Sprache, Bewusstsein, Normativität: Ein philosophischer Essay zur Natur des Sprachbegriffs 9783110320329, 9783110320053

Der Essay zur Natur der Sprache entwickelt eine neue und unvoreingenommene Sicht auf Sprache, die die wichtigsten Sprach

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Sprache, Bewusstsein, Normativität: Ein philosophischer Essay zur Natur des Sprachbegriffs
 9783110320329, 9783110320053

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
1. Initiale Paradigmen moderner Sprachreflexion
1.1 Sprache bei Morris und Saussure
1.2 Sprache bei Bühler
1.3 Sprache bei Austin und Searle
2 Sprache als System von Konventionen und Regeln
2.1 Sprechakte und Konventionalismus
2.2 Das Problem der Norm
2.3 Das Problem der Deutung
2.4 Das Problem des klassisch-skeptischen Regelregresses
2.5 Das Problem der Analogiebildung
2.6 Von der Ablehnung des Konventionalismus zur Bestimmung von Bedeutung
3 Sprachliche Produkte
3.1 Der Begriff des Mediums – ein materialistischer Standpunkt
3.2 Externalisierung und Sprachmaterialismus
3.3 Implikationen des externalisierten Sprachbegriffs
4 Sprache und repräsentationales Bewusstsein
4.1 Ein minimaler, naturalistisch-funktionalistischer Bewusstseinsbegriff
4.2 Naturalistische Zeichentheorie und Bewusstsein
4.3 Bewusstseinsinterne und -externe Zeichen
4.4 Perspektive und Information
4.5 Echte und unechte Repräsentationen
4.6 Vom Repräsentieren zur Selbstobjektivierung zur Fähigkeit zu Verstehen
4.7 Repräsentationales Bewusstsein und Objektprädikation
4.8 Biologischer Funktionalismus, Nativismus und erweiterter Phänotyp
4.9 Intentionale Handlungen, Intentionen und Emotionen
4.10 Überzeugungen und Intentionen und Intentionalität
5 Vom Bewusstsein zum Verstehen
5.1 Sprachfähigkeiten und vier Fehlschlüsse im Denken über Sprache
5.2 Das explanatorische Primat des Verstehens und der Nachweis Desselben
5.3 Verstehen als Subjekt-Objekt-Relation
5.4 Sprachverstehen und das Prinzip der Relevanz
6 Natürliche Sprachfähigkeiten
6.1 Sprache als natürliches Phänomen
6.2 Ontogenese und Phylogenese
6.3 core systems und Verstehen
6.4 Kritische Prozesse in der Ontogenese
6.5 Das Verstehen von Sozialpartnern als intentionale Akteure
6.6 Individualspezifische Koordination vs. angeborene Kooperation
6.7 Kooperation als Resultat einer normativen Praxis
6.8 Sprachverstehen und geteilte Intentionalität bei Bonobos
6.9 Die Grundlage natürlicher Sprachfähigkeiten
7 Die Normativität der Praxis
7.1 Sprache in situ
7.2 Die Begriffe der Praxis und der Kommunikation
7.3 Grundlagen der Normativität natürlicher Kommunikationspraxen
7.4 Die Struktur normativer Praxen
7.5 Deontische Status und explizit expressive Handlungen
7.6 Die normative sprachliche Praxis
7.7 Die praxisabhängige Sprache
8 Was Sprache ist
8.1 Die Natur der Sprache – eine Sprache der Natur
8.2 Die naturalistische Perspektive auf Sprache
8.3 Ein Begriff von Sprache
8.4 Kein Begriff von Sprache
Bibliographie

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Christian Ebeling Sprache, Bewusstsein, Normativität Ein philosophischer Essay zur Natur des Sprachbegriffs

Christian Ebeling

Sprache, Bewusstsein, Normativität Ein philosophischer Essay zur Natur des Sprachbegriffs

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2012 ontos verlag P.O. Box 15 41, D-63133 Heusenstamm www.ontosverlag.com ISBN 978-3-86838-151-1 2012 No part of this book may be reproduced, stored in retrieval systems or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, microfilming, recording or otherwise without written permission from the Publisher, with the exception of any material supplied specifically for the purpose of being entered and executed on a computer system, for exclusive use of the purchaser of the work Printed on acid-free paper FSC-certified (Forest Stewardship Council) This hardcover binding meets the International Library standard Printed in Germany by CPI buch bücher gmbh

Die Worte dieser Sprache sind wenig geeignet zur Mitteilung, weil Worte Erinnerungen sind und niemals zwei Menschen die gleichen Erinnerungen haben. Fritz Mauthner, 1906

The stream of language, whether spoken, written, thought, or dreamed, whether heard, seen, or remembered is, strictly speaking, a continuum of events. For the acts of expression, perception, and remembering are actual events in this world. Empirically, language is behavior. George Zipf, 1935

Die Vorstellung, es gebe eine klar umrissene gemeinsame Struktur, die sich die Sprachbenützer zu eigen machen und dann auf Einzelfälle anwenden, müssen wir aufgeben. Donald Davidson, 1982

Inhalt

Einleitung

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1 Initiale Paradigmen moderner Sprachreflexion 1.1 Sprache bei Morris und Saussure 1.2 Sprache bei Bühler 1.3 Sprache bei Austin und Searle

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2 Sprache als System von Konventionen und Regeln 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6

Sprechakte und Konventionalismus Das Problem der Norm Das Problem der Deutung Das Problem des klassisch-skeptischen Regelregresses Das Problem der Analogiebildung Von der Ablehnung des Konventionalismus zur Bestimmung von Bedeutung

39 43 47 54 57 61

3 Sprachliche Produkte 3.1 Der Begriff des Mediums – ein materialistischer Standpunkt 3.2 Externalisierung und Sprachmaterialismus 3.3 Implikationen des externalisierten Sprachbegriffs

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4 Sprache und repräsentationales Bewusstsein 4.1 Ein minimaler, naturalistisch-funktionalistischer Bewusstseinsbegriff 4.2 Naturalistische Zeichentheorie und Bewusstsein 4.3 Bewusstseinsinterne und -externe Zeichen 4.4 Perspektive und Information 4.5 Echte und unechte Repräsentationen 4.6 Vom Repräsentieren zur Selbstobjektivierung zur Fähigkeit zu Verstehen

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4.7 Repräsentationales Bewusstsein und Objektprädikation 4.8 Biologischer Funktionalismus, Nativismus und erweiterter Phänotyp 4.9 Intentionale Handlungen, Intentionen und Emotionen 4.10 Überzeugungen und Intentionen und Intentionalität

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5 Vom Bewusstsein zum Verstehen 5.1 Sprachfähigkeiten und vier Fehlschlüsse im Denken über Sprache 5.2 Das explanatorische Primat des Verstehens und der Nachweis Desselben 5.3 Verstehen als Subjekt-Objekt-Relation 5.4 Sprachverstehen und das Prinzip der Relevanz

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6 Natürliche Sprachfähigkeiten 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9

Sprache als natürliches Phänomen Ontogenese und Phylogenese core systems und Verstehen Kritische Prozesse in der Ontogenese Das Verstehen von Sozialpartnern als intentionale Akteure Individualspezifische Koordination vs. angeborene Kooperation Kooperation als Resultat einer normativen Praxis Sprachverstehen und geteilte Intentionalität bei Bonobos Die Grundlage natürlicher Sprachfähigkeiten

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7 Die Normativität der Praxis 7.1 Sprache in situ 7.2 Die Begriffe der Praxis und der Kommunikation 7.3 Grundlagen der Normativität natürlicher Kommunikationspraxen 7.4 Die Struktur normativer Praxen 7.5 Deontische Status und explizit expressive Handlungen 7.6 Die normative sprachliche Praxis 7.7 Die praxisabhängige Sprache

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8 Was Sprache ist 8.1 8.2 8.3 8.4

Die Natur der Sprache – eine Sprache der Natur Die naturalistische Perspektive auf Sprache Ein Begriff von Sprache Kein Begriff von Sprache

Bibliographie

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Einleitung Sprache ist ein wunderbares Geschenk. Wer ist sich darüber uneins? Wie arm wäre der Mensch ohne seine Sprache? Was ist der Mensch ohne seine zahlreichen und immer neuen Formen des Ausdrucks? Ist er ohne seine stetig sich erneuernde Möglichkeit des Ausdrucks überhaupt noch als Mensch zu verstehen? Ist er als vernunftbegabtes Wesen noch erkennbar, wenn er die Welt um sich nicht in die Form der Sprache zu geben weiß? Wenn die Möglichkeit zur Sprache nicht bestünde, was bliebe von der Nähe der Menschen untereinander? Was würde sie noch voneinander trennen? Die Sprache ist ein Geschenk, das uns eine Welt schenkt, die wir nicht nur teilen können, sondern überhaupt erst dadurch besitzen, dass wir sie zu bezeichnen lernen. Mit jedem Namen, jeder Bedeutung ist sie ein Stück mehr Teil von uns und gleichermaßen ein Stück weiter von uns entfernt, indem wir sie ihrer Namenlosigkeit entreißen, die die Heimstatt aller natürlichen Dinge ist. Aber was ist Sprache tatsächlich? Ist dies eine Frage, die von wissenschaftlicher Bedeutung sein kann oder ist sie vielmehr immer schon beantwortet, wenn wir Menschen, wir sprachbegabte Wesen, uns die Welt nach unserem Sinne aneignen, indem wir über sie das Netz unserer Sprache werfen? Nun, diese Frage ist ganz eindeutig von wissenschaftlichem Belang, denn was Sprache ist, ist zwangsläufig eine Grundlagenfrage jeder Wissenschaft, die sich mit Sprache als dem Gegenstand ihrer Untersuchung auseinandersetzt. Tatsache ist allerdings auch, dass es in der Geschichte der Wissenschaft bisher zu keiner einhelligen Meinung darüber gekommen ist, was das ist, Sprache, woher sie stammt und wie sie zu betrachten ist. Kurzum, so etwas wie ein grundlegender Sprachbegriff ist schlicht nicht in Sicht. Was zumindest vor dem Hintergrund der um Vereinheitlichung bemühten Leitwissenschaften, den sogenannten Naturwissenschaften, durchaus verwunderlich ist, wenn man sich vergegenwärtigt, dass nur ein Mangel, entweder an Erkenntnis oder aber an Notwendigkeit, das Erreichen dieses Ziels der modernen Wissenschaft verhindert. Die Perspektiven auf den Gegenstandsbereich der integrativen und interdisziplinären, sogenannten Sprachwissenschaft eröffnet einen ganzen Komplex von miteinander in Abhängigkeit stehenden Phänomenen, deren umfassend vereinheitlichter Beschreibung nicht nur die teilweise weit von einem Konsens entfernten Teildiskurse abträglich sind. Der ‚Komplex Sprache‘ verwehrt sich vielmehr auch in seinen Teilen oftmals einer exakten wissenschaftlichen Beschreibung, wie sie beispielsweise von der Physik oder der Biologie

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geleistet wird. Nicht das einzelne empirische Datum, sondern Dissens und Theoretisierung sind häufig die diskurskonstituierenden Elemente. Die Teil- und Einzeldiskurse, die den Gesamtdiskurs zur Sprache bilden, zeichnen sich daher vor allem dadurch aus, dass sie, bis auf die bloße Annahme eines Gegenstandes Sprache, wenig vereint. Aber bei all der hier vorherrschenden scheinbaren Klarheit darüber, was Sprache ist – wie kann es dann überhaupt zu der offenbaren und bis zur Inkommensurabilität reichenden Heterogenität der in diesen Diskursen formulierten Behauptungen und Theorien kommen? Unsere Ausgangsannahme lautet, dass die Frage, was Sprache ist, von keiner dieser Teildisziplinen einem umfassenden Beantwortungsversuch zugeführt wird, der einen derart umfänglichen Allgemeinheitsanspruch hat, dass über die Kriterien für eine homogene Beschreibung auf seiner Grundlage überhaupt verhandelt werden kann. Erst in dieser Verhandlung kann ein allen Subdisziplinen gemeinsamer, reflektierter Begriff dessen entstehen, was untersucht wird. Die hier erfolgende Erörterung stellt einen solchen Versuch dar. Es soll ein Vorschlag gemacht werden, wie eine Zusammenführung, eine grundlegende, logische Erörterung, aussehen könnte, die zu einem maximal weiten und allgemein funktionalen Sprachbegriff führt. Wir wollen versuchen, das Netz der Sprache zu erkennen und die wesentlichen Verknüpfungen zu entwirren, durch sie hindurch zu finden, um dann einen ersten Blick zurück auf das Netz zu wagen, in welchem wir uns immer schon befinden. Dieser Blick soll uns befähigen von einem vereinheitlichten Sprachbegriff zu reden. Die Frage nach der Sprache, die wir hier stellen, ist dabei eine methodologische Frage, insofern sie nach dem wichtigsten Werkzeug jeder Sprachbeschreibung fragt, der Form und Möglichkeit des Sprachbegriffs selbst. Sind unsere Begriffe die Werkzeuge des wissenschaftlichen Handwerks, dann sollten wir auch Überlegungen darüber anstellen, ob sie in ihrer derzeitigen Form geeignete Werkzeuge darstellen oder aber zu bestimmten Aufgaben der Modifikation bedürfen – dies gilt, so wollen wir hier nahelegen, auch für den Begriff ‚Sprache‘. Dass allerdings bei einer solchen Begriffsanalyse und der Suche nach einem Fundament für einen maximal allgemeinen Sprachbegriff keine neutrale Position bezogen werden kann, zeigt sich darin, dass wir uns für eine Richtung entscheiden müssen, in die wir mit unseren Erörterungen gehen wollen, für einen Ort, an welchem wir mit der Suche beginnen. Den Ort dieser Grundlagen erkennen wir darin, dass, irrelevant wie der ‚Komplex Sprache‘ in seine Einzelteile zerlegt wird, es sich um ein unbezweifelbar natürliches Phänomen handelt, das in der ein oder anderen

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Form vollständig von natürlichen Wesen abhängt, ohne welche es Sprache schlicht nicht geben kann. Das heißt, dass unsere Ausführungen zu einem begriffsumfänglich minimalen und explanatorisch maximalen, allgemeinen Sprachbegriff von einem naturalistischen Standpunkt aus vollzogen werden. Naturalismus heißt in diesem Zusammenhang, dass wir uns an Konzepten der Leitwissenschaften orientieren, da diese die natürliche Welt und also die Bedingungen und Regularitäten beschreiben, denen diese natürlichen Wesen unterliegen. Es heißt allerdings nicht, dass wir uns auf ihre Beschreibungsmethodik hin einschränken werden. Da Sprache nicht ohne biologische Wesen zu denken ist, die den Bedingungen der natürlichen Welt unterliegen, der sie entstammen und deren Teil sie sind, wollen wir den Komplex Sprache auch genau in dieser Abhängigkeit zu verstehen versuchen. Aus diesem Standpunkt folgt notwendig ein explanatorischer Funktionalismus, der stets reflektiert, dass der Komplex Sprache nur in Abhängigkeit eines bestimmten Charakteristikums natürlicher Wesen darstellbar ist, welche Sprache zu besitzen scheinen, und das ist Bewusstsein. Bewusstsein als Einzelphänomen ist wiederum mit der Eigenschaft verbunden, eine Erste-PersonPerspektive zu beinhalten, der ‚Wie-es-für-ein-Wesen-ist‘ Qualität der Erfahrung. Wenn wir die Natur der Sprache ergründen wollen, so müssen wir also in Anschluss an die naturalistische Bestimmung unserer Fragerichtung auch die Bedeutung dieser Perspektive innerhalb einer Erklärung von Sprache reflektieren. Sprachreflexion ist ebenso wie die Erforschung des Bewusstseins maßgeblich eine Sache der Perspektivenanalyse. Die Perspektivität werden wir hinsichtlich der Funktionalität in die Diskussion einführen, die bestimmte Sachverhalte für ein biologisches, bewusstseinsfähiges Wesen haben oder nicht haben. Die Erörterung zum Sprachbegriff wird hinsichtlich der Erklärung über diese individuelle Funktionalität zu einer Erörterung der gerechtfertigten Differenz von erstePerson und dritte-Person Tatsachen und Zuschreibungen bzw. der Signifikanz der Erste-Person-Perspektive für jede allgemeine Spracherörterung. Dass es sich bei alledem um eine philosophische Abhandlung handelt, wird allerdings die zu erwartenden Ergebnisse unseres Versuches, zu erkennen, was Sprache ist, maßgeblich beeinflussen, indem wir am Ende womöglich mehr neue Frage gestellt haben werden, als alte beantwortet. Obschon dies für eine philosophische Abhandlung nicht ungewöhnlich ist, wollen wir unsere Erörterung doch mit einer verhandlungsfähigen Antwort auf die Frage nach der Natur der Sprache beschließen, die zumindest unserem gewählten naturalistischen Rahmen

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entspricht und helfen soll, unser Werkzeug, den Begriff ‚Sprache‘, in seiner Funktionalität innerhalb von wissenschaftlichen Diskursen, besser bewerten zu können. Die Methodik, nach der verfahren wird, entspricht dabei zunächst einer Dekonstruktion des tradierten Sprachbegriffs, der hierfür zunächst anhand von fünf paradigmatischen Denkmustern modernen Sprachdenkens bzw. der Theorien nachvollzogen wird, die das jeweilige Muster besonders wirkungsmächtig in die Sprachreflexion des zwanzigsten Jahrhunderts eingeführt haben. Diesem ersten Teil werden die Kapitel eins bis drei vorbehalten sein, wobei in Kapitel eins die initialen Theorien eingeführt werden, die das moderne wissenschaftliche Denken über Sprache in besonderer Weise geprägt haben, um in Kapitel zwei und drei nicht einzelnen Theorien, sondern umfassenden Gedanken, deren Entwicklung wir nicht auf ein oder zwei Ursprungstheorien festsetzen wollen und können, nachzugehen. Wiederum ausgehend von dieser Kritik wird in Kapitel vier die Bindung des Komplexes Sprache an die ErstePerson-Perspektive natürlicher Wesen vollzogen, bei der es nötig sein wird, einen minimalen Bewusstseinsbegriff zu formulieren. Das Resultat dieser Verbindung und der Erklärung der grundlegenden Verknüpfung von Sprache und Bewusstsein wird zunächst die Vorrangstellung des Verstehens für die Erklärung von Sprache im Allgemeinen sein. Die sich an diese Begründung anschließende Ausführung zur ‚Sprachfähigkeit‘ des Verstehens hinsichtlich der Einsicht in die begründende Funktion der naturalistischen Erklärung wird in stetigem Verweis auf Konzepte der Biologie, evolutionären Anthropologie und der Psychologie formuliert, die also dem oben erwähnten leitwissenschaftlichen Spektrum entstammen. Die Erörterung der Sprache als natürliches Phänomen das explanatorisch vom Verstehen ausgehend erörtert werden muss, wird uns schlussendlich die normative Kraft der Praxis verdeutlichen, ohne welche Sprache nicht denkbar ist. Das siebente Kapitel wird dazu dienen diese Kraft in ihren grundlegenden Mechanismen darzustellen und so die Normativität der Praxis im Gesamtkomplex Sprache zu verorten und die Frage nach der Sprache auf diese Weise einem umfassenden Antwortvorschlag zuzuführen. Unsere Ausgangsfrage an sich, was Sprache sei, mag hingegen immer noch recht merkwürdig anmuten, da man sich der Bedeutung dieses Wortes, welchem man tagtäglich begegnet, doch recht sicher zu sein glaubt. Allein, der Begriff Sprache, der sich hinter diesem Wort verbirgt, ist weder im nichtwissenschaftlichen noch im wissenschaftlichen Gebrauch ein einheitlicher. Wie erwähnt, gibt es zahlreiche Ansichten darüber, was Sprache im Einzelnen ist und wie man

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sie zu beschreiben hat. Dass man die Frage nach der Natur der Sprache allerdings so unterschiedlich beantwortet hat und beantwortet, ist sehr interessant, insofern es auch die Annahme zulässt, dass die sogenannte eine Sprache als solche möglicherweise überhaupt nicht existiert, sondern nur eine Menge an perspektivischen Hypostasierungen, die sich entweder auf keinen gemeinsamen Grundbegriff reduzieren lassen oder aber auf einen, der als Komplex mit ‚der Sprache‘, wie wir sie für gewöhnlich zu verstehen glauben, recht wenig zu tun hat. Und ohne es noch weiter vorenthalten zu wollen: Es soll dafür argumentiert werden, dass die verschiedenen Phänomene und Phänomenbereiche, die jeweils auf die ihnen eignende Weise zu beschreiben sind, mit einem Phänomen ‚Sprache‘ ganz und gar nicht zur Deckung gebracht werden können, sondern dass uns dieser Begriff gewissermaßen abhanden kommen muss, wenn wir das Gesamtbild dessen betrachten, was wir vorher nur im Detail sahen. Wenn es aber einen Ort der Sprache gibt, dann ist dieser die natürliche Welt, die ihrerseits eine Vielzahl von Orten ist. Die zwangsläufige Perspektivität und die Fehlschlüsse ans Licht zu bringen, denen wir immer dann unterliegen, wenn wir im tradierten Sinne von Sprache reden, ist somit zwangsläufig Teil unserer Erörterung und kann auch als Wunsch verstanden werden, zu erkennen, wo kein Ort der Sprache ist. Ausgehend von der erwähnten kurzen Erörterung der paradigmenbildenden Theorien der vergangenen gut hundert Jahre, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit stellt, wird also unsere eigene Erörterung zur Natur der Sprache ihren Ausgang nehmen, nach der Sprache zunächst einmal etwas ist, das natürlichen Wesen eignet und als solche ist sie in ihrer biologistischen und bewusstseinstheoretischen Bestimmung, also ihrer individualbiologischen bzw. individualfunktionalen Zweckhaftigkeit, zu beschreiben. Die klassischen Perspektiven, von welchen wir ausgehen, sind daher der hier entfalteten, naturalistischen Perspektive explanatorisch nachzuordnen. Unsere naturalistische Perspektive muss also zumindest der Möglichkeit nach eine Grundlage für alle Sprachtheorie bilden können. Die Frage nach der Natur des Sprachbegriffs kann hinsichtlich ihrer naturalistischen Grundlagen auch folgendermaßen reformuliert werden: Was ist es, was Sprache als Teil dieser natürlichen Welt von biologischen Wesen und ihren Verhaltensweisen maßgeblich unterscheidet? Unsere Antwort soll lauten: im Grunde nichts oder zumindest viel weniger als sich der zur Poesie fähige und auch sonst eloquente Mensch für gewöhnlich einzugestehen bereit ist. Was versteht man für gewöhnlich unter Sprache? Zunächst, so sollte man meinen, etwas, das, wie auch alle anderen Dinge

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dieser Welt, irgendwie erfahrbar ist. Und wie erfährt der Mensch? Er sieht, fühlt, hört, riecht oder spürt mit seinen Sinnen, gleichsam als Erweiterung und Werkzeug seines bewussten Selbst, die ihn umgebende Welt und bringt sie so auf bestimmte Merkmale. Ob nun eine Sonate von Schubert, eine Sahnetorte oder der erste Sonnenstrahl des Frühjahres: Der Mensch ist ein Erfahrender, ein Fühlender, ein Riechender, ein Hörender, ein Schmeckender usf. Seine Welt ist die Erfahrung dieser Welt. Und so wie seine Welt in Erfahrungen besteht und in der Ordnung dieser, so ist ein Teil dieser Erfahrung als Sprache bezeichnet worden. Diese Spracherfahrung kann man dann hinsichtlich der beteiligten sinnlichen Werkzeuge und den zu diesen Werkzeugen in Relationen stehenden Dingen und Sachverhalte der Welt, die man sonst erfährt, wiederum ordnen. Man hört die Laute anderer Menschen und untersucht sie auf bestimmte Weise. Man bemerkt, dass einige Menschen gleiche Laute zu bestimmten gleichen Zwecken zu gebrauchen scheinen und untersucht die Strukturierung der Laute und ihren Gebrauch zu bestimmten Zwecken. Man untersucht die Zusammenhänge und die Unterschiede der jeweils von Gruppen zu bestimmten Zwecken gebrauchten Laute und so weiter, bis hin zu der Umsetzung der Laute in wahrnehmbare Zeichen und den daraus entstehenden Konstrukten, den sogenannten Texten. So betrachtet man ausgehend von dem bedeutungstragenden Laut eine Vielzahl an Phänomenen und Artefakten und bezeichnet alles als die Sprache oder Sprachen. Man ordnet die Erfahrungen hinsichtlich einer von unseren Sinnen abgeleiteten Kohärenz und äußert intersubjektiv nachvollziehbare Behauptungen, die diese ausdrücken und erhält am Ende eine Wissenschaft. Die Linguistik, die Wissenschaft von der Sprache, welche den zu untersuchenden Gegenstand bereits im Namen trägt, gliedert ihre Teilbereiche auf dieser perzeptuellen Basis zu unterschiedlichen phänomenalen Bereichen. So dass man in ihr zu unterscheiden weiß zwischen der Semiotik, als der Lehre von den sprachlichen Zeichen, der Semantik, als der Lehre von der Bedeutung dieser Zeichen, der Pragmatik als der Lehre vom Gebrauch dieser Zeichen und so fort, hinabsteigend zur Phonologie und Phonetik, den Lehren von den Lautgebilden, aus denen die sogenannte gesprochene Sprache besteht. Würde man nun eine ausgewiesene sprachwissenschaftliche Expertin befragen, was Sprache ist, so würde man zunächst sicherlich eine Antwort erhalten, die der Teildisziplin entspricht, in welcher diese Expertin arbeitet. Erwartbare Antworten wären zum Beispiel, dass die Sprache ein System aus Lauten sei oder ein Zeichensystem oder aber, dass Sprache das sei, womit wir

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denken usw., aber mit einiger Sicherheit würde jede(r) Sprachwissenschaftler(in) sehr schnell auf die Einschränkung hinweisen, dass man Sprache natürlich auch aus anderen Perspektiven beschreiben könne und müsse, die eben den übrigen Teilgebieten der Linguistik entsprächen. Aber auffällig ist: Auf die Frage, was denn Sprache nun generell sei, bekäme man vonseiten der Linguisten zahlreiche völlig verschiedene Antworten. Woran liegt das? Die Benennung des Gegenstandsbereiches erfolgt innerhalb der Linguistik immer nur relativ zur subdisziplinären Perspektive der Forscherin. Warum? Die oft nur schwer miteinander zu vereinbarenden Ansätze der Linguistik sind in ihrer Perspektivität entweder völlig unterschiedlichen Phänomenbereichen auf der Spur und die grundlegenden Annahmen, die über Sprache als solche gemacht werden, sind dabei relativ unreflektiert und erfolgen allein hinsichtlich der Untersuchungsabsichten, anstatt auf Grundlage einer Reflexion über den gesamten Gegenstandsbereich und die Legitimität quasi-axiomatischer Aussagen allgemein. Wenn ein Text, ein Laut, ein Zeichen und so weiter untersucht wird, so steht hier vielmehr bereits fest, dass dies Sprache sei. Dass man die Linguistik als eine interdisziplinäre Wissenschaft begreift, ist angesichts ihrer Diversität an intradisziplinären Sichtweisen auf ihren Gegenstandsbereich zwar kaum verwunderlich, allerdings bei der Erklärung, was sie da eigentlich in ihren Facetten untersucht, ebensowenig hilfreich. Der Vorschlag, der hier angeboten werden soll, ist daher folgender: Wenn man Sprache, hinsichtlich welcher Facette auch immer, untersucht, so sollte und kann man sich trotz der Diversität der Perspektivem auf ein grundlegend einsichtiges Bild von Sprache und Kommunikation einigen. Und dieses ist die Beschreibung von Sprache als natürliches Phänomen. Als natürliches Phänomen ist Sprache unserem Vorschlag nach als Einzelphänomen allerdings nicht mehr außerhalb seiner materiellen Realisation existent und in jeder weiteren Hinsicht nurmehr ein komplexes Zusammenspiel von Mechanismen, welche sich gänzlich auf allgemein naturwissenschaftlicher Grundlage beschreiben lassen. Die Fragen, die sich unweigerlich stellen, sind dann natürlich, welche Grundlage die Rede von einer Sprachwissenschaft oder Linguistik hat, die als eigenständige Wissenschaft kein dezidiertes Konzept ihres Gegenstandsbereiches im Allgemeinen besitzt und inwiefern sich große Teile der Disziplin nicht konsequentiellerweise Teilbereichen anderer Wissenschaften zuordnen lassen, die innerhalb ihres Begriffsapparates von Sprache nur wenig wissen, sondern vielmehr nur von Interaktion bzw. Verhalten oder Hand-

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lung und gewissen kognitiven oder psychologischen Prozessen. In diesem Spannungsfeld der Auflösung in anderen Wissenschaften befindet sich die Sprachwissenschaft allerdings nicht erst seit kurzem, sondern bereits seit Ferdinand Saussure, der allgemein bekannt und relativ unumstritten als der Begründer der modernen Sprachwissenschaft gilt. Ausgehend von Saussure wollen wir nun also unseren Vorschlag entfalten, dass uns ein naturalistischer kleinster gemeinsamer Nenner helfen kann, Klarheit über den Begriff Sprache im Allgemeinen zu schaffen, anstatt wohlwollend die Konnektions- und Auflösungspunkte der Linguistik mit und in anderen Wissenschaften weitestgehend unproblematisiert zu übergehen und somit nie explizit zu thematisieren, was wir mit Sprache meinen. Damit thematisieren wir natürlich auch die Sprachwissenschaft selbst, denn wenn man Sprache im Allgemeinen zu bestimmen versucht, so steht immer auch ein Teil des Selbstverständnisses dieser Wissenschaft als eigenständige Disziplin auf dem Spiel. Inwiefern die Rede von ‚der Sprachwissenschaft‘ wirklich legitimiert ist, ist implizit immer in der Frage enthalten, was Sprache an und für sich ist. Also: Was ist das, eine natürliche Sprache? Beginnen wir damit, den Begriff zu befestigen, wo es möglich, und abzutragen, wo es nötig ist.

