaktionsbezogene Forschung, so beispielsweise Günthner (2006); für ältere Untersuchungen zum Thema vgl. Günthner/Kotthoff (1992).

DOI 10.1515/9783110555578-003

60 | Methodisch-empirisches Vorgehen

1.

2.

3.

Die intratextuelle Ebene: Auf der intratextuellen Ebene werden sprachliche Zeichen ab der Morphemebene, Propositionen und die textliche Struktur – sowohl die inhaltliche als auch die äußerliche – untersucht. Die Ebene der AkteurInnen: Hier stehen sprachliche Handlungen, die Texte/ Aussagen vom Diskurs ausschließen oder am Diskurs partizipieren machen, im Mittelpunkt. Die transtextuelle Ebene oder auch Ebene der diskursorientierten Analyse: Auf dieser Ebene werden textübergreifende „strukturelle[] Übereinstimmungen“ (Spitzmüller/Warnke 2011, 188) im untersuchten Material ermittelt und „Befunde der intratextuellen Analyse und der Akteursanalyse auf transtextuelle Strukturen bezogen“ (Warnke/Spitzmüller 2008, 39).

Die Untergliederung ist forschungspraktische Hilfe, gibt sie schließlich eine Grobstruktur vor, an der sich diskurslinguistische Arbeiten orientieren können. Die auf den verschiedenen Ebenen vorgestellten linguistischen Verfahren zeigen außerdem auf, mit welchen Methoden aus der Text- und Gesprächslinguistik, der Wort- und Satzsemantik, der Frame-Semantik etc. diskurslinguistisch gearbeitet werden kann. DIMEAN will dabei keine Methodik im Sinn eines Arbeits-Algorithmus sein. Je nach Fragestellung und Gegenstand soll stattdessen eine passende Auswahl an Verfahren getroffen werden; eine linguistische Untersuchung würde allerdings erst dann zu einer diskurslinguistischen, wenn sie die Frage nach „textübergreifenden, also transtextuellen Sprachstrukturen“ (Spitzmüller/Warnke 2011, 22) beantwortet. Diskurslinguistische Modelle wurden außerdem unter anderem von Jäger (2012 [erstmals 1993]) und Spieß (2008; 2011) vorgelegt. Ihnen liegen zum Teil deutlich differente (diskurs-)theoretische Ansätze zugrunde. Jäger steht in der Tradition einer kritischen Diskurstheorie, während Spieß, Warnke und Spitzmüller – wie auch diese Untersuchung (s. bereits Kap. 1.2.2d und 2.2.3) – der deskriptiven Diskursforschung zugeordnet werden können. Das Mehrebenenmodell von Spieß (2008; 2011) weist eine ähnliche Systematik an Analyseebenen wie das zeitlich parallel entstandene DIMEAN auf.100 Spieß entwickelt ihr Modell dabei in stärkerer Orientierung an und Auseinandersetzung mit Foucault. Abgrenzungen von Foucault sowie Spieß’ Zusammenführung von Foucaults Diskurstheorie mit einem pragmatischen Sprachbegriff, unter anderem in Anlehnung an Butler, sind zwar wichtige Beiträge zur theoretischen

|| 100 Der intratextuellen Ebene entspricht bei Spieß die Mikroebene des Diskurses, der Ebene der AkteurInnen in etwa die Makroebene des Diskurses und dem Transtext die diskursive Ebene (Spieß 2008, 249).

Methodische Grundlagen | 61

Grundlegung dieser Arbeit (s. Kap. 2.2). In methodologischer Hinsicht aber verbinden sich die Leitfrage nach sprachlich vermittelten Geschlechterkonzepten und die untergeordneten Untersuchungsfragen (s. Kap. 1.1) in meinem Verständnis der beiden Modelle plausibler mit der Ebenengliederung von DIMEAN, wie sie in Spitzmüller/Warnke (2011) eingehend beschrieben ist. Die ausführlicheren Erläuterungen zu den drei Ebenen und die, wenn auch insgesamt wenigen, aber doch im Vergleich zu Spieß (2008; 2011) vielfältigeren Anwendungsbeispiele mach(t)en DIMEAN in seinen einzelnen Analysebausteinen nachvollziehbarer und zeigten zum Zeitpunkt der Entwicklung des Untersuchungsdesigns vielfältigere forschungspraktische Anknüpfungsmöglichkeiten auf. Die Konzeption von DIMEAN wird in dieser Arbeit teilweise übernommen, wie im Folgenden näher erläutert. Wie auch DIMEAN ist sie in drei Untersuchungsebenen gegliedert. Im Mittelpunkt steht eine quantitativ-qualitative Sprachgebrauchsanalyse von Schulbüchern, in welcher die sprachlichen Mittel erarbeitet werden, die an der Konstituierung von Geschlechterwissen und im Besonderen an der Konstruktion von Geschlechterkonzepten beteiligt sind. Sie ist der intratextuellen Analyseebene zuzuordnen und fächert sich auf in eine wort-, propositions- und textorientierte Untersuchung. Auf Wort- und Propositionsebene werden mithilfe eines für diese Arbeit entwickelten Kategorienschemas Sprachdaten – personal referierende Ausdrücke sowie Aussagen über Personen – erhoben. Die Daten werden dann unter Zuhilfenahme statistischer Verfahren (Häufigkeitsanalysen und Konkordanzanalysen in einem weiten Sinn), ausgewertet. Im Kapitel 3.3 stelle ich das Vorgehen bei der Datenerhebung und -auswertung vor, im Kapitel 4 dann die Ergebnisse der Datenauswertung. Das Kategorienschema zielt darauf, soziokulturelles Geschlechterwissen greifbar zu machen, das nicht selbst zum Inhalt oder Thema eines Textes gemacht wird – Wissen, wie es Beispielsätzen zu grammatischen Phänomenen im Deutschsprachbuch oder Textaufgaben für den Mathematikunterricht mitgegeben ist, etwa im Unterschied zu Sozialkunde- und Geschichtsbüchern, die sich mitunter der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Form eigener Kapitel widmen. Für die Analyse von Texten, welche beispielsweise die Gleichberechtigung der Geschlechter zum Thema haben, sind auch andere Verfahren – zum Beispiel Argumentationsanalysen oder Verfahren aus der Metaphernforschung – sehr ertragreich.101 Mein Erkenntnisinteresse richtet sich jedoch gera|| 101 Nach Niehr (2014) werden Argumentations- und Metaphernanalysen neben lexikalisch fokussierten Untersuchungen innerhalb der Diskurslinguistik besonders prominent betrieben.

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de auf nicht argumentativ verlaufende Konstruktionsmechanismen. Das vorgestellte Analyseverfahren kann beinahe auf jeden Text angewendet werden, in dem über Personen gesprochen wird. Die intratextuelle Analyse schafft die Grundlage, um Geschlechterkonzepte und Möglichkeitsbedingungen des Sprechens über Geschlecht und die Geschlechter herauszuarbeiten. Wie in den theoretischen Vorbemerkungen ausgeführt, geht es in dieser Arbeit nicht allein um eine Beschreibung des in den Schulbüchern vorgefundenen Sprachgebrauchs. Um zu beantworten, „wie [es] kommt […], daß eine bestimmte Aussage erschienen ist und keine andere an ihrer Stelle“ (Foucault 1981 [franz. 1969], 42; s. bereits Kap. 2.2.1), sucht sie nach Erklärungen dafür, dass Geschlechterwissen auf genau die ermittelte Weise versprachlicht wurde (zum zugrunde gelegten Verständnis von erklären s. Kap. 2.1). In der Arbeit wird der Blick zunächst auf die Bedingungen der Textproduktion gerichtet: Im Anschluss an die intratextuelle Schulbuchanalyse werden in Kapitel 5 die institutionellen Rahmenbedingungen, unter denen Schulbücher entstehen, untersucht. Aushandlungsprozesse, welches Geschlechterwissen in den Schulbüchern vermittelt werden soll, werden rekonstruiert und institutionell verankerte Einflussnahmen auf die inhaltliche sowie konkret sprachliche Gestaltung von Schulbüchern (v. a. der Schulbuchzulassungsbehörden) auf ihre Durchsetzungs- sowie Innovationskraft befragt. Bei der Aufarbeitung des institutionellen Entstehungszusammenhangs rücken also die den Geschlechterdiskurs Mitgestaltenden, die AkteurInnen, in den Fokus (s. hierzu bereits Kap. 1.2.3c und 2.2.3). Die Analyse bildet die zweite Untersuchungsebene, die Ebene der AkteurInnen. Mit der „akteursorientierte[n] Analyse“ (Spitzmüller/Warnke 2011, 172) von DIMEAN ist sie inhaltlich aber nicht zu parallelisieren. Wie Spitzmüller (2010, 64) herausstellt, sei bei dieser gerade nicht intendiert, „die Autoren […] ‚hinter‘ den Texten aufzuspüren, sondern es geht um Akteursrollen, die selbst diskursiv und damit in den Texten konstruiert werden“ (Hervorh. i. O.).102 An die Texte sollen dann Fragen gerichtet werden, wie: Welche Positionen werden in den einzelnen Beiträgen formuliert, welche marginalisiert, aus welcher sozialen

|| Auch Höhne (2010) nennt sie als Untersuchungsverfahren in der von ihm entwickelten Methode der Thematischen Diskursanalyse, die er am Beispiel von Schulbüchern vorstellt. Diese Verfahren sind bei Arbeiten naheliegend und auch inhaltlich ergiebig, die eine forschungspraktische Diskurs-Definition anlegen, wonach ein Diskurs als Gesamtheit thematisch einschlägiger Texte operationalisiert werden kann (vgl. die einflussreiche Definition von Busse/Teubert 1994; s. hierzu bereits Kap. 2.2.1). 102 Als Beispiel für eine im Text konstruierte AkteurInnenrolle nennt Spitzmüller die Angabe eines akademischen Titels bei einem LeserInnenbrief, mittels dessen die/der VerfasserIn den eigenen Bildungs- und womöglich auch ExpertInnenstatus anzeigt.

Methodische Grundlagen | 63

Position heraus wird gesprochen? Die Frageperspektive aus Spitzmüller (2010) setzt voraus, dass die analysierten Texte in einem expliziten thematischen Zusammenhang stehen (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011, 173–187, v. a. 174). Dies geht jedoch nicht mit dem dieser Arbeit zugrunde gelegten, im Vergleich weiter gefassten forschungspraktischen Diskurs-Begriff (s. Kap. 2.2.1) zusammen und der Entscheidung, gerade solche Texte bzw. Schulbücher zu untersuchen, welche die Geschlechterthematik in der Regel nicht zum Gegenstand haben. Die in DIMEAN vorgeschlagenen „akteursorientierte[n]“ Analyseverfahren können auf diese Arbeit daher nicht übertragen werden. Stattdessen kommen bei der Analyse des institutionellen Entstehungszusammenhangs (oder: AkteurInnenanalyse) leitfadengestützte Interviews mit AkteurInnen der „Diskursarena“ (Höhne 2003, 61) sowie qualitative Quellenanalysen zum Einsatz. Bei der Quellenanalyse werden Schulbuchgutachten, Schriftverkehr zwischen Verlagen und Zulassungsstellen sowie Gesetzes- und Verwaltungstexte auf Thematisierungen von Geschlecht detailliert ausgewertet. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass nicht genau jene AkteurInnen, die in Funktion als AutorIn oder GutachterIn an der Produktion der Schulbücher aus dem Untersuchungskorpus beteiligt waren, in ihrem Zusammenspiel betrachtet werden; dies war nicht zu realisieren. Nur in Einzelfällen handelt es sich beispielsweise bei den Interviewten um AutorInnen oder HerausgeberInnen von Schulbüchern, die auch Bestandteil des Untersuchungskorpus sind, oder bei eingesehenen Schulbuchgutachten um Gutachten zu Büchern aus dem Korpus. Vielmehr wird auf dieser Analyseebene eine strukturelle Beschreibung dessen, wie Schulbücher in den institutionellen Entstehungszusammenhang diskursiv eingebunden sind, und somit die Beschreibung der strukturellen diskursiven Verbundenheit (oder: Vernetztheit, Diskursivität) von Schulbüchern mit dem engeren Entstehungszusammenhang vorbereitet. Sie erfolgt dann auf Ebene der diskursorientierten Analyse, die wiederum mehrdimensional konzipiert ist. Auf der Ebene der diskursorientierten Analyse, die in Kapitel 6 erfolgt, werden die Voraussetzungen, das Wie-es-kommt also, dass Geschlechterwissen in den Schulbüchern auf genau die ermittelte Weise versprachlicht wird, untersucht. Von den in DIMEAN vorgeschlagenen Untersuchungskategorien der diskursorientierten Analyse greift diese Arbeit diskurssemantische Grundfiguren und allgemeine gesellschaftliche und politische Debatten auf (vgl. Warnke/Spitzmüller 2008, 39).103 Diese Kategorien sind Bestandteil unterschiedlicher Bausteine der diskursorientierten Analyse: || 103 Insgesamt werden als Untersuchungskategorien vorgeschlagen: „Intertextualität, Schemata (Frames/Scripts), Diskurssemantische Grundfiguren, Topoi, Sozialsymbolik, Indexikalische

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Auf der Grundlage der intratextuellen Analyse untersucht die epistemischsemantische Analyse (Kap. 6.1) die innere Struktur des Geschlechterdiskurses. Sie fragt, welche Geschlechterkonzepte unterschieden werden können und welche Wissenssegmente in welchem Geschlechterkonzept relevant gesetzt werden; sie fragt außerdem nach Veränderungen der Struktur des Geschlechterdiskurses über den Untersuchungszeitraum. Die Systematisierung der Schulbuchanalyseergebnisse zu Geschlechterkonzepten erfolgt unter Einbezug eines frame-semantischen Beschreibungsinventars (s. Kap. 6.1.2). Die epistemischsemantische Analyse arbeitet ferner abstrakte semantische Strukturen heraus, denen die Anordnung von Wissen über Geschlecht folgt, und versucht hierin die Beschreibung der epistemischen Voraussetzungen des schulbuchimmanenten Geschlechterdiskurses. Busses Überlegungen zu diskurssemantischen Grundfiguren (vgl. Busse 1997; 2000) verschaffen einen analytischen Zugriff auf die epistemischen Voraussetzungen (s. Kap. 6.1.1). Das Kapitel löst darin ein, was unter 2.2 als Anspruch an eine epistemologische diskurslinguistische Untersuchung formuliert ist. Die Systematisierung der Ergebnisse der Sprachanalyse zu Geschlechterkonzepten wäre prinzipiell auch als Bestandteil der intratextuellen Analyse denkbar. Sie unterscheidet sich von der intratextuellen Analyse aber dadurch, dass sie Einzelergebnisse der Schulbuchstudie zu strukturellen Ergebnissen bündelt und hierbei weniger Ergebnisdarstellung104 als stärker Ergebnisinterpretation ist, für welche grundsätzlich das Kapitel 6 vorgesehen ist. Auch geht es nun nicht primär um eine Beschreibung konkreter sprachlicher Strukturen, wie in der intratextuellen Analyse dieser Arbeit regelhaft der Fall, sondern um deren Formation zu Wissenssegmenten. Der analytische Fokus verschiebt sich bei dieser Systematisierung der Sprachanalyseergebnisse zu Geschlechterkonzepten von der Sprache zum Wissen, wobei auch hier die sprachliche Vermitteltheit dieses Wissens von besonderem Erkenntnisinteresse ist. Sie schließt somit konzeptionell eng an die intratextuelle Analyse an, ist aber nicht in diese integriert. Entsprechend wird das analytische Vorgehen bei dieser Systematisierung nicht im Kapitel 3.3 im Zusammenhang mit den methodisch-empirischen Grundlagen der Sprachgebrauchsanalyse der Schulbücher vorgestellt. Wie auch

|| Ordnungen, Historizität, Ideologien/Mentalitäten sowie allgemeine gesellschaftliche und politische Debatten“ (Warnke/Spitzmüller 2008, 43) bzw. Intertextualität, Frames, Topoi, diskurssemantische Grundfiguren, indexikalische Ordnungen/Sozialsymbolik, Historizität, Ideologien/ Gouvernementalität/Mentalitäten (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011, 188–197). 104 Natürlich sind auch bei der Datenauswertung – wie auch bereits bei der Datenerhebung – interpretatorische Handlungen wirksam, s. hierzu noch Kapitel 3.3.1.

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bei den anderen die Schulbuchergebnisse interpretierenden, das meint unter anderem: kontextualisierenden, Analyseschritten der diskursorientierten Analyse geschieht dies unmittelbar im Vorfeld des jeweiligen Analyseschritts und damit im Kapitel 6. Noch vor der Kontextualisierung der Analyseergebnisse zur Schulbuchsprache in den weiten, sozial- und kulturgeschichtlichen Entstehungszusammenhang folgt auf die epistemisch-semantische Analyse die Kontextualisierung in den engen, institutionellen Entstehungszusammenhang. In der Zusammenführung von AkteurInnenanalyse und Schulbuchstudie (Kap. 6.2) wird untersucht, inwiefern institutionell verankerte Einflussnahmen, wie in Schulbüchern über die Geschlechter gesprochen werden soll und welche Geschlechterkonzeption – rein binär? – leitend sein soll, in den untersuchten Schulbüchern wirksam sind. Diese Einflussnahmen werden hierzu, auch unter Einbezug verlagsinterner Anforderungen an die Schulbucharbeit, auf ihre Durchsetzungs- sowie Innovationskraft befragt und Handlungsspielräume der AkteurInnen des institutionellen Entstehungszusammenhangs nachgezeichnet. Vorbereitet wird diese Synthese durch das Kapitel 5, das den AkteurInnen gewidmet ist. Die Zusammenführung der AkteurInnenanalyse mit der Schulbuchstudie setzt die Kenntnis der in den Schulbüchern vermittelten Geschlechterkonzepte voraus und reiht sich folglich in der Kapitelgliederung hinter der epistemischsemantischen Analyse ein. Sie ist vor dem dritten und letzten Baustein der diskursorientierten Analyse, der Kontextualisierung der Schulbuchanalyse in den sozial- und kulturgeschichtlichen Entstehungszusammenhang, positioniert. Sowohl die Aushandlungen dessen, wie in Schulbüchern über Geschlecht und die Geschlechter gesprochen werden soll, als auch die Ergebnisse solcher Aushandlungen – also die in den Schulbüchern ermittelten Geschlechterkonzepte – sind in einen sozial- und kulturgeschichtlichen Zusammenhang eingebunden bzw. Ergebnis der mehr oder weniger reflektierten Auseinandersetzung mit diesem. Diesen weiteren Zusammenhang reflektiert das Kapitel 6.3 der diskursorientierten Analyse: Im Rahmen der Kontextualisierung in den sozial- und kulturgeschichtlichen Entstehungszusammenhang werden die ermittelten diskurskonstitutiven epistemischen Strukturen zunächst mit kulturgeschichtlichen Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit in Beziehung gesetzt, wie sie in kulturgeschichtlichen und -soziologischen Untersuchungen herausgearbeitet wurden. Anschließend wird aufgezeigt, mit welchen anderen Ausschnitten des Geschlechterdiskurses (z. B. dem Geschlechterdiskurs der Reformpädagogik) das Schulbuch verbunden ist und gegebenenfalls konkurriert. Denn eine Positionierung des Diskursausschnitts Schulbuch wird zu anderen Ausschnitten des Ge-

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schlechterdiskurses erst erkennbar, wenn auch zeitlich parallel stattfindende, potentiell alternative Sprechweisen nachvollzogen werden. Forschungspraktisch ist allerdings eine Auswahl zu treffen, welche anderen Ausschnitte des Geschlechterdiskurses einbezogen werden sollen. Welche Schwerpunkte, auch zeitliche, gesetzt wurden, wird im Kapitel 6.3 begründet. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist es allerdings nicht zu leisten, die gewählten Diskursausschnitte (z. B. den bildungspolitischen Geschlechterdiskurs der Adenauer-Jahre) in Form von linguistischen Analysen von Zeitungstexten oder Ähnlichem zunächst zu rekonstruieren und dann mit dem schulbuchimmanenten Geschlechterdiskurs in Verbindung zu setzen. Stattdessen greift diese Arbeit auf sozial-, bildungs- oder geschlechtergeschichtliche Studien zurück, in denen diese Diskursausschnitte bereits nachgezeichnet wurden, seltener bezieht sie zeitgenössische Texte ein. Auch Studien ermöglichen natürlich stets bloß Annäherungen an diese weiteren Diskursausschnitte, erfassen sie doch immer nur Ausschnitte von Diskursausschnitten, abhängig von den untersuchten Quellen – doch immerhin ermöglicht dieser Zugriff auf den sozial- und kulturgeschichtlichen Entstehungszusammenhang eine, wenn auch lediglich kursorische Verbindung des schulbuchimmanenten Geschlechterdiskurses mit weiteren Ausschnitten des Geschlechterdiskurses, welche Positionierungen der Schulbücher sichtbar macht. Tabelle 1 stellt dar, wie die verschiedenen Untersuchungsmethoden den Untersuchungsobjekten und -ebenen zugeordnet sind. Tab. 1: Ebenen, Objekte und Methoden der diskurslinguistischen Untersuchung

Ebene

Untersuchungsobjekt

Methoden

Intratext (Kap. 4)

Schulbücher

Wortorientierte Analyse und propositionsorientierte Analyse unter Einbezug statistischer Verfahren (Häufigkeitsanalysen, Konkordanzanalysen); kursorische textorientierte Analyse

AkteurInnen (Kap. 5)

Aushandlungsprozesse

Leitfadengestützte ExpertInnen-Interviews; qualitative Quellenanalysen

Diskurs (Kap. 6)

Diskurskonstitution und Vernetztheit

Epistemisch-semantische Analyse; Kontextualisierung: Institutioneller sowie sozialund kultur-geschichtlicher Entstehungszusammenhang

Das Schulbuchkorpus | 67

Bevor in Kapitel 3.3 vorgestellt wird, wie genau die Schulbücher analysiert wurden, skizziert das unmittelbar anschließende Kapitel die Zusammenstellung des Untersuchungskorpus.

3.2 Das Schulbuchkorpus Grundlage der Korpuszusammenstellung war, dass die Inhalte der Schulbücher105 als staatlich autorisiert gelten, dass den Büchern wenigstens potentiell eine große Wirkmächtigkeit auf SchülerInnen zuzusprechen ist und dass mögliche Veränderungen im Sprechen über Geschlecht und über die Geschlechter erkennbar werden. Ausgewählt wurden Siebtklassbücher aus den Jahren 1890 bis 2013 für das Fach Rechnen/Mathematik oder Deutsch, welche von möglichst vielen SchülerInnen verwendet wurden bzw. werden und welche für den Unterrichtsgebrauch zugelassen sind. Aus diesen Büchern wurden wiederum Aufgabenstellungen und verwandte Textelemente für die Datenerhebung gewählt. Die Bücher ergeben das Schulbuchkorpus in einem weiteren Sinn.106 Welche Entscheidungen der Korpuskompilierung vorausgingen, wird im Folgenden dargelegt.

3.2.1 Von der Grundgesamtheit zur Schulbuchauswahl Gemäß den Ausführungen in Kapitel 2.2.1 wird angenommen, dass über die Analyse von Texten oder Textausschnitten ein Zugang zu Diskursen möglich ist. Die Zahl der zu untersuchenden Texte sollte dabei nicht zu klein ausfallen, will man herausfinden, ob die zu ermittelnden Sprechweisen für Schulbücher eines ausgewählten Zeitabschnitts typisch sind. Eine solche Einschätzung ist erst möglich, wenn ein umfassender Untersuchungszeitraum gewählt ist, der auf (Dis-)Kontinuitäten befragt werden kann. Das Untersuchungskorpus führt daher Schulbücher aus verschiedenen Jahrzehnten oder Epochen. Da allerdings nicht alle Schulbücher eines mehrere Jahrzehnte umspannenden Zeitraums

|| 105 Was unter einem Schulbuch verstanden wird und wie es von verwandten Lehr-Lernmitteln abzugrenzen ist, die entsprechend auch keine Berücksichtigung bei der Korpusbildung erfahren, ist im Einführungskapitel 1.2.3a ausgeführt. 106 Korpus wird in dieser Arbeit noch in einem anderen, engeren Sinn gebraucht und zwar für die Gesamtheit der erhobenen Sprachdaten, die auf Basis der Schulbuchauswahl bzw. der als analyserelevant erachteten Textelemente erfolgte.

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untersucht werden können – entsprechend kann die Studie keine Repräsentativität im Sinn quantitativer Forschung für sich beanspruchen –, musste eine Auswahl aus dem potentiellen Schulbuchkorpus getroffen werden. Diese erfolgte systematisch entlang der eingangs in 3.2 formulierten Anforderungen an die zu untersuchenden Schulbücher;107 es waren dabei Entscheidungen in verschiedenen Dimensionen, nach denen Schulbücher unterschieden werden können, zu treffen.

Zeit und Raum Verlage und Reihen

Zulassung Dimensionen der Korpuskompilierung

Fach

Schulart

Jahrgangsstufe

Abb. 1: Dimensionen der Korpuskompilierung

Die in dieser Untersuchung berücksichtigten Dimensionen der Auswahl sind in der Abbildung 1 zusammengefasst.108 Sie können in unterschiedlicher Reihenfolge abgearbeitet werden; bei der Korpuszusammenstellung zu dieser Studie hat sich die vorgestellte Abfolge a) bis f) als sinnvoll erwiesen. Zu beachten ist || 107 Eine wenig systematische, wenn auch forschungspraktisch nachvollziehbare Auswahl stellt es dar, den Schulbuchbestand einer Schulbuchsammlung zur Grundlage zu machen, weil damit Selektionsmechanismen übernommen werden, die von der/dem ForscherIn nicht kontrolliert werden können. 108 Neben Kiesendahl (2014) hat sich Pfalzgraf (2015) mit Gütekriterien der Korpuszusammenstellung in der Schulbuchforschung befasst.

Das Schulbuchkorpus | 69

jedoch, dass sich manche Dimensionen bei der Korpuskompilierung beeinflussen, weil die Festlegung eines Kriteriums in einer Dimension wiederum Konsequenzen für nachfolgende Entscheidungen und zum Teil auch für vorausgehende haben kann. Prinzipiell sind auch für diese Arbeit unterschiedliche Korpuszuschnitte möglich, zum Beispiel könnte die Fächerwahl anders ausfallen oder die Fokussierung auf eine Jahrgangsstufe aufgegeben werden. Unter den folgenden Gliederungspunkten, die identisch sind mit den Dimensionen der Korpuskompilierung, werden getroffene Entscheidungen daher eingehend erläutern. a) Zeit und Raum Die Festlegung der Zeitspanne und des geographischen Herkunftsraums der Texte sind bei einer diachronen Studie eng aufeinander bezogen. Um sprachliche Wandelphänomene beobachten zu können, ist es nötig, einen größeren Zeitraum abzudecken. Wegen der unterschiedlichen politischen Systeme, die wenigstens ideologisch für unterschiedliche Rollenbilder stehen, enthält das Korpus Bücher aus der Zeit der Weimarer Republik, den NS-Jahren und der Nachkriegszeit; neuere Entwicklungen sollen bis in die Gegenwart nachvollzogen werden. Um zudem abschätzen zu können, inwiefern sich Schulbuchinhalte mit dem Systemwechsel hin zur ersten deutschen Demokratie ändern, liegt ein Vergleichsschnitt in der Kaiserzeit (1871 bis 1918). Das älteste Schulbuch im Korpus stammt aus dem Jahr 1890. Innerhalb des Untersuchungszeitraums waren zunächst zeitliche Schwerpunktsetzungen nötig. Diese wurden in Abhängigkeit von der Untersuchungsfrage nach (sozio-)historisch und/oder bildungspolitisch einschneidenden Ereignissen gewählt; die wechselvollen Jahre 1930 bis 1950 sind beispielsweise vollständig erfasst. Dieses Vorgehen setzt die Annahme voraus, dass mit diesen Ereignissen möglicherweise Veränderungen im Umgang mit Geschlecht im Schulbuch einhergehen. An Zeiträumen wurden insgesamt berücksichtigt: (1) Kaiserzeit: Vergleichsschnitt, keine systematische Schulbuchauswahl (2) 1926–1932: 1926 löst ein bayernweiter Lehrplan die Kreislehrpläne ab,109 was zu einer Vereinheitlichung und Überregionalisierung des Schulbuchmarktes führt. Schulbücher, die seither in diesem Zeitabschnitt zugelassen wurden, sind

|| 109 Vgl. Bayerische Lehrordnung für Volksschulen zur Unterteilung in Unter- und Oberstufe der Volksschule, Bekanntmachung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 15.12.1926 Nr. IV 49242 über die Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen.

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potentielle Korpuskandidaten. Das Anfangsjahr 1926 liegt zudem einige Jahre nach Installation der Weimarer Demokratie. Der Bildungspolitik ist damit Zeit für eine Umstellung auf demokratische Leitprinzipien gegeben. 1933–1939: Die NS-Jahre sind vollständig erfasst und in zwei Subräume unterteilt. In den ersten Raum fällt die Einrichtung des zentralistischen Reichserziehungsministeriums, das allerdings nur langsam die NS-ideologische Indoktrinierung des Schulwesens voranbringt (s. auch Kap. 5.1).110 1940–1945: Interne Kompetenzstreitigkeiten und Profilierungsversuche führen 1940 dazu, dass eine Reichsstelle für das Schul- und Unterrichtsschrifttum eingerichtet wird, das die ideologische Vereinheitlichung der Schulbücher vorantreiben soll (s. Kap. 5.1). In den Folgejahren entstehen auch die einheitlichen NS-Rechen- und Sprachbücher für die Volksschuloberstufe.111 1945–1949: In den unmittelbaren Nachkriegsjahren üben die alliierten Besatzungsmächte die Kontrolle über Schulbücher aus (s. Kap. 5.1). Von den Alliierten im Jahr 1945 zugelassene Schulbuch-„Notausgaben“ waren nicht ausfindig zu machen. Bei den gefundenen Büchern und Zulassungen handelt es sich vermutlich um die zweite Generation an Nachkriegsschulbüchern, die im Unterschied zur ersten Generation keine bloßen Nachdrucke Weimarer Ausgaben sind, sondern von westdeutschen Verlagen neu erstellt wurden – ihre Anleihen an Weimarer Ausgaben, aber auch an NS-Ausgaben sind allerdings bereits bei oberflächlicher Betrachtung überdeutlich.

|| 110 Immer wieder verzögerte sich die Einführung von NS-Schulbüchern, vgl. die Bekanntmachung Schulbücher im Schuljahr 1934/35 und Zulassung von Ergänzungsheften des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 31.01.1934 – U II C 7613 oder die Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 24.04.1940 Nr. XI 21 794 betr. Lernmittel für die Oberstufe der Volksschule, gerichtet an die Schulämter und Schulen, wonach in der Volksschuloberstufe zunächst weiterhin die alten Rechen-, Sprachbücher und Atlanten verwendet werden sollten. 111 Die Anstrengungen zu reichseinheitlichen Schulbüchern konzentrierten sich zuvorderst auf Fibeln und Lesebücher (vgl. Regierungsentschluß vom 12.02.1937 Nr. 11 3464 über alte Lesebücher der Volksschule; Erlaß des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 10.03.1937 Nr. IV 12 223 über das Reichsvolksschullesebuch für das 3. und 4. Schuljahr). Die Anfänge für ein Einheitsrechenbuch wurden 1937 gemacht. Es dauerte vier weitere Jahre, bis auch für die Volksschuloberstufe das Einheitsrechenbuch fertig erstellt war (vgl. die Entschließung des Regierungspräsidenten von Ansbach vom 07.11.1941 Nr. 1134 a 9 über Rechenbücher für das 7. und 8. Schuljahr der Volksschule).

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1950–1959: Die Hochphase der Ära Adenauer, mit welcher in der Sozialgeschichtsschreibung ein Geschlechterrollenrevisionismus verbunden wird, sollte ebenfalls im Korpus berücksichtigt sein. Die Schulbücher der Zulassungslisten dieser Jahre waren also weitere potentielle Korpuskandidaten. (7) 1960er: Vergleichsschnitt, keine systematische Schulbuchauswahl (8) 1973–1976: Der nächste Schnitt ist mit wenigen Jahren Abstand im Anschluss an die 68er-Bewegung gesetzt, um so etwaige Auswirkungen auf die Schulbuchinhalte zu erfassen. Um Entwicklungen von den 1950ern in die 1970er Jahre besser nachvollziehen zu können, wurde ein zusätzlicher kursorischer Vergleichsschnitt im vorausgehenden Jahrzehnt gewählt. (9) 1982–1985: Ende der 1970er Jahre ist zu beobachten, dass sich auch offizielle Stellen mit der Geschlechterdarstellung in Schulbüchern auseinandersetzen und eine Veränderung der bestehenden Situation anstreben. Beleg hierfür sind der Abschlussbericht der Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft (1973–1981) von 1980 und ein kultusministerielles Sachverständigengespräch 1978 (s. Kap. 5.2.1). Die Enquete-Kommission nennt in ihrem Bericht die „nach wie vor traditionelle[] Rollenfixierung“ als die eigentliche Ursache für „mangelnde Chancengleichheit der Frauen“; sie empfiehlt, das „didaktische Material“, unter das auch Schulbücher gezählt werden können, zu überprüfen; Ziel im schulischen Bildungssystem soll die Vermittlung „partnerschaftliche[r] Leitbilder“ sein (Bericht der Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft vom 29.08.1980, S. 25). Ein Sachverständigengespräch der KultusministerInnen zur Darstellung der Frauenrolle in Schulbüchern diskutiert 1978 solche Rollenfixierungen. (10) 1988–1990: In den 1980er Jahren werden wichtige Weichen im Bildungswesen gestellt für eine neu akzentuierte Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes. So wird sich im KMK-Beschluss von 1986 auf eine gleichberechtige Darstellung der Geschlechter im Schulbuch verständigt, die auf einseitige Rollenzuschreibungen ausdrücklich verzichtet oder diese problematisiert (s. Kap. 5.2.1). Die Folgejahre wurden daher als weiterer zeitlicher Subraum im Korpus berücksichtigt. (11) 1997–1999: Der nächste Schnitt ist einige Jahre nach der beinahe flächendeckenden Einführung von amtlichen Kriterienkatalogen der Schulbuchbewertung gesetzt. Inwiefern in diesen auf die Geschlechterthematik eingegangen

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wird, untersucht das Kapitel 5.2. Mit diesem Zeitschnitt wird die Auswertung möglich, wie sich die in den Katalogen formulierten Inhalte zu den Schulbuchinhalten verhalten. (12) 2004–2006: Nach dem sogenannten PISA-Schock im Zusammenhang mit den ersten PISA-Studien 2000 und 2003 wird der lebenspraktische Anwendungsbezug von Schulwissen in den Mittelpunkt gerückt. Mehr Anwendungsbezug bedeutet gerade im Mathematikbereich mehr und vielfältigere Rahmensituationen für Textaufgaben, die es hier zu untersuchen gilt. (13) 2013–2014: Um die Entwicklung bis zur Gegenwart nachzeichnen zu können, fällt der letzte Schnitt mit dem Zeitpunkt der Korpuskompilierung zusammen. Auch regionale Schwerpunktsetzungen waren bei der Korpuskompilierung nötig, weil die Zahl der Schulbücher kaum überschaubar ist, die allein in einem Jahr auf deutschem Staatsgebiet in Gebrauch waren und sind. Nur in der DDR gelang es, den Schulbuchmarkt über ein staatliches Schulbuchmonopol zu kontrollieren und die Schulbuchfülle auf eine Einheitsausgabe pro Schulart und Schulfach zu reduzieren (s. Kap. 5.1), in allen anderen deutschen Staaten herrschen regionale Schulbuchmärkte vor und besteht eine mitunter sehr große Auswahl an miteinander konkurrierenden Schulbüchern. Die Entscheidung fiel zum einen auf Bayern,112 das über den gesamten Untersuchungszeitraum deutsches Staatsgebiet und bei dem außerdem die Zugänglichkeit zu bildungshistorischen Dokumenten (z. B. Zulassungslisten) gewährleistet war. Bayern führt zudem ein traditionell restriktives Zulassungsverfahren durch, was es nochmals zu einem attraktiven Raum macht. Zum anderen wurde bei der Korpuskompilierung Nordrhein-Westfalen113 ab den 1950er Jahren systematisch als Vergleichsregion einbezogen. Es handelt sich mit Bayern und Nordrhein-Westfalen um zwei bevölkerungsstarke Regionen, die spätestens seit den 1960er Jahren für stark divergierende politische Positionen, unter anderem zum Thema Gleichberechtigung der Geschlechter, wie auch divergierende Bildungspolitiken im Besonderen stehen. Die Heterogenität der

|| 112 Die bayerischen Grenzen sind seit 1815 stabil, als seither größte Veränderung ist die Ausgliederung der Rheinpfalz 1946 zu nennen. 113 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Bundesland in der Zusammenlegung der preußischen Rheinprovinz, bzw. dessen Nordteil, und der Provinz Westfalen sowie des Landes Lippe gegründet. Seither handelt es sich hier um einen homogenen Raum mit einheitlicher Bildungspolitik.

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föderalen Bildungspolitik ist auf diesem Weg im Korpus berücksichtigt. Andere Regionen oder Länder wurden in einigen Fällen zusätzlich einbezogen.114 Schulbücher aus der DDR würden ferner einen Staaten- und Systemvergleich ermöglichen und gegebenenfalls sehr unterschiedliche diskursive Praktiken im Umgang mit Geschlecht sichtbar machen. Da diese Arbeit allerdings auch die institutionellen Rahmenbedingungen untersucht und sich diese Bedingungen zwischen DDR und Bundesrepublik bereits auf Ebene der je spezifischen involvierten Behörden und Gremien stark unterscheiden sowie für die DDR institutionengeschichtlich deutlich schlechter aufgearbeitet sind (vgl. zur DDR die Grundlagenarbeit von Stürmer 2014), wurde die DDR aus forschungspraktischen Gründen bei der Korpuskompilierung nicht berücksichtigt. b) Zulassung Im Korpus befinden sich ausschließlich Schulbücher, die eine staatliche Zulassung erhalten haben. Dass die Schulbücher dieser Studie zulassungspflichtig und auch tatsächlich zugelassen sind oder waren, erweist sich in dieser Untersuchung als zentrales Kriterium der Korpuszusammenstellung, weil es eine Parallelisierung der Schulbuchanalyse mit der Analyse der staatlichen Einflussnahme auf Schulbuchwissen methodisch erst ermöglicht.115 Die Inhalte von zugelassenen Schulbüchern sind autorisiert, schließlich haben sie das Zulassungsverfahren, mit dem bis vor Kurzem für spezifische Fächer, Schularten und Schulstufen standardmäßig eine inhaltliche Prüfung der Schulbücher einherging (s. Kap. 5.1), erfolgreich durchlaufen. Ein positiver Zulassungsentscheid kann in diesem Sinn als offizielle Bestätigung dafür gelesen werden, dass die Inhalte des Schulbuchs als unauffällig, erwünscht oder zumindest nicht in solchem Maß kritikwürdig gelten, dass Änderungen zur Genehmigungsauflage gemacht worden wären. Bis circa Mitte des 20. Jahrhunderts geben die Schulbücher selbst Auskunft, ob eine Zulassung vorliegt: Sie führen einen Hinweis der Art „Ministeriell genehmigt“ in der Titelei. Nicht erforscht ist allerdings, ob diese Vermerke nicht vielleicht als Autorisierungsstrategie von Verlagen genutzt wurden, ohne dass de facto eine Zulassung vorlag. Aus diesem Grund wurden die offiziellen be-

|| 114 Einige, vor allem neuere Ausgaben im Korpus sind gleich für mehrere Bundesländer zugelassen. Bereits in dieser Hinsicht wurden somit andere Länder berücksichtigt. Weil dies häufig den Stadtstaat Hamburg betraf, wurde ein weiteres Hamburger Rechenbuch aus den 1950er Jahren aufgenommen (HRB-55), das besonders verbreitet war. 115 Im Unterschied dazu können Untersuchungen, die stärker die Rezeptionsseite von Schulbüchern im Blick haben, beispielsweise auf dieses Kriterium verzichten.

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hördlichen Zulassungsverzeichnisse zur Korpusdefinition herangezogen. In die Auswahl gingen zunächst alle Schulbücher ein, die in den Zulassungslisten der jeweiligen Zeitschnitte aufgeführt sind. Nicht nur Neuzulassungen wurden berücksichtigt, sondern auch jene Titel, die über Jahre oder gar Jahrzehnte in den Verzeichnissen verbleiben. Ein Schulbuch, das in einer Zulassungsliste von 1974 steht (und einen Korpuskandidaten darstellt), kann beispielsweise bereits 1963 erschienen sein. Von den meisten Bundesländern sind die aktuellen Zulassungslisten mit Schulbüchern und sonstigen Lehr-Lernmitteln online abrufbar.116 Ältere Zulassungslisten oder einzelne Neuzulassungen sowie Zulassungsrücknahmen sind in den jeweiligen Amtsblättern der zuständigen Behörde publiziert und für die bundesrepublikanische Zeit – wenn auch lückenhaft – am Georg-Eckert-Institut zusammengetragen.117 Das Regelverzeichnis der zugelassenen Lernmittel erscheint im Beispiel Bayern ab Ende der 1950er Jahre meist im Frühjahr, ein Nachtragsverzeichnis mit den zwischenzeitlich neu zugelassenen Titeln im September. Die Listen unterteilen die Bücher nach Schularten, Fächern und Jahrgängen. In den NS-Jahren allerdings finden sich keine solchen Verzeichnisse für die Volksschule – weder im Amtsblatt des Reichserziehungsministeriums noch in denen der Unterrichtsverwaltungen der Länder oder in Amtlichen Schulanzeigern. Lediglich Neuzulassungen und in den 1940er Jahren einmalig fachspezifische Verzeichnisse118 sind aufgeführt. Bis die NS-Einheitsausgaben119 für die Volksschulfächer erstellt waren, blieben die Weimarer Schulbücher in

|| 116 Unter http://www.bildungsserver.de/Zugelassene-Lernmittel-und-Schulbuecher-522.html [Stand: 01.02.2017] sind die entsprechenden Seiten verlinkt. 117 Hier zeichnet sich für Recherchen zur jüngeren Vergangenheit ein forschungspraktisches Problem ab: In Bayern beispielsweise werden die zugelassenen Schulbücher seit 2004 nicht mehr im Amtsblatt veröffentlicht, sondern nur noch auf den Internetseiten des Kultusministeriums, dort allerdings jeweils durch die neueste Ausgabe ersetzt. Die Zulassungslisten zwischen 2004 und der aktuellen sind nur auf Anfrage beim Kultusministerium einsehbar. 118 Vgl. Rechenbücher für Volksschulen, Runderlaß des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 05.10.1942 – E II a (C 15 a Rech) 15/42, mit einem Verzeichnis aller zugelassener Regionalausgaben, sowie den Runderlaß des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 03.11.1943 – E II a (C 15 a Spr.) 8/43 zu Arbeitsbücher[n] für den Unterricht in der deutschen Sprache an Volksschulen mit einem Verzeichnis aller zugelassenen Regionalausgaben. 119 Im Unterschied zum Sonderbeauftragten für Schulbücher Bouhler verstand der Reichserziehungsminister Rust unter reichseinheitlichen Schulbüchern solche, die nur zu circa zwei Dritteln gleich ausfielen und zu einem Drittel an den regionalen Zielmarkt angepasst waren (vgl. Ullmann 2008, 231; zu den Institutionen s. Kap. 5.1).

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Gebrauch und ihre Zulassungen somit mit dem Systemwechsel erhalten.120 Für den Übergang ließen die NS-Behörden sogenannte Ergänzungshefte erstellen.121 Da sich allerdings in den behördlichen Publikationsorganen keine Zulassungshinweise zu solchen Ergänzungsheften fanden, wurden bei der Korpuszusammenstellung Ausgaben ausgewählt, für die eine Zulassung aus Weimarer Zeit vorlag und denen ein NS-Ergänzungsteil angehängt wurde. c) Schulart Traditionell werden für jede Schulart eigene Schulbücher entwickelt. Bei der Korpuskompilierung war leitend, aus dieser Menge solche Schulbücher zu wählen, welche von einer möglichst großen Zahl an SchülerInnen tatsächlich verwendet wurden bzw. werden und damit als potentiell wirkmächtiger als andere Schulbücher einzustufen sind. Der Weg dahin führt über die Schulbesuchszahlen, die je nach Epoche sehr unterschiedlich für die Schularten ausfallen, weswegen sich im Korpus Schulbücher unterschiedlicher Schularten befinden. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts ist die Volksschule unbestritten die besuchszahlenstärkste Schulart (vgl. Geißler 2011, 853 mit weiterführenden Literaturangaben). Dies trifft auch dann noch zu, wenn nur die Zahlen für die Volksschuloberstufe (= die spätere Hauptschule, heute auch Mittelschule) mit den Zahlen für die weiterführenden allgemeinbildenden Schulen verglichen werden.122 Für die weitere Entwicklung fehlen genauere, ausreichend aufbereitete und vor allem in der konkreten Zusammensetzung nachvollziehbare Daten. Mit vom Statistischen Bundesamt freundlicherweise bereitgestellten Schulbesuchszahlen – die DDR ist aus diesen Aufstellungen ausgenommen – konnte die Datenauswertung selbst vorgenommen werden.123 Die Ergebnisse der Auswertungen und die Konsequenzen für die Korpuszusammenstellung lauten wie folgt:

|| 120 Das Reichserziehungsministerium widmete sich zunächst neuen Lehrplänen und der Neugestaltung der LehrerInnenbildung, bevor reichseinheitliche Schulbücher in Angriff genommen werden sollten. Mindestens bis 1940 durften Weimarer Schulbücher ohne eine gesonderte Prüfung durch NS-Stellen verwendet werden. 121 Vgl. Schulbücher im Schuljahr 1934/35 und Zulassung von Ergänzungsheften, Bekanntmachung des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 31.01.1934 – U II C 7613 und den Reichserlaß vom 27.01.1937 Nr. 1134b74 über die Einführung von Lernmitteln für den Rechenunterricht. 122 Dies hat die Auswertung der Statistischen Jahrbücher für die Weimarer Zeit und die NSJahre ergeben. Unter http://www.digizeitschriften.de/startseite sind die Jahrbücher online zugänglich [Stand: 01.02.2017]. 123 Die Daten sind zum Teil veröffentlicht in Bildung und Kultur. Allgemeinbildende Schulen Schuljahr 2011/12 (vgl. Statistisches Bundesamt 2012). Für Bayern wurden ergänzend Daten

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Ergebnis: Bis in die 1970er Jahre besucht die Mehrzahl der SchülerInnen der Sekundarstufe I (s. unter dem Gliederungspunkt Jahrgangsstufe) die Volksschule. Konsequenz: Für den Untersuchungszeitraum bis 1970 werden bei der Korpuszusammenstellung ausschließlich Volksschulbücher berücksichtigt. Ergebnis: In den 1970er Jahren streben zunehmend mehr SchülerInnen einen mittleren und höheren Schulabschluss an. Ende des Jahrzehnts besucht circa ein Drittel der SekundarschülerInnen allgemeinbildender Schulen124 das Gymnasium. Ab den 2000er Jahren liegt ihr bundesdurchschnittlicher Anteil bei 40 Prozent. Damit besuchen ab den 2000er Jahren mehr SchülerInnen das Gymnasium als jede andere Schulart, das gilt im Besonderen für SchülerInnen der Sekundarstufe I. Konsequenz: Für den Untersuchungszeitraum ab den 1970er Jahren werden annähernd anteilig Gymnasialbücher ins Korpus aufgenommen. Ergebnis: Ab den 2000er Jahren steigt der Anteil an RealschülerInnen an allen SchülerInnen weiterführender allgemeinbildender Schulen. Seit Mitte bis Ende der 2000er Jahre liegt er etwas höher als der Anteil an HauptschülerInnen. Auch die isolierte Betrachtung der Verteilung der SchülerInnen der Sekundarstufe I bestätigt diese Entwicklung. Konsequenz: Für den Untersuchungszeitraum ab den 2000er Jahren werden auch Realschulbücher bei der Korpuszusammenstellung berücksichtigt. Hauptschulbücher werden weiterhin aufgenommen, ihr Anteil nimmt im Lauf der Jahrzehnte allerdings ab. Ergebnis: Der bundesdurchschnittliche Anteil an SchülerInnen, die eine Integrierte Gesamtschule besuchen, nimmt erst in den 1980ern zu und liegt auch danach relativ zu allen anderen Schularten bei unter 15 Prozent.125

|| vom Kultusministerium erbeten, die ebenfalls nur zum Teil veröffentlicht sind in Schule und Bildung in Bayern 2012 (vgl. BStMUK 2012). 124 Inklusive „ausländische Schüler“ und Wirtschaftsschulen; exklusive die in den Statistiken separat ausgewiesenen Förderschulen und Freien Waldorfschulen, weil für diese die SchülerInnenzahlen nicht durchgängig in Grund- und Hauptschule getrennt vorliegen. 125 Jüngere Schulstatistiken bestätigten dies nochmals (vgl. Statistisches Bundesamt 2014).

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Konsequenz: Sofern spezielle Ausgaben für Gesamtschulen in den Zulassungslisten zu finden sind, werden diese ab den 1990er Jahren in geringem Umfang berücksichtigt. d) Jahrgangsstufe Hinsichtlich der Zielgruppe der zu untersuchenden Schulbücher fiel die Wahl auf die siebte Jahrgangsstufe. Dieser Festlegung gingen folgende Entscheidungen voraus: Nyssen (1979, 113) hat für die NS-Zeit herausgearbeitet, dass die ideologische Durchdringung von Schulbüchern mit höheren Jahrgangsstufen zunimmt. Ob auch der Umgang mit dem Thema Geschlecht von dieser zunehmenden Durchdringung betroffen ist, ist nur zu ermitteln, wenn Schulbücher für eine höhere Jahrgangsstufe ausgewählt werden. Schulbücher für die Oberstufe allerdings wurden aus dem Korpus ausgeschlossen, weil diese gegenwärtig meist keiner Genehmigung bedürfen. Die zu wählende Jahrgangsstufe musste überdies in jeder Schulart für den gesamten Betrachtungszeitraum der Studie eingeführt sein, in Bayern gab es zu Weimarer Zeit jedoch noch nicht flächendeckend achtstufige Volksschulen (vgl. Großpietsch 2012). Aus diesen Gründen wurde die 7. Jahrgangsstufe als höchste gemeinsame Stufe gewählt. Wenn es nicht möglich war, jahrgangsspezifische Schulbücher in den Bibliotheksbeständen ausfindig zu machen, wurden Doppeljahrgangsbände (in der Regel: 7. und 8. Klasse), sofern sie in den Zulassungslisten aufgeführt sind, ausgewählt. Die Aufgaben sind in diesen Büchern in Siebt- oder Achtklassstoff unterteilt, die Analyse konzentrierte sich dann auf die Siebtklassaufgaben. e) Fach Unter Berücksichtigung der im Weiteren näher vorzustellenden Entscheidungskriterien wurden Schulbücher für die Fächer Rechnen/Mathematik und Deutsch (bzw. Sprachbetrachtung) ausgewählt. Da diese Untersuchung gerade an nicht argumentativ verlaufenden Konstruktionsmechanismen interessiert ist (s. Kap. 3.1), sollten sich Schulbücher für Fächer im Korpus befinden, in denen traditionell kein Geschlechterwissen als Lerninhalt platziert ist. Die gewählten Fächer sollten außerdem über den gesamten Untersuchungszeitraum zum Fächerkanon zählen und ihre Schulbücher von einer möglichst großen Anzahl an SchülerInnen genutzt worden sein; die größte potentielle Wirkungsbreite von Schulbüchern war somit wiederum wichtiges Kriterium. Die Fächer Rechnen/Mathematik und Deutsch erfüllen die genannten Voraussetzungen. Sie gehören in den 13 berücksichtigten Jahrzehnten zu den

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Kernfächern aller Schularten, ihre Schulbücher werden empirischen Nutzungsforschungen zufolge auch häufig im Unterricht eingesetzt. Tebrügge (2001) beispielsweise betont den zentralen Stellenwert des Schulbuchs im Mathematikunterricht der 1990er Jahre; für den Grammatikunterricht bescheinigt Gehrig (2014) dem Sprachbuch gegenwärtig bzw. für die jüngste Vergangenheit der 2010er Jahre eine frequente Nutzung. Neumann (2015, 117–121) bestätigte die frequente bis hochfrequente Nutzung des Schulbuchs im Fach Mathematik und Deutsch für die 2010er Jahre. Unter den Deutschbüchern wurden die Sprachbücher ausgewählt.126 Im Unterschied zum verhältnismäßig gut erforschten Lesebuch, dem von autoritären und totalitären Systemen ein hoher ideologischer Stellenwert beigemessen wird (s. Kap. 5.1), fand das Sprachbuch in der Schulbuchforschung seltener Beachtung, vielleicht, weil ihm eine größere Sachorientierung – Vermittlung von grammatischem Wissen – zugesprochen wird (vgl. dagegen schon Roehler 1970). In jüngerer Vergangenheit werden häufig Kombibücher aus Lese- und Sprachbüchern veröffentlicht, sogenannte integrative Deutschbücher. Da weitere Recherchen ergaben,127 dass derzeit überwiegend solche Kombibücher im Fach Deutsch im Einsatz sind, wurde dieser Schulbuchtyp bei der Korpuszusammenstellung berücksichtigt. Die meisten dieser Kombibücher behalten aber eine mehr oder weniger deutliche Trennung von Sprach- und Lesebuchanteilen bei. In die Datenerhebung einbezogen wurden in diesen Fällen nur jene Kapitel, die sich dem Bereich der Sprachbetrachtung zuordnen ließen. Vor allem das Fach Rechnen/Mathematik gilt als in hohem Maß sachorientiert und wird als wenig ideologieanfällig eingestuft (vgl. Götz 1997, 103). Bei Mathematikbüchern ist dann nicht zu erwarten, dass gesellschaftlich brisante oder einschlägige Debatten zu beispielsweise Geschlechterrollen thematisiert werden: Diese Bücher wollen traditionell primär mathematisches Wissen – zum Beispiel zur Anwendung des Dreisatzes – für den Schulunterricht aufbereiten. Doch wenngleich, „[e]ine Gleichung wie ‚5x + 3 = 7x‘ […] zu allen Zeiten (prinzipiell) dieselbe Form“ hat, so unterscheiden sich die Kotexte, in die solche Operationen eingebettet sind, zum Teil doch erheblich in ihrer zeitlichen Dimension, wie Postupa/Weth (2011, 165) in ihrer Rechenbuch-Studie festhalten. Diese

|| 126 Die Schulbücher für den Deutschunterricht unterscheiden sich traditionell in Sprach- und Lesebücher. Zusätzlich waren in der Vergangenheit noch Schulgrammatiken im Gebrauch, die in der Regel für die jahrgangsübergreifende Verwendung konzipiert sind und aus diesem Grund aus dem Korpus ausgeschlossen blieben. 127 Im Rahmen dieser Untersuchung wurden Umfragen an Schulen durchgeführt, welche Schulbücher dort verwendet werden (s. Gliederungspunkt Verlage und Reihen).

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Arbeit wird zeigen, ob in den untersuchten Schulbüchern zeitabhängige Geschlechterkonzepte zu ermitteln sind. An dieser Stelle sei angemerkt, dass nicht deswegen zwei unterschiedliche Fächer ausgewählt wurden, um fachkulturelle Spezifika in der Schulbuchanalyse herauszuarbeiten, sondern um die Untersuchung auf eine breitere Datenbasis zu stellen, die nicht bloß fachspezifische Ergebnisse aufzeigt. Dies ist auch Beweggrund dafür, dass bei der Korpuskompilierung verschiedene Schularten sowie Verlage und Schulbuchreihen berücksichtigt wurden. f) Verlage und Reihen Von der Weimarer Zeit bis in die 1950er Jahre sind alle Schulbücher, welche den bisherigen Kriterien entsprechen, in das Korpus aufgenommen worden. Für die nachfolgenden Jahrzehnte war unter Einbezug der Nutzungsperspektive eine Einschränkung nötig, um das Korpus auf eine handhabbare Größe zu bringen. Hierzu wurde auf die Differenzierungsmöglichkeit der Schulbücher nach Verlagen und Reihen zurückgegriffen. Die ausgewählten Verlage und Reihen im Folgenden nun vollständig vorzustellen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Hier sei auf den Anhang 3–1 verwiesen,128 der alle Schulbücher des Untersuchungskorpus aufführt und die Auswahl nachvollziehbar macht. Die zugrunde gelegten Entscheidungsprozesse sollen im Folgenden transparent gemacht werden. Leitend für die Auswahl der Verlage und Reihen waren (1.) deren Auftretenshäufigkeit und Dauerhaftigkeit in den Zulassungslisten sowie die Ergebnisse (2.a) einer stichprobenhaften Anfrage bei Verlagen und (2.b) bei Schulen (Zeitraum der Anfragen: Oktober 2013 bis Januar 2014). Auch in der Forschungsliteratur und in Verlagschroniken wurde (3.) nach Hinweisen zum Stellenwert einzelner Verlage und Reihen in der Unterrichtspraxis gesucht (vgl. z. B. Walther/Hein-Mooren 2007; Damm 1996; Wittmann 1993). Die angefragten Verlage Cornelsen, Oldenbourg, Klett, Schroedel, Westermann, C. C. Buchner gaben zwar keine Auskunft über konkrete Verkaufszahlen, doch konnte in einigen Fällen in Erfahrung gebracht werden, welches Lehrwerk im Bereich Mathematik und Deutsch für welches Bundesland gegenwärtig dominierende Marktanteile innehat oder in jüngerer Vergangenheit innehatte. Abgesichert wurde dies immerhin für Bayern durch eine schriftliche oder telefonische Kurzbefragung von Lehrkräften an Stadt- sowie Landschulen aller Schularten aller Regierungsbe-

|| 128 Der Anhang ist nicht Bestandteil der Druckfassung, sondern steht zum Download unter https://www.degruyter.com/view/product/491314 bereit.

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zirke. Diese sollten Auskunft geben, mit welchem Sprach- bzw. Deutschbuch und welchem Mathematikbuch an ihrer Schule in der 7. Jahrgangsstufe unterrichtet wird und – soweit rekonstruierbar, zum Beispiel unter Einbezug der schuleigenen Lernmittelbibliotheksbestände129 – in der Vergangenheit unterrichtet wurde. Manche Schulen machen auf der schuleigenen Homepage öffentlich, welche Schulbücher aktuell verwendet werden. Auf diesen Wegen wurde die Schulbuchnutzung von 56 bayerischen Schulen erhoben, sie konnte zum Teil bis in die 1980er Jahre rekonstruiert werden. – Name der Schule – Nr.

Schüler

Kl.

Lehrkraft

Datum des Empfangs

Datum der Rückgabe

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Dieses Buch ist Eigentum der Schule. Der Schüler ist verpflichtet, es mit einem Schutzumschlag zu versehen. In das Buch darf nicht geschrieben, gezeichnet oder gemalt werden. Es ist vor Schmutz- und Tintenflecken und vor Umbiegen der Blätterecken(-ohren) zu bewahren. Bei absichtlicher oder fahrlässiger Beschädigung oder bei Verlust haftet der Schüler. Beim Ausscheiden aus der Anstalt muss das Buch zurückgegeben werden.

Abb. 2: SchülerInnenverzeichnis (blanco)

|| 129 Erst wenn ein Schulbuch im Klassensatz angeschafft wurde und/oder wenn in den erhaltenen Exemplaren ein SchülerInnenverzeichnis zu finden ist, kann von einer tatsächlichen Verwendung des Schulbuchs ausgegangen werden. In solchen Mengen liegen Schulbücher allerdings nur dann in Lernmittelbibliotheken vor, wenn für die SchülerInnen zur jeweiligen Zeit Lernmittelfreiheit bestand.

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Abgegriffenheit oder hohe Auflagen eines Schulbuchs werden im Übrigen nicht als sichere Indizien für eine breite Verwendung betrachtet. Mit Einführung des Lernmittelleihsystems konnte mit einer Auflage eine ganze Generation beschult werden. Dies war beispielsweise in der Lernmittelbibliothek des Gymnasiums Marktbreit (Bayern) nachzuvollziehen: An dieser Schule war die erste Auflage eines Mathematikbuchs dem SchülerInnenverzeichnis zufolge von 1988 bis 2001 in Gebrauch. Die Abbildung 2 zeigt, wie ein SchülerInnenverzeichnis, also die Dokumentation der leihweisen Überantwortung des Buches an SchülerInnen, aussieht. g) Korpuszusammensetzung Das mehrdimensionale Auswahlverfahren ergab 99 potentielle Schulbücher für das Untersuchungskorpus, wobei elf von ihnen nicht mehr erhalten oder für die Forschung nicht zugänglich sind. Im Untersuchungskorpus befinden sich daher insgesamt 88 Schulbücher, darunter 56 Rechen-/Mathematikbücher sowie 32 Sprachbücher (inklusive der integrativen Deutschbücher). 75 der Schulbücher wurden nach dem noch vorzustellenden Kategorienschema analysiert, 13 weitere einer kursorischen Analyse unterzogen.130 Im bereits erwähnten Anhang 3–1 sind die Bücher mit Siglen aufgeführt, gegliedert nach Fach, Reihe und Erscheinungsjahr. Eine Sigle setzt sich zusammen aus einem Buchstabenkürzel für den Titel des Schulbuchs (z. B. VG für Verstehen und Gestalten), gegebenenfalls folgt das Kürzel der jeweiligen Ausgabe (z. B. E für die u. a. in Nordrhein-Westfalen zugelassene Ausgabe E); die Sigle endet mit den letzten beiden Ziffern des Erscheinungsjahrs. Zum Titel Notzon, Konrad (Hrsg.) (1996): Verstehen und Gestalten. Arbeitsbuch für Gymnasien. Ausgabe E, Band 7 (7. Schuljahr). Bearbeitet von Wolfgang Berger u. a. Mit neuer Rechtschreibung. München: Oldenbourg lautet die Sigle dann: VG-E-97. Die Tabelle 2 veranschaulicht die Verteilung der verschiedenen Schulbücher nach ihrem Erscheinungsjahr auf jene Zeiträume, die für die Auswertung der Daten maßgeblich sind. Wie der Tabelle zu entnehmen ist, befinden sich keine Sprachbücher im Korpus, die in den Jahren 1933 bis 1939 erschienen sind. Das liegt daran, dass in dieser Zeit keine Neuerscheinungen zu ermitteln waren.

|| 130 Im Kapitel 4 sind die kursorisch analysierten Schulbücher dann bei quantitativen Auswertungen auf der Wort- und Propositionsebene nicht berücksichtigt.

Sprache

Rechnen/Mathematik

Kaiserzeit

Weimarer Republik

Nachkrieg

H

Ära Adenauer

Tab. 2: Untersuchungskorpus nach Untersuchungszeiträumen

F

MBHS-bsv-

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Zu den Rechenbüchern der ersten NS-Phase ist anzumerken, dass es sich hierbei nicht um vollständige Bücher handelt, sondern um die genannten Ergänzungen zu den weiterhin im Gebrauch verbliebenen Weimarer Ausgaben;131 Grundlage der Datenerhebung und damit auch -auswertung sind für die Jahre 1933 und 1945 nur genuin nationalsozialistische Schulbücher oder Ergänzungen.

3.2.2 Totalanalyse vs. Partialanalyse Ein Schulbuch besteht textarchitektonisch aus vielen unterschiedlichen Elementen, deren Zusammensetzung und Zusammenspiel sich im Lauf der Jahrzehnte in Abhängigkeit von unter anderem den Produktionsverfahren und den sich wandelnden methodisch-didaktischen Leitprinzipien verändern (vgl. Heer 2010). Wird das gesamte Schulbuch untersucht, spricht die Schulbuchforschung von Totalanalysen (vgl. Weinbrenner 1992, 50). Zwar sind alle Textelemente am Hervorbringen von Geschlechterwissen beteiligt, was es rechtfertigt, jedes Textelement, unabhängig von der AutorInnenschaft, in der Analyse zu berücksichtigen. Es soll aber in dieser Untersuchung gerade rekonstruiert werden, auf welche Beispielkotexte die Wahl im Zuge der Schulbucherstellung fällt, um einen Lerninhalt zu positionieren oder eine Anwendungsfertigkeit einzuüben. Diese Rekonstruktion fokussiert dabei Textelemente, die von den SchulbuchautorInnen selbst verfasst wurden. Die an der Schulbucherstellung Beteiligten sind prinzipiell frei – zumindest freier als bei der Auswahl vor allem von literarischen Fremdtexten, bei der die Kanonfrage eine wichtige Rolle spielt –, welche sprachlich-szenischen Rahmungen, welche „Einkleidungen der Mathematik [oder auch der Grammatik; Erg. CO] in einen Alltagskontext“ (Postupa/Weth 2011, 165) sie wählen und welche Schulbuchfiguren sie auftreten lassen, wenngleich Aufgabentraditionen natürlich eine gewisse (Selbst-)Beschränkung darstellen. Umso interessanter ist es herauszuarbeiten, welche „Einkleidungen“ in den Schulbüchern vorzufinden sind. In der Fokussierung auf selbstverfasste Schulbuchtexte kann von einer Partialanalyse der Schulbücher gesprochen werden. Die in diesem Sinn partielle Schulbuchanalyse umfasst im Einzelnen Aufgabenstellungen, bei Sprachbüchern auch grammatische Beispielsätze, die der Veranschaulichung grammatischer Phänomene oder Kategorien dienen. Solche Beispielsätze stehen zum Teil || 131 Nur im Fall des Ergänzungshefts ERB-36 handelt es sich um eine eigenständige Publikation, die auf verbreitete Weimarer Vorgängerwerke zurückgeht.

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in Merkkästen oder im angehängten Überblickswissen. Unter Aufgabenstellung werden Textelemente im Schulbuch verstanden, die in der Regel durch eine Nummer, den Zusatz Aufgabe oder auch Übung oder durch ein spezifisches Layout, das Aufgabenstellungen von anderen Textelementen abgrenzt, als solche ausgewiesen sind. Eine Aufgabenstellung kann in Teilaufgaben ausdifferenziert sein, welche mit Kleinbuchstaben gekennzeichnet sind; zu Beginn steht häufig eine einführende Situationsbeschreibung. Funktional kann es sich um Einführungsaufgaben, Übungsaufgaben und Beispielaufgaben (zum Teil inklusive des Lösungswegs) handeln.132 In den Mathematikbüchern interessieren vor allem Textaufgaben; algebraische Gleichungen ohne jeden Kotext sind für die Untersuchungsfrage nicht ergiebig. Neben den Aufgabenstellungen und Beispielsätzen werden die Bezugstexte der Aufgabenstellungen analysiert, sofern diese von den SchulbuchautorInnen verfasst wurden. Heer (2011, 51) definiert diese Bezugstexte als „Paratexte“ der Aufgabenstellung. Mathematikaufgaben sind selten Bezugstexte anbei gestellt, im Sprachbuch tauchen sie hingegen häufig auf, zum Beispiel in Form von Auszügen aus literarischen Texten oder in Form von fiktiven Dialogen. Sofern es sich um fremdverfasste, d. h. nicht von den SchulbuchautorInnen stammende Bezugstexte (Unterscheidung in selbstund fremdverfasste Texte nach Moser 2013, 102) handelt, wurden diese aus der Auswertung ausgeschlossen.133 In der Wortwahl „Einkleidungen“ und „sprachlich-szenische[] Rahmungen“ von Postupa/Weth (2011, 165) ist im Übrigen der Charakter von Schulbuchtexten als Fiktion angesprochen, als etwas von den SchulbuchautorInnen Imaginiertes, in dem fiktive und reale Personen vorkommen. Auch wenn diese Texte mehrheitlich nicht als literarisch zu kategorisieren sind (vgl. Martinez 2007, 239), die fiktionalen Bezugstexte (s. Abbildung 5 weiter unten) einmal

|| 132 In der Fremdsprachendidaktik werden die Bezeichnungen Aufgabe und Übung strenger unterschieden, wobei Übungen vornehmlich der Wissensfestigung dienen und Aufgaben Transferleistung von den Lernenden abverlangen sollen (vgl. Nálepová/Rykalová 2015). 133 Um einen Bezugstext als fremdverfasst zu kategorisieren und damit aus der Untersuchung auszuschließen, muss dieser im Schulbuch auch explizit als solcher kenntlich gemacht sein. Das kann zum Beispiel in Form eines AutorInnenhinweises, einer Quellenangabe oder durch den Zusatz Schülertext oder Ähnliches geleistet werden. Nicht immer aber ist zu unterscheiden zwischen fingierten authentischen (und damit selbstverfassten) Bezugstexten und authentischen Fremdtexten, so zum Beispiel bei Zeitungsberichten. Im Zweifelsfall werden die Texte in die Analyse einbezogen. Zu den fremdverfassten Bezugstexten zählen vor allem Texte berühmter LiteratInnen, Zeitungsberichte, authentische SchülerInnentexte und Auszüge aus anderen Publikationen (z. B. anderen Schulbüchern).

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ausgenommen, wird in dieser Arbeit für das herangezogene Personal der Schulbuchwelt neben Person der Begriff Figur verwendet. Die Abbildungen 3 bis 6 demonstrieren, welche Textelemente für die Analyse in Frage kommen, und gleichzeitig, welche Einkleidungen für mathematische und sprachliche Sachverhalte gewählt werden. Mathematik- und Sprachbücher erweisen sich dabei in der Aufgabentypik als ähnlich (vgl. Müller 2005, 177): Neben formalen Rechenaufgaben oder Syntaxaufgaben finden sich in Büchern beider Fächer Anwendungsaufgaben, in denen eine lösungsbedürftige (alltägliche) Situation konstruiert wird, die wiederum mit mathematischen oder grammatischen Operationen zu bearbeiten ist.

Abb. 3: Aufgabenstellungen in historischen Rechenbüchern (BW-99, 108)

Abb. 4: Aufgabenstellung mit Teilaufgaben (F-98, 35)

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Abb. 5: Fiktionaler Bezugstext (MS-86, 77)

Abb. 6: Merkkasten, Bezugstext und Aufgabenstellung (VG-B-94, 202)

Im Schulbuchauszug in Abbildung 5 beispielsweise dient der Bezugstext als Fundstelle für Fremdwörter auf -in und -ine; als „Alltagskontext“ (Postupa/ Weth 2011, 165) wird hierfür die Morgensituation in einer Familie gewählt. Von grundlegendem Interesse ist an diesen Aufgabenstellungen, Beispielsätzen und Bezugstexten, welche Rahmungsstandards und nicht erklärungsbedürftig erscheinende Geschlechtervorstellungen bei der Textproduktion angenommen werden – und den GutachterInnen und Zulassungsbehörden wiederum als akzeptabel erscheinen.

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Je nach Umfang werden alle Seiten eines Schulbuchs oder nach festgelegtem Verfahren ausgewählte Seiten in die Analyse einbezogen. Bei bis zu 50 Seiten Umfang wurde das gesamte Schulbuch berücksichtigt, was für diese Fälle die Kategorisierung als Totalanalysen möglich erscheinen lässt.134 Bei umfangreicheren Schulbüchern – 250 bis 300 Seiten sind in neueren Schulbüchern keine Seltenheit – erfolgt regelhaft eine Datenerhebung ausgewählter Schulbuchseiten. Je nach Seitenumfang wird bei Schulbüchern von über 50 Seiten Umfang jede 3., 5., 7. oder 10. Seite analysiert. Über dieses Verfahren soll sichergestellt werden, dass mit der Gliederung von Schulbüchern in Kapitel kein kapitelabhängiges Ungleichgewicht ins Datenmaterial gelangt. Da in der Datenauswertung vornehmlich mit prozentualen Werten gearbeitet wird, stellt die Partialanalyse auch kein statistisches Problem dar. Erstreckt sich eine Aufgabenstellung oder ein Bezugstext über die ausgewählte Seite, wird diese bzw. dieser vollständig, also über die Seite hinaus, in der Datenerhebung berücksichtigt. Sofern in den integrativen Deutschbüchern reine Sprachlehre-Kapitel und in älteren Sprachbüchern Grammatik-Anhänge vorkommen, werden diese schwerpunktmäßig erhoben. Der Umfang jener ausgewählten Kapitel und nicht der Gesamtumfang des Buches bildet dann die Grundlage der Erhebungsdichte. Lesebuchanteile, wenn deutlich als solche ausgewiesen, werden aus der Erhebung ausgelassen. Nicht Gegenstand der Analyse sind außerdem: Klappentext, Inhaltsverzeichnis, Einleitendes Kapitel/ Vorwort, Glossar; an Textelementen innerhalb der Kapitel: Informationstexte mit Begriffserklärungen oder Regelherleitungen (vgl. zu diesen Textbausteintypen Müller 2005, 128f.). Beispielsätze in Infoboxen oder Merkkästen werden hingegen berücksichtigt. Fällt die zu erhebende Seite mit einem Fremdtext zusammen und nimmt dieser mehr als die Hälfte der Seite ein, wird die nachfolgende Seite erhoben. Bisweilen kommen in den Mathematikbüchern auch historisch-historisierende Aufgaben vor; diese setzen sich häufig durch ihr Schriftbild ab, nach 1950 wird in der Regel Fraktur gewählt. Sie werden aus der Standarddatenaufnahme ausgenommen. Lediglich erwähnte berühmte Persönlichkeiten werden namentlich erhoben.135 Welche sprachlichen Einheiten im

|| 134 Auch wenn auf allen Seiten eines Schulbuchs Daten erhoben werden, macht die komplexe Architektur von Schulbüchern in der Regel eine Schwerpunktsetzung auf spezifische Textelemente nötig – in dieser Untersuchung: auf Aufgabenstellungen, Beispielsätze und selbstverfasste Bezugstexte –, so dass selbst solchermaßen totale Analysen partiell ausfallen. 135 Entsprechend wird auch bei fremdverfassten Bezugstexten der/die AutorIn namentlich erhoben, sofern ein AutorInnenhinweis vorliegt.

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Kategorienschema insgesamt berücksichtigt sind, legt das Folgekapitel ausführlich dar.

3.3 Analyse der Sprache im Schulbuch 3.3.1 Identifikation analyserelevanter sprachlicher Mittel Ausgehend von den Aufgabenstellungen, Beispielsätzen und Bezugstexten sind jene sprachlichen Mittel zu identifizieren, die an der Konstituierung von Geschlechterwissen und hierbei im Besonderen am Aufbau von Geschlechterkonzepten beteiligt sind. Durch ein induktives Vorgehen wird größtmögliche Ergebnisoffenheit bei der Sammlung dieser Mittel erreicht. Berücksichtigt wurden nur bedeutungstragende sprachliche Einheiten, also Einheiten ab der Morphemebene (vgl. auch Spitzmüller/Warnke 2011, 23f.). Beim wiederholten Lesen der Mathematik- und Deutschbücher wurden zunächst all jene Ausdrücke gesammelt, die Personalität und gegebenenfalls Geschlechtsspezifizität anzeigen bzw. aktivieren, wie zum Beispiel Mensch sowie die konventionell136 lexeminhärent geschlechtsspezifizierenden Ausdrücke Frau und Junge. Neben Namen und Appellativa rufen auch Pronomen eine personale Referenz auf. Im Schwerpunkt sind jene Ausdrücke von Interesse, die geschlechtsspezifizierend referieren: Sie kategorisieren Personen als weiblich oder männlich und/oder charakterisieren sie hinsichtlich weiterer Aspekte (z. B. im Fall von Mutter als Elternteil oder bei Sportlerin als sportlich aktiv). Formulierungen wie ein Ausdruck kategorisiert/ charakterisiert Personen verdichten komplexere Zusammenhänge und bedürfen einer Erläuterung: ReferentInnen von Ausdrücken werden auch hier weiterhin als kognitive Größe aufgefasst (s. schon Kap. 2.3), ein Ausdruck wie Sportlerin also als Referenz auf die konventionell damit verbundene Vorstellung einer sportlich aktiven weiblichen Person verstanden. Das Konzept MENSCH erfährt hierin eine Spezifizierung – insofern kategorisieren oder charakterisieren Ausdrücke Menschen bzw. Personen. Besonders augenfällig unter den bisher genannten Mitteln sind die substantivischen Personenbezeichnungen, auf die sich auch in der Genderlinguistik || 136 Im Folgenden wird mehrheitlich auf den Zusatz konventionell oder konventionalisiert verzichtet und das Konstruktionspotential der sprachlichen Ausdrücke nicht stets explizit herausgestellt. Dies ist der Fall, da bereits in exponierter Weise in Kapitel 2.3 der gemäßigte pragmatisch-konstruktivistische Bedeutungsbegriff eingeführt und das Verhältnis zwischen sprachlicher Repräsentation und Konstruktion, das dieser Arbeit zugrunde liegt, programmatisch ausgeführt wurden.

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sowie bei früheren Schulbuchstudien üblicherweise beschränkt wurde (s. Kap. 1.2.1b und 1.2.2b). Mit Stocker (2005, 103) werden sie als besonders effiziente Möglichkeit betrachtet, in Sprache soziale Kategorisierungen vorzunehmen. Pober (2007, 19–21) wies darauf hin, dass beispielsweise auch Wortbildungen für die lexikographische Geschlechterforschung einen relevanten Untersuchungsbereich darstellen, bei denen Personenbezeichnungen integriert sind, aber nicht zwingend eine Personenbezeichnung Produkt des Wortbildungsprozesses ist. Beispiele für solche Wortbildungen sind Freundschaft, Mittäterschaft und herrschen. Selten berücksichtigt werden zudem Pronomen. Personal referierende Pronomen sind unter gängigen Definitionen von Personenbezeichnung, wie der im Lexikon der Sprachwissenschaft, nicht subsummiert: Personenbezeichnung. Lexikalische Klasse von Ausdrücken, mit denen Menschen nach verschiedenen semantischen oder funktionalen Aspekten benannt werden: Verwandtschaftsnamen (Mutter, Vater, Kind), Berufsbezeichnungen (Hebamme), Titel (Bürgermeisterin, Papst), wertende Ausdrücke (Dummkopf, Großmaul), u.a.m. […]. (Bußmann 2008, 519; Hervorh. i. O.)

Die Duden-Grammatik (2016, §§236–238) hingegen kommt im Zuge des Kapitels „Personenbezeichnungen“ auch auf Pronomen zu sprechen, darunter adjektivisch flektierte Pronomen, wie mancher/manche. Ebenso nennt sie die Pronomen wer, jemand, jedermann, niemand, man, denen sie ein festes maskulines Genus zuweist und die sie ähnlich wie substantivische Epikoina137 kategorisiert (vgl. weiterführend Doleschal 2002). Alle diese Pronomen sowie außerdem Pronomen der 1. und 2. Person sind als relevante Phänomene in die Sammlung aufgenommen, weil sie an Selbst- und Fremdaussagen über Personen beteiligt sind.138 Auch Eigennamen werden beispielsweise in Bußmanns Lexikon der Sprachwissenschaft nicht explizit unter dem Terminus Personenbezeichnung eingeordnet. Um alle Ausdrücke zu erfassen, die auf Personen referieren, wird im Folgenden von Personenreferenzformen anstelle von Personenbezeichnungen gesprochen. Personenreferenzform (PRF) bezeichnet eine Phrase, die aus einem nominalen oder pronominalen Kern besteht, welcher personal referiert.139 Refe-

|| 137 Zur Definition von Epikoin(on/um) s. unter Geschlechtsneutrale Formen in Kapitel 3.3.2c. 138 Pronomen der 1. und 2. Person kommen beispielsweise im Schulbuch bevorzugt in Texten vor, in denen eine fiktive Gesprächssituation beschrieben wird, zum Beispiel im Ausschnitt Mutter sagt zu Karin: Ab nächsten Monat wird dein Taschengeld um 4% erhöht. Du bekommst dann 26€ monatlich (TM-B-03, 61). 139 In einigen Grammatiken (vgl. z. B. Duden-Grammatik 2016, §1215) wird Nominalphrase als Oberbegriff für Phrasen mit nominalem und pronominalem Kern verwendet. Engel (2009, 286–

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renz wird, wie im Theoriekapitel unter 2.3 ausgeführt, mit einem pragmatischkonstruktivistischen Sprachbegriff zusammengebracht. Personenreferenzform betont den je aktuellen Akt der Bedeutungsherstellung zwischen Ausdruck und Referenzentität im Sprechen. Neben personal referierenden, vor allem geschlechtsspezifizierend referierenden Ausdrücken sind auch Prädikationen über Personen auf Satzebene einschlägige sprachliche Möglichkeiten, Geschlechterwissen zu vermitteln. Denn nicht nur Personenreferenzformen haben Anteil daran, ob eine Person beispielsweise als Familienmensch oder (sportlich) aktiv konzeptualisiert wird: Durch die unmittelbare Textumgebung werden ebenfalls Zuschreibungen vorgenommen – zum Beispiel, indem Tätigkeiten verbal prädiziert werden, wie in sie treibt Sport anstelle von Sportlerin –, die geschlechtstypisierend verteilt sein und sich insofern für ein Geschlechterkonzept in Abgrenzung zu (einem) anderen als charakteristischer erweisen können. Solche geschlechtstypisierenden Zuschreibungen sind als spezifischer Fall von Charakterisierungen der Geschlechter einzustufen; all diese Charakterisierungen (Eigenschaftszuschreibungen etc., ob geschlechtstypisierend verteilt oder nicht) stellen wiederum konzeptuelle Kategorisierungen von Mensch-Sein, und spezifischer von Frauund Mann-Sein dar. Im Zuge der Phänomenzusammenstellung wurde rasch deutlich, dass gerade bei inszenierten mündlichen Texten (z. B. ein fiktiver SchülerInnendialog, wie er häufig im Deutschbuch vorkommt) weitere Kategorien angelegt werden können. Sie betreffen vor allem die Frage, wie die Personen sprechen, und nicht nur jene, wie über die Geschlechter gesprochen wird. Von den technischen Möglichkeiten der Datenaufnahme und vor allem der Anforderung, dass die ermittelten Kategorien auch mit angemessenem Aufwand erhoben werden können, ist abhängig, was letztlich als Kategorie ins Kategorienschema Eingang findet. Darüberhinausgehendes wird in dieser Untersuchung, wenn auch nicht für eine quantitative Auswertung, so doch für qualitative Analysen in einer zusätzlichen Dokumentation festgehalten. Die gefundenen Phänomene wurden vor allem nach morphologischen, semantischen sowie syntaktischen Kriterien geordnet und nach der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen intratextuellen Analyseebenen systematisiert, nämlich in Wort-, Propositions- und Textebene. Die ermittelten Kategorien sind in einem Kodierbuch ausführlich beschrieben ebenso wie die Kodierregeln darin festgehalten sind, um Entscheidungen für spezifische Kodiervarianten nachvollzieh|| 312; 363–382) hingegen trennt auch auf dieser Beschreibungsebene in Nominalphrase und Pronominalphrase.

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bar zu machen und gleichzeitig Einheitlichkeit im weiteren Kodieren zu gewährleisten. Nach einem Pre-Test wurde das Kategorienschema noch einmal weiterentwickelt. So wurden zum Beispiel die Kodierungsmöglichkeiten einzelner Kategorien erweitert und Kategorien deutlicher voneinander abgegrenzt.140 Bei dem Kombiverfahren aus induktiver Kategorienbildung und deduktiver Ausdifferenzierung wird eine größtmögliche Objektivität angestrebt. Dennoch ist in Bezug auf den Objektivitätsgrad anzumerken, dass bei jeder Kategorienbildung interpretatorische Handlungen wirksam sind und eine Vorselektion abläuft, die mitentscheidet, welche „Kandidaten für musterhafte Strukturen“ identifiziert werden (Bubenhofer 2009, 103; vgl. auch Behnke/Baur/Behnke 2010, 363). Auch die Systematisierung des Materials zu Kategorien bedeutet einen interpretatorischen Eingriff und bestimmt (mit), welche Antworten im Sprachmaterial auf die Untersuchungsfragen (s. Kap. 1.1) gefunden werden. Teil der Datenerhebung und damit des Kategorienschemas sind Kategorien, die der Wort- und der Propositionsebene zuzuordnen sind. Die Textebene ist mittelbar ins Kategorienschema aufgenommen in Form von gesonderten Auszeichnungen von Auffälligkeiten, die sich auf Textebene bewegen, wie beispielsweise auffällige phorische Wiederaufnahmen (z. B. der Fall, wenn das Neutrum Kind mit maskulinem Pronomen wiederaufgenommen wird). Auf Textebene werden keine quantitativ auswertbaren Daten erhoben, sie bietet vielmehr eine Auswertungsperspektive an. So kann das erhobene Sprachmaterial auf Textebene daraufhin durchsucht werden, wie einzelne Lexeme auf die verschiedenen Schulbücher verteilt sind und welche textübergreifenden Regelmäßigkeiten – oder: Musterhaftigkeiten – sich ermitteln lassen. In dieser Hinsicht ist die Textebene stets integraler Bestandteil der Auswertungen von Kategorien der Wort- sowie der propositionalen Ebene. Die Bildsprache gehört ebenfalls der Textebene an und ist ertragreicher Untersuchungsgegenstand (vgl. hierzu vor allem Moser 2013). Nicht nur das Symbolsystem Sprache, sondern auch personale Abbildungen partizipieren an der Vermittlung von Geschlechterkonzepten. Der Zusammenhang mit sprachlichen Zeichen ist über die gemeinsame Eingebundenheit in den Geschlechterdiskurs gegeben. In dieser Untersuchung werden personale Abbildungen berücksichtigt, sofern sie in unmittelbarem Zusammenhang mit sprachlichen Zeichen stehen; so ist die Bildsprache für die Sprachdatenerhebung nach dem Kategorienschema durchaus relevant, und zwar dann, wenn sie einzige Informationsgeberin ist, ob beispielsweise eine maskuline Personenbezeichnung männlich oder geschlechtsübergreifend refe|| 140 Die modifizierten Kategorien wurden an den Büchern des Pre-Tests neu erhoben, so dass auch diese Schulbücher in die Auswertung eingingen.

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riert. Abbildungen von Personen werden in dieser Arbeit immer dann berücksichtigt, a) wenn Geschlechtsreferenzen über diese disambiguiert werden können; b) wenn Abbildungen Geschlechtsreferenzen sprachlicher Ausdrücke in Frage stellen. Die Fälle b) werden in der Dokumentation festgehalten und beschrieben.

3.3.2 Beschreibung des Kategorienschemas Die methodologische Aufgabe besteht nun darin, ein Kategorienschema zu entwickeln, das mindestens für zwei Zwecke geeignet ist: Einerseits muss die Frage nach der sprachlichen Vermitteltheit von Geschlechterkonzepten potentiell beantwortet werden können, andererseits sollen die Kategorien des Schemas die analyserelevanten sprachlichen Mittel erfassen, dabei möglichst trennscharf und praktikabel sein. Über das vorgestellte Kategorienspektrum hinaus sind natürlich weitere Erhebungskategorien denkbar. Doch werden die im Folgenden vorgestellten Kategorien als hinreichend erachtet, um die Konstruktion von Geschlechterkonzepten in Sprache nachzuvollziehen. Sie erlauben vieldimensionale Auswertungen, wie im Kapitel 4 gezeigt wird, ohne dabei den Blick von vornherein zu stark zu verengen. Formal oder funktional zusammengehörige Kategorien sind zu Skalen zusammengefasst. Eine Übersicht über Skalen, Kategorien und Codes befindet sich im Anhang 3–2.141 Zum Teil werden unter den Kategorien Sprachdaten aufgenommen, häufiger aber Zahlenkodierungen. Unter jeder Kategorie bestehen außerdem stets die Kodierungsmöglichkeiten „nicht anwendbar“ (Kodierung 0) und „keine Kodierungsmöglichkeit zutreffend“ (Kodierung 99). a) Datenextraktion Ankerpunkt der Datenerhebung sind in den Aufgabenstellungen, Beispielsätzen und den selbstverfassten Bezugstexten die Personenreferenzformen (im Folgenden: PRF). Sie stehen im Zentrum der wortorientierten Analyse und werden in verschiedenen Dimensionen – beispielsweise hinsichtlich ihrer Semantik und Morphologie – analysiert. PRF sind außerdem Ausgangspunkt für die Erhebung auf propositionaler Ebene: Bildet die PRF den Aussagegegenstand einer Proposition – d. h., ist die PRF Gegenstand einer Aussage –, so ist von Bedeutung,

|| 141 Der Anhang ist nicht Bestandteil der Druckfassung, sondern steht zum Download unter https://www.degruyter.com/view/product/491314 bereit.

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was über die PRF bzw. über die mit der PRF bezeichneten ReferentInnen ausgesagt wird, welche Verben mit der PRF vorkommen oder welche attributiven Qualifizierungen beispielsweise vorgenommen werden. Aus dem Kotext der PRF ergeben sich somit weitere Kategorien, deren Auswertung in Abhängigkeit von den PRF Aufschluss darüber gibt, wie Schulbücher Geschlechterkonzepte sprachlich vermitteln. Je nachdem, mit welchen (technischen) Hilfsmitteln oder welchem Programm bei der Datenerhebung (und auch Datenauswertung) gearbeitet wird, kann das konkrete Vorgehen der Datenerhebung unterschiedlich ausgestaltet sein. In dieser Untersuchung wurde Excel als Datenbank verwendet. Jede Zeile in Excel steht dann für einen Datensatz und erfasst ein spezifisches Vorkommen einer PRF und gegebenenfalls ihres Kotexts; in der Regel wird eine Prädikation zum personal referierenden Subjekt erhoben.142 In die Textbeleg-Spalte wird die PRF in flektierter Form (gegebenenfalls mit Präposition und Artikelwort) aufgenommen, an die sich alle relationierten Einheiten143 anschließen. An dritter Stelle folgen mitunter Adverbiale aus dem Kotext der PRF, an vierter Stelle spätestens dann das Verb (normalerweise im Infinitiv Präsens). Wenn eine passivische Konstruktion oder ein komplexes Verbgefüge mit Modalverb oder Modalitätsverb vorliegt, wird diese Konstruktion miterhoben. Aus der Proposition Petra bekommt vom Bäcker einen Zentner Mehl verkauft wird in der Datenbank Petra, von Bäcker, Menge Mehl verkaufen bekommen. Das Beispiel macht bereits deutlich, dass bei der Datenerhebung Komplexität reduziert wird (einen Zentner Mehl > Menge Mehl). Solche Vereinfachungen und vereinheitlichenden Abstraktionen sind notwendig, um bei der Datenauswertung ähnliche Fälle als zusammengehörig erkennen zu können. Die Abbildung 7 zeigt zur Veranschaulichung einen Ausschnitt aus der Datenbank.

Abb. 7: Auszug aus der Datenbank

|| 142 In fiktiven Dialogsituationen beispielsweise kommen vermehrt Imperative vor; diese wiesen kein expliziertes Subjekt auf, entsprechend kann dieses nicht als PRF zusammen mit dem Verb erhoben werden. In solchen Fällen steht in der Belegzeile eine Proposition ohne explizierte PRF. 143 Zu Erläuterungen zur Kategorie s. in diesem Kapitel 3.3.2c unter Relationierte Einheiten.

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Sonderfälle stellen integrierte Personenreferenzformen (iPRF) und berühmte Personen (bP) dar. Wenn im Untersuchungsmaterial eine PRF vorkommt, die in eine Wortbildung integriert ist, aber das Ergebnis dieser Wortbildung nicht (unbedingt) eine Personenbezeichnung ist, wird diese als iPRF erhoben. Unter 3.3.1 wurde als Beispiel für solche Wortbildungen Freundschaft genannt; die iPRF ist hier Freund. Ob als iPRF überwiegend Neutralformen gewählt werden oder eher generisch gebrauchte Maskulina vorkommen, wie Freund in Freundschaft, gilt es auszuwerten. Diese Frage betrifft damit die Genera und ihre Anwendungsbreite. Von der restlichen Analyse werden die iPRF ausgeschlossen, sofern nicht selbst wieder eine PRF Ergebnis der Wortbildung ist, wie bei Mannschaft. Der zweite Sonderfall betrifft Namen berühmter Personen, die als Vollbeleg unter bP erfasst werden. An diesen Namen interessiert, welche realen Personen als so relevant erachtet werden, dass sie das Schulbuch namentlich nennt. Eine Positivkodierung unter der Kategorie bP schließt den Beleg ebenso wie die iPRF von weiteren Erhebungen aus. Kommen im Schulbuch zusammengezogene Sätze vor, bei denen PRF eingespart werden, wird die nicht wiederholte PRF im Beleg ergänzt, aber als Ergänzung kenntlich gemacht. Bei den ergänzten PRF wird auf Wortebene nur die Geschlechtsreferenz und der Numerus erhoben (zu den Kategorien s. unter c) den Unterpunkt Pragma-Grammatik). Fragesätze stellen eine weitere Herausforderung auf der Ebene der Datenerhebung dar; im Beispielsatz Wie viel Mark verdient er in sieben Tagen? ist die Aussage von Interesse, dass er [in einer bestimmten Zeit] [eine bestimmte Menge an] Geld verdient. Diese Aussage wird aus der Frage extrahiert und in Form des Belegs er, Geld verdienen erhoben. b) Meta-Daten Zu jedem Beleg – ob bei einer regulären Datenerhebung oder einem der beschriebenen Sonderfälle – werden Meta-Daten erhoben, um die Belege nach Verlag und Reihe, Schulart oder Bundesland oder Region sortieren zu können, und nicht zuletzt, um nachvollziehbar zu machen, aus welchem Schulbuch ein Beleg stammt. Als Kategorien sind angelegt: Schulfach, Schulart, Bundesland/Region, Titelkürzel, Verlag, Erscheinungsjahr der Ausgabe sowie unter Zeitabschnitt die Zuordnung zu einem der Teiluntersuchungszeiträume, des Weiteren Zulassung bis, die Seitenzahl, auf welcher der Beleg zu finden ist, und die Kategorisierung, ob eine Total- oder Partialanalyse durchgeführt wird. Grundlage für die Gliederung der Datenauswertung nach der Dimension Zeit, wie unter der Kategorie Zeitabschnitt vorgenommen, ist das Erscheinungsjahr eines Schulbuchs bzw. der zugelassenen Auflage. Die Zusammensetzung

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der AutorInnenteams wird in der Dokumentation festgehalten, sofern die bibliographischen Angaben die Informationen führen. Die Kategorien der Skala Meta-Daten sind im Folgenden noch einmal zusammengefasst: – Fach – Schulart – Land/Region – Titel – Verlag – Erscheinungsjahr – Zeitabschnitt – Zulassung bis – Seitenzahl – Partial- oder Totalanalyse c) Erhebungskategorien zu Personenreferenzformen Personenreferenzform Eine vollständige Berücksichtigung von PRF ist notwendig, um auf ihrer Basis auswerten zu können, wie sich PRF mit weiblicher Geschlechtsreferenz und PRF mit männlicher Geschlechtsreferenz zueinander quantitativ verhalten, wie sich das Verhältnis über den Untersuchungszeitraum möglicherweise verändert und welche anderen Kategorien auf dieses Verhältnis einwirken. Wie verschiebt sich beispielsweise das Zahlenverhältnis, wenn nicht alle PRF, sondern die Untergruppe zum Beispiel der Berufsbezeichnungen, untergliedert in weiblich referierende Berufsbezeichnungen und männlich referierende, verglichen wird? Welchen Anteil haben geschlechtsübergreifend referierende PRF an allen PRF? Solche Auswertungen erlauben, Interpretationslinien zu entwickeln, in welchen gesellschaftlichen Bereichen eher weibliche oder männliche Figuren auftauchen, ob Tätigkeiten geschlechtstypisierend verteilt sind und welche Eigenschaften enger mit dem Konzept MANN oder FRAU verbunden sind. Alle PRF werden einzeln erhoben; das gilt auch für koreferentielle PRF: Wenn beispielweise er und sein X dem Kotext nach koreferentiell zu Markus sind, werden alle drei PRF (er; sein; Markus) und deren jeweiliger Kotext in die Datenbank aufgenommen. Die Anzahl an PRF und die Anzahl an auftretenden Personen/Figuren im Schulbuch ist folglich nicht gleichzusetzen (vgl. auch Sunderland 2015, 21f.). Auf eine Unterscheidung zwischen Ausdruck (TokenEbene) und Person/Figur (Type-Ebene) wird in der Erhebung verzichtet, unter anderem weil potentiell jede PRF, ob koreferentiell oder nicht, als am Aufbau

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von Geschlechterkonzepten beteiligt betrachtet wird. Meistens wird eine PRF zudem nicht wiederholt, so dass von der Token-Zahl mittelbar ein Type-Wert abgeleitet werden kann – was Formulierungen, wie die folgende, rechtfertigt: Im Schulbuch finden sich relativ zu allen männlich referierenden PRF mehr männlich referierende Berufsbezeichnungen als weiblich referierende Berufsbezeichnungen relativ zu allen weiblich referierenden PRF; als berufstätig werden folglich mehr Männer als Frauen gezeigt. Wortart Jeder PRF wird anschließend unter der Skala Wortart die Kodierung als Substantiv, Pronomen oder – bei mindestens zwei koordinierten personal referierenden Kernen (z. B. Schülerinnen und Schüler, Lisa und Tim) – die Kodierung als komplexe koordinierte Phrase (kkP) zugewiesen. Die Differenzierung in Substantiv oder Pronomen ist für die Datenerhebung relevante Hilfskategorisierung. Die kkP werden dagegen anschließend noch eingehender ausgewertet. Hierbei sollen Abfolgemuster, die als Hierarchisierungen gelesen werden können, herausgearbeitet werden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden am Ende eines Subkapitels alle Kategorien einer Skala gelistet – sofern mehr als eine Kategorie darunter gefasst ist. Für die Skala Wortart sind also zu nennen: – Substantiv – Pronomen – Komplexe koordinierte Phrase Pragma-Grammatik Auf die Kategorie Numerus folgen zwei zentrale Erhebungskategorien: Genus und Geschlechtsreferenz. Wie diese beiden Kategorien zusammenhängen, gilt es in der Auswertung zu ermitteln. Die Geschlechtsreferenz ist dabei die wichtigste Kodierung einer PRF, weil mit ihrer Hilfe PRF unter anderem unterschieden werden können in weiblich und männlich referierende PRF (kurz: wPRF und mPRF). Diese Variable wird bei beinahe jeder weiteren Häufigkeitsabfrage benötigt. Die Auswertung, wie Genus und Geschlechtsreferenz zusammenhängen, ermöglicht ferner eine Antwort, welchem Genus am ehesten eine Stellvertreterfunktion zukommt. Artikelwörter flektieren im Deutschen kongruent zum Genus des Bezugsnomens. Weist das Bezugsnomen allerdings kein (festes) Genus auf, wird (1.) das Genus kongruent zu einer angenommenen Geschlechterkategorie der Referenzentität oder (2.) kongruent zu einer konventionell mit der PRF verbundenen

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Geschlechtsreferenz gewählt. Nübling spricht in erstem Fall von einem referentiellen oder pragmatischen Genus und im zweiten Fall, der die Vornamen betrifft, von einem semantischen Genus (vgl. Nübling 2012a, 225f.; s. auch weiter unten zu den Eigennamen). In diesen Fällen wurde unter der Kategorie Genus das referentielle/pragmatische bzw. semantische Genus kodiert, allerdings natürlich nur dann, wenn im Fall der Vornamen ein Artikelwort realisiert ist (z. B. bei die Anna). Bei Nachnamen und Namenkürzeln, die unter anderem neben Adjektivkonversionen im Singular dem Typ (1.) zuzuordnen sind, wird nur dann eine Genus-Kodierung vorgenommen, wenn in den Schulbüchern ein genusindizierendes Artikelwort (z. B. der Wengert, der A) steht. PRF ohne (festes) Genus, denen lexeminhärent geschlechtsspezifizierende Ausdrücke beigefügt sind (z. B. Frau W.), werden hingegen als genuslos kodiert, in ihrer Geschlechtsreferenz aber identisch zum Appositionierten gewertet. Gerade bei PRF, die – anders als Tante oder Junge – keine lexeminhärente Geschlechtsspezifizierung aufweisen, gibt erst der konkrete Äußerungszusammenhang Aufschluss über die Geschlechtsreferenz bzw. leistet der Kotext eine Vereindeutigung der Geschlechtsreferenz. Bei movierbaren Maskulina und nicht-genusfesten PRF im Maskulinum beispielsweise ist im Deutschen sowohl eine geschlechtsspezifizierend männliche als auch eine geschlechtsübergreifende Gebrauchsweise konventionalisiert (vgl. Duden-Grammatik 2016, §§237– 238). Nur in Abhängigkeit vom Kotext kann entschieden werden, welche Referenz im aktuellen Äußerungszusammenhang etabliert wird. Doch auch bei Ausdrücken, mit denen konventionell ausschließlich eine geschlechtsübergreifende Referenz verbunden ist, sind Abweichungen vom Gebrauchsstandard möglich und kann sich je nach Kotext die Verbindung zwischen Ausdruck und Geschlechtsreferenz verschieben (s. bereits Kap. 2.3): Kind ist ein konventioneller Ausdruck für eine geschlechtlich nicht spezifizierte Person (im Lebensabschnitt vor der Fähigkeit zur Fortpflanzung). Ist Kind aber in einer Aufgabenstellung referenzidentisch mit einer wPRF, dann wird mit dem geschlechtsneutralen Ausdruck Geschlechtsspezifizität in Verbindung gebracht; ihm kann in diesem Sinn mittelbar eine geschlechtsspezifische Referenz zugewiesen werden (vgl. auch Schärer 2008 in Kap. 1.2.2b); diese wird in dieser Untersuchung dann auch kodiert und ist als kotextuelle Verwendungsauffälligkeit erkennbar. Bei der Kodierung der Kategorie Geschlechtsreferenz wird daher nicht allein die Gebrauchskonvention einer PRF zur Entscheidungsgrundlage gemacht, sondern auch der Kotext einbezogen. Die Systematisierung in Kodierungsmöglichkeiten gestaltete sich für die zentrale Kategorie Geschlechtsreferenz aufwendig. Bereits im Pre-Test hatte sich gezeigt, dass die textliche Umgebung im Schulbuch bei zahlreichen Maskulina,

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wie zum Beispiel Schüler, nicht anzeigt, ob eine geschlechtsspezifizierend männliche oder eine geschlechtsübergreifende Referenz etabliert wird. Das Erhebungsproblem wurde in Schulbuchstudien mit verwandtem Forschungsinteresse allerdings selten thematisiert (s. Kap. 1.2.2b). Diese Untersuchung verhält sich vorsichtiger gegenüber der Möglichkeit eindeutiger Geschlechtsreferenzen. Die Datenaufnahme geht nicht derart vonstatten, dass eine maskuline PRF in jedem Fall als eine Referenz auf eine männliche Person gewertet und kodiert wird. Mit einem ausdifferenzierten Kodiersystem ist Maskulina Rechnung zu tragen, für die eine geschlechtsübergreifende Gebrauchsweise konventionalisiert ist. Folgendermaßen erfolgt die Zuweisung der unterschiedlichen Codes unter der Kategorie Geschlechtsreferenz: Als weibliche Geschlechtsreferenz werden Ausdrücke gewertet, die im Deutschen konventionell zur Referenz auf weibliche Personen gebräuchlich sind und bei welchen der Kotext einer solchen Gebrauchsweise auch nicht widerspricht (s. auch unten: Lexikalische Morphologie). Als weibliche Geschlechtsreferenz werden ferner Ausdrücke kodiert, die – wie bei Kind auch entgegen ihrer Gebrauchskonvention – kotextuell auf weibliche Personen referieren bzw. mit weiblich referierenden Ausdrücken referenzidentisch sind. Bei personal referierenden Pronomen und Adjektiv- sowie Partizipkonversionen im Singular zeigen flexivisch-grammatische Marker eine weibliche Geschlechtsreferenz an (i. d. R. das Genus Femininum, vgl. auch DudenGrammatik 2016, §236). Nach vergleichbaren Regeln wird auch die Kodierung männliche Geschlechtsreferenz vergeben, doch ist hier der Kotext wegen der Gebrauchskonvention des generischen Maskulinums entscheidender für eine Kodierung als eindeutig männliche Referenz. Bei beiden Kodierungen, weiblicher und männlicher Geschlechtsreferenz, kann es sich im Übrigen um eine Referenz auf als konkret konzeptualisierte Personen oder um von konkreten Einzelpersonen abstrahierende Referenz handeln (zu referenzfunktionalen Unterschieden s. den Einschub in Kap. 1.2.1b). Diese referenzfunktionalen Unterschiede beeinflussen die Kodierung nicht. Der Kotext vereindeutigt die Geschlechtsreferenz, gerade bei den potentiell geschlechtsübergreifend verwendeten Maskulina, – wenn die geschlechtsreferentiell mehrdeutige PRF (z. B. er) referenzidentisch mit einem Vornamen ist (z. B. Markus) – Unisex-Namen ausgenommen (s. auch unten: Geschlechtsneutrale Formen); – wenn die PRF bzw. die/der damit bezeichnete ReferentIn durch einen Nachnamen als Individuum näher spezifiziert ist, d. h., wenn statt Der Arbeiter braucht für die Tätigkeit x die Zeit y die Aufgabenstellung (Der) Arbeiter Hammer braucht für die Tätigkeit x die Zeit y zu lesen ist. Der Arbeiter hat

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mit Arbeiter Hammer an kategorialer Zugehörigkeit verloren und sowohl an Konkretheit als auch vor allem an Individualität gewonnen. Bei Maskulina mit einer sowohl konventionell geschlechtsspezifizierenden als auch geschlechtsübergreifenden Gebrauchsweise wird dieses Mehr an Individualität auch als Mehr an Geschlechtsspezifizität gewertet; wenn ein Namenkürzel mit einem Artikelwort im Singular versehen ist. Das Genus Maskulinum wird bei den genuslosen Namen als Marker für männliche Geschlechtsreferenz gewertet (z. B. der Wengert; der A); wenn zu einem Ausdruck, der sowohl männlich als auch geschlechtsübergreifend referierend gebraucht werden kann, in der näheren Textumgebung ein weiblich referierendes Kompleonym144 steht. Die Ausdrücke sind dann hinsichtlich ihrer Geschlechtsreferenzen als Oppositionspaar interpretierbar; wenn eine Text-Bild-Beziehung hergestellt werden kann und somit die Geschlechtsreferenz durch Abbildungen geklärt wird.

Definitheit hingegen wird nicht als Charakteristikum für Geschlechtsspezifizität gewertet. Denn wie das Beispiel Der Arbeitnehmer von heute wünscht sich flexiblere Arbeitszeiten aus dem Einschub in Kapitel 1.2.1b nachvollziehbar macht, leistet der definite Artikel bei Arbeitnehmer keine Geschlechtsspezifizierung (im Beispiel fallen geschlechtsübergreifende Referenz und referenzfunktionale Nicht-Spezifizität in eins). Als geschlechtsübergreifende Referenz wiederum werden erstens der Form nach gemischt-geschlechtliche Ausdrücke kategorisiert, wie unter anderem bei den folgenden selbstgewählten Beispielen: (1) Zu den Schülerinnen und Schülern dieser Klasse gehören auch Lena und Mirko. (2) Lena und Mirko (3) Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Workshops sollen nicht älter als 20 Jahre sein.

|| 144 Verstanden als komplementärer Ausdruck; Bär (2004, 156, Anm. 7) führt die Tierbezeichnungen Kater und Katze als „sexusspezifisch kompleonym“ an (vgl. weiterführend Bär 2015). Diese Bezeichnung wird hier auf Personenreferenzformen übertragen, zum Beispiel Frau und Mann. Kombinationen aus maskulinen und femininen PRF, bei der eine aus der anderen PRF durch Wortbildung entstanden ist (z. B. Schülerin und Schüler), werden in dieser Arbeit im Besonderen als morphologische Kompleonyme bezeichnet.

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Für diese formal gemischt-geschlechtlichen Ausdrücke wird konventionell eine gemischt-geschlechtliche Referenz angenommen, auch wenn ausgeschriebene Paarformen in psycholinguistischen Untersuchungen nicht ausnahmslos so rezipiert werden (vgl. z. B. Braun u. a. 1998). Doch nicht nur formal gemischt-geschlechtliche Ausdrücke können gemischt-geschlechtlich referieren. So ist auch bei geschlechtsübergreifend gebrauchten Maskulina eine referentielle Vereindeutigung auf genau zwei Geschlechter möglich: (4) 30 Schüler sind in der Klasse, 16 Mädchen und 14 Jungen. Weitere Kandidaten für geschlechtsübergreifende Referenz sind ferner Ausdrücke, die auch unter Berücksichtigung des konkreten Äußerungszusammenhangs weder mit einem Geschlecht noch mit mehreren Geschlechtern konzeptuell in Verbindung gebracht werden können. Diese Ausdrücke referieren dann – wenigstens potentiell145 – geschlechtsabstrahierend, d. h., der Ausdruck verhält sich gegenüber einer Bestimmung der Geschlechtsreferenz als spezifizierend weiblich/männlich oder gemischt-geschlechtlich referierend indifferent oder neutral. Hierzu wären formal geschlechtsneutrale Ausdrücke (s. zu verschiedenen Typen weiter unten unter Geschlechtsneutrale Formen), die kotextuell weder mit einem gemischt-geschlechtlich noch mit einem geschlechtsspezifizierend referierenden Ausdruck koreferentiell sind (z. B. wie oben Kind), sowie generisch gebrauchte Maskulina zu rechnen, die anders als im Beispiel (4) kotextuell indifferent hinsichtlich ihrer Geschlechtsreferenz ausfallen.146 Eine Differenzierung der genannten Ausdrücke in solche, die im Äußerungszusammenhang dezidiert für eine gemischt-geschlechtliche Gruppe stehen (s. z. B. Beispiel (1) und (4)), und in solche Ausdrücke, die im Äußerungszusammenhang von geschlechtlichen Kategorisierungsmöglichkeiten abstrahiert gebraucht sind, hat sich im Pre-Test als nicht praktikabel erwiesen. Deswegen sind beide Fälle zu einer Kodierungsmöglichkeit, der genannten geschlechtsübergreifenden Referenz, zusammengefasst. Die Kodierung erhalten also neben formal gemischt-geschlechtlichen Ausdrücken und generisch gebrauchten Maskulina folgende Typen an Ausdrücken,

|| 145 Es ist umstritten, ob personal referierende Ausdrücke überhaupt von der Geschlechterkategorie abstrahiert vorstellbar sind. Diese Diskussion erstreckt sich nicht nur auf die geschlechtsabstrahierende Gebrauchsweise von Maskulina, sondern auch auf die der genannten Neutralformen (vgl. grundlegend Hornscheidt 2006, s. bereits Kap. 1.2.1b, FN 28). 146 S. Beispiel (3) im Einschub in Kapitel 1.2.1b: Ein Vorgesetzter muss sich schließlich durchsetzen können.

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sofern sie dem Kotext nach nicht geschlechtsspezifizierend referieren (d. h. auch: nicht mit weiblich/männlich referierenden Ausdrücken koreferentiell sind): Sammelbezeichnungen für Personen, die differenziert werden können in Pluralwörter (Leute), Kollektivlexeme (Team) und Kollektivbildungen (Belegschaft, Personal), außerdem Nachnamen (die Wengerts), sonstige nicht-kollektive Abstraktbildungen (z. B. Bedienung), Epikoina147 (Person, auch als Teil von Wortbildungen: Lehrkraft) sowie pluralisch gebrauchte Partizip- und Adjektivkonversionen (die Vorgesetzten, die Jugendlichen). Vornamen, die nicht eindeutig als weiblicher oder männlicher Vorname zu kategorisieren sind, werden ebenfalls mit dieser Kodierung versehen. Wegen der geschlechtsübergreifenden Gebrauchskonvention zahlreicher Maskulina erweisen sich maskuline PRF, wie Ein Bauunternehmer / Ein Obsthändler / Ein Arbeiter / Ein Schüler / Ein Jogger / Ein Reiter macht x oder auch A und B … jeder / Zwei Ausländer / 20 Arbeiter machen y, hinsichtlich ihrer Geschlechtsreferenz als besonders schwer zu kategorisieren. Die Beispiele weisen eine Nähe zu referenzfunktional nicht-spezifischer Referenz auf. Es wird auf keine konkreten Personen referiert, sondern auf VertreterInnen des Typs BauunternehmerIn, ObsthändlerIn, ArbeiterIn, SchülerIn, JoggerIn, ReiterIn, AusländerIn. Der Austausch des Artikelworts gegen irgendein oder die Ergänzung von irgendwelche ist in diesen Fällen eher möglich als beispielsweise beim referenzfunktional spezifischen Jan kauft sich einen CD-Player. Diese geschlechtsreferentiell uneindeutigen PRF in eine Systematik zu bringen, welche nicht entweder an der stereotypen Verteilung der nominalisierten (beruflichen) Tätigkeiten, also mit Hellinger (1990, 61) am angenommenen „sozialen Geschlecht“, oder an der potentiellen Anwendungsbreite148 ausgerichtet ist, gelang im PreTest nicht. Aus diesem Grund wurde eine weitere Kodierungsmöglichkeit eingeführt, unter der diese Problemfälle versammelt sind – eine Kodierung für solche PRF also, bei denen unter Einbezug des Kotexts nicht eindeutig zu entscheiden

|| 147 Zur Definition s. unter Geschlechtsneutrale Formen in diesem Kapitel 3.3.2c. 148 Prinzipiell jedeR kann Jogger sein oder war Schüler, und auch Arbeiter hat wegen seiner geringen Spezifizierung in Bezug auf die tatsächlich verrichtete Arbeit eine große Anwendungsbreite; hingegen kann sich nur ein verhältnismäßig kleiner Personenkreis als Bauunternehmer bezeichnen. Eine Systematisierung nach der potentiellen Anwendungsbreite der PRF kann aber nicht mit der Frage nach der geschlechtsspezifizierenden Referenz parallelisiert werden. Anders verhält es sich, wenn Eigennamen als individualisierende Mittel hinzukommen, zum Beispiel der Arbeiter Hammer. Die Anwendungsbreite des Ausdrucks Arbeiter ist dadurch eingeschränkt auf ein Individuum namens Hammer. Eigennamen leisten – so meine Annahme – eine Individualisierung, mit der bei maskulinen PRF als weiterer Bestandteil einer Apposition auch eine Geschlechtsspezifizierung einhergeht.

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ist, ob eine geschlechtsspezifizierende oder geschlechtsübergreifende Referenz vorliegt. Geschlechtsreferentiell (un-)eindeutig bezieht sich dann auf die (Un-)Möglichkeit der Entscheidbarkeit zwischen diesen beiden Gebrauchsweisen (und ist im Fall von geschlechtsreferentiell eindeutig keine Alternativformulierung zu geschlechtsspezifizierende Referenz oder im Fall von geschlechtsreferentiell uneindeutig keine Alternativformulierung für geschlechtsabstrahierende Referenz). Eher geschlechtsspezifizierend referierende PRF wurden in der Datensammlung von eher geschlechtsübergreifend referierenden PRF durch unterschiedliche farbliche Markierungen unterscheidbar gemacht. Eine Unterscheidung ermöglicht, dass rasch Doppelauswertungen durchgeführt werden können: eine Auswertung auf Grundlage der eindeutigen Geschlechtsreferenzen und eine weitere Auswertung, bei welcher die nicht eindeutig geschlechtsspezifizierend oder geschlechtsübergreifend referierenden Ausdrücke den jeweiligen eindeutigen Kodierungsvarianten zugewiesen werden. Eine solche zweigliedrige Auswertung erlaubt einerseits, Aussagen zu treffen, die sich auf eindeutige Daten stützen, ohne potentiell relevantes Datenmaterial gänzlich unberücksichtigt zu lassen. Andererseits zeigt eine solche zweigliedrige Auswertung auf, wie viele PRF im Schulbuch vorkommen, die prinzipiell zwei Interpretationen zulassen. Als Kategorien werden unter der Skala Pragma-Grammatik also angenommen: – Numerus – Genus – Geschlechtsreferenz Die verschiedenen Kodierungsmöglichkeiten unter der zentralen Erhebungsund Auswertungskategorie Geschlechtsreferenz sind hier noch einmal systematisch gelistet: (1) geschlechtsspezifizierend weiblich (2) geschlechtsspezifizierend männlich (3) geschlechtsübergreifend (gemischt-geschlechtlich oder geschlechtsabstrahierend) (4) uneindeutig: geschlechtsspezifizierend oder geschlechtsübergreifend Lexikalische Morphologie Suffigierungen, Komposita auf -frau oder -junge sowie deadjektivische und departizipiale Konversionen im Singular sind Ausdrücke, mit denen geschlechtsspezifizierend referiert werden kann. Ihre Erhebung erlaubt Aufschluss darüber, ob weibliche und männliche Referenz sprachlich gleich explizit gemacht wer-

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den, ob PRF für weibliche Personen bevorzugt mit geschlechtsspezifizierendem Lexem, über Movierung, Komposition oder durch Konversion im Singular (z. B. die Angestellte) gebildet werden und inwiefern sich gegebenenfalls eine Entwicklung zum Beispiel zu mehr lexikalisch weiblich spezifizierenden Komposita ablesen lässt, wie von Schoenthal (1998, 12) für die 1990er Jahre erwartet. Zudem kann untersucht werden, wie häufig Ableitungen auf -er kotextuell geschlechtsspezifizierend oder geschlechtsübergreifend referieren. Um Auswertungen dieser und ähnlicher Art vornehmen zu können, sind die Kategorien Derivation, Komposition und Konversion ins Schema aufgenommen und zur Skala Lexikalische Morphologie zusammengefasst. Diese Kategorien werden bei substantivischen Wortbildungen erhoben. Die im Korpus vorkommenden Movierungen auf -in, -euse und -ess (in den Schulbüchern geschrieben als: ) werden regelhaft als weibliche Geschlechtsreferenz gewertet, da ihnen konventionell nicht die Fähigkeit zugestanden wird, geschlechtsübergreifend zu referieren.149 Personenbezeichnungen mit einem lexeminhärent geschlechtsspezifizierenden Letztglied erhalten eine Kodierung als Komposition (z. B. Hausfrau, Hauptmann). Unter dem Wortbildungstyp Konversion werden substantivierte Partizipien und Adjektive kodiert, zum Beispiel Verunglückte und Jugendliche. Die konvertierten PRF weisen ein Differentialgenus auf, das flexionsgrammatische Möglichkeiten der Geschlechtsspezifizierung (die vs. der Jugendliche; ein Verunglückter vs. eine Verunglückte) oder der Geschlechtsabstraktion (im Plural: die Verunglückten/Jugendlichen) bietet. Hier ist zu berücksichtigen, dass Konversionen im Singular und Maskulinum wegen der Gebrauchskonvention des generischen Maskulinums differenzierter zu betrachten und nicht pauschal als geschlechtsspezifizierend männliche Referenzen zu werten sind. Denn auch bei diesen Formen, nicht nur beispielsweise bei den Maskulinaderivaten auf -er, ist es im Deutschen durchaus üblich, den Ausdruck im Maskulinum Singular (z. B. der Studierende) geschlechtsübergreifend zu gebrauchen (vgl. Bülow/Herz 2014; Harnisch 2016). Umgekehrt muss auch nicht jede Pluralkonversion kotextuell geschlechtsübergreifend gebraucht sein, bei der eine formale Geschlechtsspezifizierung ausbleibt. In der kotextsensitiven Datenerhebung werden diese Möglichkeiten stets berücksichtigt. Wie die Formen de facto im Schulbuch gebraucht sind, soll die Auswertung zeigen.

|| 149 Vgl. zum Beispiel tagesspiegel.de (Kühne/Simon 2013) zur öffentlich-medial geführten Diskussion um die Änderung von PRF in der Verfassung der Universität Leipzig in generische Feminina von 2013; vgl. ferner Duden-Grammatik (2016, §238).

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An Kategorien unter der Skala Lexikalische Morphologie sind abschließend nochmals zu nennen: – Derivation – Komposition – Konversion Geschlechtsneutrale Formen Unter der Skala Geschlechtsneutrale Formen werden PRF erhoben, die weder flexivisch-grammatisch noch lexikalisch noch durch Wortbildungsmittel formal eine geschlechtsspezifizierende Referenz nahelegen. In Leitfäden für geschlechtersensible Sprache werden solchermaßen „geschlechtsneutrale“ Ausdrücke als besonders ökonomische inklusive Ausdrucksweise sowie als elegante Möglichkeit der Irrelevantsetzung von Geschlecht empfohlen (vgl. z. B. Gleichstellungsbeauftragte Universität Köln 2014; Hellinger/Bierbach 1993). Es bleibt zu ermitteln, ob diese zunehmend in Schulbüchern vorkommen und welche Formen möglicherweise bevorzugt gebraucht werden. Im Pre-Test hat sich außerdem gezeigt, dass in diesem Sinn der Form nach geschlechtsneutrale PRF im konkreten Äußerungszusammenhang auch als geschlechtsspezifizierende Referenz reinterpretierbar sind (s. das Beispiel Kind oben sowie Kap. 2.3) – was sie einmal mehr zu einem interessanten Untersuchungsgegenstand macht. Aus dem Belegmaterial ergaben sich unter der Skala Geschlechtsneutrale Formen die Kategorie der Epikoina, die Kategorie der personal referierenden Kollektiva und die der Unisex-Namen. Generisch gebrauchte Maskulina und Feminina werden nicht zu den geschlechtsneutralen Formen gezählt, denn PRF werden unter dieser Skala unabhängig von ihrer kotextuellen Geschlechtsreferenz erhoben, um bei der Datenauswertung Form und kotextuelle Geschlechtsreferenz vergleichen zu können. Eine Zuweisung zur Kategorie der Epikoina erfolgt nur dann, wenn (1.) die PRF prinzipiell nicht moviert werden kann,150 (2.) mit der PRF keine konventionalisierte lexeminhärente weibliche oder männliche Geschlechtsreferenz verbunden ist, (3.) bei ihr konventionell kein Zusammenhang zwischen Genus und Geschlechtsreferenz etabliert ist und (4.) das Genus der PRF auch bei anderer Geschlechtsreferenz gleich bleibt (vgl. Brugmann 1889; Dittmann 2002;151 Glück 2010, 180 s. v. Epikoinon). Ein Beispiel für ein Epikoinon ist die Person, deren || 150 Bei manchen maskulinen Epikoina sind Movierungen aber denkbar, wie bei Gast > ?Gästin. 151 Dittmann (2002, 66f.) verwendet den Terminus Epikoin(um/on) selbst nicht, nennt aber für Mensch und Person vergleichbare Definitionskriterien.

Analyse der Sprache im Schulbuch | 105

Genus Femininum nicht konventionell auf eine weibliche Geschlechtsreferenz schließen lässt. Die Kategorie der personal referierenden Kollektiva umfasst Pluralwörter, pluralfähige Kollektivlexeme sowie kollektive Abstraktbildungen (auch: Kollektivbildungen), also PRF wie Geschwister, Familie oder Belegschaft. Unter Unisex-Namen werden Vornamen verstanden, die für Personen unterschiedlichen Geschlechts gebräuchlich sind und damit die sonst übliche binäre Geschlechterunterscheidung im Bereich der Vornamen unterlaufen; Beispiele sind Uli, Chris oder Robin. Die Skala Geschlechtsneutrale Formen umfasst prinzipiell weitere Kategorien, die allerdings bereits durch andere Kategorien und Kodierungen abgedeckt sind – so die substantivierten Partizipien und Adjektive im Plural, die über die Kategorie Konversion zusammen mit der Kategorie Numerus erfasst sind, außerdem Namenkürzel sowie pluralisch gebrauchte Nachnamen. Die beiden letztgenannten Typen werden unter der Kategorie Eigenname kodiert. Für die sehr seltenen nicht-kollektiven Abstraktbildungen (Bedienung) wurde keine eigene Kodierung ausgewiesen. In diesem Kategorienschema finden sich unter der Skala Geschlechtsneutrale Formen: – Epikoina – Kollektiva (personal referierende Pluralwörter, pluralfähige Kollektivlexeme sowie kollektive Abstraktbildungen) – Unisex-Namen Eigennamen Bei der Durchsicht der Schulbücher entstand der Eindruck, dass über den Untersuchungszeitraum zunehmend mehr Nach- und später auch Vornamen Eingang ins Schulbuch finden. Ob sich diese Entwicklung bestätigen lässt und sich für weiblich wie männlich referierende Namen gleichermaßen vollzieht, soll die Auswertung zeigen. Dies war Ausgangspunkt für die Einführung der Skala Eigennamen, die sich auf Basis des vorliegenden Sprachmaterials differenziert in Vornamen, Nachnamen und Namenkürzel. Vor- und Nachnamen weisen im Unterschied zu Appellativa keine oder wenige Bedeutungsaspekte auf und sind nicht genushaltig (vgl. Nübling 2012a, 226f.). Wenn Nübling bei Vornamen ein semantisches Genuszuweisungsprinzip annimmt, dann verweist sie darauf, dass konventionell mit einem Vornamen eine weibliche oder männliche Geschlechtsreferenz verbunden ist:152

|| 152 Vor allem im Oberdeutschen wird die mit dem Namen konventionell verbundene Geschlechtsspezifizierung durch das Hinzufügen eines definiten Artikels in eine Genusmarkie-

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Sexus153 ist das einzige Sem, das der – ansonsten bedeutungslose – Rufname enthält. Dies rechtfertigt die Rede vom semantischen Genus. Dass heute manchmal „falsche Zuordnungen“ realisiert werden (Nicola oder Luca für Jungen, Robin für Mädchen), belegt die Spannung zwischen semantischem und referenziellem Genus und damit die Existenz eines semantischen, onymischen Genus. (Nübling 2012a, 226, Anm. 5)

Die Genderonomastik hat signifikante Unterschiede zwischen den Inventaren für konventionell weiblich und männlich referierende Vornamen festgestellt. Einige der in den genderonomastischen Untersuchungen angelegten Analysekategorien, zum Beispiel zur Etymologie von Vornamen oder zu geschlechtstypisierenden prosodisch-phonologischen Eigenschaften, sind zwar nicht in das Kategorienschema integriert, werden aber in der Anschlussauswertung der Vornamen berücksichtigt. Mit Familiennamen und Namenkürzeln ist konventionell keine Geschlechtsspezifizierung verbunden. Mittelbar kann ihnen eine solche aber zugewiesen werden, und zwar, (1.) wenn durch pronominale Wiederaufnahmen ein Genus angezeigt wird. Pronomen stimmen mit dem Genus des Bezugsworts überein. Wenn dieses, wie im Fall von Nachnamen und Namenkürzeln, aber kein Genus aufweist, wird das Genus des Pronomens kongruent zur angenommenen Geschlechtsreferenz gewählt (s. oben unter Pragma-Grammatik: referentielles/ pragmatisches Genus).154 Diesen Namen kann eine geschlechtsspezifizierende Referenz auch dann mittelbar zugewiesen werden, (2.) wenn ein Name mit einem Artikelwort versehen ist – hier wird das feminine oder maskuline Genus des Artikelworts als Marker für Geschlechtsreferenz betrachtet – oder (3.) wenn

|| rung übersetzt (vgl. Nübling 2012a, 226). Die Position Nüblings, dass Vornamen ein geschlechtsspezifisches Sem aufweisen und damit selbst Bedeutung tragen, ist allerdings keinesfalls unumstritten; vgl. zur Kontroverse Kubczak (1985, 296–299) und Vater (2012, 94–96). 153 Da Vornamen mehrheitlich nach geschlechtsdifferenten körperlichen Merkmalen vergeben wurden und werden, liegt die Verwendung des Sexus-Begriffs im Zusammenhang mit Vornamen nahe. 154 Bei Namenkürzeln reicht die anaphorische Aufnahme mit maskulinem Pronomen allerdings nicht aus, um dem Namenkürzel eine männliche Geschlechtsreferenz zuzuweisen. Denn eine mit einem Namenkürzel bezeichnete Person ist in jeder Hinsicht unspezifiziert, auch in referenzfunktionaler Hinsicht, dabei minimal individualisiert. Das Maskulinum ist nun jenes Genus, das für nicht-spezifische, hierunter vor allem für – in einem referenzfunktionalen Sinn – generische Referenz bevorzugt gebraucht wird (vgl. Hoberg 2013, 107). Aus diesen beiden Gründen muss bei maskulinen Wiederaufnahmen auch die Möglichkeit einer geschlechtsübergreifenden Referenz bedacht werden. Ist dem Kürzel jedoch noch ein Artikel vorangestellt (z. B. der W), wird dies als unmittelbare Geschlechtsspezifizierung gewertet (s. oben den Unterpunkt Pragma-Grammatik).

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der Name in einer Apposition mit einer lexikalisch geschlechtsspezifizierenden PRF steht (z. B. Frau Meier) oder einer PRF, für die eine geschlechtsspezifizierende Referenz konventionalisiert ist (z. B. Architekt Winter). Auf diese drei Weisen kann im Übrigen auch Namen, die der Form nach als Unisex-Namen zu klassifizieren sind, eine geschlechtsspezifizierende Referenz zugewiesen werden. Auch für diese Skala sind der Übersichtlichkeit halber alle Kategorien aufgeführt: – Vorname – Nachname – Namenkürzel Appellativa Eine Differenzierung der Appellativa nach semantischen Eigenschaften erfolgt unter der Skala Appellativa. Sie unterscheidet Berufsbezeichnungen (inklusive Amts-, Funktionsbezeichnungen und Titel, wie Bürgermeister, Ratsherr, Königin, Abt, Schulrat), Verwandtschaftsbezeichnungen (inklusive Ehefrau, Gatte) und Gesellschaftsbezeichnungen (z. B. Freundin, Verunglückte, Hausbewohner). Kollektiva werden schon an anderer Stelle vom Kategorienschema erfasst. Mit dieser Feinkategorisierung der Appellativa ist es möglich, für semantische Untergruppen gesonderte Verteilungsverhältnisse zu betrachten. Die Auswertungen sollen dann zeigen, ob manche Untergruppen eher mit einer als mit einer anderen Geschlechtsreferenz zusammen vorkommen. Entgegen prominenten Definitionen – zum Beispiel das Berufsverständnis der Bundesagentur für Arbeit (vgl. KldB 2011, 24–28) – werden in dieser Untersuchung unter Berufstätigkeit auch Tätigkeiten gefasst, die nicht (primär) auf Erwerb ausgerichtet sind, aber mindestens mittelbar wirtschaftliche Relevanz beanspruchen können. Hausfrau wird entsprechend als Berufsbezeichnung kodiert. Im Rahmen der Datenauswertung werden die Berufsbezeichnungen noch subklassifiziert vor allem nach Tätigkeitsbereichen. Bei einigen Berufsbezeichnungen ergab sich im Pre-Test eine Erhebungsschwierigkeit, die theoretisch und erhebungspraktisch reflektiert werden soll: Es handelt sich bei den Problemfällen um Berufsbezeichnungen, wie Kaufmannsfrau, Bauer(s)frau oder Arbeitersfrau,155 und die Frage, ob -frau eine matrimonielle Zugehörigkeit (v. a. ‚Ehefrau von X‘) ausdrückt oder eine Funktionsangabe im weiteren Sinn (‚Frau/Weibliche Person, die X ist/Tätigkeit von X

|| 155 Nach 1955 kommen Bildungen dieser Art im Korpus nicht mehr vor.

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ausübt‘) ist. Diese Beispiele lassen PRF, wie Bäuerin oder Arbeiterin, ebenfalls in einem anderen Licht erscheinen: Auch hier stellt sich die Frage, ob das in-Suffix eine matrimonielle oder funktionelle Movierung darstellt. Der Kotext schafft in den meisten Fällen Klarheit. Wenn die Beispiele auf -frau in Umgebungen stehen, welche die so Bezeichneten in der Ausübung einer vermutlich beruflichen Tätigkeit zeigen (Verkauf von Waren am Markt, Tauschgeschäfte), werden sie als primär funktionelle Movierung gewertet und als Berufsbezeichnungen kodiert. Bauer(s)frau kann auch unabhängig vom Kotext als Berufsbezeichnung behandelt werden, selbst wenn mit -frau vor allem die matrimonielle Zugehörigkeit betont werden soll; denn noch weit ins 20. Jahrhundert war in der Landwirtschaft die Mitarbeit aller verfügbaren familiären Kräfte für ein erfolgreiches Landwirtschaften Voraussetzung, die Frau eines Bauern übte folglich in der Regel zugleich den Beruf der Bäuerin aus (vgl. z. B. Werner 1996, 141–145; Götschmann 2010, 500f.). Unter Verwandtschaftsbezeichnungen werden all jene PRF kodiert, die Personen in Bezug auf ihre verwandtschaftliche und familiäre Beziehung, in der sie zu anderen stehen, konzeptualisieren. PRF für vergangene verwandtschaftliche oder familiäre Bindungen, wie das Beispiel Witwe, werden ebenfalls darunter erfasst. Auch wenn zwischen (Ehe-)PartnerInnen kein verwandtschaftliches Verhältnis besteht, werden familiäre Beziehungsausdrücke, wie Ehemann und Witwe, zu den Verwandtschaftsbezeichnungen gezählt. Ausschlaggebend dafür ist, dass Verwandtschaft und Familie im Deutschen eng aufeinander bezogen sind.156 Im Pre-Test fanden sich einige Verwandtschaftsbezeichnungen mit Namenfunktion (vgl. Mutter sagt zu Karin […]). Welche Vorkommen das im Einzelnen sind, wird durch eine Kodierung der Fälle unter einer weiteren Kategorie Appellativum als Eigenname innerhalb der Skala Appellativa auswertbar gemacht. Sonstige Gattungsbezeichnungen, die in dieser Untersuchung in Anlehnung an Schärers „noms de société“ (2008, 148) Gesellschaftsbezeichnungen genannt werden, können, wie schon die Berufsbezeichnungen, noch weiter untergliedert werden, was in dieser Untersuchung im Rahmen der Datenauswertung geschieht. In der Übersicht lauten die Kategorien der Skala Appellativa dann: – Berufsbezeichnung – Verwandtschaftsbezeichnung

|| 156 Vgl. zum Beispiel das Duden-Universalwörterbuch (2015, 578) s. v. Familie: „1.a) aus einem Elternpaar od. einem Elternteil u. mindestens einem Kind bestehende [Lebens]gemeinschaft […] b) Gruppe aller miteinander [bluts]verwandten Personen; Sippe“.

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– –

Gesellschaftsbezeichnung Appellativum als Eigenname

d) Erhebungskategorien auf propositionaler Ebene Auf propositionaler Ebene spielt die Semantik die zentrale Rolle. Dort wird erhoben, was über weibliche oder männliche Figuren im Schulbuch prädiziert wird (vgl. auch Spitzmüller/Warnke 2011, 145, nach Searle 2007 [engl. 1969], 40). Natürlich werden auch mittels PRF Aussagen über die Geschlechter getroffen, bei Hebamme beispielsweise die Aussage ‚Es gibt/X ist eine (weibliche) Person, die berufsmäßige Geburtshelferin ist‘. Solche Charakterisierungen werden im Kategorienschema bereits auf Ebene der PRF über semantische Erhebungskategorien erfasst, zum Beispiel die mit Hebamme verbundene Vorstellung einer Berufstätigkeit über die Kodierung als Berufsbezeichnung. Prädikationen über Personen, die über die Wortgrenze hinausgehen, erhebt dann die propositionale Analyse. Hier wird die Erhebung verengt auf solche PRF als Aussagegegenstand157, die eindeutig weiblich oder männlich oder sehr wahrscheinlich geschlechtsspezifizierend referieren; geschlechtsreferentiell uneindeutige PRF mit sehr wahrscheinlich geschlechtsübergreifender Referenz bleiben folglich unberücksichtigt. Prinzipiell werden alle Aussagen über diese PRF bzw. die damit bezeichneten ReferentInnen erhoben und kategorisiert, seien es Eigenschaftszuschreibungen, seien es Tätigkeiten, die von männlichen oder weiblichen Figuren ausgeübt werden, oder Empfindungen. Denn erst in der differenzierten Betrachtung aller Vorkommen wird sichtbar, ob bestimmte Eigenschaften, Tätigkeiten oder Empfindungen überproportional häufiger mit weiblich oder männlich referierenden PRF, somit mittelbar mit weiblichen oder männlichen Figuren, vorkommen. Auf propositionaler Analyseebene werden nun im Einzelnen semantische Rollen und modale Beschränkungen des Aussagegehalts erhoben sowie verbale und nicht-verbale Prädikationen unterschieden; hierin sind einschlägige Aspekte von Agentivität erfasst. Im angloamerikanischen Raum ist es in genderlinguistischen Studien üblich, Agentivität zu berücksichtigen, zum Beispiel in kritischen Diskursanalysen:158

|| 157 Das heißt, die PRF bzw. die/der damit bezeichnete ReferentIn ist Gegenstand einer Aussage (s. bereits Kap. 3.3.2a). 158 Die Grundlagen für solche Untersuchungen bilden Halliday (1971) und Burton (1982), die Texte auf Transitivität (transitivity) untersuchten und sozio- bzw. diskurstheoretisch interpretierten. Die Analyse der Verteilung von Agentivität (agency) auf Personen spielt dabei eine zentrale Rolle: „Halliday argues that these choices about agency embody a view of the world“,

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CDA [= Critical Discourse Analysis; Anm. CO] theorists often analyze texts and conversations minutely, focusing on linguistic elements such as transitivity (who does what to whom), nominalisation (where verbs are changed into nouns and thus lose their agentedness) and passivisation (where events are recounted using passive rather than active voice, thus, again, losing agentedness). (Mills/Mullany 2011, 78)

In diesen Analysen wurden Untersuchungskategorien aus der Transitivitätsforschung als relevante Aspekte von Agentivität159 interpretiert, unter anderem die Kategorien Modus, Affirmationsgrad, Anzahl der syntaktischen Mitspieler (participants) (vgl. Hopper/Thompson 1980). Zwar fehlt für das Deutsche ein Modell zur Gewichtung verschiedener Agentivitätsparameter sowie zur näherungsweisen Berechnung von Agentivität, das gerade auch für quantitative Untersuchungen gewinnbringend eingesetzt werden könnte. Dennoch ermöglichen Erhebungskategorien der vorliegenden Untersuchung eine Annäherung an die Frage, wie Agentivität im Schulbuch auf die Geschlechter verteilt ist. Neben Agentivität findet man in der deutschsprachigen Forschung auch die Bezeichnung Agenshaftigkeit, so bei Primus (2012). Als weniger oder stärker agenshaft werden PRF in einer Proposition in Abhängigkeit von der Prädikation und damit in Abhängigkeit von der semantischen Rolle, welche die PRF einnimmt, eingestuft. Auf einer Skala geht niedrige Agenshaftigkeit in Patienshaftigkeit über. Kriterien für höhere oder niedrigere Agenshaftigkeit (oder in umgekehrter Blickrichtung: Patienshaftigkeit) sind unter anderem, ob eine Handlung intentional ausgeführt wird oder nicht und ob Kontrolle über eine Handlung besteht oder nicht. In diesem Sinn wird Agenshaftigkeit und agenshaft auch in dieser Arbeit verwendet. Agentivität hingegen wird in der Forschung unterschiedlicher gebraucht, zum Teil auch im Sinn von Agenshaftigkeit (vgl. z. B. Engel 2006, 1224). Köpcke/ Panther (1991) dagegen halten in Referenz auf Givón (1980) fest: Wir verstehen […] den Begriff ‚Agentivität’ nicht als Tiefenkasus im Sinne der Kasusgrammatik oder als ‚thematische Rolle‘ im Sinne der Rektions- und Bindungstheorie, sondern eher als eine aufgrund sprachlichen und außersprachlichen Wissens pragmatisch abgeleitete Kategorie, der unterschiedliche Intensität zugesprochen werden kann […]. (Köpcke/Panther 1991, 145, Anm. 3)

|| so Mills (2012, 101). Diese Sichtweise auf Sprache ebenso wie Burtons feministisch-kritische Beispielanalyse prägten die angloamerikanische linguistische Geschlechterforschung (vgl. Mills 2012, 100–102). 159 In Publikationen ist in vergleichbaren Zusammenhängen die Rede von agency (z. B. Mills 2012, 101 im Verweis auf Halliday 1971), in anderen von agentedness (z. B. Mills/Mullany 2011).

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Agentivität und Agenshaftigkeit werden hier ebenfalls nicht synonym verwendet, sondern Agenshaftigkeit wird als ein Aspekt von Agentivität betrachtet, der sich aus der semantischen Rolle einer PRF ergibt. Je nach semantischer Rolle weisen PRF folglich unterschiedliche Grade an Agenshaftigkeit auf. Agentivität wiederum bemisst sich in dieser Untersuchung an der gesamten Proposition; neben der Verbsemantik erfasst sie auch die Frage nach Einschränkungen des Aussagebereichs durch zum Beispiel modalisierende Abschwächungen. Verb Zunächst wird das Voll- oder Kopulaverb als Vollbeleg im Infinitiv in die Datenbank aufgenommen und zwar zur PRF, mit der es zusammen eine Proposition bildet.160 Handelt es sich um eine verbale Prädikation, wie in den untenstehenden Schulbuchzitaten (1) bis (3) (Vollbelege = laufen; auszahlen; kosten), so kann die nachfolgende Skala übersprungen werden.161 Die PRF kann in einer Proposition an Subjektstelle stehen, wie er in (1), oder an Objektstelle, wie an 428 Arbeiter und ihm in (2) und (3); sie kann ebenso gut Attribut einer Nominalphrase sein, so zum Beispiel Laura in (8), oder Kern einer Nominalphrase, wie beispielsweise Mädchen in (4). (1) (2) (3) (4) (5) (6)

Er lief […] zur Rodelbahn (SB-48, 80) Im gleichen Monat […] wurden an 428 Arbeiter 140384 DM an Löhnen ausgezahlt (UR-N-63, 10) wie v.[iel] hat ihm 1 m [Stoff] gekostet? (HEU-90, 34) das aufmerksame Mädchen (VG-B-94, 230) Tante Emma (MSB-N-69, 23) Wolfgang und Heinz, zwei enge Freunde, […] (VG-B-80, 36)

|| 160 Bei komplexen Verbgefügen mit substantivischem Element wird das Basisverb zum Substantiv (Befehle geben > befehlen) oder eine semantisch annähernd äquivalente Ersatzform (Auskunft geben > informieren) aufgenommen, so bleibt bei der qualitativen semantischen Anschlussauswertung der Verben Übersichtlichkeit gewahrt. Komplexitätsreduktionen des Originalbelegs werden in der Datenbank mit einer Markierung versehen, so dass diese Fälle in der Auswertung erkenntlich sind. Auch in diesen Fällen werden die semantischen Kodierungen ausgehend vom Originalverbgefüge bestimmt. Weist eine Proposition im Übrigen zwei oder mehr PRF auf, so wird das (gegebenenfalls rekonstruierte) Verb nur einmal als Vollbeleg in die Datenbank aufgenommen und nur einmal mit den verb-spezifischen Kodierungen versehen. Für alle PRF aber können die semantischen Rollen in Abhängigkeit vom Verb bestimmt werden. 161 Einzig Prädikativkonstruktionen sind unter der nachfolgenden Skala Form der Prädikation zu kodieren.

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(7) (8) (9) (10)

Nils’ Behauptung (LS-B-05, 97) Schnelligkeit von Laura (ML-07, 203) die Operation der Tochter (BVR-65, 72) ihrSg Hut (SW-87, 21)

Alle in den Beispielen vorgestellten Erscheinungsformen von Prädikationen, auch die nicht-verbalen, sind im Kategorienschema berücksichtigt, wie nachfolgend ausgeführt wird. Form der Prädikation Diese Skala legt den Erhebungsfokus auf die Form der Prädikation. Über eine PRF bzw. über die damit bezeichneten ReferentInnen kann etwas offen verbal oder weniger explizit prädiziert werden (vgl. Polenz 1988). Die folgenden Beispiele illustrieren, wie nicht-verbale Prädikationen interpretativ in verbale Prädikationen überführt werden können: (4) (5)

das aufmerksame Mädchen (VG-B-94, 230) > ‚das Mädchen ist aufmerksam‘ Tante Emma (MSB-N-69, 23) > ‚es gibt eine Person mit Namen Emma, für die gilt: Sie ist die Schwester oder Schwägerin zu einem (Groß-)Elternteil‘ (6) Wolfgang und Heinz, zwei enge Freunde, […] (VG-B-80, 36) > ‚Wolfgang und Heinz sind enge Freunde‘ (7) Nils’ Behauptung (LS-B-05, 97) > ‚Nils behauptet x‘ (8) Schnelligkeit von Laura (ML-07, 203) > ‚Laura ist schnell‘ (9) die Operation der Tochter (BVR-65, 72) > ‚Jemand operiert die Tochter‘ (10) ihrSg Hut (SW-87, 21) > ‚sie hat einen Hut‘ Um potentiell agentivere von weniger agentiven Aussagen unterscheiden oder auch weniger durchsichtig versprachlichte Zuschreibungen als solche erheben zu können, wurden die folgenden Kategorien eingeführt: Steht die PRF mit einem qualifizierenden adjektivischen Attribut, wie in Beispiel (4), erhält die PRF eine Kodierung unter Attribuierung. Ist sie Teil einer Apposition, wie in den Beispielen (5) und (6), ergibt dies eine Kodierung als Apposition; sofern es sich beim Appositionierten selbst um eine PRF handelt, wird diese ebenfalls mit den üblichen Kodierungen versehen. Das Deutsche kennt darüber hinaus die Möglichkeit deverbaler Prädikation, bei der das Verb substantiviert wird und die PRF, welche in der Proposition die Agens- oder Patiens-Rolle ausfüllt, Attribut oder – im Fall von Pronomen – Determinativ zum deverbalen Substantiv ist (s. die Beispiele (7)–(9)). Formal unterscheiden sich die nominale Variante Nils’ Behauptung und die verbale Nils behauptet; der Aussagegehalt aber ist in bei-

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den Fällen identisch. Deshalb werden solche deverbalen Prädikationen über Personen als gleichermaßen relevant erachtet und in die Erhebung einbezogen.162 Dass sich die beiden Aussagen dabei in ihrer Agentivität unterscheiden, erlaubt ferner, die Kategorie Nominalisierung differenziert zu erfassen. Unter dieser Kategorie werden aber nicht nur Vorkommen von Genitivkonstruktionen (Genitivus subiectivus, Genitivus obiectivus) und ihre präpositionalen Entsprechungen kodiert, sondern auch nicht-verbal ausgedrückte Possessivbestimmungen, bei denen die PRF Attribut oder Determinativ zum Besessenen oder Relationierten ist, wie in Beispiel (10).163 Mit der Kodierung unter der Kategorie Nominalisierung lässt sich dann ein Vergleich zwischen beispielsweise explizierten und implizierten Zugehörigkeits- und Besitzzuweisungen anstellen. Im Unterschied zu den genannten nicht-verbalen Prädikationsformen werden Prädikativkonstruktionen (x ist y) als eine besonders explizite Möglichkeit der Personencharakterisierung gewertet; sie stellen ebenfalls eine Kategorie, die Kategorie Prädikativ. Die Kategorien dieser Skala sind im Folgenden übersichtlich gelistet: – Prädikativ – Apposition – Attribuierung – Nominalisierung Charakterisierung Prädikationen mit Kopulaverben, in denen das Verb allein keinen Prädikatsausdruck bilden kann, sondern ein Prädikativum benötigt, sowie deverbale Prädikationen, die in eine Kopula-Prädikativ-Konstruktion umgeformt werden können, werden unter der vorherigen Skala formal erfasst und unter dieser Skala inhaltlich. Auch diese Konstruktionen nehmen Zuschreibungen (z. B. Eigenschaftszuschreibungen) vor. Prädikativa164 und Attribute zu personal referierenden Kernen sowie Appositioniertes werden daher als Vollbeleg unter der Kategorie Charakterisierungsbeleg aufgenommen. Zusammen mit der Kategorie Adverbial bildet diese Kategorie die Skala Charakterisierung. Die Adverbial-Kategorie erfasst modale Spezifizierungen von Verben, sofern sie mittelbar

|| 162 Das Basisverb der Substantivierung wird dann unter der Kategorie Verb eingetragen. 163 Unterschieden werden die nicht-verbalen possessiven Zuschreibungen von den anderen erhobenen Nominalisierungen dadurch, dass unter der Kategorie Verb der Ausdruck haben ergänzt wird. 164 Auch jene Prädikativa, die sich aus der Auflösung der substantivierten Prädikationen ergeben haben.

