Sprachkontakt in der Hanse: Aspekte des Sprachausgleichs im Ostsee- und Nordseeraum. Akten des 7. Internationalen Symposions über Sprachkontakt in Europa, Lübeck 1986 3484301910, 9783484301917

Der vorliegende Sanmielband enthält 19 Beiträge zum 7. Internationalen Symposium über Sprachkontakt in Europa, das unter

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German, English Pages XXXVIII+350 [392] Year 1987

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Sprachkontakt in der Hanse: Aspekte des Sprachausgleichs im Ostsee- und Nordseeraum. Akten des 7. Internationalen Symposions über Sprachkontakt in Europa, Lübeck 1986
 3484301910, 9783484301917

Table of contents :
Sture Ureland / EINLEITUNG vii
A. STAND DER MND. KONTAKTFORSCHUNG 1986
1. GUSTAV KORLÉN / Rückblick 1
B. HISTORISCHER UND WIRTSCHAFTLICHER HINTERGRUND
2. KLAUS FRIEDLAND / Wirtschaftsgemeinschaft und Staatshoheit als Problem der Hanse 7
3. ROLF HAMMEL / Stadtgründung, Herkunft der Siedler und Berufstopographie der Hansestadt Lübeck im Mittelalter 21
4. LEONARD FORSTER / Die Thidrekssaga als hansische Literatur 43
C. KONTINENTALE KONTAKTE
MND - NHD
5. HANS JOACHIM GERNENTZ / Die Entwicklung des Mittelniederdeutschen durch den Einfluß des Hochdeutschen in der Zeit der Reformation, unter besonderer Berücksichtigung des Rostocker Raums 51
MND - MHD - MNDL
6. ROBERT PETERS / Das Mittelniederdeutsche als Sprache der Hanse 65
7. TIMOTHY SODMANN / Buchdruck, Buchhandel und Sprachkontakt im hansischen Raum &9
8. LOEK GEERAEDTS / Literarische Beziehungen zur Zeit der Hanse. Zur Entmythologisierung einer Stammlerschen These 1O7
9. HERMANUS JOHANNES LELOUX / Mittelniederdeutsch und Mittelniederländisch in Brügge. Soll und Haben einer Geschäftssprache 123
MND - WSLAV
10. WALTER KAESTNER / Mittelniederdeutsche Elemente in der polnischen und kaschubischen Lexik 135
11. ROBERT DAMME / Westslavische Reliktwörter im Stralsunder Vokabular 163
D. SKANDINAVISCHE KONTAKTE
MND - ASCHW - (MLAT)
12. DIETER ROSENTHAL / Über den Umfang des niederdeutschen Einflusses auf das Schwedische 179
13. LARS WOLLIN / Birgitta, Erasmus und Luther. Lateinisch-deutsch-schwedischer Sprachkontakt im Spätmittelalter 2O3
14. GUDRUN UTTERSTRÖM / Schwedische Provinzrechte - Ideologie und Interpretation 231
15. LENA WITT MOBERG / Bilingualism and Linguistic Creativity in Medieval Stockholm 243
16. LENNART BRODIN / Mittelniederdeutsche Lehnwörter in schwedischen Mundarten 257
MND - ANORW
17. ERIK SIMENSEN / Der Einfluß des Mittelniederdeutschen auf das Norwegische in Urkunden des 14. Jahrhunderts 271
E. ATLANTISCHE KONTAKTE
MND - ANORW - ME
18. GUNNEL MELCHERS / On the Low German and Dutch Element in Shetland Dialect 295
F. OSTEUROPÄISCHE KONTAKTE
MND / ASCHW - OSTSEEFINN
19. RAIMO RAAG / Mittelniederdeutsche und skandinavische Lehnwörter im Estnischen und Livischen 317
MITARBEITERVERZEICHNIS 347

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Linguistische Arbeiten

191

Herausgegeben von Hans Altmann, Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner

Sprachkontakt in der Hanse Aspekte des Sprachausgleichs im Ostsee- und Nordseeraum Akten des 7. Internationalen Symposions über Sprachkontakt in Europa, Lübeck 1986 Herausgegeben von P. Sture Ureland

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1987

HEINZ KLOSS 30.10.1904 - 13.06.1987 In Memoriam

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Sprachkontakt in der Hanse : Aspekte d. Sprachausgleichs im Ostsee- und Nordseeraum ; Akten d. 7. Internat. Symposions über Sprachkontakt in Europa, Lübeck 1986 / hrsg. von P. Sture Ureland. - Tübingen : Niemeyer, 1987. (Linguistische Arbeiten ; 191) NE: Ureland, Per Sture [Hrsg.]; Internationales Symposion über Sprachkontakt in Europa (07, 1986, Lübeck); GT ISBN 3-484-30191-0

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1987 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt.

INHALTSVERZEICHNIS EINLEITUNG. . ,

-

VII

A. STAND DER MND. KONTAKTFORSCHUNG 1986 1. GUSTAV KORKEN

Rückblick

1

B. HISTORISCHER UND WIRTSCHAFTLICHER HINTERGRUND 2.

KLAUS FRIEDLAND

Wirtschaftsgemeinschaft und Staatshoheit als Problem der Hanse

7

3. ROLF HAMMEL

Stadtgründung, Herkunft der Siedler und Berufstopographie der Hansestadt Lübeck im Mittelalter

21

4. LEONARD FORSTER

Die Thidrekssaga als hansische Literatur

43

C. KONTINENTALE KONTAKTE MND - NHD

5.

HANS JOACHIM GERNENTZ

Die Entwicklung des Mittelniederdeutschen durch den Einfluß des Hochdeutschen in der Zeit der Reformation, unter besonderer Berücksichtigung des Rostocker Raums

51

MND - MHD - MNDL 6. ROBERT PETERS

Das Mittelniederdeutsche

als Sprache der Hanse

65

7. TIMOTHY SODMANN

Buchdruck, Buchhandel und Sprachkontakt im hansischen Raum

&9

8. LOEK GEERAEDTS

Literarische Beziehungen zur Zeit der Hanse Zur Entmythologisierung einer Stammlerschen These

1O7

9. HERMANUS JOHANNES LELOUX Mittelniederdeutsch und Mittelniederländisch in Brügge

Soll und Haben einer Geschäftssprache

123

VI

MND - WSLAV

10. WALTER KAESTNER Mittelniederdeutsche Elemente in der polnischen und kaschubischen Lexik

135

11. ROBERT .DAMME

Westslavische Reliktwörter im Stralsunder Vokabular D.

163

SKANDINAVISCHE KONTAKTE MND - ASCHW -

(MLAT)

12. DIETER ROSENTHAL

Über den Umfang des niederdeutschen Einflusses auf das Schwedische

179

13. LARS WOLLIN

Birgitta, Erasmus und Luther Lateinisch-deutsch-schwedischer Spätmittelalter

Sprachkontakt im 2O3

14. GUDRUN UTTERSTRÖM

Schwedische Provinzrechte - Ideologie und Interpretation..

231

15. LENA WITT MOBERG Bilingualism and Linguistic Creativity in Medieval Stockholm

243

16. LENNART BRODIN Mittelniederdeutsche Lehnwörter in schwedischen Mundarten

257

MND - ANORW 17. ERIK SIMENSEN Der Einfluß des Mittelniederdeutschen auf das Norwegische in Urkunden des 14. Jahrhunderts E.

271

ATLANTISCHE KONTAKTE MND - ANORW - ME 18.

GUNNEL MELCHERS

On the Low German and Dutch Element in Shetland Dialect... F.

295

OSTEUROPÄISCHE KONTAKTE MND / 19.

ASCHW - OSTSEEFINN

RAIMO RAAG

Mittelniederdeutsche und skandinavische Lehnwörter im Estnischen und Livischen MITARBEITERVERZEICHNIS

317 347

EINLEITUNG

Sture Ureland

Der vorliegende Sanmielband enthält 19 Beiträge zum 7. Internationalen Symposium über Sprachkontakt in Europa, das unter dem Thema Sprachkontakt in der Hanse im September/Oktober 1986 vom Linguistischen Arbeitskreis Mannheim (LAMA) im Lübecker Rathaus durchgeführt wurde.* Die Gründe zur Verlegung des 7. Symposions nach Lübeck lagen auf der Hand: Lübeck als Hauptstadt der Hanse bot einen kulturhistorischen Rahmen an, der die Stadt zu einem idealen Tagungsort über Sprach- und Kulturkontakte in der Hanse machte. Keine andere Hansestadt hätte für das Tagungsthema den 5l Teilnehmern aus England, den Beneluxländern, Skandinavien, der DDR und der Bundesrepublik eine anregendere Atmosphäre bieten können, da Lübeck als die größte und wichtigste Hansestadt und als Pflegerin des hansischen Erbes die Kontinuität des historischen Bewußtseins aufrechterhält und zum Inbegriff der Hanse geworden ist. So führt der Bürgermeister der Stadt Lübeck traditionsgemäß den Vorsitz der seit 1980 wieder stattfindenden Hansetage. In der jetzt zehnjährigen Tradition des LAMA mit regelmäßigen Symposien standen diesmal Sprachkontakt im Ostsee- und Nordseeraum zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert im Zentrum des Interesses. Ausgehend von der These, daß das Mittelniederdeutsche (MND) in dieser Periode die Funktion einer kulturellen Überdachungssprache im Sinne von KLOSS 1978 in der Verwaltung, Gesetzgebung, Handelskorrespondenz, in den Chroniken, Urkunden usw. zwischen den Hansestädten im ganzen Ost- und Nordseeraum ausübte, wurden gezielt Experten auf dem Gebiet der historischen Kontaktlinguistik zu Vorträgen nach Lübeck eingeladen; renommierte Nederlandisten, Anglisten, Skandinavisten, Slavisten sowie mittelniederdeutsche Forscher waren gekommen. Spezialisten

VIII

für ein solches sprachwissenschaftliches Thema zu finden war nicht so schwierig wie die Suche nach den für das Thema so wichtigen handelswirtschaftlichen und sozialhistorischen Experten. Der Aufstieg Lübecks und der Hanse zu einer der größten europäischen Wirtschaftsmächte im Spätmittelalter sowie die außerordentlich große politische und soziale Bedeutung der Hanse für die zivilisatorische Innovation im ganzen Ost- und Nordseeraum ist inzwischen zu einem fruchtbaren interdisziplinären Forschungsthema unter Wirtschaftshistorikern und Sprachwissenschaftlern geworden (vgl. z . B . DOLLINGER (198l 3 ) Die Hanse und FRITZE / MÜLLER-MERTENS / SCHILDHAUER (eds.) (1986) Der Ost- und Nordseeraum, dessen Titel mit dem für das Lübecker Symposion gewählten geographischen Beschreibungsrahmen zusammenfällt). Der Handel und damit die internationalen Beziehungen in diesem ganzen Gebiet waren für den Aufstieg Lübecks die wichtigsten Faktoren, wobei die Sprachkontakte notwendigerweise die Intensität und Qualität des kulturellen Austausches mitbestimmten. In welcher Sprache wurde verhandelt? Wurden Handelsverträge über zwei- und mehrsprachige Dolmetscher abgeschlossen oder entstanden Handelspidgins wie in den späteren kolonialen Gebieten der Dritten Welt oder waren die niederdeutschen Händler sowie die Einheimischen einfach zweisprachig? Die Antwort auf diese Fragen ist nicht einfach und wir müssen mit allen drei Alternativen rechnen, da das ganze Gebiet und die Anzahl der involvierten Sprachen zu groß für eine monokausale Erklärung der Kontaktphänomene sind. Die Begriffe "Ostseeraum" und "Nordseeraum" als sozial-ökonomische Einheiten umfassen einserseits Jutland, die dänischen Inseln, Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Pommern, die Gebiete an der mittleren und unteren Oder, die Landschaften an der Weichsel und am Bug, Ostpreußen, Litauen, Livland, Estland, die Gebiete an der oberen Wolga, den Oberlauf des Dnjepr, die Gebiete um Novgorod, Nordteile Rußlands sowie die Küsten Finnlands und Schwedens (vgl. LANGER / HACKER 1986: 37-38); andererseits müssen zu dem Nordseeraum auch die atlantischen Küstengebiete Norwegens bis nach Bergen, die Ostküste Englands und Schottlands mit den Orkney, Shetland und Färöer Inseln sowie Island und die Küstengebiete von Nordfriesland bis nach Flandern und die

IX

Flußarme der Niederlande und Belgiens gezählt werden (vgl. MARCUS (1980: 125-173), über die Hanse im Nordseeraum und im Atlantik) . Angesichts der Vielfalt und des ümfangs des Handels während des Spätmittelalters in diesem gewaltigen Gebiet war der Austausch von lebenswichtigen Waren wie Getreide, Fisch, Fleisch, Holz, Metall (Eisen und Kupfer) usw. gegen Salz, Tuch, Kleider, Schmuck, Wein, Bier, Waffen, Geräte, Druckerzeugnisse die Voraussetzung für tiefere sprachliche und kulturelle Kontakte. Der Aspekt der Handelskontakte zieht sich deshalb wie ein roter Faden in den Beiträgen des vorliegenden Bandes hindurch, einfach weil er für die Glottogenese konstitutiv ist. Auf dem 6. Symposion über Die Entstehung von Sprachen und Völkern in Europa wurde der Handel als einer der elf Faktoren bei der Glottogenese hervorgehoben (vgl. URELAND 1985: 9 ) . Handelskontakte geben Anlaß zu Kommunikation zwischen den Handelspartnern, und durch die mangelnde Sprachbeherrschung entstehen Transferenzen und Adaptationen fremden Lehngutes (Personennamen, Ortsnamen, Bezeichnungen von Waren etc.). Ohne Handel gibt es wenig Kommunikation und ohne Kommunikation gibt es auch keine echte Verständigung. Es war damals so und ist heute noch so. Trotz der modernen Kommunikationsmedien waren die Menschen des Ostsee- und Nordseeraums uns gegenüber in einer Hinsicht dadurch im Vorteil, daß sie über zwei internationale Sprachen für Handel und Verkehr verfügten und damit auch bessere sprachliche Möglichkeiten zur internationalen Verständigung hatten, die heute in den entsprechenden Gebieten fehlen: das mittelalterliche Latein und das Mittelniederdeutsche. Wegen der Sprachbarrieren ist heute eine übergreifende Kommunikation im Ostsee- und Nordseegebiet wie zur Zeit der Hanse mit Hilfe einer einzigen überregionalen Sprache nicht möglich. Es handelt sich ja im einzelnen um so unterschiedliche Sprachen wie die ostseefinnischen (Finnisch, Estnisch und Livisch), die ostslavischen (Groß- und Weißrussisch), die baltischen (Lettisch und Litauisch), die westslavischen (Polnisch, Kaschubisch und Polabisch), die Varietäten des Niederdeutschen, des Niederländischen, des Englischen und des Skandinavischen (Isländisch, Färöisch, Dänisch, Norwegisch und Schwedisch). Diese internationale Kommunikationsgemeinschaft hat

durch die Vermittlung des MND deutliche Spuren in allen hier aufgezählten Sprachen hinterlassen in Form von Tausenden von Lehnwörtern und einer Anzahl von syntaktischen und morphologischen Strukturen. Diese Erbschaft aus der mnd. Periode, der Glanzperiode des mittelalterlichen Internationalismus in Nordeuropa, ist vielleicht der wichtigste dauerhafte Beitrag der Hanse zum Sprach- und Kulturaustausch im Sinne von BETZ 1944 und 1949, dessen Umfang noch zu erforschen und Gegenstand der hier veröffentlichten Artikel ist. Die Hinwendung zu einem historischen Thema in einem abgesteckten geographischen Raum war ein bewußter Schritt in der Reihe der diachronisch ausgerichteten Veröffentlichungen auf der Basis der zwei letzten von uns veranstalteten Symposien mit den Themen: Strataforschung und Kreolistik und Entstehung von Sprachen und Völkern in der Reihe der Veröffentlichungen des Linguistischen Arbeitskreises Mannheim (vgl. URELAND (ed.) 1982 und 1985), um die Theorie und Methoden der Kontaktlinguistik auf bekannte historische Themen anzuwenden, die in der Nordistik, Nederlandistik, Slavistik und in der mittelniederdeutschen Philologie seit einem Jahrhundert die Forscher beschäftigen. Die Aufarbeitung der in diesen Philologien gewonnenen Ergebnisse in einem kontaktlinguistischen Rahmen war Aufgabe des Lübecker Symposions und sollte interdisziplinäre Einsichten über die Wege des mnd. Lehnguts in die Anrainersprachen liefern. Solche Einsichten vermitteln uns viel über die Bedeutung der Kontaktprozesse für die Glottogenese der hier betroffenen Sprachen im Ostsee- und Nordseeraum. Diese Aufarbeitung gibt uns Anlaß zur Modifikation der traditionell historisch-evolutiven Auffassung des sprachlichen Wandels, weil die moderne Interferenz- und Bilingualismusforschung ein anderes Bild der Veränderungen durch Sprachkontakt gibt. Veränderungen dieser Art werden nämlich als Ergebnis von psycho-sozialen Phänomenen wie Diglossie, Code-switching, Sprachwechsel und Sprachtod sowie von bewußten Maßnahmen seitens der Menschen selber wie Kodifizierung und Standardisierung gesehen. In der alten historisch-vergleichenden Auffassung des Sprachwandels wurden diese wichtigen Genesefaktoren wenig beachtet, da die genetisch-inhärenten Perspektiven in der methodologischen Sehweise dominant waren und der Schwerpunkt der Philolo-

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gen auf dem Wandel der phonologischen und morphologischen Strukturen lag. In der Lehngutforschung war diese Einseitigkeit der Sehweise nicht vorhanden, sondern hier lag der Schwerpunkt auf der Beschreibung der Lexik und Syntax, wo die sprachliche Konvergenz im Sprachwandel deutlich zum Vorschein kommt, was in der Phonologie und Morphologie, wo die divergenten Entwicklungen mehr hervortreten, nicht der Fall ist. Diese einseitige Dominanz der evolutiv-genealogischen Perspektive mit Schwerpunktsetzung auf der Divergenz der sprachlichen Entwicklung auf Kosten der Konvergenz durch Kontakt, Bilingualismus und Lehnprozesse ist heute jedoch überwunden. Es ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Paradigmenwechsel gekommen - auch wenn dieser von führenden Theoretikern der "main stream linguistics" nicht wahrgenommen wird - indem die Kontakt- und Varianzlinguistik einen wesentlichen Beitrag zu der Entwicklung der Historiolinguistik und der synchronen Systemlinguistik leisten. Diese Feststellung macht man bei der Lektüre neulich erschienener

Arbeiten,

Z . B . BELLMANN

1971,

1980, 1982 (Dt.- S l a v . ) ,

THOMAS 1978, PROWATKE 1981, 1985, GERNENTZ 1981 (Nd.- A l t r u s s . ) , HINDERLING 1981 (Dt.- E s t n . ) , (Nd.- H d . ) , POHL /

DE VINCENZ

GERNENTZ

1964, 1986, SANDERS 1982

(eds.) 1987 (Dt.- Poln.) usw.

Besonders deutlich kommt diese "Wende" zur Kontaktlinguistik in den kürzlich publizierten Handbüchern zur historischen Linguistik und Dialektologie zum Vorschein, in denen kontaktlinguistisch ausgerichtete Beschreibungen einen nicht unbedeutenden Raum einnehmen. Als Beispiele für diese Entwicklung könnte man die groß aufgelegten Handbücher der deutschen Germanistik von BESCH / REICHMANN / SONDEREGGER (eds.) 1984-1985 über Sprachgeschichte (zwei Bände) sowie das Handbuch über Dialektologie von BESCH / KNOOP / PUTSCHKE / WIEGAND (eds.) 1982-1983 (auch zwei o Bände) und nicht zuletzt das Handbuch zur niederdeutschen Sprach- und Literaturwissenschaft von CORDES / MOHN (eds.) 1983 anführen. In jedem dieser Handbücher nimmt die Kontaktlinguistik in Form von älterer Strataforschung und moderner Interferenzforschung eine zentrale Rolle ein. Man kann ohne zu übertreiben deshalb behaupten, daß neben der Systemlinguistik junggrammatischer oder strukturalistischer Ausrichtung die Kon-

XII

taktlinguistik zu einer anerkannten Sehweise geworden ist. Auch wenn gewisse Verfasser in den erwähnten Handbüchern den Einfluß kontaktlinguistischer Forschung nicht direkt als Katalysator einer neuen sprachwissenschaftlichen Orientierung hervorheben und den Einsatz vieler Einzelforscher und Forschungszentren ignorieren, ist der Durchbruch der Kontaktlinguistik eine nicht zu leugnende Tatsache, ja sie wird vielleicht von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung in den 90er Jahren sein. In diesem Geiste wird der Linguistische Arbeitskreis Mannheim die Reihe der Symposien über Sprachkontakt in Europa mit einem Symposium über Sprachkontakt auf den Britischen Inseln im Jahre 1988 in Douglas auf der Insel Man fortsetzen. Der Linguistische Arbeitskreis Mannheim ist keineswegs die einzige Organisation, die sich kontaktlinguistischen Aspekten in den letzten Jahren gewidmet hat. Seit Ende der 70er Jahre sind Forschungszentren und ganze Forschungseinrichtungen über Zweisprachigkeit in Brüssel, Basel, Graz, Bayreuth, Stockholm usw. entstanden; Zeitschriften sind gegründet worden ( z . B . Journal of Multilingual and Multicultural Development. Multilincrua. Journal of Interlanauage Communication), drei Minderheitenkonferenzen sind abgehalten worden (in Glasgow 1980, Turku 1983 und Galway 1986), und grenzübergreifende Forschungsprojekte besonders über die Probleme der Gastarbeiter in den westeuropäischen Ländern werden durchgeführt. Wenn wir uns jetzt wieder unserer eigenen Problematik, dem Niederdeutschen, zuwenden, muß man sagen, daß der Kontaktaspekt in den niederdeutschen Studien immer vorhanden war. Es liegt vielleicht an der geographischen Lage und der besonderen Sozialgeschichte des Niederdeutschen, daß nationalromantische Ideen über die Einheit der Sprache und strukturalistische Vorstellungen von der Systemhaftigkeit nicht dieselbe Bedeutung wie in den großen Nationalphilologien bekommen haben. Dieser Umstand ist aber auch die Stärke der niederdeutschen Studien bis heute geblieben. Die Erforschung des Niederdeutschen und seine Interaktion mit anderen Sprachen sind in diesem Jahrhundert sehr umfassend gewesen. Ich brauche nur an Arbeiten wie LASCH 1914, BORCHLING 1911, BOCK 1933 in Deutschland, SARAUW 1921-24 in Dänemark, TÖRNQVIST