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Initiale Paradigmen moderner Sprachreflexion

1.1 Sprache bei Morris und Saussure Hinsichtlich des derzeitigen Grundkanons wissenschaftshistorisch bedeutsamer Standpunkte der letzten hundert Jahre zum Wesen der Sprache, die eine Antwortmöglichkeit unter vielen auf die selten explizit gestellte Frage nach der Sprache bieten, hat eine ganz besonders wirkungsmächtig und wie nach ihr keine mehr, die Beziehung der Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Sprache zur Disziplin selbst hervorgehoben. Und zwar die Sprachtheorie des erwähnten Ferdinand de Saussure. Auch wenn immer mal wieder der Standpunkt vertreten wird, dass es unseriös sei, Saussures Cours de linguistique generale als Beginn der modernen Sprachwissenschaft zu sehen, 1 so ist eben diese Einschätzung, dass die ‚Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft‘ (im Folgenden kurz ‚Grundfragen‘) genau dieses Initialwerk darstellen, zumindest einer Interpretation nach, ganz und gar nicht unrichtig. Und eben mit dieser soll nun begonnen werden, sich der hier vorgeschlagenen Neuformulierung des Sprachbegriffs zu nähern. Es ist allgemein bekannt, dass es sich bei den ‚Grundfragen‘ nicht in allen Teilen um die Positionen Saussures handelt, da die Schrift erst posthum aus den Aufzeichnungen seiner Genfer Studenten hervorging, und mit den Gedanken der Herausgeber, Charles Bally und Albert Sechehaye, die ebenfalls Linguisten waren, vermutlich stark verwoben wurde. Aus diesem Grund sollte klar sein, dass sich alles in der Folge auf die ‚Grundfragen‘ als Text und nicht einen bestimmten Urheber bezieht, auch wenn wir Saussures Namen als Synonym für den Inhalt der ‚Grundfragen‘ verwenden. Für gewöhnlich wird Saussure als Begründer der modernen allgemeinen bzw. theoretischen Sprachwissenschaft genannt, weil er als derjenige gilt, der dem Paradigma der historisierenden Sprachbeschreibung das der Synchronität entgegenstellte. Eben mit diesem Paradigmenwechsel vollzog sich aber noch ein anderer Wandel, der wesentlich weniger

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Bartschat, Brigitte (1996): Methoden der Sprachwissenschaft: Von Hermann Paul bis Noam Chomsky. Erich Schmidt Verlag. Berlin 1996. S. 51

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gewürdigt wird, wenn der Name Saussure anklingt. Durch die Hinwendung zur Untersuchung einer Sprache zu einem bestimmten Zeitpunkt war es nämlich auch notwendig geworden, eine Methodik zu entwickeln, die dieser neuen Perspektive auf Sprache gerecht zu werden vermochte. Dieses neue Paradigma und die damit einhergehende neue Methodik ließen Saussure zu Beginn seiner ‚Grundfragen‘ zur Einsicht gelangen, dass die Charakterveränderung der Wissenschaft selbst problematisch ist und als problematisch thematisiert werden muss: „Die Aufgabe der Sprachwissenschaft ist also: […] sich abzugrenzen und sich selbst zu definieren.“ 2

Diese Aufgabenbestimmung aber scheint heute tatsächlich noch problematischer geworden zu sein, als sie bereits zu Saussures Zeiten war, denn die Einflüsse bzw. Einschlüsse anderer Wissenschaften haben seit den ‚Grundfragen‘ in zunehmendem Maße das Erscheinungsbild der Sprachwissenschaft geprägt. Nur ein allen Disziplinen gemeinsamer Gegenstandsbereich ‚Sprache‘ ist schwerer auszumachen denn je. „Was ist der Gegenstand der Sprachwissenschaft – wenn wir ihn vollständig und konkret bestimmen wollen? […] Andere Wissenschaften befassen sich mit Gegenständen, die von vornherein gegeben sind und die man nacheinander unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten kann. Ganz anders auf unserem Gebiet. […] Man kann nicht einmal sagen, dass der Gegenstand früher vorhanden sei, als der Gesichtspunkt von dem aus man ihn betrachtet; vielmehr ist es der Gesichtspunkt, der das Objekt erschafft;“ 3

Saussure löst die Frage nach der Sprache hier ganz offensichtlich in der Frage nach dem Gegenstand der Sprachwissenschaft auf und ist somit derjenige, der die Frage nach der Sprache selbst als das große Problem der modernen Linguistik erkennt. Ob mit oder ohne Bezugnahme auf Saussure, werden sich viele der für die allgemeine Sprachwissenschaft relevanten, paradigmenbildenden Ansätze des 20. Jahrhunderts in der einen oder anderen Weise eine, allerdings meist implizite, Antwort auf die Frage nach der Sprache formulieren und sich somit der Grundfrage der Sprachwissenschaft stellen. Die begründende Rolle der ‚Grundfragen‘ besteht also nicht nur in der Etablierung der synchronen Sprachforschung, sondern auch in der Problematisierung des Sprachbegriffs als eine der Haupt2

Saussure, Ferdinand de (1916): Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. (übers. v. Hermann Lommel). Walter de Gruyter. Berlin 1967. S.7 3 Saussure 1967: 9

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aufgaben der allgemeinen Sprachwissenschaft. Denn eben dadurch zeichnet sich die post-saussuresche Sprachwissenschaft aus: dass sie sich selbst problematisch ist. Sie verfährt nicht mehr nur komparatistisch und historisierend, i. e., im Allgemeinen auf Einzelsprachen bezogen, 4 sondern wendet ihren Blick immer auch gegen sich selbst. Aber diesen Blick selbst zu thematisieren, ist ein wenig populäres Unterfangen. Saussures Sprachtheorie als Thematisierung des Blickes selbst ist daher immer auch eine Erkenntnistheorie der Sprache.5 Auch die hier vorliegende Erörterung kann in diesem Sinne als ein Beitrag zu einer Erkenntnistheorie der Sprache verstanden werden. Der Strukturalismus Saussures als die Frage nach den gemeinsamen Grundlagen aller Sprachen, verstanden als die Frage nach den Grundlagen von Sprache überhaupt, ist das viel zu wenig gewürdigte Leitmotiv der post-saussureschen Sprachwissenschaft, was sich bereits bei Saussure unter anderem darin niederschlägt, dass der Sprachbegriff auf einen maximal allgemeinen Bereich erweitert wird, indem er nunmehr nur noch Teil eines größeren Kommunikationsbegriffs ist. Dies zeigt sich explizit in der saussureschen Teilung der sogenannten menschlichen Rede (langage) in Sprachsystem bzw. -form (langue) und Sprechen (parole), wobei der Gegenstand der Sprachwissenschaft von Saussure allein in der langue gesucht wird. Gegenstand ist nach Saussure daher das Sprachsystem, das in den ‚Grundfragen‘ in Abgrenzung vom Sprechen sozial und nicht individuell aufgefasst wird. 6 Dies schließt zwangsläufig einen Begriff von Kommunikation mit ein, der bei Saussures einleitender Betrachtung des Kreislaufs des Sprechens auch deutlich zu erkennen ist. Um sich Sprache zu nähern, schildert er hier psychologisierend einen Kommunikationsprozess, der auf der theoretischen Grundlage der Verknüpfung von Lautbild und Vorstellung beruht. Ein Individuum A bringt ein Lautbild zu Gehör, um damit bei einem

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Auroux, Sylvain et al. (2001): History of the Language Sciences; An International Handbook on the Evolution of Linguistics & Communication Science. de Gruyter. New York; Berlin 2001 5 Jäger, Ludwig (2001): Neurosemiologie. Das transdisziplinäre Fundament der saussureschen Sprachtheorie in: Cahiers Ferdinand de Saussure 54: S. 289-337 und Ders. (2001): Wissenschaft der Sprache in: Saussure, Ferdinand. Wissenschaft der Sprache – Neue Texte aus dem Nachlass. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 2003. S. 11-55 6 Saussure 1967: 16

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weiteren Individuum B eine Verknüpfung dieses Lautbildes mit einer Vorstellung zu erreichen, woraufhin sich möglicherweise ein weiterer, analog zu beschreibender Prozess der Genese eines Lautbildes auf der Grundlage dieser Verknüpfung bei Individuum B entwickelt. 7 Sprache ist bereits bei Saussure ein Bestand an systemischen Vehikeln, die Produkt eines mehr oder minder ‚passiven‘ Individuums sind, da mit Sprache vor allem das mitgemeint ist, was als kognitive Komponente später einmal Sprachkompetenz genannt werden sollte. Auch wenn Saussure die Grenzen um den Gegenstandsbereich der Sprachwissenschaft, nämlich der langue, derart eng zieht, dass es in der Folge nie zu einer Bestimmung des Gegenstandsbereichs der Sprachwissenschaft in diesem ausschließlichen (und die fast überall zu findenden Einflüsse anderer Wissenschaften ausschließenden) Sinne gekommen ist, so hat er doch nicht nur die strukturalistische Sprachwissenschaft als durch und durch psychologisch geprägt erkannt, sondern, und das ist hinsichtlich dieser psychologischen Verankerung einigermaßen bemerkenswert, auch gleich die Perspektive und Methode der Untersuchung zwischenmenschlicher Kommunikation vorbestimmt. Diese besteht darin, Kommunikation aus der Dritte-Person-Perspektive zu betrachten. Für Saussure ist Individuelles gleichbedeutend mit Zufälligem, das sich als solches für Rückschlüsse auf die langue, das Systematische, ganz und gar nicht eignet. Daher ist nur das aus einer Dritte-Person-Perspektive Beschreibbare, die langue, einer intersubjektiv gültigen und daher wissenschaftlichen Beschreibung zugänglich und seine Differenzierung zwischen langue und parole ein methodologisches Gambit. 8 Dies ist ein durchaus problematisches Vermächtnis, wie wir sehen werden, welches Saussure der Sprachwissenschaft hier mit auf den Weg gegeben hat. Auch wenn nicht unter direktem Bezug zu Saussure, so wird doch von den größeren wissenschaftshistorisch relevante Sprachbegriffe konstituierenden Theorien (Sprache als Zeichen/ Organum/ Medium/ Handlung) genau diese Perspektive übernommen: die Dritte-Person-Perspektive. Es ist also neben dem für gewöhnlich angeführten Beginn der strukturalistischen Betrachtungen von Sprache auf Grundlage einer synchronen Sprachbeschreibung noch eine weitere Bestimmung der Schlüsselrolle Saussures 7 8

Saussure 1967: 14 Givón, Talmy (1995): Functionalism and Grammar. John Benjamins Publishing Co. Amsterdam/Philadephia 1995. S. 6

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für die Sprach- und Kommunikationstheorie sinnvoll. Die artikulierte Etablierung der Frage nach Sprache an und für sich und die Verknüpfung dieser Frage mit der Bestimmung dessen, was Sprachwissenschaft im Kern eigentlich ist, wie auch die Einbettung des Sprachbegriffs im Sozialen bzw. im Kommunikationsbegriff und das Wählen einer zu bevorzugenden Sicht auf Kommunikation, der Dritten-Person-Perspektive. Zu diesen oben erwähnten Ansätzen, die sich dieser teilweise recht problematischen Perspektive bedienen und hier weiter erläutert werden sollen, gehören zunächst die Zeichentheorie der Sprache, zu deren Vertretern auch Saussure gehört, und mit dieser Theorie eng verwandt und chronologisch folgerichtig das Modell der Sprache als Werkzeug, welches von Bühler in die moderne Diskussion überführt und bekanntlich durch Jakobson und andere weiterentwickelt wurde. Hiernach werden wir uns dem, die sprachwissenschaftliche Pragmatik begründenden, Konzept der Sprache als Handlung widmen, als dessen prominentere Initiatoren Wittgenstein sowie Austin und Searle mit ihrer Sprechakttheorie gelten dürfen. Schlussendlich dann wird sich unsere Diskussion mit dem Modell der Sprache als Medium auseinandersetzen, das bei den genannten Theorien zwar auch immer schon eine Rolle spielt, allerdings in Shannon und Weavers Aufsatz eine ausgezeichnete und exemplarische Position einnimmt. Dass hier Shannon und Weaver mit aufgezählt werden, ist nicht ganz unproblematisch, da sich ihr Ansatz schon weit stärker der Kommunikationstheorie zuneigt, als das bei den anderen genannten Quellen der Fall ist. Außerdem ist natürlich die Frage berechtigt, weshalb Grice und Sperber/Wilson nicht als Sprachtheorien und paradigmenbildende Ansätze der allgemeinen Sprachwissenschaft den anderen gleichberechtigt beigestellt werden. Das hat zwei Gründe. Zunächst einmal sind es keine Theorien, die einen eigenen Sprachbegriff formulieren, sondern Kommunikationstheorien, in denen der Sprachbegriff nurmehr über den Kommunikationsbegriff zu erschließen ist, was sie den anderen genannten Ansätzen gegenüber insofern verselbstständigt, als dass sie einen vorläufigen wissenschaftshistorischen Endpunkt in der allgemeinen Sprachbeschreibung darstellen, der kein eigenes Vokabular mehr besitzt, in dem der Begriff Sprache durch Analogie erklärt wird, sondern gänzlich darüber, dass er in einer übergeordneten Kategorie als Teilmenge enthalten ist. Der zweite Umstand, dass diese Ansätze und die auf ihnen aufbauenden, nicht in einer Reihe mit den oben angeführten genannt werden, liegt darin begründet, dass sie aufgrund ihrer Verankerung im Paradigma der

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Kommunikation psychologisierend arbeiten müssen, was einen deutliche Bewegung weg von der dritten-Person Gültigkeit hin zu einer quasiphänomenologischen Ersten-Person-Perspektive mit einschließt. Zur Erörterung dieser Punkte wird später noch Platz gefunden werden. Nun soll erst einmal, ausgehend von Saussure, gezeigt werden, inwiefern die Grundfrage nach der Sprache und die Verwendung der Dritten-PersonPerspektive bei der Beschreibung von Sprache und die Verankerung des Sprachbegriffs im Kommunikationsbegriff sich in den oben genannten Theorien wiederfinden, um im Zuge dessen einen eigenen Sprachbegriff formulieren zu können, der sich als Basiskonzeption oder Minimalbegriff verstehen kann. Dazu wird nach der Erörterung neuralgischer Punkte in den Argumenten der genannten Theorien das ausschließende Vorgehen mit einer Diskussion der Sprache als Teil der natürlichen Welt fortgesetzt, die die notwendige Verbindung von Bewusstseinstheorie und Sprachtheorie reflektiert. Dabei soll allerdings nicht der Lehrkanon repetiert oder detailliert jeder historische Bezugspunkt geliefert werden, sondern durch Aspektdiskussionen ein Minimalbegriff des Bewusstseins gewonnen werden, der zumindest für die basale Begründung einer allgemeinen Sprachtheorie, die die Erste-Person-Perspektive reflektiert, hinreicht, um daraufhin eine neue Sicht auf das, was wir Sprache nennen, zu ermöglichen. Zunächst stellt sich also die Frage, wie der Sprachbegriff und wie die Verankerung des Sprachbegriffs im Kommunikationsbegriff in jenen Theorien mitformuliert wird, die Sprache vorrangig als ein System von Zeichen, also semiotisch, begreifen. Dass hierzu Saussure und Morris herangezogen werden, ist dem Umstand geschuldet, dass es ihre Theorien sind, die den maßgeblicheren Einfluss auf die Sprachwissenschaft bzw. die Sprachbegriffe derselben hatten, gegenüber beispielsweise der von Peirce. Der Grund dafür ist, dass Peirce seine Semiotik nicht ausschließlich auf Sprache bezieht, sondern eine allgemeine Zeichenlehre als Teil einer Logik konstruiert. Als solche ist sie ein eher wissenschafts- bzw. erkenntnistheoretisches Instrument. Da hier nun aber von sprachlichen Strukturen die Rede sein soll und es nun einmal vorrangig um das Abklopfen von Sprachbegriffen geht, wird neben Saussure nur noch der frühe Morris berücksichtigt, der ebenso wie Peirce und Saussure einen allgemein anerkannt großen Einfluss auf das Zeichenverständnis der Linguistik hatte, allerdings eben stärker als Peirce die sprachlichen Aspekte berücksichtigte, indem er

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Sprache bereits als Verhaltenssystem auffasste. 9 Die Semiotik im Sinne Charles Morris ist vor allem auch deshalb von Interesse, weil er als Schüler von George Herbert Mead, von dem an anderer Stelle noch zu sprechen sein wird, eine Akzentuierung des Zeichenbegriffs vornimmt, der in der Übertragung eines sozial-psychologischen Standpunktes auf Peirce Doktrin der Zeichen besteht, welche seinerzeit wiederum in der Begrifflichkeit ‚Pragmatik‘ mündete, die bei ihm allerdings nicht den Teil der allgemeinen Sprachwissenschaft bezeichnet, der sich gemeinhin mit der konkreten Sprachverwendung auseinandersetzt, sondern lediglich die rein semiotisch begriffene „[…] Wissenschaft von der Beziehung der Zeichen zu ihren Interpreten“ 10

und damit die epistemologische Ausrichtung von Peirce Zeichentheorie für eine Zeichentheorie der Kommunikation eintauscht. Bei Morris gibt es keinen Begriff bzw. keine Bedeutung eines Zeichens (Interpretant) ohne einen dieses Zeichen verstehenden bzw. hervorbringenden Interpreten.11 Es ist eine sprachwissenschaftliche Semiotik, die er vorschlägt, da Zeichen innerhalb seines Ansatzes primär als sprachliche Zeichen aufgefasst werden. Zu der Bindung des Zeichens an eine produktive Instanz, den Interpreten, kommt die den Zeichenbegriff instituierende Instanz der sozialen Gruppe hinzu, so dass es keinen Interpretanten ohne potenzielle Intersubjektivität gibt und potenzielle Intersubjektivität von Bedeutung vollständig durch Feststellung ihrer Gebrauchsregeln determiniert wird. 12 Die Normativität des Gebrauchs in einer Sprechergemeinschaft wird hier, zwar unter semiotischen Gesichtspunkten, aber doch in fast schon wittgensteinscher Manier, an Bedeutung geknüpft. Das heißt also, bereits Morris hat das sprachliche Zeichen in einer Gemeinschaft verankert, die es gebraucht und die den Bereich des rein Individuellen verlässt. Das sprachliche Zeichen ist Teil der communis und wird durch diese bestimmt, indem der Gebrauch eines Zeichens und seine potenzielle intersubjektive Teilbarkeit sich gegenseitig bedingen. Es wird das sprachliche Zeichen in der pragmatischen Prägung durch Morris nie ohne seine ihm eignende Funktionalität verstanden, die in der Prozesshaftigkeit als Verhalten 9

Morris, Charles William (1938): Grundlagen der Zeichentheorie / Ästhetik der Zeichentheorie. Fischer Taschenbuch Verlag. Frankfurt a. M. 1988. S. 56 10 Morris 1988: 52 11 Morris 1988: 53 12 Morris 1988: 73

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gründet und auf individueller Ebene darin besteht, vom Designierten und den Interpreten Notiz zu nehmen, die am Prozess des Zeichenaustauschs beteiligt sind. Auf sozialer Ebene hingegen sind Zeichen die Voraussetzung für eine ‚willensgesteuerte Kommunikation‘, da „[…] ‚sich einer Sache bewusst sein‘ äquivalent ist mit ‚sprachliche Zeichen gebrauchen‘“ 13

Dies ist die gesellschaftliche Funktion von Zeichen, das „Verhalten durch die Vorwegnahme seiner Konsequenzen zu steuern sowie ihre eigenen Erfahrungen und Leistungen der Gesamtheit mitzuteilen.“ 14 Sprache mit Morris als Verhalten zu begreifen und auch den Interpretanten prozesshaft in dieses Verhalten zu integrieren, ist nicht nur tendenziell naturalistisch, sondern, einmal abgesehen vom leider oft pauschal negativ besetzten Prädikat behavioristisch, auch wesentlich kommunikationstheoretisch. Denn auch wenn die genaue Bestimmung des Kommunikationsbegriffes hier noch aussteht, so ist die Grundeinheit zwischenmenschlicher Kommunikation ein Verhalten. Eine Zustandsänderung des Individuums, die in ihrer Zeichenhaftigkeit den Prozess einer Semiose in einem anderen Individuum einleiten kann. Ist das sprachliche Zeichen bei Morris also nie von der sozialen Dimension seines Ursprungs und seiner Konsequenzen zu trennen, so kann man also auch Sprache in ihrer Prozesshaftigkeit als Zeichen so bestimmen, dass sie gänzlich vom Kommunikationsbegriff begrenzt wird. Bei Saussure verhält es sich da etwas anders. Die soziale Verankerung ist bei ihm nicht annähernd so stark vorhanden. Dass dies nicht der Fall ist, hängt mit der Verknüpfung seiner Zeichentheorie und der Begründung einer synchron arbeitenden Sprachwissenschaft zusammen. Dass das sprachliche Zeichen in den ‚Grundfragen‘ zur Differenzierung seines Sprachbegriffs und der Begründung der synchronen Sprachforschung benutzt wird, heißt, dass Sprache nicht innerhalb des Kommunikationsbegriffs angelegt wird, so wie dies Morris tut. Ganz im Gegenteil benutzt Saussure Kommunikation, bei ihm heißt das, das ‚Unterreden‘ mindestens zweier Personen, nur um einen Sprachbegriff zu fundieren, der ausschließlich die abstrakt-theoretische, strukturell-formale Seite von Sprache betont. Für ihn ist dies der eigentliche Bereich der Sprache, die langue. Die Konstituierung und 13 14

Morris 1988: 61 f. Morris 1988: 62

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Instituierung der langue durch das Sprechen (parole) ist für ihn zwar offensichtlich, aber nicht Teil der Sprachwissenschaft, da die parole, den ‚Grundfragen‘ nach, der Systematik entbehrt, die nötig wäre, um gesichert Wissenschaft treiben zu können. Dementsprechend eng muss er auch seinen Zeichenbegriff formulieren, der nur das individuell Psychische berücksichtigt, um dem neuen Paradigma einen definiten Phänomenbereich zugrunde legen zu können. 15 Die Intersubjektivität der langue als faculté besteht also darin, dass sie von allen an ‚Unterredungen‘ innerhalb einer Einzelsprache Teilnehmenden gleichermaßen internalisiert als magasin funktioniert. Und auch wenn die parole vom Sprachwissenschaftler untersucht wird, so nach Saussure nur als der Ort, an welchem sich die langue materialisiert. Im Gegensatz zu Morris ist Saussures Zeichenbegriff daher viel stärker mit dem Maßstab einer bestimmten Funktionalität bemessen, welche darin besteht, einer bestimmten Herangehensweise (synchron) einen geeigneten Phänomenbereich zu erschließen, der sich durch Regelhaftigkeit auszeichnet.16 Eine Regelhaftigkeit, die in der parole nicht existiert, weshalb er seinen Zeichen und damit auch seinen Sprachbegriff nicht auf die Kommunikation, den Ort der parole ausweitete, obwohl er die Dependenzen, wie erwähnt, sehr wohl darstellte. Aber diesen Schritt, den Morris im Gegensatz zu Saussure vollzog, ist durchaus ein folgerichtiger, wenn man sich die von Morris herangezogene Frage nach der Funktionalität des sprachlichen Zeichens mit Bezug auf das Individuum und nicht auf eine bestimmte wissenschaftliche Prädisposition beantwortet. Sprache als ein System von Zeichen zu begreifen, heißt konsequenterweise auch, Sprache als Verhalten zu begreifen, also immer schon als Teil von Kommunikation. Wenn man also, hier natürlich stark verkürzt, zeichentheoretischen Begriffen das Wort reden möchte, so ist man zwangsläufig an irgendeinen Begriff von Kommunikation gebunden und kann sich diesem nicht entziehen, wie man dies in Anschluss an Saussures Darstellungen eventuell geneigt sein könnte zu tun. Dass eine semiotisch überbaute Sprachtheorie die Frage nach dem, was Sprache ist, nicht mehr sinnvoll stellen kann, wenn sie sich der Verankerung im Verhalten bewusst wird, ist ein zwingender Schluss. Denn dass man nicht hinter den Horizont des kommunikativen Verhaltens zurückfallen kann, ohne den Zeichenbegriff 15 16

Dies ist Saussures Lösung der Problematik des Sprachbegriffs Saussure 1967: 113

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selbst durch seine Bindung an das Individuum zu verlieren, heißt, dass auch Sprache, verstanden als Zeichensystem aus der Perspektive ihrer Funktionalität, betrachtet wurde. Zeichentheoretische Ansätze befinden sich stets im interrogativen Modus des ‚Wozu?‘, nur dass dieses ‚Wozu?‘ ein dritte-Person und kein erste-Person ‚Wozu?‘ ist. Dieser scheinobjektive Funktionalismus ist in Morris‘ Theorie deutlich der peirceschen Maxime des Pragmatismus geschuldet: „Consider what effects, that might conceivably have practical bearings, we conceive the object of our conception to have. Then, our conception of these effects is the whole of our conception of the object.” 17

Der Pragmatismus selbst ist bekanntermaßen eine wissenschaftstheoretische Position, die das Individuum niemals aus der Rechnung streicht, obwohl sie stark dem Empirismus zuneigt. Die Frage, die man sich mit Bezug auf Sprache stellen muss, ist dann natürlich, ob man solche Präliminarien zu akzeptieren bereit ist. Eine andere Frage ist es, ob man Sprache überhaupt ohne Rückbezug auf den Ort der Genese, das Individuum bzw. die Gruppe, wenn auch nur schematisch und idealisiert vorausgesetzt, sinnvoll beschreiben kann, so wie es Saussure tut. Dass dies nicht einmal für Grammatiken der Fall zu sein scheint, legen verschiedenste Elemente von Einzelsprachen nahe. Denn egal, ob man reflexive Wortarten oder bestimmte deiktische Phänomene beschreiben will, um nur zwei Beispiele anzuführen, es ist dies nie ohne implizites Voraussetzen einer bestimmten Instanz, dem idealisierten Individuum der Grammatik, möglich. 18 Naheliegenderweise wird hier für eine dem Pragmatismus nahestehende Sprachauffassung optiert, die diese Instanz explizit voraussetzt und demzufolge Morris näher steht als Saussure, ohne die Gesamttheorie der ‚Grundfragen‘ und ihre Bedeutsamkeit anzuzweifeln und vorerst ohne die Dritte-Person-Perspektive der pragmatistischen Beschreibungen zu problematisieren. Ein weiterer Punkt, der unmittelbar aus der kognitivistisch-sozialen Knüpfung des Zeichens an den Interpreten bzw. an aus Interpreten bestehende Gruppen resultiert, ist der genannte sprachgenetische Aspekt, der 17

Peirce Maxime des Pragmatismus in: Peirce, Charles Sanders (1878): How to Make Our Ideas Clear in: Philosophical Writings of Peirce. Dover Publications. New York 1955. S. 31 18 Am deutlichsten wird dieser Umstand in der kognitiven und der funktionalen Grammatik reflektiert.

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dem Zeichen eine weitere Dimension hinzufügt, die auch bei Morris kaum zu finden ist, da Morris Modell lediglich ein Zustandsmodell des Verstehens von Zeichen darstellt. Doch aus einem funktionalistischen Blickwinkel lässt sich ohne Probleme die Bindung des Zeichens an seinen Erzeuger ebenso aufweisen, wie die Bindung des Zeichens an den Interpreten mittels Semiose bzw. Interpretant. Diese bei Morris fehlende sprecherseitige Relation finden wir allerdings bei Bühler, der seiner Theorie ebenfalls einen funktionalistischen Zeichenbegriff zugrunde legt, diesen jedoch auch als solchen erkennt und ihn in einen Kommunikationsbegriff überführt. Jeder funktionale Sprachbegriff ist unvollständig formuliert, wenn er nicht als Kommunikationsbegriff formuliert wird, da offenkundig der funktionale Aspekt immer nur in Bezug zu einer Instanz geschildert werden kann, für die diese Funktionalität besteht. Die Frage, welche sich hinsichtlich dieses Umstandes stellt, ist, ob es dann überhaupt noch eines Sprachbegriffs bedarf bzw. wo der Ort der Sprache innerhalb dieses Kommunikationsbegriffs ist. Dies ist richtungsweisend von Karl Bühler thematisiert worden. 1.2 Sprache bei Bühler Bühlers Hauptwerk fragt, wie bereits sein Titel verrät, nach der Darstellungsfunktion von Sprache und stellt damit die funktionalistische Frage, deren Perspektive sich sowohl Morris als auch, wenngleich nur rudimentär, Saussure bedienen. Bühler nennt Saussure im Übrigen als eine seiner Hauptquellen,19 aus der er die semiotischen Aspekte seines Ansatzes herleitet. Auch bei Bühler ist Sprache ein System von Zeichen. 20 Dieses System ist aber bei ihm, im Gegensatz zu Saussure, nicht ohne kommunikativen Bezug zu verstehen. Die Sicht der junggrammatischen Schule, dass Sprache immer eine Tätigkeit eines psychophysischen Systems ist, verquickt er mit den Sprachbestimmungen der ‚Grundfragen‘ zu einem Zeichenmodell, das die Frage nach dem ‚Wozu‘ nun nur noch in Abhängigkeit von genanntem System stellen kann. Bei Bühler ist, wie bei Morris, das sprachliche Zeichen nur in Bezug auf ein verstehendes 19

Bühler, Karl (1934): Sprachtheorie: Die Darstellungsfunktion von Sprache. Lucius und Lucius. Stuttgart 1999. S. 1 20 Bühler 1999: 33

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Individuum existent. Anders als bei Morris jedoch, erweitert Bühler die funktionalistische Perspektive auf den Zeichen Hervorbringenden. Sprache als System von Zeichen ist ein Organum, ein Werkzeug, das sich dem Benutzer in jeweils anderer Funktionalität darstellt als dem Verwertenden bzw. Verstehenden. Die sich je nach Perspektive verändernde Verwendung bestimmt es als Werkzeug je neu. Hieraus ergibt sich das Organonmodell, das das psychophysische System Mensch als Sender bzw. Empfänger in den Zeichenbegriff integriert und somit im Grunde eine natürliche, individuelle Varianz der Bedeutung sprachlicher Zeichen mit ausdrückt. Denn die drei Funktionen: Darstellung, Appell und Ausdruck sind allesamt primär semantische Relationen, wovon aber nur die erstgenannte auf Repräsentation von Entitäten abgestellt ist. Appell und Ausdruck sind sender- bzw. empfängerrelative ‚Seiten‘ des sprachlichen Zeichens, i. e., sie stellen sich auch je nach Ort, Erzeugung oder Rezeption anders dar. Bühlers Modell weist also auf nicht-eigentliches Sprechen und nicht systemimmanente Determination von Wort und Satzbedeutung hin. Viel wichtiger im Kontext der Sprachbegriffsbestimmung ist allerdings das Integrieren des Sozialitätsaspekts durch Bühler, also einer Gruppe, die nötig ist, denn „Zu allem Zeichenhaften in der Welt gehören der Natur der Sache nach Wesen, die es dafür halten und mit ihm als Zeichenhaftem umgehen.“ 21

Diese linguistique de la parole stellt er der linguistique de la langue Saussures entgegen, in welcher inbegriffen ist: „das Denkmodell des Homo Faber, eines Machers und Benützers von Geräten“ 22

Das Zeichenhafte kann demnach als etwas charakterisiert werden, das „im intersubjektiven Verkehr verwendet wird, als ein Orientierungsgerät des Gemeinschaftslebens“ 23

Die Verankerung des Sprachbegriffs im Kommunikationsbegriff wird an dieser Stelle überdeutlich. Bühler sieht diese zweifelsfreie und unauflösbare Bindung und geht noch ins Detail, wenn er Grundannahmen der kognitiven Grammatik vorwegnimmt, indem er behauptet, dass als Folge dieser Verbindung, Syntax stets den Charakter einer erlebnis-psychologisch

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Bühler 1999: 47 Bühler 1999: 48 23 Bühler 1999: 48 22

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unterbauten Lehre haben muss. 24 Interessanter noch ist jedoch die Bindung von Sprache an den Handlungsbegriff, die er hier vornimmt und die eine Vorwegnahme des zentralen Gedankens der, primär durch die Rezeption der spät-wittgensteinschen Texte und die Philosophie der Normalsprache angeregten, Betrachtungsverschiebungen der Linguistik seit der sogenannten pragmatischen Wende darstellt. Die Bemühungen der ‚Sprachtheorie‘, die Funktionen von Sprache als Zusammenspiel von (Sprech-)Handlung und Werk bzw. mit ihren formalisierten Korrelaten, Akte und Gebilde, darzustellen, stellt im Grunde die saussuresche Trennung zwischen parole und langue dar, nur dass Bühler durch die Anerkennung der nicht einmal theoretischen Ablösbarkeit der langue von der parole sowie der Bindung beider an ein formulierendes psychophysisches System den Platonismus Saussures hinsichtlich des Begriffs der langue als magasin aufgibt. 25 Das Sprachgebilde, Pendant der langue, wird zumindest teilweise durch Akte, die parole, affiziert. Ein implizites, partikuläres Reziprozitätsverhältnis tritt an die Stelle von Saussures singulärer Abhängigkeit der parole von der langue. Die Verbindung von Zeichen mit ihrer Benutzung beschreibt er als ‚empraktisches Reden‘, ein in anderes sinnvolles Verhalten eingebundenes sprachliches Handeln.26 Dieses empraktische Reden ist Bühlers Schritt über sein eigenes Konzept der Darstellungsfunktionen hinaus, hinein in den Begriff der Kommunikation. Es ist kein notwendiger Schritt innerhalb seiner Argumentation zu den Darstellungsfunktionen des sprachlichen Zeichens, sondern im Grunde schon der erste Schritt auf nicht mehr semiotischem Grund, da die Zeichenhaftigkeit einer sprachlichen Handlung im Gegensatz zu der eines reinen Lautbildes durch den Handlungsbegriff nicht näher bestimmt werden kann. Tatsächlich löst sich der psychologische Zeichenbegriff im Handlungsbegriff vollständig auf, während der strukturalistischformalistische Rest des Handlungsbegriffs nicht aufgenommen werden kann, weil die Beschreibungsebene ‚Handlung‘ nicht mehr die Bedingungen der Möglichkeit einer aktzentrumsentbundenen Analyse bietet. Die Knüpfung des Zeicheninhalts an eine Instanz lässt den Zeichencharakter selbst wesentlich sozial werden, indem die Bedeutung des Zeichens, als den 24