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zur Charakterisierung von Personen, realisiert als PRF, beitragen; drollig in Da sagt die Kleine ihren Namen so drollig, daß […] (SFÜ-28, 69) ist ein solches Beispiel. Mittelbar ist die Charakterisierung, weil nicht unmittelbar die Figur, sondern im Beispiel ihre Sprachhandlung qualifiziert wird. In einer qualitativen Anschlussauswertung sind dann semantische Gruppierungen der Belege vorzunehmen. Die Skala Charakterisierung erfasst also folgende Kategorien: – Charakterisierungsbeleg (Prädikativum, Attribut oder Appositioniertes) – Adverbial Modalität Bei der Datenerhebung hat sich gezeigt, dass verbale Aussagen in ihrem Geltungsbereich durch unterschiedliche sprachliche Mittel eingeschränkt sein können. Bleiben solche Einschränkungen unberücksichtigt, werden beispielsweise negierte oder potentielle Handlungen womöglich als faktische aufgefasst. Um diese Einschränkungen herausrechnen und hinsichtlich ihrer Qualität genauer betrachten zu können, sind zentrale Modifikationen des Aussagegehalts unter der Skala Modalität berücksichtigt. Die Skala differenziert sich in die drei Kategorien Objektive Modalität, Negation und Modalitätsmarker. Die erste Kategorie Objektive Modalität erfasst objektiv gebrauchte Modalverben und vergleichbare Konstruktionen, wie beispielsweise die Modalitätsverbgefüge anzustellen sein und zu zahlen haben. Ihre Kodierung erlaubt Auswertungen, welche Handlungen welcher Personen gewünscht oder beabsichtigt und welche eher extrinsisch motiviert sind. Wird eine Proposition negiert und die Faktizität der Aussagen auf diese Weise in größtmöglichem Maß eingeschränkt, wird auch dies unter eigener Kategorie erhoben. Einschränkungen des Geltungsbereichs von Aussagen, die auf Stellungnahmen Dritter oder in fiktiven Dialogen auf die/den SprecherIn zurückgehen, finden unter der Kategorie Modalitätsmarker Berücksichtigung. Als solche Modalitätsmarker gelten subjektiv gebrauchte Modalverben, Modalitätsverbkonstruktionen mit scheinen, sonstige Relativierungen in Form von Modalpartikeln (z. B. wohl), Modaladverbien (z. B. vielleicht, wahrscheinlich, möglicherweise) und konjunktivische Formulierungen. Um die Daten handhabbar zu halten, wird bei dieser Kategorie auf eine weiterführende Differenzierung verzichtet. Die Kategorien der Skala Modalität lauten also: – Objektive Modalität – Negation – Modalitätsmarker (subjektiv gebrauchte Modalverben, Modalitätsverbkonstruktionen mit scheinen, Modalpartikeln, Modaladverbien, Konjunktiv)

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Semantik Um zu ermitteln, was über die PRF bzw. die damit bezeichneten ReferentInnen prädiziert wird, hat sich für die Datenerhebung angesichts der Datenfülle und Unterschiedlichkeit der Verben eine relativ grobe Klassifizierung in semantische Klassen als praktikabel erwiesen. Verben können nach ihrer Semantik differenziert werden in die Ereigniskonzepte Handlung, Vorgang und Zustand (vgl. Hentschel/Weydt 2013, 31–33). Die Kategorie Semantische Klasse eröffnet diese drei Kodierungsmöglichkeiten. Mit dem Ereigniskonzept Handlung ist am ehesten Aktivität verbunden, mit dem Ereigniskonzept Zustand eher Statizität. Zu untersuchen ist nun, ob bestimmte Verbklassen häufiger mit einer Geschlechtsreferenz zusammen vorkommen als mit einer anderen, sich also bereits in einer grobmaschigen semantischen Betrachtung der Prädikationen geschlechtstypisierende Verteilungsregelmäßigkeiten feststellen lassen, die am Aufbau von Geschlechterkonzepten mitwirken. Als Handlungsverb wird ein Verb kodiert, wenn es sich auf ein Ereignis bezieht, bei dem eine Person eine Handlung ausführt. Gefragt werden kann: Was tut die Person?, geantwortet werden zum Beispiel: x liest, x kauft (y). In aktivischen Konstruktionen nimmt das Subjekt zum Verb die Agens-Rolle ein. Häufig ist diese Handlung oder Tätigkeit intentional, ziel- und zweckgerichtet. Vorgangsverben hingegen beziehen sich auf Ereignisse, bei denen sich an einer Person165 ein Vorgang vollzieht, ohne dass die Person Handlungskontrolle über das Geschehen hätte (Was geschieht einer Person?). Beispiele aus dem Korpus sind erben oder erkranken. Vorgangsverben sind häufig intransitiv und können kein unpersönliches Passiv bilden (*da wird erkrankt, aber: da wird geerbt). Die dritte Kodierungsmöglichkeit ist Zustandsverb. Mit Hentschel/ Weydt (2013, 32) drücken Zustandsverben aus, „dass es keine Änderung des zunächst beobachteten Zustandes gibt. Diese Verben erfassen also Zustände, etwas Stetiges, was sich zwar in der Zeit vollzieht, jedoch keine Veränderung darstellt.“ Die Person, über die ein Zustand prädiziert wird, bewegt oder verändert sich nicht oder wird nicht bewegt, sie muss allerdings nicht gänzlich aktivitätslos sein. Denn auch mentale Aktivität wird als Zustand gewertet, sofern sie etwas Prozessierendes und keine aktive Tätigkeit darstellt (z. B. denken). Unter der Kodierung Zustandsverb werden zudem Kopulaverben, die einer Person

|| 165 Vorgänge können sich auch an anderen Lebewesen oder an Gegenständen vollziehen. Hier wie bei allen weiteren semantischen Kategorien sind jedoch nur jene von Interesse, bei denen Personen im Zusammenhang mit Ereigniskonzepten stehen (z. B. TrägerInnen von Zuständen sind, aktiv Handelnde oder Betroffene).

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eine Eigenschaft zuschreiben, erhoben: Der Kapitän ist großzügig (A-B-82, 142). Gefragt werden kann bei Zustands- und Eigenschaftsverben, wie wohnen, sein, besitzen: In welchem Zustand befindet sich die Person? Welche Qualität hat sie? Üblicherweise sind Zustandsverben nicht passivfähig und nicht im Imperativ zu verwenden (*Wohne!, aber: Bleib!). Die Grenzen zwischen den Klassen sind keineswegs fest gezogen; nicht immer ist daher eine eindeutige Zuordnung zu einer der Klassen möglich. Zweifelsfälle wurden von der Erhebung ausgeschlossen. Ausgehend von der semantischen Rasterkategorisierung sind Feindifferenzierungen möglich, zum Beispiel zum Intentionalitäts- und Kontrollgrad von Handlungen, oder Auswertungen zur Verteilung von Verben auf die Geschlechter, die Auskunft über den Bewusstseins- oder im Speziellen den emotionalen Zustand einer Person geben (z. B. fühlen, hoffen). An die Analyse der Verteilung auf semantische Verbklassen schließt in der Datenauswertung dann wie schon bei den Berufsbezeichnungen und Gesellschaftsbezeichnungen eine Systematisierung nach weiteren semantischen Merkmalen an, in diesem Fall: die Systematisierung der Verben zu Gruppen, die mehr Bedeutungsaspekte der Verben berücksichtigt und damit genauer ausfällt als die Grobklassifizierung in Verbklassen. Die so entstehenden Gruppen werden hier als Cluster bezeichnet; sie sind Wortfeldern ähnlich (vgl. Trier 1931; Lutzeier 1981), der gemeinsame semantische Zusammenhang ist aber zum Teil auf einer abstrakteren Ebene anzusetzen.166 Eng mit der semantischen Klasse des Verbs ist die Kodierung der PRF unter der Kategorie Semantische Rolle verbunden. Aus diesen beiden Kategorien setzt sich die Skala Semantik zusammen. Je nachdem, mit welchem Verb eine PRF eine Proposition bildet, nimmt die PRF eine bestimmte semantische Rolle ein, das gilt auch für Propositionen mit nicht-verbalen Prädikationen. In Auseinandersetzung mit dem erhobenen Sprachmaterial und im Rückgriff auf die Unterscheidung semantischer Rollen nach von Polenz (1988, 170–172) werden in dieser Untersuchung zehn Rollen als Kodierungsmöglichkeiten angelegt. Sie weichen in einigen Fällen von der Systematik von Polenz’ ab und integrieren die forschungspraktischen Überlegungen und differenzierten Rollen-Tests von Primus (2012). Es werden nur Rollen für Personen ermittelt, weil hierüber Verteilungsunterschiede von Agenshaftigkeit untersucht werden sollen; Sachgegenstände als Besessenes beispielsweise werden nicht hinsichtlich ihrer semantischen Rolle kodiert (auf diese wird unter der Skala Relationierte Einheiten eingegangen). || 166 So ist in der Detailanalyse der Prädikationen beispielsweise auch ein Bedarf an x als Vorstufe von Inbesitznahme dem Cluster Besitzrelationen zugeschlagen (s. im Kap. 4.2.3d).

Analyse der Sprache im Schulbuch | 117

Prinzipiell gebe ich einem mehrdimensionalen Ansatz den Vorzug, d. h. einem Rollenmodell, nach welchem einer Ergänzung (bei Primus 2012, 2: einem syntaktischen Argument) mehrere semantische Rollen zugewiesen werden können. Im Muster x kauft y ist x beispielsweise sowohl Agens167 als auch NachbesitzerIn von y und demzufolge zugleich (zukünftig) PossessorIn. Aus erhebungspraktischen Gründen aber wurde auf ein eindimensionales Rollenmodell zurückgegriffen, wonach, vereinfacht gesagt, jeder Ergänzung eine semantische Rolle zugewiesen wird. Die hier angelegte Systematik semantischer Rollen ist zudem am Erkenntnisinteresse dieser Untersuchung ausgerichtet: Da in der Forschung unterschiedliche Rollen angenommen werden, unterschiedliche Feindifferenzierungen der Rollen existieren und einzelne Rollen auch bei gleicher Benennung durchaus different gefüllt sind, musste zwangsläufig eine Auswahl an Rollen für die Analyse der PRF getroffen und eine anwendungsorientierte Modifizierung und Präzisierung der Rollen vorgenommen werden. Tab. 3: Semantische Rollen des Kategorienschemas

Rolle

Beschreibung

Beispiele

AG

Agens = HandlungsträgerIn; Person, die eine Handlung ausführt

x kauft x sagt x fährt mit dem Rad x fährt mit dem Zug x’ Handlung

EXP

Experiens = ErfahrendeR; Person, die einen psychischen Vorgang oder Zustand an sich erfährt

x sieht, x fällt auf x friert, x leidet x mag, x fürchtet x schätzt, x bewertet x glaubt, x hofft, x weiß, x kennt x’ Hoffnung

PAT

Patiens = Person, die von einer Handlung physisch betroffen ist und/oder durch ein nicht selbst verursachtes Ereignis ihren Zustand verändert

x berührt y y verwest y wird gewählt y’s Wahl

|| 167 Bei den Rollenbezeichnungen Agens und Patiens sind in der Forschungsliteratur – im Unterschied zu Rezipiens – keine maskulinen Varianten auf -ent üblich. An den beiden lateinischen Termini im Neutrum wird daher festgehalten.

118 | Methodisch-empirisches Vorgehen

Rolle

Beschreibung

Beispiele

REZ

RezipientIn = Person, die affiziertes Objekt eines Besitzwechsels einer Entität ist und/oder durch einen Besitzwechsel ihren Zustand verändert.

x schenkt y z x verkauft y z x nimmt y etwas weg x verliert / x’ Verlust

COM

Comitativ = BegleiterIn; Person, die zusammen mit Agens Handlung ausführt

x telefoniert mit y x trifft sich mit y

AOB

Affiziertes Objekt = Person, die von einem Ereignis nicht physisch betroffen ist

x sagt zu y x fordert y auf x liebt y

ZET

Zustands-/EigenschaftsträgerIn = Person, deren Zustand oder Qualität unverändert und ohne psychische Bewegtheit ist

x liegt x wohnt x ist groß x bleibt hier x schuldet x’ Größe

CAU

Causativ x veranlasst = VerursacherIn; Person, deren Handlung ursächlich x verursacht ist für ein anderes Ereignis x bekommt von y

PO

Possessiv = Person, die in einem Besitzverhältnis in einem weiteren Sinn zu einer anderen Person steht

POSS

PossessorIn x hat y = BesitzerIn; Person, die über Besitz in einem weite- x verfügt über ren Sinn verfügt x besitzt / x’ Besitz x’ y

x hat y x’ y

Die Tabelle 3 führt jene Rollen auf, die sich in der Kodierpraxis für die Kategorisierung von PRF nach ihrer semantischen Rolle als einschlägig und handhabbar ergeben haben. Kodierungen als Agens (AG) erfolgen nicht nur dann, wenn eine Handlung kontrolliert oder intentional ausgeführt wird, sondern auch, wenn ein Ereignis intentional herbeigeführt wird. Durch Entschluss herbeigeführt ist beispielsweise das Ereignis mit dem Zug fahren, ohne dass das Subjekt die Fahrhandlung selbst ausführen müsste. Handlungsverursachung, Handlungskontrolle und die physische Manipulation einer Situation werden in Anlehnung an Primus (2012, 25) und Dowty (1991) als Eigenschaften eines besonders starken Agens gewertet.

Analyse der Sprache im Schulbuch | 119

Mit Blick auf die Frage nach der Verteilung von Agentivität bieten solche Abstufungen Differenzierungsmöglichkeiten bei der Zuweisung von Agentivitätsgraden. Verursachung wird bereits auf der Ebene der Datenerhebung gesondert kodiert, die bei von Polenz etablierte Rolle Causativ (CAU) kommt hier zum Tragen; bei Primus (2012) ist sie nicht als eigene Rolle aufgeführt. Sie wird dann kodiert, wenn im Text hervorgehoben ist, dass eine Person ein Ereignis verursacht hat, zum Beispiel bei Konstruktionen mit kausativem lassen.168 Differenzierungen der Agens-Rolle hinsichtlich des Kontrollgrads über eine Handlung oder hinsichtlich der physischen Veränderung einer Situation werden dagegen erst im Rahmen der Datenauswertung vorgenommen. In vergangenen Schulbuchstudien war das Agens meist als einzige semantische Rolle Gegenstand der Analyse. Diese Studien beziehen sich allerdings nicht auf die Rollenterminologie, sondern operieren mit der häufig vage bleibenden Bezeichnung „Handlungsträgerschaft“ (z. B. Karsten 1978; Meyer/Jordan 1984; Fichera 1990; Lindner/Lukesch 1994; s. Kap. 1.2.2b). Einige der SchulbuchforscherInnen bemaßen HandlungsträgerInnenschaft an der Verteilung von Situationen, in denen Schulbuchfiguren aktiv Handelnde sind.169 Unklar ist dabei, nach welchen Kriterien, wenn nicht einem intuitiven Verfahren, Figuren in diesen Studien als HandlungsträgerInnen klassifiziert wurden. Ebenso selten geben entsprechende Untersuchungen einen Einblick, wie das Verhältnis von Handlungsträgerinnen zu Handlungsträgern ermittelt wurde: Wird die Anzahl an Handlungsverben herangezogen und ihre Verteilung auf männlich und weiblich referierende PRF berechnet oder die Zahl an Handlungsträgerinnen (im Sinn von: PRF in der Agens-Rolle) ins direkte Verhältnis zu den Handlungsträgern gesetzt? Solche Verfahren ergeben beispielsweise bei einer generellen Mehrzahl an mPRF rasch auch eine Mehrheit an Verbindungen aus Handlungsverb und männlicher Geschlechtsreferenz bzw. aus HandlungsträgerIn und männlicher Geschlechtsreferenz (im Vergleich zu Handlungsverb bzw. HandlungsträgerIn und weiblicher Geschlechtsreferenz). Dieses Ergebnis hängt dann aber primär von der generellen Ungleichverteilung von weiblich referierenden

|| 168 Während von Polenz (1988, 171) darunter für ein anderes Ereignis ursächliche Ereignisse fasst, wird hier nur personale Verursachung erhoben. VerursacherInnen von Ereignissen müssen diese nicht zwingend intentional verursachen, wie in x löst eine Lawine aus, oder können das Eintreten oder Weiterbestehen eines Sachverhalts nicht unbedingt kontrollieren (x bekommt von y einen Brief). Dies macht sie gegebenenfalls schwächer agentiv, was allerdings erst auf Ebene der Datenauswertung genauer zu differenzieren ist. 169 Karsten (1978, 36) definiert als HandlungsträgerInnen „Personen […], die in einem abgeschlossenen Text am häufigsten genannt und denen die tragende Rolle in dieser Einheit zugeschrieben wird“.

120 | Methodisch-empirisches Vorgehen

PRF und männlich referierenden PRF ab und nicht von der Verteilung der Handlungsverben oder der PRF in der Agens-Rolle; deswegen sollte daraus auch nicht vorschnell eine männliche Dominanz hinsichtlich HandlungsträgerInnenschaft abgeleitet werden. Ich komme auf diese Auswertungsproblematik noch einmal im Zusammenhang mit Verfahren der Datenauswertung zurück (s. Kap. 3.3.3).170 Aus dem linguistischen Rollenmodell kommt in älteren Studien lediglich die Agens-Rolle als Untersuchungskategorie vor, ohne dass in diesen Studien auf entsprechende Rollenmodelle Bezug genommen würde. In dieser Fokussierung auf Handelnde greift die Analyse meines Erachtens zu kurz. HandlungsträgerInnenschaft ist zudem recht starr konzeptualisiert und wird als k.o.Kriterium abgefragt. Schulbuchanalysen fragen dann schlicht: Liegt HandlungsträgerInnenschaft vor oder nicht vor? Dem wird in dieser Untersuchung der flexiblere und differenziertere Agentivitätsbegriff entgegengesetzt, bei dem Raum für Zwischentöne ist. Diese Zwischentöne versucht das Kategorienschema unter anderem mit den semantischen Rollen einzufangen, mit denen verschiedene Grade an Agenshaftigkeit verbunden sind (vgl. Primus 2012; Zifonun u. a. 1997, 1300–1326). Vor allem Primus’ Ausführungen zur Agenshaftigkeit (und Patienshaftigkeit) der verschiedenen Rollen sind für die folgenden Ausführungen wesentlich. Als gering agenshaft werden beispielsweise die Rollen Experiens und PossessorIn des Kategorienschemas angenommen:171 Personen, die einen psychischen Vorgang oder Zustand an sich erfahren, also psychisch betroffen sind (z. B. x glaubt, x fällt etwas auf, x friert), sind agensähnlich, weil dieser psychische Zustand ohne die Person als dessen TrägerIn nicht existieren würde. Da Personen in der Rolle als Experiens (EXP) aber selbst nicht physisch || 170 Zwar mag es bei der Frage nach Geschlechterkonzepten grundlegend von Relevanz sein, wie häufig Handlungsverben zusammen mit männlich referierenden PRF und weiblich referierenden PRF vorkommen – unabhängig von der jeweiligen Grundgesamtheit –, und ein Übergewicht an Handlungsverben, die über mPRF statt wPRF prädizieren, bereits ein spannender Befund sein. Diese konstruktivistische Perspektive auf die Daten geht aber dann zu weit, wenn aus dem Übergewicht an Handlungsverben im Zusammenhang mit männlicher Geschlechtsreferenz ein MANN-Konzept abgeleitet wird, welches eher als ein FRAU-Konzept mit HandlungsträgerInnenschaft zusammenhinge. Sie geht auch deswegen zu weit, weil sie auf einer selektiven Datenschau beruht, bei der die Verteilungen anderer Verbklassen unberücksichtigt bleiben. Würden diese nämlich gleichermaßen einbezogen, schlüge vermutlich auch bei den anderen Klassen die generelle Mehrzahl an männlich referierenden PRF zu Buche, so dass am Ende für jede Verbklasse eine Dominanz der männlichen Geschlechtsreferenz zu konstatieren wäre – und der Befund zu den Handlungsverben relativiert. 171 Die Rollenbezeichnung Experiens und die Abkürzung EXP sind hier wie auch in den meisten anderen Fällen nach von Polenz gewählt.

Analyse der Sprache im Schulbuch | 121

aktiv sind und ihr Zustand nur sehr eingeschränkt von ihnen kontrolliert werden kann, fällt der Grad an Agenshaftigkeit niedrig aus. Der Sonderfall der Rolle Zustands-/EigenschaftsträgerIn, die/der PossessorIn, abgekürzt mit POSS, wird im Kategorienschema im Unterschied zu von Polenz (1988) und in Übereinstimmung mit Zifonun u. a. (1997, 1308) als eigenständige semantische Rolle angenommen. Mit dieser Kodierung werden PRF versehen, die über veräußerbaren oder unveräußerbaren Besitz verfügen. Handelt es sich um veräußerbaren Besitz,172 wie Hut im Beispiel ihrPOSS HutPO, so liegt das Besessene (Hut) im Verfügungsbereich der Person (ihr) und kann von ihr kontrolliert werden. Dies macht die PRF schwach agenshaft. Handelt es sich um unveräußerbaren Besitz, wie bei sozialer Zugehörigkeit zwischen Person und Relationiertem (TomPOSS hat zwei SchwesternPO; IngesPOSS ElternPO), so fällt diese Agenshaftigkeit weg. Was alles in einem weiteren Sinn besessen wird, soll über eine weitere Skala, die Skala Relationierte Einheiten (s. weiter unten), auswertbar gemacht und auf der Ebene der Datenauswertung in verschiedene Besitztypen differenziert werden. Wenn Personen als Besessenes in einem weiteren Sinn auftreten, dann werden die entsprechenden PRF ohnehin eigens erhoben und in diesem Zuge einer semantischen Rolle zugewiesen. In diesen Fällen kommt die Kodierungsmöglichkeit Possessiv (PO) zum Tragen (z. B. TomPOSS hat zwei SchwesternPO; IngesPOSS ElternPO). Die angesprochene Rolle Zustands-/EigenschaftsträgerIn (ZET) erwies sich ebenfalls empirisch als nötige Kodierungsmöglichkeit, um Personen zu erfassen, die in ihrem Zustand oder in ihrer Qualität unverändert bleiben und nicht psychisch bewegt sind. Mit der Possessiv-Rolle ist ein Beispiel für eine patiensverwandte Rolle angeführt. Das typische Patiens allerdings weist eine physische Betroffenheit (Affiziertheit) auf und erfährt an sich eine Zustandsveränderung.173 Liegt eine physische Affiziertheit aufgrund einer Handlung vor und/oder ändert sich der Zustand der Person, so wird eine Kodierung unter der Rolle Patiens (PAT) vorgenommen.174 Ist die Person hingegen Objekt von Sprachhandlungen in einem

|| 172 Besitz wird nicht in einem engen juristischen Sinn gebraucht, so auch im Beleg seine Wohnung, bei dem nicht gesagt ist, dass die Wohnung von der Person tatsächlich besessen wird. 173 Ein Beispiel, das beide Patiens-Kriterien, Affiziertheit und Zustandsveränderung, vereint, ist x tötet y; als Test zur Identifizierung von PRF in der Patiens-Rolle schlägt Primus die Abfrage Was mit y geschah, ist […] vor, im Beispiel: Was mit y geschah, ist, dass x y getötet hat (vgl. Primus 2012, 31–33). 174 Für die wenigen Beispiele an Verben, die nur eine Zustandsveränderung implizieren, aber keine Affiziertheit durch die Handlung einer anderen Person aufweisen, wurde keine eigene

122 | Methodisch-empirisches Vorgehen

engeren Sinn (x sagt zu y) oder Gegenstand eines psychischen Zustands (x liebt y), erfolgt eine Kodierung als Affiziertes Objekt (AOB), das von Polenz zwar als eigene Rolle nennt, nicht aber Primus. Einige dieser Sprechaktverben mit einer Person als KommunikationspartnerIn weisen eine Nähe zur Rolle der/des RezipientIn auf. Denn EmpfängerInnen einer kommunikativen Handlung, wie bei sagen, mitteilen, sind nicht nur affiziert von diesen Sprachhandlungen. Sie kommen dabei auch in den Besitz von Informationen, sind demzufolge (Nach-) BesitzerInnen dieser Informationen und können über diese gewonnenen Informationen zukünftig verfügen (vgl. zu Vor- und Nachbesitz Primus 2012, 44–46). Da es sich allerdings als schwierig erweist, zu unterscheiden, wann mit diesen Sprechaktverben der Informationstransfer im Vordergrund steht und nicht die Affiziertheit, werden KommunikationspartnerInnen in dieser Untersuchung konsequent als AOB und nicht als REZ kodiert. Charakteristisch für die Rolle der/des RezipientIn (REZ) ist, dass diese Rolle Agens- und Patiens-Dimensionen auf sich vereint. Verben, welche die semantische Rolle RezipientIn aufweisen, implizieren einen Besitzwechsel, bei dem die/der RezipientIn entweder nach dem Besitzwechsel (z. B. erhalten) oder vor dem Besitzwechsel (z. B. wegnehmen) über eine Entität Kontrolle hat und in dieser Hinsicht agenshaft ist. Patiensähnlich ist die Rolle, weil die Person vom Besitzwechsel lediglich affiziert ist, wenn auch nicht unmittelbar physisch, und/oder ihren Zustand durch den Besitzwechsel verändert, so im Beispiel x verliert den Geldbeutel. Einen Sonderfall unter den RezipientInnen stellt das Benefaktiv dar,175 d. h., eine Handlung wird zum Vor- oder Nachteil, zum Nutzen oder Schaden einer Person ausgeführt. Der Person wird dabei etwas zur Verfügung gestellt oder aus dem Verfügungsbereich entfernt, wie im Muster x kauft etwas (für) y. Das Benefaktiv wird in dieser Studie der RezipientInnen-Rolle zugewiesen. Am Ende der Ausführungen zu den Kodierungsmöglichkeiten unter der Skala Semantik sei explizit darauf hingewiesen, dass die semantischen Kodierungen unabhängig von der Form der Prädikation vorgenommen werden können. Einer PRF ist also sowohl in Abhängigkeit von verbalen wie auch von nicht-verbalen Prädikationen eine semantische Rolle zuzuweisen. Genitivattribute oder Determinative im Genitiv, die in Genitivus subiectivus- oder obiec-

|| Kodierungsmöglichkeit der damit vorkommenden PRF aufgenommen. Primus (2012, 32) hingegen führt für diese Fälle die Rolle Thema an. 175 Bei von Polenz (1988, 170) ist das Benefaktiv als eigene Rolle aufgeführt, die (umfassendere) Rolle der/des RezipientIn wird hingegen nicht genannt.

Analyse der Sprache im Schulbuch | 123

tivus-Konstruktionen stehen, werden entsprechend als Agens bzw. Patiens kodiert. Abschließend sind wieder die Kategorien der Skala zusammengefasst: – Semantische Klasse: (1) Zustands-/Eigenschaftsverb (2) Vorgangsverb (3) Handlungsverb – Semantische Rolle (zu den Kodierungsmöglichkeiten s. Tabelle 3) Passivität Vor allem erhebungspraktisch stellen Passivkonstruktionen eine Herausforderung dar. Um Passivkonstruktionen – Passivkonkurrenzen eingeschlossen – von aktivischen Formulierungen unterscheiden zu können, ist die Kategorie Passivität ins Kategorienschema integriert. Die Kategorie Passivität stellt einerseits eine Hilfskategorie für die Datenauswertung dar. Andererseits aber lenkt sie den Blick auf PRF, die in der syntaktisch exponierten Position des Subjekts die Patiens- oder RezipientInnen-Rolle einnehmen. Relationierte Einheiten Zum Kotext einer PRF bzw. zum Prädizierten gehören neben den verbalen Einheiten weitere, die unter der Skala Relationierte Einheiten zusammengefasst sind. Die Erhebung solcher Einheiten erlaubt Auswertungen zu den Fragen, was beispielsweise besessen, was gekauft, wer von wem wozu aufgefordert wurde oder wer von wem was bekommen hat. Liegt eine verbale Prädikation vor, handelt es sich bei solchen relationierten Einheiten, syntaktisch gesehen, meist um Objekte und im Fall nicht-verbaler possessiver Nominalisierungen um den Kern einer Nominalphrase, der bei einer Verbalisierung zum Akkusativobjekt würde (ihr Haus > sie hat ein Haus). Häufig kommen mehrere relationierte Einheiten mit einer PRF zusammen vor, beispielsweise im Korpusbeleg Stefanie bekommt [a] von ihrem Opa [b] 14 € [c] für die Teilnahme [am Lauf] (LS-B-05, 196). Entsprechend sind mehrere Kategorien ins Schema integriert, unter denen verschiedene Typen relationierter Einheiten als Vollbelege aufgenommen werden. Akkusativergänzungen (auch durch Auflösung von Nominalisierungen ermittelte) sowie Propositionalergänzungen sind zu einer Kategorie zusammengefasst unter der Bezeichnung Relationierte Einheit 1 (rE 1), Dativobjekte inklusive Dativus commodi und incommodi sowie Präpositionalergänzungen mit personal referierendem Kern und präpositional realisierte personale Causative (x bekommt etwas von y) unter der Kategorie Relationierte Einheit 2 (rE 2)

124 | Methodisch-empirisches Vorgehen

kodiert. Kaufgegenstände, Erhaltenes, Besessenes finden sich dabei unter der Kategorie rE 1 wieder. Die zweite Kategorie erfasst unter anderem BenefizientInnen (x schenkt y z; x verteilt etwas an y), KommunikationspartnerInnen (x sagt etwas zu y) und HandlungsverursacherInnen (x wird von y abgeholt). Sind rEKategorien wiederum selbst mit PRF besetzt, so ermöglicht diese Kodierung eine übersichtliche Auswertung der Beziehung zwischen Person x und Person y.176 Darüber hinaus sind drei weitere Kategorien ins Schema integriert: Die dritte verzeichnet unter rE modal modale Spezifizierungen (mit dem Rad fahren), die vierte unter rE kausal explizierte kausale (meist finale) Spezifizierungen (z. B. den ausdrücklich genannten Handlungszweck Betrag x bekommen für die Teilnahme [am Lauf]) und die fünfte verzeichnet unter rE lokal nicht-personale lokale Spezifizierungen (mit dem Rad zur Schule fahren). Andere relationierte Einheiten aus der Proposition werden bei der Datenerhebung nicht standardmäßig berücksichtigt. Die Kategorien unter der Skala Relationierte Einheiten haben die Funktion von Hilfskategorien. Sie werden in der Datenauswertung nicht Kategorie für Kategorie ausgewertet, sondern vornehmlich im Zusammenhang mit den Verben, mit denen sie vorkommen. So werden die relationierten Einheiten beispielsweise im Rahmen der Detailanalyse von Prädikationen unter dem Auswertungsaspekt Besitzrelationen auf geschlechtstypisierende Verteilungsregelmäßigkeiten hinsichtlich der Art des Besessenen befragt. Dies setzt eine qualitative Anschlussauswertung der relationierten Einheiten zu semantischen Clustern innerhalb eines vorgegebenen Bereichs an Prädikationen (im Beispiel: Besitzrelationen) voraus. Weitere Auffälligkeiten auf Ebene der relationierten Einheiten sind außerdem in einem eigenen Auswertungskapitel zusammengetragen. Hier gibt dann nicht die Prädikation den Auswertungsbereich vor, sondern werden die relationierten Einheiten unmittelbar auf Verteilungsregelmäßigkeiten befragt, nach der Frage: Welche relationierten Einheiten sind geschlechtstypisierend verteilt? Im Folgenden sind die verschiedenen Kategorien der Skala Relationierte Einheiten nochmals zusammengefasst:

|| 176 Die Kodierungen unter der Kategorie Semantische Rolle stehen zu den relationierten Einheiten nicht in Konkurrenz. Die Systematisierung der rE in verschiedene Kategorien hat nämlich im Unterschied zu den semantischen Rollen nicht den Zweck einer semantischen Analyse der hierunter erhobenen Ausdrücke, sondern rückt in den Mittelpunkt, in welcher Beziehung rE und PRF (i. d. R. in Subjektposition) zueinander stehen.

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– – – – –

Relationierte Einheit 1 (Vor- und Nachbesitz; Besitz) Relationierte Einheit 2 (u. a. BenefizientInnen; KommunikationspartnerInnen; HandlungsverursacherInnen) Relationierte Einheit modal Relationierte Einheit kausal Relationierte Einheit lokal

Insgesamt wurden aus den 88 Schulbüchern 24.435 Datensätze ermittelt. Dies entspricht im Durchschnitt knapp 280 Belegen pro Schulbuch. Wie mit diesen Daten weiter verfahren wird, stellt das Folgekapitel vor.

3.3.3 Verfahren der Datenauswertung Häufigkeitsanalysen sind in dieser Untersuchung zentrales Instrument der Datenauswertung und Ausgangspunkt für qualitative Anschlussanalysen. Quantitative Verfahren steigern die Erkenntnissicherheit von Befunden und können Strukturen im Material aufzeigen, die bei einer rein qualitativ-interpretativen Auswertung von Erhebungskategorien, welche die Semantik betreffen, womöglich nicht erkannt würden. In umfangreichen Datensammlungen bleiben umgekehrt wenig frequente, aber dennoch bemerkenswerte Belege eher unberücksichtigt, wie zum Beispiel die Wiederaufnahme der gemischt-geschlechtlich referierenden kkP Hans und Lisa mit dem neutralen Pronomen jedes. Bereits bei der Datenaufnahme werden daher einmalige oder seltene auffällige Konstruktionen in der Dokumentation (s. Kap. 3.3.1) festgehalten, die im Zuge der Datenauswertung mit den quantitativen Abfrageergebnissen wieder zusammengeführt werden. Mit Bubenhofer (2009, 2f.) nehme ich an, dass „[s]oziales Handeln […] zu einem typischen Sprachgebrauch [führt], der statistisch auffällig ist.“ Für Bubenhofer führt der Weg zu diesem typischen Sprachgebrauch, den er auch mit dem Terminus „Sprachgebrauchsmuster“ (Bubenhofer 2009) erfasst, über Signifikanztests. Gängige Verfahren, wie der Chi-Quadrat-Test, setzen nun meist eine Normalverteilung der Daten voraus, die – wie Kilgarriff (2005) betont – bei Sprachdaten aber nicht vorliegt. Staffeldt (2012) übt grundlegende Kritik am weit verbreiteten Chi-Quadrat-Test für die Ermittlung von Kollokationen, nach Bubenhofer (2009, 122) verstanden als statistisch auffällige Kookkurrenzen. Denn bei diesem Test würden „selbst größte Unterschiede […] nivelliert und selbst kleinste Abweichungen“ seien „höchst signifikant“ (Staffeldt 2012, 109). Da in der vorliegenden Untersuchung nicht das gesamte Schulbuchsprachmate-

126 | Methodisch-empirisches Vorgehen

rial Grundlage der Auswertungen ist, sondern lediglich die PRF und ihr Kotext, begünstigt dies Verzerrungseffekte bei der Ermittlung von Signifikanzen. So wurden im Pre-Test mit dem Chi-Quadrat-Test (nach Pearson) und mit dem Likelihood-Quotienten Vorkommen und Zusammenhänge als höchst signifikant errechnet, die auf vergleichsweise wenigen Belegen basieren. Für die Interpretation erweisen sich diese Signifikanzberechnungen als wenig aufschlussreich. Auf den Mann-Whitney-Rank-Test (auch: Wilcoxon-Rank-Test oder U-Test) kann auch nicht ausgewichen werden, wie es Bubenhofer (2009, 139–141) alternativ vorschlägt; dieser setzt zwar keine Normalverteilung voraus, umgeht nach Bubenhofer und mit Kilgarriff damit das zentrale Problem anderer Signifikanztests, benötigt aber ein Vergleichskorpus. Das Schulbuchkorpus wird jedoch selektiv erhoben, d. h., nicht alle Wörter einer Schulbuchseite oder einer Aufgabenstellung, eines Beispielsatzes oder Bezugstexts werden in die Datenbank, die Grundlage für die Datenauswertung ist, aufgenommen. Somit weist das Schulbuchkorpus eine andere Zusammensetzung auf als ein Vergleichskorpus (z. B. Korpora aus dem DeReKo des IdS Mannheim) und ist eine Vergleichbarkeit von Frequenzen, die wiederum die Grundlage für die Berechnung von Signifikanzen darstellen, nur bedingt gegeben. Auffälligkeiten im Sprachmaterial werden daher in dieser Untersuchung nicht über Signifikanztests, sondern primär über Häufigkeitsabfragen zu ermitteln versucht. Häufigkeitsabfragen weisen dabei auf Zusammenhänge zwischen Kategorien hin, vor allem der Kategorie Geschlechtsreferenz und einer weiteren zweiten. Doch Häufigkeiten sind nicht unmittelbar miteinander vergleichbar, wenn sie von unterschiedlichen Gesamtheiten ausgehen. Besteht beispielsweise ein Ungleichheitsverhältnis an männlich referierenden und weiblich referierenden PRF (weiterhin: mPRF und wPRF) und soll ermittelt werden, ob eine Variable (z. B. die Kategorie Handlungsverb) häufiger zusammen mit wPRF oder mPRF vorkommt, kann nicht einfach die Verteilung der Handlungsverben auf diese geschlechtsreferentiellen Typen verglichen werden. Die Daten müssen zunächst vergleichbar gemacht werden, damit das prinzipielle Ungleichheitsverhältnis von wPRF und mPRF nicht jede Auswertung verzerrt. Die Statistik nennt dieses Vergleichbarmachen von unterschiedlich verteilten Variablen Normierung oder Standardisierung. Will man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, müsste die Ungleichverteilung der PRF also herausgerechnet werden. Ein Beispiel soll erklären, welches Zerrbild sich aus unbereinigten Daten ergeben kann:

Analyse der Sprache im Schulbuch | 127

In einem Beispieltext finden sich 25 Handlungsverben, die über 40 wPRF prädizieren, und 50 Handlungsverben, die über 100 mPRF prädizieren. Im direkten Verhältnis der Handlungsverben-Anteile kommen Handlungsverben zwei Mal häufiger mit mPRF als mit wPRF vor. Prozentual liegt der Anteil bei 67% zu 33%:177

Gegeben: 100 mPRF, 50 Handlungsverben; 40 wPRF, 25 Handlungsverben absolutes Verhältnis: 50 : 25 = 2 : 1 zwei Mal mehr Handlungsverben mit mPRF als mit wPRF relatives Verhältnis: 67% : 33% Dieser Berechnung liegt aber ein zahlenmäßiges Ungleichgewicht an mPRF und wPRF zugrunde: Im Text befinden sich nur insgesamt 40 wPRF im Vergleich zu 100 mPRF. Wird aus der Verteilung die verzerrende zahlenmäßige männliche Überzahl herausgerechnet, indem der Anteil der Handlungsverben mit mPRF um den Faktor 2,5 (100 / 40 = Faktor 2,5) bereinigt wird, fällt die Verteilung dagegen sehr viel ausgewogener aus: 50 / 2,5 = 20. Neuberechnung des Verhältnisses mPRF zu wPRF: absolutes Verhältnis: 20 : 25 = 0,8 : 1 relatives Verhältnis: 44% : 56%

Tatsächlich liegt der Anteil der Verbindung Handlungsverb und wPRF also im Beispiel etwas höher als der Anteil der Verbindung mit mPRF. Bei nicht normierten Daten fällt das Ergebnis umgekehrt aus. Ob ein Vergleich auf Basis bereinigter oder unbereinigter Daten angestellt wird, ist in der Datenauswertung somit durchaus entscheidend und kann mitunter großen Einfluss auf die Interpretation der Daten haben. Wie Beispielabfragen an die Datenbank nun konkret lauten, zeigt die Tabelle 4. Bei der Auswertung wird davon ausgegangen, dass sich die Anteile jeder Ausprägung einer Kategorie prinzipiell gleichmäßig auf die Geschlechter178 verteilen können, mindestens aber auf die Ausprägungen weiblich und männlich der zentralen zweiten Auswertungsvariable Geschlechtsreferenz.

|| 177 Berechnet wird der prozentuale Anteil relativ zu allen Handlungsverben, im Beispiel: 75. 178 Im Kategorienschema sind hierfür drei Ausprägungen angesetzt: weiblich, männlich, geschlechtsübergreifend. Letztere Ausprägung umfasst, wie unter dem Punkt PragmaGrammatik im Kapitel 3.3.2c ausgeführt, auch jene sprachlichen Ausdrücke, die sich einer kategorialen Zuordnung zu weiblich oder männlich entziehen und somit – intentional oder nicht – einen Deutungshorizont für ein sogenanntes drittes Geschlecht eröffnen (s. noch Kap. 6.1.1d).

128 | Methodisch-empirisches Vorgehen

Tab. 4: Beispielabfragen ans Kategorienschema

Fragestellung

Operationalisierungsmöglichkeiten

Wie wird die Kategorisierbarkeit von Personen nach Geschlechtern sprachlich expliziert?

Wie verteilen sich grammatische, lexikalische und morphologische Mittel der Geschlechtsspezifizierung auf die weiblich-/ männlich-Kodierungen unter der Kategorie Geschlechtsreferenz?

Wie eng fällt der Zusammengang zwischen Genus und Geschlechtsreferenz aus?

Welches Genus kommt in welcher Häufigkeit mit welcher Geschlechtsreferenz vor? Zu welcher Zeit werden wie viele Maskulina geschlechtsübergreifend gebraucht?

Sind Schulbücher zunehmend Welche Typen geschlechtersensiblen Sprachgebrauchs (z. B. um geschlechtersensible Beidnennungen, Neutralformen) werden seit wann und in Sprache bemüht? welcher Häufigkeit gebraucht? Wie ist Besitz auf die Geschlechter verteilt?

In welcher Häufigkeit kommen besitzanzeigende PRF mit welcher Geschlechtsreferenz vor? In welcher Häufigkeit kommen besitzanzeigende Verben mit welcher Geschlechtsreferenz vor? Welche relationierten Einheiten stehen zusammen mit besitzanzeigenden Verben wie häufig im Zusammenhang mit welcher Geschlechtsreferenz?

Werden die Geschlechter gleich agentiv gezeichnet?

Welche semantischen Verbklassen treten wie häufig im Zusammenhang mit welcher Geschlechtsreferenz auf? Welche Tätigkeiten/Vorgänge/Zustände sind mit welcher Geschlechtsreferenz wie häufig verbunden? Welche semantischen Rollen kommen mit welcher Häufigkeit mit welcher Geschlechtsreferenz vor? Wie verteilt sich Modalität und Passivität auf die Geschlechter bzw. wie häufig treten Modalitätsmarker und Passivkonstruktionen im Zusammenhang mit welcher Geschlechtsreferenz auf? Welche Handlungen von und an Personen werden nicht verbal formuliert?

Wer handelt und in welchen Wie häufig kommt die Kodierung der semantischen Verbklasse situativen Zusammenhängen? als Tätigkeits-/Handlungsverb im Zusammenhang mit welcher Geschlechtsreferenz vor? Zu welchen semantischen Clustern können die in diesen Verben kodierten Tätigkeiten zusammengefasst werden (= qualitative Anschlussauswertung) und pro Cluster auf geschlechtstypisierende Verteilungsregelmäßigkeiten befragt werden?

Analyse der Sprache im Schulbuch | 129

Viele Kategorien werden nicht (nur) quantitativ ausgewertet. So schließen sich bei den Berufsbezeichnungen, Gesellschaftsbezeichnungen, Vornamen und komplexen koordinierten Phrasen weitere Systematisierungen an und erst in einem nächsten Schritt wird auf Häufigkeitsabfragen zurückgegriffen. Auf die Datenerhebung der das Verb betreffenden Kategorien folgt zum Beispiel die Abfrage nach der Verteilung spezifischer Verbgruppen (z. B. die Gruppe KAUFHANDLUNG) auf die Geschlechter. Häufigkeitsanalysen stellen, wie eingangs erwähnt, einen wichtigen Zugang zur Interpretation des Datenmaterials dar. Hohe Frequenzialität sollte allerdings nicht vorschnell mit Wichtigkeit verwechselt werden, wie Baker (2014) herausstellt: there is not a perfect relationship between a word’s frequency and how important, typical or preferable it is viewed to be in a society. […] I demonstrated how words relating to homosexuality are much more frequent than words for heterosexuality […], because heterosexuality is assumed to be the default norm and preferred state, not needed to be mentioned because it is so persuasive. […] Thus, […] frequencies should not be taken at face value but interpreted in relation to our knowledge about society, along with concordance analyses of how particular words are used in context in a corpus. (Baker 2014, 75)

Bakers Ausführungen (2008, 146–148) zum frequenten Vorkommen von homosexual sind ein Plädoyer dafür, dass eine angemessene Interpretation von Sprachdaten nur unter Einbezug des Ko(n)texts zu leisten ist. Nicht nur Präsenz, auch Absenz hat Bedeutung. Wann Häufigkeiten eher auf Wichtigkeit und wann auf Marginalität verweisen, kann mit Baker nur im Rahmen einer ko- und kontextsensitiven Analyse entschieden werden. Die kotextuelle Analyse umfasst die Textumgebung und fragt nach der Einbettung des Belegs in diese. Werden Häufigkeitsanalysen durchgeführt, so bleibt der konkrete Äußerungszusammenhang keineswegs unberücksichtigt. Bei der Datenauswertung lassen sich je nach technischen Hilfsmitteln mit mehr oder weniger Aufwand alle Einzelfälle einer Häufigkeitsabfrage ausgeben und auf die kotextuelle Einbettung vergleichen. Es handelt sich hierbei um eine Form der Konkordanzanalyse, bei der das Korpus auf Wörter durchsucht und in Bezug auf die bzw. unter Berücksichtigung der kotextuelle(n) Verwendung ausgewertet wird.179 Die kontextuelle Analyse nimmt mit Baker (2014, 75) „our knowledge about society“ in den Blick

|| 179 Typischerweise werden Konkordanzanalysen mit keywords, also „words that appear statistically more often in one text than the other“ (Baker 2004, 346), durchgeführt und diese über den Vergleich des Untersuchungskorpus mit einem Referenzkorpus ermittelt.

130 | Methodisch-empirisches Vorgehen

(s. zum Kontextverständnis dieser Arbeit Kap. 1.2.3b). Bei Untersuchungen mit diachroner Forschungsdimension steht dieses für die Interpretation notwendige und relevante Kontextwissen jedoch nicht immer analysefertig bereit, sondern muss selbst erhoben oder aufwendig recherchiert werden (s. in dieser Untersuchung Kap. 5). Am Ende vielschrittiger Auswertungen zu Häufigkeitsverteilungen setzt die epistemisch-semantische Analyse an, die Regelmäßigkeiten im Sprechen zu Wissenssegmenten bündelt und nach abstrakteren semantischen Strukturen fragt, denen das Sprechen über Geschlecht und über die Geschlechter folgt. Diese interpretative Systematisierung der Auswertungsergebnisse erfolgt in Kapitel 6.1 im Rahmen der diskursorientierten Analyse.

4 Ergebnisse der Schulbuchanalyse Bereits auf den ersten Blick erweisen sich die Rahmenthemen, in die Schulbuchaufgaben, Beispielsätze und Bezugstexte (s. Kap. 3.2.2) eingebettet sind, als sehr wandlungsfähig. Die kaiserzeitlichen Rechenbücher beispielsweise führen Rechenaufgaben aus dem Sozialversicherungswesen ein und machen damit reale sozialpolitische Maßnahmen zu einem neuen Standardrahmenthema. In den 1890er Jahren werden außerdem Kolonien zum Schauplatz (vgl. z. B. BW-99) und in den Schulbüchern der 1950er Jahr halten Luftverkehr und Tourismus Einzug in die Schulbuchwelt (vgl. z. B. HRB-55, WR-57).180 Wie aber verändert sich im prinzipiell wandlungsfähigen Schulbuch die Geschlechterdarstellung? Wie wird die Differenzkategorie Geschlecht sprachlich relevant gesetzt, welche Aussagen treffen Schulbücher über Frauen/Mädchen und Männer/Jungen und inwiefern sind diese Sprechweisen zeitabhängig? Nach dem Erhebungsverfahren, wie es im Kapitel 3 vorgestellt wurde, werden unter diesem Gliederungspunkt die Ergebnisse der Datenauswertung präsentiert. Dabei ist wiederum die Dreigliederung in Wortebene, bei der die PRF im Fokus stehen (4.1), in Propositionsebene (4.2) und in Textebene (4.3) leitend, um jene sprachlichen Mittel differenziert zu erfassen, die an der Konstituierung von Wissen über Geschlecht beteiligt sind. Kapitel 4.4 gibt einen kursorischen Überblick über Zusammenhänge zwischen Schulbuchsprache und paratextuellen Eigenschaften der Schulbücher. Zentrale Auswertungsergebnisse des Kapitels sind unter dem Gliederungspunkt 4.5 zusammengefasst. Das Kapitel 4 beantwortet die Leitfrage (1.a), welche sprachlichen Mittel an der Konstituierung von Geschlechterwissen beteiligt sind, und bereitet eine Antwort auf (1.b) vor: welche Geschlechterkonzepte entworfen werden. Untersuchungsergebnisse, die stärker die Konzeptebene von Sprache betreffen, erfahren dann im Rahmen der diskursorientierten Analyse in Kapitel 6 eine eingehende Würdigung.

4.1 Wortorientierte Auswertung 4.1.1 Anzahl weiblicher und männlicher Personenreferenzformen Bereits bei einem quantitativen Zugriff auf das Verhältnis der PRF unterschiedlicher Geschlechtsreferenz ergeben sich in der diachronen Betrachtung bemer-

|| 180 Vgl. ausführlich Postupa (2014) zum thematischen Wandel von Mathematikaufgaben.

DOI 10.1515/9783110555578-004

132 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

kenswerte Befunde. Durchgehend präsenter sind demnach männlich referierende Ausdrücke. Als bemerkenswert erweisen sich außerdem vor allem die NSJahre, weil sie sich deutlich different zum vorausgehenden und nachfolgenden Zeitabschnitt verhalten. Auch die Entwicklung der letzten 25 Jahre ist auffällig, weil sich die weiblich, männlich und geschlechtsübergreifend referierenden Ausdrücke einander zunehmend quantitativ annähern. Die Abbildungen 8 und 9 veranschaulichen die Entwicklungslinien der Geschlechtsreferenzen im relativen Verhältnis zueinander. In der Abbildung 8 bildet die durchgezogene helle Linie Anteile ausschließlich eindeutig männlich referierender Personenreferenzformen (kurz: mPRF) ab und die gestrichelte Linie Anteile eindeutig geschlechtsübergreifend referierender Personenreferenzformen (üPRF); die gepunktete Linie steht für diejenigen PRF, die nicht eindeutig einer der anderen Kodierungsmöglichkeiten zuzuordnen waren. Der Grafik zufolge nimmt die Anzahl solcher geschlechtsreferentiell uneindeutigen PRF über die Zeit ab, von knapp 50% zu Beginn der Untersuchung bis auf unter 10%181 in den 2010ern. Schulbücher lassen zunehmend weniger Interpretationsspielraum, ob eine PRF geschlechtsspezifizierend (männlich) oder geschlechtsübergreifend referiert. Wie diese Vereindeutigung im Einzelnen geleistet wird, sollen Auswertungen weiterer Kategorien zeigen (s. Kap. 4.1.3).

Abb. 8: Entwicklung der geschlechtsreferentiellen Vorkommen an allen PRF, uneind. PRF separat

|| 181 Im Auswertungskapitel 4 werden relative sowie absolute Häufigkeiten stets in Ziffern genannt, wenn sie sich auf Anteile beziehen, die in Tabellen oder Abbildungen angegeben sind (auch Werte zwischen 1 und 12).

Wortorientierte Auswertung | 133

Die Zweitauswertung der geschlechtsreferentiell uneindeutigen PRF, bei der diese entweder den mPRF oder den üPRF zugeordnet werden (s. Kap. 3.3.2c unter Pragma-Grammatik), ist Grundlage für die nachfolgende Abbildung 9. Mit der Abbildung wird anschaulich, dass die Mehrzahl der geschlechtsreferentiell uneindeutigen PRF männlich referiert. Sie führt außerdem vor Augen, dass das Verhältnis der weiblich referierenden Personenreferenzformen (wPRF) zu den mPRF noch ungleicher ausfällt, werden die uneindeutigen Ausdrücke mitberücksichtigt und die potentiellen mPRF unter den geschlechtsreferentiell uneindeutigen Ausdrücken zu den mPRF gezählt.

Abb. 9: Entwicklung der geschlechtsreferentiellen Vorkommen an allen PRF, uneind. PRF verteilt

Der Anteil der wPRF (durchgezogene dunkle Linie) fällt in beiden Grafiken gleich aus. In Schulbüchern, die im neuen politischen System der Weimarer Demokratie entstanden sind, ist keine Entwicklung zu einem gleichberechtigteren Vorkommen von wPRF und mPRF festzustellen. Aus der Entwicklungslinie der wPRF geht außerdem hervor, dass nicht erst mit der feministischen Schulbuchkritik vor allem ab den 1970er Jahren ein Anstieg der wPRF zu verzeichnen ist. Der Wert steigt dagegen beinahe kontinuierlich an, seit den 1980er Jahren liegt ihr Anteil an allen PRF dann stabil bei 30%. In der Abbildung 9 ist der Einbruch an mPRF in den NS-Jahren sowie der fast im gleichen Umfang starke Anstieg an üPRF besonders auffällig. Wie bei den mPRF ist auch bei den wPRF ein leichter Rückgang zu verzeichnen. Auf bei-

134 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

den Seiten werden geschlechtsspezifizierend referierende Ausdrücke zugunsten geschlechtsübergreifend referierender Ausdrücke zurückgenommen.182 In den anderen Zeitabschnitten ist die Entwicklung der mPRF und die der üPRF aufeinander bezogen: Ein Anstieg der einen Gruppe geht einher mit einem Rückgang der anderen (s. v. a. Abbildung 9). Weitere Auswertungen (s. Kap. 4.1.4 und 4.1.5) sollen zeigen, wie die üPRF realisiert sind, ob als ausgeschriebene Paarform (Lehrer und Lehrerinnen), welche die Unterscheidung in genau zwei Geschlechter aufruft, oder im Rückgriff auf geschlechtsneutrale Formen (z. B. Lehrkraft, Lehrende), und welchen Anteil generisch gebrauchte Maskulina an ihnen ausmachen. Die Entwicklungslinien zeigen ferner, dass die mPRF seit den 1950er Jahren im Abnehmen begriffen sind und ihr Anteil sich in den vergangenen 15 bis 20 Jahren etwa 10 Prozentpunkte über dem der wPRF eingependelt hat. Im Anhang 4–1 sind alle PRF in absoluten Zahlen aufgeführt, unterschieden in die verschiedenen geschlechtsreferentiellen Vorkommen.183 Diese bilden die Grundlage für diese und alle folgenden Prozentauswertungen zu PRF. Im Vergleich der PRF mit weiblicher Referenz und jener mit männlicher Referenz wird noch einmal einsichtiger, zu welcher Zeit die beiden Referenztypen wie stark vertreten sind. Die Tabelle 5 zeigt das Verhältnis der PRF zueinander, wobei in der rechten Spalte auch die uneindeutig, aber sehr wahrscheinlich männlich referierenden Ausdrücke den mPRF zugeordnet sind. Berücksichtigt man nur jene Ausdrücke, die dem Kotext nach entweder eindeutig weiblich oder eindeutig männlich referieren, so fällt für die zeitgenössischen Schulbücher das Verhältnis beinahe gleichwertig mit leichtem Überhang an mPRF aus. Und auch, wenn jene maskulinen Ausdrücke in die Auswertung einbezogen werden, die zwar sehr wahrscheinlich, dem Kotext nach aber nicht eindeutig männlich referieren, verschiebt sich das Zahlenverhältnis nur unwesentlich, allerdings weiter zugunsten der mPRF. In den historischen Schulbüchern sind PRF mit weiblicher Referenz stark unterrepräsentiert: 1 wPRF sieht sich in den kaiserzeitlichen Büchern 3 bis 8 mPRF gegenüber, in den 1950er Jahren kommen auf 1 wPRF zwischen 2,7 und 4 mPRF.184 Die Aufstellung führt zugleich vor Augen, welchen Unterschied eine || 182 Auch aus der Abbildung 8 lässt sich diese Entwicklung ablesen, wenn auch mit geringeren Ausschlägen. 183 Der Anhang ist nicht Bestandteil der Druckfassung, sondern steht zum Download unter https://www.degruyter.com/view/product/491314 bereit. 184 Die Ergebnisse der 88 Rechen- bzw. Mathematik- und Deutschbücher weichen nur leicht ab von den Auswertungen auf Grundlage von 16 Rechen- bzw. Mathematikbüchern in Ott (2015b; 2016).

Wortorientierte Auswertung | 135

differente Kodierung der Maskulina auf die Datenauswertung und Interpretation haben kann. Tab. 5: Anteile von wPRF und mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) im diachronen Vergleich wPRF : mPRF

wPRF : mPRF (inkl. uneind. mPRF)

Kaiserzeit

1:3

1:8

Weimarer Republik

1:4

1:6

NS-Zeit

1 : 4,5

1:6

Nachkriegszeit

1 : 4,5

1:7

Ära Adenauer

1 : 2,7

1:4

1963–1972

1 : 2,7

1 : 3,3

1973–1981

1:3

1:4

1982–1985

1 : 1,4

1 : 1,8

1986–1990

1 : 1,5

1 : 1,7

1991–1999

1:1

1 : 1,2

2000–2010

1 : 1,3

1 : 1,4

2011–2013

1 : 1,2

1 : 1,3

Der größte Sprung hin zu einer gleichmäßigen Verteilung von wPRF und mPRF findet vom Ende der 1970er Jahre auf Anfang bis Mitte der 1980er Jahre statt. Zu keiner anderen Zeit als den 1990er Jahren fällt das Verhältnis derart ausgewogen aus (1 zu 1 bzw. 1 zu 1,2); seit 2000 machen die mPRF wieder etwas über die Hälfte aller PRF aus. Weiblich referierende Ausdrücke stellen im direkten Vergleich mit den mPRF zu keiner Zeit die Mehrheit unter den PRF. Relativ zu allen anderen Geschlechtsreferenzen betrachtet, erhöht sich der Anteil an wPRF in den Jahren der Weimarer Republik, wie in den Abbildungen 8 und 9 veranschaulicht. Im Vergleich von wPRF und mPRF in Tabelle 5 wird wiederum deutlich, dass dieser Anstieg nicht derart stark ausfällt, dass die wPRF mit den mPRF gleich ziehen könnten. Denn auch die mPRF legen in diesen Jahren anteilig zu. Bemerkenswert erscheint auch die deutliche Rücknahme männlicher quantitativer Dominanz in der Ära Adenauer im Vergleich zum vorausgehenden Untersuchungszeitraum. Im Lauf der Jahrzehnte hat sich das Zahlenverhältnis deutlich angeglichen. Den beiden dominierenden Geschlechtern ist nun beinahe gleich viel sprachli-

136 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

cher Raum im Schulbuch gegeben. Die Studien von Moser (2013) und Bal (2011) zu zeitgenössischen Schulbüchern kommen zu einem vergleichbaren Ergebnis. Der quantitative Zugriff soll im Folgenden durch einen qualitativen Blick ins Datenmaterial ergänzt werden und Auskunft über die Verteilung der Geschlechtsreferenzen auf andere Kategorien geben – auf die Berufs- und Verwandtschaftsbezeichnungen beispielsweise.

4.1.2 Zusammensetzung der substantivischen Personenreferenzformen Die PRF der untersuchten Schulbücher sind mehrheitlich substantivisch realisiert. Wie sich die substantivischen PRF zusammensetzen bzw. welche Anteile Eigennamen und Appellativa haben, steht im Fokus dieses Teilkapitels. Zunächst wird auf die Appellativa eingegangen. a) Auswertung der Appellativa Verwandtschafts-, Berufs- und Gesellschaftsbezeichnungen referieren im Schulbuch keineswegs gleich häufig auf weibliche und männliche Personen (zum Verhältnis von PRF und Figuren s. Kap. 3.3.2c unter Personenreferenzformen). Gerade bei den Berufsbezeichnungen sind die Unterschiede besonders ausgeprägt. Die Abbildung 10 veranschaulicht zunächst, welche Entwicklungslinien die bei der Datenerhebung angenommenen semantischen Klassen der Appellativa im Lauf der Jahrzehnte relativ zur Gesamtzahl an PRF nehmen.185 Unterschieden werden hierbei: Verwandtschaftsbezeichnung, Berufsbezeichnung, Gesellschaftsbezeichnung sowie der Sonderfall Appellativa als Eigenname. Die Werte für die Jahre 1982 bis 1985 weichen von den Werten des vorausgehenden und des nachfolgenden Zeitabschnitts sehr stark ab; diese Abweichungen werden hier allerdings nicht weiter kommentiert, da für diesen Zeitabschnitt unter allen Zeitabschnitten die geringste Anzahl an PRF und damit die kleinste Stichprobe vorliegt. Die geringe Stichprobengröße wird für die starken Abweichungen verantwortlich gemacht.

|| 185 Appellativa, die Bestandteil von komplexen koordinierten Phrasen sind, wurden bei dieser Auswertung standardmäßig nicht berücksichtigt. Doch auch wenn sie einbezogen werden und entsprechend die Berechnungsgrundlage um die Anzahl aller PRF, die Bestandteil solcher Phrasen sind, erhöht wird, decken sich die Entwicklungstendenzen der so erweiterten Appellativa mit denen aus der Abbildung 10.

Wortorientierte Auswertung | 137

Abb. 10: Anteile der Appellativa relativ zu allen PRF eines Zeitabschnitts

Der Anteil der Verwandtschaftsbezeichnungen an allen PRF (gepunktete Linie) nimmt über die Jahrzehnte um 10 Prozentpunkte ab. Noch drastischer fällt der Rückgang der Berufsbezeichnungen aus. Ihr Anteil hat sich im Untersuchungszeitraum mehr als halbiert. Mensch-Sein ist damit zunehmend seltener durch verwandtschaftliche Relationiertheit oder Berufstätigkeit gekennzeichnet. Die Entwicklung der Gesellschaftsbezeichnungen (gestrichelte Linie) verläuft noch kurvenreicher. Ihr hoher Wert in den NS-Jahren erklärt sich durch den vergleichbar niedrigen Anteil an Namen in diesen Schulbüchern (s. 4.1.2b unter Entwicklung der Namentypen). Appellativa, die als Eigenname gebraucht werden (durchgezogene dunkle Linie), sind hingegen überaus selten; auf sie wird im Zusammenhang mit der Namenauswertung noch eingegangen. Gesellschaftsbezeichnungen, Berufsbezeichnungen und Verwandtschaftsbezeichnungen sind unterschiedlich auf die Geschlechter verteilt. Im direkten Vergleich liegt der Anteil der eindeutig männlich referierenden Berufsbezeichnungen im Korpus fünfmal so hoch wie jener der weiblich referierenden Berufsbezeichnungen. Das Verhältnis von weiblichen und männlichen Verwandtschaftsbezeichnungen hingegen scheint ausgeglichen. Diese Verteilungen berücksichtigen jedoch nicht, dass die mPRF das Korpus insgesamt dominieren und damit jeder unmittelbare Vergleich weiblich und männlich referierender PRF diese Ungleichverteilung zur Grundlage hat. Wenn nun normierte Werte (s. bereits Kap. 3.3.3) herangezogen werden, so ergibt sich im Bereich der Berufsbezeichnungen zwar weiterhin eine diachrone Dominanz der männlich referierenden Ausdrücke gegenüber den weiblichen, im Bereich der Verwandtschaftsbezeichnungen hingegen dominieren im diachronen Durchschnitt weiblich referierende Ausdrücke.

138 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Unter den folgenden Gliederungspunkten soll die Verteilung der wPRF und der eindeutigen mPRF auf die Appellativa-Klassen, gegliedert in die zeitlichen Untersuchungsabschnitte und auf Basis der normierten Daten, betrachtet werden. Tab. 6: Anteile weiblich vs. eind. männlich referierender Appellativa an allen wPRF bzw. eind. mPRF eines Zeitabschnitts186 Gesellschaftsbezeichnungen

Berufsbezeichnungen

Verwandtschafts- Appellativa als bezeichnungen Eigennamen

w

24%

11%

28%

0%

m

12%

18%

15%

0%

w

15%

10%

26%

0%

m

11%

20%

6%

0%

w

38%

20%

19%

0%

m

17%

25%

5%

0%

w

10%

22%

35%

0%

m

15%

24%

7%

0%

w

18%

6%

21%

5%

m

12%

17%

9%

1%

w

16%

4%

12%

5%

m

17%

16%

5%

1%

Kaiserzeit

Weimarer Republik

NS-Zeit

Nachkriegszeit

Ära Adenauer

1963–1972

|| 186 Jede w-Zeile oder m-Zeile in der Tabelle ist für sich potentiell zu 100% zu summieren. Die Einzelwerte stellen den prozentualen Anteil zum Beispiel der weiblich referierenden Berufsbezeichnungen der Kaiserzeit an allen wPRF der Kaiserzeit dar. Die Summe der hier abgedruckten Zeilenwerte allerdings ergibt keine 100%, da eine fünfte Spalte, welche die restlichen Anteile aller Nicht-Appellativa (Pronomen, Eigennamen) auf sich vereint, aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht aufgenommen wurde.

Wortorientierte Auswertung | 139

Gesellschaftsbezeichnungen

Berufsbezeichnungen

Verwandtschafts- Appellativa als bezeichnungen Eigennamen

w

16%

7%

6%

2%

m

17%

9%

3%

0%

w

8%

3%

13%

3%

m

5%

8%

14%

4%

w

18%

4%

4%

1%

m

13%

8%

1%

0%

w

11%

2%

8%

1%

m

10%

7%

4%

0%

w

12%

3%

5%

1%

m

12%

6%

5%

0%

w

10%

3%

3%

0%

m

12%

6%

3%

0%

1973–1981

1982–1985

1986–1990

1991–1999

2000–2010

2011–2013

Die weiteren Ausführungen beziehen sich auf die Werte in der Tabelle 6. Die Differenzierung nach Zulassungsjahren macht deutlich, dass die Verteilungen im Lauf der Jahrzehnte Veränderungen erfahren. Die Auswertung steuert eine weitere Teilantwort zur Frage bei, wie Männer/Jungen und Frauen/Mädchen auf Wortebene vornehmlich charakterisiert werden Berufsbezeichnungen Der Anteil männlich referierender Berufsbezeichnungen an allen mPRF liegt in jedem Zeitabschnitt deutlich über dem Anteil weiblich referierender Berufsbezeichnungen an allen wPRF. In vergangenen Jahrzehnten traten Berufsbezeichnungen, jeweils relativ zu allen wPRF bzw. mPRF, bis zu vier Mal häufiger zusammen mit männlicher Referenz als mit weiblicher Referenz auf (s. die 1960er Jahre in der Tabelle 6). Seit den 2000er Jahren entfallen unter den mPRF noch doppelt so viele Berufsbezeichnungen auf männliche Referenz wie es weiblich referierende Berufsbezeichnungen unter den wPRF tun. Werden die nicht eindeutig, aber sehr wahrscheinlich männlich referierenden PRF zu den mPRF ge-

140 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

rechnet, fällt der Unterschied auch gegenwärtig größer aus. Berufstätigkeit wird auf Bezeichnungsebene konsequent, in Vergangenheit und Gegenwart, als männlicher Handlungsbereich ausgewiesen, obgleich sich diese Dominanz zwischen 1950 und heute verringert hat. Moser (2013, 130) bestätigt in ihrer Untersuchung von Grundschulbüchern (Deutsch; Mathematik), die nach 2001 zugelassen wurden, für die jüngere Vergangenheit eine vergleichbar starke Dominanz an Berufsbezeichnungen mit männlicher Referenz. Für die Befunde zu den Schulbüchern der 1980er und 1990er Jahre finden sich darüber hinaus in Thomas (1999) und Kaiser-Meßmer (1994) übereinstimmende Ergebnisse. Im Vergleich der Verteilung von wPRF und mPRF auf die verschiedenen Appellativa-Klassen zeigt sich, dass bis Anfang der 1960er Jahre männliche Schulbuchfiguren im Vergleich zu den weiteren semantischen Subklassen primär in Bezug auf ihre berufliche Tätigkeit charakterisiert werden bzw. sogar nach dieser Tätigkeit benannt werden (s. weiterhin Tabelle 6). Mit besonderer Ausnahme der NS- und Nachkriegszeit weisen hingegen unter den wPRF die Berufsbezeichnungen mehrheitlich den niedrigsten Anteil an allen weiblich referierenden Appellativa auf. Weiblichkeit wird somit (1.) insgesamt deutlich seltener als Männlichkeit mit Berufstätigkeit in Verbindung gebracht, wobei (2.) Frauen als Berufstätige im diachronen Vergleich zwischen 1933 und 1950 einen zuvor und danach nicht wieder erlangten hohen Anteil erreichen (um 20% an allen wPRF). Dieser Befund hat auch dann Bestand, wenn die Vorkommen von Hausfrau herausgerechnet werden: Der Anteil an Berufsbezeichnungen unter den wPRF sinkt ohne Hausfrau in den NS-Jahren lediglich um 4 Prozentpunkte auf 16%, in den Nachkriegsjahren um 2 Prozentpunkte auf 20%.187 Welche Berufe mit welcher Geschlechtsreferenz zu den verschiedenen Teiluntersuchungszeiträumen vorkommen, ist in der Tabelle 7 dargestellt. Die Berufsbezeichnungen wurden hierfür Tätigkeitsbereichen zugewiesen. Für Berufe schlägt der UNESCO-Textbook Guide eine Subkategorisierung in „Agriculture […]; Education […]; Trade […]; Small business […]; Health […]; Art, culture, science, media […]; Office work“ (Brugeilles/Cromer 2009, 50) vor.188 Meine Daten legten ausgehend von den in den Schulbüchern vorgefundenen Bezeichnungen folgende Subkategorien nahe:

|| 187 Auch in den anderen Zeitabschnitten verringert sich der Anteil an Berufsbezeichnungen nur leicht. Zur Einordnung von Hausfrau als Berufsbezeichnung s. Kapitel 3.3.2c unter Appellativa. 188 Zu weiteren Systematisierungen vgl. ferner Hopfgartner (1982); Silbermann/Krüger (1971, 86).

Wortorientierte Auswertung | 141

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Bildung Pflege Medizin Hausfrau189 Gastronomie und Hauswirtschaft ArbeiterInnentum Land- und Forstwirtschaft Seewesen Handwerk Technik und Mechanik Handel Finanzwesen UnternehmerInnentum Bauwesen Verkehr Recht Militär und Polizei Politik Verwaltung Dienstleistung Medien Sport Kunst Religion und Kirche Sonstiges

Unter den Männerberufsbezeichnungen sind insgesamt mehr unterschiedliche Tätigkeitsbereiche vertreten als bei den Frauenberufsbezeichnungen, und zwar bis zu 24 unterschiedliche in einem Zeitabschnitt. Die jeweils häufigsten fünf Bereiche sind in die untenstehende Tabelle übertragen. Die Rangfolge ergibt sich relativ zu allen weiblichen bzw. männlichen Berufsbezeichnungen, d. h. aus der Zuordnung aller weiblich und aller männlich referierenden Berufsbezeichnungen zu Tätigkeitsbereichen.190 Die Stichproben-

|| 189 Da es sich bei Hausfrau um das einzige Beispiel für die Kategorie nicht-erwerbsmäßige Hausarbeit/hauswirtschaftliche Tätigkeit handelt, sind Kategorie und Kategorienbeispiel deckungsgleich. Die objektsprachliche Markierung macht dieses Verhältnis deutlich. 190 Dass in kaiserzeitlichen Schulbüchern beispielsweise einige weiblich referierende Berufsbezeichnungen aus dem Bildungsbereich stammen (z. B. Lehrerin) und in der Tabelle den vier-

142 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

größe für die Nachkriegsjahre und den Zeitraum 1982 bis 1985 fällt im Vergleich zu den anderen Zeitabschnitten sehr niedrig aus (s. auch Anhang 4–1191). Tab. 7: Verteilung der Berufsbezeichnungen auf die häufigsten 5 Tätigkeitsbereiche wPRF

eind. mPRF

Kaiserzeit

1. Hausfrau 2. Landwirtschaft 3. Handel 4. Bildung 5. Handwerk

1. Land-, Forstwirtschaft 2. Handel 3. Militär 4. Handwerk 5. Politik

Weimarer Republik

1. Landwirtschaft 2. Hausfrau 3. Arbeiterinnentum (unspezifisch) 4. Gastronomie/Hauswirtschaft 5. Handel

1. Handel 2. Handwerk 3. Land-, Forstwirtschaft 4. Militär/Polizei 5. Unternehmertum

NS-Zeit

1. Handwerk 2. Hausfrau 3. Gastronomie/Hauswirtschaft 4. Landwirtschaft 5. Pflege; Dienstleistung

1. Militär/Polizei 2. Land-, Forstwirtschaft 3. Handel 4. Handwerk 5. Politik

Nachkriegszeit

1. Gastronomie/Hauswirtschaft 2. Landwirtschaft; Handwerk; Dienstleistung 3. Hausfrau

1. Land-, Forstwirtschaft 2. Handwerk 3. Medizin 4. Politik; Militär/Polizei 5. Handel; Finanzwesen

Ära Adenauer

1. Dienstleistung: Verkäuferin 2. Hausfrau 3. Landwirtschaft 4. Handwerk 5. Bildung; Pflege

1. Handwerk 2. Handel 3. Land-, Forstwirtschaft 4. Militär/Polizei 5. Politik

|| ten Rang einnehmen, hingegen Bildung unter den männlichen Tätigkeitsbereichen in diesen Jahren nicht zu den Top 5 zählt, bedeutet also nicht automatisch, dass Lehrer und verwandte Bezeichnungen in absoluten Zahlen im Vergleich zu Lehrerinnen und Co seltener vorkommen müssten. 191 Der Anhang ist nicht Bestandteil der Druckfassung, sondern steht zum Download unter https://www.degruyter.com/view/product/491314 bereit. Da die Nachkriegsschulbücher vollständig erhoben wurden, sind die Auswertungsergebnisse für diese Jahre allerdings aussagekräftiger als im Fall der nur partiell erhobenen Schulbücher der ersten Hälfte der 1980er Jahre.

Wortorientierte Auswertung | 143

wPRF

eind. mPRF

1963–1972

1. Dienstleistung: Verkäuferin 2. Hausfrau 3. Landwirtschaft 4. Gastronomie/Hauswirtschaft 5. Arbeiterinnentum (unspezifisch)

1. Handel 2. Land-, Forstwirtschaft 3. Handwerk 4. Politik 5. Polizei

1973–1981

1. Hausfrau 2. Dienstleistung: Verkäuferin 3. Bildung 4. Verwaltung 5. Politik: Königin

1. Kunst 2. Bildung 3. Polizei 4. Verkehr 5. Land-, Forstwirtschaft; Politik

1982–1985

1. Gastronomie/Hauswirtschaft; Verwaltung

1. Landwirtschaft 2. Handwerk 3. Politik 4. Dienstleistung 5. Bauwesen; Technik; Verkehr

1986–1990

1. Bildung 2. Sport 3. Dienstleistung: Verkäuferin 4. Technik 5. Arbeiterinnentum (unspezifisch)

1. Land-, Forstwirtschaft 2. Bildung 3. Sport 4. Handel; Verwaltung 5. Medien

1991–1999:

1. Sport 2. Bildung 3. Dienstleistung: Verkäuferin 4. Verwaltung

1. Kunst 2. Militär/Polizei 3. Politik 4. Bildung 5. Verkehr

2000–2010

1. Sport 2. Bildung 3. Handel 4. Handwerk 5. Hausfrau; Kunst; Dienstleistung

1. Bildung 2. Handel 3. Land-, Forstwirtschaft 4. Handwerk 5. Sport; Medien

2011–2013

1. Bildung 2. Handwerk 3. Dienstleistung 4. Kunst; Sport; Politik

1. Sport 2. Bildung 3. Militär/Polizei 4. Handwerk 5. Politik

Vor allem Bäuerinnen und Mägde sind bis in die 1970er Jahre hinein, Hausfrau noch bis 1980 stabiler Kernbestand der weiblichen Berufswelt. Auf das Häusliche bezogene Dienste von Frauen (z. B. Alleinmädchen, Zugeherin, Dienstmäd-

144 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

chen) verschwinden in den 1970er Jahren sowohl aus den häufigsten Tätigkeitsbereichen als auch endgültig aus dem Korpus.192 Während der Handel treibende Mann (v. a. Kaufmann) bis vor wenigen Jahren noch prototypischer Vertreter eines berufstätigen Mannes war, tauchen Frauen in diesem Tätigkeitsbereich in NS-Ergänzungsheften bereits nicht oder kaum mehr auf und kommen Frauen erst in den 2000ern in Form von Berufsbezeichnungen wieder vor (z. B. als Marktfrau). Handelsware von Frauen sind in Vergangenheit und Gegenwart überwiegend Lebensmittel, in einigen Fällen auch Luxusartikel, wie Tee. Der Siegeszug des Dienstleistungssektors in der Schulbuchberufswelt zeichnet sich sowohl unter den weiblichen als auch männlichen Berufsbezeichnungen seit den NS-Jahren ab, schlägt aber nur unter den Frauenberufsbezeichnungen im Vergleich zu anderen Tätigkeitsbereichen anteilig stärker zu Buche. Die prototypische Vertreterin des Sektors ist die Angestellte im Verkauf (Verkäuferin), gegenwärtig vor allem die Verkäuferin von Kleidung, bis in die AdenauerJahre vor allem die Lebensmittelverkäuferin. Land- und Forstwirtschaft, Handel und Handwerk bilden neben Militär und Polizei über beinahe 100 Jahre (bis 1970) die wichtigsten Bereiche männlicher Berufstätigkeit.193 Land- und forstwirtschaftliche Tätigkeiten von Männern verlieren erst in den 1990er Jahren und den 2010ern an Verwendungsbreite; handwerkliche Tätigkeiten wiederum werden schon vorher, und zwar in den 1970er Jahren von neuen, vor allem künstlerischen und Erziehungs- und Bildungstätigkeiten verdrängt. Handwerker weisen eine vielfältige Tätigkeitsbreite auf: Es gibt Vertreter des Bau-, Textil-, Glas-/Kunst-, Lebensmittelhandwerks, wie zum Beispiel Schreiner, Spengler, Zimmermeister, Hutmacher und Schneider, Glaser oder Bäckerlehrlinge. Handwerkerinnen hingegen sind vor allem bis ausschließlich im leichten Handwerk und Kunsthandwerk verortet (z. B. Goldschmiedin). Neben den Berufsfeldern Kunst und Bildung hält auch der Berufssport im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts Einzug ins Schulbuch, unter männlichen wie weiblichen Berufsbezeichnungen. Betrachtet man vertieft, welche Tätigkeitsbereiche kaum oder gar nicht vertreten sind und verlängert man diese Perspektive über die genannten ersten fünf Tätigkeitsbereiche hinaus auf niedrigere Rangplätze, so fällt auf: Unterneh|| 192 Hausfrau wird nicht zur Subkategorie Hauswirtschaft gerechnet, da nicht nur hauswirtschaftliche, sondern auch erzieherische Aufgaben mit dem Beruf verbunden sind und die Tätigkeit keine Dienstleistung ausschließlich für andere darstellt. 193 Nimmt man die nicht eindeutig, aber sehr wahrscheinlich männlich referierenden Maskulina mit in die Auswertung und schlägt sie den männlichen Referenzen zu, dann reiht sich vor allem in den kaiserzeitlichen und Weimarer Schulbüchern der einfache Arbeiter in die Spitzengruppe ein.

Wortorientierte Auswertung | 145

merInnentum, das Finanz- und Bauwesen, das Verkehrswesen – vom Piloten bis zum Fuhrmann oder Lkw-Fahrer –, das Rechtswesen und Militär sowie die Polizei sind über den gesamten Untersuchungszeitraum zu beinahe 100% männlich besetzt. Amts-, Funktions- und im engeren Sinn Berufsbezeichnungen im Bereich Religion/Kirche, Politik (inklusive Herrschaftstitel) und auch Technik/Mechanik sowie Medien sind außerdem im direkten Geschlechtervergleich von männlichen Figuren klar dominiert, und dies zu jeder Zeit. Umgekehrt treten Männer zwar früh in medizinischen Berufen auf, aber kaum in pflegerischen und – mit Ausnahme des Lehrerberufs – überaus selten in erzieherischen Tätigkeitsbereichen. Hausmänner oder andere Berufsbezeichnungen aus dem Bereich Haus(-wirtschaft) finden sich keine im Korpus; in drei Schulbüchern taucht ein Hausherr auf, wobei der Kotext sowie die Wortwahl mit -herr (im Unterschied zu -mann) eher nahelegen, dass in dieser Bezeichnung das Haus weniger als Arbeitsbereich, sondern als Einflusssphäre des Mannes und dieser wiederum als Haus- und Familienvorstand entworfen wird (vgl. SFÜ-28, 19 und 60; SFÜ-32, 101; LS-B-86, 75). Den Berufsbezeichnungen mitgegebene Differenzierungen in Qualifikationsgrad und Hierarchieebene liegen quer zur bisherigen Kategorisierung in Tätigkeitsbereiche. Von Beginn der Untersuchung an befinden sich qualifizierende und hierarchisierende männliche Berufsbezeichnungen unter den PRF. So werden männliche Berufstätige durch Kompositionen auf -meister und -leiter als besonders qualifiziert sowie als Führungskräfte ausgewiesen. Seltener sind Einordnungen als (noch) niedrig Qualifizierte, wie im Beispiel Maurerlehrling. Einige männlich referierende Berufsbezeichnungen werden ausschließlich in Abhängigkeit von ihrem Qualifikationsgrad (Meister) oder ihrer Leitungsfunktion (Direktor) realisiert, der Kotext leistet dann die Einordnung in einen spezifischen Tätigkeitsbereich. Im Unterschied dazu finden sich keine morphologischexpliziten Qualifizierungen unter den weiblichen Berufsbezeichnungen. Auch Hierarchisierungen werden seltener durch Wortbildungsmittel geleistet als über lexikalische Differenzierungen (Bäuerin vs. Magd). Sekretärinnen sind gehäuft in den untersuchten Sprachbüchern der 1980er bis 2000er Jahre genannt und allesamt für männliche Vorgesetzte tätig. Frauen werden hier als Helferinnen von Männern im beruflichen Umfeld entworfen. Erstmals in den 1960er Jahren treten sie in Führungsrollen in Erscheinung, diese bleiben allerdings auf den Bereich Bildung und Erziehung beschränkt. Männliche Referenzen machen nicht nur die klare Mehrheit unter den Berufsbezeichnungen aus; männlich referierende Berufsbezeichnungen verteilen sich auch auf mehr unterschiedliche Tätigkeitsbereiche, streuen breiter über verschiedene Qualifikationsgrade (u. a. angelernt, Ausbildungsberuf, Studien-

146 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

abschluss, Weiterbildung) und Hierarchieebenen, wobei hohe Qualifikationen und Leitungsfunktionen von Beginn des Untersuchungszeitraums an vertreten sind. Sie messen außerdem Tätigkeitsbereiche, die sie sich mit den weiblichen Berufsbezeichnungen teilen, hinsichtlich weiterer Dimensionen aus (z. B. in Abhängigkeit von der Ware oder dem Wirkungskreis); im Bereich Handel meint das beispielsweise, dass nicht nur vom Kaufmann die Rede ist, sondern unter anderem auch vom Landkrämer, Eßwarenhändler und Schnittwarenhändler. Weiblich referierende Berufsbezeichnungen sind von Anfang an im Untersuchungskorpus vertreten; Postupa/Weth (2011) stellen dies in ihrer Rechenbuchstudie ebenfalls fest. Diese Berufsbezeichnungen fallen insgesamt undifferenzierter, schablonenhafter aus, weil es unter ihnen weniger unterschiedliche Ausdrücke als bei den männlich referierenden Berufsbezeichnungen gibt, die sich zu weniger Tätigkeitsbereichen gruppieren. Mit den 1970er Jahren kommt dann mehr Varianz in die Schulbücher, nicht nur in Bezug auf Tätigkeitsbereiche und die einzelnen Berufsbezeichnungen, sondern auch hinsichtlich Qualifikationsgrad und beruflicher Hierarchie. Selten durchkreuzen die auftauchenden Berufsbezeichnungen geschlechtstypische194 Zuordnungen; wenn, dann überwiegend in eine Richtung: Es ist heute von einer Rennfahrerin zu lesen und es gibt vor allem in den 1970er und 1980er Jahren Ansätze, Frauen in naturwissenschaftlich-technischen und in wenigen Fällen Männer in Pflege- und Erziehungsberufen zu zeigen. Hier ist allerdings ein fachspezifischer Unterschied festzustellen: Im Mathematikbuch werden sogenannte Frauenberufe von männlichen Figuren nicht ausgeübt. Tab. 8: Zusammenfassung der Auswertung zu den Berufsbezeichnungen Die berufstätige Frau (Wortebene)

Der berufstätige Mann (Wortebene)

Bis in die 1970er Jahre: Bis in die 1970er Jahre: – Subsistenzwirtschaft – Zentral: Subsistenzwirtschaft, Handel – (Leitende) Tätigkeiten in der Sphäre Haus (Lebensmittel, Textilien, Roh- und Baustof– Randständig: (Leichtes) Handwerk; Handel fe), Handwerk (v. a. schweres) (v. a. Direktvermarktung) – Militärische/polizeiliche Tätigkeiten

|| 194 Zwar kommen in den Schulbüchern keine Rennfahrer vor, doch sind die Bereiche Technik und Verkehr im Geschlechtervergleich traditionell männlich kodiert, was eine Einordnung des Belegs Rennfahrerin als geschlechtsatypisch zulässt (vgl. überdies zur Kategorisierung als Astereotyp Hertling 2012). Pflege- und Erziehungsberufe kommen insgesamt selten im Schulbuch vor; eine Einordnung als traditionell von Frauen dominiertes Berufsfeld erfolgt hier unter Einbezug von Weltwissen (vgl. aber auch Tschenett 2015).

Wortorientierte Auswertung | 147

Die berufstätige Frau (Wortebene)

Der berufstätige Mann (Wortebene)

– Überwiegend einfache Tätigkeiten

– Weniger zentral: Politik/Herrschaft; Unternehmertum – Randständig: Finanzwesen; Technik; Verkehr; Verwaltung – Tätigkeiten aller Qualifikationsstufen und Hierarchien

Ab den 1950er Jahren: – Diversifizierung in mehr Tätigkeitsbereiche – [+] nicht-leitende Verkaufstätigkeiten – [+] Erziehen und Unterrichten – [+] randständig: Pflege

Ab den 1950er Jahren: – Zunehmend weniger Abstand zwischen zentralen und randständigeren Tätigkeitsbereichen – Diversifizierte Spezifizierungen in Tätigkeitsbereichen

Ab den 1970er Jahren: – Tätigkeiten aller Qualifikationsstufen und Hierarchien – [+] Sportlerin als Beruf – [–] traditionelle Tätigkeitsbereiche Landwirtschaft und Hauswirtschaft – Konjunkturen: Technik (End-80er); Kunst und wieder (leichtes) Handwerk (ab 2000) – Frau als Unterstützerin des Mannes – Randständig: Handel; Hausfrau

Ab den 1970er Jahren: – Weiterhin Tätigkeiten aller Qualifikationsstufen und Hierarchien – [+] Künstler und Sportler als Berufe – [+] Bildung – Konjunkturen: Verkehr (1970er); Medien (End-80er und 2000er) – [+] randständig: Care-Tätigkeiten

Ab den 2000er Jahren: – Weitere Dienstleistungstätigkeiten – Rückkehr des Handwerks – Kurzzeitige Rückkehr des Handels

Ab den 2000er Jahren: – Kurzzeitige Rückkehr der Land- und Forstwirtschaft – Wieder zentraler: Handwerk

Bis in die 1970er Jahre: – Subsistenzwirtschaft – (Leitende) Tätigkeiten in der Sphäre Haus – Randständig: (Leichtes) Handwerk; Handel (v. a. Direktvermarktung) – Überwiegend einfache Tätigkeiten

Bis in die 1970er Jahre: – Zentral: Subsistenzwirtschaft, Handel (Lebensmittel, Textilien, Roh- und Baustoffe), Handwerk (v. a. schweres) – Militärische/polizeiliche Tätigkeiten – Weniger zentral: Politik/Herrschaft; Unternehmertum – Randständig: Finanzwesen; Technik; Verkehr; Verwaltung – Tätigkeiten aller Qualifikationsstufen und Hierarchien

148 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Verwandtschaftsbezeichnungen Auf den ersten Blick – ohne eine Normierung der Anteile vorzunehmen – sind Verwandtschaftsbezeichnungen im Unterschied zu den Berufsbezeichnungen ausgewogener auf die Geschlechter verteilt: Im direkten (!) Vergleich liegt der Anteil von mPRF an allen Verwandtschaftsbezeichnungen in der Regel höher als jener der wPRF. Frauen scheinen somit gerade nicht im Unterschied zu Männern in höherem Grad als Familienmenschen profiliert zu sein. Nur in der Weimarer Zeit und Ende der 1980er sowie in den 1990er Jahren ist eine Dominanz an weiblichen Referenzen unter den Verwandtschaftsbezeichnungen zu konstatieren. Da in den Schulbüchern allerdings zu beinahe jedem Untersuchungsabschnitt mehr mPRF vorkommen als wPRF (s. oben Abbildung 8 und 9), ist ein Gleichheitsverhältnis oder gar ein Mehrheitsverhältnis zugunsten der wPRF ein sehr auffälliger, weil nicht erwartbarer Befund. Diese im direkten Vergleich von wPRF- und mPRF-Anteilen an allen Verwandtschaftsbezeichnungen festgestellten weiblichen Dominanzen müssten auch in der Tabelle 6 zu den Appellativa (s. weiter oben) sichtbar sein. Die Auswertung dort beruht auf normierten Werten, wie eingangs in Kapitel 4.1.2a ausgeführt. Unter den Anteilen der weiblich referierenden Verwandtschaftsbezeichnungen an allen wPRF müssten die Werte in den genannten Jahren (Weimarer Jahre, Ende der 1980er, 1990er) deutlich höher ausfallen als der entsprechende Anteil an den mPRF – und sie tun es auch. Für die weiteren Zeitabschnitte ist zudem erst auf Grundlage normierter Anteile erkennbar, ob die im direkten Vergleich von wPRF und mPRF erkennbare männliche Dominanz unter den Verwandtschaftsbezeichnungen haltbar bleibt, wenn die grundsätzliche Dominanz an mPRF erst einmal herausgerechnet ist. Dann können Aussagen darüber getroffen werden, inwiefern eher Mädchen und Frauen oder eher Jungen und Männer im verwandtschaftlichen Gefüge verortet werden. Als erstes Ergebnis ist mit Blick auf die bereits weiter oben aufgeführte Tabelle 6 festzuhalten, dass Verwandtschaftsbezeichnungen bis 1960 einen verhältnismäßig großen Anteil der wPRF ausmachen: Sie stellen, die NS-Zeit ausgenommen, mit 21 bis 35% sogar die größte Gruppe im Vergleich zu den beiden Appellativa-Klassen Berufsbezeichnung und Gesellschaftsbezeichnung dar. Zweitens fällt der Anteil weiblicher Verwandtschaftsbezeichnungen an den wPRF eines jeweiligen Zeitabschnitts im Vergleich zu den Anteilen männlicher

Wortorientierte Auswertung | 149

Verwandtschaftsbezeichnungen an den mPRF lange Zeit stets195 deutlich höher aus, seit den 2000er Jahren dann sind die Anteile gleichauf. Im Vergleich der absoluten Zahlen von männlichen Verwandtschaftsbezeichnungen zu weiblichen werden Männer und Jungen in ihrer Familienrolle zwar mindestens ebenso explizit gemacht wie Frauen und Mädchen, wie oben in diesem Kapitel ausgeführt. Die Auswertung der standardisierten Anteile allerdings macht deutlich, dass Frauen und Mädchen bis in die 1960er Jahre überwiegend als Personen charakterisiert werden, die in verwandtschaftlichen Relationen stehen, Männer und Jungen hingegen traditionell zu einem geringen Grad (beinahe durchgängig unter 10% aller mPRF) als Familienwesen in Form einer Verwandtschaftsbezeichnung kategorisiert werden. Sowohl die Anteile weiblicher als auch männlicher Verwandtschaftsbezeichnungen an allen wPRF bzw. mPRF nehmen dabei im Lauf der Jahrzehnte ab. Die Klassifizierung von Personen nach verwandtschaftlichen Kategorien verliert an Relevanz in den Schulbüchern. Das bis um die Jahrtausendwende überproportionale Vorkommen von weiblich referierenden Verwandtschaftsbezeichnungen unter allen wPRF im Vergleich zu den männlichen betrifft zwar nicht das gesamte Spektrum an verwandtschaftlicher Relationiertheit, aber doch die quantitativ umfangreichste Gruppe sowie den qualitativen Kernbestand196 an Verwandtschaftsbezeichnungen, nämlich Mutter (im Vergleich zu Vater), Tochter (im Vergleich zu Sohn), Schwester (im Vergleich zu Bruder) und (Ehe-)Frau/Gattin (im Vergleich zu (Ehe-)Mann/Gatte).197 Besonders groß sind die Unterschiede in den Nachkriegsschulbüchern. Hier macht Mutter 17,8% aller wPRF aus, wohingegen der Anteil von Vater nur bei 2,5% aller mPRF liegt (s. Tabelle 9).198 Mutter-Vorkommen steigern ihren Anteil noch einmal in den Folgejahren auf den Höchstwert

|| 195 Die erste Hälfte der 1980er Jahre stellt hier eine Ausnahme dar. Da aber die Datenbasis für diese Jahre ohnehin sehr gering ausfällt, sollte diese Ausnahme nicht zu stark gewichtet werden. 196 Verwandtschaftsbezeichnungen, die unmittelbare Verwandtschaftsbeziehungen ausdrücken, wie die Beziehung zur Eltern- oder Kindgeneration oder zu den Geschwistern, werden als Kernbestand gewertet. 197 Tante und Onkel sowie Oma/Großmutter und Opa/Großvater folgen jeweils eigenen Verteilungen. 198 Mutter- und Vater-Vorkommen, die Bestandteil von komplexen koordinierten Phrasen sind, wurden bei dieser Auswertung standardmäßig nicht berücksichtigt. Doch auch wenn sie einbezogen werden und entsprechend die Berechnungsgrundlage um die Anzahl aller PRF, die Bestandteil solcher Phrasen sind, erhöht wird, variieren die Anteile an Mutter- bzw. VaterVorkommen eines Zeitschnitts nur minimal zu den Werten in der Tabelle 9.

150 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

von etwas über 20% an allen wPRF. Die erste Hälfte der 1980er Jahre wieder ausgenommen, werden weibliche Personen noch bis etwa 2000 deutlich häufiger nach ihrer Mutter-Rolle benannt als männliche Personen nach der VaterRolle. Unter den Vater-Vorkommen verschwindet im Übrigen in den 1960er Jahren der Familienvater aus den Schulbüchern, der Hausvater hält sich nur kurz in den NS-Jahren; Lexeme, die in entsprechender Weise den mütterlichen Vertretungsanspruch gegenüber der Familie ausdrücken würden (?Familienmutter, ? Hausmutter), existieren im Korpus nicht. Für die nach 2000 erschienenen Schulbücher des Korpus konnte im Unterschied zu Moser (2013, 130) kein Übergewicht an elterlichen Bezeichnungen für Frauen im Vergleich zu jenen für Männer festgestellt werden (s. weiterhin Tabelle 9). Tab. 9: Vorkommen von Mutter und Vater an allen wPRF bzw. eind. mPRF nach Zeitabschnitten

Mutter-Vorkommen an allen wPRF

Vater-Vorkommen an allen eind. mPRF

Kaiserzeit

11,8%

6,5%

Weimarer Republik

16,2%

3,3%

NS-Zeit

13,0%

2,4%

Nachkriegszeit

17,8%

2,5%

Ära Adenauer

20,1%

4,5%

1963–1972

13,0%

3,4%

1973–1981

5,0%

1,4%

1982–1985

2,5%

6,3%

1986–1990

3,0%

1,0%

1991–1999

4,1%

1,8%

2000–2010

2,3%

2,7%

2011–2013

0,8%

1,8%

Ehelichkeit verliert an Benennungsrelevanz über die Jahrzehnte. Das ist daran festzumachen, dass sich nach 1980 keine Ausdrücke in Bezug auf ein bestehendes (z. B. Gattin), zukünftiges (Braut) oder vergangenes (Witwe) eheliches Verhältnis finden. Zu Witwe und Braut befinden sich überdies keine männlich referierenden Kompleonyme im Korpus, die verschiedenen Status von Ehelichkeit werden somit ausschließlich im Sprechen über Frauen sprachlich relevant gesetzt.

Wortorientierte Auswertung | 151

Die Verwandtschaftsbezeichnungen weisen über das bisher Behandelte hinaus eine weitere Besonderheit auf: Einige Verwandtschaftsbezeichnungen nähern sich ab den 1950er Jahren der Gebrauchsweise von Eigennamen an. Die Onomastik nennt solche PRF entsprechend Verwandtschaftsnamen (vgl. z. B. Christen 1998). Andere Appellativa als die Verwandtschaftsbezeichnungen werden im Schulbuchkorpus nicht als Name gebraucht.199 Solche Verwendungsweisen finden sich sehr viel häufiger zusammen mit weiblicher Geschlechtsreferenz als mit männlicher (s. die Spalte rechts in Tabelle 6 weiter oben) und zudem am häufigsten bei Mutter, wenn dieser Ausdruck ohne Artikelwort steht. Beispiele hierfür sind Mutter sagt zu Karin […] (TM-B-03, 61) anstelle von Die Mutter sagt zu Karin […]. Die Verwandtschaftsbezeichnung Mutter ist hier wie ein Eigenname gebraucht. Mit jener terminologischen Differenzierungsmöglichkeit wird auch eine funktionale Verschiebung beschreibbar: Eine Person wird so eng in Bezug auf eine Gattungseigenschaft gedacht – bei der durch Mutter entworfenen Person ist das ihre familiäre Rolle –, dass diese namengebend werden kann und die personale Individualität, die besonders deutlich mit einem tatsächlichen Eigennamen versprachlicht wäre, im Hintergrund bleibt. Verwandtschaftsnamen stellen dabei gleichzeitig eine Intimisierung dar, weil Verwandtschaftsbezeichnungen in der Verwendung als Eigenname vornehmlich im privaten Sprachgebrauch anzusiedeln sind. Gesellschaftsbezeichnungen Auf die heterogene Gruppe der Gesellschaftsbezeichnungen soll ausgehend von einer Frequenzliste ein erster systematisierender Zugriff erfolgen. Bei dieser Auswertung wurden auch Gesellschaftsbezeichnungen berücksichtigt, die Bestandteil komplexer koordinierter Phrasen sind.200 Unter den ersten zwanzig Einträgen der Frequenzliste finden sich in Schulbüchern PRF konzentriert, die Personen entweder primär in Bezug auf ihr Mensch-Sein konzeptualisieren (Person, Mensch), oder PRF, die eine geschlechtliche oder altersbezogene Spezifizierung leisten, so bei Mann, Frau, Mädchen oder Junge sowie bei Herr und Frau als Teil einer Anrede. Als eine nächste Gruppe sind besonders prominent solche PRF vertreten, die Personen in ihrer

|| 199 Denkbar wäre dies auch bei Amtsbezeichnungen, wie Bürgermeister. 200 Gesellschaftsbezeichnungen machen neben Vornamen den größten Anteil an den PRF der komplexen koordinierten Phrasen im Schulbuch aus. Anders als bei den Berufs- und Verwandtschaftsbezeichnungen schlägt sich der Ausschluss dieser Ausdrücke auf die Verteilungsverhältnisse der häufigsten Gesellschaftsbezeichnungen nieder. Aus diesem Grund wurden sie hier in einem vergleichsweise aufwändigen Auswertungsverfahren einbezogen.

152 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

nicht-verwandtschaftlichen Relation zu anderen charakterisieren, vor allem Nachbar, Freundin, und ausschließlich in den NS-Jahren Volksgenosse. Darauf folgt die Gruppe der Tätigkeitsbeschreibungen (z. B. Spieler, Radfahrer), welche zusammen mit den Altersbezeichnungen die Ränge 15 bis 60 prägen. Letztere kommen in dieser Reihenfolge vor: Kind (unter den ersten fünf häufigsten PRF), Erwachsene, Jugendliche, X-Jährige, Kleine, und weiter abgeschlagen: Greis, jüngst*, ältest*, Säugling. Im Geschlechtervergleich fallen bei der Verteilung der Subklassen Geschlechtsbezeichnung, Altersbezeichnung, Relationsbezeichnung, Tätigkeitsbezeichnung allerdings Unterschiede auf:201 Die häufigsten zehn Gesellschaftsbezeichnungen für Frauen/Mädchen und Männer/Jungen führt die Tabelle 10 auf. Auswertungsgrundlage für die männlichen Gesellschaftsbezeichnungen sind die eindeutig männlich referierenden Ausdrücke.202 Schärer (2008, 173) kommt in ihrer Schulbuchstudie von schweizerischen Primarstufenbüchern der 1980er bis 2000er Jahre auf ähnliche Ausdrücke.203 Die Spalten fallen insgesamt erstaunlich komplementär aus. Frau (inklusive Anreden) und Mädchen dominieren die weiblich referierenden Gesellschaftsbezeichnungen (zusammen: 65,1%) und auch bei den Ausdrücken mit männlicher Referenz stellen Herr in Anreden, Mann und Junge die größten Anteile (zusammen: 52,4%). Auf die Charakterisierung von Personen nach ihrer Rolle als junge Lernende (Schülerin und Schüler) folgen in beiden Spalten als nächstgroße Gruppe Relationsbezeichnungen. Solche Bezeichnungen für nicht-verwandtschaftliche Relationen machen unter den männlich referierenden wie auch den weiblich referierenden Gesellschaftsbezeichnungen einen annähernd gleichen

|| 201 Schärer (2008, 149f.) kommt zu einer ähnlichen Subkategorisierung der Gesellschaftsbezeichnungen: „noms […] indiquant la nationalité […] [,] décrivant la relation entre les personnes […] [,] précisant le sexe […] [,] constituant des termes affectifs […] [,] désignant l’âge des personnes […] [,] se référant au caractère des personnes désignées […] [,] établissant une autre catégorisation de personnes“, also in Nationalitätenbezeichnungen, Relationsbezeichnungen, Geschlechtsbezeichnungen, Kosenamen/Liebesanreden, Altersbezeichnungen, Charakterbezeichnungen und Sonstiges. 202 Selbst unter Einbezug der geschlechtsreferentiell uneindeutigen PRF unterscheidet sich die Reihenfolge der Belege nur leicht; Bub tritt zudem seinen Platz unter den häufigsten 10 an Fahrer ab. Auf den mittleren und unteren Rängen dagegen bestehen größere Unterschiede. 203 Nachbarin und Nachbar stehen bei Schärer dagegen jeweils auf Rang 13 und geschlechtsneutrale Formen mit kotextuell geschlechtsspezifizierend weiblicher oder männlicher Referenz befinden sich bei Schärer (2008, 173) unter den ersten 10 (darunter: Kind unter den wPRF und Gast unter den mPRF). Der zweite Unterschied mag mit der unterschiedlichen Zielgruppe der untersuchten Schulbücher zusammenhängen (bei Schärer: PrimarstufenschülerInnen; hier: SiebtklassschülerInnen).

Wortorientierte Auswertung | 153

Anteil aus, mit einer tendenziellen Dominanz an Bezeichnungen für Frauen und Mädchen. Tab. 10: Zehn häufigste weiblich und eind. männlich referierende Gesellschaftsbezeichnungen Rang Beleg

Anteil an weibl. Gesellschaftsbez.

Rang

Beleg

Anteil an männl. Gesellschaftsbez.

1.

Frau (Anrede)

36,1%

1.

Herr (Anrede)

35,8%

2.

Mädchen

16,9%

2.

Junge

8,6%

3.

Frau

12,1%

3.

Mann

8,0%

4.

Schülerin

10,5%

4.

Schüler

7,4%

5.

Freundin

5,5%

5.

Freund

5,5%

6.

Nachbarin

3,7%

6.

Knabe

3,2%

7.

Partnerin

1,5%

7.

Nachbar

3,1%

8.

Dame / Fräulein (Anrede)

1,1%

8.

Herr

1,5%

9.

Kandidatin

0,8%

9.

Spieler

1,4%

10.

Spielerin

0,5%

10.

Bub

1,3%

So gleichmäßig ist das Feld der Gesellschaftsbezeichnungen nicht immer strukturiert. Geschlechtstypisierende Verteilungsregelmäßigkeiten finden sich beispielsweise in den NS-Jahren: Jungmädel macht in diesem Zeitabschnitt einen Anteil von 8% und unter Einbezug von Wortbildungen mit Jungmädel sogar einen Anteil von 33% an allen weiblich referierenden Gesellschaftsbezeichnungen aus.204 Dabei ist kein vergleichbar hohes Vorkommen des NS-Kompleonyms Jungmannen zu Jungmädel oder vergleichbaren NS-Bildungen an den männlich referierenden Gesellschaftsbezeichnungen festzustellen. Geschlechts- und altersspezifizierende Gruppenbezeichnungen für Mädchen, wie Jungmädelgruppe, sind dabei auf NS-Schulbücher und -Ergänzungshefte konzentriert; sie streuen allerdings nicht über das gesamte Buch, sondern kommen jeweils in einer oder mehreren aufeinanderfolgenden Teilaufgaben vor. Die meisten Bezeichnungen der NS-Jahre leisten (auch) eine Alterskategorisierung der bezeichneten Person. Es handelt sich beinahe nur um Bezeichnun-

|| 204 Dieser verhältnismäßig hohe Anteil in den NS-Jahren ist dafür verantwortlich, dass Jungmädel in der Gesamtschau Platz 12 mit 0,3% an allen weiblich referierenden Gesellschaftsbezeichnungen einnimmt.

154 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

gen für junge Menschen; zudem stellen sie mehrheitlich NS-Neubildungen dar, welche die traditionellen Bezeichnungen für junge Frauen und Männer, wie Mädchen und Knabe/Junge/Bub, zwischenzeitlich verdrängen. Die Orientierung auf die Altersgruppe der SchülerInnen ist in dieser Hinsicht in den NS-Jahren ausgeprägt. Sowohl die Schülerinnen als auch die Schüler werden dabei weniger als Einzelpersonen denn als Teil einer kollektiven Bewegung gesehen. Über diese Befunde hinaus finden sich unter den männlichen Gesellschaftsbezeichnungen dieser Jahre zahlreiche Bezeichnungen, die Männer als Betroffene konzeptualisieren, dies in Bezug auf Krieg und Verletzung: Verwundete, Gefallene, Gefangene. Diese Bezeichnungen referieren dem Kotext nach geschlechtsspezifizierend, Kriegsleid und Kriegsfolgen werden in dieser Unmittelbarkeit und personalen Betroffenheit nur im Zusammenhang mit Männlichkeit dargestellt. Während in den NS-Jahren Patiens-Bezeichnungen für Männer/Jungen hervorstechen, so gibt es zu allen Zeiten auch das andere Extrem: Im deutlichen Unterschied von weiblichen und männlichen Gesellschaftsbezeichnungen machen Tätigkeitsbezeichnungen unter den männlichen Gesellschaftsbezeichnungen eine größere Gruppe aus – neben dem Beispiel Spieler205 aus den Top 10 ist hier auf Platz 11 Fahrer zu nennen, wobei letzterer auf Rang 9 vorrutscht, wenn Komposita auf -fahrer (Radfahrer, Autofahrer u. Ä.) hinzugerechnet werden. Darin deutet sich an, was weitere Auswertungen bestätigen, nämlich dass Bezeichnungen von Tätigkeiten unter den männlichen Gesellschaftsbezeichnungen insgesamt einen hohen Stellenwert einnehmen. Ein weiterer quantitativer Unterschied ist bemerkenswert. Zwar rangieren die zentralen Geschlechtsbezeichnungen Frau und Mann etc. unter den Top 10 gleich weit oben. Doch ergibt sich eine Ungleichverteilung an Vorkommen von Geschlechtsbezeichnungen unter den Geschlechtern: Der Anteil aller weiblich referierenden Geschlechtsbezeichnungen liegt bei drei Viertel der weiblichen Gesellschaftsbezeichnungen, der Anteil an Geschlechtsbezeichnungen mit männlicher Referenz hingegen unter zwei Dritteln an allen männlichen Gesellschaftsbezeichnungen.206 Fräulein befindet sich unter den Geschlechtsbezeichnungen nur für einen kurzen Zeitabschnitt in den untersuchten Schulbüchern: Es taucht erstmals in den 1950er Jahren auf und das in einer nachher nicht wie-

|| 205 Das häufige Vorkommen von Spieler wie auch Spielerin erklärt sich im Übrigen einerseits dadurch, dass in Rechen-/Mathematikbüchern Rechenspiele vorkommen, und andererseits dadurch, dass in Schulbüchern beider Fächer, Deutsch und Mathematik, gerne freizeitsportliche Aktivitäten als Rahmenthemen gewählt werden. 206 Komposita mit Geschlechtsbezeichnungen als Determinatum, wie Landfrau oder Edelmann, sind hier nun eingeschlossen.

Wortorientierte Auswertung | 155

der erreichten Häufigkeit. Anfang der 1990er Jahre hat sich das Fräulein endgültig verabschiedet. Die zu den Geschlechtsbezeichnungen nächstgrößeren Gruppen (Relationsbezeichnungen, Eigenschaftsbezeichnungen, Altersbezeichnungen, Tätigkeitsbezeichnungen) sind wieder gleichmäßiger unter den Geschlechtern vertreten, allerdings mit einem sehr viel höheren Anteil an Tätigkeitsbezeichnungen unter den männlichen Gesellschaftsbezeichnungen. Wie schon die Berufsbezeichnungen, so sind auch die männlich referierenden Gesellschaftsbezeichnungen vielgestaltiger als jene für weibliche Personen. Die niedrigeren Prozentzahlen aufseiten der männlich referierenden PRF im Vergleich zu den weiblich referierenden Kompleonymen sind hierfür Ausdruck: Junge macht beispielsweise 8,6% an allen männlich referierenden Gesellschaftsbezeichnungen aus, Mädchen beinahe doppelt so viel (s. weiterhin Tabelle 10). Selbst wenn man die relativen Vorkommen an Geschlechtsbezeichnungen für junge männliche Personen (Junge, Knabe, Bub) addiert, liegt ihr Anteil an allen männlich referierenden Gesellschaftsbezeichnungen niedriger als jener von Mädchen an allen weiblich referierenden Gesellschaftsbezeichnungen. In den 1920er Jahren differenzieren sich die Gesellschaftsbezeichnungen für männliche Personen mehr und mehr aus. Der Anteil an Bezeichnungen, die der Person eine Eigenschaft zuweisen (z. B. Erwerbslose) oder sie in der PatiensRolle zeigen (Verunglückte), nimmt zu. Auch jene Bezeichnungen, die primär eine altersbezogene Einordnung vornehmen (Greis, Jüngling), sind prominent vertreten. Die weiblich referierenden Gesellschaftsbezeichnungen machen diese Diversifizierung nicht in dieser Form mit. Auffällig ist in den Weimarer Jahren lediglich, dass Schülerin auf die oberen zehn Ränge rückt und Mädchen einen höheren Rang einnimmt, somit das Erwachsenen-Übergewicht der kaiserzeitlichen Bücher etwas ausgeglichen wird. Unter den männlichen Gesellschaftsbezeichnungen verweisen in den Nachkriegsbüchern zunehmend Tätigkeitsbezeichnungen die Eigenschaftsbezeichnungen auf niedrigere Ränge und arbeiten sich Geschlechtsbezeichnungen für junge Männer beinahe nach ganz oben, vor allem Junge. Die meisten der männlichen Tätigkeitsbezeichnungen der 1950er bis 1970er Jahre stammen aus dem Bereich Fortbewegung und Unterwegssein (z. B. Fahrer, Weltreisender). Werden die uneindeutig männlich referierenden Maskulina zu den eindeutig männlich referierenden Ausdrücken addiert, fällt eine andere Bezeichnungsgruppe als besonders dominant auf und zwar sind dies Gesellschaftsbezeichnungen, welche Männer als Besitzende charakterisieren: Besitzer, Haus-, Hof-, Waldbesitzer, Eigentümer, Hauseigentümer. Besitzer schafft es zwischen 1950 und 1975 sogar

156 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

unter die oberen zehn. Vergleichbare Belege mit weiblicher Geschlechtsreferenz finden sich ausnahmslos keine. Bis in die 1980er bleibt der Bestand an weiblichen Gesellschaftsbezeichnungen recht stabil, die Geschlechts- und mit einigem Abstand dann Relationsbezeichnungen, wie Freundin, geben den Ton an. Die höflich-vornehmeren Geschlechtsbezeichnungen Dame und Herr (nicht als Teil von Anreden) verlieren in den 1960ern gleichermaßen an Prominenz. Die weibliche Person als Kundin sticht von 1945 bis Anfang der 1960er Jahre kurz hervor. Ende der 1980er Jahre erweitert sich dann das Spektrum an Gesellschaftsbezeichnungen für Frauen und Mädchen merklich. Weibliche Personen werden beispielsweise als sportlich aktiv gezeigt. Sport und Mobilität sind auch im Folgejahrzehnt vor allem jene neuen Bereiche, in denen weibliche Personen seither vertreten sind, sei es als Fußballfan, Elfmeterschützin oder Autofahrerin. b) Auswertung der Namen Entwicklung der Namentypen Eigennamen sind ein relevanter Untersuchungsgegenstand zur Beantwortung der Frage nach sprachlich vermittelten Geschlechterkonzepten, weil sie Personen als Individuen konzeptualisieren: Eigennamen referieren auf Personen als einmalig existierende Individuen, wohingegen Appellativa Personen in Bezug auf ihre Zugehörigkeit zu einer Klasse als Gattungswesen klassifizieren und unmittelbar charakterisieren. Namenkürzel leisten eine Individualisierung allerdings in sehr viel geringerem Maß als es Vornamen tun.207 Daher sind die verschiedenen Namentypen auch gesondert zu untersuchen. Unter den Eigennamen wird im Folgenden unterschieden in Vornamen (in den Tabellen und Abbildungen abgekürzt mit: VN), Nachnamen (NN) und Namenkürzel (NK). Eine Untergruppe stellen Appellativa in der Funktion als Eigennamen dar, auf die bereits im Abschnitt zu den Verwandtschaftsbezeichnungen eingegangen wurde, nämlich die Verwandtschaftsnamen.208 Namen berühmter Personen (z. B. Grimm, Maria Montessori) werden in dieser Auswertung nicht berücksich-

|| 207 S. hierzu auch unter Eigennamen in Kap. 3.3.2c die FN 154. 208 Die Verwandtschaftsnamen nehmen auch deswegen eine Sonderrolle ein, weil sie gerade im Unterschied zu den regulären Namen Personen weniger als Individuen denn als VertreterInnen einer sozialen Rolle klassifizieren.

Wortorientierte Auswertung | 157

tigt; ihnen ist am Ende des Gliederungspunkts 4.1.2b ein eigenes Kapitel gewidmet.209 Namenkürzel, wie zum Beispiel A will ein Haus kaufen (BVR-57, 34; Hervorh. CO) oder C fragt den D (BW-99, 149; Hervorh. CO), die vor allem in kaiserzeitlichen Schulbüchern besonders häufig anzutreffen sind, verschwinden bis Ende der 1960er Jahre aus dem Korpus, nachdem sie in den Nachkriegsschulbüchern eine letzte Hochphase erleben (s. die gestrichelte Linie in Abbildung 11, s. außerdem die gepunktete Linie in Abbildung 8 des Kap. 4.1.1). Wenn Figuren namentlich benannt sind, werden diachron zunehmend individuellere Formen gewählt, wie ausgeschriebene Vor- und Nachnamen.

Abb. 11: Anteile der Namen relativ zu allen PRF eines Zeitabschnitts

Über den Untersuchungszeitraum hinweg steigt der Anteil der Vornamen (durchgezogene dunkle Linie, s. Abbildung 11) an allen PRF (100% auf der yAchse) beinahe kontinuierlich an. Bis 1970 verläuft die Entwicklung der Nachnamen (durchgezogene helle Linie) parallel hierzu, dann allerdings bricht ihr Anteil nachhaltig ein.210 An zentralen Befunden lässt sich festhalten: Mensch-Sein wird über die Jahrzehnte hinweg individualisiert und zunehmend nähesprachlicher ausge-

|| 209 Namen, die Bestandteil von komplexen koordinierten Phrasen sind, wurden bei dieser Auswertung ebenfalls standardmäßig nicht berücksichtigt. Doch auch wenn sie einbezogen werden und entsprechend die Berechnungsgrundlage um die Anzahl aller PRF, die Bestandteil solcher Phrasen sind, erhöht wird, verändern sich die Anteile in den Zeitabschnitten aus Abbildung 11 nur leicht. 210 Die Ausschläge in den Anfang der 1980er Jahre erschienenen Schulbüchern sind relativiert zu betrachten, da die Datengrundlage hier vergleichsweise gering ausfällt.

158 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

staltet – nähesprachlicher, weil Vornamen als Mittel der Intimisierung gelten und in nähesprachlichen Situationen Verwendung finden (vgl. z. B. Fetzer 1997, 7). Tab. 11: Vorkommen von wVN und mVN an allen wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) wVN an allen wPRF

mVN an allen mPRF (nur eind.)

mVN an allen mPRF (inkl. uneind.)

Kaiserzeit

4,0%

4,4%

1,6%

Weimarer Republik

10,9%

4,0%

2,5%

NS-Zeit

1,1%

2,7%

2,0%

Nachkriegszeit

5,0%

4,9%

3,1%

Ära Adenauer

7,7%

12,3%

8,3%

1963–1972

14,9%

10,6%

8,3%

1973–1981

25,5%

14,8%

12,3%

1982–1985

26,3%

21,8%

17,4%

1986–1990

27,3%

25,1%

21,9%

1991–1999

34,6%

29,7%

27,1%

2000–2010

40,8%

33,7%

31,8%

2011–2013

33,2%

25,3%

24,1%

Wie verteilen sich die Anteile der Namentypen nun auf die Geschlechter? Sind Individualisierungsgrad und Intimisierungstendenzen geschlechtstypisierend verteilt? Von besonderem Interesse sind hierbei die Vornamen. Um Verzerrungen bei der Datenauswertung aufgrund nicht standardisierter Verteilungsverhältnisse zu vermeiden (s. weiterhin grundlegend Kap. 3.3.3), ist auch hier eine Normierung der Anteile vorzunehmen: Die Anteile der Vornamen mit konventionell211 oder kotextuell212 weiblicher Geschlechtsreferenz (kurz: wVN) und die Anteile der Vornamen mit konventionell oder kotextuell männlicher Geschlechtsreferenz (kurz: mVN) werden für jeden Zeitabschnitt in Relation zum || 211 Im Folgenden kommt der Zusatz konventionell oder konventionalisiert fakultativ zum Einsatz und finden sich Formulierungen wie Frauen-/Mädchennamen anstelle von weiblich referierenden Vornamen, ohne also stets gesondert das Konstruktionspotential der sprachlichen Ausdrücke herauszustellen. 212 Unisex-Namen sind im konkreten Äußerungszusammenhang häufig doch als geschlechtsspezifizierend weibliche oder männliche Referenz interpretierbar und entsprechend in der Auswertung der wVN und mVN zu berücksichtigen (s. auch Kap. 4.1.4).

Wortorientierte Auswertung | 159

Anteil aller wPRF bzw. mPRF gesetzt. Das Ergebnis dieser Auswertung ist in der Tabelle 11 dargestellt. In der Weimarer Zeit und ab den 1960er Jahren werden wPRF häufiger als mPRF in Form eines Vornamens realisiert. Bezieht man zudem die uneindeutig, aber sehr wahrscheinlich männlich referierenden PRF in die Auswertung mit ein, so fällt zum einen der Vornamenanteil an den wPRF auch in den Kaiserund Nachkriegsjahren höher aus als jener unter den mPRF. Es vergrößert sich zum anderen die Differenz zwischen den Vornamenanteilen an den mPRF und wPRF in jedem Zeitabschnitt. Der Anteil an Vornamen liegt bei den wPRF in der Weimarer Zeit dann beispielsweise dreimal höher. In den NS- und den 1950er Jahren machen hingegen für weibliche Personen gebrauchte Nachnamen eine leichte Mehrheit unter den verschiedenen Namentypen aus, stets gemessen an der Gesamtheit aller wPRF. In diesen Jahren werden weibliche Personen durch die Wahl des Namentyps Nachname tendenziell distanzsprachlicher als nähesprachlich benannt. Die männlich referierenden Namen steigern über die Jahrzehnte ihren Grad an Individualität. Historische Rechenbücher wählen für die namentliche Bezeichnung männlicher Personen bevorzugt Namenkürzel, in der Regel bestehend aus einem einzelnen Großbuchstaben. Die gestrichelte Entwicklungslinie in Abbildung 11 (s. oben) beschreibt beinahe zu 100% die Entwicklung des Anteils männlich referierender Namenkürzel, denn unter den namentlich benannten weiblichen Figuren machen die Kürzel einen verschwindend geringen Anteil aus. An die Stelle der Namenkürzel rücken unter den mPRF zunehmend Nachnamen, die in den Weimarer Jahren häufig alleine stehen und bis 1960 dann beinahe stets mit einem geschlechtsspezifizierenden Ausdruck (z. B. Herr) oder einer die Person näher charakterisierenden Berufsbezeichnung appositioniert sind; ab den 1970er Jahren werden sie von Vornamen abgelöst. Bei der Lektüre der Schulbücher wird deutlich, dass Figuren, die mit Nachnamen benannt sind, Erwachsene verkörpern, wohingegen Vornamen fast ausschließlich für Kinder und Jugendliche verwendet werden.213 Meist leistet entweder die Prädikation diese altersspezifische Distinktion oder der Nachname steht zusammen mit einer Berufsbezeichnung als Apposition. Der Namentyp Nachname ist somit nicht nur mit distanzsprachlichem Sprechen verbunden, sondern seine Wahl ist darüber hinaus distributionell auf Kotexte festgelegt, welche die bezeichnete Person als erwachsen erscheinen lassen. Nachnamen

|| 213 Erst in neuen Schulbüchern werden Personen, die dem Kotext nach über ein regelmäßiges Einkommen verfügen oder Eltern von Kindern sind, bisweilen mit Vornamen benannt (vgl. z. B. ML-B-12).

160 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

kommen dabei bis circa 1980 sehr viel häufiger mit männlicher Geschlechtsreferenz vor, gemessen an allen mPRF, als mit weiblicher Geschlechtsreferenz, gemessen an allen wPRF. In diesem Sinn wird Männlichkeit im Bereich der Namen zum einen eher mit Adultheit zusammengedacht als Weiblichkeit und zum anderen weniger intim gezeichnet. Neben der Verteilung ist auch die Struktur von Namen für die Leitfrage nach sprachlich vermittelten Geschlechterkonzepten von Bedeutung. Neuere Untersuchungen im Bereich der Genderonomastik (Oelkers 2003; Nübling 2009; 2012b) haben festgestellt, dass für weibliche Personen gebräuchliche Vornamen und jene für männliche Personen in der Vergangenheit größere Unterschiede auf prosodisch-phonologischer Ebene aufwiesen. Die von Oelkers (2003) und Nübling (2009) ermittelten Musterhaftigkeiten bei wVN und mVN sind nicht nur im statistischen Sinne überzufällig, sondern angesichts der kulturübergreifenden Übereinstimmungen bei Bewertungen von Sprachlauten auch geschlechtstypisch: Gegenüber Männernamen sind die Lautstrukturen von Frauennamen im Durchschnitt klangvoller, weicher und angenehmer, aber auch auffallender. (Oelkers 2004, 145; Hervorh. i. O.)

Diese „geschlechtstypisch[en]“ Unterschiede allerdings unterliegen neuerdings starken Veränderungen in Richtung einer Androgynisierung der Namen, d. h., wVN und mVN nähern sich auf prosodisch-phonologischer Ebene zunehmend an. Inwiefern solche Tendenzen auch in den Schulbüchern zu finden sind, soll die eingehende Analyse der Vornamen zeigen. Detailanalyse der Vornamen Das Deutsche verfügt über ein sich stetig veränderndes Inventar an Vornamen, die für weibliche oder für männliche Personen verwendet werden. Nübling nimmt für Vornamen ein konventionalisiertes geschlechtsspezifisches Sem an (vgl. Nübling 2012a, 226, Anm. 5; s. Kap. 3.3.2c unter Eigennamen), was erklären würde, dass SprecherInnen erwarten, bei der/dem NamenträgerIn Petra handele es sich um eine – durchaus: körperlich-biologisch – als ‚weiblich‘ kategorisierbare Person. Vornamen „kommunizieren die Geschlechtszugehörigkeit von Menschen“ (Oelkers 2004, 133), sie sind Träger und zugleich Konstrukteure einer Geschlechtsspezifizierung. Lassen sich nun unter den wVN im Vergleich zu den mVN sowie umgekehrt geschlechtstypische bzw., konstruktivistisch perspektiviert, geschlechtstypisierende Strukturen feststellen? Diese Frage wird einerseits auf die Diversität der Vornamen gerichtet und vornehmlich operationalisiert in die etymologische Herkunft der Namen und ihren Variantenreichtum sowie in die Verteilung von

Wortorientierte Auswertung | 161

Diminutivnamen auf die Geschlechtsreferenzen. Die Herkunftssprache der Namen wurde mithilfe des Duden-Vornamenlexikons bestimmt (Kohlheim/Kohlheim 2007). In Anlehnung an Nübling sollen die Vornamen des Schulbuchkorpus andererseits daraufhin untersucht werden, ob […] [prosodisch-phonologische; Erg. CO] Strukturen, die bislang dominant nur für das eine Geschlecht galten, zunehmend auch für das andere Geschlecht gewählt werden oder […] geschlechtspräferente Strukturen nivelliert oder gar abgebaut werden. (Nübling 2009, 68)

Nübling spricht in all diesen Fällen von Androgynisierung. Ich verwende hingegen für die Adaption von ehemals geschlechtspräferenten Strukturen sowie für deren Nivellierungen undoing gender als Oberbegriff und spreche nur in erstem Fall von Androgynisierung, also dann, wenn ein Name vormals geschlechtstypisierend weibliche oder männliche Strukturen adaptiert.214 Bei der Detailanalyse der Vornamen werden auch jene einbezogen, die Bestandteil komplexer koordinierter Phrasen sind.215 Diversität der Vornamen Zunächst wird unter diesem Gliederungspunkt die etymologische Zusammensetzung der wVN und mVN betrachtet. Germanische Namen werden eng mit nationalem Traditionsbewusstsein und/oder -streben in Verbindung gebracht (vgl. Wolffsohn/Brechenmacher 1999). In den Schulbüchern ist dieses Traditionsbewusstsein besonders eng mit Männlichkeit verbunden. Der Anteil germanischer Namen liegt unter den mVN höher als derjenige bei den wVN und ist zudem unter den mVN so hoch wie bei keiner anderen Herkunftssprache (Beispiele: Karl und Dieter). Wenn auch anteilig an allen Frauen-/Mädchennamen seltener, so weisen ebenfalls zahlreiche wVN eine Herkunft aus dem Germani-

|| 214 Androgyn kommt von griechisch anḗr (Genitiv: andrós) für ‚Mann‘ und gynḗ für ‚Frau‘ und wird gegenwärtig verwendet als „männliche u. weibliche Merkmale aufweisend, in sich vereinigend“ (Duden Universalwörterbuch 2015, 142 s. v. androgyn). In Anlehnung daran verstehe ich unter Androgynisierung den Prozess, Indikatoren für Männlichkeit und Weiblichkeit zu kombinieren (s. hierzu noch ausführlich Kap. 6.1.1d). 215 Der Ausschluss von Vornamen aus der Detailanalyse, die Bestandteil einer komplexen koordinierten Phrase sind, schlägt sich merklich auf die Auswertungsergebnisse nieder. Ohne die Vornamen aus den komplexen koordinierten Phrasen sind zudem nicht alle vorkommenden Vornamen der Schulbücher erfasst. Daher wurden sie in den folgenden Auswertungen unter diesem Gliederungspunkt einbezogen.

162 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

schen auf (bspw. Dagmar216 oder Berta als Kurzform zu z. B. Berthild). Fremdsprachen machen unter ihnen hingegen früher einen großen Einfluss geltend. Das Französische und Italienische/Lateinische sind hier vor allem zu nennen. Einige der wVN stammen auch aus dem Lateinischen, Griechischen und Hebräischen, zum Beispiel Klara, Sophie, Ruth. Unter den Vornamen für Männer/Jungen stellen diese Herkunftssprachen einen deutlich geringeren Anteil (Beispiele: Anton, Philipp, Michael). Insgesamt differenzieren sich seit Mitte der 1980er Jahre sowohl die mVN als auch die wVN hinsichtlich ihrer Etymologie aus. Vornamen aus dem Arabischen und Türkischen kommen seither vor, beispielsweise als Fatima, Senay und Ali, Hakan. Und auch aus dem Slawischen (Olga, Bronislaw) sowie Englischen (Shan(n)on, Sue, John) stammende Namen befinden sich dann im Korpus. Sowohl aufseiten der wVN als auch aufseiten der mVN nehmen außerdem (etymologische) Variationen eines Namens (z. B. Anna, Anne, Annette, Annika und Christof, Christopher, Chris) wie auch Schreibvarianten desselben Namens im Lauf der Zeit zu (z. B. Catharina/Katharina, Katrin/Kathrin, Silke/Sylke, Kai/ Kay, Marcus/Markus). Überdies ändert sich die Verteilung unter den meist vorkommenden Vornamen von der Kaiserzeit bis zur Gegenwart: Während zu Beginn des Untersuchungszeitraum ein Frauen-/Mädchenname noch bis zu einem Drittel aller vorkommenden wVN ausmacht und ein Männer-/Jungenname sogar bis zu zwei Fünftel aller mVN, liegt der Anteil des häufigsten wVN oder mVN gegenwärtig unter einem Zehntel an allen wVN bzw. mVN des Zeitabschnitts (zu den konkreten Vornamen s. noch weiter unten Tabelle 15 und 16). Der Grad an Prototypikalität fällt bei den wVN sogar stets schwächer aus. Die mVN erweisen sich in der Gesamtschau als traditioneller: Weniger unterschiedliche Namen teilen sich im Vergleich der Zeitabschnitte zueinander bis 1990 die oberen Ränge, d. h., es kommen über mehrere Zeitabschnitte hinweg häufiger die gleichen mVN vor als die gleichen wVN – vor allem Hans, Fritz, Karl, Peter. Dieser Befund hat auch dann Bestand, wenn die Anteile normiert werden. Man könnte die Teilergebnisse folgendermaßen zusammenfassen: Bei den Frauen-/Mädchennamen wird früher mehr Vielfalt – u. a. hinsichtlich der Variationen eines Namens sowie der Verwendungshäufigkeit eines Namens – geübt, bei den Männer-/Jungennamen hingegen länger auf Prototypen der Namenkategorie gesetzt. Der Geltungsbereich dieses Befunds ist nicht auf die Schulbücher beschränkt, wie ein Abgleich mit Oelkers (2003; 2004) ergibt. Denn || 216 Dagmar stammt laut Duden-Vornamenlexikon ursprünglich aus dem Alttschechischen, wurde aber im Hochmittelalter als altsächsisch für dag ‚Tag‘ + mari ‚mächtig‘ aufgefasst.

Wortorientierte Auswertung | 163

Namenstatistiken ist beispielsweise zu entnehmen, dass die beliebtesten Mädchennamen eines Jahres geringere Vergabezahlen erreichen als die beliebtesten Jungennamen. Gegenüber den Jungen teilen sich bei den Mädchen folglich weniger Trägerinnen den gleichen Namen. (Oelkers 2004, 141)

Ebenso ist es im Deutschen – wie auch in weiteren europäischen und amerikanischen Ländern – verbreitet, dass Eltern für Jungen ein sehr viel kleineres und auch (familien-)traditionelleres Nameninventar nutzen. Bei der Benennung von Mädchen wird sich eines größeren Inventars bedient und werden insofern individuellere Namen vergeben (vgl. Oelkers 2004, 141). Die Benennungspraxis jener Personen, die an Schulbüchern mitschreiben, folgt ebenfalls diesen Strukturen, Konventionen der Vornamenvergabe werden somit fortgeschrieben. Einen dritten Auswertungsaspekt unter diesem Gliederungspunkt stellt die Verteilung von Verkleinerungsformen unter den Vornamen dar. Diminutivbildungen bei Vornamen sind, semantisch gesehen, Verkleinerungen der Vollform, die bei PRF als Verzärtlichungen beschrieben werden (vgl. Bußmann 2008, 136 s. v. Diminutivum und 272 s. v. Hypokoristikum). Wird eine Person anstelle des Vollnamens mit einer Diminutivbildung bezeichnet, so stellt dies eine nähesprachliche Intimisierung dar, deren Verteilung auf die Geschlechter im Folgenden untersucht werden soll. Berücksichtigt werden in der Auswertung der Verkleinerungsformen nur Diminutionen, die als Wortbildungsmuster im Deutschen transparent sind. Daher geht beispielsweise Anke als niederdeutsche Diminution zu Anna nicht in die Analyse ein.217 In der Konzentration auf Diminutionen bleiben weitere Koseform-Typen außen vor, wie Kontraktionen (z. B. Berthild > Berta), da diese hinsichtlich ihrer Semantik keine Verniedlichung, sondern eine semantisch nicht näher zu klassifizierende Form der Informalisierung darstellen.218 Als transparente Diminutivbildungen können im Korpus ausschließlich Vornamen mit den Suffixen -i, -chen, -lein, -(e)l ausgemacht werden, beispielsweise Gabi, Hänschen, Rosalein, Bärbel und Maxl (s. die Tabellen 12 und 13; die Zahlen in Klammern zeigen Mehrfachnennungen an).

|| 217 Diminutionen auf franz. -ette (Annette, Henriette, Yvette), -otte (Charlotte ‚kleines Karlchen‘) sowie auf ital. -ella (Antonella) werden aus diesem Grund ebenfalls nicht mitgezählt und nicht ausgewertet. 218 Ob die kontrahierten Namen dabei in Vergangenheit und Gegenwart auch tatsächlich als (ehemals) eher informelle PRF aufgefasst wurden bzw. werden, ist allerdings schwerlich zu ermitteln (vgl. auch Nübling 2012b, 352).

164 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Tab. 12: Transparente diminuierte wVN nach Zeitabschnitten, alphabetisch219

Kaiser

Franzi

Weimar

NS

Nach

Ade-

1963–

1973–

1982–

1986–

1991–

2000–

2011–

krieg

nauer

1972

1981

1985

1990

1999

2010

2013

Babsi

Gabi (3) Emmi (2) Gabi /

Evi (2)

Gitti

Jenni

Lilly (4)

Heidi (3) Jenny

Lilli

Lizzy (2)

Lucy

Pati (2)

Gretchen

Liesl (2) Anneli

Gaby (3)

Resi (2)

Lieschen

Ursel

Anni (2)

Bärbel

Marie-

Gabi (2)

Geli

chen

Zensi /

Resi

Bärbel (9) Christel

Zenzi (2)

(3) Rosalein

Christel

Evi

Resi (3)

Gerti (2)

Gabi (5)

Steffi (3) Susi (5)

Resi

Steffi (4) Susi (2)

Gretel (4)

Susi (4)

Susi

Susi (3)

Susi (2)

Toni

Vroni

Tab. 13: Transparente diminuierte mVN nach Zeitabschnitten, alphabetisch220

Kaiser Weimar NS

Nach

Adenauer

krieg

Häns-

Willi

Willi

1963–

1973–

1982– 1986–

1991–

2000–

2011–

1972

1981

1985

1990

1999

2010

2013

Friedel (2) Rudi (2)

Franzl

Andy (6)

Janni

Andi

Maxi

Heini (3)

Maxl

Billy

Manni (3) Maxi

Willi

Rudi

Mucki

Sigi

Rudi

Rudi

Toni (3)

Toni

chen

Willi

Willi (4)

Willi /

Willi /

Willy (2)

Willy (2)

Greift man die Vornamen aus der Gesamtheit an PRF des Korpus und fragt, wie häufig diese mit welchen Geschlechtsreferenzen vorkommen, so zeigt sich, dass || 219 Bei Anneli handelt es sich laut Duden-Vornamenlexikon um eine süddeutsche Koseform von Anna, bei Zensi/Zenzi um eine oberdeutsche Koseform von Crescentia oder Innocentia. 220 Bei Friedel handelt es sich laut Duden-Vornamenlexikon unter anderem um die Kurzform zu Friedolin oder Friedrich. Mucki ist hingegen nicht im Duden-Vornamenlexikon und ebenso wenig in Reclams Namenbuch (Debus 2006) aufgeführt; womöglich handelt es dabei um die Koseform zu Nepomuk, wie die Abfrage „Mucki Nepomuk“ in den Suchmaschinen ixquick.de, google.de und bing.de am 10.05.2015 ergeben hat.

Wortorientierte Auswertung | 165

diese im diachronen Durchschnitt annähernd paritätisch auf weibliche und männliche ReferentInnen verteilt sind (s. die Spalte Anteil an VN in Tabelle 14).221 Da die Vornamen beinahe gleich häufig männlich oder weiblich referieren, ist prinzipiell ein ähnliches Verhältnis für die Teilmenge der diminuierten Vornamen zu erwarten. Entsprechend überraschend ist der Befund, wonach Diminution sehr viel häufiger unter den wVN vorkommt; knapp 70% aller diminuierten Vornamen weisen eine weibliche Geschlechtsreferenz auf (s. die rechte Spalte in Tabelle 14), obwohl unter allen Vornamen nicht ganz die Hälfte weiblich referiert. Tab. 14: Vergleich VN und transparenter diminuierter VN nach Geschlechtsreferenz Anteil an VN

Anteil an dimin. VN

w

44,2%

67,85%

m

55,6%

30,25%

ü

0,2%

1,9%

Unter den diminuierten wVN wie auch den mVN dominiert das Suffix -i. Vor allem die wVN führen zunehmend auch das englische Diminutionssuffix -y (Jenny, Lucy), zum Teil erscheinen die beiden Endungen als Schreibvarianten zueinander (Gabi/Gaby, Willi/Willy). Andere Verkleinerungsformen, wie die verkürzte, regionalsprachliche Variante -(e)l oder wie -chen und -lein, kommen überwiegend bei wVN vor. Die Variationsbreite ist somit – wie auch schon im vorherigen Kapitel festgestellt – unter den wVN größer als unter den mVN. Von Diminutivbildungen mit neutralem Genus weisen vier von fünf Vornamen eine weibliche Geschlechtsreferenz auf. Sie konzentrieren sich auf Schulbücher der Weimarer Jahre und Adenauer-Zeit. Der Zusammenhang von Diminution und Weiblichkeit ist, so das Resümee, deutlich stärker als der Zusammenhang von Diminution und Männlichkeit. Nicht nur kommen wVN häufiger diminuiert vor, sie folgen auch unterschiedlicheren Wortbildungsmustern. Der Sonderfall der genusneutralen Diminutivbildung ist ebenfalls häufiger aufseiten der wVN belegt. Neutralisierungen trans|| 221 Da wPRF im diachronen Durchschnitt im direkten Vergleich zu mPRF seltener vorkommen (s. Kap. 4.1.1), weist dieses annähernd gleiche Zahlenverhältnis unter den VN darauf hin, dass die normierten Anteile an wVN, gemessen an der Gesamtheit an wPRF, höher liegen als die Vornamenanteile an mVN, gemessen an allen mPRF. Die Auswertungen in Tabelle 11 haben dies auch so bestätigt.

166 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

portieren dabei soziopragmatische Zuschreibungen. Frauen-/Mädchennamen im Neutrum werden in deutschen Dialekten mit Nübling/Busley/Drenda (2013) und Nübling (2014) vor allem für junge und vertraute Personen verwendet, die der privaten Sphäre angehören, welche dem Kontroll- und Machtbereich des Vaters oder Ehemanns angehört.222 Die Wahl des Genus Neutrum wird von Nübling/Busley/Drenda in Referenz auf Dahl (2000, 103) als nicht zufällig erachtet, da Neutrum „das Genus für Kindliches und vor allem Nicht-Belebtes, also NichtAgentives“ sei (Nübling/Busley/Drenda 2013, 191). Die so bezeichneten weiblichen Personen erscheinen folglich als nicht-agentiv: „Unbelebte Objekte können weder handeln, [sic!] noch entscheiden, die Welt verändern, kurzum: Sie vermögen es nicht, dem Mann gefährlich, zur Konkurrenz zu werden“ (Nübling/ Busley/Drenda 2013, 191). Diminuierte Vornamen sind ein Typ neben den nichtdiminuierten neutralen Vornamen (z. B. das Marie), welche dieses Ausgangskonzept zur Benennungsgrundlage haben. Die insgesamt zwar wenigen Belege für diminuierte Vornamen, die dem Kotext nach allesamt Mädchen aus dem Umfeld der Familie bezeichnen, stehen mit dieser Gebrauchskonvention im Deutschen in Verbindung und konzeptualisieren weibliche Personen als jung, nahestehend und nicht-agentiv. Prosodisch-phonologische Analyse der häufigsten Vornamen Nübling hat in der Auseinandersetzung mit Gerhards (2003) und aufbauend auf Oelkers (2003) Parameter vorgeschlagen, anhand derer Veränderungen der Namenstruktur beschreibbar sind sowie zeitabhängige Charakteristika von wVN und mVN ermittelt werden können. Eine prosodisch-phonologische Namenanalyse nach Nübling (2009, 68) umfasst diese Parameter:223 (1) Sonorität des Auslauts, Anlauts und des Konsonantismus (2) Silbenzahl sowie Anzahl und Art der un- bzw. nebenbetonten Vokale (3) Anzahl an Konsonantenclustern

|| 222 In Dialekten, wie dem Berndeutschen, wird das Femininum bei wVN als Marker für „Aufsässigkeit, Grobheit, zu viel Macht“ aufgefasst, zu mächtige Frauen würden mit dem für den Dialekt untypischen Femininum „abgestraft“ (Nübling 2014, 141), nach dialektalem Usus stünden wVN dort im Neutrum. Gänzlich anders ist hingegen die Funktion des Neutrums im Bereich der Familiennamen, wie am Beispiel von das Merkel von Nübling (2014) nachvollzogen. 223 Auf psycho-phonetische Analysen zur Frage, welche Laute oder Lautfolgen eine eher ‚weibliche‘ oder ‚männliche‘ Assoziation hervorrufen, wird hier verzichtet. Empirische Erhebungen dieser Art, wie beispielsweise von Oelkers (2003) betrieben, stellen allerdings eine wertvolle Ergänzung zur prosodisch-phonologischen Analyse dar.

Wortorientierte Auswertung | 167

(4) Anzahl an Hiaten (5) Akzentstrukturen In der vorliegenden Untersuchung habe ich mich an diesen Parametern orientiert. Im Folgenden wird die prosodisch-phonologische Analyse der absolut häufigsten224 Vornamen im Schulbuchkorpus vorgestellt. Diachron betrachtet, teilen sich zunehmend weniger Namen die oberen Rangplätze. Von 135 phonologisch unterschiedlichen mVN aus neueren Schulbüchern (2000 bis 2013) kommen 56 nur einmal im Korpus vor und teilen sich entsprechend den letzten Rang. Nur die 2010er Schulbücher berücksichtigend, besetzen sechs mVN zusammen den 4. Platz, sieben mVN den 5. Platz usw. Die zwanzig oberen Rangplätze werden also nicht schlicht von zwanzig unterschiedlichen Namen besetzt, es können hingegen auch 99 unterschiedliche Namen sein. Eine Analyse all dieser Namen ist im Rahmen der Arbeit nicht möglich. Es wurden daher ausgehend von den Ranglisten für wVN und mVN jeweils für einen Zeitabschnitt die annähernd zwanzig häufigsten herausgegriffen. Je nachdem, wo zwischen dem 15. und 25. Namen der nächste quantitative Unterschied von einem zum nächsten Rang lag, wurde die zu analysierende Liste geschlossen. Insgesamt erfuhren so 170 wVN und 203 mVN eine eingehende Betrachtung. Der zahlenmäßige Unterschied zwischen den Inventaren ist nicht durch das eben beschriebene Verfahren der Auswahl der häufigsten zu untersuchenden Namen bedingt, sondern ergibt sich daraus, dass sich bei den mVN mehr Namen den gleichen Rang teilen als bei den wVN. In den nachfolgenden Tabellen 15 und 16225 sind die im Schulbuchkorpus häufigsten wVN und mVN aufgeführt.226 Die Ziffern in der ersten Spalte sind Zeilenbeschriftungen, keine Rangnummern. Wegen der sehr wenigen wVN in den nationalsozialistischen und den Nachkriegsschulbüchern, basiert die prosodisch-phonologische Analyse in diesen Jahren auf überaus wenigen Belegen.

|| 224 Schreibvarianten potentiell gleichlautender Namen sind zu einem Rang zusammengefasst. 225 Wenn zu einem Zeitabschnitt noch weitere, seltenere Namen niedrigeren Rangs in den Schulbüchern vorkommen, ist dies in der Tabelle durch Fortsetzungspunkte („…“) angezeigt. Sofern diese Namen über den 25. Namen hinaus den gleichen Rang aufweisen, konnten sie nicht mehr in der Analyse berücksichtigt werden. Wo keine Fortsetzungspunkte stehen, befinden sich für den jeweiligen Untersuchungsabschnitt nur die angeführten Namen im Korpus. 226 Wie auch in den sonstigen Auswertungen zu Häufigkeiten von PRF werden die Häufigkeiten der Vornamen nach ihrem absoluten Vorkommen bestimmt. Wenn in einer Aufgabenstellung der gleiche Name mehrfach vorkommt, so wird dieser also mehrfach gezählt.

168 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Tab. 15: Die häufigsten wVN im Schulbuchkorpus227 Kaiser Weimar

NS

Nachkrieg

Adenauer

1

Emilie

Anna

Anna

2

Klara

Marie

3

Resi

4 5

1963– 1972

1973– 1981

1982– 1985

Berta

Emma

Bärbel

Claudia

Grete

Anna

Gertrud

Brigitte

Petra

Petra

Rosa

Helga

Inge

Gisela

Carola

Zensi

Elisabeth

Liesl

Anna

Ilse

Zenzi

Erna

Lotte

Gretel

Gabi

6

Anna

Berta

Anna

Hilde

7

Franzi

1986– 1990

1991– 1999

2000– 2010

2011– 2013

Inge

Claudia

Laura

Viola

Nina

Tanja

Sophie

Eva

Christine Sabine

Tina

Sina

Gabi

Claudia

Anna

Anna

Liana

Anna

Anne

Anne

Petra

Nala

Maria

Anne

Helga

Annika

Silke / Sylke

Isabel

Petra

Gretchen

Anne

Ingrid

Susi

Berta

Beate

Claudia

Marlen

8

Hilde

Edith

Lore

Christel

Claudia Sabine

Corinna

Hanna(h)

Jana

9

Lieschen

Elisabeth

Monika

Helga

Dagmar Doris

Helga

Sarah

Sonja

10

Liese

Erika

Ruth

Hilde

Dora

Gerda

Maria

Anja

Darja

11

Margarete

Gerda

Sigrid

Sabine

Emma

Marion

Monika

Catharina / Lena Katharina

12

Martha

Gisela

Christa

Tina

Ilse

Tina

Andrea

Monika

Amina

13

Resi

Hildegard Else

Dagmar

Mariechen

Maria

Gerda

Nicole

Anja

14

Rosalein

Inge

Jutta

Monika

Sabine

Martina

Karin

Tanja

Laura

15

Sophie

Jutta

Maria

Rita

Monika

Susi

Veronika

Lilly

16

Klara

Martha

Sigrid

Senay

Eva

Jasmin / Yasmin

Petra

17

Lina

Susanne …



Kristin

Marie

Sabine

18

Margarete …





Lisa

Karin

Shannon

19

Margrit







Martina

Katja

Vesna

20

Ursel







Patricia

Lisa



21







Tina

Nadine



22







Ute





|| 227 Laura und Sophie sind in den 2000ern deswegen derart stark, weil sie zwei von vier Leitfiguren eines Mathematiklehrwerks bezeichnen, die in beinahe jedem Kapitel dieser Schulbücher auftauchen.