XIII

1939,

WESSON 1954, ROOTH 1945 und KORLEN 1950-51 in

SKIP 1924,

BRATTEGARD 1945-46

Finnland zu erinnern, um die

in

Norwegen und

KATARA

Schweden, 1966 in

Internationalität der kontaktbezo-

genen Sehweise in den niederdeutschen Studien nachzuweisen.^

In einem kontaktlinguistischen Zusammenhang sehe ich auch die Veranstaltungen über Niederdeutsch und Skandinavisch, die teils auf der Jahrestagung des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung in Schleswig im Jahre 1982, teils auf zwei weiteren Tagungen in Oslo (vgl. SCHÖNDORF / WESTERGAARD (eds.) 1987) und in Kopenhagen (vgl. HYLDGAARD-JENSEN ( e d . ) , im Druck) stattgefunden haben. Führende skandinavische Germanisten bedauern in ihren Schleswiger Vorträgen (vgl. ÄSDAHL HOLMBERG 1982, ROSENTHAL 1982, SCHÖNDORF 1982a und 1982b), daß die Erforschung des Mittelniederdeutschen durch den Strukturwandel der skandinavischen Universitätsausbildung im Fach Deutsch zum Stillstand kommen könnte, wenn nicht baldige Maßnahmen dagegen getroffen würden. Solche Warnungen vor einem Niedergang des Interesses an Niederdeutsch wurden bereits Anfang der 70er Jahre in Zusammenhang mit der Einstellung der Zeitschrift Niederdeutsche Mitteilungen in Schweden (vgl. DAHLBERG 1974, ROOTH 1974 und KORLEN 1973, 1976) geäußert. Solche Befürchtungen sind sicherlich berechtigt. Ich sehe den Niedergang des Studiums des Niederdeutschen in Skandinavien als ein allgemeines Symptom des Paradigmenwechsels von historischer zu synchroner Sprachforschung in den letzten zwei Jahrzehnten. Allerdings ist auch eine entgegengesetzte Entwicklung auf dem Kontinent im Gange, die den verlorenen Boden für die niederdeutschen Studien in Skandinavien wettmachen könnte. Ich denke dabei nicht nur an das Wiederaufleben der deutschen· Historiolinguistik in den oben angeführten Handbüchern, sondern auch an die Gründung neuer Institute und Abteilungen für Niederdeutsch in Münster, Bremen, Kiel und Hamburg und das Zentrum für Mehrsprachigkeit in Kiel sowie die Tätigkeit der DDR-Germanistik in Rostock und Greifswald. Gewiß kann diese erfreuliche Entwicklung auf dem Kontinent, was die Erforschung des Niederdeutschen angeht, alleine den wertvollen Beitrag der spezifisch ausgerichteten Kontaktstudien zwischen dem Niederdeutschen und den Sprachen im Ost- und Nordseeraum nicht ersetzen. 5 Deshalb wurden innerhalb des LAMA schon vor

XIV

vielen Jahren Pläne zu einem umfassenden Symposion über die Hanse erarbeitet, das die Internationalität des hansischen Erbes aus möglichst vielen Kontaktperspektiven beschreiben sollte, d.h. durch Beiträge über Sprachkontakt in Norddeutschland, Polen, im Baltikum, Rußland, Skandinavien, in den Beneluxländern und auf den Britischen Inseln. Die ganze Palette von Kontakten muß in einem solchen Vorhaben zur allseitigen Beschreibung kommen, weil eine geographische Abgrenzung des Kontaktgebietes unter Hervorhebung eines spezifischen Kontakts auf Kosten anderer gleich wichtiger Kontakte nicht automatisch zu einer übergreifenden Perspektive führt. Eine solche Abgrenzung war nicht die Intention der Veranstalter der Lübecker Tagung. Als Symbol für das ganze Spektrum von Sprachkontakten in der Hanse wurde eine Kompaßrose gewählt, die die Teilnehmer der Lübecker Tagung zu einer allseitigen und kontrapunktischen Sehweise anregen sollte (vgl. Abb. 1). Eine Anzahl von Sprachen sind deshalb an der Peripherie des Kreises mit kontrapunktisch gerichteten Pfeilen eingezeichnet. Diese Kontrapunktik soll hier den doppelt gerichteten Effekt des Sprachkontakts in jedem Einzelfall symbolisieren, mit oder ohne Bilingualismus. Es muß hier betont werden, daß die Kontrapunktik eine äußerst wichtige Perspektive für das Gelingen einer allseitigen Beschreibung der Lehnprozesse darstellt, weil die Beachtung eines einzigen Entlehnungsweges meistens vom MND in die Zielsprache zu einer Einbahnperspektive unter Mißachtung der Gegenseitigkeit der Kontakte führt. Denn wir haben es ja mit einer ausgeprägten natürlichen oder gelehrten Zweisprachigkeit in dem damaligen Hansegebiet zu tun, die eben die Voraussetzung für den intensiven Austausch zwischen dem Zentrum (MND) und der Peripherie (den damaligen Einzelsprachen) war.

XV

AIsl

F i n n + Estn ( R e v a l / T a l H n )

Bait ( R i g a )

ARuss (Novgorod + Pskov)

AFries

Mnrtl

WSlav ( D a n z i g )

AFrz

Mhd

MLat

Abb. 1: Graphische Darstellung der Sprachkontakte in der Hanse mit MND als Überdachungssprache

Es dreht sich in Abb. l um mindestens ein Dutzend und mehr Kontakte, deren Beschreibung die Aufgabe und das Ziel des Symposions war, aber für die in vier Fällen keine Vortragenden gefunden werden konnten: MND Baltisch, MND MLat., MND AFrz. und MND AFries. 8 Vom allgemein methodologischen und deskriptiv praktischen Standpunkt ist Abb. l zu kategorisch und zu eindimensional, indem sie nicht klarmacht, welches unerhört umfassende Netzwerk von indirekten Beziehungen zwischen den verschiedenen Sprachen in der Hanse bestanden hat. Es wird nämlich der Umstand nicht beachtet, daß das mnd. Lehngut in vielen Fällen nicht direkt aus dem MND in eine Zielsprache eindrang, sondern oft indirekt über

XVI

eine andere, benachbarte Sprache. Diese möglichen Zwischenstationen sind in Abb. l nicht berücksichtigt worden, weshalb Abb. 2 hier ergänzend als exemplarische Darstellung solcher Zwischenstationen im Modell über die Wege des internationalen Lehnguts in die Ostsee- und Nordseesprachen dienen kann (hier in bezug auf die skandinavischen Sprachen). 9 Es gehört zur Aufgabe künftiger kontaktlinguistischer Tagungen, solche Netzwerke der Beziehungen auch für die finno-ugrischen, slavischen, niederländischen und englisch-inselkeltischen Sprachräume zu erarbeiten.

\

^Altdän. ^I^Altschwcd.^^Altnorw.

"-._-..-- V

Altisl. ^

l

v

Abb. 2: Überdachung der nordgermanischen Vernakulare mit Zwischenstationen des internationalen Lehnguts zwischen 800 - 1500 (vgl. Ureland 1987: 100)

Außerdem steht im Zentrum der Abb. l das UND, was eine fiktive Größe darstellt: das Mittelniederdeutsche, wie es in Lübeck und anderen Hansestädten während des 13. bis 17. Jahrhunderts von einer gewissen gebildeten Sozialschicht gesprochen und geschrieben wurde. 10 Daß es sich hier um keine standardisierte Varietät im modernen Sinne handelt, dürfte auf der Hand liegen.11 Die aufgezählten Sprachen an der Peripherie der Abb. l sind gleicherweise fiktive Größen, weil in der historischen Periode der Hanse keine einheitlichen Standardsprachen in diesen Gebie-

XVII

ten vor 1600 existiert haben, höchstens gewisse normalisierte Schreibervarietäten in königlichen Kanzleien, kirchlichen Ämtern oder Handelskontoren. Außerdem können wir von einheitlichen Sprachen, was das Finnische, das Estnische, das Lettische und das Litauische betrifft, gar nicht sprechen, da die ältesten Quellen dieser Sprachen frühestens aus dem 15. Jahrhundert und die meisten aus dem 16. Jahrhundert stammen. Alles dies ist äußerst problematisch. Wenn wir aber die Pfeile vom MND als Symbole für die mündliche Interaktion zwischen den Sprachträgern der hier fiktiven Sprachgrößen verstehen und die Perspektive der damaligen mnd. Mundarten und Kontaktmundarten einbeziehen, besitzt unsere Figur eine allgemeine Gültigkeit. Das Ziel unserer Tagung war es, mit Hilfe der Sachkompetenz der Vortragenden einerseits die historisch-sozialen Parameter der sprachlichen Interaktion zu beschreiben und andererseits das konkrete sprachliche Material des Lehnguts zu präsentieren: Lehnwörter, morphologische und syntaktische Muster sowie semantische Transferenzen, die alle eindeutige Spuren eines intensiven Kontaktes während langer Perioden in einem einzigartigen Kulturgefälle zwischen Nord und Süd bzw. Ost und West hinterlassen haben. Das internationale fremde Lehngut, das über das MND in die Sprachen der Anrainergebiete der Ost- und Nordsee während der Hanse einfließt, stammt keineswegs nur aus dem deutschen Sprachraum, sondern ist auch direkt vom Mittellateinischen, Altfranzösischen, Mittelniederländischen, Altfriesischen oder Mittelenglischen durch zweisprachige Missionare, Mönche, Händler, Troubadoure, Reisende, Studenten usw. vermittelt worden. Eine umfassende Zweisprachigkeit mit Kenntnissen der großen Kultursprachen im Süden wird für die Transferenz des internationalen Lehngutes - besonders aus dem Lateinischen - in der Missionszeit, der Ritterzeit, im Humanismus und während der Reformationszeit vorausgesetzt, ohne daß wir für eine solche Transferenz in jedem einzelnen Fall das MND als Zwischenstation ansetzen müssen. 12 Die Kompaßrose kann diesen direkten Weg des mittellateinischen Lehngutes oder der altfranzösischen Lehnwörter in z . B . das Altschwedische nicht wiedergeben. Durch die eigene Latinität der skandinavischen Völker entstanden nämlich auch die Voraussetzungen für den direkten Import lateinischer termini, schon vor, während und

XVIII

nach der hansischen Periode. Während der Import nach Skandinavien in den meisten Fällen wohl über den Kontinent (AS und UND oder MNDL) ging, wie z.B. im Falle von aschw. paskar (asächs. pascha und lat. pascha Ostern 1 ) oder aschw. pinaizdaghar (asächs. pinkostan und lat. pentecoste 'Pfingsten'), war auch der Weg des Lehngutes über die englische Mission nach Skandinavien offen, vgl. z . B . altwestnord. guctspjall (altengl. qodspell 'Evangelium') und hvitasunnudagr (altengl. hwitasunnandeg und lat. dies pentecostes 'Pfingsten') (vgl. THORS 1957 und HELLBERG 1985). 13 Was schließlich die altfrz. Lehnwörter in den Norden bet r i f f t , können wir auch mit direkten und indirekten Wegen des Lehngutes rechnen. Es gibt einige interessante Fälle, wo eine direkte Transferenz vorliegt: aschw. am i a 'Geliebte 1 (frz. amie), asne ( a f r z . asne) 'Esel', baner (mit Endbetonung) (afrz. banniere) 'Flagge' und das so einheimisch wirkende kär ( f r z . eher) 'lieb' über eine nordfrz. Form (ker, kier) , das schon in einem Diplom von 1285 belegt ist (vgl. NORDFELT 1924: 4 8 ) . Um diesen direkten Transfer aus den kontinentalen Sprachen in den Norden besser als in der Kompaßrose darstellen zu können, ist zusätzlich Abb. 2 erarbeitet worden, die als eine Kombination eines Überdachungsmodells im Sinne von KLOSS 1978 und GOOSSENS 1973 und eines Interferenzmodells zu sehen ist. Somit sind hier sowohl direkte als auch indirekte Lehnprozesse darstellbar in einem Zusammenhang der Zweisprachigkeit, Diglossie und Interferenz in der hansischen Periode. Direkte oder indirekte Transferenzen in die Ost- und Nordseesprachen aus dem Kontinentalgermanischen (Mnd., Afries. und M n d l . ) , dem Mittellateinischen und Altfranz, sollten unbedingt auch im Bereich der Syntax und der Semantik aller beteiligten Sprachen des Ostsee- und Nordseeraums dargestellt werden. Aus der Geschichte der nordischen Sprachen sind syntaktische Strukturen bekannt, die aus dem Mnd. oder dem Mlat. übertragen worden sind: die SOV-Ordnung im Nebensatz, die passive Umschreibung mit bliva, und der enklitische Passiv, die alle zwar einheimische Voraussetzungen für die Standardisierung gehabt haben mögen, die aber letztlich erst durch den Kontakt mit den Sprachen des Kontinents zu ausdrucksfähigen Mitteln der Kommunikation ausgebaut

XIX wurden. Auch Beispiele von Wortbildungselementen und -mustern vom Kontinent fehlen in den Beiträgen unseres Symposiums nicht. Dies betrifft in besonderem Maße die große Anzahl von Lehnübersetzungen, Lehnübertragungen und Lehnschöpfungen, die für den abendländischen Sprachausgleich im Sinne von BETZ 1944 und 1949 von so großer Bedeutung gewesen sind. Auf der Wunschliste für dieses Symposion stand noch ein wichtiger Punkt. Wegen der Unmenge von Transferenzen und Interferenzen, mit denen wir in jeder Sprache des hansischen Raumes im Laufe von fast 500 Jahren zu tun haben, sollten nicht nur additiv Kontaktstrukturen gesammelt, sondern auch strukturierend eine Kontakttypologie angestrebt werden, die uns zu einem tieferen Verständnis der Sprach- und Kulturkontakte führt. Eine reine Sammlung von Lehngut in der Lexik, Morphologie, Syntax oder Semantik ist positivistisch interessant, aber interessanter und ergiebiger ist der Versuch zu einer Kontakttypologie zwischen den Sprachen im Ostsee- und Nordseegebiet, und zwar unter Berücksichtigung der dynamischen Perioden von Diglossie und Bilingualismus, die die jeweiligen Sprachen in z . B . Festlandskandinavien völlig umstrukturierten, ohne jedoch dort zu einem Sprachwechsel oder Sprachtod zu führen, nicht einmal in Dänemark, wo alle Voraussetzungen dazu vorhanden waren. Es sollte eine Liste der betroffenen Domänen zusammengestellt werden, die mögliche Antworten auf die Fragen thematisiert: Woraus entstand das Bedürfnis, neue Gegenstände, Personen und Plätze zu benennen? Was war die Rolle der Homonymität und der niedrigen Frequenz gewisser Wörter für die Übernahme von Fremdwörtern? Was war die Rolle des damaligen Slangs, der Mode, des Euphemismus, des Prestiges, der Übersetzungstätigkeit und der Sprachloyalität - das alles sollte in die typologische Liste der Sprachkontaktauswirkungen eingehen. Eine solche Liste der Faktoren der Penetration des fremden Lehngutes sollte für jede Sprache gesondert zusammengestellt werden und mit den Listen anderer Sprachen verglichen werden. Hier spielen die internlinguistischen (formalen) Gesichtspunkte eine gleich große Rolle wie die makrolinguistischen (sozialpolitischen) für den Sprachausgleich zwischen Nord und Süd. Zu Beginn der Tagung wurde empfohlen,

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solche Listen zu führen und die Faktoren in der Schlußdiskussion oder bei der Veröffentlichung der Vorträge bekanntzumachen, so daß die Faktoren übergreifend dargestellt werden könnten. 14 Auch wenn es uns nicht gelungen ist, von jeder Sprache und von jedem Gebiet des hansischen Raumes Referenten zu finden, ist es meine Überzeugung, daß unser Anliegen, den Sprachkontakt in der Hanse zu beschreiben, ein bedeutsamer Schritt ist auf dem Wege zu einem besseren Verständnis unserer gemeinsamen Vergangenheit und damit auch unserer Gegenwart. Die Hanse war vielleicht der erste Ansatz zu einem gemeinsamen europäischen Markt, der aber durch andere Interessen aufgelöst wurde und erst in unserer Generation durch die Schaffung der Europäischen Gemeinschaft eine Parallele findet. Die Hanse hat somit einen wichtigen Beitrag zum Spracheuropa im Sinne eines gewaltigen Sprachausgleichs gegeben.

Nach diesen einleitenden und allgemeinen Vorbemerkungen kommen wir nun zur Darstellung der einzelnen Beiträge dieses Bandes. Einleitend skizziert Klaus FRIEDLAND den wirtschaftlichen Hintergrund zum Entstehen des Begriffes Hanse. Im 13. Jahrhundert bezeichnete das Wort nur eine Genossenschaft einiger in London tätiger norddeutscher Kaufleute im Sinne einer Kaufmannshanse. Erst im Laufe des 14. Jahrhunderts entwickelte es sich zu einer Bezeichnung für ein mächtiges Bündnis von See- und Binnenstädten von Brügge bis nach Novgorod, von Bergen bis nach Köln stede van der düdeschen hense. die Städtehanse. Die Kaperung hansischer Schiffe durch die Engländer und andere Nationen war einer der Gründe zu einem solchen Bündnis, um den intensiven Handel im Ost- und Nordseeraum zu schützen. Rolf HAMMEL skizziert dann die Entstehung des slavischklingenden Liubice. wie Lübeck im Gründungsjahr 1143 hieß, das sich innerhalb von drei Jahrhunderten zu der zweitgrößten Stadt des Deutschen Reiches nach Köln mit über 25.000 Einwohnern im 15. Jahrhundert entwickeln sollte. Schon von Anfang an war die ethnische Zusammensetzung der Stadt an der Trave bunt und international: slavische Umsiedler aus Ost-Holstein und Oldenburg (vgl. die zahlreichen slavischen Ortsnamen), zahlreiche

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mittelniederdeutschsprachige Einwanderer aus West-Holstein, Schleswig und Niedersachsen, aber vor allem Einwanderer aus West- und Ostfalen. Dazu kamen die vielen Ausländer aus allen Ländern Europas, die Lübeck als Durchgangsstation für weitere Fahrten in den Norden benutzten. Hans-Joachim GERNENTZ behandelt in seinem ersten Beitrag, der hier veröffentlicht ist, den Sprachwechsel von Niederdeutsch zu Hochdeutsch in den hansischen Kanzleien und in der ganzen Korrespondenz der Zeit zwischen 1530 und 1630 mit besonderer Berücksichtigung der Hansestadt Rostock. Der Übergang zu Hochdeutsch in den hansischen Kontoren in dieser Periode ermöglichte einen effektiveren Informationsaustausch mit dem hochsprachigen Süden, der Niederdeutsch nicht verstehen konnte. Die Rolle des Buchdrucks war für diese Entwicklung entscheidend, da der Absatzmarkt im Süden viel größer war als im niederdeutschen Gebiet. Durch die Reformation und Verbreitung der lutherischen Schriften (Bibel und Streitschriften) kam es zu erheblichen Gewinnen für das Hochdeutsche auf Kosten des Niederdeutschen. Robert PETERS führt in seinem Beitrag über Mittelniederdeutsch und die Sprache der Hanse aus, daß wir es mit zwei Perioden des Sprachwechsels zu tun haben: vom Latein zu Mittelniederdeutsch im 14. Jahrhundert und vom Mittelniederdeutschen zu Hochdeutsch im 16. und 17. Jahrhundert. Gründe zu dem letztgenannten Wechsel waren politischer und wirtschaftlicher Natur: die Nord-Süd-Umorientierung des Welthandels im 15. und 16. Jahrhundert; das Anwachsen des Einflusses der Territorialstaaten (Dänemark, Polen, Litauen, Holland, England, Schweden etc.); die dadurch verursachte Schließung der hansischen Kontore in Novgorod und London; die kulturelle Ausrichtung des Lübecker Adels und der Lübecker Oberschicht nach dem Süden; das Fehlen einer Universität in Lübeck und die daraus folgende Abhängigkeit von mitteldeutschen und süddeutschen Universitäten und schließlich die Einführung des Hochdeutschen als überregionale Schriftsprache in Süd- und Mitteldeutschland seit Luthers Bibelübersetzung. Das alles führte zu dem Sprachwechsel und dem Sprachverfall des Niederdeutschen im schriftlichen Verkehr. In der mündlichen Kommunikation jedoch bestand das Niederdeutsche bis in unser Jahrhundert fort, erfuhr aber wegen der Begrenztheit auf wenige

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sprachliche Domänen (Landwirtschaft, Handwerk, Service-Berufe usw.) einen Rückfall in Dialekte (Dialektisierung), weil die Stütze einer offiziellen Schriftsprache zum lexikalischen Ausbau in wissenschaftlichem, technischem und verwaltungsmäßigem Sinne fehlte, die als integrierender Faktor für das Bestehen einer modernen Schriftsprache absolut notwendig ist. Timothy SODMANN und Loek GEERAEDTS zeigen anhand konkreter Fakten, wie die Produktion und Rezeption mittelniederdeutscher Literatur in hohem Maße vom Buchdruck und von der Distribution zu den Abnehmern abhängig waren. Dies hing wiederum von den in den Büchern und Schriften verwendeten Sprachen ab. Durch die Reformation kam es jedoch zu einer erheblichen Adressatenumorientierung. Während das mittelniederdeutsche Gebiet Anregungen aus hauptsächlich dem mittelniederländischen Gebiet über Brügge, Gent und Antwerpen in Form von Übersetzungsliteratur aus dem Romanischen (Französisch, Spanisch und Italienisch) bekam, war die einheimische Produktion mittelniederdeutscher Literatur in der Hanse erstaunlich gering. Die Hanseaten waren jedoch ausgezeichnete Verteiler fremder Literatur in Form von Übersetzungen, wodurch Hansestädte wie Brügge, Gent, Antwerpen, Köln und Lübeck den Zugang zur Literatur südlicher Länder eröffneten. Der Export von Büchern in den Norden und Osten war deshalb beträchtlich. Es scheint jedoch, als ob die Hanseaten angesichts ihrer Bemühungen, den Welthandel in Gang zu halten, wenig Zeit für eine eigene Produktion von Literatur gehabt haben (vgl. dazu Forsters Beitrag). H. J. LELOUX behandelt eingehend die Stellung der mittelniederländischen Schriftsprache in Brügge und das Verhältnis zu der offiziellen Sprache lübeckischer Prägung, dem Mittelniederdeutschen. Durch das hohe Prestige der mittelniederländischen Hansestädte und ihrer Kultur wurde die die Handelssprache der Hansestädte in Overijssel, Drente und Gelderland niederlandisiert, was heute noch in den Urkunden und Handschriften aus dieser Periode sichtbar ist. Hans Joachim GERNENTZ berichtete in seinem zweiten Vortrag auf dem Lübecker Symposion (hier nicht veröffentlicht) über das Rostocker Projekt "Das Russisch-Niederdeutsche Gesprächsbuch von Tönnies Fenne, Pskov 1607", das außerordentliche Informationen