Bühler 1999: 169 Bühler 1999: 60 26 Bühler 1999: 52 25

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restlichen Zeichencharakter bestimmend, wesentlich sender- bzw. empfängerrelativ wird. Die formalistischen Bestimmungen eines Zeichens müssen sich gegenüber der Abhängigkeit realsemantischer Bestimmungen vom jeweiligen Zeichenverwender, welcher das betreffende Zeichen appellativ bzw. durch Ausdruck seiner ‚Innerlichkeit‘ auflädt, subordinativ verhalten. Ist das Zeichen also erst einmal als konkretes Sprechereignis interpretiert, ist es „eine komplexe menschliche Handlung. […] und das konkrete Sprechereignis muss am vollen Modell des Sprachverkehrs zuerst beschrieben werden.“ 27

Invers betrachtet heißt dies, dass die Untersuchung zur jeweiligen Bestimmung eines sprachlichen Zeichens bei der systematischen Beschreibung des Sprachverkehrs beginnen muss, dessen grundlegende Beschaffenheit erst den Begriff vom konkreten Sprechereignis, dem sprachlichen Handeln in situ, liefert. Diese Bestimmung wird dann auf das Zeichen übertragen, welches hernach ein Zeichen in situ ist. Auf diese Weise interpretiert, fallen in Bühlers ‚Sprachtheorie‘ sprachliches Zeichen und Sprechereignis, verstanden als sprachliche Handlung, in eins. In Anlehnung an Saussure ist die formale Seite des Zeichens nurmehr im magasin (Bühler prägt hierfür den Ausdruck Sprachgebilde), als abstrakte Entität der Linguistik, vorzufinden und gleichsam nur in seiner Logizität, also der Beziehung zu anderen Zeichen, von der empraktischen Rede ablösbar. Bühler nimmt in unserer Geschichte daher so etwas wie einen Endpunkt in der Betrachtung der Sprache als System von Zeichen ein, indem er den Zeichenbegriff derart weit in Richtung eines Kommunikationsbegriffes definiert, dass die (funktionalistische) Frage nach der Sprache in kommunikativen, also verhaltenstheoretischen und nicht mehr semiotischen Begriffen beantwortet wird (das gilt für Darstellung ebenso wie für Appell und Ausdruck) bzw. diesen Bereich weitestgehend in Richtung eines Praxisbegriffs transzendiert. Der hier vorgeschlagenen Lesart Bühlers nach wird also behauptet, dass spätestens an dieser Stelle der Sprachbegriff eine Teilmenge der Obermenge ‚Kommunikation‘ erklärt werden muss, wobei natürlich noch nichts zur Bedeutung des Terminus Kommunikation gesagt wurde. Die Erstellung eines Modells des Sprachverkehrs selbst ist demnach nicht mehr unter semiotische

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Bühler 1999: 79

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Prämissen zu stellen, sondern findet ihre Bedingungen einer geeigneten Herangehensweise in einer Philosophie bzw. Psychologie des sprachlichen Handelns, wobei die Philosophie die abstrakten und grundlegenden Mechanismen darzustellen hat, die die Verbindung von sprachlichem Handeln und Bedeutungskonstitution herstellen und somit die Determination des Zeichencharakters anhand der jeweiligen Semantik schildert. Aber was ist dieses sprachliche Handeln, auf welches sich die bühlersche Zeichentheorie hinbewegt? Die Theorie, die sich dieser Frage in besonderem Maße zuwandte, ist bekanntlich die Sprechakttheorie. 1.3 Sprache bei Austin und Searle Ist bei Bühler noch alles auf den Zeichenbegriff abgestellt, obschon er diesen schon weit in Richtung Handlung ausdehnt, ist die Sprechakttheorie kein semiotischer Ansatz mehr, sondern seinem Ursprung nach ein wissenschaftstheoretischer, der sich gegen das Diktum der konstativen, i. e. behauptenden Sätze, als einzig für die Philosophie relevante Sprachform, stellt, indem dieser Ansatz, ähnlich wie dies Bühler innerhalb seiner psychologisierenden Sprachwissenschaft tat, die Bindung von Sätzen an äußernde und verstehende Instanzen vornimmt, für die nicht nur konstatierende Aussagesätze von Bedeutung sind, sondern alle Arten von Sätzen, weil man mit ihnen Handlungen vollzieht, die zum Teil wesentliche Alternierungen der Lebensumstände der Handelnden bedeuten können. Soweit die von Austin formulierten Thesen. 28 Die Weiterentwicklung dieser grundlegenden Annahmen durch Searle soll nun unseren Ausgangspunkt bilden und dies natürlich wegen der bekannten angeblichen fehlerbereinigenden Neuformulierung der Ausgangsannahmen Austins durch Searle. Es sollte aber nicht vergessen werden, es geht hier dennoch stets ‚nur‘ um Grundannahmen den Sprachbegriff selbst betreffend. Wie weiter oben bereits anklang, ist es, wie auch nach Bühler, nicht mehr nur die referenziell-semantische Dimension, die den Sprachbegriff der Sprechakttheorie konstituiert. 29 Denn wird Sprache als eine Handlung verstanden, dann ist die rein repräsentierende Funktion von

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Austin, John Langshaw (1962): How to Do Things with Words. Harvard University Press. Cambridge 1975 29 Bühler 1999: 29

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sprachlichen Zeichen explanatorisch nicht mehr ausreichend und muss ergänzt werden. Bei Bühler geschah dies durch die appellative und ausdrückende Funktion von sprachlichen Zeichen. Auch die in seiner Darstellungsfunktion zu findende Funktion der Repräsentation kann durch die Einbeziehung eines Senders und Empfängers eigentlich kaum mehr sinnvoll nicht-relativ, also ohne Subjektbindung, dargestellt werden. Dies ist ein deutlicher Mangel von Bühlers Theorie, welche diese Bedeutungsrelativität nicht explizit abbildet. In der Sprechakttheorie hingegen wird die subjektbezogene Semantik zu einer Semantik der Intentionalität. Handlungen sind intentional, also sind es der Sprechakt-theorie nach auch sprachliche Handlungen. Der theoretische Aspekt eines Sprechaktes, der die intentionalistische Semantik der Sprechakttheorie begründet, ist bekanntermaßen der illokutionäre (Teil-) Akt (illocutionary act). Dieser ist zusammengenommen mit dem Äußerungs(teil)akt (utterance act) und dem propositionalen (Teil-) Akt (propositional act) ein vollständiger Sprechakt. Hinter der Ausdifferenzierung des utterance act hingegen verbirgt sich die reine Artikulation von Lauten, welche aus einem grammatisch-logischen System heraus, das sich in etwa äquivalent zu Saussures magasin verhält, realisiert werden. Der propositional act, den Searle individuiert, um der referenziellen Seite der Bedeutungskonstitution Rechnung zu tragen, bildet die Referenz im Sinne der Prädikation eines Gegenstands- bzw. Sachverhaltsbereiches ab. Das, was nun aber eine Äußerung wesentlich zur Handlung werden lässt, ist der illocutionary act, durch welchen die reine Äußerung innerhalb eines grammatischen Systems, die auf etwas Prädiziertes referiert, als Ausdruck eines psychischen Modus erkannt werden kann. Das heißt, ein Gesamtsprechakt ist immer mit dem geistigen Zustand des Äußernden verbunden, ganz ähnlich wie wir dies auch schon bei Bühler formuliert finden. Nur dass der psychische Modus der Sprechakttheorie explizit der der Intentionalität ist. So dass das, was den Sprechakt als intentional auszeichnet, die (illokutionäre) Rolle ist, die dieser Sprechakt für einen Äußernden spielt. Es ist seine Bedeutung für den Sprecher, den sprachlich Handelnden. Diese Rolle determiniert insofern den referenziellen Teil, den propositionalen Gehalt der Äußerung. Was der Satz als Sprachhandlung bzw. Sprechakt bedeutet, kann also nicht allein über die Referenz und Prädikation erschlossen werden, sondern immer nur in Bezug auf die Rolle, die dieser Akt für den Äußernden zu einem bestimmten Zeitpunkt unter bestimmten Umständen spielt, i. e., welches Ziel er damit erreichen will, also zu welchem Zweck er den Sprechakt vollzieht. Der intentionale

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Charakter der Äußerungsbedeutung, mithin also der Sprechaktbedeutung, ist in diesem Sinne eine abgeleitete, deren jeweilige Gerichtetheit vom mentalen Zustand des Äußernden stammt, insofern dieser ihn aufrichtig vollzieht. 30 Die Einbettung des propositionalen Gehalts in die illokutionäre Rolle des Gesagten stellt insoweit die Bindung des Gesagten an einen grundlegenderen Repräsentationsgehalt eines psychischen Modus dar, der nur innerhalb eines Individuums zu einem bestimmten Zeitpunkt unter bestimmten Umständen existiert. Der Sprachbegriff sprechakttheoretischer Provenienz ist also ein situativer, der Sprache als referenzielle Bedeutung ausschließlich relativ zu den Größen des Zeitpunkts bzw. des Zeitraums, den Umständen und den intentionalen Zuständen des Äußernden bestimmen kann. Allgemein gesprochen: in Bezug auf den Kontext einer Äußerung. Die kommunikative Perspektive schließt aber für gewöhnlich zumindest einen zweiten Akteur mit ein, den Hörer. „Denn es gehören nicht nur zwei zum Heiraten“ 31,

wie Bühler in diesem Zusammenhang augenzwinkernd schrieb. Vor einer Rückprojektion der sprechakttheoretischen Grundannahmen auf den Sprachbegriff selbst ist also zunächst die Frage nach der Position nötig, die der sogenannte Hörer in der Sprechakttheorie einnimmt. Die Antwort darauf sollte heißen: eine eher mittelbare, denn die sogenannte Perlokution, der Effekt, den ein bestimmter Sprechakt auf jemanden hat, spielt in der searleschen Sprechakttheorie nur eine marginale Rolle. Aber es besteht dennoch eine Bindung der Bedeutung an den Hörer, und zwar über die Konventionen, die kommunikative Akteure der Sprechakttheorie nach stets aneinander binden. Die Konventionen, die einem Sprechakt zugrunde liegen, legen die Erfolgsbedingungen fest, nach denen eine bestimmte Äußerung hervorgebracht werden muss, um in der vom Sprecher intendierten Weise als erfolgreiche Realisation eines bestimmten Sprechaktes gelten zu können. Ist das nicht der Fall, so ist die Folge das Scheitern des Sprechaktes. Dieses Scheitern von Kommunikation durch Sprechakte ist damit Folge einer ungenügend konformistischkonventionellen Verankerung entweder des Hörers oder des Sprechers. Die Sprechaktrealisation setzt das sprachliche Handeln, verstanden als 30

Searle, John R (1983): Intentionalität: Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 1991. S. 21 ff.; 47 ff. 31 Bühler 1999: 79

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Kommunizieren in Sprechakten, somit in eins mit regelgeleitetem Verhalten. 32 Dies macht die Sprechakttheorie zu einem ausgezeichneten Objekt einer Untersuchung, ob Konventionen und Regeln tatsächlich zu den grundlegenden Merkmalen eines minimalen Sprachbegriffs gehören sollten. Und diese Untersuchung werden wir dann auch im nächsten Abschnitt vornehmen, da der Konventionalismus der in unserer Darstellung bis Saussure zurückzuverfolgen ist, ein Produkt der von Saussure zementierten dritte-Person Methodik ist. Der Sprachbegriff der Sprechakttheorie erweitert jedenfalls die Sichtweise Bühlers um die Explizierung eines kognitiven Elements. Und zwar indem versucht wird, zu erklären, wie die Bedeutungsrelativität hinsichtlich der Intentionalität kommunikativer Akteure zu verstehen ist. Sprache wird situations- und konventionsgebunden als Handlung eines Individuums verstanden, die stets Teil einer kommunikativen Praxis ist, die die Sprechakttheorie selbst aber nicht erklären kann, da der Sprechakt bei Searle immer ein Sprechakttyp ist und kein Token. Es handelt sich nicht um tatsächliche Realisierungen, die von der Sprechakttheorie beschrieben werden. Die Sprechakttheorie ist eine Idealisierung eines Teils einer umfassenderen Praxis, die sie gänzlich aber nicht erklären kann. Im Voraussetzen der ,Institution Sprache‘ muss sie sich der realen Gesamtpraxis teilweise sogar verschließen, da sie Sprach- bzw. Sprechakte mehr oder minder als isolierbare Phänomentypen betrachtet, die idealiter nur Gültigkeit beanspruchen können, wenn Zugeständnisse an Ein- und Ausschlussbedingungen gemacht werden. Der durch die Sprechakttheorie beschreibbare Teil einer Praxis des Sprachhandelns ist selbst nur unter Einschränkungen mit sprechakttheoretischen Begriffen beschreibbar. Searle schließt daher beispielsweise häufig gebrauchte sprachliche Expressionsformen wie Ellipsen, Metaphern oder Andeutungen von vornherein aus der Betrachtung aus seiner Analyse aus, was einer konsequenten Ignorierung der tatsächlichen Sprachpraxis in ihrer Gesamtheit gleichkommt. 33 Auch dass das Sprechen an sich Handeln ist, also Sprache in Begriffen der Handlung zu verstehen ist, wird innerhalb der Sprechakttheorie vorausgesetzt, ohne den Begriff der Handlung als 32

Searle, John R. (1969): Sprechakte: Ein sprachphilosophischer Essay. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 1983. S. 29 33 Krämer, Sybille (2001): Sprache, Sprechakt, Kommunikation: Sprachtheoretische Positionen des 20. Jahrhunderts. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 2001. S. 63

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Grundlagenbegriff erklärt zu haben. Ebensowenig erklärt die Sprechakttheorie ihren Standort innerhalb einer Kommunikationstheorie bzw. ihre Bezüge und Einflüsse auf eine allgemeine Sprachtheorie, denn eine allgemeine Sprachtheorie kann sie gerade nicht sein, sondern nur eine Beschreibung konventionalisierter Sprachmuster, der die hier angezweifelte These zugrunde liegt, dass die Grundlage der Sprache in der Abhängigkeit sprachlichen Verhaltens von Konventionen besteht. Die Einsicht Bühlers, dass sich eine Sprachtheorie, die sprachliches Verhalten beschreibt und/oder erklärt, nur sinnvoll innerhalb einer Gesamttheorie des menschlichen Verhaltens formulieren lässt, wird innerhalb der Sprechakttheorie nur sehr unzureichend thematisiert. Dass dies nicht geschieht, erklärt auch den weitestenteils deskriptiven Charakter der Theorie, dessen explanatorischer Wert über den common sense hinweg offenkundlich sehr gering ist. 34 Allein die von allen Seiten durch Regeln begrenzten Sprechakttypen können hier mit einiger Sicherheit in ihrer immer wiederkehrenden Realisierung in der praktischen Applikation vorhergesagt werden, nur, problematisch genug, man heiratet eher selten. Da hilft auch Searles Hinweis, dass der Sprechakt die kleinste Einheit menschlicher Kommunikation bildet, nicht wesentlich weiter. 35 Im Gegenteil ist es genau diese Ansicht, die in Zweifel gezogen werden sollte. Wie gezeigt werden soll, ist diese Annahme, die ja unser Unternehmen hier in besonderer Weise angeht, sogar ziemlich eindeutig falsch. Wie Akteure handeln werden, lässt sich erst erklären, wenn eine grundlegende Sprach- bzw. Kommunikationstheorie den Standort der Sprechakttheorie in ihr klar umrissen hat. Diese Theorie muss dann wiederum auch eine Betrachtung der kognitiven Seite der in diesen grundlegenden Verhaltensweisen Befangenen liefern, die über die Intentionalität bei Searle hinausgeht bzw. diese als eine Möglichkeit begründet. Genauer betrachtet trägt die Intentionalitätsübertragung auf Sprachhandlungen zum Verstehen der 34

hierzu beispielsweise, unter anderen: Desalles, Jean-Louis (2007): Why We Talk – The Evolutionary Origins of Language. Oxford University Press. New York 2007. S. 271 oder klassischerweise: Sperber, Dan; Wilson, Deidre (1986): Relevance: Communication and Cognition. Blackwell Publishing. Oxford 1995. S. 244 oder auch: du Bois, John W. (1993): Meaning Without Intention: Lessons from Divination in: Hill/Irvine (Hrsg.). Responsibility and Evidence in Oral Discourse. Cambridge University Press. Cambridge 1993. S. 50 u. 68 35 Searle, John R.; Vanderveken, Daniel (1985): Foundations of Illocutionary Logic. C.U.P. Cambridge: Mass. 1985. S. 1

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Rolle, die bestimmte Sprechakte innerhalb von Kommunikation spielen, nicht viel bei, außer dass erklärt wird, wie Bedeutungskonstitution hinsichtlich der Intentionen eines Sprechers im Einzelfall funktionieren kann, ohne dabei eine allgemeine Theorie der Bedeutungskonstitution zu liefern. Zu beachten ist dabei auch die stetig sprecherseitige Bindung der Begrifflichkeiten Searles. Die gesamte Betrachtung Searles ist viel weniger pragmatisch als vielmehr formal semantisch, gerade eben insofern, als die Sprechakttheorie die Sprecherbindung und den kognitiven Bezug, also den Bezug zu einer internalisierten Regel, zwar explizit über Interaktion stark zu machen wünscht, aber den Ort dieser Verbindung, das Verstehen eines Sprechaktes über das Wissen einer Regel, als ein bloß regelkonformes Erkennen abtut. Die Interaktion in tatsächlichen Praxen zeigt aber stets Merkmale, die nicht mit einem solchen deterministischen Minimalinteraktionismus harmonieren. Die Sprechakttheorie ist vielmehr Resultat nachträglicher Kategorisierung sedimentierter Konformität im Sprachgebrauch einer bestimmten Praxis, ohne dass hierbei die Praxis an sich in den Blick käme. Die wirklich wichtigen Einsichten hatte demnach bereits Austin. Und zwar, dass eine Äußerung eine Handlung ist, die in der Lage ist, Welt und Denken über die Welt zu verändern und dass dieses Handeln besonders erfolgreich in konventionalisierten Mustern funktioniert, ohne damit zu behaupten, die Konventionalität wäre selbst schon der Kern des Sprachhandelns bzw. des Sprechaktes, geschweige denn der Sprache an sich. Die Sprechakttheorie ist eine formal-semantische Theorie, die versucht, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass über die Repräsentation und Prädikation auch die Intentionen des Äußernden die Bedeutung eines Satzes und die Bedeutung einer Äußerung bestimmen. Sprache ist in der Sprechakttheorie primär Bedeutung, was einerseits nicht gänzlich falsch ist, andererseits aber zu Problemen führen kann, wie etwa, dass ein Sprachbegriff, gewonnen durch referenziell strukturierte, konventionelle Kommunikationsidealisierung, die ihrerseits aber ihrer Grundlagen nicht gewahr ist bzw. diese in ihrem Begründungsanspruch nicht hinterfragt, Konventionalität und Sprecherbindung unreflektiert als Grundlagen annimmt. Es handelt sich bei der Sprechakttheorie demnach um eine Bedeutungstheorie, die in einer partikulären dritte-Person Beschreibung eines Aspekts von Sprache (Bedeutung) besteht, welche noch nicht einmal genuin sprachlich ist, wie fürderhin nahegelegt werden soll und zudem nicht hinreicht, um einen Sprachbegriff zu fundieren, wie wir in Auseinandersetzung mit Wittgenstein sehen werden. Da Bedeutung inner-

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halb der Sprechakttheorie konsequent sprecherseitig konstituiert wird und der Hörer nur insofern eine notwendige Größe in dieser Theorie ist, als er die geringstmögliche Gruppe komplettiert, die für ein konventionelles bzw. institutionalistisches Sprachhandeln durch Sprechakte nötig ist, hebt die Sprechakttheorie Saussures Trennung von langue und parole nicht auf, sondern zementiert diese, indem die Sprachhandlung als bestimmter Sprechakttyp nur idealiter begriffen und analysiert wird. 36 Diese Übernahme der saussureschen Dichotomie in der Sprechakttheorie ist der Ursprung des gleichen Fehlers, welcher auch dem saussureschen Sprachbegriff zugrunde liegt und der in dem Schluss besteht, dass es eine bestimmte Struktur oder Regel ist, die in ihrer Realisation das grundlegende Element des Sprachbegriffs selbst bildet. In weiten Teilen nähert sich die Sprechakttheorie Searles zwar schon sehr einem Sprachbegriff an, der Teil eines Kommunikationsbegriffes ist, aber zugleich ist sie nie daran interessiert, diese Verankerung in einer allgemeinen Theorie des Verhaltens auch explizit zu liefern. Dies erklärt sich zumindest teilweise aus der initialen wissenschaftstheoretischen Konzeption der Sprechakttheorie, nach welcher sie das Resultat von Bestrebungen ist, ein neues philosophisch-analytisches Vokabular zu begründen. Daher auch ihr Charakter einer Bedeutungstheorie, die, in permanenten Abgrenzungsbemühungen gegen das wahrheitskonditionalen Diktum befangen, nur sehr limitiert von Verhalten und Kommunikation reden kann, um die neu gewonnene Funktionalität als philosophisch-begriffsanalytisches Werkzeug nicht gleich wieder für eine vollumfängliche Sprachbeschreibung aufs Spiel setzen zu müssen. Sie ist genau in diesem Sinne eine systematisierende Theorie, die den konventionellen Charakter, der mit diesen Zeichen gebildeten Strukturen, der Sprechakte, untersucht, um philosophische Begriffsanalyse treiben zu können. Ein Umstand, der von der sprachwissenschaftlichen Auseinandersetzung häufig ignoriert oder negiert wird, indem davon ausgegangen wird, es handele sich hier um eine Theorie des Sprachgebrauchs, wo es sich doch nur um eine spezielle Bedeutungstheorie handelt, die ausschließlich bestimmte konventionelle Sprachformen untersucht und somit zu zu kurz greifende Schlüssen hinsichtlich der Sprache im Allgemeinen neigen

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Krämer 2001

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muss, 37 da diese Schlüsse eine petitio principii beinhalten, wenn bereits eine ihrer Prämissen lautet, Sprache beruhe auf Konventionen und Regeln. Die Sprechakttheorie searlescher Provenienz fügt dem Sprachbegriff, so wie er unserer Geschichte nach aus Saussure, Morris und Bühler herausgearbeitet wurde, allerdings zwei wesentliche Erweiterungen des allgemeinen Sprachverständnisses hinzu. Erstens wird Sprache nicht mehr nur als System von Zeichen begriffen, sondern als systematisches Handeln, das bestimmten institutionellen Regeln unterliegt. Und zweitens ist die Bedeutung von Sprache nicht mehr nur referenziell zu begreifen, sondern immer in Bezug auf die intentionale Zustände des Sprechakte Realisierenden. Das, was die Sprechakttheorie nicht leistet, ist eine Darstellung der grundlegenden Mechanismen des Sprachgebrauchs als Kommunikation oder der Sprache selbst. Stattdessen erklärt sie einige wenige Typen konventionalisierten Sprachgebrauchs, deren Erklärung sich eben nur unter Ausschluss bestimmter sprachlicher bzw. kommunikativer Phänomene durchhalten lässt. Es handelt sich um eine Typentheorie des idealisierten, konventionalisierten Sprachgebrauchs bzw. -handelns, denn auch in der Sprechakttheorie bleibt der Hörerbezug und dessen Rolle für Sprache an sich, wie erwähnt, im Wesentlichen schwach ausdifferenziert. Verstehen wird, wenn überhaupt, dann mit Bezug auf Regelverstehen erklärt. Verstehen ist nurmehr ein Prozess, bestimmte institutionalisierte Strukturen zu erkennen und ist seinem, durch die Sprechakttheorie zugewiesenen Charakter nach, wesentlich nicht-interpretativ. Die durch die Sprechakttheorie vorgenommene primäre Sprecherbindung kann aber nur eine Seite dessen beschreiben, was Sprache ist. Diese Sprecherbindung, die auch in den Ansätzen Saussures, Morris und Bühlers eine bestimmende Prä37

Damit ist gemeint, dass die Sprechakttheorie in ihrer Idealisierung einer bestimmten Praxis für die Dauer eines Sprechaktes und in ihren allgemeinen Rückschlüssen auf Sprache und Kommunikation zwangsläufig Annahmen extrapoliert, die auf das den gesamten Komplex Sprache nicht anwendbar sind. Den paradigmatischen Fehlschluss dieser Art finden wir, wenn Searle in Ableitung von seinen Sprechakttypen behauptet, „dass eine Sprache zu sprechen bedeutet, in Übereinstimmung mit konstitutiven Regeln Akte zu vollziehen.“ (Searle 1983: 81) und daraufhin meint, dass in der Erklärung von Sprache den natürlichen Regelmäßigkeiten semantische Regeln zugrunde lägen (Searle 1983: 82), was eine falsche Ableitung von Gesetzmäßigkeiten des partikulären Ist-Zustandes einer Praxis, deren Mechanismen und der Anwendung dieser, auf den Gesamtcharakter von Sprache bzw. ihre allgemeinen und explanatorischen Grundlagen darstellt.

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disposition darstellt, ist als ein Residuum der tradierten funktionalistischen Art und Weise Sprache zu verstehen aufzufassen. Innerhalb der Sprechakttheorie existiert insofern also ein gewisser Sprecherchauvinismus, der stetig die Voraussetzung setzt, dass es einer objektiven Sichtweise entspräche, der Sprecherposition das explanatorische Primat einzuräumen. Die Frage, die sich dahingehend natürlicherweise aufdrängt, ist, inwieweit dies nicht zu einer Verzerrung des Bildes führt, was man von Sprache im Allgemeinen bestrebt ist zu gewinnen. Auch wenn dieser Frage zumindest in Bezug auf die Sprechakttheorie nicht weiter nachgegangen werden soll, so ist doch die stetige Vernachlässigung der Hörerposition innerhalb der Sprechakttheorie sehr leicht zu begreifen, denn sie würde die ihr zugrunde liegende Annahme unterlaufen, dass es Konventionen bzw. Regeln sind, die das zentrale Element einer allgemeinen Sprach- und Kommunikationserklärung bilden. Denn nur Kraft Konvention kann ein Sprechakt seine illokutionäre Kraft entfalten. Eine Unterminierung des konventionalistischen Sprachgebrauchsbildes, wie es die Sprechakttheorie zeichnet, durch Implikationen hinsichtlich der Hörerperspektive, liegt darin begründet, dass Sprachverstehen auch ohne eine Grundlegung in Konventionen funktioniert und demnach eben nicht durch diese oder eine kommunikative Einheit, die diese unabdingbar benötigt, begründet werden kann. Ein Umstand, auf den Davidson hingewiesen hat und auf den wir im weiteren Verlauf unserer Betrachtungen noch zurückkommen werden. Die folgende Auseinandersetzung mit den Problemen der konventionalen Grundlegung von Sprachgebrauch wird in der Wiederlegung der Annahmen münden müssen, der Sprechakt wäre die kleinste Einheit der Kommunikation und die Sprechakttheorie das Zentrum der Grammatik, 38 wie es Searle behauptet. Das wird allerdings beiläufig geschehen und stellt sich auch als keine besonders schwere Aufgabe dar, denn der Sprechakt als theoretische Einheit ist Teil einer Institution und kann somit gar nicht einer explanatorischen Grundlage von Sprache oder Kommunikation im Allgemeinen angehören, da er seiner Form nach nur dort existieren kann, wo es bereits konventionelles Handeln im Allgemeinen gibt. Dieses entsteht aber eben nicht aus einer Singularität, sondern aus weiteren Grundlagen und da sich diese zwangsläufig auch in Bewusstseinsbegriffen ausbuchstabieren werden lassen, ist der Sprachakt 38

Searle, John R. (1979): Ausdruck und Bedeutung. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 1989. S. 205

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ganz sicher nicht das Zentrum der Grammatik, sondern form- und fallabhängig, der Inhalt dieses Bewusstseins. Hier zeigt sich, dass das was Searle mit Sprechakten meint, nicht das ist, was man im Allgemeinen, unreflektierten Gebrauch des Wortes Sprechakt meinen könnte, nämlich einfach nur sprachliches Handeln. Und eben dort, wo sie den Bereich des sedimentierten Sprachhandelns verlässt, liegen die allgemein bekannten Schwierigkeiten der Sprechakttheorie in Typologisierung und Erklärung nicht-konventioneller Sprachhandlungen offen zutage. Ein anderer Grund für die Problematik der Grundlage eines konventionalistischen Sprachbzw. Kommunikationskonzepts wie es die Sprechakttheorie exemplarisch anbietet, wird die Auslegung von Wittgensteins Regelregressargument liefern, die aufgrund der Unmöglichkeit des Befolgens einer Regel einen explanatorischen Graben zieht, zwischen Konventionen einerseits und tatsächlichem Sprachgebrauch andererseits, also der Relation, die die Sprechakttheorie als Kernstück ihrer Erklärung der vermeintlich kleinsten kommunikativen Einheit, dem Sprechakt, benutzt. Und genau dessen Überbrückbarkeit ist der neuralgische Punkt einer jeden Theorie, die in konventionalistischem Vokabular ausbuchstabiert wird, denn dieser Graben verläuft entlang der Differenz einer nicht hinreichend reflektierten explanatorischen Vorrangigkeit der Erste-Person-Perspektive. Dass diese Vorrangstellung besteht, ergibt sich aus dem simplen Umstand, dass ein Sprechakt nicht einfach ein Sprechakt ist, nur weil er beschriebenermaßen bestimmten Kriterien entspricht, sondern, weil er eben auch auf ersterPerson Ebene auf bestimmte Weise mit einer Intention versehen ist. Wenn Sperber und Wilson also Recht haben, wenn sie schreiben, dass die Sprechaktklassifikation bei Kommunikation und Verstehen keinerlei Rolle spielen, dann bleibt die Frage, inwieweit die Sprechakttheorie in ihren dritte-Person Be- bzw. Zuschreibungen nicht einfach nur common sense und freie Hypostasierungen vermengt, also formuliert, wie es vor einem nicht hinterfragten Hintergrund (Konventionen und Regeln) aussieht, was wir da machen, wenn wir sprechen. Diese unhinterfragte Grundannahme aber ist es, die uns in besonderem Maße interessiert, wo wir doch fragen, was Sprache grundlegend ist.