Wortorientierte Auswertung | 169

Tab. 16: Die häufigsten mVN im Schulbuchkorpus228 Kaiser

Weimar

NS

Nachkrieg

Adenauer 1963– 1972

1973– 1981

1982– 1985

1986– 1990

1991– 1999

2000– 2010

2011– 2013

1

Hans

Fritz

Hans

Otto

Hans

Peter

Karl

Peter

Michael

Lucas / Lukas

Paul

2

Karl

Hans

Fritz

Ernst

Fritz

Fritz

Klaus

Fritz

3

August

Karl

Karl

Franz

Karl

Karl

Wolfgang Dieter

4

Bernhard

Anton

Wilhelm

Fritz

Peter

Otto

Helmut

Bruno

Michael

Peter

Max

Timo

5

Alois

Otto

Gerhard

Hans

Franz

Kurt

Karl

Emil

Volker

Timo

Jan

Tom

6

Anton

Albert

Gernot

Karl

Emil

Martin

Fred

John

Fritz

Jan

Thomas

Adem

7

Friedrich

Alois

Hermann Georg

Heini

Heinz

Heinz

Jürgen

Uwe

Dominik

Daniel

Ben

8

Georg

Ernst

Willi

Heinrich

Markus

9

Hänschen Max

Peter

Hans

Hans

Bert

Gregor

Peter

Franz

Oliver

Peter

Pedro

Paul

Franz

Anton

Andy

Tim

Hans

Wilhelm Jürgen

Erwin

Kurt

Bert

Bernhard Ali

Tom

Joshua

Willi

Klaus

Peter

Paul

Horst

Bert

Arno

Claus / Klaus

Matthias

Richard Udo

Thomas

10 Walter

Rudolf

11

Adolf

Paul

Jenö

Berthold

Hans

Lencho

12

Bernhold

Wolfgang Ernst

Fritz

Teddy

Ihsan

Tobias

Paul

Bronislaw

13

Christoph

Anton

Frank

Gerd

Thomas Claus / Klaus

Anton

Gerd

Erdem

14

Erhard

Dieter

Dieter

Hans

Arno

Bernd

Helmut

Hamed

15

Franz

Friedel

Georg

Jürgen

Gerd

Claus / Klaus

Sven / Swen

Leon

16

Gustav

Hannes

Konrad

Rudolf

Jörg

Dirk

Alexander Luca

17

Kurt

Jens

Rolf

Albert

Klaus

Frank

Benjamin

18

Philipp

Ludwig

Werner

Bernd

Stefan

Horst

Hans

19

Theodor



Willi

Dieter

Thomas

Johannes Jonas

Nikolas

20

Wolf





Stefan



Jörg

Stefan / Stephan

21

Xaver

Marcus / Markus

Martin Max









Jürgen

Michael



22









Martin

Stefan / Stephan



23









Rolf





Die Transkription der Namen aus den Tabellen 15 und 16 erfolgte in Anlehnung an die Transkriptionsentscheidungen, wie sie Nübling (2012b) in ihrer genderonomastischen Untersuchung getroffen hat. Affrikaten und Diphthonge werden entsprechend biphonematisch und Hiate als zu zwei unterschiedlichen Silben gehörig gewertet: Claudia ['klau.di.a], Michael ['mi.ça.el]. Im Unterschied zu Nübling aber wird /r/ im Anlaut, intervokalisch wie auch nach Konsonant als [r] angesetzt: Rita ['ri:.ta], Marion ['ma:.ri.on], Gregor ['gre:.goɐ].229 Aspiration und

|| 228 Lucas/Lukas und Gregor sind in den 2000ern deswegen derart stark, weil Gregor und Lucas zwei von vier Leitfiguren eines Mathematiklehrwerks bezeichnen, die in beinahe jedem Kapitel auftauchen. 229 Nübling (2012b, 330) transkribiert /r/ im Anlaut sowie intervokalisch als [ʁ] und nach Konsonant als [χ]. In Übereinstimmung mit Nübling wird -(e)r im Auslaut als [ɐ] und somit als

170 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Knacklaut sind nicht transkribiert. Der Anlaut von John wird als [dʒ] gewertet. Bei Emilie ist die Akzentstruktur nicht eindeutig, hier wird einmal eine Zweitsilbenbetonung mit einem Hiat im Auslaut angenommen und einmal eine Erstsilbenbetonung mit Langvokal im Auslaut. Beide Varianten gehen in die Auswertung ein. (1) Sonoritätsberechnungen Die Auswertung der Auslaute ergibt einen deutlichen Unterschied an Sonorität zwischen wVN und mVN: Der offene Auslaut kommt überwiegend bei wVN vor, wohingegen ein geschlossener Auslaut eher auf eine männliche Geschlechtsreferenz verweist. Unter den wVN sind Auslaute auf a-Schwa sehr selten, unter den mVN machen sie dagegen einen stabilen, wenn auch kleinen Anteil aus.230 In der Schulbucharbeit werden somit Namen gewählt, die den Studien Oelkers (2003; 2004) und Nüblings (2009; 2012b) zufolge charakteristische Merkmale konventionell für Frauen/Mädchen und Männer/Jungen verwendeter Vornamen aufweisen. Doch nicht zu allen Zeiten liegen die vollvokalischen Auslaute der wVN so unangefochten hoch: In den 1950er und 1960er Jahren ist eine verstärkte Tendenz zur Auslautdeckung festzustellen (z. B. Gertrud, Elisabeth, Sigrid, s. Tabelle 15). Allerdings zeigt die Auswertung der früheren Jahrzehnte, dass die vergleichsweise hohen Anteile an gedeckten Auslauten jener Jahre nicht in die Vergangenheit verlängerbar sind. Es handelt sich bei den höheren Anteilen an gedeckten Auslauten vielmehr um einen zeitlich begrenzten Abschnitt in der Entwicklung der wVN. Auch der Anteil offener Ausgänge bei mVN unterliegt Veränderungen. Vollvokalisch auslautende Namen befinden sich zu Beginn nicht im Korpus. Auffällig ist der Anstieg vokalischer Auslaute bis in die Nachkriegszeit (z. B. vollvokalisch Otto, Willi, s. Tabelle 16). Dem folgt ein Rückgang der vollvokalischen Ausgänge (bis ca. 1980), während der Anteil von a-Schwa-Ausgängen über die Jahrzehnte relativ stabil bleibt. Erst in den neuesten Schulbüchern der 2010er Jahre nehmen sie zugunsten vollvokalischer Ausgänge, wie in Timo, Joshua, Luca, ab. Gegenwärtig weist damit rund ein Viertel der mVN einen offenen Aus-

|| vokalischer Auslaut gewertet, ebenso /r/ in präkonsonantischer Position, beispielsweise Werner ['vɛɐ.nɐ], Dagmar ['dak.maɐ]. Der Nähe zum Konsonantismus wird dadurch Rechnung getragen, dass a-Schwas im Auslaut bei den Sonoritätsberechnungen separat ausgezählt und folglich weder den offenen noch den geschlossenen Ausgängen zugeschlagen werden. 230 Lediglich in den nationalsozialistischen Schulbüchern kommen keine mVN auf a-Schwa vor.

Wortorientierte Auswertung | 171

laut auf, der Anteil an Schwa-Ausgängen darunter liegt so niedrig wie seit 1945 nicht. Wie die Namenlisten (Tabelle 15 und 16) zeigen, nehmen offen auslautende mVN auch zunehmend ranghöhere Positionen ein. Gleichzeitig finden sich kaum mehr Obstruenten, sondern häufiger Sonoranten im Auslaut (z. B. Paul, Tom), d. h., die Sonorität der geschlossenen Auslaute nimmt zu. Im nächsten Schritt sollen alle Auslaute auf ihren Sonoritätswert untersucht werden. Grundlage der Zuweisung von Sonoritätswerten bildet die Sonoritätshierarchie aus Nübling (2012b) (s. Abbildung 12). In Anlehnung an Fuhrhop/Peters (2013, 91f.) wurde die Skala um die Laute [r] und [ʀ] ergänzt.

Abb. 12: Sonoritätshierarchie (auf der Grundlage von Nübling 2012b, 331)

Die Anlaut-Sonoritätswerte der wVN bzw. der mVN eines Zeitabschnitts werden addiert und durch die Anzahl aller wVN bzw. mVN eines Zeitabschnitts geteilt. Die Abbildung 13 (s. unten) veranschaulicht, welche Entwicklung die wVN (dunkle Linie) und die mVN (helle Linie) bezüglich der Sonorität ihres Auslauts genommen haben. Der Unterschied zwischen mVN und wVN ist erheblich. Er beträgt zwischen 3 und 5 Sonoritätsgraden, NS- und Nachkriegsjahre ausgenommen, in denen nur vereinzelte Namen Auswertungsgrundlage sind (s. die y-Achse in Abbildung 13). Der Sonoritätsgrad liegt dabei wegen der Dominanz vokalischer Auslaute aufseiten der Frauen-/Mädchennamen gegenüber den Männer-/Jungennamen um die genannten Werte stets höher. Aber auch hier ist eine Gegenbewegung in der Entwicklung der wVN festzustellen: Einem Abfallen der Sonorität

172 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

bis in die 1960er Jahre folgt eine stabile Zunahme des Sonoritätswerts bis in die Gegenwart um beinahe 2 Sonoritätsgrade.

Abb. 13: Entwicklung der Sonoritätsgrade des Auslauts bei wVN und mVN

Die mVN nehmen vom Beginn bis zum Ende des untersuchten Zeitraums etwas kontinuierlicher zu. Sie klettern von 3,6 Sonoritätsgraden in der Kaiserzeit bis heute auf 5,3. Dem Abfallen der Auslautsonorität der wVN entspricht ein Anstieg der Auslautsonorität der mVN, d. h., die Werte nähern sich bis zum Anfang der 1960er Jahre an; wo der Abstand von mVN auf wVN noch zu Beginn 4,9 Sonoritätswerte beträgt, beläuft er sich Anfang der 1960er nur noch auf 2,5. Gerade in den letzten 15 Jahren legt der Anteil an sonoren Auslauten unter den mVN noch einmal deutlich zu (s. weiterhin Abbildung 13). Die Ermittlung der Sonoritätswerte der Anlaute erfolgt nach gleichem Muster wie bei der Untersuchung des Auslauts. Die Abbildung 14 unten macht diese Entwicklung anschaulich: Zu Beginn des Untersuchungszeitraums liegen die Sonoritätswerte für wVN und mVN noch beinahe gleichauf, entwickeln sich in der Folge aber in unterschiedliche Richtungen, d. h., die Sonorität des Anlauts nimmt bei den mVN deutlich ab (bis zu 2 Sonoritätsgrade) und bei den wVN zunächst zu. Dem folgt ein starker Einbruch an Anlautsonorität bei den Vornamen mit weiblicher Referenz, so dass diese und die Vornamen mit männlicher Referenz dann in den 1970er Jahren bei 3,5 konvergieren. Erst in den jüngeren Schulbüchern erhöht sich die Anlautsonorität der wVN wieder sprunghaft um 1 bis 1,5 Sonoritätsgrade auf 5,5; der Sonoritätsgrad bei den mVN hat sich hingegen bei circa 4 eingependelt.

Wortorientierte Auswertung | 173

Sonore Anlaute sind in diachroner Sicht folglich eher ein Merkmal von wVN. In diesem Merkmal unterscheiden sich wVN und mVN aus neueren Schulbüchern wieder deutlicher voneinander als noch vor 20 Jahren.

Abb. 14: Entwicklung der Sonoritätsgrade des Anlauts bei wVN und mVN

Die Sonoritätsanalyse abschließend, wird der Konsonantenbestand betrachtet. Für jeden Zeitabschnitt wurden die Gesamtzahl an Konsonanten sowie die Anteile von Sonoranten und Obstruenten ermittelt. Die Entwicklung geht dabei sowohl für die wVN als auch für die mVN zu mehr Sonoranten, was die Gesamtsonorität der Namen erhöht. Der prozentuale Anteil an Sonoranten am Konsonantismus liegt bei den Vornamen für Männer/Jungen tendenziell etwas niedriger als bei jenen für Frauen/Mädchen. Nimmt man die sonoren Obstruenten, die stimmhaften Frikative also, mit zu den Sonoranten, so vergrößern sich die Abstände und die wVN weisen stets 10 bis 20% mehr sonore Konsonanten auf (s. Abbildung 15). Sonore Konsonanten sind somit charakteristischer für die Frauen-/Mädchennamen der Schulbücher als für Männer-/Jungennamen, wobei sich ihr Anteil im Lauf der Jahre tendenziell erhöht. In den Schulbüchern ist für die mVN, auch wenn die Werte stark schwanken, insgesamt ein Trend zu mehr freien Sonoranten ermittelbar (Karl, Thomas, Paul, (Jo)Hannes, Ali, Timo, Luca, Ben im Unterschied zu Hans, Klaus, Bernd). Freie Sonoranten stehen nicht in konsonantischer Umgebung; Sonoranten – vor allem [l] –, welche intervokalisch stehen oder prävokalisch anlautend, seien dabei sonorer als „konsonantisch gedeckte[]“ Sonoranten (Nübling 2012b, 337), also sonorer als Sonoranten, denen mindestens ein Konsonant vorausgeht und/oder nachfolgt. Die wVN der Schulbücher erhöhen auch in dieser Hinsicht ihre Sonorität leicht.

174 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Abb. 15: Entwicklung der Anteile sonorer Konsonanten an allen Konsonanten in wVN bzw. mVN

Bei den Vornamen mit weiblicher Referenz kommt in jedem Zeitabschnitt die Mehrzahl an Sonoranten ungedeckt vor (Anna, Emilie, Monika, Carola, Tina, Laura), lediglich in den 1970er Jahren bricht ihr Anteil stark ein. Auffällig ist vor allem bei den wVN die Tendenz zu Kombinationen aus Lateralen und/oder Nasalen: Nala, Liana, Lena, Lilly, Amina, aber auch Leon. Nicht nur, dass sich bei solchen Namen „[d]urch die einerseits abnehmende Namenlänge […] und den gleichzeitig zunehmenden Sonorantengehalt […] maximale Sonorität auf einem minimalen Namenkörper [ballt]“ (Nübling 2012b, 337) und sie dadurch weicher wirken;231 sie weisen auch eine artikulatorisch einfachere, „kindgerechter[e]“ (Moser 2009, 8) Struktur auf. Unter den Namen mit geringen Sonoritätskontrasten sind reduplikative Namen, wie Anna und Lilly, ein Sonderfall, der im Schulbuchkorpus ausschließlich unter den wVN vorkommt. Für Nübling (2012b, 351) weisen reduplikative Vornamen eine „Lallformigkeit“ auf. Obstruenten kommen im Unterschied zu den Sonoranten häufiger in mVN vor. Beinahe komplementär zum Anstieg der sonoren Konsonanten aber verringert sich ihr Anteil etwas. Bei den wVN geht zunächst der Anteil an Obstruenten deutlich zurück, um ab Anfang der 1960er Jahre wieder zuzulegen. Dem folgt vor allem in den letzten 15 Jahren ein starker Rückgang an weniger sonoren

|| 231 Zum Zusammenhang von Sonorität und Weichheit vgl. Nübling (2009, 106): „Ob Sonorität mit ‚Weichheit‘, ‚Sanftheit‘, ‚Lieblichkeit‘, ‚Ungefährlichkeit‘, ‚Schönheit‘ etc. assoziiert wird und dies wiederum mit Weiblichkeit (Phonosemantik), sei dahingestellt und damit keineswegs in Zweifel gezogen.“

Wortorientierte Auswertung | 175

Konsonanten. Die Bewegung verläuft damit gegengleich zur Entwicklung der sonoren Konsonanten in wVN in der Abbildung 15. (2) Silbenzahl und Nebentonvokalismus Es ist wenig überraschend, dass die Silbenzahl und die Zahl un- und nebenbetonter Vokale in der Auswertung eine parallele Entwicklung nehmen. Dabei weisen die wVN stets mehr Silben und entsprechend mehr un- und nebenbetonte Vokale als mPRF auf. Namen einer Länge von 1 bis eher 2 Silben sind die Regel bei den Männer-/Jungennamen, Namen einer Länge von eher 2 als 3 Silben sind bei den Frauen-/Mädchennamen zu erwarten (s. Tabelle 17). Einsilbigkeit findet man beinahe ausschließlich aufseiten der mVN (Ausnahme: Ruth), von der NS-Zeit bis Anfang der 1980er Jahre sind einsilbige mVN (Fritz, Hans, Karl, Franz, Klaus, Paul) sogar der gängigste Namentyp. Frauen-/Mädchennamen weisen sehr viel häufiger auch drei (Sabine, Marion, Andrea) oder vier Silben (Elisabeth, Veronika, Katharina) auf, zwischen 1986 und 1999 haben dreisilbige wVN ihre Hochzeit. Tab. 17: Entwicklung der Silbenzahl von wVN und mVN nach Zeitabschnitten wVN

mVN

Kaiserzeit

2,4

1,9

Weimarer Republik

2,3

1,7

NS-Zeit

2,0

1,4

Nachkriegszeit

2,0

1,5

Ära Adenauer

2,3

1,6

1963–1972

2,2

1,5

1973–1981

2,3

1,5

1982–1985

2,1

1,6

1986–1990

2,4

1,6

1991–1999

2,5

1,8

2000–2010

2,3

1,8

2011–2013

2,3

2,0

Wie bereits zu Beginn des Untersuchungszeitraums geht der Trend aktuell bei beiden Gruppen wieder zu zwei Silben mit Namen wie Sina, Laura und Timo, Peter. Die Tabelle 17 macht diese Entwicklung mindestens der letzten 30 Jahre hin zur Zweisilbigkeit nachvollziehbar. Für den gesamten Untersuchungszeit-

176 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

raum betrachtet, nähern sich die Namen einander somit strukturell an und das in Richtung neutrales Mittelfeld. Bezüglich der Qualität der Nebenvokale ist ferner als besonders auffällig festzuhalten: a-vokalische Nebensilben werden im Lauf der Zeit deutlich häufiger verwendet, sowohl in wVN als auch mVN. Bei den Frauen-/Mädchennamen kommen diese allerdings in Vergangenheit und Gegenwart meist ungedeckt vor – eine Entwicklung, die sich unter den Männer-/Jungennamen erst in den gegenwärtigen Schulbüchern andeutet (Joshua, Luca). Diese Tendenz zum Vollvokal geht bei den wVN zu Lasten des reduzierten e-Schwas, beinahe entsprechend verringert sich auch dessen Anteil. Außerdem weisen mVN in neueren Schulbüchern zunehmend seltener a-Schwas auf – an ihre Stelle treten Vollvokale mit oder ohne konsonantische(r) Deckung. Hier findet also eine Angleichung an diachron stabile Charakteristika von wVN statt. Die dunklen Vokale u und vor allem o im Nebenton kommen dagegen weiterhin fast ausschließlich in mVN vor. (3) Konsonantencluster Konsonantencluster wird mit Nübling (2009; 2012b) als jedwede Abfolge von mindestens zwei Konsonanten definiert. Konsonantencluster sind deswegen von Interesse, weil sie „in jedem Fall klare CV-Strukturen [konterkarieren]“ (Nübling 2012b, 342) und Sonorität reduzieren. CVCV-Verbindungen machen Namen „weicher“, so Nübling (2012b, 343). Die Auswertung der Anzahl von Konsonantenclustern ergibt für die Schulbuchnamen nun, dass sich ihr Anteil an den mVN im Lauf der Zeit beinahe stetig verringert. Ausgangspunkt sind weiterhin – wie auch bei allen anderen Teilauswertungen zur prosodischphonologischen Analyse – die Namen aus den Tabellen 15 und 16. Bei den wVN verläuft die Entwicklung komplexer, diachron aber sind Konsonantencluster, mit Ausnahme der Kaiserjahre, ein klares Merkmal von mVN. Seit 1990 kommen Konsonantencluster in Schulbüchern sowohl in wVN als auch in mVN seltener als bislang vor und nähern sich ihre Anteile in wVN und mVN zugleich weiter an. (4) Hiate Hiate weichen ebenfalls die CVCV-Struktur auf und sorgen für eine höhere Sonorität bei Namen. Für den nativen Wortschatz des Deutschen stellt das Zusammentreffen von zwei heterosyllabischen Vokalen oder Diphthongen, also von Vokalen und Diphthongen, die zu unterschiedlichen Silben gehören (vgl. Bußmann 2008, 261 s. v. Hiat(us)), eine Ausnahme dar. Bei der Namenvergabe

Wortorientierte Auswertung | 177

erfreuen sich Hiate hingegen gegenwärtig großer Beliebtheit (vgl. Nübling 2012b, 345f.). Unter den Schulbuchvornamen fällt ihre Verteilung dabei nicht geschlechtstypisierend aus. Dennoch sind bei genauerer Betrachtung kleinere Unterschiede festzustellen: In wVN steht sehr häufig ein [i] in der ersten Silbe des Hiats und in der folgenden Silbe am häufigsten [a], am zweithäufigsten [o], zum Beispiel Clau.di.a und Ma.ri.on. Die Belege für diese Kombinationen sind unter den mVN seltener, zum Beispiel To.bi.as. Der Trend geht unter den wVN aktuell dazu, den Hiat und im Hiat den sonoreren zweiten Vokal mit dem Hauptton zu versehen (Vi.ó.la, Li.á.na im Vergleich zu Ma.rí.a). Wie bei den wVN unterliegt das Vorkommen von Hiaten auch in mVN starken Schwankungen. Von der NS-Zeit bis Ende der 1980er fallen sie beinahe vollständig aus, einzig Georg hält sich sporadisch. In neueren Schulbüchern sind Hiate in mVN dann wieder im Aufwärtstrend (z. B. mit Matthias, Leon). (5) Akzentstrukturen Wie schon die etymologische Auswertung der Vornamen gezeigt hat, wird bei den wVN im Schulbuchkorpus mehr Varianz geübt.

Abb. 16: Entwicklung der Akzentstruktur der wVN

Zudem sind germanische Namen mit traditioneller Erstsilbenbetonung unter den wVN nicht gleichermaßen verbreitet wie unter den mVN. Dies spiegelt sich auch auf der Ebene der Akzentstrukturen wider. Mit Nübling (2012b, 347) gilt dabei „jede Abweichung vom Initialakzent als nichtnative Struktur“ – und diese

178 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Abweichungen sind unter den wVN im Schulbuch häufig. Nicht auf der ersten Silbe betont werden zwischen 10 und 35% der wVN; bei den mVN kommen solche Fälle erst seit den 1990er Jahren in den Schulbüchern vor (s. Abbildung 16 und 17). Zweisilber mit dem Akzent auf der zweiten Silbe, wie unter den wPRF zum Beispiel Nicole, Nadine, Marleen, gibt es unter den mVN nicht. Tendenziell aber werden sie in ihrer Akzent- sowie Silbenstruktur vielfältiger. Sie nähern sich strukturell den wVN an.

Abb. 17: Entwicklung der Akzentstruktur der mVN

Zusammenfassung der Vornamenanalyse Die Bipolarität aus Varianz auf der einen und Traditionalität auf der anderen Seite ist konstitutiv für die Vornamen im Schulbuch. Größere Varianz besteht dabei aufseiten der wVN, d. h., es gibt eine größere Zahl unterschiedlicher konventionell oder kotextuell für die Bezeichnung von und Kategorisierung als Frauen/Mädchen gebrauchter Vornamen. Die wVN stammen früher und häufiger aus anderen als germanischen Sprachen; sie sind unterschiedlicher, als solche allerdings auch kurzlebiger. In der interpretativen Weiterführung bedeutet das: wVN werden häufiger durch neue ersetzt, weil sie schneller an Prestige verlieren können. Die mVN sind dagegen seltener Modeerscheinung und stärker einer Tradition verpflichtet, was sie jedoch im Schulbuch bisweilen altbacken wirken lässt (z. B. die Namen Helmut und Gerd in neueren Schulbüchern). Der Variantenreichtum der wVN bezieht sich auch auf die Wortbildung bzw. auf den speziellen Typus der Diminution. Sprachliche Verzärtlichungen sind

Wortorientierte Auswertung | 179

eher bei wVN möglich, was Zartheit mit Weiblichkeit relationiert. Unter allen Diminutionen stechen ferner die – insgesamt wenigen – neutralen Diminutivbildungen hervor, welche für eine Konzeption der so bezeichneten überwiegend weiblichen Figuren als jung, nahestehend und in Bezug auf soziale Macht ungefährlich gelesen werden können (vgl. Nübling 2009; 2014). Die prosodisch-phonologische Analyse ergab ebenfalls, dass die Schulbuchvornamen geschlechtstypisierende Merkmale bzw. Indikatoren führen. So sind mVN durchschnittlich weniger sonor und weisen höhere Konsonanz auf, vor allem einen größeren Anteil an Obstruenten sowie Konsonantenclustern. Einsilbigkeit ist weiterhin Merkmal sowie zugleich Indikator von mVN. Im Gegenzug weisen wVN eine deutlich höhere Sonorität auf, im Auslaut, Anlaut sowie im Konsonantismus. Im Durchschnitt sind die wVN silben- und damit vokalreicher. In Bezug auf die Namenlänge fallen somit die Vornamen mit weiblicher Referenz komplexer aus, in Bezug auf die Silbenstruktur die Vornamen mit männlicher Referenz. In ihrer prosodisch-phonologischen Entwicklung unterliegen wVN deutlich stärkeren Schwankungen als mVN. Es konnte herausgearbeitet werden, dass einzelne Analyseparameter in den 1960er und 1970er Jahren Veränderungen erfahren. Bis Anfang der 1960er ist unter den Frauen-/Mädchennamen der Schulbücher zunächst ein Trend zur Auslautdeckung festzustellen, während die Männer-/Jungennamen kontinuierlich offener auslauten. Entwicklungen ab dieser Wandelphase – sowohl die Entwicklung der wVN als auch die der mVN – laufen überwiegend parallel zu den von Nübling ab 1945 ermittelten Entwicklungstendenzen.232 Dem folgt in wVN ein kurzzeitiger Anstieg an Obstruenten und Konsonantenclustern und ein Einbruch der Anlautsonorität sowie des Anteils an freien Sonoranten. In dieser Hinsicht nähern sich wVN also prosodischphonologischen Strukturen an, die konventionell für mVN charakteristisch sind, und nehmen gleichzeitig Strukturen zurück, die konventionell für wVN charakteristisch sind. Doch nicht alle Parameter weisen in diese Richtung. Durchkreuzt wird das doing male der Frauen-/Mädchennamen (zu den Begriffen doing male/female s. Kap. 1.2.1a) unter anderem dadurch, dass die wVN bereits || 232 Die Ergebnisse der Schulbuchnamenanalyse sind leicht zeitversetzt zu Nüblings Untersuchungsergebnissen zu lesen. Die Vornamen ergeben sich bei Nübling aus dem Geburtsjahr der NamenträgerInnen. In der Schulbuchanalyse dagegen entsprechen die Vornamen eines Zeitabschnitts dem Erscheinungsjahr des Buches, das für ein circa zwölfjähriges Zielpublikum (7. Jahrgangsstufe) konzipiert ist. Voraussetzung für einen Vergleich ist ferner, dass die Vornamen im Schulbuch vornehmlich Kinder und Jugendliche im ähnlichen Alter wie die SchulbuchbenutzerInnen bezeichnen. In der Regel ist dies auch der Fall; wie weiter oben bereits ausgeführt (s. unter Entwicklung der Vornamen in Kap. 4.1.2b).

180 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

in den 1960er zunehmend offener und damit sonorer auslauten als noch zuvor. Bald darauf werden auch die konsonantischen Verhärtungen wieder zurückgenommen und nimmt die Sonorität der wVN zu. Die mVN reihen sich ebenfalls in diesen letzten Trend ein. In Schulbüchern, die in den vergangenen 15 bis 20 Jahren erschienen sind, findet eine Annäherung aller Vornamen an Strukturen – zwei Silben pro Name, vielfältigere Akzentstrukturen und eine hohe Auslautsonorität, d. h. ungedeckte Auslaute sowie wenige Reduktionsvokale – statt, die insgesamt eher für wVN charakteristisch sind. Geschlechtstypisierende Merkmale werden häufiger aufseiten der mVN nivelliert. Sie weisen nun eine Tendenz zu gleichmäßigen CVCV-Verbindungen sowie zunehmend weniger – vor allem harten – Konsonanten auf. Diese „Gendernivellierung“ (Nübling 2012b, 339) der mVN bei gleichzeitiger Adaption von ehemals geschlechtspräferent weiblichen Strukturen, also bei gleichzeitigem doing female, geht einher mit einer artikulatorischen Vereinfachung bis hin zur Verkindlichung der Vornamen im Allgemeinen und der wVN im Besonderen. Das undoing gender der Schulbuchvornamen ist dabei tendenziell ein doing female, das ferner Dimensionen eines doing infantile hat. Hierin kann die Analyse der Schulbuchnamen ebenfalls mit genderonomastischen Untersuchungen von Nübling (2009; 2012b) zur Entwicklung deutscher Vornamen parallelisiert werden.233 Berühmte Personen Das Kapitel zu den Namen wird mit der Auswertung der im Schulbuch vorkommenden berühmten Personen abgeschlossen. Das Verhältnis von berühmten Frauen und berühmten Männern ist dabei keineswegs ausgeglichen. Für den gesamten Untersuchungszeitraum liegt der Anteil der Frauen (n=47) an allen berühmten Personen bei lediglich 7,4%, jener der Männer (n=587) bei 92,6%. Für welche Tätigkeit nun eine Person Berühmtheit erlangt hat, war in der Anschlussauswertung Grundlage für die Zuweisung zu einem Tätigkeitsbereich.234 Die größte Gruppe an berühmten Frauen machen demnach Literatinnen aus, die in den 1970er Jahren erstmals im Schulbuch vorkommen. Unter ihnen befinden sich zahlreiche Kinder- und Jugendbuchautorinnen der jüngeren Ge-

|| 233 Nübling stellt für die Jahre 1945 bis 2005 ein Aufweichen geschlechtstypisierender prosodisch-phonologischer Strukturen sowie eine Tendenz zur „Infantilisierung“ (2012b, 349) der Vornamen fest. 234 Universalgelehrte wurden ebenfalls einem Haupttätigkeitsbereich zugeordnet. Eratosthenes von Kyrene wurde beispielsweise als Mathematiker kodiert, wenn im Schulbuch vor allem seine mathematischen Leistungen hervorgehoben wurden.

Wortorientierte Auswertung | 181

schichte, wie zum Beispiel Christine Nöstlinger und Isolde Heyne. Selbst im Mathematikbuch taucht eine Schriftstellerin als Namengeberin einer Schule auf (Ricarda-Huch-Schule LS-N-94, 52). Neuere Mathematikbücher binden MINT235Wissenschaftlerinnen ein, genannt werden meist Emmy Noether, Lise Meitner und Marie Curie. Solche Bemühungen konzentrieren sich aber allesamt auf drei Schulbücher, noch dazu handelt es sich bei einem dieser drei um die Neuauflage eines der anderen beiden Bücher (delta D-B-05, delta neu DN-B-09, Lambacher Schweizer Nordrhein-Westfalen LS-N-94).

Abb. 18: Berühmte Frauen (n=47) nach Tätigkeitsbereichen

Die drittgrößte Gruppe bilden literarische Frauenfiguren, die entweder germanische Heldinnen (Brunhild), legendär schöne Frauen (Scheherazade) oder Kinder (Rotkäppchen) sind. Politikerinnen, inklusive Herrscherinnen, kommen erst ab den 1960er Jahren hinzu, es handelt sich dabei ausschließlich um Monarchinnen, darunter Katharina die Große und Kleopatra sowie als einzige zeitgenössische Politikerin Elisabeth II. Die Abbildungen 18 und 19 zeigen, welchen Tätigkeitsbereichen die PRF für berühmte Männer und Frauen zuzuordnen sind. Mathematikbücher bis Anfang der 1990er Jahre führen so gut wie keine berühmten Frauen, während berühmte Männer sehr wohl vertreten sind. Gerade in den letzten 25 Jahren bieten mehr Schulbücher auch berühmte Frauen als Identifikationsfiguren an, zudem aus unterschiedlicheren Tätigkeitsbereichen (z. B. Sport und Mathematik).

|| 235 MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.

182 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Unter den männlichen Berühmtheiten dominiert fächerübergreifend mit einigem Abstand das Tätigkeitsfeld Politik. Besonders zahlreich sind Politiker in den kaiserzeitlichen und den nationalsozialistischen Schulbüchern. Die Politiker unterscheiden sich von den Politikerinnen nicht nur in ihrem Anteil, sondern auch darin, dass es sich bei ihnen vornehmlich um historische Persönlichkeiten der deutschen Geschichte handelt. Im Mathematikbuch wird diese Dominanz diachron von berühmten Mathematikern und Naturwissenschaftlern gebrochen. Im Sprachbuch dominieren in der Kaiserzeit biblische Namen und historische Personen der Religionsgeschichte. In der NS-Zeit dann verschwinden sie beinahe vollständig und es haben Politiker die Oberhand, die als Typus in Weimarer Sprachbüchern so gut wie gar nicht vorkommen. Zentrale Figur ist neben historischen Herrschern der deutschen Geschichte Adolf Hitler. Es finden sich in dieser Zeit auch gehäuft Formulierungen wie Männer unserer Geschichte oder Männer der Geschichte und der Bewegung (vgl. z. B. AB-44, 65; 35), die männliche Personen als zentrale Handelnde der als gemeinsam (unserer) konzeptualisierten historischen Vergangenheit ausweisen und die unter Auslassung des Zusatzes der Bewegung in Nachkriegssprachbüchern erhalten bleiben (vgl. SB-48, 75; 41). Im Sprachbuch stellen unter den berühmten Männern literarische Figuren gegenwärtig die größte Gruppe, bei den Frauen sind es die Schriftstellerinnen. Die Abbildung 19 zeigt auch, dass die männlichen berühmten Personen in sehr viel unterschiedlicheren Tätigkeitsbereichen verortet sind. Unter ihnen sind Religions- (Buddha, Jesus, Muhamed) und Kirchenführer (Reformatoren, Päpste, Bischöfe), Philosophen der Antike und der Aufklärung (Platon, Descartes), Musiker, vor allem der Klassik, und Maler ebenso wie Architekten (Norman Foster, Balthasar Neumann), Entdecker und Erfinder, selbst Moderatoren (Johannes B. Kerner) und Designer (Karl Lagerfeld) sowie zahlreiche Militärs.236 Der Anteil literarischer Männerfiguren an allen berühmten Männern liegt doppelt so hoch wie jener literarischer Frauenfiguren; bis in die 1950er Jahre dominieren germanische Helden (Siegfried), in den 1980ern und 1990ern sind es Figuren aus Abenteuergeschichten (Robinson) und in gegenwärtigen Deutschbüchern das Personal der Artussage.

|| 236 Von dieser quantitativen Auswertung wurden (insgesamt nur selten vorkommende) namentliche Auflistungen von Männerfußball- oder -basketballmannschaften außen vor gelassen. Würden sie in die Auswertung eingerechnet, dann rutscht der Sport auf Platz 6 vor.

Abb. 19: Berühmte Männer (n=587) nach Tätigkeitsbereichen

Wortorientierte Auswertung | 183

184 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Im Ganzen betrachtet, finden sich deutlich mehr berühmte männliche Persönlichkeiten im Schulbuch als weibliche – selbst in den neueren Schulbüchern machen berühmte Frauen nicht einmal ein Achtel an allen berühmten Personen aus und auch in zeitgenössischen Deutschbüchern liegt der Anteil an Schriftstellerinnen stets deutlich unter jenem von Schriftstellern. Zum anderen kommen männliche Personen vor, die für mehr unterschiedliche Tätigkeiten, vor allem für ihre historischen Leistungen als Herrscher, Berühmtheit erlangten oder durch ihr zeitgenössisches politisches Engagement hervorzuheben sind. Die männliche Dominanz kann nicht mit der Annahme erklärt werden, dass mehr Männer als Frauen berühmt seien und entsprechend das Angebot an berühmten Personen immer männlich dominiert sein müsse. Denn selbst in Beispielen, in denen es nicht naheliegend ist, nur männliche Personen zu nennen, geschieht genau das, so etwa in folgender zeitgenössischer Aufgabenstellung: In Deutschland gab und gibt es viele berühmte Menschen, die Linkshänder sind: Albert Einstein, Johann Wolfgang von Goethe, Johannes B. Kerner, Karl Lagerfeld (M-B-11, 156). Linkshändigkeit ist zwar häufiger unter männlichen Personen zu finden (vgl. Demura u. a. 2006, zit. nach Flohrer 2009, 16), doch ist die Auswahl an berühmten deutschen Linkshänderinnen ebenfalls sehr groß – zu nennen sind beispielsweise das Model Toni Garrn und die Schauspielerin Marlene Dietrich. Über die Zeit tauchen zwar zunehmend mehr berühmte Frauen im Schulbuch auf. Doch der Trend, Leistungen von Frauen zu würdigen, ist nicht allen Schulbüchern gemein. Zeitgenössische Schulbücher weisen erhebliche Unterschiede auf. Ein Zusammenhang mit der Zulassungsregion konnte dabei nicht festgestellt werden. Es steht zu vermuten, dass eine Berücksichtigung von Frauenfiguren eher auf das jeweilige Team zurückgeht, das an der Erstellung der Bücher mitwirkt; gerade in Bezug auf Mathematikbücher scheint es keine wichtige Rolle zu spielen, ob berühmte Frauenpersönlichkeiten vorkommen.

4.1.3 Mittel der Geschlechtsspezifizierung Im Folgenden soll im Fokus stehen, welche flexivisch-grammatischen, lexikalischen und Wortbildungsmittel im Schulbuch an der Spezifizierung von Personen als ‚weiblich‘ und ‚männlich‘ beteiligt sind. Diese Auswertungen geben Aufschluss darüber, ob weibliche und männliche Referenz sprachlich vergleichbar explizit gemacht werden. Bei allen Typen der Geschlechtsspezifizierung ist zu differenzieren, ob mit den gebräuchlichen Mitteln der Geschlechtsspezifizierung auch weiblich oder männlich referiert wird oder der Kotext daran

Wortorientierte Auswertung | 185

Zweifel aufkommen lässt. Gerade bei maskulinen PRF, welche konventionell nicht nur geschlechtsspezifizierend männlich, sondern auch konventionell geschlechtsübergreifend verwendet werden, ist dies von Interesse. a) Grammatische Mittel der Geschlechtsspezifizierung Genus gilt im Bereich der PRF als zentrales Mittel der Geschlechtsspezifizierung, ohne dass damit ausgesagt sei, dass die Genusunterscheidung sprachhistorisch mit der Unterscheidung in biologische Geschlechter zusammenhinge (vgl. Leiss 1994; s. zum Zusammenhang von Genus und Geschlechtsreferenz bereits grundlegend Kap. 1.2.1b). Zunächst wird auf Grundlage der erhobenen Sprachdaten der Zusammenhang zwischen Genus und Geschlechtsreferenz in den Schulbüchern ermittelt. Anschließend wird untersucht, inwiefern bei PRF ohne (festes) Genus flexivische Möglichkeiten der Geschlechtsspezifizierung verwendet werden. Untersuchungsgegenstand sind in diesem Fall deadjektivische und departizipiale Konversionen, die ein Differentialgenus aufweisen. Zusammenhang von Genus und Geschlechtsreferenz Der Zusammenhang von Genus und Geschlechtsreferenz stellt sich im Schulbuch als weitgehend fest heraus, wie die Tabelle 18237 zeigt: Feminina kommen diachron sehr stabil mit einer weiblichen Geschlechtsreferenz vor.238 Die Tabelle ist hier folgendermaßen zu lesen: Unter allen femininen PRF werden pro Zeitabschnitt die Anteile an den verschiedenen ermittelten Geschlechtsreferenzen an-

|| 237 Da die Werte in der Tabelle nur gerundet angegeben werden können – aus Gründen der Übersichtlichkeit wird max. eine Nachkommastelle angezeigt –, hat es in dieser gerundeten Darstellung den Anschein, Werte würden in der Summe bisweilen knapp über oder unter 100% liegen (z. B. ergeben die Geschlechtsreferenzen der Neutra in der Kaiserzeit summarisch 100,1%). Werden weitere Dezimalstellen berücksichtigt, so ergibt die Summe stets genau 100%. 238 Bei Feminina mit einer konventionell weiblichen Geschlechtsreferenz wurde, der Gebrauchskonvention folgend, standardmäßig eine weibliche Referenz kodiert. Beim Genus Femininum war in der Auswertung somit mehrheitlich eine weibliche Geschlechtsreferenz zu erwarten. Abweichungen von diesem Zusammenhang sind hier vielmehr von Interesse. Ähnlich liegt der Fall bei den Neutra. Bei den Maskulina mit verschiedenen etablierten geschlechtsreferentiellen Gebrauchskonventionen wurde hingegen bei der Kodierung anders verfahren (s. Kap. 3.3.2c unter Pragma-Grammatik). Ihre Auswertung auf den Zusammenhang von Genus und Geschlechtsreferenz hin ist daher ergebnisoffener. Die Verteilungsverhältnisse der Genera auf die Geschlechter werden ferner durch geschlechtsneutrale Formen beeinflusst, die kotextuell als geschlechtsspezifische Referenz interpretierbar sind. Ihnen gilt ebenfalls das Interesse.

186 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

gegeben. Die Werte in Zeile w im ersten Block Fem. (für Femininum), wie sie für jeden Zeitabschnitt angegeben sind, zeigen dann an, wie häufig feminine PRF weiblich referieren; die Werte in Zeile m im ersten Block Fem. zeigen an, wie häufig feminine PRF männlich referieren usw. Maskulina kommen meist mehrheitlich mit einer männlichen Referenz vor, wobei der Zusammenhang bei den Maskulina über die Jahrzehnte vergleichsweise stark variiert. In der Regel ist er schwächer als jener zwischen Femininum und weiblicher Referenz. Der Anteil männlicher Referenzen an den Maskulina nimmt dabei deutlich zu, wenn die nicht eindeutig, aber sehr wahrscheinlich männlich referierenden Maskulina zu den mPRF gerechnet werden, wie ein Vergleich der Zeile m unter Mask. 1 und der Zeile m unter Mask. 2 der Tabelle 18 zeigt. Bei Mask. 1 sind die eindeutig männlich referierenden PRF von den nicht eindeutigen unterschieden; bei Mask. 2 dagegen sind die nicht eindeutig, aber sehr wahrscheinlich männlich referierenden PRF den männlichen Referenzen zugeordnet. Über die Jahrzehnte verringert sich der Unterschied zwischen den beiden m-Anteilen der Maskulina (wie auch insgesamt der Anteil an uneindeutig referierenden PRF abnimmt, s. bereits Abbildung 8 in Kap. 4.1.1). Werden die uneindeutig männlich referierenden Maskulina unter m einbezogen, fällt der Zusammenhang von Maskulinum und männlicher Geschlechtsreferenz bis in die 1970er Jahre deutlich enger aus, verliert dann allerdings um circa ein Viertel und fällt von rund 75% auf rund 50%. Neutra fügen sich gut in das Muster Genus = Geschlechtsreferenz.239 Sie referieren überwiegend geschlechtsübergreifend, doch verliert dieser Zusammenhang diachron etwas an Stärke: Stimmen in den Kaiserjahren Neutrum und geschlechtsübergreifende Referenz noch zu 87,2% überein, so liegt der Anteil geschlechtsübergreifend referierender Neutra in den 2000ern bei 67,3% an allen Neutra und aktuell etwas höher bei 75,6%.

|| 239 Sie referieren also nicht mehrheitlich geschlechtsspezifizierend.

Neutr.

Mask. 2

Mask. 1

Fem.

10,3%

2,6%

87,2%

0,0%

m

ü

unein.

26,0%

ü

w

74,0%

m

53,0%

unein.

0,0%

19,6%

ü

w

27,3%

0,5%

unein.

m

26,9%

ü

0,0%

1,1%

m

w

71,4%

w

Kaiser

0,0%

83,1%

5,2%

11,7%

26,8%

73,1%

0,1%

40,6%

19,5%

39,7%

0,2%

0,0%

16,3%

0,0%

83,7%

Weimar

1,5%

83,1%

4,6%

0,0%

90,0%

0,0%

10,0%

27,9%

50,2% 10,8%

72,1%

0,0%

49,3%

0,5%

33,0%

21,9%

34,2% 32,7%

45,1%

0,0%

0,0%

24,6%

0,0%

1,5%

71,6%

63,4% 0,0%

1,5%

25,4%

27,0%

72,9%

2,4%

34,1%

23,8%

76,2%

0,2%

30,4%

36,2% 0,0%

17,9%

51,6%

0,2%

0,2%

19,8%

1,7%

78,2%

1972

1963–

16,8%

47,0%

0,0%

0,0%

19,6%

0,4%

80,0%

nauer

krieg 75,4%

Ade-

Nach-

32,7%

0,5%

0,0%

56,6%

2,3%

41,1%

NS

Tab. 18: Verteilung der Geschlechtsreferenzen auf die Genera pro Zeitabschnitt

0,0%

76,5%

5,9%

17,6%

41,4%

58,1%

0,4%

31,9%

28,8%

38,9%

0,4%

0,0%

29,6%

1,5%

68,9%

1981

1973–

0,0%

20,0%

0,0%

80,0%

42,9%

56,0%

1,2%

20,2%

38,1%

40,5%

1,2%

0,0%

5,4%

0,0%

94,6%

1985

1982–

0,0%

46,4%

1,8%

51,8%

51,6%

47,3%

1,1%

28,0%

36,1%

34,8%

1,1%

0,0%

25,8%

0,0%

74,2%

1990

1986–

0,0%

68,0%

8,0%

24,0%

64,1%

35,3%

0,6%

22,5%

50,2%

26,7%

0,6%

0,3%

17,7%

2,0%

80,0%

1999

1991–

0,0%

67,3%

2,9%

29,8%

55,4%

44,4%

0,2%

20,1%

41,6%

38,2%

0,2%

0,2%

30,3%

1,2%

68,4%

2010

2000–

0,0%

75,6%

0,0%

24,4%

50,1%

49,4%

0,5%

20,4%

35,2%

43,8%

0,5%

0,0%

22,2%

2,1%

75,7%

2013

2011–

Wortorientierte Auswertung | 187

188 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Auffällig eng aufeinander bezogen sind Feminina und weibliche Referenz sowie Maskulina und männliche Referenz in Schulbüchern der 1950er Jahre, besonders schwach hingegen fällt der Zusammenhang in den NS-Jahren aus. In beiden Zeitabschnitten verhält es sich bei den Neutra gerade umgekehrt. Außerdem auffällig ist, dass sich in den 1990er Jahren im Speziellen der Zusammenhang Maskulinum und männliche Referenz als besonders schwach erweist und vor allem Anfang der 1980er jener von Neutrum und geschlechtsübergreifender Referenz.240 NS-Schulbücher und Ergänzungshefte brechen in ihrem historischen Umfeld aus dem Muster Genus = Geschlechtsreferenz merklich aus. Feminina und auch Maskulina referieren in diesen Jahren mehrheitlich geschlechtsübergreifend. Es handelt sich dabei vor allem um Kollektiva, wie das Kollektivlexem Familie oder die kollektiven Abstraktbildungen Bevölkerung und Bauernstand, um Epikoina (Person, Mensch) und bei PRF im Maskulinum auch um generisch gebrauchte Maskulina (Einwohner, Volksgenosse). Diese von der Einzelperson abstrahierenden Formen kommen gerade in den Ergänzungsheften der 1930er Jahre geballt vor. Nicht nur in den NS-Jahren durchkreuzen Epikoina und Kollektiva den Zusammenhang zwischen Genus und Geschlechtsreferenz. Den Anteil männlicher Referenzen an den Feminina füllen vor allem Mannschaft, Bildungen auf -mannschaft und geschlechtsspezifizierend männliche Gebrauchsweisen von Person. Feminine Epikoina (z. B. auf -kraft und Person/-person), in der Mehrheit aber Kollektivbezeichnungen (v. a. Gruppe/-gruppe und Klasse/-klasse) machen die zum Teil bei 30% liegenden Anteile geschlechtsübergreifend referierender Feminina aus (s. weiterhin Tabelle 18).241 Die Gruppe der geschlechtsübergreifend referierenden Neutra wird dominiert von Mitglied, Kind (beide auch als Determinatum in Komposita) und in den NS-Jahren von Volk. Bei diesen Ausdrücken verhalten sich Genus und Geschlechtsreferenz zueinander kongruent. Allerdings kommen – wenngleich selten – bei den Neutra auch Epikoina, wie Mitglied und Kind, mit kotextuell männlicher Geschlechtsreferenz vor, d. h., diese Neutra sind im konkreten Äu-

|| 240 Bei den stark abweichenden Werten der ersten Hälfte der 1980er Jahre kann schlicht die geringe Stichprobengröße an Belegen für die diachron auffälligen Verteilungen verantwortlich sein. 241 Wie häufig wiederum Kollektivbezeichnungen und Epikoina, für sich betrachtet, als weibliche oder männliche Referenz interpretierbar oder doch geschlechtsübergreifend gebraucht sind, wird im Kapitel 4.1.4 untersucht.

Wortorientierte Auswertung | 189

ßerungszusammenhang referenzidentisch mit einem geschlechtsspezifizierenden Ausdruck (s. bereits Kap. 2.3 sowie Kap. 3.3.2c unter Pragma-Grammatik). Unter den Neutra mit männlicher Geschlechtsreferenz machen Epikoina die große Mehrheit aus. Bei den Neutra-Belegen mit weiblicher Geschlechtsreferenz wiederum handelt es sich fast ausschließlich um Diminutivbildungen, vor allem um Mädchen und Fräulein, nicht aber um Epikoina oder Kollektiva. Die gehäuften Fräulein-Vorkommen (s. Kap. 4.1.2a unter Gesellschaftsbezeichnungen) sind auch verantwortlich für den schwachen Zusammenhang von Neutrum und geschlechtsübergreifender Referenz in den Adenauer-Jahren, Mädchen-Vorkommen (meist in der Kontrastierung zu Jungen) für den schwachen Zusammenhang in den 1980er Jahren. Fräulein wird dabei stets, Mädchen in der Regel mit femininem Pronomen wiederaufgenommen. Die Wahl des Pronomens folgt somit überwiegend einer constructio ad sensum und richtet sich nicht nach den grammatischen Eigenschaften des Bezugsnomens, so beispielsweise in: Ein Mädchen schaut dem Jungen zu. Sie beobachtet den Jungen genau (DB-N-13, 318; im Unterschied zur neutralen Wiederaufnahme in HSB-01, 169; WR-57, 75). Eine seltene Kombination stellen maskuline PRF mit weiblicher Geschlechtsreferenz dar. Star, -fan, jeder, der andere und Einwohner weiblichen Geschlechts sind fast alle in dieser Kombination vorkommenden Belege (vgl. z. B. SW-87, 21; LS-N-94, 45; DB-B-13, 107; MSB-B-72, 5; RB3-30, 2). Jeder für mehrere weibliche Personen fand vorwiegend im bayerischen Mathematiklehrwerk Lambacher-Schweizer der 1980er und 1990er Jahre Verwendung, zum Beispiel Daniela und Martina bauen Türme aus Goldmünzen. […] Beide legen immer gleichzeitig eine Münze. Wie viele Münzen muß jeder legen, bis beide Türme gleich hoch sind? (LS-B-86, 74; Hervorh. CO). Maskulina mit generischer Gebrauchskonvention werden in den Schulbüchern folglich kaum zur Bezeichnung von ausschließlich weiblichen Personen gebraucht; die wenigen Vorkommen streuen beinahe (die Kaiserjahre ausgenommen) über den gesamten Untersuchungszeitraum (s. Zeile w unter Mask. 1 und Mask. 2 in Tabelle 18). Das Maskulinum erwies sich in weiterer Hinsicht als dasjenige Genus, dem am ehesten eine Stellvertreterfunktion zukommt. So finden sich einige Belege in nordrhein-westfälischen Mathematikbüchern, wonach PRF im Neutrum, die dem sonstigen Äußerungszusammenhang nach nicht (!) mit einem geschlechtsspezifizierend referierenden Ausdruck referenzidentisch sind, durch ein maskulines Pronomen aufgenommen werden, beispielsweise KinderNeutr. […] jederMask. (vgl. ML-07, 29; ML-07, 45; LS-N-94). Dieser Befund hat ein Pendant in bayerischen Mathematikbüchern, in denen Feminina mit konventionell geschlechtsübergreifender Referenz ebenfalls durch ein maskulines Pronomen wiederaufgenommen werden: PersonFem. […] jederMask. (vgl. M-B-11, 155; WdZ-B-65, 87).

190 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Auch das Kollektivum BelegschaftFem. sowie die pluralische Adjektivkonversion Erwachsene werden mit maskulinem jeder wiederaufgenommen (vgl. LS-N-07, 89; LS-N-94, 27; LS-B-05, 193). Alle diese Beispiele stammen aus Rechen-/Mathematikbüchern. Es stellt sich die Frage, ob mit der maskulinen Wiederaufnahme auch eine männliche Geschlechtsspezifizierung verbunden ist oder ob das Maskulinum geschlechtsübergreifend verwendet ist. Maskulinum sticht Femininum als Stellvertretergenus, auch in direkter Konkurrenz der beiden, wie ein letzter Beleg aus einem Sprachbuch demonstriert: In einer Wortbildungsübung (Wie man Dingwörter ableitet und zusammensetzt) finden sich die beiden komplementären Aufgabenstellungen: a) Was ist einer, der solches [= lügen, heucheln, schwindeln u. v. m.; Anm. CO] immer tut? b) Was ist eine, die solches [= lügen, heucheln, schwindeln u. v. m.; Anm. CO] immer tut? (SFÜ-32, 7) Zur Überschrift über diese Aufgaben wird die maskuline Formulierung Einer, der Schlimmes oder Unvernünftiges tut gemacht. Das Maskulinum dieser Überschrift kann dann als geschlechtsübergreifend referierend gedeutet werden. In insgesamt 10242 Fällen aber, die überwiegend aus bayerischen Schulbüchern zusammengetragen sind, übernimmt in den untersuchten Schulbüchern das Neutrum, nicht das Maskulinum die Stellvertreterfunktion: – Hans und Emma […] Jedes (WR-57, 71; WR-64, 103) – ein Erwachsenes (SRB-28, 39), in Kontrast zu Kind – Eine/r aus der Klasse […] jemand anderes (VG-B-94, 187) aber auch als LeserInnenadressierung: jeder von euch […] jemand anderer (VG-B-94, 25) – Geschwister […] jedes folgende (UR-N-63, 89) aber auch: Geschwister […] jeder und er (BW-99, 102) Möglicherweise handelt es sich bei dieser Verwendung von Neutra um eine regionale süddeutsche Besonderheit, die außerdem gegenwärtig kaum mehr im standardsprachlich geprägten Schulbuch geläufig zu sein scheint.243 In zeitge-

|| 242 Jedes (BVR-65, 24; UR-N-63, 89; WR-57, 71; WR-64, 103), alles im Sinn von ‚alle‘ (ERB-36, 12; VG-75, 124), das Neugeborene und ein Erwachsenes (SB-54, 45; SRB-28, 39), jemand anderes (VG-B-94, 187) und vom jüngsten [der Geschwister] (kotextuell als Neutrum interpretierbar, URN-63, 89). Die nordrhein-westfälische Ausgabe des Rechenbuchs Unser Rechenbuch (UR-N-63), aus dem der letzte Beleg stammt, fußt auf einer südwestdeutschen Ausgangsausgabe. 243 Der Fall jemand anderes ist hiervon wohl auszunehmen, denn zumindest gegenwartssprachlich ordnet der Zweifelsfall-Duden für Süddeutschland (und Österreich) den Gebrauch des Maskulinums im Nominativ im Vergleich zum Neutrum als üblich ein (vgl. Duden-Zweifelsfälle 2016, 499).

Wortorientierte Auswertung | 191

nössischen Schulbüchern liegt zumindest kein entsprechender Beleg vor. Doleschal (2002) hat in ihrer Auswertung historischer Grammatiken der Renaissance bis ins 20. Jahrhundert ermittelt, dass erst Grammatiken aus der Zeit der Aufklärung dem Maskulinum zusätzlich zu einer geschlechtsspezifizierenden Gebrauchsweise die Möglichkeit zugestanden, geschlechtsübergreifend verwendet werden zu können; zuvor war diese Stellvertreterfunktion nur für das Neutrum angenommen worden. Noch 1900 wird in Blatz’ Grammatik das Neutrum Singular für den Bereich der Pronomen als primäre Möglichkeit der Geschlechtsirrelevantsetzung ausgewiesen, das Maskulinum als eine nachgeordnete weitere (vgl. Doleschal 2002, 13). Sollten die Grammatiken hierin einen tatsächlichen Sprachgebrauchswandel nachzeichnen,244 so können die neutralen geschlechtsübergreifenden Verwendungsweisen als ältere Variante der Geschlechtsirrelevantsetzung betrachtet werden, die auf pronominaler Ebene sowie in Adjektiv- und Partizipkonversionen (unter den Beispielbelegen: in der Adjektivkonversion Erwachsenes) noch andeutungsweise erhalten ist. Im Korpus finden sich zwei Fälle, bei denen eine geschlechtsübergreifende Referenz bei konventionell weiblich referierenden Ausdrücken angenommen werden kann. Ein Sprachbuch beschäftigt sich eingehend mit dem Thema Berufswahl und übertitelt eine Textpassage mit Traumberuf: Gärtnerin (DK-10, 84). Im Text wird von einem Mädchen, Sina, erzählt, das Gärtnerin werden möchte. In der Überschrift nun wird über Gärtnerin die referenzfunktional nichtspezifische Aussage ‚Gärtnerin ist ein Traumberuf‘ getätigt. Wie unter 1.2.1b erläutert, steht das generisch gebrauchte Maskulinum häufig in Aussagen mit nicht-spezifischer Referenz. Hier steht allerdings eine PRF im Femininum, der im Zusammenhang mit dem Anschlusstext eine geschlechtsspezifizierende Referenz zugewiesen werden kann, die aber als Aussagegegenstand245 einer Allaussage als wenigstens potentiell-geschlechtsübergreifend und in diesem Sinn als potentiell-generisch zu werten ist. Das zweite Beispiel für eine mögliche geschlechtsübergreifende Gebrauchsweise konventionell weiblich referierender Feminina lautet eine falsche Freundin (VG-E-96, 95). Hier wird eine Allaussage über einen Typ Mensch getroffen, die gegenüber der Geschlechtsreferenz der als falsche Freundin klassifizierten Person (potentiell) indifferent ist. || 244 Mit Blick auf juristische Texte ist dies mindestens fraglich. Im 16. Jahrhundert beispielsweise wird vom Marburger Juristen Göde (latinisiert: Goeddaeus) auf die geschlechtsübergreifende Gebrauchsweise von Maskulina aufmerksam gemacht (vgl. Irmen/Steiger 2005, 216f.). Nicht zu beantworten ist allerdings, ob hier eine vor allem antike Tradition (zur generischen Lesart von Maskulina im Römischen Recht vgl. Grabrucker 1993, 87) fortgeschrieben wird oder ob sich diese Beobachtung auch aus einem dominierenden deutschen Sprachgebrauch speist. 245 Der Begriff wird im Kapitel 3.3.2a eingeführt.

192 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Wenngleich also Genus und Geschlechtsreferenz der PRF deutlich aufeinander bezogen sind und Genus ein wichtiger Marker für geschlechtsspezifische Referenz ist, gehört in den Schulbüchern ebenfalls zur Gebrauchskonvention, dass Epikoina und Kollektiva aller Genera, aber vor allem geschlechtsübergreifend gebrauchte Maskulina, die konventionell sowohl mit männlicher Geschlechtsreferenz als auch geschlechtsübergreifender gebräuchlich sind, diesen Zusammenhang zu jeder Zeit durchbrechen. Epikoina und Kollektiva mit einer geschlechtsspezifizierend männlichen oder weiblichen Referenz, die nicht genuskongruent ist, können hinsichtlich ihrer Auftretenshäufigkeit als Sonderfälle betrachtet werden, die den Zusammenhang zwischen Genus und Geschlechtsreferenz nicht grundlegend in Frage stellen. Der an den Schulbüchern empirisch ermittelte Gebrauch des Maskulinums aber durchbricht den Zusammenhang systematisch, dies vornehmlich wegen geschlechtsübergreifender und nur marginal wegen geschlechtsspezifizierend weiblicher Gebrauchsweisen des Maskulinums. Somit ergibt die Auswertung für das Maskulinum einen schwächeren Zusammenhang zwischen Genus und Geschlechtsreferenz als für die anderen beiden Genera. Auch gegenwärtig kann vom Genus Maskulinum nicht automatisch auf eine männliche Geschlechtsreferenz geschlossen werden. Festzuhalten ist außerdem, dass sich Abweichungen von diesem Zusammenhang durch konventionell weiblich referierende Feminina in Richtung einer kotextuell geschlechtsübergreifenden Gebrauchsweise in jüngeren Schulbüchern vorsichtig andeuten; sie stellen allerdings ein Randphänomen dar. Differentialgenus: Flexivische Geschlechtsspezifizierung Im Korpus befinden sich deadjektivische und departizipiale Konversionen mit Differentialgenus. Im Singular kann bei diesen über die Wahl eines maskulinen oder femininen Artikels eine Geschlechtsspezifizierung vorgenommen werden. Der Fremde, der/die Angestellte, ein Angestellter, einer […] ein anderer, die jüngere […] die ältere, der X-Jährige gehören zu den häufigsten Beispielen deadjektivischer oder departizipialer Konversion. Der Anteil deadjektivischer und departizipialer Konversionen im Singular an allen PRF ist seit einem Höhepunkt in den NS- und Nachkriegsjahren mit kurzer Retardierung in den 1960er Jahren stetig gefallen (s. Abbildung 20).

Wortorientierte Auswertung | 193

Abb. 20: Anteile deadjektivischer und departizipialer Singularkonversionen an den PRF eines Zeitabschnitts

Die übergroße Mehrzahl unter den Singularkonversionen wird maskulin flektiert, wie die helle Linie im Vergleich zur dunklen in der Abbildung 20 deutlich macht. Aber im diachronen Durchschnitt weist nur ein Fünftel (19%) bis ein Drittel (39%) der Singularkonversionen eine männliche Geschlechtsreferenz auf (s. unten Tabelle 19 und 20). Würde Genus = Geschlechtsreferenz gelten, so müssten die Anteile der Maskulina an den Singularkonversionen und jene der männlichen Referenzen an den Singularkonversionen annähernd gleich ausfallen. Bemerkenswert ist, dass unter den überwiegend246 maskulinen Adjektivund Partizipkonversionen selbst seit den 1970er Jahren weiterhin mehr Singularkonversionen geschlechtsübergreifend referieren, also generisch gebraucht sind; der Anteil männlich referierender Singularkonversionen hat im Gegenzug abgenommen. Die Werte in den Spalten ü-Sg. Konv. der beiden untenstehenden Tabellen machen diese Entwicklung der geschlechtsübergreifend referierenden Singularkonversionen nachvollziehbar;247 die Entwicklung der männlich referierenden Singularkonversionen (Spalte m-Sg. Konv.) ist zu dieser parallel zu lesen. Es kommt folglich in neueren Schulbüchern häufiger vor, dass Konversionen im Singular mit einem maskulinen Differentialgenus im konkreten Verwendungszusammenhang mehrheitlich geschlechtsübergreifend referieren.

|| 246 S. hierzu weiterhin die helle Linie im Vergleich zur dunklen Linie in der Abbildung 20. Einzig in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre dominiert das Maskulinum nicht unter den Singularkonversionen. 247 Auch die geschlechtsübergreifend referierenden Singularkonversionen weisen mehrheitlich das Genus Maskulinum auf; überaus selten stehen diese im Neutrum (z. B. ein Erwachsenes), nie im Femininum (s. den vorausgehenden Untergliederungspunkt).

194 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Tab. 19: Verteilung der Geschlechtsreferenzen auf die Singularkonversionen, uneind. separat248 w-Sg. Konv.

m-Sg. Konv.

ü-Sg. Konv.

uneind.-Sg. Konv.

Gesamt

Kaiserzeit

10%

23%

4%

63%

100%

NS-Zeit

0%

18%

6%

76%

100%

1973–1981

6%

18%

6%

70%

100%

1991–1999

10%

10%

50%

30%

100%

2011–2013

13%

0%

62%

25%

100%

Diachr. Ø

7%

19%

23%

52%

100%

Tab. 20: Verteilung der Geschlechtsreferenzen auf die Singularkonversionen, uneind. verteilt249 w-Sg. Konv.

m-Sg. Konv.

ü-Sg. Konv.

Gesamt

Kaiserzeit

10%

37%

53%

100%

NS-Zeit

0%

42%

58%

100%

1973–1981

6%

47%

47%

100%

1991–1999

10%

10%

80%

100%

2011–2013

13%

0%

87%

100%

Diachr. Ø

7%

39%

54%

100%

In den 2010ern sind unter den Singularkonversionen ein oder jeder Jugendlicher und ein Erwachsener am häufigsten; ebenfalls häufig ist jeder Einzelne, das meist referenzidentisch mit einem gemischt-geschlechtlich referierenden Ausdruck ist. Selten hingegen wird eine flexivische Geschlechtsspezifizierung an Adjektiv- und Partizipkonversionen als weiblich vorgenommen. Der Anteil weiblicher Referenzen an allen Singularkonversionen liegt im diachronen Durchschnitt bei 7% (s. weiterhin Tabelle 19 und 20).250

|| 248 Der diachrone Durchschnitt wurde auf Grundlage aller Zeitschnitte ermittelt, nicht allein auf Grundlage der für die Tabellendarstellung ausgewählten fünf Zeitabschnitte. 249 S. die vorherige Fußnote. 250 Es handelt sich hier jeweils um nicht-normierte Anteile. Die weiblich referierenden Singularkonversionen wurden also nicht anteilig zu allen wPRF berechnet und mit den Anteilen männlich referierender Singularkonversionen an allen mPRF usw. verglichen. Eine Normierung der Anteile ist bei der zugrunde liegenden Fragestellung auch nicht notwendig. Denn hier

Wortorientierte Auswertung | 195

Unter den geschlechtsübergreifend referierenden maskulinen Konversionen befindet sich der Schreibende eines Deutschbuchs, möglicherweise als Alternative zum genusfest maskulinen Schreiber (W&C-05, 89). Konversionen im Plural (die Studierenden) oder mit gesplitteter definiter Flexion (der/die Studierende) werden in Sprachleitfäden als leistungsfähige Alternative zu generisch gebrauchten Maskulina gesehen (vgl. z. B. Gleichstellungsbeauftragte Universität Köln 2014). Anstelle von der Student und die Studenten ist in der hochschulischen Verwaltungssprache beispielsweise Studierende weit verbreitet, und auch der Studentenausweis wurde an vielen Hochschulen durch den Studierendenausweis ersetzt.251 Wenn nun aber eine Konversion im Singular und mit maskuliner Flexion geschlechtsübergreifend referiert – das gilt nicht nur, aber in besonderem Maß für Fälle wie der Schreibende –, liegt keine geschlechtersensible Gebrauchsweise der Konversion vor und wird dem Maskulinum auch unter den potentiell geschlechtersensibel verwendbaren Konversionen die Funktion des Stellvertretergenus zugewiesen. Schreibende ist dabei einziges Beispiel im Korpus für eine Singularkonversion, die – Artikelwörter außen vor gelassen – als geschlechtersensible Ersatzform (hier: zu Schreiber, gegebenenfalls auch zu Verfasser) aufgefasst werden kann und das letztlich doch als generisches Maskulinum gebraucht ist. b) Lexikalische Geschlechtsspezifizierung Zu den lexikalischen Mitteln der Geschlechtsspezifizierung zählen im Schulbuch Geschlechtsbezeichnungen, mit denen im Deutschen eine konventionell geschlechtsspezifische Referenz verbunden ist (z. B. Herr). Für diese Lexeme ist keine geschlechtsübergreifende Gebrauchskonvention etabliert und es kommen auch in den Schulbüchern kaum Beispielbelege vor, die eine solche kotextuell nahelegen würden.252 Vornamen können ebenfalls als eine Form der lexikalischen Geschlechtsspezifizierung gewertet werden, wenn sie mit Nübling (2012a) als bedeutungstragend verstanden werden (s. Kap. 3.3.2c unter Eigennamen). Und auch Verwandtschaftsbezeichnungen, wie zum Beispiel Nichte, weisen

|| wird nachvollzogen, wie im Schulbuch Singularkonversionen zur Geschlechtsspezifizierung gebraucht werden. Daher muss von der Gesamtheit an Singularkonversionen ausgegangen werden. 251 Beispielsweise wurde an der Universität Würzburg bis vor Kurzem ein Studentenausweis ausgestellt. Seit wenigen Jahren heißt dieser nun Studierendenausweis. 252 Eine mögliche Ausnahme im Korpus stellt Mann im endungslosen Plural dar, zum Beispiel in 20 Mann sind 280 Tg. mit Lebensmitteln versehen (HEU-90, 28), dem eine beinahe identische Aufgabenstellung mit Personen an der Stelle von Mann unmittelbar vorausgeht.

196 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

eine lexeminhärente Geschlechtsspezifizierung auf. Da all diese Typen bereits unter den Appellativa bzw. bei der Namen-Auswertung betrachtet wurden, wird hier lediglich auf den Sonderfall der Geschlechtsbezeichnungen als Teil von Anreden sowie Attribuierung mit männlich und weiblich eingegangen. Sie stellen Möglichkeiten der lexikalischen Geschlechtsspezifizierung auf der Ebene der Syntax dar. Im Schulbuchkorpus konnte keine auffällige (Ungleich-)Verteilung von weiblich und männlich und damit keine Asymmetrie dahingehend festgestellt werden, dass die Geschlechter durch Attribuierung unterschiedlich explizit als Geschlechtswesen kategorisiert würden. Sehr bemerkenswert ist ein Befund aus einem Rechenbuch aus dem Jahr 1930 (RB2-30, 24), in dem von männlichen Arbeitern neben weiblichen Arbeitern sowie Arbeiterinnen die Rede ist. Die Belege zeigen zum Ersten, dass sowohl die Strategie der attributiven wie auch die der morphologischen Geschlechtsspezifizierung bereits in der Weimarer Zeit bekannt war und angewendet wurde. Zum Zweiten wird deutlich, dass Kombinationen aus dem Attribut männlich und einer maskulinen PRF, für die konventionell sowohl eine geschlechtsspezifizierend männliche als auch geschlechtsübergreifende Gebrauchskonvention etabliert ist, vor allem in Kontrastierung zur weiblichen Entsprechung notwendig erscheinen. Die maskuline PRF Arbeiter scheint zum Dritten in solchen Fällen geschlechtsübergreifend referierend gebraucht zu sein; erst die Attribuierung leistet eine Geschlechtsspezifizierung. Pober spricht bei Kombinationen aus maskulinem Arbeiter, für den eine geschlechtsspezifizierend männliche Gebrauchskonvention etabliert ist,253 sowie ebenfalls maskulinem männlich von „Hypermaskulinisierungen“ (Pober 2007, 17). Ein ähnlicher Fall zu männliche Arbeiter liegt mit meine [w] männlichen Kollegen (DK-13, 75) vor: Gesprochen wird hier vom Standpunkt einer Frau aus, die im Beispiel die implizite Kontrastfolie für ‚Frau-Kollege‘ (= Ich/Sprecherin) vs. ‚Mann-Kollege‘ vorgibt. Bei Nachnamen und Namenkürzeln kann der Kotext Vereindeutigung leisten, welche Geschlechtsreferenz bei der/dem ReferentIn wohl anzunehmen ist.254 Er bietet diese Information zum Beispiel in Form von lexeminhärent ge|| 253 Dass Arbeiter konventionell (auch) für männliche Referenzen gebräuchlich ist, reicht bereits aus, um diese PRF mit Maskulinität (als Männlichkeit) zusammenzudenken (s. ferner die psycholinguistischen Studien in Kap. 1.2.1b). 254 Regelhaft werden Namenkürzel mit Pronomen im Maskulinum aufgenommen. Wiederaufnahmen von Namen durch feminine Pronomen kommen ausschließlich dann vor, wenn auch ein Attribut bzw. eine Apposition vorliegt, das bzw. die eine weibliche Geschlechtsspezifizierung leistet: *A [w] macht […]. Sie kommt somit nicht im Korpus vor, sondern nur: Frau A macht […]. Sie; hingegen aber ist im Korpus möglich: A macht […]. Er.

Wortorientierte Auswertung | 197

schlechtsspezifizierenden PRF, wie Frau oder Herr: Eine Person mit dem Namen Winter und mit indifferenter Geschlechtsreferenz wird durch ein appositioniertes Frau als eine ‚weibliche Person mit dem Namen Winter‘ ausgewiesen. Betrachtet man nun diachron, inwiefern der Kotext diese Vereindeutigung auf eine Geschlechtsreferenz leistet, ergibt sich ein interessanter Befund: Über den Untersuchungszeitraum hinweg gehen Nachnamen und Namenkürzel zunehmend eine Apposition mit geschlechtsspezifizierenden PRF ein. Namen, die mit einem maskulinen Pronomen wiederaufgenommen werden, erhalten beispielsweise ab den 1960er Jahren beinahe immer auch einen geschlechtsspezifizierenden Zusatz, wie Herr. Im Fall der Namenkürzel leistet der Zusatz nicht nur eine Geschlechtsspezifizierung, sondern auch oder vor allem ein doing person, also eine Individualisierung. Bei Nachnamen hingegen leistet dieser das doing person schon vollumfänglich und der geschlechtsspezifizierende Zusatz kann als primäres Mittel der Geschlechtsspezifizierung aufgefasst werden.

Abb. 21: Lexikalische Geschlechtsspezifizierung durch Apposition bei Nachnamen und Namenkürzeln (Abb. 21-1: Apposition mit wPRF – Abb. 21-2: mPRF)

Die Appositionen lohnen nochmals eine eingehende Betrachtung. In ihrer Auswertung wird der propositionsorientierten Analyse vorgegriffen: Während Familiennamen, die weiblich referieren, beinahe ausnahmslos mit Frau und seltener Fräulein, noch seltener aber mit Berufsbezeichnungen eine Apposition eingehen, machen bei den Familiennamen mit männlicher Referenz die Berufsbezeichnungen die deutliche Mehrheit aus. In diachroner Perspektive verschiebt sich dies in den 1960er Jahren dauerhaft von den Berufsbezeichnungen zu Herr

198 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

(s. oben Abbildung 21), strukturell wird aus dem Tischlermeister Müller ein Herr Müller. Es bleibt also festzuhalten: Wird die Namenträgerin näher beschrieben, so geschieht das traditionell in Bezug auf ihr Frau-Sein durch den Zusatz Frau oder durch Fräulein; wird der Namenträger näher beschrieben, so geschieht das bis 1960 überwiegend in Bezug auf seine Berufstätigkeit, seither aber häufiger in Bezug auf die geschlechtliche Kategorisierung als Mann durch den Zusatz Herr. Komposita auf -frau oder -mann stellen ebenfalls lexikalische Mittel der Geschlechtsspezifizierung dar.255 In diesem Kapitel lag der Fokus auf eigenständig vorkommenden geschlechtsspezifizierenden Lexemen. Die kompositionelle Geschlechtsspezifizierung soll im Folgenden unter den Wortbildungsmitteln behandelt werden. c) Wortbildungsmittel der Geschlechtsspezifizierung Die Wortbildungstypen Derivation und Komposition bieten im Deutschen konventionalisierte Möglichkeiten der Geschlechtsspezifizierung. Welche Derivationen und Kompositionen für weibliche oder männliche Referenz charakteristisch sind, sollen die folgenden Auswertungen zeigen. Derivationen sind sowohl unter den wPRF als auch mPRF weit verbreitet. Diminution kommt dabei exklusiv aufseiten der wPRF vor. Wenngleich Diminution im Fall von Mädchen synchron nicht mehr oder im Fall von Fräulein nicht unmittelbar durchsichtig ist, so sind Verkleinerungen und Verniedlichungen doch exklusiv mit Weiblichkeit verbunden. Bei Fräulein als Teil einer Anrede markiert die Diminution darüber hinaus einen sozialen Status, und zwar den der Ehelosigkeit;256 erst wenn dieser durch eine Heirat überwunden wird, wird die ‚kleine/junge Frau‘ zur ‚Frau‘. Neben Diminutivbildungen befinden sich zahlreiche andere Derivationen im Korpus. Ein Viertel bis ein Drittel der substantivischen wPRF, Eigennamen

|| 255 Kompositionelle Geschlechtsspezifizierungen stellen einen Mischtyp aus Wortbildungsund lexikalischer Geschlechtsspezifizierung dar. Meist werden sie in der Forschung als Basismorpheme und die Wortbildungsprodukte auf -frau oder -mann als Komposita bewertet (vgl. z. B. Schoenthal 1998, 11). frau-Komposita weisen aber auch eine deutliche Nähe zu in-Movierungen auf, was eine Klassifizierung von -frau als Affixoid nachvollziehbar macht. 256 Gegenwärtig wird Fräulein kaum mehr in Anreden für Frauen gebraucht, bei denen der Status der Ehelosigkeit angenommen wird, sondern beispielsweise scherzhaft-drohend für ein Mädchen oder im Gastronomiebereich zur Kontaktaufnahme mit weiblichen Bedienungen (vgl. z. B. Duden-Universalwörterbuch 2015, 639 s. v. Fräulein). Der soziale Status der Ehelosigkeit wird mit diesen Gebrauchsweisen nicht relevant gesetzt.

Wortorientierte Auswertung | 199

ausgenommen,257 ist in Form eines Ableitungssuffixes deriviert.258 Die Tabelle 21 zeigt die verschiedenen Derivationstypen unter den substantivischen wPRF259 im Korpus. Die Suffixe -chen, -lein, -i und -el bilden dabei die Subgruppe der diminuierenden Suffixe. Sie können prinzipiell auch Bestandteil von Wortbildungen mit männlicher Geschlechtsreferenz sein; in den Schulbüchern ist das beispielsweise der Fall bei Brüderlein, Vati, Papi oder Opi kommen aber nicht etwa im Korpus vor. Im Unterschied dazu referieren Ausdrücke mit den Suffixen -in, -euse und -eß im Deutschen konventionell weiblich. Tab. 21: Anteile der Suffigierungen an allen derivierten substantivischen wPRF Suffixe

Anteil an allen deriv. subst. wPRF

Beispiele

-in

67,6%

Schülerin, Bäuerin, Nachbarin

-chen

25,3%

ausschließlich: Mädchen, Schwesterchen

-lein

2,1%

ausschließlich: Fräulein, Schwesterlein

-i

1,0%

Mami, Mutti

-el

0,6%

ausschließlich: Mädel

-euse

0,6%

ausschließlich: Friseuse, Souffleuse

-eß

0,2%

ausschließlich: Stewardeß

Bei den Derivationen auf -in, -euse und -eß handelt es sich um eine gerichtete Movierung mit einer maskulinen Basis (z. B. Schüler + -in = Schülerin; Steward + -eß = Stewardeß). Sie machen die übergroße Mehrheit unter den derivierten weiblich referierenden Personenbezeichnungen aus. Das in-Suffix ist dabei häufigstes Derivationsmittel, um weibliche Referenz anzuzeigen. Es kommt in jedem Zeitabschnitt am häufigsten unter allen derivierten wPRF vor, so dass || 257 Zu den Eigennamen s. die Auswertungen unter 4.1.2b. 258 Bleiben die derivierten Formen aus den komplexen koordinierten Phrasen regelhaft ausgeschlossen, liegt der Anteil an derivierten substantivischen wPRF (ohne Eigennamen) bei 424 von 1655 substantivischen wPRF und somit bei 26%. Sie einbezogen, liegt der Anteil bei 620 von 1966 und somit bei 31%. Jene derivierten PRF, die konventionell für weibliche Personen gebräuchlich und Bestandteil komplexer koordinierten Phrasen sind, wurden für diese zweite Auswertung zur Grundgesamtheit der derivierten substantivischen wPRF addiert, die Berechnungsgrundlage der prozentualen Anteile in Tabelle 21 ist. 259 Hier sind die konventionell für weibliche Personen gebräuchlichen PRF, die Bestandteil komplexer koordinierten Phrasen sind, einbezogen, da sie im Korpus eine große Gruppe derivierter Formen ausmachen.

200 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

andere geschlechtsspezifisch gebräuchliche Suffixe dem nicht den Rang ablaufen können. In zwei Fällen allerdings eröffnet der Kotext bei in-suffigierten PRF eine geschlechtsübergreifende Lesart (s. Gärtnerin und Freundin, Kap. 4.1.3a). Wie sich die prominenten in-Suffigierungen als Marker für weibliche Geschlechtsspezifizierung im Lauf der Jahrzehnte entwickeln, zeigt eine gesonderte Auswertung dieser Formen. Hier wurde ein erweitertes Auswertungsverfahren gewählt. In einem ersten Schritt wurden nur Vorkommen von in-suffigierten PRF berücksichtigt, die nicht Bestandteil komplexer koordinierter Phrasen sind. In einem zweiten Schritt wurden auch in-suffigierte PRF aus komplexen koordinierten Phrasen (z. B. Bewerber und Bewerberinnen) einbezogen,260 da in-Suffigierungen bereits einer oberflächlichen Sichtung der Schulbücher nach über die Jahrzehnte zunehmend häufiger in Paarformen vorkommen. Die erste Auswertung macht dann deutlich, ob das in-Suffix als selbständiger Weiblichkeitsmarker an Bedeutung zu- oder abnimmt oder auf vergleichbarem Niveau bleibt. Ihre Entwicklung wird durch die dunkle Linie in der Abbildung 22 (s. unten) repräsentiert. Da in-Derivationen in komplexen koordinierten Phrasen beinahe ausschließlich zusammen mit ihrem maskulinen morphologischen Kompleonym261 stehen, wie im Beispiel Bewerber und Bewerberinnen,262 macht die zweite, erweiterte Auswertung im Gegenzug deutlich, ob das in-Suffix vor allem in Kontrastierung mit einem Kompleonym zum Einsatz kommt oder eine eigenständige Alternative darstellt. Die Anteile der in-Suffigierungen an der erweiterten Gesamtheit an wPRF sind in der hellen Linie der Abbildung repräsentiert. In der Ergebnisschau ist festzustellen, dass die in-Movierungen in NS- und Nachkriegsbüchern überraschend ansteigen, worauf ein deutlicher Einbruch folgt (s. weiterhin unten Abbildung 22). Der hohe Anteil ist nicht durch ein erhöhtes Vorkommen an in-Derivationen in Paarformen zu erklären; in diesem Fall müsste die helle Linie nämlich höher liegen als die dunkle. Schulbücher dieser Jahre nutzen stattdessen Wortbildungen auf -in häufiger als zuvor und hernach als eigenständige Alternative zur Geschlechtsspezifizierung von Figuren.

|| 260 Werden die derivierten Formen aus den komplexen koordinierten Phrasen einbezogen, erhöht sich der Anteil an in-suffigierten Ausdrücken von 265 auf 418. Für diese zweite Auswertung muss aber auch eine andere Grundgesamtheit an wPRF als Berechnungsgrundlage der inAnteile angenommen werden: Sie muss um alle konventionell für weibliche Personen gebräuchlichen PRF, die Bestandteil komplexer koordinierten Phrasen sind, erweitert werden. 261 Zur Gebrauchsweise von morphologisch kompleonym s. Kapitel 3.3.2c, FN 144. 262 Als Ausnahme hiervor ist Textredakteurin und Jugendreporter (DB-N-13, 284) zu nennen.

Wortorientierte Auswertung | 201

Abb. 22: Anteile von in-Suffigierungen an den wPRF eines Zeitabschnitts

Erst in den 1990er Jahren entwickeln sich die beiden Anteile an in-Suffigierungen dann stärker auseinander, wenngleich die Tendenz in den letzten 15 Jahren gleich ausfällt (2000er: Anstieg; 2010er: Abfall). In den 1990er und 2000er Jahren werden in-Suffigierungen deutlich häufiger als in den Jahrzehnten zuvor in morphologisch kompleonymen Paarformen gebraucht. Zuletzt ist ihr Anteil wieder stark zurückgegangen. Seit 1990, so ist festzuhalten, dient das Suffix -in in rund 50% aller Fälle der Kontrastierung mit einem maskulinen kompleonymen Ausdruck, dem dadurch eine eindeutig männliche Referenz zugewiesen werden kann. Dieser Wert ergibt sich aus dem Vergleich der beiden Entwicklungslinien. Unter den Männerbezeichnungen, die Eigennamen ausgenommen, ist das Suffix -er häufigstes Derivationsmittel. Werden die nicht eindeutig, aber sehr wahrscheinlich männlich referierenden PRF in die Auswertung einbezogen, dann fällt im Vergleich der er- und in-Movierungen der Anteil der maskulinen Formen in jedem Zeitabschnitt größer aus als jener der femininen in-Formen an allen wPRF (s. die dunkle Linie in Abbildung 22 und die hellgrau-gestrichelte Linie in Abbildung 23 unten).263 Die durchgezogene dunkle und die gestrichelte dunkle Linie aus der Abbildung 23 zeigen die Anteile der er-Derivationen an den mPRF unter Berücksich-

|| 263 Eine Sonderrolle nimmt in der Entwicklung der er-Derivationen die erste Hälfte der 1980er Jahre ein; es ist davon auszugehen, dass die sehr auffälligen Werte mit der geringen Stichprobengröße dieser Jahre zusammenhängen.

202 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

tigung der komplexen koordinierten Phrasen.264 An ihrem Verlauf wird nachvollziehbar, dass die er-Derivationen seit den 1990er Jahren die gleiche Entwicklung wie die in-Derivationen nehmen. Dies hängt, wie die Differenzen zwischen den dunkel- und hellgrau eingefärbten Linien in der Abbildung 23 verdeutlichen, an den Vorkommen von Maskulina auf -er in komplexen koordinierten Phrasen. Regelhaft bilden sie zusammen mit dem morphologischen Kompleonym auf -in eine Paarform. Auffällig an den er-Derivationen ist, dass gerade bis um 1980 ein großer anteiliger Unterschied besteht zwischen den eindeutig und nicht eindeutig männlich referierenden PRF (s. jeweils die gestrichelten Linien in Abbildung 23). Nach den Namenkürzeln handelt es sich im Korpus bei den er-Derivationen um die größte Gruppe an PRF, die vergleichsweise großen Interpretationsspielraum bei der Bestimmung einer Geschlechtsreferenz lassen, weil für sie verschiedene geschlechtsreferentielle Verwendungsweisen konventionalisiert sind.

Abb. 23: Anteile von er-Suffigierungen an den mPRF eines Zeitabschnitts

|| 264 Werden die derivierten Formen aus den komplexen koordinierten Phrasen einbezogen, erhöht sich der Anteil an er-suffigierten Ausdrücken von 618 (inkl. uneind. mPRF: 1638) auf 762 (inkl. uneind. mPRF: 1797). Allerdings muss wiederum eine andere Grundgesamtheit an mPRF als Berechnungsgrundlage für die er-Anteile angenommen werden: Sie muss um alle konventionell für männliche Personen gebräuchlichen PRF, die Bestandteil komplexer koordinierten Phrasen sind, erweitert werden.

Wortorientierte Auswertung | 203

Vergleicht man die Anteile an denjenigen Derivationen auf -er und auf -in, die nicht in Paarformen gebunden sind, und bezieht man hierbei die nicht eindeutig, aber sehr wahrscheinlich männlich referierenden PRF auf -er ein, so ergibt sich ein interessanter Befund: Mit Ausnahme der Kaiserjahre liegt der Anteil der er-derivierten mPRF relativ zu allen mPRF (s. die durchgezogene helle Linie in Abbildung 23) fast konstant um ein Drittel höher – in den 1950er und 1960er Jahren sogar dreimal höher – als der Anteil der in-derivierten wPRF an allen wPRF (s. die dunkle Linie in Abbildung 22 weiter oben). In semantischer Hinsicht handelt es sich bei beiden Wortbildungsprodukten vornehmlich um Nomen Agentis oder um Bezeichnungen nach den Gegenständen in einem konkreten oder eher abstrakten Sinn, mit denen die Person umgeht oder die sie erzeugt, zum Beispiel: Vertreter =

vertret +

-er

verbaler Morphemkomplex (MK) Wortbildungsmorphem (WM) Kotextuelles Inhaltsmuster: ‚Männliche Person, die [Produkte der Firma] X vertritt.‘ Händler =

handel (unter e-Synkope, Umlautung) +

-er

verbaler MK

WM

Kotextuelles Inhaltsmuster: ‚Männliche Person, die handelt.‘ (Variante A) Handel (e-Synkope, Umlautung) +

-er

substantivischer MK

WM

Kotextuelles Inhaltsmuster: ‚Männliche Person, die Handel treibt.‘ (Variante B)

Im Inhaltsmuster unterscheidet sich die Mehrzahl der derivierten mPRF nicht von den auf -er endenden Basen von in-Suffigierungen: Verkäuferin = 1. Ebene 2. Ebene

Verkäufer +

-in

substantivischer MK

WM

verkauf (unter Umlautung) +

-er

verbaler MK

WM

Kotextuelles Inhaltsmuster (zwei Hierarchieebenen zusammengefasst): ‚Weibliche Person, die X verkauft.‘

204 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Lehrerin =

1. Ebene 2. Ebene

Lehrer +

-in

substantivischer MK

WM

lehr +

-er

verbales Basismorphem

WM

Kotextuelles Inhaltsmuster (zwei Hierarchieebenen zusammengefasst): ‚Weibliche Person, die lehrt.‘

Sowohl die er-Derivationen als auch die in-Derivationen mit er-Basis enkodieren mehrheitlich einen hohen Agentivitätsgrad. Da allerdings der Anteil der er-derivierten mPRF relativ zu allen mPRF höher liegt als der Anteil der in-derivierten wPRF265 relativ zu allen wPRF, werden mit diesen PRF konzeptualisierte männliche Personen agentiver gezeichnet als die weiblichen Personen. Dieser Befund korrespondiert mit der Auswertung der Gesellschaftsbezeichnungen, bei denen sich Tätigkeitsbezeichnungen bereits als charakteristischer für mPRF als für wPRF erwiesen haben (s. Kap. 4.1.2a unter Gesellschaftsbezeichnungen). In den Schulbüchern selten sind Komposita mit einer lexeminhärent geschlechtsspezifizierenden wPRF oder mPRF als Letztglied, also Wortbildungen auf -dame, -mann oder Ähnliches. Die häufigsten Ausdrücke unter den Frauenbezeichnungen sind: Hausfrau, Bauer(s)frau und Marktfrau, in den NS-Jahren auch Jungmädel. Komposita auf -frau stellen die umfangreichste Gruppe unter den lexeminhärent weiblich referierenden Komposita. Auffällig ist deren Entwicklung an allen wPRF: Anfang der 1980er Jahre verschwinden sie beinahe völlig aus dem Korpus, nachdem sie nach 1945 bereits seltener wurden (s. unten Abbildung 24). Die Entwicklung ist dabei eng an Hausfrau gekoppelt, die unter den frau-Komposita den größten Anteil ausmacht. Zeitgeschichtlich fällt sie zusammen mit der sprachkritischen Forderung nach einer sprachlichen Sichtbarmachung von Frauen. Geschlechtsspezifizierend weibliche Komposita scheinen in Schulbüchern nicht als Strategie aufgefasst worden zu sein und zu werden, Weiblichkeit sprachlich explizit zu machen. Die Vermutung von Schoenthal (1998, 14), frau-Komposita würden in kommenden Jahrzehnten expandieren, hat sich im Schulbuch nicht bewahrheitet. Annähernd parallel zu -frau verläuft auch die Entwicklung der mannKomposita, die unter allen eindeutig männlich referierenden Komposita mit einem geschlechtsspezifizierenden Letztglied die größte Gruppe darstellen.

|| 265 Zudem handelt es sich bei den in-Derivationen nicht durchwegs um Basen auf -er, sondern häufiger auch um in-Movierungen der Maskulina Freund oder Nachbar.

Wortorientierte Auswertung | 205

Nach 1980 kommen PRF auf -mann unter allen mPRF kaum mehr vor. Die Kombinationen verlieren außerdem an Vielfalt: Während in kaiserzeitlichen Büchern noch vom Kaufmann, Zimmermann, Staatsmann, Edelmann, Landmann, Feuerwehrmann und in der Weimarer Zeit zum Beispiel vom Bauersmann, Dienstmann und Geschäftsmann zu lesen ist, bleiben in den Schulbüchern der letzten 25 Jahre nur noch der Kaufmann, der Seemann und der einmalig belegte Servicemann übrig. Die Anteile von frau- und mann-Komposita fallen im diachronen Vergleich zueinander ähnlich aus, mit einer stärkeren Abweichung der frau-Komposita nach unten in der Weimarer Zeit und zwischen 1945 und 1970. Ab 1985 sind die Linien und damit die jeweiligen Anteile kompositioneller Geschlechtsspezifizierung (fast) identisch (s. weiterhin Abbildung 24). Nicht wesentlich unterschiedlich verläuft die Kurve, wenn man die herr-Komposita zu den mann-Komposita addiert; herrin- oder dame-Komposita befinden sich nicht im Korpus.

Abb. 24: Anteile von Komposita auf -frau und -mann an den PRF eines Zeitabschnitts

Die männlich und weiblich referierenden Komposita unterscheiden sich noch in weiteren Punkten: Die Komposita auf ein lexeminhärent männlich referierendes Letztglied bezeichnen meist erwachsene Männer in ihren beruflichen Funktionen bzw. Tätigkeiten (Kaufmann, Zimmermann, Staatsmann, Ratsherr) oder in Bezug auf ihre (temporären) Verfügungsbereiche (Bauherr, Hausherr, Grundherr). Berufsbezeichnungen mit weiblich referierendem Letztglied dagegen lassen mehr und andere Systematisierungen zu: – wPRF mit lexikalisch geschlechtsspezifizierenden Verwandtschaftsbezeichnungen als Letztglied, wie -schwester in Krankenschwester (statt z. B. ?Krankenfrau), ist ein Konzept FRAU zu eigen, das in der Sphäre Beruf auf Bezeichnungsebene die soziale Beziehung zwischen Berufstätiger und KundIn – im

206 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse





genannten Beispiel: zwischen Krankenschwester und PatientIn – hervorhebt. Mädchen in der Berufsbezeichnung Alleinmädchen betont hingegen das junge Alter der Person, ohne dass die Altersbezeichnung zugleich Ausdruck einer temporären niedrigen Qualifikationsstufe, wie bei -junge in Lehrjunge, wäre. Komposita aus männlich referierendem Morphemkomplex und -frau als Letztglied, wie Kaufmannsfrau, drücken eine Bezogenheit der Frau auf den Mann aus (s. ähnlich Pusch 1984 [1980], 55 in Kap. 1.2.1b). Umgekehrte Bildungsrichtungen (z. B. ?Kauffrausmann oder ?Hebammenmann) kommen im Korpus nicht vor. Die weibliche Person ist in Beispielen wie Kaufmannsfrau nur in Bezug auf einen Mann näher bestimmt – ob nun allein als Ehefrau eines Kaufmanns oder als erwerbstätige Frau im gleichen Beruf wie der Ehemann.

Ausgehend von der Verwendungshäufigkeit können als prototypische Komposita Hausfrau, neuerdings Marktfrau, und Kaufmann gelten. Dabei verlieren Wortbildungen mit einem lexeminhärent geschlechtsspezifizierenden Letztglied an Typikalität, d. h., Hausfrau und Kaufmann sind mit abnehmender Frequenz zunehmend schlechtere VertreterInnen unter den wPRF bzw. mPRF. Ableitungen auf -er mit eindeutig männlicher Referenz und auf -in mit weiblicher Referenz legen hingegen wenige Jahre später deutlich zu und erfahren eine Aufwertung als zunehmend häufiger gebrauchte Indikatoren für männliche und weibliche Geschlechtsreferenz. Gestützt wird dieser Befund noch dadurch, dass der Anteil an geschlechtsreferentiell uneindeutigen er-Derivationen seit den 1980er Jahren abnimmt (s. die geringer werdende Differenz zwischen den gestrichelten und den durchgezogenen Linien in Abbildung 23 oben). Womöglich kann man den Rückgang der geschlechtsspezifizierenden Komposita dadurch erklären, dass diese über die Jahre durch geschlechtsübergreifend referierende Letztglieder ersetzt werden. Daher wurde das Korpus auf das Vorkommen abstrahierend-kollektivischer und Epikoina-Letztglieder untersucht und tatsächlich fanden sich konkurrierende Formen, allerdings über den gesamten Untersuchungszeitraum verteilt nur wenige, zum Beispiel Arbeitsmenschen und Arbeitskräfte neben Arbeiterin oder Arbeiterinnen sowie neben Arbeiter (Sg./Pl.) oder Kombinationen der maskulinen und femininen Formen, Lehrkraft und Lehrkräfte ab den 1950er Jahren neben Lehrer (Sg./Pl.) sowie Lehrerin oder Lehrerinnen oder ebenfalls Kombinationen der morphologischen Kompleonyme. Bereits seit der Kaiserzeit ist die Rede von Kaufleuten neben Kaufmann und Kaufmannsfrau (aber nie: Kauffrau), weitere Konkurrenzkompo-

Wortorientierte Auswertung | 207

sita sind Schutzleute neben Schutzmann, Seeleute neben Seemann und Seemänner, Geschäftsleute und Geschäftsleitung neben Geschäftsmann und Unternehmer. Für den Rückgang der frau- und mann-Komposita sind diese insgesamt seltenen Konkurrenzformen allerdings nicht verantwortlich zu machen.

4.1.4 Mittel der Geschlechtsabstraktion Erhebungspraktisch ist in den meisten Fällen nicht möglich zu unterscheiden, wann ein Ausdruck im Äußerungszusammenhang von geschlechtlichen Kategorisierungsmöglichkeiten abstrahiert gebraucht ist (oder womöglich doch auf eine gemischt-geschlechtliche Gruppe referiert; s. bereits Kap. 3.3.2c unten Pragma-Grammatik).266 Geschlechtsübergreifend referierende Ausdrücke können nur hinsichtlich ihrer Form unterschieden werden, und zwar in solche, die ausdrucksseitig geschlechtsneutral sind (z. B. Epikoina), in ausdrucksseitig ambivalente Mittel (z. B. generisch gebräuchliche Maskulina) sowie in ausdrucksseitig mehr als ein Geschlecht relevant setzende Formulierungen (z. B. Beidnennungen). Neutralformen sowie generisch gebrauchte Maskulina stehen im Fokus dieses Kapitels. Der Form nach neutral gegenüber einer Relevantsetzung von Geschlecht verhalten sich Mittel, die weder flexivisch-grammatisch noch lexikalisch noch durch Wortbildung eine geschlechtsspezifizierende Referenz nahelegen. Zu diesen geschlechtsneutralen Formen gehören in den Schulbüchern: Kollektiva, darunter Pluralwörter, pluralfähige Kollektivlexeme und Kollektivbildungen, weitere Abstraktbildungen267, Epikoina, Konversionen im Plural, Namenkürzel, pluralisch gebrauchte Nachnamen und Unisex-Vornamen. Betrachtet man das Vorkommen dieser geschlechtsneutralen Formen über den Untersuchungszeitraum, so fällt auf: Die NS-Jahre weisen zusammen mit den 1980er Jahren exponierte Anteile dieser Formen an allen PRF auf, im ersten Fall liegen sie besonders hoch, im zweiten besonders niedrig. Im Folgenden wird ermittelt, inwiefern diese Formen geschlechtsübergreifend referieren oder doch kotextuell eine geschlechtsspezifische Referenz angenommen werden

|| 266 Zur Kritik an der Möglichkeit geschlechtsabstrahierender Referenz s. bereits Kapitel 3.3.2c, FN 145. 267 An Abstraktbildungen, die nur potentiell ein Kollektiv bezeichnen, konnten die jeweils einfach vorkommenden Belege Direktion (MSB-B-77, 55), Geschäftsleitung (MiSp-86, 42) und Schülervertretung (DB-N-13, 233) gefunden werden. Das nicht-kollektive Abstraktum Bedienung findet sich zweifach (vgl. VG-75, 75; DR-B-86, 44).

208 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

kann. Die Fragerichtung verläuft somit umgekehrt zur Leitfrage des vorausgehenden Kapitels 4.1.3. Jeweils in der ersten Zeile eines Zeitabschnitts der Tabelle 22 (s. unten) stehen die Anteile aller Formen unabhängig von ihrer Geschlechtsreferenz. In den nachfolgenden Zeilen sind diese Werte dann auf die Geschlechtsreferenzen verteilt. Die zweite Zeile gibt dabei stets den Anteil derjenigen geschlechtsneutralen Formen an, die tatsächlich geschlechtsübergreifend referieren (Kürzel ü für geschlechtsübergreifende Referenz). Während es sich beispielsweise in den NS-Jahren bei 9,5% aller PRF um Kollektiva (inklusive nicht-kollektiver Abstrakta) handelt, referieren davon nur 7,8% eindeutig geschlechtsübergreifend und 1,7% geschlechtsspezifizierend. Besonders starke Abweichungen zwischen ‚der Form nach eine geschlechtsübergreifende Referenz nahelegend‘ und ‚geschlechtsübergreifend referierend‘ finden sich bis 1950: Nur ein Drittel der geschlechtsneutralen Formen referiert in den Kaiserjahren eindeutig geschlechtsübergreifend, jeweils die Hälfte bis rund zwei Drittel in den Schulbüchern der Weimarer Zeit, den Nachkriegs- und 1950er Jahren. In allen vier Zeitabschnitten sind es die Namenkürzel, welche die Differenz mehrheitlich ausmachen. Bei Namenkürzeln ist meist nicht eindeutig zu entscheiden, ob diese geschlechtsübergreifend oder doch geschlechtsspezifizierend (in der Regel heißt das: geschlechtsspezifizierend männlich) gebraucht sind. Deswegen sind die Anteile geschlechtsreferentiell uneindeutiger Namenkürzel an allen Namenkürzeln vergleichsweise hoch (z. B. in den Kaiserjahren: 14,3% von insgesamt 16,1% Namenkürzeln, s. Tabelle 22). Seit Anfang der 1960er Jahre besteht kaum ein Unterschied mehr zwischen konventioneller und kotextueller Geschlechtsreferenz, vor allem aus dem Grund, weil strittige Namenkürzel nur noch selten vorkommen. Die Entwicklung der kotextuell geschlechtsspezifizierend referierenden Neutralformen – die Menge der geschlechtsreferentiell uneindeutigen Namenkürzel bleibt hier unberücksichtigt – gliedert sich diachron in drei Phasen: Die Neutralformen verdreifachen ihren Anteil an allen PRF bis 1945 (Phase 1). Rasch sinkt dieser wieder und erreicht in den 1980er Jahren seinen vorläufigen Tiefpunkt mit 2,9% an allen PRF (Phase 2).268 Seither befindet er sich im Steigen und pendelt sich zuletzt im diachronen Mittel ein (Phase 3).

|| 268 Dieser niedrige Wert ist relativiert zu betrachten, weil die Datengrundlage für den Zeitraum 1982 bis 1985 geringer als zu den anderen Abschnitten ausfällt. Doch auch dessen ungeachtet ist für die 1980er Jahre ein vergleichsweise geringer Anteil an geschlechtsneutralen Formen festzustellen.

Wortorientierte Auswertung | 209

Tab. 22: Anteile geschlechtsneutraler Formen an allen PRF eines Zeitabschnitts nach Geschlechtsreferenzen269

Kollektiva & Epikoina Konversio- NamenAbstrakta nen (Pl.) kürzel

Nachnamen (Pl.)

UnisexNamen

2,2%

4,3%

1,3%

16,1%

0,0%

0,0%

24,0%

ü

2,1%

4,3%

1,3%

0,0%

0,0%

0,0%

7,7%

m

0,1%

0,1%

0,0%

1,5%

0,0%

0,0%

0,4%

w

Kaiserzeit alle

Weimarer Republik

NS-Zeit

0,0%

0,0%

0,0%

0,4%

0,0%

0,0%

0,4%

uneind. 0,1%

0,0%

0,0%

14,3%

0,0%

0,0%

14,3%

alle

2,7%

3,6%

0,9%

5,0%

0,0%

0,0%

12,1%

ü

2,5%

3,5%

0,9%

0,2%

0,0%

0,0%

7,0%

m

0,2%

0,1%

0,0%

0,6%

0,0%

0,0%

0,9%

w

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

uneind. 0,0%

0,0%

0,0%

4,1%

0,0%

0,0%

4,1%

alle

9,5%

6,8%

7,3%

0,7%

0,0%

0,0%

24,2%

ü

7,8%

6,4%

6,8%

0,0%

0,0%

0,0%

21,0%

m

0,5%

0,2%

0,2%

0,3%

0,0%

0,0%

1,2%

w

1,2%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

1,2%

uneind. 0,0%

0,1%

0,2%

0,4%

0,0%

0,0%

0,7%

3,2%

3,0%

3,3%

6,2%

0,0%

0,0%

15,7%

3,2%

3,0%

3,2%

0,0%

0,0%

0,0%

9,3%

m

0,0%

0,0%

0,0%

0,4%

0,0%

0,0%

0,4%

w

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

uneind. 0,0%

0,0%

0,1%

5,8%

0,0%

0,0%

5,9%

alle

3,1%

3,3%

1,4%

3,3%

0,0%

0,1%

11,1%

ü

3,0%

3,0%

1,3%

0,3%

0,0%

0,0%

7,6%

m

0,1%

0,1%

0,0%

0,5%

0,0%

0,1%

0,7%

w

0,1%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,1%

uneind. 0,0%

0,2%

0,1%

2,5%

0,0%

0,0%

2,8%

Nachalle kriegszeit ü

Ära Adenauer

Gesamt

|| 269 Bei differierenden Summenwerten s. die Erläuterung zur Tabelle 18 in FN 237 zu Wertanzeigen in Tabellen.

210 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

1963– 1972

1973– 1981

1982– 1985

1986– 1990

1991– 1999

2000– 2010

Kollektiva & Epikoina Konversio- NamenAbstrakta nen (Pl.) kürzel

Nachnamen (Pl.)

UnisexNamen

Gesamt

alle

2,8%

3,0%

1,1%

2,0%

0,0%

0,0%

8,9%

ü

2,6%

2,9%

1,0%

0,3%

0,0%

0,0%

6,8%

m

0,2%

0,1%

0,0%

0,1%

0,0%

0,0%

0,4%

w

0,0%

0,0%

0,0%

0,2%

0,0%

0,0%

0,2%

uneind. 0,0%

0,0%

0,1%

1,4%

0,0%

0,0%

1,5%

alle

3,3%

3,2%

0,5%

0,7%

0,0%

0,1%

7,8%

ü

3,1%

3,1%

0,5%

0,0%

0,0%

0,0%

6,7%

m

0,1%

0,1%

0,0%

0,5%

0,0%

0,1%

0,8%

w

0,0%

0,0%

0,0%

0,2%

0,0%

0,0%

0,2%

uneind. 0,1%

0,1%

0,1%

0,0%

0,0%

0,0%

0,2%

alle

0,7%

1,8%

0,4%

0,0%

0,0%

0,0%

2,9%

ü

0,7%

1,8%

0,4%

0,0%

0,0%

0,0%

2,9%

m

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

w

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

uneind. 0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

alle

3,0%

2,9%

0,4%

0,4%

0,2%

0,3%

7,2%

ü

2,9%

2,8%

0,4%

0,0%

0,2%

0,0%

6,2%

m

0,0%

0,0%

0,0%

0,2%

0,0%

0,3%

0,5%

w

0,0%

0,1%

0,0%

0,2%

0,0%

0,0%

0,3%

uneind. 0,0%

0,0%

0,0%

0,1%

0,0%

0,0%

0,1%

alle

3,4%

3,5%

0,4%

0,3%

0,0%

0,3%

8,0%

ü

3,1%

3,1%

0,4%

0,0%

0,0%

0,0%

6,6%

m

0,2%

0,2%

0,0%

0,3%

0,0%

0,2%

0,9%

w

0,1%

0,1%

0,1%

0,1%

0,0%

0,0%

0,2%

uneind. 0,0%

0,2%

0,0%

0,0%

0,0%

0,1%

0,2%

alle

4,8%

3,6%

2,0%

0,2%

0,0%

0,6%

11,3%

ü

4,5%

3,5%

2,0%

0,0%

0,0%

0,1%

10,1%

m

0,2%

0,1%

0,0%

0,0%

0,0%

0,3%

0,6%

w

0,1%

0,1%

0,0%

0,0%

0,0%

0,1%

0,2%

uneind. 0,0%

0,0%

0,1%

0,2%

0,0%

0,2%

0,4%

Wortorientierte Auswertung | 211

2011– 2013

Kollektiva & Epikoina Konversio- NamenAbstrakta nen (Pl.) kürzel

Nachnamen (Pl.)

UnisexNamen

Gesamt

alle

2,7%

4,3%

1,1%

0,0%

0,0%

0,6%

8,7%

ü

2,5%

3,8%

1,0%

0,0%

0,0%

0,0%

7,3%

m

0,2%

0,2%

0,0%

0,0%

0,0%

0,3%

0,7%

w

0,0%

0,2%

0,0%

0,0%

0,0%

0,3%

0,4%

uneind. 0,1%

0,1%

0,1%

0,0%

0,0%

0,0%

0,2%

Die NS-Bücher erweisen sich aber nicht nur wegen ihres hohen Anteils (21,0%) an geschlechtsübergreifend referierenden Neutralformen als auffällig: Obwohl in den Schulbüchern dieser Jahre weiterhin deutlich weniger wPRF als mPRF vorkommen (s. bereits Kap. 4.1.1), liegt der Anteil weiblich referierender Kollektiva zu dieser Zeit dennoch mehr als doppelt so hoch im Vergleich zum Anteil der männlich referierenden Kollektiva. Vermehrt gebrauchte Bildungen mit Jungmädel (Jungmädelschaft, Jungmädelschar u. a.) sind hierfür der Grund (s. Kap. 4.1.2a unter Gesellschaftsbezeichnungen). In anderen Zeitabschnitten befinden sich mit Ausnahme von zwei Vorkommen von Jungengruppe in den 1960er Jahren (vgl. UR-B-66,11; UR-N-63, 16) und von Mädchenmannschaft sowie Jungenmannschaft in den 2000ern (beide aus LS-N-07, 72) sonst keine weiteren Fälle von Kollektiva im Korpus, die eine konventionell geschlechtsreferentiell eindeutige iPRF führen (hier: Mädchen, Junge(n)). Im Weiteren sollen die geschlechtsneutralen Formen, welche geschlechtsübergreifend referieren, in ihrer jeweiligen Entwicklung genauer betrachtet werden. Kollektiva und Epikoina machen die größten Anteile geschlechtsneutraler Formen an allen PRF aus. Unter den Kollektiva sind Familie und Eltern in allen Zeitabschnitten besonders häufig anzutreffen, Leute gehört noch bis 1933 zu den Top 3, nach 1950 dann Klasse (seit den 1990er Jahren an erster Stelle). Im Schulbuch relevant gesetztes Kollektiv ist somit neben der genealogischen Herkunftsgruppe zunehmend der Klassenverband. Der Vergleich von Kollektiva und generisch gebrauchten Maskulina sowie Paarformen führt dabei zu einem interessanten Befund: Auch wenn der im Schulbuch geschlechtsübergreifend referierende Ausdruck Klasse häufiger vorkommt, geht damit kein Absinken alternativer Formulierungen einher; Klasse kann nicht als Ersatzform zu geschlechtsübergreifend gebrauchtem Schüler oder der Paarform Schülerinnen und Schüler betrachtet werden. Beide Vorkommen, Klasse und die genannten Reali-

212 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

sierungen von Schül*,270 nehmen stattdessen relativ zu allen PRF zu. Bei der Betrachtung der Kollektiva ist weiterhin sehr auffällig, dass Geschlechtsabstraktion in den NS-Jahren in besonders hohem Maß mit Individualitätsreduktion zusammengeht: Dominant sind neben Familie die Kollektiva Volk und Bevölkerung. Eltern hingegen ist weit abgeschlagen, und dies noch ähnlich in den Nachkriegsjahren. Während Familie ein vergleichsweise kleines, wenn auch ein im unmittelbaren Vergleich mit Eltern größeres Kollektiv darstellt, das mittelbar personale soziale Rollen (z. B. die der Mutter, des Sohnes usw.) aufruft, verschwindet das Individuum in den Massen Volk und Bevölkerung gänzlich. Letztere abstrahieren somit stärker von Einzelpersonen und ihrer Unterschiedlichkeit – und damit meist auch von einer Kategorisierung in Geschlechter (s. ferner Kap. 4.1.2a unter Gesellschaftsbezeichnungen). Lediglich die NS-Jugendgruppenbezeichnungen sind von diesem strukturellen Befund auszunehmen. Die eindeutig geschlechtsübergreifend referierenden Epikoina liegen über die Zeit (s. weiterhin Tabelle 22) ähnlich stabil wie die Kollektiva bei etwas über 3% an allen PRF. In den letzten 25 Jahren ist ihr Anteil wieder ein wenig gestiegen. Meist handelt es sich bei den geschlechtsübergreifend referierenden Epikoina um die Lexeme Kind, Person, Mensch. Mensch wird darüber hinaus nur in einem einzigen Fall geschlechtsspezifizierend und zwar männlich referierend gebraucht (vgl. M-B-11, 156). Bei diesem Kernlexem wird kotextuell also keine enge Verbindung mit Männlichkeit hergestellt. Einen Sonderfall stellen die Pronomen man, jemand, niemand, wer (ferner auch wessen, wem, wen) dar. Die Duden-Grammatik (2016, §238) kategorisiert sie als genusfeste Maskulina mit einer den movierbaren Maskulina vergleichbaren Anwendungsbreite. Ob die Pronomen tatsächlich genusfest maskulin sind, ist dabei umstritten.271 Aus Sicht der feministischen Sprachkritik handelt es sich bei diesen Ausdrücken wegen der Nähe zu Mann und/oder wegen asymmetrischer Gebrauchskontexte nicht um geschlechtsneutrale Formen (vgl. Pusch 1984 [1983c], 86–91). Sie wurden in dieser Untersuchung gesondert ausgewertet. Die Auswertung der geschlechtsübergreifend referierenden Pronomen man, jemand, niemand, wer zeigt, dass ihr Anteil an allen PRF von den 1970er Jahren bis zur Jahrtausendwende tendenziell zunahm und in den letzten Jahren wieder im Abnehmen be-

|| 270 Das Asterisk ist hier Platzhalter für unterschiedliche mögliche Anschlüsse (z. B. -er; -erin), auch über die Wortgrenze hinaus (z. B. als Paarform mit -erinnen und Schüler). 271 Vgl. das Gegenbeispiel niemand, die das nicht will im gleichen Paragraphen der DudenGrammatik (2016, §238; vgl. ferner Doleschal 2002); denkbar wäre bei diesen Ausdrücken ebenso ein Genus commune.

Wortorientierte Auswertung | 213

griffen ist (s. Abbildung 25).272 Obwohl gerade man Gegenstand feministischer Sprachkritik war, ist der Ausdruck allein oder in Form von jemand/niemand weiterhin stark im Korpus vertreten.

Abb. 25: Anteile von man, jemand, niemand, wer an den PRF eines Zeitabschnitts

Wie eine Anschlussauswertung273 zu den Kollektiva (inklusive der nicht-kollektiven Abstrakta) sowie zu den Epikoina ergibt, ist es deutlich wahrscheinlicher, dass Kollektiva und Epikoina mit eindeutig geschlechtsspezifizierend männlicher als mit weiblicher Referenz vorkommen. Bei dieser Anschlussauswertung wurden die Anteile der Kollektiva und Epikoina an den wPRF und mPRF und damit die Anteile jeweils in Relation zur geschlechtsspezifisch referierenden Gesamtheit an wPRF bzw. mPRF, ermittelt. Die NS-Jahre nehmen hier weiterhin eine Sonderrolle ein, deren hoher Anteil an weiblich referierenden Kollektiva (16,8%, s. Tabelle 23 unten) durch die gehäuften Jungmädel-Vorkommen zu erklären ist. Weiblichkeit ist demnach in den nationalsozialistischen Ergän-

|| 272 Die Entwicklung fällt auch dann noch so aus, wenn wer in allen Flexionserscheinungen aus der Auswertung herausgenommen wird. 273 Hierbei war zu berücksichtigen, dass die Anteile an weiblich referierenden geschlechtsneutralen Formen und männlich referierenden aus der Tabelle 23 nicht normiert sind – bei der der Tabelle zugrunde liegenden Frageperspektive war eine Normierung nicht möglich. Sie sind daher nicht unmittelbar vergleichbar. Für die Anschlussauswertung werden sie nun vergleichbar gemacht, wie im Folgenden zu erläutern ist.

214 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

zungsheften und Schulbüchern in besonderem Maße im Vergleich zu anderen Zeitabschnitten wie auch im Vergleich zu Männlichkeit als kollektive Eigenschaft entworfen. Hingegen zeichnet sich vor allem in Schulbüchern vor 1985 unter den Epikoina und Kollektiva ein Ausgreifen des Männlichen auf ausdrucksseitig geschlechtsneutrales Sprachterrain ab.274 Dem Männlichen, nicht aber in vergleichbarer Weise dem Weiblichen, ist es möglich, sich der Form nach geschlechtsneutrale Ausdrücke anzueignen. In Bezug auf die sprachliche Explizierung der Kategorisierung von Personen als Frau oder Mann bedeutet dies, dass Männlichkeit im Sprachgebrauch präsent ist, ohne flexivisch-grammatische, lexikalische oder Wortbildungsmittel zu nutzen, die eine geschlechtsspezifische Referenz nahelegen würden (s. dazu das Vorgängerkap. 4.1.3). Zugleich bedeutet diese formale Geschlechtsirrelevantsetzung, dass eine Kategorisierung nach dem Geschlecht im Sprechen über männliche Personen nicht notwendig ist, expliziert zu werden. Tab. 23: Anteile der Kollektiva und Epikoina an allen wPRF bzw. eind. mPRF eines Zeitabschnitts Kollektiva

Epikoina

Anteil an wPRF

Anteil an mPRF

Anteil an wPRF

Anteil an mPRF

Kaiserzeit

0,0%

0,4%

0,0%

0,2%

Weimarer Republik

0,0%

0,4%

0,0%

0,2%

NS-Zeit

16,8%

1,5%

0,0%

0,6%

Nachkriegszeit

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

Ära Adenauer

0,3%

0,1%

0,0%

0,1%

1963–1972

0,0%

0,4%

0,0%

0,2%

1973–1981

0,0%

0,2%

0,0%

0,2%

1982–1985

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

1986–1990

0,1%

0,1%

0,3%

0,0%

1991–1999

0,3%

0,6%

0,2%

0,7%

2000–2010

0,2%

0,7%

0,2%

0,2%

2011–2013

0,0%

0,4%

0,5%

0,7%

|| 274 Wenn die wenigen Kollektivbildungen herausgerechnet werden, die eine konventionell männlich referierende PRF zum Bestandteil haben (z. B. in den NS-Jahren: Jungmannschaft; weitere Ausnahmen wurden zu Beginn des Kapitels bereits genannt), verändert dies das Ergebnis nicht.

Wortorientierte Auswertung | 215

Konversionen im Plural werden vor allem für referenzfunktional nicht näher spezifizierte Personengruppen verwendet. Im Unterschied zu den Epikoina und Kollektiva kommen sie zudem nur selten kotextuell in geschlechtsspezifizierender Gebrauchsweise vor. Unter den geschlechtsübergreifend referierenden pluralischen Konversionen herrschen in den 2010ern Jugendliche, Erwachsene und Deutsche vor, in den 1970er und 1960er Jahren Beschäftigte (ferner Berufstätige, Erwerbstätige) und zum Teil auch Wahlberechtigte. In den NS-Jahren stehen vornehmlich Deutsche, Arbeitslose und zahlreiche, eine physisch-psychische Differenz anzeigende PRF, wie Geisteskranke oder Blinde. Mit diesen Ausdrücken werden in den Schulbüchern von Einzelpersonen abstrahierte Gruppen entworfen, die in Bezug auf ihre kollektive Eigenschaft (z. B. blind zu sein) näher charakterisiert sind. Der Anteil geschlechtsübergreifend gebrauchter Pluralkonversionen steigt ab 2000 nach vergleichsweise niedrigen Anteilen von 1970 bis zur Jahrtausendwende wieder an (s. bereits Tabelle 22). An weiteren Mitteln der Geschlechtsabstraktion in geschlechtsübergreifender Verwendung befinden sich die bereits erwähnten Namenkürzel im Korpus. Ein Beispiel für eine eindeutig geschlechtsübergreifende Gebrauchsweise ist: Unter 4 Personen sind 2200 DM so zu verteilen, daß jede folgende 100 DM mehr erhält. […] A erhält 1 Teil (WdZ-B-65, 87; Hervorh. CO). Pluralisierte Nachnamen, wie die Meiers, kommen in zwei bayerischen Mathematikbüchern vor (vgl. SW-B-87, 81; MBHS-bsv-97, 129), danach und davor nicht. Sie stehen neben Konstruktionen aus Familie und dem Familiennamen, die in jenen Jahren im Schulbuch häufiger vorkommen, aber weiterhin sehr seltene Konstruktionen sind; weder die Konstruktionen aus Familie + Name noch jene pluralisch gebrauchten Nachnamen verdrängen dabei geschlechtsspezifizierende Appositionen (Herr + Name, Frau + Name). An Unisex-Namen enthält das Korpus insgesamt 56 Vorkommen 21 verschiedener Namen. Die Belege finden sich vornehmlich in Schulbüchern der 2000er und 2010er Jahre (s. bereits Tabelle 22), am häufigsten sind Alex und Toni. Neben Abkürzungen (Alex Alexandra/Alexander) und Koseformen (Toni Anton/Antonia, Friedel Elfriede/Friedrich u. a.) kommen unter den UnisexNamen außerdem englische Vornamen, wie Shannon und Robin, oder aus weiteren Fremdsprachen stammende (Kim, Mika, Ihsan) vor. Auch ein friesischer Unisex-Name ist mit Eike belegt. Doch in 52 von 56 Fällen referieren diese Namen geschlechtsspezifizierend, d. h. der Kotext leistet hier die Vereindeutigung auf eine geschlechtsspezifizierende Referenz. Auffällig ist, dass abgekürzte ambige Namen vor allem mit männlicher Referenz gebraucht sind und unter den kotextuell weiblich referierenden Unisex-Namen neben Shannon ausschließlich Koseformen auf -i zu finden sind. Überraschend ist außerdem, dass

216 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

der Anteil an männlich referierenden Unisex-Namen deutlich höher liegt als jener der weiblich referierenden, wie die Tabelle 24 zeigt. Dieser Befund fügt sich in die oben gemachte Entdeckung bei den Epikoina und Kollektiva: Männlichkeit scheint nicht gleichermaßen sprachlich expliziert werden zu müssen wie Weiblichkeit. Tab. 24: Anteile der Unisex-Namen an allen wPRF bzw. eind. mPRF eines Zeitabschnitts Unisex-Namen an wPRF

Unisex-Namen an mPRF

Kaiserzeit

0,0%

0,0%

Weimarer Republik

0,0%

0,0%

NS-Zeit

0,0%

0,0%

Nachkriegszeit

0,0%

0,0%

Ära Adenauer

0,0%

0,1%

1963–1972

0,0%

0,0%

1973–1981

0,0%

0,1%

1982–1985

0,0%

0,0%

1986–1990

0,0%

0,3%

1991–1999

0,0%

0,2%

2000–2010

0,1%

0,3%

2011–2013

0,3%

0,3%

Gegenwärtig entsprechen die insgesamt sehr geringen Anteile von UnisexNamen an wPRF und mPRF einander. Tatsächlich geschlechtsreferentiell indifferent bleiben in den Schulbüchern die Unisex-Namen Toni (2-fach), Mika (2fach), Alex und Kim. Weder werden sie z. B. durch maskuline oder feminine Pronomen noch durch beigegebene Abbildungen geschlechtsreferentiell spezifiziert. Mit Ausnahme von Kim stammen diese Belege aus Schulbüchern, die zwischen 2005 und 2013 erschienen sind. Unabhängig von der Frage, ob die SchulbuchautorInnen hier bewusst einen sprachlichen Raum für Geschlechtsidentitäten abseits des Zwei-Geschlechter-Systems schaffen oder die Geschlechtersegregation aufbrechen wollen, partizipieren die Unisex-Namen, und unter ihnen vor allem jene tatsächlich geschlechtsübergreifend referierenden UnisexNamen an einem sprachlichen undoing difference im Sinn eines undoing gender. Neben den bisher behandelten geschlechtsneutralen Formen stellen generisch gebrauchte Maskulina, potentiell-generische Feminina und geschlechtsübergreifend referierende Neutra, die nicht genuskongruent zu einem Bezugs-

Wortorientierte Auswertung | 217

nomen flektieren (Pronomen, Konversionen im Singular), weitere im Korpus ermittelte Möglichkeiten dar, Geschlecht auf Wortebene nicht relevant zu setzen. Die (potentiell-)generisch gebrauchten Maskulina und Feminina unterscheiden sich von den geschlechtsneutralen Formen darin, dass sie ausdrucksseitig eine geschlechtsspezifizierende Referenz nahelegen bzw. im Fall der Maskulina für sie eine geschlechtsspezifische Gebrauchskonvention etabliert ist (s. bereits Kap. 4.1.3a). Die Auswertung zum Zusammenhang von Genus und Geschlechtsreferenz hat bereits ergeben, dass unter den Genera im Schulbuch vor allem das Neutrum geschlechtsübergreifend gebräuchlich ist (s. Kap. 4.1.3a). Verantwortlich hierfür sind vor allem Epikoina mit neutralem Genus. Wenn der Ausdruck nicht referenzidentisch mit einem neutralen Substantiv ist (z. B. Kind) und der Ausdruck kein festes Genus hat, wird allerdings nur sehr selten das Neutrum für geschlechtsübergreifende Referenz gewählt; gerade einmal zehn solcher Fälle kommen im Korpus vor (z. B. jedes für Hans und Emma, s. alle Beispiele in Kap. 4.1.3a, FN 242). Normalerweise entscheiden sich die VerfasserInnen in vergleichbaren Äußerungszusammenhängen für das generische Maskulinum. Abschließend soll die große Gruppe der generisch gebrauchten Maskulina in Beziehung zu den ausdrucksseitig echt-geschlechtsneutralen275 Mitteln gesetzt werden, die im Schulbuch geschlechtsübergreifend referieren. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass sich der Anteil generisch gebrauchter Maskulina an allen PRF über die Jahrzehnte tendenziell erhöht. Diese Tendenz ist sowohl exklusive als auch inklusive der uneindeutig generisch gebrauchten Maskulina festzustellen, wie die untenstehende Tabelle 25 zeigt. Besonders auffällig ist der starke Anstieg dieser Formen in den NS-Jahren (hierunter v. a. pluralisch gebrauchtes Einwohner, Bewohner, Volksgenossen, Schüler und in ERB-36 auch Juden), in denen – wie weiter oben in diesem Kapitel herausgearbeitet – auch die geschlechtsneutralen Formen mit geschlechtsübergreifender Referenz Spitzenwerte aufweisen. Die geschlechtsneutralen Formen sind somit in den nationalsozialistischen Schulbüchern und Ergänzungsheften nicht als Ersatz für generisch gebrauchte Maskulina zu werten. An der Entwicklung dieser Maskulina ist außerdem erstaunlich, dass sie noch in den 2000er Jahren leicht zulegen. Nach einem kurzen Absinken des Anteils in den 1990er Jahren liegt er aktuell etwas

|| 275 Pusch (1984 [1980]) unterscheidet Neutralformen, wie Epikoina und Kollektiva, von sogenannten pseudo-geschlechtsneutralen oder pseudo-geschlechtsabstrahierenden Ausdrücken, wie den generisch gebrauchten Maskulina. Letztere werden als „pseudo“-neutral klassifiziert, weil Referenznahmen auf männliche Personen und geschlechtsübergreifende Referenz formal identisch sind.

218 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

höher als zu vorausgehenden Zeitabschnitten. Gegenwärtig häufige, im Äußerungszusammenhang eindeutig geschlechtsübergreifend referierende Maskulina sind beispielsweise Schüler, Teilnehmer, Zuschauer, Spieler, Freund, Radfahrer, Kunde, Mitarbeiter, jeder. Tab. 25: Anteile generisch gebrauchter Maskulina an allen PRF eines Zeitabschnitts gen. Mask.

gen. Mask. (inkl. uneind.)

Kaiserzeit

0,2%

3,7%

Weimarer Republik

1,4%

4,4%

NS-Zeit

7,5%

14,8%

Nachkriegszeit

2,0%

4,9%

Ära Adenauer

2,3%

5,3%

1963–1972

3,6%

6,8%

1973–1981

3,4%

8,6%

1982–1985

3,3%

4,7%

1986–1990

3,3%

8,0%

1991–1999

3,0%

6,7%

2000–2010

4,7%

9,3%

2011–2013

4,1%

8,4%

Es bleibt festzuhalten, dass vor allem die Namenkürzel dafür verantwortlich sind, dass in der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraums größere Unterschiede zwischen Neutralform und geschlechtsübergreifender Referenz bestehen. Die Unterschiede sind jedoch weniger darin begründet, dass die nichtgeschlechtsübergreifend referierenden Namenkürzel geschlechtsspezifizierend referieren würden; ihre Geschlechtsreferenz ist schlichtweg dem Kotext nach nicht eindeutig zu ermitteln. Anders bei den Unisex-Namen: Diese referieren kotextuell mehrheitlich geschlechtsspezifizierend und nicht geschlechtsübergreifend. Bei der näheren Betrachtung der kotextuell geschlechtsspezifizierend referierenden Kollektiva (inklusive nicht-kollektiver Abstrakta) sowie Epikoina zeigt sich zudem, dass bei diesen Neutralformen eine männliche Referenz deutlich wahrscheinlicher ist als eine weibliche Referenz. Männlichkeit muss gegenüber Weiblichkeit nicht in gleicher Weise ausdrucksseitig expliziert werden, so eine mögliche Folgerung. Die Auswertung zu den Mitteln der Geschlechtsabstraktion hat außerdem ergeben, dass die Entwicklung der Neutralformen in geschlechtsübergreifender

Wortorientierte Auswertung | 219

Verwendung weitgehend parallel zu jener der generisch gebrauchten Maskulina verläuft, gerade wenn die nicht eindeutig geschlechtsübergreifend referierenden Ausdrücke bei den Maskulina einbezogen werden (s. die Tabellen 22 und 25 im Vergleich). Zwischen Neutralformen und generischem Maskulinum besteht somit kein Konkurrenzverhältnis bzw. scheinen geschlechtsneutrale Formen nicht als Ersatzformen zu generisch gebrauchten Maskulina zu fungieren. Diachron wurde ferner ermittelt, dass beim Sprechen über Personen in den NSJahren in höherem Grad als zu anderen Zeiten auf geschlechtsübergreifend referierende Neutralformen sowie generisch gebrauchte Maskulina zurückgegriffen wird. Obwohl generische Maskulina und die Pronomen man, niemand, jemand, wer wesentliche Gegenstände der feministischen Sprachkritik waren und sind, nehmen diese in den vergangenen 60 Jahren eher zu als ab.

4.1.5 Vorkommen von Paarformen In Schulbüchern sind zahlreiche personal referierende Ausdrücke zu finden, die als geschlechtersensibel gelten, ohne dass hiermit ausgesagt ist, dass die Verwendung solcher Ausdrücke intentional geschlechtersensibel erfolgt wäre. Das vorausgehende Kapitel hat hierunter die Neutralformen in den Blick genommen. Als Strategie für geschlechtersensiblen Sprachgebrauch gilt neben der ausdrucksseitigen Irrelevantsetzung von Geschlecht die symmetrische Sichtbarmachung von Frauen/Mädchen und Männern/Jungen in Sprache (vgl. z. B. Hellinger/Bierbach 1993). Dies kann zum einen erreicht werden, indem der Anteil276 von wPRF im Sprachgebrauch an den der mPRF stärker angeglichen wird. Die Auswertung der Anteile von wPRF und mPRF hat für die Schulbücher bereits ergeben, dass Frauen/Mädchen im Lauf der Jahrzehnte deutlich sichtbarer gemacht werden (s. Kap. 4.1.1). Tendenzen zu einer gesteigerten Präsenz von wPRF und zu einer Annäherung des Verhältnisses von mPRF und wPRF sind dabei nicht erst nach 1970, sondern beinahe von der Kaiserzeit an festzustellen. Neben der Frequenz haben sich die wPRF auch qualitativ diversifiziert, wie vor allem die Auswertung der Berufsbezeichnungen zeigte (s. Kap. 4.1.2a).

|| 276 Dies betrifft nicht die Frequenz (Token-Ebene), sondern das lexikalische Inventar (TypeEbene); so wurden auf Drängen der Sprachkritik neue Berufsbezeichnungen etabliert, damit weibliche Erwerbstätige in Branchen nicht mehr unter einer maskulinen Berufsbezeichnung geführt werden, zum Beispiel Kauffrau als komplementäre Bildung zu Kaufmann (vgl. Schoenthal 1998, 14).

220 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Die Sichtbarkeit von Frauen/Mädchen wird außerdem erhöht, wenn Paarformen anstelle geschlechtsübergreifend referierender Maskulina gebraucht werden, da Maskulina – auch wenn sie dem Kotext nach eine geschlechtsübergreifende Referenz nahelegen – mehrheitlich als spezifisch männliche Geschlechtsreferenz interpretiert werden, bei Paarformen hingegen der kognitive Einbezug von Frauen gesteigert werden kann (s. den Hinweis auf psycholinguistische Studien in Kap. 1.2.1b). Mit Paarformen als weitere Möglichkeit, geschlechtersensibel zu formulieren, befasst sich im Schwerpunkt dieser Gliederungspunkt der Auswertung. Doch sollte das Vorkommen geschlechtersensibler Formen in vorsprachkritischer Zeit nicht vereinfacht anachronistisch als früher Versuch gewertet werden, die Geschlechter im Sprachgebrauch gleich zu behandeln. Auch in anderer Hinsicht ist die Einordnung von Paarformen als geschlechtersensibel umstritten: Aus queerkritischer Perspektive wird diese Strategie für geschlechtersensible Sprache als „Pseudosymmetrisierung“ (AG Einleitung 2011, 23) kritisiert; diese permanente „ZweiGenderung“ (Feministisch Sprachhandeln 2015, 61) verhindere, jenseits der binären Geschlechtersystematik zu denken, und schließt davon abweichende Identitäten aus. Zudem ist im Zusammenhang mit Paarformen zu diskutieren, ob verkürzte Paarformschreibungen, zum Beispiel mit Schrägstrich, wie Kolleg/innen, und ausgeschriebene Paarformschreibungen gleich zu behandeln sind und ob bei verkürzten Paarformschreibungen eine Kategorisierung als aus zwei Einheiten bestehende Paarform überhaupt angemessen ist.277 Solche integrativen Schreibungen, die inzwischen auch im Gesprochensprachlichen eigenständige Qualität besitzen,278 nehmen eine Zwischenstellung ein zwischen explizit Zweigeschlechtlichkeit aufrufender Zweigliedrigkeit einerseits und ausdrucksseitiger Abstraktion von zwei Geschlechtern andererseits (vgl. auch Dittmann 2002, 71). Da in den Schulbüchern keine Unterstrich-, Asterisk- oder Binnen-I-Schreibungen vorkommen, welchen vor allem diese eigenständige Qualität zugesprochen

|| 277 Dass unterschiedliche Bedeutungsräume geschaffen werden sollen, zeigen Erläuterungen in Sprachleitfäden zu Unterstrich- und Asterisk-Schreibungen (z. B. Mitarbeiter_innen, Mitarbeiter*innen), vor allem zum dynamischen Unterstrich (z. B. Mitarbeite_rinnen, Mit_arbeiterinnen). Verkürzte Paarformschreibungen sind hier zu eigenständigen Alternativen weiterentwickelt, welche nicht mehr als Kurzform einer Paarform zu betrachten sind, sondern die Geschlechterdichotomie hinterfragen und sprengen wollen (vgl. z. B. AG Feministisch Sprachhandeln 2015). 278 Gängig ist die Artikulation eines glottalen Verschlusslauts an der Stelle, an welcher der Schrägstrich, das Binnen-I, ein Unterstrich oder ein Sternchen steht (vgl. Hentschel/Weydt 2013, 153).

Wortorientierte Auswertung | 221

wird, werden die sonstigen ermittelten integrativen Schreibungen in dieser Untersuchung zusammen mit den ausgeschriebenen Paarformen behandelt. Die Analyse der Schulbücher hat ergeben, dass sich die Paarformschreibung aus einer maskulinen mPRF und einer gerichteten Movierung als wPRF erstmals in einem Sprachbuch von 1910 findet: Die Mehrzahl der Schüler und Schülerinnen sind fleißig (SÜ-10, 8). Der Ausdruck Schüler und Schülerinnen referiert in einem referenzfunktionalen Sinn nicht-spezifisch und steht, wo sonst das generische Maskulinum verwendet wird. Er ist jeweils einmal im kaiserzeitlichen und im Weimarer Subkorpus belegt, danach erst wieder ab Anfang der 1980er Jahre und dies überwiegend in umgekehrter Reihenfolge, folglich als Schülerinnen und Schüler.279 Es handelt sich bei Schüler und Schülerinnen zusammen mit dem einmalig belegten Kämpfer und Kämpferinnen aus einem NSErgänzungsheft (ERB-36,25) bis in die 1980er Jahre um die einzigen im Korpus gefundenen Varianten einer Paarform aus wPRF und mPRF, die sich nicht aus lexeminhärent geschlechtsspezifizierenden PRF zusammensetzt. Es handelt sich also um die bis dahin einzigen morphologischen Kompleonyme.280 Mitte bis Ende der 1980er sind dann größere Veränderungen zu konstatieren. 1987 führt ein Schulbuch Krankenschwester – Krankenpfleger und die verkürzte Paarformschreibung Krankenpfleger/-schwester mit Schrägstrich ein (Belege aus SW87).281 Im gleichen Schulbuch kommt außerdem erstmals eine Splittingform ohne Bindestrich vor: Schüler/innen (SW-87, 6). Neu ist auch, dass sich Sprachbücher der späten 1980er Jahre um geschlechtersensibel formulierte Modellsätze und grammatische Beispielsyntagmen bemühen. Anstelle des Pronomens er wird beispielsweise er oder sie und häufiger er/sie/es verwendet. Meist wird er/sie/es im Schulbuch für Personen gebraucht – es ist in der Regel mit Kind oder Person referenzidentisch –, was es rechtfertigt, hier in Analogie zu ZweiGenderung (s. oben) von einer DreiGenderung zu sprechen. Zuvor hingegen sind als Exemplifizierungspronomen für Verben in der 3. Person Singular beinahe ausschließlich maskuline Pronomen gebräuchlich. Sie stehen in Vokabel- und Konjugationstabellen (s. Abbildung 26). Noch 1972 stehen nicht nur in solchen Konjugationstabellen ausnahmslos maskuline Pronomen, sondern auch in den meisten grammatischen Modellsät|| 279 Zur Reihenfolge in solchen komplexen koordinierten Phrasen s. ausführlich das folgende Kapitel 4.1.6. 280 Paarformen aus Geschlechts- oder Verwandtschaftsbezeichnungen, wie Männer und Frauen, Vater und Mutter, finden sich dagegen in jedem Untersuchungszeitraum. 281 Bei diesen Belegen handelt es sich um Kompleonyme in einem weiteren Sinn, das Kompleonym in einem engeren Sinn würde lauten: Krankenpfleger – Krankenpflegerin, oder auch: Krankenschwester – ?Krankenbruder.

222 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

zen. Dies ist in einigen Deutschbüchern der Gegenwart mit zuvorderst bayerischem Zielmarkt weiterhin der Fall.

Abb. 26: Konjugationstabelle aus einem historischen Sprachbuch (SFÜ-28, 17)

Splitting auf pronominaler Ebene wird ausschließlich in Sprachbüchern angewendet und stets mit Schrägstrich ausgeführt, also zum Beispiel sein/ihr, keine/ keiner, seltener auch integrativ als jede/r und welche/r. Sonstige Splittingformen finden sich wieder sowohl in Deutsch- als auch Mathematikbüchern. Den Typ Schrägstrichschreibung weisen Mathematikbücher dabei später und lediglich bei einigen wenigen substantivischen PRF auf. Sie scheinen vor allem Mittel zu sein, um Konjunktionen in einer Reihung einzusparen, so im folgenden Beispiel: Tausche dann den Konstruktionsplan mit einem Schüler/einer Schülerin deiner Klasse (ML-07, 203; Hervorh. CO). Entsprechend wird der Schrägstrich auch in Deutschbüchern eingesetzt: Schreibt einen informierenden Einleitungs-

Wortorientierte Auswertung | 223

satz, in dem ihr den Titel des Textes, den Namen des Autors/der Autorin […] und das Thema des Textes benennt (DB-N-13, 175; Hervorh. CO). Stärker integrative Schreibungen, wie Sportler/in (VG-B-94, 187) oder Schüler/innen (SW-87, 6; ML07, 102) finden sich unter den Schrägstrichschreibungen fächerübergreifend sehr selten. Klammerschreibungen bei kompleonymen PRF, ob nun lexeminhärent geschlechtsspezifizierend oder nicht, sind im gesamten Korpus in noch geringerer Zahl anzutreffen, allesamt in Mathematikbüchern. Sie beschränken sich auf Mädchen (Buben), Männer (Frauen) und Sieger (Siegerin) […] Siegerin (Sieger) (MBHS-bsv-97, 49; LS-N-94, 166; MA-B-97, 16). Laut Aufgabenstellungen soll eine Rechenoperation einmal für die Gruppe der Männer und einmal für die Gruppe der Frauen durchgeführt werden, zum Beispiel: Mit welchem Faktor muß man das Normalgewicht multiplizieren, um das Idealgewicht für Männer (für Frauen) zu erhalten? (LS-N-94, 166). Verkürzende Klammerschreibungen kommen hingegen ebenso wenig wie die bereits genannten Binnen-I-, Unterstrichsowie Asterisk-Schreibungen vor, auch ist die im pädagogisch-didaktischen Umfeld verbreitete Abkürzung SuS für Schülerinnen und Schüler oder Schüler und Schülerinnen nicht belegt.282 In Aufgabenstellungen mit direkter Adressierung der SchulbuchbenutzerInnen finden erst ab den 2000er Jahren Beidnennungen Verwendung, überwiegend als ausgeschriebene Paarform im Singular und in der Koordination mit oder: Bilde mit mindestens fünf Kärtchen aus dem Termbaukasten verschiedene Terme und lass sie von deiner Nachbarin oder deinem Nachbarn in Worte fassen (LS-B-05, 61; Hervorh. CO). Insgesamt ist festzuhalten, dass der überwiegende Großteil aller Schulbücher, auch aus den 2010er Jahren, selten Kompleonyme – die verkürzten bis stärker integrativen Schreibungen eingeschlossen – oder dreigendernde Ausdrücke (wie er/sie/es) gebraucht. Die dunkle Linie in der Abbildung 27 veranschaulicht die Anteile nicht-lexeminhärent geschlechtsspezifizierender morphologischer Kompleonyme an allen PRF pro Zeitabschnitt, die helle Linie die Anteile aller Kompleonyme – also inklusive Formulierungen wie Tochter und Sohn. Sie liegen in aktuellen Schulbüchern weiterhin unter den Anteilen gene-

|| 282 SuS wird beispielsweise im schweizerischen Lehrwerk Sprachwelt Deutsch verwendet, vgl. Auszüge aus dem Lehrwerk in Peyer (2015).

224 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

risch gebrauchter Maskulina, am geringsten ist der Abstand zu den generisch gebrauchten Maskulina in den 1990er Jahren (s. Tabelle 25 in Kap. 4.1.4).283

Abb. 27: Anteile kompleonymer Paarformen an allen PRF eines Zeitabschnitts

In ebenfalls wenigen Fällen werden Positionen, an denen vormals bevorzugt generisch gebrauchte Maskulina standen, mit geschlechtersensiblen Formen neu besetzt. Lediglich Kletts mathe live 7 (2007, ML-07), Buchners delta 7 (2005, D-B-05) und delta neu 7 (2009, DN-B-09) achten sehr genau auf geschlechtersensible Sprache, auch in den Anreden der SchulbuchbenutzerInnen. Ähnlich konsequent sind Cornelsens Deutschbuch 7 für Gymnasien (DB-B-13; DB-N-13) und streckenweise Cornelsens Sprachbuch Doppelklick 7 (2013, DK-13) sowie das Hirschgraben Sprachbuch 7 für die Realschule (2001, HSB-01). Alle anderen Schulbücher greifen selbst in der BenutzerInnen-Adressierung regelmäßig oder im Vergleich zur Paarform bevorzugt auf das generische Maskulinum zurück, dies sowohl in Ausgaben für Bayern als auch für Nordrhein-Westfalen (z. B. VGN-84), wenngleich in NRW-Ausgaben etwas früher und häufiger Beidnennungen breiter gestreut verwendet sind. Bayerische Schulbücher verwenden Maskulina in generischer Gebrauchsweise in den 2010ern noch selbstverständlich (vgl. z. B. KBD-B-10). Dass Maskulina, die konventionell geschlechtsspezifizierend wie auch konventionell geschlechtsübergreifend gebraucht werden, aber durchaus auch ein Verständnisproblem darstellen können, macht folgendes Beispiel deutlich: || 283 Wie auch schon bei anderen Teilauswertungen sind die auffälligen Werte in der Abbildung 27 für die erste Hälfte der 1980er Jahre relativiert zu betrachten, da die Stichprobengröße in diesem Zeitraum insgesamt gering ist.

Wortorientierte Auswertung | 225

In einer Klasse gibt es x Mädchen. Stelle den Term für die Anzahl der Schüler der Klasse auf, wenn a) doppelt so viele Jungen wie Mädchen vorhanden sind; b) die Anzahl der Jungen um zwei kleiner als die der Mädchen ist. (A-B-86, 7)

Zu diskutieren ist, ob Schüler in der Aufgabe analog zu dessen mehrheitlichen Gebrauchsweise in anderen Aufgabenstellungen geschlechtsübergreifend gebraucht ist oder doch geschlechtsspezifizierend männlich, weil die Aufgabe schließlich mit einem geschlechtsspezifizierenden Ausdruck (Mädchen) startet, was ein ebenfalls geschlechtsspezifizierendes Verständnis bei Schüler nahelegen könnte. Je nach Verständnis der Rezipierenden können unterschiedliche Lösungsansätze verfolgt werden. Im schlechtesten Fall ist es den SchülerInnen nicht möglich, die Aufgabe korrekt zu bearbeiten. Wenngleich geschlechtersensible Formulierungen in den Schulbüchern vorkommen, so geschieht dies eher punktuell und zudem keinesfalls konsistent. Es finden sich im gleichen Textabschnitt sowohl generisch gebrauchte Maskulina als auch Kompleonyme – in manchen Fällen handelt es sich sogar um verwandte Ausdrücke, so in einem Sprachbuch der 1990er Jahre bei Les*, das als generisches Maskulinum Leser vorkommt, daneben aber auch in der Paarform (vgl. VG-N-96). Auf pronominaler Ebene wird eine Beidnennung häufig wieder aufgegeben und eine substantivische Paarform mit allein maskulinem Pronomen wiederaufgenommen, zum Beispiel Mitschüler und Mitschülerin durch jeder. Auffällig ist auch, dass einige Maskulina, die zum Standardvokabular im Schulbuch zählen, nie auch als Bestandteil einer geschlechtersensiblen Paarformvariante auftauchen. Das betrifft Teilnehmer, Zuschauer, Besucher, Adressat, Erzähler. Ihnen gemein ist die referenzfunktionale Nicht-Spezifizität, allerdings sind andere ebenfalls nicht-spezifisch referierende PRF, wie Leserinnen und Leser, durchaus als Paarform realisiert. Die immer generisch gebrauchten Maskulina Teilnehmer, Zuschauer und Besucher stehen dabei meist im Plural; ihre referenzfunktionale Nicht-Spezifizität ergibt sich vor allem daraus, dass sie für eine anonyme Gruppe von Menschen verwendet werden. Auch andere geschlechtersensible Formulierungen, zum Beispiel Teilnehmende, kommen nie alternativ zu den geschlechtsübergreifend gebrauchten Maskulina vor. Adressat und Erzähler wiederum sind möglicherweise gegenüber Umformulierungen resistent, weil sie eher als Instanzen der Kommunikation wahrgenommen werden denn als (konkrete) Personen. Die in diesem Kapitel betrachteten Kompleonyme werden im Folgenden in einen größeren Zusammenhang eingeordnet und auf syntaktische Abfolgemuster ausgewertet.

226 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

4.1.6 Abfolgen in komplexen koordinierten Phrasen a) kkP im Schulbuch Neben den Beidnennungen kommen weitere personal referierende Ausdrücke vor, die eine vergleichbare Struktur aufweisen: Zwei oder mehr Substantive oder Pronomen sind zu einer komplexen Phrase koordiniert, zum Beispiel durch die Konjunktion und. Korpusbelege für solche Ausdrücke sind: (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10)

Nala und Viola (DK-13, 279) Ali, Claudia und Jennet (LS-N-94, 93) Inge, Ingo und die anderen (SW-87, 110) Männer und Frauen (A-B-86, 22) Schülerinnen und Schüler (HSB-01, 23) Hörerin oder Hörer (VG-E-96, 80) Freund/Freundin (W&C-05, 9) Großvater und ich (VG-B-94, 214) Eltern und Bruder (SÜ-10, 9) Kranke und Schwerverletzte (BR-68, 87)

Diese Vorkommen wurden bei der Datenerhebung unter der Kategorie komplexe koordinierte Phrase (kkP) erfasst für komplexe Phrasen mit mindestens zwei koordinierten personal referierenden Kernen. Sind die Ausdrücke einer kkP kompleonym284 mit einem weiblich und einem männlich referierenden Kern (s. die Beispiele (4)–(7)), so gelten sie SprachkritikerInnen als Möglichkeit geschlechtersensiblen Sprachgebrauchs, weil beide Geschlechter gleichermaßen ausdrucksseitig expliziert sind (s. die Ausführungen im vorherigen Kapitel). Von Bedeutung für die Frage nach Geschlechterkonzepten ist an diesen Phrasen vor allem die Abfolge der verschiedenen Glieder. Ist bei Zweigeschlechtlichkeit aufrufenden Phrasen eine Präferenz zu erkennen, wonach ein konventionell zur Referenz auf männliche Personen gebräuchlicher Ausdruck eher an erster Stelle vorkommt als ein Ausdruck, der konventionell für weibliche Referenz gebräuchlich ist? Folgen manche dieser komplexen Phrasen hingegen eher dem sogenannten Titanic-Prinzip ‚Frauen (und Kinder) zuerst!‘ (vgl. Kargl u. a. 1997, 53) und verändern sich Abfolgen? Ausgangspunkt für die Frage nach der Abfolge ist die Annahme, dass ein Zusammenhang zwischen sprachlicher Nachgeordnetheit und sozialen Kategorisierungen bis hin zu Hierarchisierungen besteht und dass die Erstposition in || 284 Zum Begriff Kompleonym s. Kap. 3.3.2c unter Pragma-Grammatik.