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über die Stellung der Russischkenntnisse im Osthandel vermittelt. In Handelsverträgen und Verhandlungen mit Vertretern für den Rußlandmarkt waren ausgebildete Dolmetscher, die aus dem Russischen ins Niederdeutsche oder eine andere westeuropäische Sprache bzw. in die umgekehrte Richtung übersetzen konnten, so entscheidend, daß ein Monopol über die Dolmetscherausbildung praktisch einem Monopol über den Handel gleichkam. Deshalb sind Gesprächsbücher dieses Typs durchaus als Vorbereiter zu unseren modernen Sprachführern zu sehen und waren deshalb auch ein Schlüssel zur Erschließung des östlichen Marktes mit seinen unerhört großen Reichtümern. Die Hanseaten besaßen sowohl ein kommerzielles als auch ein sprachliches Monopol bis tief ins 16. Jahrhundert. Die Eröffnung des Seeweges um das Nordkap Ende des 16. Jahrhunderts durch die Niederländer und Engländer (vgl. Gründung von Arkangelsk im Jahre 1584) machte dann auch den Weg frei für die Erlernung des Russischen. Tönnies Fennes Gesprächsbuch von 1607 sollte in diesem spannenden historischen Zusammenhang gesehen werden. Es gab jedoch Konkurrenten zu diesem mittelniederdeutsch - russischen Gesprächsbuch, nämlich das niederländisch - russische Gesprächsbuch von Jan van HEMEER (Arkangelsk, Mitte des 17. Jahrhunderts) und sogar ein hochdeutsch - russisches Gesprächsbuch von Heinrich NEWENBÜRGK (1629). Walter KAESTNER und Robert DAMME setzen die Darstellung der Ostkontakte des Mittelniederdeutschen fort mit ihren Beiträgen über die mittelniederdeutschen Elemente in der kaschubischen und polnischen Lexik bzw. über westslavische Elemente im Stralsunder Vokabular. Auf diese Weise können die gegenseitige Beeinflussung und Bereicherung zwischen Mittelniederdeutsch und dem Westslavischen dargestellt werden, und zwar in einem Gebiet östlich von Lübeck, das im 13. bis 14. Jahrhundert einen Sprachwechsel vom Westslavischen zum Mittelniederdeutschen durchmachte. Die aus dieser Periode übriggebliebenen Slavismen (Reliktwörter) in Ortsnamen (vgl. z . B . Berlin. Wollin. Stettin u s w . ) , in Personennamen und in der Lexik der niederdeutschen Mundarten, z.B. Juche "warme Brühe 1 , Stupe 'Schandpfahl 1 sind als Fossilien (Infiltrat) einer versunkenen Sprache (Polabisch) anzusehen. Beispiele wie Besemer 'Handwaage 1 , Pram 'Flußboot 1 , Tolk 'Dolmetscher'

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etc. gelten als indirekte Infiltrate vom Russischen und anderen slavischen Sprachen. Sprachkontakte der Hanseaten im Westen und Norden werden von Gunnel MELCHERS behandelt. Sie berichtet über ihr Projekt auf den Shetland-Inseln, wo seit 1469 das skandinavische Norn vom Low Scots der neuen Herren in Schottland überrannt wurde, aber auch von Seefahrersprachen wie Niederländisch und Niederdeutsch, so daß im 18. Jahrhundert auch ein Sprachwechsel auf den Shetland-Inseln stattfand. Mit Hilfe einer Anzahl von Beispielen aus den Mundarten auf den Shetland-Inseln zeigt Melchers, welche außerordentlich große Mischung von Skandinavisch (Norn), Schottisch-Englisch und Niederländisch/Niederdeutsch in der Lexik des heutigen Shetlanddialekts als Reste früherer Sprachkontäkte noch existiert, so daß es sich mit dem Pidgin Russe-Norsk in Nordnorwegen vergleichen läßt. Es ist in vielen Fällen unmöglich zu entscheiden, welches die Ausgangssprache der Lexeme war, die heute als normale Wörter im Shetland-Englisch vorkommen. In einigen Fällen ist wohl das Mittelniederdeutsche oder Mittelniederländische die wahrscheinlichste Quelle, z.B. anker 'Anker 1 , ganska 'ziemlich', während in anderen Fällen das Norn die Quelle sein dürfte: Scalloway (Ortsname), guster (Wind), bland, gjola. (Essen), tushker 'Spaten 1 , ouskeri 'Schöpfkelle 1 , usw. Der außerordentlich große Einfluß des Mittelniederdeutschen auf die Lexik einer anderen nördlichen Sprache wird durch Erik SIMENSENS Beitrag exemplarisch dargestellt, der die mittelniederdeutschen Wörter in altnorwegischen Urkunden des 14. Jahrhunderts behandelt. Ähnlich gut dokumentiert setzt sich Lena WITT MOBERG mit den mittelniederdeutschen Lehnwörtern in den Gerichtsprotokollen (Tänkeböcker) des mittelalterlichen Stockholm zwischen 1474 und 1660 auseinander, die auch mittelniederdeutsche Texte enthalten. Ein besonders glücklicher Umstand ist, daß zwei Notare in der Stockholmer Kanzlei, Ingevald und Helmik van Norden, schwedischer bzw. niederdeutscher Herkunft waren, so daß man anhand ihrer Schreibungen sehen kann, wie unterschiedlich der Germanisierungsprozeß in verschiedenen Bevölkerungsgruppen im mittelalterlichen Stockholm fortgeschritten war. Helmik war als Enkelkind eines nach Schweden immigrierten Norddeutschen vermutlich zweisprachig, während Ingevald schwedische Vorfahren

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hatte und wohl nur Schwedisch beherrschte. Ingevald verwendet noch überwiegend altschwedische Wörter und Strukturen, z . B . vindöaha 'Fenster 1 , läkiare 'Arzt', und änlite 'Gesicht'. Helmik dagegen verwendet öfter die aus dem Mittelniederdeutschen integrierten Lexeme, z . B . fönster. arst. ansikte (vgl. mnd. venster. arste und anaesichte). Lennart BRODIN gibt in seinem gut dokumentierten Beitrag über mittelniederdeutsche Lehnwörter in schwedischen Mundarten eine Liste, die aus verschiedenen Domänen (Handel, Essen, Beruf, Religion, Architektur usw.) stammen, von denen aber ein standardsprachiger Schwede nur ganz wenige wiedererkennen kann, weil solche mittelniederdeutschen Lehnwörter entweder in der schwedischen Standardsprache veraltet ( z . B . bislag 'Beischlag' (mnd. bislach) oder untergegangen, ( z . B . lidköp 'Weinkauf' (mnd. litkop) . fly 'geben 1 (mnd. vlien) oder nur als fachsprachliche 1 Handwerkertermini ( z . B . pärsa 'bügeln (mnd. persen)) aufgenommen worden sind. Die meisten Lexeme in Brodins Liste gehören jedoch zum Grundwortschatz der schwedischen und finnland-schwedischen Dialekte von Süden bis nach Norden, z . B . ullspel "Spaßvogel 1 (Götaland, Värmland, Härjedalen, Ängermanland, Västerbotten) (mnd. ulenspeael). luna 'Laune' (Götaland, Norrland, Finnland-Schweden) (mnd. lüne), onardio 'ungezogen' (ganz Schweden und ganz Finnland-Schweden) (mnd. unardich). Für die Verbreitung aller mittelniederdeutschen Lehnwörter in schwedischen und finnland-schwedischen Dialekten sowie in der mittelalterlichen Stadtsprache Stockholms werden verschiedene Hypothesen erörtert. Die für die Mundarten wohl glaubwürdigste Hypothese ist der direkte Weg von niederdeutschen Immigranten in Stockholm und anderen Städten, vielleicht über die Vermittlung von Zweisprachigen (Kinder) , zu den Schweden. Es dreht sich hier also um eine Beeinflussung über die gesprochene Sprache (natürlicher Bilingualismus). Der indirekte Weg über die Schriftsprache muß aber auch in Erwägung gezogen werden, da die gelernte Zweisprachigkeit eine gleichgroße Rolle bei der Entstehung einer Schriftsprache spielt, wie die natürliche Zweisprachigkeit mit der Folge der Verbreitung neuer Lehnwörter über die Schrift und die Fachsprachen. Dieter ROSENTHAL setzt sich auch mit dem Einfluß des

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Mittelniederdeutschen auf das mittelalterliche Schwedisch auseinander, wobei er hervorhebt, wie außerordentlich groß dieser Einfluß gewesen sein muß, um das schwedische Vokabular so total zu verändern. Die Angaben über den Prozentsatz mittelniederdeutscher Lexeme im Schwedischen schwankt zwischen 30% (SANDERS) und 75% (HYLDGARD-JENSEN). Die meisten Forscher geben jedoch 50% als den wahrscheinlichsten Prozentsatz niederdeutscher Lehnwörter im Schwedischen (WESSEN) an. Der Einfluß war so umfassend, daß sogar Funktionswörter wie Hilfsverben (schw. bliva 'werden 1 (mnd. bliven), mäste (mnd. moste. Prät. von mnd. moten 'müssen 1 ), Konjunktionen (schw. men 'aber 1 (mnd. inen), Zeit- und Modaladverbien (schw. nu ' j e t z t ' , kanske 'vielleicht', dock "doch", iu ' j e ' , ganska 'ziemlich 1 usw.) schnell integriert wurden. Gudrun UTTERSTRÖM und Lars WOLLIN behandeln die Entstehung der schwedischen Schriftsprache und die Rolle des Latein und des Mittelniederdeutschen für die Glottogenese in Schweden zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert. Während dieser Periode wurde das Schwedische durch drei Versuche zur Kodifizierung und Standardisierung erheblich vom Ausland beeinflusst: erstens durch die Kodifizierung der altschwedischen Provinzrechte, zweitens durch die einheitliche Klostersprache von Birgittas Orden in Vadstena und drittens durch die zwei Bibelübersetzungen von 1526 und 1541. Raimo RAAG gibt eine Übersicht über die ostseefinnischen Sprachen und hebt besonders in einer historischen Zusammenfassung die Kontakte zwischen Osteefinnisch (Estnisch, Wotisch und Livisch), Niederdeutsch/Hochdeutsch und dem Estland-Schwedischen hervor. Mit Hilfe von Beispielen aus dem Estnischen zeigt er, wie schwer es manchmal ist, die Quellensprache für viele estnische Lehnwörter anzugeben, z . B . estn. köök 'Küche' (mnd. koke, schw. kok), kahvel 'Gabel' (mnd. gaffele. schw. gaffel) und härra 'Herr 1 (mnd. here, her, aschw. h ä r r a ) . Leonard FORSTER gibt ein Expose über das, was die Hanseaten als Abendliteratur wohl gelesen haben mögen, und erörtert dabei die möglichen Quellen für die altnordische Thidreksaga. Gustav KORLEN betont in seinem Stand der Forschung und seiner Zusammenfassung der Lübecker Tagung die enorme Spannweite der

XXVII Thematik und die Vielfalt der neuen Forschungsrichtungen, die in den mittelniederdeutschen Studien früher unbekannt waren. Klaus FRIEDLAND hob in der Schlußdiskussion die Notwendigkeit weiterer Erforschung des Mittelniederdeutschen hervor, weil nur wenige Gebiete in Europa so gut dokumentiert sind wie der hansische Raum. Diese Aussage erhält in diesen Tagen ein besonderes Gewicht, als

es nach langen Verhandlungen nunmehr gelungen

ist,

die während des II. Weltkrieges ausgelagerten, von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmten und zum größten Teil der DDR übergebenen Archivmaterialien wieder in die Bundesrepublik Deutschland zurückzubringen (vgl. Bericht von Winters in der FAZ vom 4.12.1986, S. 2 6 ) . Auf Anregung von Prof. SCHÖNDORF wurde auch in der Schlußdiskussion in Lübeck eine ganze Wunschliste von Zielen für die weitere Erforschung des Mittelniederdeutschen zusammengestellt: nicht nur die Lexik der Kontaktsprachen sollte in Bezug auf das mittelniederdeutsche Lehngut untersucht werden, sondern auch die Morphologie und die Syntax in den verschiedensten Textsorten; auch die mündlich transferierten Strukturen und Elemente sollten dabei erfasst werden; der Transfer in nicht nahe verwandte Sprachen (Slavisch und Ostseefinnisch) wäre für eine Typologie der Sprachkontakte unbedingt wünschenswert und nicht nur in nahe verwandten Sprachen (Skandinavisch oder Mittelniederländisch) ; auch ist ein Studium der Transferenzen in den Mundarten über die jeweiligen Sprachgrenzen hinweg ein weiteres Desideratum, so daß z . B . bei der Erforschung mittelniederdeutscher Lehnwörter im Schwedischen auch diejenigen im Norwegischen parallel erfasst werden müßten, da der Transferprozeß im Mittelalter nicht an die heutigen Landesgrenzen gebunden war, was aus der großen Anzahl mittelniederdeutscher Wörter im Norwegischen ersichtlich ist, die über das Altschwedische ins Altnorwegische gelangt sind; von besonderem Interesse für die historische Kontaktlinguistik wäre auch ein intensives Studium der Stockholmer

Stadtsprache

im Mittelalter,

wo eine

ausgeprägte

Zweisprachigkeit herrschte, von der wir in Form von Gerichtsprotokollen (Tänkeböcker) ein einzigartiges Sprachmaterial besitzen, dazu kommt noch der Umstand, daß die Schreiber oft verschiedenen ethnischen üsprungs gewesen sind (Ingevald und Hei-

XXVIII

m i k ) , so daß die Texte dadurch Zeugnis für die Wirkung der Zweisprachigkeit ablegen; weiterhin sei die Kontrapunktik in den Kontaktstudien zwischen den Sprachen sowohl in Nord und Süd als auch in Ost und West eine unverzichtbare Sehweise, damit die Gegenseitigkeit der Interaktion dargestellt werden kann; schließlich müßte eine Lexikographie der Lehnwörter im Sinne von TÖRNQVIST 1977, der nur das Schwedische beschreibt, für den ganzen hansischen Raum erstellt werden, wobei vergleichende Studien über das mittelniederdeutsche Lehngut in Randzonen (Baltikum, Finnland, Nordskandinavien, Shetland, Island, England usw.) von großem Interesse wären.

Meinen einleitenden und einführenden Ausführungen zu diesem Band möchte ich den Dank an alle anfügen, die mit ihren Beiträgen zu einer Behandlung der ergiebigen Thematik beigetragen haben und deren Ergebnisse nun in der vorliegenden Publikation vorgestellt werden können. Mein Dank gilt aber auch dem Lübecker Bürgermeisteramt, insbesondere Herrn Boydenow, dem Leiter des Schulwesens der Stadt Lübeck, der das Symposion eröffnete, und dem Senator für Kultur- und Schulwesen, Herrn Lund, der uns alle im mittelalterlichen Audienzsaal des Lübecker Rathauses willkommen hieß, ferner dem Niederdeutschen Sprachverein, den Instituten für Niederdeutsch der Universitäten Münster und Kiel sowie den Seminaren für Deutsch an den Universitäten in Oslo und Göteborg, die alle die Veranstalter bei der Vorbereitung des Symposions unterstützten und so zu einer reibungslosen Durchführung des Symposions beitrugen. Im Namen des Linguistischen Arbeitskreises Mannheim und aller aktiven Teilnehmer möchte ich an dieser Stelle auch der Stiftung Volkswagenwerk für ihre großzügige finanzielle Unterstützung ausdrücklich danken. Herrn Prof. Jan Goossens, Münster, dessen Ratschläge mir bei der frühen Planung des Symposions sehr wertvoll waren, und der auf diese Weise indirekt zu dem internationalen Rahmen beitrug, bin ich besonders dankbar. Für die Herstellung der druckfertigen Manuskripte danke ich Christine Strassner, Elke Danner und besonders Edith LutzRoller, ebenso meinem Kollegen Erwin Diekmann für die organisa-

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torische Tagung.

Unterstützung bei

der

Planung und Durchführung

der

Anmerkungen * Das 7. Internationale Symposion über Sprachkontakt in der Hanse wurde dankenswerterweise von der Stiftung Volkswagenwerk gefördert, wodurch eine breite Palette von Vorträgen ermöglicht wurde. Der hier breit angelegte Rahmen der Sprachkontakte im Ostsee- und Nordseegebiet wäre ohne diese finanzielle Unterstützung nicht möglich gewesen. 1 Vgl. z . B . die Artikel von ÄRHAMMAR 1984 (Fries. - Deutsch); BELLMAN 1984 (Slavisch - Deutsch); HINDERLING 1984 (Baltisch Deutsch); LÜDTKE 1984 (Franz. und Frankoprovenz. Deutsch); NAUMANN 1984 (Skandinav. - Deutsch) sowie PETERS 1985, der ein Thema behandelt, das mit dem des Lübecker Symposions fast identisch ist: "Die Rolle der Hanse und Lübecks für die mittelniederdeutsche Sprachgeschichte". Ein solcher Themenzusammenfall zeigt die Aktualität der Kontaktforschung in diesem geschichtsträchtigen Raum und ihre ergiebigen Perspektiven. 2 Vgl. bes. den Artikel Hanse", 991-1002.

von

SANDERS

1983

"Die

Sprache

der

3 Vgl. die in CORDES / MOHN (eds.) 1983 erschienenen Artikel, deren Titel auch fast gleichlautend mit denen der hier veröffentlichten Beiträge sind, z . B . GABRIELSSON 1983 (Mnd. N h d . ) ; HYLDGAARD-JENSEN 1983 (Mnd. - S k a n d . ) ; KAESTNER 1983 (Nd. - S l a v . ) ; MOSS 1983 (Nd. - Nachbarsprachen); de SMET 1983 (Nd. - N d l . ) ; SPENTER 1983 (Nd. - Fries.). 4 Vgl. hierzu den Beitrag von KORLEN in diesem Band. 5 In den oben erwähnten Sammelbänden von FRITZ / MÜLLER-MERTENS / SCHILDHAUER (eds.) 1986 und POHL / DE VINCENZ (eds.) 1987 sind solche wertvollen Kontaktstudien zu dem Thema Nd. Slav, veröffentlicht worden, z . B . FRITZE 1986; LANGER / HACKER 1986; GERNENTZ 1986; SCHILDHAUER 1986a, 1986b; KAESTNER 1985 (vgl. auch den Artikel von JEANNIN 1973 über den Lübecker Tönnies Fenne im Rußland des 17. Jahrhunderts sowie die Artikel über das Tönnies Fenne Projekt in Rostock von GERNENTZ 1981, KOPPLOW 1981 und PROWATKE 1981, 1985). 6 Die Pläne zu einem parallel zu und Niederdeutsch in (1987) und Uppsala

solchen Symposion im Rahmen des LAMA waren unabhängig von den Symposienplänen über Skandinavien in Oslo (1985) , Kopenhagen (geplant für 1989) konzipiert worden.

XXX

7 In den hier veröffentlichten Beiträgen wird das Niveau der Kontrapunktik in den Beschreibungen nicht erreicht, weil die speziellen regionalen Varietäten des MND in Skandinavien, Baltikum, England usw. nicht genügend bekannt sind und weil die Aufmerksamkeit der Autoren auf den Einfluß des MND auf die Anrainersprachen konzentriert ist. Zum Problem der Varietäten des MND in Skandinavien siehe BRATTEGARD 1945-46; SCHÖNDORF 1987a (Norwegen); KANTOLA 1983, 1987 (Finnland); CARLIE 1925, WINGE 1982a, 1982b, 1987 (Dänemark); DAHLBERG 1955-56 (Schweden); SCHLÜTER 1906; HANSON 1928 und GABRIELSSON 1971 (Gotland); SCHLÜTER 1914 (Novgorod). 8 Für den Kontakt MND - Aruss hielt Hans Joachim GERNENTZ einen zweiten Vortrag auf dem Lübecker Symosion über "'Das russisch-niederdeutsche Gesprächsbuch1 von T. Fenne, Pskov 1607 in seinem sprach- und gesellschaftshistorischen Umfeld", der hier wegen copy-right Bestimmungen nicht veröffentlicht werden kann. 9 Die Überdachung der nordgermanischen Sprachen durch das mittelalterliche Latein und Kontinentalgerm, ist in Bezug auf Altnorw. und Altisl. in Abb. 2 dünner gezeichnet als jene in Bezug auf das Altdän. und Altschwed. Der größere Einfluß des Altengl. im westlichen Skandinavien und der entsprechende größere Einfluß des MND im Osten Skandinaviens sind hierdurch zum Ausdruck gekommen, graphisch symbolisiert durch die Zuspitzung des Daches für den abnehmenden Einfluß. Die gebrochenen Pfeile in der Abb. bezeichnen den direkten Sprachkontakt zwischen Zweisprachigen (natürlicher Bilingualismus), während die abgebrochenen Pfeile den indirekten Kontakt (gelehrter Bilingualismus) angeben (vgl. dazu auch URELAND 1986: 36 und 1987: 100). 10 Über die Einheitlichkeit der Lübecker Rechtsund Handelssprache zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert sind sich die Forscher einig: KORLEN 1951: 175 hat die Rechtstexte aus dem Ende des 13. Jahrhunderts studiert und findet, daß sie eine bemerkenswerte Einheitlichkeit zeigen, BISCHOFF 1962: 13 spricht von einer hansischen Umgangssprache in Handel und Verkehr, die lübisch geprägt ist und SANDERS 1983: 991-92 spricht von einer überregionalen Einheitlichkeit, die den Rang einer "nahezu allgemeingültigen nordeuropäischen Verkehrssprache erreichte". 11 SANDERS 1983 warnt in diesem Zusammenhang davor, das gesamte MND als ein einheitliches Sprachsystem zu betrachten, weil es zu keinem Zeitpunkt ein solches darstellte (S. 991). Es hatte alle diaphasischen, diastratischen und diatopischen Eigenschaften wie jede andere mittelalterliche und moderne Sprache. Die Hansesprache wird deshalb als eine Schriftsprache ausgegrenzt, weil es sich um eine ausgeprägte standardisierte Rechts- und Handelssprache handelte (siehe dazu auch PETERS in diesem Band). 12 Ein solches umfassendes Überdachungs- und Kontaktmodell über das internationale Lehngut vom Hebräischen, Griechischen und

XXXI

Lateinischen in die mittelalterlichen und modernen europäischen Sprachen wird in URELAND 1986: 36 und 1987: 102 vorgestellt. 13 Diese direkten früheren Kontakte mit dem Kontinent und dem Lateinischen werden in dem Artikel von Utterström betont, besonders was die Entstehung der aschw. Gesetzessprache betrifft (vgl. auch UTTERSTRÖM 1975, 1978, 1983). 14 Eine solche systematische Liste der Domänen und Kontaktfaktoren wurde nach dem Symposion nicht erstellt, weil jeder Autor die Transferenzen und Integrationen nach seinen eigenen semantischen Kriterien und Überschriften klassifizierte.