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Sprache als System von Konventionen und Regeln

2.1 Sprechakte und Konventionalismus Die Sprechakttheorie ist eine Theorie, die zwar sprachliches Handeln beschreibt, aber auf einer Grundlage, die hoch problematisch ist. Insofern bildet die Sprechakttheorie ein wunderbares Beispiel für diesen ersten Gemeinplatz der Sprachwissenschaft, nämlich, dass Sprache auf Konventionen beruht. Diesem common place liegt die Annahme zugrunde, dass man sprachliche Handlungen gemäß bestimmter Regeln und Konventionen vollzieht und auch versteht. Doch was unter Linguisten häufig als selbstverständlich anerkannt wird, gilt in der sprachphilosophischen Debatte keineswegs als gesichert, sondern wird häufig gar so betrachtet, als enthalte diese Annahme einen schwerwiegenden Fehler,39 der aus mangelhafter Reflexion der Perspektive der jeweiligen Beschreibungen herrührt. Der Fehler besteht schlicht darin, anzunehmen, dass Regeln und Konventionen etwas grundlegend Sprachliches sein müssen, da wir scheinbar in der Lage sind mit den gleichen Worten Gleiches ausdrücken und beispielsweise in den Wissenschaften genaue Bedeutungen festlegen, also einen definitorischen und somit konventionellen Gebrauch von Worten zu haben. Im Gegensatz dazu wollen wir erklären, warum dies, auf diese Weise verstanden, gerade nicht die Grundlage des Sprachbegriffs bilden kann, um uns daraufhin darüber klar zu werden, was als Grundlage dieses Begriffs überhaupt in Frage kommt. Man muss sich stets bewusst halten, dass es die definitorische Bedeutung von Ausdrücken nur in Wörterbüchern gibt, was heißen soll, dass das Vorbild der wissenschaftlichen Begriffsbildung durch Konventionen nur wenig zum Verständnis der Bedeutung beitragen kann, die wir in tatsächlichen Kommunikationssituationen vorfinden. Dass dies ein Problem ist, ist hinlänglich bekannt und findet sich in sprachwissenschaftlichen Diskursen zur Differenz von konventionaler und intentionaler Sprach- bzw. 39

hierauf in besonders eindringlicher Weise aufmerksam gemacht haben: Chomsky, Noam (1980): Regeln und Repräsentationen. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 1981 und Davidson, Donald (1984): Kommunikation und Konvention in: Ders. (1990): Wahrheit und Interpretation. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 1990a. S. 372-393

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Kommunikationsbeschreibung oder auch in der Prototypensemantik und als Teil der sprachphilosophischen Vagueness-Debatte 40 wieder. Etwas mehr Klarheit in diesen Problemkomplex zu bringen, ist im Zuge dieser Abhandlung zum Sprachbegriff daher durchaus sinnvoll. Der Komplex an sich wird allerdings erst im Verlauf der weiteren Erörterung gänzlich auflösbar sein, während eine kurze Zusammenfassung derselben nun erfolgt. Die Sprechakttheorie soll uns dabei als stellvertretendes Exemplar für Theorien gelten, welche als Grundlage für das, was wir in der ein oder anderen Form Sprache nennen, Regeln oder Konventionen annehmen. Sie ist als Beispiel dafür besonders geeignet, weil jede Theorie, die Regeln und Konventionen als Grundlagen der Sprache annimmt, auf den gleichen Gedanken verweist, auf den wir in den Ausführungen Searles in seinem Werk Sprechakte stoßen. Dieser besteht simplerweise darin, anzunehmen, dass die Sprachformen, Worte, Sätze bzw. Äußerungen, die diesen Kategorien subsumiert werden können, ihren kommunikativen Zweck genau dann erfüllen, wenn die Bedeutung, die sie ausdrücken sollen, auch verstanden wird. Mithin also, dass Bedeutung von Sprache dadurch Bedeutung ist, dass sie geteilt wird. In diesem Zusammenhang spricht man, ausgehend von Wittgenstein, auch häufig davon, dass es keine private Sprache gäbe, weil es eben nur eine Sprache, also bedeutsame Laute oder Schriftzeichen oder Gebärden geben kann, wenn deren Bedeutung von mehreren Individuen auf die gleiche Weise verstanden wird, und dies, indem man der Regel oder Konvention folgt, die einen Ausdruck mit einem Gedanken, einem Konzept und ggf. den, diesen zugrundeliegenden, Sachverhalten verbindet. Dies hieße, „dass eine Sprache sprechen bedeutet, Sprechakte in Übereinstimmung mit Systemen konstitutiver Regeln zu vollziehen“ 41,

wie Searle es ausdrückt. Unsere naturalistische Erklärung von Sprache hingegen wird Begriffe wie Konvention und Regel als nicht begründete Begriffe innerhalb des Oberbegriffs Sprache auszuweisen versuchen. Wie erklärt die Sprechakttheorie ihre postulierte Einheit, den Sprechakt, als eine konventionelle Sprachhandlung? Wie wir bereits gesehen hatten, ist 40

für eine übersichtliche Darstellung siehe etwa: Keefe, Rosanna (2000): Theories of Vagueness. Cambridge University Press. Cambridge 2000 und für die hier relevanten, sogenannten kontextbasierten Formen: Shapiro, Steward (2006): Vagueness in Context. Oxford University Press. Oxford 2006 41 Searle 1983: 61

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die Produktion sowie das Verstehen bzw. Erkennen eines Sprechaktes immer nur in Rückgriff auf eine bestimmte Regel oder Konvention möglich. Die Regeln, die einer Sprechaktproduktion und Sprechaktverstehensprozessen zugrunde liegen, nennt Searle konstitutive Regeln. Diese konstitutiven Regeln geben an, unter welchen Bedingungen eine Handlung als eine bestimmte Art von Handlung zu verstehen ist. Beispielsweise also, was die Realisierung eines Sprechaktes des Versprechens (Kommissiva), der Kondolenzbezeugung (Expressiva) oder des Bittens (Direktiva) auszeichnet. Anderseits sind da die GlückensBedingungen, die die Beschaffenheit des Kontexts bestimmen, der nötig ist, damit einige bestimmte Sprechakte ihrem Wesen nach realisiert werden können. Die konstitutiven Regeln sind, im Gegensatz zu den Glückensbedingungen, die sich als Kontextregeln verstehen lassen, Regeln der Bedeutungskonstitution, so wie es ihr Name bereits nahelegt. Was heißt das? Die referenziell strukturierte Bedeutung, die im propositional act zu finden ist, ist stets erweitert durch die Intentionalität des Sprechers. Das Propositionale am Sprechakt ist eingebettet in die Intentionalität, so dass die Bedeutung eines Gesamtsprechakts nur durch diese Verknüpfung zu verstehen ist. Die Realisierung dieses Sprechaktes wiederum ist konventionalisiert insofern, dass die Absicht, einen Sprechakttypen zu realisieren, sich nach den gesellschaftsspezifischen Regeln der Realisierung zu richten hat. Bedeutungszuordnung und Sprechaktklassifikation kann nur gelingen, wenn man implizit diese Regeln, die sagen sollen, wann etwas als etwas gilt, zugrunde legt. Nur unter diesen, so Searle, kann man eine Äußerung als ein Versprechen, als Beleidigung u.s.w. äußern bzw. verstehen. Diese Beurteilung aber, dass eine Äußerung als etwas, zum Beispiel ein Versprechen, gilt, ist aber stets eine Sache der Nachträglichkeit: Sie liegt auf Seiten der Verstehenden bzw. den Sprechakt im Sinne einer konstitutiven Regel Erkennenden. Aus diesem Grund kann auch Searle die Perlokution nicht gänzlich aufgeben. Es ist nur scheinbar so, dass man, um sagen zu können, dass es sich beispielsweise um einen Sprechakt des Versprechens handelt, die Reaktion des Hörers in Form von uptake bzw. Perlokution nicht benötigt. Denn nur die nachträgliche Kennzeichnung innerhalb einer Gruppe, das heißt, (auf Grundlage einer konstitutiven Regel oder Konvention) Verstehensprozesse und dementsprechendes erwartungsgemäßes Handeln, lässt einen Sprechakt glücken oder richtiger: einen Sprechakt als bestimmten Sprechakt beschreibbar werden. Ist die Äußerung nicht als Kommissiva verstanden worden, so ist der intendierte

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Sprechakt nicht der vollzogene Sprechakt. Erst wenn die nachträgliche Intentionszuschreibung auf Grundlage einer konstitutiven Regel oder Konvention mit der intendierten Intentionsinterpretation übereinstimmt, kann von einem bestimmten Sprechakt gesprochen werden. Hinter der Sprechaktproduktion und dem Sprechaktverstehen im Sinne Searles steht also eine Regel, ausdrückbar als Konditional: dass etwas als etwas Bestimmtes gilt, wenn etwas Bestimmtes der Fall ist. Das, was nun also die Brücke schlägt, zwischen der propositionalen Bedeutung eines Sprechaktes und seinem vollen Bedeutungsumfang nach intentionaler Einbettung desselben, ist, dass der Hörer die Absicht erkennt, mit der die Äußerung vollzogen wurde. Der Hörer muss erkennen, dass der Sprecher die und die Wirkung hervorzurufen beabsichtigt. Erst wenn das geschieht, ist der Sprechakt als bestimmter Sprechakt erfolgreich zu identifizieren. Dass der Hörer diese Absicht erkennen kann, ist nur möglich, weil „die Regel für den Gebrauch der von ihm geäußerten Ausdrücke den Ausdruck mit der Hervorbringung jener Wirkung verknüpfen.“ 42

Die Regeln des Sprachgebrauchs sind also Regeln der Verknüpfung von Ausdrücken und den Wirkungen, die diese haben sollten, um als eine bestimmte Form der Interaktion zu gelten. Searle bescheibt diese konstitutiven Regeln in der Form ‚X gilt als Y in C‘ (die wir im Folgenden der Einfachheit halber (S) nennen werden), wobei ‚C‘ den Kontext der Äußerung bzw. die Situation meint, ‚X‘ die Äußerung und ‚Y‘ den Sprechakttypen. 43 Etwas weniger kryptisch ausgedrückt: Die Regeln des Sprachgebrauchs geben an, was eine bestimmte Äußerung unter bestimmten Umständen für eine Wirkung haben wird bzw. als was sie in einer bestimmten Praxis gilt. Dass also die Äußerung: „Sie Kackwurst!“ in den meisten möglichen Fällen von ‚C‘ regelgemäß als Beleidigung aufzufassen ist, liegt an der spezifischen Form der Regel (S), nach der dieser Äußerung eine bestimmte Bedeutung hinsichtlich eines Sprechakttypen zukommt, und es die Absicht des Sprechers bei Äußerung war, zu beleidigen. „Der Satz stellt dann ein konventionelles Mittel zur Erreichung der Absicht dar, einen bestimmten illokutionären Effekt beim Zuhörer hervorzurufen. […] Das Verstehen der Äußerung auf Seiten des Zuhörers fällt zusammen mit der Erreichung jener Absichten. Und die Absichten sind allgemein dann erreicht, wenn der Zuhörer

42 43

Searle 1983: 72 Searle 1983: 56 ff.

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den Satz versteht, d. h. dessen Bedeutung erkennt, d. h. die Regeln erkennt, die die Elemente des Satzes bestimmen.“ 44

Das heißt, dass eine Äußerung und ihre Bedeutung von Searle direkt an das Konzept des Sprechakttypen und somit der Bedeutung gebunden werden. Hier existiert allerdings ein Problem: Bedeutung liegt nicht nur auf Seiten des Sprechers, sondern ist sprecher-/hörerrelativ insofern, dass es eben auch zu einem Nicht-Erkennen der Intention des Sprechers kommen kann. Das führt natürlich, wie erwähnt, zu Problemen bei der Sprechakttypologisierung, da der Typ nur eine Form der Verstehensmöglichkeiten sein kann. In tatsächlichen Situationen sind es Fehldeutungen der Intention des Sprechers, die diesen Umstand ausweisen, wie etwa, dass die Äußerung „Sie Kackwurst!“ eben keine Beleidigung ist, sondern unter Umständen ein unter Freunden geäußerter scherzhafter, nicht-pejorativer Vulgarismus, der innerhalb des sprechakttheoretischen Konventionalismus genau deshalb nicht beschreibbar ist, weil die Sprechakttheorie tatsächlich die Sachverhalte einiger weniger Fälle der konventionellen Kommunikation vielmehr spiegelt, anstatt sie zu erklären und darauf aufbauend einen realitätsfernen Formalismus einführt, der die Sprechakttheorie als bloß idealisierte Typentheorie im weiter oben spezifizierten Sinne erkennbar werden lässt. 2.2 Das Problem der Norm oder: Was ist die geeignete Perspektive der Erklärung von Sprachverhalten? Ein ebenso problematischer Aspekt für die Unternehmung Sprechakttheorie und deren Sprachbegriff wie die Bindung des Sprechaktes als bestimmter Sprechakt an den Hörer, ist der Begriff der konstitutiven Regel selbst, der tatsächlich, also in Umsetzung eines Sprechakttypen im Token je nach intendiertem Sprechakt die Form von Normen bzw. die Form einer Norm annimmt. Dies soll heißen, dass das, was in der Sprechakttheorie als Regel identifiziert wird, nur in der dritten-Person Beschreibung als Regel existiert, nicht aber in der Praxis selbst. Hier gibt es nur individuelle Normen statt Regeln. Im tatsächlichen Gebrauch hat die searlesche Regel (S) nicht die Form: ‚X gilt als Y in C‘, sondern die Form (N): ‚Willst du, dass X als Y gilt, dann orientiere dich an C‘. Auch hier zeigt sich die

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Searle 1983: 76

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Sprechakttheorie als praxisferne Theorie. Im tatsächlichen Sprachgebrauch wird die Regel zur Verhaltensnorm. Eine searlesche Regel existiert ausschließlich in der Dritte-Person-Perspektive der Beschreibung des Verhaltens. Die Freiheit des homo communis besteht eben darin, sich nicht gesellschaftskonform verhalten zu müssen. Die tatsächlich interessante und explanatorisch wertvollere Perspektive ist hier die der ersten Person, da hier erst voll und ganz das deutlich wird, was eine regulatorisch und darauf aufbauend, eine konventionalistisch orientierte Grundlegung einer allgemeinen Spracherklärung verunmöglicht. Die tatsächliche Praxis bzw. die sie konstituierenden Individuen orientieren sich nicht daran, was der Sprechakttheoretiker beschreibt, sondern glücklicherweise daran, was aus der je eigenen Perspektive heraus gefühlt, beabsichtigt und geurteilt wird. Erst wenn wir uns auf eine psychologische Erklärung einlassen und erklären, wie das Individuum je einzeln die Regel bestätigt, indem es sich einer Norm gemäß verhält, können wir sinnvollerweise fragen, ob diese individuelle Norm und nicht die Regel tatsächlich die Grundlage für die Strukturen des sprachlichen Handelns ist, denn auch das ist keineswegs per se zu akzeptieren. Denn auch der Begriff der Norm ist ein dritte-Person Begriff, der jeweils auf Erste-Person-Perspektiven referiert. Die reine Beobachtung der Regel von außen jedenfalls greift an dieser Stelle zu kurz, i. e., sie ermangelt der (wenn auch partiellen, so doch an Tatsachen orientierten) Beschreibung von Kommunikation als Interaktion von Individuen mit je eigenem Standpunkt und somit den tatsächlichen Voraussetzungen der Realisierung von Sprechakten. Der Schritt von der Regel zur Norm ist der Schritt von der Beschreibung der Funktion von Sprechakttypen hin zur Beschreibung von Sprechakttoken. Das Problem wird noch deutlicher, wenn wir Versuchen zu beschreiben, was Verhalten ist. Nehmen wir beispielsweise ein bestimmtes anaerobes, marines Bakterium und versuchen in Abgrenzung zu unserem eigenen Verhalten von dem seinigen zu sprechen. Diese Bakterien, die wir in Anlehnung an Fred Dretske in unserem Beispiel verwenden wollen, 45 sind mit einem sogenannten Magnetosom ausgestattet, welches dem betreffenden Bakterium dazu verhilft, anhand der Änderungen des Erdmagnetfeldes, an dem es sich durch dieses Magnetosom parallel ausrichten, in sauerstoffarmen Wassern zu verbleiben. Das Problem mit der Regel ist nun dieses: Man kann aus der 45

Dretske, Fred (1988): Explaining Behaviour. Reasons in a World of Causes. MIT Press. Cambridge 1992

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Dritten-Person-Perspektive sicherlich eine Regel ableiten, nach der sich das Bakterium dann und nur dann auf eine bestimmte Weise verhalten wird, sein Verhalten also als ein bestimmtes Verhalten gilt, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Die Bewegung weg von aerobem Wasser könnte man demnach als ein solches regelhaftes Verhalten beschrieben werden, das auf den Reizen des Magnetosoms basiert, insofern dieses Magnetosom korrekt funktioniert. Es ist allerdings fraglich, ob das Bakterium sein Verhalten auch auf diese Weise versteht, also nach der umgebungsabhängigen Beschaffenheit des Magnetosoms handelt. Und hier offenbart sich die terminologische Unschärfe des searleschen Regelbegriffs, denn natürlich tut es das nicht. Innerhalb der Sprechakttheorie tritt das Individuum vollkommen zurück und es bleibt kein Raum für Handeln. Das Verhalten des Bakteriums entspricht nämlich einer Regel, die man beschreiben kann, wie die Regeln die die Sprechakte konstituieren, also einer searleschen Regelform entsprechen. Unter bestimmten Umständen C (Magnetfeldvariation) gilt sein Verhalten X (Bewegung) als Y (Bewegung weg von aeroben Gewässerschichten). Insofern kann sein Verhalten als bestimmtes Verhalten unter bestimmten Umständen beschrieben werden. Der Mensch aber folgt keiner Regel, wenn er handelt. Er folgt einer Norm, die Alternativen zulässt. Es scheint nur aus der Dritten-Person-Perspektive, als würde diese Regel dem menschlichen Handeln zugrunde liegen. Es gibt keine solchen Regeln des Handelns für Menschen. Es gibt ausschließlich individuelle Normen des Handelns. Es gibt hier keine Regel, bevor wir diese behaupten. Dies ist im Übrigen auch eine Unterscheidung Kants, der in diesem Zusammenhang schrieb, dass natürliche Wesen nach Regel handeln, Menschen hingegen nach unseren Vorstellungen von diesen. Regel und Regelvorstellung (Norm) sind nicht dasselbe. Hieraus erklärt sich auch der terminologische Unterschied zwischen Handlung und Verhalten, den wir in unserer Erörterung benutzen. Verhalten ist nicht frei, es folgt, wenn es folgt (dritte-Person Folgen), Regeln. Handeln hingegen folgt, wenn es folgt (erste- und dritte-Person Folgen), Normen. Verhalten ist alternativlos. Handeln ist nie alternativlos. 46 Es ist geradezu eine Bedingung des Handelns eine realisierte Handlungsalternative zu sein. 46

Für diese Differenzierung werden wir an späterer Stelle noch ausführlicher argumentieren.

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Der Unterschied ist also, dass es für das bewusste biologische System keine Regeln des Handelns im oben genannten Sinne gibt, sondern immer nur Normen. In diesem Sinne müsste zunächst einmal (N) und nicht (S) den explanatorischen Platz einnehmen, den Searle an den Anfang seiner konventionalistischen Theorie der Sprechakttypen stellt. Nicht aus der Regel, sondern aus einer internalisierten Norm, folgt das meist implizit wirksame, aber prinzipiell explizierbare – ‚Wie verhalte ich mich richtig, damit mein Verhalten als das Verhalten angesehen wird, als was ich es intendiert habe angesehen zu werden‘ – konkreter Sprachhandlungssituationen. Nach diesen Normen kann gefragt werden. Man kann sie als (S), also als abstrahierte, intersubjektiv geltende (N)-Form, nur auf der Grundlage von (N) öffentlich machen. Die Regel zu extrapolieren heißt, die Normen jedes einzelnen Praxisteilnehmers zu abstrahieren und zu verallgemeinern. Es heißt im Gegensatz dazu nicht, dass sie, die Normen, nicht auch implizit wirksam wären. Im Gegenteil sind sie in allen Kommunikationssituationen implizit wirksam, in denen die Akteure ihr eigenes oder das Verhalten Zweiter oder Dritter nicht auf den Prüfstand stellen, also in Situationen, die eine explizite Normmodifikation nicht erfordern. ‚Norm‘ ist ein dritte-Person Begriff, der auch nur in unseren dritte-Person Beschreibungen prinzipiell explizit ist. Der paradigmatische Fall, der sprachlichen Explizierung von Sprachnormen ist die Spracherziehung des Kindes, in der, frei nach Wittgensteins ‚Abrichtung‘, Normen öffentlich gemacht werden. Hier wird die Norm stets zur Regel entstellt, um die Autorität der Intersubjektivität im Sprachlernprozess nicht permanent in Frage gestellt zu sehen. Das ist ein wichtiger Punkt, weil die vermeintliche Regelhaftigkeit, die wir hier als nur normativ beschreiben, natürlich nur deshalb in den meisten Geschichten über Sprache als Regelsystem ihren prominenten Platz hat, weil man die Grundlage der Sprachregel und -konvention immer schon in Kooperationsbegriffen, also in Lewis Sinne, versteht. Denn nur dann ist die Regel als Regel absolut setzbar, wenn davon ausgegangen wird, dass das primäre Ziel des Spracherwerbs die reibungslose sprachliche Kooperation mit den anderen Sprachbenützern ist. Hinter dieser scheinbaren Kooperationsfunktionalität liegt allerdings, wenn an dieser Stelle ein wenig vorgegriffen werden darf, ein wesentlich grundlegenderes Motiv, nämlich die rein biologisch zweckhafte Verhaltens- bzw. Handlungsanpassung, also eine Strategie des Handelns, die sich in ihrer Zweckhaftigkeit nicht von sonstigen Handlungsstrategien unterscheidet. Kein Kooperationsbegriff, der wiederum einen dritte-Person

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Begriff ist, kann objektiv das beschreiben, was sich auf erster-Person Ebene innerhalb von Praxen zu dem konstituiert, was wir Kooperation nennen. Unser Ziel ist also die endgültige Aufgabe der Annahme, Bedeutung zeichne sich allgemein dadurch aus, dass sie aufgrund einer Regel oder Konvention geteilt würde. Dies ist nur für einige Fälle von Bedeutung so. Die Bedeutung innerhalb der konventionalistischen Theorie, von Worten und (Satz-) Ausdrücken, ergibt sich aus (N) und seinen Determinanten in (S): X, Y und C. Dass (N) ein prinzipiell voluntativer Begriff ist, zeigt bereits an, dass nur hier, im Bereich der Normen, die Möglichkeit der willentlichen Veränderung bzw. der expressiven und rezeptiven Kreativität eröffnet wird, die sich etwa im poetischen Sprachgebrauch (bspw.: Metaphern) ausweist und aus einem dritte-Person Formalismus heraus betrachtet eine voluntative, graduelle Veränderung einer oder mehrerer Variablen von (N) bedeutet, durch welche der Ursprungsbereich der Norm mit Vertrauen auf die inferentiellen Fähigkeiten der anderen an der Praxis Beteiligten verlassen wird. Und dieses implizite Vertrauen, als Grundlage an sich, ist keine Konvention oder Maxime, sondern eine pragmatische, nicht-skeptische Bedingung für Kommunikationshandlungen. 2.3 Das Problem der Deutung oder: Was ist der Unterschied von regelgemäßem und regelmäßigem Handeln? Dass Searle die Sprechaktbedeutung eigentlich in dieser Bindung an die tatsächliche Praxis hätte begreifen müssen, also hinsichtlich von Personen, die Normen und nicht Regeln befolgen bzw. nicht befolgen, kann man auch folgendermaßen ausdrücken: Bedeutung (von Sprechakten) ist nicht gleich die Regel ihrer Anwendung, sondern die Annahme einer Regel und Anwendung dieser Regelvorstellung (Norm). Was heißt das? Die Bedeutung eines Sprechaktes erschließt sich, nach den oben geäußerten Thesen, aus der Regelvorstellung, welcher dieser Sprechakt unterliegt. Dies ist objektiv besehen also nur eine andere Formulierung der Regelform (S) auf Grundlage der Handlungsnorm (N). Sagt die Norm, dass man sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten muss, wenn man will, dass die Handlung als Variable X in ‚X gilt als Y in C‘ hinsichtlich der intendierten Variable Y interpretiert wird, dann heißt das, dass die Bedeutung einer Handlung sich vollständig über die Regel identifizieren lässt, nach der die Handlung als Handlung eines Typs, also gemäß der ihr zugrunde liegenden Intention, erkannt wird. Hier gibt es allerdings erneut ein Problem, das wir

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mit Wittgenstein formulieren können, denn dieser hat bekanntlich explizit die Frage gestellt, was es konsequentiell heißt, Sprache mit Bedeutung zu identifizieren und sie im oben genannten Sinne an einen konventionalisierten bzw. regelhaften Gebrauch zu binden. Im Übrigen: Der explizite Versuch aus Wittgensteins Schatten zu treten, den Searle in den Sprechakten ja immer mal wieder versucht und, wie wir gleich nachvollziehen werden, auch versuchen muss, kann nicht von Erfolg gekrönt sein, wenn man sich bewusst macht, wie nah Searle mit seinem Bedeutungsbegriff der folgenden Lesart von Wittgensteins Regel- und Bedeutungserörterungen steht.Wittgenstein schreibt in den Philosophischen Untersuchungen, man könne für „eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes >>Bedeutung>wie kann mich eine Regel lehren, was ich an dieser Stelle zu tun habe? Was immer ich tue, ist doch durch irgendeine Deutung mit der Regel zu vereinbaren.>Wie kann ich einer Regel folgen?>der Regel folgenprivatim< folgen, weil sonst der Regel zu folgen glauben dasselbe wäre, wie der Regel folgen.“ 64

Wenn die Bedeutung eines Ausdrucks, einer Sprachhandlung, wie Wittgenstein und Searle behaupten, durch die Regel seiner Anwendung konstituiert wird, so heißt das, dass es nur ein nicht-begründbares Deuten des regelmäßigen Verhaltens ist, eine erste-Person Praxis, die graduell individualrelative Bedeutung konstituiert. Allerdings legt dies nicht fest, inwiefern die Bedeutung vergangener Handlungen auch in zukünftigen Kontexten mit bestimmten Handlungen verbunden werden wird. Wir haben also nicht nur ein Problem der Deutung, sondern auch ein Problem der Unbestimmtheit in dieser Deutung, das darin besteht, dass diese Deutung keine definitive Bedeutungskorrelation zwischen Handlung und Kontext herzustellen in der Lage ist, was uns wieder zu dem Prinzip des ‚Trial-andError‘ Vorgehens und der in diesem involvierten Mechanismen des operanten Konditionierens zurückführt. Dieses Prinzip allerdings ist natürlich ein Zugeständnis an eine Praxistheorie der Bedeutungsformung, während die grundlegende Form der Bedeutung, die durch die Praxis geformt wird, vollständig individualrelativ funktionalistisch bleibt. Wie die Grundzüge der genannten Praxis aussehen könnten, die Bedeutungen instituieren und konstituieren kann, wird an späterer Stelle mit Hilfe von Robert Brandoms Programm einer normativen Pragmatik geschildert werden. Zunächst aber: Was bleibt von der searlesche Sprachkritik, die Sprachgebrauch als das Hervorbringen von regelgemäßen Akten beschreibt, die dank dieser Regel erst bedeutsam sind? Es bleibt die Einsicht, dass ein essentieller Bestandteil dieser Erklärung, die Regel und ihre Benützung, die sprecherseitig die intendierte Bedeutung konstituieren soll, nicht als das tragende Element ausgezeichnet 63 64

Wittgenstein 1975: § 217 Wittgenstein 1975: § 202

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werden kann, als welches es Searle auszuzeichnen wünscht. 65 Vielmehr scheint der Ort der Bedeutungskonstitution mitsamt der Regel in naturalistischen Begriffen nur als Teil einer Beschreibung der Gesamtpraxis von Individuen sinnvoll zu sein, die nicht mehr in dritte-Person Konstatierungen zu fassen ist, wie etwa der Beschreibung von Sprechakten. In dieser Neuformulierung muss dann auch das sprech-akttheoretische Problem der Verankerung des Sprachbegriffs als Handlungsbegriff in einer Gesamttheorie des Verhaltens angegangen werden. In der hier vorgeschlagenen Geschichte ist es also eine naturalistische Beschreibung der Grundzüge kommunikativen Verhaltens, so wie von Bühler gefordert, in der sich die hier geäußerte Kritik an Searle durch Wittgenstein wiederfinden muss, um sinnvoll erklären zu können, wie die Bedeutungen im handelnden Sprachgebrauch realisiert werden. Regeln allerdings dürfen hier nur im Sinne von individuell wirksamen Regelmäßigkeiten erklärt werden und Handeln nach Regeln nur als nicht letztbegründbares Deuten von subjektiv erkannten Verhaltensregelmäßigkeiten. Sprache ist im Sinne dieser vorgenommenen Einschränkungen allerdings nurmehr gänzlich als Verhalten bzw. Handlung beschreibbar, was durchaus als naturalistische Reduktion angesehen werden darf. Dass aus dieser Reduktion möglicherweise eine Abkehr vom tradierten Begriff der Sprache selbst erfolgen könnte, ist keine besonders fernliegende Intuition. 2.5 Das Problem der Analogiebildung oder: Wie kann von früheren Situationen auf zukünftige geschlossen werden? Nimmt man die Schlussfolgerungen, die hier mit Wittgenstein aus den genannten Unzulänglichkeiten der Sprechakttheorie searlescher Provenienz hinsichtlich eines grundlegenden, konventionalistischen Sprachbegriffs gezogen wurden, ernst, so stellt sich die Frage, wie Sprachgebrauch naturalistisch zu beschreiben ist, um den im letzten Abschnitt formulierten Bedingungen vollständig genügen zu können. Ebenso sollten wir uns die Frage stellen: Was ist Sprache als Gebrauch bzw. Handlung vor Konventionen und abseits von Regeln? Wie vollzieht sich der Übergang von nicht-regelmäßigem zu regelmäßigem Sprachhandeln. Doch zunächst soll gefragt werden: Was für zusätzliche Einschränkungen ergeben sich aus den bereits zugestandenen? Sprache als sprecher- und hörerrelativ bedeutsame, 65

Davidson 1990a sowie Chomsky 1981: 131 f.