Wortorientierte Auswertung | 227

einer kkP mit größerer Wichtigkeit wie auch höherer Typikalität verbunden ist. Die jüngere Forschung zu stabilen zweigliedrigen kkP spricht in diesem Zusammenhang von sozialer Ikonizität (social iconicity, Motschenbacher 2013, 215): Abfolgen stünden ikonisch für gesellschaftliche Verhältnisse, ob nun messbare, gewünschte oder erinnerte. Einige Sozio- und GenderlinguistInnen werten die Abfolgen in personalen Binomialen als Ausdruck und Tradierung von Machtverhältnissen: Die einzelnen Glieder folgten dem Prinzip ‚Mächtigeres vor weniger Mächtigem‘ (vgl. Motschenbacher 2013, 215f.). Dieses Prinzip wird zum Beispiel als Erklärung für die Abfolgepräferenz master + servant und employer + employee sowie doctor + nurse herangezogen (vgl. Motschenbacher 2013, 216). Die Präferenz zur Erstpositionierung eines Kerns mit männlicher Referenz (abgekürzt als m1) wird in der Binomialforschung im Allgemeinen durch die Annahme eines höchstens indirekten Zusammenhangs zwischen sprachlichen und sozialen Strukturen zu erklären versucht. Sie geht davon aus, dass das Erstglied in verfestigten zweigliedrigen kkP mit höherer Salienz ausgestattet ist als das nachfolgende Glied. Belebtes stehe in Binomialen eher vor Unbelebtem, Nahes vor Fernem, ebenso wie Männliches eher vor Weiblichem vorkomme, weil Belebtes, Nahes oder Männliches salienter und kognitiv leichter verfügbar sei (vgl. Müller 1997, nach Malkiel 1959, Ross 1980 und Cooper/Ross 1975; vgl. zur neueren Forschung Motschenbacher 2013). Wenn wiederum PRF mit männlicher Referenz als kognitiv leichter verfügbar gelten, dann setzt dies eine Konzeptualisierung von Männern als prototypischere Exemplare der Kategorie Mensch voraus – womit kognitive Strukturen, die in Sprache übertragen werden, in ihrer Wechselwirkung mit sozialen Strukturen erklärt werden: Such approaches are based on the premise that more prototypical representatives of a certain category or more frequent concepts are more likely to occur in first position because this facilitates processing. (Motschenbacher 2013, 217; Hervorh. CO)

Wird die Anordnung der Glieder in kkP zum Gegenstand der Sprachreflexion – dies konnte, wie im Forschungsabriss zu thematisch verwandten Schulbuchanalysen beschrieben, für den Anfang der 1980er Jahre für deutsche Englischbücher rekonstruiert werden (vgl. Rampillon 1986a; 1986b und Zumbühl 1982, s. Kap. 1.2.2b)285 – und ändern sich vormals stabile Abfolgen, so gilt aber nicht

|| 285 Auch Trömel-Plötz (1982, 193) spricht Reiheneffekte in Paarformen an, allerdings nicht im Besonderen auf Schulbücher bezogen: „Frauen [werden] immer an zweiter Stelle genannt, z. B. […] er und sie[,] Sohn und Tochter“.

228 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

automatisch die umgekehrte soziolinguistische Lesart; neue w1-Abfolgen sind nicht einfach Ausdruck eines umgekehrten Machtgefüges (also nicht: Weibliches als jetzt Mächtigeres vor dem weniger mächtigen Männlichen) und weiblich referierende PRF nicht unmittelbar als neue prototypische Repräsentation der Kategorie Mensch zu werten. Ermittelte neue Abfolgen sollten eher als Belege für ein Aufweichen der Axiomatik Männlichkeit-Macht-Exponiertheit-Prototypikalität verstanden werden, die mittelbar auf internalisierte Vorstellungen dessen, was als prototypisch gilt, einwirken können – bzw. im Fall neuerdings alternierender w1-/m1-Abfolgen als Ausdruck dafür, dass sich Prototypikalität nicht exklusiv mit einer Geschlechtsreferenz verbindet oder dass Erstpositionierung und Prototypikalität nicht mehr korrespondierende Größen sind. Für die vorliegende Untersuchung sind vor allem jene kkP von Interesse, die geschlechtsübergreifend referieren und dabei aus mindestens einem geschlechtsspezifizierend referierenden Kern bestehen, dessen Geschlechtsreferenz sich von (mindestens) einem anderen Kern in der kkP unterscheidet. Bei dieser Verwendungsweise ist im Folgenden von gemischt-geschlechtsübergreifenden kkP die Rede. In der folgenden Aufstellung ist rechterhand die Geschlechtsreferenz der einzelnen Phrasenkerne aufgeführt. Bei den durch Fettdruck hervorgehobenen Beispielen handelt es sich um gemischt-geschlechtsübergreifende kkP. (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10)

Nala und Viola (DK-13, 279) Ali, Claudia und Jennet (LS-N-94, 93) Inge, Ingo und die anderen (SW-87, 110) Männer und Frauen (A-B-86, 22) Schülerinnen und Schüler (HSB-01, 23) Hörerin oder Hörer (VG-E-96, 80) Freund/Freundin (W&C-05, 9) Großvater und ich [m] (VG-B-94, 214) Eltern und Bruder (SÜ-10, 9) Kranke und Schwerverletzte (BR-68, 87)

w+w m+w+w w+m+ü m+w w+m w+m m+w m+m ü+m ü+ü

Gemischt-geschlechtsübergreifende kkP sollen nun genauer untersucht werden. Die übergroße Mehrzahl dieser kkP besteht aus zwei Kernen, wie die Tabelle 26 in absoluten Zahlen zeigt.

Wortorientierte Auswertung | 229

Tab. 26: Anzahl kkP mit mind. einem geschlechtsspezifizierend referierenden Kern 2 Kerne kkP mit ≥ 1 geschlechtsspezifizierend 358 referierendem Kern

3 Kerne

4 Kerne

5 Kerne

Gesamt

80

23

3

464

Die Forschung konzentrierte sich bislang auf Verbindungen aus zwei Gliedern, Binomiale oder Binomialia genannt, die in der Regel mit und koordiniert sind, aus Kernen gleicher Wortart bestehen und eine hohe Stabilität sowie Irreversibilität der Gliederabfolge aufweisen sollen. Typische Beispiele aus der Forschungsliteratur für Binomiale sind: Glanz und Gloria, Mann und Maus, Schritt und Tritt, fix und fertig, Pauken und Trompeten (vgl. Müller 1997). Personale Binomiale werden als ein Typus von Binomial behandelt (vgl. z. B. Müller 1997; Akar 1991). Einige der kkP entsprechen dem beschriebenen Verständnis von Binomial, doch ist das Verständnis von kkP weiter gefasst: a) Eine kkP kann prinzipiell aus unendlich vielen Gliedern bestehen, mindestens aber aus zwei; b) Glieder einer kkP müssen nicht durch die Konjunktion und koordiniert sein, sondern können sich auch sonstiger Konjunktionen oder der asyndetischen Verbindung (z. B. mit Komma, Gedankenstrich oder Schrägstrich) bedienen; c) Wortartgleichheit der beteiligten Kerne ist keine Voraussetzung zur Kategorisierung als kkP, wenngleich die meisten komplexen Phrasen mit mehreren koordinierten Kernen eine solche Einheitlichkeit aufweisen; d) ob sich kkP-Abfolgen als stabil erweisen oder nicht, ist Gegenstand der Untersuchung. Ohnehin scheint hohe Stabilität und Irreversibilität der Abfolge für personale Binomiale selbst als Voraussetzung für eine Kategorisierung als Binomial nicht aufrechterhalten werden zu können. Sogar stabile personale Binomiale weisen nicht in gleichem Maß Idiom-Charakter auf wie nicht-personale Binomiale: In vielen Fällen kann bei personalen Binomialen die Reihenfolge der Glieder umgestellt werden, ohne dass die Umstellung Auswirkungen auf die Verständlichkeit hat (vgl. auch Motschenbacher 2013): (1) Gleichberechtigung von Mann und Frau > Gleichberechtigung von Frau und Mann (2) Ich bin fix und fertig. > *Ich bin fertig und fix.

230 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Beispiel (1) veranschaulicht die Abfolge-Variabilität in personalen Binomialen. Die Verbindung Mann und Frau ist zwar weitaus gebräuchlicher, wie eine Internetabfrage ergibt,286 die Abfolge Frau und Mann aber stellt eine akzeptierte und verwendete Variante hierzu dar. Das Beispiel (2) steht für ein nicht-personales Binomial, wie es zum Beispiel bei Müller (1997) genannt ist. Dessen Abfolge ist unveränderbar, die Verbindung fertig und fix ist unter den Internetbelegen höchstens als Sprachspiel zu finden. Auch wenn personale Binomiale flexibler in der Anordnung ihrer Glieder sind, so konnte Motschenbacher (2013) in seiner Korpusstudie zu englischen personalen Binomialen Abfolgepräferenzen ermitteln. Ob diese auch in ähnlicher Weise für das Deutsche in der vorliegenden Schulbuchstudie geltend zu machen sind, wird in der Ergebniszusammenfassung behandelt. Neben ihren semantisch-pragmatischen werden die kkP auf weitere Eigenschaften befragt, die sich verändernde Abfolgemuster erklären könnten. Werden ehemals stabile Abfolgen zwischenzeitlich oder dauerhaft flexibel, so begünstigen morphologische oder phonologische Eigenschaften der Glieder möglicherweise eine alternative Abfolge, die nicht vorschnell als Effekt metasprachlicher Diskussionen gewertet werden sollte, angestoßen zum Beispiel durch die feministische Sprachkritik. Die Phonologie hat bereits die Aufmerksamkeit der BinomialforscherInnen auf sich gezogen. So soll in Paarformen die Silbenzahl des Erstglieds regelhaft niedriger liegen als die Silbenzahl des zweiten Glieds.287 Inwiefern dieses Prinzip als Erklärung für Abfolgemuster im Schulbuchkorpus greift, soll im Folgenden ebenfalls untersucht werden. Ausgewertet wurden die kkP auf die Geschlechtsreferenzen der Phrasenkerne sowie deren Reihenfolge, auf ihre semantischen Klassen, den jeweiligen Numerus, ihre lexikalische Morphologie, phonologische Eigenschaften sowie die Art und Weise der Koordination.

|| 286 Grundlage hierfür sind die Abfragen „Gleichberechtigung von Mann und Frau“ und „Gleichberechtigung von Frau und Mann“ ebenso wie „fix und fertig“ sowie „fertig und fix“ in den Suchmaschinen ixquick.de, google.de und bing.de am 18.01.2015. 287 Diese Bildungsbeschränkung für Binomiale passt im Bereich der Grammatik bzw. Syntax zum Behagel’schen Gesetz der wachsenden Glieder. Sie ist möglicherweise auch mit dem Streben nach maximaler rhythmischer Unterschiedlichkeit der beiden Glieder eines Binomials zu erklären (vgl. Müller 1997, 19).

Wortorientierte Auswertung | 231

b) Detailanalyse der gemischt-geschlechtsübergreifenden kkP Bis Mitte der 1980er Jahre gibt es unter den gemischt-geschlechtsübergreifenden kkP mit Ausnahme der NS-Zeit stets eine sehr klare Mehrheit (75–100%) an Abfolgen, in denen ein Kern mit konventionell männlicher Referenz die Erstposition (m1) einnimmt (s. unten Tabelle 27288). Diachron betrachtet: Auffälligkeiten der Abfolge und Semantik der Kerne Typisch sind in der Kaiserzeit und der Zeit der Weimarer Republik zweigliedrige kkP, deren PRF, für sich betrachtet, konventionell lexeminhärent geschlechtsspezifizierend referieren. Unter ihnen macht die Gruppe der Verwandtschaftsbezeichnungen den größten Anteil aus. Mit Ausnahme von Kombinationen aus Tante und Onkel steht durchgängig die konventionell männlich referierende PRF am Anfang: – Bruder und Schwester; Brüder und Schwestern – Sohn und Tochter; Söhne und Töchter – Vater und Mutter, auch: Vater, Mutter, Sohn; Vater, Mutter, Sohn und Tochter; Vater, Mutter, Sohn + VN, Sohn + VN – bei Onkel und Tante ebenso häufig Tante und Onkel Das Abfolgeschema Vater-Mutter-Kind(er) wird nur in einem Fall gebrochen: Das Vogelgezwitscher macht den Kindern, der Mutter, selbst dem Vater (SÜ10, 6) Freude. In diesem Beleg mit umgekehrter Reihung wird das Empfinden der Mutter näher an das kindliche Empfinden gerückt als jenes des Vaters. Mit selbst wird noch einmal deutlich gemacht, dass die Freude über ein solches Ereignis für den Mann im Unterschied zur Frau und zum Kind einen Sonderfall darstellt, was entsprechend betont werden muss. Zu Kombinationen aus Vater und Mutter ist außerdem zum einen anzumerken, dass die Abfolge Vater und Mutter Ende der 1970er Jahre aus dem Korpus verschwindet. Das kollektive Pendant Eltern dagegen steigt nach einem deutlichen Einbruch in der NS- und Nachkriegszeit an und erreicht Ende der 1990er Jahre seinen höchsten Wert. Dies kann durchaus im Zusammenhang gelesen werden: Eltern ersetzt die Paarform mit m1, die SchulbuchautorInnen greifen auf das ausdrucksseitig geschlechtsneutrale Kollektivum zurück.

|| 288 Bei Summenwerten von 101% pro Zeitabschnitt s. die Erläuterung in FN 237 zu Wertanzeigen in Tabellen. Abfolgen des Typs Anteil mit ü1 haben einen konventionell geschlechtsübergreifend referierenden Ausdruck als Erstglied, zum Beispiel Kinder.

Anteil

Anteil

Anteil

Kaiser

Weimar

NS

Nachkrieg

Adenauer

Tab. 27: Verteilung der Erstpositionierung in gemischt-geschlechtsübergreifenden kkP eines Zeitabschnitts nach Geschlechtsreferenzen

232 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Wortorientierte Auswertung | 233

Zum anderen und passend dazu taucht Mutter erstmals Mitte der 1990er Jahre in erster Position einer kkP auf. Ebenfalls etwas zugelegt haben vor allem in den vergangenen zehn Jahren Mutter und Vater sowie Vater und Tochter (nicht aber Mutter und Sohn). Man könnte also sagen, dass Eltern im Schulbuch Mitte der 1990er Jahre eine Ersatzform zu Vater und Mutter geworden ist, zu der dann wiederum die Parallelvariante Mutter und Vater tritt, bei der das neue Abfolgemuster w1 verwendet wird. In den nationalsozialistischen Schulbüchern ist die Erstposition weitgehend gleichmäßig auf konventionell weiblich und männlich referierende PRF mit einem leichten Überhang an w1 verteilt. Das ist ein zunächst überraschender Wandel. Die Belege mit einer w1 weisen dabei eine Besonderheit auf: Sie setzen sich allesamt aus Frau oder Mutter + Kind zusammen. Vergleichbare Kombinationen mit Mann oder Vater + Kind finden sich nicht im NS-Subkorpus, und auch der Blick in kkP mit ausschließlich männlich referierenden Kernen liefert keinen vergleichbaren Befund (z. B. wäre dort denkbar: Vater und Sohn). Die beinahe paritätische Verteilung von m1 und w1 in der NS-Zeit wird in den Nachkriegsschulbüchern wieder von der traditionellen Dominanz an m1 abgelöst, um anschließend wieder auf eine weitgehend gleichmäßige Erstpositionierung von konventionell weiblich und konventionell männlich referierenden PRF zu wechseln. Erst in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre und in den 2010er Jahren liegt der Prozentsatz an weiblichen Erstpositionierungen über dem der männlichen (s. oben Tabelle 27). Ab den 1990er Jahren setzen sich zweigliedrige kkP häufiger als in den Jahrzehnten zuvor aus morphologisch kompleonymen Berufsbezeichnungen zusammen, zum Beispiel: – Detektivinnen und Detektive (DK-13, 172) – Koch – Köchin (DK-13, 259) – Verbindungslehrer oder Verbindungslehrerin (DN-B-09, 150) – Lehrerin oder Lehrer (VG-B-94, 18) – Autorinnen und Autoren (HSB-01, 69) Erstaunlich ist, dass sich in der Abfolge dieser koordinierten Berufsbezeichnungen keine Musterhaftigkeiten in Bezug auf die Erstpositionierung feststellen lassen – d. h., manchmal steht der konventionell weiblich referierende Ausdruck an erster Stelle, manchmal der männlich referierende. Seit Ende der 1990er Jahre finden dann Gesellschaftsbezeichnungen wie Freundin und Freund Eingang ins Korpus oder die in der direkten Kommunikation mit den SchulbuchbenutzerInnen verwendete Relationsbezeichnungen Nachbar und Nachbarin sowie Partnerin und Partner: Bilde mit mindestens fünf

234 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Kärtchen aus dem Termbaukasten verschiedene Terme und lass sie von deiner Nachbarin oder deinem Nachbarn in Worte fassen (LS-B-05, 61; Hervorh. CO). Neu dazu kommen außerdem kkP mit Autofahrer und Autofahrerin, Bewerberin und Bewerber oder Klassensprecher und Klassensprecherin. Diese in den 1990er Jahren aufkommenden Ausdrücke folgen in der zweigliedrigen kkP (z. B. in der Klassensprecher oder die Klassensprecherin) überwiegend dem Abfolgemuster männlich + weiblich (kurz: m+w). Es besteht also ein deutlicher Abfolgeunterschied je nach semantischer Subkategorisierung der Glieder: Berufsbezeichnungen sind frei in der Kombination konventionell weiblich und konventionell männlich referierender Glieder, Gesellschaftsbezeichnungen sind es nicht; letztere führen das traditionelle Muster mit m1 fort. Die Abfolge w+m scheint für Schüler und Schülerin wiederum über die Jahrzehnte zum stabilen Muster geworden zu sein. Seit 1990 sind sogar zwei Drittel der kkP, die sich aus Appellativa zusammensetzen, Kombinationen aus Schülerin und Schüler. Am etabliertesten ist die Verbindung Schülerinnen und Schüler. In den Schulbüchern der 2010er Jahre, vor allem in Cornelsens Deutschbuch 7, steht ausschließlich diese Kombination. Zeitgenössische Schulbücher kennen in der Regel keine Alternation der Glieder, eine auffällige Ausnahme bildet hier das Mathematikbuch delta (neu) aus dem Buchner Verlag. Das Abfolgemuster w+m gilt im Übrigen bereits nicht mehr für die Präfigierung Mitschülerin und Mitschüler. Koordinierte Vornamen machen eine kleinere Gruppe innerhalb der kkP aus; sie kommen mit zwei bis fünf Kernen vor. Für das Englische liegt mit Wright/Hay/Bent (2005) eine eingehende Untersuchung zu Namen und deren Abfolgen in Binomialia vor. Zentrales Ergebnis dieser Studie ist, dass für Männer/Jungen gebräuchliche Vornamen tendenziell erstpositioniert werden. Diese Tendenz werde durch geschlechtstypisierende phonologische Eigenschaften der Namen begünstigt, vermutlich aber nicht verursacht: male names contain those features which lend them to be preferred in first position […]. Thus, phonology predicts that male names are more likely to precede female names than follow them. (Wright/Hay/Bent 2005, 531)

Die Forscherinnen sprechen hier von einer „first position phonology“ (Wright/ Hay/Bent 2005, 539) der Vornamen mit konventionell männlicher Referenz. Gestützt wird diese Interpretation noch dadurch, dass auch in Testsituationen, bei denen die Variable Phonologie ausgeschaltet wurde und anzuordnende mVN und wVN gleiche phonologische Eigenschaften aufwiesen, eine klare Tendenz zur m1 bestand.

Wortorientierte Auswertung | 235

Im Schulbuchkorpus nun stehen in zwei- und mehrgliedrigen kkP bis in die 1960er Jahre mit sehr großer Mehrheit mVN in Erstposition. Es handelt sich bei ihnen überwiegend um Einsilber. Konsonantencluster sind häufig Bestandteil der phonologischen Struktur (z. B. Hans). Ende der 1970er Jahre diversifizieren sich Abfolgemuster aus. Die Silbenzahl scheint nicht mehr so eng mit der Erstposition verbunden, d. h., der Name mit der geringsten Silbenzahl einer kkP steht nicht mehr vergleichbar häufig an erster Position wie noch in den Jahrzehnten zuvor. Auch wird das male first-Muster zunehmend aufgeweicht, wenngleich dieser Prozess mehr Jahre in Anspruch nimmt als die Ablösung vom Prinzip ‚Silbenzahlniedrigeres vor Silbenzahlhöherem‘. Dies spricht dafür, dass semantisch-pragmatische Faktoren in Bezug auf die Abfolge der Vornamen einflussreicher sind als ihre phonologischen Eigenschaften. Wright/Hay/Bent (2005) weisen in ihrer Studie darauf hin, dass die Vorkommenshäufigkeit von Namen einen weiteren Einflussfaktor auf die Abfolge darstellt: Frequentere Namen werden eher erstpositioniert als weniger frequente. Wie im Kapitel 4.1.2b ausgeführt, wurde im Schulbuchkorpus ermittelt, dass unter den für Frauen/Mädchen gebrauchten Vornamen mehr Varianz besteht und die Zahl unterschiedlicher wVN umfangreicher ausfällt als bei den mVN. Dies würde mit Wright/Hay/Bent (2005) eine Erstpositionierung der weniger unterschiedlichen mVN begünstigen. Tatsächlich stehen in gemischt-geschlechtsübergreifenden kkP des Schulbuchkorpus die hochfrequenten Männer-/Jungennamen Peter und Hans (s. Tabelle 16 in Kap. 4.1.2b) besonders häufig in erster Position. Unter den wVN sticht Inge in Erstposition heraus. Der Name zählt zeitweise zu den frequentesten wVN, wenn er auch weitaus seltener ist als Hans oder Peter unter den mVN (s. Tabelle 15 in Kap. 4.1.2b). Andere frequente wVN – zum Beispiel Gabi, Tina, Laura – kommen überwiegend in Zweitposition vor, sofern sie Bestandteil von gemischt-geschlechtsübergreifenden kkP sind. Tendenziell folgt die Realisierung von kkP mit Vornamen in den untersuchten Schulbüchern gleichen Prinzipien wie im Englischen. (vgl. Wright/Hay/Bent 2005). In den vergangenen 20 Jahren aber verändern sich in den Schulbüchern Abfolgemuster stark – zum einen wird die m1-Präferenz sukzessive zurückgenommen; zum anderen sind seit den 1990er Jahren keine stabilen Abfolgemuster auszumachen (s. oben Tabelle 27). Über die Zeit stabile Verbindungen Während w+m bei Schülerinnen und Schüler erst in den letzten 25 Jahren eine stabile Abfolge darstellt, haben sich andere Verbindungen über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg als sehr stabil erwiesen. Dies betrifft vor allem kkP, deren Glieder lexeminhärente Geschlechtsspezifizierungen aufweisen:

236 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse



Herr + Frau: Die Lexeme Herr und Frau kommen im Korpus über alle Zeitabschnitte hinweg fast ausschließlich in der Kombination Herr + Frau vor. Typische Beispiele aus dem Schulbuchkorpus sind: (1) Herr und Frau Clever (ML-B-12, 132) (2) Herr Schmitt und Frau [ihren Sohn besuchen wollen] (RB-29, 30) Oder als Bestandteil von Anreden: (3) geehrter Herr Pate und geehrte Frau Patin (SÜ-10, 9)



Im Beispiel (1) bildet der Nachname den gemeinsamen Hauptkern zu den beiden Nebenkernen Herr und Frau der Apposition; der gleiche Nachname ruft ein verwandtschaftliches, in der Regel eheliches, Verhältnis auf. Der Kotext vereindeutigt hierbei meist, dass die beiden ReferentInnen in einem ehelichen Verhältnis zueinander stehen und es sich nicht beispielsweise um Geschwister mit dem gleichen Namen handelt. Beispiel (2) ist ein Sonderfall von (1): Hier wird der gemeinsame Nachname hinter den ersten Kern gesetzt, so dass der Hauptkern zu Frau unbesetzt289 bleibt. Das Lexem ist nicht als Teil einer Apposition aufzufassen und nicht mehr als Teil einer Anrede gebraucht, stattdessen wird die so Bezeichnete auf ihre soziale Rolle als Partnerin (i. d. R. als Ehefrau) beschränkt, ohne eine Individualisierung ihrer Person. Im Beispiel (3) werden hingegen zwei eigenständige Appositionen koordiniert, sowohl die Frau als auch der Mann werden in der Rolle als PatIn expliziert. Steht zu Herr und Frau jeweils ein unterschiedlicher Hauptkern, wie in Herr Alt und Frau Fink (MA-B-05, 110), dann ist die Abfolge weniger stabil. Es finden sich im Korpus komplementäre Belege, z. B. Frau Grendel und Herr Pfeifer (LS-B-93, 83). Mann + Frau: Frau und Mann kommen im Korpus vor allem in der Abfolge m+w, der Koordination mit und sowie im Plural als Männer und Frauen vor. Ebenso wie Herr + Frau ist die Kombination Mann + Frau über alle Untersuchungszeiträume sehr stabil. Lediglich in Vergleichsphrasen wie mehr […] als […] ist die Positionierung frei, die Formelhaftigkeit aber ungleich geringer. Mann und Frau folgen auch dann dem Abfolgemuster m+w, wenn ein dritter Kern hinzutritt, zum Beispiel Mann + Frau + Kind oder + Tochter. Die Abfolge Frau + Mann + Kind oder + Tochter ist im Untersuchungskorpus

|| 289 Nur im Vergleich zur Herr-Konstruktion bleibt hier etwas unbesetzt; für sich betrachtet, hat das Lexem Frau seinen Status als Element einer Apposition in dieser Konstruktion verloren.

Wortorientierte Auswertung | 237

nicht belegt; unter Auslassung von Mann aber finden sich Belege, so zum Beispiel: (1) [er] Frau und Kinder [unterhalten müssen] (RB2-37, 2) (2) an Frau und zwei Kinder [Nachlass verteilt werden] (BVR-57, 14) Die Verbindung Frau und Kinder wirkt formelhaft, weil die Artikelwörter zu Frau und Kinder eingespart sind. Unter Berücksichtigung des Kotexts ist auffällig, dass Frau in allen Beispielen im Zusammenhang der Familie als ‚Ehefrau‘ und ‚Mutter‘ auftritt sowie als fürsorgebedürftig oder in der Rolle der Benefizientin erscheint. Im Vergleich zu den Gesellschaftsbezeichnungen für Erwachsene liegt der Stabilitätsgrad für Abfolgen aus lexeminhärent geschlechtsspezifizierenden Gesellschaftsbezeichnungen für Kinder und Jugendliche niedriger. Von der Kaiserzeit bis in die Gegenwart finden sich zahlreiche Belege für das Abfolgemuster Junge / Knabe / Bub + Mädchen. Bub, das ausschließlich in bayerischen Schulbüchern vorkommt, und Knabe verschwinden allerdings bis 1990 aus dem Korpus und damit auch aus den kkP. Ab Mitte der 1980er Jahre verliert die Verbindung Junge / Knabe / Bub + Mädchen an Stabilität, es kommen zunehmend Kombinationen mit w1 vor. Ein Zusammenhang mit dem Verschwinden von Bub und Knabe ist nicht auszuschließen und so könnte geschlussfolgert werden: Wo regio- und soziolektale Varianten (Bub, Knabe) im Schulbuch abgebaut werden und zum Gebrauchsstandard290 werdende Varianten (Junge) deren Plätze noch nicht eingenommen haben, ist gleichzeitig auch mehr Raum für Variationen in der Abfolge der Glieder gemischt-geschlechtsübergreifender kkP. Dies ist vielleicht gerade dann möglich, wenn dieser Wandel in eine Zeit gesellschaftlicher Debatten um Gleichberechtigung und sprachliche Umsetzungsstrategien der Gleichbehandlung fällt. Während die lexeminhärent geschlechtsspezifizierenden Gesellschaftsbezeichnungen für junge Erwachsene und Kinder unterschiedlich kombiniert werden können, stellt sich dies für den Bereich der Verwandtschaftsbezeichnungen anders dar: – Bruder + Schwester: Die generationengleichen Geschwisterbezeichnungen Schwester und Bruder bilden über den gesamten Untersuchungszeitraum ein festes Paar nach traditionellem Abfolgemuster m+w. Die Verbindung Bruder + Schwester erweist sich somit als sehr stabil.

|| 290 Nach Klein (2013); vgl. darüber hinaus zur Diskussion um den/einen linguistischen Standard Bubenhofer/Konopka/Schneider (2014) und Staffeldt (2015).

238 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Zusammenhang zwischen Abfolge und Numerus sowie Wortbildung Ein Zusammenhang zwischen der Abfolge und den Numeri der Glieder kann nicht konstatiert werden. Es sind im Korpus keine Regelmäßigkeiten zu ermitteln, wonach im Singular beispielsweise eher eine m1 und im Plural eher eine w1 gebräuchlich sind. Von der lexikalischen Morphologie ist die Abfolge bedingt abhängig. Die morphologischen Eigenschaften der Glieder spielen dann eine Rolle, wenn sie bestimmte phonologische Eigenschaften aufweisen: In morphologisch kompleonymen Verbindungen tendieren durch in-Movierung entstandene PRF, die gleichzeitig eine höhere Silbenzahl aufweisen als ihre maskulinen und konventionell männlich referierenden Kompleonyme, in bestimmten Wortschatzbereichen zu einer m1. Darauf soll im Folgenden näher eingegangen werden. Zusammenhang zwischen Abfolge und Silbenzahl In der allgemeinen Forschung zu Binomialen wird postuliert, dass das Erstglied weniger Silben umfasst als das Zweitglied.291 Die für die Auswertung relevante Anschlussfrage lautet, welche Abfolgen durch die phonologische Struktur in personal referierenden kkP begünstigt oder eher blockiert werden bzw. prinzipiell begünstigt und blockiert werden müssten. Bei der Auswertung wird sich zur besseren Vergleichbarkeit mit der Binomialforschung auf kkP aus zwei Phrasen beschränkt. Vor allem interessiert der Zusammenhang zwischen Silbenzahl der PRF und der Geschlechtsreferenz des Erstglieds. In den seltensten Fällen weist eine konventionell weiblich referierende PRF als Erstglied in zweigliedrigen kkP292 eine niedrigere Silbenzahl als das Zweitglied auf (s. unten Tabelle 28). Stattdessen ist der umgekehrte Fall die Regel: Unter den insgesamt 159 zweigliedrigen gemischt-geschlechtsübergreifenden kkP mit w1 ist das Erstglied in beinahe drei von vier Fällen silbenstärker,293 fast ein Viertel der kkP mit w1 machen jene mit gleicher Silbenzahl des Erst- und

|| 291 Zwar wird der Einfluss semantisch-pragmatischer Faktoren für die Bildung von Binomialen am höchsten eingeschätzt und sollen phonologische Eigenschaften der Glieder erst dann eine Rolle bei der Binomialbildung spielen, wenn die beiden Glieder gleich salient sind, doch ist das Kriterium der Salienz derart vage, dass andere Erklärungsansätze eingehender untersucht werden sollten. 292 Splittingformen, wie keine/r oder Schüler/innen, sind nicht mitgezählt. 293 S. den Anteil der Werte unterhalb der eingefassten Zellen in der Tabelle 28 an allen 159 zweigliedrigen w1.

Wortorientierte Auswertung | 239

Zweitglieds aus.294 Bei den kkP mit w1 und silbenstärkerem Erstglied handelt es sich wiederum überwiegend um Paarformen mit der femininmovierten Form auf -in an erster Stelle, wobei Kombinationen aus Schülerin und Schüler den übergroßen Anteil an diesen Paarformen ausmachen. Die deutliche Mehrzahl der zweigliedrigen kkP mit w1 verletzt somit die in der Forschung angenommene Beschränkung, dass die Silbenzahl des Erstglieds im Binomial niedriger liegt als die des Zweitglieds. Die in der Binomialforschung angenommene phonologische Beschränkung müsste die im Korpus vorgefundenen kkP mit w1 sogar blockieren; sie kann daher erst recht nicht erklären, warum gerade Schülerinnen und Schüler zu einer derart stabilen Verbindung werden konnte. Unter den zweigliedrigen kkP mit w1 finden sich zudem kaum Beispiele, die mit der phonologischen Beschränkung zusammengehen (s. die Werte oberhalb der eingefassten Zellen in Tabelle 28). Die phonologische Beschränkung scheint auf die Bildung personal referierender zweigliedriger kkP mit w1 folglich insgesamt wenig Einfluss auszuüben – weder im Sinn einer Unterstützung von kkP mit w1 noch im Sinn einer Blockade von kkP mit w1. Tab. 28: Abfolge und Silbenzahl bei w1 (n=159) in zweigliedrigen gemischt-geschlechtsübergreifenden kkP

Zweitglied Erstglied

1 Silbe

1 Silbe

2

2 Silben 3 Silben

2 Silben

3 Silben

4 Silben

5 Silben

6 Silben

5

3

0

0

0

11

31

3

0

0

0

5

25

2

0

0

0

4 Silben

0

61

4

1

0

0

5 Silben

0

0

2

1

1

0

6 Silben

0

0

0

0

1

0

7 Silben

0

0

0

0

0

1

|| 294 S. den Anteil der Werte in den eingefassten Zellen in der Tabelle 28 an allen 159 zweigliedrigen w1. Der Umkehrschluss, dass entsprechend in drei von vier kkP mit m1 das Erstglied silbenschwächer und bei einem Viertel der kkP mit m1 Erst- und Zweitglied silbengleich sind, trifft so nicht zu, weil unter den zweigliedrigen kkP auch einige Belege vertreten sind, bei denen nur eine Phrase einen konventionell geschlechtsspezifizierend referierenden Kern aufweist und der zweite konventionell geschlechtsübergreifend referiert, zum Beispiel Frau und Kinder.

240 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Von den zweigliedrigen gemischt-geschlechtsübergreifenden kkP mit einer konventionell männlich referierenden PRF in Erstposition hingegen weisen Erstund Zweitglied mehrheitlich die identische Silbenzahl auf, dicht gefolgt von Erstgliedern mit geringerer Silbenzahl als die nachfolgende PRF.295 Zweigliedrige kkP mit m1 stimmen somit in größerem Maß mit dem phonologischen Prinzip ‚Silbenzahlniedrigeres vor Silbenzahlhöherem‘ überein als vergleichbare kkP mit w1. Wenn aber die beiden Glieder der kkP mit m1 mehrheitlich die gleiche Silbenzahl aufweisen, dann kann in Übereinstimmung mit der allgemeinen Binomialforschung festgehalten werden, dass ‚Männliches vor Weiblichem‘ im Vergleich zur Phonologie das dominante Bildungsprinzip zu sein scheint. Gilt dieser allgemeine Befund auch für die Gegenwart? Vergleicht man alle zweigliedrigen kkP der letzten 25 Jahre, deren Erst- und Zweitglied die gleiche Silbenzahl haben, in Hinblick auf die konventionelle Geschlechtsreferenz des Erstglieds, so ist auch hier zu konstatieren: Eine m1 ist in einer zweigliedrigen kkP auch dann sehr viel wahrscheinlicher, wenn Erst- und Zweitglied eine identische Silbenlänge aufweisen. Tab. 29: Abfolge und Silbenzahl bei m1 (n=180) in zweigliedrigen gemischt-geschlechtsübergreifenden kkP

Zweitglied Erstglied

1 Silbe

2 Silben

3 Silben

4 Silben

5 Silben

6 Silben

1 Silbe

10

18

5

0

0

0

2 Silben

2

85

30

12

0

0

3 Silben

1

3

0

0

6

0

4 Silben

0

1

0

1

5

0

5 Silben

0

0

0

0

0

1

Die phonologischen Eigenschaften einiger konventionell männlich referierender PRF begünstigen im Unterschied vor allem zu den in-Movierungen in morphologisch kompleonymen Paarformulierungen eine Erstpositionierung. Unter den kkP mit m1 sollte der Einfluss der Phonologie auf die Abfolge dennoch nicht zu hoch eingeschätzt werden.

|| 295 S. zur identischen Silbenzahl den Anteil der Werte in den eingefassten Zellen an allen 180 zweigliedrigen m1 und s. zur niedrigeren Silbenzahl von konventionell männlich referierenden PRF in Erstposition den Anteil der Werte oberhalb der eingefassten Zellen in der Tabelle 29.

Wortorientierte Auswertung | 241

Zusammenhang zwischen Abfolge und Koordinationstyp Da sich kkP in der Art der Koordination unterscheiden, wurde untersucht, ob ein Zusammenhang zwischen Abfolge und Koordinationstyp besteht. Die meisten kkP werden asyndetisch mit Komma gereiht bzw. bei mehr als zwei Gliedern sind diese bis auf das letzte Glied, das meist durch und angeschlossen wird, durch Komma verbunden. Gerade zweigliedrige kkP weisen größere Varianz auf: Es finden sich im Korpus Verbindungen mit wie, als auch, bzw. oder mit einem Bindestrich. Diese Koordinationstypen korrelieren jeweils mit keinem spezifischen Abfolgemuster. Die Koordinierung mit einem Schrägstrich wurde hier zunächst aus der Auswertung ausgelassen, auf diesen Typ soll im Folgenden näher eingegangen werden. Einen Sonderfall unter den Schrägstrichschreibungen stellen integrative Paarformen dar (s. Kap. 4.1.5), bei denen der Schrägstrich in der Regel zwischen Basismorphem oder Morphemkomplex und Suffix (oder bei Konversionen: Flexionsmorphem) steht, wobei mit dem Suffix konventionell eine zum Basismorphem oder zum Morphemkomplex komplementäre Geschlechtsreferenz verbunden ist: Schüler/innen bzw. Schüler + /

+

innen

Rekonstruiert man den Bildungsweg dieser Schreibung, so ergibt das: Schüler

+ /

+

Schülerinnen

Schüler ist Bestandteil von Schülerinnen und muss nicht wiederholt werden. Mit Blick auf die Bildung ist es auch ungeachtet der Frage der Referenz296 stärker integrativer Schreibungen im Unterschied zu ausgeschriebenen Paarformen durchaus möglich, für die integrative Schreibung von einer Abfolge m+w zu sprechen. Drei Ausdrücke finden sich in neueren Deutschbüchern für die entgegengesetzte Abfolge w+m: eine/r, jede/r, welche/r. Zu diesen Ausdrücken existieren im Korpus zwar keine unmittelbaren ausgeschriebenen Pendants, aber einige wenige ähnliche Ausdrücke, wie keine/keiner.

|| 296 Bei ausgeschriebenen und verkürzten Paarformschreibungen steht eine eingehende Diskussion um die Referenz dieser Ausdrücke noch aus. Stärker integrative Paarformschreibungen (z. B. mit Schrägstrich oder Binnen-I) müssen nicht zwingend als zweigeschlechtliche Referenz aufgefasst werden, sondern abstrahieren bereits ausdrucksseitig von zwei klar voneinander abgrenzbaren Geschlechtern (s. bereits Kap. 4.1.5).

242 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Im engeren Sinn fallen diese Paarformschreibungen nicht unter die Kategorie kkP, da nicht mindestens zwei ausdrucksseitig vollständige und voneinander abgrenzbare Kerne an der Konstruktion beteiligt sind. Auch weil stärker integrative Paarformschreibungen als eigenständige Alternativen gewertet werden können, stellen diese Formen einen Sonderfall dar. Sie sind dennoch für die Analyse der kkP mit Schrägstrich-Koordinierung von Interesse: Die deutliche Mehrzahl der ausgeschriebenen kkP mit Schrägstrichschreibung folgt dem Abfolgemuster m+w; weniger als ein Viertel folgt dem Abfolgemuster w+m, darunter kkP mit rein pronominalen Kernen sowie kkP mit substantivischen Kernen und femininmovierten w1-Ausdrücken. Auch die in der Grammatikschreibung etablierten Pronominalabfolgen er/sie/es oder der/die/ das mit personaler Referenz, wie sie in Sprachbüchern vorkommen, sind in diese Verteilung eingerechnet. Rechnet man diese Pronomen testweise heraus, weist weiterhin die große Mehrheit an kkP mit Schrägstrichschreibung eine m1 auf – beinahe allesamt bestehend aus substantivischen Kernen sowie einem femininmovierten und somit silbenstärkeren Ausdruck als Zweitglied. Die Tendenz zur m1 bei ausgeschriebenen kkP mit Schrägstrichschreibung lässt sich nun möglicherweise zu einem Teil dadurch erklären, dass für den Bereich der substantivischen kkP neben den ausgeschriebenen Paarformschreibungen eine verkürzte Schreibung mit Femininmovierung am Ausdrucksende existiert. Gegebenenfalls tendieren SprachproduzentInnen, in diesem Fall die AutorInnen von Schulbüchern, dann eher dazu, in der verwandten ausgeschriebenen Variante einem ähnlichen Muster zu folgen. Über die Variable Koordinationstyp gelangt man somit zu einem mittelbaren Zusammenhang zwischen Abfolge und Phonologie, nämlich dazu, dass sich die Abfolge in zweigliedrigen kkP mit Schrägstrichschreibung am Prinzip ‚Silbenzahlniedrigeres vor Silbenzahlhöherem‘ orientiert. Dieser Zusammenhang konnte für keinen weiteren Koordinationstyp ermittelt werden. Für den Zusammenhang zwischen zweigliedrigen ausgeschriebenen kkP mit Schrägstrichschreibung (z. B. Redner/Rednerin) und der Abfolge wird ferner ein Effekt durch die verwandte integrative Schreibung (im Beispiel: Redner/in) angenommen. Die Kurzform gibt in dieser Lesart das Prinzip ‚Ausdrucksseitig Impliziertes vor ausdrucksseitig Implizierendem‘ vor, das gleichzeitig der für Binomiale angenommenen phonologischen Beschränkung entspricht. Das Implizierte ist im Beispiel Redner, das Implizierende Rednerin. c) Zusammenfassung der kkP-Analyse In der Auswertung der personal referierenden komplexen koordinierten Phrasen ist in älteren Schulbüchern eine starke Orientierung am Abfolgemuster

Wortorientierte Auswertung | 243

m+w festzustellen. Komplexe koordinierte Phrasen, deren Kerne bei semantischer Differenzierung beispielsweise der Berufswelt oder auch der Welt der Familie zuzuweisen sind, zeigen dieses Muster m+w. Doch es sollte keineswegs standardmäßig von der Erstpositionierung eines konventionell männlich referierenden Kerns in einer kkP ausgegangen werden. Der Vergleich einzelner Zeitabschnitte offenbart zum Teil sehr unterschiedliche Abfolgemuster – personale kkP erweisen sich in einigen Bereichen als erstaunlich flexibel, in anderen als konservativ im literalen Sinn: Ehemals stabile Abfolgen können aufgeweicht (m + moviertes w > moviertes w + m) oder sogar mehrheitlich umgekehrt werden, zum Beispiel Vater und Mutter > Mutter und Vater. Mollin (2013, 195f.) spricht von „unfreezing“,297 das nach ihren Auswertungen vor allem m1 > w1 betreffe und nur bei personalen Binomialen vorkomme. Solches unfreezing von m1 zu w1 war auch in den Schulbüchern zu ermitteln. Bei w1-Verbindungen beobachtet Mollin eine Tendenz zum „freezing“, die in dieser Untersuchung mindestens für Schülerinnen und Schüler zu bestätigen ist. Bei den allgemeinen Gesellschaftsbezeichnungen, Berufsbezeichnungen und Vornamen ist eine Öffnung zu geschlechtersensibler Beidnennung zu verzeichnen. Anders als in Motschenbachers Studie für das Englische weisen im Schulbuchkorpus neuere Paarformen mit Femininmovierung sowohl m+w- als auch w+m-Abfolgen auf – wenngleich die Tendenz eher zu einer Erstpositionierung des konventionell männlich referierenden Kerns geht. Für das Englische wurde für diese und ähnliche Fälle dagegen eine sehr deutliche m1-Präferenz ermittelt (vgl. Motschenbacher 2013, 236). Für Frau und Mann bzw. Herr bleibt die m1 erhalten. Das Abfolgemuster gilt dann ausnahmslos, wenn zwischen den so bezeichneten Personen ein Eheverhältnis entworfen wird. Der gemeinsame Nachname in Konstruktionen wie Herr und Frau X ist deutlichstes Anzeichen hierfür; der Kotext im Schulbuch leistet in der Regel weitere Vereindeutigung. Kombinationen aus den Kernlexemen für erwachsene Personen, Frau und Mann bzw. Herr, bleiben somit von den unfreezing-Prozessen unangetastet. Im Unterschied dazu ist die Abfolge geschlechtsspezifizierender Lexeme für das Kindes- und Jugendlichenalter weitgehend frei – nicht aber im familiären Zusammenhang: Hier kommt der Bruder stets und stabil vor der Schwester. In der Untergruppe der Verwandtschaftsbezeichnungen haben somit bedingt Veränderungen stattgefunden. Die Umkehrung der zentralen Verwandtschaftsbezeichnungen Vater und Mutter zu Mutter und Vater macht besonders || 297 Mollin bezieht sich hier auf zweigliedrige kkP. Binomiale heißen im Englischen auch freezes; unfreezing meint dann das Aufbrechen der erstarrten, stabilen Verbindung im Binomial.

244 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

deutlich, dass die Abfolgen in personalen kkP nicht so starr sind, wie in der Binomialforschung mancherorts postuliert (vgl. z. B. Müller 1997, 15).298 Eine Interpretation des Befunds dahingehend, dass die Erstpositionierung von Mutter als Ausdruck einer Höherbewertung von Mutterschaft gegenüber Vaterschaft gelten kann, halte ich allerdings für zu weit gehend. Einzig für die NS-Zeit scheint ein Zusammenhang zwischen Erstpositionierung von Mutter und zwischen NS-Ideologie naheliegend (s. weiterführend Kap. 6.3). Dass zu dieser Zeit Mutter in Kombination mit Kinder in w1 auftaucht, kann als Hochschätzung von Mutterschaft gewertet werden und zwar bezogen auf die Reproduktionsarbeit der Frauen – nicht aber automatisch auch als Höherbewertung von Mutterschaft gegenüber Vaterschaft. Auch die diversifizierten Abfolgen von koordinierten Berufsbezeichnungen in jüngeren Schulbüchern sind Ausdruck einer gesteigerten Geschlechtersensibilität auf der Ebene der Sprache. Diese Sensibilität ist aber, wie die Auswertung offengelegt hat, auf bestimmte semantische Gruppen beschränkt: Während bei den Berufsbezeichnungen verschiedene Abfolgen möglich sind, so weisen sonstige zweigliedrige kkP aus Gesellschaftsbezeichnungen, welche in den 1990er Jahren neu ins Schulbuch kommen, eine deutliche Tendenz zum Abfolgemuster m+w auf. Es bricht sich womöglich wieder das male dominance-Prinzip Bahn, das die geringere Silbenzahl der konventionell männlich referierenden PRF noch begünstigt. Anders aber die sehr stabile w+m-Abfolge Schülerinnen und Schüler. Unter den Gesellschaftsbezeichnungen insgesamt allerdings bleibt Schülerinnen und Schüler mit dem Abfolgemuster w+m ein Sonderfall mit geringer Strahlkraft auf andere, selbst auf verwandte Gesellschaftsbezeichnungen. Eine Abkehr von der m1 ist folglich nur für bestimmte semantische Klassen möglich, der Zusammenhang von Abfolge und semantischer Klasse der Glieder somit als weiteres zentrales Ergebnis festzuhalten. Die Numeri der Glieder hingegen bieten kein Erklärungspotential für Abfolgepräferenzen. Eine Abhängigkeit der Abfolge von den morphologischen Eigenschaften der Phrasenkerne war lediglich indirekt festzustellen, d. h. nur, wenn sie mit silbenphonologischen Eigenschaften zusammenfallen. Nicht zwischen Morphologie und Abfolge, sondern Phonologie und Abfolge besteht ein Zusammenhang: Die untersuchten phonologischen Eigenschaften von konventionell männlich referierenden PRF begünstigen mindestens in zweigliedrigen kkP eine Erstpositionierung. Hingegen steht die deutliche Mehrzahl der jüngeren w1-Abfolgen, selbst jene stabilen, im Widerspruch zu phonologischen Bildungsbeschränkungen, wie sie in der || 298 Die für den gesamten Untersuchungszeitraum ermittelte Abfolgeoffenheit in Kombinationen aus den Lexemen Tante und Onkel stützt dieses Argument.

Wortorientierte Auswertung | 245

Binomialforschung angenommen werden. Der Einfluss phonologischer Faktoren auf die Abfolge in kkP sollte folglich nicht überschätzt werden bzw. wird von anderen Bildungsprinzipien dominiert; ein gar kausaler Zusammenhang zwischen Phonologie und Abfolge wird verworfen. Die Analyse der Koordination ergab ferner, dass lediglich für zweigliedrige Koordinierungen mit Schrägstrich eine starke m1-Präferenz besteht, die mit dem phonologischen Bildungsprinzip zusammengeht und die möglicherweise folgendermaßen erklärt werden kann: Die verkürzte Schrägstrichschreibung, in der ausdrucksseitig Gleiches ausgelassen wird, liefert das Bildungsmuster für die ausgeschriebenen Paarformen mit Schrägstrichschreibung, nämlich ‚Ausdrucksseitig Impliziertes vor ausdrucksseitig Implizierendem‘. Dass dieser Effekt bei ausgeschriebenen Schrägstrichschreibungen stark ausfällt, hängt, so eine Vermutung, daran, dass der Schrägstrich eine räumlich-visuell besonders enge Verbindung der konventionell männlich und der in der Regel morphologisch kompleonymen weiblich referierenden PRF ermöglicht; der Übertrag des Abfolgemusters fällt damit leichter. Kein Zusammenhang war letzten Endes so stark wie jener zwischen Abfolge und konventioneller Geschlechtsreferenz der PRF. Paarformen, bei denen beide Glieder gleiche phonologische Eigenschaften aufweisen und die trotzdem überwiegend einer m1 folgen, machen besonders deutlich, dass ‚Männliches vor Weiblichem‘ in Übereinstimmung mit der Binomialforschung das dominante Bildungsprinzip ist. Auch der Umstand, dass sich bei den Vornamen früher vom Prinzip ‚Silbenzahlniedrigeres vor Silbenzahlhöherem‘ gelöst wird als von der m1, spricht dafür. Weil die phonologischen Eigenschaften männlich referierender Phrasenkerne mit den in der Binomialforschung angenommenen phonologischen Bildungsbeschränkungen weitgehend zusammengehen, wird auch in dieser Untersuchung angenommen, dass die Phonologie der männlichen PRF als unterstützender Faktor für eine m1 wirkt. Wie auch bei Wright/Hay/Bent (2005) hat sich in dieser Untersuchung Frequenz bei den Vornamen als weiterer begünstigender Faktor für eine m1 erwiesen. Der Zusammenhang zwischen Abfolge und konventioneller Geschlechtsreferenz allerdings wird im Lauf des Untersuchungszeitraums generell schwächer. Die Diversifizierung der Abfolgen hat sich bis in die 1990er Jahre vollzogen. Sie betrifft kkP mit Gliedern unterschiedlicher Semantik, die Vornamen eingerechnet. Paritätisch fällt das Verhältnis an w1 und m1 dabei nicht aus. Aus einer konstruktivistischen Perspektive auf Sprache kann die Annahme, dass Männliches als salienter und kognitiv leichter verfügbar gilt, als Ergebnis eines Konventionalisierungsprozesses gefasst werden: Weil Männliches in der Vergangenheit häufiger an erster Stelle vorkommt, wird das Prinzip ‚Männli-

246 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

ches vor Weiblichem‘ zunehmend zu einer Bildungsbeschränkung und die Erstposition mit ‚männliche Referenz‘ geprimt. Das wiederum ermöglicht eine schnellere Verarbeitung des an erster Stelle Vorkommenden, das in der Regel eine konventionell männlich referierende PRF ist bzw. in der Vergangenheit war. Wo sich kkP aber von der m1 lösen, wird das Priming auf ‚männliche Referenz in erster Position‘ strukturell geschwächt.

4.1.7 Integrierte Personenreferenzformen Das Streben nach einem geschlechtersensiblen Sprachgebrauch umfasst in den Schulbüchern nur sehr rudimentär die integrierten Personenreferenzformen (iPRF). Die iPRF der Schulbücher, die nicht eindeutig männlich oder weiblich referieren, sind in großer Mehrzahl299 als generische Maskulina realisiert (z. B. Partnerarbeit, Verbraucherberatung). Dem maskulinen Genus wird auch hier die Stellvertreterfunktion unter den Genera zuerkannt (s. auch Kap. 4.1.3a). Selbst bei iPRF, die dem Kotext nach weiblich referieren, wird standardmäßig der maskuline Ausdruck gewählt, so in Siegerweite anstelle von Siegerinnenweite als Bezeichnung für die Weite, die von der Siegerin eines sportlichen Wettkampfes erzielt wird (vgl. MA-B-97, 16). Weitere Beispiele für iPRF dieser Art sind Macherlohn für den Lohn einer Zeugmacherin, Freundschaft unter weiblichen Personen und Mannschaft für ein Team aus Frauen (vgl. u. a. BRB-41, 51; VG-E-96, 155; MeW-97, 60). Der Zusammenhang zwischen Genus und Geschlechtsreferenz scheint bei iPRF sehr schwach ausgeprägt zu sein. Maskulina referieren als iPRF (in den Beispielen: Partner, Verbraucher, Sieger, Macher, Freund, Mann) gewissermaßen im Default-Fall geschlechtsübergreifend. Diese umfassende Anwendungsbreite der maskulinen iPRF wird womöglich dadurch begünstigt, dass bei iPRF die personale Referenz und damit auch die Möglichkeit einer geschlechtsreferentiell spezifischen Referenz kaum wahrgenommen werden. Einzige Ausnahme ist Zigeunerinnenkostüm (MSB-B-77, 112). Dass SchulbuchautorInnen die Femininmovierung als iPRF wählen, hängt möglicherweise damit zusammen, dass mit der Kostümierung als ‚Zigeunerin‘300 ein anderes Stereotypkonzept verbunden ist als mit ‚Zigeuner‘. Eulberg (2009) führt diesen konzeptuellen Unterschied ausführlich aus und sieht in der „Konstruktion einer

|| 299 D. h. in 387 von 438 Fällen. 300 Mit den einfachen Anführungszeichen wird in diesem Zusammenhang die Konstruiertheit einer „>ZigeuneridentitätZigeuneridentität< […] eine Potenzierung der Konstruktion eines >zigeunerischen< wie auch eines spezifisch weiblichen Wesens“; die ‚Zigeunerin‘ sei „noch mehr >Zigeuner< und noch mehr Frau“ (Eulberg 2009, 48; Hervorh. i. O.) und somit einer doppelten Stereotypisierung ausgesetzt. Teil dieser Konstruktion sei die stereotyp-topische Verbindung von ‚Zigeunerin‘ mit ‚Wildheit‘ und ‚Freiheitsliebe‘ (vgl. Eulberg 2009, 57–61). Diese im Vergleich zu ‚Zigeuner‘ potenzierten Implikationen der Bezeichnung ‚Zigeunerin‘ mögen die Wahl der movierten Form in der iPRF begünstigt haben. Doing gender ist in diesem Fall untrennbar mit einer weiteren Differenzkategorie verbunden, und zwar mit doing ethnicity bzw. doing gypsy. Eine Gruppe, unter denen iPRF sehr häufig vorkommen, bilden Straßen-, Orts und Gebäudebezeichnungen. Diese Bezeichnungen führen als iPRF meist den Namen einer bekannten Persönlichkeit mit sich, beispielsweise Bismarckstraße, Marie-Curie-Gymnasium (SB-48, 41; D-B-05, 142). Die iPRF mit weiblicher Referenz sind nur selten Bestandteil von Toponymen (in 12 von insgesamt 88 Fällen). Der öffentliche Raum, wie er im Schulbuch entworfen ist, wird somit sehr viel häufiger von männlichen Personen eingenommen. Wortbildungen mit Vater- (Vaterland) und Mutter- (Mutterland, Mutterboden) kommen konzentriert in nationalsozialistischen Schulbüchern und Ergänzungsheften vor. Mutterland dient als ‚Land, das Mutter für andere Länder ist‘ in kolonialistischen Zusammenhängen als Bezeichnung für jenes Land, zu dem Kolonien zugehörig sind bzw. von dem Kolonien abhängen sollen. Vaterland steht in allen anderen Zusammenhängen für jenes Land, das als ‚Land der Väter‘ als Stammland einer Gruppe von Menschen gedacht wird. Mutter- und Vaterland vermitteln dabei zwei unterschiedliche Perspektiven auf den identischen geographischen Raum: Für das Angestammte ist das männliche Prinzip namengebend, für die Beziehung zwischen Ausgangsland und der von diesem eroberten oder kontrollierten Gebiete ein Mutter-Kind-Prinzip. Vater in Vaterland verweist weniger auf die familiäre Rolle, sondern ist Ausdruck eines an eine männliche Genealogie gekoppelten Besitzanspruchs, Mutterland führt im Unterschied zu Vaterland keinen solchen Besitzanspruch mit, sondern ist vor allem relational.

4.2 Auswertung der Propositionsebene Im Mittelpunkt der Auswertungen der propositionalen Kategorien stehen die Aussageinhalte, also das, was über die Personenreferenzformen (weiterhin: PRF) bzw. die damit bezeichneten ReferentInnen prädiziert wird. Betrachtet

248 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

werden ausschließlich Prädikationen über weibliche oder männliche Figuren.301 Dabei wird auch auf die Verteilung von Agentivität eingegangen.

4.2.1 Auswertung der Verbklassen Anders als die PRF selbst sind die Verbklassen Handlungs-, Vorgangs- und Zustandsverb in keinem Zeitabschnitt ungleich auf die Geschlechter verteilt.302 Der Befund hat auch dann Bestand, wenn die sehr wahrscheinlich, aber nicht eindeutig männlich referierenden PRF zu den eindeutig männlich referierenden PRF gerechnet werden (mit einer Ausnahme, s. in der folgenden Auflistung). Im Grobzugriff erweisen sich die stark agentiven Handlungsverben somit nicht in starkem Maß für ein Geschlecht als charakteristisch. Leichte Abweichungen von der Gleichverteilung finden sich in folgenden Zeitabschnitten: – In den 1970er Jahren liegt der Anteil an Handlungsverben, die über Referenten prädizieren, um ein Viertel höher als ihr Anteil im Zusammenhang mit Referentinnen. Um den entsprechenden Anteil unterscheidet sich die Verteilung der Zustandsverben. – Zwischen 1990 und 2010 fällt das Verhältnis ähnlich aus, wobei der Unterschied geringer ist. In den neuesten Schulbüchern dann kehrt sich dies um und Handlungsverben prädizieren tendenziell häufiger über wPRF bzw. Referentinnen als über mPRF bzw. Referenten (stets gemessen an der Anzahl aller wPRF sowie mPRF). – Die kaiserzeitlichen Schulbücher differieren im Geschlechtervergleich als einzige Zeitspanne etwas ausgeprägter in ihrer jeweiligen Verteilung der Verbklassen (s. die beiden untenstehenden Abbildungen). Unter den eindeutig geschlechtsspezifizierend referierenden PRF und den dazugehörigen Prädikationen ist der Anteil der Zustandsverben, die über mPRF bzw. Referenten prädizieren, in den kaiserzeitlichen Schulbüchern fast doppelt so groß wie bei wPRF. Die Vorgangsverben kommen entsprechend verringert mit mPRF vor. Werden die geschlechtsreferentiell nicht eindeutig männlich

|| 301 Die Datengrundlage ist im Anhang 4–2 aufgeführt. Der Anhang ist nicht Bestandteil der Druckfassung, sondern steht unter https://www.degruyter.com/view/product/491314 zum Download bereit. 302 Die Befunde bleiben gleich, unabhängig davon, ob passivierte, in Bezug auf den Geltungsbereich der Aussage modifizierte oder nicht-agentivische PRF an Subjektstelle, die insgesamt selten sind, in die Auswertungen eingeschlossen werden oder nicht.

Auswertung der Propositionsebene | 249

referierenden Ausdrücke hingegen in die Auswertung einbezogen, dann besteht in diesem Zeitabschnitt keine Ungleichheit mehr zwischen mPRF und wPRF.

Abb. 28: Verteilung der semantischen Verbklassen auf die wPRF relativ zu allen wPRF eines Zeitabschnitts

Abb. 29: Verteilung der semantischen Verbklassen auf eind. mPRF relativ zu allen eind. mPRF eines Zeitabschnitts

250 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Die Abbildungen 28 und 29 zeigen, wie die Verbklassen anteilig zueinander verteilt sind, einmal auf die wPRF, einmal auf die eindeutig männlich referierenden PRF. Auffällig ist auch, dass beide Grafiken sehr ähnliche wechselvolle Verläufe in den 1930er bis 1970er Jahre nehmen. Die – im Vergleich zu den vorausgehenden und nachfolgenden Zeitabschnitten – deutlich abweichenden Werte Anfang der 1980er Jahre und der Nachkriegsjahre werden nicht eingehender diskutiert. In beiden Zeitabschnitten fällt die Datengrundlage insgesamt gering aus, was die Ausschläge nur eingeschränkt aussagekräftig macht. Es mag möglicherweise eine Eigenheit von Schulbüchern sein, dass Vorgangsverben insgesamt verhältnismäßig selten gebräuchlich sind, um Aussagen über weibliche und männliche Personen zu treffen. Klar bevorzugt werden Handlungsverben, gerade in der jüngeren Vergangenheit zunehmend auch Zustandsverben. Handlungs- und Zustandsverben werden bei der Auswertung auf semantische Cluster (s. Kap. 4.2.3) dann auch im Schwerpunkt betrachtet. Bevor zur Auswertung, was über die Geschlechter ausgesagt wird, übergegangen wird, sollen die semantischen Rollen, die von den PRF besetzt werden, auf ihre Verteilung untersucht werden.

4.2.2 Auswertung der semantischen Rollen Semantische Rollen stellen eine zentrale und gut operationalisierte Möglichkeit dar, um die Verteilung von Agentivität auf die Geschlechter differenzierter zu erfassen und die Verbundenheit von Agentivität mit Weiblichkeit bzw. Männlichkeit herauszuarbeiten. Die Auswertung der Agens-Rolle und weiterer agenshafter Rollen ergibt dabei keine starke geschlechtstypisierende Verteilung von Agenshaftigkeit, wie auch in der Gesamtschau aller Rollen diachron verhältnismäßig geringe geschlechtstypisierende Verteilungen festzustellen sind.303 Die agenshaften Rollen dominieren klar. Mit weitem Abstand am häufigsten nehmen die Schulbuchfiguren die semantische Rolle Agens ein: 50% der wPRF wie auch der mPRF304 treten in einer Proposition als Agens auf. Ihr Anteil ist diachron stabil dominant, wie die untenstehenden Abbildungen veranschauli-

|| 303 Zum Verhältnis von Agentivität und Agenshaftigkeit s. eingangs von Kapitel 3.3.2d. 304 Dies gilt sowohl exklusive als auch inklusive nicht eindeutig, aber sehr wahrscheinlich männlich referierender Formen.

Auswertung der Propositionsebene | 251

chen (s. jeweils die dunkelblaue Linie).305 PRF in der Rolle als Agens nehmen dabei eine beinahe gleiche Entwicklung wie die Handlungsverben. Dies ist erwartbar, weil Verbklassen und semantische Rollen aufeinander bezogen sind. Ihr Anteil liegt in den Schulbüchern der Kaiserjahre bis 1945 bei den wPRF etwas höher als bei den mPRF. Besonders niedrig ist der Agens-Wert in den Nachkriegsjahren. Dieser Befund gilt für männlich wie weiblich referierende Ausdrücke gleichermaßen, sollte aber nicht als interpretationswürdiger epochenspezifischer Befund eingestuft werden, da die Stichprobengröße für diesen Zeitabschnitt sehr gering ausfällt. Die für die wPRF auffälligen Werte Anfang der 1980er Jahre sind aus dem gleichen Grund ebenfalls nur eingeschränkt aussagekräftig. Bei den mPRF reduziert sich gegenwärtig der Agens-Anteil im Vergleich zu den wPRF und nimmt damit eine parallele Entwicklung wie die Handlungsverben (s. zu den Handlungsverben Abbildung 28 und 29 weiter oben). Der Befund, dass wPRF in den 1970er Jahren seltener zusammen mit Handlungsverben vorkommen als im Zeitabschnitt zuvor, spiegelt sich ebenfalls in der Entwicklung der wPRF in der Agens-Rolle wider.

Abb. 30: Verteilung der häufigsten semantischen Rollen auf die wPRF relativ zu allen wPRF eines Zeitabschnitts

|| 305 Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind nicht alle semantischen Rollen in die Abbildungen aufgenommen, sondern lediglich jene, die zu mehr als einem Zeitabschnitt mindestens 5% ausmachen.

252 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Abb. 31: Verteilung der häufigsten semantischen Rollen auf die eind. mPRF relativ zu allen eind. mPRF eines Zeitabschnitts

Auch die HandlungsverursacherInnen, ein Sonderfall der Agens-Rolle, ändern an den Zahlenverhältnissen zur Agens-Rolle wenig. Die semantische Rolle Causativ kommt insgesamt selten im Korpus vor. Im gesamten Zeitraum werden die weiblichen Figuren dabei seltener in dieser Rolle gezeigt als Männer/Jungen. PRF als Comitativ (Agens-BegleiterIn) kommen in den untersuchten Schulbüchern ebenfalls kaum vor. Hier zeigen sich keine geschlechtstypisierenden Verteilungstendenzen. Stattdessen begleiten mPRF und wPRF genau gleich häufig ein Agens, stets gemessen an der Gesamtheit aller mPRF bzw. wPRF.306 Vor allem seit den 1950er Jahren verhalten sich Agens- und PossessorInAnteile annähernd komplementär, was auch daran liegt, dass andere Rollen keinen entsprechend hohen Wert mehr erlangen. Dies betrifft sowohl die wPRF als auch die mPRF. Der Vergleich der jeweiligen Häufigkeiten von mPRF und wPRF als Besitzende (POSS) ergibt, wie auch schon die Auswertung der AgensRollen, nur wenige geschlechtstypisierende Unterschiede in der Verteilung. Festzuhalten ist, dass deutlich vor dem feministischen Engagement der 1970er Jahre weibliche Schulbuchfiguren als Besitzende profiliert werden, in der Kon-

|| 306 Der Befund hat Bestand, ob die uneindeutig männlich referierenden PRF in die Auswertung einbezogen werden oder nicht.

Auswertung der Propositionsebene | 253

trastierung sogar häufiger als die mPRF. Dieses Verhältnis weist gegenwärtig wiederum in die umgekehrte Richtung. Im Detail betrachtet, liegen die POSSAnteile bei den wPRF noch bis in die Weimarer Jahre bei rund 10%, seither deutlich höher, die Adenauer-Jahre sowie die 1970er Jahre weisen dabei die höchsten Werte auf (je über 20%, s. die helllila-farbene Linie in Abbildung 30). Die überdurchschnittliche Steigerung der POSS-Anteile in den 1950er Jahren teilen die mPRF mit den wPRF noch, den Anstieg in den 1970er Jahren nicht. Bemerkenswert ist vor allem, dass die mPRF bis Anfang der 1980er Jahre unter Ausnahme der Kaiserzeit niedrigere POSS-Anteile als die wPRF aufweisen (s. die helllila-farbene Linie in Abbildung 31).307 Ihren niedrigsten Wert haben sie in den NS-Jahren. In gegenwärtigen Schulbüchern überschreiten die mPRF in der Rolle als Besitzende erstmals die 20%-Hürde und überflügeln damit zugleich die Besitzerinnen. Um welche Art von Besitz es sich jeweils handelt – ob überwiegend um Wertgegenstände oder vielleicht eher um soziale Zugehörigkeit –, wird noch zu betrachten sein (s. Kap. 4.2.3d). Wer von einem Besitzwechsel wiederum eher affiziert ist oder durch einen solchen den bisherigen Zustand verändert, zeigt die Auswertung der RezipientInnen-Rolle. Ihr Anteil nimmt im Unterschied zu den POSS über den Betrachtungszeitraum ab (s. dunkellila-farbene Linie in Abbildung 30 und 31). Die Differenz zwischen den mPRF und den wPRF in der semantischen Rolle RezipientIn fällt dabei so gering wie bei keiner anderen Rolle aus, die Kaiserjahre ausgenommen.308 Wer wiederum eher welchen Besitz gewinnt, wer eher verliert – diese Differenzierung wird im folgenden Kapitel bei der eingehenden Detailanalyse der Aussagen vorgenommen. TrägerInnen von Eigenschaften oder Zuständen ohne psychische Bewegtheit (ZET-Rolle) sind in den Schulbüchern kaum geschlechtstypisierend verteilt (s. hellblaue Linie in Abbildung 30 und 31). Lediglich die NS- und die Adenauer-Jahre sind in dieser Hinsicht klar männlich kodiert. In den anderen Zeitabschnitten wiederum liegen die ZET-Anteile bei den wPRF etwas, in den

|| 307 Den hohen Wert in den kaiserzeitlichen Schulbüchern weisen nur eindeutig männlich referierende PRF auf; bei der Auswertung inklusive der nicht eindeutig, aber sehr wahrscheinlich männlich referierenden PRF liegt der Anteil an POSS bei rund 10%, was auch dem Anteil an POSS unter den wPRF dieser Zeit entspricht. 308 Während die REZ-Anteile in den Kaiserjahren 9% an den eindeutig männlich referierenden PRF ausmachen, sind es 22%, wenn die uneindeutig männlich referierenden PRF eingerechnet werden. Im Mittel macht dies annähernd den Anteil der wPRF aus. Jeweils für sich betrachtet, liegt der Anteil der Rezipienten entweder um ein Viertel niedriger oder um die Hälfte höher als jener der Rezipientinnen. Ein aussagekräftiger Befund lässt sich auf dieser Grundlage nicht herausarbeiten.

254 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

2000ern deutlich höher. Dabei handelt es sich überwiegend um Eigenschaftsoder Positionsbeschreibungen (x ist y, x wohnt/sitzt/steht), die sich qualitativ nicht von vorausgehenden oder nachfolgenden Zeitabschnitten unterscheiden. Inwiefern die Eigenschaftszuschreibungen aber im Geschlechtervergleich differieren, ob also geschlechtstypisierende Zuschreibungen üblich sind, wird im Kapitel 4.2.4 erörtert. TrägerInnen eines psychischen Zustands (z. B. als Subjekt zu fühlen) kommen in den 2010er Jahren häufiger als noch in den 1950er Jahren oder in der Kaiserzeit vor (s. rote Linie in Abbildung 30 und 31). Im diachronen Vergleich der Geschlechter wird einsichtig, dass tendenziell mehr Frauen- und Mädchenfiguren im Schulbuch einen psychischen Zustand an sich erfahren als männliche Figuren. Die NS-Jahre fallen dabei aus dem Raster, hier finden sich deutlich mehr mPRF in der Rolle Experiens. Innerlichkeit in einem weiten Sinn ist somit tendenziell weiblich kodiert, und dies diachron weitgehend stabil. PRF in der Rolle als Patiens (s. grüne Linie in Abbildung 30 und 31) nehmen eine in ihren Ausschlägen ähnliche Entwicklung wie die PRF als Zustandsund EigenschaftsträgerInnen. Der Patiens-Anteil an den wPRF bzw. den mPRF differiert allerdings stärker: In den Weimarer und Nachkriegsjahren liegt der Patiens-Anteil für die wPRF um über ein Drittel höher als jener der mPRF, ob inoder exklusive der geschlechtsreferentiell uneindeutigen Ausdrücke.309 Ab Mitte des 20. Jahrhunderts kehrt sich das Verhältnis dauerhaft um. Im Ergebnis sind weibliche Figuren im bundesrepublikanischen Schulbuch deutlich seltener physisch Betroffene von Handlungen oder Betroffene von nicht selbst verursachten Zustandsveränderungen, als es bei männlichen Figuren der Fall ist. In der ersten deutschen Demokratie und im unmittelbaren Nachkriegsdeutschland hingegen sind Frauen und Mädchen deutlich häufiger Patiens. Die NS-Jahre brechen wieder aus: Männliche wie weibliche Figuren weisen beinahe gleiche Patiens-Anteile auf, die im diachronen Vergleich insgesamt verhältnismäßig hoch ausfallen. Werden PRF einbezogen, die von einem Ereignis (wenn auch nicht physisch) betroffen sind und somit die Rolle als Affiziertes Objekt (AOB) in einer Proposition einnehmen, gehören Männer und Jungen auch in den NSJahren zu den häufiger Betroffenen (s. orange-farbene Linie).

|| 309 Die Kaiserzeit stellt wiederum einen Sonderfall dar: Bei den eindeutig männlich referierenden Ausdrücken liegt der Anteil an Patiens (PAT) bei etwas über 8%. Nimmt man die nicht eindeutig, aber sehr wahrscheinlich männlich referierenden Formen dazu, dann halbiert sich ihr Anteil, bleibt damit aber weiterhin hoch: Im Vergleich zum nachfolgenden Zeitabschnitt liegt der PAT-Anteil an den mPRF immer noch doppelt so hoch.

Auswertung der Propositionsebene | 255

Die Tabelle 30 gibt einen Überblick, welche Rollen in welcher Rangfolge am häufigsten zusammen mit geschlechtsspezifizierend referierenden PRF auftauchen.310 Ein zentraler Befund ist hierbei, dass sich die Rangfolge zwischen wPRF und mPRF kaum unterscheidet, vor allem nicht auf den oberen Rängen. Trotz der leicht niedrigeren Agens-Anteile bis 1945 weisen die mPRF im diachronen Gesamtergebnis einen erhöhten Anteil auf (51,5% bzw. 52,4%). Als besitzend werden tendenziell mehr weibliche Figuren gezeichnet. Diese Tendenz gilt ebenso für Rollen, die Personen als TrägerInnen von Zuständen, auch psychischen, oder von Eigenschaften einordnen. Im Unterschied dazu sind männliche Figuren eher physisch betroffen oder an Besitzwechseln beteiligt. Trotz dieser tendenziellen Unterschiede überwiegen die Gemeinsamkeiten der Verteilung. Tab. 30: Rangfolge der häufigsten semantischen Rollen wPRF

mPRF

(eind.)

(inkl. nicht eind.)

AG

50,5%

AG

51,5%

52,4%

POSS

16,1%

POSS

15,0%

13,3%

REZ

9,6%

REZ

10,0%

13,0%

ZET

8,4%

ZET

7,3%

6,6%

EXP

6,9%

EXP

6,7%

5,9%

AOB

3,1%

PAT

3,2%

2,8%

PAT

2,3%

AOB

3,1%

2,6%

Bei der Beschreibung des Kategorienschemas wurde darauf hingewiesen, dass Agentivität kein 1/0-Kriterium ist, sondern in verschieden starker Ausprägung vorliegen kann (s. eingangs von Kap. 3.3.2d). Auch PRF in der Agens-Rolle sind nicht per definitionem als Agens gleichermaßen agenshaft, sondern können unter anderem nach dem Kontrollgrad der über die PRF prädizierten Handlung differenziert werden. Differenzierte Auswertungen zur Agentivität der Handlungen, aber auch weiterer Ereigniskonzepte, erfolgen vor allem in der nun anschließenden Detailanalyse der Prädikationen.

|| 310 Analog zur Abbildung 30 und 31 sind nur jene semantischen Rollen berücksichtigt, die zu mehr als einem Zeitabschnitt mindestens 5% an allen wPRF oder mPRF ausmachen.

256 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

4.2.3 Detailanalyse der Prädikationen Was im Einzelnen über weibliche und männliche Personen im Schulbuch ausgesagt wird, ähnelt sich auf den ersten Blick je Zeitabschnitt sehr, wenn man jene Verben vergleicht, die am häufigsten gebraucht sind. Unter den Top 10 befinden sich mehrheitlich über die Jahrzehnte Prädikationen mit sein, erhalten, kaufen, haben, sagen, fahren. In der detaillierten Betrachtung aller Propositionen allerdings sind geschlechtstypisierende Verteilungsregelmäßigkeiten erkennbar. In diesem Kapitel werden sie näher betrachtet, und zwar ausgehend von der Semantik der Verben – jene Verben eingeschlossen, die aus nichtverbalen Prädikationen rekonstruiert wurden – sowie ausgehend von den mit den Verben relationierten Einheiten. Die Frage nach einer geschlechtstypisierenden Verteilung von Agentivität läuft als Auswertungsperspektive mit. Zur Vorstrukturierung der weiteren Analyse sind die Verben zu semantischen Clustern311 zusammengefasst, nach denen sich das Kapitel auch gliedert. a) Kontinuitäten und Brüche Im gesamten Untersuchungszeitraum zeichnet sich ab den 1950er Jahren ein erster umfassender Wandel in der Verteilung semantischer Cluster ab. Dieser wird von einem noch grundlegenderen Umbruch für zum Teil umfangreiche Cluster Ende der 1970er Jahre mit einem Höhepunkt in den 1990er Jahren gefolgt – Traditionen brechen oder ebben hier merklich ab und neue setzen ein. In den 1990er Jahren sind für Cluster kaum geschlechtstypisierende Verteilungsregelmäßigkeiten festzustellen, Verteilungen fallen so ausgeglichen wie zu keiner anderen Zeit aus. b) Häusliche Tätigkeiten Wenig überraschend ist zunächst, dass private häusliche Arbeiten weitgehend exklusiv auf Frauen und Mädchen vereint sind. Hausarbeit umfasst vor allem die Verarbeitung von Lebensmitteln (v. a. kochen, sieden, backen), aber auch das Reinigen des Hauses (v. a. putzen, waschen, aufwischen) sowie Handarbeit (v. a. spinnen, stricken, nähen, häkeln) und die Herstellung von häuslichen Gebrauchsgegenständen, wie Kerzen (z. B. aus Talg Lichter ziehen). Diese Teilbereiche häuslicher Arbeit werden nach 1975 in der Summe kaum mehr zu Rahmensituationen im Schulbuch gemacht (s. die Anteile an allen Tätigkeiten von Frauen/Mädchen und Männern/Jungen in den Abbildungen 32 und 33 unten). || 311 Zum Verständnis von Cluster s. im Kapitel 3.3.2d unter Semantik.

Auswertung der Propositionsebene | 257

Stark vertreten sind sie dagegen vor allem in den NS- und Nachkriegsjahren unter den von weiblichen Figuren ausgeübten Tätigkeiten; sie liegen bei 23 bzw. 27%. Handarbeit hat gerade in den Nachkriegs- und 1950er Jahren einen vergleichsweise hohen Anteil (s. Abbildung 32) und dabei eine starke soziale Komponente: Die gehäkelten Kissen und genähten Kleidungsstücke sind meist für andere bestimmt (z. B. Lotte häkelt zu Mutters Geburtstag ein würfelförmiges Sofakissen BVR-57, 66). In all diesen Jahren verrichten männliche Figuren keinerlei Hausarbeit. Wenn Männer Lebensmittel verarbeiten (z. B. Teig anrühren), so geschieht das in einem beruflichen Zusammenhang, wie in der Bäckerei. Solche Vorkommen wurden folglich nicht zu den häuslichen Tätigkeiten gerechnet. Und auch für die letzten 30 Jahre gilt: Wenn Jungen etwas putzen, so handelt es sich um Fahrräder oder die eigene Brille, nur in einem Fall wird tatsächlich Hausarbeit verrichtet. In den DDR-Fibeln, untersucht von Stürmer (2014, 174), wird Hausarbeit (z. B. Möbel abstauben) dagegen bereits in den 1950er Jahren von Mädchen und auch Jungen erledigt, von Männern erst deutlich später. In den 1980er Jahren zeichnet sich ein bemerkenswerter Wandel ab. Männliche Figuren, allesamt im Kinder- und Jugendalter, praktizieren seither ein doing female in den weiblich kodierten Aufgabenbereich Hausarbeit, genauer gesagt, in den Bereich Kochen und Backen. So bedient sich ein Sprachbuch von 1987 des Beispiels Andy backt Kuchen, um die Passivbildung einzuüben (SW-87, 118f.), und ein zeitgenössisches Mathematikbuch der Rahmensituation Nusseckenbacken, um Höhenberechnungen anzuleiten (vgl. DN-B-09, 190). Indem männliche Figuren Aufgaben übernehmen, die vormals geschlechtstypisierend weiblich vergeben waren, verlieren die Tätigkeiten an weiblicher Kodierung und wird die Verbindung von Geschlecht und häuslicher Tätigkeit im Sinn eines undoing gender aufgeweicht. Nie allerdings werden männliche Figuren als Hausmänner inszeniert, welche die genannten häuslichen Arbeiten regelmäßig verrichten. Haushaltsreinigung ebenso wie die Handarbeit verschwinden im Übrigen nach 1975 ganz aus den Schulbüchern. Lediglich in den 1990er Jahren findet sich ein Beispiel für einen strickenden Jungen (vgl. LS-N-94, 191), strickende Mädchen kommen keine vor (s. auch die beiden Abbildungen 32 und 33).

258 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Abb. 32: Anteile von Hausarbeit an allen Tätigkeiten von Frauen/Mädchen eines Zeitabschnitts

Abb. 33: Anteile von Hausarbeit an allen Tätigkeiten von Männern/Jungen (nur eind. mPRF) eines Zeitabschnitts

Auswertung der Propositionsebene | 259

Bei einem weiteren, wenn auch seltenen Bereich häuslicher Tätigkeiten, den Ausbesserungs- und Renovierungsarbeiten im Haus, teilen sich Frauen und Männer die Zuständigkeit – Streicharbeiten und Bodenerneuerung übernehmen traditionell auch Frauen, gegenwärtig tun dies Mädchen zusammen mit ihren Vätern (vgl. MA-B-97, 31; MA-B-05, 33). Für den Küchenboden allerdings waren weibliche Personen exklusiv zuständig, in den neuesten Büchern ist davon nicht mehr die Rede (vgl. RB3-30, 33; WR-51, 45; WR-64, 78). Größere bauliche Veränderungen im oder am Haus verrichten wiederum gestern wie heute ausschließlich männliche Personen oder sie planen, dies zu tun (z. B. Herr Kraus möchte die neue Holzdecke in seinem Wohnzimmer selbst montieren F-11, 168; vgl. ferner WR-57, 48; ML-B-12, 113). c) Erwerbstätigkeit Verben, die auf Erwerbstätigkeit schließen lassen und dem Kotext nach erwerbsmäßige Handlungen beschreiben, sind arbeiten, verdienen oder auch fertigen und herstellen. Sie bilden ein weiteres prominentes Cluster mit zum Teil deutlich geschlechtstypisierenden Verteilungen.312 Vor allem bis Anfang der 1980er Jahre weisen die Anteile erwerbsmäßiger Tätigkeiten von Frauen und Männern größere Unterschiede auf. Die Abbildung 34 veranschaulicht diese. In dieser Abbildung sind nicht normierte und normierte Anteile parallelisiert: Die durchgezogenen Linien zeigen die Verteilung von erwerbsmäßigen Handlungen, unterschieden in solche, die von Frauen durchgeführt werden (s. blaue Linie), und solche, die von Männern durchgeführt werden. Die einer mPRF zugeordneten erwerbsmäßigen Handlungen sind wiederum differenziert in eindeutig von Männern ausgeübte Erwerbstätigkeit (s. rote Linie) und Erwerbstätigkeit, die sowohl eindeutig als auch sehr wahrscheinlich einen Referenten zum Aussagegegenstand hat (s. grüne Linie). Die durchgezogenen Linien zeigen nicht normierte Anteile an Erwerbstätigkeit an. Die gestrichelten Linien hingegen zeigen die Anteile gemessen an der jeweiligen Gesamtheit aller weiblichen Tätigkeiten bzw. männlichen Tätigkeiten. Anders als bei häuslichen Tätigkeiten lassen Propositionen zu Erwerbstätigkeit bis 1980 großen Interpretationsspielraum, ob eine erwerbsmäßige Handlung von einer männlichen Person ausgeübt wird oder ob bei der zugehörigen PRF eine geschlechtsübergreifende Referenz vorliegt. Die Abstände zwischen den grünen und den roten Linien stehen für diesen Interpretationsspielraum.

|| 312 Dieses Cluster überschneidet sich inhaltlich stellenweise mit dem Cluster Besitzrelationen.

Abb. 34: Anteile Erwerbstätigkeit an allen Tätigkeiten mit wPRF oder mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) nach Zeitabschnitten – durchgezogene Linie: nicht normierte Anteile; gestrichelte Linie: normierte Anteile

260 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Auswertung der Propositionsebene | 261

Wie auf Wortebene in der Auswertung der Berufsbezeichnungen herausgearbeitet, wird erwerbsmäßige Berufstätigkeit auch auf Handlungsebene in den NSJahren überproportional häufig von Frauen ausgeübt (s. Kap. 4.1.2a). Werden die nicht eindeutig, aber sehr wahrscheinlich männlich referierenden PRF in die Auswertung einbezogen, so ergibt dies – die NS-Jahre ausgenommen – eine deutliche männliche Dominanz im Cluster Erwerbstätigkeit. Ende der 1980er Jahre weicht diese männliche Dominanz sowohl auf Basis der normierten wie auch der nicht normierten Anteile kurzzeitig einem weiblichen Übergewicht (s. Abbildung 34). Die Auswertung stimmt darin mit einem Ergebnis von Stürmers Schulbuchstudie zu DDR-Fibeln überein, wonach Erwerbstätigkeit der Mütter in den 1980er Jahren häufiger als die der Väter vorkomme (vgl. Stürmer 2014, 94f.), wobei sich dieser Wandel in den DDR-Fibeln schon 15 Jahre früher abzeichnet. Weiterhin aber ist weibliche Berufstätigkeit als Erwerbstätigkeit in den untersuchten bundesrepublikanischen Schulbüchern deutlich seltener als männliche Erwerbstätigkeit in Form einer Berufsbezeichnung versprachlicht (s. Kap. 4.1.2a unter Berufsbezeichnungen). Auch Führungspositionen sind von Veränderungen betroffen. In jüngeren Schulbüchern wird auch über weibliche Figuren ein Führungsanspruch prädiziert, zum Beispiel mit Sie leitet das Unternehmen (VG-F-05, 199). Im Unterschied zu männlichen Führungskräften werden bei weiblichen Führungskräften Führungspositionen außerhalb des Bildungs- und Erziehungswesens in der Regel in Form einer Prädikation und nicht in Form einer Personenbezeichnung versprachlicht. Als Personenbezeichnung setzen sich diese Führungsrollen bei Frauen also kaum fest. Man kann zwar Sie leitet das Unternehmen finden, die Firmenchefin oder Ähnliches kommt dagegen nicht vor. Über Führungspositionen hinaus werden erwerbstätige Frauen in erwerbsmäßigen Handlungen überwiegend als Frau X (sowie mittels pronominaler Wiederaufnahmen) bezeichnet (z. B. Frau X verkauft […]). Bei männlichen Figuren hingegen ist die Nennung der Berufsbezeichnung der Normalfall, sei es auch eine bloß grobe Klassifizierung, zum Beispiel als Arbeiter. Der Befund, dass weibliche Erwerbstätigkeit nicht in vergleichbarer Weise wie männliche versprachlicht wird, kann durch eine ergänzende Betrachtung substantivischer Prädikativa verlängert werden: In der Konstruktion x ist y wird die y-Position bis in die 1980er Jahre regulär durch eine männlich referierende Berufs- oder Gesellschaftsbezeichnung besetzt (seltener auch Verwandtschaftsbezeichnungen). An weiblich referierenden Berufsbezeichnungen finden sich in dieser Position vor 1980 nur je einmal Lehrerin und Verkäuferin (vgl. BW-99, 97; BR-68, 47). Unmittelbar charakterisierende Aussagen in Form von Prädikativkonstruktionen, dass eine Person x einen Beruf y ausübt (x ist/arbeitet als y),

262 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

ausüben möchte oder ausgeübt hat, sind generell und im Besonderen im Bereich Erwerbstätigkeit typischer für das Sprechen über männliche Personen als für das Sprechen über weibliche Personen. Während eine exponierte Versprachlichung von Erwerbstätigkeit also häufiger bei mPRF der Fall ist, so gilt dies zugleich für Konstruktionen, die Erwerbstätigkeit mittelbar ausdrücken. So waren Possessivkonstruktionen, wie seine Arbeit, sein Beruf, sein Gehalt oder sein Weg zur Arbeit, im erweiterten Cluster Erwerbstätigkeit bis vor wenigen Jahren ebenfalls typischer für das Sprechen über männliche Personen als über weibliche. Der Zusammenhang von Erwerbstätigkeit und Männlichkeit wird somit auf sprachlich vielfältige Weise hergestellt. In den Prädikationen des Clusters Erwerbstätigkeit wird bei männlichen Personen im deutlichen Unterschied zu weiblichen die Regelmäßigkeit der Erwerbstätigkeit und des Einkommens hervorgehoben (z. B. Ein Steinhauer, der täglich 4,20 M verdient, […] BW-99, 107). In Bezug auf die Agentivität der Verben fällt darüber hinaus auf, dass verdienen sehr ähnlich zu erhalten gebraucht wird und damit rezeptiv erscheint. Arbeiten oder fertigen sind im Vergleich agentiver und betonen mehrheitlich den aktuellen Herstellungsprozess. Diese agentiveren Verben aus dem Cluster Erwerbstätigkeit sind dominanter männlich kodiert als die schwächer agentiven, d. h., sie prädizieren sehr viel häufiger über männliche Personen als über weibliche Personen. Als letzter Auswertungsaspekt im Cluster erweist sich als bemerkenswert, dass in neuesten wie auch schon in Büchern der 1980er Jahre Teilzeitarbeit sowie die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit – mit einer Ausnahme in den 2000er Jahren – stets am Beispiel von Frauen thematisiert wird. In den Schulbüchern steht zum Beispiel Frau Deibler arbeitet ganztags in einer Buchhandlung. […] Um mehr Zeit für ihre Familie zu haben, würde sie gerne Teilzeit arbeiten (MBHS-bsv-97, 160; vgl. sehr ähnlich F-11, 157). Ein Beleg aus einem Rechenbuch von 1968 verweist ebenfalls auf die Bezogenheit von Erwerbsrolle und Mutterrolle: Herr Fröllan hat einen Bruttolohn von 969,99 M[ark]. Seine Frau ist nicht berufstätig, weil die beiden Kinder noch zu klein sind (BR-68, 51). Für bestimmte Lebensabschnitte wird demnach Erwerbstätigkeit von Frauen für selbstverständlich erachtet. Beide Fallbeispiele entwerfen Familienarbeit dabei als Aufgabenbereich von Frauen. Im ersten Beispiel wird das Gefühl, einer Verpflichtung nicht gerecht zu werden, herausgestellt: Nach der Meinung von Frau Deibler hat sie aktuell zu wenig Zeit für die Familie. Die Erwerbstätigkeit der Frau konkurriert also mit der Familienarbeit, für die sich die Frau ebenfalls zuständig fühlt, und wird entsprechend reduziert.

Auswertung der Propositionsebene | 263

d) Besitzrelationen Besitzwechsel werden in den Schulbüchern sehr häufig als situative Rahmungen gewählt, zum Beispiel eine Kaufhandlung im Mathematikbuch oder Schenkung im Deutschbuch. An allen Prädikationen über Frauen/Mädchen und Männer/Jungen machen diese Prädikationen beinahe 30% aus (s. unten Tabelle 31); mit diesem Anteil stellt das Cluster Besitzrelationen das mit Abstand größte ermittelte semantische Cluster im Schulbuchkorpus dar. Am Beispiel der Verben, die einen Besitz anzeigen oder Besitzrelationen in einem weiteren Sinn ausdrücken, soll im Folgenden die Verteilung von höherer und niedrigerer Agentivität auf die Geschlechter untersucht werden. Diese Verben sind unterschiedlichen Phasen des Besitzens zuzuordnen. Sie drücken zudem einerseits spezifische Kontrollgrade über Besitz aus und affizieren andererseits in unterschiedlicher Ausprägung andere. Damit sind bereits zwei Parameter für Agentivität angesprochen, deren Verteilung auf weibliche und männliche Figuren im Schulbuch von besonderem Interesse ist.

Abb. 35: Visualisierung der untersuchten Besitzrelationen

Die in dieser Auswertung angenommenen Phasen von Besitz sind in der Abbildung 35 veranschaulicht. Die Phase (1) ist die Vorstufe zur Besitzrelation und umfasst Verben, die einen Bedarf an x ausdrücken, zum Beispiel brauchen, benötigen, haben wollen. Phase (2) gliedert sich in zwei Varianten: Bei Variante (2a) kontrolliert die Person die Inbesitznahme als Agens, so der Fall bei kaufen oder besorgen, bei Variante (2b) hingegen ist die inbesitznehmende Person Rezi-

264 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

pientIn einer GEBEN-Handlung (z. B. bei empfangen, bekommen). Phase (3) erfasst den Zustand des Besitzens, wie bei haben, gehören, und Phase (4) die kontrollierte Besitzweggabe (4a) oder im Fall von (4b) den weniger bis nicht kontrollierbaren Besitzverlust. Die Tabelle 31 zeigt, welchen Anteil an allen Prädikationen über die Geschlechter – nicht nur an den Tätigkeiten ausdrückenden Prädikationen – die verschiedenen Besitzrelationen einnehmen. Ihre Anteile und ihr Gesamtanteil sind nur unwesentlich höher, wenn die Prädikationen berücksichtigt werden, die zusammen mit nicht eindeutig, aber sehr wahrscheinlich männlich referierenden PRF eine Proposition bilden. Bei der nun folgenden Auswertung der Besitzrelationen werden nicht nur die Verben, sondern auch die relationierten Einheiten einbezogen. Tab. 31: Anteile von Besitzrelationen an allen Prädikationen Besitzrelationen Vorstufe (1): Bedarf

Inbesitznahme (2)

Besitz (3)

Besitzverlust, Besitzweggabe (4)

Gesamt

2%

12%

11%

3%

28%

Vorstufe (1): Wer hat woran Bedarf? Bis 1970 sind die Bedürfnisse klar geschlechtstypisierend verteilt und weisen Frauen dem Privaten und Männer der Sphäre Erwerbstätigkeit zu: Weibliche Personen haben beinahe ausschließlich Bedarf an Textilien und Lebensmitteln für die häusliche Weiterverarbeitung zu Kleidungsstücken (vgl. RB-29, 5; RB230, 8; BRB-46, 43) oder zu Gebrauchsgegenständen, wie Bettzeug und Futter (vgl. HRB-55, 45), sowie fürs Backen und Kochen (Milch, Eier, Zucker, Käse, Beeren, vgl. HEU-90, 48; BRB-41, 51; UR-N-63, 91). Vor allem erwachsene Frauen haben diesen Bedarf. Wird bei männlichen Personen ein Bedarf an Textilien und Lebensmitteln geäußert, so handelt es sich hierbei stets um gewerbliche Situationen: So braucht der Tapezier zur Bekleidung von Kanzel und Altar eine bestimmte Menge an Stoff oder ein Bauer Saatgut für das Bestellen des Felds (vgl. HEU-90, 50; BVR-51, 64). Einen Bedarf an Finanzmitteln haben beinahe ausnahmslos Männer, zum Beispiel wird ein Kredit zur Geschäftsgründung (ERB-36, 24) benötigt. Ebenso wie der Finanzbedarf für Investitionen ist aufseiten männlicher Figuren der Bedarf an Geldmitteln, mit denen die Liquidität wiederhergestellt werden soll,

Auswertung der Propositionsebene | 265

ausgeprägt. Weibliche Personen hingegen haben kaum Geldnot (vgl. aber die Ausnahme RB3-30, 21). Nach 1970 sind die Bedürfnisse breiter gestreut, allerdings dominieren Männer noch bis 1990 den Bedarf an Werkstoffen. Diese Werkstoffe werden dabei nicht mehr so häufig für die gewerbliche Verarbeitung benötigt (z. B. Holz für den Tischler/Schreiner, vgl. WdZ-B-86, 95), sondern fürs Heimwerken (vgl. z. B. WM-B-78, 48: Wandfarbe fürs Badezimmer). In ihrem materiellen Bedarf unterscheiden sich männliche Figuren also einerseits deutlich von den überwiegend privaten Bedürfnissen weiblicher Figuren, gleichen sich der Privatheit an Bedürfnissen andererseits aber an, da erwerbsmäßige Rahmensituationen seltener werden. Inbesitznahme (2): Wer erhält oder nimmt was in Besitz? Kann die Inbesitznahme von der in Besitz nehmenden Person kontrolliert werden (Fall 2a), so fällt die Auswertung dieser Prädikationen ähnlich zur Auswertung der Bedarfsaussagen aus. Was gekauft, wofür bezahlt wird, entspricht weitgehend dem, was auch als benötigt ausgedrückt wird – das wären also Textilien und Lebensmittel für den privaten Gebrauch aufseiten der weiblichen Figuren, Saatgut sowie Textilien und Werkstoffe für den gewerblichen Gebrauch aufseiten der männlichen. Die Zuständigkeit von Frauen für das Häusliche umfasst auch den weihnachtlichen Hausschmuck inklusive Weihnachtsbaum, den eine Mutter in einem Sprachbuch kaufen möchte (vgl. SFÜ-28, 56). In diesem Subcluster zeichnen sich bereits in den 1950er Jahren Tendenzen ab, geschlechtstypisierende Verteilungen aufzubrechen, wenngleich wiederum erst ab den 70er Jahre größere Veränderungen festzustellen sind. Welche Einzelphänomene für diese Wandeltendenzen verantwortlich sind, wird im Folgenden betrachtet. – Grundbesitz, vor allem Ackerland und Bauplätze, aber auch Gebäude sowie Wohnungen sind Objekte, die sich bis in die 1960er Jahre nur männliche Personen im Schulbuch aneignen. Wertpapiere zu kaufen, charakterisiert ebenfalls exklusiv männliches Handeln, allerdings nur bis in die 1950er Jahre. Seither tätigen auch weibliche Figuren Geldgeschäfte. Fräulein Hartz leiht sich sogar von einer Bank Geld für eine Geschäftsgründung (vgl. HRB55, 47). Wenn dies auch das einzige Beispiel für unternehmerischen Gründerinnengeist, im Beispiel: von ledigen Frauen, ist, so zeigt es einen neuen Spielraum für wirtschaftlich unabhängiges weibliches Handeln an. Es finden sich weitere Beispiele in Schulbüchern der 1950er und 1960er Jahre, die

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Frauen im Umgang mit größeren Beträgen zeigen, zum Beispiel beim Hauskauf (vgl. BR-68, 70).313 Anschaffungen für andere sind überdies nicht beliebig verteilt, sondern folgen bis in die 1970er Jahre dem Muster: Mütter besorgen für ihre Kinder oder die ganze Familie Gebrauchsgegenstände oder Geschenke (vgl. z. B. BVR-57, 7; BR-68, 5), Kinder übernehmen für die Mutter Botengänge und kleinere Kaufgeschäfte (vgl. z. B. MSB-N-69, 48), Männer schaffen Haushaltsgeräte für ihre Partnerinnen an (z. B. eine Nähmaschine, vgl. BR-68, 48) oder investieren in die Berufsausbildung ihrer Kinder, vor allem der Söhne (vgl. z. B. BW-99, 97). Zum Einkaufen werden ab den 1970er Jahren Jungen wie Mädchen geschickt. Damit bricht eine geschlechtstypisierende Tradition ab, die zuvor stets weibliche Figuren in diesen Situationen gezeigt hatte. Es zeichnet sich also eine breitere Zuständigkeit von Frauen sowie Kindern beiden Geschlechts für die Familie ab. Vater und Sohn sind eine feste Paarkonstellation bis in die 1980er Jahre hinein, wenn es um das Verdienen von Geld geht. Solche Formeln werden zwar nicht kontrastiv zu Mutter und Tochter gebraucht – also nicht: Vater und Sohn verdienen das Geld, Mutter und Tochter hingegen backen Kuchen –, markieren aber, dass in der Familie männliche Personen ein Einkommen haben und entsprechend die Voraussetzungen für das Ernähren der Familie erfüllen. Lediglich ein strukturell ähnlicher Beleg von 1930 setzt sich von diesem Muster ab: Mann, Frau und Tochter verdienen zusammen jährlich 2640 M (RB3-30, 18). Unter Männern und Frauen fällt die Verteilung von Haushaltsgegenständen und -geräten unterschiedlich aus. Während Utensilien und Geräte für die Küche, wie Waschtopf, Küchenmaschine, ausschließlich von erwachsenen weiblichen Personen angeschafft werden, beziehen sich männliche Inbesitznahmehandlungen im Häuslichen traditionell auf kostenintensivere Posten, wie eine Gefriertruhe, die Energieversorgung mit Heizöl oder auch die Möbel der Wohnung oder des Hauses. Erstmals Ende der 1980er Jahre kommt auch eine weibliche Person als Käuferin teurerer Haushaltsgegenstände, wie einer Waschmaschine, vor (vgl. WdZ-B-86, 66). Gegenwärtig er-

|| 313 Zur gleichen Zeit aber kommt ein Beispiel vor, in dem ein Sohn seiner Mutter Geld leihen muss, weil deren Finanzmittel nicht zur Begleichung einer Rechnung genügen (vgl. UR-N-63, 82). In einem zwanzig Jahre jüngeren Rechenbuch des gleichen Verlags, aber aus einer anderen Reihe, sind die Rollen vertauscht und der Sohn leiht sich bei der Mutter einen Geldbetrag (vgl. LS-B-86, 26).

Auswertung der Propositionsebene | 267



folgen solche Anschaffungen im Schulbuch weitgehend gleichmäßig von Frauen und Männern. Auch außerhalb des Häuslichen werden kostenintensive Anschaffungen traditionell von männlichen Personen getätigt; dies betrifft in besonderem Maß das Auto, das im Schulbuch erst in den 2000er Jahren als Kaufgegenstand von Frauen erscheint (vgl. ML-07, 156; F-11, 40). Motorisierte Fortbewegungsmittel sind mit einer Ausnahme (vgl. M-B-11, 113) selbst in zeitgenössischen Schulbüchern exklusiver Kauf- und Bezahlgegenstand von männlichen Personen. Dies haben auch Lindner/Lukesch (1994, 120) in ihrer Schulbuchanalyse herausgearbeitet.

Bei der Auswertung der REZ-Rolle wurde in Kapitel 4.2.2 angemerkt, dass diese im Geschlechtervergleich nicht geschlechtstypisierend verteilt ist. Bei weitem überwiegen auch Gemeinsamkeiten hinsichtlich dessen, was männliche wie weibliche Figuren erhalten, bekommen etc. und bei dessen Inbesitznahme die Figuren keine Handlungskontrolle innehaben (Fall 2b). An größeren Unterschieden war lediglich zu ermitteln: – Beide Geschlechter treten zwar beinahe paritätisch als Erbe bzw. Erbin auf, allerdings wird in solchen wie auch weiteren Inbesitznahme-Situationen Grund und Boden nicht explizit als neuer Besitz von weiblichen Personen ausgewiesen. Hier ist stets allgemein die Rede von Vermögen – anders als bei männlichen Personen, die ausdrücklich als Rezipienten von Grundbesitz genannt sind (vgl. z. B. RB3-30, 19 im Unterschied zu RB2-37, 37). – Wenn männliche Personen Lebensmittel erhalten, dann zum gewerblichen Weitervertrieb; bei Frauen dienen sie der privaten Weiterverarbeitung. Das deckt sich mit der Auswertung der Bedürfnisse. – Frauen werden bis 1950 als Lohnempfängerinnen gezeigt (vgl. BW-99, 12; RB-30, 51; HRB-55, 119), in den Weimarer Jahren sogar einmalig als Mietempfängerin und damit indirekt als Immobilienbesitzerin (vgl. RB2-30, 8). Nach 1950 allerdings bricht die Darstellungstradition der Lohnempfängerin weitgehend ab. Erwerbstätigkeit von Frauen wird auf diesem Weg nicht mehr zum Ausdruck gebracht, stattdessen stellen die Bücher die finanzielle Abhängigkeit vom Ehemann heraus, mit Beispielen wie Die Mutter erhält vom Vater 54 DM Wirtschaftsgeld (WdZ-A-51, 49). Ende der 1980er Jahre werden dann wieder Frauen als Rezipientinnen von erwerbsmäßigem Verdienst genannt und erhalten erstmals auch Lohnerhöhungen (vgl. z. B. F86, 33; MBHS-bsv-97, 175) – eine Rahmensituation, die Anfang der 1970er Jahre ausschließlich an Kollegen eingeführt wurde.

268 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Besitz (3): Wer besitzt was? Weibliche und männliche Figuren teilen sich im Schulbuch Besitz weitgehend314 paritätisch, wie die Auswertung der semantischen Rolle POSS bereits gezeigt hat, wobei gegenwärtig Besitz eher männlich kodiert ist (s. Tabelle 28 und 29 in Kap. 4.2.2). Welche Unterschiede sich gegebenenfalls in Abhängigkeit vom jeweils Besessenen feststellen lassen, wird unter diesem Gliederungspunkt untersucht. Die Differenzierung in verbale und nicht-verbale Prädikationen hat dabei kaum Auffälligkeiten dahingehend ergeben, ob Besitz in Abhängigkeit von der Kategorie Geschlecht expliziter und weniger explizit zugeordnet ist. Zunächst werden die Ergebnisse der Auswertung veräußerbaren Guts vorgestellt. Grundlegender Wandel hinsichtlich dessen, was besessen wird, zeichnet sich erst in den 1980er Jahren ab. Zum Teil aber werden geschlechtstypisierende Zuordnungen fortgeschrieben. Mobile und immobile Vermögenswerte stellen eine zentrale Gruppe relationierter Einheiten. Im Konkreten nennen die Schulbücher Wertpapiere, Ersparnisse, Häuser,315 Gehöfte, Grundstücke sowie das erwerbsmäßige Einkommen und Barvermögen. An deren Verteilung fällt im Vergleich der Geschlechter nach Zeitabschnitten auf, dass männliche Personen – relativ gesehen – mit größerer Häufigkeit (bis zu dreimal so häufig) über solche Vermögenswerte verfügen, vor allem über Landbesitz und Wohnraum. Dies gilt insbesondere in den Weimarer Jahren und den 2010er Jahren, die 1980er Jahre fallen im Unterschied hierzu ausgewogen aus. Die Abbildungen 36 und 37 geben Auskunft über die Aufteilung der häufigsten geschlechtstypisierend verteilten Besitztümer (veräußerlicher und unveräußerlicher Besitz). Auswertungsgrundlage ist jeweils die Gesamtheit an Prädikationen mit wPRF bzw. Referentinnen und mPRF (nur die eindeutig referierenden) bzw. Referenten als Aussagegegenstand.

|| 314 Die Kaiserzeit bildet hier eine Ausnahme. 315 In den Adenauer-Jahren heben die Schulbücher zudem hervor, dass es sich bei den besessenen Häusern um das Eigenheim des Mannes und damit seinen tatsächlichen Wohnraum handelt.

Auswertung der Propositionsebene | 269

Abb. 36: Anteile Besitztümer an allen Prädikationen mit wPRF eines Zeitabschnitts

Abb. 37: Anteile Besitztümer an allen Prädikationen mit eind. mPRF eines Zeitabschnitts

Eine vergütete Arbeit erweist sich im Geschlechtervergleich ebenfalls deutlich charakteristischer für männliche Figuren als für weibliche, wie ein Vergleich der roten Anteile in den Abbildungen zeigt. Gerade Selbständigkeit ist aufs

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Engste mit männlichen Figuren verknüpft: Beinahe ausschließlich Männern ist es bis in die 1990er Jahre hinein möglich, ein Geschäft, zum Beispiel eine Bäckerei, zu besitzen und zu führen. Befinden sich fortan Läden oder Einrichtungen im Verfügungsbereich von Frauen, bezieht sich die Selbständigkeit und die darin implizierte Leitungsfunktion von Frauen meist auf den Bereich Mode und Bekleidung, wie in Frau Bader besitzt eine Boutique (DR-B-86, 80). Auch motorisierte Fortbewegungsmittel, wie das Auto, das Moped, Motorrad und sogar Schiffe, sind Gegenstände, die sich überwiegend im dauerhaften oder temporären Besitz und damit im Verfügungsbereich von männlichen Personen befinden. Autos erscheinen erstmals Ende der 1980er Jahre und in der Folgezeit als Besitz von Frauen. Andere motorisierte Fortbewegungsmittel, wie das Motorrad, werden nicht von Frauen besessen. Beobachtete Entwicklungen hinsichtlich dessen, was als Besitz ausgewiesen ist, und dessen, was Nachbesitz im Anschluss an eine Kaufhandlung ist, stimmen hier überein. Im Verfügungsbereich von Frauen und Mädchen befinden sich vor allem von den Adenauer-Jahren bis in die 1970er Gegenstände, die der Hausarbeit dienen. Neu dazu kommt in den 1950er Jahren beispielsweise das Haushaltsbuch der Mutter oder Großmutter, das alle Ein- und Ausgaben der Familie dokumentiert, sowie für die Zubereitung von Essen notwendige Hilfsmittel (Töpfe, Kochbücher). Auch wird in diesen zweieinhalb Jahrzehnten erstmals die Aussteuer als Besitz von verheirateten Frauen thematisiert. Sie kann sowohl als Vermögenswert betrachtet als auch den Haushaltsgegenständen zugerechnet werden; in den Abbildungen ist sie den Vermögenswerten zugeordnet. Auf eine Formel gebracht, ergibt die bisherige Auswertung der Besitztümer bis Ende der 1980er Jahre: Was dem Mann das Haus, das ist der Frau der Haushalt. Unveräußerbarer Besitz erfasst einen weiteren Typ dessen, was besessen werden kann. Hierunter werden Zugehörigkeitsverhältnisse zwischen Personen gefasst: Person x gehört zu Person y. Normalerweise – und dies gilt für beide Geschlechter gleichermaßen – wählen Schulbücher nicht-verbale Possessivkonstruktionen, um ein solches Zugehörigkeitsverhältnis auszudrücken. In sehr geringer Zahl liegt eine verbale Prädikation der Relation vor (z. B. in Ein Handwerker hat zwei Söhne BW-99, 97). Das Ende der Ära Adenauer markiert eine Wende in der Verteilung solcher Zugehörigkeitszuschreibungen, dies in zweifacher Weise: 1. Bis Anfang der 1960er Jahre – die Nachkriegsjahre ausgenommen – werden weibliche wie männliche Personen weitgehend gleich häufig in Relation zu anderen Personen gezeigt bzw. werden diese als TrägerInnen einer solchen Relation ausgewiesen, wie Monika in Monikas Vater (D-B-05, 119). Seither liegt der Anteil solcher Zugehörigkeitszuschreibungen aufseiten weiblicher

Auswertung der Propositionsebene | 271

2.

Figuren meist deutlich höher als jener von männlichen Figuren (s. oben die hellblauen Anteile in Abbildung 36 und 37 im Vergleich). Gegenwärtig ist das Verhältnis wieder ausgeglichen. Die Auswertung der unveräußerbaren Besitzanteile stellt eine wichtige Erweiterung dar, um die POSS-Anteile von wPRF und mPRF genauer interpretieren zu können. Die Auswertung hat nämlich mittelbar gezeigt, dass der hohe POSS-Wert der wPRF für die 1970er Jahre (s. Tabelle 28 und 29 in Kap. 4.2.2) nicht bedeutet, dass ungewöhnlich viele weibliche Figuren in dieser Zeit über veräußerbaren Besitz verfügten. Der hohe Wert ergibt sich vielmehr aus den vermehrten personalen Zugehörigkeitszuschreibungen. In den 2000ern dann fallen die POSS-Anteile der wPRF und mPRF wieder annähernd gleich aus, wenngleich stets mehr Possessivkonstruktionen mit einer wPRF als Attribut oder Determinativ vorkommen und ihr Anteil an Besitzrelationen im Allgemeinen zunimmt. Dass sich neuerdings wieder mehr männliche Figuren in der POSS-Rolle finden (im Vergleich zu deren Anteil an den weiblichen Figuren), ist im Unterschied zum hohen POSSWert der wPRF in den 1970ern nicht auf einen Anstieg an Zugehörigkeitszuschreibungen zurückzuführen. Vielmehr erklärt er sich aus einer Zunahme an Rahmensituationen, in denen Männer oder Jungen über veräußerbaren Besitz verfügen. Beinahe über alle Zeitabschnitte unterscheiden sich die Personen, die zu einer PRF in der POSS-Rolle in einem Zugehörigkeitsverhältnis stehen. Bei Männern und Jungen kommen bis 1960 deutlich seltener Familienmitglieder als Besessenes (in einem weiten Sinn, s. Kap. 3.3.2d unter Semantik) vor als weibliche Figuren. Bei Frauen und Mädchen dominieren klar bis hin zu ausnahmslos verwandtschaftliche Relationen, wie im Beispiel Monikas Vater. Bei Männern und Jungen hingegen mischen sich häufiger unterschiedlichere Soziativa darunter (z. B. seine Gehilfen HRB-55, 119; mein [m] Freund VG-B-80, 28).

Besitzverlust, Besitzweggabe (4) In verhältnismäßig wenigen Fällen sind Personen im Schulbuch Geschädigte eines unkontrollierbaren Besitzverlusts. Wenn, dann betrifft dies jedoch bis Anfang der 1970er Jahre ausschließlich männliche Figuren und hierbei wiederum deren Vermögen oder Gewinnanteil im Zuge einer Verkaufshandlung. Seither kommen entsprechende Besitzverluste seltener vor (vgl. z. B. SÜ-10, 9; RB230, 18; WdZ-A-51, 56; BR-68, 31). Auffällig, weil als relationierte Einheit insgesamt unüblich, ist ein Korpusbeleg für Besitzverlust bei Frauen: So wird das Rahmenthema Glücksspiel am Beispiel von Frau Reich behandelt, die ein Drittel

272 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

des Vermögens ihres Mannes beim Glücksspiel verliert (vgl. MHS-B-79, 26). Nicht der eigene Besitz wird hier verspielt, sondern – so stellt es das Schulbuch heraus – das Vermögen des Ehemanns. Der sprechende Nachname Reich verweist unter dieser Perspektive nicht auf den Reichtum der Frau, sondern auf einen Reichtum, den die Person durch ihren ehelichen Status hat. In der Wortwahl erscheint der Besitzverlust nicht kontrollierbar, jedoch ist er von der Glücksspielerin immerhin verursacht, was als starkes Agentivitätsparameter gelten kann. Weibliche Agentivität wird hier negativ gezeichnet. Wird Besitz kontrolliert abgegeben, so besteht ein besonders enger Zusammenhang zwischen Verkaufshandlungen und männlicher Geschlechtsreferenz der PRF, mit der die Verkaufsprädikation eine Proposition bildet. Dieser Zusammenhang bleibt bis 1990 stabil (s. Abbildung 38). Seither kommen entsprechende Rahmensituationen nur noch selten im Schulbuch vor, dabei aber seit 2000 häufiger in Prädikationen über weibliche Figuren.

Abb. 38: Anteile von Verkaufshandlungen an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts

Was sich im Vorbesitz männlicher und weiblicher Personen befindet und was kontrolliert die/den BesitzerIn wechselt, unterscheidet sich: Das Warenangebot von männlichen Personen reicht von Textilien über Lebensmittel, Vieh, Werkstoffe, Luxusartikel (Gewürze, Tabak, Tee, Kaffee), ganze Zimmereinrichtungen, Elektrogeräte und Fahrzeuge bis hin zu Land, Gebäuden und Wertpapieren. Frauen hingegen bieten Eier, Butter, Schmalz in der Direktvermarktung zum Verkauf, bei Tauschgeschäften zudem Textilien, seit Ende der 1980er Jahre auch Kleidung. Anstelle von Verkaufs- oder Tauschhandlungen steht bei weiblichen Personen der Verbrauch von Haushaltsgütern, vornehmlich von Lebensmitteln, im Mittelpunkt. Frauen erscheinen so als typische Endverbraucherinnen der

Auswertung der Propositionsebene | 273

Konsumkette. Exklusiv den Männern ist es vorbehalten, Geld zu verleihen, zu verschenken – zum Beispiel als Wohltäter für ein Waisenhaus oder in Form einer Geldanlage bei der Geburt der eigenen Kinder – sowie andere Personen zu vergüten. Beides setzt eine hierfür hohe finanzielle Potenz voraus, die weiblichen Personen nicht oder im Fall des Geldgeschenks an Familienmitglieder nur kurzzeitig Ende der 1980er Jahre zugestanden wird. e) Schulden und Sparen Kaufgeschäfte nehmen vor allem in Rechen-/Mathematikbüchern einen größeren Raum ein. In diesem Zusammenhang wird regelmäßig, wenn auch zunehmend seltener das Thema Verschuldung aufgegriffen, beispielsweise in Form von Schulden haben, schulden, Darlehen aufnehmen/zurückzahlen, und dies gerade in den Weimarer und den Nachkriegsjahren. Diachron und auf Grundlage der normierten Verteilungen betrachtet, ist die Position von SchuldnerInnen in diesen Rahmungen häufiger von männlichen als weiblichen Personen besetzt (s. Abbildung 39). Zugleich können aber auch ausschließlich Männer Geld verleihen oder zurückfordern. Männliche Figuren befinden oder befanden sich somit einerseits eher in finanzieller Abhängigkeit von Dritten, andererseits verfügen sie über die Mittel, andere von sich finanziell abhängig zu machen.

Abb. 39: Anteile von Schulden-Zuschreibungen an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts

Umgekehrt fällt das Verhältnis aus, wenn es ums Sparen geht. Etwas zurückzulegen, ist klar weiblich kodiert. Bis 1960 sind davon allerdings keine umfangreicheren Vermögenswerte erfasst. In der Regel werden Anteile vom Haushaltsgeld oder werden Lebensmittelvorräte für den privaten Verzehr gespart, zum Beispiel Frau Thomas spart monatlich 64 DM [an Haushaltsgeld] (DR-B-86, 18). Wenn

274 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

männliche Personen sparen, dann handelt es sich hier fast stets um Geldbeträge, die bei einer Bank hinterlegt werden. f) Mobilität Mobilität ist regelmäßig Rahmenthema in den Schulbüchern. Im Zusammenhang mit den Besitzrelationen wurden bereits motorisierte Fortbewegungsmittel als Besitztum angesprochen (s. Kap. 4.2.3d). Unter diesem Gliederungspunkt sollen nun die Verben der Fortbewegung und somit Aussagen über die Mobilität von Personen betrachtet werden. Mit Ausnahme der Weimarer und vor allem der 2000er Jahre ist das Cluster männlich kodiert, der mobile Mensch ist traditionell ein Mann (s. Abbildung 40).316

Abb. 40: Anteile von Fortbewegungsverben an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts

Die Verben der Fortbewegung weisen je nach Kotext unterschiedliche Agentivitätsgrade auf, was sie einmal mehr zu einem interessanten Gegenstand macht. Besonders agenshaft ist die sich fortbewegende Person dann, wenn sie die Bewegung selbst kontrolliert, wie zum Beispiel in x geht weg; x fährt mit dem Rad. Eher patienshaft ist sie, wenn sie bewegt wird, sich zum Beispiel mit einem nicht selbst geführten Transportmittel fahrend fortbewegt (z. B. x fährt mit der Bahn). Wenn überdies andere Personen oder Objekte von dem Ereignis – hier: von der Bewegung – betroffen sind, macht dies die Handlung ebenfalls agenti-

|| 316 Die erste Hälfte der 1980er Jahre ist hiervon ebenfalls auszunehmen, doch wegen der im Vergleich insgesamt geringen Stichprobengröße dieses Zeitabschnitts sind die abweichenden Werte nur bedingt aussagekräftig.

Auswertung der Propositionsebene | 275

ver. Ohne ein Berechnungsmodell für Agentivitätsgrade vorstellen zu können, lässt sich bereits unter Zuhilfenahme der Agentivitätskriterien Kontrolle, herbeigeführte Veränderung und Affiziertheit anderer grob beschreiben, welche PRF und damit mittelbar welche Personen mit mehr oder weniger Agenshaftigkeit ausgestattet sind. Für das besonders prominente Verb fahren im Cluster Mobilität beispielsweise ergibt die qualitative Anschlussauswertung folgende Befunde: Selbst in jenen Jahren, in denen sich Fahrhandlungen weitgehend ausgeglichen auf weibliche und männliche Personen verteilen, sind Männer und Jungen bei Fahrhandlungen mit höherer Agenshaftigkeit ausgestattet als Frauen und Mädchen. So wird in den 2000ern eine Fahrhandlung zwar annähernd gleich häufig über Referentinnen wie über Referenten prädiziert – gemessen an der jeweiligen Gesamtheit an wPRF bzw. mPRF –, jedoch weisen die Fahrhandlungen unterschiedliche Qualitäten auf: Männer und Jungen können dem Kotext nach die Fahrhandlung vollständig kontrollieren (z. B. fährt ein Knecht den Wagen sicher, SÜ-10, 36), zudem weitere Personen affizieren, wie ihm im Beispiel Sein Vater fährt ihm sofort mit dem Auto entgegen (LS-N-07, 127; Hervorh. CO). Einzig in einem Sprachbuch aus den Weimarer Jahren nimmt eine weibliche Person eine vergleichbar starke Agens-Rolle ein: ich [w] muß die Kleine spazierenfahren (SFÜ-28, 69, Hervorh. CO); in diesem Beispiel ist die Agentivität der Handlung allerdings eingeschränkt, weil sie nicht freiwillig ausgeführt wird, wie durch das direktive müssen angezeigt. Wenngleich Beispielbelege zu finden sind, wonach männliche Figuren bei hoher Affiziertheit anderer Personen einen niedrigen Kontrollgrad über Handlungen aufweisen (z. B. […] fuhr er Oliver um VG-E-96, 54) sowie vornehmlich männliche Personen von Fahrhandlungen affiziert sind und dabei über keine Handlungskontrolle verfügen (z. B. als Patiens im Passiv: Der Verunglückte wird ins Krankenhaus gefahren SB-48, 47; Hervorh. CO), so stellen diese Fälle die Ausnahme dar. Normalerweise werden Rahmungen bei Fahrhandlungen gewählt, die von Männern oder Jungen ausgeführt werden, in denen diese über ein Transportmittel Kontrolle haben, wie Peter fährt mit dem Motorrad ins Schwimmbad oder Herr Simon fährt […] mit dem Auto von zu Hause weg (WdZ-B86, 95; F-11, 170). Frauen und Mädchen wiederum wird dieser hohe Agentivitätsgrad kaum zugestanden. Auch bei einigen Fahrhandlungen, die zwar die Entscheidung der Frau oder des Mädchens zur Fahrt voraussetzen und insofern agentive intentionale Handlungen darstellen, liegt die Kontrolle über die Bewegung nicht bei den handelnden Frauen/Mädchen (vgl. z. B. Claudia […] fährt [mit der Straßenbahn] eine Haltestelle weit ML-07, 90; sie fährt […] mit der Bahn RB-30, 4; Wie viele Kilometer ist sie mit dem Taxi gefahren F-04, 89). In den neu-

276 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

esten Schulbüchern setzt sich dieser Trend zu weniger Agenshaftigkeit aufseiten der wPRF im Übrigen fort: Die Fahrhandlung mit hohem Kontrollgrad der fahrenden Person ist eine Domäne der männlichen Figuren. g) Innere Vorgänge und Zustände Die Auswertung der semantischen Rollen hat ergeben, dass je nach Zeitabschnitt und der Geschlechtsreferenz der PRF geschlechtstypisierende Tendenzen in der Verteilung der Experiens-Rolle festzustellen sind. Hier sollen nun die dazugehörigen Prädikationen betrachtet werden, deren Verben das Cluster Innere Vorgänge und Zustände ergeben. Das Cluster kann in Anlehnung an die Systematik bei Primus (2012, 25) unter anderem strukturiert werden in Ausdrücke für Emotionen317 (z. B. fürchten, lieben), in Ausdrücke für epistemische, d. h. wissensbezogene Zustände (z. B. wissen, glauben) und in Ausdrücke der Wahrnehmung (z. B. sehen, auffallen). Qualitäten von Emotionalität sind erstaunlich geschlechtstypisierend zugeordnet: Ausdrücke, die für eine negative Gestimmtheit der fühlenden Person stehen, finden sich vornehmlich aufseiten männlicher Schulbuchfiguren. Sie fürchten sich oder (be-)fürchten das Eintreten eines ungünstigen Umstands (vgl. v. a. SÜ-10, 20; SFÜ-32, 16; AB-44, 44; MS-13, 29), sie ängstigen sich (vgl. v. a. SFÜ-32, 16; MiSp-86, 21), erschrecken (vgl. SFÜ-32, 23 und 89) oder ärgern sich (vgl. SÜ-10, 20; SFÜ-32, 95). Besonders heftige sozial unerwünschte Gemütsbewegungen, wie hassen (vgl. AB-44, 81; SB-48, 93; DB-N-13, 212),318 weisen ausschließlich Männer und Jungen auf. Weiblichen Personen ist erst in den 1970er Jahren die volle Bandbreite an Emotionen möglich. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt auch Hellinger (1980) in ihrer Untersuchung deutscher Englischbücher der Jahre 1969, 1971 und 1977. Bis zu den Schulbüchern der Jahrtausendwende ist das Verteilungsungleichgewicht dann aufgehoben. Weitet man ausgehend von diesen Ergebnissen die Perspektive auf Handlungen, die beispielsweise Anschlusshandlungen an die emotionale Affiziertheit darstellen, so wird auch hier die Zuordnung von negativer Emotionalität zu Männlichkeit bestätigt: Gestritten wird unter Jungen oder Männern (vgl. z. B. WM-B-78, 57; F-86, 69; HSB-01, 135), gekämpft sowieso (vgl. SFÜ-32, 77; in zeitgenössischen Büchern geschieht dies in historischem Setting, vgl. DB-B-13,

|| 317 In dieser Untersuchung wird nicht zwischen Emotion und Gefühl unterschieden, vgl. auch die alltagssprachliche Bedeutung von Emotion in Duden-Universalwörterbuch (2015, 512 s. v. Emotion). 318 Dieser Hass richtet sich allerdings nicht auf Personen.

Auswertung der Propositionsebene | 277

320), und in einigen wenigen Fällen weinen Jungen, Frauen hingegen nie (vgl. SFÜ-28, 60; HSB-01, 184 und 187). Bei den Verben, die einen epistemischen Zustand beschreiben, kann unterschieden werden in solche, die für einen sicheren Wissenszustand stehen, wie wissen, und solche für einen unsicheren Wissenszustand, wie glauben. Erstere prädizieren zum einen deutlich regelmäßiger und bis 1950 deutlich häufiger über Männer und Jungen als über Frauen und Mädchen (s. die Abbildungen 41 und 42 im Vergleich). Zum anderen erscheint gerade wissen bei weiblichen Personen häufiger als ein erstrebter denn als bereits erreichter Wissenszustand (z. B. sie will wissen MA-B-05, 42). So liegt der Anteil von Prädikationen mit Verben, die einen sicheren Wissenszustand ausdrücken, unter den Prädikationen über Frauen und Mädchen in den Adenauer-Jahren zwar im Allgemeinen mehr als doppelt so hoch wie deren Anteil an den Prädikationen über männliche Personen. Jedoch gilt für alle Prädikationen der Adenauer-Jahre die Einschränkung, dass die weiblichen Figuren etwas wissen möchten und nicht bereits über jenes Wissen verfügen (vgl. z. B. WR-51, 45; WR-57, 7 und 43). In den 1960er Jahren dann zeichnet sich für dieses Subcluster ein Wandel ab, der sich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre fortsetzt. Wissenszustände, sichere wie unsichere, sind hier regelmäßiger auf Männer/Jungen wie auch Frauen/Mädchen verteilt. Zuletzt aber kommen sie in den Schulbüchern wieder unregelund ungleichmäßiger verteilt vor. Die im Epochenvergleich besonders auffälligen Werte Anfang der 1980er Jahre sollen auch in dieser Auswertung nicht zu viel Aufmerksamkeit erhalten, da die Stichprobengröße für diese Jahre insgesamt sehr niedrig ausfällt und dieser Umstand jene Werte bereits bedingen kann. Geschlechtsexklusiv verteilt sind überdies Zusätze wie aus Erfahrung (wissen). Sie stehen nur in wissen-Prädikationen über männliche Personen, denen dadurch kotextuell ein Expertenstatus zugewiesen wird (vgl. WdZ-B-65, 52; LSB-05, 177). Hiermit verbindet sich ein weiterer Befund aus der Auswertung semantisch verwandter Verben, nämlich solcher, die das Erlangen eines Wissenszustands beschreiben, beispielweise erkennen. Denn überwiegend Männer oder Jungen werden in ihrem Erkenntnisprozess beschrieben. Verknüpft wird dieser Erkenntnisprozess mit sofort oder unschwer (vgl. SFÜ-32, 99; VG-B-85, 182; WdZ-B-86, 55; MiSp-86, 42). Die Verbindung aus Erkenntnissicherheit und Männlichkeit wird dadurch etwas aufgeweicht, dass männliche Figuren auch Träger unsicherer Wissenszustände sind und beispielsweise etwas vermuten, glauben, schätzen (s. die schwarz umrandeten Anteile in untenstehenden Abbildungen 41 und 42). Allerdings machen solche Prädikatio-

278 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

nen einen zunehmend geringeren Anteil an allen Prädikationen zu epistemischen Zuständen aus, die 1990er Jahre einmal unberücksichtigt gelassen.

Abb. 41: Anteile epistemischer Zustandszuschreibungen an allen Prädikationen mit wPRF eines Zeitabschnitts

Abb. 42: Anteile epistemischer Zustandszuschreibungen an allen Prädikationen mit eind. mPRF eines Zeitabschnitts

Verben, die über das mehr oder weniger bewusste innere Beschäftigtsein einer Person Auskunft geben, setzen ebenfalls ein Experiens voraus (z. B. träumen,

Auswertung der Propositionsebene | 279

abschweifen).319 Sie kommen in den untersuchten Schulbüchern nur vereinzelt vor, wobei denken in der Verwendung von ‚etwas zum Gegenstand der Gedanken haben‘ oder ‚über etwas befinden‘ ein prominentes Beispiel für prozessierende mentale Aktivität darstellt (s. auch Kap. 3.3.2d unter Semantik). Es wird in den untersuchten Schulbüchern, wenn auch in geringer Zahl, so doch bis auf die 1960er Jahre zunächst exklusiv zusammen mit mPRF als Träger der mentalen Aktivität gebraucht, ab 1990 kommt es dann zu einem Ausgleich zwischen Trägern und Trägerinnen, wie aus der Abbildung 43 ersichtlich.

Abb. 43: Anteile von denken an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts

Wahrnehmungsverben, darunter sehen, erblicken, bemerken oder hören, verteilen sich wiederum schon früh wenig geschlechtstypisierend. Erweitert man die Perspektive von nicht intentionalen Wahrnehmungen auf verwandte Ereignisse mit Handlungscharakter, so fällt auf, dass Mädchen und Frauen die Fähigkeit zu zielgerichteter Wahrnehmung zugestanden wird: gut zuhören, scharf oder genau beobachten oder aufpassen (vgl. VG-B-85, 184; DB-N-13, 318; DK-13, 249). Die Frauen und Mädchen erscheinen in dieser rezeptiven Tätigkeit agenshaft, weil die Wahrnehmung von ihnen kontrolliert wird. Unter den männlichen Figuren finden sich keine solchen Belege. Nun liegen diesen Auswertungen vergleichsweise geringe Vorkommen zugrunde, wie auch die y-Achse in der Abbildung 43 anzeigt; sie basieren dennoch mit Ausnahme der ersten Hälfte der 1980er Jahre und der Nachkriegsjahre auf umfangreichen Stichproben und

|| 319 Die Experiens weisen dabei eine Nähe zur Agens-Rolle auf, wenn die innere Beschäftigung kontrolliert werden kann (z. B. wie bei angestrengt nachdenken über).

280 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

sollten deswegen nicht bloß als Zufallsbelege abgetan werden. Traditionell sind Denkprozesse den Auswertungen zufolge somit männlich kodiert, Aufmerksamkeit erscheint eher charakteristisch für weibliche Figuren. h) Auswertung der Handlungszwecke Die Sprechakttheorie hält weitere interessante Fragestellungen an das Sprachmaterial bereit und richtet den Blick auf die kommunikative Funktion von Äußerungen. So können Verben auf ihren Handlungsgehalt befragt werden. In den folgenden Auswertungen soll der Blick auf Sprachhandlungen von weiblichen und männlichen Figuren gerichtet werden. Innerhalb des Kapitels 4.2.3 zur Detailanalyse der Prädikationen nehmen diese Auswertungen eine Sonderrolle ein, weil keine Prädikationen über Personen untersucht werden. In einem weiten, epistemischen Verständnis von Aussage werden aber auch hier Aussagen über Männer/Jungen und Frauen/Mädchen ermittelt. Denn wie eine Person x sprechhandelt, lässt sie beispielsweise selbstsicher oder zurückhaltend erscheinen; Sprachhandlungen treffen in diesem Sinn Aussagen über Personen und arbeiten am Aufbau von Geschlechtervorstellungen mit. Gefragt werden kann: Welche Personen sprechhandeln eher assertiv und geben beispielsweise selbstsicher zu verstehen, dass ein Sachverhalt zutreffe, welche sprechhandeln eher direktiv? Wo wird mittels Sprechaktverben problematisiert, wo etwas initiiert? Tab. 32: Anteile der Sprechaktverben an allen Prädikationen Prädikationen mit Sprechaktverben Kaiserzeit

3,6%

Weimarer Republik

4,8%

NS-Zeit

5,5%

Nachkriegszeit

6,4%

Ära Adenauer

4,0%

1963–1972

4,4%

1973–1981

6,1%

1982–1985

4,9%

1986–1990

5,3%

1991–1999

8,0%

2000–2010

7,8%

2011–2013

7,6%

Auswertung der Propositionsebene | 281

Sprechaktverben bilden mit 3,5% bis 8% eine konstante und wachsende Gruppe im Korpus (s. Tabelle 32), welche geschlechtstypisierende Verteilungen aufweist. Für ihre Auswertung werden Klassifizierungen aus der Pragmatik herangezogen, wie Searles (2007 [engl. 1969]) Taxonomie der Sprechakte. Mit Staffeldt (2009, 102) sei angemerkt, dass zwar über die Betrachtung der Semantik von Sprechaktverben grundsätzlich Erkenntnisse über Sprechakte gewonnen werden können, die mit diesen Verben vollzogen werden; die alltagssprachliche Verwendung dieser Verben aber ist sprechakttheoretisch nicht immer eindeutig. Der Kotext muss stets berücksichtigt werden, um eine Sprachhandlung identifizieren und klassifizieren zu können (z. B. die Verwendung von versprechen als Akt des VERSPRECHENS oder des DROHENS). Das Sprachsystem bietet neben Verben weitere Möglichkeiten, darunter Modalpartikeln, um beispielsweise eine AUFFORDERUNG zu vollziehen, wie Kommst du mal? Ziel der folgenden Auswertung der Handlungszwecke ist nun allerdings nicht, eine vollständige sprechakttheoretische Analyse vorzulegen. Ich halte es grundsätzlich für möglich und für die Forschungsfrage bereits für gewinnbringend, in der Fokussierung auf den Handlungszweck von Äußerungen Auffälligkeiten zu erkennen, beispielsweise wie sich Handlungen, die, wie widersprechen, problematisierenden Charakter haben, auf die Geschlechter verteilen. Die Auswertung konzentriert sich auf den Handlungsgehalt illokutionärer Verben, auf eine weiterführende Analyse der Gelingensbedingungen wie auch der Bewirkungspotenz von Äußerungen wird verzichtet.320 Nach Searle in der Weiterführung von Staffeldt (2009, 81) werden die fünf Illokutionsklassen assertiv, direktiv, kommissiv, expressiv, deklarativ angenommen. In der Gesamtschau finden um das Jahr 1970 größere Veränderungen statt, welche Handlungszwecke mit weiblichen und männlichen Personen verbunden sind. Auf sozialen Ausgleich scheinen zuvor am ehesten Frauen und Mädchen aus zu sein, Jungen und Männern wird früher mehr Raum für kritische Perspektivennahme gewährt. Männliche Figuren treten bestimmter auf, was sie selbstsicher erscheinen lässt. Vor allem die Sprachhandlungen von Frauen oder Mädchen sind von Wandelphänomenen betroffen und zwar insofern, als diese Figu|| 320 Eine Berücksichtigung weiterer Illokutionsindikatoren (vgl. Staffeldt 2014) hätte bereits auf Ebene der Datenerhebung stattfinden müssen und hätte dann einen anderen Zuschnitt des Kategorienschemas erfordert. Eine vollständige sprechakttheoretische Analyse umfasst zudem die perlokutionäre Seite einer Sprachhandlung und damit die Frage nach den Erfolgsbedingungen der in Sprache vollzogenen Handlung. Die Aufnahme differenzierter pragmatischer Erhebungskategorien ins Schema war jedoch aus forschungspraktischen Gründen nicht möglich, da die Erhebung sonst nicht im zur Verfügung stehenden Zeitrahmen hätte erfolgen können.

282 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

ren ihr Spektrum an Sprachhandlungen sukzessive erweitern, bis sie in den zuletzt zugelassenen Schulbüchern auch häufiger ein stärker problematisierendes Sprachverhalten zeigen. Im Einzelnen setzt sich dieser Sammelbefund folgendermaßen zusammen: Direktiva sind insgesamt schwach im Schulbuch vertreten. Wenn sie aber vorkommen, so verwenden zwar in absoluten Zahlen deutlich mehr männliche Figuren direktive Sprechakte. Betrachtet man die Verteilung der Direktiva aber relativ zu der jeweiligen Gesamtheit an Prädikationen über mPRF bzw. Referenten und wPRF bzw. Referentinnen, sprechhandeln Ende der 1980er Jahre und in den 1990ern sogar mehr weibliche als männliche Figuren direktiv; gerade in den kaiserlichen Schulbüchern ist diese Verteilung festzustellen (s. Tabelle 33 unten). Tätigen weibliche Figuren direktive Sprechakte mit Verben wie befehlen oder rufen im Sinn von ‚herbeirufen‘, dann wenden sich vor 1930 ausschließlich Mütter in der Regel an die eigenen Kinder (vgl. SFÜ-28, 69; SÜ-10, 9), in einem Fall an das Hauspersonal (vgl. SÜ-10, 39). Bei den mPRF sind die KommunikationspartnerInnen seit jeher vielfältiger. Ihre direktiven Sprechakte haben gleichaltrige Kinder (vgl. z. B. BW-99, 148) oder Erwachsene zum Gegenüber – Geschäftspartner beispielsweise (vgl. z. B. RB2-30, 16) – oder sind ebenfalls generational asymmetrisch (vgl. z. B. SFÜ-28, 18). Der Umgangston der SprecherInnen wird dabei über die Jahre freundlicher, das meint, dem Gegenüber wird mehr Freiwilligkeit zugestanden, einer Aufforderung nachzukommen. So wird der dominierende Sprechakt AUFFORDERN Mitte der 1970er dauerhaft abgelöst vom weniger direktiv wirkenden BITTEN, zum Beispiel in Frau Frank bittet die Schüler […] (MiSp-86, 52). Unter den Expressiva ist vor allem auffällig, dass aufseiten der weiblichen Figuren im Verhältnis so gut wie keine opponierende Sprachhandlungen (z. B. spotten, schimpfen) vorkommen oder Sprachhandlungen, die eine negative Bewertung des eigenen emotionalen Zustands darstellen, beispielsweise jammern.321 Bedienen sich weibliche Personen expressiver Sprechakte, so drücken sie mehr oder weniger Sympathie für das Gegenüber oder zwischen den KommunikationspartnerInnen aus (vgl. z. B. die Prädikationen mit danken, sich entschuldigen in VG-B-80, 28; HSB-01, 188; W&C-05, 97).

|| 321 Einmal klagt eine Mutter über das Verhalten ihrer Kinder (vgl. SÜ-10, 33), ein anderes Mal klagt eine Frau über Kopfschmerzen (vgl. DB-B-13, 107). Vgl. dagegen unter den männlichen Figuren: SFÜ-32, 10; SB-48, 61; MSB-B-72, 83; W&C-05, 89; MA-B-05, 76 und weitere Beispiele.

Auswertung der Propositionsebene | 283

Tab. 33: Anteile der Direktiva an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) w-Direktiva

m-Direktiva (nur eind.)

m-Direktiva (inkl. uneind. m)

Kaiserzeit

2,4%

0,8%

0,8%

Weimarer Republik

0,7%

1,2%

0,9%

NS-Zeit

0,0%

0,0%

0,0%

Nachkriegszeit

0,0%

0,0%

0,2%

Ära Adenauer

0,3%

0,1%

0,3%

1963–1972

0,2%

0,8%

0,7%

1973–1981

0,0%

0,3%

0,4%

1982–1985

0,0%

0,0%

0,0%

1986–1990

0,6%

0,1%

0,1%

1991–1999

0,6%

0,3%

0,3%

2000–2010

0,2%

0,3%

0,3%

2011–2013

0,0%

0,4%

0,5%

Unter den Kommissiva wiederum sticht vorschlagen322 heraus. Vorschlagen gehört zur Gruppe der Initiativhandlungen und kommt in den Schulbüchern vor allem vor, wenn ein zuvor beschriebenes Problem, zum Beispiel eine mathematische Fragestellung, von Schulbuchfiguren gemeinschaftlich zu lösen versucht wird. Die INITIATION steht am Anfang einer Sequenz der Problemlösung. Vorschlagen nun stellt eine Möglichkeit der Problemlösung in den Raum, die von den KommunikationspartnerInnen – im engeren Sinn sind das die im Schulbuch auftretenden Figuren, im weiteren Sinn die SchulbuchbenutzerInnen – angenommen oder abgelehnt werden kann. Auffällig ist, dass vorschlagen zunächst nur zusammen mit mPRF vorkommt (1960er Jahre), dann aber zuneh-

|| 322 Je nach Äußerungszusammenhang kann ein VORSCHLAG eher direktiv gebraucht sein, nämlich dann, wenn dem Kotext nach die/der Vorschlagende den/die AdressatIn zum Vollzug einer Handlung auffordert oder bewegen möchte, weil die Handlung im Interesse der/des Vorschlagenden liegt (vgl. Hindelang 1978, 464f.; vgl. differenzierter Graffe 1990, 288f.). Steht dagegen im Vordergrund, dass die Handlung im Interesse der/des AdressatIn liegt, ist eher eine Bedingung für kommissive Sprechakte erfüllt. Im Korpus finden sich mehrheitlich Belege für kommissive Gebrauchsweisen von vorschlagen.

284 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

mend bis gegenwärtig ausschließlich von weiblichen Figuren gebraucht wird (s. die 25-Jahre-Schritte in Abbildung 44).323

Abb. 44: Verteilung von vorschlagen auf wPRF und eind. mPRF, ausgewählte Zeitabschnitte

Ebenfalls initiativ ist eine Idee haben, das noch später als vorschlagen im Korpus vorkommt. Hier verhält sich die Verteilung in den zeitgenössischen Schulbüchern umgekehrt: Vor allem Jungen haben eine Idee, die sie selbstbewusst gegenüber anderen Meinungen durchsetzen möchten, beispielsweise durch die Selbstbewertung als bessere Idee in Ich habe eine bessere Idee! (ML-B-12, 111; vgl. auch DK-13, 74; M-B-11, 136). Einziges Gegenbeispiel in den neuesten Schulbüchern ist die Nominalisierung: [Bewerte die] Lösungsidee von Teresa (ML-B12, 80). Im Unterschied zu vorschlagen betont eine Idee haben den kreativen und originellen Akt der Problemlösung und ist weniger auf ein Gegenüber orientiert. Auf einer Mikroebene von Sprache also wird Kreativität beinahe exklusiv mit Männlichkeit zusammengebracht. Einerseits wird die Figur, die VORSCHLÄGT, als initiativ qualifiziert, andererseits erscheint ihre Äußerung von vornherein als potentiell verwerfbar. Assertive Verben, wie feststellen, legen hingegen weniger nahe, dass die Äußerung falsch sein könnte, es geht ihnen allerdings auch das innovatorische Moment ab, das dem initiativen vorschlagen zu eigen ist. In einem letzten Schritt sollen diese und weitere Assertiva betrachtet werden, die bei Rolf (1983, 211) in verschiedene Typen sprachlicher Informationshandlungen differenziert sind. Unter sprachlichen Informationshandlungen sind Äußerungen zu verstehen, die den kommunikativen Zweck der Informationsweitergabe haben. Mit || 323 In dieser Darstellung wird vernachlässigt, dass es sich um nicht normierte Anteile handelt. Nur für die 1980er Jahre ergibt sich ein abweichendes Verhältnis, wenn die Anteile normiert werden: Anstelle von 2/5 zu 3/5 verteilen sich die vorschlagen-Prädikationen gänzlich gleichmäßig auf wPRF und mPRF. Eine Unterscheidung in eindeutig und uneindeutige mPRF war nicht angezeigt, da alle PRF eine eindeutige Geschlechtsreferenz aufweisen.

Auswertung der Propositionsebene | 285

der Sprachhandlung WIDERSPRECHEN, wie im Beispiel Laura protestiert laut: „Das sehe ich aber anders“ (ML-07, 199), wird ein Zweifeln der Sprecherin am Wahrheitsgehalt der Äußerung von Dominik, dem vorherigen Sprecher, vorausgesetzt; der Sprechakt kann Anschlusshandlungen nach sich ziehen, dergestalt, dass zukünftige Äußerungen des vorherigen, nun als inkompetent ausgewiesenen Sprechers in ihrer Gültigkeit angezweifelt werden. Von Interesse ist bei den Informationshandlungen, aus welchen Positionen heraus Figuren sprechen – ob sie zum Beispiel dissentiv agieren (z. B. etwas BESTREITEN) oder eher konzessiv (z. B. etwas EINRÄUMEN). Ob eine getätigte Äußerung als wahr oder falsch zu klassifizieren ist, wurde bei der Untersuchung hingegen nicht berücksichtigt. Bei der Auswertung der Informationshandlungen ist als eine Auffälligkeit festzuhalten, dass problematisierende Sprechakte tendenziell männlich kodiert sind (s. die Tabelle 34).324 Spätestens in den 1990er Jahren wird dies aufgeweicht. Weibliche Figuren – ausschließlich Kinder und Jugendliche – können sich nun nicht nur disputativ (indem sie z. B. etwas erwidern), sondern nachdrücklich dissentiv, also auf Dissens hin orientiert, verhalten, wie das LauraBeispiel zeigt. In den letzten 25 Jahren werden also Jungen wie Mädchen auch in einem kommunikativen Verhalten gezeigt, das nicht auf sozialen Ausgleich gerichtet ist, und treten als selbstbewusste MeinungsvertreterInnen auf. Wenn es darum geht, Zweifel an der Gültigkeit von Aussagen oder Handlungen anderer auszudrücken, zum Beispiel in Ercan sagt: „Sie müssen sich verrechnet haben.“ (F-11, 162; Hervorh. CO) oder Uwe vermutet, dass Tina ungenau gezeichnet hat (LS-B-05, 161; Hervorh. CO), so fällt einerseits auf, dass solche Sprachhandlungen in dieser Deutlichkeit erst in jüngeren Schulbüchern zu finden sind, und andererseits, dass sie überwiegend von männlichen Personen getätigt werden und sich dabei auf weibliche Personen beziehen. Hier wird im Unterschied zum Laura-Beispiel nicht nur eine Position bezogen und lautstark reklamiert, sondern die Position des Gegenübers explizit dekonstruiert. Solche Dekonstruktionsarbeit leisten im Schulbuch vornehmlich Männer und Jungen.

|| 324 Allen PRF, die zusammen mit problematisierenden Sprechaktverben vorkommen, konnte eine eindeutige Geschlechtsreferenz zugewiesen werden.

286 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

2000–2010

2011–2013

Gesamt

1986–1990

1

1991–1999

w-Problematisierung

1973–1981

1963–1972

Weimar

Kaiser

Tab. 34: Vorkommen von problematisierenden Sprechakten pro Zeitabschnitt

2

2

2

7

anders sehen [dir. Rede] dagegen sein [dir. Rede]

1

einverstanden sein [Neg.] [dir. Rede]

1

1

1

2 1

1

1

1

erwidern protestieren

1

1

zweifeln

1

1

m-Problematisierung

7

17

anders sehen [dir. Rede]

1

1

dafür sein [Neg.] [dir. Rede]

1

1

dagegen sein [dir. Rede]

1

1

einwerfen (+ Eprop)

1

1

1

5

1

1

erwidern

2

2

1

1

3

2

2

1

sagen (+ Eprop: Rechenfehler von Person x) unterbrechen

1

vermuten (+ Eprop: Rechenfehler von Person x)

2

2

1

1

vorwerfen widersprechen

2

1

1

1

2

An den Informationshandlungen überrascht, dass solche, bei denen die weitgehend neutrale Informationsweitergabe im Mittelpunkt steht, in den 1960er und 1970er Jahren in klarer Mehrheit – relativ zu den jeweiligen Grundgesamtheiten – von weiblichen Figuren getätigt werden und sich in den 1990er Jahren gänzlich ausgeglichen verteilen (s. Abbildung 45). BEHAUPTUNGEN stellen eine Untergruppe dieser präsentativen Informationshandlungen dar. Sie stehen für mit Bestimmtheit getätigte Äußerungen, die wenigstens nahelegen, dass die/der SprecherIn vom Gesagten überzeugt ist und entsprechend nach außen hin selbstsicher auftritt. Im Unterschied zu transmissiv-präsentativen Sprechakten (BERICHTEN, SICH ERINNERN) finden sich assertiv-präsentative Sprechakte, wie BE-

Auswertung der Propositionsebene | 287

HAUPTEN, erstmals und nur vereinzelt in den 1970er Jahren unter den weiblichen Personen. Auch für Sprechakte dieser Untergruppe gilt aber, dass sie sich seit 1990 weitgehend gleichmäßig auf die Geschlechter verteilen.