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REICHMANN /

SONDER-

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und

der

abendländische

XXXII

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RÜCKBLICK

Gustav Korlen

In seiner Einladung an mich zur Teilnahme an diesem Symposium schrieb mir Sture Ureland, er wünsche von mir eine Einleitung zur abschließenden Diskussion, wo ich meine Eindrücke von der Tagung zusammenfasse: Es kann gerne auch stichwortartig sein, aber wenn wir für die verschiedenen Kontaktgebiete des Mittelniederdeutschen eine gewisse Typologie entdecken könnten, wäre das eine schöne Sache. Ist es so, daß jeder Kontakt historisch und sozial so eigenartig ist, daß eine solche Typologie nicht aufzustellen wäre, oder ist es so, daß wir tatsächlich gewisse gemeinsame Tendenzen in den Kontaktsprachen entdecken können? Ich vermute, daß die Historiker diesbezüglich skeptisch sein werden, aber die Sprachwissenschaftler könnten hier anders vorgehen. Ehe ich meine Eindrücke kurz zusammenfasse, versuche ich aber, nicht zuletzt im Hinblick darauf, daß an diesem Symposium so erfreulich viele jüngere Wissenschaftler beteiligt waren, einen kurzen historischen Rückblick als Hintergrund zu vermitteln. 1 Für mich war diese Tagung, um eine Formulierung von Henning Brinkmann zu gebrauchen, in der Tat eine "Rückkehr zu den schönsten Stunden meiner Studienzeit". Wer, wie es damals in Rezensionen hieß, von der "bewährten Lunder Schule" Erik Rooths herkommt und dann im Jahre 1950 im Lübecker Stadtarchiv bei dem unvergessenen Hansehistoriker Ahasver von Brandt gearbeitet hat, betrat mit diesem Symposium in dieser geschichtsträchtigen Hansestadt natürlich vertrautes, wenn auch inzwischen etwas überwachsenes Gelände. Es verhält sich ja denn auch so, daß fast alle schwedischen Germanisten meiner Generation mehr oder weniger niederdeutsch geprägt sind. Wie kam es dazu? Historisch gesehen muß die schwedische, ja in gewissem Sinne die gesamte nordische Germanistik weitgehend sub specie Germaniae inferioris betrachtet werden. Es genügt, auf die Namen Christian Sarauw und Peter Jjtfrgensen in Dänemark,

2

Olav Brattegard in Norwegen und Pekka Katara in Finnland hinzuweisen. Aber am stärksten war diese Tradition zweifellos in Schweden. Es ist bezeichnend, daß hier schon der erste germanistische Lehrstuhl, 1906 in Uppsala eingerichtet, mit einem Philologen besetzt wurde, der sich mit einer mnd. Textausgabe habilitiert hatte (Hjalmar Psilander, Die niederdeutsche Apokalypse. 1901). Vor achtzig Jahren erschien in Uppsala auch eine Dissertation, wo der Verfasser - wie Jacob Grimm Anhänger der Kleinschreibung - im Vorwort schon die kommende Entwicklung programmatisch vorzeichnete: Übrigens hat auch die schwedische Philologie ein eigenes interesse daran, dass das mittelniederdeutsche baldigst durchforscht wird. Von dort her ist uns eine unmenge sprachgut gekommen, dem der laie freilich das "made in Germany" nicht mehr ansieht. Um in jedem falle die richtige Ursprungsbezeichnung ansetzen zu können, müssen wir am entstehungsorte selbst nachfrage halten. - Jedenfalls haben sich in der letzten zeit jüngere germanisten in Schweden fast einmütig dem niederdeutschen zugewendet. Wenn es zu einer wirklichen Zusammenarbeit dieser beteiligten, also zur bildung einer "niederdeutschen schule" in der schwedischen philologenweit kommen könnte, sind m.e. daraus nur vorteile zu erwarten - für die arbeit wie für die arbeitenden. (Artur Korlen, Statwechs gereimte Weltchronik. Diss. Uppsala 1906). Zu dieser niederdeutschen Schule ist es ja denn in der Tat auch gekommen, und zwar in erster Linie durch den vor kurzem im Alter von 96 Jahren verstorbenen, bis zuletzt wissenschaftlich aktiven Altmeister Erik Rooth 2 . Er war Schüler von Psilander, erhielt aber seine entscheidenden Anregungen von Conrad Borchling in Hamburg, wo er in den Jahren 1915-16 Assistent war. Sein Amtsantritt in Lund 1932, aufgrund von Gutachten u.a. von Borchling und Edward Schröder in Göttingen, führte zu der bekannten Blütezeit der nd. Studien in Schweden, die noch über Rooths Emeritierung im Jahre 1954 hinaus wirksam war. Ende der fünfziger Jahre waren alle vier Lehrstühle mit Lunder Germanisten vorwiegend nd. Ausrichtung besetzt. Drei davon waren Schüler von Rooth. Mit Märta Äsdahl Holmberg als Nachfolgerin von Torsten Dahlberg in Göteborg kam eine vierte Schülerin hinzu. In Hamburg hatte Rooth auch Kontakt gehabt mit Agathe Lasch, deren Mittelniederdeutsche Grammatik aus dem Jahre 1914 als eine Art Gründungsurkunde der modernen mnd. Philologie bezeichnet

3

werden kann. Wenig bekannt ist, worauf mich Erik Rooth vor einigen Jahren brieflich aufmerksam machte, daß um dieselbe Zeit ein anderer Schüler von Psilander, Elof Colliander, in Uppsala ein Mittelniederdeutsches Elementarbuch verfaßt hatte, das im Carl Winter Verlag in Heidelberg erscheinen sollte. Daraus wurde nun nichts, vielleicht, weil der Verlag angesichts der Grammatik von Lasch eine Veröffentlichung für überflüssig hielt. Dies war dann allerdings eine Fehlentscheidung, wie aus der einzigen erhaltenen Umbruchkorrektur in der Bibliothek der Kommission für Mundart- und Namensforschung in Münster hervorgeht und wie ich an anderer Stelle näher ausführen werde. Collianders Elementarbuch wäre damals zweifellos ein Standardwerk in Forschung und Lehre gewesen. 3 Daß das Problem des nd. Einflusses auf die schwedische Sprache auch ein zentrales Thema unserer Nordistik ist, liegt auf der Hand. Eine zusammenfassende Darstellung unter Einbeziehung der relevanten Literatur gab Elias Wessen in einer populärwissenschaftlichen Schrift Om det tyska inflytandet pä svenskt spräk under medeltiden (1954, 3. Aufl. 1970). Auch die schwedische Geschichtswissenschaft hat ein starkes Interesse daran gehabt, die schwedisch-hansischen Beziehungen zu erforschen. Zu nennen ist hier namentlich die großangelegte, von deutschen und schwedischen Historikern etwas unterschiedlich beurteilte Abhandlung von Kjell Kumlien, Sverige och hanseaterna (Stockholm 1953), ferner mehrere z.T. gegen die deutsche Forschung (Fritz Rörig u . a . ) gerichtete polemische Arbeiten des Lunder Historikers Hugo Yrwing, zuletzt seine Stadtgeschichte Visby. Hansestad pa Gotland (1986). Von Interesse in unserem Zusammenhang ist auch die rechtsgeschichtlich bedeutsame Dissertation von Erik Anners, Hand wahre Hand (Uppsala 1952), in der u . a . Beziehungen zwischen hansischen und skandinavischen Rechtsquellen erörtert werden. Mit diesen Hinweisen auf historische, städte- und rechtsgeschichtliche Forschungen kommen wir auf einen sehr wichtigen Aspekt der mnd. Philologie, auf den schon Agathe Lasch in einem grundlegenden Vortrag "Vom Werden und Wesen des Mittelniederdeutschen" bei einer Jahrestagung des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung in Hamburg - wie immer charakteristischer-

4

weise zusammen mit dem Hansischen Geschichtsverein - 1924 aufmerksam machte. Sie betonte darin, daß die mnd. Überlieferung weit stärker als die mhd. sprachsoziologisch - man würde heute "textsortenspezifisch" sagen - von Interesse sei. Die Literatur, dort Grundlage, ist hier mehr Ergänzung des Materials: Diese engen Wechselbeziehungen zum öffentlichen Leben machen nun aber gerade die niederdeutschen Sprachbetrachtungen so besonders reizvoll, weil wir überall die Sprachgeschichte als lebendig erfassen, bedingt durch politische und geistesgeschichtliche Vorgänge und wiederum diese bedingend. Es ist dies in der Tat eine erstaunlich moderne Feststellung, die geradezu als Motto für unser Symposion gelten könnte. Was vor diesem aus einer schwedischen Perspektive kurz skizzierten wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund nun zunächst auffällt, ist der Umstand, daß die Initiative diesmal von einem Vertreter der allgemeinen Linguistik ausgegangen ist. Dies ist natürlich überaus symptomatisch für die Entwicklung der Sprachwissenschaft in den letzten Jahrzehnten. Begriffe und Bereiche wie Kontaktlinguistik, Interferenz- und Zweisprachigkeitsforschung, Soziolinguistik, Textsortenlinguistik, Translationstheorie und Kommunikative Kompetenz waren in den 40er und 50er Jahren noch nicht erfunden bzw. nur unzulänglich entwickelt. Damit ist freilich nicht gesagt, daß alle diese neuen Konzepte auch alle Referate des Symposiums geprägt hätten (was ja auch nicht unbedingt notwendig gewesen wäre). Am eindrucksvollsten kam die Neuorientierung, wie ja auch kaum anders zu erwarten, in dem programmatischen Einführungsvortrag von Sture Ureland zum Vorschein. Was auf jeden Fall stark beeindruckte, war die sich aus Urelands Gesamtkonzeption ergebende Spannweite und Vielseitigkeit der Themenstellungen, die ja auch über den nordischen Bereich hinausgriffen. Wichtig waren dabei nicht zuletzt die übergreifenden Vorträge zum wirtschaftshistorischen, handelspolitischen und archäologischen Hintergrund des Aufstiegs von Lübeck als dem dominierenden Haupt der Hanse. Neue Ansätze waren in einigen Beiträgen durchaus spürbar, so auch namentlich in dem Referat von Lena Witt Moberg, wie dies bereits der Titel "Bilingualism and Linguistic Creativity..."

5 erkennen läßt. Es handelt sich hier um einige Aspekte einer für 1987 angekündigten Stockholmer Dissertation über die mnd. Bestandteile in den Stockholmer Gedenkbüchern aus dem 15. Jahrhundert. Ich erwähne dies, weil damit - wie auch in den Ausführungen von Lennart Brodin über die erstaunlich zahlreichen mnd. Relikte in schwedischen Mundarten - nun endlich erste konkrete Ergebnisse eines von Lennart Elmevik (Stockholm, seit 1981 Uppsala) vor zehn Jahren initiierten Forschungsprojekts vorliegen. Damit realisiert sich womöglich langsam ein alter Traum von Erik Rooth, der in dem Geleitwort zu der von ihm 1945 ins Leben gerufenen Zeitschrift Niederdeutsche Mitteilungen (von 1966-1975 fortgeführt von Torsten Dahlberg) auf diesen Forschungsbereich als ein vordringliches Desideratum hingewiesen hatte - ohne daß es in der Folgezeit in der Zeitschrift allerdings zu mehr als Ansätzen gekommen wäre. Was schließlich die von Sture Ureland vorgeschlagene Bemühung um eine Typologie für die verschiedenen Kontaktgebiete des Mnd. betrifft, so bin ich, der ich auf diesem Gebiet höchst unzulänglich bewandert bin, eigentlich überfordert, aber ich wage doch aufgrund der vorliegenden Referate die Behauptung, daß die Zeit dafür noch nicht reif ist. Daß überhaupt im Umkreis der Thematik "Sprachkontakt in der Hanse" noch sehr viel zu tun bleibt, sei als letzter Eindruck nachdrücklich hervorgehoben. Daher war auch die Ankündigung eines neuen Symposiums in Kopenhagen 1987 zum Thema "Niederdeutsch in Skandinavien" ein besonders erfreulicher Abschluß dieser anregenden Tagung5.

Anmerkungen 1 Vgl. zum Folgenden meine Übersicht über "Niederdeutsch-schwedische Lehnbeziehungen" in: Institut für deutsche Sprache. Jahrbuch 1976: Sprachwandel und Sprachgeschichtsschreibung. 2 Siehe den Nachruf von Märta ÄSDAHL HOLMBERG 1986. Vgl. auch MODERNA SPRAK 1984:264 f.

3 Zitiert wird die Korrektur NIEBAUM 1974.

an mehreren Stellen von Heinrich

4 Gedruckt im Jahrbuch des Sprachforschung 51. 1925.

Vereins

5 Siehe nun auch meinen Tagungsbericht Hanse" in: Moderna spräk 1986: 312 ff.

für

niederdeutsche

"Sprachkontakt

in

der

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Niederdeutsches

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WIRTSCHAFTSGEMEINSCHAFT

UND STAATSHOHEIT ALS PROBLEM DER HANSE

Klaus Friedland

Wo es um die Staatlichkeit der Hanse geht, kann man sich noch allemal mit einer gewissen Aussicht auf Erkenntnisförderung an eine Quelle des 15. Jahrhunderts halten. Damals nämlich, genau gesagt im Jahre 1469, verfaßte der Lübecker Syndicus und Doktor der Rechte Johannes Osthusen einen ausführlichen Schriftsatz, in dem er die Hanse staatsrechtlich zu charakterisieren bemüht war. Dr. Osthusen tat das nicht von ungefähr und machte sich diese Mühe auch nicht um bloßer juristischer Definitionen willen etwa im Rahmen des Stadtrechtes -, sondern er wollte im Rahmen von Friedensverhandlungen mit den Engländern die staatsrechtliche Qualität der Hanse klarstellen. Die Vertreter der englischen Krone, die Doktoren der Rechte William Hatcliff und John Russell sowie ein Vertreter der englischen Außenhandelswirtschaft namens William Ross, waren im Gegensatz zu solchen Bemühungen der Auffassung, die Hanse sei eine Gesellschaft von deutschen Kaufleuten zu London und als solche seit Menschengedenken bekannt, worauf auch deute, daß sie mit einem Ausdruck der Volkssprache "hansa Theutonica" genannt werde und nicht durch einen präzisen Begriff des gelehrten Juristenlateins gekennzeichnet sei - gewissermaßen eine dem englischen öffentlichen Recht unterworfene Körperschaft. Wer die Vorgeschichte dieser englisch-deutschen Bemühungen um Frieden kennt, die Kämpfe um den englischen Thron in Verbindung mit dem Expansionsdrang der englischen und besonders der Londoner Kaufleute, das Piratenunwesen, den Wirtschafts- und Seekrieg, die Kaperung zweier ganzer hansischer Flotten im Jahre 1449 und 1458 durch die Engländer und die durch sie verursachten Schädigungen von Hamburger unf Bremer Schiffen und weiter die Verweigerung der vertraglichen hansischen Handelsrechte in England, die Gefangensetzung von Kaufleuten und Arretierung ihrer Handelsgüter, was die Hansen dann schließlich auf eine Schadenersatzforderung von 200.000 Pfund hochrechneten1, dem fällt es

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nicht allzu schwer, das Ziel der englischen Verhandlungstaktik zu erkennen: man gedachte nicht, der Krone eine Gesamthaftung für die zahlreichen Einzelschäden, gewissermaßen eine Staatshaftung aufladen zu lassen, und man wollte jetzt weniger noch als früher der Forderung nachgeben, die privilegierten Handelsvorrechte in England der Hanse als einem staatsartigen Gemeinwesen zuzuerkennen, das keinerlei Eingriffe in seine inneren Angelegenheiten duldete und demgemäß über Zahl und Herkunft seiner in England handeltreibenden Mitglieder ganz allein zu bestimmen gedachte . Aber lassen Sie uns sehen, wie sich die hansische Delegation für ihre Forderung eine bessere Position sichern konnte. Dr. Osthusen, der lübeckische Syndicus, führte in seinem Schriftsatz aus, die beiden englischen Juristen gingen mit ihrer Deutung der Hanse in die Irre. Keineswegs handele es sich um eine Körperschaft funiversitas), denn die Hanse habe weder gemeinsamen Besitz noch gemeinsames Siegel noch einen gemeinsamen Syndicus alles das aber gehöre nach dem bürgerlichen wie dem kanonischen Recht zwingend zu einer Körperschaft; und eine Handelsgesellschaft (societas) oder ein collegium sei die Hanse schon gar nicht, weil es keine vollständige oder teilweise hansische Güter- oder Risikogemeinschaft gebe, sondern nur privates Eigentum und Unternehmertum des einzelnen. Osthusen spielt hier auf die drei dem damaligen Recht entsprechenden Formen von Handelsgesellschaften an, die commenda (Gewinnbeteiligungsgesellschaft), die contrapositio (Einlagebeteiligungsund Haftungsgesellschaft) und die vera societas (Vergesellschaftung und freie Verfügbarkeit der Vermögenseinlagen aller Mitglieder), und tatsächlich überwog in der Hanse stets das Kommissionsgeschäft, d.h. die Mitnahme von Gütern eines Kaufmanns durch einen anderen bei unveränderten Eigentumsverhältnissen (sendeve), und die vera societas. also die Handelsgesellschaft mit vollem Einsatz der Vermögensanteile aller Mitglieder, war in der Hanse meist nichts anderes als eine Erbengemeinschaft bzw. Familie, die kraft Testaments von vornherein über ein gemeinsames, den einzelnen Erben meist bedingungsweise anteilig vermachtes Vermögen verfügten. Und Osthusen hatte natürlich vollends recht, wenn er sagte, daß die Hanse als Ganzes keine Handelsgesellschaft sei, jener

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über die ganze nordeuropäische Welt ausgebreitete Verbund von Kaufleuten und Städten also nicht recht mit einer zeitlich und auch sachlich begrenzten Gesellschaft von zwei oder drei Personen verglichen werde könne. Im übrigen hatte Osthusen einen Balanceakt zu bewältigen: er mußte nämlich die Geschlossenheit der Hanse unter Beweis stellen, um sie als Inhaber von Außenhandelsrechten außenpolitisch verhandlungsfähig zu machen, und er durfte die Hanse keinesfalls als geschlossene Körperschaft greifbar werden lassen, um sie nicht solchermaßen Schadenersatzansprüchen der Engländer auszusetzen, die in Erwiderung der hansischen Forderungen mit Sicherheit zu erwarten waren. Mit anderen Worten: Osthusen mußte versuchen, die außenpolitische Souveränität der Hanse zwischen den gefährlichen Klippen staatlicher Gesamtverantwortung und individueller Einzelhaftung hindurchzusteuern. Wie er das gemacht hat, hört sich wie eine Anekdote an. Die Hanse, erklärte Osthusen, ist ein festes Bündnis, eine confederacio von vielen Städten, Orten und Gemeinschaften. Und den besonderen Charakter dies confederacio erklärt er mit lateinischen, den Digesten des Römischen Rechtes entnommenen Begriffen und Veranschaulichungen; er mußte ja widerlegen, daß die Hanse ein alter, volkstümlicher Verein ohne staatsrechtlich-wissenschaftliche Bedeutung sei. In gelehrter Diktion und Interpretation führte er aus, das im Römischen Recht bekannte Wort hansa bedeute 'Henkel 1 ; bei Ovid finde sich der Pentameter tortilis a dicritis excidit ansa meis. also: meinen Fingern entgleitet der gedrehte Henkel, und bei Vergil der Hexameter: et qravis attrita pendebat cantharus ansa - der schwere Krug hing an einem abgenutzten Henkel. Und daß man, fährt Osthusen fort, nun diesen Städtebund, diese confederacio 'ansa 1 nenne, hinge so zusammen: Wie ein Becher oder Krug vor dem Hinfallen und Zerschellen geschützt wird, indem man ihn am Henkel festhält, so wird der Handelsverkehr und der Warenaustausch vor schwerem Schaden bewahrt, indem diese vielen bedeutenden Städte fest miteinander verbunden werden. Osthusen hat den Digesten außerdem noch entnommen, daß ansa auch einen laufenden, leicht löslichen Knoten bezeichnet, der so geschlungen ist, daß er sich leicht aufziehen läßt, wenn man am richtigen Ende anfaßt, aber eine fest zusammengepreßte

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Wirrnis ergibt, wenn am falschen. 'Auch hiernach 1 , interpretiert Osthusen, 'ist die Bezeichnung ansa für den Städtebund angemessen. Denn jeder Knoten, der im Handel entsteht, wird durch den Städtebund, wenn man es richtig macht, gelöst und entwirrt, wenn aber falsch, dann werden Verwicklungen zwischen den Kaufleuten enger und bleiben verschlungen. ' Und natürlich versäumt Osthusen nicht, noch einmal darauf hinzuweisen, daß es sich bei ansa nicht um ein deutsches Wort handle, vielmehr der Bund, die confederacio. lateinisch benannt worden sei und aus dieser Sprache auch ihre passende Benennung erhalten habe. 2 Es wäre nun sicherlich ausreichend und auch angemessen, wenn wir die aus solchen Allegorien sprechende serenitas animi eines Humanisten vergnüglich zur Kenntnis nähmen - der in Erfurt geborene Osthusen war Student an der humanistischen Universität seiner Heimatstadt gewesen und hatte dort auch gelehrt, bevor er, Mitte der 60er Jahre, mit etwas über 40 Jahren als Ratssyndicus nach Lübeck gekommen war. Aber wir müssen außer diesen munteren Farben doch auch noch einmal die Konturen des Bildes beachten. Denn bei allem, was da an kuriosen Einzelzügen eingefügt ist hansa hat mit Sicherheit überhaupt nichts mit dem ähnlich gebildeten lateinischen Wort zu tun, und über das zugrunde liegende, im Gotischen, Angelsächsischen und Althochdeutschen nachweisbare Wort hansa in der Bedeutung "Schar" oder "Menge" wird man sich natürlich doch besser woanders informieren als durch Nachschlagen in den Digesten - bei all diesen Skurrilitäten haben Osthusens Ausführungen sehr wohl etwas mit unserer in der Überschrift dieses Vortrags gestellten Frage zu tun. Staatshoheit für den diplomatischen Verkehr in der auswärtigen Wirtschaftspolitik, dagegen keinerlei zentrale Staatlichkeit bei Ausübung der Funktionen im administrativen Innenbereich des Bundes - der confederacio - , das drückt Osthusen so aus: ' Die hansa Theutonica wird nicht von den Kaufleuten geleitet, sondern jede Stadt . . . hat ihre eigenen Herren und ihre eigene Obrigkeit, durch die sie regiert werden'; er erklärt auch genauer, worin diese 'confederacio' überhaupt besteht, nämlich 'zu dem Zweck, daß die Handelsunternehmen zu Wasser und zu Land den gewünschten ... Erfolg haben und daß ein wirksamer Schutz gegen Seeräuber und Wegelagerer geleistet werde: nur dann, als Sicherungsgemeinschaft - Hen-