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sprachliche Handlung begriffen, gewinnt ihre Semantik aus den Regeln ihrer Anwendung, wollten wir mit Searle sagen. Die genannten Regeln, verstanden als Handlungsnormen sind aber offenbar nichts als Deutungen von Regularitäten im Verhalten der an einer Praxis beteiligten Akteure, und auch dies nur aus einer noch zu hinterfragenden Dritten-PersonPerspektive. Der Begriff der Regel macht daher nur noch Sinn in einer Neubeschreibung als kontingente, nicht letztbegründbare Handlungsnorm bzw. deren erste-Person Korrelaten. In einer naturalistischen Beschreibung kann man mit Blick auf diese Korrelate allerdings noch einen Schritt weiter gehen und ausgehend von David Lewis regularistischem Konventionsbegriff 66 die Ausdeutung der Regularität und die Applikation der aus ihr abgeleiteten Norm auf das je eigene zukünftige sprachliche Handeln in Frage stellen, da sich jedes erneute Handeln unweigerlich von früheren Situationen unterscheidet. Und das vor allem hinsichtlich der SprecherHörer-Differenz, die sich nicht nur durch ihre raumzeitliche Verfasstheit, sondern auch durch die permanente Veränderlichkeit beispielsweise der emotionalen Verfasstheit der Akteure und anderer, in diesem Zusammenhang phänomenologisch zu beschreibenden, Individualdispositionen auszeichnet, so dass die Deutung vergangener Situationen nicht einmal mehr eine Deutung gleicher Situationen sein kann, sondern nur ein Deuten von Erfahrungen, die durch eine bestimmte Analogie, die für die Findung von (N) relevant ist, aufeinander angewandt werden können. Das Deuten einer Verhaltensregularität ist also noch viel mehr das ‚blind einer Regel folgen‘ Wittgensteins als bisher angenommen. Denn nicht nur die Regel als solche ist nur eine Regularität und das Regelfolgen eine Praxis zu der man ‚abgerichtet‘ ist, sondern es ist im deutenden Regularitätsfolgen, verstanden als teil-mimetischem Akt, das Befolgen von subjektiven Regularitäten, die erst durch individualrelative Analogiebildung als Regularität Anwendung finden können. Die Regularität selbst ist hochgradig perspektivisch. Und dass nicht die Regularitäten der Dritten-Person-Perspektive des Forschers das Handeln anleiten, sondern diese individuellen Regularitäten bedarf nun wohl keiner weiteren Erörterung mehr. Die hochgradige Perspektivität der Regularitäten und das Problem der ebenso 66

Lewis, David Kellog (1969): Konventionen. Walter de Gruyter. Berlin 1975. S.38 und Ders. (1968): Language and Languages in: Ders. (1983): Philosophical Papers Vol. I. Oxford University Press. Oxford / New York 1983. S. 163-188

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individuell erfolgenden Analogieschlüsse ist hier nichts anderes als eine spezielle theoretische Formulierung des sprachlichen Relativitätsprinzips, insofern, als es die individuellen Regularitäten und Analogien divergierender kultureller Gruppen vor dem Hintergrund praxisrelativer Bedeutungskonstitution zwangsläufig auch zu Repräsentationsunterschieden führen müssen, die sich allerdings nicht auf rein perzeptuelle Kategorien erstrecken, was ja auch ausführlich nachgewiesen worden ist.67 Das heißt, es handelt sich hier um ein weiteres Argument, welches als Derivat des Regelregresses gegen nicht-psychologisierende Regel-, Normund letztlich Sprachbeschreibungen gerichtet ist. Das Erste war die Ablehnung eines Regelbegriffes, im Speziellen des searleschen, zugunsten eines Normbegriffes. Das zweite Argument ist das explanatorische Argument der Regelmäßigkeit gegenüber der Regelhaftigkeit. Das dritte Argument ist das typische Argument des Regresses, also der unmöglichen Letztbegründbarkeit in der Applizierung einer Regelform bzw. einer Norm, so dass es sich hier also immer nur um ein subjektives Deuten handelt. Das Letzte nun, um das es hier geht, ist das Argument, welches die vergangenen Verhaltensweisen als individuell erschlossene Regularitäten begreift und eine Unterbestimmtheit dieser Regularitäten annimmt, so dass es sich nicht um formal gleiche Ereignisse in der Vergangenheit handeln kann, sondern nur um wiederum subjektive Analogieschlüsse, statt tatsächlicher dritte-Person Regularitäten. Eine Regularität ist demnach eine Regularität, weil man sie dafür hält. Die Frage wie sich Verhaltensweisen sedimentieren, also zu konventionellem Handeln werden, ist dann eine Frage danach, welche wahrgenommenen und erinnerten Merkmale Handlungen von Sprechern und Hörern als relevant in den betreffenden Analogieschluss zur Regularität übernommen werden. Das Problem des Analogieschlusses muss also ohne Konvention und Regeln beantwortet werden, denn die Beschreibung dieser Regularitäten geht erst aus diesem Schließen hervor. Dass eine so angelegte Argumentationsstrategie biologisch-funktionalistische Erklärungen nach sich zieht, liegt nahe, wenn 67

initial natürlich durch Rosch, unter anderen in: Rosch, Eleanor; Mervis, Carolyn (1981): Categorization of Natural Objects in: Annual Reviews of Psychology 32. 1981. S. 89-113 sowie Rosch, Eleanor (1977): Human Categorization in: Neil Warren (Hrsg.) (1977): Advances in Cross-cultural Psychology. London Academic Press. London 1977 und Dies. (1975): Cognitive Representation of Semantic Categories. Journal of Experimental Psychology 104/3. 1975. S. 192-233

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man den Analogieschluss mit der Funktionalität desselben für das Analogien bildende Individuum erklärt, dem survival-value von Begriffen bzw. Bedeutung, wie Wilfrid Sellars es ausdrückt, dem Mehrwert der jeweils geschlossenen Analogie bzw. des inferentiellen Gedankens oder Urteils. Naturalistisch zu argumentieren heißt an dieser Stelle, dass die Notwendigkeit zu diesen Analogieschlüssen und auch sonst allen Ressourcen, die ein natürliches Individuum besitzen muss, um auf Grundlage dieser zu agieren, wiederum auf Grundlage der natürlichen Handlungstendenzen natürlicher Wesen erklärt werden, i. e., hinsichtlich ihrer Möglichkeiten maximal individualfunktional zu agieren bzw. zu repräsentieren. Das naturalistische Konzept von Sprachgebrauch, welches wir vorschlagen wollen, muss also berücksichtigen, dass der Begriff der Regularität nur aus einer psychologischen und möglicherweise auch phänomenologischen Beschreibung heraus begriffen werden kann, die in diesen Beschreibungen den Bedingungen Rechnung trägt, denen biologische Systeme allgemein unterliegen. Es muss klar sein, dass der Begriff der Regularität selbst ein psychologischer ist und kein deskriptiver, wenn wir Sprache unter den vorgenommenen Einschränkungen zu erklären wünschen. Auch wenn es selbstverständlich nicht bezweifelt wird, dass Konventionen beim sprachlichen Handeln eine wichtige Rolle spielen, so sind sie dennoch keine grundlegende Struktur des Sprachgebrauchs, sondern eine mehr oder wenige artifizielle, eine Spätform des Handelns auf onto- wie phylogenetischer Ebene, die den Unterschied zwischen Erste-Person- und DrittePerson-Perspektive nicht hinreichend reflektiert. Und genau darauf will auch Donald Davidson hinweisen, wenn er schreibt: „Was dem Interpreten und dem Sprecher insoweit, als die Kommunikation gelingt, gemeinsam ist, ist nichts Gelerntes und daher keine Sprache, die von Regeln und Konventionen bestimmt ist, die dem Sprecher und dem Interpreten im Voraus bekannt sind“ 68

Das, was den sprachlich Handelnden gemeinsam ist, ist nicht eine Regel und die Kompetenz oder Fähigkeit diese anzuwenden, sondern deren Interpretationsfähigkeit, die darin besteht, situationsrelevante Analogien aus erinnerten Erfahrungen herzustellen (unwillkürlich wie willkürlich), 68

Davidson, Donald (1986): Eine hübsche Unordnung von Epitaphen in: Mike Sandbothe (2005) (Hrsg.): Donald Davidson, Richard Rorty: Wozu Wahrheit? Suhrkamp. Frankfurt a. M. 2005. S. 137

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also einem Verhalten, das allein auf Grundlage der kognitiven Ökonomie bzw. den natürlichen Bedingungen erklärbar ist, denen bestimmte natürliche Wesen unterliegen, und die erst den Gegenstand der Beschreibung ex post facto der sedimentierten Regularitäten einer Praxis bilden, den Konventionen der Linguistik. An diesem Unterschied zwischen den verstellenden Termini Konvention bzw. Regel müssen wir ansetzten und fragen, was von unserer dritte-Person Beschreibung innerhalb einer ersten-Person Praxis überhaupt Korrelative besitzt. In diesen interpretativen, Analogien bildenden Vorgängen findet sich im Übrigen auch der Grund für die ungeheure Flexibilität von Sprachbenutzern und Interpreten im Finden neuer Bedeutungszusammenhänge. Denn das Analogiebilden ist mitunter eben ein Vorgang, der in all seiner Subjektgebundenheit prinzipiell offen und durchaus auch voluntativ sein kann, ohne in Bezug auf irgendwelche Regeln gleich falsch hinsichtlich irgendwelcher Hintergrundhypothesen der Bedeutungskonstitution sein zu müssen (uneigentlicher und poetischer Sprachgebrauch). Die natürlichen Dispositionen von Sprecher und Hörer, die zu sprachlichem Handeln befähigen, sind nicht im Folgen von Regeln und Konventionen auffindbar, so wie die Möglichkeit der Kommunikation nicht im Sinne einer Kompetenz zu erklären ist, sondern im Sinne einer Verhaltensstrategie, die innerhalb einer Praxis erworben wurde, ebenso wie auch andere Verhaltensstrategien eines Individuums im Umgang mit der Welt, in welcher sich ein solches Wesen befindet. 2.6 Von der Ablehnung des Konventionalismus zur Bestimmung von Bedeutung Eines muss also im weiteren Verlauf der Argumentation deutlich werden, wenn wir die Probleme des Konventionalismus, wie wir sie exemplarisch in der Sprechakttheorie vorfinden, umgehen wollen: Das Verhalten, das wir als Sprachhandeln beschreiben, beruht nicht auf einer internalisierten Regel, sondern einer Strategie die anderen Strategien des sich in der Welt Zurechtfindens, wie Davidson es ausdrückt, wesentlich gleicht. Diese Strategie ist zwar bei uns allen ähnlich (warum dem so ist, werden wir noch versuchen zu erklären), kann aber partiell voluntativ und möglicherweise auch nahezu gänzlich, dann allerdings auf pathologischer Grundlage, verändert sein bzw. verändert werden. Handlungen, auch sprachliche, sind sowohl inhaltlich als auch formal bzw. strukturell aus den Bedingungen abzuleiten, denen natürliche Wesen onto-

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wie phylogenetisch unterliegen und nur dann als einander ähnlich beschreibbar, wenn ein ähnliches praxisrelatives Bezugsnetz und ein grundlegend gleichförmiges Bewusstsein in diesen Wesen existiert. Sprachverstehen wird unserer Geschichte nach zu einem Erkennen eines Dinges in der Welt unter anderen Dingen. Es wird zum Verstehen 69 eines Sprachprodukts, einem Resultat des sprachlichen Handelns, zu dessen Verstehen, wie zum Erkennen jener anderen Dinge in ihrer Bedeutsamkeit eine Strategie erforderlich ist, die sich primär an der Funktionalität, also dem Nutzen bzw. dem survival-value einer Handlung bzw. einer Sprachhandlung für das verstehende, erinnernde und vorstellende Individuum orientiert. Diese Strategie ist dabei weder eine Norm noch eine Regel, sondern eine individualfunktionale Art und Weise sich und die Dinge in der Welt zu repräsentieren. Bei den Prozessen, die zur Hervorbringung von Sprachhandlungen und Sprachprodukten führen, handelt es sich vorerst immer um individualpsychologische Vorgänge, die abgesehen von sensomotorischen und mithin biologischen Merkmalen des natürlichen Systems entscheidend von der ontogenetischen Entwicklung dieses Systems abhängen. Das ist eine der Bedingungen für die Möglichkeit der Arbitrarität sprachlicher Zeichen und aller Formen sprachlicher Kreativität. Dieser Ausgangspunkt ist weitestgehend in Übereinstimmung mit Chomskys Analytik des sprachlichen Wissens formulierbar, ohne dabei dem Intellektualismus beizugeben. 70 Wir werden versuchen diesen Zusammenhang im Zuge einer Erklärung der Repräsentationsfähigkeiten natürlicher Wesen intelligibel werden zu lassen. Indem wir Sprache in dieser Erklärung komplett auf die erstePerson Ebene herunterbrechen, behaupten wir, dass die Grundlage der Sprache in einem Wechselspiel natürlicher Fähigkeiten und Tendenzen zu suchen ist, die die Begriffe Konvention, Regel und Kompetenz nicht mehr als explanatorisches Vokabular voraussetzen, wie auch Sprache selbst nurmehr ein unnötig unpräziser Term ist, wenn das Geflecht von Einzelphänomenen, welches um das Zentrum der aus Erste-Person-Perspektiven

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Innerhalb dieser Erörterung wird im Gegensatz zum sonst üblichen Ausdruck der Interpretation der Ausdruck Verstehen bevorzugt, da dieser, anders als Interpretation, nicht notwendigerweise einen bewussten Akt impliziert. 70 zum Beispiel: Chomsky, Noam (1988): Probleme sprachlichen Wissens. Beltz Athenäum. Weinheim 1996. S. 35f.

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bestehenden Praxis oszilliert, in seiner grundlegenden Heterogenität deutlich geworden ist. Davidson bemerkt hierzu: „Doch wenn wir das behaupten, sollten wir nicht verkennen, dass wir nicht bloß den üblichen Sprachbegriff fallenlassen, sondern darüber hinaus die Grenze beseitigt haben zwischen dem Eine-Sprache-Können und dem Sichauskennen in der Welt insgesamt.“ 71

Und auf eben diese Konklusion läuft die Ablehnung des (Handlungs-) Konventionalismus, der Werkzeugmetapher und der strukturalistischsemiotischen Position hinaus. Wie diese Strategie aussieht, ist, wie bereits erwähnt, in psychologischen Begriffen auszubuchstabieren. Es heißt nicht, dass Bedeutung innerhalb eines naturalistischen Sprach- und Kommunikationskonzeptes keinen Platz hätte. Es heißt, dass Bedeutung eine rein psychologische Entität wird, die individualbiologisch funktional zu beschreiben ist. Als psychologisches Faktum wird Bedeutung hinsichtlich dieser Strategie mit der Welt umzugehen zu erklären sein, zwangsläufig also im weiten Rahmen der kognitiven und behavioralen Ökonomie natürlicher Wesen. Hier schließt sich der Kreis hinsichtlich der Zeichentheorie von Peirce und den Grundannahmen des elaborierten Pragmatismus, dessen Bedeutungstheorie genau diesen cash-value 72 von Konzepten für das Individuum herausstreicht und somit einen ersten Schritt hin zu einer Sprachtheorie macht, die diese individualfunktionalen Aspekte von Bedeutung innerhalb einer Gesamterklärung von Sprache als explanatorisch privilegiert betrachtet.Wenn man sich also vor Augen führt, dass das verbalisierte, wie das geschriebene Zeichen in seiner Zeichenhaftigkeit, i. e. Bedeutung, nur im Sprecher bzw. Hörer existiert, ist das kein Verlust, sondern nur eine endgültige Anerkennung der oft ungern ausgesprochenen Tatsache, dass Bedeutung eine psychologische und keine lexikalische Größe darstellt, was wiederum heißt, dass nicht die Lexikologen den Psychologen etwas von einem mentalen Lexikon erzählen sollten, sondern die Psychologen den Lexikologen von der tatsächlichen Bedeutung außerhalb der Wörterbuchsemantik.Ungern zugestanden ist dies natürlich auch deshalb, weil durch die Psychologisierung der Bedeutung auch Perspektivismus und Relativismus zwangsläufig ihren Weg in die 71 72

Davidson 2005: 138 Ein Ausdruck, den William James prägte, u. a. in: William James (1907): Pragmatism: A New Name for Some Old Ways of Thinking / The Meaning of Truth: A Sequel to Pragmatism. Harvard University Press. Cambridge 2000. S.42

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Diskussion finden. Ein Umstand, der konkrete Semantiken zu einer Provinz der Sprachwandelsforschung degradiert. Auch für philosophische Bedeutungstheorien klassisch wahrheitskonditionaler bzw. referenzorientierter Provenienz ist das natürlich schwer zu akzeptieren, liegen hier doch oft gleichsam ganze Erkenntnistheorien unter dem philosophischen Seziermesser. Die Weiterentwicklungen pragmatistischer Wahrheitstheorien sind hier bekanntlich diejenigen, die am integrativsten mit einem konsequenten Bedeutungsrelativismus umzugehen wissen. Dabei gilt es letztlich eigentlich nur, den Unterschied der Beschreibungsebenen im Auge zu behalten, wenn wir von wissenschaftlichen Begriffen und deren Bedeutung reden und von diesen klar zu unterscheiden, die Bedeutung, die natürliche Wesen in Form von Repräsentationen besitzen, und mit Repräsentationen sind hier nicht lexikalische gemeint, sondern schlich momentane und erinnerte Darstellung der Welt für ein bestimmtes Individuum. Unser Vorschlag lautet, dass wir uns in der Frage danach, was Bedeutung ist, nicht durch die meisten der bisherigen Versuche verwirren lassen sollten, die von der Untersuchung von Wahrheit oder Referenz, Kompositionalität, Konventionalität, kognitiven Prinzipien oder dergleichen mehr ausgehen und dabei eine Diskussionsgeschichte geschaffen haben, die ebenso vielschichtig und detailliert wie ergebnislos anmutet, wenn es darum geht, eine konsensualistische Grundlage des Sprachbegriffs zu formulieren. Vielfach gewinnt man den Eindruck als würden die betreffenden Ansätze Bedeutung von innen heraus in Blick zu bekommen versuchen, gleichsam, als würde man versuchen, einen Wald als Ganzes zu beschreiben, obschon man in der Mitte desselben steht. Auf diese Weise aber sieht man sprichwörtlich den Wald vor lauter Bäumen nicht. Unsere Beschreibung dessen, was Bedeutung und somit auch wesentlich, wenn auch nicht gänzlich, Sprache zu sein scheint, wollen wir daher aus einer Perspektive leisten, die den Wald als Ganzes in seinem natürlichen Umfeld und in der Abhängigkeit von seiner Umgebung beschreibt. Diese Perspektive auf Bedeutung ist die Perspektive auf den Bedeutung Habenden und den Bedingungen denen dieses Wesen, und damit auch die Bedeutungen, die dieses Wesen haben kann, unterliegen. In diesem Sinne ist Bedeutung nur in einem und durch ein repräsentierendes Wesen. Eine solch konsequent psychologische Verortung der Bedeutung ist, um auf unsere Sprachbegriffsfrage zurückzukommen, zugleich auch das Zugeständnis, dass es stets mindestens zwei Bedeutungserklärungen geben muss. Nämlich die

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Sprecherbedeutung und die Hörerbedeutung, die nur noch den Namen und ihren Begegnungsort, das sprachliche Verhalten in einer Praxis und dessen Resultate gemein haben. Da wir uns in den bisherigen Darstellungen hauptsächlich auf der Sprecherseite bewegt haben, also dem Ort des Sprachhandelns, im mehr oder weniger tradierten Sinne, können wir noch keine Aussagen über den Charakter des tatsächlichen erste-Person Verstehens machen, das über die oben angesprochenen Merkmale hinausgeht. Allerdings ist die Relevanztheorie nach Sperber und Wilson als psychologische Erklärung des Verstehens offensichtlich der schwergewichtigste Kandidat für eine solche integrative Erklärung desselben. Die Frage, wie diese Konnektion aussieht, wird das fünfte Kapitel beantworten. Jedenfalls ist Sprachhandeln immer erst der zweite Schritt in jeder Geschichte über Sprache, denn diesem liegt nicht nur ontogenetisch, sondern auch situationsgebunden immer ein Handlungsverstehen zugrunde, dass sich, wie wir vorgeschlagen hatten, in einer Art individualfunktionalem Analogieschluss vollzieht und in seiner Vorgängigkeit zum Sprachhandeln mit den beschriebenen Strategien des Handelns in Verbindung stehen muss. 73 Denn Sprachhandeln ist natürlich nur dann Sprachhandeln, wenn es vom Handelnden auch als solches verstehbar ist, 74 woraus folgt, dass die benötigte Theorie der Praxis des Sprachgebrauchs, als Teil einer Theorie des Gesamtverhaltens von Individuen, eine Theorie zu sein scheint, die Sprachgebrauch viel mehr als eine Praxis des making the rules up as we go along beschreibt. 75 Es ist kein starres Produzieren nach Regeln und Erkennen von regelgemäß Gesprochenem, das Sprache als Handlung charakterisiert, sondern vielmehr ein Orientieren an Regularitäten, was somit dem erwähnten ‚Trial-and-Error‘ Vorgehen in der Normfindung viel mehr entspricht als der Anwendung einer Regel. Oder wie Ruth Millikan es formuliert (Millikan ist für die Entwicklung eines 73

Eine intuitiv naheliegender Schluss in Richtung Luhmann: Sprachliches Handeln ist immer Anschlusskommunikation und jedes sprachliche Handeln daher prinzipiell anschlussfähig 74 Dass es hier die Verstehbarkeit und keine Intention ist, die auf Seiten des Agens eine Sprachhandlung als Sprachhandlung auszeichnet, obgleich auch den meisten Sprachhandlungen eine Intention zugrunde liegt, wird in Kapitel 5 und 7 damit erklärt werden, dass keine Handlung ohne Verstehen entstehen kann. Handeln ist immer Resultat eines Verstehensprozesses, während das für Verhalten natürliche nicht gilt. 75 Wittgenstein 1975: § 83

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Sprachansatzes bekannt, der dem hier formulierten naturalistischen Rahmen sehr nahe steht und mit welchem wir uns auch in Kürze auseinandersetzen werden): „Conventionality is merely a matter of the likelihood of persons saying and understanding linguistic forms in certain ways had they not experienced their being used in those ways before.” 76

Was bleibt vom Diktum, dass die Bedeutung durch Angabe ihrer Gebrauchsregeln vollständig bestimmt wird, so wie es im Übrigen ja schon Morris formulierte? 77 Ganz offenbar nicht einmal mehr ein sinnvoller Sprachbegriff, vermutlich kein Kompetenzbegriff, aber ganz sicher kein begründender Regel- oder Konventionsbegriff. Nur eine bestimmte Art von Verhalten bzw. Handeln und eine bestimmte Art von Strategie dieses Verhalten zu interpretieren. Wenn man dann noch von einer Sprache sprechen will, so macht es zumindest keinen Sinn mehr, hält man die bisher geschilderten Einwände für schlüssig, von der Existenz einer Sprache zu sprechen, gemeint als Kompetenz, Regelsystem oder Zeichensystem, unabhängig vom Handlungsvollzug. Und dies heißt, dass Chomsky und Davidson 78 mit ihrem Einwand gegen die explanatorische Rolle normativistischer Regelbegriffe in Spracherklärungen recht behalten. Es heißt allerdings nicht, um noch einmal die Fahrtrichtung anzudeuten, dass dies notwendig eine nativistische Erklärung von Sprache (I-language, Kompetenz, UG) erfordert. Es heißt vielmehr, dass eine Erklärung von Sprache stets im Rahmen eines Performanzmodells sinnvoll gemacht werden muss. Und es heißt ebenfalls, dass es keine stetige Form und keine vom Individuum bzw. der Praxis losgelöste reine Sprache geben kann. Es gibt demnach einfach keinen Phänomenbereich Sprache, der sich nicht vollständig in psychologische und verhaltenstheoretische Begriffe zergliedern ließe und von dem daher etwas übrig bliebe wie eine reine Sprache. Konsequenzen, auf die beispielsweise Sybille Krämer hierzulande unlängst hingewiesen hat 79 und die den Gemeinplatz unterstützen, dass es 76

Millikan, Ruth Garrett (2005): Semantics/Pragmatics: Purposes and Cross Purposes in: Dies. (2005): Language: A Biological Model. Oxford University Press. Oxford 2010. S. 192 77 Morris 1988: 74 78 zum Beispiel: Chomsky 1981: 131 ff. und Ders. 2000: 98 bzw. die bereits erwähnten Passagen in: Davidson 2005 und Ders. 1990a 79 Krämer 2001: 270

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sich bei Sprache um nur eine kulturelle Technik handelt, die, und das ist bisher wenig deutlich ausgesprochen, keinen klar umgrenzten Bereich innerhalb dieser Kultur einnimmt, so dass es durchaus zurecht heißt, alle Kultur ist Sprache, denn dies heißt ja nur alle Sprache ist ein Sich-in-derWelt-Zurechtfinden. Dass uns der Sprachbegriff abhanden kommen sollte, wird natürlich erst gegen Ende unserer Ausführungen vollkommen einsichtig werden. Die Implikationen, die sich hieraus für das Selbstverständnis derjenigen sprachwissenschaftlichen Disziplinen ergeben, die für gewöhnlich mit atomistischen Sprachbegriffen arbeiten, sind sicherlich nicht ganz uninteressant, allerdings, wohl bedacht, sinnvollerweise nicht Teil dieser Erörterung. Was unseren Sprachbegriff angeht, so sollte man, wie Krämer vorschlägt, zunächst einmal die Redeweise über den undeutlichen Wust an Phänomenen, den wir gemeinhin als Sprache bezeichnen, ändern. Und auch wenn Krämer auf anderem Wege und unter anderen Vorzeichen zu diesem Schluss kommt, so wird dieser hier doch geteilt, mit dem Zusatz, dass dies innerhalb eines psychologisch geprägten Verhaltensnaturalismus geschehen muss, der zunächst erklärt, welche Phänomene es im Einzelnen sind, die den unklaren Begriff Sprache zu Recht oder Unrecht mit Bedeutung anreichern. Zumindest hinsichtlich der Regel- und Konventionsbegriffe sowie dem des Zeichen- und dem engen Werkzeugbegriff haben wir bereits Probleme geschildert, die Vorbehalte hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zur Begriffsgrundlage wecken sollten.Um diesen Abschnitt zu beenden, in dem wir hauptsächlich Bedingungen für unser naturalistisches Konzept von Sprache aus allgemein akzeptierten Theorien des allgemein sprachwissenschaftlichen Diskurses ableiteten, fassen wir noch einmal die bisherige Ausführung in unserem Sinne zusammen: Unser Ausgangspunkt bestand darin zu fragen, was Sprache eigentlich ist. Wir fragten fürderhin, was dieser Sprachbegriff für einen Gegenstandsbereich für eine Sprachwissenschaft eröffnet und wie die Frage nach der Sprache über das vergangene Jahrhundert hinweg von einigen paradigmenschaffenden Theorien behandelt wurde. Zudem wurde auseinandergesetzt, wie diese Frage nach der Sprache gleichsam als ein Kernproblem der Sprachwissenschaft verstanden werden kann, so man sich denn zugibt, dass diese bisher keineswegs einer grundlegend eindeutigen Beantwortung zugeführt wurde. Bereits Saussure hatte eingestanden, dass sich der Gegenstand erst in der Betrachtung ergebe und ‚Sprache‘ wissenschaftlicher Erkenntnis nur perspektivisch zugänglich sei. Die Sprache an und für sich gab es auch für ihn nicht. Zumindest in Richtung dieses Schlusses

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führte uns auch die Argumentation, die bis hier verfolgt wurde, doch unter gänzlich anderen Vorzeichen als jenen, unter denen Saussure diesen Schluss vollzog. Die Beantwortung der Frage, die als Einleitung in unsere kurze Geschichte dessen diente, was man unter anderem in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung für Sprache hält, ist zu einem Punkt gelangt, an dem Sprache nicht mehr im Sinne der saussureschen Perspektive verstanden werden kann, soviel sollte klar sein. Die Sprache ist eben keine, feste Struktur, im Sinne seiner langue, die man zweifels- und widerspruchsfrei zur Darstellung bringen kann. Vielmehr ist es eine, eben nicht von der parole zu trennende, sondern vielmehr nur in ihr aufzuweisende Form von strategischem Verhalten, dessen Grundlage keine bestimmte Regel oder auch Kompetenz ist, kein bestimmtes Modul, sondern einfach eine nicht ausschließlich für ‚Sprache‘ vorhandene Fähigkeit unter anderen solchen allgemeinen Fähigkeiten, die es uns ermöglicht, uns in der Welt zurechtzufinden und in diesem Sinne nichts anderes als adaptives Verhalten bzw. Handeln. Wenn man Sprache als all das bestimmt, was wir bisher ausschließend formuliert haben, ist es dann vorteilhaft den Begriff Sprache, so wie es Davidson vorschlägt, fallenzulassen? Wir haben unsere Antwort bereits vorweggenommen. Und wenn man ihn fallen ließe, was bliebe übrig? Die Antwort hierauf hängt unmittelbar damit zusammen, so glauben wir, dass deutlich ist, dass der hier vorgeschlagene Sprachreduktionismus klar vom Profanbehaviorismus zu unterscheiden ist, dessen fälschlich verstandene Beschränkungen in der Untersuchung von (sprachlichem) Wissen hier gänzlich fehl am Platz sind. Um es kurz zu halten: Es geht hier eben nicht um eine Reduzierung auf das Beobachtbare, auch wenn dies natürlich unverzichtbar ist, sondern ganz im Gegenteil, wie die Auseinandersetzung mit Searle gezeigt haben sollte, um eine methodologische, naturalistische Reduktion, die der Reflexion der ersten-Person Faktizität einen prominenten explanatorischen Platz einräumt, anstatt diese aus der Rechnung zu streichen. Wenn dies in der jeweiligen Einzelanalyse wie Behaviorismus klingen mag, dann liegt dies allein daran, dass unser naturalistischer Rahmen sich Annahmen mit behavioristisch geprägten Erklärungen, vor allem hinsichtlich der funktionalistischen Konstitution von Verhalten und Handlungen natürlicher Wesen, teilt und ein explizites Bewusstsein der Zwangsläufigkeit der Dritten-Person-Perspektive wissenschaftlicher Beschreibung zugrunde legt. Andererseits wird hier explizit kein Programm eines methodologischen Naturalismus verfolgt, wie es Chomsky vorschlägt, welches seine frei stipulierten, nativistischen und materialistischen

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Annahmen hinsichtlich des sprachlichen Wissens und Fähigkeiten kaum problematisiert (damit sind unseres Erachtens die Vorschläge zur generativen Grammatik wenig bis gar nicht betroffen, sondern das, was bekanntermaßen Universalgrammatik heißt, da die computationalen Erklärungen der generativen Grammatik nicht zwangsläufig mit einer materialistischen bzw. naturalistischen Position in Verbindung gebracht werden müssen, obschon dies bei Chomsky natürlich dennoch geschieht). 80 Es steht hier also keine Ablehnung dessen zur Debatte, das nicht der unmittelbaren Beschreibung zugänglich ist, respektive ‚das Kognitive‘ und auch kein Zugeständnis an nativistischen Positionen oder unbegründeten materialistischen Behauptungen. Ganz im Gegenteil. Tatsächlich, um etwas vorzugreifen, wird hier einer externalistischen Sprachauffassung das Wort geredet, die zwar naturalistisch im eingangs beschriebenen Sinne verfährt, aber eben nicht auf explanatorisch fragwürdige Singularitätsannahmen oder frei spekulierende materialistische Aussagen zurückgreift. Unsere Erklärung wird innerhalb dieser Einschränkungen nun zunächst über einen sprachtheoretischen Externalismus den Zugang zum Bereich des physikalisch Beschreibbaren an Sprache suchen. Dieser Position wird allerdings sogleich entgegengestellt werden, dass Sprache dieser materialistischen Position nach, die in einer physikalischen Prädisposition besteht, die sich im Medienbegriff spiegelt, wenig über Sprache erklären helfen kann. Das Kognitive, nicht aber das Neuronale an Sprache wird hierbei in Dependenzverhältnissen zu den externen Bedingungen begriffen, denen bedeutungsfähige Wesen unterliegen. Es soll eine Abgrenzung vorgenommen werden, die es ermöglicht, nach der natürlichen Seite von Sprache zu fragen, anstatt aus methodischen Zwängen, die die jeweilige Disziplin immer schon auferlegt, die Form der möglichen richtigen Antwort bereits eingeschränkt zu haben. Es soll eine naturalistische Perspektive entfaltet werden, die sich an den Prinzipien des Verhaltens und der Beschaffenheit natürlicher Wesen orientiert, also Extrapolationen der regelmäßigen Verhaltensweisen biologischer Wesen sowie einer empiristisch-naturalistischen Geschichte zur Entstehung der psychologischen Voraussetzungen sprachlich handelnder Wesen. Kurzum, Sprache soll in einem Kontext dargestellt werden, der sprachfähige Wesen 80

Chomsky, Noam (2000): New Horizons in the Study of Language and Mind. Cambridge University Press. Cambridge 2000

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zweifelsfrei als das auszeichnet, was sie sind: natürliche, biologische Wesen, deren Sprachproduktion nichts ist als eine bestimmte Strategie des Handelns im Allgemeinen. Der Sprachbegriff, der, wie Krämer sie nennt, intellektualistischen Sprachkonzeptionisten wird dabei aus verschiedenen Gründen abgelehnt, was allerdings eine natürliche, genetische Fixierung biologischer Grundlagen für Sprachfähigkeiten in der weiterführenden Erklärung nicht ausschließt. Wie könnte man das auch? Denn, unwidersprochen, muss es genetische Bedingungen, also eine biologische Grundlage, von Sprachfähigkeiten geben. Dass am Ende unserer Erörterung ‚Sprache‘ als Terminus nur noch der Tradition halber genutzt wird, ergibt sich aus der Abkehr vom Konventionalismus der dritten-Person Wissenschaft und des spekulativen Nativismus zugunsten einer Argumentation entlang von Theorien der evolutionären Anthropologie bzw. einer Reflexion der erstenPerson Mechanismen der Interaktion bewusstseinsfähiger Wesen. Der grobe Vorschlag zu einer naturalistischen und perspektivensensiblen, allgemeinen Sprachbeschreibung wird den Terminus Sprache nur noch zu Übergangszwecken benutzen, i. e., um ihn in Folge unserer Erörterung nurmehr als Residuum der tradierten, starren Beschreibungen aufzufassen, die von ‚Sprache‘ reden. Dass der Begriff der Sprache im tradierten Sinne unhaltbar ist und auch in der wissenschaftlichen Diskussion abseits des Medienbegriffes entbehrlich ist, teilen wir im Übrigen mit Chomsky, der sehr genau erkennt, dass „der Begriff Sprache selbst nur abgeleitet und relativ unwichtig ist. Wir könnten sogar auf ihn verzichten, ohne viel zu verlieren.“ 81

Und um Davidson noch einmal das Wort zu geben: „Die Vorstellung, es gebe eine klar umrissene gemeinsame Struktur, die sich die Sprachbenützer zu eigen machen und dann auf Einzelfälle anwenden, müssen wir aufgeben. Außerdem sollten wir einen neuen Versuch machen, anzugeben, wie Konventionen in irgendeinem wichtigen Sinne in die Sprache hineinspielen; oder wir sollten, wie ich meine, den Versuch einstellen, Licht in unsere Kommunikationsweisen zu bringen, indem wir uns auf Konventionen berufen.“ 82

Zwei Begriffe die Davidson hier gebraucht, sollen sinnvollerweise gleich den Ausgangs- wie auch Fortsetzungspunkt unserer Auseinandersetzung

81 82

Chomsky 1981: 129, aber auch S. 219 f. Davidson 2005: 139

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bilden, der Suche nach der Grundlage eines maximal allgemeinen Sprachbegriffs. Zunächst zum Begriff des Sprachbenützers, den Davidson hier mitführt: Dieser Begriff impliziert für gewöhnlich, dass es etwas gibt, was benutzt wird. Und wenn es nicht unsere Kompetenz ist, die wir zur Anwendung bringen, was ist dann hier mit Sprache gemeint? Es ist das Medium der Sprache bzw. das durch eine Sprachhandlung Produzierte. Die nächste Frage, die uns entlang unserer Reflexionen über Sprache beschäftigen wird, ist also die Auffassung, Sprache sei ein Medium. Der zweite Begriff, der uns im obigen Davidsonzitat interessant ist und der Beachtung lohnt, ist der der Kommunikationsweisen. Wenn man den Sprachbegriff, im tradierten wissenschaftlichen Sinne aufgefasst, fallen lässt, kann man dann alles, was Sprache hieß, in einem Kommunikationsbegriff vollständig auflösen? Können wir den Begriff beispielsweise zugunsten des Begriffs der Kommunikation aufgeben? Mit dieser Frage hängt unmittelbar das zusammen, was bisher in unserer Geschichte viel zu kurz kam, nämlich der offenkundige Umstand, dass es, nicht nur in den hier angeführten Ansätzen, einen Hang gibt, Sprache primär als etwas zu verstehen, das in der Genese existiert. Und auch wir haben uns bis hier weitestgehend nur den Sprachhandlungen zugewandt, das heißt, der Genese von sogenannter Sprache. So ist der hinlänglich bekannte Satz von Humboldt zu den unendlichen Variationsmöglichkeiten der Genese aus der Endlichkeit der Mittel 83 scheinbar bis heute richtungsweisend, wenn es darum geht, Sprache allgemein zu beschreiben, und zwar als etwas, das seinen prominenten Ort eben in der Erzeugung hat. Das muss natürlich, wie schon angedeutet, im Folgenden problematisiert werden. Die Frage ist nämlich, wenn man Handeln und Verstehen als interdependente Prozesse auffasst, inwiefern unser Verstehenkönnen nicht ungleich mehr dazu beitragen kann zu verstehen, was Sprache im Allgemeinen ist, als dies die Genese kann. Und das heißt nicht nur Lautbild mit Konzept oder Intention in Verbindung zu bringen, sondern, wenn man Sprache in der herkömmlichen wissenschaftlichen Bedeutung fallen lässt, zu erklären, wie eine Strategie aussehen kann, die sprachliches Handeln hervorbringt und das, ohne auf Konventionen zurückgreifen zu müssen. Doch: Machen wir nicht den zweiten Schritt vor dem ersten. Bevor ein naturalistischer Sprachbegriff in seinen Implikationen und daran anschließend eine 83

Humboldt, Wilhelm (1829): Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues. Fourier. Wiesbaden 2003. S. 357

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Darstellung eines für schlüssig gehaltenen Performanzmodells von Sprache vorgenommen werden kann, muss also erst einmal der Medienbegriff, das Verstehen und dessen natürliche wie auch bewusstseinsimmanente Bedingungen erörtert werden.