Abb. 45: Anteile präsentativer Informationshandlungen an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts325

Ausdrücke, welche die/den SprecherIn in besonderem Maß als selbstsicher erscheinen lassen, verhalten sich somit resistenter gegenüber einem Verteilungswandel und bleiben lange männlich kodiert. Transmissiv-präsentative Informationshandlungen dagegen weisen früh Verteilungsunterschiede auf und sind in den 1960er und 1970er Jahren sogar deutlich charakteristischer für weibliches als für männliches Sprachhandeln.

4.2.4 Ergänzende Auswertung der Eigenschaftszuschreibungen Im Unterschied zu Kapitel 4.2.3 befasst sich dieser Gliederungspunkt nicht mit Aussagen über Personen, in denen das (rekonstruierte) Verb der Prädikation eine Charakterisierung der Personen leistet, über die etwas prädiziert wird. Hier stehen Eigenschaftszuschreibungen im Fokus, die mittels einer Kopula-Prädikativ-Konstruktion oder und vor allem nicht-verbal vorgenommen werden. Im

|| 325 Der stark abweichende Wert für 1982 bis 1985 ist auch hier auf die geringe Stichprobengröße zurückzuführen.

288 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Kategorienschema sind diese durch die Skala Charakterisierung erfasst und nach ihrer konkreten Erscheinungsform unter der Skala Form der Prädikation differenziert.326 Die Auswertung der Eigenschaftszuschreibungen ergibt trotz vieler Gemeinsamkeiten stark geschlechtsdifferente Profile. Wenngleich aber geschlechtstypisierende Zuschreibungen vorzufinden sind, die nach der Semantik der Zuschreibungen zu Clustern gruppiert werden können, ist zu berücksichtigen, dass die ermittelten Cluster nur eine geringe Anzahl an Belegen umfassen. Auch bei diesen Teilauswertungen sollten nicht isolierte Verallgemeinerungen angestellt werden. Es ergibt sich erst in der Gesamtschau und Inbezugsetzung der vielen Einzelbefunde des Kapitels 4 ein Gesamtbild, wie es im Kapitel 6.1 zusammengesetzt wird. Über die Jahrzehnte unterliegen die Eigenschaftszuschreibungen Veränderungen. Eine Charakterisierungstradition bricht Ende der 1940er Jahre ab – wie Eigenschaftszuschreibungen danach insgesamt seltener werden –, die sich folgendermaßen zusammenfassen lässt (s. auch unten die Tabellen 35 und 36): – Exklusiv weiblich: Ausschließlich weibliche Figuren, vor allem Mütter, werden (1.) in Bezug auf die Nachkommenschaft charakterisiert (kinderlieb, kinderlos) oder sind in den Kaiserjahren (2.) einem Gegenüber empathisch zugewandt, in der Regel dem Ehepartner (vgl. die treubesorgte Gattin SÜ10, 3). – Weiblich dominiert: Vornehmlich weibliche Figuren vereinen (1.) die sozial erwünschten Eigenschaften auf sich, lieb327 und gut oder gutmütig zu sein, oder werden (2.) als (innerlich) leidend und bedürftig (leidend, trauernd, erholungsbedürftig, bettelnd) be- und gezeichnet. – Exklusiv männlich: Einschätzungen zur Aufrichtigkeit einer Person sind (1.) nur bei Männern und Jungen und zunächst nur bis 1950 üblich (anständig, ehrlich). Als intellektuell und körperlich begabt sowie um Leistung bemüht werden Männer und Jungen schon seit den Kaiserjahren charakterisiert; herausragende Leistung(sfähigkeit), sei es sportliche oder denkerische Exzellenz, ist dabei (2.) ein exklusives Charakteristikum männlicher Figuren (erstklassig, außerordentlich begabt). || 326 An verschiedenen Realisierungen können insgesamt unterschieden werden: Attribution, verbale Kopula-Prädikativ-Konstruktion, Apposition, Nominalisation (hier nur: Genitivus subiectivus und obiectivus) und adverbiale Qualifizierungen von Ereignissen, die mittelbar als Eigenschaftszuschreibungen interpretiert werden können (s. Kap. 3.3.2d unter Form der Prädikation und unter Charakterisierung). 327 Vorkommen von lieb* in Einleitungsformeln zu Briefen und Ähnlichem (Liebe X, […]) wurden nicht mitgezählt.

Auswertung der Propositionsebene | 289



Männlich dominiert: Männliche Figuren werden (1.) in vielfältigerer Weise als Frauen und Mädchen in Relation zu ihrer körperlichen (Un-)Versehrtheit beschrieben (verwundetAttr., bewusstlos, verunglücktAttr., schwach – (kern-)gesund, genesenAttr., stark). Ausschließlich bei Männern/Jungen wird ein versehrter Körper mit der Unfähigkeit zur Erwerbstätigkeit (zu Schaden kommen erwerbsunfähig, vgl. BW-99, 45) zusammengebracht oder sind dem Kotext nach auch in zahlreichen Fällen Dritte für eine körperliche Beeinträchtigung verantwortlich zu machen (z. B. in AB-44, 50). Zudem werden (2.) überwiegend Männer oder Jungen mit Schnelligkeit, auch Reaktionsgeschwindigkeit, in Verbindung gebracht (rasch, schnell/Schnelligkeit).328

Werden in der Auswertung auch die Propositionen mit uneindeutig männlich referierenden PRF berücksichtigt, so ähneln sich die Anteile an Charakterisierungen unter den Prädikationen über männliche Personen in den vier Zeitabschnitten bis 1950 noch stärker. Bei der Charakterisierung der wPRF fällt der Bruch mit Zuschreibungstraditionen um 1950 klarer aus als bei den mPRF. Bei letzteren werden einige Entwicklungslinien weitergeführt: Schulbücher thematisieren auch nach 1950 bei männlichen Personen deren körperlichen Zustand (x ist krank, vgl. u. a. MSB-B72, 51; VG-B-94, 233); bei Frauen und Mädchen ist das kaum mehr der Fall. Außerdem werden männliche Personen weiterhin als leistungsbereite und zur Leistungserbringung fähige Personen gezeichnet, beispielsweise durch die exklusiv männlichen Zuschreibungen eifrig und erfahren (vgl. z. B. VG-75, 115; MS-13, 73; s. das Cluster Wissen, Leistungsfähigkeit & Leistungsbereitschaft in Tabelle 36). Vergleichbare Zuschreibungen finden sich erstmals in den Nachkriegsjahren329 und nehmen in den Folgejahrzehnten in Prädikationen über weibliche Figuren zu. Seit den 1990er Jahren ist das Cluster sogar tendenziell weiblich kodiert. Tatsächlich auch erfolgreich sind mit Aufkommen dieser Zuschreibungen ab den 1970er Jahren vornehmlich männliche Personen, berühmt und bedeutend zu sein ist gar ein exklusiv männliches Charakteristikum neuerer Schulbücher.

|| 328 Dieser Befund gilt umso mehr, wenn die Prädikationen einbezogen werden, die zusammen mit PRF, die nicht eindeutig, aber sehr wahrscheinlich männlich referieren, eine Proposition bilden. 329 Die im Vergleich mit dem vorausgehenden und nachfolgenden Zeitabschnitt stark abweichenden Werte der Nachkriegsjahre aus den beiden Tabellen erfahren keine eingehendere analytische Betrachtung, da sie auf die geringe Stichprobengröße jener Jahre zurückgeführt werden.

Tab. 35: Anteile von Eigenschaftszuschreibungen an allen Prädikationen mit wPRF eines Zeitabschnitts

290 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Tab. 36: Anteile von Eigenschaftszuschreibungen an allen Prädikationen mit eind. mPRF eines Zeitabschnitts

Auswertung der Propositionsebene | 291

292 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Während Erfolg und Exzellenz im Geschlechtervergleich diachron eng mit dem Konzept MANN verbunden sind, so verhält sich dies bei Charakterisierungen von Personen nach dem Aussehen umgekehrt: Eine Qualifizierung des Körpers oder körperlicher Eigenschaften erfolgt häufiger an weiblichen Personen als an männlichen und streut beinahe über den gesamten Untersuchungszeitraum, wie die Belege verdeutlichen: Die Aussprache eines weiblichen Kleinkinds wird als drollig bezeichnet (SFÜ-28, 69), eine Stimme bzw. die Art des Sprechens als glockenhell (MSB-B-72, 72) oder besonders schön (HSB-01, 169), Frauen als schön oder pummelig (DK-13, 64) sowie zu dick (MSB-B-72, 5). Schön ist dabei mehrfach gebrauchtes Mittel der Charakterisierung, zum Beispiel küsst ein junger Mann ein schönes Fräulein (SW-87, 91). Nur wenige Ausnahmen von diesem Zuschreibungsmuster sind zu nennen. So bewertet ein Schulbuch der 1980er Jahre das Aussehen einer männlichen Figur, wenn dort vom gutaussehenden Abteilungsleiter (MiSp-86, 42) die Rede ist. Eine Besonderheit stellt überdies das zeitgenössische Deutschbuch Doppel-Klick dar. In einem Kapitel werden Schönheitsideale thematisiert, Mädchen und Jungen sprechen darin über ihr Körperselbstbild. Schönheitsideale erscheinen hier als ein Thema, das beide Geschlechter gleichermaßen herausfordert (vgl. DK-13, 64). Auffällig an den Belegen ist, dass sie allesamt aus Sprachbüchern stammen. Auf der Grundlage dieser Befunde kann ein deutlich engerer Zusammenhang zwischen Aussehen und Weiblichkeit als zwischen Aussehen und Männlichkeit konstatiert werden, jedenfalls bis Ende der 1980er Jahre. Und auch über die Auswertung der Skala Charakterisierung hinaus fällt ein Beleg auf, der die Verbindung von Aussehen und Weiblichkeit tendenziell bestätigt (s. ferner Kap. 4.2.6b). In einer Übung zur Kasusrektion von Verben steht der Satz sie ähnelt ihrer Mutter neben dem weiteren Beispielsatz Er erinnert sich des schweren Gegners (SW-87, 118). Während die Aussehen-Prädikation eine wPRF bzw. eine Referentin zum Aussagegegenstand hat, wird im Beispiel mit der mPRF bzw. dem Referenten als Aussagegegenstand (die Erinnerung an) eine vergangene (Wett-) Kampfsituation zum Thema erhoben. Ebenfalls tendenziell geschlechtstypisierend verteilt sind Formen emotionaler Bewegtheit. Weibliche Figuren, nicht aber Männer oder Jungen, sind in hohem Grad positiv gestimmt: Vornehmlich Mädchen kehren beispielsweise freudestrahlend von A nach B zurück und übersetzen ihre innere Bewegtheit in äußere Bewegung (freudig/vor Freude springen oder hüpfen) (vgl. z. B. HSB-01, 184; W&C-05, 97; VG-B-85, 180). In den Schulbüchern fällt auf, dass solche sehr positiven Zuschreibungen in den 1980er Jahre breiter gestreut vorkommen. Männliche Figuren fühlen im positiven Spektrum gemäßigter: Sie sind zufrieden (vgl. VG-75, 57; W&C-05, 76), sehr selten nur froh (vgl. VG-B-85, 169; SW-87, 15).

Auswertung der Propositionsebene | 293

Geht es aber um ein Hobby (z. B. Modellbauen, vgl. BR-68, 57) oder (im Spiel erprobte) berufliche Tätigkeit (vgl. MSB-B-72, 15; LS-B-05, 192), zeigen sich ausschließlich männliche Figuren begeistert in dessen bzw. deren Ausübung; bei Mädchen ist Begeisterung nicht zweckgerichtet, sondern Effekt und Reaktion auf eine zuvor beschriebenen Handlung einer anderen Person (vgl. VG-B-94, 30; DK-13, 114). Man könnte auch sagen: Bei Jungen handelt es sich um ein Begeistert-Für, bei Mädchen um ein statischeres Begeistert-Sein. Nicht nur, weil in den 1980er Jahren Frauen und vor allem Mädchen im positiven Spektrum emotional intensiver zu erleben und sich zu verhalten beginnen, zeichnet sich seit diesen Jahren eine weitere, zweite Umbruchsphase in der Charakterisierung, wenigstens von weiblichen Personen, ab. So werden Zuschreibungen neu eingeführt: Schnelligkeit erscheint bereits in den 1980er Jahren als eine Eigenschaft von Frauen und Mädchen (vgl. MiSp-86, 100; F-86, 65); weibliche Personen werden in den Folgejahren zum ersten Mal als sich selbst (hoch-)schätzende, stolze Personen und in ihrem Verhalten als energisch beschrieben (vgl. MeW-97, 60; HSB-01, 184); außerdem äußern Mädchen erstmals Ärger und Wut (vgl. VG-E-96, 155; DK-13, 279). Bei den Männern und Jungen fällt die Bandbreite an negativer Emotionalität traditionell größer aus. Im Unterscheid zur Besorgnis um andere, die unter Frauen verbreitet ist (s. bereits oben), fällt das emotionale Erleben der Männer aber im negativen Spektrum nicht gleichermaßen empathisch aus: Bis in die 1970er Jahre hinein sind es Männer und Jungen, die durch ein Ereignis erschüttert, beunruhigt oder einfach mit einer Situation unzufrieden sind (vgl. u. a. AB44, 18; SB-48, 21; BVR-57, 19; BR-68, 41; ähnlich auch MSB-B-72, 21). Sozioemotional unerwünschtes Verhalten wiederum zeigen Jungen im Unterschied zu Mädchen bereits in Schulbüchern der Kaiserjahre (s. Kap. 4.2.3g). In den Nachkriegsjahren kommen adjektivische und adverbiale Zuschreibungen konfrontativen Verhaltens und konfrontativer Gemütslagen hinzu, wie Trotz und Wut zum Beispiel auf die Mutter (vgl. SB-48, 92; MSB-B-72, 81; HSB-01, 169). Über das bisher Genannte hinaus weisen die Schulbücher Zuschreibungen auf, die beiden Geschlechtern gemein sind. Über alle Zeiträume hinweg teilen sich beispielsweise weibliche und männliche Figuren Charakterisierungen als klein oder groß (bezogen auf die Körpergröße oder das Alter) oder als sparsam. Auch verteilen sich höfliche Anreden mit lieb oder verehrt330, relativ zur jeweiligen Gesamtheit an Prädikationen mit wPRF und mPRF, gleichmäßig auf Frauen/Mädchen und Männer/Jungen. || 330 Die als etwas schwächer formalistisch-höflich empfundene Anrede mit geehrt kommt hingegen, relativ betrachtet, häufiger bei mPRF als bei wPRF vor.

294 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Geschlechtstypisierende Unterschiede der Eigenschaftszuschreibung hängen ferner nur bedingt von der syntaktischen Realisierungsform ab.331 Nominalisierte Eigenschaftszuschreibungen sind insgesamt nur sehr selten und lassen keine aussagekräftigen Interpretationen über Verteilungsregelmäßigkeiten zu. Als Auffälligkeiten sind aber unter den Eigenschaftszuschreibungen zu nennen: (1.) Attribuierungen kommen in den Jahren 1920 bis 1950 sowohl mit männlichen wie auch weiblichen Figuren häufiger vor als zu anderen Untersuchungszeiträumen; die Verdichtung von Aussagen zu Attribuierungen betrifft dabei aber vor allem wPRF (s. die beiden dunklen Linien aus nachfolgender Abbildung 46 im Vergleich). Dagegen werden (2.) männlichen Personen sogar bis in die 1980er Jahre tendenziell häufiger Eigenschaften expliziter mittels adjektivischer Prädikativa zugeschrieben (s. die hellen Linien in Abbildung 46). Mittelbare Personencharakterisierungen durch adverbiale Qualifizierungen, wie in Bert sortiert die Fotos sorgfältig (VG-B-85, 177; Hervorh. i. O.), weisen (3.) kaum geschlechtstypisierende Verteilungen auf, die von der syntaktischen Realisierung abhängig wären. Als Ausnahme ist anzuführen: Einzig über weibliche Figuren wird die Aussage getroffen, dass sie gern zuhören oder sich gern unterhalten (vgl. MSB-N-69, 18; MSB-B-72, 32; DK-13, 249). Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft werden tendenziell als weibliche Eigenschaften entworfen. Insgesamt diversifizieren sich in den 1970er bis vor allem in die 1990er Jahre die Charakterisierungen auf beiden Seiten aus. Bei männlichen Personen allerdings besteht wegen der zahlenmäßigen Dominanz der mPRF (s. Kap. 4.1.1) seit jeher eine breitere Sprachmaterialbasis für Prädikationen und somit auch für Eigenschaftszuschreibungen. Entsprechend finden sich zu den mPRF eines Zeitabschnitts auch antonymische Zuschreibungen, neben begabt beispielsweise dumm (vgl. SB-48, 21 und 27), neben bescheiden verschwenderisch (vgl. SB-54, 83; SFÜ-32, 83) und neben höflich die Negation unhöflich (vgl. z. B. UR-N-63, 65; MSB-N-69, 73). Die beiden Pole sind dabei nicht gleich stark vertreten, so dass sie sich auch nicht gegenseitig neutralisieren könnten; die positiv bewerteten Eigenschaften überwiegen zahlenmäßig. Letztlich schreibt sich hier fort, was anderenorts schon festgestellt wurde: Männliche Personen nehmen über lange

|| 331 Appositionen wurden hier nicht berücksichtigt, da unter diesem Gliederungspunkt Qualitäten (Eigenschaften in einem engeren Sinn, die Qualifizierung von Handlungen) vermittelnde Ausdrücke im Fokus stehen. Die Auswertung der Appositionen als weitere nicht-verbale Form, über Personen Aussagen zu treffen, erfolgte vor allem im Zuge der Auswertung der PRF. Als auffällig haben sich hier unter anderem die seltenen Appositionierungen von wPRF mit Berufsbezeichnungen erwiesen (s. Kap. 4.1.3b).

Auswertung der Propositionsebene | 295

Zeit mehr Raum im Schulbuch ein, daher können auch vielfältigere Zuschreibungen vorgenommen werden.

Abb. 46: Anteile an attributiven und prädikativen Eigenschaftszuschreibungen an allen Prädikationen mit wPRF bzw. eind. mPRF eines Zeitabschnitts332

4.2.5 Im Fokus: Passivität und Modalität Passivische Konstruktionen wurden bei der Datenerhebung unter anderem berücksichtigt, um PRF auswerten zu können, welche vornehmlich die Patiensoder RezipientInnen-Rolle in der syntaktisch exponierten Position des Subjekts einnehmen. Von Interesse ist, ob diese exponierte Position wenig agenshafter ReferentInnen eher für männlich oder für weiblich referierende PRF charakteristisch ist. Insgesamt kommen passivische Konstruktionen schwach frequent im Korpus vor (s. Tabelle 37). Im Regelfall ist das Agens in den erhobenen Passivkonstruktionen nicht realisiert. Ohne die Angabe der für ein Ereignis ursächlichen Person ist die Agentivität dieser Propositionen daher stark eingeschränkt.

|| 332 Die im Vergleich mit dem vorausgehenden und nachfolgenden Zeitabschnitt stark abweichenden Werte der Nachkriegsjahre und der ersten Hälfte der 1980er Jahre erfahren keine eingehendere analytische Betrachtung, da sie jeweils auf die geringe Stichprobengröße zurückgeführt werden.

296 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Tab. 37: Anteile von Passivkonstruktionen an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts w-Passivkonstruktionen

m-Passivkonstruktionen (nur eind. m)

m-Passivkonstruktionen (inkl. uneind. m)

Kaiserzeit

1,8%

3,0%

2,5%

Weimarer Republik

0,7%

1,5%

1,8%

NS-Zeit

0,0%

3,6%

3,3%

Nachkriegszeit

1,4%

2,5%

1,8%

Ära Adenauer

1,0%

1,4%

1,7%

1963–1972

2,0%

0,8%

1,2%

1973–1981

2,1%

0,8%

0,9%

1982–1985

11,0%

5,3%

4,9%

1986–1990

1,6%

1,2%

1,5%

1991–1999

0,2%

1,7%

1,6%

2000–2010

0,8%

0,4%

0,7%

2011–2013

1,5%

1,1%

1,2%

Passivische Konstruktionen kommen nicht durchwegs eher in Propositionen mit wPRF oder eher mit mPRF vor. Aber es sind zeittypische Verteilungen zu ermitteln: PRF mit männlicher Referenz sind zwischen der Wilhelminischen Kaiserzeit und 1950 fast doppelt so häufig Aussagegegenstand333 eines Passivsatzes wie PRF für weibliche Figuren. Für die Jahre 1960 bis 1985 gilt das umgekehrte Verhältnis, seit 2000 ist es ausgeglichen (s. weiterhin Tabelle 37). Die verschiedenen Bildungsweisen des Passivs – Vorgangs-, Zustands-, RezipientInnenpassiv – sind keine einflussnehmenden Variablen auf dieses Verteilungsverhältnis. Außergewöhnlich hohe Anteile an Passivkonstruktionen weisen die 1982 bis 1985er Jahre auf, die aber durch die geringe Stichprobengröße bedingt sein können. Verantwortlich für den Zusammenhang zwischen Passivität und Männlichkeit bis 1950 sind militärische Handlungen oder Unfälle, die ausschließlich mit männlichen Personen in der Patiens-Rolle ausgedrückt sind, zum Beispiel der Verunglückte wird ins Krankenhaus gefahren (AB-44, 41). Unfallsituationen machen ebenfalls den überproportional hohen Anteil an Passivkonstruktionen mit

|| 333 Syntaktisch betrachtet, nehmen sie mehrheitlich die Subjektposition im Passivsatz ein, seltener sind sie (Dativ-)Objekt.

Auswertung der Propositionsebene | 297

mPRF bzw. Referenten als Aussagegegenstand in den 1990er Jahren aus. Im Zusammenhang mit Krieg und Unfall also werden bei männlichen Figuren Konstruktionen gewählt, die sie besonders schwach agentiv zeigen. Nicht nur erweist sich Männlichkeit und körperliche Versehrtheit durch Dritte als charakteristische Verbindung (s. bereits Kap. 4.2.4), sondern wird die physisch betroffene männliche Person darüber hinaus syntaktisch durch Passivkonstruktionen einmal mehr hervorgehoben. Für die hohen Anteile von passivisch realisierten Prädikationen zwischen 1960 und 1985 mit Referentinnen als Aussagegegenstand lassen sich hingegen keine charakteristischen Rahmungen ausmachen, welche die Anteile näher erklären könnten. Die Passiv-Auswertung leistet auch eine Differenzierung des bisherigen Patiens-Befunds. Die Ergebnisse zu den Passivkonstruktionen scheinen zunächst im Widerspruch zur Auswertung der Patiens-Rolle zu stehen, wonach wPRF in der Rolle als Patiens im bundesrepublikanischen Schulbuch in Relation zur jeweiligen Grundgesamtheit seltener als mPRF vorkommen (s. bereits Kap. 4.2.2). Zwar liegt der PAT-Anteil unter den wPRF in den Weimarer und Nachkriegsjahren, für sich betrachtet, höher als jener unter den mPRF (s. ebenfalls Kap. 4.2.2). Die Detailauswertung der Einzelbelege zeigt aber, dass diese wPRF in der Patiens-Rolle im Unterschied zu mPRF in der Patiens-Rolle nur sehr vereinzelt in Passivkonstruktionen stehen. Niedrige Agenshaftigkeit von weiblichen Figuren wird also seltener als bei den Männern und Jungen syntaktisch passivisch realisiert und folglich auch nicht dadurch hervorgehoben, dass wPRF die Subjektstellen in passivischen Konstruktionen einnehmen würden. Tab. 38: Anteile von Modalverbkonstruktionen mit hohen und niedrigen Freiwilligkeitsgraden an allen Prädikationen mit wPRF bzw. eind. mPRF eines Zeitabschnitts Niedrige Freiwilligkeitsgrade

Hohe Freiwilligkeitsgrade

müssen

sollen

möchten

wollen

w

2,5%

1,8%

0,0%

1,2%

m

3,8%

1,3%

0,4%

2,6%

w

2,4%

3,1%

0,3%

2,1%

m

5,6%

0,7%

0,4%

1,7%

w

2,0%

0,0%

0,0%

0,0%

m

3,0%

0,2%

0,0%

1,1%

Kaiserzeit

Weimarer Republik

NS-Zeit

298 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Niedrige Freiwilligkeitsgrade

Hohe Freiwilligkeitsgrade

müssen

sollen

möchten

wollen

w

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

m

1,0%

0,0%

0,0%

0,0%

w

3,5%

0,0%

1,7%

4,5%

m

3,7%

0,1%

0,3%

2,1%

w

3,8%

0,3%

3,3%

1,6%

m

3,5%

0,3%

0,9%

2,0%

w

1,1%

0,7%

1,4%

0,7%

m

2,4%

0,4%

0,4%

1,7%

w

1,2%

1,2%

0,0%

0,0%

m

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

w

2,5%

0,0%

0,9%

1,3%

m

1,8%

0,7%

0,7%

1,3%

w

1,3%

0,8%

0,8%

1,1%

m

0,4%

1,3%

0,3%

1,3%

w

2,5%

0,2%

0,9%

1,1%

m

1,0%

0,5%

0,9%

1,5%

w

2,5%

0,2%

1,6%

0,7%

m

2,9%

0,6%

1,4%

0,7%

Nachkriegszeit

Ära Adenauer

1963–1972

1973–1981

1982–1985

1986–1990

1991–1999

2000–2010

2011–2013

Die Auswertung der Kategorie Modalität gibt weiteren Aufschluss darüber, ob niedrige Agentivität geschlechtstypisierend verteilt ist. In den Schulbüchern ist die Agentivität von Verben, meist Handlungsverben, häufig durch Konstruktionen mit objektiv gebrauchten Modalverben abgeschwächt. Eine Tätigkeit ist keine faktische, sondern wird durch die Hinzufügung eines Modalverbs zu einer befohlenen, erlaubten, beabsichtigten Tätigkeit. Die Freiwilligkeitsgrade bzw. die Beschränkungen an Freiwilligkeit sind dabei unterschiedlich auf die Ge-

Auswertung der Propositionsebene | 299

schlechter verteilt und variieren zudem nach Zeitabschnitten: So weisen männliche Figuren bis 1945 tendenziell häufiger hohe Freiwilligkeitsgrade auf, vereinen aber auch im Verhältnis höhere Anteile an Konstruktionen mit müssen auf sich. Die Extreme sind also männlich kodiert (s. die obige Tabelle 38). Um 1950 kehrt sich dies für Prädikationen mit wollen und möchten und damit für die höchsten Freiwilligkeitsgrade kurzfristig um. Im Unterschied dazu werden oder sind weibliche Figuren ab den 1980er Jahren bis in die 2000er deutlich häufiger als männliche Figuren auf eine Handlung verbindlich verpflichtet, zum Beispiel in Ich musste viele Bewerbungen schreiben (DK-13, 75). Subjektive Modalität wiederum, also Einschränkungen des Geltungsbereichs von Aussagen, die auf Stellungnahmen Dritter oder in fiktiven Dialogen auf die/den SprecherIn zurückgehen, ist bzw. sind nicht auffällig auf die Schulbücher verteilt, nimmt man die Geschlechtsreferenz des Aussagegegenstands als differenzierende Variable.

4.2.6 Ergänzende Auswertung der relationierten Einheiten Die relationierten Einheiten lohnen noch einmal eine die propositionale Analyse abschließende Betrachtung. Bereits in vorherigen Auswertungen der Prädikationen wurden relationierte Einheiten für vertiefende Analysen einbezogen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Besessenem (s. Kap. 4.2.3d). Unter diesem Gliederungspunkt sollen nun weitere Relationierungen betrachtet werden, die sich über die bereits besprochenen Relationierungen hinaus sowie unabhängig von den Prädikationen, in denen sie stehen, in ihrer Verteilung auf die Geschlechter als auffällig erwiesen. Zu nennen sind die Cluster Sport, Körperlichkeit und Elektrotechnik. a) Sport Den Bereich Sport dominieren im Schulbuch männliche Figuren. Über von Jungen und Männern ausgeübte sportliche Aktivitäten hinaus zeigt sich diese Dominanz auch auf Ebene der relationierten Einheiten, wie der Abbildung 47 zu entnehmen ist. Jungen benennen beispielsweise häufiger ihre Vorlieben für bestimmte Sportarten. Das Spektrum an Sportarten, mit denen mPRF relationiert sind, ist außerdem größer – es reicht von Wandern über Klettern, Fußball, Basketball, Wettlauf bis hin zu Eishockey und Skispringen (vgl. z. B. WdZ-B-78, 11; MSB-N-69, 78; VG-E-96, 64; ML-07, 96; MSB-B-77, 83; LS-B-05, 194; SW-B-86, 125). Mädchen und Frauen erlangen erst nach und nach Zugang zu vielen, bei weitem aber nicht allen Sportarten, mit denen männliche Figuren relationiert

300 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

sind oder welche diese ausüben. Skateboarding allerdings wird in den zeitgenössischen Schulbüchern zum beliebten Sport von Mädchen wie Jungen (vgl. VG-B-94, 12; VG-F-05, 16), Wettlaufen in den 2010er Jahren gar zu einer weiblichen Domäne (vgl. v. a. LS-B-05); Basketball oder Eishockey hingegen bleiben männlich besetzt. Ebenfalls auffällig ist, dass Jungen Sport überwiegend als Mannschaftssportart im Team oder zusammen mit einem Freund ausüben, beispielsweise eine Radtour unternehmen (so u. a. in WdZ-B-86, 95; TM-B-03, 41; M-B-11, 99).

Abb. 47: Anteile von Sport-Relationierungen an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts

Das Cluster Sport gewinnt über die Jahrzehnte an Umfang. Gerade in den 1970er Jahren greifen VerfasserInnen zunehmend auf Sport als Rahmensituation zurück und wird beispielsweise der Reitsport als Freizeitbeschäftigung ins Schulbuch aufgenommen. Die Bücher der 1990er Jahre scheinen um eine paritätische Verteilung des Hobbys Reiten bemüht. So kommt in einem Buch vor: Sie hat zum Geburtstag Reitstunden gekriegt (VG-E-96, 5), in einem anderen wiederum: Björn kostet eine Reitstunde […] (LS-N-94, 177). In den 2000er Jahren allerdings wird das Hobby Reiten exklusiv von Mädchen betrieben (vgl. F-04, 73; LS-N-07, 123). Fußball drängt verstärkt in den 1970er Jahren in die Schulbücher, vor allem in Mathematikbücher. Zunächst werden nur Jungen als Fußballspieler inszeniert. In den 2000er Jahren dann kommen vermehrt Spielerinnen hinzu, die bereits in Sprachbüchern der 1980er Jahren vorkommen (vgl. fürs Deutschbuch: MiSp-86; KBD-B-10; ML-S-12; für das Mathematikbuch: LS-N-94; D-B-05; DN-B09). Weitaus häufiger aber bleibt diese Sportart von männlichen Schulbuchfigu-

Auswertung der Propositionsebene | 301

ren betrieben; Fußball-Relationierungen tragen auch wieder in den jüngsten Schulbüchern zum Anstieg der Sport-Relationierungen unter den Prädikationen über männliche Figuren bei (s. weiterhin Abbildung 47). Die männliche Kodierung von Fußball sowie von Sport insgesamt zeigt sich im Übrigen auch in anderer Hinsicht als auf Ebene der relationierten Einheiten oder Prädikationen. Reale Sportler sind beispielsweise dadurch besonders prominent im Schulbuch vertreten, dass ganze Mannschaften, zum Beispiel Männerfußballmannschaften nach Spielern im Mathematikbuch aufgelistet vorkommen (vgl. LS-B-05, 131). So viel Raum wird nur dem Männersport eingeräumt. Auch über den Fußball hinaus sind (realer) sportlicher Erfolg tendenziell enger mit dem Konzept MANN als mit dem Konzept FRAU verbunden (s. bereits Kap. 4.2.4). Zu einem ähnlichen Befund kommt Bittner (2012, 40; 45) in ihrer Analyse zeitgenössischer Englischbücher. b) Körperlichkeit En passant und ganz direkt werden Figuren im Schulbuch in Bezug auf ihre Körperlichkeit beschrieben. Qualifizierungen des körperlichen Erscheinungsbildes haben sich in den bisherigen Auswertungen bis in die 1980er Jahre als charakteristischer für das Sprechen über weibliche Personen als über männliche erwiesen (s. bereits Kap. 4.2.4). Die Auswertung der sonstig mit den Schulbuchfiguren relationierten Einheiten erweitert diesen Befund und ergibt einen tendenziellen Zusammenhang auch in neueren Schulbüchern (s. Tabelle 39). Demnach wird das Aussehen von Personen häufiger am Beispiel von Frauen und Mädchen thematisiert denn von Männern und Jungen. In weiterer Hinsicht werden Frauen und Mädchen beinahe exklusiv in Bezug auf ihren Körper charakterisiert: So machen Maria und Sieglinde eine Abmagerungskur (LS-B-86, 30) oder holt sich eine Frau ein figurenfreundliches Dirndlkleid aus dem Schrank und kocht magenfreundlichen Kaffee (MiSp-86, 79). Nur in den 1990er Jahren ist ein Beispiel zu finden, das diesen Zusammenhang schwächt, wenn nämlich die männliche Figur Michael eine Pilz-Diät ausprobiert (LS-N-94, 74). Dieser Beleg stammt sogar aus dem gleichen Lehrwerk, wenn auch aus einer anderen Länderausgabe als jenes Beispiel zu Maria und Sieglinde von 1986, und mag im Sinn eines undoing gender als struktureller Ersatz von ebendiesem gedacht sein.

302 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Tab. 39: Anteile von Aussehen-Relationierungen an allen Prädikationen mit wPRF bzw. mPRF (eind. vs. inkl. uneind.) eines Zeitabschnitts w-Aussehen

m-Aussehen (nur eind. m)

m-Aussehen (inkl. uneind. m)

Kaiserzeit

0,00%

0,21%

0,08%

Weimarer Republik

0,34%

0,27%

0,17%

NS-Zeit

1,98%

0,00%

0,00%

Nachkriegszeit

0,00%

0,00%

0,00%

Ära Adenauer

0,00%

0,00%

0,09%

1963–1972

0,00%

0,12%

0,09%

1973–1981

0,00%

0,87%

0,73%

1982–1985

0,00%

0,00%

0,00%

1986–1990

0,89%

0,00%

0,00%

1991–1999

0,00%

0,00%

0,00%

2000–2010

0,10%

0,00%

0,00%

2011–2013

0,66%

0,00%

0,00%

Diese bisherigen Auswertungen zum Cluster Körperlichkeit beruhen auf wenigen, aber im Vergleich zu sonstigen Relationierungen und Prädikationen als auffällig einzustufenden Belegen. Der qualitative Zugriff soll abschließend um eine weitere Auswertung der Relationierungen im Cluster Körperlichkeit ergänzt werden, welche sich wieder stärker an Vorkommenshäufigkeiten orientiert. Kleidungsstücke bilden dabei die größte Gruppe an relationierten Einheiten im Cluster. Kleidung spielt bereits früh eine vergleichsweise wichtige Rolle in Prädikationen über weibliche Personen. Mit Ausnahme der 1970er und 1990er Jahre erweisen sich Relationierungen mit Kleidung zudem als charakteristischer für das Sprechen über Frauen und Mädchen als über männliche Personen (s. die Gesamtwerte zu den jeweiligen Zeitabschnitten in den nachfolgenden Abbildungen 48 und 49).334

|| 334 In beiden Abbildungen können die auffälligen Werte der Nachkriegsjahre und der 1982 bis 1985er Jahre durch die geringe Stichprobengröße erklärt werden.

Auswertung der Propositionsebene | 303

Abb. 48: Anteile von Kleidung-Relationierungen an allen Prädikationen mit wPRF eines Zeitabschnitts

Abb. 49: Anteile von Kleidung-Relationierungen an allen Prädikationen mit eind. mPRF eines Zeitabschnitts

Das Herstellen von Kleidungsstücken für Familienmitglieder durch Frauen macht bis in die 1950er Jahre die hohen Anteile unter Prädikationen über weib-

304 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

liche Personen aus (s. auch 4.2.3b). Den Abbildungen ist zu entnehmen, dass einige Kleidungsstücke und Accessoires geschlechtstypisierend verteilt sind. Es überrascht nicht allzu sehr, dass Taschen und Kleider eher bis hin zu exklusiv charakteristisch für weibliche Personen sind und Anzüge ausschließlich zusammen mit männlichen Figuren genannt werden. Erstaunlich aber ist, dass das Accessoire sowie der Wertgegenstand Uhr, in der Vergangenheit auch Schuhe, häufiger mit PRF männlicher Referenz relationiert sind. Hosen werden zudem erst in den 1980er Jahren im Zusammenhang mit Frauen und Mädchen erwähnt; sie werden seither von ihnen getragen, eingekauft oder auch verkauft (vgl. DK-13, 212; DR-B-86, 80; M-B-11, 109). In der Gesamtschau aber erweist sich das Subcluster Kleidung als weiblich kodiert. c) Elektrotechnik Unter dem Cluster Elektrotechnik sind technische Geräte zusammengefasst, die mit weiblichen und männlichen Figuren relationiert vorkommen, zum Beispiel als deren Wunschobjekt (z. B. er liebäugelt mit einer Anlage [= Stereoanlage] ML07, 20). Im Cluster häufig vertreten sind Fernseher, Computer, Stereo- und HiFi-Anlagen sowie portable Musikabspielgeräte, wie Kassettenrekorder, CD- oder mp3-Player, und zunehmend auch das Mobiltelefon. In der Abbildung 50 sind Vorkommen solcher relationierten Einheiten nachzuvollziehen.335 Die Anteile sind in dieser Grafik nicht normiert und Anteile an Relationierungen mit weiblichen Figuren (w) und an Relationierungen mit männlichen Figuren (m) somit nur bedingt miteinander vergleichbar. Seit den 1990er Jahren aber ist ein direkter Vergleich möglich, da seither die Anzahl an Prädikationen mit wPRF bzw. Referentinnen als Aussagegegenstand und von Prädikationen mit mPRF bzw. Referenten als Aussagegegenstand annähernd gleich ausfallen. Aus der Auswertung geht hervor, dass ein vergleichsweise teures Gerät, wie der Fernseher, früh mit Frauen relationiert vorkommt, sogar von einer Frau angeschafft wird (vgl. BVR-65, 46). In neueren Schulbüchern sind Computer und Computerzubehör häufiger gewordene Relationierungen. Sie kommen dabei überwiegend in Prädikationen über männliche Figuren vor, gerade in den neuesten Schulbüchern. Frauen bzw. vor allem Mädchen haben im Vergleich häufiger Handys und SMS zum Gegenstand der Auseinandersetzung, zum Beispiel in Ohne [Handy] gehe ich nicht aus dem Haus (DB-B-13, 107). Elektronisch || 335 Die Anteile (y-Achse) sind in absoluten Zahlen angegeben. Will man den Anteil der relationierten Einheiten ermitteln, die mit mPRF, ungeachtet eindeutiger oder sehr wahrscheinlicher männlicher Geschlechtsreferenz, zusammen vorkommen, so sind die Anteile m (eind.) und m (uneind.) zu addieren.

Auswertung der Textebene | 305

gestützte Kommunikation trägt somit eher eine weibliche Kodierung, Affinität zum Computer eine deutlichere männliche.

Abb. 50: Anteile von Elektrotechnik-Relationierungen in absoluten Zahlen pro Zeitabschnitt

Im Zusammenhang mit Besitzrelationen wurden bereits technische Haushaltsgeräte angesprochen (s. Kap. 4.2.3d). Wie ebenfalls aus der Abbildung hervorgeht, sind diese nicht allein oder ausschließlich mit weiblichen Personen relationiert. Bei der genaueren Betrachtung ergibt sich allerdings ein tendenzieller Verteilungsunterschied. So sind kostenintensive Gerätschaften, wie Kühlschränke, enger mit Männlichkeit als mit Weiblichkeit verbunden. In ihrem Wert etwas günstigere Geräte – wie zum Beispiel die Küchenmaschine – liegen hingegen sowohl in der Anschaffung als auch der Nutzung im Verfügungsbereich der weiblichen Schulbuchfiguren.

4.3 Auswertung der Textebene Neben den systematisch erhobenen Ebenen Wort und Proposition zeigen sich auch auf übergeordneter Ebene Auffälligkeiten. Natürlich haben auch bisherige Auswertungen bereits die Ebene Text betroffen. Denn sobald Schulbücher auf die Verteilung einer Untersuchungsvariable miteinander verglichen werden, bewegt sich die Auswertung auf der Textebene. Methodologisch aber hat dieses Kapitel einen anderen Status inne als Kapitel 4.1 und 4.2, weil die hier behan-

306 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

delten Auffälligkeiten nicht über das Kategorienschema ermittelt wurden, sondern in Form einer die Datenerhebung begleitenden Dokumentation (s. auch Kap. 3.3.1). Die im Folgenden näher zu betrachtenden Auffälligkeiten betreffen die textliche Raumsymbolik und Text-Bild-Beziehungen. Zu ihnen zählen außerdem explizite Behandlungen der Geschlechterthematik.

4.3.1 Raumsymbolik Schulbücher vermitteln eine Raumsymbolik, die unterschiedliche Dimensionen umfasst. Zum einen werden textintern Räume geschaffen, in denen Schulbuchfiguren auftreten. Diese wiederum lassen sich als konkrete Orte (z. B. ein Haus) fassen, an denen eine Rahmenhandlung spielt oder auf die eine Rahmenhandlung textintern Bezug nimmt. Sie können auch abstrakter als Räume, in denen Interaktion stattfindet, gefasst werden. In letzterem Sinn sind diese Räume in älteren Rechen-/Mathematik- und Sprachbüchern geschlechtsdifferent vergeben: Mädchen und Jungen gestalten ihre Freizeit getrennt, Gruppen bestehend aus Freunden als auch Freundinnen tauchen nicht auf. Der interaktionale Raum von Jungen und Mädchen überschneidet sich nur dann, wenn unter den Personen ein Verwandtschaftsverhältnis besteht, vor allem wenn es sich um Geschwister handelt. Ebenfalls differiert, was in diesen Räumen zu tun möglich ist. So werden in Schulbüchern Mädchen gezeigt, die der Mutter beim Kochen und Backen helfen (vgl. z. B. LeSp-71) oder Modemagazinen durchblättern (vgl. MSB-N-76, 56). In den 1980er Jahren dann werden diese geschlechtsdifferenten Interaktionsräume von Kindern und Jugendlichen zunehmend aufgebrochen. Die Trennung in verschiedene Räume verläuft allerdings nicht nur oder nicht vor allem entlang der Variable Geschlecht, sondern immer auch entlang der Variable Alter, ab den 1980ern auch manchmal entlang der Variable Herkunft.336 In den 1970ern gehen Aufgabenstellungen, Beispielsätze oder Bezugstexte mit weiblichen Figuren über das bis dato Typische hinaus: Es kommen Rahmensituationen vor, in denen weibliche Heranwachsende auch unabhängig von häuslichen Zusammenhängen, die sie zuvor mit den weiblichen Erwachsenen teilten, auftreten. Die Interaktionsräume und konkreten Orte, in bzw. an denen Mädchen vorkommen, unterscheiden sich dabei häufig stärker von denen der Erwachsenen als von jenen der Jungen. || 336 So wird im Sprachbuch Sprachwege von 1986 das Thema Migration sowie deutsche und türkische Esskulturen am Beispiel zweier Mädchenfiguren behandelt (vgl. SW-87, 77).

Auswertung der Textebene | 307

Neben den textintern eröffneten Interaktionsräumen ist zum anderen der Textkörper zu nennen, welcher raumsymbolisch an der Konstruktion von Geschlechtervorstellungen mitwirkt. Dies geschieht in Form einer räumlich-materiellen Sonderstatuierung eines als weiblich ausgewiesenen Zuständigkeitsbereichs: In den 1950er Jahren kommt der Aufgabenensemble-Typ ‚Aufgaben für Mädchen‘ ins Rechenbuch; die Ensembles sind beispielsweise mit Das interessiert besonders die Mädchen (BVR-57, 66) oder Für Mädchen (WR-51, 45; 54f.) übertitelt. Darunter werden dann zu einem Stoffgebiet passende Aufgaben aufgeführt, die als Rahmensituationen Handarbeiten (Häkeln, Stricken in BVR-51 und BVR-57), Boden- oder Möbelerneuerung (WR-57) oder Aufgaben rund um Textilstoffe (WR-64, 78) nutzen. Diese Rahmensituationen haben sich bei der propositionalen Analyse als im Allgemeinen charakteristische Tätigkeits- und Gegenstandsbereiche weiblicher im Unterschied zu denen männlicher Personen ergeben (s. v. a. Kap. 4.2.3b). In diesen Aufgaben sind stets weibliche Personen AkteurInnen. Das nordrhein-westfälische Rechenwerk Welt der Zahl (WdZ-A-51) sprengt allerdings das übliche Situationsrepertoire des Ensemble-Typs: In diesem Buch sollen Handlungsträgerinnen in einem solchen Kapitel auch Werkskizzen anfertigen und damit eine Tätigkeit aus dem Handwerk oder der Konstruktionstechnik ausüben. Die Absonderung dieser Rahmensituationen von anderen Aufgaben hat auch raumsymbolische Implikationen: Die weiblich kodierten Aufgabenbereiche und Tätigkeiten bekommen im Schulbuch einen klar umrissenen, wenig dimensionalen, weil inhaltlich wenig variantenreichen Raum zugewiesen, der das Private als Gestaltungsbereich und das Haus als Handlungs- und Aufenthaltsraum für Frauen/Mädchen entwirft. Die Überschriften des Typs ‚Aufgaben für Mädchen‘ deklarieren, dass sich allein die Schülerinnen mit diesem Raum identifizieren (sollen), der gleichzeitig von anderen möglichen Identifikationsräumen abgegrenzt wird. Da in keinem Schulbuch ein entsprechendes ‚JungenAufgaben‘-Kapitel existiert, eröffnet die spezifische Ausweisung einiger Aufgaben als ‚Mädchen-Aufgaben‘ – wird die Deutung ausgehend von der kulturgeschichtlich dominanten Perspektive eines Zwei-Geschlechter-Modells vorgenommen – die Lesart, dass alle anderen Aufgaben und damit alle anderen Möglichkeitsräume männlich kodiert sind. Dass diese Trennung aber tatsächlich nur einseitig337 errichtet wird und Mädchen anscheinend alle Aufgaben

|| 337 Zweiseitig wäre sie, wenn die Aufgabengruppe a dezidiert nur für Mädchen und die Aufgabengruppe b dezidiert nur für Jungen vorgesehen wäre und es nicht vorgesehen ist, dass Mädchen b-Aufgaben rechnen, wie es entsprechend auch nicht vorgesehen wäre, dass Jungen a-Aufgaben rechnen.

308 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

rechnen können und Jungen alle mit Ausnahme der Mädchen-Aufgaben rechnen sollen, wird textimmanent angezeigt: So werden die unter der Überschrift Das interessiert besonders die Mädchen versammelten Aufgaben als Interessensbereich der Mädchen ausgewiesen, der sich von dem der Jungen unterscheiden soll. Es wird zugleich durch den Zusatz besonders angedeutet, dass alle anderen Aufgabenstellungen sowohl für Mädchen als auch für Jungen von Interesse sind und nur die folgenden nun besonders für eine der beiden Gruppen, nämlich die Mädchen. Zudem lässt es die geringe Anzahl der ‚MädchenAufgaben‘ unwahrscheinlich erscheinen, dass ausschließlich diese von Mädchen zu bearbeiten waren. Ende der 1960er Jahre verschwindet die Sonderausweisung eines spezifisch weiblichen Gestaltungsraums wieder (vgl. die Folgeausgabe zu WdZ-A-51: WdZ-N-68).

4.3.2 Text-Bild-Beziehungen a) Figürliche Abbildungen von Personen PRF, wie Personen, die konventionell geschlechtsübergreifend referieren, sind immer wieder Illustrationen beigegeben, die ausschließlich männliche Personen figürlich darstellen. Die Abbildung 51 zeigt ein Beispiel aus den 1960er Jahren, sie visualisiert die Verteilung der Beschäftigten auf die verschiedenen Zweige. Alle Figuren dieser Abbildung weisen eine Männlichkeit aufrufende Statur und Kleidung auf:338 Mit gerade geschnittenen Kleidungsstücken und Kurzhaarfrisuren sind als RepräsentantInnen der verschiedenen Industriezweige jeweils nur männliche Personen abgebildet. Ein sehr ähnliches Abbildungsbeispiel steht in Unser Rechenbuch für Nordrhein-Westfalen (vgl. UR-N-63, 119). Während die Erwerbstätigen dort im Titel zur Illustration mit der Neutralform Beschäftigte bezeichnet werden und in den beigegebenen Zahlentabellen auf Sprachebene in weibliche und männliche Beschäftigte unterschieden wird, sind in der Illustration für jeden Berufszweig wieder allein Männer als RepräsentantInnen gewählt. Der weibliche Mensch, der im Schulbuch in der Regel mit Rock oder Kleid und opulenter Frisur dargestellt ist, hat diesen Repräsentationsanspruch hingegen nicht.

|| 338 Der Zeichner unterscheidet in seinen Schulbuchillustrationen im Rückgriff auf geschlechtstypisierende äußerliche Merkmale klar zwischen weiblichen und männlichen Figuren. Die intuitive Kategorisierung als ‚männliche‘ Statur und Kleidung wird durch diese geschlechtstypisierenden Zeichentraditionen bestätigt.

Auswertung der Textebene | 309

Abb. 51: Darstellung erwerbstätiger Personen 1 (WR-64, 63)

Different fällt da eine beigegebene Illustration aus dem Bagel-Rechenbuch aus. In einer Aufgabenstellung ist nach dem Anteil der weiblichen im Unterschied zum Anteil der männlichen Beschäftigten in der Landwirtschaft gefragt (s. Abbildung 52).

Abb. 52: Darstellung erwerbstätiger Personen 2 (BR-68, 88)

310 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Frauen und Männer werden in diesem Beispielbeleg unterschiedlich abgebildet. Frauen tragen ein knielanges Kleid, Männer Hemd und Hosen(-anzug) bzw. einen Overall. Frauen haben außerdem im Vergleich zu den Männerabbildungen längere Haare und sind kleiner. Auch Aufgaben, die eine Gruppe von Menschen (z. B. alle Wahlberechtigten der Bundesrepublik) nach anderen Variablen als nach der Variable Geschlecht in Teilgruppen unterscheiden (z. B. nach Bundesländern), stehen figürliche Abbildungen anbei, die in den Schulbüchern traditionell für die Darstellung männlicher Personen(-gruppen) üblich sind. Beispiele für ein entsprechendes Vorgehen sind noch in zeitgenössischen Schulbüchern zahlreich (z. B. ML-B-12, 66). Neutralformen mit konventionell geschlechtsübergreifender Referenz, wie Beschäftigte, werden unmittelbar in Bezug zu personalen Darstellungen von Personen gesetzt, die aufgrund der gewählten Darstellungsmittel als Männer kategorisiert werden können. Für diese Darstellungen gilt: Der Standardmensch scheint ein Mann zu sein. Solche Text-Bild-Beziehungen werfen die Frage auf, ob die PRF doch eher geschlechtsspezifizierend männlich als geschlechtsübergreifend referiert. Über die Abbildung werden dann konventionell geschlechtsübergreifend gebrauchte PRF geschlechtsreferentiell ambiguiert. b) Grenzüberschreitungen Traditionell unterschiedliche bildliche Darstellungsweisen für Frauen/Mädchen und Männer/Jungen erweisen sich in mancher Hinsicht als veränderbar. Zur Darstellung von SchülerInnen werden ab den 1970er Jahren Abbildungen, bevorzugt Fotografien, genutzt, die sich einer geschlechtstypisierenden Bildsprache verweigern. Haare und Kleidung sind soziale Attribute, mit denen Geschlechtstypisierungen durchbrochen werden. Dies geschieht in den untersuchten Schulbüchern zum Beispiel dadurch, dass eine Figur, die im Schulbuchtext mit einem konventionell für Jungen gebrauchten Namen benannt ist, in der beigegebenen Darstellung schulterlange Haare hat (vgl. VG-N-84, 19). Lange Haare bei Jungen stehen der traditionellen Kurzhaarfrisur gegenüber – traditionell sowohl hinsichtlich der Zeichentradition im Schulbuch als auch der geschlechtstypischen kulturellen Kodierung, die mit dem sozialen Attribut im Untersuchungszeitraum verbunden ist.339 Insgesamt verzichten neu konzipierte oder überarbeitete Schulbücher der 1980er und 1990er Jahre auf geschlechtstypisierende Attribute bei der Darstel-

|| 339 Zu geschlechtsspezifischen Kodierungen von Kleidung und Styling vgl. Faulstich-Wieland (2000, 11f.) und König (2006).

Auswertung der Textebene | 311

lung von SchülerInnen. Die Abbildung 53 ist ein einschlägiges Beispiel. Dass es sich links um einen Jungen, Stefan, und rechts um ein Mädchen, Pia, handeln soll, geht nicht oder nicht unmittelbar aus der Darstellung hervor. In den Folgejahren aber tendieren Schulbücher wieder zu traditionelleren geschlechtstypisierenden Darstellungen (vgl. auch Bittner 2012, 77f.; zu weiteren Vorkommen androgyner Darstellungen in Schulbüchern vgl. Bal 2011).

Abb. 53: Undoing gender im Bild (MA-B-97, 102)

4.3.3 Thematisierungen von Geschlechterstereotypie Im Normalfall verbleibt die Geschlechterthematik im Subtext der untersuchten Schulbücher. Im Zusammenhang mit dem Thema Berufswahl aber wird in Sprachbüchern ab den 1980er Jahren geschlechtsatypische Berufswahl behandelt. In Hauptschul- und Mittelschulbüchern für das Fach Deutsch gilt dies in besonderem Maß, weil Haupt- und Mittelschulen früher als andere Schularten

312 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

auf das Berufsleben vorbereiten. Das Sprachwege-Sprachbuch (SW-87, 16) fragt beispielsweise im fiktiven Interview, ob der SchreinerInnenberuf auch etwas für Mädchen ist, was im Verweis auf Vorreiterinnen bejaht wird (vgl. ebenfalls MeW-97; MeW-04). Sehr ausführlich widmet sich das jüngere Sprachbuch Doppel-Klick (DK-13) Berufswünschen von Mädchen wie auch Jungen, die als geschlechtsatypisch gelten können: Jungen möchten hier Erzieher werden; ferner wird die Maßnahme Girls’ Day vorgestellt. Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit stereotypen Lebensentwürfen leitet Mit eigenen Worten (MeW-97) an. Konkret geschieht das unter anderem am Beispiel eines Mädchens, das sich wünscht, rasch einen netten, reichen Mann zu finden und Mutter zu werden. Auch unabhängig vom Thema Berufswahl wird Geschlechterstereotypie behandelt und werden Diskussionen zu geschlechtstypischer Aufgabenverteilung geführt. Ein Sprachbuch lässt im fiktiven SchülerInnengespräch die Frage diskutieren, ob Jungen am Wahlunterricht Kochen teilnehmen sollen. Die an der Diskussion beteiligten Figuren verhandeln aktiv, ob dies unterstützenswert oder eher abzulehnen sei (VG-N-84, 26): – Unterstützenswert: Mein Vater kann prima kochen, und ich [m] möchte auch noch was dazulernen; ich [m] melde mich zum Kochunterricht an. Da lernt man wenigstens mal was anderes in der Schule – Abzulehnen: Für Gleichberechtigung bin ich auch, aber […]; Die Mädchen können das [= Kochen] einfach besser, und die Jungen können besser basteln; Kochen ist Frauensache; Männer, die kochen, sind keine richtigen Männer Geschlechterstereotype werden hier zunächst aufgerufen und bereits im fiktiven Gespräch problematisiert. Die SchülerInnen sollen dann am Text Argumentationen überprüfen. Eine Ausgabe der gleichen Reihe fragt, was die Klasse über Skateboard fahrende Mädchen denkt (vgl. VG-B-94, 12). Eine ähnliche Diskussion wie die um den Wahlunterricht Kochen wird in einem weiteren fiktiven SchülerInnengespräch am Thema Pizzaverkauf am Schulfest entfaltet: Michael: […] Die [= Pizza] machen dann aber die Mädchen. Backen ist Frauensache! – Kathrin: Quatsch! Typisch Junge! Ihr drückt euch doch immer, wenn es etwas zu tun gibt! Nur Sport und Computerspiele im Kopf! –

Veränderungen in Abhängigkeit von AutorInnen, Ländern und Reihen | 313

Michael: Und ihr Mädchen? Ihr steht doch am liebsten vor dem Spiegel, ohne Spiegel wärt ihr doch völlig hilflos! (VG-B-94, 15)

Manche Schulbuchreihen, aber keineswegs alle, verzichten auf geschlechtstypisierende Zuordnungen. Ganz selbstverständlich spielen Mädchen und Jungen Fußball, ob zusammen oder jeweils für sich. In der Folgeausgabe jenes Schulbuchs, in dem das Skateboard angesprochen wird, gilt es nicht mehr als Sonderfall, dass ein Mädchen skatet; die Thematisierung des normabweichenden Verhaltens wird ersetzt durch die Rahmung, dass sich Jungen und Mädchen gemeinsam für einen Skatepark einsetzen (vgl. VG-F-05, 16).340

4.4 Veränderungen in Abhängigkeit von AutorInnen, Ländern und Reihen Unter diesem Gliederungspunkt wird der Blick noch einmal auf paratextuelle Eigenschaften der Schulbücher gerichtet. Einige dieser paratextuellen Eigenschaften bildeten als Meta-Daten bereits Hilfskategorien für die Datenauswertung in den vorausgehenden Kapiteln, so die Reihe und das Bundesland oder die Region, in der die untersuchten Schulbücher erschienen sind. Nun wird ausgehend von der Dokumentation, welche die Datenerhebung begleitete, kursorisch vorgestellt, ob sich Zusammenhänge zwischen der Schulbuchsprache und der Reihen- oder regionalen Zuordnung von Schulbüchern und darüber hinaus auch der Zusammensetzung des AutorInnenteams ermitteln lassen. In letztem Fall basiert diese Auswertung auf einer quantitativen Gegenüberstellung von Autorinnen und Autoren, in den anderen beiden Fällen erfolgt die Betrachtung anhand ausgewählter Beispiele.

4.4.1 Zusammensetzung der AutorInnenteams Traditionell werden Schulbücher von Männern geschrieben, erst in den 1960er Jahren verändert sich die Zusammensetzung der AutorInnenteams. Soweit die

|| 340 Da beide Sportarten in früheren Schulbüchern als Jungensportart profiliert wurden, handelt es sich bei diesen Beispielen um undoing gender als Androgynisierung: Mädchen übernehmen vormals geschlechtstypisch männliche Hobbys und werden insofern androgyner in ihrem Verhalten (s. zu Androgynisierung bereits Kap. 4.1.2a unter Prosodisch-phonologische Analyse, s. ferner ausführlich Kap. 6.1.1d).

314 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

bibliographischen Angaben der Schulbücher dies offenlegen, sind Frauen bis dato höchstens als Illustratorinnen (z. B. bei WR-51) an der Produktion von Schulbüchern beteiligt. Ab den 1960er Jahren kommen Frauen ab und an unter den AutorInnen vor, sowohl in den Rechen-/Mathematikbüchern als auch in den Sprachbüchern (s. Abbildung 54). Bis um die Jahrtausendwende sind Frauen weiterhin selten unter den AutorInnen eines Schulbuchs vertreten. Seither hat ihr Anteil an den Teams vor allem im Fach Deutsch deutlich zugenommen. Auch als Herausgeberinnen sind sie inzwischen häufiger in die Schulbucharbeit involviert.

Abb. 54: Zusammensetzung der AutorInnenteams, nach Fächern

Zwischen dem Anteil an AutorInnen eines Schulbuchs und den Schulbuchinhalten in Bezug auf den Umgang mit Geschlecht ist ein höchstens loser Zusammenhang zu ermitteln. Er besteht insofern, als Schulbücher, die hinsichtlich ihrer Geschlechtersensibilität341 besonders hervorstechen, einen verhältnismäßig hohen Frauenanteil im AutorInnenteam aufweisen, jeweils gemessen am Frauenanteil des Zeitabschnitts, in dem das Schulbuch entstanden ist. Für diese besonders geschlechtersensiblen Schulbücher sind die Zusammensetzungen der AutorInnenteams in der Tabelle 40 aufgeschlüsselt.

|| 341 Wie unter 1.2.1b ausgeführt, wird hierunter ein Umgang mit Geschlecht verstanden, der am Gleichberechtigungsgrundsatz und im Besonderen am Gleichheitsgebot von Frau und Mann orientiert ist.

Veränderungen in Abhängigkeit von AutorInnen, Ländern und Reihen | 315

Tab. 40: Zusammensetzung der AutorInnenteams, ausgewählte Titel Autorinnen

Autoren

DK-13 (Deutsch)

67%

33%

ML-07 (Mathematik)

50%

50%

SW-87 (Deutsch)

33%

67%

BVR-65 (Rechnen)

20%

80%

Diese Schulbücher stechen hervor, weil sie beispielsweise sowohl männliche wie weibliche Figuren in vielfältigen Tätigkeitsbereichen zeigen, weil sie die Abfolgen in gemischt-geschlechtsübergreifenden kkP variieren oder geschlechtersensible Sprache im engeren Sinn gebrauchen. Mehr Autorinnen im Team bringen aber per se keine geschlechtersensibleren Schulbücher hervor; das Sprachbuch MSB-N-69 beispielsweise greift auf Stereotype zur Einkleidung seiner grammatischen Beispielsätze zurück (der politisch interessierte Vater, die unpolitische Mutter; zur Einordnung als Stereotyp vgl. Westle 2009), obwohl zum AutorInnenteam von insgesamt zehn Personen eine Herausgeberin und eine Bearbeiterin zählen. Im Gegenzug kann mit einem durchschnittlichen Anteil an Autorinnen auch ein überdurchschnittlich geschlechtersensibles Schulbuch entstehen (vgl. z. B. D-B-05 und DN-B-09). Diese Befunde deuten darauf hin, dass nicht die Quantität an Autorinnen ausschlaggebend ist, sondern eher der Sensibilisierungsgrad Einzelner – womöglich unabhängig von deren Frau- oder Mann-Sein.

4.4.2 Länderausgaben im Vergleich Ab Mitte der 1970er werden Schülerinnen zur KlassensprecherInnenwahl aufgestellt und Interessen oder Tätigkeitsbereiche von Mädchen, seltener von erwachsenen Frauen, genannt, die über die ihnen bisher zugewiesenen Interessen und Tätigkeiten hinausgehen. Dies wurde vor allem im Kapitel 4.2 herausgearbeitet. Doch auch in dieser Umbruchsphase fallen die Unterschiede zwischen Länderausgaben einer Reihe kaum ins Gewicht (vgl. ebenso Lindner/ Lukesch 1994, 156). Im Korpus befindliche Länderausgaben der gleichen Verlagsreihe sind einander auch nach 1970 sehr ähnlich. Die unterschiedlichen Zielmärkte machten wenigstens hinsichtlich der Frage, wie über Geschlechter gesprochen wird, keine wesentlich unterschiedlichen Ausgaben notwendig. So ist die Innovationsbereitschaft der nordrhein-westfälischen Neuausgabe der

316 | Ergebnisse der Schulbuchanalyse

Sprachbuchreihe Mein Sprachbuch von 1976 (MSB-N-76) auch in der 1977 erschienenen bayerischen Bearbeitung (MSB-B-77) erhalten. Das traditionell als konservativ geltende bayerische Zulassungsverfahren (s. auch Kap. 5.2.3) hat die SchulbuchautorInnen und -redakteurInnen nicht dazu veranlasst, Neuerungen im Sprechens über die Geschlechter der Grundausgabe zurückzunehmen. Im Fall einiger Rechenbücher des Bayerischen Schulbuchverlags und von Schulbüchern aus dem bayerischen C. C. Buchner Verlag war die Bayern-Ausgabe Grundlage für weitere Regionalausgaben. Der Vergleich dieser Ausgaben ergibt für die Bayern-Ausgabe von 1978 (SW-B-78) und die Ausgabe N (= inklusive Nordrhein-Westfalen) von 1980 (SW-N-80) ebenfalls kaum Unterschiede in den Schulbuchtexten. Modifikationen der Bayern- hin zur N-Ausgabe beschränken sich auf sprachlicher Ebene auf den Austausch einzelner Namen: Maxl und Franzl werden geändert in Klaus, Uwe oder Holger, und der oberdeutsche (e)lDiminutiv im Nachnamen Bastl macht einen Austausch des Namens gegen Bley nötig. Generisch gebrauchte Maskulina aber bleiben ohne Ausnahme in der NAusgabe erhalten. Auf Ebene der Bildsprache sind in der N-Ausgabe sogar mehr Illustrationen als unter Umständen problematisch einzustufen, als dies in der Bayern-Ausgabe der Fall ist. In der N-Ausgabe sind beispielsweise zwei sich im Ausverkauf um ein Kleidungsstück zankende Frauen zu finden (SW-N-80, 55; 106). Insgesamt vollziehen sich Veränderungen im Sprechen über Mädchen/ Frauen und Jungen/Männern eher langsam, und das unabhängig vom jeweiligen Zielmarkt. Doch ist das Zwischenfazit, dass der Zulassungsmarkt und damit länderspezifische Schulbuchteams und Zulassungsverfahren nicht wesentlich divergierende Ausgaben hervorbringen, nicht vorschnell dergestalt zu verallgemeinern, dass es gar keine länderspezifischen Unterschiede gäbe. Weitet man nämlich den Blick und vergleicht nicht nur verschiedene Ausgaben ein und derselben Reihe, sondern ganze Zeitabschnitte miteinander, so sind seit 1970 doch tendenzielle Länderunterschiede im Umgang mit der Differenzkategorie Geschlecht festzustellen. Nordrhein-westfälische Schulbücher erscheinen in der Gesamtschau etwas innovationsbereiter als bayerische. Schulbücher der 1980er Jahre für Nordrhein-Westfalen zeigen beispielsweise Jungen in Handlungen, die als geschlechtsatypisch gelten können, da sie zuvor ausschließlich von weiblichen Figuren ausgeübt wurden. Hierunter fallen Stricken und Backen (vgl. LSN-94, 191; SW-87, 118f.; s. auch Kap. 4.2.3b). Thematisierungen von Geschlechtervorstellungen finden sich zudem früher in nordrhein-westfälischen Sprachbüchern als in bayerischen (vgl. VG-N-84 und SW-87 in Kap. 4.3.3). Im Kapitel 4.1.5 wurde außerdem angemerkt, dass in NRW-Ausgaben sowohl früher als

Veränderungen in Abhängigkeit von AutorInnen, Ländern und Reihen | 317

auch häufiger Paarformen und somit im engeren Sinn geschlechtersensible Sprachgebräuche vorkommen.

4.4.3 Schulbuchtexte im Reihenvergleich In der gymnasialen Mathematikreihe Lambacher Schweizer für Bayern sind detailliertere Änderungen im Sprechen über die Geschlechter von der Ausgabe 1986 zur Ausgabe 1993 festzustellen. Maria und Sieglinde, die 1986 noch eine Abmagerungskur machen, ebenso wie Herr Hoffmann, der einen Bauplatz kauft, fallen in der Folgeausgabe heraus.342 Diese Tilgung kann natürlich viele Gründe haben – beispielsweise neue Layoutvorgaben für die Reihe, denen Aufgaben zum Opfer fielen – und sollte nicht automatisch als tatsächlich intentionaler Eingriff gewertet werden, geschlechtersensiblere Schulbücher zu schaffen (im Beispiel: keine Relevantsetzung von Körperidealen in Bezug auf weibliche Personen und keine überproportionale Präsenz kaufkräftiger männlicher Personen). Weitere Änderungen betreffen die Bezeichnung von Personen: Aus Dirks Vater, der über einen Kanister Sprit verfügt, wird 1993 Frau Mohn und aus Erich, Otto und Gerd werden in der sonst unveränderten Aufgabenstellung Erika, Anna und Jutta (vgl. LS-B-86 und LS-B-93). Auch das Sprachbuch Verstehen und Gestalten ändert einen Beispielsatz und zwar wird aus „Ohne zu zögern, lief sie auf ihn zu.“ (VG-B-94, 199; Hervorh. i. O.) von 1994 bald darauf „Ohne zu zögern(,) läuft er auf sie zu.“ (VG-B97, 199; Hervorh. i. O.). In der neueren Ausgabe ist nicht mehr eine männliche Person Ziel- und damit Orientierungspunkt sowie Grund der Aktivität der weiblichen Person. Die bayerische Hauptschulreihe Formel erfährt in all ihren Siebtklassausgaben von 1986 bis 2011 keine grundlegende Überarbeitung der Aufgabenformulierungen hin zu geschlechtersensibler Sprache; Paarformen beispielsweise gelangen nicht durch Überarbeitung bestehender Aufgaben, sondern durch die Aufnahme neuer Aufgaben ins Lehrwerk. Dieses Set an Aufgaben hat es fast unverändert von der Erstausgabe 1986 (F-86, 27) in die Ausgabe von 2011 (F-11, 29) geschafft:

|| 342 In der NRW-Ausgabe von 1994 allerdings bleibt die Diät-Aufgabe strukturell erhalten im Beleg Er probiert eine neue Pilz-Diät aus (LS-N-94, 74) mit nun männlich referierendem Agens (s. Kap. 4.2.6).

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Tab. 41: Veränderungen von Aufgaben einer Reihe über 25 Jahre Ausgabe 1986 4. Entnimm den Sachaufgaben die Daten, trage sie in einer Tabelle zusammen, berechne die fehlenden Größen und stelle zeichnerisch dar: a) Hans will sich ein Fahrrad für 360 DM kaufen. 45% der Kosten hat er bereits gespart. Wieviel muß er noch sparen? b) Bei der Klassensprecherwahl hat Thomas von 25 Stimmen 15 bekommen. Wieviel Prozent sind das? c) In einem Theater sind 20 Plätze nicht besetzt. Das sind 2% aller Plätze. d) Die bisherige Miete wird von 620 DM auf 651 DM erhöht. e) In einem Brutapparat sind 480 Eier. Aus 5% aller Eier sind keine Küken geschlüpft. Wie viele Küken sind ausgebrütet worden? f) Der Preis einer Geschirrspülmaschine wird um 240 DM herabgesetzt. Das sind 16 Prozent des ursprünglichen Preises. g) Daniela bekommt monatlich 20 DM Taschengeld. 5 DM spart sie. Wieviel Prozent kann sie ausgeben? h) Von 32 Aufgaben hat Rita 28 richtig gelöst. i) Helga kauft sich einen Cassettenrecorder für 118 DM und erhält einen Preisnachlaß von 16%. k) In einer 7. Klasse mit 32 Schülern sind 12 Mädchen. l) Petras Taschengeld von 40 DM wird ab ihrem 13. Geburtstag um 12,5% erhöht.

(F-86, 27) Ausgabe 2011 3 Was ist gegeben, was wird gesucht? Ordne die Begriffe Grundwert, Prozentsatz und Prozentwert zu. a) Hans will sich ein Fahrrad für 360 € kaufen. 45% der Kosten hat er bereits gespart. b) Bei der Klassensprecherwahl hat Thomas von 25 Stimmen 15 bekommen. Wieviel Prozent sind das? c) In einem Theater sind 20 Plätze nicht besetzt. Das sind 2% aller Plätze. d) Die bisherige Miete wird von 620 € auf 651 € erhöht. e) In einem Brutapparat waren 480 Eier. Aus 5% aller Eier sind keine Küken geschlüpft. Wie viele Küken sind ausgebrütet worden? f) Der Preis einer Geschirrspülmaschine wird um 240 € herabgesetzt. Das sind 16% des ursprünglichen Preises. g) Von 32 Aufgaben hat Rita 28 richtig gelöst. h) Jan kauft sich einen CD-Player für 118 € und erhält einen Preisnachlass von 16%. i) In einer 7. Klasse mit 32 Schülern sind 12 Mädchen. j) Petras Taschengeld von 40 € wird ab ihrem 13. Geburtstag um 12,5% erhöht.

(F-11, 29)

Zentrale Ergebnisse im Überblick | 319

Interessant hieran ist, dass sogar eine Aufgabenstellung mit einer weiblichen Hauptperson getilgt (Daniela bekommt […]) und in einer weiteren Aufgabe ein Frauen-/Mädchenname gegen einen Männer-/Jungennamen ausgetauscht wird (Helga kauft […] > Jan kauft […]). Die Entwicklung hin zu geschlechtersensibleren Schulbüchern verlief also keineswegs linear, wie auch folgendes Beispiel verdeutlicht: In die Formel-Ausgabe von 1997 wird eine Aufgabe mit Diäthalten als Rahmenthema aufgenommen, das am Beispiel einer Frau umgesetzt ist. Womöglich war intendiert, einen Anwendungsbezug für Rechenvorgänge aufzuzeigen, der sich mit den Interessen der Lernenden bestenfalls deckt.343 Dass die selbstverständliche Verbindung von Diät und Weiblichkeit bzw. der Einbezug eines solchen Themas ins Schulbuch auch potentiell problematisch ist, zumal Mädchen, aber auch Jungen mit der Pubertät ein kritisches Verhältnis zum Körper entwickeln, scheint von den an der Schulbucharbeit Beteiligten nicht so gesehen worden zu sein. Ein Befund aus einem Rechenbuch weist außerdem darauf hin, dass Änderungen hin zu Ausdrucksweisen, die als geschlechtersensibler gelten können, bereits deutlich vor Beginn der feministischen Sprachkritik vorgenommen wurden. Die Aufgabenstellung Frage deinen Vater, für welche Versicherungen er zahlt (WR-51, 27; Hervorh. CO) wird in der Folgeauflage von 1957 in gleichzeitiger Fokussierung auf die Feuerversicherung zu: Bei welcher [Feuerversicherung] sind deine Eltern versichert? (WR-57, 22; Hervorh. CO). Schon in den 1950er Jahren wird im Beispiel aus dem väterlichen Vertretungsanspruch für Versicherungsfragen ein elterlicher.

4.5 Zentrale Ergebnisse im Überblick Der differenzierte Blick auf die Sprache der Schulbücher hat gezeigt, welche Mittel gebräuchlich sind, um über Personen zu sprechen und Geschlechterkategorisierungen vorzunehmen, dies auch im Unterschied zu Gebrauchskonventionen des Deutschen. Dieses resümierende Kapitel zu den Ergebnissen der Schulbuchanalyse setzt die Einzelbefunde unter der Frage (1.a), welche sprachlichen Mittel an der Konstituierung von Geschlechterwissen, hierbei im Besonderen auch an der Konstruktion von Geschlechterkonzepten beteiligt sind (s. Kap. 1.1), in Beziehung. Zudem wird erläutert, wo sich die Einzelbefunde zu Traditionen verdichten oder wo Traditionen unterbrochen oder brüchig werden

|| 343 Vorausgesetzt, Schülerinnen identifizieren sich mit einer weiblichen Figur wie auch mit dem Thema Diät in höherem Maß als Schüler.

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(s. auch Frage (4.a) aus Kap. 1.1). Da hierbei Veränderungen beschrieben werden, die mehrere sprachliche Phänomene umfassen, bewegt sich deren Beschreibung auch auf einer vom einzelnen sprachlichen Phänomen abstrahierenden Ebene. Die Bündelung von Einzelergebnissen zu strukturellen Ergebnissen (z. B. Individualisierung) geht dann über die reine Beschreibung der Sprachdaten hinaus und stellt einen stärker interpretativen Zugriff auf das Sprachmaterial dar, mit der bereits die Konzeptebene von Sprache berührt wird. Insofern bereitet dieses resümierende Kapitel auf das Kapitel 6 vor: Die Konzeptseite von Sprache wird im Rahmen der diskursorientierten Analyse eingehender beleuchtet, eine Systematisierung der Befunde aus Kapitel 4 zu Wissensbausteinen, die sich wiederum zu Geschlechterkonzepten zusammensetzen lassen, erfolgt im Rahmen der epistemisch-semantischen Analyse (s. Kap. 6.1). Neben semantischen Eigenschaften wurden bei der Datenauswertung morphologische, syntaktische und prosodisch-phonologische Eigenschaften identifiziert, die sich über die Zeit enger mit Weiblichkeit oder mit Männlichkeit verbinden und in diesem Sinn als geschlechtstypisch bzw. geschlechtstypisierend gelten können. Vornamen beispielsweise unterscheiden sich im Geschlechtervergleich deutlich in ihrer Struktur: Hohe Sonorität und Vollvokalismus sind stete Charakteristika von Vornamen mit weiblicher Referenz, Konsonantismus ist hingegen eher ein Charakteristikum von Vornamen mit männlicher Referenz. Phonologische Länge ist ebenfalls eher weiblich und Kürze eher männlich kodiert. Als weitgehend fest hat sich, die NS-Jahre ausgenommen, der Zusammenhang von Genus und Geschlechtsreferenz erwiesen. Femininum ist ein zuverlässiger Indikator für und – in konstruktivistischer Perspektive – Konstrukteur von weibliche(r) Geschlechtsreferenz: Wird über Frauen oder Mädchen gesprochen, so geschieht dies mehrheitlich mit PRF im femininen Genus. Der Kotext eröffnet bei konventionell weiblich referierenden Feminina in der Regel keinen Entscheidungsspielraum hin zu einer geschlechtsübergreifenden oder gar geschlechtsspezifizierend männlichen Verwendung. Selbst bei Ausnahmen (Mädchen, Fräulein) erfolgt beinahe stets eine pronominale Wiederaufnahme im Femininum. Das Neutrum kommt im Schulbuch weder überwiegend mit weiblicher noch männlicher Geschlechtsreferenz zusammen vor, sondern mit geschlechtsübergreifender Referenz. Am eingeschränktesten gilt der Zusammenhang von Genus und Geschlechtsreferenz beim Maskulinum. Die von der feministischen Sprachkritik als geschlechterunsensibel eingestufte geschlechtsübergreifende Verwendungsweise von Maskulina ist eine in Vergangenheit und Gegenwart etablierte und über die Jahrzehnte tendenziell forcierte Gebrauchskonvention in den Schulbüchern. Die Tendenz von Maskulina, geschlechts-

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übergreifend gebraucht zu werden, ist dabei besonders stark, wenn es sich um Pronomen handelt (z. B. das Indefinitpronomen jeder oder einer). Bei Maskulina kann lange Zeit – sofern die uneindeutig, aber sehr wahrscheinlich männlich referierenden Maskulina in der Auswertung berücksichtigt werden – mehrheitlich, aber zunehmend seltener vom Genus auf eine damit kongruente Geschlechtsreferenz geschlossen werden. Ihm kommt unter den Genera auch gestern wie heute eine Stellvertreterfunktion zu, da sogar geschlechtsneutrale Epikoina mit dem festen Genus Femininum oder Neutrum sowie bei referenzfunktionaler nicht-spezifischer Gebrauchsweise durch maskuline Pronomen wiederaufgenommen werden können. Weil das Genus Maskulinum, welches psycholinguistischen Studien zufolge (s. Kap. 1.2.1b) kognitiv primär eine männliche Geschlechtsreferenz aufruft, nicht nur bei männlicher Geschlechtsreferenz üblich ist, weist dies auf das Maskulinum als das heutige Default-Genus des Deutschen hin. In soziolinguistischer Lesart kann es als ein in sprachlichen Konventionen zum Ausdruck kommender Vertretungsanspruch des Männlichen (als Prinzip) gegenüber dem Weiblichen gelesen werden. Es finden sich im Gegenzug nur in verschwindend geringer Häufigkeit Feminina, die konventionell weiblich referieren, aber kotextuell eine geschlechtsübergreifende Referenz nahelegen. Mit Weiblichkeit ist somit kein bis kaum ein Vertretungsanspruch für Mensch-Sein verknüpft. Neutra in der Stellvertreterfunktion wiederum (z. B. jedes) sind insgesamt selten, können aber als gängige (möglicherweise auch regionale) Variante gelten, weil sie in verschiedenen Schulbüchern unterschiedlicher Zeitabschnitte (bis Mitte der 1990er) vorkommen. Neben diesen grammatischen Mitteln erweisen sich das Suffix -in und das Suffix -er als zentrale Wortbildungsmittel der Geschlechtsspezifizierung, durch welche eine Geschlechterkategorisierung vorgenommen und sprachlich explizit gemacht wird. Komposita mit einem lexeminhärent geschlechtsspezifizierenden Letztglied (z. B. Krankenschwester, Handelsmann) verlieren hingegen über die Jahrzehnte an Gebrauchshäufigkeit. Kompositionen auf -frau scheinen in den Schulbüchern seit den 1970er und 1980er Jahren nicht als Strategie aufgefasst zu werden, weibliche Geschlechtsreferenz und damit mittelbar Weiblichkeit explizit zu machen; Bildungen auf -in sind in den Schulbüchern etablierter und legen gerade als Bestandteil von Paarformen und somit in Kontrastierung zu Maskulina mit männlicher Referenz an Frequenz zu. Die Auswertungen haben auch offengelegt, dass Paarformen mit femininmovierter PRF keine Erfindung der FeministInnen sind, sondern bereits im kaiserzeitlichen Sprachbuch vorkommen. Splittingformen (Klammer- oder Schrägstrichschreibungen, mit oder ohne Bindestrich) halten dabei erst Ende der 1980er Jahre Einzug ins Schulbuch. In der Regel ist im Schulbuch geschlechter-

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sensible Sprache in einem engeren Sinn aber nicht flächendeckend verbreitet, häufig nicht einmal in ein und demselben Buch konsistent gebraucht (vgl. zu ähnlichen Befunden Moser/Hannover/Becker 2013, 88; Bittner 2012, 74). Paarformen gehören zu den komplexen koordinierten Phrasen. Die erste Position in gemischt-geschlechtsübergreifenden kkP ist dabei in den Schulbüchern traditionell mit einer konventionell für männliche Personen gebräuchlichen PRF besetzt und somit mit Männlichkeit verbunden. Das Erstpositionierte kann als mächtiger oder wichtiger im Vergleich zum Nachfolgenden aufgefasst werden; raumsymbolisch nimmt es die prominentere Position im Mikroraum kkP ein und weist dem Männlichen eine strukturelle Vorrangstellung zu. Tendenziell bleibt die m1-Tendenz der kkP auch in zeitgenössischen Schulbüchern erhalten, doch verteilt sich die Erstpositionierung gleichmäßiger auf w1 und m1. Unter allen untersuchten Variablen hat sich für die kkP kein Bildungsprinzip als so einflussreich erwiesen wie das pragmatisch-semantische ‚Männliches vor Weiblichem‘. Die Erstpositionierung von männlich referierenden Phrasenkernen ist außerdem phonologisch begünstigt, wenn auch sehr wahrscheinlich nicht dadurch begründet. Eine begünstigende phonologische Struktur (Silbenzahlniedrigeres vor Silbenzahlhöherem) liegt gerade dann vor, wenn es sich bei den weiblich referierenden Ausdrücken um morphologische Kompleonyme mit einem in-Suffix handelt (z. B. bei Leser und Leserinnen). Bei kompleonymen kkP greift womöglich außerdem das Prinzip ‚Ausdrucksseitig Impliziertes vor ausdrucksseitig Implizierendem‘ als ein morphologisch motivierter Effekt der Kernanordnung. Kürze ist somit auch im Bereich der Gattungsbezeichnungen eher ein Merkmal der mPRF und unterstützt ein prominenteres sprachliches place making im Mikroraum kkP in Form der Erstpositionierung. Je nachdem, aus welchen PRF sich eine kkP zusammensetzt, bestehen größere Schwankungen hinsichtlich der Regelmäßigkeit von Abfolgen. Berufsbezeichnungen verschiedener Geschlechtsreferenz sind gegenwärtig beispielsweise überaus gleichmäßig auf die Erstposition verteilt; in dieser AppellativaGruppe scheint besonders auf geschlechtersensible Formulierungen geachtet zu werden oder aber den VerfasserInnen von Schulbüchern scheint eine Variation der Abfolge unter den Berufsbezeichnungen als besonders geläufig. Diese Flexibilität kann jedoch nicht als Ergebnis eines Abfolgewandels unter den Berufsbezeichnungen eingeordnet werden, weil Berufsbezeichnungen vor 1985 ohnehin nicht in kkP mit verschieden referierenden Kernen vorkommen (Ausnahme: Händler und Hausfrauen ERB-36, 18). Man kann ihre variable Abfolge aber als Ergebnis eines übergeordneten unfreezing-Wandels der kkP-Abfolgen werten. Im Vergleich erstaunlich unbeeindruckt von solchen Wandeltendenzen sind Kombinationen aus verschieden-geschlechtsspezifizierenden Kernlexemen für

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erwachsene Personen (Frau, Mann/Herr), vor allem wenn diese in einem ehelichen Verhältnis zueinander stehen. Bei den verwandtschaftlichen Kernlexemen für Elternschaft (Mutter, Vater) hat sich sogar im Lauf der Jahrzehnte ein patriarchalisches Muster zu einem matriarchalischen gewandelt (Vater und Mutter > Mutter und Vater), was eine Akzentverschiebung der familiären Machtverhältnisse andeutet; vorsichtig gesprochen, eignen sich die Mütter in ihrer Relationiertheit zur Familie einen prominenteren Raum an. Im Bereich der Gesellschaftsbezeichnungen ist ein entsprechender Wandel nur für Schülerinnen und Schüler belegt. Zu geschlechtersensibler Sprache werden auch Ausdrücke gerechnet, die Geschlecht irrelevant setzen. Konventionalisiert geschlechtsübergreifend referierende Ausdrücke, wie Epikoina oder pluralische Adjektivkonversionen, wären hier zu nennen. Sie sind dabei schon zu Beginn des Untersuchungszeitraums zahlreich im Korpus vertreten und stellen in Schulbüchern eine stabile und verbreitete Möglichkeit dar, über Personen zu sprechen. Geschlechtsneutrale Formen treten dabei aber nicht mit generisch gebrauchten Maskulina in einen Wettbewerb, d. h., sie scheinen nicht als Ersatzformen für letztere zu fungieren. Gerade bei Adjektiv- und Partizipkonversionen nutzen die AutorInnen von Schulbüchern zudem die Möglichkeit einer geschlechtsabstrahierenden Verwendung verhalten: Sehr vereinzelt werden Konversionen, die im Plural Geschlecht ausdrucksseitig stets irrelevant setzen, im Singular mit maskulinem Artikelwort und geschlechtsübergreifend gebraucht. Was die formale Realisierung von Prädikationen anbelangt, haben die Auswertungen im Übrigen nur geringe geschlechtstypisierende Versprachlichungstendenzen ergeben. Als BesitzerInnen veräußerbaren Guts werden beispielsweise weibliche und männliche Personen weitgehend gleichermaßen explizit oder weniger explizit versprachlicht. Nominalisierte Handlungen von oder an Personen und damit verdeckte Agens- und Patiens-Rollen sind ebenfalls gleichmäßig auf die Geschlechter verteilt. Wird allerdings über Erwerbstätigkeit gesprochen, so sind Ungleichverteilungen festzustellen: Sowohl besonders offen prädizierende Konstruktionen, wie x ist y [y = Berufsbezeichnung], als auch nicht-verbale Prädikationen, bei denen Personen als erwerbstätig erscheinen (z. B. Appositionierungen mit Berufsbezeichnung oder Possessivierungen im Cluster Erwerbstätigkeit), kamen und/oder kommen konzentriert bis ausschließlich im Zusammenhang mit männlichen Personen vor. Beruf- und Erwerbstätigkeit wird somit in Bezug auf Männer durch unterschiedlichere Mittel versprachlicht, als dies in Bezug auf Frauen der Fall ist. Weniger unmittelbar nachvollziehbare Aussagen als in Form von x ist y bedeuten dabei nicht automatisch, dass die getroffenen Aussagen und dadurch vorgenommene

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Charakterisierungen zugleich weniger prominent versprachlicht wären. Wenn nämlich eine berufliche Tätigkeit mittels einer Berufsbezeichnung ausgedrückt ist, dann leistet eine solche Personenbezeichnung eine die Person unmittelbar betreffende Klassifizierung und Charakterisierung. Ohnehin werden weibliche Figuren im Schulbuch seltener in erwerbsmäßigen Zusammenhängen gezeigt. Doch über dieses Ungleichheitsverhältnis hinaus zeigt die Auswertung, dass Frauen auch dann, wenn über sie eine erwerbsmäßige Tätigkeit prädiziert wird, tendenziell seltener als Männer durch eine Berufsbezeichnung als berufstätig ausgewiesen sind (s. das Beispiel Frau X verkauft […]). Die Berufsbezeichnung, die als nicht-verbale Prädikation ‚eine/die Person, welche X als Beruf ausübt‘ betrachtet werden kann, stellt eine einschlägige Möglichkeit dar, Personen zu charakterisieren. Indem in diesem Fall eine berufliche Tätigkeit auf eine Personenbezeichnung konzentriert ist und zur unmittelbaren Bezeichnung von Personen wird, ist die berufliche Tätigkeit selbstverständlicher und enger mit der Person verbunden, als es in Form einer verbalen Prädikation der Fall wäre. Damit verwandt ist der Befund, dass Tätigkeiten von Jungen und Männern in den Schulbüchern eher auch in Form von Tätigkeitsbezeichnungen ausgedrückt sind.344 Alle Teilergebnisse des Kapitels 4 zusammengeführt und die Auswertungen zur Semantik der PRF sowie der Aussageinhalte kursorisch einbezogen, ergeben sich die 1950er und 1960er sowie die 1970er bis 1990er Jahre als Kulminationspunkte, an denen sich das Sprechen über die Geschlechter zunächst vorsichtig, dann nachhaltig verändert. Wandeltendenzen der 1950er und 1960er Jahre: Die 1950er und 1960er Jahre nehmen in Teilen einen Wandel vorweg, der sich zwanzig Jahre später durchsetzen sollte. Zum einen nimmt die Überpräsenz an mPRF mit Beginn der Ära Adenauer deutlich ab. Zum anderen fallen in diese Jahre Ansätze zu größerem Handlungs- und Gestaltungsspielraum von Frauen. Einige wenige Frauen dringen in traditionell männliche Domänen vor, sind beispielsweise unternehmerisch aktiv (s. Geschäftsgründung) oder mit umfangreichen finanziellen Mitteln ausgestattet (s. Hauskauf). Neben diesen Beispielen für ein undoing gender als doing male finden sich aber auch verstärkt Festlegungen auf spezifische Rollen. So setzen Schulbücher dieser Jahre den ehelichen oder nicht-ehelichen Status

|| 344 Da in verbalen Prädikationen der Anteil an männlichen Agens nicht überproportional niedriger liegt als der an weiblichen, verweist eine – gemessen an den jeweiligen Gesamtheiten an wPRF und mPRF – relative Mehrzahl an männlich referierenden Tätigkeitsbezeichnungen auch nicht auf Zurückhaltung in der verbalen Explizierung männlicher Aktivität.

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von Frauen so relevant wie zu keiner anderen Zeit (s. Aussteuergut als Besitz weiblicher Figuren und gehäufte Vorkommen von Fräulein), bezeichnen weibliche Personen kaum mehr nach ihrer Berufs- oder Erwerbstätigkeit (s. die überproportional wenigen Berufsbezeichnungen unter den wPRF in Kap. 4.1.2a bei vergleichsweise hoher weiblicher Erwerbstätigkeit in Kap. 4.2.3c) und thematisieren in nicht zuvor oder danach erreichter Dichte ihre finanzielle Abhängigkeit von ihren Ehemännern (s. die Relationierungen mit Wirtschaftsgeld/Haushaltsgeld). Und nicht zuletzt weisen diese Schulbücher mit geschlechtsspezifischen Aufgabenensembles ‚für Mädchen‘ einen Sonderraum für Mädchen und Frauen aus, der diese dezidierter als zuvor auf das Häusliche festlegt. Den Schulbüchern der 1950er und 1960er Jahre ist somit ein mehrdimensionaleres Sprechen über Frauen und Mädchen möglich, das Weiblichkeit gegenüber Männlichkeit stärker profiliert und sich dadurch von Männlichkeit einerseits abgrenzt, andererseits Ansätze eines undoing gender umfasst. Umbruch der 1970er bis 1990er Jahre: Ab den 1970er Jahren werden über Jahrzehnte stabile Regelmäßigkeiten im Sprechen über die Geschlechter brüchig. Der umfassende Wandel geschieht dabei nicht über Nacht, sondern dauert bis in die 1990er Jahre mit einer Bündelung an abbrechenden Traditionen in den 1980er Jahren. Dieser Wandel vollzieht sich auf allen sprachlichen Ebenen – angefangen beim Zahlenverhältnis weiblich und männlich referierender PRF, das zu keiner Zeit so ausgewogen ausfällt wie in den 1990er Jahren, über die häufigere Verwendung geschlechtersensibler Formulierungen (ausgeschriebene Paarformen und integrative Schreibungen), die namentliche Nennung historisch bedeutender Frauen bis hin zur Übernahme traditionell weiblicher Handlungen (Backen, Kochen, Einkaufen) durch Jungen. Die 1970er und 1980er Jahre fungieren dabei auch als Beschleuniger von Veränderungen, die sich bereits über einen längeren Zeitraum ankündigten (z. B. die Angleichung der wPRF und mPRF). Der Wandel deutet sich auch in der Versprachlichung von Erwerbstätigkeit an: Weiblich und männlich referierende Berufsbezeichnungen nähern sich einander zahlenmäßig wieder etwas an, weiblich referierende Berufsbezeichnungen diversifizieren sich dabei aus. Ende der 1980er Jahre nehmen zudem erwerbsmäßige Handlungen von Frauen zu. Diese Befunde stehen für eine Ausweitung von weiblichen Berufsfeldern in männliche Domänen hinein. Die Diversifizierung dessen, wie über Personen gesprochen wird und welche Aussagen über sie getroffen werden können, betrifft in den hier untersuchten Schulbüchern besonders Frauen und Mädchen. Das liegt vor allem daran, dass dem Sprechen über Männer und Jungen wegen der zahlenmäßigen Dominanz von jeher eine breitere Materialbasis zugrunde lag. Je mehr PRF zu finden

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sind, umso mehr und potentiell vielfältigere Zuschreibungen können vorgenommen bzw. umso mehr und vielfältigere Aussagen können über diese getroffen werden. Entsprechend ist wenig verwunderlich, dass männlichen Figuren auch Extreme verschiedener Ausprägung zugewiesen werden (z. B. bei den Eigenschaftszuschreibungen: besonders geschickt vs. ungeschickt); in der Regel aber überwiegt ein Extrem quantitativ und neutralisieren sich beide Pole nicht. Extreme können Frauen und Mädchen meist erst spät auf sich vereinen (z. B. negative Gestimmtheit in der semantischen Rolle als Experiens oder dissentives Sprachhandeln), hier dauert eine Angleichung am längsten bzw. noch an. In den 1980er und 1990er Jahren liegt die Hochphase von undoing genderPraktiken, wobei es unter den Erwachsenen eher den Frauen möglich ist, unter den Kindern sowohl Mädchen als auch Jungen: Zwar kennt das Schulbuch ausschließlich Sekretärinnen (zu männlichen Vorgesetzen), doch absolvieren nur Jungen Schreibmaschinenkurse; zwar handelt es sich beim Computer im Schulbuch um einen männlich kodierten Besitz- oder Wunschgegenstand, doch nennt ein Deutschbuch der 1980er Jahre eine Computerspezialistin. Der weibliche Fußballfan und der eine Pilz-Diät ausprobierende Michael sind weitere Beispiele aus der propositionalen Auswertung, bei denen im Bereich Sport und Körperlichkeit geschlechtstypische Regelmäßigkeiten ein undoing gender erfahren. Zudem werden in diesen Jahrzehnten Geschlechterstereotype offensiv in Schulbüchern behandelt (z. B. fiktive Diskussionen zur Aufgabenverteilung zwischen Frauen und Männern) und verzichten Abbildungen weitgehend auf zuvor geschlechtstypisch verteilte Bildattribute. In den von Stürmer (2014) untersuchten DDR-Fibeln für den Erstleseunterricht findet der skizzierte Umbruch bereits in den 1950er Jahren statt; unter anderem traditionell geschlechtstypisierende Zeichnungen weiblicher und männlicher Figuren werden in den Fibeln merklich und nachhaltig zurückgenommen, zudem ist ein doing female von Männern (z. B. Kinder betreuen) und Jungen (z. B. Tisch decken) zu konstatieren. Zwischen Mädchen und Jungen sind frühere Geschlechterdifferenzen sogar beinahe nivelliert (vgl. Stürmer 2014, 174f.). Insgesamt dringen der vorliegenden Untersuchung zufolge weibliche Figuren einerseits leichter in angestammte männliche Domänen vor (s. beispielsweise die Sport-Relationierungen) als Männer und Jungen in weibliche Domänen, was mit der vorherigen Beschränktheit des weiblichen Handlungsradius’ zusammenzudenken ist. Sie sind aber andererseits auch früh, wenn auch schwach, in neuen (beruflichen) Domänen vertreten (s. Berufsbezeichnungen aus den Tätigkeitsbereichen Kunst, Sport, Computertechnik). Besonders am Mathematikbuch ist auffällig, dass die Geschlechtergrenze in eine Richtung durchlässiger ist und zwar im Sinn eines doing male aufseiten der Frauen und

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Mädchen. Lopatecki/Lüking (1989) beobachten Ähnliches bei den Spielgewohnheiten der Kinder in ihrer Studie zu bundesrepublikanischen Mathematikbüchern der 1980er Jahre, Kaiser-Meßmer (1994) bestätigt den tendenziell einseitigen Rollenwechsel noch einmal anhand einer weiteren Mathematikbuchstichprobe. Auch in den DDR-Fibeln ist unter den Erwachsenen in Bezug auf die Berufswelt kein doing female von männlichen Figuren zu konstatieren (vgl. Stürmer 2014, 174, Anm. 192). An dieser Stelle sei hervorgehoben, dass sich Veränderungen in der Wahl der sprachlichen Mittel zum einen schon weit vor 1950 abzeichnen und zum anderen einige Jahre bis Jahrzehnte benötigen, bis sie tatsächlich in einer Großzahl der Schulbücher anzutreffen sind. So beginnt sich das Zahlenverhältnis von mPRF und wPRF bereits seit den Weimarer Jahren langsam, aber nachhaltig zu wandeln. Der Gebrauch von heute als geschlechtersensibel geltender Sprache ist ebenfalls kein neues Phänomen der auf Geschlechtergerechtigkeit orientierten 1980er Jahre, in denen diese Ausdrucksweisen vermehrt im Schulbuch vorkommen. Auch zeigen Schulbuchfiguren bereits vor den Umbruchsjahren seit 1970 ein Verhalten (z. B. weinende Jungen), das mit gängigen Geschlechterklischees nicht zusammengeht. Während sich in vielerlei Hinsicht ein zum Teil lange vorbereiteter Wandel vollzogen hat, so erweisen sich manche Bereiche oder sprachlichen Mittel als besonders resistent gegenüber diesem. In der Berufswelt sind hier beispielsweise das Finanz-, Bau- und Rechtswesen zu nennen, die weiterhin geschlechtsexklusiv männlich kodiert sind, d. h., dass keine entsprechenden weiblichen Berufsbezeichnungen vorkommen sowie keine Tätigkeiten von Frauen beschrieben werden, welche diesen Bereichen zugeordnet werden können. Mit Blick auf das Vorkommen geschlechtersensibler Sprache im Schulbuch wiederum sind es abstrakte Gruppen (Besucher, Teilnehmer) oder wenig individualisierte Kommunikationsinstanzen (Erzähler, Adressat), die konsequent als generisches Maskulinum realisiert sind. Zudem vollziehen sich Veränderungen nicht auf allen Ebenen gleichzeitig, sondern stehen in ein- und demselben Schulbuch Beispiele für ein undoing gender immer auch neben doing gender-Angeboten (z. B. Kuchen backende Jungen neben schönen Fräuleins). Keines der Schulbücher, das seit 1980 erschienen ist, hat sich einem der beiden Prinzipien voll und ganz verschrieben. Die größte Innovation weisen neu konzipierte Reihen auf. Bei Neuauflagen oder Neuausgaben innerhalb einer bestehenden Reihe sind hingegen meist nur partielle Änderungen festzustellen. Schulbuchwandel verläuft auch nicht linear. Neueste Schulbücher weisen sogar Tendenzen zu einer Orientierung an traditionelleren Verteilungsverhältnissen und Sprechweisen auf, wie es

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sich an den Verteilungen von Besitz (v. a. Land und Wohnraum) oder am oberflächlichsten Indikator, den Frequenzen an wPRF und mPRF, zeigt. Sonderrolle der NS-Jahre: Gerade die Auswertung der PRF weist einen weiteren Zeitraum als in besonderem Maß auffällig aus: die NS-Jahre. Die nationalsozialistischen Schulbücher nutzen häufig andere Mittel, um über Personen zu sprechen, als dies in Schulbüchern des vorausgehenden und nachfolgenden Zeitabschnitts der Fall ist. Die im folgenden Abschnitt zusammengefassten sprachlichen Eigenschaften der NS-Bücher sind in dieser Kombination einzigartig und NS-spezifisch.345 Denn obwohl sich die Rahmensituationen in Schulbüchern der Kaiserzeit bis 1950 – die Jahre des Nationalsozialismus also eingeschlossen – stark ähneln, nehmen die NS-Bücher sowohl innerhalb dieses Zeitfensters als auch im gesamten Untersuchungszeitraum eine klare Sonderstellung ein, mit wenig Strahlkraft auf nachfolgende Epochen. Darin liegt auch ein wichtiger Unterschied zu den bislang beschriebenen nachhaltigeren Wandel- und Umbruchsphasen. Die Sonderrolle der NS-Jahre ergibt sich im Kern aus der Prominenz geschlechtsübergreifend referierender PRF. Sie sind überproportional in den NSBüchern vertreten, es dominieren Gruppenbezeichnungen. In diesen Jahren werden also häufiger sprachliche Mittel gewählt, die in hohem Maß individualitätsreduzierend sind und gerade keine geschlechtsspezifische Kategorisierung nahelegen. Zugleich brechen besonders individualisierende Bezeichnungsmöglichkeiten, wie Namen – Namen historischer oder zeitgenössischer Persönlichkeiten ausgenommen –, anteilig ein. Auch Verwandtschaftsbezeichnungen werden deutlich seltener. Das Kollektivum Familie allerdings ist – im Unterschied zu Eltern – zentrales Vokabular. Gruppen treten in den NS-Büchern also an die Stelle von Einzelpersonen, und Einzelpersonen werden wiederum vom Kollektiv einverleibt (z. B. in Männer unserer Geschichte). Die Entindividualisierung (undoing person) der NS-Bücher betrifft zwar auch reine Frauengruppen (z. B. Jungmädelschar), geht aber mehrheitlich mit einem undoing gender einher, da in über drei Viertel der Fälle Kollektiva geschlechtsübergreifend referieren.

|| 345 An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Auswertungen ausschließlich auf Schulbüchern fußen, die in den Jahren der NS-Diktatur neu und im Fall der Ergänzungshefte übergangsweise entwickelt wurden. Schulbücher, die in der Weimarer Zeit entstanden sind und nach 1933 weiterhin verwendet wurden, sind nicht berücksichtigt. In dieser Hinsicht sind die Ergebnisse einmal mehr als NS-spezifisch aufzufassen.

Zentrale Ergebnisse im Überblick | 329

Die Tendenz der NS-Schulbücher zur Entindividualisierung ist Beispiel für eine zeitgebundene Veränderung des Sprechens über Personen, bei der Geschlecht als Kategorie der sozialen Unterscheidung mehrheitlich in den Hintergrund tritt. Daneben sind im Schulbuchkorpus annähernd lineare Veränderungen des Sprechens zu beobachten, die ebenfalls alle Geschlechter, zum Teil allerdings in unterschiedlicher Intensität betreffen, und sich zudem über den gesamten Untersuchungszeitraum erstrecken. Im Kapitel 6.3 sollen die übergeordneten Wandelphänomene sozial- und kulturgeschichtlich eingeordnet werden. Unter diesem resümierenden Gliederungspunkt werden sie zunächst vorgestellt. Ich fasse die ermittelten übergeordneten Wandelphänomene unter den Begriffen Individualisierung, Verkindlichung und Privatisierung zusammen: (1) Individualisierung Die NS-Jahre ausgenommen, werden die Figuren im Schulbuch zunehmend individualisiert, d. h., es werden Ausdrücke gewählt, die Personen weniger als Typen oder StellvertreterInnen einer Berufsgruppe denn als Individuen kategorisieren. Die Tendenz zur Individualisierung äußert sich zum Beispiel darin, dass Nachnamen und später mehr und mehr Vornamen anstelle von Appellativa gewählt oder Zusätze zu geschlechtsreferentiell unterschiedlich gebräuchlichen Appellativa gesetzt werden, welche eine Konkretisierung der Personenreferenz leisten. Aus ein Händler oder dem wenig individualisierenden Namenkürzel A wird strukturell zunächst Holzhändler Behrens oder ab den 60er Jahren dann auch Herr Behrens und bald darauf Peter. Am vorläufigen Ende dieses Wandelprozesses finden sich im Schulbuch zehn Mal mehr Vornamen als noch in der Kaiserzeit, wobei das Nameninventar im Vergleich noch dazu deutlich vielfältiger ausfällt. Im Zusammenhang mit diesem doing person verringert sich auch der Entscheidungsspielraum, ob eine PRF nun eher geschlechtsübergreifend oder doch geschlechtsspezifizierend referiert. Sowie die PRF individueller werden, wird die geschlechtsreferentielle Kategorisierbarkeit einer damit bezeichneten Person auch zunehmend vereindeutigt. Doing person ist insofern eng mit einem doing gender verbunden. (2) Verkindlichung Mit der Individualisierung geht ab den 1970er Jahren eine Verkindlichung der Schulbuchfiguren einher (vgl. auch Thomas 1999; Bal 2011). Die starke Zunahme an Vornamen steht hierfür symptomatisch. Die Aussagen, die über diese PRF getroffen werden, unterscheiden sich dabei von denen über Nachnamen-TrägerInnen und legen eine Zuordnung von Vornamen zu Kindheit und Jugendlichkeit und von Nachnamen zu Adultheit nahe. Die Verkindlichungstendenz äußert sich auch in der Wahl der Kollektiva: Fami-

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lie, Eltern und Leute werden überholt von Klasse. Grundsätzlich nehmen Bezeichnungen für junge Menschen im Schulbuch zu (z. B. Kinder und Jugendliche, Realisierungen von Schül*). Berufsbezeichnungen, die mit der Erwachsenenwelt verbunden sind, kommen dagegen deutlich seltener vor. Außerdem ist bei den Vornamen ein doing infantile festzustellen: Sie vereinen bei abnehmender Silbenzahl höchste Sonorität auf sich, folgen vermehrt einer CVCV-Struktur und wirken dadurch weicher und sind artikulatorisch einfacher; im Fall von Reduplikationen werden die Namen (z. B. Lilly) sogar lallförmig. Vor allem Frauen-/Mädchennamen sind von dieser Infantilisierung betroffen. (3) Privatisierung Die Rahmensituationen werden zudem privater. Die Berufswelt der Erwachsenen kommt vor allem nach 1960 seltener in Rahmensituationen vor; das familiäre Umfeld und die Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen (z. B. Sport, Musikhören) sowie ganzer Familien nehmen mehr Raum ein. Die Tendenz zur Privatisierung hat auf sprachlicher Mikroebene ihre Entsprechung unter anderem darin, dass sich bei männlichen Figuren die Kaufgegenstände wandeln, von gewerblich genutzten Baumaterialien zu Heimwerkerutensilien. Sie betrifft unter den Erwachsenen Männer stärker als Frauen, da letztere traditionell in privaten Zusammenhängen gezeigt werden. Zum Komplex Privatisierung wird außerdem die Tendenz zur Intimisierung der PRF gezählt, die an die Individualisierung und Verkindlichung des Sprechens über Personen gebunden ist: Werden Personen nämlich anstelle einer Gattungsbezeichnung und/oder eines Nachnamens mit einem Vornamen bezeichnet, so ruft dieser Sprachgebrauch ein Nähekonzept auf und stellt eine Intimisierung dar (vgl. Fetzer 1997, 7). Privatisierungstendenzen lassen sich somit sowohl auf Wort- wie auch propositionaler Ebene beschreiben. Sprachliche Mittel zur Individualisierung, Verkindlichung und Privatisierung sind also nicht per se Indikatoren für oder Konstrukteure von Geschlechtsspezifizität. Ihre Analyse zeigt dabei in besonderem Maß, dass Untersuchungen zur Versprachlichung von Geschlecht auch geschlechtsübergreifende Versprachlichungstendenzen zu beachten haben. Wird nämlich nur eine Ausprägung einer Differenzkategorie (z. B. das Sprechen über Frauen/Mädchen) betrachtet, laufen diese Untersuchungen Gefahr, Untersuchungsergebnisse vorschnell für diese Ausprägung als allein charakteristisch anzunehmen. Neben den vorgestellten Wandelphänomenen finden sich in den Schulbüchern über die Jahrzehnte stabile Versprachlichungstraditionen, die nicht ge-

Zentrale Ergebnisse im Überblick | 331

schlechtstypisierend ausfallen. Dies erstaunt angesichts früherer Schulbuchstudien und betrifft beispielsweise auf propositionaler Ebene Verbklassen und semantische Rollen. Sie sind kaum geschlechtstypisierend verteilt, HandlungsträgerInnenschaft ist keinesfalls so überdeutlich männlich kodiert, wie zum Beispiel von Briegel (1982) oder Lindner/Lukesch (1994) konstatiert wurde, auch nicht in früheren Zeitabschnitten. Wenngleich unter diesem Gliederungspunkt die Antwort auf die Frage nach sprachlich vermittelten Geschlechterkonzepten vorbereitet wurde, so blieben doch Auswertungsergebnisse von der Zusammenschau weitgehend ausgespart, welche die Konzeptebene von Sprache betreffen – genauer gesagt: Charakteristika von Geschlechterkonzepten im Vergleich –, die vor allem über semantische Auswertungen zugänglich ist. Welche konzeptuellen geschlechtsbezogenen Kategorisierungen (s. Kap. 3.3.1) in den Schulbüchern vorgenommen, welche Konzepte von FRAU und MANN entworfen werden, untersucht das Kapitel 6.1. Das nachfolgende Kapitel arbeitet zunächst die institutionellen Voraussetzungen dafür heraus, wie in den Schulbüchern gesprochen werden kann bzw. soll.

5 Aushandlungen des Sagbaren: Der institutionelle Entstehungszusammenhang von Schulbüchern Was letztlich im Schulbuch zu lesen ist, hat bereits einen mitunter langen Weg durch die Institutionen hinter sich. Will es heutzutage ein Schulbuch für die Sekundarstufe I ins Klassenzimmer schaffen, muss es vom Kultusministerium oder dem zuständigen Landesschulinstitut geprüft worden sein oder der Verlag muss mindestens erklärt haben, dass das Schulbuch mit dem jeweiligen Lehrplan, den Bildungsstandards, den Schulgesetzen und der Verfassung konform geht. Schulbücher für Kernfächer bis einschließlich der Sekundarstufe I haben in Bayern und Nordrhein-Westfalen beispielsweise zunächst ein Begutachtungsverfahren zu durchlaufen, um für die schulische Verwendung in Frage zu kommen. Wird die Zulassung einmal erteilt, gelten die Inhalte des Schulbuchs als legitimiert. Auf Schulbücher wirken dabei ganz unterschiedliche AkteurInnen ein, die ihre Interessen durchzusetzen versuchen (s. Kap. 1.2.3c). Manche AkteurInnen können unmittelbarer als andere auf die Gestaltung von Schulbüchern Einfluss nehmen und zwar insofern, als sie an der Erstellung von Schulbüchern beteiligt sind oder aus anderen Gründen direkt in Erstellungsprozesse eingreifen können. Welche AkteurInnen zu berücksichtigen sind, wird im folgenden Kapitel 5.1 ermittelt, indem es zunächst in Grundzügen erläutert, wie Schulbücher gegenwärtig entstehen, sowie schlaglichthaft die Praxis der Schulbucharbeit sowie der Schulbuchzulassung der Vergangenheit beschreibt, die für den betrachteten Untersuchungszeitraum von Bedeutung sind. Hierfür wird auf bestehende Forschungsliteratur zurückgegriffen, ergänzt um ein eingehendes Studium bildungsgeschichtlicher Quellen (v. a. kultusministerieller Amtsblätter verschiedener Länder). Das Kapitel nähert sich darin der Teilfrage (2.a) nach jenen AkteurInnen an, die über Definitionsmacht bei der Formulierung von Schulbuchwissen verfügen (s. Kap. 1.1). Anschließend wird in Kapitel 5.2 untersucht, auf welche Weise die am Erstellungs- und Zulassungsverfahren beteiligten AkteurInnen die Geschlechterthematik im Entstehungszusammenhang mitreflektieren und hinsichtlich der

DOI 10.1515/9783110555578-005

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Geschlechterdarstellung346 im Schulbuch regelnd eingreifen. Indem Aushandlungen und Regulierungsversuche rekonstruiert werden, wie im Schulbuch mit der Differenzkategorie Geschlecht umgegangen werden soll, zeigt sich, welchen offiziellen Handlungsspielraum SchulbuchverfasserInnen haben. Bei dieser Rekonstruktion wird differenziert, welche inhaltlichen und ob sprachliche Aspekte eine Rolle spielen, sowie nach den bildungspolitisch legitimierten oder sanktionierten Geschlechtervorstellungen gefragt (s. die Fragen (2.b) und (2.c) in Kap. 1.1). Da die Rekonstruktion zugleich erfasst, inwiefern dieser offizielle Rahmen in der Schulbucharbeit berücksichtigt wird, ist eine Einschätzung zu treffen möglich, welche Durchsetzungskraft die offiziell-behördlichen Einflussnahmen haben und von welchen AkteurInnen Innovationen347 im Umgang mit Geschlecht ausgehen (können). Abschließend kann diese Einschätzung natürlich nur getroffen werden, indem konkret Schulbücher herangezogen und die darin vermittelten Geschlechterkonzepte mit den jeweils zeitspezifischen behördlichen Vorgaben verglichen werden. Dies geschieht dann im Kapitel 6.2. Wie unter 5.2 noch genauer auszuführen, ist die Rekonstruktion der Aushandlungsprozesse auf die Gegenwart und erinnerbare Vergangenheit beschränkt, die bis Ende der 1960er Jahre zurückreicht. Für diesen Zeitraum kann beantwortet werden, welchem Wandel die institutionellen Rahmenbedingungen unterliegen (s. die Frage (4.b) in Kap. 1.1), was abschließend unter 5.2.4 erfolgt.

5.1 Grundlagen der Schulbucharbeit und Schulbuchzulassung Der Schulbuchmarkt war und ist weitgehend in privatwirtschaftlicher Hand. Während bis Mitte des 19. Jahrhunderts AutorInnen ohne größere Eingriffe von Verlagsseite Schulbücher und andere Unterrichtsmaterialien bei Schulbuchverlagen veröffentlichen konnten, professionalisierte sich die Schulbuchproduktion in der Folgezeit dahingehend, dass Verlage zunehmend redaktionelle Tätigkeiten übernahmen. Zu ökonomischer Expertise kam die Betreuung der AutorInnen im Produktionsprozess hinzu (vgl. Keiderling 2002, 93). Redaktionen entstanden: „Fachlich versierte Mitarbeiter initiierten, planten, betreuten und korrigierten die Textproduktion“ (Keiderling 2002, 93). Sie standen mit den

|| 346 Die Kriterienkataloge und von Behörden in Auftrag gegebenen Studien sprechen meist von Darstellung (der Rolle der Frau/der Geschlechterrollen) oder Repräsentation. Auf diese Bezeichnungstradition referiere ich, wenn ich diese Begriffe verwende. 347 Innovation ist wertneutral gebraucht für neuartige Veränderungen.

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AutorInnen in Kontakt und waren in alle Produktionsstufen eines Schulbuchs eingebunden. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Lehrbücher, die sich texttypologiegeschichtlich zu Arbeitsbüchern für SchülerInnen weiterentwickelten (s. Kap. 1.2.3a), vornehmlich von HochschullehrerInnen, später dann von SchulpraktikerInnen verfasst (vgl. Becker 1978, 17f.). Die Mehrzahl der AkademikerInnen soll mindestens bis in die 1940er Jahre monarchistisch, nationalistisch und antirepublikanisch eingestellt gewesen sein (vgl. Haffner 1989, 207f.), was bedeuten würde, dass auch in den Jahren der Weimarer Republik konservative Kräfte auf AutorInnenseite dominierten. Verlage bauten somit im 19. Jahrhundert Strukturen auf, durch welche sie zu allen Zeitpunkten der Schulbuchproduktion auf die Inhalte von Schulbüchern Einfluss nehmen konnten. Diese Strukturen bestehen auch in der gegenwärtigen Schulbuchpraxis. In den 1960er Jahren wurden die Redaktionen noch einmal bedeutender. Denn einerseits verlangte der herstellungstechnische Fortschritt hin zum Fotosatz technisches Knowhow von den RedakteurInnen, weil diese ihre Titel für dieses Verfahren vorzubereiten hatten. Andererseits wurden in der Wahrnehmung der Verlage in dieser Zeit sowohl die methodischdidaktischen und fachwissenschaftlichen Ansprüche an Schulbücher höher als auch die behördlichen Vorgaben gegenüber Schulbüchern immer differenzierter (vgl. Walther/Hein-Mooren 2007, 124). Die Redaktionen hatten und haben seither die Aufgabe, aus diesen veränderten institutionellen Rahmenbedingungen Konsequenzen für die Schulbucharbeit zu ziehen – und dies theoretisch bis zu 16 Mal.348 Mitunter nämlich unterscheiden sich vor allem die Lehrpläne der Bundesländer in solchem Maß, „sodass stets nur ein Lehrwerk für ganz bestimmte Bundesländer entwickelt werden kann; ein und dasselbe für Bayern, Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ist fast unmöglich.“ (Menzel 2010, 219) Zu einer Lehrwerksreihe existieren daher meist mehrere unterschiedliche Länderausgaben für jede Schulart. Da Nordrhein-Westfalen traditionell bevölkerungsstärkstes Land und damit größter Schulbuchmarkt war bzw. ist (vgl. Walther/Hein-Mooren 2007, 132), konzipieren die meisten Verlage ihre schulartspezifische Grundausgabe oder Allgemeine Ausgabe auf Basis der nordrhein-westfälischen Vorgaben.349 || 348 Neben den Länderbestimmungen (1.) unterscheidet Jürgens (2010) als Rahmenbedingungen der Schulbuchentwicklung noch an Schulbücher gerichtete gesellschaftliche Erwartungen (2.) und Erwartungen von Lehrkräften (3.) sowie die Frage der Lehrmittelfinanzierung (4.) – Lehrmittelfreiheit versus Büchergeld – und Aktualität (5.). Näheres zu den verschiedenen Finanzierungssystemen von Lernmitteln steht bei Baer (2010, 76f.). 349 Noch bis circa in die 1960er Jahre wurden Schulbuchausgaben auch nach anderen Variablen denn nach Kreisen, Bezirken, Ländern oder Regionen erstellt; so existierten beispielsweise

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Jene Personen, welche neben den RedakteurInnen an den Schulbüchern mitarbeiten und diese maßgeblich erarbeiten, sind unter der Sammelbezeichnung AutorInnen nur unzureichend spezifiziert. In den bibliographischen Angaben der Schulbücher wird unterschieden in HerausgeberInnen, ErarbeiterInnen, BearbeiterInnen und BeraterInnen, letztere allerdings gehören nicht zum engeren Kreis der AutorInnen. Wird die Grundausgabe an die Anforderungen eines anderen Bundeslands angepasst, heißen die an dieser Anpassung beteiligten AutorInnen BearbeiterInnen, die in der Regel den Zielmarkt der Ausgabe gut kennen und dort privat oder beruflich verortet sind, wie Ortsangaben zu den einzelnen Namen bisweilen anzeigen. SchulbuchherausgeberInnen arbeiten zum Teil als ErarbeiterInnen oder BearbeiterInnen im AutorInnenteam verschiedener Ausgaben mit; das Team kann sich dabei je nach zu erarbeitender Ausgabe aus sehr unterschiedlichen Einzelpersonen zusammensetzen. Die Größe des AutorInnenteams verändert sich im Lauf der Jahre: Um 1900 werden Schulbücher von im Durchschnitt ein bis zwei Personen verfasst oder bearbeitet, gegenwärtig besteht ein AutorInnenteam aus nicht selten 15 Personen sowie weiteren ein bis drei HerausgeberInnen und ein bis drei BeraterInnen. BegründerInnen erfolgreicher Reihen können sogar namengebend werden, so geschehen beim weit verbreiteten mathematischen Gymnasiallehrwerk Lambacher Schweizer, das 1946 von den Tübinger Studienräten Theophil Lambacher und Wilhelm Schweizer begründet worden war (vgl. Stark 2011). Jene Arbeit, die im Zusammenspiel von Verlag bzw. Redaktion, HerausgeberInnen und (weiteren) AutorInnen sowie gegebenenfalls BeraterInnen für ein bzw. an einem Schulbuch bis zu dessen Publikation zu verrichten ist, wird in der vorliegenden Untersuchung als Schulbucharbeit bezeichnet.350 An diesem Prozess Beteiligte werden im Folgenden mit dem Oberbegriff SchulbuchmacherInnen benannt. Circa ein Jahr arbeiten gegenwärtig Redaktion und AutorInnen an einem Jahrgangsstufenband einer Länderausgabe, bis dieser druckfertig ist (vgl. Menzel 2010, 223f.). Um ein Schulbuch auch in den Schulen verwenden zu dürfen, muss in Deutschland nach der Manuskriptfertigstellung traditionell mindestens eine weitere Hürde genommen worden sein: Die Zulassung für den Unterrichtsgebrauch, die von der Kultusbehörde oder einem Landesschulinstitut ausge-

|| im Volksschulbereich spezifische Ausgaben für Land- und Stadtschulen, verschiedene Ausgaben für mehr- und eingliedrige Schulen sowie unterschiedliche Ausgaben für Jungen und Mädchen (vgl. auch Becker 1973). 350 Im Unterschied zu Schallenberger (1976), der unter Schulbucharbeit Schulbuchuntersuchungen versteht, sowie im Unterschied zu Schönemann/Thünemann (2010), die darunter den unterrichtspraktischen Umgang mit Schulbüchern fassen.

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stellt wird. Wie Schulbücher auch in dieser Hinsicht mit ihrem Kontext verbunden sind, soll im Weiteren skizziert werden. Dabei wird deutlich, welchen Stellenwert verschiedene politische Systeme dem Schulbuch zuschrieben und welche Strukturen zur Kontrolle des Schulbuchwissens geschaffen wurden. Diese Erläuterungen bilden die Grundlage für die Auswertungen, welche AkteurInnen in der Schulbucharbeit und -zulassungspraxis wie mit Geschlecht umgehen bzw. umgegangen sind (s. Kap. 5.2). Sie machen außerdem Auswahlentscheidungen bei der Korpuszusammenstellung (s. Kap. 3.2) noch einmal besser nachvollziehbar. Über ein Zulassungsverfahren bei Schulbüchern versuchen Staaten zu kontrollieren, welches Wissen in die Schule gelangt.351 Gerade in autoritären und totalitären Regimen (oder in Abgrenzung zu diesen) wird die Steuerungsfunktion von Schulbüchern betont: „Das Schulbuch ist eins [sic!] der wichtigsten Hilfsmittel der politisch-weltanschaulichen Erziehung des Volkes“, formuliert es beispielsweise ein NS-Oberregierungsrat 1942.352 Nach 1945 wurde immer wieder die Metapher des Schulbuchs als Waffe benutzt, so auch von Solotuchin, Leiter der Abteilung für Volksbildung der obersten Behörde in der Sowjetischen Besatzungszone: „Das Buch in der Schule ist jetzt eine Waffe, von der sehr vieles abhängt“ (Solotuchin 1946, zit. nach Geißler/Blask/Scholze 1996, 70f.).353 Diesen Ruf hatte sich das Schulbuch zunächst zu erarbeiten. In der Bundesrepublik und den Vorgängerstaaten war bzw. ist die Schulbuchzulassung föderal geprägt. Am Anfang der Schulbuchzulassung stand die Auseinandersetzung von Kirche und Staat um die Einflusssphäre Schule: Mitte des 19. Jahrhunderts greifen Staatsorgane zunehmend in das Schulwesen ein und setzen in der Folge eine staatliche Schulaufsicht gegenüber einer kirchlichen durch, was Konsequenzen für den Bereich der Lehr-Lernmittel hat. In Sachsen beispielsweise übernimmt das Kultusministerium in den 1870er Jahren die Aufgabe, für den Unterricht geeignete Lehrpläne und Lehrbücher zu benennen; geprüft werden Lehr-Lernmittel seit Ende der 1870er Jahre vor allem in Bezug auf allgemeine Bildungsziele (vgl. Moderow 2002, 29).

|| 351 In der Schulbuchforschung der 1970er Jahre ist diese Funktion des Schulbuchs Gegenstand intensiver Auseinandersetzung, vgl. Stein (1977): Das Schulbuch sei eben nicht nur „Informatorium“, sondern auch „Paedagogicum“ und „Politicum“; die Dreierformel wird von Höhne (2003, 64) um das Schulbuch als „Konstruktorium“ erweitert. 352 Oberregierungsrat Kurt Klamroth (Berlin) in seinem Beitrag Die Versorgung mit Schulbüchern (1942, 200). 353 Der damalige Ministerpräsident der DDR, Otto Grotewohl, soll 1950 den Dietz-Verlag dazu aufgefordert haben, Schulbücher als revolutionäre Waffen zu erschaffen (Gästebucheintrag, zit. nach Rodden 2006, 13).

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Die Schulen selbst forderten in der Folgezeit mehr staatliche Regulierung im Schulbuchbereich, um größere Einheitlichkeit im Land herzustellen und Schulwechsel zu erleichtern (vgl. Moderow 2002, 30). Das Ministerium erstellte zunächst eine Empfehlungsliste mit Lehr-Lernmitteln, die bald den verbindlichen Charakter einer Zulassungsliste erhielt (vgl. Titel 2002, 84). In Bayern verlief die Entwicklung bis dahin ähnlich. Eine „Lehrmittelkommission“ (Müller 1977, 112–130) bearbeitete dann seit den 1890er Jahren Anträge auf Zulassung. Die Kommission prüfte den zur Zulassung vorgelegten Titel – ein Schulbuch wurde Ende des 19. Jahrhunderts entweder vom Verlag beim Ministerium eingereicht oder über die Kreisregierungen eingebracht – vornehmlich auf größtmögliche Gleichförmigkeit bei gleichzeitiger Konzession an regionale Besonderheiten. Der Titel wurde dann entweder direkt oder vorbehaltlich weniger Änderungen ins sogenannte Lehrmittelverzeichnis aufgenommen oder aber abgelehnt. Den Kommissionsmitgliedern kam in diesem Verfahren die Aufgabe von GutachterInnen zu. Gründe für eine Ablehnung konnten Verlage in Ausnahmefällen auf Antrag erfragen. Brisant war jedoch die Tatsache, dass in der Kommission auch SchulbuchautorInnen vertreten waren (vgl. Müller 1977, 113f.). Auch in Preußen forderte die Basis nach mehr Staat. Seit den 1860er Jahren gelangten dort immer zahlreicher Lehr-Lernmittel auf den Markt, so dass die Schulen die staatlichen Institutionen um Mithilfe bei der Auswahl baten (vgl. Ritzi 2004, 91). Als eine Folge davon wurde 1899 die Königlich Preußische Auskunftstelle für Lehrbücher des höheren Unterrichtswesens gegründet. Ihre Aufgabe bestand darin, Zulassungslisten für Lehr-Lernmittel an höheren Schulen zu erstellen und die Einhaltung ihrer Erlasse zu überprüfen (vgl. Ritzi 2004, 106). Im kaiserzeitlichen Preußen zählte zu den allgemeinen überfachlichen Schulbuchbestimmungen, den SchülerInnen Patriotismus und Kampfbereitschaft zu vermitteln (vgl. Müller 1977, 147–153). Einer Genehmigung bedurften dabei beinahe ausschließlich Lehr-Lernmittel für höhere Schulen, im Volksschulbereich waren in Preußen nur Lesebücher und Religionsbücher genehmigungspflichtig (vgl. Müller 1977, 136–139). Somit sind zu preußischen Volksschulrechenbüchern und Volksschulsprachbüchern der Kaiserzeit keine behördlichen Dokumentationen inhaltlicher Diskussionen um Schulbücher im Rahmen eines Zulassungsverfahrens zu erwarten, in denen möglicherweise auf Geschlechterdarstellungen oder verwandte Aspekte zu sprechen gekommen wurde. Mit dem politischen Systemwechsel hofften die Schulbuchverlage und PädagogInnen, deren pädagogisch-didaktischen Anforderungen an Lehr-Lernmittel im bisherigen Verfahren wenig berücksichtigt worden waren, auch auf eine Veränderung der Schulbuchzulassung. Doch in der Weimarer Republik hielt man am System der staatlichen Schulbuchprüfung, an der Lehrkräfte,

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SchülerInnen oder ElternvertreterInnen weiterhin kaum beteiligt blieben, fest (vgl. Müller 1977, 174–187). Schulbücher wurden als Machtinstrumente im Erziehungswesen gesehen, die von unerwünschten Inhalten gesäubert werden mussten. Müller (1977, 173) spricht für die Weimarer Zeit von einer „politische[n] Säuberungsaktion der Schulbücher“, bei der Kaiser-Bilder und Texte über die Kaiserfamilie aus Lesebüchern ersatzlos gestrichen wurden. Als Positivkriterium galt das Bekenntnis zu republikanisch-demokratischen Grundwerten. Die Abwicklung der Schulbuchzulassung und -prüfung verblieb bei den Ländern. So verfügte die Preußische Unterrichtsverwaltung 1924, dass nicht mehr nur Jungenausgaben an Mädchenschulen verwendet werden dürfen, sondern auch umgekehrt Mädchenausgaben an Jungenschulen.354 In der Regel ließen die Kultusbehörden die GutachterInnen anonym. Preußen dagegen legte die Namen der Prüfkommissionsmitglieder offen, daher ist bekannt, dass in den 1920er Jahren den 41 Mitgliedern auch drei Studienrätinnen angehörten; jeweils eine war im Ausschuss für Evangelische Religion, für Deutsch und für Musik vertreten.355 Die Kontrolle der Schulbuchinhalte verlief somit nicht unter Ausschluss von Frauen, diese hatten mindestens in der hier rekonstruierten Funktion als Kommissionsmitglieder ein Mitspracherecht an Schulbuchinhalten. Die NationalsozialistInnen maßen den Lehr-Lernmitteln einen noch höheren Stellenwert bei und strebten nach einer totalen Kontrolle des Schulbuchwissens. Sie zentralisierten die Schulbuchzulassung zunächst im Reichsinnenministerium und 1934 dann mit der Gründung des Reichserziehungsministeriums (REM) unter Bernhard Rust. Hitler schuf ferner das Amt eines Sonderbeauftragten für Schulbücher sowie für weitere schulnahe Publikationen und übertrug diesem 1940 die Schulbuchoberhoheit als Leiter der Reichsstelle für das (deutsche) Schul- und Unterrichtsschrifttum.356 Zuvor hatte diese Hoheit beim REM gelegen. Die Reichsstelle sollte die Arbeit an Einheitsschulbüchern beschleuni-

|| 354 Vgl. Ordnung für die Einführung von Lehrbüchern, Ministerialerlaß vom 13.11.1924 – U II 4551. 355 Vgl. [Namenverzeichnis der] Prüfstelle für Lehrbücher bei dem [Preußischen] Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, zusammengestellt in: Schellberg/Hylla (1930, 16–20). 356 Ernst Philipp Bouhler, Chef der Kanzlei des Führers und Vorsitzender der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums (PPK) leitete die Reichsstelle (vgl. Müller 1977, 194; Anweiler 1973, 77). Die Schulbuchfrage ist beispielhaft für die den Nationalsozialismus prägende Polykratie: Reichserziehungsministerium und Reichsstelle konkurrierten untereinander zum Teil erbittert um ihren Zuständigkeitsbereich; in Sachen Schrifttum befand sich außerdem der Propagandaminister Goebbels zuständig ebenso wie der NSDAP-Reichsleiter Alfred Rosenberg, der von Hitler zum Beauftragten für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP ernannt worden war.

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gen, von denen Ende der 1930er Jahre für den Leseunterricht die ersten verteilt worden waren.357 Zulassungsrücknahmen finden sich dabei über den gesamten NS-Zeitraum in den behördlichen Bekanntmachungen und Verfügungen nur sehr vereinzelt.358 Der Leiter der Reichsstelle Bouhler scheiterte letztlich am Versuch, für ein Einheitsschulbuchwesen einen eigenen NS-Schulbuchverlag zu installieren (vgl. Eilers 1963, 30; Müller 1977, 194f.; Heinze 2011, 143f.).359 Die Schulbuchzulassung verblieb überdies trotz Kompetenzüberschneidungen beim REM (vgl. Ullmann 2008, 221). De facto entschieden wohl weder die Reichsstelle noch das REM über die Einführung neuer Schulbücher, sondern behielten die Länder für die Verlage in der Praxis die Entscheidungshoheit. Dies legen Recherchen von Ullmann (2008, 230) nahe, wonach die Zulassung neuer Lehr-Lernmittel auf Reichsebene wohl häufig eine nachträgliche Legitimierung einer bereits auf Länderebene getroffenen Genehmigung darstellte. Meist befindet sich in den Schulbüchern dieser Zeit auch lediglich ein Genehmigungshinweis der Landesbehörde, nicht aber des Reichserziehungsministers, wie dieser ihn noch einmal im Jahr 1939 nachdrücklich einfordert.360 Noch im Krieg stand für die Alliierten fest, dass das Schulbuchwesen in Deutschland im Fall eines Sieg rasch neu zu gestalten sei: „Wir werden für die Deutschen völlig neue Schulbücher schreiben müssen“ (Präsident Roosevelt, zit. nach Blum 1968, 225).361

|| 357 Ferner wurden Maßnahmen eingeleitet, um Schulbuchverlage davon abzuhalten, zu viele unterschiedliche Konkurrenztitel auf den Markt zu bringen. Dazu zählte beispielsweise die Einrichtung einer Arbeitsgemeinschaft der Rechenbuchverleger im rechtsrheinischen Bayern von 1937 und die Aufteilung des Vertriebsraums unter den Verlagen (vgl. Walther/Hein-Mooren 2007, 89). 358 Vgl. als Ausnahme: Ministerialerlaß vom 02.07.1937 Nr. IV 36751 über Lernmittelverzeichnis für die Volksschulen. 359 Die Geschichte des Deutschen Schulverlags ist noch nicht geschrieben. Gegen den Willen Rusts hatte Bouhler wohl vor, mit dem Verlag, der zum Eher-Konzern gehörte, ein Schulbuchmonopol aufzubauen (vgl. Heinze 2011, 143). Erläuterungen zum Eingriff des NS-Verlags in das Schulbuchverlagswesen finden sich in der Verlagschronik von C. C. Buchner (vgl. Walther/ Hein-Mooren 2007, 88–93). 360 Vgl. die unter anderem an die Unterrichtsverwaltungen der Länder gerichtete Verlautbarung Lernbücher für Volksschulen des Reichserziehungsministers vom 20.03.1939. 361 Ganz so kam es dann nicht: Denn die westlichen Siegermächte entschieden sich für den Weg der sanften Umerziehung, nicht der Oktroyierung. Man wollte zudem nicht die gleichen Fehler wie bei der anglo-amerikanischen Invasion in Italien 1943/44 machen. Schulbücher aus der faschistischen Zeit wurden dort weiter verwendet und lediglich besonders ideologiebeladene Seiten getilgt. Problematisch an diesem Verfahren war, dass noch genug unbearbeitete

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Zunächst beschlagnahmten die Alliierten alle362 Schulbücher und legten im September 1945 ein Notschulbuchprogramm in den westlichen Zonen auf;363 die zugelassenen Schulbücher wurden über die Militärregierung bekannt gemacht (vgl. Walther/Hein-Mooren 2007, 98). Gleichzeitig richtete man in den Westzonen Schreibzentren oder Textbook Sections ein, welche unter anderem Lehrkräfte und VerlegerInnen für weltanschauliche Fragen der Schulbuchgestaltung sensibilisieren sollten (vgl. Bungenstab 1970, 99; Davis 1981; Tent 1981, 74). Das Notschulbuchprogramm war in den Augen der amerikanischen Besatzungsmacht allerdings unbefriedigend, weil selbst in Weimarer Schulbüchern Militarismus und Nationalismus fest verankert waren (vgl. Bungenstab 1970, 102). Hinweise, dass auch den Schulbüchern inhärente Geschlechterkonzepte reflektiert oder gar kritisiert wurden, waren keine zu finden. Zügig wurden neue Schulbücher genehmigt, welche die Notausgaben bis circa 1948 ersetzten, und zwar zuvorderst von jenen Verlagen, die nach 1945 als erste eine Lizenz hatten erlangen können.364 Die Länderbehörden wurden ab 1946 zunehmend an der Schulbuchzulassung beteiligt:365 In der Regel prüfte zunächst das Kultusministerium eines Landes das Schulbuch und leitete es bei positivem Ergebnis an die Militärregierung zur erneuten Prüfung – vor allem auf politische Inhalte – und

|| Schulbuchausgaben existierten, inklusive der faschistischen Inhalte, die dann in noch größerem Maß das Interesse der SchülerInnen weckten (vgl. Rodden 2006, 1). 362 Der Direktive für die Kommandierenden Generale [sic!] der US-Armee in Deutschland vom 07.07.1945, Abschnitt VII. Erziehungswesen und religiöse Angelegenheiten zufolge sollten alle ideologisch durchsetzten Bücher eingezogen werden; nach Froese (1969, 84) sollen ferner in der SBZ in Befolgung der Direktive Befehl Nr. 40 der Sowjetischen Militäradministration (SMA), Betr.: Die Vorbereitung der Schulen zum Schulbetrieb vom 25.08.1945 ausnahmslos alle Schulbücher aus der NS-Zeit eingezogen worden sein. 363 Bei den Notausgaben handelte es sich um alte Schulbücher aus Weimarer Zeit, von denen zum Teil in englischen Bibliotheken und vor allem am Teachers College der Columbia University in New York Exemplare zu finden waren, die nach kleineren Änderungen vervielfältigt wurden (vgl. Jaeger 1947; vgl. ferner Rodden 2006, 1). 364 Vgl. Erlaß des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 09.10.1947 Nr. IV 48540 über Schulbücher; Bekanntmachung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 02.10.1948 Nr. IV 67002 über zur Zeit verfügbare Schulbücher. 365 Im Fall Bayern beteiligte sich das Kultusministerium sogar an der Schulbucherstellung: Im März 1946 wurde auf Veranlassung der amerikanischen Militärregierung der staatliche Bayerische Schulbuch-Verlag (bsv) gegründet, der beispielsweise bei der Papierzuteilung bevorzugt wurde und nach Aussagen privater VerlegerInnen beste Verbindungen in die Zulassungsstelle hatte (vgl. Walther/Hein-Mooren 2007, 103; Verordnung über die Errichtung eines staatlichen Schulbuchverlags vom 20.03.1946 Nr. IV 13879 – U 33 / 19a 64–B). Er konnte allerdings kein Monopol ausbilden. 1998 wurde der bsv an Oldenbourg verkauft.

342 | Aushandlungen des Sagbaren: Der institutionelle Entstehungszusammenhang

zur Genehmigung weiter.366 Mit Gründung der Bundesrepublik 1949 fiel diese Endkontrolle dann weg.367 In der sowjetischen Besatzungszone wurde bereits 1945 auf Anweisung der Sowjetischen Militärregierung Deutschland (SMAD) ein staatliches Schulbuchmonopol mit der Gründung des Verlags Volk und Wissen errichtet. Die Zulassung von Schulbüchern erfolgte zunächst durch die SMAD und ab 1949 durch das Ministerium für Volksbildung. Während noch vor der Staatsgründung kleinere regionale Unterschiede bei den Schulbüchern bestanden hatten, wurde die Schulbuchentwicklung seither maximal vereinheitlicht und zwar dergestalt, dass in der ganzen DDR stets ein Buch für ein Fach einer Jahrgangsstufe verwendet werden sollte, das bei neuem Lehrplan entsprechend zu überarbeiten oder neu zu entwickeln war (zum institutionellen Entstehungszusammenhang von Schulbüchern in der DDR vgl. grundlegend Stürmer 2014). Anders als im NS-Deutschland oder im Bayern der Nachkriegszeit gelang es in der DDR, einen staatlichen Einheitsverlag zu installieren, der unter Aufwendung hoher personeller Ressourcen das Schulbuchwissen nach den Vorgaben des Ministeriums für Volksbildung gestaltete, welches zudem durch seine ständige Vertreterin oder seinen ständigen Vertreter im Verlagsausschuss in die laufende Schulbucharbeit eingreifen konnte. Behördlich regelnd begleitet wurden Schulbücher somit, noch bevor sie im Verlagsausschuss geprüft und anschließend ans Ministerium, das ihnen die offizielle Zulassung erteilte, weitergeleitet wurden. Die Auswahl der GutachterInnen erfolgte durch den Verlag (!) selbst. Über die Jahre nahm in der DDR der Grad an Einmischung des Ministeriums zu und der Grad an Einflussnahme der AutorInnen, die zudem als Einzelpersonen im „Autorenkollektiv“ an Bedeutung verloren, ab (vgl. Stürmer 2014, 73–85). Schulbücher wiesen eine zunehmende ideologische Prägung auf, auch in den mathematischnaturwissenschaftlichen Fächern (vgl. Knopke 2011, 214). In der Bundesrepublik verständigten sich die Kultusministerien der Länder 1951 darauf, Schulbücher vor Unterrichtsgebrauch überprüfen zu lassen, und beschlossen 1972 einen Genehmigungsvorbehalt und eine Eignungsprüfung für Schulbücher (vgl. KMK-Beschluss 490 vom 29.06.1972). In der Folge wurde die Schulbuchzulassung in den Schulgesetzen der Länder verankert und die bestehende Zulassungs- und Prüfpraxis formal legitimiert; die nach der Wende hin-

|| 366 Vgl. Bekanntmachung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 30.09.1948 Nr. VIII 59332 über Schulbücher. 367 Allerdings steht noch im nordrhein-westfälischen Volksschulrechenbuch Die Welt der Zahl (Ausgabe A, Heft 7) von 1951 der ausschließliche Genehmigungshinweis der „Control Commission for Germany (B. E.)“ (WdZ-A-51).

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zukommenden Bundesländer folgten dem in den 1990er Jahren (vgl. Wendt 2010, 85).368 An dieser Stelle soll noch einmal das Verhältnis von Prüfung und Zulassung systematisch betrachtet werden. Die Zulassung setzt eine Prüfung des Schulbuchs nicht automatisch voraus. In der Regel aber – wenn auch gegenwärtig wieder seltener – muss ein Schulbuch für den Unterrichtsgebrauch zunächst geprüft werden, bevor die Zulassung erteilt wird. Die Prüfpraxis ist dann Bestandteil des Zulassungsverfahrens und Voraussetzung der Zulassung. Die Prüfung erfolgt dabei normalerweise in Form einer Begutachtung, als deren Ergebnis ein Gutachten angefertigt wird. Wahrgenommen wird die Aufsicht über die Schulbücher und andere Lehr-Lernmittel von den Kultusministerien oder Landesschulinstituten der Länder, welche die Prüfung meist an externe GutachterInnen oder an Kommissionen weitergeben. GutachterInnen, ob EinzelgutachterInnen oder aus den Reihen einer Kommission, sind in der Regel anonym.369 Spätestens seit den 1970er Jahren begutachten meist Lehrkräfte der jeweiligen Schulart, also PraktikerInnen. Hambrink (1979, 137) konnte für Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz in Erfahrung bringen, dass dort mindestens bis 1975 die Bezirksregierungen GutachterInnen benannten, deutlich seltener das jeweilige Ministerium; auch Hessen soll über diesen Weg einen Teil seiner GutachterInnen ausgewählt haben. Zunächst wurde von Behörden die Verfassungskonformität und Übereinstimmung mit weiteren gültigen Rechtsvorschriften zur Zulassungsvoraussetzung und Begutachtungsgrundlage für Schulbücher erhoben (vgl. Hambrink 1979, 140f.). Im Vergleich fielen die rheinland-pfälzischen Schulbuchbestimmungen von 1975 sehr ausführlich aus, die darüber hinaus auf die Übereinstimmung mit Lehrplänen und Richtlinien, auf didaktisch-methodische Aspekte, auf die „Grundsätze[] des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates“, auf ein „plurales Verständnis unserer Gesellschaft“, die Ablehnung „einseitige[r] ideologische[r] Festlegungen“ und eine Offenheit „für die Darstellung alternativer Denkund Handlungsmodelle“ hinwiesen (Grundsätze für die Prüfung von Schulbüchern 1975, 476). Die rheinland-pfälzischen Schulbuchrichtlinien sind Beispiel dafür, dass sich ab Mitte der 1970er Jahre die Zulassungs- und Prüfpraxis ausdifferenzierte und der Weg zu mehr Transparenz beschritten wurde: Kriterienkataloge, Richtlinien oder Leitfäden, die aufführen, welche Aspekte bei der Prüfung von Lehr-

|| 368 Zur verfassungsrechtlichen Sicht auf das Schulbuch vgl. Enaux (1973); Leppek (2002). 369 In Rheinland-Pfalz wurden Namen zum Teil auf Nachfrage ausgegeben (vgl. Müller 1977, 431).

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Lernmitteln eine Rolle spielen, wurden entwickelt und stellten für Schulbuchund Bildungsmedienverlage eine Orientierungshilfe dar. Dabei wurde sich enger als zuvor an den Lehrplänen als objektive Beurteilungsgrundlage ausgerichtet. In diese Jahre fällt auch die Professionalisierung und Standardisierung des Prüfverfahrens einiger Bundesländer (vgl. Hambrink 1979). In Bremen tauschten sich GutachterInnen in Ausschüssen aus und in Hessen auf Schulbuchkonferenzen (vgl. Müller 1977, 417f.; 421f.). In Nordrhein-Westfalen wurden sogenannte Schulbuchkommissionen eingesetzt: 1972 die Landesschulbuchkommission für Politische Bildung, 1975 eine Kommission für das Fach Deutsch (vgl. Gemein 2012, 61–63; Harth 1976, 9).370 Ihre Mitglieder, unter ihnen renommierte WissenschaftlerInnen, wurden vom Ministerium bestimmt und waren Verlagen und Öffentlichkeit bekannt; bei der Kommissionszusammensetzung wurde zudem auf Meinungsvielfalt geachtet und unter anderem parteipolitische Ausgewogenheit angestrebt (vgl. Hambrink 1979, 139). Einzelne Kommissionsmitglieder fertigten die Gutachten an, über die dann in der Kommission beraten wurde (vgl. Braeunlich 1975, 312). Die Gutachten gingen zusammen mit der Kommissionsentscheidung ungekürzt an die Verlage, wobei die/der VerfasserIn des Gutachtens nicht genannt wurde (vgl. Müller 1977, 427f.). Die Verlage hatten erstmals und nach bisherigem Forschungsstand auch das einzige Mal in der (bundes-)deutschen Geschichte der Schulbuchzulassung die Möglichkeit, mit den Kommissionsmitgliedern und damit auch den GutachterInnen in einen Austausch über die Entscheidung zu treten (vgl. Hambrink 1979, 166). Vermutlich aus Kostengründen und weniger aus Vertrauen in verbesserte verlagsinterne Qualitätskontrollen wurden die aufwendigen Prüfverfahren von Behördenseite in jüngerer Zeit zurückgenommen (vgl. Gemein 2012, 63). Jene Kommissionen – in weiteren Bundesländern auch temporäre Arbeitsgruppen – führten vor allem in den 1970er Jahren Schulbuchrevisionen durch, bei denen bereits zugelassene Schulbücher auf ihre Übereinstimmung mit aktuellen Anforderungen überprüft und gegebenenfalls von den Zulassungslisten gestrichen wurden. Niedersachsen hat beispielsweise eine solche Revision zur Geschlechterdarstellung in den 1980er Jahren durchführen lassen (vgl. NKM 1988). Zum Teil wurden erst im Rahmen der Revisionen differenzierte Bewertungskriterien für Schulbücher ermittelt und in Kriterienkataloge überführt. Die Rolle der GutachterInnen wird in der Forschung unterschiedlich eingeschätzt. Hambrink (1979, 166) konstatiert in seiner Studie zum Genehmigungs|| 370 Ähnlich im Stadtstaat Berlin der 1970er Jahre, wo sogenannte Beiräte für verschiedene Unterrichtsfächer und Sonderfragen eingerichtet wurden (vgl. Müller 1977, 415f.).