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kel - für den Außenhandel ihrer Kaufleute wird die Hanse für die Fremde erkennbar; nur wenn der Krug befördert, sein Inhalt umgefüllt wird, braucht er einen Henkel; zu Hause, wo er stillsteht, ist der Henkel eigentlich überflüssig 1 . Nun hat Osthusen, indem er die politische Gesamtheit der Hanse mit einem nur gelegentlich benutzten Henkel verglich, diese keineswegs in Luft auflösen wollen. Im Gegenteil: ihm ging es ja darum, daß ein zu Rechtsgeschäften befähigter Unterhändler in der Außenhandelspolitik jetzt von den Engländern akzeptiert wurde. Er hatte diesen Anspruch freilich durchzusetzen, obowhl er etliche formale Voraussetzungen rechtlicher Handlungsfähigkeit - Urkundsvollmacht mit Siegelführungsberechtigung, Verhandlungslegitimation, Entscheidungsbefugnis - für die Hanse als ein corpus im Sinne des Römischen Rechts dabei nicht geltend machen konnte. In dieser Schwierigkeit bediente er sich seiner Henkelkrug-Theorie, um einer Art Eventualstaat im Bereich der Außenwirtschaft zu (temporärer) Existenz zu verhelfen: ein Bündnis, das nur für den Fall wirksam wird, daß man in der Außenwirtschaft Güter- oder Personenschutz braucht. Nur wenn der Bündnisfall eintritt, also der Schutz von Fernhandelsgütern, von im Fernhandel tätigen Personen sowie von ihren Ansprüchen erforderlich wird, um dessentwillen sich die Städte zu einer confederacio zusammengeschlossen haben, nur dann fertigt man Urkunden im Namen der Hanse aus, und sie werden dann von derjenigen Stadt gesiegelt, wo sie gerade geschrieben worden sind; nur wer die Hanse und ihre inneren Bezugssysteme - von denen noch weiter unten die Rede sein wird - überhaupt nicht kennt, wird sich darüber wundern, daß bei solchen scheinbar aus einzelstädtischen Kanzleien hervorgegangenen Schriftstücken immer auch wirklich die hansa Theutonica ihre Willenserklärung zum Ausdruck bringt denkbar wäre ja immerhin, daß auf diese Weise eine Stadt, die mit der Gesamtheit gar nicht im Einvernehmen steht, sich gesamthansische Kompetenzen anmaßt. Das Zustandekommen solcher gesamthansischer Willensbildungen erklärt Osthusen unter anderem damit, daß die Städte zu gemeinsamen Beratungen keine consiliarii (Räte), sondern oratores (Gesandte) schicken, die also keine legitimierten Vertreter der Gesamtheit waren und auch nicht beratend und entscheidend zu verbindlichen Beschlüssen beitragen

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konnten, sondern lediglich den Standpunkt einer Stadt, einer selbständigen Einheit mit hoheitlichen Funktionen, zum Ausdruck zu bringen hatten. Wenn es bei den Beratungen dann doch auf manchmal überraschende Weise zu einem mehr oder weniger einheitlichen Ergebnis kommt, dann ist das eben ein Ausdruck des begrenzten, nämlich auf den Schutz des auswärtigen Handels bezüglichen Gesamtinteresses3, das dann von der Sache her, nicht kraft öffentlich-rechtlicher Legitimation der daran Beteiligten, wie von selbst zustande kommt. So sehr uns die Geschichte vom Henkelkrug - zu schweigen vom Schlippknoten - amüsieren mag: was dahintersteht, kommt der modernen Auffassung etlicher Hansehistoriker recht nahe. Es braucht kaum noch weiterer Worte, um die Hanseauffassung eines der bedeutendsten unter ihnen, des vor einigen Jahren verstorbenen Ahasver von Brandt, vorzustellen: von Brandt sieht keine Möglichkeit einer Definition in irgendwie körperschaftlicher oder bundesrechtlicher Hinsicht, er verweist auf das Fehlen jeglichen Bündnisvertrags oder einer anderen Form einer alle Mitglieder verpflichtenden Satzung, auf das Fehlen von Bundesorganen, Bundesfinanzen, einer Bundesexekutive - alles dies im Gegensatz zu den echten Städtebünden des Mittelalters, er verweist weiterhin auf die sehr schwerfällige und sehr begrenzte Aktionsfähigkeit der Hanse als Ganzes und sieht als die Merkmale ihres Zusammenhaltes eine "ursprüngliche und grundsätzliche Gleichheit der wirtschaftlichen und sozialen Interessen von Köln und Kämpen bis Reval und Thorn, von Erfurt und Breslau bis Bremen, Lübeck und Danzig"; und wenn einerseits "'die Hanse 1 als aktiv handelnder Faktor nur eine Fiktion ist, hinter der .. . jeweils stark wechselnde Interessen- und Aktionsgruppen einzelner Städte stehen", so habe die Hanse "als weltgeschichtlicher Faktor allerdings insofern existiert .. als eine latente Sozial-, Gesinnungs- und Interessengemeinschaft vorhanden war, die sogar über die Reichsgrenze hinausreichte11: eine Sozial-, Gesinnungs- und Interessengemeinschaft, die durch die überwiegend rheinischwestfälischen Herkunftsorte der führenden Geschlechter in den östlichen Hansestädten gegeben war und darauf hinauslief, daß z.B. in Lübeck dieser gemeinsame rheinisch-westfälische Ursprung sich um 1400 noch für 40% der Stadtbevölkerung nachweisen ließ

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und überhaupt "die führenden Schichten der führenden östlichen Hansestädte .. eine riesige niederrheinisch-westfälische Sippschaftsgruppe .. bildeten". 4 Nun ist es mit der wirtschaftlichen Interessengemeinschaft, die durch von Brandt als wesentliches Charakteristikum der Hanse so sorgfältig freigelegt und so überzeugend begründet worden ist, ganz ähnlich wie mit der Wirtschaftsgeschichte allgemein: sie gibt keine markanten Ereignisse, keine bedeutenden Repräsentationen, nichts Heroisches, Buntes, Dramatisches her oder doch längst nicht so viel wie die Geschichte der Kronen, Dynastien und Nationen mit ihren Schaustellungen souveräner Macht und ihren Darstellungen staatlicher Bedeutung. Es hat deswegen immer wieder Versuche gegeben, staatsbildnerische Eigenschaften der Hanse und Integrationsmöglichkeiten der hansischen Geschichte in der Geschichte der europäischen Staaten herauszuarbeiten, und dies, seit die Hanseforschung intensiv betrieben wird, nicht erst, seit Ahasver von Brandt mit seiner Theorie von der wirtschaftlichen Interessengemeinschaft die hansischen Aktionsfähigkeiten und Staatseigenschaften so sehr in Frage stellte. Geradezu bestechend durch ihre didaktische Eingängigkeit war eine These, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aufkam. Damals hatte der Wirtschaftswissenschaftler Lujo von Brentano in England das Gewerkschaftswesen erforschen wollen und war dabei immer tiefer und immer begeisterter in die Geschichte der mittelalterlichen Gilden geraten. Er verwies, als er die Ergebnisse seiner Forschungen bekanntmachte, auf die frühen Gilden und Korporationen in englischen Städten, kennzeichnete sie als Vereinigungen führender Bürger, die um den Aufbau von Stadtrecht und Stadtverwaltung bemüht waren, und begründete damit die Auffassung, daß aus solchen freien, genossenschaftlichen Zusammenschlüssen Strukturen staatlicher Qualität hervorgegangen seien. Daran knüpfte Otto Gierke in seinem berühmten Werk "Das deutsche Genossenschaftsrecht11 an. Nach seiner Theorie wurzelte der moderne Staat nicht zum mindesten in solchen Gruppen und Gemeinschaften, wie sie von Kaufleuten des Mittelalters gebildet wurden, zunächst oft nur für begrenzte Zeit und mit bestimmten Zwecksetzungen, in einer späteren Entwicklungsphase aber als langfristige Vereinigungen unter dem Namen Gilde oder Hanse.

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Dann, durch den Erwerb von Gildehallen oder Speichern, werde die Ausbildung von ortsfesten Organisationen und Korporationen begünstigt und damit der Kristallisationspunkt für staatliche Strukturen geschaffen. Gierkes Konzeption vom Ursprung der Staatlichkeit aus genossenschaftlichen und kommunalen Anfängen hat bis weit in unser Jahrhundert hinein nachgewirkt. Es braucht hier nur die auf genossenschaftliche Anfänge zurückgeführte Theorie Fritz Rörigs erwähnt zu werden, des Lübecker Archivars und nachmaligen Hochschullehrers zu Leipzig, Kiel und Berlin; was Rörig erarbeitet hat, ist hier bekannt genug und bedarf daher nur knapper Darstellung. Lübeck - zu diesem Ergebnis kam er - ist von einer Gründungsunternehmergilde gegründet worden, die der städtischen Administration und ebensowohl der städtischen Topographie ihre wesentlichen Merkmale aufprägte und einer Stadt zur Entwicklung und zum Gedeihen verhalf, die mit ihrer schon früh spezialisierten, auf Schriftlichkeit beruhenden Verwaltung Vorbild und Muster der späteren Territorialverwaltung geworden ist. Da ist sie wieder, die Staatlichkeit der Hanse - oder doch die Staatlichkeit der bedeutendsten Hansestadt, Lübeck. Gleich hier sei der Verdacht ausgeräumt, Rörig habe dabei bildungsbürgerliche Vorstellungen der Gründerzeit wieder aufgenommen, die sich ja gern an die "Nation", an den "Staat" als Gegenstände geschichtlicher Forschung und Bildung hielten. Von den Einflüssen nationalgeschichtlicher Betrachtungsweise, wie sie bis in die ersten 30er Jahre noch von den Schülern des Begründers der hansewissenschaftlichen Forschung, Georg Waitz, lebendig erhalten wurden, war Rörigs Hansebild frei. Dafür steht schon seine Nachbarschaft zu den Sprachwissenschaften und besonders zur niederdeutschen Philologie. Rörig sah nämlich den Ausgangspunkt einer höher entwickelten kommunalen Verwaltung - die nach seiner Auffassung wiederum das Vorbild für die Kameralverwaltungen frühneuzeitlicher Staaten lieferte - in den Bedürfnissen der hansischen Fernhändlerkommunen und brachte diese wiederum in Verbindung mit der Eroberung der Schriftlichkeit durch den Kaufmann. Fernhandel war, in einem effizienten, für die Versorgung des größeren Europa nach den Kreuzzügen ausreichenden System nur möglich, wenn langfristige und Termingeschäfte, Kredit und

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Stellvertretung im Handelsgeschäft für den organistorischen Ausbau dienstbar gemacht werden konnten, d.h.: die Schriftlichkeit - des Geschäfts, der Kreditierungs- und Gesellschaftsverträge für den Kaufmann nutzbar wurde. Rörig hat in den frühen 50er Jahren, als letztes Arbeitsgebiet seines Lebens, diese Untersuchungen bis zur Entwicklung der Schriftlichkeit in den spezialisierten, aufgegliederten Verwaltungskörpern der Städte weitergeführt und sie andererseits auf ihre Anfänge zurückzuführen sich bemüht; als solches sah er den "Einbruch des Bürgers in das geistliche Bildungsmonopol", die Säkularisierung der Schriftlichkeit an. 5 Tatsächlich hat sich für Rörigs Vermutung, dieser Prozeß müsse schon im 13. Jahrhundert nachweisbar sein, postum ein Beweisstück gefunden. 6 "Kaufmannstum und Schriftlichkeit": das war bei der Kollegenschaft Fritz Rörigs auch der Anknüpfungspunkt für die Frage, welcher Sprache sich der Kaufmann bediente: eine zunächst noch kaum beantwortbare Frage, solange man sich nur auf jenes nach Rörigs Tod von Ahasver von Brandt entdeckte Stück kaufmännischer Buchführung aus der Zeit um 1280 bezog und seine lateinisch-niederdeutsch-oberdeutsche Mischsprache zugrunde legte - nach dem Muster: Johannes servus Morgenwegen X sol(idos) ... Albardus de Zelemerstorpe III sol, pro dornacense bla - also: Johann, der Diener von Mornewech, schuldet zehn Schilling, Albert von Seimsdorf [Kr. Grevesmühlen] schuldet drei Schilling für blaues Tuch aus Douay - vielleicht sollte man richtiger von einer lateinisch-lübeckischen Mischsprache sprechen ("blä"). Mit einigen bereits namentlich identifizierbaren Schriftstücken von kaufmännischer Hand in den allerersten Jahren des 14. Jahrhunderts, die in einem mühevoll auf das Handelsvokabular umfunktionierten Schullatein abgefaßt sind, und einem Handlungsbuch schon einige Jahrzehnte später kommt man dann aber bereits zum Niederdeutschen. Der Hamburger Archivar Heinrich Reincke hat, in gleichermaßen genialen wie imaginativen Essays, schon in den 50er Jahren die Frage aufgegriffen, w i e das Niederdeutsche dann zu seiner Grammatisierung und vor allem zu seiner Funktion als Koine der Handelswelt des spätmittelalterlichen Nordeuropa gekommen ist. Reincke nahm an, die gelehrten Syndici und Ratssekretäre, von Studentenzeiten an humanistischen Universitäten wie Prag und Er-

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fürt miteinander befreundet, seien dann in den Hansestädten die Vermittler und Partner einer niederdeutschen Korrespondenz, einer niederdeutschen Schriftlichkeit gewesen; unzweifelhaft hat ja auch der Schriftverkehr und Urkundenaustausch von Rathaus zu Rathaus eine wichtige Rolle gespielt. - Aber mit der Fortsetzung dieses Weges käme ich bei meiner Berichtspflicht über die Staatlichkeit in der Hanse in Schwierigkeiten; es wäre auch falsch zu behaupten, der sprachliche Austausch und die sprachliche Vereinheitlichung im hansischen Raum seien so etwas wie konstitutive Elemente einer Föderation von niederdeutsch sprechenden Stadtverwaltungen geworden. Zumindest sind, wenn wir schon eine wissenschaftlich-kritische Untersuchung der Osthusenschen Theorie vom handelspolitischen Eventualbündnis im Auge behalten, dafür andere Motive wirksamer und vor allem schon früher wirksam gewesen als die sprachlichen Kontakte der hansischen Syndici. Eigentlich meinte das Rörig auch. In seinen früheren Jahren war er der Vermutung nachgegangen, die Staatlichkeit der Hanse müsse doch tiefere Wurzeln haben und war dabei auf einen geradezu atemberaubenden Gedanken gekommen; die Hanse, meinte er, könnte wohl so etwas sein wie die Verwirklichung mittelalterlicher Staatsideologie. Er glaubte nämlich, einigen urkundlichen Formulierungen und einigen Siegelbildern des 13. Jahrhunderts entnehmen zu können, daß die frühesten Kaufmannsgruppen einen ordnungspolitischen Grundsatz realisiert hätten, ja geradezu im imperialen Auftrag Staatlichkeit repräsentierten und sich deswegen auch universitas mercatorum hanse Theutonice nannten: die Hanse als Verwirklichung mittelalterlich-kaiserlicher Staatsideologie also. Osthusens Henkelkrug wäre dann allerdings ein armseliges Geschirrüberbleibsel aus einem einstmals sehr prunkvoll ausgestatteten Haushalt. Aber Rörigs Hoffnung, die universitas mercatorum ließe sich möglicherweise mit dem mittelalterlichen Kaisertum verbinden, trog. Der Ausdruck universitas taucht erst Mitte bis Ende des 13. Jahrhunderts in hansischen Urkunden auf, und er ist nicht durch imperiale Auftraggeber in die Urkundentexte gekommen, sondern durch lübeckische Wirtschaftspolitiker. Deswegen nämlich, weil diese lübeckischen Wirtschaftspolitiker - wir kennen sie mit Namen: Hermann Hoyer, Johann von Doway und andere - der Mei-

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nung waren, gegenüber den auswärtigen Partnern müsse die Hanse insgesamt als Nutznießer von Handelsvorteilen und als Schutzmacht im Falle von Gefahren für den Kaufmann und sein Gut in Erscheinung treten, und zwar nicht, indem sie sich als ein Staat mit innen- und außenpolitischen Qualitäten, mit Flagge, Verfassung und Siegel auswies, sondern durch Ausfertigung des gemeinsamen Willens unter dem Siegel einer der Städte. Sehen wir zu: im Jahre 1252 werden die Interessen dieser universi mercatores Romani imperil von einem civis Lubicensis vertreten; kurz danach ist es wiederum diese civitas. die einen Sonderbeauftragten der mercatores imperil für Verhandlungen in Flandern legitimierte einen Lübecker! -, und in England erscheinen Ende des 13. Jahrhunderts lübeckische Repräsentanten einer nun hansa Alemannie genannten Gruppe. 7 Diese Ausdrucksformen politischer Handlungsvollmacht der Hanse sind fast ohne Einschränkung mit den von Johann Osthusen 200 Jahre später wiedergegebenen identisch - die Nomenklatur braucht uns nicht zu stören, denn die confederacio bei Osthusen ist ja doch ganz offensichtlich identisch mit der universitas im 13. Jahrhundert; für Siegelführung und Repräsentanz gilt gleiches. Allenfalls kann man sich fragen, ob die unverkennbare Präponderanz der Lübecker in den Urkunden von 1250 bis 1280 in Einklang gebracht werden kann mit der Osthusenschen Formulierung von 1469, es komme "bis jetzt keiner Stadt der Hanse die Vorrangstellung zu", und besiegelt werde ein Schriftstück "von der Stadt, in der es geschrieben wurde". Hat Osthusen Lübecks tatsächliche Stellung verschleiert, eine innere Hierarchie, eine staatsähnliche Innenstruktur verbergen wollen? Schwerlich. Denn was Lübecks wirtschaftlichen Rang anbetraf, brauchte und konnte man nichts verschleiern; was aber die politisch-staatliche Funktion der Stadt anging - die, wie jedermann wußte und auch wissen durfte, sowohl 1252 wie 1469 die hansischen Verhandlungen mit dem Ausland führte - so wäre es vernichtend für die Eigenart hansischer Staatlichkeit gewesen, den Vorsitz im formalrechtlichen Sinn oder auch die Siegelführung als Angelegenheit einer bestimmten Stadt zu benennen. Daß es nichtsdestoweniger tatsächlich so war, daß Lübeck den Vorsitz führte, verhandelte, siegelte, daß die Stadt darin auf

13 immer wieder bekundete Zustimmung der anderen Städte rechnen konnte, das hat mit staatlichen Qualitäten nichts zu tun. Vielleicht ist ja die Hanse die einzige Gemeinschaft unserer jüngeren Geschichte, die in ihrem politischen Verhalten durch vorgegebene ethnische, sprachliche, soziale und ethische Normen ausreichend gesichert und im Inneren keiner Staatshoheitliehen Steuerung bedürftig war - ein Eventualstaat nur für den Notfall gegenüber Fremden, ein Hoheitsträger nur zur Sicherung internationalen Rechts. Es gehört schon etwas dazu, wenn man es sich leisten kann, den Staat mit dem Henkel eines Topfes zu vergleichen und nicht mit dem Inhalt.

Anmerkungen 1 Vgl. NEUMANN (1976: 2 6 ) . 2 Vgl. FEIT (1907: 2 7 5 - 2 7 6 . ) .

3 Zur Frage der Auffassungen betreffend den Rechtsstatus der Hanse bei den Verhandlungen in Brügge/Utrecht vgl. weiter DOLLINGER

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kuta (neben jüngerem jiüta) ist Entlehnung aus mnd. schüte (seit 1262) anzunehmen. Das dürfte auch für das erst 200 Jahre später bezeugte russ. s'kuta (seit 1651) , £kut "flacher Flußkahn für Lasten' gelten. 36 Den gleichen Anlaut zeigt slovinz. s"kHuna 'Scheune 1 , das wegen dravänopolab. st'airio (< skuna) 'Scheune 1 vielleicht als nordwestslav. (polab.-pomoran.) Entlehnung aus einem noch nicht umgelauteten mnd. sküne. schüne anzusehen ist. Kaschub. Skalec f Skalovac 'schimpfen' wurde schon von BORCHLING (1911: 87) auf mnd. scheiden, schellen zurückgeführt. Eine für das Nd. typische Phonetik weist natürlich nur ein begrenzter Prozentsatz der Entlehnungen auf; viele, wie z.B. handel. handlowac 'Handel, Handel treiben' (seit 1549), sind phonetisch indifferent, da sie nd. und hd. (md.) in der gleichen Lautform erscheinen. Das gilt auch für Wörter mit fehlender nhd. Diphthongierung, wie lina 'Leine, Tau' (seit 1488) oder mur 'Steinmauer' (seit 1456, vorwiegend in Groß- und Kleinpolen) mit den Derivaten murarz 'Maurer 1 , murowy (1471), murowac usw., deren Langvokal i bzw. G theoretisch auch auf Entlehnung aus mhd. Quellen beruhen könnte. In diesem Zusammenhang ist eine erneute Überlegung zu altpoln. litkup 'Trunk beim (oder nach) Abschluß eines Kaufes; Zugabe; Anzahlung 1 (1388 in Großpolen, 1400 in Krakau) angebracht. Die von MOSZYNSKI (1954: 22-26) erarbeitete Wortgeogra-

145 phie hat gezeigt, daß litkup (mit dem Derivat litkupnik) im 15. Jahrhundert vorwiegend in Kleinpolen und Masowien verbreitet war. In Großpolen (Posen a. 1425) ist auch das unverändert mit teils mhd., teils nhd. Phonetik übernommene litkoufleute bezeugt. Da kaum anzunehmen ist, daß andererseits noch im 15. Jahrhundert mhd. ou durch poln. u. und f. durch p_ vertreten wurden, ist eher eine Mehrfachentlehnung wahrscheinlich und litkup als Sonderentlehnung < mnd. litkop zu erklären, das phonetisch korrekt die poln. Lautform ergeben mußte. Dafür spricht ferner, daß mnd. litkop als Lehnwort auch in die nordischen Sprachen gelangte: dän. lidk(i)gb (1294 lithkop. 1443 ledhkap). altschwed. litkop. dialektal-schwed. li f d ) k ö p 3 7 ; vgl. auch lett. likuopi. likaups. llkuops; estn. liik, liiau. pl. liioud. Ukr. tvtkup ist durch das Poln. vermittelt, ebenso russ. litki pl. 'Bewirtung beim Abschluß eines Geschäfts' aus der poln. Kurzform litek. pl. litki. Problematisch bleibt das Verhältnis zu alttschech. litkup (seit 1379) 'mercipotus' (GEBAUER II: 2 6 0 ) ; poln. litkup kann durchaus unabhängig davon entlehnt sein.