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Sprachliche Produkte

3.1 Der Begriff des Mediums – ein materialistischer Standpunkt Dass Sprache ein Medium ist, kann, kurz gesagt, eine ebenso richtige wie falsche Aussage sein. Es soll uns allerdings aus naheliegenden Gründen fernliegen, hier alle relevanten medientheoretischen Ansätze nachzuvollziehen, um zu verdeutlichen, was damit gemeint ist. Vielmehr soll kurz dargestellt werden, inwiefern Sprache als Medium verstanden werden kann und in welcher Weise diese Art von Sprache zu sprechen, in Bezug auf unsere naturalisierende Geschichte hier keinen Sinn macht. Im Grunde genommen ist der Ausdruck, dass Sprache ein Medium ist, ebenso linguistischer Gemeinplatz, im denkbar positivsten Sinne des Wortes, wie das humboldtsche Primat der Genese. Dass Sprache ein Medium ist, ist dabei innerhalb der meisten Theorien im Grunde eine Anlehnung an einen aristotelischen Sprachbegriff des Organons, welchem sich, wie wir gesehen hatten, auch Bühler bedient. Es handelt sich dabei um die funktionalistische Sichtweise, dass Sprache zu etwas gebraucht wird bzw. einen Zweck erfüllt: die des Mittels und der Mittlerin. Sprache wird dieser Auslegung nach zu einem bestimmten Zweck 84 von jemandem benutzt. Dieser Art und Weise Sprache zu betrachten, so lautet der Vorschlag, sollte man sich durchaus verpflichteter fühlen, als das bisweilen der Fall ist. Allerdings aus wohl gewählten Gründen. Hinsichtlich dieser ist es allerdings nötig, einen ganz bestimmten, engen, materialistischen und funktionalistischen Medienbegriff einzuführen, der uns, und dies mag zunächst paradox anmuten, über Sprache dennoch recht wenig informieren kann. Während wir bei Bühler beispielsweise das sprachliche Zeichen als eine selbstständige Entität beschrieben finden, das in seiner Lautgestalt explanatorisch autonom ist, soll dieser physikalisch und empirisch beschreibbare Phänomenbereich in unserer Ausführung als Sprachprodukt verstanden und bezeichnet werden. Das Medium hingegen ist das, was aus diesem von uns Wahrnehmbaren gemacht wird, wenn wir beispielsweise einem auditiven Reiz Bedeutung beimessen. Das Medium ist die Funktion, die es für den Übermittler oder Übermittelnden einnimmt und also grundlegend ein Werkzeug der 84

zum Beispiel, in Bühlers Sinne, zu Ausdruck, Appell und Darstellung

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Mediation, dass die Differenz zwischen Kommunizierenden zwar nicht aufhebt, sondern Umgang mit dieser ermöglicht und somit Distanz als Voraussetzung hat. 85 Eine falsche Aussage ist somit die Behauptung, dass Zeichen und Medien als Tatsachen in der Welt existieren. Nur Sprachprodukte und Artefakte existieren als Dinge unter Dingen in der Welt. Sie werden nur durch einen Repräsentierenden zu einem Medium oder Zeichen. Wenn beispielsweise Walter Benjamin schreibt, 86 dass Sprache sich dadurch auszeichne, dass jede Sprache sich selbst mitteilt, indem er von der Sprache aller Dinge schreibt, die sich in ihrem sprachlichen Wesen durch ihre Sprache auszeichnen (und dies in einem nicht tautologische Sinne), so geht hier jede bestätigende Exegese ebenso fehl87 wie Benjamins Gedanke an sich, dass das Mediale und somit auch die Sprache vom Bewusstsein ablösbar sind. Medien, ebenso wie Sprache und Bedeutung als mögliche Medien, haben keinen eigenen Status außerhalb ihrer bloßen Materialität. Alles weitere an ihnen ist psychologisch und damit abhängig von Bewusstsein, Individuum und dergleichen mehr. Der Medienbegriff ist somit nur noch innerhalb einer kognitiven Beschreibung zugänglich, während der Produktbegriff auch außerhalb der Beschreibung von Verstehensprozessen anwendbar bleibt. Der Begriff des Mediums fällt hier zusammen mit einem maximal umfänglichen Zeichenbegriff, während das Sprachprodukt prinzipiell erst einmal bedeutungslos ist. Maximal umfänglich heißt hier, ganz in Benjamins Sinne, dass alles zu einem Zeichen werden kann, indem es sich seinem Wesen nach mitteilt. Das heißt also auch, der Zeichenbegriff selbst ist ein rein kognitiver, indem er mit Bedeutung an sich in eins fällt. Nichts in der Welt ist Zeichen oder hat Bedeutung, ohne jemanden, der die Dinge in der Welt auf bestimmte Weise repräsentiert. 88 Innerhalb dieser eng miteinander in Dependenz85

Krämer, Sybille (2008): Medium, Bote, Übertragung: Kleine Metaphysik der Medialität. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 2008. S. 103, 111, 262 86 Benjamin, Walter (1916): Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen in: Gesammelte Schriften II. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 1991. S. 140-157 87 Krämer 2008: 44 ff. 88 In diesem Sinne kann alles, was wir wahrnehmen können, für uns Bedeutung haben. Unbelebte Dinge wie Steine ebenso wie Tiere oder Wegweiser oder Sätze. Natürlich können auch eigene Gedanken repräsentiert werden. Das sind dann, im Gegensatz zu Ruth Millikans Erklärung, die eigentlichen Repräsentationen der Repräsentationen, statt Repräsentationen der Repräsentationen von Repräsentationen (dazu später mehr). Der Unterschied ist, dass hier von einer Variante des Realismus

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verhältnissen stehenden Begriffe ist Sprache zunächst nur materielles Produkt und erst daraufhin Medium, in seiner Funktion Mitteilung zu ermöglichen. In diesem Sinne kann das materielle Produkt als Medium gleichsam vermittelnde Instanz zwischen Personen sein, das seiner Funktion nach dazu dienen kann, zu geteilten Auffassungen zu gelangen bzw. Aussagen zu machen, die etwaige Verstehende in der Summe ihrer Urteile beeinflusst, wahre Aussagen einzufordern oder zu sprachlichen oder nichtsprachlichen Handlungen aufzufordern.89 Die Handlung selbst wird hier zum Ort der Produktion von fixierten oder nicht fixierten Sprachprodukten, die wiederum mediale Eigenschaften haben können bzw. sie, die Handlung, wird zum Medium in sich, wie wir dies etwa in der Gebärdensprache beobachten können. Nur durch die Handlung hindurch, i. e., das, als was sie in ihrer Physikalität erscheinen kann, kann intentional Repräsentiertes erreicht werden und der intentionale Gehalt von beispielsweise Absichten Erfüllung finden. Zumindest solange wir uns glauben, dass wir keine telekinetischen oder sonstigen parapsychologischen Fähigkeiten besitzen (wie sie etwa im Panpsychismus logisch möglich sind), die die Distanzbedingung der Medialität verletzen würden, von denen wir aber annehmen, dass wir sie hier vernachlässigen können. Durch Handlung entsteht auf diese Weise das Handlungsprodukt, das als Medium zwischen Personen Bedeutungen vermitteln kann, in diesem Sinne aber kann dann natürlich auch jedes Handlungsprodukt Medium werden. Das, was wir gemeinhin Sprache nennen, ist hier kein Sonderfall, sondern nur ein Teil des Kontinuums an sinnlich erfahrbaren Tatsachen, die Medium werden können. Durch Sprache, in dieser Weise verstanden, sind die an einer Sprachpraxis Beteiligten ebenso sehr voneinander getrennt wie miteinander verbunden. Miteinander verbunden ganz offensichtlich durch mithin rekursive (Sprach-) Handlungsadaption auf der Grundlage des Erkennens und Verstehens von Intentionen und eingebetteten bzw. nicht-eingebetteten Bedeutungen. Voneinander getrennt durch individualrelative Strategien des (Sprach-) Handelns und Verstehens, die im Spezialfall des sprachlichen Handelns sich nicht nur auf Grundlage ausgegangen wird, der die Dinge in der Welt grundsätzlich nicht informativ geladen, wie weiter oben angesprochen, also bereits vor jeder Instanz mit Bedeutung versehen, auffasst. 89 Dies ist natürlich eine Auslegung der Satzmodus-Trias (Realis/Irrealis, Imperativ, Interrogativ)

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des Handelns, sondern essentiell auf Grundlage des Sprachhandlungsprodukts, der phonologisch oder graphematisch beschreibbaren physikalischen Entität, im Gegensatz zur physischen Produktion dieser, vollziehen. 90 Deutlicher wird dies noch, wenn wir formal-technische Medienbegriffe betrachten. Die trennende und verbindende Auszeichnung der Sprache als Medium wird beispielsweise in der klassischen Formulierung des Sprachmediumskonzepts durch Shannon und Weavers 91 Kommunikationstheorie besonders anschaulich. Sprache wird in der Folge dieses Konzeptes, wie auch immer das in den einzelnen Ansätzen dann aussieht, als etwas begriffen, das zur Codierung von Informationen, im Falle menschlicher Kommunikation intentional, verwendet wird. Ein gemeinsamer Code ist demnach die Bedingung der Möglichkeit gelingender Kommunikation, die durch Decodierung der Informationen zu einem Resultat führt. Umgemünzt auf allein menschliche Kommunikation hieße das dann, dass eine strukturierte, bedeutsame, also intentionale Äußerung, durch einen gemeinsamen Zeichenvorrat sowie strukturelle Regeln bzw. Konventionen, die hier an die Stelle des Codes treten, vom Hörer bzw. auf intendierte Art und Weise verstanden werden. Das heißt allerdings, dass das, was wir an konventionalistischen Theorien bereits abgelehnt haben, nämlich die Grundlegung der Sprache in einer Konvention oder Regel sich hier in Form des gemeinsamen Codes wiederfindet. Das zweifelhafte Element der Regel bzw. Konvention wird hier also von Shannon und Weaver in Begriffen eines Codes in die Diskussion importiert. Das muss natürlich vermieden werden. Wie sieht dieser Import aus? Decodierung von Informationen, ebenso wie Encodierung, erfolgen über ein festgelegtes Schema. Der Ort der Sprache würde also von den meisten regularistischen und konventionalistischen Theorien hier gefunden werden. Als Kompetenz, Fähigkeit, Modul verlagert sich dieser Ort dann zur Sprecherseite. Allerdings wird bei genauer Betrachtung von Shannon und Weavers Darstellung deutlich, dass das Medium, der materielle Ort der Sprache, so 90

In diesem Sinne liegt also die Ebene der Zeichenhaftigkeit und des strategischen Verhaltens bei Gebärdensprache auf der grundlegenderen Handlungsebene. Das Medium der Handlung wird nicht durch ein weiteres Medium der lautlichen bzw. schriftlichen Realisation überschritten. 91 Shannon, Claude; Weaver, Warren (1949): The Mathematical Theory of Communication. University of Illinois Press. London 1969

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wie wir ihn hier vorschlagen zu definieren, gar nicht im Code existiert, sondern sich auf das physikalische Gebilde beschränkt, das eben durch eine Strategie, die an den Ort der Decodierung tritt, als etwas Strukturiertes, Bedeutsames oder Intentionales verstanden werden kann. Auf diese Weise interpretiert, ist der eine Ort der Sprache nicht mehr im Prozess der Genese zu suchen, sondern allein im Produkt, das als raumzeitliche Entität zwar einen Verursacher hat, aber eben nicht mehr als beispielsweise Spuren eines Tieres auf feuchtem Waldboden. Ein Beispiel sollte dies verdeutlichen: Stellen Sie sich die Spuren vor, die eine Wachtel hinterlässt, wenn diese an einem Herbstmorgen über reifbedeckten Waldboden trappst, um, sagen wir, Nahrung zu suchen. 92 Die Spuren werden bis zum nächsten Regentag dort unabhängig von ihr, für jeden erkenntlich sein, der über einen geeigneten sensomotorischen Apparat verfügt diese wahrzunehmen. Als Spuren sind diese allerdings nur für jemanden oder etwas wahrnehmbar, der oder das Bodenbeschaffenheiten erfahrungsgemäß als Spuren identifizieren kann. Als Wachtelspuren wiederum sind sie nur für jemanden oder etwas erkennbar, der oder das durch irgendeine Art Erfahrung, wie zum Beispiel eine Jagdscheinprüfung oder aber eine gewisse relevante Erfahrung, diese Spuren als Wachtelspuren identifizieren kann. Die Spuren auf dem Waldboden und der Übergang von Sprachprodukten zu Medien gleichen sich in dieser Hinsicht. Das Kriterium ist die erste-Person Erfahrung eines Phänomens. Gibt es keine erste-Person Erfahrung gibt es auch kein kategorisierbares Phänomen ‚Spur‘ oder ‚Wachtelspur‘, ebenso wie aus einem Sprachprodukt erst durch eine spezielle Form der verstehenden Erfahrung ein Sprachmedium werden kann. In einer Welt ohne Verstehen kann es keine Medialität geben. Die Spuren werden wie Sprachprodukte als Produkte des Verhaltens bzw. Handelns begriffen, wenn man sie als Produkte erkennt und nicht als reine Wirkungen von Ursachen. Als etwas, nämlich als Wachtelspuren bzw. als bedeutsam, in einer noch festzulegenden Art und Weise, kann man sie nur unter Rückgriff auf gemachte Erfahrungen verstehen. Sind diese Rückgriffe nicht möglich, so kann man die Wachtelspuren, ebensowenig wie ein Sprachprodukt, nicht als Wachtelspur oder als Sprachprodukt bzw. Sprachprodukt mit intendierter Bedeutung verstehen. Der prinzipielle Entitätscharakter von Sprachpro92

Das Beispiel stammt ursprünglich von Dretske 1992, allerdings wird es von Dretske verwendet, um einen anderen Sachverhalt zu exemplifizieren.

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dukten gegenüber dem, was Shannon und Weaver Rauschen nennen, sowie deren Eigenständigkeit gegenüber Hörer und Sprecher machen sie nicht nur erst missverstehbar, unter selbst idealen Bedingungen (ein wesentliches Kriterium für eine umfassende Beschreibung von Sprachgebrauch, der eben auch unter idealen Bedingungen scheitern kann), sondern natürlich auch der linguistischen Beschreibung überhaupt erst zugänglich. In diesem Aspekt der ontologischen Verfasstheit ist dann selbstverständlich der theoretische Berührungspunkt linguistischer Beschreibungen von Schrift und gesprochener Sprache, verstanden als etwas, das Verursacher und Verstehende niemals gänzlich zu verbinden vermag, da es zunächst als Produkt zwischen ihnen steht, bevor es als Medium die zwischen ihnen herrschende Differenz erfahr- und bewältigbar macht. Was Schrift und gesprochene Sprache, verstanden als Produkte des Handelns, gemeinsam haben und was sie trennt, kann demzufolge in großen Teilen mit Hilfe eines solchen Modells der Sprachindividuation als Entitäts-individuation über den Medienbegriff erklärt werden. 3.2 Externalisierung und Sprachmaterialismus Für unsere Frage nach der Sprache ist also der Umstand wichtig, dass Sprache als solche nur als Artefakt bzw. Produkt und das ist, als prädiziertes Ding unter Dingen eigenständig definiert werden kann. Wenn die reine Sprache, abgesehen von kausalen Erwägungen, nur als Produkt autonom beschreibbar ist, gehört sie ausschließlich in den phänomenalen Bereich und muss sauber von ihrer Verursachung, dem Sprechen und dem Sprech-Akt vorausliegenden Fähigkeiten oder Kompetenzen, Regeln, Konventionen getrennt werden. Diese, die potenzielle Kandidaten sind, um den Begriff des Codes bei Shannon und Weaver auszufüllen, liegen hierbei, auch der tradierten Auffassung nach, nicht nur dem Sprachprodukt explanatorisch voraus, dem reflektierten Residuum der eigentlich materiellen Sprache, dem gesprochenen oder geschriebenen Wort, sondern auch dem Verstehen, welches in Form des Decodierens in Shannon und Weavers Ansatz die Rolle einnimmt, die in den bisher nachvollzogenen Theorien als ein Erkennen bzw. Interpretieren auf der Grundlage von Regeln und Konventionen erklärt

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wurde. 93 Sprache als Medium zu begreifen, das als Mittel und Mittler zwischen beispielsweise Personen auf bestimmte Art funktioniert, heißt Sprachprodukte um die Dimension der kausal-relativen Abhängigkeit von Erzeuger und Verstehendem zu erweitern. Sprache als Medium zu denken, heißt, Sprache in diesem Dependenzverhältnis zu denken, gerade so, wie eben auch alles andere in dieser Welt befindliche natürlicherweise immer auch in Begriffen der Kausalität gedacht werden kann. Der Produktcharakter jedoch verändert sich erst im Verstehen bzw. Interpretieren zum Mediencharakter. Die Ursächlichkeit, die man natürlicherweise zugrunde legt, ist wiederum ein Resultat der Zeitlichkeit, der allerdings die gesamte Menge der von uns wahrnehmbaren Entitäten unterliegt. Dass hier von einem Produkt gesprochen wird, darf durchaus auch in einem ökonomischen Sinne verstanden werden, da es eben eine Strategie, ein Ziel bzw. funktionale Aspekte bei der Erzeugung wie auch der Verwertung bzw. dem Verstehen von Sprache nahelegt. Der Begriff des Sprachwerks, den Bühler benutzt und der uns ja auch in der heideggerschen Position begegnet, 94 drückt den Ort der eigentlichen Sprache treffend aus, wenn man sich der Selbständigkeit bzw. der Entbundenheit als Wesenszug des ‚Werkes‘ bewusst ist, die nur in der Historizität des Interpreten und der Interpretationsmethode bzw. dem Verstehen (unbewusst und bewusst) aufgehoben wird. Diese Historizität gehört allerdings nicht mehr zum Sprachwerk selbst. Die Sprache ist das Geschaffene, das als das Geschaffene nur in seiner natürlichen Erscheinung prinzipiell nicht kontingent ist. So viele Menschen es gibt, so viele Arten zu verstehen gibt es und dementsprechend viele mögliche Verstehensweisen eines sprachlichen Produkts. Allein, die Entität ändert sich hierbei nicht, sondern das jeweilig Mediierte. Was uns hierbei gemeinsam ist, ist nur unsere kognitive Ökonomie, die impliziten oder expliziten Strategie nach der wir verfahren und aus der sich die Eigenschaft ableitet, bestimmte Dinge ähnlich zu verstehen bzw. auf ähnliche Weise zu handeln, so sich eine Handlungsweise einmal als erfolgreich erwiesen hat. Wenn man nun anerkennt, dass die eigentliche Sprache, das was wirklich rein und an und für sich übrig bleibt, nur im 93

Wie verhält sich die Gebärdensprache hinsichtlich dieser Interpretation zur ‚normalen‘ Sprache? Hat in ihr die Regel und die Konvention durch die beschränkten Mittel des Erwerbs einen anderen Stellenwert? 94 Heidegger, Martin (1936): Der Ursprung des Kunstwerkes. Reclam. Ditzingen 1986

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physikalischen Gegenstand der Schrift oder des Artikulierten, in seiner raumzeitlichen Begrenzung liegt, dann fügt sich auch Derrida ins Bild, dessen Logozentrismuskritik genau dieses Argument beinhaltet. 95 Ohne ausführlicher auf unsere eigene Auslegung Derridas einzugehen: Sein umfassender Textbegriff, der im Grunde alle Medien in sich aufnimmt, also auch Äußerungen, mit denen wir uns ja immer noch vorrangig beschäftigen, ist ein Begriff der Nachzeitigkeit – und genau diese Nachzeitigkeit ist ein wesentlicher Umstand bei der Suche nach dem Ort der Sprache. Das Sinnhafte am Medium ist nur im Nachhinein, nicht eindeutig mit Rückbezug auf den Produzenten des Mediums deutbar. Diese Umkehr, die Derrida vollzieht, ist die explizite Zuwendung zur Hörerseite. Dass das Medium als eigenständige Entität existiert und als eigene Entität verstanden wird, ist Voraussetzung für das Verstehen von beispielsweise auch Sprachaufzeichnungen, die situationsentbunden funktionieren, also ohne jedes ‚C‘ in (S), dennoch aber verstanden werden, nur eben nicht direkt auf Grundlage der Intention des Sprechers oder Produzenten, sondern über Unterstellungen, die nichts anderes als ein Deuten darstellen. Derridas différance Gedanke 96 und ebenso das Zugeständnis an den einzigen Ort der tatsächlichen Sprache, das Produkt, sind mit der hier vorgeschlagenen Argumentation zumindest konsequentiell übereinstimmend hinsichtlich des Bedeutungsrelativismus, der Abkehr vom Konventionalismus als grundlegende Erklärung der Sprache und der Emphase des Verstehens und der damit verbundenen explanatorischen Gewichtung der Nachzeitigkeit. Die Frage, ob Davidson mit seiner Ablehnung des Sprachbegriffs recht hat, scheint also vorerst nicht gänzlich mit einem ‚ja‘ beantwortet werden zu können, sondern vielmehr so: Wenn man von Sprache als einem Phänomen sprechen kann, dann nur als Resultat des Sprachhandelns 97, verstanden als

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Derrida, Jaques (1967): Grammatologie. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 1983 Derrida, Jaques (1972): Die Différance in: Ders. (1988) Randgänge der Philosophie. Passagen. Wien 1988. S. 29-52 97 Dass Sprachhandeln hier nicht durch kommunikatives Handeln ersetzt wird, ist folgendermaßen zu erklären: Auch wenn Sprache derart reduktionistisch aufgefasst wird, wie hier, empfiehlt sich der Begriff der Sprachhandlung gegenüber dem der Kommunikationshandlung durch das Verdikt vom nicht NichtkommunizierenKönnen, das besagt, dass jedes Verhalten, also auch jede Handlung an deren Ende ein Sprachprodukt steht, als bedeutungstragend interpretiert wird, 96

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Produkt oder Entität, in seiner physikalischen Materialität. So gesehen scheint ‚Sprache‘ ein Begriff zu sein, der durch die primäre Physikalität und raumzeitliche Setzung des Bezeichneten (der Sprachprodukte) reine Sprache typischerweise ontologisch bestimmt. Diese ontologischen Bestimmungen sind ihrer Art nach eben nicht kontingent. In dieser raumzeitlichen Bestimmtheit ist Sprache als Medium nicht primär kausal aufzufassen, also hinsichtlich der Genese, sondern gleichsam in ihrer Nachzeitigkeit, also vonseiten des Verstehens her. Dieses Verstehen als Interpretieren allerdings, so soll hier im Anschluss an Sperber und Wilson argumentiert werden, bedarf nicht notwendig eines Codes im Sinne von Konventionen bzw. eines kraft Regeln und Konventionen bedeutsamen Zeichenvorrates oder dergleichen mehr, sondern nur einer erworbenen (zumeist internalisierten bzw. impliziten) Strategie.98 Die Annahme einer Übergangstheorie 99, die bei Davidson an die Stelle von Konventionen und Regeln tritt, sollte demnach auch in einer Neuformulierung als individualsituative Verhaltensstrategie Sinn machen, die sowohl intuitiv, als auch explizit das strategische Verhalten, und das ist Handeln, leitet. In ihrer quasi-normbildenden Funktion ist sie aber ebenso etwas Individualspezifisches wie die mit ihr zu vereinbarende Strategie der Sprachproduktion. In diesem Sinne dürfte ihre immer nachträglich, aus einer Dritten-Person-Perspektive heraus geschehende Beschreibung der Form nach dem entsprechen, was man in Anlehnung an Davidson 100 und Chomskys 101 Konzeption der Sprache als individualpsychologisches Phänomen einen Idiolekt nennen könnte. Die Folge der Akzeptanz des Idiolektbegriffes ist die von Davidson proklamierte, veränderte Art über das zu reden, was wir gemeinhin als Sprache bezeichnen (abseits der Sprache als Einzelsprache). Tatsächlich ist es ein zunächst ontologischer, dann erkenntnistheoretischer Begriff, der so eine Person dieser jeweils bewusst wird. Daraus ist zu schließen, dass eine Differenzierung nötig ist, zwischen Handlungen, die sprachlich kommunizieren, also durch ein sprachliches Produkt und Handlungen die dies nicht tun. Kommunikative Handlungen sind in diesem Sinne der sprachlichen Handlung bzw. der Sprach-handlung kategoriell übergeordnet, wobei die Sprechhandlung der Sprachhandlung subsumiert werden muss, da diese jene spezifiziert. 98 Sperber/Wilson 1995 99 Davidson 2005: 131 ff. 100 Davidson 2005 101 Chomsky 1996: 35

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‚Sprache‘ kohärenterweise zunächst Form und dann Inhalt verleiht. Dieser ontologische Begriff des Produkts, als explanatorisch einem epistemologischen Medienbegriff vorgeordnet, verlangt in einer Spracherklärung daher zunächst eine Erklärung der Entität und nicht der Bedeutung der Entität. Die reine Entität ist an sich noch kein Medium. Um diesen Punkt noch einmal klar zu machen: Stünde man allein in der Wüste und riefe: „Wo ist hier der nächste Starbucks?“, so würde man keine Handlung vollzogen haben, die ein Medium sein kann (außer für den Sprechenden), sondern nur ein akustisches Phänomen, das ein Produkt einer Handlung ist. Das heißt also, die Medialität baut nicht nur auf einer ontologischen Bestimmung von Sprache auf, sondern auch auf der erfüllten teleologischen Verfasstheit von Handlungen und Handlungsprodukten, der Zweckhaftigkeit der Äußerung. Die funktionalistische Sichtweise bestimmt den Medienbegriff. Erfüllung heißt hier eine Erfüllung hinsichtlich des grundlegenden Ziels jeder Sprachhandlung, i. e., als eine spezifische Handlung verstanden zu werden. Die Intentionalität von Sprechakten fällt hier teilweise in eins mit dieser teleologische Verfasstheit. Die Sprachhandlung und der Sprechakt sind erst Medium bzw. mit intentionaler Kraft versehen, wenn sie als etwas verstanden werden (dies schließt auch ‚Falsch‘-Verstehen ein). Da wir uns in den bisherigen Ausführung nur Sprachbegriffen genähert haben, die vorrangig problematisch sind, wollen wir statt dieser in den folgenden Ausführen eine neue Art zu reden vorschlagen, die gar nicht so neu ist. Indem wir zugestehen, dass das, was an und für sich Sprache heißen kann, nur die rein natürliche, das ist hier, die physikalische Seite dessen ist, was wir bisher Sprache nannten, so kehren wir im Grunde zur common sense Auffassung zurück, allerdings nicht der von Sprache, sondern zu der von Kommunikation, nach welcher die echte, tatsächliche Sprache nur das Mittel ist, das Medium, das zu bestimmten kommunikativen Zielen produziert und in diesem Sinne eingesetzt wird. 3.3 Implikationen des externalisierten Sprachbegriffs Um noch einmal die Pointe unserer Argumentation auf die Spitze zu treiben: Die reine Sprache ist tot, wie der Stein, der uns im Schuh drückt. Erst in einer dritten-Person Beschreibung wird Sprache zu einem Artefakt oder Produkt und erst im Verstehen zum Medium. Das, was reine Sprachbetrachtung heißen kann, ist stets entkoppelt von Rückbezügen, die diese Entität in Bezug setzen könnte, denn sie muss ihrer