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verfahren in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen der 1970er Jahre, dass sich normalerweise der Gutachtenempfehlung von Behördenseite angeschlossen wurde und somit de facto die GutachterInnen über die Zulassung eines Schulbuchs entschieden. Allerdings steht den Behörden frei, der Empfehlung zu folgen, wie auch Ziegenspeck (1979, 158) herausstellt, was wiederum ihren Stellenwert im Verfahren sowie den der Schulbuchprüfung als Vorstufe der Zulassung im Allgemeinen relativiert. Nicht immer aber kamen und kommen GutachterInnen überhaupt zum Einsatz. Dies hängt vom jeweiligen Zulassungsverfahren ab, das je nach Schulart und Schulfach unterschiedlich ausgestaltet war bzw. ist. Wendt (2010, 86–90) differenziert in vier verschiedene Verfahren der derzeitigen Schulbuchzulassung: (1) das Antragsverfahren, bei dem der Schulbuchverlag für ein Schulbuch bei der Zulassungsstelle einen Antrag auf Zulassung stellt und der vorgelegte Titel einer Prüfung unterzogen wird (auch als „Kurzprüfung“ bei geringfügigen Änderungen bereits zugelassener Titel, so in der Lernmittelverordnung Brandenburg in ihrer Aktualisierung vom 30.10.2013), sowie (2) das vereinfachte Verfahren, bei dem der Verlag erklärt, dass der zur Zulassung vorgelegte Titel alle behördlichen Vorgaben erfüllt; auf diese Erklärung hin erteilt die Zulassungsstelle dann die Zulassung. (3) Sonderregelungen gelten für Lehr-Lernmittel für Förderschulen, Berufsschulen und die gymnasiale Oberstufe, die meist nicht zulassungspflichtig sind, sowie für Religionsbücher, die von der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Kirche zuzulassen sind. (4) Kein Verfahren findet derzeit Anwendung in Hamburg, Berlin, SchleswigHolstein und dem Saarland. In welchen Jahrgangsstufen welcher Schularten welches Verfahren angewandt wird, ist zudem von Land zu Land unterschiedlich geregelt. In den meisten Ländern beispielsweise werden Mathematik- und Deutschbücher für die Sekundarstufe I an allgemeinbildenden Schulen einem Prüfverfahren unterzogen. In jüngerer Vergangenheit ist eine Liberalisierung der Schulbuchzulassung festzustellen, die in einer veränderten Prüfpraxis begründet ist: Das vereinfachte Verfahren wird ausgeweitet zuungunsten des aufwendigeren und langwierigeren Antragsverfahrens (vgl. bereits Stöber 2010). Und auch pauschale Zulassungen nehmen zu: So beschränkte Brandenburg beispielsweise 2013 die Einzelprüfung auf die gesellschaftspolitischen Fächer (Geografie, Geschichte, Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde und Politische Bildung) der Primarund Sekundarstufe I und ging für alle weiteren Fächer und die Sekundarstufe II

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zu einer pauschalen Zulassung von Bildungsmedien über (vgl. Lernmittelverordnung Brandenburg 2013). Den Redaktionen kommt damit ein größerer Stellenwert zu: Denn wo Prüfverfahren für Schulbücher und andere Bildungsmedien abgebaut oder ganz abgeschafft werden, sind Redaktionen die zentrale Konstante in der Schulbucharbeit, die für die Qualität schulischer Lehr-Lernmittel zuständig sind. Die AutorInnen können diese Aufgabe nicht übernehmen, da sie meist nur für eine Länderausgabe in der Schulbucharbeit tätig sind, zum Teil nicht einmal für alle Jahrgangsstufenbände einer Länderausgabe. Die HerausgeberInnen, die häufig über viele Jahre ein Lehrwerk begleiten und auf entsprechende Erfahrungswerte zurückblicken, können die Redaktionen maximal unterstützen; sie haben in der Regel nicht die zeitlichen Ressourcen, sich intensiver mit Rahmenbedingungen, die sich über Bildungsstandards und Lehrplanänderungen hinaus verändern, auseinanderzusetzen. Der historische Abriss zur Schulbucharbeit und Schulbuchzulassung hat gezeigt, welche Personen und Institutionen unmittelbar auf Schulbuchwissen Einfluss nehmen können. Über die Jahrzehnte hat sich hier ein verhältnismäßig stabiles AkteurInnengefüge entwickelt. Diese AkteurInnen nehmen jedoch je nach Epoche unterschiedlich stark Einfluss, wie beispielsweise an der Kultusbehörde der DDR im Vergleich zum Stadtstaat Hamburg heute nachzuvollziehen, und unterschiedlich viel Verantwortung und damit auch Einflussmöglichkeit übertragen, wie gerade an den Redaktionen deutlich wird. An unmittelbar einflussnehmenden AkteurInnen sind SchulbuchautorInnen, -herausgeberInnen, -redakteurInnen sowie Kultusbehörden (im Besonderen die kultusministerielle Zulassungsstelle), GutachterInnen und Kommissionsmitglieder zu nennen.371 Schulbücher und Schulbuchwissen werden im Zusammenspiel dieser AkteurInnen geformt. Wie jenes Zusammenspiel auch für wissenschaftliche Zwecke nachvollziehbar und beobachtbar gemacht werden kann, stellt allerdings eine methodische Herausforderung dar. Was im Rahmen einer Literaturarbeit und der quellenbasierten Aufarbeitung offizieller Verlautbarungen von Behörden zu rekonstruieren möglich ist, hat dieses Kapitel bereits gezeigt. Ein darüber hinausgehendes Quellenstudium, das auch weiterhin den gesamten Untersuchungszeitraum von den Kaiserjahren bis in die Gegenwart erfasst und das an der internen behördlichen Kommunikation, an der Kommunikation zwischen Verlagen und Behörden, zwischen GutachterInnen und Zulassungsstellen || 371 Je nach politischem System sind darüber hinaus weitere Instanzen anzusetzen, zum Beispiel parteiliche Parallelinstitutionen in den NS-Jahren oder die Militärregierungen 1945.

Der Umgang mit Geschlecht in der Schulbucharbeit und im Zulassungsverfahren | 347

etc. ansetzt, kann die vorliegende Arbeit nicht leisten.372 Für die Gegenwart und die erinnerbare Vergangenheit aber bestehen weitere methodische Möglichkeiten, Aushandlungen des Sagbaren und dabei Einflussnahmen auf Schulbuchwissen systematisch zu rekonstruieren.

5.2 Der Umgang mit Geschlecht in der Schulbucharbeit und im Zulassungsverfahren Im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen Aushandlungen dessen, wie in Schulbüchern mit der Differenzkategorie Geschlecht umgegangen werden soll. Soweit dies ermittelt werden konnte, spielen Geschlechterfragen im Schulwesen zwar traditionell eine Rolle – zum Beispiel die Frage der Koedukation von Mädchen und Jungen sowie die Mädchenbildung als solche –, sie werden aber kaum in Bezug auf Schulbücher diskutiert. Folgende Anekdote belegt, dass derartige Diskussionen bereits im Wilhelminischen Deutschland stattfanden: In der Dokumentation der „21. Versammlung des Deutschen Vereins zur Förderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts“ von 1912 wird berichtet, dass „[e]in Provinzialschulkollegium […] ein Lehrbuch der Mathematik für höhere Mädchenschulen deshalb abgelehnt [hatte], weil in ihm zu wenig graphische Darstellungen und keine bunten Figuren seien.“ (Lorey 1938, 61) Einig ist sich das Preußische Ministerium beispielsweise auch darin, dass ein Lesebuch unterschiedlicher Inhalte für den Unterricht in Mädchen- oder Jungenklassen bedarf.373 Mit den für diese Arbeit zur Verfügung stehenden Ressourcen war es allerdings nicht möglich, solche Belege über den gesamten Untersuchungszeitraum, also von den Wilhelminischen Kaiserjahren bis in die 2010er Jahre, zu recherchieren.374 Der institutionelle Entstehungszusammen-

|| 372 Dies würde zum einen den Zugang zu Verlagsarchiven, die bis in das späte 19. Jahrhundert zurückreichen, erforderlich machen, zum anderen mehrwöchige bis -monatige Aufenthalte in Bundes- und Landesarchiven voraussetzen, in denen kultusministerielle Akten einsehbar sind. Bislang nämlich fehlt es an historischen Editionen zur Schulbuchzulassung. 373 Vgl. Prüfung der Volksschullesebücher durch die Regierungen. Allgemeine Grundsätze, Ministerialerlaß vom 28.02.1902 – U III A 3165, S. 328f. 374 Behördliche Archivbestände sind beispielsweise systematisch zu durchsuchen, um das hier begonnene Puzzle auch für weiter zurückreichende Jahrzehnte in ein Bild zu überführen. Welche Behörden dabei relevante Puzzleteile beisteuern können, wurde im vorausgehenden Kapitel 5.1 herausgearbeitet. Für die ehemalige DDR ist eine solche Rekonstruktionsarbeit ebenfalls noch zu leisten; deren Schulbuchpraxis wird in dieser Studie außen vor gelassen, da sich keine DDR-Schulbücher im Untersuchungskorpus befinden und ein auch lediglich kurso-

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hang konnte aber immerhin für die bundesrepublikanischen Jahre aufgearbeitet werden. Und auch hier hätten stets weitere Quellen und Daten einbezogen werden können, wie zum Beispiel Lehrpläne375 oder fachdidaktische sowie schulpädagogische Publikationsorgane, die Aushandlungsprozesse um Geschlechterwissen in Schulbüchern und im Besonderen institutionelle Einflussnahmen belegen. Die Arbeit bedient sich eines kombinierten Verfahrens aus Befragung und qualitativer Quellenanalyse, mit dem der gegenwärtige und der erinnerbare vergangene Umgang mit Geschlecht und im Besonderen die hierüber geführten Auseinandersetzungen in der Schulbucharbeit und in der Schulbuchzulassung ermittelt werden sollen. Die Befragung unterschiedlicher Personen(-gruppen) ermöglicht, in verhältnismäßig kurzer Zeit ein vieldimensionales Bild zum Thema der Befragung („Umgang mit Geschlecht in der Schulbucharbeit/Lernmittelzulassung“, s. Anhang 5–3376) zu erhalten. Der Blick in Quellen, die von den befragten AkteurInnen verfasst wurden und/oder an diese adressiert sind, wie Schulbuchgutachten an BehördenmitarbeiterInnen zum Beispiel, sichert die Ergebnisse der Befragung ab, korrigiert sie gegebenenfalls und differenziert das Bild weiter aus. Als Befragungsmethode kamen leitfadengestützte ExpertInnen-Interviews zum Einsatz, d. h., es wurden Interviews mit AkteurInnen der Schulbucharbeit und Zulassungspraxis anhand von vorab vorbereiteten Fragen (aber nicht zwingend chronologisch entlang dieser) geführt.377 Die Interviews sollen in einer Ausdifferenzierung des zweiten Leitfragenkomplexes aus Kapitel 1.1 beantworten, welche Rolle Geschlechterfragen bei der Konzeption und Zulassung von Schulbüchern spielen, von welchen AkteurInnen Regulierungsversuche ausge|| rischer Abgleich von Schulbucharbeit und -zulassungspraxis mit in Schulbüchern vorgefundenen Geschlechterkonstruktionen somit nicht möglich ist. 375 Eine Auswertung der Lehrpläne, die sich noch in die verschiedenen Schularten und Schulfächer ausdifferenzieren, war nicht zu bewerkstelligen. Im Zuge der derzeit in vielen Ländern noch laufenden Umstellung auf kompetenzorientierte Lehrpläne wäre für die Zukunft zu überprüfen, ob in den Lehrplänen nicht zunehmend fächerübergreifende Schlüsselkompetenzen in Bezug auf Diversity-Fragen integriert sind. Dies wäre allerdings Gegenstand einer eigenständigen Untersuchung. 376 Der Anhang ist nicht Bestandteil der Druckfassung, sondern steht zum Download unter https://www.degruyter.com/view/product/491314 bereit. 377 Alternativ oder ergänzend wären nach dem Beispiel Macgilchrists (2011) (teilnehmende) Beobachtungen von Teamsitzungen aus VerlagsredakteurInnen und AutorInnen denkbar. Allerdings ist nicht gewährleistet, ob in einer der beobachteten Sitzungen die Geschlechterthematik überhaupt angesprochen wird oder ob die Teams von einem nicht artikulierten Konsens ausgehen.

Der Umgang mit Geschlecht in der Schulbucharbeit und im Zulassungsverfahren | 349

hen, an welchen Punkten und zwischen welchen AkteurInnen es zu Kontroversen um den Umgang mit Geschlecht kommt und inwiefern bei diesen Aushandlungen die Sprache der Schulbücher thematisiert wird. Um einschätzen zu können, ob behördliche Einflussnahmen die Schulbucharbeit maßgeblich beeinflussten und gegebenenfalls Innovationen im Umgang mit Geschlecht verhinderten oder erst anstießen, reicht es nicht aus, allein auf behördliche Vorgaben zu fokussieren. Auch verlegerische Vorgaben für die Schulbucharbeit sind einzubeziehen und wurden daher in den Interviews erfragt. Da die Befragten selten älter als 60 Jahre waren, können mittels dieser Untersuchungsmethode allerdings kaum Aussagen über die Jahre vor 1970 getroffen werden. Die Interviewaussagen wurden mit Gutachten zu Schulbüchern sowie mit dem Schriftverkehr zwischen Verlagen und Zulassungsstellen abgeglichen. Den SchulbuchmacherInnen und -gutachterInnen ist zu danken, die Einblick in ihre Unterlagen gewährten. Wegen archivischer Sperrfristen378 auf die Dokumente der Zulassungsbehörden ist durch diese Bereitstellung eine – selbstverständlich stets ausschnitthafte – Rekonstruktion der jüngsten Vergangenheit erst möglich.379 Ergänzt werden die Interviews und Gutachtenauswertungen durch die systematische Aufarbeitung von Steuerungselementen im schulbuchbezogenen Geschlechterdiskurs des institutionellen Entstehungszusammenhangs: Gesetzestexte und Rechtsnormen geben den weiteren institutionellen Rahmen für die Bewertung von Bildungsmedien in Schulbuchzulassungsverfahren ab. Die für die Zulassung geltenden Rechtsgrundlagen wurden daher ebenfalls ausgewertet. Entsprechende Gesetze und Verordnungen sind in den Amtsblättern der zuständigen Behörde oder den Gesetzes- und Verwaltungsblättern eines Landes zu finden. Einschlägiger noch ist die Auswertung von Zulassungsverordnungen und von sogenannten Kriterienkatalogen, die manche Zulassungsstellen für GutachterInnen, Lehrkräfte oder Schulbuchverlage ausgeben und anhand derer Schulbücher überprüft werden sollen. Was wird in diesen Kriterienkatalogen in Bezug auf den (sprachlichen) Umgang von Schulbüchern mit der Geschlech-

|| 378 Die Sperrfrist beträgt 30 Jahre (vgl. z. B. BArchG §5; BayArchivG §10). 379 Für die jüngere Vergangenheit (1970er Jahre) sind lediglich die Ministerienbefragung von Lackamp/Ziegenspeck (1978) und die bereits genannte Studie von Hambrink (1979) bekannt, in welcher dieser von Ministerien bereitgestellte Schulbuchgutachten darauf untersuchte, inwiefern durch das Genehmigungsverfahren Bildungspolitik betrieben wird; die Geschlechterthematik war in dieser Untersuchung nicht Gegenstand.

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terthematik gefordert? An die SchulbuchmacherInnen stellt sich im Gegenzug die Frage, in welchem Detailgrad sie diese Vorgaben berücksichtigen und ob sie in der behördlichen Prüfung bzw. behördlich beauftragten Begutachtung zu Korrekturen diesbezüglich angehalten werden. Zunächst (5.2.1) werden rechts- und verwaltungsnormative Grundlagen, an denen sich Schulbuchinhalte messen lassen müssen, und anschließend (5.2.2) Kriterienkataloge sowie verwandte Regelungen zur Schulbuchbewertung der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit daraufhin ausgewertet, ob darin auf die Differenzkategorie Geschlecht eingegangen wird. In einem nächsten Schritt stelle ich die Ergebnisse der ExpertInnen-Interviews vor sowie die Auswertung der Gutachten und der Korrespondenz zwischen Verlag und Zulassungsstelle, im Zuge dessen ich auch auf den Spielraum zu sprechen komme, der den AkteurInnen in der Auslegung der Rechtsnormen zugestanden wurde bzw. wird (5.2.3). Welchem Wandel die institutionellen Rahmenbedingungen unterliegen, arbeitet das Kapitel 5.2.4 heraus.

5.2.1 Nationale und internationale Rechtsgrundlagen Seit 1949 ist die Gleichberechtigung von Frauen und Männern sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der DDR verfassungsrechtlich verankert. In der Weimarer Verfassung waren Männer und Frauen lediglich in Bezug auf ihren Status als StaatsbürgerIn gleichberechtigt, was auch im NSDeutschland formal Gültigkeit behielt.380 Doch ist die jeweilige (zeitgebundene) Auslegung des Gleichberechtigungsgrundsatzes weitaus entscheidender als dessen formale Festschreibung. So urteilte das Bundesverfassungsgericht 1953 in einem Eherechtsstreit, dass es mit dem Grundgesetz vereinbar sei, eine funktionale Verschiedenheit zwischen Frauen und Männern zu einem selbstverständlichen Ausgangspunkt von Rechtsprechung zu machen:381 Um Art. 3 Abs. 2 dem Willen des Grundgesetzes entsprechend als Rechtssatz zu erkennen und anzuwenden, ist es freilich erforderlich, dem Begriff „Gleichberechtigung“ den ihm

|| 380 In den Grundrechten und Grundpflichten der Weimarer Verfassung 1919 war festgehalten: „Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“ (Weimarer Reichsverfassung, Art. 109; Hervorh. CO) 381 Eine ausführliche Untersuchung der Gleichberechtigungsdiskussion in der Bundesrepublik hat Böke (1994) vorgelegt. Ihr ist der Hinweis auf das zitierte Bundesverfassungsgerichtsurteil zu verdanken.

Der Umgang mit Geschlecht in der Schulbucharbeit und im Zulassungsverfahren | 351

immanenten präzisen juristischen Sinn abzugewinnen und ihn nicht durch eine Gleichsetzung mit den manchmal polemisch verwendeten, rechtlich kaum faßbaren Vokabeln „Gleichwertigkeit“ oder „Gleichmacherei“ zu entwerten. Mit „Gleichwertigkeit“ hat „Gleichberechtigung“ nämlich nur insofern zu tun, als Gleichberechtigung stets – nicht nur im Verhältnis von Mann und Frau auf Gleichwertigkeit aufbaut, die die Andersartigkeit anerkennt (so Frau Dr. Selbers [sic!] in der 42. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates […]). […] Es bedarf kaum eines Hinweises, daß im Bereich des Familienrechts im Hinblick auf die objektiven biologischen oder funktionalen (arbeitsteiligen) Unterschiede nach der Natur des jeweiligen Lebensverhältnisses auch eine besondere rechtliche Regelung erlaubt oder sogar notwendig ist (z. B. alle Bestimmungen zum Schutze der Frau als Mutter, Differenzierungen der Art der Leistung für die Familiengemeinschaft). Das wird auch von keiner Seite ernstlich verkannt und liegt gerade einem großen Teil der zur Verwirklichung der Gleichberechtigung aufgestellten Forderungen als selbstverständliche Voraussetzung zugrunde. (BVerfGE 3, 225 Gleichberechtigung B.III b) aa); Hervorh. CO)

Diese Interpretation steht exemplarisch für die dominierende Auslegung des Gleichberechtigungsgrundsatzes in der bundesrepublikanischen Rechtsprechung bis in die 1960er Jahre, die sich im Fall des Bundesverfassungsgerichts zudem auf die Expertise einer der Mütter des Grundgesetzes, Elisabeth Selbert, beruft (vgl. Henne 2006, 33f.; Sacksofsky 1996). Auch für die Bildungspolitik war die Auslegung ‚Gleichwertigkeit bei Andersartigkeit‘ (nach Sacksofsky 1996, 95) maßgeblich. In den nordrhein-westfälischen Richtlinien für die Volksschulen heißt es beispielsweise: Erziehung und Unterricht nehmen auf Eigenart und Lebensaufgabe der Geschlechter gebührend Rücksicht. Das Mädchen […] wird in Zukunft Mutter sein, oder es hat als berufstätige Frau sein Leben fraulich zu gestalten. Daher ist es auf seine wesenhaft weiblichen Anlagen, Kräfte und Aufgaben hin zu bilden […]. (Richtlinien für die Volksschulen des Landes Nordrhein-Westfalen 1967 [1955], 6; Hervorh. CO)

Gemessen an anderen Richtlinien, erscheint an den nordrhein-westfälischen innovativ, dass die berufstätige Frau Erwähnung findet. Die bayerischen Richtlinien fokussieren dagegen noch zehn Jahre später gänzlich auf die zukünftige Mutterrolle und fordern, dass die Schulerziehung der Mädchen „auch planmäßig auf das Wirken in der Familie vorbereiten“ müsse; dafür kämen „vor allem die Fächer Handarbeit und Hauswirtschaft in Betracht“ (Richtlinien für die bayerischen Volksschulen 1969 [1966], 17). In diesem geschlechtsspezifischen Unterricht solle, so formuliert es der Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen der 1950er Jahre, „hausmütterliche Gesinnung“ geweckt und „der Schönheitssinn“ (1955, 474f. sowie bereits 1950, 249f.) gepflegt werden. Der Handarbeitsund Hauswirtschaftsunterricht soll auch auf andere Fächer ausstrahlen, indem beispielsweise „[h]auswirtschaftliches Denken und sparsame Haushaltsfüh-

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rung“ in den Rechenunterricht integriert und dieser zum Transmitter einer auf Arbeitsteilung ausgerichteten Geschlechtertrennung gemacht wird. Die spezifischen ‚Mädchen-Aufgaben‘ in den untersuchten Rechenbüchern (s. Kap. 4.3.1) sind möglicherweise Reflex dieser Forderungen. Derartige Vorgaben der Kultusbehörden stimmen im Beispiel Bayern noch für Jahrzehnte mit der Bayerischen Verfassung überein: Bis 1998 hält diese für den Bildungsbereich an der (biologisch begründeten) Unterschiedlichkeit der Geschlechter fest und fordert, dass Mädchen „in der Säuglingspflege, Kindererziehung und Hauswirtschaft besonders zu unterweisen“ (Verfassung des Freistaates Bayern Art. 131, Abs. 4) seien. Eine vergleichbare Forderung ist in keiner anderen Landesverfassung zu finden (vgl. Evers 1979, 38). Der zitierte Verfassungsauszug steht zudem bald im Widerspruch zu jüngeren nationalen oder internationalen Vereinbarungen über Schulbuchinhalte. SchulbuchmacherInnen hatten und haben solche rechtlichen Grundlagen in ihrer Schulbucharbeit zu berücksichtigen ebenso wie die Zulassungsstellen auf eine Übereinstimmung der Schulbuchinhalte mit geltendem Recht achten mussten bzw. müssen, mindestens in der Theorie. Manche Vorgaben sind direkt auf Bildungsmedien gerichtet: Verlage, AutorInnen und vor allem Zulassungsbehörden sollen unter anderem daran mitwirken, das in der Bundesrepublik 1985 in Kraft getretene internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau382 umzusetzen. Darin wird die Beseitigung jeder Art stereotyper Rollenauffassungen von Mann und Frau auf allen Erziehungsebenen und in allen Unterrichtsformen […], insbesondere auch durch Überarbeitung von Lehrbüchern (Frauenkonvention Art. 10, Abs. c; Hervorh. CO)

als Ziel ausgegeben. Als vermutlich erste nationale Maßnahmen sind die Beschlüsse der KultusministerInnenkonferenz zu nennen. Während gemäß den nationalen Richtlinien für die Genehmigung von Schulbüchern der KMK von 1972 noch die prinzipielle Übereinstimmung von Schulbüchern mit Verfassungsgrundsätzen ausreichte, wird 1986 im KMK-Beschluss zur Darstellung von Mann und Frau in Schulbüchern im Einzelnen ausgeführt: Die Kultusministerkonferenz weist darauf hin, daß die Darstellung von Männern und Frauen/Mädchen und Jungen in Schulbüchern dem Verfassungsgebot der Gleichberechtigung entsprechen muß. Es muß deutlich werden, daß die Aufgaben in Familie, Beruf und Gesellschaft, deren Erfüllung gleichermaßen in die Verantwortung von Män-

|| 382 Auch bekannt unter Frauenkonvention oder in der Abkürzung CEDAW für die englische Bezeichnung der Konvention.

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nern und Frauen fällt, gleichwertig sind und daß sie zumeist in gleicher Weise von Frauen und Männern wahrgenommen werden können. Schulbücher sollen dazu beitragen, daß Jungen und Mädchen bei der Übernahme von Aufgaben in Familie, Beruf und Gesellschaft selbst frei entscheiden können. Einseitig festlegende Aufgabenzuweisungen sollen vermieden werden oder dort, wo sie als Teil der Wirklichkeit darzustellen sind, eine Problematisierung erfahren. (KMK-Beschluss 491 vom 21.11.1986; Hervorh. CO)

Inhaltlich unterscheidet sich dieses Gleichberechtigungsverständnis deutlich von dem der 1950er und 1960er Jahre. Es geht von der Gleichheit von Frauen und Männern aus, die es auch mittels der Schulbücher zu befördern gilt („Schulbücher sollen dazu beitragen, daß […]“, s. obiges Zitat). KMK-Beschlüsse haben zwar keinen Gesetzescharakter, sie sind aber anerkannte Übereinkünfte, auf die sich in der Schulbuchzulassung berufen werden kann. Die KultusministerInnen sprechen sich im zitierten KMK-Beschluss für eine Orientierung am Gleichheitsprinzip aus und weisen geschlechtstypisierende Darstellungsweisen im Schulbuch explizit zurück oder fordern mindestens deren Problematisierung. Einem undoing gender im Schulbuch ist damit der Weg bereitet. Auch spricht sich der noch heute gültige Beschluss für die Umsetzung eines Gleichheitsideals und für einen kritischen Umgang mit realen Ungleichheitsverhältnissen aus. Bereits vor 1986 hatten sich BildungspolitikerInnen der Bundesrepublik länderübergreifend mit der Thematik Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Bildungsmedien auseinandergesetzt. 1972 kamen auf Anregung des Bundeskanzleramts WissenschaftlerInnen, Verlage, VertreterInnen von Frauenorganisationen sowie politische AkteurInnen am Internationalen Schulbuchinstitut Braunschweig (heute: Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung) zu einer Konferenz über die Darstellung der Frau in den Schulbüchern zusammen. Als Ergebnis wurde festgehalten, die Geschlechter im Schulbuch zeitgemäßer und partnerschaftlicher darzustellen.383 Der KMK-Beschluss von 1986 dann war vom Schulausschuss der Kultusministerkonferenz384 vorbereitet worden. Er geht zurück auf die Initiative des Senators für Bildung, Wissenschaft und Kunst von Bremen. Dieser beruft sich einerseits auf eine kritische Bestandsaufnahme zum Thema Darstellung der Frauenrolle in Schulbüchern, welche 1978 im Rahmen eines länderübergreifenden Sach-

|| 383 Mathematikbücher wurden im Ergebnispapier nicht als änderungsrelevant genannt (vgl. Stein 1979, 295–297). 384 Dem Schulausschuss der KMK gehören VertreterInnen aller Bundesländer an.

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verständigengesprächs am Bonner Bildungsministerium erfolgt war.385 Er beruft sich andererseits auf Schulbuchuntersuchungen in Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und Schleswig-Holstein sowie einen Bericht aus Nordrhein-Westfalen, die gezeigt hätten, dass Schulbücher nicht geschlechtergerecht sind (vgl. Empfehlung des Schulausschusses vom 27./28.02.1986). Ferner wird auf den Bericht der Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft des Deutschen Bundestags von 1980 verwiesen (vgl. Empfehlung des Schulausschusses vom 27./28.02.1986), in dem auch in Bezug auf Schulbücher eine gleichberechtigte Darstellung von Mädchen und Frauen gefordert wurde (vgl. den Bericht der Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft vom 29.08.1980). Die Kommission hatte schon 1976 in ihrem Zwischenbericht auf entsprechende Mängel aufmerksam gemacht (vgl. Zwischenbericht der Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft vom 11.11.1976). Mit der Forderung, „Schulbücher in Zukunft dann nicht mehr zuzulassen, wenn darin gegen das Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes verstoßen wird“ (Empfehlung des Schulausschusses vom 27./28.02.1986, o. S.), konnte sich Bremen im Schulausschuss allerdings nicht durchsetzen. Als Innovationsbremse unter den Ländern erweist sich in diesen Jahren vor allem Bayern. Denn der Weg zum KMK-Beschluss von 1986 gestaltete sich nicht zuletzt wegen des bayerischen Widerstands schwierig: Ende des Jahres 1978 hatte der Kultusminister von Bayern bei dem erwähnten Sachverständigengespräch seine Zustimmung zu Reformforderungen verweigert, mit der Begründung, dass derartige Dinge in der Entscheidungsmacht der Verlage lägen (vgl. Glötzner 1982b, 151). Die ersten staatlichen Bestrebungen, Geschlechterdarstellungen in Schulbüchern aufzuarbeiten, waren vom Bund und nicht von den Kultusministerien der Länder ausgegangen. So wurde die erste von einer Behörde initiierte Studie zum Frauenbild in deutschen Schulbüchern von Silbermann/Krüger aus dem Jahr 1971 vom Bundesministerium des Innern/Abteilung Frauen in Auftrag gegeben. Ebenso hatte auch der Bund zum genannten ersten Sachverständigengespräch 1978 eingeladen. Weitere 13 Jahre nach jener ersten Untersuchung von bundesdeutschen Lesebüchern und 17 Jahre nach Sollwedel (s. Kap. 1.2.2b) hatten dann einige Länder die Geschlechterfrage im Schulbuch auf die politische Agenda gesetzt, vorangetrieben durch die sich inzwischen in Form von Gleichstellungsstellen institutionalisierte Frauenbewegung (vgl. z. B. die Schulbuch-

|| 385 Dort berichteten unter anderem der Schulbuchkritiker Johannes Glötzner sowie die Schulbuchforscherin Renate Rauch über aktuelle Studien zur Darstellung der Frauenrolle in Schulbüchern (vgl. Fichera 1996, 185f.).

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studien von Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg, Berlin, s. Anhang 1–1386). Dem KMK-Beschluss von 1986 geht dieses länderpolitische Engagement unmittelbar voraus. Forderungen, welche ausführlicher die Ebene der sprachlichen Umsetzung der Gleichbehandlung von Frauen und Männern ansprechen, finden sich nur andeutungsweise in nationalen rechts- und verwaltungsnormativen Schriften mit Bezug auf das Bildungswesen und auf Bildungsmedien im Besonderen. Im Bereich der Rechts- und Verwaltungssprache betreffen die gesetzlichen Vorgaben hingegen auch die Sprache: Laut Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG §4, Abs. 3) sollen „Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes […] die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck bringen. Dies gilt auch für den dienstlichen Schriftverkehr.“ Die Vorgaben gehen jedoch über diese allgemeine Formel nicht hinaus.

5.2.2 Kriterienkataloge & Co im Ländervergleich Zwei Jahre nach dem KMK-Beschluss zur Darstellung der Geschlechter im Schulbuch hält der Bericht über die Chancengleichheit für Mädchen und Jungen im Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland fest, dass „[d]ie überwiegende Anzahl der Länder […] den Kriterienkatalog für die Zulassung von Schulbüchern erweitert [hat].“ (KMK-Bericht Chancengleichheit, vom Schulausschuss zustimmend zur Kenntnis genommen am 12.01.1988, o. S.) Diesen erweiterten Katalogen zufolge „müssen einseitige Rollenzuweisungen vermieden werden und Mädchen in aktiver und gestaltender Rolle gezeigt werden, um Schülerinnen zeitgemäße Identifikationsangebote zu geben.“ (KMK-Bericht Chancengleichheit, 12.01.1988, o. S.) In diesem Kapitel soll überprüft werden, in welcher Form dies geschah und welche Forderungen auf Landesebene in Bezug auf die Geschlechterdarstellung an Schulbücher herangetragen wurden und werden. Zu beachten ist dabei auch, dass das bundesrepublikanische Grundgesetz lediglich übergeordneter Rechtsrahmen der Schulbuchzulassung ist, aber nicht automatisch verlässlicher Indikator dafür, dass ein einmal festgeschriebener Gleichberechtigungsgrundsatz im Sinn von Geschlechtergleichheit ausgelegt wird. Die Frage ist daher nicht allein, ob der Grundsatz bei der Schulbuchzulassung eine Rolle spielt(e), sondern welche Interpretation von „Gleichberechti-

|| 386 Der Anhang ist nicht Bestandteil der Druckfassung, sondern steht zum Download unter https://www.degruyter.com/view/product/491314 bereit.

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gung“ zu welcher Zeit zur Entscheidungsgrundlage einer Zulassung gemacht werden soll(te). Zahlreiche Bundesländer, darunter Bayern und Nordrhein-Westfalen, haben in ihren Schulgesetzen Vorgaben für das Zulassungsverfahren aufgestellt. Das Verfahren ist meist durch eine Zulassungsverordnung oder durch Rechtsverordnungen sowie Verwaltungsvorschriften näher ausgestaltet (vgl. Leppek 2002, 8–10; vgl. ferner Stöber 2010). Wie im Kapitel 5.1 herausgearbeitet, differenziert sich die Prüfpraxis ab Mitte der 1970er Jahre aus. Kriterienkataloge, Richtlinien oder Leitfäden, die aufführen, welche Aspekte bei der Begutachtung von Lehr-Lernmitteln eine Rolle spielen, werden entwickelt und stellen für Schulbuch- und Bildungsmedienverlage eine Orientierungshilfe dar, sind dabei zugleich normatives Regelwerk in bis dato nicht existierender Detailliertheit. In westdeutschen Zulassungsverordnungen der 1970er Jahre finden sich keine Hinweise darauf, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Prüfpraxis ein explizites Kriterium dargestellt hätte;387 die Gleichberechtigung ist aber indirekt mit der Forderung der Zulassungsverordnungen nach Verfassungsgemäßheit von Lehr-Lernmitteln und der Übereinstimmung von Lehr-Lernmittelinhalten mit den geltenden Rechtsvorschriften angesprochen. Die älteste Aufstellung, die zu ermitteln war und in welcher der Gleichberechtigungsgrundsatz als Beurteilungskriterium von Schulbüchern aufgeführt ist, stammt aus dem Jahr 1984 und wurde von der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau ausgegeben. Nicht alle Kriterienkataloge richten sich an Verlage und GutachterInnen; einige sind speziell für Lehrkräfte erstellt, die aus der Fülle an zugelassenen Schulbüchern und verwandten Bildungsmedien eine Auswahl für die konkrete Schule und das konkrete Fach zu treffen haben oder anhand des Katalogs bereits angeschaffte Schulbücher kritisch untersuchen sollen. Diese Kataloge haben dann in der Regel einen weniger offiziellen und weniger verbindlichen Charakter, weil sie häufig nicht von der Zulassungsstelle selbst ausgegeben werden – wie im Fall der bremischen Richtlinien für die Darstellung von Frau und Mann in den Schulbüchern von 1984 –, sondern beispielsweise das Fazit einer Schulbuchstudie darstellen, auf die wiederum von Behördenseite im Amtsblatt oder in Form von LehrerInnenhandreichungen hingewiesen wird.388 Richten sich die Kriterienka-

|| 387 Diese wurden von Müller (1977, 411–436), dem Institut für Bildungsmedien (1976) und Braeunlich (1975, 313f.) erstellt. 388 So geschehen im Fall von Rampillons Kriterien zur Feststellung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Schulbüchern, die im Amtsblatt des Kultusministeriums von RheinlandPfalz (1986, 313–315) abgedruckt sind.

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taloge speziell an Lehrkräfte, sind sie nicht Bestandteil der Zulassungspraxis von Schulbüchern, sondern der Einführungspraxis. Kriterienkataloge, Richtlinien und Leitfäden der Prüfung von Schulbüchern wurden für alle Bundesländer bis einschließlich März 2015 recherchiert und in ihrer Entwicklung nachvollzogen, sofern verschiedene Fassungen zu rekonstruieren waren. Für sieben Bundesländer – Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt – konnte ein aktueller offizieller Kriterienkatalog ermittelt werden, der vom Kultusministerium oder dem zuständigen Landesschulinstitut erstellt worden war; es handelt sich hierbei in der Regel um Ausführungsbestimmungen zum (schul-) gesetzlich festgeschriebenen Zulassungsverfahren. Nur wenige Länder machen ihre Prüfkriterien transparent,389 andere stellten ihre Prüfleitfäden auf Nachfrage zur Verfügung (z. B. Nordrhein-Westfalen). Ältere Kataloge sind zum Teil bei Thiel (1994) bibliographiert und zitiert, zum Teil verweisen Schulbuchstudien (z. B. Lindner/Lukesch 1994 zu Bayern; Höhne/Kunz/Radtke 2005 zu Hessen) oder gleichstellungsorientierte Publikationen (z. B. Schulministerium NRW 2009) auf behördliche Prüfkriterien oder ganze Kriterienkataloge der Vergangenheit. Im Fall Schleswig-Holstein konnte ein älterer Kriterienkatalog trotz eines Hinweises bei Thiel (1994, 125) nicht mehr ausfindig gemacht werden. Alternativ zu derartigen Aufstellungen wurden Lernmittelzulassungsverordnungen oder verwandte Erlasse und Verwaltungsvorschriften auf Ausführungen zur Geschlechterthematik ausgewertet. Wenn auch hierin keine Hinweise zu finden waren oder keine entsprechenden Verordnungen sowie sonstigen Vorschriften existier(t)en, wurden die Schul- oder Schulordnungsgesetze als höchste legislative Textinstanz für das Landesschulwesen in die Analyse einbezogen. Dies war bei den Stadtstaaten Berlin und Hamburg, dem Saarland und Schleswig-Holstein der Fall, die kein Zulassungsverfahren durchführen. Meist wird in diesen Schulgesetzen der Gleichberechtigungsgrundsatz als allgemeines Bildungs- und Erziehungsziel formuliert. Wenn im folgenden Ländervergleich also ausschließlich ein Auszug aus einem Schulgesetz zitiert wird, dann, weil keine hierarchisch niedriger angesiedelte Bestimmung ermittelt werden konnte. Die jeweiligen Bestimmungen aus offiziellen Kriterienkatalogen, Zulassungsverordnungen oder Schulgesetzen bzw. ähnlich lautenden Vorschriften sind im Anhang 5–1 übersichtlich zusammengestellt.390 Darin sind einerseits

|| 389 Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg und Bremen stellen ihre Beurteilungskataloge auf der Internetseite der jeweiligen Behörde zum Download zur Verfügung. 390 Der Anhang ist nicht Bestandteil der Druckfassung, sondern steht zum Download unter https://www.degruyter.com/view/product/491314 bereit.

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aktuell gültige Vorgaben gelistet und andererseits rekonstruierte Vorstufen des Kriterienkatalogs oder der Zulassungsverordnung. Im Folgenden wird für jedes Bundesland der Weg zur im März 2015 gültigen Vorgabe nachgezeichnet. Anschließend werden die Vorgaben gemäß den eingangs im Kapitel 5 aufgegriffenen Forschungsfragen dieser Untersuchung ausgewertet. a) Baden-Württemberg Baden-Württemberg hat bereits 1984 Handreichungen zur Begutachtung von Schulbüchern ausgegeben, in denen unter anderem bestimmt ist, dass eine Zulassung versagt werden muss, wenn der Gleichberechtigungsgrundsatz in Schulbüchern verletzt wird. Anders als in allen anderen Länderbestimmungen der Vergangenheit und Gegenwart stellt es im baden-württembergischen Kriterienkatalog ein Ausschlusskriterium dar, wenn ein Schulbuch den Gleichberechtigungsgrundsatz verletzt: „Schulbücher sind in jedem Fall abzulehnen, […] die die Gleichberechtigung von Mann und Frau […] verletzen“ (Handreichungen zur Begutachtung von Schulbüchern 1984, 6, zit. nach Thiel 1994, 121), und 25 Jahre später: „Schulbücher können insbesondere nicht zugelassen werden, wenn sie […] die Gleichberechtigung von Mann und Frau […] verletzen“ (Merkblatt für Schulbuchverlage 2011, 4). Die anderen Länder formulieren positiv: Ein Schulbuch sei demnach zuzulassen, wenn es den Grundsatz beachtet oder nicht verletzt. Beurteilungsaspekte von Gleichberechtigung sind in den baden-württembergischen Katalogen in Form von Leitfragen präzisiert. 1984 findet man darin die Forderung, Rollenklischees zu vermeiden. Im Merkblatt für Schulbuchverlage, dem Kriterienkatalog der Schulbuchzulassung von 2011, wird dann differenzierter gefordert, dass Schulbücher – Identifikationsmöglichkeiten für Jungen und Mädchen anbieten und gleichermaßen ansprechend in Materialauswahl und Gesamtausstattung sind, – Leistungen von beiden Geschlechtern darstellen, – dass Beruf, Familie, Gesellschaft als Verantwortungsbereiche beider Geschlechter erscheinen und – Rollenklischees vermieden werden. Näheres zur sprachlichen Umsetzung ist nicht aufgenommen. Alle Forderungen werden unter dem „Prinzip des ‚Gender Mainstreaming‘“ (Merkblatt für Schulbuchverlage 2011, 7) subsummiert. Gender Mainstreaming wird sowohl im Merk-

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blatt genannt als auch im Vordruck der Verpflichtungserklärung391 ebenso wie in der baden-württembergischen Schulbuchzulassungsverordnung in der Fassung von 2009 (vgl. Schulbuchzulassungsverordnung Baden-Württemberg 2009, §5, Abs. 1, 3) explizit aufgeführt. Weitere Formulierungen im Merkblatt legen nahe, dass unter Gender Mainstreaming die konsequente Berücksichtigung der Gleichheit der Geschlechter („Geschlechtergleichheit“ Merkblatt für Schulbuchverlage 2011, 5) verstanden wird.392 Schulbücher, die das grundgesetzlich festgeschriebene Gleichberechtigungsgebot befolgen, behandeln Frauen und Männer somit gleich und nicht gleichwertig. Ob das Leitprinzip Gender Mainstreaming auch in der Zulassungspraxis konsequent berücksichtigt wird und eine Zulassung bei Mängeln in Bezug auf die Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes im beschriebenen Sinn versagt bleibt, kann allerdings nicht beantwortet werden, da sich unter den untersuchten Gutachten und Korrespondenzen (s. Kap. 5.2.3) keine Dokumente zur Praxis in Baden-Württemberg befinden. Baden-Württemberg nimmt somit verhältnismäßig ausführlich Stellung zur Berücksichtigung von Geschlechterfragen bei der Prüfung von Schulbüchern. Vor wenigen Jahren jedoch hat das Bundesland sein Zulassungsverfahren deutlich vereinfacht (vgl. Stöber 2010): Verlage können seither die oben genannte Verpflichtungserklärung einreichen, Mitarbeitende des Landesinstituts für Schulentwicklung Baden-Württemberg überprüfen die Einhaltung der Zulassungskriterien nur noch stichprobenhaft; externe GutachterInnen sind in diesem Verfahren nicht vorgesehen, was letztlich bedeutet, dass die Qualitätsentwicklung von Bildungsmedien und das Qualitätsmonitoring den Schulbuchverlagen selbst überlassen werden. b) Bayern Der bayerische schulartübergreifende Kriterienkatalog zur Beurteilung von Lehr-Lernmitteln ist seit 1985 und damit im Ländervergleich verhältnismäßig früh mit einem Gleichberechtigungshinweis versehen. Neben dem Diskriminierungsverbot und dem Gebot einer gleichberechtigten Darstellung der Geschlechter wird darin auch als Zulassungsvoraussetzung genannt, dass Schulbücher und andere Bildungsmedien „nicht der Entwicklung einseitiger Vorstellungen über die Position von Männern und Frauen in Gesellschaft und Familie || 391 Verlage müssen in der Verpflichtungserklärung bestätigen, dass das von ihnen zur Zulassung beantragte Schulbuch alle Zulassungsvoraussetzungen erfüllt. 392 Nicht zu rekonstruieren war, ob „Geschlechtergleichheit“ bereits Bestandteil der Vorgaben von 1984 war.

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Vorschub leisten“ dürfen (Katalog allgemeiner Kriterien und Richtlinien für die Begutachtung von Lernmitteln 1987 [1985], 21). Der Passus wird über die Jahrzehnte weiter ausgebaut. Inhaltlich entspricht diese Formulierung der in jüngeren wie älteren Kriterienkatalogen häufig genannten Forderung, Rollenklischees im Schulbuch zu vermeiden. Bis 2010 wird dann in den Katalog noch aufgenommen: Die Lebenswirklichkeit von Frauen in unserer Gesellschaft sowohl im Hinblick auf Belastungen und Konflikte wie auch hinsichtlich ihrer Teilnahme am Berufsleben und am öffentlichen Leben muss ausreichend dargestellt werden. (Allgemeiner Kriterienkatalog 2010, 9)

Damit hält eine Formulierung Einzug, die im Besonderen auf die Darstellung von Frauen abhebt und die soziale „Lebenswirklichkeit“ zum Bewertungsmaßstab macht. In der Überarbeitung des Katalogs von 2014 wird das Zusammenleben von Männern und Frauen nicht mehr allein mit dem Konzept Familie zusammengedacht, sondern wird der ältere Passus um die hervorgehobene Formulierung ergänzt: „[…] Vorstellungen über die Position von Männern und Frauen in der Gesellschaft und Familie oder anderen Formen des Zusammenlebens” (Allgemeiner Kriterienkatalog 2014, 9; Hervorh. CO).393 Neu am Kriterienkatalog von 2014 ist auch, dass erstmals geschlechtersensible Sprache verwendet wird. Die neuen kompetenzorientierten Lehrpläne, die seit 2014/15 sukzessive in Kraft treten, sind ebenfalls geschlechtersensibel formuliert. Geschlechtersensible Sprache im engeren Sinn wird allerdings nicht im Kriterienkatalog behandelt oder eingefordert. c) Berlin Das Pädagogische Zentrum des Landes Berlin, Vorläufer des heutigen Landesinstituts für Schule und Medien Berlin bzw. des 2007 fusionierten Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, hat bereits früh Schulbuchanalysen zur Darstellung von Frauen und Mädchen durchgeführt (vgl. Voigt 1984/85; Asheuer u. a. 1984/85). Im Abgeordnetenhaus wurde das Thema zur gleichen Zeit aufgegriffen (vgl. Freese 1985). Die Gleichberechtigung der Ge-

|| 393 Familie und Formen des Zusammenlebens schließen sich in dieser Formulierung aus. Diese Unterscheidung legt nahe, dass hier weiterhin von einem engen Familienkonzept ausgegangen wird, traditionell mit Ehe, Reproduktion und einem verwandtschaftlichen Verhältnis zwischen Eltern und Kind(ern) zusammengedacht.

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schlechter im Schulbuch stand folglich durchaus auf der politischen Agenda. Es waren allerdings keine Verwaltungsvorschriften zu ermitteln, die sich daraus ergeben hätten. Derzeit werden im Land Berlin keine Schulbuchprüfungen vorgenommen oder Genehmigungen erteilt. Es existiert weder eine Zulassungsverordnung noch eine zentrale Zulassungsstelle. Die Berliner Schulen entscheiden selbst, welches neu erscheinende Buch sie für tauglich befinden (vgl. Stöber 2010; Rundschreiben I 67/2003 des Berliner Staatssekretärs für Bildung, Jugend und Sport). Der einzige länderspezifische Hinweis zum Gleichberechtigungsgrundsatz im Schulwesen steht im Berliner Schulgesetz in der Fassung von 2010 unter den Bildungs- und Erziehungszielen, wo besonders herausgestellt wird, dass SchülerInnen die „Gleichstellung von Mann und Frau […] über die Anerkennung der Leistungen der Frauen in Geschichte, Wissenschaft, Wirtschaft, Technik, Kultur und Gesellschaft […] erfahren“ (SchulG Berlin §3, Abs. 3) sollen. Gleichberechtigung wird auch hier eher im Sinn von Geschlechtergleichheit näher bestimmt. d) Brandenburg Brandenburg praktiziert für die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer Geographie, Geschichte, Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde und Politische Bildung eine Einzelprüfung mit drei Gutachten pro Lehr-Lernmittel;394 Schulbücher der anderen Fächer und für die Sekundarstufe II werden pauschal zugelassen (vgl. Lernmittelverordnung Brandenburg in der Fassung von 2013, §§5– 7). Für die Lehrkräfte, die über die Einführung der Schulbücher entscheiden, haben das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Brandenburg und das Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg Orientierungsschwerpunkte für die Begutachtung von Schulbüchern im Land Brandenburg (2012) herausgegeben. In diesen Orientierungsschwerpunkten stellt das Land Brandenburg heraus, dass dem Schulbuch die „zentrale Aufgabe“ zukomme, einen „bewussten Umgang[] mit Vielfalt, Heterogenität und Differenz“ (2012, 4) zu fördern. Was einen solchen bewussten Umgang konkret ausmacht, wird im Weiteren für den Umgang mit Geschlecht skizziert: Die „Gleichschätzung und Gleichbehandlung eines jeden Menschen, unabhängig […] seines Geschlechts, seiner sexuellen

|| 394 Hat ein Schulbuch bereits eine Zulassung in einem anderen Bundesland erlangt, dessen Rahmenlehrplan mit dem brandenburgischen Rahmenlehrplan übereinstimmt, kann es ohne Prüfung zugelassen werden.

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Identität“ sowie weiterer Diversity-Kategorien seien im Schulbuch zu beachten, konkreter fällt die Forderung nach „verbale[r] und tatsächliche[r] Gleichstellung von Frau und Mann“ (2012, 6) aus und die Forderung, „Möglichkeiten der Jungenförderung“ (2012, 7) zu beachten. In der Zulassungsverordnung Brandenburgs steht kein expliziter Hinweis auf das Thema Geschlecht, im brandenburgischen Schulgesetz hingegen ist im §14 ein Verbot der Diskriminierung nach dem Geschlecht verankert (vgl. Lernmittelverordnung Brandenburg in der Fassung von 2013; BbgSchulG in der Fassung von 2014). Von den Zulassungsvoraussetzungen der meisten anderen Bundesländer unterscheidet sich Brandenburg damit in dreierlei Hinsicht: (1) Geschlecht und sexuelle Identität werden differenziert betrachtet und als zwei unterschiedliche Diversity-Dimensionen formuliert; (2) der bewusste Umgang mit geschlechtlicher Heterogenität umfasst hier dezidiert, Jungen zu fördern; (3) die sprachliche Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes (als Geschlechtergleichheit) wird eingefordert und als Gleichstellungspraxis neben – und das ist ebenfalls ein interessanter Nebenbefund: nicht als Teil von – anderen sozial wirksamen Gleichstellungspraktiken perspektiviert (s. „verbal“ vs. „tatsächlich“). Brandenburg ist eines von wenigen Bundesländern, das in seinen Beurteilungskriterien für Schulbücher die Ebene der Sprache explizit anspricht. In den brandenburgischen Handreichungen zur Begutachtung von Lernmitteln von 1992 (nach Thiel 1994, 122) fehlt ein solcher Hinweis noch. Hier ist Bewertungsgrundlage, ob das Schulbuch gegen den „Grundsatz der Gleichstellung von Mann und Frau“ (zit. nach Thiel 1994, 122) verstößt und ob Rollenklischees – klischeehafte Eigenschaften und Verhaltensweisen – reproduziert werden. Die Bewertungskriterien von 1992 fallen dabei inhaltlich detaillierter als 2012 hinsichtlich dessen aus, was als unvereinbar mit dem Gleichstellungsgrundsatz gilt (s. Anhang 5–1: Brandenburg). e) Bremen Zusammen mit Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein gehört auch Bremen zu den ersten Bundesländern, das eine Untersuchung seiner Schulbücher Anfang bis Mitte der 1980er Jahre durchgeführt hat (vgl. Müller 1984; Verleger 1984; Lopatecki/Lüking 1989). Nach Thiel (1994, 122) wurde von der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau, der ZGF Bremen, 1984 auch eine inoffizielle Richtlinie für die Darstellung von Frau und Mann in den Schulbüchern erarbeitet. Schulbücher müssten sich demnach

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daran messen lassen, ob sie dazu beitragen, Kinder und Jugendliche zu kritikfähigen, selbständigen und mit den Regeln demokratischer Gesellschaftsformen vertrauten Menschen heranzubilden. In diesem Rahmen sollen sie u. a. die tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter fördern und auf eine Veränderung der traditionellen Rollenund Berufsverteilung hinwirken. (ZGF Bremen 1984, zit. nach Thiel 1994, 122; Hervorh. CO)

Inwiefern diese in der Prüfpraxis Anwendung fand, konnte nicht rekonstruiert werden. Derzeit ist ein offizieller Kriterienkatalog für die Beurteilung von Lernbüchern in Bremen des Landesinstituts für Schule (unter Berücksichtigung der Richtlinien für die Lernbuchzulassung vom 23.03.2011) in Gebrauch. Darin wird ein „übergreifendes Rollenverständnis für beide Geschlechter“ (Kriterienkatalog Bremen 2010/2011, 2) im Schulbuch gefordert – im Unterschied zu jenen Beurteilungskatalogen, die geschlechtsspezifische Identifikationsangebote verlangen. f) Hamburg Eine traditionell liberale Zulassungspraxis pflegt Hamburg (vgl. bereits Müller 1977, 419f.). Es gibt dort keine zentrale Zulassungsstelle, ebenso wenig wie ein Prüfverfahren für Schulbücher. Wenngleich Fragen der Geschlechtergerechtigkeit in Schulbüchern in Hamburg durchaus früh gleichstellungspolitisches Thema waren (vgl. Meyer/Jordan 1984), ist für den Stadtstaat kein offizieller Kriterienkatalog der Schulbuchbeurteilung bekannt, weder für die Vergangenheit noch für die Gegenwart. Die Schulen, welche über die Einführung von LehrLernmitteln entscheiden, können hier auf keine Leitlinien von Behördenseite zurückgreifen. Da kein Zulassungsverfahren in Kraft ist, existieren auch keine Verwaltungsvorschriften zu Zulassungsvoraussetzungen. Einzig das Hamburger Schulgesetz formuliert allgemeine Anforderungen an Schule und Unterricht, die Gleichberechtigung der Geschlechter ist hier unter dem Bildungs- und Erziehungsauftrag als Ziel und Gegenstand von Schule ausgewiesen (vgl. HambSG in der Fassung von 2014, §2, Abs. 1). g) Hessen Die Richtlinien für die Begutachtung von Lehrbüchern des Hessischen Kultusministeriums von 1989 (vgl. auch Scheer 1997, 134) gehören zwar im Ländervergleich nicht zu den ersten Ausführungen, auch wenn diese wohl bereits 1986 in der Fassung von 1989 existierten (vgl. Giese 1987, 56f.). Sie gehen aber genauer als vorherige ins Detail und wurden von anderen Bundesländern rezipiert: Nordrhein-Westfalen übernimmt die Auflistung 1991 und Brandenburg 1994 (s. Anhang 5–1: Hessen, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg). In den Richtlinien

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wird ausgeführt, dass Schulbücher keine Rollenklischees reproduzieren und hierfür nicht mit Stereotypisierungen in ‚typisch weiblich‘395 (in den Richtlinien näher spezifiziert mit: Passivität; Gefühl; Schwäche) und ‚typisch männlich‘ (in den Richtlinien näher spezifiziert mit: Aktivität; Verstand; Stärke) arbeiten sollen; sie sollen außerdem keine benachteiligenden Identifikationsangebote für Mädchen anbieten. Ähnlich wie Brandenburg hat Hessen sein Zulassungsverfahren in den vergangenen Jahren stark vereinfacht und lässt nur noch für Schulbücher der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer Gutachten anfertigen. An neueren Vorgaben für Schulbücher ist die hessische Zulassungsverordnung von 2013 zu nennen, in der ein verschiedene Diversity-Dimensionen umfassendes, sonst aber nicht näher konkretisiertes Diskriminierungsverbot ausgesprochen wird (vgl. Zulassungsverordnung Hessen 2013, §3, Abs. 1). h) Mecklenburg-Vorpommern Mecklenburg-Vorpommern führt keine Schulbuchprüfung anhand eines offiziell zugänglichen Kriterienkatalogs durch,396 wenngleich es noch 2001 einen internen („unveröffentlicht[en]“) gegeben hat.397 In dem Katalog des Mecklenburgischen Landesinstituts für Schule und Ausbildung von 2001 wird die Gleichberechtigung der Geschlechter vor allem mit Blick auf die bildliche wie inhaltliche Darstellung von Frauen thematisiert. Die Berufswelt und die Aufgabenverteilung zwischen Frauen und Männern ebenso wie die Familie werden als Bereiche genannt, bei denen die „Gleichstellung der Geschlechter“ (Verfahren und Kriterien Mecklenburg-Vorpommern 2001, 3) zur Beurteilungsgrundlage gemacht werden soll. Anscheinend ging dieser Kriterienkatalog mit Auflösung des Landesinstituts 2009 und der Übernahme zentraler Aufgaben, unter anderem der Schulbuchprüfung, durch das neue Institut für Qualitätsentwicklung Mecklenburg-Vorpommern (IQMV) verloren. Hat ein Schulbuch noch keine Zulassung in einem anderen Bundesland erlangt, wird ein Gutachten erstellt, das sich „an inhaltlichen Vorgaben der obersten Schulbehörde“ (Zulassungsverfahren Mecklenburg-Vorpommern 2011, 231) orientieren soll. Gutachten werden vom Institut für Qualitätsentwicklung ange-

|| 395 Die einfachen Anführungszeichen markieren die Konstruiertheit dieser Zuordnung. 396 Telefonische Auskunft des Instituts für Qualitätsentwicklung Mecklenburg-Vorpommern (IQMV), i. P. Eyleen Kotyra, vom 06.03.2015. 397 Er wird in Stöber (2010, 21) zitiert und wurde freundlicherweise von Georg Stöber für diese Untersuchung zur Verfügung gestellt.

Der Umgang mit Geschlecht in der Schulbucharbeit und im Zulassungsverfahren | 365

fertigt.398 Worin diese „inhaltlichen Vorgaben“ im Einzelnen bestehen, konnte nicht ermittelt werden. i) Niedersachsen Niedersachsen nutzt seit 1986399 einen in seinen Bestimmungen zu Geschlechterfragen beinahe unveränderten Beurteilungskatalog (s. Anhang 5–1: Niedersachsen). Er ist für den internen Gebrauch und die Hand von GutachterInnen gedacht, nicht aber öffentlich zugänglich.400 Dieser Kriterienkatalog widmet sich der Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes am detailliertesten. Kein anderes Bundesland versucht eine vergleichbar umfassende Antwort auf die Frage zu geben, was Gleichberechtigung im Schulbuch heißen mag. Im allgemeinen Teil fordert der niedersächsische Katalog, einseitige Rollenzuweisungen zu vermeiden sowie eine „Gleichwertigkeit der Aufgaben von Mann und Frau in Familie, Beruf und Gesellschaft“ (Kriterienkatalog für die Beurteilung von Schulbüchern 1986, Anhang 1, S. 1). Unter der Überschrift „Sprachliche Beurteilung“ ist eine Bemerkung zu geschlechtersensibler Sprache im Schulbuch zu finden. Gleichberechtigung erfährt im Katalog sowohl eine Spezifizierung als Gleichwertigkeit (die eine Andersartigkeit, wenn auch nicht automatisch eine ontologische, impliziert) als auch als Gleichheit. Nähere Bestimmungen zur „Darstellung der Rolle der Frau in Schulbüchern“ für GutachterInnen sind auf einem eigenen Beiblatt aufgeführt. Schulbücher sollen demnach: – beiden Geschlechtern gleiche Möglichkeiten und Chancen – privat, beruflich, im öffentlichen Leben – aufzeigen, – Mädchen und Frauen als leistungsstark darstellen, – Leistungen von Frauen berücksichtigen, – Haus- und Familienarbeit würdigen, – beide Geschlechter als für die Familie verantwortlich zeigen, – Aufgaben in der Haus- und Familienarbeit partnerschaftlich aufteilen,

|| 398 Telefonische Auskunft des Instituts für Qualitätsentwicklung Mecklenburg-Vorpommern (IQMV), i. P. Eyleen Kotyra, vom 06.03.2015. 399 Wohl bereits vor 1986 wurden in Niedersachsen Kriterienkataloge bei der Begutachtung genutzt: „[J]eder Gutachter [erhält] mit seinem Auftrag ein Merkblatt zur Abfassung eines Gutachtens, in dem weitere Einzelheiten aufgeführt sind“ (Ziegenspeck 1979, 158). Vermutlich wurde der Beurteilungsaspekt Geschlecht aber erst 1986 aufgenommen. 400 E-Mail-Auskunft des Niedersächsischen Kultusministeriums, i. P. Andreas Müller, vom 26.02.2014.

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– – – –

Frauen im Beruf und öffentlichen Leben und in leitenden Positionen auftreten lassen, Berufstätigkeit von Frauen als „Bedürfnis“, nicht allein (!) als „finanzielle Notwendigkeit“ zeigen, Frauen und Männer in allen Berufen auftreten lassen, in Materialwahl und Ausstattung für beide Geschlechter ansprechend sein.

Als 1985 die Geschlechterdarstellung in Schulbüchern zum politischen Thema im Niedersächsischen Landtag wurde, schlossen sich bald Schulbuchstudien an und es entstand der vorgestellte Kriterienkatalog, der den Gutachtern die Aufgabe erleichtern sollte, im Rahmen einer allgemeinen Prüfung besonders auf die Darstellung der Rolle der Frau zu achten. Die Schulbuchgutachten ließen nämlich darauf schließen, daß die Gutachter bislang mit den im allgemeinen Kriterienkatalog […] enthaltenen diesbezüglichen knappen Fragen nicht allzu viel anzufangen wußten. (NKM [Niedersächsisches Kultusministerium] 1988, 3)

Beiläufig wird in der Dokumentation Bericht über die Maßnahme „Darstellung der Familie und der Rolle der Frau im Schulbuch“ außerdem erklärt, dass die Geschlechterthematik bereits in Fortbildungen für SchulbuchgutachterInnen eine Rolle gespielt hätte (vgl. NKM 1988, 2). Niedersachsen setzte somit mindestens in der Vergangenheit auf angeleitete GutachterInnen und erfuhr von diesen auch, wo Probleme der Operationalisierung von Bewertungskriterien auftauchten. Für GutachterInnen sei es gemäß Kriterienkatalog verpflichtend, etwas zur Darstellung der Geschlechter im Schulbuch zu sagen – umso entgegenkommender ist es für GutachterInnen, wenn von der Zulassungsstelle konkretere Bewertungsfragen zur Umsetzung des Gleichberechtigungsgebots ausgegeben werden. Dieser Forderung wird jedoch nicht immer nachgekommen, wie die Auswertung der Schulbuchgutachten ergab (s. ausführlicher Kap. 5.2.3). j) Nordrhein-Westfalen Der Frage nach Geschlechtergerechtigkeit im Bildungssystem widmete sich Nordrhein-Westfalen relativ früh und intensiv.401 Dem kultusministeriellen Erlass Berücksichtigung frauenspezifischer Belange in den Richtlinien und Lehrplänen für die Schulen im Lande Nordrhein-Westfalen von 1985 zufolge sollen aus

|| 401 Vgl. beispielsweise die Publikation Hauser/Nave-Herz (1986), herausgegeben von der Parlamentarischen Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frau und Mann von NordrheinWestfalen Ilse Ridder-Melchers.

Der Umgang mit Geschlecht in der Schulbucharbeit und im Zulassungsverfahren | 367

der Überarbeitung von Richtlinien und Lehrplänen auch Konsequenzen für die Gestaltung von Schulbüchern gezogen werden; Schulbuchverlage werden vom Kultusministerium 1988 nochmals explizit darauf hingewiesen, dass unter anderem aus diesem Erlass „Prüfkriterien für die Schulbuchbegutachtung […] abgeleitet“ würden (Schreiben des Kultusministeriums Nordrhein-Westfalen vom 10.10.1988 an alle Schulbuchverlage).402 Nicht eindeutig zu entscheiden ist, ob im Erlass auch eine geschlechtersensible Sprache für Lehrpläne, Richtlinien und damit mittelbar für Schulbücher gefordert wird: Gemäß Runderlass möge „in den sprachlichen Formulierungen“ deutlich werden, dass „der Unterricht gleichermaßen Schülerinnen wie Schüler erreichen soll.“ Was unter „sprachlichen Formulierungen“ verstanden wird, ob „sprachlich“ tatsächlich eine Konzession an Forderungen der feministischen Sprachkritik (Paarformen statt generisch gebrauchtem Maskulinum und dergleichen) ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Weitere offizielle Verlautbarungen zur Lehr-Lernmittelprüfung gehen nicht näher auf eine sprachliche Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes ein. Es bleibt bei inhaltlichen Bestimmungen, die Gleichberechtigung konsequent als Gleichheit der Geschlechter perspektivieren: Im Lernmittelgenehmigungserlass von 1991 wird der Grundsatz der Gleichstellung von Frauen und Männern als Zulassungsvoraussetzung genannt, ferner fordert der Erlass, (1.) Rollenklischees nicht zu reproduzieren – wie das hessische Vorbild wird diese Forderung operationalisiert –, (2.) keine benachteiligenden Identifikationsangebote für Mädchen und (3.) – darin geht Nordrhein-Westfalen über das Vorbild Hessen hinaus – die Männerrolle herausfordernde Identifikationsangebote für Jungen anzubieten (s. ausführlich Anhang 5–1: Nordrhein-Westfalen). Spätestens im Zuge der Umstellung auf kompetenzorientierte Kernlehrpläne hat das Land ein neues Begutachtungsverfahren entwickelt. Aus den neuen Kernlehrplänen wurden schulartbezogen für jedes Fach und für verschiedene Jahrgangsstufen Begutachtungsformulare403 abgeleitet, die den Schulbuchver-

|| 402 Im Anhang des Schreibens sind alle Kriterien der Beurteilung von Schulbüchern für das Fach Geschichte stichpunktartig aufgelistet, gegliedert in: „1. Richtlinien und Erlasse [sic!] des Landes NRW“, darunter der genannte Erlass, „Kriterien der hist. [sic!] Interpretation und Darstellung in Schulgeschichtsbüchern“, „3. Kriterien der Unterrichtsmethodik“. 403 Einsicht wurde mir vom Referat 412 des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen in Lernmittelbegutachtungsformulare für Lernmittel der Fächer Deutsch, Geschichte und Mathematik der 7. bis 8., der 7. bis 9. oder der 7. bis 10. Jahrgangsstufe an Gesamtschulen und Gymnasien gewährt. Schulbuchverlage tragen in diese Begutachtungsformulare zum Teil direkt Belegstellen zu fachwissenschaftlichen Beurteilungskriterien

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lagen als Wegweiser bei der Produktion der Schulbücher und den GutachterInnen als standardisierte Bewertungsgrundlage dienen. Auf dem Formular zur Lernmittelbegutachtung zählt zu den übergreifenden Kriterien, dass Schulbücher den „Grundsatz der Gleichbehandlung“ der beiden Geschlechter einhalten, was wiederum durch „keine Rollenklischees“ präzisiert wird; außerdem seien „geschlechtsspezifische Interessen von Jungen und Mädchen“ (Lernmittelbegutachtung [2015], Nr. 21–23) zu berücksichtigen. Im Vergleich dieser aktuellen Zulassungsvoraussetzungen zu jenen von 1991 fällt auf: Während 1991 der Fokus auf der Vermeidung jedweder Typisierung liegt, sind 2015 geschlechtsspezifische Angebote, die allerdings ebenfalls zeitlich nach vorne gerichtete Typisierungen sind, dezidiert erlaubt bzw. werden gefordert. k) Rheinland-Pfalz Nach Auskunft des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz wird aktuell keine andere Kriterienliste, die über die Angaben in der entsprechenden Verwaltungsvorschrift hinausgeht, in der Begutachtung von Lehr-Lernmitteln verwendet.404 1986 veröffentlichte das Kultusministerium in seinem Amtsblatt ausführliche Kriterien zur Feststellung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Schulbüchern, erstellt von der Bildungsmedienautorin Rampillon (vgl. Rampillon 1986b). Die Kriterien sind ungewöhnlich umfangreich, sie thematisieren zudem die Sprachebene, z. B.: Existieren „diskriminierende Sprachmuster“ (Rampillon 1986b, 315), wer spricht häufiger, welcher Reihenfolge folgen Personenreferenzformen in komplexen koordinierten Phrasen usw. (s. auch Kap. 1.2.1b). Jedoch handelt es sich bei diesen Kriterien nicht um die kultusministerielle Beurteilungsgrundlage für SchulbuchgutachterInnen. Die erste offizielle inhaltliche Vorgabe zur Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes steht in der rheinland-pfälzischen Lernmittelgenehmigungsvorschrift von 1986 (Genehmigung, Einführung und Verwendung von Lehr- und Lernmitteln), die in leichter Abwandlung von 1993 noch Gültigkeit hat. Demnach sollen Schulbücher „Identifikationsangebote für Mädchen und Jungen“ machen und die Kinder und Jugendlichen zu einer „gleichwertigen und partnerschaftlichen Lebensgestaltung“ (Genehmigung, Einführung und Verwendung von Lehr- und Lernmitteln 1986, 437; identisch: 1993, 438) anleiten. Gleich|| ein, die dann von den GutachterInnen neben weiteren Kriterien auf Richtigkeit zu überprüfen sind. 404 E-Mail-Auskunft des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz, i. P. Herbert Tokarski, vom 10.03.2015.

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berechtigung als Gleichwertigkeit lässt in der gewählten Formulierung offen, ob hier von einer Andersartigkeit oder Gleichheit der Geschlechter ausgegangen wird. In der Lernmittelverordnung ist auch der explizite Hinweis zu finden, dass Schulbücher mit den KMK-Beschlüssen übereinstimmen müssten. Es ließ sich in diesem Zusammenhang nicht klären, ob in der Vergangenheit ein zusätzlicher Kriterienkatalog in Gebrauch war; Hinweise auf einen solchen finden sich bei Thiel (1994, 123) und Wendt (2010, 85). l) Saarland Das Saarland führt seit 2009 kein Zulassungsverfahren bei Bildungsmedien mehr durch. Das Schulordnungsgesetz von 2014 (SchoG Saarland 2014) trifft über ein Zulassungsverfahren keine Aussage, verweist aber darauf, dass für die Einführung von Schulbüchern die jeweiligen Fachkonferenzen von Schulen zuständig sind. Entscheidungskriterien für die Einführung sollen die übergeordneten Unterrichts- und Erziehungsziele sein, in denen die Geschlechterthematik nur sehr allgemein angesprochen wird. In der bis 2009 gültigen Schulbuch-Verordnung war das Gleichberechtigungsgebot der Geschlechter allerdings auch nicht expliziter als Zulassungsvoraussetzung genannt, sondern kam gar nicht vor (vgl. die Schulbuch-Verordnung Saarland in der Fassung von 2004, §3). Ein Bewusstsein für die Thematik aber wird auf Behördenseite mindestens Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre bestanden haben, wie die ausführlichen behördlichen Studien zu saarländischen Schulbüchern von 1987/88 und 1991 nahelegen (vgl. Backes u. a. 1988; Kees u. a. 1991). m) Sachsen Ähnlich umfassend wie Bayern unterzieht das Land Sachsen seine Schulbücher und andere Bildungsmedien einer inhaltlichen Prüfung (Gutachtenverfahren). Ein Hinweis auf die Geschlechterfrage als Beurteilungskriterium von Schulbüchern steht in der Zulassungsverordnung von 2013. Als Zulassungsvoraussetzung sind darin „positive[] Identifikationsmöglichkeiten sowohl für Mädchen als auch für Jungen“ (Lernmittelverordnung Sachsen 2013, §4, Abs. 1) genannt. Nähere Ausführungen fehlen. Die identische Formulierung steht bereits in der ersten Fassung der Lernmittelverordnung von 1993 (nach Thiel 1994, 125). n) Sachsen-Anhalt In Sachsen-Anhalt gehört die Begutachtung zum Standardzulassungsverfahren für Schulbücher der Fächer Ethik, Geschichte und Sozialkunde. Das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt (LISA) hat dabei für

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die GutachterInnen Hinweise zur Schulbuchbewertung entwickelt.405 Teilweise sind die Bewertungskriterien sehr ausführlich operationalisiert. So sollen beispielsweise GutachterInnen erläutern, in welcher Anzahl welches Lehrplanthema oder Lernziel im Schulbuch vorkommt. Konzeptionell ähnelt dieses Verfahren jenem aktuellen in Nordrhein-Westfalen. Auch an den Bewertungsaspekt Gleichberechtigung der Geschlechter werden die GutachterInnen erinnert (s. Anhang 5–1: Sachsen-Anhalt). Zunächst sollen sie bewerten, ob Rollenklischees und stereotype Darstellungen im Schulbuch vermieden werden. Was dies im Einzelnen meint, wird im Katalog selbst nicht ausgeführt, es wird aber auf die Studie Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen, Frauen und Männern in Schulbüchern von Scheer (1997) verwiesen.406 Über den allgemeinen Hinweis auf Stereotypisierungen hinaus thematisiert der fachspezifische Fragenkatalog für GutachterInnen gleich mehrfach die Geschlechterfrage. Geschichtsbücher sollen beispielsweise die Geschlechtergeschichte und „die geschichtliche Rolle der Frau“ (Hinweise zum Gutachterbogen [2015], 3) berücksichtigen, GutachterInnen für Mathematik- und Deutschbücher werden außerdem daran erinnert, die Bücher auf Identifikationsmöglichkeiten für beide Geschlechter zu befragen (vgl. Hinweise zum Gutachterbogen [2015], 7f.). Die erste institutionelle Vorgabe Sachsen-Anhalts stammt aus dem Jahr 1999. Im Schulbuchzulassungserlass von Sachsen-Anhalt, der im entsprechenden Absatz mindestens bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung 03/2015 im Wesentlichen unverändert blieb, wird die „Gleichachtung und Gleichstellung der Geschlechter“ im Schulbuch gefordert, das frei sein soll „von Stereotypen, Vorurteilen und Diskriminierungen“ (Schulbücherzulassungserlass 1999, 369; identisch: 2013, 114). Wohl bereits zuvor waren Stereotype im Schulbuch zum Thema in der Prüfpraxis geworden: GutachterInnen sollen die Geschlechterthematik zum Teil selbst kritisch angesprochen haben, obwohl es für Sachsen-Anhalt noch keinen Kriterienkatalog gab und obwohl noch keine Studie vorlag, auf die man sich argumentativ hätte stützen können (vgl. Scheer 1997, 134). Das Landesinstitut teilte auf Nachfrage mit, dass GutachterInnen in Sachsen-Anhalt in Schulungen in ihrer Tätigkeit professionalisiert werden. Bei diesen Schulungen würden GutachterInnen nicht nur auf die genannte Studie

|| 405 Diese Hinweise wurden von der Zulassungsstelle des LISA freundlicherweise zur Verfügung gestellt. 406 Das KM Sachsen-Anhalt hat diese Studie in den 1990er Jahren in Auftrag gegeben und berücksichtige die Untersuchungsergebnisse in der Zulassungspraxis auch aktuell (E-MailAuskunft des LISA, Fachbereich Schul- und Unterrichtsentwicklung, i. P. Frank Kirchner, vom 11.03.2015).

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hingewiesen, sondern erhielten sie sogar ausgehändigt.407 Sachsen-Anhalt ist das einzige Land, das im Zusammenhang mit Prüfkriterien auf Schulbuchstudien hinweist. Mit der Studie wird auch ein elaborierter Kriterienkatalog speziell zur Frage der Geschlechterdarstellung in Schulbüchern vorgestellt, ähnlich differenziert wie jener für Niedersachsen. Zusammenfassend wird darin gefordert: 1. Es ist darauf zu achten, daß Mädchen und Jungen, Frauen und Männer gleichberechtigt und gleichwertig dargestellt werden. Rollenklischees sind zu vermeiden. 2. Mädchen und Frauen, Jungen und Männer sind gleichrangig vielfältige, pluralistische und zukunftsweisende Informations- und Identifikationsmöglichkeiten in Familie, Schule, Freizeit und Beruf anzubieten, die ihre Mündigkeit, Selbstkompetenz, Sozialkompetenz, Sachkompetenz, Kreativität, Originalität, Flexibilität, Kritikfähigkeit mit entsprechender Handlungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft fördern. (Scheer 1997, 136)

An anderer Stelle wird gesagt, dass die Geschlechter „gleichberechtigt, gleichwertig, gleichrangig“ (Scheer 1997, 135) dargestellt werden sollen. Hier wie auch schon bei anderen Kriterienkatalogen scheint das Interpretationsmuster von Gleichberechtigung als Gleichwertigkeit bei Andersartigkeit durch (s. auch oben Kap. 5.2.1). Gerade folgende Passage aus der Studie lässt diesen Schluss zu: Bloßer Rollentausch oder Gleichmacherei (nun müssen anzahlmäßig unbedingt gleichviel Mädchen Fußball spielen wie Jungen, was vor allem in Abbildungen beachtet wird) kann nicht Ziel unserer Bemühungen sein. Vielmehr geht es um eine gleichberechtigte, eigenständige, eigenverantwortliche und durch Empathie geprägte Sicht, die beiden Geschlechtern Selbstbestimmung, Orientierung, Mündigkeit ermöglicht und bei der Identitätsfindung Leitideen gibt, falls diese gewünscht werden. […] Reine quantitative Auszählungen genügen nicht, die Strukturen der Beziehungen zwischen den Geschlechtern zu erkennen und zu fördern. (Scheer 1997, 135; Hervorh. CO)

Scheer wendet sich somit gegen einen dekonstruktivistischen Ansatz. Die – mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil (s. Kap. 5.2.1) übereinstimmende – Wortwahl „Gleichmacherei“ zeigt an, dass Scheer von einer Unterschiedlichkeit von Mädchen/Frauen und Jungen/Männern ausgeht, die aufzulösen nicht Aufgabe der Schulbücher ist. Unter ihren Ausführungen findet sich auch die Forderung nach geschlechtersensibler Sprache („gleichbeachtende Sprache“), die mit dem Hinweis „Ohne Übertreibung“ versehen ist – mit geschlechtersensiblen Formu-

|| 407 Telefonische Auskunft des LISA, Fachbereich Schul- und Unterrichtsentwicklung, i. P. Frank Kirchner, vom 11.03.2015.

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lierungen solle also nicht übertrieben werden. Worin eine Übertreibung besteht, ob bereits in der konsequenten Verwendung von Paarformen oder ob beispielsweise in der Erweiterung geschlechtersensibler Ausdrucksweisen auf integrierte Personenreferenzformen (zum Begriff s. Kap. 3.3.1) in Form von Binnenmovierungen, wird nicht ausgeführt. o) Schleswig-Holstein Schleswig-Holstein zählt ebenfalls zu den Bundesländern, die bereits in der ersten Hälfte der 1980er Jahre Regularien zum Umgang mit Geschlecht in ihr Prüfverfahren von Schulbüchern implementierten. Früh wurden Schulbuchanalysen durchgeführt (vgl. Frauenkommission Schleswig-Holstein 1984), die „bewirkte[n], daß die Gutachter vom Kultusminister auf die Vermeidung von Rollenklischees verpflichtet wurden“ (Thiel 1994, 125). Die schleswig-holsteinischen Leitfragen zur Begutachtung von Schulbüchern von 1990 sollen als Bewertungsgrundlage gedient haben (vgl. Thiel 1994, 125). Aktuell sind diese wohl nicht weiter im Gebrauch, da Schleswig-Holstein 2007 das behördliche Genehmigungsverfahren und damit auch die zentrale Schulbuchprüfung abgeschafft hat (vgl. SchulG Schleswig-Holstein 2007). Was vorher vom Landesinstitut Schleswig-Holstein für Praxis und Theorie der Schule, von externen GutachterInnen oder einem Schulbuchausschuss begutachtet wurde, nimmt seither den direkten Weg auf den Arbeitstisch der Lehrkräfte, die über die Einführung zu entscheiden haben. p) Thüringen In Thüringen wird standardmäßig eine Schulbuchprüfung durchgeführt. Ein Kriterienkatalog für Verlage oder GutachterInnen konnte allerdings nicht recherchiert werden. Einzig die Zulassungsverordnung trifft Bestimmungen zum Umgang mit Geschlecht im Prüfverfahren: Schulbücher sollten Identifikationsangebote machen und zu „einer gleichwertigen und partnerschaftlichen Lebensgestaltung von Mann und Frau“ (Thüringer Lehr- und Lernmittelverordnung in der Fassung von 2009, §3, Abs. 2) anleiten. 1991 wählte das Thüringer Kultusministerium noch die identische Formulierung wie Rheinland-Pfalz und sprach anstelle von „Mann und Frau“ von „Mädchen und Jungen“ (Lernmittelgenehmigungsvorschrift Rheinland-Pfalz 1993, §4, Abs. 2; Thüringer Lehr- und Lernmittelverordnung 1991, §4, Abs. 2).

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q) Zusammenführung Mitte der 1980er Jahre bis 1990 wurden in den Bundesländern der Bonner Republik detailliertere Vorgaben zur Schulbuchprüfung erarbeitet (Ausnahmen: Berlin, Hamburg, Saarland). Einige der 1990 hinzugekommenen Bundesländer zogen bis Mitte der 1990er Jahre nach. Zum Teil sind diese in identischer Fassung weiterhin in Gebrauch, zum Teil wurden sie grundlegend überarbeitet oder im Zuge der Liberalisierung des Zulassungsverfahrens obsolet. Möglicherweise gerieten existente ältere Kriterienzusammenstellungen im Rahmen von behördlichen Umstrukturierungen auch schlichtweg in Vergessenheit und kamen außer Gebrauch (s. Mecklenburg-Vorpommern). In allen rekonstruierbaren Begutachtungskatalogen ist der Gleichberechtigungsgrundsatz eingearbeitet, wenn auch in unterschiedlicher Detailliertheit und Auslegungsbreite. Die Zulassungsvoraussetzungen, die in der Regel in den Lernmittelverordnungen zu finden sind, fallen meist allgemeiner aus. Sind sie Bestandteil der Schul(ordnungs)gesetze, bleiben sie noch unbestimmter. Dies macht sie unter anderem für die GutachterInnen schwerer operationalisierbar. Nicht immer ist die Geschlechterthematik zudem als relevante Beurteilungsdimension explizit genannt. In der Gesamtschau lassen sich aus den Zulassungsvorgaben drei übergeordnete Regeltypen für Schulbücher herausarbeiten: (1) Defizitausgleich (2) Mädchen und Jungen unterschiedlich (aber gleichwertig) behandeln (3) Mädchen und Jungen gleich behandeln Gerade ältere Bestimmungen fordern einen Defizitausgleich und sehen einen Handlungsbedarf in Bezug auf die Darstellung von Mädchen und Frauen, das meint vor allem: Leistungen von Frauen sichtbar machen, Frauen als beruflich Tätige sowie erfolgreiche Personen zeigen und Mädchen als leistungsstark und aktiv agieren lassen. Selten wird in frühen Bestimmungen, wie in den nordrhein-westfälischen von 1991, auch die Männerrolle thematisiert. (2) und (3) stehen durchaus im Spannungsverhältnis zueinander, kommen dennoch nicht selten zusammen in einem Kriterienkatalog vor. NordrheinWestfalen fordert beispielsweise, sowohl Rollenklischees nicht zu reproduzieren als auch „geschlechtsspezifische Interessen“ zu berücksichtigen. Sind Fußball spielende Jungen und reitende Mädchen dann Klischeereproduktion oder Abbild überwiegend geschlechtsspezifischer Interessen – oder immer beides? Anders gefragt: Wo beginnt das zu sanktionierende Klischee? Forderungen nach geschlechtsspezifischen Identifikationsmöglichkeiten gehen von geschlechtsspezifischen Vorlieben aus, die in Begutachtungskatalo-

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gen als verstärkenswert erachtet werden. Dem zugrunde liegt ein Differenzansatz: Mädchen und Jungen unterscheiden sich. In der – keineswegs zwingend essentialistisch gedachten – Unterschiedlichkeit sind sie zueinander aber gleichwertig. Solche Forderungen nach geschlechtsspezifischen Identifikationsmöglichkeiten gehen von einem Gleichberechtigungsverständnis aus, wonach die Geschlechter gleichberechtigt sind, wenn sie in ihrer Unterschiedlichkeit gleichwertig behandelt werden. Bei diesem Ansatz werden Schulbücher nicht als Bestandteile einer doing gender-Praxis oder als Sozialisationsinstanzen betrachtet, die am Aufbau der Geschlechterdifferenz mitwirken. Mit dem Ansatz verbindet sich zugleich die Frage, wann Differenzierungen Stereotypisierungen darstellen. Forderungen nach Identifikationsangeboten für Mädchen und Jungen schließen geschlechtsübergreifende Identifikationsangebote aber auch nicht durchwegs aus. Die Formulierung „Identifikationsmöglichkeiten für Mädchen und Jungen“ kann beispielsweise ebenso meinen, dass Bildungsmedien role models anbieten sollen, die sowohl für Jungen als auch für Mädchen attraktive Vorbilder sind. Bremen ist in seiner Auslegung des Gleichberechtigungsgrundsatzes eine Ausnahme: Es ist das einzige Bundesland, das ein dezidiert geschlechtsübergreifendes Rollenverständnis zum Bewertungsmaßstab für Schulbücher macht und keine andere, damit konfligierende Bestimmung ausgibt. Der bremischen Vorgabe liegt ein dekonstruktivistischer Ansatz zugrunde. Demnach sollen Schulbücher Themen, Texte und Formulierungen wählen, die Kinder und Jugendliche im Allgemeinen ansprechen, und in dieser undoing genderPraxis Unterschiede nicht verstärken bzw. reproduzieren. Die Forderungen gehören streng genommen zwei unterschiedlichen Systemen an, die in der Tabelle 42 beschrieben sind. SchulbuchmacherInnen, welche diese Vorgaben konsequent umzusetzen versuchen, kommen hier zwangsläufig in einen Entscheidungskonflikt. Damit eng verbunden ist auch die Frage, was denn Bewertungsmaßstab bei der Begutachtung und der verlagsinternen Qualitätskontrolle sein soll – ein Gleichheitsideal oder eine Geschlechterrealität, wie auch immer diese wiederum zu fassen sein will? Darf stereotype Berufswahl, die in Sozialstudien belegt ist (vgl. z. B. Hausmann/Kleinert 2014), abgebildet werden? Zu bedenken ist ferner, dass – wird die Realität zum Maßstab gemacht – bei der Schulbuchbewertung und bereits auch -konzeption nicht immer empirisch abgesicherte Realitätsentwürfe als Bewertungsmaßstab herangezogen werden mögen, sondern häufig gefühlte Realitäten, die in Teilen auf verinnerlichten Stereotypisierungen beruhen.

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Tab. 42: Konfligierende Gleichberechtigungsverständnisse in den länderspezifischen Kriterienkatalogen & Co

System Unterschiedlichkeit

System Gleichheit

Forderung

Geschlechtsspezifische Angebote Geschlechtsübergreifende Angebote

Annahme

Frauen/Mädchen und Männer/ Jungen sind unterschiedlich [≠ zwingend essentialistisch!]

Frauen/Mädchen und Männer/Jungen sind gleich und/oder sollen gleich sein

Theorie

Differenzansatz

(De-)Konstruktivismus

Gleichberechtigungs- Gleichwertigkeit bei Andersartigverständnis keit

Gleichheit

Eine Orientierung am Gleichheitsideal wiederum führt womöglich zu als unrealistisch empfundenen und als konstruiert zurückgewiesenen Konzepten. So geben die Leiterinnen der niedersächsischen Schulbuchanalysen Mitte der 1980er Jahre zu bedenken: Bei der Kombination Zahnarzt/Helferin und Chef/Sekretärin handelt es sich nicht um „Klischeevorstellungen“, sondern um Tatsachen. […] Wenn Schulbücher einen Beitrag zur weitergehenden Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau leisten können, dann dadurch, daß sie […] bei der Darstellung der Lebenswelt der gesellschaftlichen Entwicklung folgen, nicht aber, indem sie diese vorausnehmen und eine Scheinwelt aufbauen bzw. nach Vorgaben konstruieren. (NKM 1988, 26f.)

Veränderungen von Mechaniker zu Mechanikerinnen seien „fragwürdig“ und könnten unter Umständen „kontraproduktive Wirkungen“ (NKM 1988, 27; 30) aufseiten der SchulbuchnutzerInnen haben. Die Bildungsforscherin Dick sieht in Forderungen nach einem „‚klinisch reinen‘ Schulbuch aus Frauensicht – was immer das sein mag –“ auch die Möglichkeit vergeben, im Unterricht ausgehend von geschlechtsspezifischen Rollenzuschreibungen kritisch auf die „reale Benachteiligung von Frauen im Beruf, in der Politik und Familie aufmerksam zu machen“ (Dick 1991, 3). Selten wird die Sprachebene in offiziellen Kriterienkatalogen als Umsetzungsebene des Gleichberechtigungsgrundsatzes angesprochen, wenn, dann zudem recht allgemein, zum Beispiel in Brandenburg als „verbale […] Gleichstellung“ (Orientierungsschwerpunkte 2012, 6). Sachsen-Anhalt thematisiert „gleichbeachtende Sprache“ im Zusatzmaterial für GutachterInnen. Die weni-

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gen Befunde sind überraschend, da manche Schulbücher weitgehend konsequent geschlechtersensible Sprache im engeren Sinn – mindestens bei der SchülerInnen-Adressierung – verwenden (s. z. B. Kap. 4.1.5), die feministische Sprachkritik elementarer Bestandteil der feministischen Schulbuchkritik der 1970er und 1980er Jahre war (s. Kap. 1.2.2a) und im nicht-offiziellen Schulbuchbewertungskatalog von Rampillon beispielsweise ausführlich auf die sprachliche Konstruktion von stereotypen Rollenvorstellungen eingegangen wird (s. unter Rheinland-Pfalz in diesem Kap.). Für GutachterInnen, aber auch für Lehrkräfte, die Kriterienkataloge als Entscheidungsgrundlage für die Einführung eines Schulbuchs heranziehen sollen, bleiben allgemeine Formeln zu vage. Forderungen, die unterschiedlichen Bezugssystemen (s. Tabelle 42 oben) angehören, führen außerdem zu Bewertungskonflikten.

5.2.3 Interviews & Co: Der praktische Umgang mit Geschlecht Der „praktische Umgang mit Geschlecht“ aus der Kapitelüberschrift bezieht sich auf den Umgang mit Geschlecht in der Schulbuchpraxis, d. h. bei der Konzeption und Zulassung von Schulbüchern. Die Interviewauswertung und die Analyse von Schulbuchgutachten sowie behördlich-verlegerischem Schriftverkehr werden zeigen, welche Rolle Geschlechterfragen gegenwärtig spielen und in der jüngeren Vergangenheit spielten, von welchen AkteurInnen Regulierungsversuche ausgehen, an welchen Punkten und zwischen welchen AkteurInnen es zu Kontroversen um den Umgang mit Geschlecht kommt und inwiefern bei diesen Aushandlungen, die in Kontroversen besonders gut greifbar sind, die Sprache der Schulbücher thematisiert wird. Indem in den Interviews auch redaktionelle Richtlinien erfragt werden, die in der Schulbucharbeit etabliert sind, werden behördliche Regulierungsversuche auf ihre Durchsetzungs- und Innovationskraft hin bewertbar und kann erst eingeschätzt werden, von welchen (anderen) AkteurInnen Innovationen im Umgang mit Geschlecht ausgehen (können). Der Anspruch ist dabei keineswegs, die Schulbuchpraxis zu rekonstruieren. Über die Interviews und Auswertungen der genannten Dokumente ist stets nur ein Ausschnitt der Schulbuchpraxis einsehbar, über den Aussagen getroffen werden können und der strukturell mit den Ergebnissen der Schulbuchanalyse in Verbindung gesetzt werden kann. Gerade bei Interviews darf zudem nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich hier um stark subjektive Sichtweisen auf eine zum Teil Jahrzehnte zurückliegende Wirklichkeit handelt. In dieser

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Untersuchung kann also lediglich eine Schulbuchpraxis, zudem nur ausschnitthaft, rekonstruiert werden. a) Methodik Im Zeitraum von Oktober 2013 bis März 2015 wurden 26 AkteurInnen der „Diskursarena Schulbuch“ (Höhne 2003, 61, s. Kap. 1.2.3b) zum Teil in face-to-face, überwiegend aber in telefonisch geführten leitfadengestützten Interviews zum Umgang mit Geschlecht in der Schulbucharbeit und Schulbuchzulassung befragt; in drei Fällen wurde eine E-Mail-Befragung durchgeführt. Bei 17 von 26 Interviews konnte der Fragenkatalog im Vorfeld an die Befragten verschickt werden, in den anderen Fällen führte die Recherche nach potentiellen InterviewpartnerInnen zu einer unmittelbaren Interviewsituation.408 Unter den Befragten sind: – 10 AutorInnen von Schulbüchern und weiteren Bildungsmedien für die Fächer Mathematik, Deutsch und Englisch unterschiedlicher Schularten, Bundesländer und Verlage – 8 MitarbeiterInnen von Zulassungsbehörden – 5 SchulbuchredakteurInnen, darunter VertreterInnen der beiden größten Bildungsmedienunternehmen Cornelsen und Klett – 3 GutachterInnen Zum Befragtenpool zählen somit AkteurInnen aller im Kapitel 5.1 als unmittelbar einflussnehmend genannten AkteurInnengruppen. Dass es sich hierbei um die relevanten Gruppen handelt, wurde überdies in den Interviews sowie bei der Kontaktaufnahme mit potentiellen InterviewpartnerInnen bestätigt: Die Schulbuchzulassungsstellen verwiesen für weiterführende Informationen an die Schulbuchverlage, welche wiederum einerseits die AutorInnen und HerausgeberInnen und andererseits die GutachterInnen als relevante AkteurInnen nannten. Die Befragten sind als ExpertInnen einzustufen, weil sie im Unterschied zu anderen Personen zur Klärung der Forschungsfrage „Welchen Einfluss üben AkteurInnen auf die inhaltliche und sprachliche Gestaltung des Wissensaspekts Geschlecht im Schulbuch aus?“ (s. die Leitfrage (2.b) Kap. 1.1) beitragen können. Ich übernehme hier den konstruktivistischen ExpertInnen-Begriff des methodisch-relationen Ansatzes, wonach „allein die Forschungsfragestellung […]

|| 408 Eine zeitlich vom Erstkontakt abgesetzte Verabredung zum Interview war diesen neun Befragten, vornehmlich BehördenmitarbeiterInnen, terminlich nicht möglich.

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entscheidet, welche Personen zu den Expert/inn/en werden, die im jeweiligen Forschungsprojekt befragt werden sollten“ (Kruse 2014, 176). Die SchulbuchautorInnen und -herausgeberInnen stellen die größte Gruppe unter den Befragten. Zwei von ihnen waren bereits Ende der 1960er AutorInnen für nordrhein-westfälische und hessische Schulbücher, zwei weitere blicken auf Tätigkeiten in der Schulbuchbranche zurück, die ihren Anfang in den frühen 1980er Jahren haben und Erfahrungswerte für alle westdeutschen Länder umfassen. Aus diesem Grund kann über die Interviews die Schulbuchpraxis bis circa 1968 rekonstruiert werden. Leitfadengestützte ExpertInnen-Interviews409 ermöglichen eine Gesprächssituation, bei der die Interviewten in einem von ihnen gewählten alltagsnahen Setting – Telefonat am Arbeitsplatz, face-to-face-Gespräch am Küchentisch – frei erzählen,410 Wertungen und Erklärungen geben und – wenn, wie in dieser Untersuchung, offener umgesetzt – den Gesprächsverlauf lenken können. Zwar bleibt auch bei leitfadengestützten Interviews auf Nachfrage ungesagt, was von den Befragten nicht gesagt werden möchte oder was nicht mehr erinnerbar ist. Interviews ermöglichen aber, einzelne Aspekte im direkten Gespräch detaillierter herauszuarbeiten. Die interviewende Person ist bei dieser Befragungsmethode aufgefordert, im Vorfeld jenes in präzise Fragen zu überführen, was in Erfahrung gebracht werden will. Dies ist in Form eines Leitfadens geschehen, der nach Themenblöcken in Leitfragen (in den Leitfäden durch Fettdruck hervorgehoben) und weitere Fragen gegliedert ist (s. Anhang 5–3411). Der Leitfaden strukturierte die Befragungssituation, wurde aber nicht zwingend chronologisch und vollständig abgearbeitet. Die Leitfragen wurden in jeder Befragung gestellt, die weiteren Fragen des Leitfadens je nach Gesprächsverlauf ins Interview aufgenommen. Für jede AkteurInnengruppe – (1.) AutorInnen, HerausgeberInnen, (2.) RedakteurInnen, (3.) GutachterInnen, (4.) MitarbeiterInnen der Zulassungsstelle – wurde ein Leitfaden ausgearbeitet, der neben biographischen Fragen an die in-

|| 409 Zur Methode vgl. ausführlich Lamnek (2005), zu telefonischen Leitfadeninterviews im Besonderen vgl. Schulz/Ruddat (2012). 410 Erzählen meint hier mit Kruse (2014, 172) „die Darstellung einer Geschichte im Sinne eines Entwicklungsprozesses, und dies ist auch in Expert/inn/en-Interviews ein außerordentlich wichtiges Erkenntnisziel (Prozessverläufe, Prozesswissen, Deutung von Prozessen).“ (Hervorh. i. O.) Im Unterschied zu narrativen Interviews ist es bei ExpertInnen-Interviews aber nicht Ziel, durch das Erzählen eine Narration zu generieren (zu Abgrenzung und Überschneidungen beider Methoden vgl. Kruse 2014, 171f.). 411 Der Anhang ist nicht Bestandteil der Druckfassung, sondern steht zum Download unter https://www.degruyter.com/view/product/491314 bereit.

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terviewte Person (z. B., wie sie zu ihrer Tätigkeit als GutachterIn oder SchulbuchautorIn gekommen ist) jeweils in unterschiedlicher Ausführlichkeit und Fragerichtung folgende Themenkomplexe beinhaltete: – Inhalte und Form behördlicher Vorgaben in Vergangenheit und Gegenwart, die das Schulbuch im Allgemeinen und die Geschlechterthematik im Besonderen betreffen; – Inhalte und Form verlagsinterner und redaktioneller Vorgaben in Vergangenheit und Gegenwart zum Umgang mit der Geschlechterthematik; – Schulbuchgutachten in Vergangenheit und Gegenwart und ihre Bezugnahme auf die Geschlechterthematik; – Vergleich des Umgangs mit der Geschlechterthematik in der Zulassungspraxis oder Schulbuchkonzeption vor allem nach Fach und Bundesland; – Kommunikation zwischen Verlag/AutorInnen oder GutachterInnen und Behörde (Ansprechpersonen, Kommunikationswege, Prüf- und Zulassungsvorgang, Diskussionspunkte, Dokumentation des Prüfvorgangs), Struktur der Behörde. Die Frage nach den „Inhalten“ behördlicher und verlegerischer/redaktioneller Vorgaben erfasst auch sprachliche Vorgaben, wie solche zur Bezeichnung von Personen (z. B. die Frage II.3 aus dem Fragebogen an SchulbuchautorInnen und -herausgeberInnen: Welche konkreten Vorgaben zur Bezeichnung von Personen und zu weiteren sprachlichen Feinheiten hinsichtlich der Darstellung der Geschlechter wurden/werden gemacht?, s. Anhang 5–3). Bei den Gutachten interessierte entsprechend, ob sich Lob oder Kritik auch auf die Ebene der sprachlichen Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes bezieht. Der schwierige Zugang ins Feld bedingte, dass kaum Spielraum bei der Auswahl der InterviewpartnerInnen bestand und die Befragtengruppen nicht zu gleichen Anteilen im Befragtenpool vertreten sind. Teilweise wurden mit der Unterstützung von Gate-Keepern in Verlagen, Ministerien und an Hochschulen Interviews angebahnt oder einschlägige Verteiler (u. a. Newsletter von akademischen Gesellschaften) genutzt, um Kontakte zu AkteurInnen der Schulbuchpraxis herzustellen. Gerade die Kontaktaufnahme zu GutachterInnen war beinahe unmöglich, da diese in der Regel anonym begutachten und von den Zulassungsstellen auch für wissenschaftliche Zwecke nicht bekannt gemacht werden. Ferner hatten die befragten BehördenmitarbeiterInnen wenig Zeit für ein ausführliches Gespräch, so dass meist nur die Leitfragen behandelt werden konnten; auch auf diese blieben Antworten bisweilen aus – weil nach eigenen

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Angaben keine Kenntnis über das Erfragte bestand oder für weiterführende Recherchen der BehördenmitarbeiterInnen schlichtweg die Zeit fehlte.412 Zunächst verhielten sich auch SchulbuchautorInnen, -herausgeberInnen sowie -redakteurInnen zurückhaltend auf Interviewanfragen. Sofern es sich unter ihnen um Lehrkräfte handelte, waren diese erst dann zu genaueren Angaben bereit, als ihnen Anonymität zugesichert wurde. Manche VerlagsmitarbeiterInnen hatten ebenfalls die Befürchtung, dass sich Kritik am Zulassungsverfahren negativ auf zukünftige Verfahren auswirken könnte. Entsprechend wurden alle Interviews anonymisiert; die Anonymisierung umfasst auch die Kategorisierung als weibliche oder männliche Person. Da die übergroße Mehrheit der Interview-PartnerInnen eine Aufzeichnung der Gespräche ablehnte, basiert die Auswertung auf Interview-Mitschriften. Einige Personen erklärten ihre Bereitschaft zur Interviewteilnahme mit einem persönlichen Interesse an Geschlechterfragen. Daher ist davon auszugehen, dass unter diesen Befragten eine verhältnismäßig hohe Sensibilität gegenüber den Interviewfragen bestand. Wird direkt oder indirekt aus den Interviews zitiert, so werden diese mit „Int.“ und einer römischen Ziffer abgekürzt. Im Anhang 5–2 sind die Interviews nach dem Datum aufgelistet, die Befragten sind dort der jeweiligen AkteurInnengruppe zugeordnet.413 Die Interviewmitschriften wurden auf die oben genannten Themenkomplexe hin inhaltlich ausgewertet. Dieser einfache inhaltsanalytische Zugriff scheint mir legitim, da der Analysefokus bei diesem Untersuchungsschritt ein anderer ist als bei der Analyse der Schulbücher. Denn hier geht es nicht um die Analyse epistemischer oder kulturgeschichtlicher Voraussetzungen dafür, dass ein Wandel im Umgang mit Geschlecht in der Schulbucharbeit möglich wurde. In diesem Sinn liegt der Analysefokus bei diesem Untersuchungsschritt nicht auf einem Wie oder Wie-es-kommt, sondern auf dem Was, den konkreten Auskünften der SchulbuchmacherInnen und BehördenvertreterInnen.414 Die InterviewpartnerInnen werden somit als InformationsgeberInnen betrachtet.

|| 412 Bei der Kontaktaufnahme war bereits deutlich geworden, dass die zu interviewenden BehördenmitarbeiterInnen mehrheitlich wenig Zeit für ein Interview aufbringen könnten. Aus diesem Grund wurden vergleichsweise viele geschlossene Fragen in den Leitfaden aufgenommen, um Informationen zeitökonomisch und gezielt erfragen zu können. Diese Entscheidung geht allerdings zu Lasten der Offenheit der Erhebung. 413 Der Anhang ist nicht Bestandteil der Druckfassung, sondern steht zum Download unter https://www.degruyter.com/view/product/491314 bereit. 414 Zu den unterschiedlichen Analysefoki in Bezug auf Interviewforschung vgl. Kruse (2014, 383).

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Neben den Interviews wurden Gutachten zu Schulbüchern sowie Schriftverkehr zwischen Verlag bzw. Redaktion und Behörde auf Thematisierungen der Differenzkategorie Geschlecht untersucht. Alle untersuchten Dokumente sind im Anhang 5–4 genannt.415 Auch diese Auswertung erfolgte nach keinem spezifischen Analysemodell, fokussiert aber ebenfalls auf das Was – und nicht darauf, was zum Beispiel die sozial- und kulturgeschichtlichen Voraussetzungen dafür sind, dass eine Behörde neuerdings von Verlagen die Vermeidung von Geschlechterrollenklischees einfordert. Die Auswertungen beschränken sich auf Gutachten und Korrespondenzen aus den Jahren 1984 bis 2015, in die VerlagsmitarbeiterInnen, SchulbuchherausgeberInnen, -autorInnen und GutachterInnen zum Teil sehr umfangreich Einsicht gewährten.416 An dieser Stelle sei ein forschungspraktisches Problem angesprochen: Die Verlage verfügen nur über begrenzte Archivkapazitäten; zudem hat die Verlagslandschaft mit großen Umwälzungen, Verlagsaufkäufen und -zusammenlegungen zu kämpfen; dies wirkt sich auch auf die Archivbestände aus, die beispielsweise bei einer Umsiedlung des Verlags nur in beschränktem Umfang den Ortswechsel mitvollziehen. Um die Überlieferung verlagsinterner Abläufe und Dokumentationen des redaktionellen Tagesgeschäfts und der Korrespondenzen steht es daher schlecht. Die hier untersuchten Dokumente stammen aus Zulassungsverfahren zu Schulbüchern der Fächer Deutsch (Sprachbücher, Lesebücher und integrative Deutschbücher), Mathematik, Latein, Geschichte, Chemie und Italienisch für unterschiedliche Bundesländer (v. a. Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen), unterschiedliche Schularten und Jahrgangsstufen (ohne Primarstufe). Für sie gilt ebenfalls: Wird direkt oder indirekt aus den Quellen zitiert, so werden diese mit „Dok.“ und einer römischen Ziffer abgekürzt.417 Die Gutachten machen den größten Anteil an untersuchten Dokumenten aus. Ein Drittel bis ein Viertel aller bei den Recherchen eingesehenen Gutachten enthielt einen Hinweis auf die Geschlechterdarstellung im begutachteten Schul-

|| 415 Der Anhang ist nicht Bestandteil der Druckfassung, sondern steht zum Download unter https://www.degruyter.com/view/product/491314 bereit. Die Dokumente sind dort unterschieden (1.) in verschiedene Dokumententypen, (2.) nach dem Jahr, in dem das Dokument abgefasst wurde, (3.) nach dem Bundesland, (4.) nach dem Schulfach sowie (5.) der Jahrgangsstufe („Jgst.“) des Schulbuchs, auf das sich das Dokument gegebenenfalls bezieht. 416 Mein besonderer Dank gilt dem C. C. Buchner Verlag, der mich im Verlagsarchiv Korrespondenzen zwischen Verlag und Landesbehörden aus den Jahren 1985 bis 2000 einsehen ließ. 417 Wenn mehrere Gutachten zu einem Titel (auszugsweise) vorliegen, so wurde ihnen keine jeweils eigene Ziffer gegeben, sondern diese tragen die gleiche Zahl und werden durch den Zusatz „A“ oder „B“ unterschieden.

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buch. Die große Mehrheit der Gutachten mit einem solchen Hinweis liegt in Kopie vor, zum Teil wurden mir auch Abschriften zur Auswertung übermittelt, in andere wurde am jeweiligen Rechercheort kurze Einsicht gewährt. Von den Gutachten, die zum Umgang eines Schulbuchs mit Geschlecht eine Aussage treffen, konnten nur jene systematisch ausgewertet werden, welche wenigstens in Textauszügen vorlagen; lediglich diese finden sich entsprechend in der Tabelle in Anhang 5–4. Die meisten der untersuchten Gutachten sind als Einzelgutachten zu kategorisieren, also als Gutachten, das von einer einzelnen Person für ein spezifisches Bildungsmedium angefertigt wurde. Bei mindestens418 vier handelt es sich um Gutachten von Prüfkommissionen oder temporären Ausschüssen, die eingesetzt wurden, um bereits in der Vergangenheit zugelassene Schulbücher auf die Geschlechterdarstellung hin zu prüfen; letztere gehören strukturell zur Schulbuchrevision der 1970er und 1980er Jahre, bei der mit Blick auf ganz unterschiedliche Bewertungsparameter und für unterschiedliche Fächer Begutachtungen durchgeführt und von den Verlagen Überarbeitungen gefordert wurden (s. bereits Kap. 5.1). Die Ergebnisse der Untersuchungen sind im folgenden Abschnitt dargestellt. Vorneweg soll auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse die Frage ergänzend beantwortet werden, welche AkteurInnen am Aushandlungsprozess beteiligt sind (s. hierzu auch Kap. 5.1); nähere Informationen ergaben sich hier zu den SchulbuchautorInnen und GutachterInnen. Anschließend gehe ich in einem historischen Abriss darauf ein, seit wann der Differenzkategorie Geschlecht in der Schulbuchpraxis größere Aufmerksamkeit gewidmet wird und von welchen AkteurInnen Innovationen im Umgang mit Geschlecht ausgingen – natürlich nur soweit, wie hierzu Untersuchungsergebnisse vorliegen. In den nachfolgenden Abschnitten stehen die oben genannten Themenkomplexe im Fokus. Eine Interpretation der Ergebnisse erfolgt dann vor dem Hintergrund der rekonstruierten normativen Grundlagen (s. Kap. 5.2.1 und 5.2.2) im Kapitel 5.2.4, welches das gesamte Kapitel 5.2 abschließt. b) Ergebnisse Wer schreibt und begutachtet Schulbücher? Schulbücher werden heute mehrheitlich von Lehrkräften geschrieben (zur Praxis in der Vergangenheit s. Kap. 5.1). Im Team von circa sechs bis zehn Personen

|| 418 Bei manchen zur Verfügung gestellten Gutachtenauszügen oder -abschriften war eine Kategorisierung als Einzel- oder Kommissionsgutachten nicht möglich.

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erarbeiten sie sowohl den SchülerInnenband als auch dazugehörige Begleitmaterialien, wie die LehrerInnenausgabe und das Arbeitsheft zum SchülerInnenband (vgl. Int. VI; vgl. auch Menzel 2010, 220).419 Verlage sind besonders an AutorInnen interessiert, die gleichzeitig als MultiplikatorInnen fungieren können, die sich sicher in den aktuellen, vor allem den fachdidaktischen Diskursen bewegen und die über Renommee verfügen. Das ist beispielsweise der Fall bei SeminarleiterInnen und ehemaligen Lehrplankommissionsmitgliedern, aber auch bei WissenschaftlerInnen, wenngleich diese seltener im AutorInnenteam vertreten sind (vgl. z. B. Int. XII; VI).420 Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Expertise ist ausschlaggebend für die Wahl als AutorInnen; ExpertInnen für Lehr-Lern-Konzepte, für die Verständlichkeit von Bildungsmedien oder für Diversity im Bildungswesen sind die deutliche Ausnahme. Die MitarbeiterInnen in den Verlagsredaktionen bringen häufig ebenfalls einen Fachhintergrund mit, haben ein fachspezifisches Studium absolviert, zum Teil auch einen Lehramtsabschluss und ein Zweites Staatsexamen. Schulpraxis ist kein obligatorisches Kriterium für die Arbeit als SchulbuchredakteurIn. Ist in einer Fachkultur geschlechtsreflexive Forschung oder in der LehrerInnenausbildung geschlechtsreflexive Pädagogik schwach bis gar nicht verankert, so kann es sein, dass unter den AutorInnen und RedakteurInnen, die zusammen an einem Lehrwerk arbeiten, keine Person über geschlechtertheoretische Kenntnisse verfügt (vgl. Int. XXII). GutachterInnen, in der Regel Lehrkräfte, bleiben normalerweise gegenüber den SchulbuchmacherInnen anonym (s. auch Kap. 5.1). In manchen Zulassungsverordnungen wird herausgestellt, dass in ihrer Leistung und ihrem beruflichen Engagement besonders hervorstechende Lehrkräfte, zum Teil auch SchulaufsichtsbeamtInnen und HochschullehrerInnen zur Begutachtung bestellt werden sollen. Die Interviews ergaben, dass Kultusministerien oder Landesschulinstitute Lehrkräfte über die Schule ansprechen, an der sie unterrichten. Warum gerade sie ausgewählt wurden, erklären sich die befragten GutachterInnen durch ihr überdurchschnittliches Erstes und/oder Zweites Staatsexamen (vgl. Int. XIII; XX). In Bayern scheint keine Wahlmöglichkeit zu bestehen, ob die angesprochene Person die GutachterInnentätigkeit ausüben möchte; mit der Aufforderung, ein Gutachten zu verfassen, wird direkt auf Begutachtungsmodalitäten hingewiesen, auch auf die online zugänglichen Kriterienkataloge, und werden

|| 419 Erläuterungen zu verschiedenen Lehr-Lernmitteln stehen im Kapitel 1.2.3a. 420 Menzel (2010, 220) zufolge handle es sich bei HerausgeberInnen in der Regel um HochschuldozentInnen.

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das in Aussicht gestellte Honorar sowie eine Frist zur Abgabe des Gutachtens genannt. Entsprechend wurde dies mindestens in der Vergangenheit (1970er Jahre) auch in Hessen gehandhabt. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung (bis März 2015) waren keine Zulassungskommissionen mehr, wie sie lange Zeit in Nordrhein-Westfalen tätig waren, als Alternative zur Einzelbegutachtung ausfindig zu machen. Die Anfänge der gleichstellungsorientierten Schulbucharbeit und -prüfung In Schulbüchern vermittelte Geschlechterkonzepte werden seit Anfang der 1970er Jahre in ausgewählten Bundesländern diskutiert (vgl. Int. V; VI; XIV; XVIII). Die Einrichtung der Landesschulbuchkommissionen in NordrheinWestfalen hat diese Diskussion merklich vorangetrieben, die Zulassung galt dort als schwieriger, weil im professionalisierten Prüfverfahren auf mehr Aspekte geachtet wurde als anderenorts (vgl. z. B. Int. V; XIV).421 In den durch die Interviews rekonstruierten Einzelfällen aber waren die Schulbuchautorinnen selbst – wenn auch vornehmlich in den sprachlichen Fächern – treibende Kraft hin zur stärkeren Orientierung an einem Gleichheitsverständnis von Frauen und Männern, so in Hessen zu Beginn der 1970er Jahre (vgl. z. B. Int. VI). Etwas zeitversetzt wurde dann auch von Behördenseite eine stärkere Berücksichtigung von Gleichstellungsfragen in der Schulbucharbeit verlangt, ohne dass zu diesem Zeitpunkt eine kultusministerielle schriftlich fixierte Richtlinie oder eine länderspezifische Vorgabe existiert hätte. Zielsetzung der AutorInnen vor allem war es, Schulbücher zunächst einmal mit der Lebenswirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen, das hieß beispielsweise, Frauen auch als berufstätig zu zeigen sowie Alleinerziehende und Scheidungskinder in die Schulbuchwelt aufzunehmen. Ein AutorInnenteam für ein Englischlehrwerk achtete dabei nach eigenen Angaben auch auf sprachliche Sensibilität und verwendete anstelle von unpersönlichem he die ZweiGenderung he or she (vgl. Int. VI). In den 1980er Jahren nahmen Gutachten in der Erinnerung der Befragten häufiger und ausführlicher Stellung zur Geschlechterthematik. Als Ursache für ungleich(wertig)e Geschlechterkonzepte wurde angeführt, dass mehrheitlich Männer im Schulbuchteam vertreten sind (vgl. Dok. I). Diese Argumentation impliziert, dass Autoren nicht in gleicher Weise

|| 421 Schultz’ Kritik aus dem Jahr 1979, dass „Schulverwaltungsbehörden nie eine kritische Einschätzung von Lehrmitteln im Hinblick auf geschlechtsspezifische Benachteiligung in Betracht gezogen“ (Schultz 1979, 24) hätten, ist dann nicht ganz zutreffend.

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wie Autorinnen die nötige Sensibilität für die Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes aufbringen könnten. SchulbuchautorInnen, -herausgeberInnen und -redakteurInnen konstatierten, dass interne Diskussionen zu und externe Kritik an Geschlechterkonzepten im Schulbuch der 1970er und 1980er Jahre nachhaltig Veränderungen in der Schulbucharbeit bedingt hätten. Ein Reflexionsprozess sei in Gang gesetzt worden, der im Fach Deutsch dazu geführt habe, dass Themen und Texte bewusster ausgewählt wurden (vgl. Int. XVIII). „Mit der Schere im Kopf“ (Int. XVIII) wurden Schulbücher mit dem Ziel überarbeitet, geschlechtergerechtere Schulbücher zu erstellen: Beispielsweise wurden die mehrheitlich männlichen Schulbuchfiguren und Protagonisten stellenweise gegen weibliche Figuren ausgetauscht, Texte der feministischen Linguistik wurden ins Sprachbuch übernommen und bei neuen Schulbüchern achteten HerausgeberInnen und Verlage vermehrt auf ein ausgewogenes Frauen-Männer-Verhältnis im AutorInnenteam. Behördliche Vorgaben und ihre praktische Bedeutung für die Schulbucharbeit In den seltensten Fällen konnten SchulbuchmacherInnen sagen, welche Bundesländer spezifische Kriterienkataloge zur Schulbuchbegutachtung ausgeben sowie in der Vergangenheit ausgegeben haben. Entsprechend waren den Befragten die Inhalte von aktuellen und ehemaligen Katalogen nicht bekannt. Weder zu den Kriterienkatalogen noch zu den Lehrplänen legen Verlage und Redaktionen Ländersynopsen oder vergleichbare Übersichten zu den Zulassungsvoraussetzungen und Begutachtungsleitlinien an (vgl. Int. I; XV). Zu Bayern wiederum erinnerte sich einE InterviewpartnerIn, dass sie/er Anfang der 1990er Jahre keine Kenntnis von einem Kriterienkatalog gehabt habe – Bayern hatte einen solchen aber bereits 1985 erstellt (s. Kap. 5.2.2b) –, jedoch die FachreferentInnen den SchulbuchmacherInnen Hinweise gegeben hätten, worauf bei der Prüfung zukünftig stärker geachtet würde, so auf die Darstellung der Geschlechter im Schulbuch (vgl. Int. XVIII). Einige Interviewte betonten, dass an behördlichen Vorgaben für die Schulbucharbeit lediglich der Lehrplan und die Bildungspläne berücksichtigt wurden und werden (vgl. z. B. Int. V; XV). Ältere Kriterienkataloge waren über die Interviews kaum zu ermitteln oder gar zu rekonstruieren. Die Auswertung des redaktionell-behördlichen Schriftverkehrs aber legte offen, dass Redaktionen in der Vergangenheit durchaus Kenntnis von behördlichen Kriterienkatalogen hatten bzw. von den Behörden über neu entwickelte Kriterien informiert oder mindestens bis Ende der 1980er Jahre an bereits eingeführte Kriterien erinnert wurden (vgl. z. B. Dok. II; VI).

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Inwiefern Redaktionen solche Schriftstücke auch an SchulbuchautorInnen weitergaben, kann nicht abschließend beantwortet werden. Diskutiert wurden Fragen der Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes in den Teams aber allemal, und dies häufig bereits Jahre vor den offiziellen behördlichen Initiativen und Verlautbarungen (s. den vorausgehenden Abschnitt). Die befragten MinisterialbeamtInnen selbst gaben im Übrigen meist keine Auskunft oder hatten nach eigenen Angaben keine Kenntnis darüber, ob ältere Kriterienkataloge existiert haben und ob oder wo diese gegebenenfalls intern archiviert sein könnten. Die Auswertung der Interviews und Dokumente hinsichtlich der Inhalte und Form behördlicher Vorgaben hat also ergeben, dass der großen Mehrheit der SchulbuchmacherInnen andere behördliche Vorgaben als Lehr- und Bildungspläne nicht bekannt sind oder waren. Es konnte in diesem Zusammenhang weder bestätigt noch widerlegt werden, inwiefern vor Einsetzen einer gleichstellungsorientierten Schulbucharbeit möglicherweise traditionelle Rollenvorstellungen von Behörden explizit als positive Leitbilder betrachtet und von den SchulbuchmacherInnen umzusetzen eingefordert wurden. Redaktionelle Vorgaben in der Schulbucharbeit Um ein in sich stimmiges Lehrwerk herzustellen, das dem behördlichen Prüfverfahren standhält, müssen sich, so könnte man annehmen, Verlage, Redaktionen und AutorInnenteams auf einheitliche Regeln in der Schulbucharbeit verständigen. Es wurde in den Interviews daher erfragt, ob ähnlich zu den Begutachtungskatalogen redaktionelle Leitlinien für die Schulbucharbeit existieren, die an neue AutorInnen ausgegeben werden. Entsprechende Leitlinien gibt es den Interviewaussagen zufolge tatsächlich (vgl. z. B. Int. V; VII; IX; XVIII).422 Zum Teil erarbeiteten sich die Teams auch eigene Richtlinien (vgl. Int. XII). Manche Verlage bestätigten zwar die Existenz festgeschriebener verlagsweiter Qualitätsstandards, AutorInnen des gleichen Verlags waren diese mitunter nicht bekannt. In beinahe allen von den Befragten erwähnten schriftlichen Aufstellungen werde ihres Wissens nicht auf geschlechtersensible Sprache oder andere Aspekte eingegangen, die mehr Geschlechtergerechtigkeit herstellen sollen. In manche Redaktionsleitfäden sei an sprachlichen Vorgaben vielmehr aufgenommen: in Schulbuchaufgaben pluralische Imperative verwenden (z. B. Schreibt […])

|| 422 Ältere verlagsinterne Leitlinien sind nach Angaben der Befragten nicht erhalten; sie konnten daher im Rahmen dieser Untersuchung nicht ausgewertet werden.

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und die Methodenwahl anleiten (z. B. Löst die Aufgabe in Partnerarbeit.). EinE SchulbuchautorIn erinnerte sich, dass die Redaktion ihm/ihr vorgegeben habe, auf ein ausgewogenes Verhältnis weiblicher und männlicher Personen zu achten sowie vielfältige Männer- und Frauenberufsbezeichnungen aufzunehmen (vgl. Int. V). Ob diese Vorgaben Teil einer schriftlichen Checkliste waren, konnte sie/er aber nicht mit voller Sicherheit sagen. Der Gleichberechtigungsgrundsatz und Operationalisierungsversuche dessen sind also kein regulärer Bestandteil der schriftlich fixierten redaktionellen Checklisten – und doch kann man von einem redaktionellen Usus sprechen, der sich im Laufe der Jahrzehnte herausgebildet hat und vergleichsweise feste inhaltliche Bausteine aufweist. SchulbuchmacherInnen berichteten in den Interviews, dass durchaus Strategien bekannt waren, mit denen die Teams die Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter im Schulbuch umzusetzen versuchten. Laut den befragten RedakteurInnen und AutorInnen fällt dieses Strategienbündel mal detaillierter, mal weniger umfangreich aus. Das Strategienbündel, als welcher der Usus auch verstanden werden kann, ist aber nicht von einer spezifischen Autorität in all diesen Einzelheiten normativ durchzusetzen versucht worden. In keiner der befragten Redaktionen und AutorInnenteams ist er in aller Ausführlichkeit sowie in diesem Facettenreichtum explizit fixiert. Vielen gilt er aber als selbstverständlicher Usus und ist inzwischen für manche zum mehr oder weniger detailliert operationalisierten Selbstanspruch in der Schulbucharbeit geworden; dieser wird im Folgenden vorgestellt. Unter der sprachlichen Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes wurde von den Befragten mehrheitlich die Verwendung geschlechtersensibler Ausdrücke zur Bezeichnung von Personen verstanden. Dies gehört allerdings nicht zum Kernbestand des redaktionellen Usus, d. h., es wurde von wenigen befragten RedakteurInnen, AutorInnen und HerausgeberInnen als Bestandteil genannt. Je nach Verlag, Redaktion und AutorInnenteam hat geschlechtersensible Sprache einen unterschiedlichen Stellenwert. In einem Fall wurde einer/ einem AutorIn gesagt, dass mindestens bei Schül* auf geschlechtersensible Realisierungen (z. B. als Schüler und Schülerinnen; Schüler/in) zu achten wäre, weil das geschlechtsübergreifend gebrauchte Schüler bereits Gegenstand von Gutachtenkritik gewesen sei; bei anderen Personenbezeichnungen, Banknachb*423 beispielsweise, sei dies wiederum weniger wichtig (vgl. Int. XXIII). Auf Nachfrage, was in den Augen der InterviewpartnerInnen zu geschlechtersensibler Spra-

|| 423 Das Asterisk ist, wie schon bei Schül* (s. Kap. 4.1.4, FN 270), Platzhalter für unterschiedliche mögliche Anschlüsse (z. B. -ar; -arin; -ar/in), auch über die Wortgrenze hinaus (z. B. -ar und Banknachbarinnen).

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che zählt, führten die meisten Befragten die pluralische Paarformulierung mit und an, einige wenige auch Kollektiv- sowie andere Neutralbildungen; genannt wurde hier beispielsweise Lehrerkollegium und Lernende (Pl.). Schrägstrichschreibungen werden neben ausgeschriebenen Paarformen als gängig angesehen, Binnen-I-Schreibungen hingegen nicht. Nicht durchsetzen konnte sich die Initiative eines AutorInnenteams, in einem Schulbuch abwechselnd generische Maskulina und generische Feminina zu verwenden; der Vorstoß wurde vom Verlag mit der Begründung abgelehnt, dass sich dies zu stark von den Lesegewohnheiten der SchülerInnen unterscheide (vgl. Int. XV). Bei Paarformulierungen besteht auch ein Bewusstsein für Reiheneffekte, es werde entsprechend auf unterschiedliche Abfolgen von Frauen- und Männerbezeichnungen geachtet (vgl. Int. XII; XV). Die pronominale Ebene wurde lediglich von einem/einer SchulbuchautorIn angesprochen – so habe man sich in einem neueren Mathematikbuch bei jemand auf den pronominalen Anschluss mit er/sie – statt mit generischem er – geeinigt (vgl. Int. XXII). Nach Einschätzung einer/eines AutorIn hängt die Wahl zwischen generischem Maskulinum oder geschlechtersensiblen Formen vornehmlich davon ab, was eher mit ästhetischen Ansprüchen zusammengeht und mit dem angestrebten Komplexitätsgrad von Texten vereinbar ist (vgl. Int. IX). Paarformen, aber auch Kollektivbildungen werden im Vergleich zu generischen Maskulina als schwerer erfass- und dekodierbar bewertet. EinE AutorIn vermutete, dass es Redaktionen manchmal vom Seitenaufbau und dem zur Verfügung stehenden Platz auf einer Schulbuchseite abhängig machen, ob längere ausgeschriebene Paarformen verwendet werden oder ein kürzeres generisches Maskulinum (vgl. Int. VII). Für einige RedakteurInnen und HerausgeberInnen sind geschlechtersensible Formulierungen der Bezeichnung von Personen länder- und schulartübergreifend so selbstverständlich, dass Schulbücher im finalen Korrekturdurchlauf noch einmal auf diesbezügliche Einheitlichkeit durchgesehen würden (vgl. z. B. Int. XV). AutorInnen haben hingegen die Erfahrung gemacht, dass dieser Aspekt keineswegs Gegenstand der Endkorrektur ist. EinE AutorIn für Mathematikbücher zeigte sich sehr überrascht, dass in den zugelassenen (und auch gutachterlich geprüften) SchülerInnenbänden, an denen sie/er mitgewirkt hatte, ganz unterschiedliche Realisierungen von Schül* vorkommen: Schüler/innen, Schüler(innen), Schüler (Pl.; geschlechtsübergreifend referierend), Schülerinnen und Schüler (vgl. Int. XXII). Derartige Unterschiede erklären sich zwei AutorInnen damit, dass Kapitel der Grundausgabe für andere Zielmärkte von anderen Teams überarbeitet oder ganz ausgetauscht werden; diese Praxis führt zu Uneinheitlichkeiten zwischen Kapiteln in Bezug auf ganz unterschiedliche Aspek-

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te, wohl auch in Bezug auf geschlechtersensiblen Sprachgebrauch (vgl. den Hinweis in Int. VII und XXII). Gestärkt wird diese Annahme durch einen weiteren Interviewbefund: Unterschiedliche AutorInnenteams für unterschiedliche Länderausgaben eines Lehrwerks setzen sich in der Regel aus Lehrkräften der Zielländer zusammen und wollen, so der Interviewhinweis, der länderspezifischen Schulkultur Rechnung tragen; so würde für die Zielländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Niedersachsen das generische Maskulinum eher den Schulbuchnormalfall darstellen, wohingegen in der Nordrhein-Westfalen-Ausgabe die Paarform als Regelfall gelte, und dies deswegen, weil in den jeweiligen Ländern ein unterschiedlicher „Fachjargon“ (Int. IX) im Sinn von Sprachgebrauch unter Lehrkräften gepflegt würde, der wiederum Ausdruck einer regional unterschiedlichen Schulkultur sei. Dieser „Jargon“ wird über die AutorInnen in die Schulbücher transferiert. Ob geschlechtersensible Sprache im Schulbuch vorkommt oder nicht, ist in dieser Argumentation weder von einem transdisziplinären redaktionellen Usus abhängig noch unmittelbar von der Schulbuchbegutachtung,424 sondern von einem angenommenen mehrheitlich realen schulischen Sprachgebrauch. Berufsbezeichnungen und Vornamen wurden gesondert als Wortschatzbereiche genannt, bei denen redaktionelle Übereinkünfte zum Umgang bestünden. In den Fremdsprachen beispielsweise würden bei neu zu lernenden Berufsbezeichnungen stets die für weibliche und für männliche Personen gebräuchlichen aufgeführt, sofern es sich hier um unterschiedliche handelt. Auf diesem Weg sollen SchülerInnen auf semantische Asymmetrien hingewiesen werden. In Aufgabenstellungen wiederum werde weniger auf geschlechtersensible Formen geachtet (vgl. Int. XX). Fächerübergreifend gilt: Wenn Berufsbezeichnungen im Schulbuch vorkommen, so soll von den SchulbuchautorInnen darauf geachtet werden, dass Frauenberufsbezeichnungen und Männerberufsbezeichnungen einer Ebene angehören. Uneinigkeit bestand unter den Interviewten darüber, wann sich die Bezeichnungen auf gleicher Ebene bewegen: Befolgt sei diese Regel auch dann, wenn geschlechtstypische Berufe genannt werden, die im gesellschaftlichen Ansehen oder in Bezug auf das Einkommen hierarchisch gleichwertig sind, so eine Auslegung. Befolgt sei diese gleichstellungsorientierte Forderung nur dann, wenn sowohl Frauen als auch Männer im gleichen Beruf dargestellt sind, so die andere. Geschlechtsspezifische Pädago-

|| 424 Mittelbar vermutlich doch, weil es sich bei den GutachterInnen in der Regel ebenfalls um Lehrkräfte des Zielbundeslands handelt, die Teil der von manchen Befragten als regional different angenommenen schulischen Kultur sind.

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gik und eine dekonstruktive Pädagogik prallen aufeinander. Hier schlägt sich in der Schulbucharbeit nieder, was sich auf Ebene der behördlichen Richtlinien und Kriterienkataloge als potentielle Problematik abgezeichnet hat (s. bereits Kap. 5.2.2q). Ferner sollen Aufgaben von Jungen und Mädchen gleich häufig richtig oder falsch gelöst werden oder Mädchen und Jungen gleich häufig kluge und weniger kluge Antworten geben, so dass keinem Geschlecht Inkompetenz oder eine schlechtere Eignung in einem Fach unterstellt werden kann (vgl. z. B. Int. I). Und auch Vornamen sollen paritätisch verteilt sein. Auf die Nachfrage, ob den SchulbuchmacherInnen Unisex-Vornamen bekannt sind und ob diese womöglich bewusst eingesetzt werden, um das Zwei-Geschlechter-Modell aufzubrechen, folgte eine überraschende Antwort: Damit werde nicht der Einbezug queerer Geschlechterentwürfe intendiert, man wolle vielmehr der Vornamenrealität im Klassenzimmer Rechnung tragen (vgl. Int. XII). Die meisten anderen Bausteine des redaktionellen Usus umfassen weniger sprachliche Details als vielmehr allgemeinere, inhaltliche Hinweise zum Umgang mit Geschlecht. Diese betreffen auch die Metaebene: So würden Verlage und Redaktionen darauf achten, dass Schulbuchteams möglichst ausgewogen mit Frauen und Männern besetzt sind. Die Namen der AutorInnen und HerausgeberInnen, zum Teil auch von BeraterInnen, finden sich in den bibliographischen Angaben zu einem Schulbuch. Die beteiligten RedakteurInnen werden nicht gleichermaßen standardmäßig genannt; das scheint von Verlag zu Verlag und Reihe zu Reihe unterschiedlich gehandhabt zu werden. Den Interviews zufolge aber seien Frauen in den Redaktionen mit Ausnahme der Mathematik und einiger Naturwissenschaften deutlich überrepräsentiert (vgl. z. B. IX). Im Schulbuch selbst sollen berühmte Vertreter wie auch Vertreterinnen des Fachs sowie andere bekannte Persönlichkeiten geschlechterparitätisch auftreten. Im Mathematikbereich sei dies gar nicht so einfach – nicht, weil es keine oder wenig bedeutende Mathematikerinnen gegeben habe und gebe, sondern weil deren Forschung sich meist auf zu komplexem Niveau bewege und nur bedingt für den Schulunterricht geeignet sei (vgl. Int. XII). EinE SchulbuchautorIn für das Fach Deutsch wies darauf hin, dass die Wahlmöglichkeiten an Schriftstellerinnen für Schulbücher der Sekundarstufe I prinzipiell sehr groß ausfallen (vgl. Int. IX). Denn in diesen Jahrgangsstufen seien Schulbücher eher thematisch in Lernbereiche gegliedert, es müsse sich hier nicht so sehr am epochenspezifischen Literaturkanon orientiert werden, welcher Textauszug als thematischer Aufhänger gewählt wird. Für das 20. und 21. Jahrhundert stünden zahlreiche Schriftstellerinnen und Publizistinnen zur Auswahl, von denen diese Auszüge stammen könnten. Das Potential, ebenso viele Autorinnen wie Autoren

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zu berücksichtigen, sei für diese Jahrgangsstufen noch nicht ausgeschöpft (vgl. Sylvester-Habenicht 2009). AutorInnenteams machen auch Vorschläge, wie das Schulbuch illustriert werden soll. Mit Nachdruck seien sie von Redaktionen darauf hingewiesen worden, dass Mädchen und Jungen auch in den vorgeschlagenen Abbildungen gleichermaßen vorkommen (vgl. z. B. Int. XXIII).425 Ebenso soll HandlungsträgerInnenschaft gleichmäßig verteilt sein. Ausgezählt würden diese und ähnliche quantitative Richtwerte allerdings nicht, so die Bemerkung einer/eines SchulbuchautorIn (vgl. Int. XXII). Dass eine gefühlte (Un-)Gleichverteilung trügen kann, hat Niederdrenk-Felgner (1995) in einem Erfahrungsbericht beschrieben: Die Mathematikdidaktikerin und Schulbuchautorin wollte in den von ihr verfassten Abschnitten zu Mathematikschulbüchern Mädchen und Frauen ebenso häufig wie Jungen und Männer auftreten lassen. Rasch hatte sie den Eindruck, ihre Texte wiesen nun ein deutliches Ungleichgewicht zugunsten der weiblichen Figuren auf. Beim Auszählen zeigte sich, dass das Zahlenverhältnis gerade ausgewogen war. Niederdrenk-Felgner (1995, 55) erklärte sich dies damit, dass „unsere Wahrnehmung so an die Überrepräsentanz von Männern und Jungen gewöhnt [sei], daß wir sie nicht mehr als solche empfinden.“ Immer dann, wenn es Bestandteil eines Lehrwerkskonzepts ist, dass Figuren durchs Schulbuch führen, würde darauf geachtet werden, dass sich unter den Leitfiguren sowohl weibliche als auch männliche Personen befinden (vgl. z. B. Int. V; XII). Auch über Zahlenverhältnisse hinaus hat sich in den Redaktionen und Schulbuchteams ein Usus zur Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes entwickelt. Ab den 1980er Jahren wurde die Text- und Themenwahl in Schulbüchern zunehmend kritisch darauf befragt, ob diese für alle Kinder und Jugendliche ausreichende Möglichkeiten zur Identifikation böten (vgl. Int. XVIII). Noch gegenwärtig ist diese Diskussion in den Redaktionen hochaktuell. Es sind dabei keineswegs nur die Mädchen im Blick, der Fokus liegt gegenwärtig im Fach Deutsch ebenso auf den Jungen, die beispielsweise über den Einbezug naturwissenschaftlicher Themen ins Deutschbuch für das Fach motiviert werden sollen (vgl. Int. XV). Unentschieden und uneinig sind die SchulbuchmacherInnen hier wiederum in der Frage, ob Texte und Themen danach gewählt werden sollen, dass sie angenommene geschlechtsspezifische Interessen bedienen,

|| 425 Illustrationen werden in der Regel erst dann ins Schulbuch aufgenommen, wenn die Arbeit am Typoskript abgeschlossen ist. Zuvor wurde auf Grundlage der Illustrationsideen einE GrafikerIn mit deren Erstellung betraut. Für eine genauere Durchsicht der Illustrationen fehle am Ende des Produktionsprozesses dann allerdings meist die Zeit (vgl. Menzel 2010, 223).

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oder danach, dass sie geschlechtsübergreifend auf Interesse stoßen. Im Fach Deutsch waren sich die VertreterInnen dieser unterschiedlichen Positionen wiederum darin einig, dass Probleme, die eher Mädchen als Jungen betreffen und umgekehrt, auch in dieser Zuordnung im Schulbuch thematisiert werden sollen. Beim Thema Sucht wird dann Magersucht am Beispiel eines magersüchtigen Mädchens besprochen und Alkoholsucht am Beispiel eines alkoholsüchtigen Jungen. Sehr viel detaillierter als manche Kultusbehörde haben sich Bildungsmedienverlage bisweilen mit Gender Mainstreaming als einem unternehmerischen Leit- und Qualitätsprinzip auseinandergesetzt. EinE InterviewpartnerIn erläuterte in Bezug auf die Cornelsen Schulverlage, dass nicht nur die Personalabteilung dieses Prinzip zu berücksichtigen hätte, sondern dass es bis hinein in die Mikroebene Schulbuch wirke (vgl. Int. XV). Verlagsweit gelte der Usus, geschlechtersensible Formulierungen zu wählen und Jungen und Mädchen im Schulbuch nicht in stereotypen Situationen zu zeigen. Außerdem sei bewusst darauf zu verzichten, Rollenklischees zum Thema zu machen. Dies sei mit Cornelsens dekonstruktiv ausgerichtetem Verständnis von Gender Mainstreaming nicht vereinbar. Statt Frisören und Bauingenieurinnen sollen im Schulbuch eher Richterin sowie Richter auftreten, um Stereotype nicht über den Weg ihrer wenn auch problematisierenden Thematisierung zu reaktualisieren. In der Vergangenheit seien hier auch Fehler gemacht worden und überproportional viele alleinerziehende Väter als Gegenentwurf zu Stereotypen in Schulbüchern vertreten gewesen. Überstrapazierte Gegenentwürfe werden als problematisch, weil in ihrer Häufung als zu realitätsfern, abgelehnt. Schulbücher, die gemäß dem unternehmerischen Verständnis von Gender Mainstreaming konzipiert sind, vermittelten ein „an der Realität orientiertes Ideal“, ein „geschöntes Normalbild“ (Int. XV), das geschlechtsübergreifende Identifikationsangebote aufweist. Die befragten SchulbuchautorInnen und -herausgeberInnen, die für Cornelsen Schulverlage tätig sind, orientieren sich allerdings nicht durchgängig an diesem Verständnis von Gender Mainstreaming, keiner und keinem war es, wie eine Nachfrage verdeutlichte, überhaupt als explizites Leitprinzip des Verlags bekannt oder bewusst. Zwar gehöre es für sie wie auch die meisten anderen befragten SchulbuchmacherInnen zum Usus, stereotype Situationen zu vermeiden – Haushaltsgeräte beispielsweise nicht (nur) von Frauen kaufen zu lassen und im Sinn des undoing gender auch Jungen Kuchen backen zu lassen. Geschlechtstypisch aber dürfen die gewählten Themen durchaus auch sein. Für diese Befragten kann und soll beispielsweise Reiten oder Tanzen als Konzession an (vermeintlich) typische Interessen von Mädchen und Fußballspielen als Kon-

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zession an jene von Jungen im Schulbuch vorkommen. Über das Abbilden sogenannter geschlechtsspezifischer Interessen, wie sie in den Kriterienkatalogen zu berücksichtigen eingefordert werden, soll die Bereitschaft, sich mit dem eigentlich zu vermittelnden Stoff auseinanderzusetzen, erhöht werden (vgl. Int. XII). Die Interessen sollen allerdings nicht geschlechtsexklusiv erscheinen (vgl. Int. XXIII). Zudem hält es die überdeutliche Mehrzahl der befragten AutorInnen und RedakteurInnen für das Mittel der Wahl, Stereotype provokativ einzuführen, um die SchülerInnen zu einer kritischen Auseinandersetzung mit ihnen anzuleiten und Stereotype zu dekonstruieren. Die intensivsten Diskussionen über die durchschlagendsten Dekonstruktionsstrategien werden in Teams für Deutschlehrwerke geführt. Das Thema Berufswahl im Deutschbuch sorge hier regelmäßig für Zündstoff: Berufliche Interessen von Schülerinnen und Schülern sind den Lehrkräften unter den AutorInnen zufolge mehrheitlich verschieden; diese geschlechtsspezifischen Interessen dürften, so wird diskutiert, nicht einfach unberücksichtigt bleiben. Gleichzeitig will man keine stereotype Berufswahl unterstützen und eine Trennung in geschlechtersegregierte Berufsdomänen nicht tradieren (vgl. Int. IX). In den Mathematikteams wird es (noch) als Fortschritt empfunden, dass der fachdidaktische und pädagogische Diskurs um eine geschlechtersensible Mathematik in die Schulbucharbeit Einzug gehalten hat (einen Überblick über die Debatte um „geschlechtsspezifische“ MINT-Pädagogik426 gibt Jahnke-Klein 2014). Bemerkenswert war der Hinweis eines/einer Mathebuch-AutorIn, dass Kinder und Jugendliche durchaus mit ihren geschlechtsspezifischen Interessen dargestellt werden sollen, Erwachsene aber in der Rolle als Berufstätige keinesfalls in den (stereo-)typischen Berufen; eine Krankenschwester sei daher nicht im Mathebuch zu finden, Frauen in MINT-Berufen hingegen schon (vgl. Int. XII). Insgesamt würde sich im Bereich der Berufswelt bei der Abfassung von Mathematik- und Deutschbüchern eher an einem gesellschaftlichen Gleichheitsideal und am Konzept des undoing gender orientiert. Das in Schulbüchern zu vermittelnde Freizeitverhalten von Kindern und Jugendlichen hingegen soll den InterviewpartnerInnen zufolge mehrheitlich den angenommenen realen Geschlechtspräferenzen folgen. Eine der befragten Personen hielt es zudem auch deswegen für problematisch, geschlechtsspezifische Angebote aus den Schulbüchern auszuschließen, weil sich Kinder und Jugendliche so weniger ihrer Identität als Mädchen oder Junge rückversichern könnten (vgl. IX). Doing gender wird hier als entwicklungspsychologische Notwendigkeit perspektiviert. || 426 MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (s. bereits Kap. 4.1.2b unter Berühmte Personen, FN 235).

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Jene SchulbuchmacherInnen, welche die behördlichen Vorgaben auch in ihren Inhalten kannten, bewerteten den im Lauf der Jahre und Jahrzehnte etablierten redaktionellen Usus, der – wie im Vorausgehenden ausführlich dargestellt wurde – in sich durchaus widersprüchlich ist, als deutlich differenzierter hinsichtlich der Operationalisierung des Gleichberechtigungsgrundsatzes. Es sei an dieser Stelle aber nochmals darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Usus nicht um einen irgendwo festgeschriebenen normativen Katalog handelt, sondern um eine informelle Übereinkunft, die je nach Verlag, Redaktion und AutorInnenteam in unterschiedlicher Tiefe und Breite Anwendung findet. Klett sei im Fach Deutsch beispielsweise weniger auf solche Operationalisierungsfragen orientiert als Oldenbourg oder Cornelsen. In der Gymnasialmathematik sei die Thematik zudem erst um die Jahrtausendwende in der Schulbucharbeit angekommen. Spätestens Ende der 1990er Jahre soll auch geschlechtersensible Sprache im engeren Sinn länderübergreifender stabiler Bestandteil des redaktionellen Usus geworden sein (vgl. Int. XVIII). Unter den Bestimmungen erweist sich diese Bestimmung allerdings als wackelig und fakultativ. Denn verschiedene InterviewpartnerInnen wiesen darauf hin, dass geschlechtersensible Sprache als ZweiGenderung oder Neutralisierung von Geschlecht in Sprache nicht mehr gleichermaßen konsequent wie noch vor zehn bis 15 Jahren in Schulbüchern verwendet werde; das generische Maskulinum erfahre gegenwärtig wieder größere Akzeptanz in den Teams und bei den Zulassungsbehörden (vgl. z. B. Int. XIV). Gegenstand der Kritik und des Lobs von Gutachten Die Betrachtung der Begutachtungspraxis soll nun zeigen, welchen Stellenwert Geschlechterfragen in Gutachten einnehmen und inwiefern Verlage zu Änderungen ihrer Schulbücher aufgefordert werden. Am Anfang steht eine kurze Beschreibung der Textsorte Gutachten, anschließend wird auf Länder- und Fachunterschiede der Begutachtung eingegangen, um dann auf Kritikpunkte (vom Inhalt bis zur sprachlichen Umsetzung) und positiv Hervorgehobenes der Gutachten zu sprechen zu kommen. Die für diese Untersuchung eingesehenen ungekürzten Gutachten haben einen Umfang von 1 bis 25 Seiten, wobei der Durchschnitt bei circa 15 Seiten liegt. In einigen Fällen (z. B. in Bayern und Niedersachsen) orientiert sich die Gliederung der Gutachten an der Gliederung der Beurteilungskriterien im länderspezifischen Kriterienkatalog. Häufig wird zu Beginn der grundlegende Eindruck, den das Schulbuch auf die/den GutachterIn vermittelte, formuliert,

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manchmal auch direkt darauf hingewiesen, dass das Buch mit den geltenden Verfassungsgrundsätzen und Rechtsvorschriften übereinstimme.427 Meist beschreiben die GutachterInnen dann im Mittelteil, welche Lernbereiche im Schulbuch mit Blick auf den Lehrplan abgedeckt sind, und geben eine Einschätzung, inwiefern das Schulbuch SchülerInnen motivieren kann und zur kreativen Auseinandersetzung im Sinn eines handlungs- und produktionsorientierten Unterrichts anleitet. In gegenwärtigen Gutachten steht standardmäßig mindestens ein (Halb-)Satz zum Schulbuch-Umgang mit Interkulturalität, zur Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes hingegen nehmen sie kaum Stellung. Selten auch gebrauchen GutachterInnen geschlechtersensible Formulierungen, was aber nicht vorschnell als Indiz für eine schwach ausgeprägte Sensibilität gegenüber der Geschlechterthematik gewertet werden sollte. So sind auch jene Gutachten aus den 1980er Jahren mit generisch gebrauchten Maskulina gespickt, die altzugelassene Schulbücher im Rahmen einer umfassenden Schulbuchrevision ausschließlich auf die Darstellung der Geschlechter untersuchten (vgl. z. B. Dok. II). Änderungswünsche sowie sachliche und formale Fehler werden zum Teil ganz am Ende des Gutachtens und zum Teil nach jedem Subkapitel aufgelistet. Das Gutachten schließt oft mit einer Gesamtbewertung des Schulbuchs. Den Redaktionen liegen Gutachten in der Regel vor, und zwar entweder auszugsweise oder als Ganzes. Nicht immer werden einsehbar gemachte Gutachten von den Redaktionen an die AutorInnenteams und/oder die HerausgeberInnen weitergegeben, da in manchen Verlagen oder Redaktionen Änderungen infolge von Gutachtenkritik direkt intern durchgeführt werden. Antworten auf die Interviewfragen, inwiefern Gutachten auf die Geschlechterdarstellung in Schulbüchern eingehen, konnten daher sowohl von RedakteurInnen als auch AutorInnen gegeben werden, darüber hinaus natürlich auch von GutachterInnen und BehördenmitarbeiterInnen. Die SchulbuchmacherInnen berichteten auch, dass die Zulassungsbehörden in Nordrhein-Westfalen und Hessen am frühesten und strengsten auf Geschlechterdarstellungen in Schulbüchern geachtet hätten, ähnlich auch Rheinland-Pfalz. Geschlechtersensible Sprache im engeren Sinn habe dort zu den Beurteilungskriterien gezählt. In den eingesehenen Gutachten dieser Länder wird diese aber in der Regel nicht thematisiert (vgl. z. B. die frühen nordrhein-

|| 427 Die Frage nach der Verfassungsgemäßheit eines Schulbuchs sei nach Hambrink (1979, 149) in Gutachten der 1970er Jahre hingegen sehr selten beantwortet worden. Hambrink wurden für seine Auswertungen von verschiedenen Ministerien Gutachten, die in den 1970er Jahren entstanden waren, zur Verfügung gestellt.