6. Zum wortgeographischen Kriterium Im Anschluß an BRUCKNER (1915 und 1939) versuchte MOSZYNSKI (1954), die Frage der Herkunft dt. Lehnwörter im Poln. mit Hilfe der Wortgeographie zu lösen, indem er für 575 vor 1500 bezeugte Entlehnungen die areale Verbreitung ermittelte und sie drei (sprachlichen und historischen) Großräumen zuordnete: Großpolen (einschließlich Pommerellen), Masowien und Kleinpolen mit Schlesien; die beiden ersteren mit der Möglichkeit nd. oder md. Kontakte, letzteres mit ostmd., z . T . auch obd. Kontakten. Es stellte sich heraus, daß von den untersuchten 575 Wörtern nur 16 (= 2 , 8 % ) eine so eindeutige geographische Verbreitung aufweisen, daß sich daraus Rückschlüsse auf ihre Herkunft ziehen lassen. Dabei sind Zufälligkeiten bei der jeweiligen Überlieferung eines Wortes nicht auszuschließen. Damit werden die Grenzen dieser Methode deutlich. Es zeigt sich außerdem, daß in manchen Fällen die Beschränkung auf die poln. Vorkommen nicht ausreicht und eine Berücksichtigung der Lehnwortgeographie in größerem Rahmen

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erforderlich sein kann. So verschieben sich z.B. im Falle litkup durch die Hinzuziehung der außerslav. Bezeugungen die Gewichte gravierend zugunsten einer mnd. Herkunft des Wortes.

7. Außersprachliche Kriterien Die Einbeziehung der zeitgeschichtlichen, besonders der kulturund wirtschaftshistorischen Fakten ist selbstverständliche Voraussetzung. Dazu nur ein Beispiel: Poln. bursztyn 'Bernstein1 (bezeugt seit ca. 1450) wird man aufgrund der nd. r-Metathese und der Vertretung von nd. -sten durch -sztvn (wie in Holsztyn 'Holstein 1 < Holsten) als Entlehnung aus dem Mnd. ansprechen. Der Bernsteinhandel war jedoch ein Privileg des Deutschen Ordens, der das nd. Wort früh übernahm: Schon 1342 wird den Danziger Fischern das Gewohnheitsrecht (usus) piscandi et ardentem lapidem. qui burnstein dicitur colligendi zuerkannt.3** Das Wort wurde vom Poln. an das Wruss. und Ukr. weitergegeben. (Das RUSS. hat dafür aus lit. gintaras entlehntes j a n t a r ' . )

8. Schwierigkeit der Abgrenzung Schwieriger als die Abgrenzung gegen die - oft gleichzeitigen Entlehnungen aus dem Ostmd. ist die Abgrenzung gegenüber den nicht aus dem Mnd. der Hansezeit, sondern aus den benachbarten nd. Mundarten Hinterpommerns oder dem Niederpreuß. der Grenzmark und Ostpreußens übernommenen Lehnwörtern. Sie ist mit den Mitteln der Phonologie nicht möglich, da ältere wie jüngere nd. Lexeme im allgemeinen den gleichen Lautstand aufweisen; zeitlich fixierte Belege liegen meistens nur aus jüngster Zeit vor. In diesen Fällen ist eine Entscheidung nur aufgrund semantischer und wortgeographischer Kriterien zu treffen. So wird man dialektal-poln. sztakowac 'Heu oder Stroh mit Gabeln zureichen 1 (Ermland Masuren) < nd. stäken, dem kaschub. gtekHovac (mit abweichendem Vokalismus) entspricht 39 , wegen seines auf den Norden beschränkten Vorkommens und der auf den bäuerlichen Lebenskreis weisenden Bedeutung als eine sicher nicht dem Hansebereich zuge-

147 hörige, sondern jüngere Entlehnung ansprechen müssen. Dieser Schicht sind die meisten nd. Lehnwörter des Kaschub. wie auch der nordpoln. Dialekte zuzuweisen.

9. Liste entlehnter mnd. Lexeme Die nachstehende Auflistung enthält die wichtigsten derjenigen Lexeme, deren Herkunft aus dem Mnd. nachweisbar oder sehr wahrscheinlich ist, vor allem solche, bei denen ein Bezug zur Hanse, ihrem Handel und ihrer Kultur erkennbar ist. Sie sind nach Bedeutungsgruppen (Domänen) geordnet, die sich an die von TÖRNQUIST (1977: 17) gewählten Kategorien ( N r . in Klammern) anlehnen. (6) Handel und Geschäft fracht (1572), frocht (1598) 'Warentransport; Gebühr dafür 1 < mnd. fracht (seit 1522 auch h d . ) (russ., dän., schwed., lett., estn.). handlowac (1548), handel (1549) 'handeln; Handel 1 < mnd. handel. handeln (auch m d . ) (kaschub., s.o.) (dän., schwed. lett.). kwit (1526), kwitowac (1532, Masowien) 'quitt, quittieren 1 < mnd. quit, auch kaschub. kvit, kvitovac (HINZE 1965: 2 9 2 ) , russ. kvit (dän., schwed., lett.) - altpoln. kwitbryf (1437 Posen) 'Quittung 1 < mnd. quitbref (1332 quitebreve pl., 1370 quytbreve 40 ; aber auch md. beim Dt. Orden 1424 quitbrief f. schles. ouvtbrive 1396 41 ). iadarz (1494, Posen) 'Belader 1 < mnd. läder, mit Derivat iadarzne (1496) 'Ladegeld 1 . Dagegen können jüngeres iadowac (1588) und iadunek 'laden; Ladung 1 (kaschub. ladovac. ladenk) aus md. Formen stammen: 1404 die ladunae (Rechnungsbuch der Großschäfferei Marienburg, SATTLER 1887: 20) (lett., liv., estn.). 4 2 sztapel 'aufgeschichteter Haufen', sztaplowac 'aufschichten' < mnd. Stapel 'Warenhaufen; Niederlage", stapelen; kaschub. (jung) St6*päl 'Holzstapel'. Vgl. stapel (3) (dän., norw. , schwed.).

146

(7) Geldwesen, Maße und Gewichte ankier 'Flüssigkeitsmaß (34-38 Liter)' < nd./ndl. anker 'Maß für Bier, Wein, Branntwein 1 (russ. änker 'dasselbe1 17. J h . ) . dreiink (1564) 'Weinmaß (30 Eimer); Faß dieser Größe 1 < mnd. dreiine 'Maß für Bier, Wein, auch Getreide; Gefäß von li Tonnen Inhalt 1 (L.-B. I: 4 7 4 ) . foder (1496) 'Faß, bes. Bierfaß' < mnd. voder 'Maß für Getreide, Wein und Bier1 (L.-B. I: 758). iaszt (1409) 'Gewichtseinheit, Schiffslast; Raummaß, bes. für Getreide' 43 < mnd. last f. (m.) 'Schiffsladung, Gewichtseinheit'(L.-B. II: 631); russ. last (um 1439, THOMAS 1978: 135) (dän., schwed., lett., estn.). punt (1402) 'Pfund', s.o. tarlink (1447) 'Tuchballen, Packen Tuch' < mnd. terlinq. terlinc m. 'Würfel; Tuchballen' (zu tarl 'Würfel' oder von mnd. tere f. 'Packen, Schicht'); auch ordenssprachlich. 44 tuna, tunka (1564) 'Faß, Tonne1 < mnd. tunne 'Tonne, auch als Maßeinheit für Waren aller Art' (tunne auch in md. Texten des Dt. Ordens, z . B . 1399 Großschäfferei Marienburg, mehrfach SATTLER 1887: 4) (altdän., schwed, norw.). (3) Seewesen und Schiffahrt Diese Kategorie ist die bei weitem umfangreichste, da in älterer Zeit fast die gesamte poln. Schiffahrtsterminologie dt. Herkunft ist. 45 Infolge der Beteiligung des Deutschen Ordens an der Binnenschiffahrt auf der Weichsel ist auch hier die Provenienz (nd. oder md.) eines Lehnwortes nicht immer mit letzter Sicherheit zu bestimmen. Die Liste beschränkt sich auf die wichtigsten der für die Hansezeit belegbaren Lexeme. balast 'Bodenladung des Schiffes zur Erhaltung des Gleichgewichts; überflüssige Last' < mnd. ballast 'dass.' (seit 14. Jahrhundert) (russ. ballast; dän., schwed., lett., estn.). bosman (1582) 'ältester Matrose, Gehilfe des Schiffers', kaschub. bosman < mnd. bosman, bot(e)sman 'Matrose' (russ. busman 1588, jünger bocman 1697, letzteres wohl < ndl. bootsman) (schwed., estn.). burdynek (1588) 'leichtes, bewegliches Schiff mit Ruder und Segel1 < mnd. bordinge, bordink 'kleines Frachtfahrzeug,

149 Leichter (1549 burdinge); auch in der md. Ordenssprache burding. bordinge 46 ; (kaschub. burdipq. burdiinka) . /^ flaga (1560, 1562) 'Sturmwoge; Regenwetter, Unwetter 1 < mnd. vläcre f. "Windstoß, plötzlicher Schauer1 L.-B. I: 737. koga (1413) 'Handelsschiff < mnd. kogge 'breites, vorn und hinten gerundetes Schiff, das typische Hanseschiff des 13. und 14. Jahrhunderts 47 von über 100 Last (= 200 t) Ladefähigkeit (dän., schwed., lett., liv.); zum problematischen russ. kotfa s. THOMAS (1978: 126 f f . ) · lad (1588) 'Land, Festland; Ufer' ladowac (16. Jahrhundert, ein Beleg von 1483 ist fraglich) 'landen; modern auch von Luftfahrzeugen 1 < mnd. land, landen (hd. seit Mitte 17. Jahrhundert), kaschub. lod. lodovac HINZE 1965: 323. Vgl. SfcAWSKI 1952 ff. IV: 84/85. lichtowac (1588, 1598) 'Schiff entladen 1 < mnd. lichten; aus dem Poln. ukr. iychtuvaty dial. (SfcAWSKI IV: 233) (estn.). l i k ( a ) . liqa 'Saumtau zur Einfassung des Segels' < mnd. lik. kaschub. lük. russ. lik (dän., schwed., lett., liv., estn., finn.). maszt (vor 1500, 1598) 'Mastbaum', kaschub. mast, mast < mnd. mast; russ. mac"ta. 1696 maSta (VASMER REW II: 108) (dän., schwed., norw., lett.). Stapel 'Schiffbauplatz, Werft 1 , modern 'schräge Betonfläche, von der das neuerbaute Schiff zu Wasser gelassen wird' (DOROSZEWSKI VIII: 706) < mnd. Stapel 'Balkenunterlage für den Schiffbau 1 , hd. seit 1616 (KLUGE 1911: 7 4 6 ) (dän., norw., schwed.). sluza (1596 sluzne 'Schleusengeld 1 ) Schleuse', kaschub.-slovinz, slä£a, jünger s*laza. < mnd. schlüse. slüse (russ. ^lluz 1696 aber < ndl. sluis) (dän., schwed., lett., liv., estn.). zeglarz (vor 1500) Schiffer, Seemann', zaqiel. alt zeaiel 'Segel 1 , zeglowac Regeln; schiffen, fahren', mit Derivaten wie zegluga 'Schiffahrt 1 u . a . , kaschub. Zegel. jfaael, z'eglo'r'. zeglovac < mnd. segel. segelen, segler 'dass. ' mit alter Substitution des mnd. ES- /z/ durch z. /%/ (lit., lett.). lina f szkuta, szyper s.o. 1

15C

(9) Nahrungsmittel (als Handelsware) lak. lasz s.o. bydlinek (1528), bvtling 'geräucherter Hering' (mit späterem Derivat bvdlinka f. 'Sprotte') < nd. Bückling (hd. seit 1480), mnd. bückinc (dän., schwed.)· dorsz (1532) 'Dorsch, Schellfischart 1 < mnd. dorsch. dors 'dass.'. Dorsche wurden aus Schweden nach Danzig eingeführt. 4 8 fladra (17. Jahrhundert) 'Scholle, Pleuronectes flesus' (auch kaschub. mit Varianten) < mnd. vlunder f. 'Plattfisch der Ostsee' L.-B. I.: 756 (früh auch h d . ) . sztokfisz (1472), stakfisz (1419) 'getrockneter Fisch1 < mnd. stockvisch 'getrockneter Dorsch oder Kabeljau' (1377), aber früh auch md.: 1399 stocvisch im Rechnungsbuch der Großschäfferei Marienburg des Dt. Ordens, ebenso 1400, 1417.49 trän älter auch tron. trun (1650) 'flüssiges Fisch- oder Walfett; Lebertran' < mnd. trän 'dass.', auch in der Ordenssprache trän50 (dän., schwed., lett., liv.). (8) Kleidung und Stoffe akski (1497), eski 'Aachener Tuch 1 , zu mnd. akesch. ekisch adj. •von Aachen kommend' (VASMER 1959: 116). bal (1481) 'Tuchrolle' < mnd. bale, balle f. 'Ballen, Packen1 (dän., schwed., estn.)· brucki. brucski (1433) 'Art Tuch' zu mnd. brüqgesch. brügsch adj. "aus Brügge, brüggisch' (VASMER 1959: 117 mit außersprachlichen Argumenten und weiteren Bezeichnungen flandrischer Tuche). lundysz (1567) 'eine Tuchart', auch als lunski (1466) bezeichnet^ mnd. lundisch "aus London (Lunden) '; wruss. lundys*. russ. lundys* (1. Hälfte 16. Jh.) wohl durch poln. Vermittlung.51 (12) Rechtswesen, Stadt gierada. praga. (pregierz), szepszelink s.o. bruk (1476) 'gepflasterte Straße·, brukarz (1467) brukowac (um 1480) 'pflastern' (kaschub.

'Pflasterer', bruk. bHrk

151

'Straßenpflaster') < mnd. brugge. brücrqe 'gepflasterter Weg, Pflaster', brüggen 'mit Steinen pflastern 1 , brugger 'Steinsetzer'; wruss., ukr. bruk aus dem Poln. (lit., lett., liv., estn.). kak (1540) 'Pranger' < mnd. käk 'Schandpfahl, Pranger', auch nsorb. kok, dravän. koko. Das mnd. Wort ( u . a . 1350 für Livland bezeugt ) gelangte früh in das Md. (dän., altschwed. , lett., estn.). rakarz 'Hundefänger, Schinder, Abdecker 53 < mnd. racker 'Abdecker, Schinder 1 , auch kaschub.-slovinz. raktfr* 'dass. 1 , dort auch das Simplex rak 'Kehricht' < mnd. racke f. 'Kot, Dreck 1 (dän., schwed., lett., liv.). szragowe (1494) 'Abgabe für den Verkaufsstand', von szraga (1472) 'Bahre; Kleiderständer 1 , demnach auch 'Verkaufstisch' < mnd. schräge m. 'Gestell mit gekreuzten Beinen, Bock, Tisch, Bank 1 (auch m d . ) ; kaschub. Sraga. nsorb. sVogi (tschech. Sräk 'Gestell 1 < obd. Quelle) - (lett., l i v . ) . vardega (15. Jahrhundert) 'Vieh, Habe, Besitz' 5 4 wohl < mnd. werdinge f. 'Wertschätzung 1 (als Rechtsbegriff?) SCH.-L. V: 676. wykusz (1456) 'Vorhaus, Wachhaus; Erker 1 < mnd. wikhüs. wichhüs n. 'Kriegshaus; halbrunder oder eckiger Vorbau in der Stadtmauer, mit Geschützen zur Verteidigung der Stadtmauer und der Stadttore versehen"; auch mhd. wichüs n. 'Festungsturm, Blockhaus'. Frühe Entlehnung mit Substitution von d. -s. durch -sz /s*/ wie in ratusz 'Rathaus 1 (1462); auch alttschech. vvkug (MACHEK 1968: 6 8 9 ) . 5 5 Die Bezeichnung Hanse ist im Altpoln. nur einmal bezeugt, und zwar 1594 als Anses "Konföderation von 70 dt. Küstenstädten' bei Stanislaw Sarnicki (1532-1597). Im 18. Jahrhundert treten die Wörter Hanza 5 6 . hanzjata "Hanseat" und (h)anzeatycki 'hansisch, hanseatisch' a u f ; seit dem 19. Jahrhundert sind sie feste Bestandteile der historischen Fachliteratur. 1829 gebraucht Mickiewicz in seinen Reisebriefen die Form Hansa; "Zwiedziiem Lubeke i starozytny ratusz Hansy" ('ich besichtigte Lübeck und das altertümliche Rathaus der Hanse') 5 7 .

152

10. Zusammenfassung Im Einflußbereich der preußischen Hansestädte unter der Führung Danzigs sind während der Hansezeit (1350-1600) mnd. Lexeme in das Poln. gelangt, teils unmittelbar, teils mittelbar (über die md. Ordenssprache); sofern sie im letzteren Falle phonetisch und semantisch unverändert blieben, sind sie von den direkten nd. Entlehnungen kaum zu trennen und können diesen zugerechnet werden. In einigen Fällen ist Übernahme aus dem Schriftverkehr (Urkunden, Geschäftsbriefe, Rechnungen, Schöffensprüche) anzunehmen; das gilt besonders für Rechtsbegriffe, kann aber auch für Warenbezeichnungen, Maße und Gewichte zutreffen. Übernahme von direkten Entlehnungen der nordpoln. Mundarten in die Schriftsprache darf für einige alte, dem Poln. und Kaschub. gemeinsame Integrate, sowie für einen Teil der Fachsprache der Schiffahrt angenommen werden. Das Kaschub. hat die meisten seiner zahlreichen nd. Lexeme sie machen nach HINZE (1965: 12) mehr als 50% aller dt. Lehnwörter aus - den nd. Mundarten Hinterpommerns und Westpreußens entlehnt. Daneben weist es Lexeme einer älteren, mnd. Schicht auf; soweit sie mit denen des Poln. identisch sind, können sie der oben erwähnten pomoran.-poln. Schicht angehören. In der Mehrzahl wird es sich jedoch um jüngere übernahmen aus dem Poln. (18.-19. Jahrhundert) handeln. Sie haben die kaschub. Lexik derartig polonisiert, daß die Sprache sich zunehmend dem Charakter eines poln. Dialekts angenähert hat.

11. Integration der nd. Lexeme Ein Teil der mnd. Lexeme blieb mehr oder weniger auf die Zeit ihrer Entlehnung beschränkt, vor allem die Fachausdrücke des hansischen Handels (bal. burdynek. koga. iaszt. lundysz. punt. tarlink) und der älteren Rechtssprache (gierada. kak, praga). Sie begegnen heute nur noch in der historischen oder historisierenden Literatur. Fest integriert in die Schrift- und Umgangssprache wurden Wörter wie balast. bruk. brukarz. frächt. handel. kawaiek. ladowac. iadunek. trän, zagiel. zeglowac. An-

153 dere leben fort in der Schiff ahrtsterminologie; sie sind zum Teil neu belebt worden durch den modernen Segelsport und dadurch erneut in die Wörterbücher der poln. Gegenwartssprache eingegangen: fok. lik. maszt. szvper u . a . ; sie werden kaum noch als fremd empfunden. Entlehnt wurden vorwiegend Substantive (Sachbezeichnungen) und Verben (oft Derivate eines Nomens), in geringerer Zahl auch Adjektive (akski., lundysz) , selten Adverbien (im Gegensatz zum Kaschub. und zu poln. Dialekten) . Ein Maßstab für den Grad der Integration eines Lehnwortes kann die Anzahl der von ihm gebildeten Derivate sein; MOSZYNSKI (1954: 69) verzeichnet z.B. für das < altnd. räd- entlehnte rada nicht weniger als 47 Derivate.

12. Vermittlerrolle des Polnischen Durch Vermittlung des Poln. sind zahlreiche dt. Lehnwörter, darunter auch solche mnd. Provenienz, in das Wruss., RUSS. (Großruss.) und Ukrain. gelangt. Dieser Einfluß ging zur Hauptsache von Galizien und Wolhynien aus, im Norden auch von Poln.Litauen (Wilnagebiet) . Doch hat das RUSS, auch eine Reihe von mnd. Lehnwörtern übernommen, die dem Poln. fehlen; sie sind auf dem Handelsweg vom Baltikum über Polock, Pleskau oder Novgorod verbreitet worden.

13. Ausweitung des Sprachkontakts Manche der in der Auflistung genannten Wörter haben Entsprechungen sowohl in den skandinavischen als auch in den baltischen Sprachen, vor allem im Lettischen, sowie im Ostseefinnischen (Liv., Estn.). Die einigen Lexemen hinzugefügten Klammern enthalten kurze Hinweise auf solche Entsprechungen. Sie sind keineswegs erschöpfend und haben lediglich den Zweck, eine Verbindung zu den anderen Beiträgen dieser Tagung herzustellen wie auch Umfang und Intensität des europäischen Sprachkontaktes in der Hansezeit anzudeuten.