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Bestimmung nach rein materialistisch verfahren. In dieser Hinsicht aber ist die reine Sprache ebenso uninteressant für die Bestimmung dessen, was für einen Phänomenbereich ‚Sprache‘ meint, wie es für die Individuation des Terminus und des hinter diesem sich verbergenden Begriff uninteressant ist, für den wir ‚Sprache‘ eintauschen könnten. Die immer schon problematische Differenzierung zwischen Pragmatik und Semantik löst sich unter dem Aspekt eines radikal materialistischen Sprachbegriffs beispielsweise dann in der Einsicht auf, dass es sich hier nie um Disziplinen handelte, die primär etwas über Sprache auszusagen hatten, sondern über die geistige bzw. kognitive, mithin also psychologische Verfasstheit von Sprachbenützern, die sich in verallgemeinerungsfähigen Mustern sprachproduzierend verhalten, welche wiederum ihrer kognitiven Ökonomie geschuldet sind. Dass die Erklärung der Resultate dieses Verhaltens bzw. Handelns allerdings nicht ohne Rückbezug auf die erwähnten geistige, kognitiven bzw. psychologischen Phänomene geschehen kann, ist die völlig einsichtige und unauflösliche Krux jedes Differenzierungsversuchs zwischen Semantik und Pragmatik. 102 Hier kommt dann auch Dummett zu seinem Recht, wenn er schreibt, Semantik mache nur als Beschreibung einer natürlichen Sprache Sinn 103 und eine Erklärung von Sprache nur hinsichtlich des individuellen Gebrauchs.104 Ein Wort ohne Leser, ohne Hörenden bzw. Verstehenden ist einfach nur ein Ding unter anderen Dingen. Und das heißt: Teil einer an sich bedeutungslosen Welt. Anders formuliert: Jede Repräsentation setzt mindestens einen Verwender oder Interpreten der Repräsentation voraus. Das heißt de facto natürlich: ohne Repräsentierenden keine mit Bedeutung gefüllte Entität Sprache, Text, Satz, Wort, Äußerung, usf. Aufbauend auf dieser Art und Weise von Sprache zu reden, kann man dann weiter differenzieren, zwischen den Formen des Sprachprodukts, den nicht fixierten Sprachprodukten und den fixierten. Zu den nicht fixierten gehören sowohl die nicht aufgezeichneten, verbalisierten Sprachprodukte wie etwa auch die nicht aufgezeichneten, gebärdensprachlichen Handlungen. Zu den fixierten Sprachprodukten gehören dann natürlich alle in irgendeiner Form 102 103 104

In diesem Sinne sind die Pragmatik und die Semantik keine Teile der Grammatik. Dummett, Michael (1993): The Seas of Language. Clarendon Press. Oxford, New York 1993. S. 183 Dummett 1993: 93

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reproduzierbaren und nachvollziehbaren Sprachprodukte. Die Differenzierung ist demnach eine der Reproduzierbarkeit, also der raumzeitlichen Verfasstheit des Produkts, das für einen Produzierenden oder/und Repräsentierenden zum Medium werden kann. Der einzige Unterschied, der alle Unterschiede, die zwischen Medien und ihrer Produktion und Rezeption liegen, erklärt, bzw. von diesem abzuleiten ist, liegt daher in der raumzeitlichen Berührung von Genese und Interpretation im Begriff des Mediums. Diese ist bei einem Gespräch eben derart gestaltet, dass die Interpretationserwartung 105 und die kompositionalistische Dechiffrierung einzelner Äußerungen, die einer erworbenen Strategie entspricht, dem Medium und den Bedingungen seiner Genese raumzeitlich derart nahe stehen, dass Deutungen hinsichtlich der Intention des Verursachers natürlich wesentlich präziser gemacht werden können als bei einer größeren raumzeitlichen Differenz. Wird doch die Äußerung im Gespräch noch vor ihrer strukturellen Vollendung, je nach zeitlicher Ausdehnung, mehrfach im Sinne eines intentionalen, Struktur aufweisenden Satzes, in Erwartung einer bestimmten Vollendung interpretiert. Bei sprachlichen Fixierungen hingegen wird die raumzeitliche Nähe bzw. Ferne dann, natürlich abhängig vom Medium des Mediums (dem Sprachprodukt), prinzipiell derartig erweiterbar, dass die Interpretation des Fixierten über das Kompositionalistische hinaus sich in Form des hermeneutischen Zirkels beschreiben lässt. Kein formaler Zirkel ist hier gemeint, sondern eine Antizipation von Bedeutung, von Inhalten, die auf der Grundlage einer vom Individuum gemachten Unterstellung historischer und somit kultureller Gemeinsamkeiten der in der Sprachfixierung vorfindlichen Informationen geschieht und die Gadamer ‚Gemeinsamkeit mit der Überlieferung‘ nennt. 106 Diese Interpretation eines Sprachprodukts, die im permanenten Vorgriff auf das Produktganze in seiner semantisch-historischen Gemeinsamkeit mit den Urteilen des Interpreten besteht, ist der Ort, an dem Gesprächsprodukt und weniger flüchtige, fixierte Sprachprodukt voneinander zu trennen sind. Diese Bewegung des Verstehens, die Gadamer in Wahrheit und Methode als wirkungsgeschichtlichen Vorgang beschreibt, ist eine unmittelbare 105 106

Hierzu gehört all das, was als sogenannter Hintergrund in die Diskussion einfloss. Gadamer, Hans Georg (1960): Wahrheit und Methode: Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik in: Gesammelte Werke Band I: Mohr. Tübingen 1990. S. 298

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Folge der raumzeitlichen Bestimmtheit von Sprachartefakten ebenso, wie nicht weiter fixierten Produkten, so wie von uns weiter oben benannt. Tatsächlich kann man noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, dass sich selbst die Rückführbarkeit aller sich daraus ergebenden Differenzen gänzlich unter einzig den Begriff der zeitlichen Setzung gebracht werden können, wenn man bezüglich eines physikalistisch weit gewählten Bezugrahmens zulässt, dass der physikalische Ort einer Interpretation niemals derselbe sein kann. Zu Recht zeichnet Gadamer diesen Zirkel des Verstehens denn auch als ontologisches Strukturmoment aus, bezogen auf die Entität der Sprache, die eben als solche auch in den Bereich einer ontologischen Beschreibung fällt. Die Historizität reicht hier bis in den Bereich der Grammatik. Es kann nie zu einem Abschluss einer Sprachbeschreibung kommen, die das Produkt Sprache untersucht, und das ist ja hinreichend bekannt und innerhalb der Sprachwandelsforschung beschrieben, da es sich um eine nachträgliche Analyse handelt, die als solche veränderten Strategien und sedimentierte Regularitäten bzw. die daraus resultierenden Sprachprodukte, auch immer nur im Einzelnen, im Nachhinein und nicht abschließend auf die Schliche kommt. Es ist immer eine Analyse von Artefakten, die nie eine vollständige Beschreibung der Sprachstrukturen liefern kann, da ‚die‘ Sprache nur im Produkt bzw. im Medium, raumzeitlich kontingent existiert und so nur als Produkt exemplarisch und daher nie gänzlich repräsentativ beschrieben und erklärt werden kann. Die den Bereich der Sprache transzendierenden Erklärungen grammatischer Einzelphänomene (hier liegen die relativistischen (An-) Eckpunkte grammatischer Beschreibungen) in dieser Transzendenz gänzlich explizit werden zu lassen, ist daher eine folgerichtige Aufgabe funktional-grammatischer Beschreibungen. 107 Für unsere Geschichte über den Sprachbegriff ist hingegen besonders wichtig, dass das bis hier Formulierte erneut einen Schulterschluss mit der saussureschen Annahme ermöglicht, dass der Betätigungsort für die Auseinandersetzung mit der reinen Sprache die langue ist, die sich in der parole ausweist, ohne der intellektualistischen Interpretation Saussures 107

Dik, Simon (1997): The Theory of Functional Grammar Part 1: The Structure of The Clause (second, revised edition). de Gruyter. Berlin/New York 1997. S. 3 inter alia

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nachzugeben, dass diese unveränderlich sei und womöglich auch noch kognitiv fixiert. Mit Rückbezug auf die Sprechakttheorie nach Searle hingegen bleibt nur der Schluss, dass es sich bei der Sprechakttheorie ausschließlich um eine Theorie sozialer Institutionen handelt und nicht um eine Theorie der kleinsten sprachlichen Einheit, denn: Bedeutung ist etwas, das tatsächlich stets beim Betrachter liegt. Das, was ein Sprachprodukt bedeutet, ist stets, auch für den Produzenten, eine Zuschreibung in Nachträglichkeit bzw. Nachzeitigkeit. Nur im Gespräch durchwirken sich Interpretation des noch unfertigen Produkts und Genese desselben derart, dass das Medium hier, in seiner Zeitlichkeit und Gebundenheit an die Historizität der Partizipierenden, nicht gänzlich der Nachträglichkeit anheimfällt, was allerdings ein Nicht-Verstehen, also eine Missinterpretation der Intention der Produktion nicht ausschließt. So ist es denn auch möglich, sich selbst nicht zu verstehen. Das, was man intendierte zu sagen, ist für gewöhnlich nie vollständig das, als was man es zu einem späteren Zeitpunkt interpretiert. 108 Der Bedeutungsumfang ist möglicherweise nur für einen etwaigen Gesprächsverlauf irrelevant verändert, aber dennoch in jeder neuerlichen Interpretation bzw. in jedem neuerlichen Bezug ein zumindest graduell anderer. Daher spricht Gadamer, den wir hier ja unbesehen einfach über die Textebene hinaus als applikabel interpretieren, auch von dem unendlichen Prozess, den diese Ausschöpfung des Sinnes darstellt und die nur in der Durchwirkung der raumzeitlichen Bestimmtheit des je noch nicht fertiggestellten Sprachprodukts und der antizipierenden Interpretation teilweise aufgehoben wird. Wenn die Sprache nur im Produkt, in der langue, tatsächlich existiert und eben dieser Ort, sowohl vonseiten der Genese als auch vonseiten der Interpretation grundlegend raumzeitlich und somit naturalistisch beschrieben wird, dann ist dieser hier vorgeschlagene Ansatz durch eine biologische bzw. psychologische Theorie darüber zu erweitern, auf welcher Grundlage das Sprachverhalten bzw. Sprachhandeln seine strategische Struktur erhält, womit dann wiederum unser Modell erweitert werden kann, das Sprache innerhalb einer Theorie des Gesamtverhaltens von Personen als Medium begreift und anerkennt, so dass der Medienbegriff hier mit einem psychologischen Zeichenbegriff zusammenfällt. 108

Auch Selbstverständnis ist mediiert. Der Mensch hat in diesem Sinne keinen priviligierten Zugang zu sich selbst. Vgl. hierzu die klassische Argumentation Wittgensteins in den Philosophischen Untersuchungen.

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Ob Medium oder Zeichen, Sprache selbst ist in ihrer reinsten Form nur ein Ding, ein Phänomen in der Welt unter anderen, das eben die bemerkenswerte Eigenschaft besitzt, auf bestimmte Weise in die Welt zu kommen bzw. als Teil dieser Welt zu einem Zeichen zu werden, indem eine Person bestimmte Strategien verwendet, die im Zuge der Evolution einen Zweck erfüllt haben müssen, der diese Strategien entweder direkt oder indirekt positiv selektierte. Wenn man also innerhalb der hier vorgeschlagenen Sicht überhaupt noch von einer Sprache im tradierten Sinne sprechen kann, dann nur noch als einer Mittlerin für bzw. Ausgangspunkt von Verstehensprozessen oder Produkt eines bestimmten, mitunter eben intentionalen Verhaltens. So betrachtet ist sie dann nichts anderes mehr als all die anderen Phänomene, die uns in dieser schönen Welt begegnen, ein Ding unter Dingen, von denen ein jedes Ausgangspunkt für Verstehensprozesse sein kann, so dass Benjamin recht behält, wenn er metaphorisch von der Sprache der Dinge schreibt. 109 Das, was man als Einzelsprache bezeichnet, ist daher nicht viel mehr als eine konventionelle Menge an Beschreibungen und Erklärungen von Artefakten, die stets zu einem gewissen Teil der Kontingenz ausgeliefert sind. In Anbetracht der Faktizität der Erste-Person-Perspektive aber gibt es nur Idiolekte. Diese Idiolekte sind als die implizit wie explizit angewendeten Strategien der Beurteilung der zum Teil sedimentierten Regularitäten und die mögliche, hierauf erfolgende Produktion von fixierten oder nicht fixierten Sprachprodukten zu verstehen. Diese teils implizit, teils explizit angewandte Strategie muss inferentieller Natur sein, da neben dem Regelfolgen ein Verstehen und die Anwendung des Verstandenen zur je eigenen Sprachproduktion nur diese Variante der Erklärung verfügbar ist. Dieses inferentielle Vermögen aber ist in der einen oder anderen Form ebenso als natürliches (allerdings nicht zwangsläufig angeborenes) Vermögen zu beschreiben, wie das Produkt von Sprachhandeln selbst als Entität beschrieben werden kann, das ohne Rückbezug auf seine je eigene Verursachung bzw. das verursachende Individuum allerdings wenig interessant ist. Dem Vorschlag für eine Erklärung des nicht-intellektualistischen, nicht-konventionalistischen und nicht-nativistischen Sprachverstehens und -produzierens sowie deren Anknüpfungspunkte und Grundlagen folgend, die als Teil eines Sprachperformanzmodells beschrieben werden sollen, so dass Begriffe wie Hintergrund, Regel und 109

Benjamin 1991

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Konvention im Bereich der Kommunikation als etwas erst evolutionär wie explanatorisch später in eine Gesamterklärung Eintretendes spezifiziert, wird nun erst einmal eine Betrachtung des Zeichenbegriffs erfolgen, der den Medienbegriff von Sprache am deutlichsten, nämlich über die Bedeutung, mit dem Verstehen und den bewusstseinstheoretischen Grundlagen desselben verbindet. Denn haben wir die reine Sprache als uninteressantes, physikalisches Phänomen erklärt, dann bleibt uns nur der Rückzug auf die Produktion derselben und das heißt Handlung und Verstehen und deren Interdependenzen, für eine aufschlussreiche Erklärung dessen, was wir gemeinhin mit ‚Sprache‘ benennen und vor dem Hintergrund der Zwangsläufigkeit des Naturalismus möglicherweise besser damit meinen sollten. Verstehen wie auch Handeln können aber, wenn man den Nativismus nicht unbesehen importieren möchte, nur in Bezug auf Bewusstsein und psychologische bzw. verhaltensbiologische Erwägungen bzw. inferentielle Fähigkeiten erklärt werden. Dieser Relation einen sinnvollen, wenngleich spekulativen und in allen Teilen rudimentären Entwurf zukommen zu lassen, der dem von uns gewählten naturalistischen Bezugsrahmen entspricht, ist das folgende Kapitel gewidmet, das, wie erwähnt, nur der ersten Formulierung eines groben Gedankens dieser Relation dienen soll, wie auch grundlegenden Einsichten hinsichtlich der Beschaffenheit des Bewusstseins selbst, die an anderer Stelle weiter ausgeführt werden sollen. Der folgende Abschnitt mag daher für den ausschließlich an linguistischen Fragestellungen interessierten Leser möglicherweise uninteressant erscheinen. Zudem ergibt sich, wenn man vor hat über diese Relation zu schreiben, noch ein weiteres Problem, was schlechterdings darin besteht, dass es alles andere als eine einheitliche Theorie des Bewusstsein gibt, wir uns also aus wohl gewählten Gründen für einen unter mehreren möglichen Erklärungsansätzen für dieses Phänomen entscheiden müssen. Eine andere Schwierigkeit, wenngleich auch eine weit weniger wichtige, ist die Frage, inwiefern ein solcher Versuch die Thesen der kognitiven Linguistik zu berücksichtigen hat. Hierzu sei Folgendes gesagt. Die Verbindung von Bewusstsein und Sprachverstehen bzw. Sprachproduktion im allgemeinsten Sinne hat Überschneidungspunkte mit der kognitiven Linguistik, aber sie ist keine Erörterung im Bezugsrahmen der kognitiven Linguistik, da die Kognitionswissenschaften nicht das Bewusstsein untersuchen, sondern Annahmen hinsichtlich der Prozesse formulieren, die das Phänomen des Bewusstseins bereits unerklärterweise voraussetzen. Die im folgenden

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Abschnitt erfolgende Erörterung soll demnach nicht kognitive Prozesse erklären, sondern die Grundlage dessen erläutern, was wir als gegeben annehmen, was Verstehen heißt und was Sprechen heißt und dies in der Bindung dieser Begriffe an ein grundlegendes neues Verständnis von Bedeutung. In diesen Teilen ist die folgende Argumentation Teil der Bewusstseinsphilosophie, weil wir hier erläutern, was es heißt Bedeutung zu haben: und dies ist, sich etwas bewusst zu sein. Die Arbeitshypothese lautet demnach, dass die Sprachfähigkeiten, und dies ist nun einmal der Bereich abseits der ontologisch beschreibbaren bloßen Entität Sprache, der uns wenig interessant ist, erst einmal sinnvoll mit dem Phänomen des Bewusstseins in Verbindung gebracht werden müssen, bevor man umfassend bestimmen kann, um was für Phänomene es sich handelt. Nun könnte man behauptet finden, dass dies wohl eine der selbstgewählten Hauptaufgaben der kognitiven Linguistik wäre, doch dies stimmt nur zum Teil, denn dem entscheidenden Umstand in der Bestimmung dieser Relation wird in den meisten dieser Arbeiten, ohne hier ausführliche Benennungen durchführen zu wollen oder zu können, kaum Aufmerksamkeit geschenkt: der Faktizität der Erste-Person-Perspektive, der Ebene des bewussten Erlebens. Vielmehr ist ein großer Teil der Arbeiten der Kognitionswissenschaften nicht dieses phänomenologischen Charakters. Die Kognitionswissenschaften streichen größtenteils das Individuum aus der Rechnung und verfahren in ihrer systematischen Beschreibung nach dem Top-Down Prinzip. Wir aber wollen keine große Systematik entwerfen, sondern ein grundlegendes Verständnis dessen schaffen, was im Individuum, auf Ebene des Erlebens in Verbindung mit dem Begriff der Bedeutung, des Verstehens und der (Sprach-) Handlung steht. Da es sich bei einer solchen Erklärung um die Erklärung des Erlebens natürlicher Wesen handelt, ist auch hier wiederum der naturalistische Bezugsrahmen derjenige, der unserem Vorhaben die nötige Allgemeingültigkeit verspricht. Denn ein umfassendes Bild der Begriffe des Verstehens und damit auch der Bedeutung sowie des Sprachhandelns bzw. der Sprachproduktion ist nur in Bezug auf die Relation zum Bewusstsein und das heißt, zum Erleben natürlicher Wesen, zu zeichnen, so wie es auch nur durch und für ein bewusstseinsfähiges Wesen Bedeutung geben kann und darauf aufbauend, Verstehen und Handlung. Anstatt zu beschreiben, wie wir bestimmte Dinge verstehen oder wie wir bestimmte (Sprach-) Handlungen vollziehen bzw. welche kognitiven Mechanismen hier- oder dafür verantwortlich sein könnten, so wie es die

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Kognitionswissenschaft tut, wollen wir hier danach fragen, was Sprachverstehen und Sprachhandeln überhaupt für Phänomene sind.

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4

Sprache und repräsentationales Bewusstsein

4.1 Ein minimaler, naturalistisch-funktionalistischer Bewusstseinsbegriff Bevor wir an das vorherige Kapitel anknüpfen, indem wir, vom Zeichenbegriff ausgehend, eine Erklärung von Sprachfähigkeiten in Abhängigkeit von Bewusstsein im Allgemeinen formulieren, soll kurz erläutert werden, welcher Bewusstseinserklärung wir uns bei dieser Unternehmung auf welche Weise bedienen werden. Bewusstsein heißt an dieser Stelle Erleben. Dieses Erleben eines Lebewesens wird für gewöhnlich als phänomenales Bewusstsein bezeichnet, also als Bewusstsein, was positiv bestimmbar ist, dadurch, wie es ist, sich etwas bewusst zu sein. Ob das, was man sich bewusst ist nun eine rote Ampel ist, die Röte der Ampel oder das warme Gefühl, das die Blondine mit den roten Schuhen an der Ampel in der Magengrube auslöst und das uns davon abhält, die rote Ampel zu bemerken. Phänomenales Bewusstsein zeichnet sich dadurch aus, dass es irgendwie ist, in diesem oder jenem bewussten Zustand zu sein. Das psychologische Bewusstsein hingegen wird nur negativ bestimmt, wenn es überhaupt bestimmt wird, indem es als Voraussetzung für kognitive Prozesse oder psychologische Regularitäten gesetzt wird. 110 Wie bereits erwähnt, gibt es keinen einheitlichen Ansatz zur Erklärung des Bewusstseins. Die existierenden Erklärungsversuche sind bis zum heutigen Tag hypothetisch-philosophischer Natur und scheint sich jeder definitiven Erklärung zu entziehen, obschon es scheinbar nichts Gewisseres gibt als die Existenz desselben, wie uns beispielsweise das cartesianische cogito jedes Mal aufs Neue und ebenso definitiv zu zeigen scheint 111 wie jeder wache Augenblick unseres Lebens. Weshalb? Das Problem liegt darin, dass das Bewusstsein, so es dieses als solches gibt, wie Searle es ausdrückt, den Existenzmodus der ersten Person hat, womit es scheinbar vollkommen 110

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Diese Differenzierung stammt aus: Chalmers, David (1996): The Conscious Mind: In Search of a Fundamental Theory. Oxford University Press. Oxford, New York 1996. S. 11 f. – siehe auch Fußnote Nr. 109 Descartes, René (1651): Meditationes de Prima Philosophia. Felix Meiner. Hamburg 1992. Meditatio I

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privat und nicht mit anderen Phänomenen gleichsetzbar ist. 112 Das Problem des Bewusstseins zieht sich wie ein roter Faden durch die Philosophiegeschichte und ist auch in der Philosophie der Gegenwart Gegenstand hitziger Debatten, die allerdings ohne einen Konsens zu erzielen geführt wurden und werden. Es liegt uns fern hier eine Genealogie der derzeitigen Diskussionen zu liefern 113 oder die zahlreichen hier beheimateten Probleme umfassend darzustellen und dennoch wird es im Zuge des Versuches Bewusstsein und hier vor allem eben auch phänomenales Bewusstsein mit einer Erklärung von Sprachfähigkeiten zu verbinden, nicht möglich sein, diese gänzlich außer acht zu lassen. So wird also an den betreffenden Stellen zu den einzelnen Problemen Stellung genommen, wenngleich auch nur sehr oberflächlich, was der in der Bewusstseinsphilosophie bes-chlagene Leser verzeihen mag. Eine ausführliche Erörterung wird einer zukünftigen Arbeit vorbehalten bleiben müssen. Dennoch sind folgende Fragen für die weitere Erörterung der Sprachvermögen von entscheidender Bedeutung: Was für bewusstseinserklärende Ansätze gibt es, und welcher von diesen ist mit einer Erklärung von Sprache im festgelegten, naturalistischen Sinne vereinbar? Und natürlich: Welche grundlegenden Annahmen ergeben sich aus dieser Gewichtung für unser Projekt? Zur ersten Frage: Man kann die derzeitigen größeren Projekte der Erklärung des Bewusstseins durch philosophische Ansätze 114 zwar kategorisieren, doch ob der Anzahl und Diversität der einzelnen Vorschläge stellt sich jeder umfassende Versuch 112 113

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Searle, John (1997): Geist, Sprache, Gesellschaft: Philosophie in der wirklichen Welt. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 2001. S. 57 Für eine kurze Einführung in die Entwicklung der heutigen Positionen siehe: Burge, Taylor (2005): Philosophy of Mind 1950-2000 in: Ders. (2007): Foundations of Mind. Oxford University Press. Oxford, New York 2007. S. 440464 Dass es die Philosophie ist, die die Erklärung des Bewusstseins vornimmt und nicht etwa die Psychologie ist schnell erklärt. Die Psychologie beschreibt die Regelmäßigkeiten von Handlungsdispositionen bzw. die wiederkehrenden Zusammenhänge zwischen den bewussten oder unbewussten Zuständen von Personen und weiteren geistigen oder körperlichen Zuständen. Die Zustände selbst aber, das Erleben bzw. wie dieses Erleben entsteht, warum es wann entsteht und wie dies in ein naturwissenschaftliches Bild dieser Welt passt, erklärt sie nicht. David Chalmers zufolge erklärt man in psychologischen Ansätzen des Geistes denselben daher vor allem als die kausale oder explanatorische Basis für Verhalten, während in den philosophischen Ansätzen das bewusste Erleben an sich erklärt werden soll.

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als maßgebliche Verkürzung dar. Dennoch sollte über eine Typologisierung deutlich werden, weshalb wir hier bestimmte Ansätze bestimmten anderen vorziehen. David Chalmers teilt, in seinem überaus einflussreichen Buch The Conscious Mind, die verschiedenen, existierenden Ansätze in drei Typen ein. 115 Dieser schließen wir uns hier an: Typ A Theorien des Bewusstseins gehen davon aus, dass Bewusstsein, insofern es überhaupt als existent angesehen wird, logisch auf den physikalischen Gegebenheiten superveniert. Diese Position wird allgemein auch als starker Materialismus oder Eliminativismus bezeichnet. Eliminativismus bezeichnet dabei die Position, dass ‚Bewusstsein‘ ein unnötiger Terminus ist, für eine Reihe von Phänomenen, die einzeln genommen bessere und strukturiertere terminologische Hintergründe haben, so dass Bewusstsein an sich ‚eliminiert‘ wird. Dass mit dem Terminus Eliminativismus auch die Position verbunden ist, es gäbe kein Bewusstsein, lässt sich allerdings nicht an den jeweiligen Werken von Daniel Dennett oder Paul und Patricia Churchland ausweisen 116. Eliminativismus ist die stärkste Form der Reduktion von Bewusstsein auf das Materielle, indem behauptet wird, es gibt keinen Grund über etwas anderes zu reden als dieses Materielle. Den Theorien des A-Typs nach ist Bewusstsein also restlos physikalisch bzw. materiell beschreibbar. In den meisten materialistischen Theorien wird daher die Unterscheidung von Gehirn und Geist bzw. Bewusstsein in Frage gestellt. Diese Erklärung ist vor allem deshalb sehr attraktiv, da sie den Prinzipien der Naturwissenschaften nicht widersprechen würde, da hier kein Dualismus zwischen Körper und Geist eröffnet wird, der typischerweise eine explanatorische Lücke 117 zwischen Bewusstsein und physikalischer Verursachung klaffen lässt, was entweder hieße, dass Bewusstsein kein physikalisches Phänomen ist, was weitreichenden Konsequenzen für unser gesamtes wissenschaftliches Weltbilds führen würde oder aber bestimmte physikalische Gesetze noch nicht gefunden oder aber falsch sind. Dies beträfe dann womöglich auch so

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Chalmers 1996: 165 ff. Einige der relevanten Werke dieser Autoren werden in der Folge noch benannt werden vgl. hierzu auch den klassischen Aufsatz von Nagel, Thomas (1974): What Is It Like to Be a Bat? in: Philosophical Review 83 (4). 1974. S. 435-450 und Levine, Jay (1983): Materialism and Qualia: The Explanatory Gap in: Pac. Philosophy Quarterly 64. 1983. S. 354-361

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grundlegende Gesetze wie die der Thermodynamik, die nun einmal ein geschlossenes System beschreiben, in das sich ein Dualismus von Körper und Geist schlecht integrieren ließe. Es könnte allerdings auch unser Verständnis von Kausalität im Allgemeinen falsch sein, wenn der Materialismus falsch liegt.118 Ohne diese komplexen Argumentationen weiter nachzugehen, sollte festgehalten werden, dass der Materialismus die Position darstellt, die am ehesten mit unserem derzeitigen Verständnis der Natur harmoniert. Allerdings gibt es mit dem Materialismus auch Probleme, denn leider ließen sich bisher nur rudimentäre neuronale Aktivitäten aber eben keine fixen neuronalen Korrelate mit bestimmten Bewusstseinszuständen in einer Art und Weise verbinden, dass der Materialismus direkt belegt werden könnte. Es scheinen bestimmten Bewusstseinszuständen keine eindeutig zuzuordnenden, neuronalen Korrelate zu entsprechen. 119 Zudem gibt es natürlich auch noch andere Probleme des Materialismus, wie etwa, dass die Idee eines freien Willens nur schwerlich aufrecht erhalten werden kann, wenn wir von komplett geschlossenen Kausalketten in der Erklärung des Bewusstseins und also des subjektiven Erlebens ausgehen. Wie man unschwer erkennen kann, stehen der Intuition des naturwissenschaftlichen Denkens, den Materialismus für wahr zu halten, einige Probleme desselben gegenüber, so dass die Theorien des Typs B den starken Materialismus bestreiten, indem sie explizit anerkennen, dass es keine Erklärung für die explanatorische Lücke zwischen neuronalen Aktivitäten und Bewusstsein gibt, die

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siehe hierzu unter anderem: Chalmers 1996 und Anderson, John R. (2009): How can the Human Mind Occur in the Physical Universe? Oxford University Press. Oxford, New York 2009 zu den vorhandenen Korrelaten und der Definition des Korrelatbergiffes sowie der Erörterung der vorfindlichen neuralen Aktivitäten, siehe einführend (inter alia): Metzinger, Thomas (2000): Neuronal Correlates of Consciousness: Conceptual and Empirical Questions. MIT Press. Cambridge 2000; Baars, Bernard et al. (2003): Essential Sources in the Scientific Study of Consciousness. MIT Press. Cambridge 2003; Brown, Richard (2006): What is a brain state? in: Philosophical Psychology 19 (6). 2006. S. 729-742; Störig, Petra (2007): Hunting the Ghost: Toward a Neuroscience of Consciousness in: Zelatzo, Phillip et al. (2007): The Cambridge Handbook of Consciousness. Cambridge University Press. New York 2007. S. 707730; Chalmers, David (2004): How Can We Construct a Study of Consciousness in: Gazzaniga, Michael (2004) (Hrsg.): The Cognitive Neurosciences III. MIT Press. Cambridge 2004. S. 1111-1120

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innerhalb ihrer Argumentationen aber durch meistenteils methodologische Kniffe verschwinden soll. Den Theorien des Typs C nach ist der Materialismus schlicht falsch und es gibt gar keine Erklärung von Bewusstsein im jetzigen Bezugsrahmen der Physik. 120 Um es kurz zu machen: Wir werden hier hauptsächlich von materialistischen Theorien ausgehen, die funktionalistisch orientiert sind, das heißt, Theorien, die davon ausgehen, dass Bewusstsein einen Zweck für bestimmte Lebewesen erfüllt und damit positiv selektiert werden konnte. Wir schließen uns also Daniel Dennett an, indem wir uns an den Naturwissenschaften ausrichten, wenn wir phänomenales Bewusstsein mit Sprachfähigkeiten in Verbindung bringen und behaupten, dass der Funktionalismus, als grundlegende Annahme aller Naturwissenschaften auch für unsere Erörterung Geltung beansprucht, 121 indem durch ihn aus-gedrückt wird, dass wir die Beschaffenheiten zu erklärender Phänomene in Bezug auf die Funktion dieser Eigenschaften erklären, was im Falle von bewusstseinsfähigen Lebewesen in besonderem Maße gilt, da die Funktion ihrer Eigenschaften für sie auch eine erste-Person Funktion sein kann. Im Falle der Sprache bzw. der (sprachlichen) Bedeutung ist dies, wie wir erklären werden, in besonderem Maße der Fall. Diese Einsicht teilen wir uns wiederum mit Ruth Millikan, deren Theorie der Bedeutung wir in diesem Zusammenhang ausführlich diskutieren werden. Sowohl Millikan als auch Fred Dretskes Repräsentationalitätskonzept werden wir in einen eigenen Vorschlag zur Struktur des Bewusstseins überführen, den wir an anderer Stelle weiter auszuführen wünschen, der aber den hier an ihn gestellten Anforderungen einer Erörterung der Zusammenhänge von Bewusstsein, Bedeutung, (Sprach-) Verstehen und (Sprach-) Handeln gerecht wird. In diesem Sinne wollen wir einen minimalen Bewusst-seinsbegriff formulieren, der folgende Ausgangshypothesen für unsere Erörterung der Sprachfähigkeiten in Abhängigkeit des erste-Person Erlebens annimmt, die weiter oben genannte zweite Frage also folgendermaßen beantwortet: Wenn wir Bewusstsein materialistisch und funktionalistisch auffassen, so ergibt sich für den Zusammenhang von Sprache und Bewusstsein, dass der Zusammenhang zwischen beiden nicht über eine kognitive Struktur erklärt wird, die bereits neben dem Bewusstsein existiert, sondern über das 120 121