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westfälischen Gutachten, die in sonstiger Hinsicht auf die Geschlechterthematik eingehen: Dok. III; VII, VIII). Die Begutachtung in Niedersachsen wurde als gemäßigt beschrieben, der Süden Deutschlands und Sachsen als traditionell konservativer. In Bayern sei ein „christliches Menschenbild“ (Int. XVIII) lange Zeit in der Beurteilung wesentlicher Maßstab gewesen und die Geschlechterdarstellung dann in den 1990er Jahren zum Gegenstand der Schulbuchbewertung geworden. In der Regel wurde und wird bei einem neuen Lehrwerk zunächst eine Ausgabe für den Zielmarkt Nordrhein-Westfalen erstellt (vgl. Int. IX). Wie im Kapitel 5.1 ausgeführt, hält Nordrhein-Westfalen traditionell hohe Anteile am Schulbuchmarkt, weswegen den Vorgaben dieses Landes ein wichtiger Stellenwert zukommt. Schulartspezifische Unterschiede in den behördlichen Vorgaben wären am ehesten von SchulbuchredakteurInnen zu bemerken, wurden aber auf Nachfrage nicht genannt. Bemerkungen in anderem Zusammenhang legen dennoch Unterschiede nahe, die zudem eng an die Fachkultur gekoppelt sind. So sei die Gymnasialmathematik vor PISA und vor der Umstellung auf das achtjährige Gymnasium deutlich theoretischer und Schulbücher sehr viel weniger anwendungsbezogen gewesen. Entsprechend seien erst in der Folgezeit bei der Konzeption der neuen G8-Schulbücher Fragen des Umgangs mit Geschlecht relevant geworden, vor allem Ansätze einer geschlechtsspezifischen Pädagogik rezipiert worden: Welche Rahmenthemen sollen Schulbücher nutzen, in welche Anwendungsbezüge soll Mathematik eingebettet werden, um mehr Mädchen für Mathematik zu begeistern und ihnen ein positives Selbstkonzept zu vermitteln (vgl. Int. I; XII)? Überlegungen dieser Art nehmen ihren Ausgang also in pädagogischen und fachdidaktischen Diskursen und gehen nicht zwingend (auch) auf offizielle Schulbuchzulassungsvoraussetzungen zurück. Spätestens seit Ende der 1990er Jahre sollen Schulbuchgutachten der Mehrheit der Befragten zufolge standardmäßig die Geschlechterthematik ansprechen, wenigstens in Form einer kurzen Bemerkung im Stil von ‚Das Schulbuch weist keine Verstöße gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz auf‘. Zum Erstaunen einiger SchulbuchmacherInnen, die im Zuge der Befragung ihre Unterlagen noch einmal durchsahen, war dies mehrheitlich de facto aber nicht der Fall (vgl. z. B. Int. XIV). Selbst in niedersächsischen Gutachten ist keineswegs immer eine entsprechende Stellungnahme zu finden, obwohl die GutachterInnen im Begutachtungsleitfaden dazu aufgefordert sind, zu jedem Kriterium und damit auch zur Geschlechterdarstellung Stellung zu beziehen. Es besteht eine Diskrepanz zwischen erfragter wahrgenommener und tatsächlicher Präsenz der Thematik in der Begutachtung. Möglicherweise gilt die Frage nach der Gleichberechtigung der Geschlechter für GutachterInnen mit der Anmerkung als abgearbeitet, dass das Schulbuch

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nicht gegen geltendes Recht verstoße. Manche Gutachten widmen sich der Thematik aber auch eingehender, wobei Gutachten aus den 1990er Jahren hier ausführlicher ausfallen als Gutachten aus den letzten fünf bis zehn Jahren. EinE SchulbuchgutachterIn meinte, Schulbücher bislang nicht explizit auf die Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes geprüft zu haben (vgl. Int. XIII); den entsprechenden Begutachtungsaspekt aus dem Kriterienkatalog habe sie/er für sich so operationalisiert, dass er/sie gegebenenfalls Kritik geübt hätte, wenn Stereotype vorgekommen wären, was nach eigenen Angaben aber nicht der Fall gewesen sei. SchulbuchmacherInnen und Kultusbehörden stimmen darin überein, dass sich in allen Fächern neuen Herausforderungen – Inklusion und Interkulturalität sollen als Schlagwörter genügen – gestellt werden müsse (vgl. z. B. Int. I; II; IX). Mit Nachdruck werde derzeit an der Implementierung dieser neuen fächerübergreifend relevanten Schlüsselthemen in den Schulalltag gearbeitet. Viele Verlage und AutorInnenteams konstatierten außerdem übereinstimmend, dass aktuell kaum mehr Länder- und Fachunterschiede in der Begutachtungspraxis bestehen würden. PISA wird immer wieder als Motor der Vereinheitlichung genannt (vgl. z. B. Int. XVIII; XIV). Angesichts der unter 5.2.2 aus den länderspezifischen Kriterienkatalogen herausgearbeiteten Gleichberechtigungsverständnissen ein überraschender Befund, wo Länder doch durchaus konfligierende Maßstäbe der Bewertung ausgeben. In Bezug auf die Variable Fach ist auch nicht richtig, dass es keine Unterschiede gäbe: Die Gutachtenauswertung hat fachspezifische Unterschiede in der Begutachtungspraxis ergeben. Gutachten zu Deutschlehrwerken beispielsweise thematisierten die Darstellung der Geschlechter insgesamt früher und aktuell häufiger als Gutachten zu Mathematikbüchern beispielsweise, und das bei vergleichbaren Beurteilungsaspekten, wie Auftretenshäufigkeiten von weiblichen und männlichen Personen.428 Was kritisieren Gutachten an der Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes in Schulbüchern? Frühe Kritik übten Gutachten zu Deutschbüchern an der unverhältnismäßigen Unterrepräsentanz an Schriftstellerinnen und an zu wenigen Handlungsträgerinnen; ein weiterer Beurteilungsfokus lag auf dem

|| 428 Deutsch- und Mathebücher sind nur dann traditionell nicht vergleichbar, wenn es um explizite Thematisierungen von Geschlecht geht – in einem Mathematikbuch findet man bislang kaum ein Kapitel oder eine Aufgabenstellung, in der gesellschaftliche Geschlechterrollenerwartungen thematisiert werden. Bewertungen, die sich in Gutachten zu Deutschbüchern auf entsprechende Schulbuchausführungen beziehen, werden als mit Bewertungen zur Geschlechterdarstellung im Mathebuch nicht vergleichbar angesehen.

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Zahlenverhältnis von Vornamen für Frauen/Mädchen gegenüber Vornamen für Männer/Jungen (vgl. Int. XIV). Entsprechende Interviewaussagen decken sich mit den Ergebnissen der Auswertung von Gutachten der 1980er und 1990er Jahre für ganz unterschiedliche Fächer, denn auch hier standen quantitative Ungleichheitsverhältnisse im Fokus: In Schulbüchern gebe es im Geschlechtervergleich zu wenige weibliche Figuren, zu wenige Vertreterinnen des Fachs (z. B. Dichterinnen der Antike im Lateinbuch, vgl. Dok. XX), zu wenige Handlungsträgerinnen, zu wenige Frauen in unterschiedlichen Berufen und damit zu wenige Identifikationsangebote für Schülerinnen im Vergleich zu jenen für Schüler. Häufig werde außerdem die stereotype Aufteilung in weibliche Hausund Familiensphäre und männliche Erwerbstätigkeit genannt; es sollten nicht nur weibliche Personen Einkäufe tätigen, kochen und backen oder Haushaltsgeräte kaufen und nicht nur männliche Personen als Familienernährer gezeichnet werden. Schulbücher für die Altphilologien werden ab Mitte der 1990er Jahre auf Stereotype kritisch geprüft. Redaktionen müssen sich zunehmend mit der Frage auseinandersetzen, welches Geschlechterverhältnis für vergangene Zeiten entworfen werden soll, in welchen Rollen Frauen beispielsweise in der römischen Antike auftreten etc. Vor allem in Gutachten zu Geschichtsbüchern wurde kritisiert, dass Geschichte vor allem als Geschichte von Männern, nicht auch von Frauen erscheint (vgl. z. B. Dok. XI). Eine explizite Problematisierung des sprachlichen Ausschlusses von Frauen in der Geschichtsschreibung erfolgt in einem Gutachten und zwar an der Schulbuchformulierung „‚Väter‘ des Grundgesetzes“ (Dok. VII), bei der die ‚Mütter‘ ungenannt bleiben. Wenn gegenwärtig Kritik an der Geschlechterdarstellung geübt wird, dann betrifft diese in Gutachten zu Deutschbüchern der Unter- und Mittelstufe weiterhin vor allem das zahlenmäßige Missverhältnis von Autorinnen zu Autoren (vgl. z. B. Dok. XXXV). Weitere Kritik richtet sich auf die Materialwahl: Darf Männerfußballwerbung als Beispiel verwendet werden, wenn mit den SchülerInnen über Werbesprache diskutiert werden soll? Oder das Thema Schönheitsideal vor allem am Beispiel von Idealen für Frauen, das Thema Essstörung an weiblichen Betroffenen? GutachterInnen haben das als problematisch befunden (vgl. z. B. Dok. XXX). Selten bezieht sich die Gutachtenkritik auf den Sprachgebrauch im Schulbuch. Interviewaussagen zufolge hätten nordrhein-westfälische Gutachten der 1980er Jahre die Verwendung generischer Maskulina beanstandet (vgl. Int. XVIII). Dies kann auf Grundlage der gesichteten Gutachten so nicht bestätigt werden. Weniger die Kritik als Lob an alternativen Ausdrucksweisen ist dort zu finden. Solche lobenden Bemerkungen stammen dabei alle aus niedersächsischen Gutachten (vgl. Dok. XVIII; IX; XXXV). Wie bei der Auswertung zum re-

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daktionellen Usus bereits angesprochen, sind den Interviewaussagen zufolge Maskulina in generischer Gebrauchsweise im Schulbuch gegenwärtig eher wieder möglich und derzeit kein Stein des Anstoßes für GutachterInnen. Es reiche, den Gesslerhut ab und an zu grüßen, wie einE SchulbuchredakteurIn formulierte – guten Willen demonstrieren, indem gelegentlich geschlechtersensible Formen eingestreut werden (vgl. Int. XVIII). Dem Eindruck der Befragten ist soweit zuzustimmen, dass die Gutachten der jüngsten Vergangenheit zumindest nicht kritisch auf Inkonsequenzen geschlechtersensiblen Sprachgebrauchs eingehen. Da Vorschläge der feministischen Sprachkritik für einen geschlechtersensiblen Sprachgebrauch durchaus kontrovers diskutiert wurden, ist außerdem denkbar, dass in Gutachten ebenso gut Kritik an Alternativen zum generischen Maskulinum, wie sie die Sprachkritik befürwortete, geübt würde. Ein solcher Befund war allerdings für keine Zeit festzustellen. Kritik an sprachlichen Phänomenen äußert beispielsweise ein bayerisches Gutachten zu einem Mathematikbuch. Darin wird die Verteilung von Vornamen sowie von Berufsbezeichnungen auf Frauen und Männer quantitativ untersucht (vgl. Dok. XXVIIA); die/der GutachterIn geht dabei nicht auf die Problematik der geschlechtsreferentiellen Kategorisierung maskuliner Berufsbezeichnungen ein. Ausgehend von dieser Auszählung wird einerseits die verkürzte Darstellung des beruflichen Engagements von Frauen kritisiert und andererseits, dass auf diesem Weg „einseitige[n] Vorstellungen über die Position von Männern und Frauen in der Gesellschaft Vorschub [geleistet]“ würde – das Gutachten greift hier die Formulierung des bayerischen Kriterienkatalogs auf. Aus pragmatischer Sicht wird außerdem in manchen Gutachten vorgebracht, dass in Fremd- und redaktionellen Eigentexten selten aus Perspektive von weiblichen Personen erzählt werde (betrifft v. a. Deutschbücher), sich unter den KommunikationspartnerInnen zu wenig Frauen und Mädchen befänden und eher Jungen in Gesprächssituationen gezeigt würden, in denen sie eine dominierende Rolle einnehmen (vgl. Dok. XXVI; XXXI). Positive Gutachtenanmerkungen zur Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes wiederum kommen zahlreicher als kritische Töne vor – häufig beschränkten und beschränken sich Gutachten darauf, zu konstatieren, dass keine Klischees reproduziert und/oder Frauen und Männer gleichberechtigt dargestellt würden (vgl. z. B. Dok. X; XIV). Lobend erwähnt wird auch, wenn männliche und weibliche Personen in Illustrationen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, wenn die beiden Geschlechter gleichermaßen HandlungsträgerIn sind und Stärken und Schwächen auf Frauen/Mädchen und Männer/Jungen gleichmäßig verteilt sind (vgl. z. B. Dok. XII; XXII). Außerdem wird die im Schulbuch angeleitete kritische Auseinandersetzung von Schüler-

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Innen mit Rollenklischees positiv gewürdigt, ebenso wie im Deutschbuch-Gutachten Anleitungen zum Perspektivenwechsel, explizit auch von Jungen, lobend herausgestellt werden (vgl. z. B. Dok. XXXVIIIB). Kommunikationsdreieck Behörde – GutachterIn – Verlag Der Mehrheit der untersuchten Gutachten ist ein kultusministerielles Anschreiben vorangestellt, manchmal auch die Anschlusskommunikation zwischen Verlag und Behörde. Aus den Anschreiben geht meist hervor, welche Entscheidung die Behörde auf Grundlage der Gutachten getroffen hat. Zum Teil nämlich unterscheiden sich die in der Regel zwei Einzelgutachten, die unabhängig voneinander zum gleichen Schulbuch erstellt wurden, doch erheblich. Zum Beispiel wird 1998 im Gutachten A über zwei Seiten hinweg ausgeführt, in welcher Hinsicht das zur Zulassung beantragte Schulbuch aus Sicht der gutachtenden Person problematisch ist, auch wegen eines zahlenmäßigen Ungleichheitsverhältnisses weiblicher und männlicher Figuren, inklusive einer detaillierten Auflistung aller Aufgabenstellungen, in denen Frauen vorkommen, und aller Aufgabenstellungen, in denen Männer vorkommen. Das Gutachten B zum gleichen Lehrwerk dagegen meint, dass das Schulbuch Männer und Frauen gleichberechtigt darstelle (vgl. Dok. XXVIIA+B). Die ministeriellen Schreiben sowie die redaktionellen Antwortschreiben sind zusammen mit den im Gutachten aufgeführten Mängeln ertragreiche Quelle, um zu erfahren, wo es zu Diskussionen um Gutachtenkritik in Bezug auf die Geschlechterdarstellung zwischen Verlag und Behörde kam und kommt. Die Auswertung dieser Dokumente erfolgt in diesem Abschnitt und wird mit den Interviewaussagen zusammengeführt. Unter den SchulbuchmacherInnen stehen vor allem die RedakteurInnen und zum Teil auch die ReihenherausgeberInnen mit den Behörden im Austausch. Die behördlichen Ansprechpersonen für die SchulbuchmacherInnen sind in der Regel die FachreferentInnen (z. B. FachreferentIn Deutsch für Gymnasien). Darüber hinaus gibt es meist eine zentrale Zulassungsstelle im Kultusministerium oder dem Landesschulinstitut, die den Eingang eines neu eingereichten Schulbuchs registriert, gegebenenfalls eine Vorprüfung durchführt, das Schulbuch an die Fachreferate weiterleitet und sonstige administrative Aufgaben rund um die Schulbuchzulassung übernimmt (vgl. Int. XVIII). Mit den GutachterInnen kommuniziert meist nicht die Zulassungsstelle, sondern das Fachreferat (vgl. Int. XIII). Auf Grundlage der Dokumente und Interviews wurde herausgearbeitet, wie die Kommunikation im Dreieck Behörde – GutachterIn – Verlag/Redaktion prototypisch abläuft: Sofern ein Begutachtungsverfahren zu einem Schulbuch, das häufig erst als Typoskript vorliegt, durchgeführt wird, wird es von der Be-

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hörde an häufig zwei GutachterInnen zur Einzelbegutachtung gegeben. Der/dem ausgewählten GutachterIn wird eine Frist genannt, bis wann das Gutachten und das begutachtete Schulbuch an die Behörde zu übersenden sind. Im Fall Bayern wird in diesem kultusministeriellen Schreiben auch auf die offiziellen Bewertungskataloge hingewiesen (vgl. Int. XIII); im Fall Nordrhein-Westfalen wird den GutachterInnen gegenwärtig das Bewertungsformular übermittelt, das zuvor partiell von der Antrag stellenden Redaktion vorausgefüllt wurde (vgl. Int. XXVI). Die GutachterInnen sind angehalten, ein eindeutiges Votum über die Zulassung des Schulbuchs auszusprechen: Es soll entweder die Zulassung empfehlen, die Zulassung verweigern oder unter Auflagen eine Zulassung in Aussicht stellen. Nach eigener Auskunft fühlen sich GutachterInnen mit dieser Aufgabe etwas allein gelassen. Gerade wenn eine Lehrkraft zum ersten Mal die Aufforderung zur Begutachtung erreicht, die gar keine Wahlfreiheit zu lassen scheint, ob diese Aufgabe von der Lehrkraft erfüllt werden will, und wenn den GutachterInnen kein vorheriges Schulungsangebot für diese Prüftätigkeit gemacht wird, ist die Unsicherheit groß (vgl. Int. XX). Zudem handle es sich bei GutachterInnentätigkeiten um eine zusätzliche Nebentätigkeit von Lehrkräften, die – wenn auch gegen Honorar – quasi eingefordert wird, weswegen auch nicht allzu viel Engagement bei der Begutachtung erwartet werden könne (vgl. Int. XIII). Die Gutachten (ob Einzelgutachten oder Kommissionsgutachten) werden dann vom Ministerium oder Schulinstitut geprüft. Unter Einbezug dieser, ohne aber an sie gebunden zu sein, fällt die Behörde die Entscheidung über die Zulassung (s. auch Kap. 5.1). Selten schafft es ein prüfpflichtiges Schulbuch beim ersten Anlauf auf die Liste der zugelassenen Lehr-Lernmittel, vor allem in Bayern ist eine Ablehnung zunächst der Normalfall (vgl. z. B. Int. II; V; XVIII)429. Die Zulassungsstelle schickt die Entscheidung zusammen mit einer Auflistung von sogenannten Monita oder/und einer auszugsweisen oder vollständigen Kopie der Gutachten an den Verlag. Die Monita sind manchmal unterteilt in Fehler (verpflichtende Änderungen) und Mängel (optionale Änderungen). Daneben erhalten die Verlage bisweilen auch das gegebenenfalls mit Anmerkungen der GutachterInnen versehene Prüfexemplar zur Einsicht. Zwischen GutachterInnen und Redaktionen/AutorInnen kommt es dabei zu keinem Zeitpunkt zu einem direkten Austausch.430 Das Prüfexemplar muss anschließend wieder an die Behörde zurückgegeben werden (vgl. Int. I).

|| 429 Brandenberg (2006) bestätigt diesen Befund, sie hat eine bayerische Ablehnungsquote von 95% für den Erstantrag ermittelt. 430 Zu den Ausnahmen in der Vergangenheit s. Kapitel 5.1.

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Wird eine Einführung unter Auflagen in Aussicht gestellt, dann können die Verlage die im Gutachten zusammengestellten Monita auszuräumen versuchen. Der Verlag geht in einer Stellungnahme auf diese ein (vgl. z. B. Dok. XL) und erklärt darin, welche und warum gegebenenfalls keine Änderungen vorgenommen werden. Das überarbeitete Typoskript oder gebundene Schulbuch wird dann abermals eingereicht, von den beiden GutachterInnen nochmals überprüft, in einigen Ländern häufig nochmals abgelehnt und vom Verlag ein zweites Mal überarbeitet. Diese dritte, bei der es sich meist um die letzte Fassung handelt, wird dann vom Kultusministerium oder dem Landesschulinstitut befristet oder unbefristet (bis auf Widerruf) zugelassen oder aber endgültig abgelehnt. Die Prüfexemplare verbleiben bei der Behörde. Zu den Fragen, wie lange und wo die Prüfstücke aus den Zulassungsverfahren archiviert werden, ob nur Prüfstücke von zugelassenen Bildungsmedien aufgehoben werden oder auch abgelehnte, gaben die befragten MinisterialbeamtInnen keine genauere Auskunft. Auch wenn die Ablehnungsquote derzeit beim ersten Einreichen eines neuen Schulbuchs sehr hoch ist, so haben die Interviewten, auch die SchulbuchmacherInnen, noch nicht die Erfahrung gemacht, dass die Zulassung vor allem wegen der Geschlechterdarstellung verweigert worden wäre. Unter den Gutachten fand sich auch kein Beleg für eine solche Zulassungsverweigerung. Die GutachterInnen und MinisterialbeamtInnen konnten sich zudem an keinen Fall erinnern, dass es je untereinander zu einem Austausch oder gar zu einer Diskussion über Positionierungen in Gutachten oder über fehlende Positionierungen zur Frage, ob das Gleichberechtigungsgebot hinreichend im Schulbuch umgesetzt ist, gekommen wäre. Auch zwischen Behörde und Verlag kam und kommt es selten zu einer Auseinandersetzung um Gutachtenkritik an Geschlechterdarstellungen im Schulbuch. EinE RedakteurIn berichtete von einem Fall aus der jüngeren Vergangenheit, bei dem eine Zulassungsstelle seine/ihre Redaktion aufforderte, im eingereichten Religionsbuch Geschlechterstereotype zu thematisieren und anschließend zu dekonstruieren. Die Redaktion versperrte sich gegen diese Änderung, weil sie es ablehnte, in der Thematisierung Stereotype zu aktualisieren, und setzte sich damit letztlich erfolgreich gegen die Kritik des Gutachtens durch (vgl. Int. XV). Die Auswertung der Gutachten ergab, dass das Hessische Kultusministerium die Kritik von GutachterInnen an der Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes vergleichsweise ernst genommen hat bzw. nimmt und noch am ehesten auf Schulbuchänderungen bestand bzw. besteht. Redaktionen und HerausgeberInnen auf der einen Seite und Ministerium auf der anderen lieferten sich mehrmals einen regelrechten Schlagabtausch (vgl. Dok. XXXI–XXXIII;

Der Umgang mit Geschlecht in der Schulbucharbeit und im Zulassungsverfahren | 403

Dok. XXVIII und XXIX). Kritisiert wurde in den eingesehenen Gutachten, die den Verlagen auszugsweise vorliegen, dass in den beanstandeten Schulbüchern zu wenig Identifikationsangebote für Schülerinnen aufgezeigt würden. Untermauert wurde dieser Vorwurf damit, dass nur Jungen in Gesprächen (in Streitgesprächen, als Gesprächsleiter) aktiv auftreten und nur Männer Autos fahren sowie eine elaborierte Textkompetenz von Jungen im Unterschied zu einem persönlich-emotionalen Schreibstil von Mädchen profiliert würde. Es dominiere die männliche Perspektive insofern, als kaum Autorinnen vorkommen, kaum aus Perspektive von Protagonistinnen erzählt werde und die wenigen vorkommenden Frauen ihre eigene Situation als defizitär bewerteten. Redaktionen führten in ihren Stellungnahmen Gegenbeispiele aus den kritisierten Schulbüchern an, um die Monita zu entkräften – schließlich wolle auch ein Mädchen Ritterin werden, werde Hausarbeit wie selbstverständlich von Jungen verrichtet, gebe es in einem Deutschbuch auch Jugendbuchheldinnen und spreche es schließlich nicht für die Fertigkeit autofahrender Männer, wenn nur diese in Unfälle verwickelt sind. Kritik wurde von Redaktions- und HerausgeberInnenSeite auch an einer als Gängelung empfundenen Quotierung geäußert. Das Ministerium bestand in diesen Fällen zwar weiterhin darauf, dass in den Schulbüchern eine mit dem Gleichberechtigungsgrundsatz nicht vereinbare Dominanz und Überrepräsentanz männlicher Personen bestehe und empfiehlt dem AutorInnenteam in einem Fall eine eingehendere Beschäftigung mit der Thematik für zukünftige Zulassungsanträge. Die Zulassung für die beantragten Schulbücher aber wurde dennoch erteilt. Selbst wenn ein Gutachten harsche Kritik an der Geschlechterdarstellung übt und wirkmächtige Stereotype in den Schulbüchern reproduziert sieht – zum Beispiel Kindererziehung als Aufgabe von Frauen, Mädchen als leistungsschwach im Rechnen, Familienväter als die Entscheidungsträger (vgl. z. B. Dok. XXIV) –, wird die Zulassung erteilt, auch in Nordrhein-Westfalen, das den Interviewaussagen zufolge traditionell für eine strengere Prüf- und Zulassungspraxis hinsichtlich des Umgangs mit Geschlecht im Schulbuch stehen soll. Einen Sonderfall stellen die Schulbuchrevisionen der 1970er und 1980er Jahre zur Frauendarstellung dar: Das Niedersächsische Kultusministerium informierte Verlage im September 1986 darüber, dass es wegen der Entschließung des Niedersächsischen Landtags vom 27.02.1986 zur Reduktion von „Rollenklischees über Mädchen und Frauen in Schulbüchern“ zu einer „befristete[n] Sondermaßnahme“ komme, die zusammen von dem für Schulbuchangelegenheiten zuständigen Referat und des „für frauenpolitische Angelegenheiten federführenden Referats (207)“ unter dem „Arbeitstitel ‚Darstellung der Familie und der Rolle der Frau im Schulbuch‘“ (Dok. II) durchgeführt werde. Nicht nur Neuer-

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scheinungen wurden auf Rollenklischees hin untersucht, sondern auch bereits zugelassene Lehrwerke, aus denen besonders gelungene als auch Negativbeispiele herausgegriffen und an die Verlage kommuniziert wurden. Theoretisch hätte eine Konsequenz aus der Schulbuchprüfung – gerade aus jenen Begutachtungen mit zahlreichen Beanstandungen – lauten können, dass die Zulassung zurückgenommen wird. Aus den eingesehenen Unterlagen geht eine solche Maßnahme allerdings nicht hervor. Kommt es zu einer Änderung im Zulassungs-, vor allem im Prüfverfahren, sind Behörden bemüht, Verlage rasch davon in Kenntnis zu setzen. Der Schulausschuss, der den KMK-Beschluss von 1986 zur Geschlechterdarstellung in Schulbüchern vorbereitet hatte, wies in seiner Beschlussempfehlung beispielsweise sogleich darauf hin, dem Verband der Schulbuchverlage (heute: Verband Bildungsmedien e. V.) möglichst schnell von dem Beschluss zu berichten und diesen „um entsprechende Beachtung bei der Schulbuchherstellung zu bitten“ (Empfehlung des Schulausschusses vom 27./28.02.1986, o. S.). Niedersachsen ging mit seiner Schulbuchrevision in den 1980ern ebenfalls recht offensiv und dialogorientiert um. Noch während die Maßnahme Darstellung der Familie und der Rolle der Frau im Schulbuch lief, hatte das Ministerium Kontakt zu den Schulbuchverlagen gesucht. „Die meisten Verlage zeigten sich aufgeschlossen und kooperativ“ (NKM 1988, 12), so ein Fazit der Behörde im Bericht über die Maßnahme. In einigen Fällen wären noch vor Ablauf der Maßnahme Neubearbeitungen von Büchern vorgelegt worden, in denen die Anregungen berücksichtigt waren (vgl. NKM 1988, 12). Das Verhältnis zu den Verlagen wird von Behördenseite also durchaus als Zusammenarbeit perspektiviert. Die Redaktionen sehen das in den Interviews weitgehend ähnlich, vor allem wegen des Instruments der Stellungnahme, die von Behördenseite in der – juridisch gesprochen – Urteilsfindung zweiter Instanz durchaus berücksichtigt wird. Dennoch bleiben für RedakteurInnen und AutorInnenteams Entscheidungen nicht immer nachvollziehbar, fühlen sich SchulbuchmacherInnen ungleich behandelt. Was im Konkurrenzwerk erlaubt war, ist es im eigenen eingereichten Buch nun nicht und Ähnliches. Dies verweist auf die grundsätzliche Problematik einer Standardisierung von Entscheidungsprozessen rund um die Schulbuchzulassung.

5.2.4 Zusammenfassung Die AkteurInnenanalyse hat untersucht, auf welche Weise die an der Schulbucherstellung und Zulassung Beteiligten die Geschlechterthematik mitreflektie-

Der Umgang mit Geschlecht in der Schulbucharbeit und im Zulassungsverfahren | 405

ren und hinsichtlich der Geschlechterdarstellung regelnd eingreifen. Der offizielle Handlungsspielraum von SchulbuchverfasserInnen wurde rekonstruiert (Kap. 5.2.1 und 5.2.2) ebenso wie der praktische Umgang der AkteurInnen mit Geschlecht (Kap. 5.2.3). Dieses Kapitel bündelt die in der Auswertung gegebenen Antworten, welche Rolle Geschlechterfragen bei der Konzeption und Zulassung von Schulbüchern spielen, von welchen AkteurInnen Regulierungsversuche ausgehen, an welchen Punkten und zwischen welchen AkteurInnen es zu Kontroversen um den Umgang mit Geschlecht kommt und inwiefern bei diesen Aushandlungen die Sprache der Schulbücher thematisiert wird; es verbindet dabei den praktisch ermittelten Handlungsspielraum mit dem normativ-offiziellen Handlungsspielraum und bildungspolitisch legitimierten sowie sanktionierten Geschlechtervorstellungen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass SchulbuchmacherInnen und Behörden gegenwärtig an einer gleichberechtigten Darstellung der Geschlechter im Schulbuch und in anderen Bildungsmedien gelegen ist, die Festlegungen auf differente Aufgabenbereiche vor allem in Familie und Beruf vermeiden will. In der Hinsicht unterscheidet sich dieser Ansatz von dominanten Auslegungen des Gleichberechtigungsgrundsatzes der 1950er Jahre (s. Kap. 5.2.1). Dabei haben die an der Schulbucharbeit Beteiligten über die Jahre einen Usus etabliert, der differenzierter ausfällt als die meisten länderspezifischen behördlichen Vorgaben. Entwickelt hat sich dieser redaktionelle Usus Anfang der 1970er Jahre und damit zehn bis 15 Jahre vor der Implementierung gleichstellungspolitisch motivierter Vorgaben in die Prüfpraxis. Behördliche Publikationen aus den 1980er Jahren, denen zufolge die Geschlechterthematik schon länger in den Verlagsredaktionen und AutorInnenteams angekommen wäre (vgl. NKM 1988, 13, s. Kap. 5.2.2j), stützen diesbezügliche Interviewaussagen. Auf behördlicher Ebene musste erst ein Bewusstsein für einen – gleichstellungspolitisch betrachtet – Missstand der Schulbuchinhalte geschaffen werden, musste sich die Frauenbewegung erst institutionalisieren, um dann mit Verweis auf in ihrem Auftrag erstellte wissenschaftliche Schulbuchanalysen und auf der Grundlage sich wandelnder Geschlechtervorstellungen einen Änderungsbedarf belegen und Änderungen in der Prüfpraxis einfordern zu können. Im Schulbuch gewählte Rahmensituationen sind dann nicht zufällig gewählt, wenn eine Diskussion darüber in Gang gekommen ist, welches soziokulturelle Wissen mit diesen Rahmungen transportiert werden kann. Es ist nun nicht abschließend zu beantworten, ob die Geschlechterthematik erst mit der feministischen gleichstellungsorientierten Kritik Präsenz in der Schulbucharbeit erlangen konnte und in der Prüfpraxis reflektiert wurde. Immerhin sind Indizien für frühere Thematisierungen vermeintlich geschlechtsspezifischer

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Bedürfnisse zu finden.431 Aber es waren vor 1970 keine offiziellen behördlichen Forderungen an Schulbücher in Bezug auf deren Geschlechterdarstellung zu ermitteln. Hier scheint wenigstens nicht auf direktem Weg ein Geschlechtermodell im Schulbuch durchzusetzen oder zu forcieren versucht worden zu sein. Doch mittelbar mochten sich durchaus schon vorher bildungspolitisch verbindliche Verlautbarungen auf die Arbeit von SchulbuchmacherInnen und GutachterInnen ausgewirkt haben. Vor Einsetzen einer gleichstellungsorientierten Schulbuchpolitik können bestimmte Geschlechtervorstellungen nämlich als bildungspolitisch legitimiert gelten: Die Volksschulrichtlinien der 1950er und 1960er Jahre, wie sie exemplarisch für Nordrhein-Westfalen und Bayern angeführt wurden (s. Kap. 5.2.1), sind Ausdruck und Mittel der Durchsetzung einer spezifischen von der Bildungspolitik befürworteten Geschlechterkonzeption, charakterisiert durch die Binarität von Geschlecht und die Andersartigkeit von Frauen und Männern, welche auf einer angenommenen biologisch-ontologischen Verschiedenheit beruht und welche die Arbeitsteilung in Haus- und Reproduktionsarbeit als weibliche Sphäre und Erwerbstätigkeit als männliche begründet. Soweit dies durch diese Untersuchung nachvollzogen werden konnte, wurden daraus aber vor 1970 keine spezifischen Vorgaben für die Gestaltung von Schulbüchern abgeleitet und in vergleichbarer Deutlichkeit wie in den 1980er Jahren von Behördenseite für Verlage und Lehrkräfte aufgestellt. Wenngleich also nicht abschließend beantwortet werden kann, ob Fragen der Geschlechterdarstellung vor 1970 auch tatsächlich in der Zulassung von und Arbeit an Schulbüchern thematisiert wurden, so ist doch festzuhalten, dass die Geschlechterthematik ab den 1970er Jahren den Status eines zunehmend breiter diskutierten Politikums in der Schulbucharbeit und -zulassung erlangte. Wer die untersuchten Kriterienkataloge jeweils verfasste, konnte im Rahmen dieser Untersuchung nicht aufgearbeitet werden.432

|| 431 Funde, wie die eingangs im Kapitel 5.2 angeführte Anekdote aus der 21. Versammlung des Deutschen Vereins zur Förderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts, sind ein solches Indiz. 432 Dass die ersten Landesfrauen- und -gleichstellungsbeauftragten hierbei womöglich eine wichtige Triebfeder waren, zeigt das Beispiel Bayern. Bei der Veranstaltung Frauengeschichte – Wege zur Historisierung des Archivs des Instituts für Zeitgeschichte am 16. Juli 2015 in München erklärte Christine Marino, in den 1980er Jahren Leiterin der Leitstelle für die Gleichstellung der Frauen (seit 1987: der Frauen und Männer) der Bayerischen Staatsregierung, dass die Aufnahme des Gleichberechtigungshinweises in die Schulbuchbegutachtungskriterien auf ihre Initiative und ihren Formulierungsvorschlag zurückging (vgl. auch BStMUK 2002, [5]).

Der Umgang mit Geschlecht in der Schulbucharbeit und im Zulassungsverfahren | 407

Zum Usus, dem gegenwärtig im Verlag oder in der Redaktion und dem AutorInnenteam unter der Prämisse geschlechtersensibler Schulbücher mehrheitlich gefolgt werde, gehören, in eine Übersicht gebracht, folgende Bausteine: – Vermeiden stereotyper Situationen und Berufszuweisungen (z. B. im Mathematikbuch: Haushaltsgeräte nicht nur von Frauen kaufen lassen), – Vermeiden geschlechterstereotyper Illustrationen und Themen (Negativbeispiel: Sportliche Aktivitäten werden in Bild und Text von Jungen ausgeübt), – paritätisches Verhältnis von Mädchen/Frauen und Jungen/Männer, – gleichmäßige Verteilung von HandlungsträgerInnenschaft auf Mädchen/ Frauen und Jungen/Männer, – ausgewogene Verteilung von richtigen und falschen Lösungsangeboten, klugen und weniger klugen Antworten auf weibliche und männliche Schulbuchfiguren, – geschlechtersensible Aufgabenformulierungen (z. B. Schülerinnen und Schüler), – Würdigung historischer Leistungen von Frauen gleichermaßen wie jene von Männern (Maßgabe richtet sich schwerpunktmäßig auf Geschichtsbücher), – möglichst ausgewogenes Vorkommen von (berühmten) Vertreterinnen und Vertretern des Fachs, – möglichst ausgewogenes Verhältnis von Frauen und Männern im AutorInnenteam. Wie vor allem die ersten beiden Punkte zu verstehen sind – wo das Stereotyp beginnt und was zwar noch als geschlechtsspezifisches, aber nicht als stereotypes Identifikationsangebot bewertet wird –, ist Gegenstand von Diskussionen, nicht nur in den AutorInnenteams, sondern auch zwischen Verlag/Redaktion und Behörde. Unter dem Begriff der Maßstabsproblematik fasse ich zusammen, dass es konfligierende Maßstäbe in der Schulbucharbeit wie auch der Schulbuchzulassung gibt. Dieses Spannungsfeld ist, wie herausgearbeitet wurde, gerade jenen behördlichen Vorgaben zu eigen, die Rollenklischees ablehnen und gleichzeitig ausgewogene Identifikationsangebote für Mädchen und Jungen fordern. Beide Kriterien werden in einigen Bewertungskatalogen nebeneinander gestellt, als wären sie vollständig kompatibel. Im Vergleich zu manchen Behördenvorgaben hat die KMK sich hierzu 1986 klarer positioniert, sie forderte: Wo einseitig festlegende Aufgabenzuweisungen Teil der Wirklichkeit zu sein scheinen, sollen sie problematisiert werden. Von manchen SchulbuchmacherInnen wird eine solche Problematisierung gegenwärtig wiederum sehr kritisch gesehen, weil auf diesem Weg – wenn auch unter anderen Vorzeichen – Stereotype zugleich aktualisiert werden.

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Während nun ein sensibler Umgang mit Geschlecht nach eigenen Angaben der SchulbuchmacherInnen in der Schulbucharbeit fest verankert ist, thematisieren Gutachten entsprechende Fragen mehrheitlich nicht. Auffällig ist hier die Diskrepanz zwischen erfragter wahrgenommener und tatsächlicher Präsenz der Thematik in der Prüfpraxis. Festzuhalten ist ferner, dass von einer Thematisierung des Gleichberechtigungsgrundsatzes in Kriterienkatalogen und Ähnlichem nicht automatisch eine Thematisierung in der Prüf- und Zulassungspraxis abzuleiten ist. Dies hat der Abgleich von behördlichem Anspruch und ebendieser Praxis ergeben. Während das Thema zwar in den 1990er Jahren Konjunktur hatte und GutachterInnen bisweilen ausführlicher erläuterten, inwiefern der Gleichberechtigungsgrundsatz im Schulbuch berücksichtigt wird (manchmal sogar unter Beantwortung detaillierter Teilfragen aus den Kriterienkatalogen), ebbte dies mit der Jahrtausendwende merklich ab. Unter den Gutachten geschah dies selten über einen (Halb-)Satz hinaus. Unterschiede konnten hier vor allem hinsichtlich der Schulfächer festgestellt werden; bei den Sprachen fanden sich früher und gegenwärtig auch häufiger als in anderen Fächern Stellungnahmen in Gutachten. Unterschiedlich fiel außerdem der behördliche Umgang mit der Gutachtenkritik zu Geschlechterfragen aus. Hessen berücksichtigt diese in seiner Zulassungsvergabe traditionell eher als andere Länder, d. h., in Hessen werden konsequenter Änderungen an Schulbüchern hinsichtlich der Geschlechterdarstellung eingefordert. In anderen Fällen allerdings bewirkte selbst harsche Kritik von GutachterInnen an der Geschlechterdarstellung keine Zulassungsverweigerung. Die Erfahrungen der Interviewten sind zu bestätigen, dass als problematisch erachtete Geschlechterkonzepte allein nicht zu einer Zulassungsverweigerung führen; doch selbst in Kombination mit weiterer Kritik – die von der Zulassungsstelle für insgesamt akzeptabel erachtet wurde – erhielten die entsprechenden Schulbücher eine Zulassung. Inwiefern der Gleichberechtigungsgrundsatz im Schulbuch umgesetzt ist, scheint kein wichtiges Kriterium für oder gegen das Erteilen der Zulassung zu sein. Die AkteurInnenanalyse legt in der Gesamtschau den Schluss nahe, dass behördliche Vorgaben zur Differenzkategorie Geschlecht im schwerpunktmäßig untersuchten Zeitraum ab 1970 nur eingeschränkte Durchsetzungskraft hatten und haben. Innovationen im Umgang mit Geschlecht gingen zudem unter den hier berücksichtigten AkteurInnen von sensibilisierten SchulbuchautorInnen, insbesondere für sprachliche Fächer, aus. Neue Themen, wie Inklusion, gewinnen an Gewicht in der Schulbucharbeit und werden von den Zulassungsbehörden als zentral eingestuft. Geschlechterfragen erfahren in diesem Zusammenhang seltener eine Thematisierung – weil aus ihrer Problematisierung in den vorausgehenden Jahrzehnten alle Beteilig-

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ten Konsequenzen gezogen haben und Schulbücher inzwischen geschlechtersensibler sind oder weil sie, auf halber Strecke zu einem veränderten Umgang mit Geschlecht in der Schulbucharbeit und im Zulassungsverfahren, von neuen Anforderungen verdrängt wurden? Was geschlechtersensible Sprache im engeren Sinn und die wieder gestiegene Akzeptanz geschlechtsübergreifend referierender Maskulina anbelangt, deuten die Auswertungen auf Ersteres hin.

6 Diskursorientierte Analyse Die im Schulbuch vorzufindenden sprachlichen Einheiten sind das Ergebnis bewusst oder unbewusst ablaufender Auswahlprozesse an möglichen Sprechweisen über Geschlecht. Auf Ebene der diskursorientierten Analyse werden nun die Voraussetzungen dafür in den Blick genommen, dass Geschlechterwissen in den Schulbüchern auf genau die ermittelte Weise versprachlicht wird. Im Kapitel 6.1 werden epistemische Voraussetzungen und die innere Struktur des schulbuchimmanenten Geschlechterdiskurses untersucht. Es soll herausgearbeitet werden, welche Wissenssegmente in welchem Geschlechterkonzept relevant gesetzt werden und welchen abstrakten semantischen Strukturen die Anordnung von Wissenssegmenten folgt. Das Kapitel 6.1 beantwortet darin die unter 1.1 aufgeworfenen Untersuchungsfragen (1.b) und (1.c): Welche Geschlechterkonzepte werden im Schulbuch entworfen und nach welchen (tiefen-) semantischen Strukturen werden sie in Sprache gebracht? Da die epistemischsemantische Analyse den gesamten Untersuchungszeitraum erfasst, greift sie ebenfalls die untergeordnete Leitfrage (4.a) nach Veränderungen des Sprechens über Geschlecht und die Geschlechter auf (s. Kap. 1.1). Um aufzuzeigen, wie Geschlechterwissen kognitiv-semantisch strukturiert ist, bediene ich mich eines diskurs- und insbesondere eines frame-semantischen Beschreibungsinventars. Die Frame-Semantik ist dabei in hohem Maß anschlussfähig an das epistemologische Diskursverständnis, welches dieser Arbeit zugrunde liegt, sowie an den kognitivistisch-semantischen Konzept-Begriff (s. Kap. 2.2). Darauf folgt eine Weitung des Blicks von den epistemischen Voraussetzungen auf institutionelle und sozial- und kulturgeschichtliche Voraussetzungen: Unter dem Gliederungspunkt 6.2 wird der schulbuchimmanente Geschlechterdiskurs mit dem institutionell geführten Geschlechterdiskurs, wie er im Kapitel 5 rekonstruiert wurde, in Beziehung gesetzt. Dabei wird noch einmal der Teilfrage (2.b) aus dem Kapitel 1.1 nach Einflussnahmen der AkteurInnen auf Schulbuchwissen unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der Schulbuchanalyse nachgegangen. Andererseits und darüber hinausgehend wird im Folgekapitel 6.3 ausschnitthaft und kursorisch nachvollzogen, wie der weite Entstehungszusammenhang mitbestimmt, was im Schulbuch zu sagen möglich ist (s. die Leitfragen (3) in Kap. 1.1). Die Analyseergebnisse zum schulbuchimmanenten Geschlechterdiskurs werden hierzu vor dem Hintergrund bestehender sozial- und kulturgeschichtlicher Forschung zum Geschlechterdiskurs interpretiert. Die Kontextsensitivität dieser Untersuchung ist dabei anschlussfähig an vor allem sozial- und bildungsgeschichtliche diskursanalytische Forschung nicht

DOI 10.1515/9783110555578-006

412 | Diskursorientierte Analyse

nur, aber auch zu Schulbüchern,433 was den interdisziplinären Charakter der vorliegenden Untersuchung unterstreicht.

6.1 Epistemisch-semantische Analyse Unter dem Gliederungspunkt 4 wurden die sprachlichen Mittel herausgearbeitet, die an der Konstituierung von Geschlechterwissen und hierbei im Besonderen am Aufbau von zum Teil deutlich differenten Geschlechterkonzepten mitwirken. Die Sprachanalyse bereitet den Weg zur Wissensanalyse: Das erhobene Sprachmaterial wird im Rahmen der epistemisch-semantischen Analyse nun einerseits darauf ausgewertet, in welchem Möglichkeitsraum das Sprechen über Geschlecht und über die Geschlechter stattfinden kann (s. Kap. 6.1.1). Sie leitet hierzu aus dem Sprachmaterial diskurssemantische Grundfiguren (nach Busse 1997; 2000) ab, welche den Möglichkeitsraum Geschlecht strukturieren. Regelmäßigkeiten im Sprechen, zum Beispiel, dass geschlechtsspezifische Referenz weitgehend konsequent in weiblich und männlich unterschieden wird, sind Ausgangspunkt dieser Analyse. Über Abstraktion von konkreten Einzelphänomenen werden dabei strukturell ähnliche Befunde verschiedener Untersuchungsebenen zusammengefasst – beispielsweise zum Befund, dass männliche Figuren vielfältiger bezeichnet werden, weil sie vielfältigere Tätigkeiten ausüben, vielfältigere soziale Rollen einnehmen als weibliche Figuren usw. Die Befunde werden auf abstrakte semantische Gemeinsamkeiten und Oppositionen (z. B. Vielfalt aufseiten der männlichen Figuren vs. Beschränkung aufseiten der weiblichen Figuren) befragt. Die Identifikation solcher abstrakter semantischer Strukturen erfolgt im steten Abgleich mit weiteren Regelmäßigkeiten im Sprechen. Inwiefern sich die ermittelte Struktur auch auf weitere Befunde übertragen lässt, wie stabil diese gemeinsame Struktur über den Untersuchungszeitraum ausfällt, sind Fragen, die hierbei berücksichtigt wurden. Dies führt zu einer Einschätzung, ob es sich bei den erschlossenen Strukturen um Möglichkeitsbedingungen des Sprechens handelt, ob diese Strukturen also diskurskonstitutiv sind. Der Schluss von der Konzeptebene auf jene Struktur, welche die Anordnung der epistemischen Einheiten regelt, erfolgt dabei nicht ohne Einbezug des Weltwissens der Forschenden (vgl. auch Busse 1987, 262f.), das bereits die Suche nach abstrakten seman-

|| 433 Unter dem Gliederungspunkt 1.2.4 wurden interdisziplinäre Anschlussstellen aufgezeigt, im Besonderen zu den Arbeiten von Höhne/Kunz/Radtke (2005), Landwehr (2009), Heinze (2011) sowie Fey (2015).

Epistemisch-semantische Analyse | 413

tischen Strukturen mitbeeinflussen mag. Umso wichtiger ist, den Forschungsprozess transparent und damit nachvollziehbar zu machen. Die Arbeit bindet hierzu die ermittelten Figuren konsequent an das Sprachmaterial zurück, argumentiert somit stets ausgehend von den beschreibbaren sprachlichen Phänomenen. Andererseits wird im Rückgriff auf die Frame-Semantik eine Systematisierung der Schulbuchanalyseergebnisse vorgenommen und ermittelt, aus welchen „Struktureinheiten des Wissens“ (nach Busse 2012, 541; s. Kap. 2.2.1), d. h. aus welchen Wissenssegmenten, sich die Geschlechterkonzepte zusammensetzen: Was ist gegebenenfalls charakteristischer für das Konzept FRAU im Vergleich zum Konzept MANN, was sind stabile Konzeptbausteine, was variable? Der Schwerpunkt liegt auf geschlechtstypisierend verteilten und geschlechtstypisierend ausgestalteten Wissenssegmenten (s. Kap. 6.1.2). Diese Fokussierung stellt eine forschungspraktische Selbstbeschränkung dar. Sie ist so gewählt, dass Profilierungen und Annäherungen der Geschlechterkonzepte zu- bzw. aneinander herausgearbeitet werden können. Die sprachbasierte Schulbuchanalyse erlaubt in besonderem Maß, diese Mechanismen nachzuvollziehen. Die Darstellung der Analyseergebnisse verläuft vom Abstrakten zum Konkreten, von hierarchiehohen semantischen Strukturen zu konstitutiven Differenzfiguren bis hin zur Auswertung der konkreten Wissenssegmente der Konzepte FRAU und MANN. Dies impliziert allerdings kein zeitliches Nacheinander der Identifikation abstrakter semantischer Strukturen und der Auswertung zu den Geschlechterkonzepten; tatsächlich greifen beide Prozesse ineinander, dies gerade bei der Identifikation von Grundfiguren, die für geschlechtstypisierende Sprechweisen diskurskonstitutiv sind. So ist keineswegs (immer) einfach zu entscheiden, wann oder gar ob man tatsächlich die Möglichkeitsbedingungen des Sagbaren analytisch erreicht hat, da diese selbst diskursive Festschreibungen von Wissenssegmenten sind. Die Untersuchung geht damit offensiv um und legt Entscheidungsprozesse offen.

6.1.1 Voraussetzungen des Sprechens über Geschlecht und die Geschlechter Diskurskonstitutive abstrakte semantische Strukturen nennt Busse diskurssemantische Grundfiguren. Sie zeigen sich auch dort, wo die „Produzenten“ [eines] Textes von ihrem Vorhandensein noch gar nichts ahnen. […] Diskurssemantische Grundfiguren ordnen textinhaltliche Elemente, steuern u. U. ihr Auftreten an bestimmten Punkten des Diskurses, bestimmen eine innere Struktur des Diskurses, die nicht mit der thematischen Struktur der Texte, in denen sie auftauchen,

414 | Diskursorientierte Analyse

identisch sein muß, und bilden ein Raster, das selbst wieder als Grundstruktur diskursübergreifender epistemischer Zusammenhänge wirksam werden kann. (Busse 1997, 20)

Diskurssemantische Grundfiguren sind prinzipiell auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus zu finden, d. h., sie sind nicht per se jenem Abstraktionsniveau, auf dem die konstitutive Struktur eines Diskurses herausgearbeitet werden soll (in Foucault’scher Terminologie: das Formationssystem, s. Kap. 2.2.1), zuzuordnen. In Busses programmatischem Aufsatz zu dieser Figur (1997) sowie in Scharloths (2005) Anwendungsversuch der Figur sind sie als basale semantische Oppositionspaare konzeptualisiert.434 Im Unterschied zu vor allem Scharloth (2005, 141) trage ich jedoch in meiner Analyse keine Oppositionspaare als Interpretationsfolie an die Schulbücher heran, sondern gelange nach dem bottom-up-Prinzip zu den diskurskonstitutiven Strukturen, die nicht zwingend binär konzeptualisiert sein müssen. Ziem (2008a, v. a. 395–406) schlägt eine frame-semantisch fundierte Methode zur Analyse von Busses Konzept der Grundfiguren vor. Er bezieht sich dabei auf zu untersuchende Texte, in denen das Untersuchungsthema explizit greifbar ist (weil es z. B. metasprachlich behandelt wird) und damit potentiell zählbar. Ziem macht für eine Analyse solcher Grundfiguren eine hohe Auftretenshäufigkeit des Themas zur Voraussetzung.435 Busse hingegen bindet die Existenz einer Grundfigur nicht an deren Thematisierung oder Frequenz, wie er am Beispiel der Figur ‚Das Eigene und das Fremde‘ ausführt: Es genügt, daß dieser Aspekt [= die Grundfigur ‚Das Eigene und das Fremde‘; Anm. CO] die Produktion bestimmter Textversatzstücke steuert oder als ihre Möglichkeitsbedingung historisch-epistemisch nachgewiesen werden kann. (Busse 1997, 18)

|| 434 Busse beschreibt das Konzept der diskurssemantischen Grundfigur am Beispiel der Opposition aus ‚das Eigene‘ und ‚das Fremde‘, die konstitutiv unter anderem für den Nationalidentitätsdiskurs des 19. Jahrhunderts wird; Scharloth erprobt es am Gegensatzpaar ‚Natur‘ und ‚Künstelei‘. 435 An anderer Stelle merkt Ziem an, dass hierin das methodische Problem der frame-semantischen Erforschung von Grundfiguren höheren Abstraktionsniveaus liegt: „Je höher der Abstraktionsgrad der analysierten Frame-Strukturen, d.h. insbesondere ihrer integralen DefaultWerte ist, desto schwerer ist es, sie frame-analytisch zu ermitteln. […] Gehören sie aber so fundamental zum historischen Selbstverständnis einer Sprachgemeinschaft, dass sie kaum eigens thematisiert werden, ist natürlich auch ihre empirisch-quantitative Erfassung schwierig.“ (Ziem 2008b, 111)

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Ausgehend von Busses (v. a. 1997) theoretischer Modellierung diskurskonstitutiver Strukturen wird im Weiteren versucht, in der Untersuchung abstrakterer semantischer Zusammenhänge eine Beschreibung diskurskonstitutiver Strukturen, die kulturspezifische Sprechweisen bedingen (ohne deterministisch zu sein!), zu leisten. a) Die Binarität von Geschlecht Konstitutiv für das Sprechen über Geschlecht ist in den Schulbüchern ein ZweiGeschlechter-Modell, ohne dass dieses auf einer Metaebene reflektiert würde. Wird eine Geschlechterkategorisierung vorgenommen, so geschieht das im Rahmen der verwendeten sprachlichen Mittel binär – entweder als ‚weiblich‘ oder als ‚männlich‘. Beispielsweise ist das Feld der lexeminhärent geschlechtsspezifizierenden Personenreferenzformen (weiterhin: PRF) stabil binär strukturiert (Frau – Mann, Neffe – Nichte, Mutter – Vater, Bruder – Schwester) ebenso wie attributive geschlechtsspezifizierende Zusätze diese Struktur aufweisen (weiblich – männlich). Abweichungen von der binären Strukturierung der Geschlechtsbezeichnungen, wie Fräulein, deren Abweichung darin besteht, dass zu dieser keine in vergleichbaren Äußerungszusammenhängen gebrauchte Männerbezeichnung vorliegt (s. 4.1.2a), werden erst im Bewusstmachen dieser Struktur als Abweichung erkennbar – und als einseitige Relevantsetzung des sozialen Status’ der Nicht-Ehelichkeit interpretierbar.436 Auch nicht-realisierte Überschreitungen der Binarität können erst als NichtSagbares identifiziert werden, wenn das Sagbare in seiner Struktur expliziert ist. Eine solche Überschreitung könnten beispielsweise Wortformen darstellen, die dezidiert für Trans*- und Inter*-Personen auf sprachlicher Mikroebene einen Raum jenseits der binären Matrix eröffnen, beispielsweise x-Formen wie Lehrx, das prinzipiell in gleichen Kotexten wie Lehrerin und Lehrer denkbar ist (Eine Lehrerin/Ein Lehrer/Einx Lehrx besorgt für einen Klassenausflug […]).437 Weiter verbreitet sind Unterstrichschreibungen, entweder mit statischem Unterstrich

|| 436 Die Vorkommen von Fräulein in den untersuchten Schulbüchern stehen allesamt in Kotexten, in denen eine andere Gebrauchsweise (z. B. Appell an eine weibliche Bedienung, s. Kap. 4.1.3c, FN 256) als eine Relevantsetzung des Unverheiratetseins in Abgrenzung zu Frau nicht wahrscheinlich ist. 437 „Das ‚x‘ signalisiert ein Durchkreuzen herkömmlicher gegenderter Personenvorstellungen. Diese Form wird angewendet, wenn die Frage, ob die gemeinten Personen weiblich, männlich, inter* oder trans* sind, in einem Kontext keine Rolle spielt oder keine Rolle spielen soll. […] Als bestimmtes Pronomen fungiert die Form ‚dix‘, als unbestimmtes die Form ‚einx‘“ (AG Feministisch Sprachhandeln 2015, 22).

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(z. B. Schüler_innen und sie_er) oder seltener auch als dynamischer Unterstrich (z. B. Schül_erInnen, Schüle_rinnen, Schülerin_nen), zunehmend häufiger sind auch Asterisk-Schreibungen (z. B. Schüler*in, Schüler*innen usw.).438 Sie werden von HerausgeberInnen und einigen, auch großen wissenschaftlichen Verlagen inzwischen als Schreibungen in Publikationen akzeptiert oder finden zum Beispiel in Anträgen der Partei Bündnis 90/Die Grünen Verwendung.439 Diese Formen kommen diesen Auswertungen zufolge nicht im Schulbuch vor, wie auch bereits die ausdrucksseitig verwandte Binnen-I-Schreibung nicht gebraucht wird, mit welcher meist nicht dieser umfassende inklusive Anspruch verbunden wird. Mögliche Implikationen dieses Befunds werden im Kapitel 6.3 diskutiert. In den Schulbüchern wird die Trennung in zwei Geschlechter nicht in Frage gestellt; andere geschlechtliche Kategorien als Frau und Mann bieten die untersuchten Texte nicht an. Daher wird die Unterscheidung in Frauen und Männer als diskurssemantische Grundfigur und Möglichkeitsbedingung gewertet, über Geschlecht zu sprechen sowie Wissen über Geschlecht leserInnenseitig zu systematisieren. Dieser Befund mag wenig überraschen. Er bedarf jedoch einer Explizierung, weil erst in der Explizierung dieser Setzung Abweichungen davon – ob realisierte oder potentiell denkbare (s. das realisierte Beispiel Fräulein und das denkbare Beispiel Lehrx) – ins Blickfeld der ForscherInnen geraten. Denn Geschlechtermodelle jenseits der Binarität könnten immerhin potentiell in alternativen Sprechweisen einen Ausdruck im Schulbuch finden, auch in Schulbüchern, welche die Geschlechterthematik nicht explizit behandeln. Möglich wäre dies beispielsweise mittels der genannten x-Formen, wie Lehrx. Dass die untersuchten Schulbücher ein binäres Geschlechtermodell vertreten, ist außerdem Grund dafür, warum im Kapitel 6.1.2 nur zwei Geschlechterkonzepte näher untersucht werden, nämlich das Konzept FRAU und das Konzept MANN. Die Binarität von Geschlecht im Schulbuch begründet ferner, warum in den bisherigen Ausführungen (z. B. bei der Datenauswertung) von Männern/ Jungen oder Frauen/Mädchen die Rede war und die Möglichkeit eines Dritten weitgehend unberücksichtigt blieb (zur Möglichkeit eines Dritten s. unten den Gliederungspunkt d).

|| 438 Vgl. Pettersson (2011b); Meiritz (2015) auf Spiegel Online vom 18.11.2015; s. auch Kapitel 1.2.1. 439 Vgl. beispielsweise VS Springer: Groppe/Kluchert/Matthes (2016).

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b) Andersartigkeit und Gleichheit der Geschlechter Mit der Grundfigur der Zweigeschlechtlichkeit verbindet sich in den Schulbüchern über Jahrzehnte die Vorstellung einer Andersartigkeit der beiden Geschlechter. Das Sprechen über die zwei Geschlechter FRAU und MANN fällt unterschiedlich aus bzw. unterschiedlicher als das Sprechen über weibliche Personen für sich betrachtet und das Sprechen über männliche Personen für sich betrachtet. Geschlechtstypisierende Regelmäßigkeiten im Sprechen über die Geschlechter, wie sie im Kapitel 6.1.2 zusammengefasst und ausgewertet werden, können auf die Vorstellung einer Andersartigkeit der beiden Geschlechter zurückgeführt werden. Bei der Formulierung von Schulbuchtexten treffen die VerfasserInnen stets mehr oder weniger reflektiert ablaufende Entscheidungen dergestalt, ob die als weiblich oder männlich ausgewiesenen Schulbuchfiguren in gleichen bzw. vergleichbaren oder aber unterschiedlichen Rahmensituationen auftreten, welche Handlungen sie ausüben oder welche Eigenschaften ihnen zugeschrieben werden. Die SchulbuchmacherInnen entscheiden so, ob Männer/Jungen und Frauen/Mädchen unterschiedlich oder ähnlich bis gleich erscheinen. Bis in die 1970er Jahre fällt die Wahl deutlich häufiger als in den Jahrzehnten danach auf geschlechtstypisierende Sprechweisen. Während an der Binarität von Geschlecht über den Untersuchungszeitraum mehrheitlich festgehalten wird (s. die Unisex-Namen als mögliche Ausnahme, Kap. 6.1.1d), erweist sich die Vorstellung einer Andersartigkeit der Geschlechter in den Schulbüchern allerdings als veränderbar: Differente und damit zugleich auch geschlechtstypisierende Inszenierungen von MANN und FRAU gehen vor allem in den 1980er und 1990er Jahren zurück, das Paradigma der Andersartigkeit verliert durch undoing gender-Praktiken also an Relevanz (s. zusammenfassend Kap. 4.5). Die Gleichheit der Geschlechter tritt zunehmend in Konkurrenz mit der Vorstellung der Andersartigkeit, ist aber auch schon zu Beginn des Untersuchungszeitraums als Gegenpol präsent, was beispielsweise daran ersichtlich wird, dass nicht jede Eigenschaft oder Verhaltensweise ungleichmäßig auf die Geschlechter verteilt ist (z. B. die häufigsten Verben in Prädikationen über weibliche und männliche Personen, s. Kap. 4.2.3). Die Vorstellung einer Andersartigkeit der Geschlechter war folglich auch vor den Umbruchsjahren nicht absolut gesetzt, jedoch sehr wirkmächtig, weil spezifische Einfluss- und Tätigkeitsbereiche in hohem Maß geschlechtstypisierend verteilt vorkamen (z. B. Berufswelt mit männlicher Kodierung, Haus und Familie mit weiblicher Kodierung, s. noch Kap. 6.1.2). Bis in die 1970er Jahre kann daher der Vorstellung, dass Frauen und Männer unterschiedlich sind und deswegen unterschiedliche soziale Rollen einnehmen, unterschiedliche Tätig-

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keiten ausüben etc., der Status einer diskurskonstitutiven Grundfigur zugeordnet werden, welche die Textproduktion mitsteuert. Diese Grundfigur wird in neueren Schulbüchern auf Metaebene thematisiert, indem Geschlechterstereotypie, die gerade von einer Andersartigkeit von Mann-Sein und Frau-Sein ausgeht, behandelt wird, dies mit kritischer Stoßrichtung (s. Kap. 4.3.3). Hierin zeigt sich einmal mehr, dass die abstrakte semantische Struktur an Diskurskonstitutivität verliert. Die Vorstellung einer Gleichheit der Geschlechter rückt im Gegenzug zunehmend in Richtung einer diskurskonstitutiven semantischen Grundfigur, die das Sprechen über die Geschlechter regelt. Die Existenz zweier Geschlechter wird diachron nicht (oder kaum) in Frage gestellt, sie bleibt stabile konstitutive Setzung. In dieser Selbstverständlichkeit wirkt die Unterscheidung in Frauen und Männer natürlich und vordiskursiv. Die Konzeptualisierung der beiden Geschlechter als verschieden stützt diese binäre Struktur zunächst; sie legitimiert gewissermaßen, dass eine Unterscheidung in Frauen und Männer in der Sprache relevant erscheint. Die Annahme der Andersartigkeit der Geschlechter läuft in diesem Sinn parallel zur Annahme einer Binarität von Geschlecht. Sie erweist sich aber als flexibel und – wie unter 4.5 gerade für die 1980er und 1990er Jahre herausgearbeitet – über die Jahrzehnte als nicht vergleichbar stabil. Man könnte auch sagen: Die Unterscheidung in Frauen und Männer ist zunehmend weniger durch deren (vormals unterschiedliches, nun ähnlicheres) Verhalten oder durch geschlechtstypisierende Eigenschaftszuschreibungen begründet, da diese ohne eine Differenzierung in weibliches und männliches Verhalten oder in weibliche und männliche Eigenschaften als allgemeinmenschlich erscheinen. Auffällig ist in den untersuchten Schulbüchern, dass sich die Andersartigkeit der Geschlechter unterschiedlich schnell in Richtung einer Gleichheit der Geschlechter verschiebt, je nachdem, mit welcher Alterszuordnung Schulbuchfiguren in Verbindung gebracht werden. Vor allem die Unterschiede im Sprechen über Jungen oder Mädchen erfahren gerade ab den 1980er Jahren einen Abbau wegen des ausgeprägten beidseitigen undoing gender; so finden sich nun in den untersuchten Texten auch einkaufende Jungen und Fußball spielende Mädchen, wo zuvor nur weibliche Personen einkauften und Jungen Fußball spielten (s. Kap. 4.2.3d(2); 4.2.6a). Die ehemals altersübergreifend geschlechtstypisierenden Verteilungsregelmäßigkeiten nehmen aufseiten der Kinder und Jugendlichen derart ab, dass die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen zunehmend geringer ausfallen als zwischen Kindern und Jugendlichen auf der einen Seite und den Erwachsenen auf der anderen (s. z. B. Kap. 4.3.1; 4.4.2). Die Andersartigkeit der Geschlechter erweist sich somit für das Sprechen über junge Menschen als immer weniger konstitutiv; für das Sprechen über erwachsene

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Menschen hingegen behält sie länger Relevanz. Generationale Differenzierungen strukturieren den Möglichkeitsraum des Sprechens über die Geschlechter dabei zunehmend mit. Nach der Hochphase des undoing gender bis in die 1990er Jahre zeichnet sich unter den neuesten untersuchten Schulbüchern in manchen Auswertungsdimensionen eine gegenläufige oder rückläufige Tendenz ab; sie betrifft vor allem die Erwachsenen, deren Andersartigkeit in Bezug auf Frau- oder MannSein tendenziell (wieder) relevanter gesetzt wird (z. B. Thematisierung von Teilzeitarbeit an Frauen, Konzentration von veräußerbarem Besitz auf Männer, s. Kap. 4.2.3c und 4.2.3d(3)). Die Figur der Andersartigkeit der Geschlechter nimmt tendenziell an Wirkkraft zu. Nicht eindeutig zu klären ist, welcher Abstraktionsebene diese Grundfiguren unter den tiefensemantischen Strukturen zugeordnet werden können. Einerseits ist die Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter zueinander prinzipiell nicht auf zwei Geschlechter zu beschränken. Die Abstraktionsebene scheint somit nicht notwendigerweise jener Ebene untergeordnet, auf der die Figur der Binarität von Geschlecht verortet werden kann. Andererseits spezifizieren die Grundfiguren der Andersartigkeit und Gleichheit der Geschlechter, wie sich die beiden angenommenen Geschlechter zueinander verhalten, was sie hierarchisch zu jener der Binarität untergeordnet erscheinen lässt. Doch auch im zweiten Fall können die Figuren als diskurskonstitutiv gelten – wenn auch nicht für das Sprechen über Geschlecht im Allgemeinen, so doch für das Sprechen über Männer/Jungen im Vergleich zu Frauen/Mädchen im Besonderen. c) Heterosexualität der Geschlechter Das Zwei-Geschlechter-Modell ist zu einem heterosexuellen Zwei-GeschlechterModell ausdifferenziert. Heterosexualität wird zwar in den untersuchten Schulbüchern in der Regel nicht thematisiert. Wenn in den Schulbüchern aber Begehren, PartnerInnenwahl und Reproduktion angesprochen werden (z. B. einen netten, reichen Mann finden und Mutter werden, s. Kap. 4.3.3), erfolgt dies stets im Rückgriff auf ein heterosexuelles Zwei-Geschlechter-Modell. Auch in der Wahl der Schulbuchfiguren ist diese Struktur im gesamten Untersuchungszeitraum konstitutiv: Sind zwei Elternteile genannt, so handelt es sich stets um einen Vater und eine Mutter. Keiner der untersuchten Texte versprachlicht hingegen gleichgeschlechtliche Elternschaft. Die Frau-Mann-Beziehung, aus der potentiell Nachwuchs hervorgeht, ist bis in die zeitgenössischen Bücher hinein der benannte Standardfall. Dies ist, gemessen an möglichen Konstellationen, selbst in einem binären Modell keine Selbstverständlichkeit. Dass lediglich verschiedengeschlechtliche Paarkombi-

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nationen vorkommen, verweist auf die diskurskonstitutive Wirkmacht von Heterosexualität. Ähnlich wie bei der vorausgehenden Struktur Andersartigkeit und Gleichheit der Geschlechter ist allerdings auch in diesem Fall nicht klar zu entscheiden, ob Heterosexualität als Wissenssegment im Geschlechterkonzept FRAU und MANN zu kategorisieren ist oder als Möglichkeitsbedingung des Sprechens über Geschlecht im Allgemeinen und damit auf ähnlichem Abstraktionsniveau wie die Binarität von Geschlecht anzusiedeln ist. d) Ansätze zur Erweiterung des Möglichkeitsraums Die Schulbücher kennen, wie oben ausgeführt, zwei Geschlechter (Frau und Mann) – tertium non datur also? Dieser Gliederungspunkt widmet sich den Voraussetzungen des Sprechens über Geschlecht und über die Geschlechter ausgehend vom Sprechen über Personen im Allgemeinen. Über Personen zu sprechen, muss nämlich keineswegs zwingend auf die Weise geschehen, dass die Person geschlechtlich spezifiziert würde (s. z. B. Frau vs. Person). Im Möglichkeitsraum Mensch ist Geschlecht eine neben anderen möglichen Variablen, nach der man Personen kategorisieren kann.440 Die Auswertung der PRF hat gezeigt, dass in den Schulbüchern beim Sprechen über Personen die Kategorisierungsmöglichkeit Geschlecht mehrheitlich relevant gesetzt wird, ebenso die Unterschiedlichkeit zweier Geschlechter (s. Kap. 4.1.1; s. auch Kap. 6.1.1a und b). Die Ausnahme von dieser Mehrheit aber birgt Ansätze zur Erweiterung des Möglichkeitsraums des Sprechens über Geschlecht, wie im Folgenden zu zeigen ist. Vorkommen von Irrelevantsetzungen der Differenzkategorie Geschlecht als Nicht-Thematisierungen in den Schulbüchern machen zunächst deutlich, dass keine geschlechtliche Kategorisierungspflicht besteht. Geschlechtsneutrale PRF, die auch im konkreten Äußerungszusammenhang geschlechtsübergreifend referieren und in einem referenzfunktionalen Sinn nicht-spezifisch bis generisch gebraucht sind, leisten eine Nicht-Thematisierung von Binarität in besonderem Maß. Diese Gebrauchspraxis ist auf Ebene der PRF in den Schulbüchern weit verbreitet, vor allem in den NS-Jahren (s. Kap. 4.1.4; s. noch Kap.

|| 440 Geschlecht steht dabei mit weiteren sozialen Kategorisierungsmöglichkeiten in Beziehung. In der Diversitätsforschung werden unter anderem die Kategorien Ethnizität, Nation, Alter und Klasse angenommen, die im Sprechen über Personen(-gruppen) potentiell relevant gesetzt werden (vgl. z. B. Walgenbach u. a. 2007). Häufig werden mehrere Kategorien auf einmal an einer Person relevant gesetzt, zum Beispiel bei die Deutsche sowohl die geschlechtliche Kategorisierung als auch nationale Zugehörigkeit oder bei ein Junge die Kategorisierung nach Geschlecht und Alter.

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6.3.2). Auf propositionaler Ebene haben geschlechtsneutrale PRF ein Pendant, wenn dort Zuschreibungen vorgenommen werden, die weder als geschlechtstypisch (bzw. geschlechtstypisierend) noch als geschlechtsatypisch (bzw. geschlechtsatypisierend) gelten, stets gemessen an den bis dato in den Schulbuchtexten ermittelten Gebrauchstraditionen. Solche Sprechweisen über Personen verweigern sich also einer Zwei-Geschlechter-Systematik, bewegen sich neben dieser Struktur und sprechen der Kategorie Geschlecht ihre Relevanz ab. Eine weitere Form der Irrelevantsetzung von Geschlecht trägt noch eher Züge eines Dritten, das den dominant binär strukturierten Möglichkeitsraum des Sprechens über Geschlecht erweitert. Ich fasse diese Variante des undoing gender unter dem Begriff Androgynisierung (s. bereits Kap. 1.2.1a und Kap. 4.1.2b unter Detailanalyse der Vornamen): Anders als geschlechtsneutrale Formen zur Bezeichnung von Personen setzen androgyne bzw. androgynisierende Sprachgebräuche die Binarität von Geschlecht als Andersartigkeit der Geschlechter voraus. Wie im Rahmen der Vornamenanalyse ausgeführt, wird unter Androgynisierung die Praxis verstanden, Indikatoren für Männlichkeit und Weiblichkeit zu kombinieren. Ich orientiere mich hierin an der Etymologie von androgyn (griech. anḗr, Genitiv andrós für ‚Mann‘ und gynḗ für ‚Frau‘) und seiner für das Deutsche angenommenen Bedeutungsbeschreibung „männliche u. weibliche Merkmale aufweisend, in sich vereinigend“ (Duden-Universalwörterbuch 2015, 142 s. v. androgyn). Solche Indikatoren können auf unterschiedlichen Ebenen liegen, beispielsweise auf Wortebene und Aussagenebene oder auch auf Wortebene und Bildebene: Abbildungen im Schulbuch, die den geschlechtstypisierenden Abbildungstraditionen wie auch dem Prototypen441 eines Mädchens oder Jungen widersprechen (z. B. kurze Haare bei Mädchen, lange Haare bei Jungen) und bei denen ein vermeintlicher Widerspruch in der Kombination aus bildlichen Attributen sowie geschlechtsspezifizierenden Namen vorliegt (z. B. Stefan für eine Person mit langen Haaren), sind ein Beispiel für Androgynisierung auf Text-Bild-Ebene. Auch jedes sprachliche undoing gender als ein doing male von Frauen/Mädchen oder doing female von Männern/Jungen stellt eine Form der Androgynisierung dar, wenn also zum Beispiel weibliche Figuren in traditionell männlich kodierte Bereiche vordringen und umgekehrt (Beispiel Berufswelt, s. Kap. 4.1.2a unter Berufsbezeichnungen sowie 4.2.3c). Solche Indikatoren können auch auf gleicher Ebene liegen, wie bei den Vornamen die geschlechts-

|| 441 Ein solcher Prototyp kann auch als soziales Stereotyp eingeordnet werden. Nach Hermanns (2002, 292) bezeichnen die Begriffe Prototyp, Stereotyp oder auch Frame „alle einen und den selben psychischen, mentalen Gegenstand […], die mentale Repräsentation, nur dass sie diesen Gegenstand verschieden deuten“.

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typisch verteilten prosodisch-phonologischen Strukturen auf Ebene der Phonologie (s. Kap. 4.1.2b unter Prosodisch-phonologische Analyse). Wird Androgynisierung nun als Neutralisierung von Geschlechtstypizität442 gewertet, dann erscheint die Binarität in Frage gestellt in Richtung eines Ein-GeschlechtModells. Wird hingegen herausgestellt, dass androgyne Sprachgebräuche einen Sprachgebrauch darstellen, der sich qualitativ von einem geschlechtsneutralen Sprachgebrauch darin unterscheidet, dass er weiterhin auf geschlechtsspezifizierende PRF setzt, aber einseitige geschlechtstypisierende Zuschreibungen immer wieder durchbricht – dann birgt ein solcher Sprachgebrauch die Möglichkeit der Erweiterung der geschlechtstypisierenden Sprechweisen um ein Drittes. Unisex-Vornamen sind ein Sonderfall: Sprachgebrauchsgeschichtlich sind sie Produkte von Androgynisierung (vgl. Barry/Harper 1982). Synchron aber können sie als geschlechtsneutrale Form und damit als Möglichkeit der Nicht-Thematisierung von Geschlecht gelten (wenngleich es vom individuellen Wissen abhängen mag, ob sie rezipientInnenseitig als Unisex-Namen wahrgenommen werden oder ob nicht doch eine geschlechtsspezifische Verwendungsweise angenommen wird). In der Gesamtschau der Ergebnisse der Schulbuchstudie ist undoing gender als Androgynisierung enger mit Weiblichkeit verbunden. Dies betrifft Eigenschaften und Verhaltensweisen, die zuvor exklusiv männlichen und nun auch weiblichen Figuren zugeschrieben werden (s. Kap. 4.5). Selbst bei der Lautstruktur der Vornamen geht einem starken doing female der für Männer/Jungen gebrauchten Vornamen (weiterhin: mVN) in den letzten 15 bis 20 Jahren zunächst ein tendenzielles doing male der für Frauen/Mädchen gebrauchten Vornamen (wVN) voraus (s. ausführlich Kap. 4.1.2b). Tatsächlich sind die Möglichkeiten zum undoing gender im Konzept FRAU auch deutlich vielfältiger als im Konzept MANN, weil sich das Sprechen über Frauen/Mädchen über viele Jahrzehnte in einem enger abgesteckten Möglichkeitsraum bewegt. Was Bestandteile dieses Möglichkeitsraums sind und wie diese sich verändern, wird unter dem Gliederungspunkt 6.1.2 noch beschrieben. Dass der Möglichkeitsraum, wie über weibliche Personen gesprochen werden kann, allerdings im Vergleich zum Möglichkeitsraum, wie über männliche Personen gesprochen werden kann, (zunächst) wenig dimensional ausgestaltet ist, verweist auf eine weitere, zweiteilige Grundfigur: die Figur ‚Der Mann ist der Norm-Mensch, die Frau sein Sonderfall‘.

|| 442 Geschlechtstypizität meint die charakteristische Eigenart des Sprechens über ein Geschlecht im Unterschied zum Sprechen über ein anderes Geschlecht, s. auch die Definition von geschlechtstypisierend in Kapitel 3.3.1.

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e) Konstitutive Differenzfiguren Die diskurssemantische Grundfigur ‚Der Mann ist der Norm-Mensch, die Frau sein Sonderfall‘ schlägt den Bogen zu semantischen Strukturen, welche das Verhältnis der beiden Möglichkeitsräume Frau und Mann zueinander erklären. Bislang wurden unter dem Gliederungspunkt 6.1.1 semantische Strukturen, denen das Sprechen über Geschlecht unter anderem in Abgrenzung zum Sprechen über Personen im Allgemeinen folgt, herausgearbeitet: Wird eine geschlechtliche Kategorisierung vorgenommen, so besteht hier in Vergangenheit und Gegenwart die so gut wie ausschließliche Wahlmöglichkeit zwischen genau zwei Geschlechterkategorien, weiblich und männlich; die Geschlechter werden in ihrem Begehren komplementär gedacht und hinsichtlich ihrer sozialen Rolle diachron zunächst andersartig und zunehmend häufiger gleich zueinander entworfen. Die unter diesem Gliederungspunkt behandelten Differenzfiguren sollen nun weiterhin aufzeigen, in welchem Möglichkeitsraum das Sprechen über weibliche Personen im Unterschied zu männlichen Personen abläuft bzw. welche semantischen Strukturen für geschlechtstypisierende Sprechweisen konstitutiv zu sein scheinen und regeln, welche differenten Geschlechterkonzepte vermittelt werden können. Die Analyse zu den konstitutiven Differenzfiguren bereitet darin die Analyse zu den Wissenssegmenten im Geschlechterkonzept FRAU bzw. MANN vor (s. Kap. 6.1.2). Die Differenzfiguren sind in hohem Maß prägend für das Sprechen über männliche Personen im Unterschied zu weiblichen Personen bzw. umgekehrt, so dass sie als diesem Sprechen vorgängig bzw. als dessen Möglichkeitsbedingung erscheinen. Der Mann als Norm-Mensch – die Frau als sein Sonderfall Die beiden Geschlechterkonzepte FRAU und MANN erweisen sich keineswegs als mit gleichen Voraussetzungen ausgestattet. Dem Verhältnis der Konzepte zueinander liegt die zweiteilige Grundfigur ‚Der Mann ist der Norm-Mensch, die Frau sein Sonderfall‘ zugrunde, wie die Schulbuchanalyse nahelegt, die jedoch über den Untersuchungszeitraum und hierbei vor allem in den 1980er und 1990er Jahren in geringerem Maß diskurskonstitutiv ist. Vor diesen Wandeljahren und danach immerhin noch tendenziell ist mit Männlichkeit auf verschiedenen Untersuchungsebenen eher die Möglichkeit zur nicht erklärungsbedürftigen Alleinvertretung für die Kategorie Mensch verbunden. Diese Möglichkeit zur Alleinvertretung zeigt sich beispielsweise in Abbildungen zu PRF, die konventionell geschlechtsneutral referieren. Bei ihnen wird in der Regel auf eine männliche bildlich-körperliche Darstellung zurückgegriffen (s. Kap. 4.3.2). Die Teilfigur ‚Mann als Norm-Mensch‘ wird beispielsweise auch im Bereich Familie

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in der lexikalischen Systemlücke Familienvater manifest (s. Kap. 4.1.2a unter Verwandtschaftsbezeichnungen). Die traditionelle Erstpositionierung von mPRF in gemischt-geschlechtsübergreifenden komplexen koordinierten Phrasen (weiterhin: kkP) (s. Kap. 4.1.6b) kann als Ausdruck einer männlichen Vorrangstellung gelesen werden, die ebenfalls durch die Teilfigur ‚Mann als Norm‘ bedingt ist. Die Vorrangstellung ist darin begründet, dass ein Mann – unter der Voraussetzung, dass prototypischere VertreterInnen in Erstposition stehen – als der prototypische Mensch gilt, dem Männlichen somit grundsätzlich eher die Möglichkeit zur Stellvertretung der Kategorie Mensch zugestanden wird. Auch die generische Verwendung von maskulinen PRF und das in zeitgenössischen Schulbüchern nur andeutungsweise Vorkommen generischer Feminina (s. Kap. 4.1.4) lassen auf diese abstrakte semantische Struktur schließen bzw. können als deren Ausdruck gelesen werden. Die Teilfigur des Mannes als der Norm-Mensch mag auch begründen, warum an anderer Stelle männliche Geschlechtsreferenz sprachlich weniger sichtbar gemacht wird, als es bei weiblicher üblich ist (s. Kap. 4.1.3 und 4.1.4). Denn es ist bemerkenswert, dass ausdrucksseitig geschlechtsneutrale Formen, wie Epikoina, Kollektiva und sonstige Abstrakta, die kotextuell referenzidentisch mit einem geschlechtsspezifizierend gebrauchten Ausdruck sind und insofern als geschlechtsspezifische Referenz interpretiert werden können, in diesen Fällen deutlich häufiger männlich als weiblich referieren. Dem Männlichen ist es in größerem Maß möglich, auf solch neutrales Sprachterrain auszugreifen und sich Präsenz zu verschaffen, ohne diese Präsenz stets durch ausdrucksseitige Marker für eine geschlechtsspezifische Referenz zum Ausdruck bringen zu müssen (z. B. durch die Verwendung konventionell männlich referierender Ausdrücke und Endungen wie -er). Da männlich referierende PRF bis auf die 1990er Jahre auch sonst dominieren, ist diese geringere Notwendigkeit der Explizierung männlicher Referenz nicht als Ausdruck eines Defizits an männlicher Präsenz zu werten. Dass Mann-Sein weniger expliziert wird als Frau-Sein, kann stattdessen als Ausdruck dafür gelten, dass Mann-Sein konzeptuell enger mit Mensch-Sein zusammengedacht wird, Frau-Sein hingegen als der Sonderfall des Mensch-Seins in diesem Sonderstatus auch kenntlich zu machen ist (durch konventionell lexeminhärent geschlechtsspezifizierende Ausdrücke oder morphologische Mittel). Der männliche Mensch erscheint in den Schulbüchern als der normale Mensch, der weibliche Mensch dagegen als der Sonderfall des Menschen, mit niedrigerer Vorkommenswahrscheinlichkeit. Die Sonderstatuierung der Frau zeigt sich nicht nur in ihrer geringeren Präsenz in Form von PRF, sondern auch

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in dem bereits angesprochenen beschränkten Möglichkeitsraum sowie indirekt darin, dass der Frau nicht in vergleichbarer Weise die Stellvertretungsfunktion zugestanden wird. Selbst in der weiblich kodierten Sphäre Haus und in der Sphäre Familie – ebenfalls zentraler Bezugspunkt beim Sprechen über weibliche Personen (s. z. B. Kap. 4.1.2a unter Verwandtschaftsbezeichnungen sowie 4.2.3d(2)) – haben Männer (Ehemann, Vater) die oberste Verfügungsgewalt, sind sie Hausherr oder Familienvater und kontrollieren die Haushaltsmittel (s. Kap. 4.2.3d(2)). In den 1950er und 1960er Jahren wird die Sonderstatuierung textstrukturell auf die Spitze getrieben, indem ‚Mädchen-Aufgaben‘ im Schulbuch als weiblicher Sonderraum ausgewiesen sind (s. Kap. 4.3.1). Gegenwärtig haben sich die weiblichen Figuren der Schulbücher weitgehend von diesem Sonderraum emanzipiert; erstaunlich ist dabei, dass erwachsene Frauen seit den 1970er Jahren gar nicht mehr in ihrer traditionellen Zuständigkeit für spezifische häusliche Aufgaben, wie Putzen, Kleidungsherstellung oder -ausbesserung, vorkommt (s. Kap. 4.2.3b). Was traditionell mit dem weiblichen Sonderstatus verknüpft war, wird geschlechtsübergreifend exkludiert – Hausarbeit scheint der Lord Voldemort des Schulbuchs zu sein.443 Wie die traditionelle und gegenwärtig wieder tendenziell festzustellende Dominanz von mPRF gegenüber wPRF in den Schulbüchern bereits anzeigt, tendieren VerfasserInnen von Schulbüchern beim Abfassen der Schulbuchtexte bei PRF zu einer Spezifizierung zu mPRF. SchulbuchverfasserInnen sind in gewissem Umfang vorfestgelegt auf den Mann als Standardfall des Menschen. Die zweiteilige Grundfigur aus männlicher Stellvertreterfunktion und weiblichem Sonderstatus wirkt auf die Binarität von Geschlecht zurück. Streckenweise erwecken Schulbücher den Eindruck, dass es unter den Menschen nur eine geschlechtliche Ausprägung gibt und zwar die männliche, die als allgemeinmenschliche erscheint, dies immer dann, wenn in Schulbüchern über mehrere Seiten keine weibliche Figur genannt wird. In nach 1990 erschienenen Schulbüchern ist dies aber kaum mehr der Fall. Die Grundfigur verliert über den Betrachtungszeitraum stark an Bedeutung, d. h., sie verliert an Diskurskonstitutivität, vor allem in den 1980er und 1990er Jahren, bleibt aber weiterhin präsent. Die Fortdauer äußert sich für die Annahme ‚Mann als Norm-Mensch‘ vornehmlich in der tendenziell verfestigten generischen Gebrauchskonvention von Maskulina (s. Kap. 4.1.4). Die Wirksamkeit der

|| 443 Lord Voldemort ist der Antagonist der Fantasy-Figur Harry Potter in der gleichnamigen Buchreihe. Die anderen Romanfiguren vermeiden es, den Namen Lord Voldemort auszusprechen, weil dies (mindestens in den späteren Bänden) im wahrsten Sinn des Wortes ungebetene Geister auf den Plan ruft.

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Sonderstatuierung der Frau zeigt sich gegenwärtig darin, dass gerade erwachsene männliche Figuren Zurückhaltung üben im undoing gender als doing female in traditionell weiblich kodierte Tätigkeitsbereiche (z. B. Hausarbeit, s. Kap. 4.2.3b und d); die Sonderstatuierung blitzt ferner in Restriktionen auf, beispielsweise, wenn es weiblichen Figuren nur langsam möglich ist, Extrempositionen einzunehmen oder mit allen Ausprägungen einer Kategorie zusammen vorzukommen (z. B. Vorkommen von Fahrrad und Auto als relationierte Einheiten, aber Motorrad nicht, s. Kap. 4.2.3d und f; 4.2.6a). Dies gilt insbesondere für negativ besetzte männliche Domänen: Problematisierendes Sprachhandeln ist Frauen und Mädchen zwar zunehmend möglich, dissentives aber kommt erst neuerdings breiter gestreut vor (s. Kap. 4.2.3h); verschiedene Facetten negativer Gestimmtheit zeigen weibliche Personen ebenfalls deutlich später als männliche Personen (s. Kap. 4.2.3g). Vielfalt vs. Beschränkung Die Figur des Mannes als Norm-Mensch und der Frau als sein Sonderfall verliert vor allem deswegen an Diskurskonstitutivität, weil eine an sie angelagerte Differenzfigur, welche die Figur maßgeblich stützt, zunehmend geschlechtsatypisierend verteilt ist: Vielfalt vs. Beschränkung. Die Restriktionen, welche im weiblichen Möglichkeitsraum länger bestehen (s. den vorausgehenden Untergliederungspunkt), ergeben sich aus der weiterhin bestehenden Wirkkraft der Differenzfigur Vielfalt vs. Beschränkung. Vor allem in diachroner Perspektive hat beinahe jede Erhebungskategorie vielgestaltigere Ausprägungen, wenn eine männliche Referenz mit ihr zusammenhängt. Vielfalt verbindet sich dabei mit Männlichkeit: Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg stammen Berufsbezeichnungen für Männer aus unterschiedlicheren Tätigkeitsbereichen (Handel, Verkehr, Technik, Handwerk, Sport usw.), üben Männer Berufe unterschiedlicher Qualifikationsgrade (angelernte Arbeitskraft vs. Meister) auf unterschiedlicheren Hierarchieebenen aus – vom Lehrling über den Angestellten zum Abteilungsleiter und Chef (s. v. a. Kap. 4.1.2a unter Berufsbezeichnungen). Auf Aussagenebene weisen männliche Figuren eine größere Bandbreite an verschiedenen, nicht nur beruflichen Tätigkeiten, an Agentivitätsgraden oder auch an KommunikationspartnerInnen auf (s. u. a. Kap. 4.2.3c, d, f und h). Männlichen Figuren sind Extrempositionen eher vorbehalten, zum Beispiel hohe finanzielle Potenz auf der einen und Geldnot oder Besitzverlust auf der anderen Seite, besonders sichere wie auch unsichere epistemische Zustände oder antonymische Charakterisierungen. Ihr Spektrum an sozialen Rollen ist seit jeher umfassender ausgestaltet. In dieser Hinsicht zeigen Schulbücher Män-

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ner als vieldimensionale, zum Teil auch widersprüchliche menschliche Wesen, die zu jeder Zeit verschiedene Ausprägungen einer Beschreibungsdimension auf sich vereinen können (s. u. a. Kap. 4.2.3e und g; 4.2.4).444 Das Konzept MANN vereint damit diversere Facetten von Mensch-Sein auf sich, als es im Konzept FRAU lange Zeit der Fall ist. Der Zusammenhang von Männlichkeit und Vielfalt bzw. von Weiblichkeit und Beschränkung erklärt sich zu einem Teil durch die grundsätzliche Dominanz männlicher Figuren bzw. männlich referierender PRF und durch eine im Geschlechtervergleich bis in die 1980er Jahre vorherrschende Unterrepräsentanz von weiblichen Figuren bzw. von weiblich referierenden PRF in den Schulbüchern. Wegen ihrer quantitativen Dominanz können Männern und Jungen potentiell unterschiedlichere Charakterisierungen zuteilwerden. Zahlenmäßige Stärke begünstigt also ein vielfältigeres Sprechen. Wie aber die Auswertung der Vornamen ergeben hat, ist Frequenz nicht per se mit mehr Vielfalt verbunden (s. auch den folgenden Untergliederungspunkt). Als Erklärung wird hier vielmehr die Grundfigur des Mannes als Norm-Mensch vorgeschlagen: Dass einerseits mPRF dominant vertreten sind und dass andererseits bei der Wahl der jeweiligen mPRF wie auch bei der Wahl der Prädikationen aus dem Vollem geschöpft werden kann, ist durch die Wirksamkeit dieser Figur bedingt. Der Zusammenhang von Männlichkeit und Vielfalt bzw. von Weiblichkeit und Beschränkung wird somit nicht durch die unterschiedlichen Häufigkeiten der mPRF und wPRF letztbegründet, sondern durch die abstrakte semantische Figur ‚Mann als Norm-Mensch‘. Weitere geschlechtstypisierende Verteilungsregelmäßigkeiten im Sprachmaterial lassen auf semantische Strukturen eines höheren Abstraktionsgrades schließen, welche das Auftreten von Aussagen über die beiden Geschlechter beeinflussen. Bei den folgenden Differenzfiguren fällt eine Interpretation als abstrakte Struktur jedoch zunehmend schwierig. Der Übergang einer diskurskonstitutiven Struktur zum Wissenssegment im Geschlechterkonzept scheint fließend. Insofern leiten die folgenden Ausführungen über zur näheren Betrachtung der vor allem geschlechtstypisierenden Wissenssegmente im Konzept FRAU und im Konzept MANN des Kapitels 6.1.2.

|| 444 Wie unter 4.5 angesprochen, neutralisieren sich widersprüchliche Ausprägungen allerdings nicht, sondern erweist sich eine Ausprägung in der Regel als charakteristisch.

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Tradition vs. Trend Bei den Vornamen ist Vielfalt in den Schulbüchern umgekehrt verteilt: Frauen-/ Mädchennamen sind hinsichtlich ihrer Etymologie und prosodisch-phonologischen Eigenschaften diachron variantenreicher als Männer-/Jungennamen, es finden sich unter den wVN mehr unterschiedliche wVN und mehr unterschiedliche Varianten zu einem Namen (s. Kap. 4.1.2b zur Diversität der Vornamen). Vornamen sind Individualbezeichnungen, sie werden individuell vergeben und bezeichnen Individuen. Im Schulbuch ist diese Form der Individualisierung bis circa 1990 sehr viel enger mit Weiblichkeit verbunden als mit Männlichkeit. Doch bedeutet der Variantenreichtum und der hohe Individualisierungsgrad aufseiten der wVN auch, dass viele der Namen nur für kurze Zeit in den Schulbüchern verbleiben. Die Wahl der wVN ist eher von einem Trend-Paradigma (vgl. bereits Oelkers 2004) bestimmt, welches über Jahrzehnte für die Namenvergabe an weibliche Schulbuchfiguren leitend ist. Männer-/Jungennamen hingegen bleiben im Schulbuch über längere Zeitabschnitte identisch. Dieser Befund sowie die Tatsache, dass das Nameninventar für Männer/Jungen insgesamt deutlich kleiner ausfällt und mehr Namen aus der gleichen Herkunftssprache kommen, machen die Vornamen prototypischer, weniger individuell und lassen sie diachron vor allem traditionsreicher erscheinen. Im Unterschied zum Trend-Paradigma greift bei den mVN also ein Traditions-Paradigma. Dieses erweist sich in weiterer Hinsicht als wirksam: In ihrem zögerlichen undoing gender sind erwachsene männliche Schulbuchfiguren – im Unterschied zu den weiblichen – traditionsverhafteter gezeichnet. Distanz vs. Nähe Mit dem Sprechen über Frauen und Mädchen verbindet sich bis um die Jahrtausendwende ein Nähekonzept, dem aufseiten der Männer und Jungen ein Distanzkonzept entspricht. Die daraus abgeleitete Differenzfigur Distanz vs. Nähe äußert sich in vielfältiger Weise, unter anderem in den sprachlichen Mitteln, mit denen die Figuren bezeichnet sind. So werden für weibliche Figuren im Vergleich häufiger PRF gewählt, die einen jungen Altersstatus mitkommunizieren und/oder eine konzeptuelle Verbindung mit Jung-Sein aufrufen können (wie -mädchen in Alleinmädchen, s. Kap. 4.1.3c). Es werden beispielsweise auch mehr weibliche als männliche Figuren mit einem Vornamen benannt (s. Kap. 4.1.2b unter Entwicklung der Namentypen). Vornamen rufen ein Nähekonzept auf, da die alltägliche Verwendung von Vornamen ein

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eher informelles bis freundschaftlich-verwandtschaftliches Verhältnis der KommunikationspartnerInnen voraussetzt.445 Verkleinerungsformen – Diminutivnamen und weitere transparente diminuierte PRF – sind im Geschlechtervergleich ebenfalls ein Charakteristikum des Sprechens über Frauen/Mädchen (s. Kap. 4.1.2b unter dem Unterpunkt Diversität der Vornamen; s. ferner Kap. 4.1.3c). Sie können soziopragmatisch als Verkindlichungen und Verzärtlichungen interpretiert werden und im Fall neutraler Diminutivbildungen als Ausdruck von Nicht-Agentivität. Zudem werden bei wVN im Vergleich zu mVN diachron häufiger Lautstrukturen gewählt, die als kindgerechter gelten. Zartheit und Infantilität sind somit konzeptuelle Bestandteile des weiblichen Nähekonzepts und haben dieses als gemeinsame zugrunde liegende Bedingungsstruktur. Ebenfalls im nähesprachlichen Sprachgebrauch angesiedelt ist die Verwendung von Verwandtschaftsbezeichnungen in der Funktion von Eigennamen. Gerade in den 1950er und 1960er Jahren kommen Verwandtschaftsnamen gehäuft vor und dies vor allem, wenn über Frauen, vor allem Mutter, gesprochen wird (s. Kap. 4.1.2a unter Verwandtschaftsbezeichnungen). Weibliche Figuren werden zudem häufiger in ihren verwandtschaftlichen Bezügen dargestellt und sind in ihrem Handeln und Fühlen stärker auf Dritte ausgerichtet als die männlichen Figuren (s. Kap. 4.2.3h; 4.2.4). In der Kontrastierung erscheinen männliche Figuren im Umgang mit Dritten distanzierter, sind sie häufiger in erwerbsmäßige und damit distanzsprachliche Zusammenhänge eingebunden und werden zudem selbst im Kontrast zu den weiblichen Figuren bis 1980 eher distanzsprachlich, weil häufiger mit Nachnamen, benannt (s. Kap. 4.1.2b unter Entwicklung der Namentypen). Zu den konstitutiven Differenzfiguren ist also festzuhalten: Dem Sprechen über weibliche Personen liegt tendenziell zugrunde, dass Weiblichkeit im Unterschied zu Männlichkeit als Abweichung von der Norm betrachtet wird, ihr Möglichkeitsraum damit von vornherein beschränkter ausfällt und ein nähesprachliches Sprechen über Frauen und Mädchen begünstigt. Gleichzeitig erweist sich das Sprechen über Mädchen und Frauen als weniger traditionsverhaftet. Das Sprechen über männliche Personen findet hingegen in einem Möglichkeitsraum statt, für den Vielfalt konstitutiv ist, die wiederum in der Figur ‚Der Mann als Norm-Mensch‘ ihre Bedingung hat. Beschränkt wird diese Vielfalt durch Tradi-

|| 445 Die Konvention des „Hamburger Sie“ ist davon auszunehmen (vgl. Glück 2010, 258 s. v. „Hamburger Sie“). In den untersuchten Schulbüchern findet man im Übrigen kein Vorkommen dieser Konvention.

430 | Diskursorientierte Analyse

tionalität. Im Unterschied zum weiblichen Möglichkeitsraum erscheint ferner ein Distanz(sprache)konzept prägender für das Sprechen über Männer und Jungen. Die Tabelle 43 bringt die verschiedenen Differenzfiguren noch einmal in eine Übersicht. Tab. 43: Diskurskonstitutive Differenzfiguren für das Sprechen über Frauen/Mädchen und Männer/Jungen

Frau

Mann

Sonderfall

Norm

Beschränkung

Vielfalt

Trend

Tradition

Nähe

Distanz

Diese epistemischen Strukturen sind über viele Jahrzehnte derart verfestigt, dass sie als konstitutiv und damit als Möglichkeitsbedingungen des Sprechens über Frauen und Männer verstanden werden können. Vor allem seit den 1970er Jahren verlieren sie an geschlechtstypisierender Diskurskonstitutivität und nehmen stärker den Charakter variabler, abstrakter Wissenssegmente in den Konzepten FRAU und MANN an.

6.1.2 Geschlechtstypische Wissenssegmente in den Konzepten FRAU und MANN Welche Wissenssegmente werden nun in den Schulbüchern im Konzept FRAU im Vergleich zum Konzept MANN immer wieder relevant gesetzt? Um für wiederkehrende Fragen bzw. Wissensleerstellen prototypische Antworten herauszuarbeiten, kann auf die Beschreibungssystematik der Frame-Semantik zurückgegriffen werden:446 Wissenssegmente werden als eröffnete Leerstellen (slots) gefasst, die mit Füllwerten (fillers) besetzt sind. Jene Füllwerte, die sich aufgrund ihrer vergleichsweise hohen Vorkommenshäufigkeit als besonders einschlägig und in diesem Sinn als zentral und prototypisch447 für eine Leerstelle erweisen, können || 446 Für die deutschsprachige Frame-Semantik sind Ziem (2008a) und Busse (2012) einschlägige Referenzen. 447 Vgl. zum Zusammenhang von semantischer Prototypentheorie und Frame-Semantik Ziem (2008a, 344–348) und Mangasser-Wahl (2000). Ein zentraler Unterschied besteht in der Konzeption von Prototypen als stabile Wissenseinheiten und dem dynamischen Ansatz der Frame-

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als Standardwerte (default fillers) dieser Leerstelle gelten. Nicht nur Füllwerte weisen unterschiedliche Typikalitätsgrade auf; auch die Leerstellen können je nach Häufigkeit der Relevantsetzung systematisiert werden in zentralere/prototypischere sowie periphere/randständige. Wenn Wissenssegmente als Leerstellen innerhalb eines Geschlechterkonzepts betrachtet werden, ist ein Geschlechterkonzept in dieser Systematik ein Frame (oder: Wissensrahmen), der die verschiedenen Leerstellen eröffnet. Doch Frames können auch auf anderen Ebenen liegen: Im Frame Geschlechterkonzept können hierarchisch niedrigere konzeptuelle Ebenen wiederum (Unter-) Frames etablieren, Leerstellen also je nach Ausdifferenzierungsgrad wiederum selbst Frames und Füllwerte Leerstellen sein (vgl. zum „Prinzip der Rekursivität“ Busse 2012, 611). Methodisch ist noch die Frage zu klären, wie Leerstellen und Füllwerte der Geschlechterkonzepte identifiziert werden können. Hierarchieniedrige, konkretsprachliche Füllwerte liegen gewissermaßen als Rohmaterial in der Datenbank vor; in der Datenauswertung (s. Kap. 4) wurden jene Füllwerte gleichen Abstraktionsgrads ermittelt, mit denen Aussagen über weibliche und männliche Personen getroffen werden (z. B. verschiedene Berufsbezeichnungen). Je nach ihrer Vorkommenshäufigkeit können diese Füllwerte als prototypisch bzw. als Standardwerte eingeordnet werden. Die Füllwerte wiederum sind Grundlage für die Identifizierung von Leerstellen, die von den Füllwerten abstrahiert werden. Solche Abstraktionsprozesse kamen bereits bei der Kategoriendefinition des Erhebungsschemas zum Tragen (s. bereits Kap. 3.3.1), zum Beispiel, wenn ausgehend von einer größeren Anzahl an Berufsbezeichnungen unter den PRF eine entsprechende Kategorie oder Kodierungsmöglichkeit – wie die Kategorie Berufsbezeichnung – ins Schema aufgenommen wurde. Eine Leerstelle kann durch mehrere Standardwerte besetzt werden – bei der Leerstelle Berufsbezeichnung beispielsweise durch einen Standardwert hinsichtlich der Art des Berufs, einen hinsichtlich des Qualifikationsgrads, einen hinsichtlich der hierarchischen Position. Leerstellen können zudem, je nachdem, welche Differenzierungen das Sprachmaterial nahelegt, auf verschiedenen Abstraktionsniveaus angenommen werden (vgl. Ziem 2008a, 339; 439). Berufsbezeichnungen können so, um im Beispiel zu bleiben, für sich betrachtet, als Leerstelle aufgefasst werden, deren Füllwerte (z. B. Bäuerin, Kaufmann) wiederum unterschiedliche Typikalitätsgrade aufweisen.

|| Theorie. Ob sich die beiden Theorien tatsächlich auch darin unterscheiden, dass die Prototypentheorie (im Unterschied zur Frame-Semantik) eine Trennbarkeit von Sprach- und Weltwissen annimmt, ist umstritten (vgl. Mangasser-Wahl 2000, 90).

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In vielen Fällen aber hat sich ein weiterer Abstraktionsschritt als sinnvoll bei der Leerstellenidentifizierung eines Geschlechterkonzepts erwiesen – bei den Berufsbezeichnungen zum Beispiel eine Abstraktion hin zur BERUFSTÄTIGKEIT, unter der dann alle sprachlichen Äußerungen zu Berufstätigkeit subsummiert sind, auch jene, bei denen keine Berufsbezeichnung die Berufstätigkeit einer Person markiert, sondern beispielsweise die Prädikation dies leistet. Wissenssegmente sind ebenso wie Konzepte durch Kapitälchen gekennzeichnet. In den meisten Zusammenhängen können Wissenssegment und Leerstelle parallel gebraucht werden, wobei Wissenssegment zum einen Füllwerte inkludiert, während die Bezeichnung Leerstelle die analytische Trennung zu den Füllwerten hervorhebt. Zum anderen ist die Bezeichnung Wissenssegment nicht per se für hierarchiehöhere epistemische Einheiten reserviert – wenngleich hierfür in diesem Kapitel vornehmlich gebraucht –, sondern können auch konkret-sprachliche Füllwerte als klein(st)e bzw. hierarchieniedrig(st)e Wissenssegmente perspektiviert werden. Füllwerte sind somit als hierarchieniedrige epistemische Einheiten zwar ebenfalls Wissenssegmente und zugleich Bausteine hierarchiehöherer Wissenssegmente, werden aber zur besseren Differenzierbarkeit zwischen übergeordneten und untergeordneten epistemischen Abstraktionsebenen nicht in Kapitälchen gesetzt. Charakteristische448 Füllwerte und prototypische Standardwerte sind bei erstmaligem Nennen durch Fettdruck hervorgehoben. Welche Konzeptbestandteile erweisen sich nun im Vergleich der Konzepte jeweils als charakteristische Bestandteile? Dies soll vorab exemplarisch durchgespielt werden: BERUFSTÄTIGKEIT ist ein Beispiel für ein Wissenssegment, das sowohl im Geschlechterkonzept FRAU als auch im Geschlechterkonzept MANN einen festen Platz hat. Da Berufstätigkeit häufiger im Zusammenhang mit männlichen Figuren versprachlicht wird, erweist es sich für das Konzept MANN in Relation zum Konzept FRAU als charakteristischeres Wissenssegment. In einem nächsten Schritt kann dann gefragt werden, mit welchem Standardwert diese Leerstelle gefüllt ist. Im Beispiel-slot BERUFSTÄTIGKEIT: Welche berufliche Rolle wird in den Schulbüchern als Standardwert angeboten bzw. ist prototypisch für die Leerstelle BERUFSTÄTIGKEIT im Konzept MANN (und im Konzept || 448 Charakteristisch (s. auch Kap. 3.3.1) ist nicht gleichzusetzen mit prototypisch oder zentral. Bei einer Einordnung als charakteristisch steht also nicht die Frage im Vordergrund, ob sich eine epistemische Einheit in einem Konzept als prototypisch im Sinn von besserem (und schlechterem) Vertretertum einer Kategorie erweist, sondern es wird vor allem nach der Typizität von epistemischen Einheiten im Vergleich verschiedener Konzepte zueinander gefragt. Geschlechtstypische epistemische Einheiten sollen so identifiziert werden. Je nach Abstraktionsgrad können zu diesen wiederum prototypische Füllwerte (= Standardwerte) ermittelt werden.

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FRAU)? Im Konzept FRAU bietet sich ausgehend von den Sprachdaten eine zusätzliche Differenzierung von BERUFSTÄTIGKEIT in ERWERBSMÄßIGE und NICHT-ERWERBSMÄßIGE BERUFSTÄTIGKEIT an; diese untergeordneten Leerstellen weisen dann unterschiedliche Standardwerte auf. Bei den Leerstellen ist nicht nur oder vor allem der Standardwert von Interesse, sondern auch und gerade die Geschlechtstypizität der Leerstellen und damit die Frage, welche Leerstellen für ein Geschlechterkonzept im Vergleich der Geschlechter charakteristisch(er) sind. In der Datenauswertung (s. Kap. 4.5) wurde ausgeführt, dass Zuschreibungspraktiken im Lauf der Jahrzehnte einem Wandel unterliegen. Entsprechend ist zu erwarten, dass sich die Standardwerte einzelner Leerstellen und möglicherweise auch die Geschlechtstypizität und innerhalb eines Geschlechterkonzepts die Prototypikalität von Wissenssegmenten bzw. Leerstellen verändern. Solche Wandelphänomene werden in der Darstellung aufgegriffen. a) Das Konzept Frau Die Konzepte FRAU und MANN weisen zahlreiche identische Wissenssegmente und damit frame-semantische Leerstellen auf, die nur teilweise vergleichbar standardwertig besetzt sind. Diese Leerstellen können zudem unterschiedlich charakteristisch für ein Geschlecht im Vergleich zum anderen sein. Die Leerstelle FAMILIÄRE ROLLE beispielsweise charakterisiert Frauen und Mädchen bis ums Jahr 2000 in höherem Maß als männliche Figuren, da weibliche Figuren im Vergleich deutlich häufiger in ihrer Rolle in der Familie expliziert werden. Die Leerstelle nimmt darüber hinaus bis 1960 eine zentrale Position im Konzept FRAU ein. Sprachlich festgemacht wird diese exponierte familiäre Rolle an der Mehrzahl449 an weiblich referierenden Verwandtschaftsbezeichnungen gegenüber anderen weiblich referierenden Appellativa (s. Kap. 4.1.2a unter Verwandtschaftsbezeichnungen). Standardwertig – und dies diachron stabil – ist die Leerstelle mit Mutter besetzt. Die weibliche Person in ihrer familiären Rolle ist also die erwachsene Frau, die bereits Kinder zur Welt gebracht hat. Dieser Standardwert erweist sich gerade in den Nachkriegs- und Adenauer-Jahren als besonders zentral im Konzept. In den 1950er Jahren wird Mutter sogar als Name gebraucht, die Person folglich in so hohem Maß mit ihrer familiären Rolle identifiziert, dass die Rolle wie eine Individualbezeichnung, wie ein Personenname, gebraucht wird. Im Verhältnis zur Vater-Rolle legt die Mutter-Rolle außerdem über die Jahrzehnte an Stellvertreterfunktion im Bereich Familie zu. Der Erstpo-

|| 449 Nur in den NS-Jahren dominieren die Verwandtschaftsbezeichnungen nicht.

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sitionenwechsel hin zu einer recht stabilen w1 in kkP kann so interpretiert werden (s. Kap. 4.1.6a). Die Leerstelle FAMILIÄRE ROLLE ist vernetzt mit der Leerstelle VERWANDTSCHAFTLICHE RELATIONIERTHEIT. Verbindendes Element ist, dass familiäre Rollen selbst in hohem Maß relational sind und von Figuren nur im Verhältnis zu anderen Familienmitgliedern eingenommen werden können. Wenn Frauen und Mädchen in ihrer Beziehung und Bezogenheit zu bzw. auf andere gezeigt werden, so geschieht dies am häufigsten im Kontext Familie (s. in Kap. 4.1.2a die hohe Zahl an Verwandtschaftsbezeichnungen und in Kap. 4.2.3d(3) die u. a. in den 1970er Jahren zahlreichen personalen Possessivkonstruktionen). Bezogenheit auf die Familie ist somit im Vergleich der Konzepte ein starkes Charakteristikum für das Konzept FRAU in Abgrenzung zum Konzept MANN. Das Wissenssegment VERWANDTSCHAFTLICHE RELATIONIERTHEIT450 ist durch zwei Standardwerte besetzt, die Beziehung Mutter – Kind und die Beziehung Frau – Ehemann. Diese beiden spezifischen Relationen dominieren unter den verwandtschaftlichen bzw. familiären Relationen, in denen weibliche Figuren gezeigt werden. Frauen richten Sprachhandlungen bevorzugt an ihre Kinder (z. B. direktive Sprechakte) oder beispielsweise ihre Kaufhandlungen auf diese aus (s. Kap. 4.2.3h; 4.2.3d(2)). Mutter-Sein ist nicht nur ein spezifischer sozialer Status, der an Frauen in exponierter Weise ausgedrückt wird, sondern durch den hohen Stellenwert der verwandtschaftlichen und familiären Relationiertheit zur relationalen Rolle ausgebaut. In den NS-Jahren wird diese Bezogenheit von Frauen auf ihre Kinder besonders betont, wie die für diese Jahre prominente Abfolge Frau / Mutter + Kind anzeigt (s. Kap. 4.1.6b). Die Bezogenheit eines Elternteils auf die Familie und daraus resultierende potentielle Konflikte mit anderen sozialen Rollen werden zudem fast ausschließlich an Frauen im Zusammenhang mit ihrer erwerbsmäßigen Tätigkeit thematisiert (Vereinbarkeit von Mutter-Rolle und Erwerbstätigkeit, Teilzeitarbeit, s. Kap. 4.2.3c). Die Zentralität der Relation Frau – Ehemann ergibt sich wiederum vor allem daraus, dass der eheliche Status im Konzept FRAU bis in die 1980er relevant gesetzt ist – sehr viel relevanter als im Konzept MANN – und Frauen diesen Status erst in Bezug zu einem Mann als dem aktuellen, ehemaligen oder (noch) fehlenden Partner zugewiesen bekommen können (z. B. als Ehefrau, Witwe oder in der einseitigen Relevantsetzung des nicht-ehelichen Status als Fräulein, s. Kap. 4.1.2a unter Verwandtschaftsbezeichnungen). Formulierungen wie Männer mit ihren Frauen

|| 450 Verwandtschaftlich wird hier weiter gefasst und schließt familiäre Relationen ein, die nicht im engeren Sinn auf einem verwandtschaftlichen Verhältnis beruhen (s. auch die Erläuterung zu den Verwandtschaftsbezeichnungen im Kap. 3.3.2c unter Appellativa).

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oder Herr X und Frau machen außerdem deutlich, dass weibliche Personen im direkten Geschlechtervergleich auf einen Mann bezogen gedacht werden. Darüber hinaus folgen kkP mit den Kernlexemen Frau und Mann im Default-Fall der Reihenfolge m+w; da sich die Reihenfolge nicht durch unter anderem phonologische Eigenschaften der Glieder erklären lässt, kommt ein Zusammenhang zwischen Abfolgemuster und sozialen Hierarchien als Erklärung in Frage (s. Kap. 4.1.6b). Auch weitere Befunde auf propositionaler Ebene, wonach bei Ehefrauen die finanzielle Abhängigkeit vom Ehemann herausgestellt wird (Haushalts-/Wirtschaftsgeld, s. Kap. 4.2.3d(2)), weisen auf eine soziale Hierarchie in der Relation Frau – Ehemann hin, die in kkP in der Abfolge m+w als ikonisch repräsentiert gelten kann. Diese Hierarchie der Nachgeordnetheit der Frau gegenüber dem Mann hat zudem eine Entsprechung im Bereich der Wortbildung in Konstruktionen wie Kaufmannsfrau (s. Kap. 4.1.3c). Ehelichkeit und Nachgeordnetheit sind somit charakteristischer für das Konzept FRAU und mit dem Default-Wert Frau – Ehemann im Wissenssegment VERWANDTSCHAFTLICHE RELATIONIERTHEIT verbunden. Die 1950er und 1960er sind für diesen Default-Wert sowie die Verbindung mit Ehelichkeit und Nachgeordnetheit besonders exponierte Jahre. In der Umbruchsphase der 1980er Jahren verliert die VERWANDTSCHAFTLICHE RELATIONIERTHEIT als Ganze an Prototypikalität im Konzept FRAU. RELATIONIERTHEIT hat in den Schulbüchern die Komplexität eines Unterframes, der Leerstellen eröffnet, die eine Konkretisierung dieser Relationiertheit leisten, zum Beispiel nach der Art der Relationiertheit (so bei verwandtschaftlicher Relationiertheit) oder nach der Qualität. Die QUALITÄT VON RELATIONIERTHEIT wird häufig im Zusammenhang mit weiblichen Figuren angesprochen. Prototypisch und zugleich im Geschlechtervergleich hochgradig charakteristisch ist dabei für weibliche Figuren, dass sie als empathische Wesen gezeichnet werden (Standardwert: Empathie), die sowohl ihre Emotionen wohlwollend auf Dritte richten (z. B. besorgt sein etc., s. Kap. 4.2.4) als auch Handlungen an ihnen Nahestehenden orientieren (etwa Kleider für die eigenen Kinder herstellen oder kaufen, s. Kap. 4.2.3d(2)). Kommunikation bzw. KOMMUNIZIEREN kann als weitere Leerstelle ausgemacht werden, die – wenn auch ähnlich zentral in den beiden Geschlechterkonzepten positioniert – standardwertig different besetzt ist.451 Frauen und Mädchen stiften in ihrem Kommunikationsverhalten eher Konsens, suchen den

|| 451 Da sich Kommunikation im Normalfall auf ein Gegenüber richtet, besteht hier ein Zusammenhang mit dem Frame RELATIONIERTHEIT. Bei der Analyse der Geschlechterkonzepte beschränkt sich diese Arbeit darauf, die charakteristischen Leerstellen zu benennen, ohne in jedem Fall eine Analyse ihrer Beziehung untereinander zu leisten.

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Ausgleich im Zuge einer Problemlösung (s. Kap. 4.2.3h). Kommunizieren fällt bei ihnen prototypisch kooperativ aus. Unter den Sprachhandlungen aber verliert dieser Standardwert in den vergangenen dreißig Jahren an Prototypikalität, weil mehr konfrontative bis dissentive Sprachhandlungen hinzukommen, welche die Sprecherinnen in der offensiveren Vertretung der eigenen Meinung – als ein Nebeneffekt – zudem selbstsicher erscheinen lassen (s. Kap. 4.2.3h). Ferner wird Kommunikationsbereitschaft und -fähigkeit nur an weiblichen Personen expliziert (sich gern unterhalten etc.), nutzen Mädchen unter den technischen Geräten im Vergleich zu Jungen eher solche, die unter anderem oder vorrangig der Kommunikation dienen, und trägt die elektronisch vermittelte Kommunikation eine weibliche Kodierung (s. Kap. 4.2.4; 4.2.6c), was die Leerstelle Kommunikation in jüngerer Zeit im Konzept FRAU etwas zentraler positioniert als im Konzept MANN. Wissen über die Position von Frauen im Häuslichen spielt in den Schulbüchern eine wichtige Rolle: Wiederkehrende Aussagen über weibliche Personen im Zusammenhang mit Hausarbeit und weiteren Tätigkeiten in der Sphäre Haus konstituieren im Konzept FRAU die Leerstelle HÄUSLICHE AUFGABEN. Im Geschlechtervergleich verrichten exklusiv Frauen und Mädchen über viele Jahrzehnte Hausarbeit (Kochen, Putzen, Nähen, häusliche Gebrauchsgegenstände Herstellen etc.) und halten sich zu diesem Zweck vor allem erwachsene Frauen seltener an anderen Orten als in den eigenen vier Wänden auf als Männer oder Jungen (s. Kap. 4.2.3b). An solchen HÄUSLICHEN AUFGABEN erweist sich für Frauen und Mädchen die Hausarbeit in der genannten traditionellen Form als prototypisch, Ausbesserungs- oder Renovierungsarbeiten im Haus oder in der Wohnung hingegen als vergleichsweise randständig. Spätestens ab den 1980er Jahren dann werden solche Tätigkeiten seltener, wie auch schon einige Jahre zuvor Haushaltsgegenstände als weiblicher Besitz an Vorkommenshäufigkeit abnehmen (s. Kap. 4.2.3d(3)). Zudem üben ab Mitte der 1980er nicht mehr exklusiv weibliche Personen die verbleibenden Hausarbeiten Kochen, Backen und (Hobby-) Stricken aus. Hausarbeit verliert somit sowohl an Prototypikalität für Frau-Sein als auch an Geschlechtstypizität. BERUFSTÄTIGKEIT wurde bereits eingangs im Kapitel 6.1.2 als relevante Leerstelle für das Konzept FRAU wie auch das Konzept MANN benannt. Sowohl in Form von Berufsbezeichnungen als auch in Form von Rahmensituationen, in denen Figuren berufsmäßig handeln, ist das Thema präsent. Unter den Frauen ist Berufstätigkeit nicht mit Erwerbstätigkeit gleichzusetzen. Die Tätigkeit als Hausfrau, die kein Einkommen generiert, wurde in dieser Untersuchung als nicht-erwerbsmäßige Berufstätigkeit klassifiziert. Standardwertig füllt Hausfrau im untergeordneten Frame NICHT-ERWERBSMÄßIGE BERUFSTÄTIGKEIT die Leer-

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stelle NICHT-ERWERBSMÄßIGE BERUFLICHE ROLLE.452 Diese Rolle ist eng mit jener der Mutter verknüpft; in ihren Aufgaben überschneiden sich die Zuständigkeiten der Hausfrauen mit denen von Müttern (z. B. Kochen für die Familie, Nähen von Kleidung für die Kinder). Innerhalb der Kernfamilie wird der Hausfrau zwar keine vergleichbare Verfügungsgewalt wie den Männern des Hauses zugeschrieben (s. Hausherr und Familienvater in Kap. 4.1.2a unter Verwandtschaftsbezeichnungen), dennoch ist ein hierarchisches Überlegenheitsverhältnis gegenüber Dritten Thema. Diese Hierarchie zeigt sich zum Beispiel in direktiven Sprachhandlungen gegenüber dem Gesinde (s. Kap. 4.2.3h). Wie häusliche Aufgaben ab den 1980er Jahren zunehmend an Auftretenshäufigkeit abnehmen, so verliert sowohl der Füllwert Hausfrau wie auch der gesamte Unterframe NICHT-ERWERBSMÄßIGE BERUFSTÄTIGKEIT stark an Prototypikalität im Konzept FRAU (s. Kap. 4.1.2a unter Berufsbezeichnungen). Von Beginn des Untersuchungszeitraums an gehören erwerbsmäßig tätige Frauen zum Personal der Schulbücher. Der Möglichkeitsraum weiblicher Aktivität umfasst somit stets auch Erwerbstätigkeit. ERWERBSMÄßIGE BERUFSTÄTIGKEIT ist zudem ein stabiles Wissenssegment im Konzept FRAU, auch wenn es eine weitaus weniger prototypische Leerstelle ausbildet, verglichen mit dessen Stellenwert im Konzept MANN (s. das relative Zahlenverhältnis der weiblich und männlich referierenden Berufsbezeichnungen der Tabelle 6 in Kap. 4.1.2a und der erwerbsmäßigen Handlungen in Kap. 4.2.3c). Nicht nur der Typikalitätsgrad fällt niedriger aus, auch ist Erwerbstätigkeit bei Frauen häufiger als bei Männern nicht in Form einer Personenbezeichnung ausgedrückt, sondern nur aus dem Kotext zu erschließen (s. ausführlich Kap. 4.2.3c). Erwerbstätigkeit von Frauen ist damit weniger exponiert versprachlicht und wird womöglich auch schlechter als solche rezipientInnenseitig erkannt. Sehr bemerkenswert ist im diachronen Vergleich, dass dieses Wissenssegment in den Jahren des Nationalsozialismus und der unmittelbaren Nachkriegszeit profiliert wird, weil es prototypischer als zu anderen Zeitabschnitten für Frau-Sein ist. Sowohl Mutter-Sein (und für die Familienarbeit zuständig zu sein) als auch Erwerbstätigkeit charakterisieren Frau-Sein dieser Jahre in hohem Maß, auch wenn die familiäre und die erwerbsmäßige berufliche Rolle erst ab den 1960er Jahren aufeinander bezogen thematisiert werden: Seither sprechen Schulbücher die Mehrfachbelastung von Frauen in der Rolle als Mutter und ihrer erwerbsmäßigen beruflichen

|| 452 An nicht-erwerbsmäßigen beruflichen Rollen wären ferner ehrenamtliche Tätigkeiten denkbar, die einen vergleichbaren Zeitaufwand wie eine Erwerbstätigkeit erfordern, aber nicht vergütet sind.

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Rolle an. In nur einem einzigen Fall geschieht das in den 2000er Jahren am Beispiel eines Mannes (s. weiterhin Kap. 4.2.3c). Die abrupte Rücknahme der Zentralität des Wissenssegments ERWERBSMÄßIGE BERUFSTÄTIGKEIT in den 1950er Jahren und die Stärkung der familiären Bezogenheit als Abhängigkeit vom Ehemann im Wissenssegment VERWANDTSCHAFTLICHE RELATIONIERTHEIT stellen vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Entwicklung eine Rückkehr zu einem traditionelleren Geschlechterverhältnis dar, wonach Männer die Berufswelt im Schulbuch deutlich dominieren (s. Kap. 4.1.2a unter Berufsbezeichnungen sowie Kap. 4.2.3c). Die 1980er Jahre zeigen auf propositionaler Ebene wieder einen Wandel weg von diesen Traditionen an, der in jüngsten Jahren tendenziell fortgeführt wird (s. Kap. 4.2.3c), doch bleibt ERWERBSMÄßIGE BERUFSTÄTIGKEIT auch weiterhin weniger charakteristisch für das Konzept FRAU als für das Konzept MANN. Standardwertig wird der untergeordnete Slot ERWERBSMÄßIGE BERUFLICHE ROLLE mit landwirtschaftlichen Berufen (v. a. Bäuerin) oder mit leichten Handwerksberufen (v. a. Näherin), ab den 1950er Jahren häufiger mit Verkäuferin (im Angestelltenverhältnis) und ab den 1980er Jahren mit bildungsnahen Berufen (v. a. Lehrerin) oder einem Beruf aus dem Leistungssport besetzt. Beruflicher Erfolg wird – anders als bei den Männern – im Zusammenhang mit Frauen nicht in gleicher Weise sprachlich exponiert formuliert (z. B. in Form von Berufsbezeichnungen, wie Firmenchefin, oder in prädikativ realisierten Prädikationen, wie x [= Berufsbezeichnung] ist erfolgreich); der QUALIFIKATIONSGRAD erwerbstätiger Schulbuchfrauen oder potentieller Berufe von Frauen muss bis 1970 ebenfalls nicht explizit ausgewiesen sein (z. B. in Form von -meisterin). Ferner spielen unternehmerisches Risiko und Selbständigkeit eine nur sehr marginale Rolle im Sprechen über weibliche Erwerbstätigkeit. Ansätze für eine Relevantsetzung der HIERARCHISCHEN POSITION einer Erwerbstätigen sind ab 1960 zu erkennen (s. weiterhin Kap. 4.1.2a; 4.2.3c). Noch etwas zögerlich in den 1950er Jahren und dann raumgreifender mit Beginn des umfassenden undoing gender der 1970er bis 1990er Jahre wandelt sich der (Unter-)Frame ERWERBSMÄßIGE BERUFSTÄTIGKEIT wie auch jener zu BERUFSTÄTIGKEIT im Allgemeinen qualitativ. Die Prototypikalität beruflicher Rollen nimmt ab, weil mehr unterschiedliche Rollen unterschiedlicher Hierarchieebenen und Qualifikationsgrade im Schulbuch vertreten sind. Im Übrigen wird im Schulbuch nicht nur in ‚Person‘ der Hausfrau eine enge Vernetzung zwischen beruflicher Rolle und dem Privaten (sowohl die Sphäre Haus als auch die Familie betreffend) hergestellt. Erwerbsberufe in privaten Haushalten (z. B. Alleinmädchen) sowie Berufsbezeichnungen, die in ihren Wortbildungskonstituenten ein Nähekonzept aus dem Privaten in die Berufs-

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welt übertragen (z. B. -schwester hin zu Krankenschwester), arbeiten ebenfalls daran mit, dass Berufs- und Privatwelt im Konzept FRAU enger als im Konzept MANN in Bezug aufeinander gedacht werden. Der Agentivitätsgrad der Schulbuchfiguren liegt insgesamt hoch, da von Personen ausgeführte Handlungen der Default-Fall eines Ereignisses im Schulbuch sind. Die Auswertung der verschiedenen Agentivitätsparameter hat hierbei erstaunlich geringe geschlechtstypisierende Verteilungsverhältnisse ergeben. Bei AGENTIVITÄT handelt es sich um ein eher abstraktes Wissenssegment, das mit leichter Tendenz im Konzept FRAU schwächer agentiv ausgestaltet ist als im Konzept MANN. Im Geschlechtervergleich affizieren weibliche Personen mit ihrer Handlung kaum Dritte physisch oder kontrollieren Handlungen, die als besonders agentiv einzustufen sind (s. Kap. 4.2.3d(2) und (4); 4.2.3f). In puncto Affizierung und Kontrolle weisen Handlungen von Männern und Jungen tendenziell höhere Agentivitätsgrade auf als jene der weiblichen Personen (s. ausführlicher Kap. 6.1.2b). Als auffällig in der Auswertung zur Agenshaftigkeit und damit mittelbar der Agentivität erwies sich vor allem der im Geschlechtervergleich deutlich höhere Patiens-Anteil der Weimarer und der Nachkriegsjahre unter den weiblichen Figuren, was wenigstens im Fall der Nachkriegsjahre eher durch die vergleichsweise geringe Stichprobengröße zu erklären ist (s. Kap. 4.2.2). Ein solcher Betroffenheitsstatus ist aber nicht dauerhaft charakteristischer für Weiblichkeit als für Männlichkeit. Besondere Zielgerichtetheit zeigen Frauen und Mädchen im Übrigen in Wahrnehmungshandlungen, doch sind die Vorkommen selten (s. Kap. 4.2.3g). Frauen und Mädchen haben außerdem einen Vorsprung, was den starken Agentivitätsparameter Verursachung anbelangt. Handlungen zu verursachen, meist im Sinn von, Handlungen Dritter in Auftrag zu geben, ist im Untersuchungszeitraum nämlich eher charakteristisch für Frau-Sein (s. ebenfalls Kap. 4.2.2). Wenngleich die Frauen und Mädchen keine Kontrolle darüber haben, ob die in Auftrag gegebene Handlung auch ausgeführt wird, so hat die Beauftragungshandlung der Frau oder des Mädchens doch immerhin potentiell Auswirkungen auf andere. Die Befunde zu Agentivität fallen nun keinesfalls so eindeutig aus, dass daraus geschlechtsdifferente Agentivitätsprofile abzuleiten wären – vielleicht kein spektakuläres Ergebnis, aber doch immerhin ein bemerkenswertes angesichts bisheriger Schulbuchanalysen sowie genderlinguistischer Studien zu englischen Kinderbüchern oder anderen fiktionalen Texten, in denen Agentivitätsunterschiede betont werden (vgl. z. B. Sunderland 2012). Insgesamt heben Schulbücher zwar selten auf körperliche Eigenschaften von weiblichen Personen ab, im Vergleich zu den männlichen jedoch sind ge-

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schlechtstypisierende Unterschiede bei der Ausgestaltung des Wissenssegments KÖRPERLICHKEIT festzustellen. Wissen über körperliche Eigenschaften, das im Geschlechtervergleich für Frauen und Mädchen geschlechtstypisierend ist, betrifft Qualifizierungen des Körpers und zwar Qualifizierungen ihres Aussehens. Dieser Füllwert ist in hohem Maß charakteristisch für das Konzept FRAU, weil Qualifizierungen des Körpers weitgehend exklusiv an weiblichen Personen relevant gesetzt werden, der Füllwert erweist sich aber für die Leerstelle als nicht sonderlich zentral (s. Kap. 4.2.4; 4.2.6b). Neben adjektivischen Qualifizierungen der Schönheit von Frauen und Mädchen wird auch das körperfixierte Thema Abnehmen beinahe exklusiv am Beispiel weiblicher Figuren behandelt. Die Verbindung aus Weiblichkeit und einem Schönheitsideal ist somit ebenfalls charakteristisch für das Konzept FRAU. Schönheitsideal kann dabei als Standardwert der untergeordneten Leerstelle AUSSEHEN betrachtet werden. Zum Wissenssegment KÖRPERLICHKEIT können in einem weiteren Verständnis auch Aussagen über die Kleidung von Personen gezählt werden. Bis um 1970 und in den neuesten Schulbüchern sind solche Aussagen sehr charakteristisch für Frau-Sein im Unterschied zu Mann-Sein; zudem erweisen sie sich bzw. erweist sich der Füllwert Kleidung über die Jahrzehnte hinweg als zentral im Wissenssegment KÖRPERLICHKEIT (s. Kap. 4.2.6b). Das Wissenssegment KÖRPERLICHKEIT erfährt im Konzept FRAU im Lauf des Untersuchungszeitraums eine weitere Differenzierung um sportliche Aktivität. Ab den 1980er Jahren verzeichnet der Füllwert einen Zuwachs an Prototypikalität im Wissenssegment: Profi-Sport wird im Schulbuch als Berufsbereich für weibliche Personen entdeckt (s. Kap. 4.1.2a unter Berufsbezeichnungen), Mädchen erscheinen seither auch bisweilen als sportlich leistungsfähig (z. B. als schnell, s. Kap. 4.2.4) und kommen häufiger mit Sport-Relationierungen vor (z. B. Fahrrad, Wettlauf), neuerdings auch exklusiv im Zusammenhang mit Reitsport, der in den Schulbüchern der 1990er Jahre noch nicht in diesem Maß geschlechtsexklusiv verteilt war (s. Kap. 4.2.6a). Über Besitz verfügen weibliche Figuren früh und im Vergleich zu männlichen Figuren auch ausgewogen (s. Kap. 4.2.3d). Bis 1970 weist die untergeordnete Leerstelle VERÄUßERBARER BESITZ sogar tendenziell eine weibliche Kodierung auf, ist im Geschlechtervergleich also etwas charakteristischer für das Konzept FRAU als für das Konzept MANN. Darin, was Frauen und Mädchen im Einzelnen besitzen, besessen haben etc. oder woran sie Bedarf haben, unterscheiden sie sich deutlich von Männern und Jungen. Im Geschlechtervergleich sind beide Leerstellen, VERÄUßERBARER BESITZ und BEDARF, hochgradig auffällig, also geschlechtstypisierend besetzt.

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Denn es handelt sich im Fall weiblicher Figuren bei der ART DES VERÄUßERBAREN BESITZES, ART DES BEDARFS sowie ZWECK DES BEDARFS, wie die Leerstellen feindifferenziert werden können, standardwertig um Lebensmittel oder Kleidung für den privaten Bedarf. Vermehrt ab den 1980er Jahren verlieren Lebensmittel und Kleidung an Prototypikalität und gleichen sich den Füllwerten der Leerstellen ART DES VERÄUßERBAREN BESITZES und ART DES BEDARFS im Konzept MANN an; gerade Mädchen und Jungen werden sich in ihren Bedürfnissen sowie ihrem Besitz sehr ähnlich (s. das Folgekapitel zum Konzept MANN). Erst in jüngster Zeit allerdings gelangen auch häufiger größere Vermögenswerte (Landbesitz, Wohnbesitz) in den Verfügungsbereich weiblicher (hier: erwachsener) Personen. Im Unterschied zu den Männern, vor allem den Jungen, rückt die Leerstelle WISSENSANEIGNUNG, die weitgehend deckungsgleich mit der Spezifizierung als BEREITSCHAFT ZUR WISSENSANEIGNUNG ist, ab den 1960er Jahren in Richtung Zentrum im Konzept FRAU. Diese Leerstelle ist standardwertig mit Aufmerksamkeit und Wissbegierde belegt. Nicht das erreichte Wissen wird an Frauen und Mädchen herausgestellt, sondern ihr Wissen-Wollen und die Zielorientierung tragen den Akzent (s. Kap. 4.2.4; 4.2.5). Darüber hinaus sind weitere Einzelbefunde anzuführen, die typisch bis exklusiv mit dem Konzept FRAU verbunden sind, so beispielsweise Sparsamkeit, die in der Leerstelle UMGANG MIT GELD zentral positioniert ist (s. Kap. 4.2.3e). Ferner nimmt das Wissenssegment EMOTIONALITÄT ab den 1980er Jahren an Relevanz im Konzept FRAU zu. In diese Zeit nämlich fällt die Zunahme an Kotexten, in denen Frauen und vor allem Mädchen starke positive Emotionen tragen (s. die Experiens-Auswertung in Kap. 4.2.2), die auch äußerlich einen Ausdruck finden (vor Freude hüpfen, auflachen etc., s. Kap. 4.2.4). Der Füllwert (starke) positive Emotionalität charakterisiert im Wissenssegment EMOTIONALITÄT das Konzept FRAU seither im Geschlechtervergleich in hohem Maß. Innerlichkeit von Leiden ist ebenfalls charakteristischer für Weiblichkeit als für Männlichkeit: Schwach frequent ist Frau-Sein bis 1950 enger mit nach innen gerichtetem Leiden verbunden (s. u. a. entsprechende prädikative, attributive und adverbiale Zuschreibungen, Kap. 4.2.4). Wenig charakteristischer Bestandteil des Konzepts FRAU ist hingegen im Vergleich mit dem Konzept MANN das Wissenssegment MOBILITÄT, wenngleich es ab den 1990er Jahren tendenziell relevanter gesetzt wird: Mehr und mehr, dies vor allem in den 2000ern, nutzen Frauen und Mädchen Fortbewegungsmittel und werden im aktiven Umgang mit diesen gezeigt (s. Kap. 4.2.3f). Auch das Wissenssegment BEKANNTHEIT ist seither im Konzept FRAU prominenter platziert: Berühmte Frauen finden vermehrt Eingang ins Schulbuch und machen den Anteil weiblicher Personen an der Geschichte – nicht nur der Literaturgeschich-

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te – sowie ihren Stellenwert als Personen öffentlichen Interesses besser sichtbar (s. Kap. 4.1.2b unter Berühmte Personen). Die beiden Leerstellen BEKANNTHEIT und MOBILITÄT rücken also in den 1990er Jahren von der Peripherie in Richtung Zentrum des Konzepts FRAU. b) Das Konzept Mann BERUFSTÄTIGKEIT, bei männlichen Figuren gleichzusetzen mit ERWERBSMÄßIGER BERUFSTÄTIGKEIT, nimmt eine deutlich zentralere Position im Konzept MANN als im Konzept FRAU ein. Dieser Geschlechterunterschied hat gegenwärtig Bestand, wenn auch das Wissenssegment zum einen an Geschlechtstypizität und zum anderen in beiden Geschlechterkonzepten über die Jahrzehnte an Zentralität verliert, dies bei den männlichen Figuren später (1970er Jahre) als bei den weiblichen (1950er Jahre) (s. v. a. Tabelle 6 in Kap. 4.1.2a). Männliche Figuren sind häufiger nach ihrer beruflichen Rolle bezeichnet; darüber hinaus wird auch auf propositionaler Ebene Erwerbstätigkeit im Zusammenhang mit Männern und Jungen relevanter gesetzt – sei es durch erwerbsmäßige Handlungen (z. B. Ankauf von Rohstoffen für die gewerbliche Weiterverarbeitung oder den Weiterverkauf, s. Kap. 4.2.3c), durch Aussagen zu Einkommensverhältnissen (Herr X verdient im Monat […]) oder bis vor wenigen Jahren auch durch geschlechtstypisierend verteilte Possessivkonstruktionen, die Erwerbstätigkeit mittelbar ausdrücken (sein Weg zur Arbeit impliziert: ‚er hat eine Arbeit‘, s. Kap. 4.2.3c). (ERWERBSMÄßIGE) BERUFSTÄTIGKEIT als Leerstelle im Geschlechterkonzept ist im Konzept MANN vieldimensional ausgebaut. Sie kann differenziert werden in (ERWERBSMÄßIGE) BERUFLICHE ROLLE, HIERARCHISCHE POSITION und QUALIFIKATIONSGRAD. An diesen als untergeordnete Leerstellen zu fassenden Wissenseinheiten liefert weniger die Frage nach ihren Standardwerten analyserelevante Ergebnisse, sondern ist vielmehr die Prominenz der Leerstellen als solche von Interesse. Denn diese epistemischen Einheiten werden beim Sprechen über erwerbstätige männliche Personen von Beginn des Untersuchungszeitraums an deutlich expliziter, konstanter und frequenter als im Konzept FRAU relevant gesetzt. Im Geschlechtervergleich unterscheiden sich die prototypischen Füllwerte für (ERWERBSMÄßIGE) BERUFLICHE ROLLE nicht sonderlich – landwirtschaftliche und handwerkliche Berufe (schweres Handwerk) sind zusammen mit dem Handeltreibenden bis Anfang der 1970er Jahre prototypisch (Handel ist im Konzept FRAU im vergleichbaren Zeitraum nicht ganz so zentral platziert), der Lehrer-Beruf, der Künstler-Beruf oder Sportler besetzt die Leerstelle dann in den späteren Jahrzehnten im Default-Fall. Die Rolle ist damit im Geschlechtervergleich annähernd vergleichbar standardwertig besetzt, den Künstler ausge-

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nommen.453 Geschlechtstypisierend aber ist bei aller Gemeinsamkeit erstens die enge Verbindung aus schwerem Handwerk und Mann-Sein und leichtem Handwerk und Frau-Sein. Zweitens ist die NS-Zeit mit dem prototypisch männlichen Tätigkeitsbereich Militär/Polizei wieder eine Ausnahme. Und drittens nimmt unter den Männerberufen seltener ein Mann die Rolle des Hilfsarbeiters (z. B. Knecht unter den landwirtschaftlichen Berufen) oder des Untergebenen ein, sondern häufiger die Rolle des Anweisenden und des Chefs im gleichen Tätigkeitsbereich; es gibt folglich beispielsweise mehr Bauern als Knechte (s. Kap. 4.1.2a unter Berufsbezeichnungen). Bei Frauen dagegen sind im gleichen Tätigkeitsbereich Hilfs- und Vorarbeiterinnentätigkeit häufiger gleich auf (z. B. Bäuerinnen und Mägde) oder kommen Frauen seltener in den entsprechenden Führungs- und Anweisungspositionen vor. Unterschiede bestehen auch in der Strukturierung des Wissenssegments BERUFLICHE ROLLE, das deutlich mehr Füllwerte im Konzept MANN als im Konzept FRAU anbietet. Setzt man voraus, dass sich Schüler (potentiell) eher mit männlichen Figuren als weiblichen identifizieren (und Schülerinnen entsprechend eher mit weiblichen Figuren), dann werden den Schülern hier also vielfältigere Identifikationsangebote gemacht als den Schülerinnen. Unter den beruflichen Rollen der Männer sind beispielsweise im Unterschied zu denen der Frauen exklusiv vertreten: der Pilot oder ähnliche Berufe aus dem Tätigkeitsbereich Verkehr, der Polizeibeamte oder Soldat (u. Ä. aus Militär/Polizei), der Architekt (u. Ä. aus dem Bauwesen), der Richter (u. Ä. aus dem Rechtswesen), der Bankier (u. Ä. aus dem Finanzwesen) (s. weiterhin Kap. 4.1.2a). Diese und weitere Berufe aus den genannten Tätigkeitsbereichen sind klar männlich kodiert. Wer einen Beruf hat, der kann auch erfolgreich und sogar berühmt werden – thematisiert wird ERFOLG tatsächlich überwiegend am Beispiel männlicher Schulbuchfiguren. Darunter ist aber nicht ausschließlich beruflicher Erfolg zu verstehen, sondern auch hobbymäßig-sportlicher Erfolg oder gute schulische Leistungen (s. v. a. Kap. 4.2.4). Auch BEKANNTHEIT charakterisiert das Konzept MANN im Geschlechtervergleich in besonderem Maß, noch gegenwärtig ist das Segment deutlich gegenüber dem Konzept FRAU profiliert. Männer werden als zu kennende (reale oder literarische454) Persönlichkeiten für beinahe alle denkbaren Lebensbereiche genannt. Der öffentliche Raum ist gar fast ausschließlich von Männern besetzt, wie die Auswertung der iPRF, der integrierten Personenreferenzformen (z. B.

|| 453 Künstlerische Berufe bewegen sich in der Peripherie des Konzepts FRAU. 454 Bei den hier gemeinten Persönlichkeiten handelt es sich um bekannte Figuren aus Romanen, Sagen (wie Siegfried aus dem Nibelungenlied) oder Ähnlichem.