154

Abkürzungen a. ahd. and. dän. dravän. dt. estn. hd. kaschub. lett. lit. liv. md. mhd. mnd. nd. ndl. nhd. norw. nsorb. obd. osorb. ostmd. polab. poln. pomoran. preuß. russ. sabor. schles. schwed. slav. slovinz. tschech. ukr. wruss.

anno althochdeutsch altniederdeutsch dänisch dravän i seh deutsch estnisch hochdeutsch kaschubisch lettisch litauisch livisch mitteldeutsch mittelhochdeutsch mittelniederdeutsch niederdeutsch niederländisch neuhochdeutsch norwegisch niedersorbisch oberdeutsch obersorbisch ostmitteldeutsch polabisch polnisch pomoranisch preuß i s ch russisch saborisch schlesisch schwedisch slavisch slovinzisch tschechisch ukrainisch weißrussisch

Anmerkungen 1 Näheres darüber bei KAESTNER (1972: 50 f f . ) . 2 Der geplante II. Teil (Wörterbuch) fiel leider den Wirren des Krieges und der Nachkriegszeit zum Opfer. Gegenwärtig ist eine Arbeitsgruppe der Universität Göttingen unter der Leitung von Prof. A. de Vincenz mit der Edition eines Wörterbuches der dt. Lehnwörter im Poln. beschäftigt, von dem 1985 ein Probeheft erschienen ist (Slavistische Linguistik, Bd. 9 ) , Frankfurt am Main: Lang. 3 Das Pomoranische Wörterbuch von F. LORENTZ, von dem zu Borchlings Zeit nur der 1. Bd. des Slovinz. Wörterbuchs (1908) vorlag, ist von F. HINZE aus dem Nachlaß vollständig ediert (1958 f f . ) und ergänzt; daneben liegt jetzt das Wörterbuch

155

von B. Sychta (1967-1976) vor. Über die Wortgeographie informiert der von Z. Stieber herausgegebene Atlas kaszubszczyzny (1963 f f . ) . 4 Im Gegensatz zum Poln. hat das Kaschub. eine allgemein verbindliche, alle Gebiete gesellschaftlichen und geistigen Lebens umfassende Schriftsprache nicht entwickelt. Abgesehen von einer religiösen Erbauungsliteratur im Gefolge der Reformation vom Ende des 16. bis zum 18. Jahrhundert entfaltete sich eine Literatur in kaschub. Sprache erst am Ausgang des 19. Jahrhunderts, mehr oder weniger stark vom Poln. beeinflußt (auch sprachlich). Im übrigen blieb das Kaschub., in mehrere Dialekte gespalten, auf den mündlichen Gebrauch einer überwiegenden Bauern- und Fischerbevölkerung beschränkt. 5 Über die sprachlichen Auswirkungen dieser historischen Vorgänge Einzelheiten bei W. MITZKA (1959) mit weiterer Literatur. Zur Ausbreitung der mnd. Schriftsprache vgl. R. PETERS (1973). 6 DOLLINGER (1966: 259, 4 0 9 ) erwähnt die Anwesenheit Nürnberger Kaufleute im 14. Jahrhundert und der Fugger 1491 in Posen, nennt aber die Stadt nicht in der Liste der Hansestädte (S. 565). Eine Zugehörigkeit zur Hanse schließt GOERLITZ (1944: 12) aus den Erwähnungen in den Hanserezessen 1461 und 1465. Er nimmt das auch für Lemberg und Warschau an. - Grundsätzliches zu dieser Problematik bei DOLLINGER (117 f f . ) . 7 MITZKA (1959: 40, 41). Zum Aufstieg Thorns und seinem Niedergang nach der Schlacht bei Tannenberg (1410) s. DOLLINGER (1966: 54, 168, 301 f f . ) . 8 Dazu s. E. KEYSER (1941), DOLLINGER (1966: passim), Ordenszeit speziell T. HIRSCH (1858).

für

die

9 Der Begriff "Westslav." ist hier nur auf das Poln. und Pomoran.-Kaschub. anzuwenden. Das Sorb, (besonders das Niedersorb.) und Polab. haben ihre nd. Bestandteile zwar auch z.T. aus dem Mnd. bezogen, aber von anderen Zentren aus (Brandenburg, Magdeburg bzw. Lüneburg u s w . ) . Das Tschech. und Slovak, liegen außerhalb des mnd. Einflußbereiches. 10 DOLLINGER (1966: 123, 167). 11 E. Keyser: Die Bevölkerung Danzigs, in: Pfingstblätter d. Hansischen Geschichtsvereins 15, Lübeck 1924, bes. S. 30-34. 12 LASCH (1914: 19; 1925: 123), MITZKA (1959: 3 8 ) ; s. auch R. Sahm: Zur mnd. Kanzleisprache Danzigs, Diss. (masch.), Marburg 1943. Nach 1563 schreibt die Danziger Kanzlei nur hd.

13 Veröffentlicht bei SATTLER (1887). Dort auch die im folgenden zitierten weiteren Handelsrechnungen des D. 0.

156

(Rechnungsbücher der Großschäffereien Königsberg und Marienburg, der flandrischen Lieger u . a . ) . 14 SATTLER (1887: 317, 318). 15 SATTLER (1887: 453, 4 5 4 ) , ebd. 453, 486 und 268 auch die genden Belege für "Pfundzoll".

fol-

16 DOLLINGER (1966: 290; zum Schiffbau in Danzig 191). Das besonders in England und den Niederlanden begehrte Eiben- oder Bogenholz (HIRSCH 1858: 116) wurde über Krakau aus den Karpaten bezogen und in Sandomir gebrakt (HIRSCH: 174, 175). Zum Umfang des Danziger Holzexports in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts s. STARK (1973: 104). 17 Genaueres über Maße und Qualität dieser beiden Holzsorten bei HIRSCH (1858: 215, Anm. 861) und im Anschluß an diesen bei STARK (1973: 96 f f . ) . 18 Alle Belege bei SATTLER (1887); die wenigen Belege mit nd. ebd. S. 496, 501 und 502.

-t

19 Bestimmungen über die Holzbrake, Angaben über Holzpreise usw. bringt HIRSCH (215-216); dort (S. 177 f f . ) auch der für den direkten Sprachkontakt wichtige Hinweis, daß Danziger Holzhändler nach Masowien fuhren, um selber an Ort und Stelle die geeigneten Hölzer auszusuchen. So fuhr u.a. 1435 der Kaufmann Hans Gilgenburg aus Danzig nach Polen, um dort das für den Bau der Marienkirche benötigte Holz zu beschaffen. Umgekehrt fuhren polnische Kaufleute nach Danzig, wo sie ihren Gelderlös für Einkäufe verwandten (HIRSCH: 179). 20 SATTLER: 2 3 4 ; die vorangehenden Belege ebd. 14, 79, 82, 84, 86, 487.

23, 31, 62,

21 SCHIRMER (1911: 212). 22 MOSZYNSKI (1954: 15-16), der das Wort jedoch uneingeschränkt für mnd.^ hält. Dazu berichtigend KAESTNER (1983a: 160) ; auch russ. vandies. vancOs f alt vandfus (1660) , s. VASMER REW I: 168, GARDINER (1965: 75). 23 Sl.stp.I: 152, dort auch die folgenden altpoln. Belege. 24 Die früher von mir (KAESTNER 1983b: 687) vertretene Annahme einer gemeinwestslav. Entlehnung läßt sich kaum aufrechterhalten. 25 Bei dem von TASZYCKI (V: 356) unter dem Lemma Szyper gebuchten Namensvorkommen Schipper Nickel in Putzig a. 1490 handelt es sich offenbar um die nd. Berufsbezeichnung dieses Bürgers der damals noch vorwiegend deutschsprachigen Stadt. 26 Die altpoln. Belege sind, soweit nicht anders vermerkt, dem Si.stp. und dem Si.XVIw. entnommen.

157 27 Der an der Sundküste Schönens von dänischen Fischern gefangene Hering wurde in den hansischen Vitten gesalzen und von Skanör und Falsterbo aus verschifft. Neben Lübeck war Danzig ein Hauptumschlagplatz; von Danzig aus wurde der Fisch über Thorn nach Großpolen, Masowien und Krakau vertrieben. Der Handel erreichte einen enormen Umfang, vgl. die Notiz in der Danziger Chronik des Caspar Weinreich a. 1485: Item den herbst war auff Schonen gefangen und gesaltzen ... wol bey 3000 last Schonisch hering und mehr (s. DOLLINGER: 288, 313 f f . , 506; HIRSCH: 122, 187). 28

Nach ZABROCKI (1956: 156) ist brukowac in Pommerellen in jüngster Zeit immer mehr durch nhd. brauchowac verdrängt worden.

29 Zur Verbreitung von dek s. MAGP Karte 3. Zum Vokalismus vgl. mnd. decke f. auch 'Dach, Schutzdach 1 , deckinge 'Dach 1 1 decken , Decksten 'Dachstein (SCH.-L. I: 4 0 6 / 0 7 ) . 30 Poln. funt f xim 15. Jahrhundert vorwiegend in Kleinpolen bezeugt (MOSZYNSKI 1954: 28-30), gelangte ins RUSS., wo es aber schon 1388 in einer westruss. ( l i t . ) Urkunde vorkommt (VASMER REW III: 221). 31 Das Kupfer kam aus Kaschau und Neusohl; zum hansischen Kupferhandel s. DOLLINGER: 2 9 2 , 305/06, 410. 32 Schon BORCHLING (1911: 80) hatte darauf hingewiesen, daß die mit Magdeburger Recht begabten poln. Städte ihre als Vorbescheid oder im Rechtszug von Magdeburg eingeholten Auskünfte oder Urteile (ortyle magdeburskie) stets in md. Sprache erhielten. Sie begannen mit der üblichen Formel: Hiruff spreche wir scheppen zu Magdeburg eyn recht ( z . B . Posener Rechtsbuch 1407 f f . ) (MAISEL 1964: Artikel I, 16, 21 u . a . ) . 33 GARDINER (1965: 100), VASMER REW (I: kunft vertreten.

3 8 6 ) , die beide md. Her-

34 StAWSKI: IV, 64. Alttschech. las ist fraglich. auch dravän. las (OLESCH Thes. I: 4 9 3 ) .

Aus dem Mnd.

35 Vgl. dazu die in Ostdeutschland häufigen Flurnamen mit kavel (als Grund- oder Bestimmungswort). 36 GARDINER 1965: 2 4 3 , THOMAS 1978: 210. VASMER REW III: hält für russ. s'kut dagegen an ndl. Herkunft (schuit) fest.

407

37 O. Kaikar, Ordbog til de aeldre danske Sprog, Kbhvn. 1886-92, II: 789; FALK/TORP I: 641; Ordbok over Svenska spraket, Lund 1942, Bd. 16: 645. Vgl. auch den Beitrag BRODIN in diesem Band. 38 Preuß. Urkundenbuch, hg. v. H. Koeppen, , Bd. III (1958) Nr. 487 v. 28.10.1342 (Original), ausgestellt in Oliva. Zu bursztyn jetzt auch KAESTNER in: Fs. de Vincenz (1987).

158

39 HINZE (1965: 4 6 6 ) : STEFFEN (1984: 157) (dazu sztakowki pl. 'zwei- oder dreizinkige Gabeln für Stroh oder H e u 1 ) .

40

Wossidlo-Teuchert, 720) .

Mecklenburgisches

Wörterbuch

V

f.

(1970:

41 SATTLER (1887: 4 6 2 , 467, 4 7 0 ) ; schles. bei Bruno Arndt, Der Übergang vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen in der Sprache der Breslauer Kanzlei, Breslau 1898: 107. 42

Auch tschech. ladovati. ladovänie (1502) GEBAUER II: 199. RUSS. 1-iadünka (seit 1608), liadünok (GARDINER 1965: 145) nur in der jüngeren Bedeutung 'Kartusche; Patronentasche1 (poln. seit 1597). - Lett. Igding (SEHWERS 1936: 69) und liv. löd'iG sind aus mnd. lädinge entlehnt.

43 Ausführliches Belegmaterial bei MOSZYNSKI (1954: 10/11); drei weitere Belege für iaszt zbozu im Sl.stp. IV: 102. Zum RUSS. s. THOMAS (1978: 135). Nach DOLLINGER (1966: 187) war die Last kein Raummaß, sondern eine Gewichtseinheit von ca. 2 Tonnen (2000 k g ) . 44 Z . B . 1424: l terling dorinne 17 Tynisch (= flandrische) laken, ebenso 1425 u. öfter, SATTLER (1887: 476, 477, 479) (Rechnungsbuch d. flandr. Lieger 1423-34). HIRSCH (1858: 250) : "Das Tuch kam aus der Fremde in großen Paketen, welche Terlinge hießen." - Zur Bedeutung des hansischen Tuchhandels und zum Import von flämischen, englischen und holländischen Tuchen, an dem auch der Dt.O. beteiligt war, s. DOLLINGER (1966: 254, 285 f f . , 326, 452, 551). Ende des 14. Jahrhunderts entstand auch eine poln. Tuchindustrie. 45 Dazu Richard Schwartz, Deutsche und russische Entlehnungen im Fachwortschatz der poln. Schiffahrt, Diss. phil. HumboldtUniv. Berlin 1978 (freundl. Mitteilung v. Prof. Dr. H . H . Bielfeldt). 46 1417 im Rechnungsbuch d. Großschäfferei Marienburg ein Betrag vor bordinge gelt. 1400 nennt das Rechnungsbuch d. Großschäfferei Königsberg einen burdingsveerer in Danzig (SATTLER: 86, 115). Zur Gilde der Bordinqsfahrer in Danzig s. HIRSCH: 286 ff. Bordinge wurden in Danzig und anderen Ostseehäfen benutzt, "um den größeren Schiffen, die in der Stadt nicht laden können, die Ware auf die Reede zu bringen" (1792, FRISCHBIER 1882-83: 9 7 ) . Das Wort ist mnd. schon 1270 bezeugt: navis que vocatur bording que ducit sal vel fruaes (Urkunde Herzog Barnims v. Pommern) KLUGE (1911: 130). L.-B. I: 322 bördinc. SCH.-L. I: 392 bordinge. 47 Die Kogge (ca. 30m lang, 7m breit), früheren Schiffstypen vor allem durch ihre Ladefähigkeit überlegen, verbreitete sich im Norden seit Ende des 12. Jahrhunderts (DOLLINGER: 187 f f . , mit Lit. S. 5 7 2 ) . Sie wurde im 15. Jahrhundert durch den Holk oder Hulk (300 t) verdrängt.

159

48 HIRSCH (1858: 152, 2 4 6 ) . Der D . O . verwendet vorwiegend die Form dursch (SATTLER: 4, 5 ) . Dialektal-poln. ist dorsz in Großpolen, um Graudenz, Thorn, Bromberg und an der unteren Weichsel verbreitet; es fehlt im nördlichen Kaschub. und Slovinz. (AJK: Karte 81) . Den Familiennamen Dorsz verzeichnet TASZYCKI i: 516 schon 1400 und 1446. 49 SATTLER: 2, 4, 59, 60, 122, 123 usw. Der aus Norwegen (Bergen) importierte Stockfisch wurde zum größten Teil wieder ausgeführt (DOLLINGER: 288, auch 316 f f . ) . 50 1402/04 eyn vas tranys, 1400 3 vas tranes (SATTLER: 60, 170). 51 Vgl. auch THOMAS (1978: 143/44) im Anschluß an GARDINER (1965: 144) und VASMER REW (II: 6 9 ) . Zum hansischen Import englischer Tuche, der im 15. Jahrhundert seinen Höhepunkt erreichte, s. DOLLINGER: 282 ff. und passim. Auch der D.O. war an diesem Tuchhandel beteiligt, s. HIRSCH: 250 f f . ; dort werden u.a. neben Londoner auch Lyndische (englische) Laken genannt (wohl von mnd. lündisch = lundisch). 52 SCH.-L. II:

417. Md. schon im 14. Jahrhundert.

53 Als Schimpfwort auch 'Lump, Schurke 1 , DOROSZEWSKI VII: 808. Dialektal besonders in Nordpolen (Posen, Kujawien). 54 Dazu als frühes Derivat wardezen 'zinspflichtiger Bauer 1 u.a. (MOSZYNSKI 1954: 16, 7 7 ) . Zur Erklärung s. K. Nitsch, Studia z historii polskiego slownictwa, Krakau 1948: 168 ff. 55 RECZEK (1968: 91) führt poln. wykusz der Bibel v. 1456 direkt auf tschech. vykuS (14. Jahrhundert) der tschech. Bibelübersetzungen (1417, 1429) zurück. Für eine Sonderentlehnung aus dem Dt. hält er das poln. schon 1387 bezeugte wychus 'thugurium'. 56 Dieses hat neben der Bedeutung 'Hanse' auch die von 'Faktorei, Niederlassung, Kaufmannsherberge 1 (DOROSZEWSKI III: 2 3 ) . 57 StOWNIK jezyka Ad. Mickiewicza, hg. v. K. Gorski und S. Hrabec, Wrocfaw-Warsz.-Krak. 1962 III: 10.

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WESTSLAVISCHE RELIKTWÖRTER IM STRALSUNDER VOKABULAR1

Robert Damme

1. Einleitung Die slavisch-deutsche Interferenzforschung unterscheidet zwischen Lehn- und Reliktwörtern: Lehnwörter sind entweder durch sprachlichen Kontakt in slavisch-deutschen Grenzgebieten (direkte Infiltrate) oder durch Fernentlehnungen auf dem Wege z . B . wirtschaftlicher Beziehungen (indirekte Infiltrate) übernommen worden. Sie begegnen im niederdeutschen ( n d . ) Sprachgebiet sowohl im Altland als auch im Neuland. Oft fanden sie Aufnahme in die mittelniederdeutsche (mnd.) Schriftsprache und haben so für einen größeren Raum Geltung. Dagegen sind Relikt- oder Restwörter (zum Begriff BELLMANN 1971: 49-52) aus einer absterbenden slavischen (slav.) Sprache (Substrat) in die Sprache der nd. Bevölkerung (Superstrat) übernommen worden und nach dem Sprachwechsel in dieser erhalten geblieben. Im Gegensatz zu den Lehnwörtern kommen sie nur im ostnd. Neuland vor und beschränken sich in ihrer Verbreitung gewöhnlich auf ihr Ursprungsgebiet (KAESTNER 1983: 6 9 6 ) . Wegen dieses beschränkten Geltungsbereichs ging die Reliktwortforschung bislang meist von der modernen Mundart aus. Mittelalterliche Quellen, die zum Sprachwechsel einen geringeren zeitlichen Abstand als heutige Dialekte haben, sind - wenn überhaupt - nur unterstützend ausgewertet worden. Dies erklärt sich vor allem dadurch, daß sich eine geeignete mittelalterliche WortschatzSammlung nur in Ausnahmefällen findet. Für den mecklenburgisch-vorpommerschen (meckl.-vorpomm.) Bereich existiert eine solche Sammlung: das sog. "Stralsunder Vokabular" (im folgenden: Str. V o k . ) . Der Rückgriff auf dieses "Sprachdenkmal" (TEUCHERT 1944: 381-385), das bereits Renate Winter im Zusammenhang mit slav. Fischbezeichnungen als Quelle verwendete (WINTER 1969) 2 , erweist sich für die slav.-nd. Reliktwortforschung in zweierlei Hinsicht als nützlich: Erstens

1b4

liefert das Str. Vok. für einige bekannte Reliktwörter neue Daten, und zweitens enthält es einige bislang unbekannte, da im Laufe der Jahrhunderte aufgegebene Slavismen.

2. Das Stralsunder Vokabular Im Stadtarchiv zu Stralsund befindet sich unter der Signatur NB (= Nicolai-Bibliothek) 27 ein dreiteiliger Kodex, dessen zweiter Teil das umfangreiche Str. Vok. enthält. Diese Vokabularhandschrift scheint mir aus vier Gründen als mittelalterliche Quelle für eine Untersuchung slav. Reliktwörter in Mecklenburg-Vorpommern prädestiniert zu sein. 2.1. Das Vokabular ist in oder in der Nähe von Stralsund entstanden. Zwar fehlen explizite Angaben über den Entstehungsort, doch läßt er sich relativ sicher erschließen. Der Verfasser nennt 108 Ortsnamen; von den mnd.-sprachigen Orten liegt etwa die Hälfte im Gebiet Mecklenburg-Vorpommern. Aus diesem Raum werden nicht nur Großstädte wie Rostock, Stralsund und Greifswald genannt, sondern auch Dörfer wie Ulrichshausen, Pampow, Rühlow, Hirschberg und Jabelitz, außerdem finden zwei Klöster Erwähnung: das Zisterzienserkloster Neuenkamp und das Benediktinerinnenkloster Verchen. Besondere Kenntnis scheint der Verfasser vom Archidiakonat Tribsees zu haben: (a) mit Stralsund, Dänholm, Hirschberg, Barth, Damgarten, Neuenkamp und Tribsees liegen immerhin sieben Orte in diesem Bezirk; und (b) vom Ortsnamen "Tribsees" erwähnt er die alte "Volksetymologie", nach der dieser Name auf "tributum cesaris" zurückgehe. Wenn also Stralsund oder Umgebung als Entstehungsraum gelten kann, so handelt es sich um ein Gebiet, in dem 200 bis 300 Jahre zuvor nur slav. gesprochen wurde. Aus geographischen Gründen sind Reliktwörter also zu erwarten. 2 . 2 . Das Vokabular ist vermutlich in den 60er Jahren des 15. Jahrhunderts entstanden. Auf eine explizite Angabe kann man sich nicht stützen. Aber das für das Vokabular und für einen anderen Teil des Kodex, der vermutlich von derselben Hand stammt, ver-

165 wendete Papier läßt sich aufgrund der Wasserzeichen auf die 60er Jahre des 15. Jahrhunderts datieren. Wenn man annimmt, daß die Slaven im 13. und 14. Jahrhundert ihre Sprache aufgegeben haben - nach Aussagen des pommerschen Chronisten Thomas Kantzow soll 1404 auf Rügen die letzte Frau gestorben sein, die noch slavisch sprechen konnte -, so fällt der zeitliche Abstand zwischen Sprachwechsel und Vokabular nicht so groß aus wie etwa der zwischen Sprachwechsel und dem pommerschen Idiotikon von DÄHNERT (1781) oder der heutigen meckl.-vorpomm. Mundart. Wenn also bei DÄHNERT und in der heutigen Mundart dieser Gegend noch Reliktwörter vorkommen, so sind sie aus zeitlichen Gründen erst recht im Str. Vok. zu erwarten.