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Bismarckstraße), gezeigt hat (s. Kap. 4.2.4 und 4.1.7). Vor allem in den kaiserzeitlichen und nationalsozialistischen Schulbüchern werden sie zu zentralen Handelnden der deutschen Geschichte gemacht, die den Erfolg einer Nation verantworteten. Am zentralsten wird die Leerstelle BEKANNTHEIT diachron mit Politiker gefüllt. Politik zu betreiben, ist zugleich im gesamten Untersuchungszeitraum hochgradig charakteristisch für Männlichkeit im Unterschied zu Weiblichkeit. Nach 1950 verliert der Politiker an Zentralität und es übernehmen literarische Figuren diese Position im Wissenssegment BEKANNTHEIT dauerhaft. Der Wirkungsbereich von männlichen Figuren liegt vornehmlich außerhalb des Privaten. Das Private und im Besonderen die Sphäre Haus spielen eine untergeordnete Rolle für Mann-Sein. Mit zuständig sind Männer vor allem ab den 1950ern für Ausbesserungs- und Renovierungsarbeiten am oder ums Haus; was bauliche Veränderungen anbelangt – wie Anbauten ans Eigenheim –, übernehmen männliche Figuren diese sogar exklusiv (s. Kap. 4.2.3b). Als zentral für die Leerstelle HÄUSLICHE AUFGABEN erweisen sich zunächst Baumaßnahmen. Gegenwärtig wird der Default-Fall abgelöst von Ausbesserungs- und Renovierungsarbeiten, die gemeinschaftlich mit den Kindern, häufig mit den Töchtern, ausgeführt werden. Jungen übernehmen außerdem seit den 1970er Jahren traditionell weibliche Aufgaben im Haus oder im Zusammenhang mit dem Haushalt (Kochen, Backen, s. Kap. 4.2.3b; Einkaufen, s. Kap. 4.2.3d(2)). Erstmals kommen also als Füllwerte der Leerstelle HÄUSLICHE AUFGABEN klassische Hausarbeit und Einkaufen (von Lebensmitteln) als haushaltsnahe Arbeit im Konzept MANN vor. Die Zuständigkeit männlicher Personen für die Sphäre Haus hängt dabei stark vom Alter ab: Erwachsene Männer übernehmen keine Hausarbeit oder Alltagseinkäufe, aber tätigen größere Anschaffungen; seit den 1970er Jahren verlieren sie diese ausschließliche Zuständigkeit für kostenintensive häusliche Gebrauchsgegenstände und teilen sie häufiger mit den Frauen (s. Kap. 4.2.3d(2)). Im Wissenssegment HÄUSLICHE AUFGABEN des Konzepts MANN spielt es somit eine große Rolle, ob über eine junge oder erwachsene männliche Person eine Aussage getroffen wird. Auch für Mann-Sein ist es in hohem Maß relevant, in der FAMILIÄREN ROLLE gezeigt zu werden. Die Leerstelle ist allerdings nicht gleichermaßen zentral im Konzept MANN platziert wie im Konzept FRAU. Standardwertig ist sie komplementär besetzt und zwar mit Vater (s. Kap. 4.1.2a unter Verwandtschaftsbezeichnungen). Mit dem hohen Stellenwert von ERWERBSMÄßIGER BERUFSTÄTIGKEIT für Mann-Sein geht einher, dass männliche Figuren in vielfältigeren Beziehungsgefügen gezeigt werden – sie sind nicht nur Vater zu Kindern oder Ehemann zur Ehefrau, sie werden auch häufiger in beruflichen Kommunikationssituationen mit Untergebenen oder Vorgesetzten gezeigt und geben häufiger

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unterschiedlicheren Personengruppen Anweisungen und Ähnliches (s. Kap. 4.2.3h). Aus diesem Grund fällt es schwer, für das Wissenssegment RELATIONIERTHEIT eine prototypische Relationiertheit – verwandtschaftliche, freundschaftliche, berufliche – anzusetzen. Ein traditioneller wesentlicher Geschlechterunterschied besteht in der Ausgestaltung des Wissenssegments KÖRPERLICHKEIT. Körperliche Leistungsfähigkeit und Leistungsbeeinträchtigung werden im Konzept MANN häufig relevant gesetzt und profilieren im Geschlechtervergleich Männlichkeit gegenüber Weiblichkeit klar. In der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraums werden am männlichen Körper Versehrtheit und Unversehrtheit thematisiert: PatiensBezeichnungen (Gefallener) oder prädikative, attributive oder adverbiale Zuschreibungen (verwundet) zeigen Männer, vor allem in den NS-Jahren, als unmittelbar Betroffene von Kriegshandlungen (sterben oder verwundet werden im Krieg etc.); männliche Figuren vereinen die große Mehrzahl an Aussagen auf sich, mittels denen die körperliche Verfasstheit qualifiziert wird (z. B. als bewusstlos, stark, gesund) (s. Kap. 4.2.2; 4.2.4; 4.2.5). Damit ist (Un-)Versehrtheit bis 1950 ein prototypischer Füllwert für die Leerstelle KÖRPERLICHKEIT. Diese Thematisierungstradition bleibt in bundesrepublikanischen Schulbüchern in Aufgaben erhalten, die Unfallsituationen als Rahmung wählen. An Prototypikalität für das Wissenssegment KÖRPERLICHKEIT im Konzept MANN nimmt bis in die 1990er der Füllwert sportliche Aktivität zu. Der Einsatz des Körpers für sportliche Aktivität ist dabei im Geschlechtervergleich klar männlich kodiert – dies zeigt sich in vielerlei Hinsicht auf sprachlicher Ebene: Über Jungen und Männer werden häufiger sportliche Aktivitäten prädiziert als über weibliche Figuren ([Sportart] spielen) ebenso wie realer sportlicher Erfolg tendenziell häufiger am Beispiel von männlichen Figuren exemplifiziert wird (s. Kap. 4.2.6a; 4.2.4). Männliche Figuren betreiben außerdem unterschiedlichere Sportarten. Obwohl über die Zeit mehr Mädchen als sportlich aktiv gezeigt werden und sich das Wissenssegment KÖRPERLICHKEIT im Konzept FRAU in dieser Hinsicht ab den 1980er Jahren erweitert (s. den vorausgehenden Gliederungspunkt), bleibt auch gegenwärtig im Geschlechtervergleich eine männliche Dominanz bestehen. Sportliche Aktivität ist in beiden Konzepten zum Unterframe ausgebaut und eröffnet beispielsweise die Leerstelle ART DER SPORTLICHEN AKTIVITÄT. Während diese bei Männern durch Mannschaftssportarten, vor allem Fußball, standardwertig besetzt ist, steht dem bei Frauen – in der Regel: Mädchen – der Wettlauf gegenüber (s. v. a. Kap. 4.2.6a). Fußball ist nicht nur der prototypische Sport von Männern, sondern auch deutlich charakteristischer für MannSein im Unterschied zu Frau-Sein. An Zentralität büßt Fußball bis in die Gegenwart im Schulbuch nicht ein, doch seine Geschlechtstypizität für das Konzept

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MANN nimmt ab, da mit der Jahrtausendwende häufiger auch Mädchen diesen Sport ausüben oder sich ihn als Fußballfan aneignen (s. auch Kap. 4.1.2a unter Gesellschaftsbezeichnungen). Darüber hinaus stellen die beinahe exklusiv an Männer vergebenen Berufe aus dem schweren Handwerk eine Verbindung zwischen Männlichkeit und Körperlichkeit, im Besonderen körperlicher Stärke, her (s. Kap. 4.1.2a unter Berufsbezeichnungen), da letztere für die Ausübung des Berufs implizit vorausgesetzt ist. Auf propositionaler Ebene erweist sich das abstrakte Wissenssegment AGENTIVITÄT als nicht sonderlich charakteristisch für ein Geschlechterkonzept (s. v. a. die Agens-Anteile an den wPRF und den mPRF in Kap. 4.2.2). Lediglich hinsichtlich des Agentivitätsgrads zeichnet sich eine leichte Tendenz zur Profilierung des Konzepts MANN gegenüber dem Konzept FRAU nach diesem Wissenssegment ab. Im Geschlechtervergleich wird Erwerbstätigkeit von Männern und Jungen frequent mit agentiveren Verben versprachlicht (Männer arbeiten, sie verdienen nicht nur, s. Kap. 4.2.3c). Auch der Kontrollgrad von Handlungen, die mit Blick auf weitere Agentivitätsparameter (Affizierung von Personen/Objekten) agentiver als andere einzustufen sind (s. Kap. 3.3.2d), liegt bei männlichen Personen tendenziell höher (s. Kap. 4.2.3d(4) und 4.2.3f). Zugleich aber wird an mPRF niedrige Agenshaftigkeit syntaktisch dadurch hervorgehoben, dass sie die Subjektstellen in passivischen Konstruktionen einnehmen (s. Kap. 4.2.5), und ist nicht nur die kontrollierte Besitzweggabe, sondern auch unkontrollierter Besitzverlust männlich kodiert (s. Kap. 4.2.3d(4)). Nicht alle Agentivitätsparameter weisen folglich auf eine Kombination von Männlichkeit und hoher Agentivität. Am stärksten arbeitet bemerkenswerterweise die Wortebene an einer Profilierung dieses Wissenssegments im Konzept MANN mit. Tätigkeitsbezeichnungen haben sich unter den Gesellschaftsbezeichnungen als charakteristischer für männliche als für weibliche Personen erwiesen (s. Kap. 4.1.2a unter Gesellschaftsbezeichnungen sowie Kap. 4.1.3b). Hohe Agentivität scheint tendenziell selbstverständlicher mit Männlichkeit zusammengedacht zu werden, was VerfasserInnen von Schulbüchern eher auf Ausdrücke zur Bezeichnung männlicher Figuren zurückgreifen lässt, welche diese als agenshaft ausweisen. Kommunikation bzw. KOMMUNIZIEREN ist an sich kein geschlechtstypisierendes Wissenssegment, doch die Art und Weise, wie kommuniziert wird, fällt über viele Jahrzehnte erheblich geschlechtsdifferent aus. Charakteristisch ist dabei im Geschlechtervergleich für das Konzept MANN, wie die Auswertung der Handlungszwecke ergab (s. die problematisierenden Sprechakte in Kap. 4.2.3h), die Bereitschaft zu Kritik, die bis zur Dekonstruktion der Position des Gegenübers

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reicht. Ebenso wirken männliche Personen in ihrem Sprechen selbstsicherer: Die eigene Meinung formulieren und vertreten, auch gegen Widerstände – dies tun vornehmlich männliche Personen (s. weiterhin Kap. 4.2.3h). Im Geschlechtervergleich sind Selbstsicherheit und Kritikbereitschaft also profilgebend für männliches Kommunikationsverhalten, während an Frauen und Mädchen Kooperativität herausgestellt wird. Ab den 1970er Jahren nähern sich die Geschlechterkonzepte dann in der Ausgestaltung des Wissenssegments an und zwar überwiegend als undoing gender im Sinn eines doing male der weiblichen Figuren, wobei Sprachhandlungen, welche die/den SprecherIn in besonderem Maß selbstsicher oder konfrontativ erscheinen lassen, noch lange eine männliche Kodierung behaupten. Im Schulbuch darf geliebt oder gehasst werden, die Figuren dürfen Liebeskummer haben oder freudig umherhüpfen. Nun ist es keineswegs so, dass das Wissenssegment EMOTIONALITÄT, welches expressive Sprachhandlungen und verbale oder nicht-verbale Aussagen über emotionale Zustände von Personen vereint, einseitig im Konzept FRAU relevant gesetzt würde. Leid beispielsweise drücken beinahe nur männliche Personen auch äußerlich aus (z. B. weinen oder jammern, s. Kap. 4.2.3g und h). Ebenfalls eine traditionell männliche Kodierung trägt emotionale Erregtheit, welche von den EmotionsträgerInnen selbst oder ihrer Umwelt als unerwünscht gelten kann (z. B. Hass oder Angst), und sind Anschlusshandlungen an emotionale Erregungszustände, wie Streiten oder Kämpfen, exklusiv männlich kodiert. Starke negative Emotionalität ist daher bis zur Umbruchsphase der 1980er Jahre sehr charakteristisch für männliche Emotionalität im Unterschied zum emotionalen Befinden von weiblichen Figuren und überdies zentral für das Wissenssegment im Konzept MANN. Dann aber nimmt dieser Füllwert im Geschlechtervergleich an Geschlechtstypizität für Mann-Sein ab, wenn auch langsam (s. Kap. 4.2.3g und h; Kap. 4.2.4). Während bei weiblichen Figuren die Bereitschaft zur Wissensaneignung herausgestellt ist, differenziert sich das Wissenssegment WISSENSANEIGNUNG im Konzept MANN stärker aus. Verschiedene Stufen des Wissenserwerbs sind im Schulbuch im Zusammenhang mit männlichen Figuren Thema. Über das Wissen-Wollen hinaus erfahren Männer und Jungen beispielsweise Qualifizierungen als begabt oder eifrig, die bis 1945 geschlechtsexklusiv vergeben sind (s. Kap. 4.2.4). Aussagen über männliche Figuren, welche das Wissenssegment WISSENSANEIGNUNG mitkonstituieren, erfassen einerseits kognitive Fähigkeiten von Figuren, andererseits die Ressourcen, die investiert werden, um Wissen erwerben zu können. Darüber hinaus hat vor allem die Auswertung der inneren Vorgänge und Zustände gezeigt, dass männliche Figuren spätestens bis in die 1980er Jahre hinein sehr viel eher als weibliche Figuren sichere Wissenszustän-

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de tragen; modale Zusätze machen außerdem deutlich, dass Männer und Jungen über Vorwissen verfügen und solches Vorwissen auf Erfahrungswerten beruht (s. Kap. 4.2.3g). Diese Befunde zeigen, dass das Wissenssegment WISSENSANEIGNUNG im Konzept MANN vielgestaltig gezeichnet ist. Ähnlich wie schon (ERWERBSMÄßIGE) BERUFSTÄTIGKEIT eröffnet es früh untergeordnete Leerstellen – zum Beispiel BEREITSCHAFT ZUR WISSENSANEIGNUNG, KOGNITIVE VORAUSSETZUNGEN, NACHHALTIGKEIT DER WISSENSANEIGNUNG –, an denen weniger die Prototypikalität im Wissenssegment WISSENSANEIGNUNG von Interesse ist, als vielmehr ihre Diversität. Im Geschlechtervergleich der Segmente wird einsichtig, dass Männlichkeit auf unterschiedlichere Weise mit Wissenserwerb in Verbindung gebracht wird als Weiblichkeit. Männlichkeit weist insgesamt mehr und unterschiedlichere Facetten auf als Weiblichkeit (s. die Differenzfigur Vielfalt vs. Beschränkung in Kap. 6.1.1e). In seiner grundsätzlich feineren Differenziertheit birgt das Konzept MANN auch größeres Potential zur Profilierung gegenüber dem Konzept FRAU: Leerstellen, die hier (MANN) eröffnet werden oder zum Unterframe ausdifferenziert sind, kommen dort (FRAU) womöglich nicht vor, sind nicht gleichermaßen ausdifferenziert oder relevant oder werden erst spät eröffnet. Das haben unter anderem die Wissenssegmente (ERWERBSMÄßIGE) BERUFSTÄTIGKEIT und WISSENSANEIGNUNG gezeigt. Auch das Wissenssegment FINANZIELLE POTENZ ist tiefer ausgebaut, weil es in vieldimensionaler Hinsicht eine sprachliche Relevantsetzung erfährt. Hierin fällt es charakteristischer für Mann-Sein als für Frau-Sein aus: Traditionell tätigen männliche Figuren größere Anschaffungen (z. B. Haushaltsgeräte, s. Kap. 4.2.3d(2); weiterhin 4.2.6c) und sind die Ehemänner Geldgeber der Ehefrauen (s. die Zuteilung von Wirtschaftsgeld in Kap. 4.2.3d(2)). Männer also sind die finanziell Potenten in der Zweierbeziehung. Ungleich sind zudem die Größenordnungen an finanziellen Mitteln, mit denen Männer/Jungen und Frauen/ Mädchen in Zusammenhang gebracht werden. Männliche Figuren verfügen beispielsweise häufiger über umfangreichere Vermögenswerte und sie können deutlich größere Summen zurücklegen als weibliche (s. ebenfalls Kap. 4.2.3e sowie Kap. 4.2.3d(3)). Verleihen und Verschenken von Geld wird mit Ausnahme der 1980er Jahre ebenfalls nur am Beispiel männlicher Figuren dargestellt und setzt wieder eine entsprechende Finanzkraft voraus (s. Kap. 4.2.3d(4)). Eng verbunden mit finanzieller Potenz ist die Frage nach dem UMGANG MIT GELD. Im Konzept MANN ist im Unterschied zum Konzept FRAU das SchuldenMachen oder -Haben zentraler positioniert (s. Kap. 4.2.3e, s. zur Geldnot auch Kap. 4.2.3d(1)). Exklusiv auf das eine oder andere Geschlecht sind die Werte allerdings über den gesamten Untersuchungszeitraum nicht verteilt; auch Män-

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ner oder Jungen können sparsam sein und auch Frauen und Mädchen verschulden sich beispielsweise in den 1960er Jahren und den neueren Schulbüchern. Überwiegend an männlichen Personen werden zudem kreative Problemlösungsprozesse expliziert. Dies bindet KREATIVITÄT im Geschlechtervergleich tendenziell enger an Männlichkeit, wenngleich die Leerstelle eine randständige Position im Konzept MANN einnimmt (s. Kap. 4.2.3h). MOBILITÄT weist eine geschlechtstypisierende Verteilung auf: Männliche Figuren verfügen häufiger über Transportmittel, wie ein eigenes Auto oder – und dies vor allem – ein Mofa, werden häufiger nach ihrer temporären Rolle als Fahrer bezeichnet oder unternehmen Reisen (s. Kap. 4.2.3f; 4.1.2a unter Gesellschaftsbezeichnungen). Bis um 1990 zählt dieses Wissenssegment zu denjenigen Wissenssegmenten, die männlich kodiert sind, weil es bis dato überwiegend bis ausschließlich an Männern und Jungen relevant gesetzt wird. Welche Sprechweisen für welches Geschlecht charakteristisch sind und zu differenzierten Geschlechterkonzepten beitragen, stand im Fokus dieses zweiten Teils der epistemisch-semantischen Analyse. Profilierungen der Geschlechterkonzepte sowie Annäherungen wurden, wo feststellbar, nachvollzogen. Vorbereitet wurde dies durch eine systematische Betrachtung, in welchem Möglichkeitsraum das Sprechen über Geschlecht und über die Geschlechter stattfinden kann. Während im Kapitel 6.1.1 die epistemischen Voraussetzungen dieses Sprechens herausgearbeitet wurden, sollen im Folgekapitel institutionelle Voraussetzungen einbezogen werden.

6.2 Zusammenführung von AkteurInnenanalyse und Schulbuchstudie Die Untersuchung des institutionellen Entstehungszusammenhangs in Kapitel 5 hat bereits gezeigt, welche unmittelbaren Kräfte auf Schulbuchwissen wirken und inwiefern regulierend auf das Sprechen über Geschlecht im Allgemeinen und im Besonderen über Frauen/Mädchen und Männer/Jungen eingewirkt wurde bzw. wird. Sie hat ebenfalls Veränderungen im Umgang mit der Geschlechterthematik im Rahmen der Schulbucharbeit und Schulbuchzulassung herausgearbeitet, dies schwerpunktmäßig für die Zeit ab 1970. Insofern sind die institutionellen Bedingungen für die Schulbuchsprache ermittelt, soweit diese über das gewählte Untersuchungsverfahren zugänglich waren. Die Ergebnisse der AkteurInnenanalyse werden nun mit der Analyse der Schulbücher zusammengeführt und die Schulbuchrealität, also jene imaginierte soziale Realität, wie sie in den untersuchten Schulbüchern vermittelt wird, mit dem behördli-

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chen Anspruch an den Umgang mit Geschlecht verglichen. Durch die diachrone Auswertungsperspektive wird erkennbar, welche Innovationen der Schulbuchsprache mit welchen veränderten Rahmenbedingungen strukturell übereinstimmen oder wo Veränderungen in den Schulbüchern früher (oder auch später), als in Behördenvorgaben gefordert, zu konstatieren sind. Die im Schulbuch (v)ermittelten Geschlechterkonzepte sind dabei nicht reduktionistisch als Spiegelungen gesellschaftlicher Realitäten zu verstehen (s. auch Kap. 1.2.3c; 2.3), sondern werden als Ergebnis einer institutionell beeinflussten Auswahl an möglichen Sprechweisen über Geschlecht begriffen. Aus dem Vergleich sind zudem Schlussfolgerungen auf den Grad der staatlichen Einflussnahme auf Schulbücher hinsichtlich des vermittelten Geschlechterwissens möglich. Im Kapitel 5.2 wurde herausgearbeitet, dass Innovationen im Umgang mit Geschlecht auf die Initiative von SchulbuchmacherInnen zurückgehen und in den Verlagsredaktionen über die Jahre ein informelles Regelwerk als Selbstanspruch an die Schulbucharbeit ausgehandelt wurde, das detaillierter als die Behördenvorgaben ausfällt. Inwiefern auch diese Aushandlungen in den Schulbüchern, vor allem den neueren, wirksam sind, soll hier ebenfalls kontrastiv untersucht werden. Ich gehe bei diesem Vergleich zunächst chronologisch vor (Kap. 6.2.1). Da erst für die Zeit ab 1970 Diskussionen um die Geschlechterdarstellung in Schulbüchern rekonstruiert werden konnten (s. Kap. 5.2), kann für vorherige Jahrzehnte lediglich der weitere rechtliche Rahmen als Vergleichsgrundlage herangezogen werden. Anschließend wird systematisch betrachtet, inwiefern die Bausteine des redaktionellen Usus in den Schulbüchern Berücksichtigung finden (Kap. 6.2.2). Zuletzt gehe ich auf bestehende Toleranzbereiche in der Schulbucharbeit ein, wie sie die Prüf- sowie Zulassungspraxis eröffnet, und führe die Maßstabsproblematik, die durch konfligierende Geschlechterverständnisse aufkommt, wie unter dem Gliederungspunkt 5.2.2q entwickelt, mit der Schulbuchanalyse zusammen (Kap. 6.2.3).

6.2.1 Chronologische Zusammenführung: Institutionell verankerte Einflussnahmen Die Festschreibung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Weimarer Verfassung scheint in der Schulbuchzulassung und in der Schulbucharbeit wenig Einfluss gezeitigt zu haben. Zwar nähern sich männliche und weibliche Figuren einander hinsichtlich der von ihnen einnehmbaren semantischen Rollen an (s. Kap. 4.2.2) und ist ein Beleg zu finden, wonach eine weibli-

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che Person erstmals und auf weitere Jahre auch das einzige Mal indirekt als Immobilienbesitzerin ausgewiesen wird (s. Kap. 4.2.3d(2)), doch fällt in diese Zeit keine umfassendere Wandeltendenz im Sprechen über die Geschlechter, wie sie erstmals in den 1950er Jahren festzustellen ist. In Weimarer Schulbüchern sind wPRF im direkten Vergleich mit mPRF sogar noch seltener als in kaiserzeitlichen Büchern (s. Kap. 4.1.1).455 Entmonarchisiert sind die Bücher hingegen schon, das hat die zeitabschnittkontrastive Auswertung zu berühmten Persönlichkeiten ergeben, wie auch PolitikerInnen insgesamt selten erwähnt werden (s. Kap. 4.1.2b unter Berühmte Personen). In dieser Hinsicht weisen Weimarer Schulbücher zeitabhängige Spezifika auf. Die NS-Jahre wiederum weisen solche Spezifika im Sprechen über Geschlecht und über die Geschlechter auf; sie betreffen gerade das in den Schulbüchern vermittelte Frauenkonzept (s. Kap. 4.5 sowie 6.3.2). Diese Spezifika können allerdings nicht durch nationalsozialistische Verordnungen, das Schulbuch betreffend, erklärt werden. Zwar wurde das Schulbuch von den NationalsozialistInnen als zentrales ideologisches Instrument erachtet (s. Kap. 5.1), doch konnten in der Rekonstruktion des institutionellen Entstehungszusammenhangs von NS-Schulbüchern keine offiziellen Bestimmungen für Schulbücher ermittelt werden, welche die Geschlechterthematik betreffen. Im Kapitel 6.3.2 werden die NS-Befunde noch einmal weiter kontextualisiert. Die ersten Neuausgaben von Schulbüchern deutscher Verlage, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges rasch eine Lizenz erlangen konnten, befinden sich unter den untersuchten Schulbüchern. Wie der diachrone Vergleich zeigt (s. z. B. Kap. 4.1.2b unter Berühmte Personen), wurden die Nachkriegsbücher nicht grundlegend neu erstellt. Sie entstanden zum Teil in Anlehnung an Schulbücher aus der Weimarer Zeit, zu einem weiteren in Anlehnung an die NSEinheitsbücher. Das Sprachbuch von 1948 (SB-48) ähnelt in Textbausteinen bis ins Detail dem NS-Sprachbuch (AB-44).456 Wenig Innovationsbereitschaft ist bei der ersten Generation der Nachkriegsschulbücher – die sogenannten Notausga-

|| 455 Aber nur, wenn die nicht eindeutig männlich referierenden PRF außen vor gelassen werden. 456 Über das im Kapitel 4 hinaus Erarbeitete ist beispielsweise anzuführen, dass das Nachkriegssprachbuch eine rassenideologische Aufgabe unter Tilgung des expliziten rassenideologischen Bezugs beibehält. Diese Aufgaben waren in keinem anderen Sprachbuch früherer Jahre zu finden und können somit als genuin nationalsozialistische gelten; aus Merkmale der nordischen Rasse […] schmales, längliches Gesicht (AB-44, 23) des NS-Buchs wird dann 1948: Allerlei Merkmale […] Körperliche Merkmale vieler Menschen: […] (SB-48, 27). Strukturell ähneln sich diese Texte weiterhin deutlich. In der Unterrichtspraxis der Nachkriegsjahre werden die Lehrkräfte den alten rassenideologischen Inhalt noch mitvollzogen haben können.

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ben unberücksichtigt gelassen (s. Kap. 3.2.1a) – zu erkennen. Besonders erstaunlich sind die Übereinstimmungen mit den NS-Büchern, schließlich standen die Verlage nach dem Krieg unter großem Existenzdruck und mussten für die erarbeiteten Schulbücher bei den Alliierten eine Zulassung erlangen, die – so möchte man meinen – auf Ähnlichkeiten zu NS-Ausgaben eher empfindlich reagiert haben mögen. Der Pragmatismus hat offensichtlich sowohl aufseiten der Verlage als auch in den Zulassungsstellen überwogen, so dass es zum Teil bei oberflächlicheren Überarbeitungen älterer Ausgaben blieb und grundlegende Änderungen erst Anfang der 1950er Jahre erfolgten. Betroffen waren von diesen oberflächlicheren Änderungen, wie im Rahmen der Auswertung festzustellen: rassenideologische und militaristische Inhalte (s. auch die seltener gewordenen männlich referierenden Berufsbezeichnungen aus dem Militärund Polizeiwesen, Kap. 4.1.2a), die Fokussierung auf das Kollektiv und nationalsozialistisches Vokabular – somit also auch die NS-spezifischen Kollektivbezeichnungen (z. B. Jungmädel, s. Kap. 4.1.2 unter Gesellschaftsbezeichnungen sowie Kap. 4.1.4). Für die Adenauer-Jahre fehlt es weiterhin an schulbuchspezifischen behördlichen Verordnungen zum Umgang mit der Geschlechterthematik, dies vermutlich (auch) deswegen, weil die Zulassungspraxis Anfang der 1970er Jahre überhaupt erst schulgesetzlich legitimiert wurde (s. Kap. 5.1). Und doch sind in den Schulbüchern starke Veränderungen im Vergleich zu den vorausgehenden Jahren bis Jahrzehnten festzustellen, welche auch die Geschlechterdarstellung betreffen. Im Kapitel 4.5 bin ich auf die ambivalenten Wandeltendenzen der 1950er und 1960er Jahre im Sprechen über vor allem weibliche Personen eingegangen: Frauen in der Rolle als Mutter, als vom Partner finanziell abhängige Ehefrau und Hausfrau werden hier zuungunsten der erwerbstätigen Frau profiliert, gleichzeitig aber finden sich vereinzelt Vorkommen besonders selbständiger, unter anderem unternehmerisch aktiver weiblicher Figuren. Das Männerbild dieser Jahre verändert sich hingegen kaum, es weist weiterhin deutlich mehr Facetten auf und ist stark geprägt von Erwerbstätigkeit, aber auch von Besitz. In Richtung Gleichbehandlung deutet die quantitative Annäherung der Präsenz weiblich referierender an männlich referierende PRF. Frauen/Mädchen und Männer/Jungen kommen in den 1950er und 1960er Jahren in ähnlicher Zahl vor, werden aber sehr unterschiedlich in ihren Möglichkeitsräumen gezeichnet (s. auch Kap. 6.1). Dies deutet auf ein Geschlechterverständnis hin, das der Lesart ‚Gleichwertigkeit bei Andersartigkeit‘ folgt. Ein solches Verständnis entspricht der Auslegungshoheit des Gleichberechtigungsgrundsatzes jener Jahre, das sich auch in den für Nordrhein-Westfalen und Bayern kursorisch einbezogenen Richtlinien und Bildungsplänen für die Volks-

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schule der 1950er oder 1960er Jahre findet. In diesen wird eine Vorbereitung der Mädchen auf ihre zukünftige Rolle als Mutter und Hausfrau gefordert. In den nordrhein-westfälischen Bestimmungen ist im Unterschied zu Bayern aber auch die Erwerbstätigkeit als erzieherisch zu unterstützende Alternative zum MutterSein genannt (s. Kap. 5.2.1). Obwohl sich die Vorgaben in puncto Erwerbstätigkeit unterscheiden, so zeigt der Vergleich von bayerischen Schulbüchern mit nordrhein-westfälischen, welche zu dieser Zeit allerdings nur vereinzelt im Korpus vertreten sind (s. Kap. 3.2.1a), dass in den Schulbüchern der beiden Länder keine stark differierenden Frauen-Konzepte vermittelt werden (s. z. B. Kap. 4.4.2). Dass die erwerbstätige Frau aus den bayerischen Vorgaben ausgespart ist, hat nicht zur Folge, dass keine erwerbstätigen weiblichen Personen in bayerischen Schulbüchern jener Jahre vorkommen. Die AkteurInnenanalyse hat ergeben, dass die Geschlechterthematik aufseiten der AutorInnen schon früh, und zwar Anfang der 1970er Jahre, zum Diskussionspunkt der Schulbucharbeit geworden war und dass die Schulbücher bereits Jahre vor der behördlichen Einforderung eine – an neuen Maßstäben ausgerichtete – gleichberechtigte Geschlechterdarstellung verfolgten (s. ausführlich Kap. 5.2.3b). Im Weiteren soll betrachtet werden, ob die untersuchten Schulbücher mit dieser Entwicklung übereinstimmen. Nicht über Nacht, so doch merklich mit Beginn der 1970er Jahre verändert sich in den Schulbüchern das Sprechen über Frauen/Mädchen und Männer/ Jungen (s. Kap. 4.5 und 6.3.4). Hier beginnt ein nachhaltiger und zwei Jahrzehnte andauernder Wandel im Umgang mit Geschlecht, der diesmal auch stärker das Konzept MANN erfasst. In den 1970er Jahren reduziert sich beispielsweise die zwischen 1950 und 1970 diachron überproportional starke Dominanz männlicher Berufstätigkeit gegenüber weiblicher deutlich und vervielfältigen sich die Berufe von Frauen nachhaltig in unterschiedlichere Qualifikationsstufen und Hierarchien (s. Kap. 4.1.2a unter Berufsbezeichnungen). Erstaunlich ist auch, dass sich die Dominanz der mPRF gegenüber den wPRF Anfang der 1980er Jahre und damit vor einem behördlichen Normierungsbestreben noch einmal halbiert (s. Kap. 4.1.1). Im Deutschbuch finden sich ab den 1970er Jahren auch deutlich mehr berühmte Literatinnen, so dass sich das Verhältnis von berühmten Vertretern und Vertreterinnen des Fachs etwas annähert (s. Kap. 4.1.2b unter Berühmte Personen). Auf propositionaler Ebene verlieren zum Beispiel Besitzrelationen an Geschlechtstypizität: Traditionelle Zuordnungen (z. B. Einkaufen als weiblich, s. Kap. 4.2.3d(2)) werden aufgebrochen und Frauen und Mädchen erweitern ihr emotionales Spektrum, auch um sozial weniger erwünschte Emotionen (s. Kap. 4.2.3g). Der Umbruch der 1970er Jahre erfasst jedoch weniger sprachliche Aspekte, als dies in den beiden Folgejahrzehnten

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dann der Fall ist. Zudem fallen in die 1970er Jahre auch Veränderungen, die in eine andere Richtung weisen; die kurzfristige Abnahme weiblicher Agenshaftigkeit wäre hier anzuführen oder die Betonung verwandtschaftlicher Relationiertheit von Frauen und Mädchen. Festzuhalten ist dennoch: Ein Schulbuchkulturwandel zum Wissensaspekt Geschlecht hat sich auch in den untersuchten Schulbüchern früher, als die offiziellen behördlichen Verlautbarungen nahelegen, vollzogen und zwar nicht erst Mitte der 1980er, sondern ab Mitte der 1970er Jahre und damit kaum später, als in den Interviews genannt. Dieser Wandel ging der AkteurInnenanalysen zufolge zu einem nicht zu unterschätzenden Teil von den AutorInnen neuer Schulbücher aus (s. Kap. 5.2.3b) und war daher auch oder vor allem eine kleine Schulbuchkulturrevolution von unten. Wie die Interviews in diesem Zusammenhang weiterhin ergeben haben, sollen Schulbuchteams für das Fach Deutsch insgesamt früher, nämlich bereits in den 1970er Jahren, Fragen der Geschlechterdarstellung im Schulbuch diskutiert sowie daraus Konsequenzen gezogen haben (s. Kap. 5.2.3b). Tatsächlich sind fachspezifische Unterschiede des Wandels zu konstatieren, wenn auch nur wenige Belege in diese Richtung weisen. Sprachbücher implementieren beispielsweise geschlechtersensible Sprache früher und vielfältiger als Mathematikbücher (Schrägstrichschreibungen neben Paarformen, Splitting sowohl auf nominaler als auch pronominaler Ebene, s. Kap. 4.1.5); in Mathematikbüchern bleiben männliche Figuren vom undoing gender, d. h. in diesem Zusammenhang von einer Adaption vormals geschlechtstypisierend weiblicher Eigenschaften, Tätigkeiten usw., zunächst fast vollständig ausgeklammert (s. z. B. die Auswertungen zu den Berufsbezeichnungen in Kap. 4.1.2a). Den Interviews nach sollen SchulbuchmacherInnen von Mathematikbüchern die Geschlechterthematik erst um die Jahrtausendwende auf die Tagesordnung gesetzt haben; ausschlaggebend hierfür waren neu akzentuierte fachdidaktische Diskurse (s. Kap. 5.2.3b). Doing male-Vorkommen weiblicher Figuren im Mathematikbuch der 1980er und 1990er Jahre können hingegen durchaus Effekt institutioneller Regulierungsversuche sein; da in der Fachkultur Mathematik Geschlechterfragen traditionell weniger Bedeutung hatten, wirkten sich die Regulierungsversuche durch Kriterienkataloge und Ähnliches möglicherweise stärker auf die Schulbucharbeit aus als im Fach Deutsch. Mitte der 1980er Jahre wurde dann die am Gleichheitsprinzip orientierte Auslegung des Gleichberechtigungsgrundsatzes für die Schulbücher der Bonner Republik verbindlich: Die 1985 in Kraft tretende Frauenkonvention und vor allem der KMK-Beschluss 1986 zur Geschlechterdarstellung im Schulbuch sind Beleg hierfür ebenso wie die länderspezifischen Ausführungsbestimmungen zur

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Schulbuchzulassung (z. B. in Form von Kriterienkatalogen) sowie mancherorts durchgeführte Schulbuchrevisionen. In den 1980er Jahren sind nun tatsächlich weitere Veränderungen im schulbuchimmanenten Geschlechterdiskurs festzustellen, die durch behördliche Maßnahmen womöglich befördert wurden. Zu einem anderen Teil können sie als Fortsetzung der kleinen Kulturrevolution von unten aufgefasst werden. Der Schulbuchwandel der 1980er Jahre betrifft nicht nur, aber weiterhin auch die Berufswelt: Frauen werden bisweilen in naturwissenschaftlich-technischen und in wenigen Fällen Männer in Care-Berufen gezeigt (s. Kap. 4.1.2a unter Berufsbezeichnungen). Frauen treten zudem wieder deutlich häufiger in erwerbsmäßigen Handlungszusammenhängen auf, nachdem dies in den 1950er Jahren stark zurückgenommen worden war (s. Kap. 4.2.3d(2)). Soziale Bindungen spielen weiterhin eine wichtige Rolle, gerade jene von Frauen und Mädchen. Doch Ehelichkeit im Besonderen hat bis 1980 ganz an Kenntlichmachungsrelevanz verloren; weibliche Personen werden nun nicht mehr nach ihrem ehelichen Status kategorisiert (s. Kap. 4.1.2a unter Verwandtschaftsbezeichnungen). Zunehmend mehr Vornamen für männliche Personen lösen deren Bezeichnung mit Nachnamen ab und verbinden Männlichkeit enger mit einem Nähekonzept, das bei weiblichen Personen seit jeher ausgeprägter war (s. Kap. 4.1.2b unter Entwicklung der Namentypen; Kap. 6.1.1e). Die traditionelle Orientierung von weiblichen Figuren auf die Sphäre Haus wird nachhaltig zurückgenommen (s. Kap. 4.2.3b). Auffällige Einzelbelege, wie der strickende Junge sowie Frauen in schweren Handwerksberufen, unterlaufen traditionelle Zuordnungen. Auch auf sprachlicher Mikroebene finden Veränderungen statt, wie das nun rasche unfreezing von m1-Abfolgen bzw. die Diversifizierung von Abfolgemustern in gemischt-geschlechtsübergreifenden kkP (s. Kap. 4.1.6b). Neu ist auch, dass in den 1980er Jahren geschlechtersensible Sprache im engeren Sinn häufiger im Schulbuch vorkommt; erstmals ist das auch bei Berufsbezeichnungen sowie Pronomen in grammatischen Beispielsätzen der Fall (er > er/sie/es, s. Kap. 4.1.5). Zahlreiche weitere Beispiele sind auf Grundlage der Auswertungen des Kapitels 4 anzuführen, die für einen umfassenden Wandel des Sprechens über die Geschlechter stehen. Die Schulbücher der 1980er Jahre bilden dabei zusammen mit denen des Folgejahrzehnts eine Hochphase des undoing gender, bei dem sich von traditionell geschlechtstypisierenden Zuschreibungen gelöst wird, auch in der Bildsprache (s. Kap. 4.4.2; zusammenfassend Kap. 4.5). Manche Schulbücher machen Geschlechtervorstellungen sogar zum Ausgangspunkt für Anschlussdiskussionen im Deutschunterricht. Dies wurde im Kapitel 4.3.3 bereits für 1984 nachgewiesen: Stereotype Festlegungen von Frauen/Mädchen

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und Männern/Jungen auf spezifische Aufgabenbereiche erfahren eine Problematisierung, wie es erst der KMK-Beschluss von 1986 fordern sollte. Dass es sich bei dem Beispiel von 1984 um eine Schulbuchausgabe unter anderem für Nordrhein-Westfalen handelt, ist vermutlich kein Zufall. Die Rekonstruktion des institutionellen Entstehungszusammenhangs hat ergeben, dass die Region, für die ein Schulbuch konzipiert wird, wenigstens in der Vergangenheit Auswirkungen darauf gehabt haben soll, wie mit Geschlecht umgegangen wird. Nordrhein-Westfalen wurde in Interviews häufig als dasjenige Bundesland genannt, das eine strenge Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes als Gleichheit der Geschlechter einforderte. Unabhängig davon, ob SchulbuchmacherInnen genauere Kenntnis von den behördlichen Bestimmungen hatten, wurde in den Interviews ein bundesrepublikanisches NordwestSüd-Gefälle in der Zulassungspraxis skizziert (s. Kap. 5.2.3b). Dieses empfundene Gefälle findet eine erste Bestätigung darin, dass ebenfalls in den Ländern Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und Schleswig-Holstein früh offizielle Schulbuchuntersuchungen zur Darstellung der Geschlechter in Auftrag gegeben wurden (s. Kap. 5.2.1). Beim Blick in die untersuchten Schulbücher ist ein solches Gefälle wenigstens tendenziell festzustellen. So unterscheiden sich jene im Korpus befindlichen Ausgaben der gleichen Reihe zwar kaum im Sprechen über die Geschlechter. Doch zeigen nordrhein-westfälische Ausgaben seit Mitte der 1980er Jahre und damit früher als bayerische größere Veränderungen, zum Beispiel in Bezug auf die Verwendung von Paarformen oder die dezidierte Thematisierung von Geschlechterstereotypen (s. Kap. 4.4.2). Die Schulbuchanalyse stützt darin die Interviewangaben, dass Verlage die gezogenen Lehren aus ihren Erfahrungen mit der Prüfpraxis in NordrheinWestfalen (und Hessen) generalisierten und in einen länderausgabenübergreifenden Usus der Schulbucharbeit überführten. Da Gleichberechtigung der Geschlechter in diesen Ländern ein vergleichsweise festes Beurteilungskriterium darstellte, die Grundausgabe eines neuen Lehrwerks in der Regel entlang der nordrhein-westfälischen Vorgaben erstellt wurde (s. Kap. 5.2.3b) und an diese der Anspruch gerichtet ist, dass sie in möglichst vielen weiteren Bundesländern zugelassen wird, hat vor allem Nordrhein-Westfalens strengere Schulbuchprüfung letzten Endes (mit-)bewirkt, dass sich ein Usus im Umgang mit der Geschlechterthematik durchsetzte, der stärker am Gleichheitsprinzip von Frau und Mann orientiert war. Bayern nahm dabei eine Sonderstellung ein, da wegen des meist deutlich unterschiedlichen Lehrplans in der Regel eine spezifische Bayern-Ausgabe erstellt werden musste. Möglicherweise hat dies die Entwicklung für bayerische Schulbücher – auch unabhängig von Änderungen in der Prüfpraxis – verzögert.

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6.2.2 Zur Umsetzung des redaktionellen Usus In der Umbruchsphase der 1980er Jahre bildete sich über die Jahre und Jahrzehnte ein redaktioneller Usus im Umgang mit Geschlecht aus (s. zusammenfassend Kap. 5.2.4). Ob dieser Usus, der sich auch aus Aushandlungen mit den Instanzen der Schulbuchzulassung ergeben hat, in den untersuchten Schulbüchern wirksam ist, sollen die folgenden Ausführungen zeigen.457 Frauen/Mädchen und Männer/Jungen erscheinen in neueren Schulbüchern durchaus als gleichberechtigt. Wie unter 6.1.1 ausgeführt, wich und weicht dabei das Paradigma der Andersartigkeit der Geschlechter unterschiedlich schnell dem der Gleichheit der Geschlechter und zwar in Abhängigkeit vom Alter der Schulbuchfiguren. Gerade die Kinder- und Jugendlichengeneration wird seit den 1980ern in vielen Bereichen und seit der Jahrtausendwende zudem in mehr unterschiedlichen Schulbüchern ohne Geschlechterunterschiede gezeichnet: Fußballspielen und Skaten sind beispielsweise Freizeitbeschäftigungen von Jungen und Mädchen, auch wenn ersteres traditionell und weiterhin männlich kodiert ist (s. Kap. 4.2.6a); beide gehen selbstverständlich mit neuen Medien um (s. Kap. 4.2.6c); Deutschbücher thematisieren die Berufswahl Jugendlicher unter anderem am Beispiel atypischer Wahlverhalten (Junge als Erzieher, Mädchen als Mechanikerin) (s. Kap. 4.3.3); initiativ in Problemsituationen verhalten sich weibliche wie männliche Personen und zunehmend ist es beiden Geschlechtern möglich, auch dissentives Verhalten zu zeigen (s. Kap. 4.2.3h). Mädchen legen nun also Verhaltensweisen an den Tag, die für ein selbstbewussteres Selbstbild stehen. Die Erwachsenenwelt des Schulbuchs einbezogen, stehen aber einige Auswertungsergebnisse dem redaktionellen Usus entgegen. Hier wäre die Übereinkunft anzuführen, Mädchen/Frauen sowie Jungen/Männer in einem gleichen Verhältnis ins Schulbuch aufzunehmen. Tatsächlich ausgezählt wurden die PRF wohl selten. Am stärksten achteten vermutlich SchulbuchmacherInnen der 1990er Jahre darauf, weil in der Gesamtschau aller Schulbücher dieser Jahre ein 1:1-Verhältnis ermittelt wurde (s. Kap. 4.1.1). Auf der Verteilung von HandlungsträgerInnenschaft soll ein weiteres Augenmerk der SchulbuchmacherInnen liegen. In den untersuchten Schulbüchern ist der redaktionelle Anspruch in folgender Hinsicht wirksam: Die Agens-Rolle ist traditionell weder deutlich männlich noch weiblich kodiert (s. Kap. 4.2.2).

|| 457 Über die Verteilung richtiger und falscher Lösungswege sowie die Würdigung historischer Leistungen von Frauen wie Männern kann keine Aussage getroffen werden, weil dies nicht miterhoben wurde und weil im Fall der historischen Leistungen im Besonderen Geschichtsbücher angesprochen sind, welche nicht Gegenstand dieser Untersuchung sind.

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HandlungsträgerInnenschaft kann über die Agens-Verteilung hinaus differenzierter betrachtet werden, beispielsweise kann stufenhaft unterschieden werden in kontrollierte und weniger kontrollierte Handlungen, in Handlungsverursachung usw. (s. Kap. 3.3.2d unter Semantik). Während in den Schulbüchern tatsächlich etwas mehr Handlungsverursacherinnen als Handlungsverursacher vorkommen, die als hochagentiv gelten, und gegenwärtig wPRF in der AgensRolle ein wenig häufiger als mPRF diese Rolle einnehmen, so weisen andere Parameter von Agentivität gestern wie heute eher auf eine tendenziell engere Verbindung von Agentivität mit Männlichkeit hin: Die Auswertung von Prädikationen des Clusters Erwerbstätigkeit (s. Kap. 4.2.3c) zeigte, dass rezeptivere Erwerbshandlungen (verdienen) und agentivere Erwerbshandlungen (arbeiten) geschlechtstypisierend verteilt sind; agentivere Fahrhandlungen, d. h. solche mit einem hohen Kontrollgrad über die Fahrhandlung, werden überwiegend von männlichen Figuren ausgeführt (s. Kap. 4.2.3f). Dagegen wird bei Männern und Jungen Patienshaftigkeit und somit niedrige Agenshaftigkeit häufiger als bei weiblichen Figuren syntaktisch passivisch realisiert, was die physisch betroffene männliche Person einmal mehr hervorhebt (s. Kap. 4.2.5). Auch ist die redaktionelle Selbstverpflichtung, berühmte Vertreter und Vertreterinnen eines Fachs möglichst ausgewogen vorkommen zu lassen, nur im Ansatz wirksam. Gegenwärtig machen berühmte Frauen nicht einmal ein Achtel an allen berühmten Personen aus und auch in zeitgenössischen Deutschbüchern liegt der Anteil an Schriftstellerinnen stets deutlich unter jenem von Schriftstellern (s. Kap. 4.1.2b unter Berühmte Personen). Zeitgenössische Schulbücher weisen dabei allerdings erhebliche Unterschiede auf. Es steht zu vermuten, dass eine Berücksichtigung von Frauenfiguren eher auf das jeweilige Team, das an der Erstellung der Bücher mitwirkt, zurückgeht; gerade in Mathematikbüchern scheint es keine wichtige Rolle für SchulbuchmacherInnen (und die Zulassungsstellen) zu spielen, ob berühmte Frauenpersönlichkeiten überhaupt vorkommen. Paritätische Verteilungsverhältnisse von PRF sind eine Strategie, beiden Geschlechtern gleiche Voraussetzungen für die Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes zu bieten. Auch wenn die Schulbücher annähernd gleich viele wPRF wie mPRF aufweisen und sie vor allem in den 1980er Jahren ein undoing gender-Wandel erfasst, bleiben in den Schulbüchern der 1990er Jahre weiterhin Berufstätigkeit und beruflicher Erfolg, der sich zum Beispiel in Führungspositionen manifestiert, klar männlich kodiert; als berühmt und bedeutend sind zudem ausschließlich männliche Personen ausgewiesen (s. Kap. 4.1.2a unter Berufsbezeichnungen sowie Kap. 4.2.4). Weiterhin wird die Mehrfachbelastung durch Arbeit und Familie beinahe ausschließlich am Beispiel von

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weiblichen Figuren thematisiert (s. Kap. 4.2.3c). Das Agieren in der Rolle als Elternteil und die Übernahme von Familienaufgaben sind dagegen seit 2000 sehr viel paritätischer auf weibliche und männliche Personen verteilt (s. Kap. 4.1.2a unter Verwandtschaftsbezeichnungen). An anderer Stelle wird an traditionellen Verteilungen, wenigstens tendenziell, festgehalten. Sportliche Aktivität, aber auch Streit beispielsweise waren und sind männlich kodiert (s. Kap. 4.2.6a) ebenso wie der Besitz großer Vermögenswerte (s. Kap. 4.2.3d(3)). Kreativität ist ferner nicht gleich auf die Geschlechter verteilt, sondern charakterisiert vornehmlich Jungen (s. Kap. 4.2.3h). Computeraffinität gilt in den neueren Schulbüchern als typisch männliche Eigenschaft. Zwar gehen beide Geschlechter mit technischen Geräten um, doch werden Jungen bevorzugt als computeraffin gezeigt, während Mädchen technische Geräte eher als Kommunikationsmittel nutzen; der männliche Computernerd auf der einen – was einer Engführung einer Darstellungstradition, die anfangs noch um Ausgleich bemüht war, entspricht – und das zum Austausch bereite Mädchen auf der anderen Seite, zugespitzt formuliert (s. Kap. 4.2.6c). Aus Interviewaussagen (s. Kap. 5.2.3b), dass auch Männer Haushaltsgeräte kaufen sollten, um der Festlegung von Frauen auf das Häusliche entgegenzuwirken, kann geschlossen werden, dass Schulbuchteams zunehmend darum bemüht waren, Männer in solchen Handlungszusammenhängen im Schulbuch zu zeigen. Haushaltskaufgegenstände sind tatsächlich lange Zeit geschlechtstypisch verteilt, doch anders, als den Interviewaussagen nach anzunehmen wäre: Denn kostenintensivere Anschaffungen für den Haushalt wurden traditionell von Männern getätigt (s. Kap. 4.2.3d(2)). In den 1980ern hat eine Veränderung dahingehend stattgefunden, dass solche Anschaffungen nun auch Frauen möglich waren. In den Schulbüchern bleiben somit geschlechtstypisierende Versprachlichungstraditionen erhalten, die in der jüngeren Schulbucharbeit und Zulassungspraxis nicht oder wenigstens nicht einfach verändert werden – zum Teil, weil dies nicht gewollt ist, wie die Diskussion in Schulbuchteams um differente Identifikationsangebote für Mädchen und Jungen gezeigt hat. Ob in diesen geschlechtstypisierenden Verteilungen der redaktionelle Selbstanspruch, stereotype Situationen, Themen und Berufszuweisungen zu vermeiden (s. die Übersicht in Kap. 5.2.4), wirksam ist oder nicht, hängt wiederum davon ab, wie eng dieser ausgelegt wird: Er kann als umgesetzt gelten, wenn Schulbücher einseitige Zuweisungen durchbrechen, oder erst dann, wenn alle Situationen, Themen, Berufszuweisungen paritätisch verteilt sind. Geschlechtersensible Aufgabenformulierungen zählen ebenfalls zum redaktionellen Konsens und sollen vor allem in Nordrhein-Westfalen und Hessen von Behördenseite eingefordert worden sein, in Bayern hingegen nicht. Auch die

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Schulbücher weisen solche Unterschiede auf, wie im vorausgehenden Kapitel 6.2.1 im Zusammenhang mit länderspezifischen Prüf- und Zulassungspraktiken bereits erwähnt. Nordrhein-westfälische Ausgaben erweisen sich als tendenziell offener gegenüber Paarformschreibungen als bayerische. Dass in Bezug auf die Verwendung geschlechtersensibler Sprache im Schulbuch im Übrigen nicht nur länderspezifische, sondern auch fachspezifische Unterschiede festzustellen sind, wurde ebenfalls unter dem vorherigen Gliederungspunkt mit der AkteurInnenanalyse in Verbindung gesetzt. Paarformen sind unter den Mitteln geschlechtersensibler Sprache beliebter als verkürzte und stärker integrative Schreibungen. Splittingschreibung mit Schrägstrich folgen weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz (s. Kap. 4.1.5). Vor allem Schül* ist als Schülerinnen und Schüler realisiert, andere Personenbezeichnungen sind deutlich seltener als Paarform formuliert. Unter anderem weil sich manche Gutachtenkritik auf die generische Verwendung von Schüler richtete (s. Kap. 5.2.3b), war zu erwarten, dass wenigstens zu Schül* geschlechtersensible Alternativen in der Schulbucharbeit Verwendung finden. Während die Paarform sehr stabil ist und kaum m1-Abfolgen kennt, weisen andere morphologisch kompleonyme Ausdrücke jüngerer Schulbücher unterschiedliche Reihenfolgen auf (s. Kap. 4.1.7). Diese Varianz der Abfolge kann mit dem Befund, dass aufseiten von SchulbuchmacherInnen ein erhöhtes Bewusstsein für Reiheneffekte besteht (s. Kap. 5.2.3b), in Verbindung gesetzt werden. Binnen-IFormulierungen sowie queertheoretisch fundierte Formen, wie zum Beispiel der (dynamische) Unterstrich, kommen allerdings in keinem untersuchten Schulbuch vor. Zugleich hat die geschlechtsübergreifende Verwendung von movierbaren Maskulina und nicht-genusfesten Ausdrücken im Maskulinum (z. B. jeder) gerade in den 2000er Jahren wieder zugenommen (s. Kap. 4.1.4). Die häufigere Verwendung geschlechtersensibler Sprache bedeutet also nicht auch eine Rücknahme von Ausdrucksweisen, die als geschlechterunsensibel gelten. Nun hat die Aufarbeitung des institutionellen Entstehungszusammenhangs ergeben, dass Ausführungsbestimmungen zur Schulbuchprüfung nur in seltenen Fällen und in stark interpretationsbedürftigen Formulierungen geschlechtersensible Sprache in Schulbüchern fordern. Dies eröffnet möglicherweise, bei aller relativen Durchsetzungskraft der behördlichen Vorgaben, einmal mehr diese besonderen Spielräume. Wenngleich geschlechtersensible Formulierungen in den Schulbüchern vorkommen, so geschieht dies außerdem eher punktuell und im gleichen Buch oft nicht konsistent (s. Kap. 4.1.5). Einige zeitgenössische Schulbücher verwenden konsequent geschlechtersensible Sprache, die Deutschbücher von Cornel-

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sen stechen dabei heraus. Bei anderen Reihen und Verlagen beider Fächer scheint es stärker vom jeweiligen AutorInnenteam abzuhängen, welche Ausdrucksweisen gewählt und in welcher Konsequenz diese eingesetzt werden. Mitunter finden sich im gleichen Textabschnitt sowohl generisch gebrauchte Maskulina als auch Paarformen; auf pronominaler Ebene werden substantivische Paarform-Schreibungen häufig aufgegeben und mit maskulinem Pronomen wiederaufgenommen. Geschlechtersensible Sprache gilt somit zwar als fester Bestandteil des redaktionellen Usus, dieser Bestandteil ist aber von niedriger normativer Qualität in der Schulbucharbeit. Auch über geschlechtersensible Sprache im engeren Sinn hinaus unterscheiden sich einzelne Schulbücher in der Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes zum Teil stark. Der AkteurInnenanalyse zufolge sei es entscheidend von der einzelnen Person abhängig – unter den Befragten beispielsweise von dem/der geschlechtertheoretisch versierten RedakteurIn oder der/dem feministisch engagierten HerausgeberIn –, in welcher Konsequenz, in welcher Detailliertheit und nach welcher theoretischen Prämisse (doing vs. undoing gender) der Grundsatz der Gleichberechtigung umzusetzen verfolgt oder aus Sicht der GutachterInnen als relevantes Bewertungskriterium angelegt wird (s. Kap. 5.2.3b). Den Gleichberechtigungsgrundsatz über einen quantitativen Zugriff auf sprachliche Einheiten zu operationalisieren (z. B. durch Auszählen der wPRF und mPRF, untergliedert nach semantischen Subgruppen), versuchen hierbei nur wenige GutachterInnen. Die in der Schulbucharbeit gegenwärtig ohnehin seltener geführte Diskussion um Frauen- und Männerkonzepte wurden inzwischen nicht dahingehend erweitert, dass vielfältigere geschlechtliche und sexuelle Identitäten thematisiert würden.458 Eine solche Erweiterung könnte sich beispielsweise dergestalt im Schulbuch äußern, dass in Mathematikaufgaben auch zwei Mütter oder zwei Väter als Eltern agieren, wie es Presseberichten zufolge in niederländischen Schulbüchern der Fall sein soll und für Baden-Württemberg im Zusammenhang mit der Umsetzung des neuen Landesbildungsplans ähnlich diskutiert wurde.459 Unisex-Vornamen, wie sie mit Alex oder Chris in den hier untersuchten Schulbüchern bisweilen in Kotexten vorkommen, die eine geschlechtsübergreifende Referenz nahelegen, kommen allerdings durchaus vor und können als eine sol|| 458 Einer Schulbuchuntersuchung von Bittner (2012, 54–69) zufolge überschreiten Biologiebücher gegenwärtig bisweilen diese Grenze, wenn Homosexualität im Rahmen des Sexualkundeunterrichts punktuell angesprochen wird. In den AutorInnenteams für Biologiebücher, die nicht zu meinen Interviewten zählten, wird der Umgang mit geschlechtlicher und sexueller Vielfalt somit wohl schon länger diskutiert. 459 Vgl. die Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau vom 04.09.2013 (Busch 2013) sowie der Schwäbischen Zeitung vom 19.10.2015 (Wieschemeyer 2015).

462 | Diskursorientierte Analyse

che Erweiterung verstanden werden. Wie einE SchulbuchautorIn auf Nachfrage erklärte, sei mit solchen Namen aber kein sprachlicher Raum für queere Geschlechterentwürfe zu eröffnen intendiert (s. Kap. 5.2.3b; s. ferner Kap. 1.2.1a). Unabhängig von der Intention ist den Vornamen ein Potential der Erweiterung dennoch weiterhin zuzugestehen. Eine umfassende Vermeidungsstrategie, Geschlecht nicht relevant zu setzen, lässt sich in den Schulbüchern nicht erkennen. So ziehen beispielsweise zahlreiche Schulbuchaufgaben die Kategorie Geschlecht als Differenzvariable heran: Jungen treten in sportlichen Wettkämpfen gegen Mädchen an, in Aufgabenstellungen wird nach dem Zahlenverhältnis von Mädchen und Jungen in einer Klasse gefragt und werden Statistiken zum Freizeitverhalten von Mädchen im Unterschied zu dem von Jungen gezeigt. Strukturell entsprechen diese Befunde dem Wunsch von SchulbuchmacherInnen, sowohl für Jungen als auch für Mädchen Identifikationsangebote zu machen, die der Selbstvergewisserung ihrer Identität als männliche oder weibliche Person dienen.

6.2.3 Toleranzbereiche und die Maßstabsproblematik Gutachtenkritik am Umgang mit Geschlecht im Schulbuch wurde häufig als nicht entscheidend von Behördenseite dafür eingestuft, ob ein Titel nun zugelassen werden soll oder die Zulassung (unter Auflagen) verweigert wird (s. Kap. 5.2.3b). Das gilt auch für die gegenwärtige Zulassungspraxis. Problematisierungen von zu wenigen Identifikationsangeboten für Mädchen im Vergleich zu solchen für Jungen oder gar harsche Kritik der GutachterInnen an Geschlechterstereotypen (z. B. Kindererziehung als Aufgabe von Frauen, Mädchen als leistungsschwach im Rechnen) waren und sind kein Grund für einen negativen Zulassungsbescheid. Manche auf den Markt gebrachten zugelassenen Schulbücher weisen und wiesen also Inhalte auf, die für GutachterInnen nicht mit dem Gleichberechtigungsgrundsatz vereinbar sind. Nun konnte in der Schulbuchanalyse in Kapitel 4 herausgearbeitet werden, dass sich Schulbücher über die Jahrzehnte nicht nur punktuell verändern, sondern beispielsweise das quantitative Verhältnis von wPRF und mPRF seit den 1980er Jahren tendenziell und gerade in den 1990er Jahren ausgeglichen ausfällt (s. Kap. 4.1.1). Erwerbstätigkeit beispielsweise aber ist in der Vergangenheit und bleibt auch in der Gegenwart männerdominiert und wird unter Männern zudem mehrdimensionaler ausgestaltet (s. Kap. 4.1.2a unter Berufsbezeichnungen sowie Kap. 4.2.3c), verwandtschaftliche Relationiertheit war und bleibt

Zusammenführung von AkteurInnenanalyse und Schulbuchstudie | 463

hingegen weiblich kodiert (s. Kap. 4.1.2a unter Verwandtschaftsbezeichnungen sowie Kap. 4.2.3d(3)), Erfolg sowie Exzellenz männlich usw. (s. v. a. Kap. 4.2.4). Die Ergebnisse der Schulbuchanalyse entsprechen somit der Gutachtenkritik, wonach Schulbücher nicht in vergleichbarem Umfang gleiche oder gleichartige Identifikationsangebote für Mädchen und Jungen machen. Manche Auswertungsaspekte folgen zudem nur vorübergehend Ausgleichstendenzen, zum Beispiel die Verteilung von Vermögen (s. Kap. 4.2.3d). Solche Zurücknahmen ebenso wie Perpetuierungen traditioneller Verteilungsverhältnisse, wie sie im Rahmen der Schulbuchanalyse ermittelt werden konnten, weisen auf größere Toleranzbereiche in der behördlichen Durchsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes nach dem Gleichheitsprinzip hin. Im Kapitel 5 wurde weiterhin herausgearbeitet, dass den behördlichen Vorgaben konfligierende Gleichberechtigungsverständnisse zugrunde liegen – zum Teil in ein und derselben Vorgabe – und dass eben diese widersprüchlichen Verständnisse auch in der Schulbucharbeit für Spannungen, wenigstens für Diskussionen sorgen (s. zusammenfassend Kap. 5.2.4). Alles dreht sich dabei um die Frage, welche Identifikationsmöglichkeiten den Kindern und Jugendlichen angeboten werden sollen: sogenannte geschlechtsspezifische oder, wie von Bremen (s. Kap. 5.2.2e) gefordert, geschlechtsübergreifende? Es ist hierbei beinahe unmöglich, eine Grenze zwischen einem Stereotyp, das im Schulbuch nicht reproduziert werden soll, weil es SchülerInnen auf Rollen und Interessen festlegt, und einem Identifikationsangebot zu ziehen, das positiv gewertet wird, weil es als geschlechtstypisch empfundene Interessen bedient, die SchülerInnen motivieren sollen. Die behördlichen Vorgaben schaffen hier keineswegs Klarheit, sondern erlauben häufig beide Auslegungen (s. Kap. 5.2.2q). So ist es den Schulbuchteams überlassen, ob sie eine – wie auch immer fassbare – gesellschaftliche Realität zum Ausgangspunkt für das Sprechen über die Geschlechter machen oder dem wirklichkeitskonstruierenden Potential von Schulbüchern mehr Gewicht geben. Zu den Ergebnissen der Schulbuchanalyse gehört nun, dass gerade unter Mädchen und Jungen de facto ein breit angelegtes undoing gender praktiziert wird und jüngere männliche wie weibliche Schulbuchfiguren in prinzipiell gleichen Rahmensituationen vorkommen. Doch in mancher Hinsicht wurde der gemeinsame Möglichkeitsraum nach 2000 auch wieder eingeschränkt und werden alte geschlechtsexklusive Möglichkeitsräume reaktualisiert. Schulbücher der 2000er oder 2010er Jahre beispielsweise relationieren Computertechnik überwiegend bis exklusiv mit Männlichkeit und thematisieren Reitsport als Freizeitbeschäftigung nicht mehr – wie in den 1980ern noch – an beiden Geschlechtern, sondern ausschließlich an Mädchen (s. Kap. 4.2.6a und c).

464 | Diskursorientierte Analyse

Da diese Diskussion im Spannungsfeld der konfligierenden Gleichberechtigungsverständnisse bislang nicht – weder durch eindeutige und einheitliche behördliche Vorgaben noch durch an Schulbuchteams als verbindlich ausgegebene redaktionelle Richtlinien – entschieden wurde, wird verständlich, warum in einem Schulbuch geschlechtstypisierend verteilte Freizeitaktivitäten und Vorlieben neben geschlechtsübergreifenden Identifikationsangeboten stehen können. Die Entscheidung für oder gegen geschlechtsdifferente und damit geschlechtstypisierende Rahmensituationen im Schulbuch hängt dabei eng mit der Frage zusammen, ob Schulbücher ein gesellschaftliches Ideal oder gesellschaftliche Realitäten abbilden sollen. Die Orientierung an realen Verhältnissen ist beispielsweise im bayerischen Kriterienkatalog der Schulbuchbewertung verankert: „Die Lebenswirklichkeit von Frauen in unserer Gesellschaft […] hinsichtlich ihrer Teilnahme am Berufsleben […] muss ausreichend dargestellt werden“, zugleich findet sich aber auch die Forderung, keinen „einseitige[n] Vorstellungen über die Position von Männern und Frauen“ Vorschub zu leisten (Allgemeiner Kriterienkatalog 2014, 8f.). Obwohl die behördlichen Vorgaben zum Teil an einem gesellschaftlichen Ideal, das in den Schulbüchern hinsichtlich der Geschlechterdarstellung umgesetzt werden soll, orientiert sind (s. z. B. Anhang 5–1: Niedersachsen460), führt ein Nebeneinander innerhalb von behördlichen Vorgaben, wie den bayerischen, möglicherweise auch dazu, dass Gutachtenkritik an typisierenden Darstellungen (z. B. kaum Vorkommen von Frauen in MINT-Berufen) keine Konsequenzen zeitigt, weil sie mit einer (angenommenen oder statistisch erhobenen) Realität kompatibel erscheinen und insofern mit den Vorgaben übereinstimmen. Die Kriterienkataloge hebeln sich damit jedoch in gewisser Weise selbst aus. Gegenwärtig wird die Frage, ob Schulbücher geschlechtersensibel gestaltet sind, den Interviewaussagen zufolge kaum mehr in der Schulbucharbeit diskutiert. Das Thema sei gewissermaßen abgehakt und zwar, weil in der Vergangenheit bereits erfolgreich ein Bewusstsein für diese Thematik geschaffen worden sei (s. Kap. 5.2.3b). Nicht erwartbar ist daher, dass gerade neuere und neueste Schulbücher eine Tendenz zu traditionellen Verteilungsregelmäßigkeiten aufweisen. Die Annäherung an frühere Sprechweisen manifestiert sich in einem sehr oberflächlichen Indikator, dem Zahlenverhältnis weiblich und männlich referierender PRF: Um die Jahrtausendwende kehrten die Schulbücher zum traditionellen männlichen Übergewicht unter den PRF zurück. Darüber hinaus wird am Beispiel erwerbstätiger Frauen Teilzeitarbeit und die Vereinbarkeit von || 460 Der Anhang ist nicht Bestandteil der Druckfassung, sondern steht zum Download unter https://www.degruyter.com/view/product/491314 bereit.

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Familie und Erwerbstätigkeit angesprochen (aber auch einmal in den 2000er Jahren am Beispiel eines Mannes, s. Kap. 4.2.3c)461 und wird das undoing gender, wie oben ausgeführt, stellenweise zurückgenommen. Gegenwärtig liegt die Aufmerksamkeit auf anderen Themen (etwa Inklusion). Die partielle traditionsorientierte Tendenz hängt mit dieser Aufmerksamkeitsverschiebung möglicherweise zusammen. Geschlechterfragen sind in der gegenwärtigen Schulbucharbeit, die forschungspraktisch zugänglich war, von untergeordneter Relevanz – auch weil die Thematik weniger dringlich erscheint, da in den Augen aller Befragten der common sense besteht, dass Frauen/Mädchen und Männer/Jungen im Schulbuch de facto gleichberechtigt dargestellt werden sollen, zunächst entkoppelt von der Frage, wie nahe sich diese Darstellung an einem gesellschaftlichen Idealzustand oder einem angenommenen Realzustand orientiert, und in welchem Umfang die Geschlechter als gleich erscheinen sollen (oder doch eher von einer Unterschiedlichkeit der Geschlechter ausgegangen wird).

6.3 Sozial- und kulturgeschichtliche Kontextualisierung Die diskursorientierte Analyse schließt mit der Kontextualisierung der Studienergebnisse, die im Kapitel 4 vorgestellt und im Rahmen der epistemischsemantischen Analyse (s. Kap. 6.1) zu Geschlechterkonzepten systematisiert wurden, in den weiten Entstehungszusammenhang der Schulbücher. Es soll im Folgenden also nachvollzogen werden, wie der schulbuchimmanente Geschlechterdiskurs in den sozial- und kulturgeschichtlichen Zusammenhang eingebunden ist. Hierin greift dieses Kapitel die Leitfragen (3) und (4.c) aus Kapitel 1.1 auf. Denn gesellschaftlich virulente common sense-Vorstellungen des zeitabhängig ‚typisch Weiblichen‘462 oder ‚typisch Männlichen‘ bestimmen mit, was SchulbuchmacherInnen letztlich zu schreiben möglich ist, unter anderem, welche Auswahl an Rahmensituationen sie treffen. Auch bildungspolitisch vertretene Geschlechterkonzepte, welche nicht zwingend mit den common sense-

|| 461 Diese Thematisierungen mögen in den 1980er Jahren als Würdigung der Mehrfachbelastung von Frauen gedacht gewesen sein und greifen insofern Forderungen aus Kriterienkatalogen auf, die besondere Situation von Frauen im Schulbuch darzustellen (s. z. B. Anhang 5–1: Bayern, online unter: https://www.degruyter.com/view/product/491314). Die Mehrfachbelastung aus Familie und Erwerbstätigkeit wird aber heute nicht mehr in der Engführung auf Frauen diskutiert; vgl. Bujard (2013) zur politischen, wissenschaftlichen sowie öffentlich-medialen Diskussion um die Einführung des Elterngelds 2007. 462 Mit diesen einfachen Anführungszeichen wird die Konstruiertheit der Kategorisierung markiert.

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Vorstellungen übereinstimmen müssen,463 können bei der Arbeit an Schulbüchern mehr oder weniger reflektiert Berücksichtigung finden, selbst wenn diese Idealkonzepte von bildungspolitischer Seite nicht unmittelbar als Vorgabe an Lehr-Lernmittel gerichtet bzw. als Maßstab an diese bei der Schulbuchzulassung angelegt werden. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu diesen öffentlichen und offiziellen Lesarten sollen unter diesem Gliederungspunkt herausgearbeitet werden, um Positionierungen des Schulbuchs zu weiteren Ausschnitten des Geschlechterdiskurses sichtbar zu machen. Diese Arbeit kann eine solche weite kontextsensitive Interpretation allerdings nur partiell und zudem lediglich kursorisch durchführen. Schwerpunktsetzungen sind bei der Fülle an Einzelergebnissen, die kontextualisiert werden, nötig. Um nicht Gefahr zu laufen, Teilbefunde zu stark zu gewichten, wurden strukturelle Befunde ausgewählt, die mit ihrem sozial- und kulturgeschichtlichen Kontext in Beziehung gesetzt werden. Ein Fokus liegt auf den ermittelten Differenzfiguren (s. Kap. 6.1.1e), ein weiterer auf den Umbruchsphasen (s. Kap. 4.5 und Kap. 6.1.2), d. h. auf den sonderstatuierten NS-Jahren, den Wandeltendenzen der ambivalenten 1950er und 1960er Jahre sowie auf dem tiefgreifenden Wandel ab Mitte der 1970er Jahre. Anschließend wird die Perspektive geweitet und werden die ermittelten übergeordneten Wandelphänomene der Individualisierung, Verkindlichung und Privatisierung (s. Kap. 4.5) kontextualisiert. Wegen des linguistischen Schwerpunkts dieser Untersuchung sollen ferner in einem Seitenblick Vorkommen und Nicht-Vorkommen geschlechtersensibler Sprache (i. e. S.) im Schulbuch vor dem Hintergrund des weiten Entstehungszusammenhangs eingeordnet werden. Der Schwerpunkt der ausgewählten Befunde liegt also auf Diskontinuitäten des Sprechens. Kontinuitäten sind mittelbar in der Auseinandersetzung mit den vergleichsweise stabilen semantischen Grundfiguren Gegenstand der kontextsensitiven Interpretation der Schulbuchstudienergebnisse. Eine darüber hinausgehende Analyse, warum das Sprechen über die Geschlechter beispielsweise über manche politische Systemwechsel hinweg weitgehend ähnlich ausfällt, ist nicht mehr Gegenstand dieser Arbeit.464

|| 463 Dies gilt gerade in autoritären und vor allem totalitären Systemen (zur Unterscheidung vgl. Linz 2003). 464 Natürlich sind über politische Systemwechsel hinwegreichende Kontinuitäten des Sprechens über Frauen/Mädchen und Männer/Jungen (beispielsweise von den kaiserzeitlichen bis hin zu den Weimarer Schulbüchern) oder Parallelen (beispielsweise Parallelen zwischen Weimarer Schulbüchern und Nachkriegsbüchern wie auch zwischen NS-Büchern und Nachkriegsbüchern) ebenfalls erläuterungsbedürftig und stellen relevante und ertragreiche Ansatzpunkte für eine kontextsensitive Interpretation dar. Jedoch kann diese Untersuchung über die Feststellung, dass Schulbuchinhalte nicht pauschal an politische Systemgrenzen gebunden sind, und

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Außerdem ist zu entscheiden, welche weiteren Ausschnitte des Geschlechterdiskurses einbezogen werden sollen. Ausgerichtet am Untersuchungsgegenstand Schulbuch, wurden bildungspolitische und gesellschaftliche Debatten zum Geschlechterverhältnis und zu Geschlechterrollen ausgewählt. In einem ersten Seitenblick wird im Zusammenhang mit den übergeordneten Wandelphänomenen zudem auf pädagogische Diskurse eingegangen, mit welchen der schulbuchimmanente Geschlechterdiskurs verschränkt ist. In einem zweiten Seitenblick werden schlaglichtartig Diskussionen um geschlechtersensible Sprache einbezogen, sowohl öffentlich-mediale Thematisierungen als auch Positionierungen von Orientierungsinstanzen (hier: EntwicklerInnen von Leitfäden für geschlechtersensible Sprache und Instanzen der Sprachberatung). Wie bereits im methodischen Grundlagenkapitel 3.1 angesprochen, ist es im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu leisten, die gewählten Diskursausschnitte in Form von linguistischen Medienanalysen zunächst zu rekonstruieren und dann mit dem schulbuchimmanenten Geschlechterdiskurs in Verbindung zu setzen. Es wurden hingegen bestehende Analysen herangezogen, und zwar sozial-, bildungs- oder geschlechtergeschichtliche Studien, in denen diese Diskursausschnitte bereits nachgezeichnet wurden. Nur in wenigen Fällen wurden außerdem zeitgenössische Texte berücksichtigt. Es sei noch einmal herausgestellt, dass es bei der Kontextualisierung in den sozial- und kulturgeschichtlichen Entstehungszusammenhang nicht darum geht, das Schulbuch in seiner Funktion als Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse zu bewerten. Einen Realitätsabgleich – nach dem Motto: Spiegelt das Schulbuch soziale Realität korrekt wider? – möchte diese Arbeit gerade nicht erbringen. Sie geht hingegen davon aus, dass Schulbücher sowohl Ergebnis bzw. Konstruktion als auch selbst Bausteine bzw. Konstrukteure einer diskursiven Praxis sind (s. Kap. 1.2.3c; Kap. 2.2). Sie vollzieht ferner nach, wie der schulbuchimmanente Geschlechterdiskurs mit kollektiv geteiltem Geschlechterwissen, wie es in kulturgeschichtlichen und -soziologischen Studien herausgearbeitet wurde, sowie mit gesellschaftlichen Debatten verbunden ist. Die Arbeit beantwortet hierin, inwiefern das Schulbuch öffentliche Auseinandersetzungen um Geschlechterfragen oder offizielle Forderungen aufgreift und dadurch in diesen Auseinandersetzungen positioniert wird.

|| die hieraus mögliche Schlussfolgerung nicht hinausgehen, dass mit einem politischen Systemwechsel nicht automatisch ein mentalitätsgeschichtlicher Wandel aufseiten der SchulbuchmacherInnen einherzugehen scheint – sofern Schulbücher überhaupt als Indikatoren für einen solchen Wandel gelesen werden können.

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6.3.1 Differenzfiguren Im Kapitel 6.1.1e wurden Differenzfiguren als für das Sprechen über männliche und weibliche Personen konstitutive abstrakte semantische Strukturen herausgearbeitet. Eine ihnen vorgelagerte Grundfigur ist die der Binarität von Geschlecht sowie die damit bis in die 1980er Jahre eng verbundene Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern. Gerade in der Konstruktion einer Andersartigkeit der Geschlechter sowie der Qualifizierung dieser Andersartigkeit schreiben die Schulbücher eine Geschlechterpolarität fort, die Hausen (1976) als kulturgeschichtliche Konstruktion des ausgehenden 18. Jahrhunderts kategorisierte. In die Zeit der Aufklärung fällt die Naturalisierung einer Geschlechterdifferenz, welche auch charakterliche Eigenschaften erfasst, die komplementär auf die beiden Geschlechter verteilt sein sollen (vgl. auch Honegger 1991).465 Ein bis ins 20. Jahrhundert (und wohl auch ins 21. Jahrhundert verlängerbares) wirkmächtiges „Aussagesystem“ (Hausen 1976, 375) wird etabliert, wonach Aktivität, (Willens-)Kraft, Rationalität sowie Öffentlichkeit und Weite in eins fallen mit Mann-Sein, Passivität, Hingebung, Emotionalität sowie Privatheit/Häuslichkeit und Nähe in eins mit Frau-Sein. Hausen versteht diese Entwicklung als einen Antwortversuch auf soziale Umbrüche des 18. Jahrhunderts: Privates und öffentliches Leben fallen auseinander, weil Hausarbeit und Erwerbstätigkeit seither an unterschiedlichen Orten stattfinden; die Hausgemeinschaft, die auch erwerbswirtschaftlich eine Einheit darstellte,466 wandelt sich zur bürgerlichen Familie; die Institution der Familie will in diesem Zusammenhang neu legitimiert werden. Dies geschieht im Verweis auf die sich ergänzende Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern sowie unter patriarchalen Vorzeichen: Frauen sind zuständig für die Reproduktionsarbeit und erst als Mutter und Ehefrau Frau; sie sind ökonomisch (und rechtlich) abhängig von Männern – zunächst vom Vater, dann vom Ehemann –, die im Außerhäuslichen ihre gesellschaftliche Produktivität entfalten (vgl. v. a. Hausen 1976, 371–375; vgl. auch Bublitz 1998; Gestrich 1999). Bereits Ende des 18. Jahrhunderts wird die beschriebene Polarität und Komplementarität der Geschlechter zum Bildungsziel erhoben

|| 465 Zuvor wurden Geschlechterunterschiede in Abhängigkeit von vermeintlichen oder tatsächlichen geschlechtstypischen sozialen Rollen bestimmt (vgl. Hausen 1976, 369f.). Die Annahme naturgegebener komplementärer Geschlechtercharaktere bleibt im Übrigen selbst unter VertreterInnen der Aufklärung nicht unwidersprochen (vgl. z. B. den Philanthropendiskurs, wie von Sanislo 2010 nachgezeichnet), setzt sich aber als dominantes kulturelles Deutungsmuster durch. 466 Vgl. hingegen kritisch zum Konzept des ganzen Hauses Opitz (1994).

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(vgl. Hausen 1976, 388–390).467 Die naturgegebene funktionale Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern wird unter anderem bis in Richtlinien und Bildungspläne der 1950er Jahre und noch bis 1998 in der Bayerischen Verfassung weitertradiert (s. Kap. 5.2.1). In ihrer Fortschreibung der Andersartigkeit der Geschlechter bis in die 1980er Jahre etablieren Schulbücher qualitativ unterschiedliche Einflusssphären der Geschlechter, wie sie bereits im angesprochenen Aufklärungsdiskurs entworfen wurden: Die Sphäre Haus und die Familie werden in den Schulbüchern enger mit dem Konzept FRAU zusammengedacht, die Außenwelt, vor allem die Welt der Erwerbstätigkeit, mit dem Konzept MANN. Im Bezugsrahmen dieser unterschiedlichen Sphären vermitteln Schulbücher gerade unter Eheleuten ein tendenziell hierarchisches Verhältnis – Frauen erscheinen Männern nachgeordnet sowie Ehefrauen von den Ehemännern finanziell abhängig (s. zu einzelnen Befunden Kap. 6.1.2a). In den Schulbüchern ist weiterhin die Verbindung von Nähe mit Weiblichkeit angelegt, wie in der Differenzfigur Nähe-Distanz beschrieben (s. Kap. 6.1.1e). Die Zuordnung von Aktivität sowie Rationalität zu Männlichkeit und Passivität sowie Emotionalität zu Weiblichkeit wird dagegen nicht pauschal etabliert (s. hierzu Kap. 6.1.2a und b). Der Aufklärungsdiskurs um die naturgegebene und körpergebundene funktionale Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern und um die Höherwertigkeit des männlichen Menschen kann ferner als kulturgeschichtliche Voraussetzung eingeordnet werden, warum in den Schulbüchern dem Mann und nicht der Frau ein menschlicher Vertretungsanspruch zugeordnet ist. Weil der männliche Mensch als höher entwickelt eingestuft wurde (vgl. Honegger 1991, 190– 196) und im Unterschied zum weiblichen Menschen beispielsweise zu höheren gesellschaftlich bedeutsamen Leistungen in Wissenschaft und Politik fähig sein sollte (vgl. Honegger 1991, 192; 206), rückten ihn die Lebenswissenschaften in den Fokus ihres Forschungsinteresses; der weibliche Mensch war nur mehr in Bezug auf sein Frau-Sein Gegenstand der Auseinandersetzung (vgl. Honegger 1991, 211). Diese Entwicklung einer Wissenschaft vom Menschen neben einer Wissenschaft von der Frau stützte ein androzentrisches Menschenbild und trieb

|| 467 Selbst bürgerliche Frauenrechtlerinnen des 19. Jahrhunderts gingen hinter die Annahme komplementärer Geschlechtercharaktere nicht zurück (vgl. Scharffenorth 1980). Auch in der deutschen Reformpädagogik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts gibt es zahlreiche VertreterInnen einer naturalistischen Geschlechterdichotomie (vgl. z. B. Kerschensteiner 1916). In sozialgeschichtlichen Untersuchungen wird ferner hervorgehoben, dass Frauen und Männer keinesfalls seit Ende des 18. Jahrhunderts in voneinander getrennten gesellschaftlichen Räumen gelebt hätten und eine große Diskrepanz herrschte zwischen dem diskursiv etablierten Ideal bzw. der gesellschaftlichen Norm und jener sozialen Realität, welche die Studien hatten rekonstruieren können (vgl. z. B. Weckel 1998; Hausen/Wunder 1992).

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die Sonderstatuierung der Frau voran. Beides, die Annahme eines männlichen Norm-Menschen und die weibliche Sonderstatuierung, liegen auch dem Sprechen über die Geschlechter in den Schulbüchern zugrunde und finden in Ansätzen auch gegenwärtig ihre Fortschreibung (s. Kap. 6.1.1e unter Der Mann als Norm-Mensch – die Frau als sein Sonderfall).

6.3.2 Sonderrolle der NS-Jahre Obwohl NS-Schulbücher in Anlehnung an Weimarer Ausgaben entstanden und eindeutige Parallelen zwischen Aufgaben aus Weimarer Rechenbüchern sowie dem NS-Einheitsrechenbuch von 1941 festzustellen sind (vgl. RB2-30 und BRB41) und obwohl das Nachkriegssprachbuch in vielen Textstellen bis ins Detail dem NS-Sprachbuch ähnelt (vgl. SB-48 und AB-44), so erweist sich der Geschlechterdiskurs in den nationalsozialistischen Schulbüchern inklusive der Ergänzungshefte dennoch als epochenspezifisch ist. Zwei Befunde aus den nationalsozialistischen Schulbüchern sollen in diesem Abschnitt kursorisch kontextualisiert werden: Zum einen der im Epochenvergleich hohe Anteil erwerbstätiger Frauen, zum anderen die seltene Verwendung von Namen – die Namen bekannter Personen ausgenommen –, sowie die häufige Verwendung von vor allem Kollektivbezeichnungen, die den NS-Jahren einen Sonderstatus zuweisen. In der nationalsozialistischen Ideologie, die 1933 mit dem Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat zur Staatsideologie erhoben wurde, ist die Mutterrolle zentraler Baustein.468 Offizielle Anweisungen, wie im Konkreten Schulbücher damit umzugehen haben, scheinen allerdings nicht aufgestellt worden zu sein. Forderungen, Schülerinnen auf die zukünftige Rolle der Mutter vorzubereiten, finden sich aber doch zahlreich in prominenten oder bildungspolitisch einschlägigen Schriften jener Jahre, beispielsweise in Hitlers Mein Kampf: „Das Ziel der weiblichen Erziehung hat unverrückbar die kommende Mutter zu sein“ (zit. nach Hartmann u. a. 2016 II, 1057 [49]), auf dessen Äußerung sich der Einführungserlaß zur Neuordnung des höheren Schulwesens von 1938 bezieht und der die Vorbereitung der Mädchen auf die Mutter-Rolle als Aufgabe aller Schulfächer ausweist (vgl. Michael/Schepp 1993, 306–312); eine

|| 468 Sie wird unter ökonomischem Druck vor allem in Kriegszeiten um das Bild der Arbeitsgefährtin bis hin zur selbständigen Arbeiterin und Kämpferin ergänzt, bleibt aber weiterhin zentrale Komponente im nationalsozialistischen Frauenbild, nicht zuletzt wegen Hitlers konservativ-traditioneller Rollenvorstellung (vgl. Schneider 2001, 105).

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solche Forderung steht außerdem in den Richtlinien über Erziehung und Unterricht in der Volksschule vom 15.12.1939: „Der Unterricht der Mädchen hat sich […] auf ihre spätere Aufgabe als Hausfrau und Mutter auszurichten“ (zit. nach Fricke-Finkelnburg 1989, 33). Gesellschaftliche Entwicklungen, die mit dieser Ideologie nicht vereinbar waren, wurden im Gegenzug gebrandmarkt. Gemäß einem Vorschlag für einen Bildungsplan für die Volksschuloberstufe aus dem Jahr 1937 sollte der Muttertag in der 7. Jahrgangsstufe zum Anlass genommen werden, um die „Stellung der Frau“ in der Weimarer Republik kritisch zu bewerten. Als untergeordnete Diskussionspunkte werden unter anderem empfohlen: „a) Das Eindringen der Frau in die Berufe. b) Die Beschäftigung der Frau in Berufen, die ihrer Natur nicht entsprachen. c) Die Verdrängung des Mannes aus den Berufen. Arbeitslosigkeit“ (Schüßler 1937, 49) sowie die Verknüpfung dieser Themen mit durch Erwerbstätigkeit verringerter Reproduktionsleistung von Frauen. Dem wird eine NS-Programmatik entgegengesetzt: a) Rückführung der Frau zu der ihrer Natur gemäßen Aufgabe als Hausfrau und Mutter. b) Die Beschränkung der berufstätigen Frau auf die ihrer Natur entsprechenden Berufe […]. d) Die Beseitigung des Doppelverdienertums. (Schüßler 1937, 49)

Erwerbstätigkeit von Frauen wird prinzipiell negativ bewertet, weil diese nicht mit ihrer ‚Natur‘469 vereinbar sei – hierin greifen NationalsozialistInnen auf zentrale Argumentationen des Aufklärungsdiskurses zurück. Weibliche Erwerbstätigkeit ist nur dann mit der NS-Ideologie vereinbar, wenn es sich um sogenannte Frauenberufe handelt. Diese sind beispielsweise im Reichserlass von 1942 über den Aufbau des frauenberuflichen Schulwesens470 nach den „Haupteinsatzgebieten der Frau in der Volksgemeinschaft“ konkretisiert und in die Tätigkeitsbereiche „Hauswirtschaft“, „Sozialpädagogik“ und „Frauengewerbe“ klassifiziert (darunter: Wäschenäherin, Schneiderin, Modezeichnerin, Gewerbelehrerin). In den Hinweisen des Bildungsplans für die Volksschuloberstufe ist dabei ein Widerspruch formuliert: Erwerbsarbeit wird als widernatürliche Tätigkeit eingestuft sowie als Ursache für einen Bevölkerungsrückgang in die Diskussion eingebracht, gleichzeitig aber wird frauentypische Erwerbstätigkeit erlaubt.

|| 469 Mit diesen einfachen Anführungszeichen wird die Konstruktion einer nicht zu hintergehenden Natürlichkeit sozialer Verhältnisse markiert. 470 Aufbau des frauenberuflichen Schulwesens, Runderlaß des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 09.06.1942 – E IV c 1600.

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Die untersuchten Schulbücher sind nur zum Teil dieser NS-Ideologie verpflichtet. Zum einen kommen in nationalsozialistischen Schulbüchern Frauen in der Rolle als Mutter und Hausfrau beinahe gleich häufig vor wie erwerbstätige Frauen.471 Weder wird folglich weibliche Erwerbstätigkeit als Sonderfall entworfen noch dominiert Mutterschaft das Frauenbild beispielsweise wie in den Jahren darauf (s. Kap. 4.1.2a). Zum anderen handelt es sich bei den erwerbsmäßigen Berufen, die im Zusammenhang mit weiblichen Personen genannt werden, zwar überwiegend um NS-ideologisch erwünschte weibliche Erwerbstätigkeit, vor allem um leichtes und Kunsthandwerk im „Frauengewerbe“, zum Beispiel als Näherin oder Putzmacherin, und um hauswirtschaftliche Berufe, zum Beispiel als Waschfrau oder Alleinmädchen, aber handelt es sich keineswegs ausschließlich um erwünschte weibliche Erwerbstätigkeit (z. B. Friseuse – neben Friseur). Folglich tragen Schulbücher den ideologischen Anspruch nur teilweise ins Klassenzimmer weiter. Als im diachronen Vergleich ebenfalls auffällig erwies sich an den nationalsozialistischen Schulbüchern vor allem die Vielzahl an Kollektivbezeichnungen, die auch im konkreten Äußerungszusammenhang mehrheitlich eine geschlechtsübergreifende Referenz aufweisen (s. Kap. 4.1.4), bei gleichzeitig gesunkenen Anteilen an Individualbezeichnungen, wie Vor- und Nachnamen (s. Kap. 4.1.2b unter Entwicklung der Namentypen). NS-Schulbücher entindividualisieren also tendenziell ihre Schulbuchfiguren (undoing person), sofern sie nicht gerade Persönlichkeiten aufführen, die für eine deutsche Nationalgeschichte für wichtig erachtet werden. Da Kollektiva in über drei Viertel der Fälle geschlechtsübergreifend referieren, wird mit diesen entindividualisierenden Ausdrücken meist die Differenzkategorie Geschlecht irrelevant gesetzt, d. h., dass mit dem undoing person der NS-Jahre mehrheitlich ein undoing gender verbunden ist (s. bereits Kap. 4.5). Dieser Befund kann als Kontrapunkt zum NSGeschlechterdiskurs, welcher die Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern betont, gelesen werden. Doch lässt er sich in anderer Hinsicht als Entsprechung und Fortschreibung nationalsozialistischer Ideologie auffassen, wenn weniger die Irrelevantsetzung von Geschlecht, sondern stattdessen die Tendenz zur Entindividualisierung fokussiert wird: Letztere ist nämlich hochgradig anschlussfähig an die Konstruktion einer nationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft‘. Zum Volksgemeinschaftskonzept gehört, dass sich das Individuum dem

|| 471 Im Kapitel 4.1.2b wurde gezeigt, dass Mutter-Vorkommen in NS-Schulbüchern 16% an allen wPRF dieses Zeitabschnitts ausmachen (s. Tabelle 9), Berufsbezeichnungen insgesamt 20%, davon 16% erwerbsmäßige Berufe und 4% Hausfrau (s. Tabelle 6 sowie die Erläuterungen unter dem Unterpunkt Berufsbezeichnungen).

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Kollektiv unter Führung einer einzelnen Person unterordnet (vgl. weiterführend Bajohr/Wildt 2009; von Reeken/Thießen 2013). Die Rücknahme an individualisierenden Sprechweisen im NS-Schulbuch entspricht dem geringen Stellenwert von Individualität in der NS-Ideologie, wie er sich beispielsweise in folgendem Auszug aus den bereits genannten Richtlinien über Erziehung und Unterricht in der Volksschule äußert: „Die Volksschule hat nicht die Aufgabe, vielerlei Kenntnisse zum Nutzen des einzelnen zu vermitteln. Sie hat alle Kräfte der Jugend für den Dienst an Volk und Staat zu entwickeln und nutzbar zu machen“ (zit. nach Flessau 1984, 88). Auch unter den Pluralkonversionen und Epikoina, die ebenfalls häufiger in NS-Schulbüchern als in Schulbüchern anderer Zeitabschnitte vorkommen, überwiegen die geschlechtsübergreifenden Referenzen deutlich (s. Kap. 4.1.4). Diese Ausdrücke abstrahieren von Einzelindividuen sowie von Kategorisierungen als Frau oder Mann. Andere Differenzkategorien werden hingegen relevant gesetzt: ‚Deutsch‘-Sein472 in der Pluralkonversion Deutsche in Abgrenzung zu Menschen mit Behinderung (z. B. Geisteskranke) oder Menschen jüdischen Glaubens (Juden) (s. ebenfalls Kap. 4.1.4). Schulbücher grenzen hierin die gleichen Personengruppen von der wir-Gruppe ‚der Deutschen‘ aus, die auch von der nationalsozialistischen Vorstellung einer ‚Volksgemeinschaft‘ ausgeschlossen sind.

6.3.3 Wandeltendenzen der 1950er und 1960er Jahre Während das Männerbild weitgehend stabil bleibt, weist das Frauenbild in Schulbüchern der 1950er und 1960er Jahre tendenziell Ambivalenzen auf. Einerseits stellen diese Schulbücher die finanzielle Abhängigkeit der Frauen von Männern heraus, verdrängen Frauen aus der Erwerbswelt und weisen expliziter als zu einer anderen Zeit Schülerinnen mit ‚Aufgaben für Mädchen‘-Passagen auf deren zukünftige Hausfrauenrolle hin. Andererseits aber kommen in Schulbüchern dieser Jahre erstmals, wenn auch nur vereinzelt, unternehmerisch aktive sowie finanzkräftige Frauenfiguren vor oder treten Frauen in den Bereichen Bildung und Erziehung in Führungsrollen auf (s. bereits Kap. 4.5; s. außerdem Kap. 4.1.2a unter Berufsbezeichnungen). Die zuvorderst genannten Befunde sind an einem traditionellen Frauenbild orientiert, das anschlussfähig ist an die nationalsozialistische Ideologie sowie den Aufklärungsdiskurs. Es || 472 Mit den einfachen Anführungszeichen wird auf die Konstruiertheit abgrenzbarer nationaler Identitäten verwiesen bzw. diese beim Lesen des Textes aktualisiert.

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weist außerdem deutliche Parallelen zum Frauenideal als Bestandteil eines Familienideals auf, wie es in der Ära Adenauer (1949–1963) selbst zu etablieren versucht wurde: Einflussreiche und einer breiteren Öffentlichkeit bekannte SoziologInnen jener Jahre, allen voran Helmut Schelsky, sahen in der traditionellen Familie – der Mann ist Familienernährer, die Frau hat Familie und Haushalt als Zuständigkeitsbereiche – den Garant gesellschaftlicher Stabilität (vgl. Schelsky 1953; vgl. ferner Moeller 1993, 117–122). Dieses Positivbild von Familie galt es nach den Kriegsjahren und der Abwesenheit der Männer durch Krieg und Gefangenschaft (vermeintlich: wieder-)herzustellen. Verheiratet zu sein, wurde auch für ledige Frauen wichtigstes gesellschaftliches Ziel. In der Nachkriegsgesellschaft mit einem deutlichen Mehranteil an Frauen gegenüber Männern machte das ledige Frauen zu Konkurrentinnen; wer in diesem Konkurrenzkampf übrig blieb, war in Form der Anrede Fräulein im gesellschaftlichen Status einer Unverheirateten markiert, der als defizitär eingestuft wurde. Der politische Geschlechterdiskurs vor allem der 1950er Jahre forcierte ebenfalls die traditionelle Geschlechterrollenverteilung. Aus der Riege der führenden PolitikerInnen ist vor allem der Bundesminister für Familie (später: für Familien- und Jugendfragen) Wuermeling zu nennen. In der Diskussion um die Reform des Bürgerlichen Gesetzbuchs demonstrierte er seine Gegnerschaft gegenüber einer Gleichberechtigung der Frauen, welche die männlich-väterliche Autorität herausforderte (vgl. Moeller 1993, 102). In einer offiziellen Broschüre des Familienministeriums verlangte er ferner, dass Frauen ihre „Gabe und Aufgabe der Selbsthingabe und Selbstverleugnung um höherer Ziele willen“ annehmen bzw. erfüllen sollten, welche „die Mutter zur verständnisvollen Lebensbegleiterin des Mannes und Vaters und zum Herzen der Familie“ (Wuermeling 1963 [1959], 25) werden ließen; erwerbstätigen Müttern warf er vor, ihre eigenen Interessen vor die der Familie zu stellen (vgl. Wuermeling 1963 [1959], 32). Darüber hinaus wurden unter Adenauer zum Beispiel mit Einführung von Kinderbeihilfen gesetzgeberische Maßnahmen getroffen sowie ein politisches Klima geschaffen, die bzw. das den Ausschluss der Frauen von Erwerbstätigkeit begünstigte(n) und das Konzept der Hausfrauenehe forcierte(n) (vgl. Moeller 1993, 179; Ruhl 1994, 332; Opielka 2002). Politik, Kirchen, Verbände und auch die Werbung propagierten ein weibliches Ideal der treu sorgenden Mutter und Ehefrau (vgl. Frevert 1986, 254; Meyer/Schulze 1985, 218), in dessen Geist auch die Volksschulbildungspläne der 1950er und noch zum Teil der 1960er Jahre entstanden (s. Kap. 5.2.1). Die hier untersuchten Schulbuchtexte aus den 1950er und 1960er Jahren, die ein Frauenbild vermitteln, in welchem die Hausfrau-

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sowie Mutter-Rolle forcierte soziale Rollen sind und Frauen tendenziell von Männern abhängig gezeichnet werden, sind dabei selbst Bausteine eines in der Ära Adenauer politisch erwünschten und durch wissenschaftliche Autoritäten gestützten Geschlechterdiskurses. Die untersuchten Schulbücher jener Jahre gehen dabei jedoch nicht so weit, dass sie beispielsweise weibliche Erwerbstätigkeit abwerteten. Stellenweise durchbrochen werden diese traditionellen Akzentuierungen im Sprechen über die Geschlechter durch Sprechweisen, die in Ansätzen ein neues, selbständigeres Frauenbild etablieren.

6.3.4 Umbruch seit den 1970er Jahren Ab den 1970er Jahren ändert sich das Sprechen über die Geschlechter nachhaltig. Geschlechtsübergreifende Veränderungen, beispielsweise der Einzug neuer Berufsfelder in die Schulbücher (Kunst, Bildung, Berufssport), stehen neben Veränderungen, die etablierte Zuordnungen (weiblich und Haus/Familie, häusliche Aufgaben vs. männlich und öffentlich-gewerbliche Kontexte sowie Tätigkeiten) betreffen. Beispielsweise differieren die Berufsbezeichnungen für weibliche Figuren jetzt auch häufiger nach Qualifikationsgraden und Hierarchieebenen (s. Kap. 4.1.2a unter Berufsbezeichnungen). Unter den Kindern und Jugendlichen sind Aussagen zu finden, die zuvor geschlechtstypische Zuordnungen aufbrechen (z. B. einkaufende Jungen, s. Kap. 4.2.3d(2)). Solche Vorkommen von undoing gender häufen sich in den 1980er Jahren, wie auch insgesamt das Sprechen über die Geschlechter in diesem Jahrzehnt hinsichtlich umfangreicherer Aspekte als noch in den 1970er Jahren Veränderungen aufweist: Jungen backen, Frauen werden in technischen Berufen gezeigt, Fußball wird nun auch von weiblichen Personen gespielt oder interessiert verfolgt und Schnelligkeit ist seither nicht mehr nur eine Eigenschaft von männlichen Figuren. Weibliche Figuren erweitern außerdem sukzessive ihren Handlungsradius, unter anderem ihr Spektrum an Sprachhandlungen, und problematisieren nach und nach beispielsweise Sachverhalte oder Aussagen anderer (s. Kap. 4.2.3h). Traditionelle Sprechweisen finden in dieser Umbruchszeit mitunter ein Ende, so geschehen in Bezug auf sprachliche Relevantsetzungen des Ehe-Status ausschließlich bei Frauen; zeitgenössische Schulbücher machen keinen quantitativen Unterschied mehr zwischen weiblichen und männlichen Elternbezeichnungen (s. Kap. 4.1.2a unter Verwandtschaftsbezeichnungen). In Sprachbüchern der 1980er Jahre werden Geschlechterstereotype auch erstmals dezidiert thematisiert und die SchülerInnen zu einer kritischen Auseinandersetzung mit geschlechtstypisierenden Sprechweisen angeleitet (s. Kap. 4.3.3). Neu ist in den

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80ern überdies, dass die Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbstätigkeit in Rahmensituationen von Rechen-/Mathematikbüchern mitthematisiert wird, dies allerdings überwiegend an Frauen (einmal an einem Mann, s. Kap. 4.2.3c). Im Kapitel 4.5 wurden solche Wandeltendenzen bereits zusammengeführt und die Jahre 1970 bis 1990 als Umbruchsjahre benannt. Die im Rahmen der epistemisch-semantischen Analyse ermittelten konstitutiven Differenzfiguren verlieren seither partiell an Wirkmacht (s. Kap. 6.1.1e). Im Kapitel 6.2.1 konnte gezeigt werden, dass der Schulbuchwandel zeitlich vor einem Paradigmenwechsel behördlicher Verlautbarungen vonstattenging, d. h. vor der behördlichen Einforderung einer an neuen Maßstäben – dem Gleichheitsprinzip – ausgerichteten gleichberechtigten Geschlechterdarstellung. Mindestens bis Ende der 1960er Jahre nämlich forderten länderspezifische Richtlinien oder Bildungspläne in Übereinstimmung mit der dominierenden Auslegung des Gleichberechtigungsgrundsatzes noch eine geschlechtstypische bzw. -typisierende Erziehung in Vorbereitung auf angeblich biologisch-ontologisch vorgegebene Wirkungskreise der Geschlechter, dies vor allem im Verweis auf die weibliche Reproduktionsarbeit (s. Kap. 5.2.1).473 Und erst in den 1980er Jahren wurden die Zulassungsvoraussetzungen für Schulbücher in vielen Bundesländern spezifiziert, unter anderem auch hinsichtlich der Frage, wie Frauen/Mädchen und Männer/Jungen in den Schulbüchern dargestellt sein sollten. Diese Kriterienkataloge und Zulassungsverordnungen folgen im Vergleich zu den Richtlinien und Bildungsplänen einer veränderten Auslegung des Gleichberechtigungsgrundsatzes; Festlegungen auf geschlechtsexklusive Sphären und Aufgaben werden darin abgelehnt, im Speziellen in Bezug auf die Darstellung von Frauen (v. a. Festlegung auf die Hausfrauenrolle), geschlechtsspezifische Angebote für Mädchen und Jungen aber werden weiterhin gewünscht – diskutabel bleibt, wo bei geschlechtsspezifischen Angeboten die Grenze zu stereotypen Angeboten verläuft, die ja gerade als nicht wünschenswert gelten (s. Kap. 5.2.2). Die Schulbücher der 1970er Jahre greifen flächendeckenden behördlichen Normierungsversuchen vor und positionieren sich mit ihren veränderten Sprechweisen in gesellschaftlichen Diskursen ihrer Zeit: Ende der 1960er Jahre erfasste die Bundesrepublik ein tiefgreifender gesellschaftlicher Transformationsprozess, der eng mit der Studierendenbewegung von 1968 und der daraus erwachsenen antipatriarchalen Frauenbewegung verbunden ist. Letztere nahm ebenfalls 1968, mit Gründung des „Aktionsrats zur Befreiung der Frau“ ihren Anfang und verschaffte sich in den 1970er Jahren || 473 Im Fall Bayerns kann sich hierin bis 1998 auf die Landesverfassung berufen werden, s. ebenfalls Kapitel 5.2.1.

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zunehmend Gehör. Ihre UnterstützerInnen forderten einen gesellschaftlichen Wandel, der auch oder vor allem im Privaten – im persönlichen Verhältnis von Frauen und Männern, aber auch im Verhältnis von diskriminierten Minderheiten, wie homosexuellen Frauen, und einer Mehrheitsgesellschaft (vgl. Lenz 2010, 225–234) – vollzogen werden sollte. In der Formel „Das Private ist politisch“ wird dieser Anspruch deutlich (vgl. für einen kurzen Überblick Hertrampf 2008). Mit der öffentlichkeitswirksamen Abtreibungskampagne um den §218 des Strafgesetzbuchs überschritt die Frauenbewegung Anfang der 1970er das studentische Milieu und konnten Frauen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen für frauenpolitische Interessen mobilisiert werden (vgl. Frevert 1986, 280; Nave-Herz 1997, 62). Eine breitere Öffentlichkeit wurde nicht nur durch aufsehenerregende Einzelaktionen erreicht und in Teilen für frauenspezifische Belange sensibilisiert, sondern auch durch zunehmend publizistisches Engagement aus den Reihen der Frauenbewegten (z. B. durch Gründung feministischer Verlage und Zeitschriften), durch Diskussionen um frauenpolitische Forderungen (z. B. jene des Bundesfrauenkongresses von 1972 zur Situation erwerbstätiger Frauen und zur Familie) oder auch durch medial begleitete arbeitspolitische Maßnahmen (z. B. eine Streikwelle von Arbeiterinnen, die sich für Lohngleichheit einsetzten) (vgl. Frevert 1986, 280–283; Hertrampf 2008). Hierin wurde geschlechtsspezifische Diskriminierung als Thema in die Öffentlichkeit getragen. In der Frage, wie sich soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern reproduzierte, rückten auch das Bildungssystem bzw. die schulische Sozialisation und in diesem Zusammenhang wiederum Schulbücher in den Fokus des Interesses. Ab den 1970er Jahren wurde unter anderem von PädagogInnen und PublizistInnen Kritik an Schulbüchern und den darin vermittelten Geschlechtervorstellungen geübt: Schulbücher beförderten ein traditionelles Rollenbild von Männern und Frauen und schrieben Geschlechterstereotype fort, sie zeigten Frauen kaum als erwerbstätig und anderweitig selbständig, legten Mädchen schon früh auf die Rolle der Hausfrau und Mutter fest, während Jungen in den Schulbüchern vielfältigere Lebensentwürfe aufgezeigt würden, sie aber kaum positive männliche Rollenvorbilder für häuslich-familiäre Aufgaben fänden (s. Kap. 1.2.2a und b; s. auch Anhang 1–1474). Auf diese Kritik geben Schulbücher der 1970er und einmal mehr der 1980er Jahre eine Antwort im eingangs zu diesem Aspekt beschriebenen Sinn: Geschlechtstypisierendes Verhalten von Mädchen und Jungen im Schulbuch wird durchkreuzt, die erwachsene Frau ist fa|| 474 Der Anhang ist nicht Bestandteil der Druckfassung, sondern steht zum Download unter https://www.degruyter.com/view/product/491314 bereit.

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cettenreicher gezeichnet, der erwachsene Mann wird auch in familiären Bezügen häufiger gezeigt. Die Mehrfachbelastung aus Familienarbeit und Erwerbstätigkeit hat zu diesem Zeitpunkt (und auch bis in die Gegenwart kaum) den Status eines Problems auch von Männern. Die Diskussionen um Geschlechtergerechtigkeit und die Gleichheit der Geschlechter jener Jahre verband sich mit der seit Mitte der 1960er Jahre immer lauter geführten Diskussion um mehr Chancengleichheit im Bildungssystem sowie um die Bildungsbenachteiligung von Mädchen (vgl. Dahrendorfs Formel „Katholische Arbeitertochter vom Land“). Bildungschancengleichheit und die Gleichstellung von Frauen im Ehe- und Familienrecht fanden sich 1969 im Regierungsprogramm der sozialliberalen Koalition unter Führung Brandts wieder (vgl. Borowsky 2002). Auf Bundesebene bestand somit mindestens zu Beginn der 1970er Jahre ein politisches Klima, das sich gegenüber gleichstellungsorientierten Forderungen aufgeschlossen zeigte (vgl. Frevert 1986, 282; vgl. zu einzelnen politischen Maßnahmen Borowsky 2002; vgl. einschränkend hingegen Opielka 2002). Der Umbruch der Schulbücher im Sprechen über die Geschlechter ab den 1970er Jahren kann somit als Ergebnis und zugleich Bestandteil einer gesellschaftlichen, von politischen EntscheidungsträgerInnen mitgestalteten Umbruchszeit gedeutet werden. Der politische Diskurs akzentuierte in den 1980er Jahren zwar in einer CDU/CSU-geführten Regierung wieder ein Familienmodell mit traditioneller Rollenverteilung (vgl. Frevert 1986, 284; Opielka 2002). Die Schulbücher aber bauen in diesen Jahren undoing gender-Praktiken weiter aus, wenn auch die Mehrfachbelastung von Frauen durch Familienarbeit und Erwerbstätigkeit in den 1980ern als Problem eingeführt wird.

6.3.5 Individualisierung, Verkindlichung, Privatisierung Im Untersuchungszeitraum zeichnen sich übergeordnete Wandelphänomene im Sprechen über Personen ab, die beide Geschlechter, wenn auch mitunter in unterschiedlicher Ausprägung, betreffen. Im Kapitel 4.5 wurden diese Phänomene bereits als Individualisierung, Verkindlichung, Privatisierung benannt. Eine Individualisierung und Verjüngung der Schulbuchfiguren erfolgt dadurch, dass personale Referenz häufiger in Form von Nachnamen und gerade ab den 1960er Jahren zunehmend in Form von Vornamen versprachlicht werden, welche kotextuell beinahe ausschließlich Kinder und Jugendliche bezeichnen (s. Kap. 4.1.2b unter Entwicklung der Namentypen). Über den Untersuchungszeitraum seltener werden zudem Schulbuchtexte, in denen geschlechtsreferentiell uneindeutige PRF mit referenzfunktional nicht-spezifischer Referenz

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vorkommen, nach dem Muster Ein Arbeiter / Ein Schüler macht x (s. v. a. die geschlechtsreferentiell uneindeutigen Maskulina in Tabelle 18 in Kap. 4.1.3a). Die Tendenz zur individuelleren Zeichnung von Schulbuchfiguren lässt sich in den soziologischen Diskurs um einen grundlegenden Wertewandel in modernen liberalen Gesellschaften, wie die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft eine ist, einordnen. In Westdeutschland erreichen mit dem sogenannten Wirtschaftswunder der 1950er und 1960er Jahre breite Bevölkerungsgruppen mehr Wohlstand, der neue Konsummöglichkeiten eröffnet. Zugleich werden im Zuge der Bildungsexpansion der späten 1960er Jahren mehr und differenziertere Bildungsangebote gemacht. Unter anderem diese sozialen Veränderungen sollen zu einem größeren Gestaltungsspielraum des individuellen Handelns geführt haben, das weniger als zuvor von sozialen Kategorien, wie zum Beispiel der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht, bestimmt wird (vgl. z. B. Beck 1986). Das Individuum gewinnt so an gesellschaftlicher Bedeutung. Die mit der Individualisierung eng verbundene Verkindlichung der Schulbuchwelt äußert sich nicht nur darin, dass mehr Kinder und Jugendliche in der Schulbuchwelt auftreten oder diese Figuren häufiger im Zusammenhang mit Aktivitäten, Gegenständen und Aufenthaltsbereichen, welche für Kinder und Jugendliche einschlägig sind, vorkommen (z. B. Fahrrad fahren, Musikabspielgeräte, Schule). Darüber hinaus sind vor allem in den Aufgabenstellungen der Rechenbücher aus den 1950er Jahren Veränderungen in der Kommunikation mit den SchulbuchnutzerInnen festzustellen. So sind die Rahmensituationen eher motivationalen Bedürfnissen von Kindern (und Jugendlichen) entsprechend konzipiert – so bringen sie Rechnen und Märchenwelt in einen Zusammenhang: Zahlen sind wie kleine Kobolde: Sie können viele Geheimnisse der Welt und des Lebens öffnen. […] Sie [sic!] zu, daß du gut Freund mit ihnen wirst! (WR-51, 1) Außerdem finden sich Aufgabenstellungen, die zur aktiveren Auseinandersetzung mit dem Stoff aufrufen: SchülerInnen werden zur Anschlusskommunikation und Meinungsäußerung angeregt (Was sagst du dazu? WR-57, 39) oder in ihrer konkreten Lebenssituation angesprochen (Welche Berufe gibt es bei euch? WR-57, 13). In einigen Fällen wird also sehr unmittelbar auf die Lebenssituation der Lernenden Bezug genommen und werden Schulbuchtexte auf diese hin ausgerichtet. Die Entwicklung hin zur Lebenswelt junger Menschen hat eine Entsprechung in reformpädagogischen Diskursen um eine stärkere Orientierung an den SchülerInnen, ihren thematischen Interessen und Bedürfnissen. Kindorientierung und Pädagogik vom Kinde aus sind einschlägige und zugleich schillernde Schlüsselbegriffe dieses Diskurses, der sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in pädagogischen und bildungsaffinen gesellschaftlichen Kreisen formierte (vgl. Skiera 2012; Oelkers 1999; vgl. einführend Ullrich 2013). Die re-

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formpädagogische Bewegung fand mit Beginn der NS-Herrschaft personell und verbandsorganisatorisch zunächst ein Ende, Innovationen des reformpädagogischen Diskurses aber wirkten – mit zum Teil modifizierter Akzentuierung – nach 1933 in der Schulbucharbeit fort.475 Unter den hier untersuchten Siebtklassschulbüchern weisen diejenigen der 1950er Jahre Veränderungen im Sinn einer stärkeren Orientierung an motivationalen Bedürfnissen von jungen Menschen auf; ab den 1960er und vor allem 1970er Jahren orientieren sich Schulbücher in der Wahl der Rahmensituationen zunehmend an kind- bzw. jugendtypischen Freizeitinteressen. In dieser methodisch-didaktischen Akzentverschiebung greifen Schulbücher Aspekte des zentralen reformpädagogischen Unterrichtsprinzips der Kindorientierung auf, zum Beispiel den Aspekt des kindlichen Lebensweltbezugs. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich SchulbuchmacherInnen – gerade jene der 1950er Jahre – dezidiert in reformpädagogische Tradition stellten oder gar ein reformpädagogisches Programm fortführen wollten, wenngleich eine solchermaßen neu akzentuierte Schulbucharbeit auf lange Sicht dazu beigetragen haben mag, Unterricht im Sinn einer Reformpädagogik zu gestalten. Anschlussfähig ist diese Kontextualisierung in den reformpädagogischen Diskurs um Kindorientierung auch an die Forschung von Neuhaus. Sie arbeitete für den Grundschul-Sachunterricht der 1950er und 1960er Jahre unter anderem an Richtlinien für die Schule heraus, dass Aufwertung und Einbezug von Themen aus der kindlichen Lebenswirklichkeit in reformpädagogischer Tradition stehen (vgl. Neuhaus 1994, 214–234). Die Orientierung auf die Welt der SchülerInnen geht einher mit einer Privatisierung des Sprechens über Personen, da Rahmensituationen in den Schulbüchern zunehmend häufiger ausgehend von privaten Bedürfnissen (z. B. Lebensmittel für eine Privatfeier unter Jugendlichen einkaufen; sich für einen Skateboard-Park einsetzen) und ausgehend von einem privaten Handlungsradius (z. B. Freizeit, Familie) konzipiert werden. Die Tendenz zur Privatisierung ist desgleichen ex negativo daran festzumachen, dass Personenbezeichnungen aus der Erwachsenen-Berufswelt an Vorkommenshäufigkeit abnehmen und

|| 475 Denn auch, wenn die reformpädagogische Kindorientierung mit der Ideologie einer „Volksgemeinschaft“ konkurrierte, wurden Motive, die mit diesem Prinzip verbunden sind (z. B. Annahme des unschuldigen Kindes, die Semantik des Wachsenlassens), in die NSPädagogik für die Volksschulunterstufe zu integrieren versucht (vgl. Heinze 2011, 146–160). Je älter die SchülerInnen, umso stärker wurde die Erziehung zur „Volksgemeinschaft“ leitendes pädagogisches Prinzip.

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dieser im Schwerpunkt männlich kodierte öffentliche Bereich an Prominenz in der Schulbuchwelt verliert (s. Kap. 4.1.2a unter Berufsbezeichnungen). Auch als Privatisierungs- und nicht nur als Individualisierungs- oder Verkindlichungstendenz kann die wachsende Zahl an Vornamen gelesen werden, weil die Verwendung von Vornamen für nähesprachliche Kommunikation typisch ist (s. Kap. 4.1.2b unter Entwicklung der Namentypen). Kosenamen oder gar lallförmige Namen lassen einmal mehr die sozialen Beziehungen der so bezeichneten Schulbuchpersonen informell bis hin zu intim erscheinen (s. Kap. 4.1.2b unter Detailanalyse der Vornamen). Von dieser Tendenz zur Privatisierung als Informalisierung und Intimisierung sind vornehmlich weibliche Schulbuchfiguren betroffen. Dass eher das Sprechen über weibliche Personen als über männliche Personen diese Tendenz aufweist, ist eine Fortschreibung der kulturgeschichtlichen Verbindung von Weiblichkeit und Innerlichkeit im Schulbuch (s. Kap. 6.1.1e unter Distanz vs. Nähe).

6.3.6 Geschlechtersensible Sprache Ausdrucksweisen, wie die Paarform bei Personenbezeichnungen, die als geschlechtersensibel kategorisiert werden, sind keine Erfindung der feministischen Sprachkritik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern schon in kaiserzeitlichen Schulbüchern vorzufinden. Doch müssen solche Paarformen oder auch Neutralformen von den SchulbuchautorInnen nicht als Strategien für eine sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern oder für eine Irrelevantsetzung von Geschlecht aufgefasst und als solche intentional verwendet worden sein. Diese Interpretation ist aus der Retrospektive nur möglich, wenn im untersuchten Zeitraum eine Diskussion über diese Ausdrucksweisen und ihren Verwendungszweck geführt wurde. In den 1970er Jahren stand die Thematisierung unter kritischen Vorzeichen und verband sich mit der Zielsetzung, sprachliche (sowie sprachlich repräsentierte sowie reproduzierte gesellschaftliche) Ungleichheitsverhältnisse zu beseitigen und eine Vormachtstellung des männlichen Prinzips in der Sprache abzubauen (s. Kap. 1.2.1b). Entsprechend kann der Anstieg von Paarformen, wie er in den Schulbüchern vor allem ab den 1980er Jahren zu konstatieren ist (s. Kap. 4.1.5), im Zusammenhang mit der breiter geführten Diskussion um geschlechtersensible Sprache eingeordnet und können Paarformen nun als intentional geschlechtersensible Ausdrucksweisen aufgefasst werden (s. auch Kap. 6.2). Gerade bei Schül*, das am häufigsten unter den PRF im Schulbuch geschlechtersensibel realisiert ist, handelt es sich um eine zentrale Bezeichnung im schulischen Kontext, die in Form der sehr

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stabilen w+m-Abfolge Schülerinnen und Schüler in den Fachdidaktiken und in der Pädagogik gängig ist. Eine solche Gebrauchsintention kann nicht einfach auf frühere Vorkommen solcher Ausdrucksweisen übertragen werden. Neutralformen als primäre Mittel der Geschlechtsabstraktion und beispielsweise nicht als Mittel zur Individualitätsreduktion zu werten (z. B. in Bezug auf die NS-Jahre) oder kompleonyme Paarformen als Versuch einer Gleichberechtigung der Geschlechter in Sprache zu lesen, verfängt nur bedingt. Interpretationen dieser Art sind dem Vorwurf des Anachronismus ausgesetzt. Es bedarf weiterer Grundlagenforschung, in welchen Kreisen mit welcher Wirkkraft über das geschlechtersensible Potential solcher Formen bereits vor 1970 diskutiert wurde. Ohne dies im Folgenden leisten zu können, sei doch auf einige Befunde hingewiesen, die im Rahmen der Korpuskompilierung sowie der Teiluntersuchung, wie im Zulassungsverfahren mit Geschlecht umgegangen wurde und wird (s. zusammenfassend Kap. 5.2.4), ermittelt werden konnten. So fanden sich zum Beispiel bei der Durchsicht von kultusministeriellen Amtsblättern Bekanntmachungen, in denen ganz selbstverständlich geschlechtersensible Formen verwendet werden. In einer Bekanntmachung des Bayerischen Kultusministeriums von 1942 stehen gleich mehrere Varianten geschlechtersensibler Sprache, sie sind hier hervorgehoben: Ferienlehrgänge[] für Turnlehrkräfte […]. Lehrgang 1: […] für Lehrerinnen an Mädchenschulen, Lehrgang 2: […] für Lehrer und Lehrerinnen, die zur Erteilung des Turnunterrichts an Jungenschulen eingesetzt sind, […] Lehrgang 4: […] für männliche und weibliche Lehrkräfte an Landschulen. An diesen Lehrgängen sollen vor allem solche Lehrkräfte teilnehmen, die ohne Turnlehrbefähigung zur Erteilung des Turnunterrichts an Schulen herangezogen wurden. […] Den Teilnehmenden wird Ersatz der Fahrtkosten und ein angemessener Zuschuß zu dem Mehraufwand in Aussicht gestellt.476

Die Bekanntmachung ist konsequent geschlechtersensibel formuliert. Im Beispiel sind sowohl Paarformen (Lehrer und Lehrerinnen), die im Plural geschlechtsneutrale Partizipkonversion Teilnehmende sowie Neutralbildungen auf -kraft mit und ohne geschlechtsspezifizierende Attribuierung (männlich – weiblich) verwendet. Und selbst bei integrierten Personenreferenzformen wird in der offiziellen Sprache der Bildungspolitik – zum Beispiel in jener der Nachkriegsjahre – stellenweise auf generisch gebrauchte Maskulina verzichtet und eine || 476 Bekanntmachung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 25.06.1942 Nr. VII 28 326 über Ferienlehrgänge für Turnlehrkräfte an den Schulen zur Einführung in die Lehrweise der neuen Richtlinien für Leibeserziehung.

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Kombination aus Binnenmovierung und Klammerschreibung („Lehrer(innen) bildung“477) oder die Paarform („Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten“478) gewählt. Paarformen finden sich nicht nur zur Bezeichnung erwachsener Personen, sondern auch zur Bezeichnung von Kindern und Jugendlichen; so ist in einem NS-Reichserlass von 1943 die Rede von „Schüler[n] und Schülerinnen“479. Auffällig ist bei diesen Beispielbefunden wie auch in den untersuchten Schulbüchern aus vor-sprachkritischer Zeit, dass die Abfolge in Paarformen stets dem Muster m+w folgt. Die Belege weisen darauf hin, dass TextproduzentInnen Maskulina mit einer auch konventionell geschlechtsübergreifenden Gebrauchsweise in spezifischen Kommunikationssituationen bewusst nicht einsetzten. Dies ist vielleicht der Fall gewesen, weil das Maskulinum Lehrer zum Beispiel bei Leserinnen dieser Bekanntmachung, die offensichtlich zu den AdressatInnen des Schreibens zählten, offengelassen hätte, ob sie ebenfalls adressiert waren. Sie sind Indiz für ein mindestens individuell ausgeprägtes Bewusstsein für unterschiedliche sprachliche Strategien, geschlechtliche Kategorisierungen vorzunehmen, aber weiterhin nicht vorschnell als gleichstellungspolitischer Akt zu lesen. Letzterer Lesart steht für die NS-Jahre beispielsweise entgegen, dass berufstätige Frauen im Bildungswesen, Gymnasiallehrerinnen in höheren Jahrgangsstufen und Schulleiterinnen, gegen Männer ersetzt werden sollten (vgl. Wilke 2003, 103). Auch eine Leerstelle ist im Zusammenhang mit geschlechtersensibler Sprache interpretationsbedürftig, nämlich, dass Binnen-I-, Unterstrich- oder Asterisk-Schreibungen in keinem untersuchten Schulbuch Verwendung finden. In den Interviews nannten SchulbuchmacherInnen solche Ausdrucksweisen nicht unter den gängigen Möglichkeiten geschlechtersensibler Sprache (s. Kap. 5.2.3b unter Redaktionelle Vorgaben in der Schulbucharbeit), wenngleich Leitfäden für geschlechtersensible Sprache auf das Binnen-I und zum Teil auch auf die queerfeministischen Weiterentwicklungen eingehen (vgl. z. B. Hellinger/Bier-

|| 477 Lehrer(innen)bildung [1946] – U 53/11c 31–B. 478 Bekanntmachung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 11.04.1934 Nr. II 18832 über Nachträge zum Verzeichnis der beim Unterricht an den Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten zugelassenen Lernmittel, 18. Nachtrag. 479 Versorgung der Schüler und Schülerinnen der Volks- und Hauptschulen mit Lernbüchern, Runderlaß des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 29.05.1943 – E II a (C 15 a) 11 E II c.

484 | Diskursorientierte Analyse

bach 1993; Gleichstellungsbeauftragte Universität Köln 2014).480 Leitfäden äußern sich dem Binnen-I gegenüber auch durchaus kritisch: Viele Leserinnen und Leser fühlen sich dadurch [= durch das Binnen-I; Anm. CO] in die 70er Jahre versetzt und verbinden damit eine „feministische Kampfsprache“. Wer die eigentlichen Botschaften an viele Menschen transportieren will, sollte möglichst keine sprachlichen „Nebenkriegsschauplätze“ aufmachen und auf das Binnen-I verzichten. (IG Metall 2008, 6f.)

Nicht nur gelten bestimmte Sprachformen als kontrovers und ideologisch aufgeladen, sie werden zudem von Autoritäten für (Schrift-)Deutsch als falsch kategorisiert: Im Newsletter der Duden-Sprachberatung vom 7. Januar 2011 heißt es beispielsweise: „Die Verwendung des großen I im Wortinnern (Binnen-I) entspricht nicht den Rechtschreibregeln“, und auch Wahrigs Richtiges Deutsch leicht gemacht (2009) spricht sich klar gegen die Verwendung von Binnen-I aus: Man sollte also z. B. in Stellenanzeigen nicht AltenpflegerInnen suchen oder in Rundschreiben MitarbeiterInnen zu einer Betriebsversammlung einladen. […], zumal die Binnengroßschreibung auch nicht den gültigen amtlichen Rechtschreibregeln entspricht. (Wahrig Bd. 5 2009, Abschnitt 604.1)

Das amtliche Regelwerk für deutsche Rechtschreibung wird in beiden Beispielen als Entscheidungsgrundlage für ein Richtig/Falsch herangezogen. Tatsächlich gibt das Regelwerk aber keine Bewertung zum Binnen-I ab, wie der Rat für deutsche Rechtschreibung auf seiner Internetseite noch einmal herausstellt: „die Binnengroßschreibung [ist] nicht Gegenstand des amtlichen Regelwerks […]“, „das Binnen-I [ist] im Hinblick auf die Normschreibung weder orthographisch falsch noch orthographisch richtig“481. Im Unterschied zum Binnen-I (oder neueren Vorschlägen für geschlechtersensiblen Sprachgebrauch, wie unter 1.2.1b ausgeführt) werden die Paarformschreibung sowie integrative Schrägstrichschreibungen von Sprachautoritäten als etabliert und wünschenswert eingestuft (vgl. z. B. Wahrig Bd. 5 2009, Abschnitt 602.1).

|| 480 Castillo Díaz (2003, 132; 204f.) stellte in ihrer Untersuchung zur Verwendung von geschlechtersensibler Sprache für die Jahre 1997 bis 2002 fest, dass Binnen-I-Schreibungen zwar in Texten aus dem universitären und Weiterbildungsbereich durchaus vorkommen, im Vergleich zu anderen geschlechtersensiblen Bezeichnungspraktiken aber insgesamt ein Randphänomen darstellen. 481 Rat für deutsche Rechtschreibung – Rubrik Fragen und Antworten. Frage 1: Ist das Binnen-I ein Rechtschreibfehler? Online unter: http://rechtschreibrat.ids-mannheim.de/rechtsch reibung/frage1. html [Stand: 10.05.2016].

Sozial- und kulturgeschichtliche Kontextualisierung | 485

Ausgewählten geschlechtersensiblen Ausdrucksweisen wird von Orientierungsinstanzen für die deutsche Sprache oder im Speziellen für geschlechtersensible Sprache also größere Akzeptanz entgegengebracht als anderen. In manchen Fällen kommt es sogar zu einer Positionierung der bildungspolitischen Autorität, welcher Sprachgebrauch nicht erlaubt sein soll – so geschehen 1993 in Baden-Württemberg, als das Kultusministerium die Verwendung des Binnen-I an Schulen verbot (vgl. Heller 1996, 4) –, was sich normativ auf die Schulbucharbeit auswirken kann. Diskussionen entzünden sich zudem gerade an sprachlichen Änderungsvorschlägen: Die erste Bundesministerin der Bonner Republik, Elisabeth Schwarzhaupt, hatte Aufsehen erregt, als sie 1962 die Anrede Frau Ministerin anstelle von Frau Minister wünschte (vgl. Schoenthal 1998, 16f.; Lenz/Adler 2010, 137). 1987 diskutierte der Bundestag Anträge auf eine geschlechtersensible Justiz- und Verwaltungssprache überaus kontrovers (vgl. Plenarprotokoll des Bundestags 11/37 vom 06.11.1987, S. 2502C–2511B; vgl. auch Schoenthal 1998, 16). In jüngerer Zeit werden vor einer breiten Öffentlichkeit Vorschläge für einen geschlechtersensiblen Sprachgebrauch jenseits der binären Norm überaus polemisch diskutiert482 – wie queertheoretisch fundierte bildungspolitische Maßnahmen als ganze heftigen Widerstand hervorrufen. Dies hat nicht zuletzt die weiterhin anhaltende Debatte um den baden-württembergischen Bildungsplan 2015 gezeigt:483 Anlässlich des Bildungsplankonzepts wurde debattiert, ob sexuelle Vielfalt und alternative Geschlechter- und auch Familienentwürfe in allen Schulfächern und Lehr-Lernmitteln thematisiert werden und selbstverständlich präsent sein sollen. Im Bereich der behördlichnormativen Vorgaben an Schulbücher deutet sich eine solche Erweiterung immerhin an, so im Beispiel Brandenburg, das in seinen Schulbuchvorgaben „sexuelle[n] Identität“ (Orientierungsschwerpunkte 2012, 6) explizit anspricht, wenn auch nur schlagwortartig. Welche Sprechweisen SchulbuchmacherInnen und Zulassungsstellen letztlich für akzeptabel und nicht ideologisch-einseitig erachten, wird von Sprachautoritäten sowie durch öffentlich-mediale Thematisierungen mitbeeinflusst. Zugleich positionieren sich Schulbücher in diesen Kontroversen, je nachdem, in welchem Umfang sie geschlechtersensible Sprache verwenden und auf welche Ausdrucksweisen geschlechtersensibler Sprache sie zurückgreifen. Queertheo-

|| 482 So 2014 die Diskussion um die sogenannten x-Formen, wie bei Professx, vgl. faz.net vom 17.11.2014 (Baum 2014); zu x-Formen s. auch Kapitel 6.1.1a, FN 437 . 483 Vgl. das studentische Forschungs- und Publikationsprojekt zum baden-württembergischen Bildungsplan 2015 der Universität Freiburg „Geschlecht für Alle!?!“ Online unter: https://www.soziologie.uni-freiburg.de/personen/degele/gtv15-bildungsplanv3.pdf.

486 | Diskursorientierte Analyse

retisch fundierte Sprachgebrauchsvorschläge greifen die Schulbücher dabei nicht auf.

7 Schlussbetrachtung Das Ziel dieser Arbeit war es, am Beispiel von Schulbüchern herauszuarbeiten, auf welche Weise Sprache am Aufbau von Geschlechterkonzepten teilhat, sowie Erklärungsangebote zu machen, wie es kommt, dass gerade die empirisch ermittelten Geschlechterkonzepte in den untersuchten Texten vorzufinden sind. Im Rahmen der epistemisch-semantischen Analyse wurden die Ergebnisse der quantitativ-qualitativen Sprachgebrauchsanalyse, welche die Sprachebenen Wort, Proposition und in Ansätzen auch die Ebene Text erfasste, zusammengeführt und zu Wissensbausteinen von Geschlechterkonzepten angeordnet. Im Geschlechtervergleich hat sich gezeigt, dass das Konzept MANN mehrdimensionaler ausgestaltet ist als das Konzept FRAU. Das meint, dass männliche Personen in ihren Handlungen und Eigenschaften mehr und auch unterschiedlichere Facetten aufweisen. Vor allem seit den 1980er Jahren verringert sich der Unterschied in dieser Hinsicht zwischen den Geschlechtern, hat aber weiterhin tendenziell Bestand. Zu den zentralen Ergebnissen zählt, dass erwerbsmäßige Berufstätigkeit von Beginn des Untersuchungszeitraums an Bestandteil beider Geschlechterkonzepte ist, jedoch traditionell eine männliche Kodierung aufweist, weil Erwerbstätigkeit im Konzept MANN ein über die Jahre stabileres, facettenreicheres und zentraleres Wissenssegment als im Konzept FRAU darstellt. Auch gegenwärtig ist Erwerbstätigkeit männlich kodiert. Während Erwerbstätigkeit traditionell weniger zentrales Wissenssegment im Konzept FRAU ist, verhält sich dies in Bezug auf die Sphäre Familie umgekehrt. So agieren in den Schulbüchern häufiger weibliche Figuren in der Rolle als Mutter als männliche in der Rolle als Vater und sind es ebenfalls bevorzugt Frauen und Mädchen, die in ihrer Beziehung und Bezogenheit zu bzw. auf andere Familienmitglieder – die Mutter auf das Kind, die Frau auf den Ehemann – beschrieben werden. Um 1960 lässt die enge Verbindung von Frau-Sein, vor allem MutterSein, und Familie nach, ab den 1980er Jahren werden dann auch Charakterisierungen von weiblichen Figuren im Kontext von Familie deutlich seltener und verlieren an Geschlechtstypizität. Zahlreiche weitere Wissenssegmente haben sich den Auswertungen zufolge als geschlechtstypisch erwiesen – darunter die Qualifizierung von Aussehen für das Konzept FRAU, sportliche Aktivität und Bekanntheit für das Konzept MANN. Agentivität, Emotionalität und der Besitz veräußerbarer Güter sind dagegen traditionell für eines der beiden Geschlechter kaum charakteristischer als für das andere. Nur tendenziell sind männliche Figuren im Schulbuch häufiger mit höheren Agentivitätsgraden ausgestattet und verfügen weibliche Figuren bis etwa 1970 häufiger über veräußerbaren Besitz, wobei unter die Besitztümer von

DOI 10.1515/9783110555578-007

488 | Schlussbetrachtung

Frauen/Mädchen im Unterschied zu dem, was Männer/Jungen besitzen, erst ab den 1980er Jahren auch größere Vermögenswerte zählen.484 Den Schritt zu einer diskurslinguistischen Untersuchung ging diese Arbeit, indem sie die epistemischen Voraussetzungen für das Auftreten und die Verteilung von Wissenssegmenten und letztlich von einzelnen Aussagen über die Geschlechter zum weiteren Analyseziel machte. Neben abstrakten semantischen Strukturen, die regeln, welche geschlechtlichen Ausprägungen beim Sprechen über Personen angenommen werden können, lag der analytische Fokus hierbei auf Differenzfiguren, die geschlechtstypische bzw. -typisierende Sprechweisen über Frauen/Mädchen und Männer/Jungen zu bedingen scheinen. Vielfalt, Tradition und ein Distanz-Konzept sind dabei in den Schulbüchern eher für das Sprechen über männliche Personen konstitutiv und Beschränkung, Trendhaftigkeit und ein Nähe-Konzept für das Sprechen über weibliche Personen. Bis um 1970 sind diese epistemischen Figuren noch als diskurskonstitutive Strukturen zu kategorisieren. Seither haben sie eher den Charakter variabler, abstrakter Wissenssegmente in den Konzepten FRAU und MANN. In verwandten Untersuchungen zu weiteren Kategorien sozialer Unterscheidung sowie in intersektionalen Untersuchungen wäre nun von Interesse, herauszuarbeiten, inwiefern diese Differenzfiguren auch in anderen Differenz verhandelnden Diskursen relevant gesetzt werden und mit welchen Differenzkategorien sie eher Verbindungen eingehen. Doch wenn allein epistemologische Erklärungen des Wie-es-kommt gegeben werden, bleibt die gesellschaftliche Dimension von Sprache unberücksichtigt und erscheinen Diskurse als ahistorisch und von ihrem Kontext losgelöst. Daher hat die Arbeit neben den epistemischen Bedingungsstrukturen weitere Kontextfaktoren einbezogen. Zunächst wurden die institutionellen Rahmenbedingungen untersucht, unter denen Schulbücher entstehen. Von den AkteurInnen, die auf Schulbuchwissen einwirken oder einzuwirken versuchen, wurden SchulbuchautorInnen, -herausgeberInnen, -redakteurInnen sowie MitarbeiterInnen von Kultusbehörden (im Besonderen die kultusministerielle Zulassungsstelle), GutachterInnen und Mitglieder von Schulbuchkommissionen als unmittelbar einflussnehmende AkteurInnen ermittelt. Aus der Untersuchung des Zusammenspiels dieser verschiedenen Personen(-gruppen) ist folgendes Fazit zur Durchsetzungs- und Innovationskraft institutioneller Regulierung zu ziehen:

|| 484 Wie diese Befunde im Einzelnen an das Sprachmaterial zurückgebunden sind, wurde im Kapitel 6.1.2 dargelegt.

Schlussbetrachtung | 489

Wenn (1.) gerade in verschiedenen Länderausgaben einer Schulbuchreihe durch die Schulbuchstudie kaum Unterschiede im Umgang mit der Differenzkategorie Geschlecht festzustellen sind und unter den interviewten AkteurInnen spätestens für die Zeit seit der Jahrtausendwende der Eindruck besteht, dass sich die Länder in ihren Prüfpraktiken zunehmend angenähert haben, wenn (2.) GutachterInnen selbst in Ländern, wie Niedersachsen, wo dies eingefordert wird, nicht standardmäßig auf die Umsetzung des Gleichberechtigungsgebots eingehen und wenn (3.) SchulbuchmacherInnen die spezifischen behördlichen, zum Teil miteinander nicht kompatiblen Zulassungsvoraussetzungen von Schulbüchern sowie deren Ausführungsbestimmungen nicht (im Detail) kennen, so lässt dies auf einen eher niedrigen Stellenwert der durchaus unterschiedlich akzentuierten länderspezifischen Zulassungsvorschriften zur Geschlechterdarstellung sowohl in der Schulbuchzulassung als auch in der Schulbucharbeit schließen. Der Grad der Einflussnahme durch Behördenvorgaben, wie sie schwerpunktmäßig in den 1980er Jahren formuliert werden, sollte für die Bundesrepublik nicht zu hoch eingeschätzt werden, weil ihnen aufseiten der SchulbuchmacherInnen zumindest partiell ein Bewusstseinswandel vorausging, der nicht erst vollumfänglich normativ durchgesetzt werden musste. SchulbuchautorInnen waren bereits zuvor in der Schulbucharbeit neue Wege gegangen, worauf die Innovationen in den Schulbüchern der 1970er Jahre beruhen. Mindestens damals bestanden also Räume für Innovationen, für eine kleine Schulbuchkulturrevolution von unten, die sich in zeitlicher Nähe zu dieser Entwicklung auch in den hier untersuchten Schulbüchern feststellen lassen. Dies setzte aber voraus, dass die BehördenmitarbeiterInnen gegenüber den Veränderungen nicht restriktiv einschritten (indem sie z. B. eine traditionelle Aufgabenverteilung in weiblich und männlich einforderten). Dass wiederum vor Einsetzen einer gleichstellungsorientierten Schulbucharbeit traditionelle Rollenvorstellungen von Behörden als positive Leitbilder betrachtet und durch SchulbuchmacherInnen umzusetzen eingefordert wurden, konnte diese Untersuchung weder bestätigen noch widerlegen. Es sollte nun nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass sich der behördlich-normative Rahmen nicht oder kaum auf Schulbuchwissen auswirkt. Schließlich finden sich unter den untersuchten Gutachten Kritiken, die sich zum Teil sehr detailliert an Kriterienkatalogen orientieren und aufgrund derer BehördenmitarbeiterInnen von Verlagen Überarbeitungen einforderten. Zudem erfasste die kleine Kulturrevolution nach Auffassung der Befragten und mit Blick in die Gutachten nicht alle Fächer gleichermaßen. Und auch die Schulbuchanalyse verweist wenigstens auf tendenzielle fachspezifische Unterschie-

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de. SchulbuchmacherInnen aus dem MINT-Bereich wurden womöglich erst durch neue Rahmenbedingungen, wie behördliche Vorgaben, zu einem veränderten Umgang mit Geschlecht angehalten, bevor dann um die Jahrtausendwende in ihrer Fachkultur Geschlechtersensibilität an Bedeutung gewann. Indiz für eine Wirksamkeit der behördlichen Vorgaben ist außerdem, dass der Schulbuchwandel, wie er sich in den untersuchten Schulbüchern in den 1970er Jahren andeutete, bis Ende der 1980er Jahre noch einmal deutlich an Fahrt aufnahm und somit mit der Aufstellung offizieller Schulbuchrichtlinien zusammenfällt (s. z. B. Richtlinien in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen). Der institutionelle Entstehungszusammenhang wirkt im Übrigen auch über behördliche Schulbuchbestimmungen hinaus auf die Schulbucharbeit ein. Denn AutorInnen von Schulbüchern sind mehrheitlich Lehrkräfte in jenem Bundesland, für das ein Schulbuch erstellt werden soll. Sie sind von Berufs wegen vertraut mit der Institution Kultusministerium und wenigstens mit der bildungspolitischen Programmatik der jeweiligen Regierenden. SchulbuchautorInnen bringen dadurch mehr oder weniger bewusste Setzungen in die Schulbucharbeit mit ein, wie ein – gemessen an dem, was von offizieller Seite als wünschenswert gilt – gutes Schulbuch aussehen soll. Die Kriterienkataloge und verwandten Ausführungsbestimmungen für Schulbücher, für deren Einhaltung die Zulassungsstellen zu sorgen hatten und haben, begleiteten den Schulbuchwandel. Die behördlichen Schulbuchbestimmungen wirkten mit an der Etablierung eines Umgangs mit Geschlecht, der sich zunehmend an einer Auslegung des Gleichberechtigungsgrundsatzes ausrichtete, der eher eine Gleichheit als eine Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern zum Maßstab macht. Von ihnen ging dieser Wandel aber nicht aus. Gerahmt wird der Wandel durch übergeordnete sozial- und kulturgeschichtliche Veränderungen. In der Parallelisierung des schulbuchimmanenten Geschlechterdiskurses mit weiteren Ausschnitten des Geschlechterdiskurses hat sich gezeigt, dass das Sprechen über Geschlecht und über Frauen/Mädchen und Männer/Jungen nicht in hohem Maß schulbuchspezifisch ist, d. h. nicht allein in Schulbüchern anzutreffen ist. So sind die Differenzfiguren ‚Der Mann als Norm-Mensch – die Frau als sein Sonderfall‘ und ‚Distanz vs. Nähe‘ ähnlich in sozial- und kulturgeschichtlichen Untersuchungen zum Geschlechterdiskurs beschrieben worden. Gleichzeitig hat die Parallelisierung ergeben, dass nicht jede Differenzfigur, wie sie sozial- und kulturgeschichtliche Untersuchungen als Bestandteile eines basalen wirkmächtigen Aussagesystems (nach Hausen 1976, s. Kap. 6.3.1) annehmen, auch in den Schulbüchern vorzufinden ist. Die für den Geschlechterdiskurs in jenen Studien als zentral angenommene Unterscheidung in männli-

Schlussbetrachtung | 491

che Aktivität sowie Rationalität und weibliche Passivität sowie Emotionalität beispielsweise wird in Schulbüchern dieser Untersuchung nicht eindeutig fortgeschrieben. Die sozial- und kulturgeschichtliche Kontextualisierung des schulbuchimmanenten Geschlechterdiskurses weist ferner auf überraschende Ambivalenzen in den Schulbüchern hin und macht Positionierungen der Schulbücher zu anderen Ausschnitten des Geschlechterdiskurses sichtbar. So folgen Schulbücher in ihrem Umgang mit den Geschlechtern keineswegs vollumfänglich Rollenbildern, die von bildungspolitischer Seite als Leitvorstellungen und Norm ausgegeben werden. Dies ist zum Beispiel an den Büchern der 1950er und 1960er Jahre nachzuvollziehen: Die Schulbücher jener Jahre forcieren zwar ein restauratives Frauenbild, das politischen Führungskräften sowie gesellschaftlichen SchlüsselakteurInnen, wie der Kirche, als wünschenswert galt, lassen aber weiterhin – wenn auch deutlich verringerten – Raum für alternative Frauenbilder und gehen sogar über bisherige Darstellungstraditionen von Schulbüchern hinaus, so im Beispiel der unternehmerisch aktiven Frau. Indem auch Diskussionen um geschlechtersensible Sprache im Zuge der sozial- und kulturgeschichtlichen Kontextualisierung thematisiert und auf die Sprachgebräuche der hier untersuchten Schulbücher bezogen wurden, ist deutlich geworden, dass die queertheoretisch fundierte Sprachkritik bislang nicht zu einer veränderten Praxis der Schulbucharbeit geführt hat. Allerdings sind die untersuchten Schulbücher zeitlich vor den jüngst breiter und kontrovers geführten Diskussionen um sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und Schule sowie Sprache entstanden. Es bleibt abzuwarten, ob sich zukünftige Schulbuchgenerationen in dieser Kontroverse auch in puncto geschlechtersensibler Sprache neu positionieren. Zum Abschluss möchte ich auf die Frage eingehen, wie die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zu sprachlich vermittelten Geschlechterkonzepten über die Wissenschaft hinaus gesellschaftlich wirksam werden können und welcher Ansatz hierbei präferiert wird. So könnte auf dieser Grundlage ein detaillierter Kriterienkatalog erarbeitet werden, der genauere sprachliche Hinweise gibt, worauf in Bezug auf die Geschlechterthematik beim Erstellen und beim Prüfen von Schulbüchern zu achten wäre. Ein Kriterium könnte die Verteilung von diminuierten Personenbezeichnungen sein, ein anderes die Verteilung von problematisierenden Sprachhandlungen etc. Hierfür wäre allerdings im Vorfeld festzulegen, an welcher normativen Bewertungsgrundlage diese Empfehlungen ausgerichtet sind, welches Gleichberechtigungsverständnis in einer demokratischen Gesellschaft

492 | Schlussbetrachtung

beispielsweise zugrunde gelegt wird und inwiefern geschlechtsdifferente Zuschreibungen (z. B. von Freizeitverhalten oder Berufspräferenzen) möglich sein sollen. Fraglich ist darüber hinaus, wie praktikabel solche spezifischen Kriterienkataloge für AutorInnen von Schulbüchern, für Lehrkräfte oder BehördenmitarbeiterInnen überhaupt sind, um standardmäßig von allen AkteurInnen angewandt zu werden. Welches linguistische Wissen wird hierfür benötigt und ist der Aspekt Geschlecht womöglich ein zu weiches Beurteilungskriterium neben anderen fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Kriterien, als dass sich aus Sicht der genannten AkteurInnen dieser Aufwand lohnt? Zu diskutieren ist ferner, ob der Einbezug detaillierter Kriterien zum Aspekt Geschlecht nicht eine veränderte Schulbuchpraxis voraussetzt, zum Beispiel den Einbezug von Diversity-BeraterInnen in die AutorInnenteams oder die Umstrukturierung in der Zulassungspraxis von EinzelgutachterInnen zu Schulbuchkommissionen mit ExpertInnen für Diversity-Fragen, die sich auch mit der sprachlichen Dimension der Vermittlung von Geschlechterkonzepten eingehender auseinandersetzen könnten. Letztere Entwicklung ist angesichts eines zunehmend liberalisierten Zulassungsverfahrens gerade nicht zu erwarten. Den Weg zu detaillierteren Kriterienkatalogen schlägt diese Arbeit weder vor noch ein. Stattdessen möchte ich anregen, die öffentlich-mediale Diskussion um Sprache und Geschlecht sowie Bildungsinstitutionen als Zielkontexte einer Vermittlung von genderlinguistischem Wissen anzunehmen. Nicht einzelne sprachliche Phänomene, sondern die Ergebnisse der epistemisch-semantischen Analyse sollten dabei im Fokus der Vermittlung stehen, vor allem die Bedingungsstrukturen bzw. diskurskonstitutiven Strukturen des Sprechens über Geschlecht und über die Geschlechter. Einzelne Befunde, wie die schon genannte Verteilung von Diminution auf die Geschlechter, dienen dann der Veranschaulichung jener abstrakten semantischen Strukturen, die in den Schulbüchern für geschlechtstypisierende Sprechweisen kennzeichnend sind. Einzelbefunde sind also nicht allein als solche von Interesse, sondern werden als Mosaiksteine struktureller Befunde aufgefasst und aufseiten der AdressatInnen einer Vermittlungsarbeit begreifbar. Indem sie in übergeordnete Sinnzusammenhänge eingeordnet werden, wird zudem die kulturelle und gesellschaftliche Geprägtheit von Sprache besser sichtbar. Denn eine geschlechtstypisierend weibliche Verteilung von Diminution ist dann nicht mehr zufälliger Einzelbefund, wenn sie neben anderen auf ein gleiches Strukturprinzip zurückzuführen ist (z. B. NäheKonzept beim Sprechen über Frauen und Mädchen). Eine solche Vermittlungsarbeit sollte dabei nicht allein auf Analysen von Schulbüchern fußen. Gerade, wenn die Schule als Vermittlungskontext angenommen wird, ist eine breitere Forschungslage zur Legitimierung des Unter-

Schlussbetrachtung | 493

richtsgegenstands von Bedeutung. Sie sollte vielmehr Analysen unterschiedlicher Medien oder Textsorten zusammenführen, in denen ebenfalls nach diskurskonstitutiven Strukturen des Sprechens über Geschlecht und über die Geschlechter gefragt wird. Die Ergebnisse solcher – vor allem hinsichtlich des Erkenntnisinteresses – verwandter linguistischer Untersuchungen können außerdem eine Erweiterung und Differenzierung der in dieser Arbeit ermittelten semantischen Grundfiguren leisten. Wenn der Fokus der Vermittlungsarbeit auf diskurskonstitutive Strukturen gelegt wird, führt dies weg von der derzeitigen öffentlich-medialen Diskussion um genderlinguistische Forschung zu generischem Maskulinum, Binnen-I und x-Formen, deren gesellschaftliche Relevanz damit allerdings nicht von mir in Frage gestellt wird. Genderlinguistische Forschung aber geht über diese Diskussion weit hinaus, ist als solche jedoch kaum in der Öffentlichkeit sowie weiteren Vermittlungskontexten, wie der Institution Schule, präsent. Hier, so der Vorschlag, gilt es anzusetzen. Noch ist zu entscheiden, wie jenes abstrakte Wissen zu diskurskonstitutiven Strukturen des Geschlechterdiskurses didaktisch reduziert und damit vermittelbar gemacht werden kann. Welche veranschaulichenden Sprachbeispiele sind für welche AdressatInnen zu wählen und welche sind wiederum für LaiInnen linguistisch zu voraussetzungsvoll? In schulischen Vermittlungskontexten sind Sonoritätsberechnungen aus der prosodisch-phonologischen Analyse von Vornamen zum Beispiel nicht das Mittel der Wahl, um herauszuarbeiten, ob Mädchen- oder Jungennamen eher mit Weichheit oder Härte verbunden sind. Eine Untersuchung der Namenstruktur innerhalb einer Klasse kann aber durchaus auf einem basalen Niveau durchgeführt werden (z. B. wie viele Mädchennamen und wie viele Jungennamen enthalten wie viele o oder a und wie viele zwei oder mehr Konsonanten hintereinander?) und kann zudem Sprachwandel im Kleinen nachvollziehbar machen (z. B. wie sieht die Verteilung im Vergleich bei den Elternnamen aus?). Davon ausgehend sowie unter Einbezug weiterer strukturell ähnlicher Befunde kann hieran dann eine Diskussion zum Verhältnis von Sprache und Gesellschaft ansetzen. Wie allerdings epistemisch-semantische Analyse weiterer Textsorten und Medien noch Voraussetzung für eine solche Vermittlungsarbeit sind, so ist ebenso eine Didaktik der Genderlinguistik bzw. genderlinguistischen Wissens noch zu entwickeln.

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