2 . 3 . Das Vokabular stellt den Versuch dar, unabhängig vom Lateinischen (Lat.) den volkssprachigen Wortschatz möglichst vollständig zu erfassen. Dies gelingt durch zwei Entscheidungen des Stralsunder Lexikographen. Erstens wählt er für sein Wörterbuch eine in der zeitgenössischen Glossenliteratur nur vereinzelt verwendete volkssprachige Lemmaliste, also eine mnd.-lat. Anordnung im Artikel. Dies eröffnet ihm die Möglichkeit, die - sonst von der lat. Lemmaliste vorgegebene - Auswahl des volkssprachigen Wortschatzes selbst zu bestimmen. Zweitens - und dies ist das herausragende Merkmal des Str. Vok. - greift der Verfasser nicht nur auf die in der Glossenliteratur bereitgestellten lat.mnd. Wortgleichungen zurück, sondern berücksichtigt auch volkssprachige Wörter, die dort (noch) nicht vorkommen und für die er selbst lat. Entsprechungen finden muß. Die lat. Interpretamente dieser sonst nicht oder nur selten in der Glossenliteratur erfaßten Ausdrücke weisen bestimmte Merkmale auf; in dem von mir untersuchten Corpus der Tierbezeichnungen betrifft dies von etwa 400 Artikeln 98, also etwa 2 5 % : Entweder fehlt eine lat. Entsprechung - dies ist der Fall in immerhin 40 der 98 Artikel oder es handelt sich um eine Umschreibung (Monnik perd eguus castratus), oder dem mnd. Wort wird einfach eine lat. Endung angehängt (Säbel is en der f s a b e l l u s ) ) . Dadurch, daß der Verfasser des Str. Vok. für sein Wörterbuch nicht wie üblich eine lat., sondern eine mnd. Lemmaliste wählte, gelang es ihm, die für den volkssprachigen Wortschatz relativ engen Fesseln der lat.-mnd.

166

Vokabulare zu sprengen und nun unabhängig von lat. Stichwörtern den heimischen Wortschatz in fast 16.000 Artikeln so vollständig wie möglich zu erfassen und - so gut es geht - lat. zu glossieren. Deshalb finden hier auch solche Ausdrücke Berücksichtigung, die sonst nur zeitgenössische Urkunden bieten oder die in der übrigen mnd. Überlieferung gar nicht vorkommen. Vorausgesetzt, im spätmittelalterlichen Wortschatz Stralsunds waren westslav. Reliktwörter integriert, so müßten sie zumindest teilweise in das Str. Vok. aufgenommen worden sein. 2.4. Der im Str. Vok. aufgezeichnete Wortschatz läßt sich zu über 90% für Mecklenburg-Vorpommern belegen. Die Authentizität des in den spätmittelalterlichen Vokabularen erfaßten volkssprachigen Wortschatzes fällt äußerst unterschiedlich aus, und zwar je nachdem, wie weit sich der Schreiber von seiner Vorlage lösen konnte. Der eine kopiert seine Quelle wortwörtlich und läuft dabei Gefahr, fremdmundartliche Ausdrücke aufzunehmen, der andere geht kritisch mit seiner Vorlage um, läßt nur die ihm bekannten Wörter in seine Abschrift einfließen und ersetzt die unbekannten durch bekannte Wörter. Abgesehen von einem Drogenlexikon, das der Verfasser des Str. Vok. wortwörtlich kopierte, z.T. ohne es richtig zu verstehen, ist er der Typ des kritischen Lexikographen. Eine zweite Vorlage, den sog. "Vocabularius Theutonicus" (DAMME 1983), ein ostfälisches Schulwörterbuch, verändert er so stark, daß man es kaum noch als Quelle erkennen kann. Er nimmt nur einheimisches Wortgut auf und schreibt z.B. padde statt bredworm. kawke statt dole, pogghe statt hupper. sprengel statt kolsprinke usw. Wenn man die aus dem Drogenlexion stammenden Ausdrücke unberücksichtigt läßt, so ist festzustellen, daß der Grad der Authentizität des im Str. Vok. erfaßten Wortschatzes sich der in der zweisprachigen Lexikographie des Spätmittelalters nahezu utopischen 100%-Marke nähert. 4 Wenn also slav. Reliktwörter im Str. Vok. Berücksichtigung gefunden haben, so kann man davon ausgehen, daß sie mit hoher Wahrscheinlichkeit zum gebräuchlichen Stralsunder Wortschatz des 15. Jahrhunderts gehörten.

167

3. Slavisches Wortgut im Stralsunder Vokabular Das slav. Wortgut im Str. Vok. läßt sich den beiden anfangs genannten Typen zuordnen. Da vorliegender Beitrag vor allem die Reliktwörter behandelt, sei nur kurz auf die Lehnwörter eingegangen. Wie an der einschlägigen Literatur deutlich wird, kann die Zuordnung zum einen oder anderen Typ im Einzelfall nie letzte Sicherheit beanspruchen. 3.1. Die slavischen Lehnwörter 3.1.1. Die direkten Infiltrate Das Vorhandensein dieses Worttyps im Str. Vok. widerspricht nicht der Auffassung Bielfeldts, der für das ehemals slav. besiedelte Gebiet westlich von Oder und Neiße nur Fernentlehungen und Reliktwörter als Typen von Integraten kennt (BIELFELDT 1970: 415 f . ) . Denn bei den im folgenden aufgelisteten direkten Infiltraten handelt es sich um solche, die anderenorts schon früh von angrenzenden westslav. Idiomen entlehnt wurden und im 15. Jahrhundert feste Bestandteile der mnd. Schriftsprache bildeten: - dornse 'beheizte Stube 1 (aus dem Polabischen (Polab.)?): KAESTNER 1983: 697 - iuche

'warme Brühe1

(aus dem Polab.): BIELFELDT 1965a: 40-42

und KAESTNER 1983: 697 - quas 'Fraß'

(aus dem Tschechischen (Tsch.)

oder Polab.): TEU-

CHERT 1958: 30

- sisek 'Zeisig 1 (aus dem Tsch.): BIELFELDT 1965a: 25 - stupe 'Schandpfahl 1 (aus dem Polab.) BIELFELDT 1965a: 39 f. - trappe 'Trappe 1 (aus dem Tsch.): BIELFELDT 1965a: 26 - tribant

(im Art.

Buthen)

'hussitischer

Krieger'

(aus dem

Tsch.): BIELFELDT 1963a: 5 / 1965a: 26

Als Indiz für die Schriftsprachlichkeit und also nicht nur kleinräumige Verbreitung dieser Ausdrücke läßt sich die Tatsache anführen, daß sie bis auf zwei Ausnahmen im "Vocabularius Theutonicus", einer Vorlage des Str.Vok ., vorkommen. In diesem gegen Ende des 14. Jahrhunderts im Oberweserraum entstandenen

168

mnd.-lat. Schulvokabular fehlen nur der wahrscheinlich zu spezielle Rechtsterminus stupe. der aber sonst im Mnd. früh und zahlreich belegt ist, sowie tribant bzw. trabant; Diesen hussitischen Krieger hat man gegen Ende des 14. Jahrhunderts noch nicht gekannt. 3.1.2. Die indirekten Infiltrate Die folgenden Ausdrücke gelten in der Literatur (seit BIELFELDT 1963c und 1965b) als Fernentlehnungen aus dem Russischen (Russ.) (KAESTNER 1983: 698 f . ) : - besemer 'Handwaage' - certe 'Zarte' - deghet 'Birkenteer 1 - pram 'Flußboot' - sabel 'Zobel' - tolk 'Dolmetscher' Im Einzelfall wäre sicher noch zu prüfen, ob alle sechs Ausdrücke direkt aus dem Russ. stammen oder ob nicht der eine oder andere von ihnen zuerst im westslav. Idiom der Stralsunder Gegend heimisch wurde und von dort aus in den mnd. Wortschatz dieses Gebietes gelangte. 3.2.

Die slavischen Reliktwörter

Die slav. Reliktwörter im Str. Vok. stehen im Mittelpunkt dieses Beitrags, sie erfahren daher eine eingehendere Behandlung als die genannten Lehnwörter. Es lassen sich zwei Gruppen von Reliktwörtern unterscheiden: solche, die noch in der heutigen Mundart fortbestehen, und solche, die im Laufe der Jahrhunderte aufgegeben worden sind. 3.2.1. Die erhalten gebliebenen Reliktwörter 1) bruche; Bruche omasium Brucha brüche 'Bauch, Gedärm, Magen' hängt zusammen mit slav. bfucho. polnisch (poln.) brzuch. niedersorbisch ( n s . ) brjuch usw. Nach LASCH / BORCHLING (I: 355) ist dieser Ausdruck bislang erst seit

169

dem späten 16. Jahrhundert belegt. Heute ist "Brüch(e)" f. das typische Reliktwort für Mecklenburg-Vorpommern (KAESTNER 1983: 702) . Am Vokabularbeleg fällt a u f , daß die zweite lat. Vokabel eine Latinisierung des Lemmas darstellt, was durch Anhängen einer lat. Endung erreicht wird. 2) karina: Karina carina quasi carens ruina illius est interius scilicet piscium karina 'Kiepe, Tragekorb 1 ist nach BIELFELDT (1963c: 21) eine Fernentlehnung aus dem RUSS. Allerdings bereitet die Herleitung aus der russ. Form lautliche Schwierigkeiten. Poln. karzyna , pomoranisch (pomor.) käfana kämen eher als Grundlage der modernen Mundartbelege in Betracht, aber "...daß ein westslaw. Wort im 14. Jh. in das Mnd. gelangte, ist unwahrscheinlich, weil für alle anderen slaw. Wörter des Mittelniederdeutschen die russ. Herkunft sicher ist" (BIELFELDT 1963c: 21) . Diese Argumentation Bielfeldts läßt sich wohl nicht halten. Allein die westslav. Lehnwörter im "Vocabularius Theutonicus" , der einen Vorlage des Str. Vok. , sprechen eindeutig gegen diese Aussage. Und auch das eben angeführte bruche kann zweifelsfrei als Wort aus dem westslav. Substrat gelten. Einer Herleitung von karina aus Vorgängern der poln. oder pomor. Form steht also nichts im Wege. Der bislang einzige mnd. Beleg stammt nach SCHILLER / LÜBBEN (II: 430) aus einer hansischen Urkunde des 14. Jahrhunderts. Die moderne meckl.-vorpomm. Mundart kennt nur die kontrahierte Form "Krin", während im Märkischen die ursprüngliche Form "Karine" erhalten geblieben ist. Der Artikel im Str. Vok. verdient in dreierlei Hinsicht Beachtung. Zum einen führt der Verfasser das Wort mit dem für das Slav, typischen auslautenden -a an. Nicht ausschließen läßt sich aber auch die Möglichkeit, daß es sich hier - wie an zahlreichen anderen Stellen im Str. Vok. - um einen Vorklang (von carina) , also um ein Versehen handelt. Zum anderen ist die lat. Vokabel eine einfache Latinisierung des volkssprachigen Ausdrucks. Und schließlich enthält der Artikel den Versuch, das Wort carina zu deuten, nämlich als Verschmelzung von carens und ruina. Das sich an diese Etymologie anschließende Beispiel zeigt, daß der Ver-

170

fasser des Vokabulars die durch karina bezeichnete Sache Tragekorb für Fische kennt.

als

3) kawke; Kawke i. aleke monedula kawke 'Dohle 1 hängt zusammen mit slav. kawka (poln., obersorbisch ( o s . ) / ns., tsch. usw.). Auch wenn es sich um ein lautnachahmendes Wort handelt (TEUCHERT 1958: 19), für das zudem mit mnd. ka im nd. Altland eine mögliche Ausgangsform existiert (KAESTNER 1978: 162), scheint die ostnd. Form auf das oben genannte im Westslav. verbreitete Etymon zurückzugehen (so auch LASCH / BORCHLING II: 530). In zeitgenössischen ostelbischen Vokabularen ist kawke mehrfach als alleinige Entsprechung zu lat. monedula belegt: z . B . in den beiden Handschriften des "Vocabularius Ex quo" (GRUBMÜLLER 1967) aus Rostock 1448 (kauweke) und Prenzlau 1454 (kauke) . Heute begegnet "Kauke" noch im holsteinischen und brandenburgischen Platt. Dieser Artikel des Str. Vok. erweist sich gerade deshalb als auffällig, weil er nichts Auffälliges enthält; kawke - monedula ist, wie die Belege aus den beiden "Ex quo"-Handschriften zeigen, eine gebräuchliche Wortgleichung. 4) manse/mantze: Manse efte mantze garnes mantza diuisio rethis intersticium rethis manse oder mantze 'Stellnetz zum Heringsfang' findet nur im pomor. mac eine (west)slav. Parallele, doch ist diese Herleitung nicht endgültig gesichert (FALKENHAHN / BIELFELDT 1963 und BIELFELDT 1963b: 161 f . ) . Nach SCHILLER / LÜBBEN (III: 30a) ist dieser Ausdruck im Mnd. außer im Str. Vok. nur noch in einer Wismarer Quelle belegt. Im 19. Jahrhundert war dieses Wort in Vorund Hinterpommern sowie in Westpreußen verbreitet. Mit der Ostseefischerei ist es auch ins Dänische und Schwedische gelangt (BIELFELDT 1963b: 162). Zum Artikel im Str. Vok. ist folgendes zu bemerken: Erstens führt der Verfasser zwei Schreibweisen an: manse und mantze, was möglicherweise seine Unsicherheit bei der Verschriftlichung des slav. Wortes widerspiegelt. Zweitens enthält das lat. Interpretament neben einer Latinisierung nur zwei Umschreibungen.

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5) meddele: Eroeswede dede stan in den bulten der wissche ene iewelke bi sik else ene meddele dar men korue af maket restis prati resticula prati meddele 'Windhalm' hängt nach MARZELL (I: 353) mit slav. metla zusammen, das im Poln., Tsch. und Sorbischen eine entsprechende Bedeutung hat (TEUCHERT 1958: 19 f. und BIELFELDT 1970: 4 2 2 ) . Mittelalterliche Belege für dieses heute von der Weichsel bis in die Niederlande verbreitete Wort (TEUCHERT 1958: 19) fehlen bislang völlig. Auch wenn meddele im Str. Vok. nicht als Lemma vorkommt, darf dieser Ausdruck im spätmittelalterlichen Stralsund als bekannt gelten, denn meddele dient im angeführten Artikel als veranschaulichendes Beispiel. 6) murene; Murene is klene visch murena Mureneke (murena) murenula murene ist hier die Bezeichnung für den Ostseefisch Maräne und nicht für die Muräne, den Raubfisch im Mittelmeer. Für diese Auffassung lassen sich zwei Argumente anführen: Erstens kennt auch DÄHNERT (1781: 316a) die Bezeichnung der Maräne mit inlautendem -u- ; und zweitens berücksichtigt der Verfasser des Str. Vok. beide Arten dieses Ostseefisches, nämlich die Große und die Kleine Maräne (WINTER 1969: 289 f . ) . Daß es sich um eine semantisch relevante Diminuierung handelt, geht aus der Tatsache hervor, daß Fischbezeichnungen im Str. Vok. sonst keine Verkleinerungsform beigefügt ist. Nach WINTER (1969: 290) soll pomor. mrona zugrunde liegen, doch bleibt diese Herleitung umstritten (KAESTNER 1983: 697). In Preußen ist diese Fischbezeichnung durch einen hd. Beleg bereits seit Beginn des 15. Jahrhunderts nachgewiesen. Als Fachterminus für eine Gattung von Speisefischen ist "Maräne" in den hochsprachlichen Wortschatz aufgenommen worden. Ob es sich bei der lat. Vokabel murena um eine Latinisierung des volkssprachigen Ausdrucks oder um das lat. Wort für den Mittelmeerraubfisch handelt, läßt sich nicht endgültig entscheiden. Wegen der Häufigkeit von Latinisierungen bei den slav. Reliktwörtern kann die erste Alternative allerdings die größere Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen.

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7) sandat; Sandat is en visch Rape is eyn visch alse eyn zandad den men venk bi der swine rap... sandat 'Zander 1 geht vermutlich auf pomor. sadwc. poln. sedacz zurück. Die anderen westslav. Parallelen sind möglicherweise Rückentlehnungen (BIELFELDT 1965a: 37) . Bereits seit etwa 1400 ist diese Fischbezeichnung an der Ostseeküste durch zahlreiche Belege bezeugt. Heute gehört "Zander" zum hochsprachlichen Wortschatz . Im ersten oben angeführten Artikel des Str. Vok. fehlt - wie häufig bei Fischbezeichnungen (z.B. auch bei certe) - die lat. Vokabel. Aus der Verwendung im zweiten Artikel geht hervor, daß der Verfasser dieses Wort als bekannt voraussetzt: Er benutzt zandad in einer Bedeutungserklärung. 8) sapke; Sapke i. duckvagel meraulus uel mergula Düker duckvagel sapke mewe (mergulus) sapke 'Bleßhuhn 1 hängt zusammen mit kaschubisch cap. capla (KAESTNER 1983: 702) und ns. capla (BIELFELDT 1970: 4 2 2 ) . Nach SCHILLER / LÜBBEN (IV: 25b) überliefert das Str. Vok. als einzige ausgewertete mnd. Quelle einen Beleg. Heute ist "Zappe" in Holstein, Mecklenburg und Pommern bekannt. Als interessant erweist sich die Glossierung von sapke; Der Verfasser des Str. Vok. führt als volkssprachiges Interpretament das Hyperonym duckvagel 'Tauchvogel 1 an. Lat. mergulus entpricht mit seiner allgemeinen Bedeutung eben diesem Oberbegriff und nicht dem Hyponym sapke. Die Hinzufügung von mergula erklärt sich möglicherweise durch das weibliche Geschlecht von sapke (Diminutiv?). 9) seze: Seze is en visscher kan efte garne Sezekan Sezener dede visschet mit der seze seze 'Schleppnetz der Fischer1 läßt sich herleiten von pomor. seza. slovinz. seza (gegen TEUCHERT 1958: 18) . Ein früher Beleg von 1449 stammt aus Stralsund (HINZE 1971: 3 9 0 ) . "Zeese" ist heute in Mecklenburg, Pommern und Brandenburg verbreitet. An der Artikelgruppe im Str. Vok. fällt auf, daß eine lat.

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Glossierung gänzlich fehlt. Während diese neun soeben behandelten Ausdrücke in der Literatur mehr oder weniger eindeutig den slav. Reliktwörtern zugerechnet werden, ist dies bei dem folgenden Wort nicht der Fall. dubber; Dubber dat is ghud bonus "dubber" 'gut' gilt seit BIELFELDT (1967a) als Fernentlehnung aus dem RUSS, (so zuletzt KAESTNER 1983: 698, 7 0 2 ) . Bielfeldt führt aus, daß "dubber" anders als die Mehrzahl der russ. Fernentlehnungen, die zuerst in der mnd. Schriftsprache und dann vereinzelt in den nd. Mundarten Aufnahme fanden, direkt in die meckl. Mundart gelangt sei. Er nennt zwei mögliche Wege der Entlehnung: a) Nach dem Zeugnis eines H.C. Larson, dessen Dissertation 1757 gedruckt wurde, sei "dubber" etwa 50 Jahre zuvor im Zusammenhang mit dem Nordischen Krieg (also Anfang des 18. Jahrhunderts) von den Russen nach Mecklenburg gebracht worden. b) Auch meckl. Seeleute, die im 19. Jahrhundert nach Rußland fuhren, könnten das Wort mitgebracht haben (BIELFELDT 1967a: 631 f . ) . Wenn dieses Wort nun im Str. Vok. begegnet, das mit brüche und meddele zwei sonst im Mnd. nicht oder erst sehr spät verschriftlichte Ausdrücke bezeugt, dann ist zu folgern, daß es sich auch bei dubber um ein westslav. Reliktwort handeln kann, das nicht erst im 18. Jahrhundert, sondern bereits spätestens im 15. Jahrhundert integriert wurde. 3 . 2 . 2 . Die aufgegebenen Reliktwörter Nicht alle nach dem Sprachwechsel integrierten Reliktwörter sind bis heute erhalten geblieben; viele sind im Laufe der Jahrhunderte wieder aufgegeben worden: Generell ist beobachtet worden, daß Landschaften mit jüngerem Sprachwechsel zunächst eine überaus große Zahl von Relikten der typischen Denotatbereiche Landwirtschaft, Hauswirtschaft usw. aufweisen, die im postintegrativen Stadium mehr und mehr zugunsten konkurrierender deutscher Einheiten mit höherem Kommunikationswert aufgegeben wurden. Somit

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wird quantitativ eine allgemein rückläufige Entwicklung der Slavismen im Deutschen erkennbar. (BELLMANN 1970: 61 / ähnlich BIELFELDT 1970: 415) Je kürzer also der Sprachwechsel und die damit zusammenhängende Integration slav. Relikte zurückliegt, desto größer ist der Bestand an Reliktwörtern. Auf das Str. Vok. übertragen bedeutet dies: Wenn dieses Wörterbuch immerhin zehn heute noch gebräuchliche Reliktwörter bezeugt, müßte es eine noch größere Anzahl inzwischen aufgegebener Reliktwörter enthalten. Denn der Sprachwechsel liegt nicht 600 oder 700, sondern nur 100 bis 200 Jahre zurück. In der Tat lassen sich untergegangene Reliktwörter im Str. Vok. nachweisen. Die beiden im folgenden vorzustellenden Ausdrücke sind sicher nicht die einzigen in diesem Wörterbuch überlieferten slav. Relikte, aber die einzigen, die ein Nicht-Slavist1 als solche erkennen kann. Beide Wörter stammen aus dem von Bellmann genannten typischen Denotatbereich 'Land- und Hauswirtschaft ' . 1) nywech; Nywech dar nen wech is er gheweset nevia nywech geht vermutlich auf eine slav. Wurzel *niva zurück (SCHUSTER-s'EWC: 1005) , die in den westslav. Idiomen folgende Realisierungen findet: poln. niwa 'Flur', ns. niwa 'fruchtbares Akkerland 1 , pomor. niva 'Feld, Flur 1 , draväno-polabisch neyw •Stück (Acker)' usw. Lange scheint sich dieses Reliktwort nicht gehalten zu haben: Weder bei DÄHNERT (1781) noch bei WOSSIDLO / TEUCHERT (1942 f f . ) ist es verzeichnet. Als interessant erweist sich das Interpretament zu nvwech. Im volkssprachigen Teil versucht der Verfasser des Str. Vok., dieses Wort als Zusammensetzung von ne 'nie' und wech 'Weg 1 zu etymologisieren; entsprechend fällt das lat. Interpretament aus: Es stellt einen Sonderfall von Latinisierung dar, nämlich eine Lehnübersetzung gemäß den beiden Teilen des vermeintlichen Kompositums. 2) pocrante; Pocrante pocrante läßt sich zurückführen auf eine slav. Wurzel *pokr