Chalmers 1996: 166 f. Dennett, Daniel (2005): Süsse Träume: Die Erforschung des Bewusstseins und der Schlaf der Philosophie. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 2007. S. 30

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Bewusstsein selbst, so dass die Funktionalität des Bewusstseins die Funktionalität der Sprachfähigkeiten zu erklären hat, da das Bewusstsein den Sprachfähigkeiten explanatorisch und onto- wie phylogenetisch vorgeordnet ist und sie somit bestimmt. All diese Punkte werden im Folgenden ausgeführt werden. Ein zusätzlicher Gewinn der Orientierung auf die genannten Ansätze ist, dass wir durch den Materialismus genötigt sind, in irgendeiner Weise eine Vorstellung davon zu haben, was Bewusstsein materiell ist. Hier orientieren wir uns an Fred Dretske, indem wir Bewusstsein mit Repräsentation gleichsetzen, das heißt, wir gehen hier zu unseren Zwecken davon aus, dass phänomenaler Gehalt repräsentationalem Gehalt entspricht, dass also das Erlebte etwas ist, das eine Tatsache der Welt darstellt, auch wenn diese Ansicht philosophische Probleme beinhaltet, die aber unser Vorhaben nicht gefährden und uns daher wenig kümmern sollen. 122 Wie so ein Vorschlag sinnvoll vorgebracht werden kann, ohne der Realität der Gefühle, des Wissens und Glaubens und dergleichen mehr Abbruch zu tun, ist eine Frage, die im Zuge unseres Vorschlages zur Bestimmung der Sprach- und Bedeutungsfähigkeit ebenfalls beantwortet wird. Der wichtigste Umstand, der im Zuge unserer vom Materialismus getragenen funktionalistischen Erklärung an Form gewinnt, ist der naturalistische Bezug, den wir im Verweis auf die erstePerson Funktion von Sprach- und Bedeutungs-fähigkeiten herstellen können und durch welchen sich die zentralen Begriffe der Erörterung weiter erklären werden: der Begriff der Individualfunktionalität und der Begriff der biologischen Funktionalität. Die Individualfunktionalität bezeichnet hierbei den unmittelbaren Nutzen, der sich einem Individuum auch als Nutzen offenbart und nicht nur zugeschrieben ist. Die biologische Funktionalität hingegen bezeichnet den Nutzen, den ein Lebewesen hinsichtlich seines Fortbestandes als Lebewesen, aus bestimmten Eigenschaften oder Umständen zu ziehen vermag. Dieser Nutzen muss nicht, kann aber vom Individuum auf erster-Person Ebene des Erlebens erkannt werden. 123 Bevor diese Termini sich in der Auseinandersetzung 122

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Siewert, Charles (1998): The Significance of Consciousness. Princeton Press. Princeton 1998 und Chalmers, David (2003): The Representational Character of Experience in: Leiter, Brian (2004) (Hrsg.): The Future of Philosophy. Oxford University Press. Oxford, New York. S. 153-181 Ausgehend von Darwins Prinzip der Duplikation, welches besagt, dass es immer mehrere Realisierungen der gleichen biologischen Funktion gibt, kann man diese

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weiter verdeutlichen, wollen wir allerdings den Anschluss an das vorherige Kapitel versuchen. Wir hatten festgehalten, inwiefern die Rede von Sprache als Medium sinnvoll ist und waren zu dem Schluss gelangt, dass es hier eine Differenz zwischen dem Medienbegriff und der Entität Sprache gibt, der das Sprachprodukt in seiner Materialität und seiner Möglichkeit begreift, zu einem Zeichen bzw. Medium werden zu können, indem es für ein Wesen bedeutsam wird. Wenn also Sprache als Zeichen, also psychologisches Faktum erst Leben erhält, also im Prozess des Verstehens anwesend ist, dann ist natürlich die Frage, was das erlebte Medium, und hier haben wir bereits das bewusste Erleben, als Zeichen auszeichnet. 4.2 Naturalistische Zeichentheorie und Bewusstsein Was ist ein Zeichen? Oder besser gefragt: Was kann zu einem Zeichen werden? Wenn sich das Zeichen dadurch auszeichnet, dass es etwas ist, das mit Bedeutung versehen wird, so können alle Dinge dieser Welt, zumindest alle sinnlich wahrnehmbaren Dinge, auch Töne oder seltsame Konturen auf Papier, zu einem Zeichen werden. Sie können zu Zeichen werden, indem sie für jemanden Bedeutung haben. Das heißt dann allerdings auch, dass auch Dinge wie beispielsweise ein Hammer demnach prinzipiell zeichenhaft sein können. Das kann aber nicht richtig sein, da das Ding Hammer nur insoweit Bedeutung besitzt, wie es von jemandem als bedeutsam, etwa hinsichtlich seiner Funktionalität, wahrgenommen wird. Es muss also richtiger heißen, jede Wahrnehmung kann bedeutungsvoll und in diesem Sinne zeichenhaft sein. In dieser Wahrnehmung des Dinges ist es bereits in Abhängigkeit vom Wahrnehmenden individuiert. In diesem Sinne ist Bedeutung und somit auch ein maximal umfänglicher Zeichenbegriff im Sinne eines Medienbegriffs immer erkenntnistheoretisch konstruktivistisch. Die Dinge der Welt können nur zu einem Zeichen

Begriffe in ihrer Abhängigkeit voneinander auch folgendermaßen begreifen: Die biologische Funktionalität kann durch mehrere individualfunktionale Realisierungen erreicht werden, was wiederum bedeutet, dass die zahleichen einzelsprachlichen Realisationen bestimmter verbaler Handlungen, die grundsätzlich dem gleichen (kommunikativen) Zweck dienen, den unterschiedlichen individuellen Dispositionen geschuldet sind, denen eine bestimmte Handlungsrealisation immer unterliegt.

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werden, also eine Bedeutung haben, wenn es jemanden oder etwas gibt, für den sie diese Bedeutung haben. Das ist, trotz ihrer Trivialität, eine beachtenswerte Feststellung, da die naturalistischen Theorien, die der hier vorgeschlagen Art und Weise Sprache zu verstehen am nächsten stehen, einen externalistischen Zeichenbegriff vertreten, also zumindest terminologisch die Auffassung nahelegen, dass Zeichen etwas wären, das in der Welt ist, wie wir dies etwa von Schriftzeichen unreflektiert häufig denken, wobei wir natürlich vergessen, dass diese ebenfalls nur im Geiste eines Wesens mehr oder minder schwere Bedeutungen tragen. Dieser stillschweigende Zeichenexternalismus ist allerdings ein Fehler in einer Erklärung der Sprache und der Rolle des Bewusstseins für das Verstehen und das Sprachverstehen, weil hier das zentrale Moment in der Erklärung des Übergangs von nicht-sprachlichen Zeichen zu sprachlichen Zeichen durch eine unzulässige common sense Bedeutung von Zeichen und damit auch Bedeutung zu verschwimmen droht, die wir in jedem Fall problematisieren müssen. Denn auch wenn Putnam recht hat124 und auch Kripkes Sinn-lose (im Sinne Freges) starre Designatoren125 für schlüssig erachtet werden, so gäbe es diese zweifellos ebenfalls nicht ohne ein Bewusstsein, in dem Begriffe starre Referenzen ausdrücken oder rein externalistische Bedeutungen haben. Die Frage ist zunächst natürlich, was der Weg ist, auf welchem ein Ding Bedeutung gewinnt und ob es etwas Wahrgenommenes geben kann, das keine Bedeutung hat. Wir müssen also einstweilen den Bereich der Sprachbetrachtung, wie angekündigt, mit dem der Bewusstseinsphilosophie eintauschen. Der Vorschlag, der hier unterbreitet werden soll, ist folgender: Wenn man Zeichen und also Bedeutung, also auch sprachliche Bedeutung, verstehen will, muss man Zeichenhaftigkeit in Begriffen einer Theorie des Gesamtverhaltens einer Person erklären, die sich auch in ein schlüssiges Bild der phylo- wie ontogenetischen Vorteilhaftigkeit ihrer Elemente bringen lassen muss, welche der Annahme einer an sich zeichenhaften Welt nicht erliegt, denn diese existiert schlicht nicht an und für sich. Weiter oben sprachen wir bereits von der pragmatistischen Färbung, die unser Bild dadurch erhält, dass wir die funktionalistischen Aspekte von Begriffen und Sprache in besonderem Maße stark zu machen wünschen. Peirce hat auf die Funktionalität von 124 125

Putnam, Hilary (1975): The Meaning of Meaning in: Minnesota Studies in the Philosophy of Science 7. 1975. S. 131-193 Kripke, Saul (1972): Name und Notwendigkeit. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 1993

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Konzepten hingewiesen und diesen Gedanken wollen wir auf Zeichen allgemein und sprachlichen Zeichen im Besonderen erweitern. Ein Zeichen, in einem psychologischen Sinne, so wie wir es verstehen, wird häufig auch als Repräsentation eines Dinges oder Sachverhaltes bezeichnet. Als solches verstehen wir Zeichen hier nur als in einem repräsentierenden System vorhanden, mithin ein Mensch oder ein Tier (zumindest bisher: KI!). Der Begriff der Repräsentation legt hier bereits nahe, was sich den meisten Interpretationen nach auch hinter ihm verbirgt. Eine Repräsentation der Welt ist daher im allgemeinen Sinne einer Art (Teil-) Wiedergabe dieser Welt im Geist des Repräsentierenden zu verstehen. Mentale Repräsentationen geben wieder, was sich in der Welt sinnlich wahrnehmbar befindet. Wie sich uns die Welt darstellt, ist also zunächst unsere Repräsentation dieser Welt. Schlechterdings wird in diesem Zusammenhang allerdings auch davon gesprochen, Dinge hätten die Funktion oder das Ziel etwas zu repräsentieren. Dies ist eine Redeweise, die auch Ruth Millikan vertritt und von der sich der hier vorgeschlagene Ansatz distanzieren muss, wenn die Argumentation zur Differenz von Medium und Zeichen ernstgenommen werden soll. Die Sichtweise, Zeichen wären etwas in der Welt Befindliches, etwas Externes, müssen wir daher vollständig ablehnen. Vielleicht zeichnen wir zunächst die Argumentation Millikans hinsichtlich des Zeichenbegriffs nach, um zu einer sinnvollen Distanzierung zu gelangen. Folgen wir also zunächst der Argumentation Millikans, welche auf den Thesen Dretskes beruht: Der Zeichenbegriff Millikans 126 beruht auf dem Begriff der Repräsentation. Repräsentationsfähigkeit versteht sie in Anlehnung an Fred Dretske als eine Eigenschaft, die Systemen zukommt. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob diese Repräsentationen mental sind oder nicht bzw. ob diese Systeme bewusstseinsbegabte, biologische Systeme sind oder nicht. 127 Repräsentationen zeichnen sich hiernach vorrangig dadurch aus, dass ihr repräsentativer Gehalt Informationen über das Repräsentierte beinhaltet.128 In diesem Sinne ist eine Repräsentation ein Zustand eines 126 127 128

entworfen in: Millikan 2008 Dretske, Fred (1997): Die Naturalisierung des Geistes. Schöningh. Paderborn 1998. S. 31 Dretske versteht hierbei Information als die Eigenschaft einen de-re Gehalt auszudrücken, also nicht im Sinne von Bedeutung, sondern im Sinne einer quasiindexikalischen Relation, eine Ansicht, die wir nicht teilen, weil sie unter anderem

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repräsentierenden Systems. Ein solches System muss hierzu, Dretskes Argumentation nach, nicht belebt sein. Dass etwas ein repräsentierendes System ist, erklärt sich ihm nach allein dadurch, dass es etwas über das Repräsentierte aussagt, und zwar so, dass es dies hinsichtlich seiner Funktion als System richtig tut. In diesem Sinne repräsentiert das System seine Funktion mit. Was soll das heißen? „Der Grundgedanke ist der, dass ein System S die Eigenschaft F dann und nur dann repräsentiert, wenn S die Funktion hat, das F eines bestimmten Gegenstandsbereichs anzuzeigen (Informationen über es zu liefern). S erfüllt seine Funktion (wenn es sie erfüllt), indem es sich in verschiedenen Zuständen s1, s2, … sn befindet, die den verschiedenen, genau bestimmten Werten ݂1, ݂2, …, ݂n von F entsprechen.“ 129

Dretske erläutert diesen Umstand an Thermometern und Autotachos, die eben, wenn sie richtig funktionieren, eine Eigenschaft der Welt abbilden, entweder die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs oder zum Beispiel die Temperatur der Umgebung. Er versteht ebenso wie Millikan Repräsentation als etwas, was also auch unbelebten Dingen zukommen kann. Ein System ist demnach genau dann ein repräsentierendes System, wenn es die Funktion oder Eigenschaft (dies fällt bei Dretske in eins) besitzt, diese Information anzuzeigen. Die Funktion wird zum entscheidenden Element. Nur deshalb haben nach Dretske eben auch Thermometer die Funktion zu repräsentieren, ebenso wie einige anaerobe Bakterien der Nordhalbkugel, von denen wir bereits sprachen, die mit Hilfe von Magnetosomen sich auf den geomagnetischen Norden ausrichten, um sich biologisch funktional in Richtung sauerstoffarmer Gewässerschichten bewegen zu können. Sie repräsentieren, hinsichtlich ihres biologischen Ziels zu überleben, den abnehmenden Sauerstoffgehalt, wenn sie ihn richtig repräsentieren. Nach Dretske repräsentieren solche System ihre Funktion gleich mit, indem sie etwas repräsentieren. Seine Erklärung der Repräsentation ist also teleologisch insofern, als die Funktion zu Repräsentieren als Ziel des jeweiligen Systems angenommen wird, so dass die Funktion systemimmanent ist bzw. mitrepräsentiert wird, sobald das System erfolgreich repräsentiert. 130 Die

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zu einem Zeichenexternalismus führen muss, insofern die Differenzierung Dretskes von Bedeutung und Information daran scheitert, dass auch seine Information nur in einem Verstehensprozess Information ist, siehe: Dretske, Fred (1981): Knowledge and the Flow of Information. MIT Press. Cambridge 1999 Dretske 2001: 14 Dretske 1998: 15

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Funktion des Magentosoms besteht daher darin, die Beschaffenheit des magnetischen Feldes zu repräsentieren. Auf diese Weise repräsentiert das Tacho im Auto hinsichtlich seiner Funktion, die Geschwindigkeit anzuzeigen, die Geschwindigkeit richtig, wenn es die Geschwindigkeit hinsichtlich seiner Funktion, die es gleich mitrepräsentiert, richtig anzeigt. Die Informationen, die diese Repräsentationen anzeigen, sind nach Dretske natürliche Informationen, 131 denn sie stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Repräsentierten, sind in diesem Sinne also nicht konventionell repräsentierend.132 In diesem Sinne ist auch die Wachtelspur im Wald eine natürliche Information, da sie unmittelbar und richtig etwas über die Welt aussagt. Auch ein Thermometer tut dies beispielsweise nach Dretske. 133 Der Hintergrund dieser Argumentation ist schnell einsichtig gemacht, denn die Entwicklung des repräsentationalen Bewusstseins muss irgendwie beschreibbar sein und Dretskes Theorie hat natürlich den Vorteil, dass eine kontinuierliche Geschichte angenommen werden kann, wenn man wie er behauptet, dass das repräsentationale Bewusstsein sich aus den repräsentierenden Funktionen vorbewusster Lebewesen entwickelte. Allerdings ist die Erklärung der Repräsentationsfunktion in seiner technischen Terminologie zirkulär, da die Funktion des Repräsentierens sich nur für eine dritte-Person Instanz hinsichtlich eines richtigen oder falschen Repräsentierens von Informationen als Funktion in seinem Sinne darstellen lässt. Das Kriterium der Information und daran angeschlossen, das der Funktion ist also problematisch, da die Erklärung dieser nur dann nichtzirkulär ist, wenn eine Instanz mitdenkt, die zuschreibt, was richtiges Repräsentieren ist bzw. Informationen als Informationen erkennt. Dretskes allgemeines Repräsentationsverständnis ist also nicht das unsrige, da man im Sinne Dretskes zwei unterschiedliche Perspektiven einnehmen muss, um die Funktion zu bestimmen, jene, die einen nicht individualspezifischen biologischen Zweck sieht und jene, die einen Zweck für den Benutzer bzw. Hersteller impliziert, der nicht allein biologisch funktional sein muss. Echte Repräsentationen aber sind immer biologisch oder individualfunktional – eine Eigenschaft, die dem Anzeigen von Tachos schlicht nicht zugesprochen werden kann. Auf diesen Punkt werden wir 131 132 133

Dretske 1981, 1998 Dretske 1998: 20 Dretske 1998

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noch zurückkommen. Im Übrigen werden wir sehen, dass Millikan zu einem ähnlichen Fehler neigt. Zunächst allerdings zu Millikans Verständnis dieses Repräsentationsbegriffes. Millikan weist diesen Begriff der natürlichen Informationen Dretskes nämlich zurück, indem sie darauf verweist, dass Dinge und Sachverhalte der Welt, die nicht intentionale Informationen beinhalten, wie etwa die erwähnten Wachtelspuren, nur dann informativ sein können, wenn von einem weiteren diese Informationen repräsentierenden System Rückgriffe auf Regelmäßigkeiten gemacht werden können, 134 was selbstverständlich den erwähnten Instanzbezug darstellt, den wir für unabdingbar halten, um Repräsentationen funktional werden zu lassen (erste-Person Funktionalität). Nur wenn man in der Vergangenheit bereits eine Wachtel gesehen hat, wie sie diese Spuren hinterlässt, oder etwa bei der Försterprüfung gelernt hat, dass diese Spuren Wachtelspuren sind, wird man die Information entnehmen können, dass eine Wachtel irgendwann irgendwohin getrapst ist, so Millikan. 135 Echte Repräsentation ist für Millikan nur mentale Repräsentation. Natürliche Informationen nach Dretskes Art gibt es Millikan zufolge demnach nur als lokal wiederkehrende Zeichen. Sie versteht darunter, dass man nur dann natürliche Informationen repräsentiert, wenn das repräsentierende System dadurch lernt, dass es repräsentiert. Das heißt, man repräsentiert etwas nur dann, wenn die funktionale Rolle einer Repräsentation erfüllt ist, nämlich das Verhalten anzuleiten und dies vor allem auch über den Weg eine Schlussfolgerung zu ziehen bzw. ein Urteil zu bilden.136 Die Funktionalität Dretskes wird hier von Millikan zu einem rein biologischen Begriff umgewandelt, insofern, dass eine handlungsanleitende Funktion immer einem biologischen Zweck gleicht, der etwa der Erhaltung des Systems dient, wie zum Beispiel hinsichtlich der Magnetosome, den Bakterien anzuzeigen, wie das Magnetfeld beschaffen ist, so dass diese ihr Verhalten adaptieren können, um in sauerstoffarmen Gewässern zu verbleiben. Dieser Ablehnung der Funktionsbestimmung repräsentierender Systeme und Umformulierung der natürlichen Information in wiederkehrende lokale Zeichen, die Millikan vorschlägt, schließen wir uns zunächst ausdrücklich an. Von den natür134

Millikan, Ruth Garrett. Die Vielfalt der Bedeutung: Zeichen, Ziele und ihre Verwandtschaft. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 2008. S. 57 f. 135 Millikan 2008: S. 57 ff. 136 Millikan 2008: S. 118, 125

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lichen Repräsentationen Dretskes unterscheidet Millikan also die lokal wiederkehrenden Zeichen, die aus einer Dritte-Person-Perspektive heraus als rein biologisch zweckhaft beschrieben werden, also potenziell ihre Funktion erfüllen können müssen, das Verhalten eines möglichen, natürliche Informationen Repräsentierenden anzuleiten, um eben lokal wiederkehrende Zeichen sein zu können. Der naturalistische Repräsentationalismus, den Dretske vertritt, wird von ihr also genau unter dem Einwand abgelehnt, dass es immer etwas geben muss, das die Informationen auch funktional repräsentiert. 137 Es gibt hier allerdings ein Problem, denn somit können nach Millikans Ansatz die Magnetosome der Bakterien ebenfalls repräsentierende Systeme sein, ebenso wie Thermometer und Autotachos natürlich wiederkehrende Zeichen, denn auch diese sind für einen möglichen Repräsentierenden biologisch zweckhaft, indem sie eine Handlung anleiten, wie: sich eine Jacke anzuziehen, wenn es 0 Grad Celsius auf dem Thermometer zeigt bzw. zu bremsen, wenn das Tacho 100 km/h zeigt, obwohl nur 50 km/h erlaubt sind. Demnach sind auch die Wachtelspuren lokal wiederkehrende Zeichen, wenn sie von einem System repräsentiert werden. Denn sie zeigen an, in welcher Richtung eine Wachtel zu finden sein könnte, die schmackhafte Eier produziert. Der große Unterschied zwischen dem Thermometer, dem Tacho und den Magnetosomen ist der Umstand, dass es sich für Millikan bei den Informationen, die die Magnetosome den Bakterien anzeigen, um intentionale Zeichen handelt. Repräsentationen sind ihrer Auffassung nach wiederum genau dann intentionale Zeichen, wenn sie von einem Organismus zu einem bestimmten Zweck (der aus einer Dritte-Person-Perspektive zugeschrieben ist!) erzeugt wurden, welcher wiederum einen biologischen Zweck erfüllt. Tachos, ebenso wie Thermometer, sind nicht in der Lage, zu einem biologischen Zweck Repräsentationen zu erzeugen, da sie selbst keine biologischen Systeme darstellen. Die Repräsentationen, die sie leisten, ist für sie nicht nützlich. Intentionale Zeichen sind dann Zeichen, die im Unterschied zu den natürlichen Repräsentationen Dretskes zielgerichtet sind. Lokal wiederkehrende Zeichen sind hingegen nur potenziell zielgerichtet. Intentionale Zeichen müssen für das System als Zeichen funktionieren.138 Das ist für die Spuren im Waldboden genau dann nicht der Fall, wenn sie niemand als 137 138

Millikan 2008: 110 Millikan 2008: 110

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Wachtelspuren, also als lokal wiederkehrende Zeichen im Sinne von intentionalen Zeichen repräsentiert. Intentionale Zeichen zeichnet nun, zusätzlich dazu, dass sie repräsentiert werden müssen, aus, dass sie im Gegensatz zu natürlichen Zeichen und lokal wiederkehrenden Zeichen falsch sein können. Falsch sind sie genau dann, wenn sie ihrer biologischen Funktion nach, die aus einer DrittePerson-Perspektive heraus beschrieben wird, nicht gerecht werden. In diesem Sinne können intentionale Zeichen nach Millikan ihr biologisches Ziel verfehlen, für das sie evolutionär selektiert wurden, nämlich das Verhalten von Systemen aufgrund von korrekter Wiedergabe des Signifikats anzuleiten. Das ist etwa dann der Fall, wenn die betreffenden Magnetosome, die selektiert wurden, weil sie den anaeroben Bakterien anzeigen, wie das lokale Magnetfeld beschaffen ist, von jemandem mit einem starken Magneten beeinflusst, sauerstoffreiches Wasser aufsuchen und so ihr biologisches Ziel verfehlen. In diesem Fall würden sie also ihrer Funktion, für die sie selektiert wurden, nicht gerecht werden.139 Auf diese Weise sind diese Repräsentationen, die ihr Ziel verfehlen, intentional, weil sie es verfehlen können. Die falsche Wiedergabe der Geschwindigkeit bei einem Tacho, das in einem Fahrzeug die Geschwindigkeit falsch anzeigt, weil auf diesem zu große Reifen aufgezogen sind, hat keinerlei Auswirkungen auf das System, das hier natürliche Informationen falsch vermittelt. Es hat keine Konsequenzen für das Tacho. Bei Millikan besteht der Charakter einer Repräsentation in einem logischen Isomorphieverhältnis von Zeichen und Signifikat, 140 welches in seinem abbildenden Charakter zu einem den Umständen angemessenen Verhalten des repräsentierenden Systems führt. In dieser Funktion (proper function) der Verhaltensanleitung wurde es, Millikan nach, selektiert. Die Verknüpfung des Zeichenbegriffs erfolgt also explizit an den eines evolutionären Zwecks der Repräsentation selbst. Hinter Millikans Erklärungen allerdings verbirgt sich eine Sicht, die man ganz offensichtlich nicht teilen kann, wenn man Sprache im vorgeschlagenen Produktsinne externalisieren will. Häufig findet man bei ihr einen Verwirrung von 139

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Zur ausführlichen Diskussion dessen, was Millikan mit Funktion (proper function) meint, sie entfaltet hierzu eine gesamten Theoriekomplex, siehe: Millikan, Ruth Garrett (1984): Language, Thought and Other Biological Categories: New Foundations for Realism. MIT Press. Cambridge 1995. S. 28 ff. Millikan 2008: S. 99, 118

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externen und mentalen Zeichen, und doch wollen wir sie hier so verstehen, dass sie die Ansicht teilt, dass die wirklichen Repräsentationen als Zeichen nur im Repräsentierenden existieren und dass es sich eben um intentionale Zeichen handelt, kraft ihrer spezifischen Funktion, als Repräsentation für einen Repräsentierenden zu fungieren. Und obwohl im Großen und Ganzen hier ein naturalistischer Zeichenansatz vertreten wird, so wie ihn auch Millikan hinsichtlich der Bedeutung von Zeichen als individualspezifische Funktionalität dieses Zeichens vertritt, so muss doch abgelehnt werden, was sie recht unumwunden zugibt, nämlich, dass Dinge repräsentieren, wenn sie natürliche Informationen übertragen. 141 Diese Sicht übernimmt sie von Dretske, der hier allerdings ausschließlich von Repräsentationen spricht. Die Frage ist also, inwiefern es tatsächlich nicht terminologisch inkonsistent ist, einen Begriff der natürlichen Information und den daran gekoppelten Begriff des lokal wiederkehrenden Zeichens mitzuführen, gleichsam als Basiseinheit der Erklärung, wenn es doch niemanden gibt, für den dieses Zeichen wiederkehrt. Will man zu einer stimmigen Erklärung kommen, so soll hier vorgeschlagen werden, sollte man diese Zeichenbegriffe konsequenterweise aufgeben. Denn die lokale natürliche Information ist keine Information und auch kein Zeichen, insofern es niemanden gibt, der individualfunktional repräsentiert. Also macht es auch keinen Sinn in irgendeiner Weise, auch nicht zugunsten eines repräsentationalen Realismus, von den Wachtelspuren als lokal wiederkehrenden Zeichen zu sprechen, sondern nur von der Repräsentation dieser Zeichen. Vor der Repräsentation durch ein biologisches System gibt es keine Informationen und keine Zeichen. Innerhalb einer Theorie wie der hier vorgeschlagenen sind Repräsentieren, Zeichenhaftigkeit und Information keine Eigenschaften, ebenso wie Intentionalität keine Eigenschaft ist. Sie sind vielmehr Zuschreibungen und Beilegungen, aber keine Eigenschaften, wie etwa die Eigenschaft schwarz zu sein. Sie sind Zuschreibungen im Sinne Dennetts, Zuschreibungen vom intentionalen Standpunkt (intentional stance) 142 der dritten Person, einem Standpunkt der explanatorisch nützliche Fiktionen erschafft, die nicht mit Eigenschaften verwechselt werden sollten. Zu alledem wird noch einiges zu sagen sein. In diesem Sinne ist das einzige Zeichen Millikans, das ein wirkliches Zeichen 141 142

Millikan 2008: S. 108 Dennett, Daniel (1987): The Intentional Stance. MIT Press. Cambridge 1987

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ist, ihr intentionales Zeichen, als das Zeichen, das den privilegierten Platz in einem repräsentierenden System hat. Allerdings sollte auch klar sein, dass das Bakterium, das mit Hilfe von Magnetosomen das Magnetfeld der Erde repräsentiert, dies nicht intentional tut, denn es repräsentiert gar nichts auf erster-Person Ebene, ebenso wie der Tachometer nichts repräsentiert. Diese Systeme sind keine repräsentierenden Systeme auf erste-Person Ebene, sondern bloß reagierende oder responsive. Millikan meint jedoch, dass die anzeigende Funktion, die diese Repräsentation hat, eine Repräsentation erst dadurch ist, dass sie funktional innerhalb des Systems Bakterium repräsentiert wird. Dies ist aber eine unzulässige Funktionalitätsbeobachtung aus der Dritten-Person-Perspektive – es gibt hier keine Erfahrungsebene, also keine Funktionalität für das Bakterium, sondern nur eine von uns zugeschriebene. Ein Tacho repräsentiert dieser Auslegung nach nichts und es ist ebensowenig ein Zeichen wie die Wachtelspuren im Wald, denen niemand gewahr wird. Millikan versucht diesem Umstand eben dadurch Rechnung zu tragen, dass sie hier den biologischen Zweck eines lokal wiederkehrenden Zeichens einführt. Allerdings wird dieser Zweck von dem Bakterium ebensowenig erkannt, wie ein Tacho dies kann. Innerhalb des Zeichenbegriffes, den wir vorschlagen, sind Zeichen insofern immer intentional, im tradierten Gebrauch dieses Wortes, da sie immer in einem Bewusstsein irgendeiner Art vorhanden sind. Ohne Bewusstsein keine individualfunktionalen Repräsentationen und damit keine Zeichen bzw.: keine Bedeutung ohne Bewusstsein. Ist der Zusammenhang nur der einer Reaktion auf einen Reiz, wie die Reaktion eines Bakteriums auf ein Magnetosom, so ist dies keine zeichenhafte Repräsentation. Ein Zeichen ist zunächst eine Tatsache der ersten-Person Ebene des Bewusstseins, um eine echte Repräsentation zu sein, eine intentionale Repräsentation, die entweder Dinge oder Prozesse der Welt repräsentiert, mithin also auch das, was beispielsweise Tachos oder Wachtelspuren anzeigen. Da das Bakterium aber niemals anders kann, als der Anzeige des Magnetosoms auf eine bestimmte Weise zu folgen, ist hier keine erste-Person Beschreibung des Zusammenhangs zwischen dem Anzeigen des Magnetosoms und der Reaktion des Bakteriums möglich. Die Reaktion ist komplett durch das Magnetosom determiniert. Ein echtes Zeichen muss im Gegensatz zu dieser, aus einer Dritte-Person-Perspektive zugeschriebenen Repräsentation, zumindest prinzipiell eine Verwendung des Zeichens zulassen, also Verhaltensalternativen anleiten, statt determinierte Reaktionen einzuleiten, weil sonst keine Möglichkeit besteht zu differenzieren, zwischen dem, was wir als Menschen machen, wenn wir

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uns von Zeichen beeinflussen lassen und dem, was bewusstseinslose Tiere tun. In diesem Punkt weichen wir also weit von Millikans Zeichenbegriff ab. Wie sollte man auch einen Unterschied erklären können, zwischen den Repräsentationen, die Menschen leiten, und Repräsentationen, die nach Millikan Bakterien leiten, wenn wir nicht zugestehen, dass der Mensch und viele Tiere nicht vollständig auf eine Reaktion hin, in ihrer Eigenschaft zu repräsentieren, selektiert wurden. Die Eigenschaft, für jemanden funktional zu repräsentieren, ist unserer Geschichte nach eben kein ausreichendes Kriterium für echte Repräsentationen und auch nicht für Zeichen, die eine Form der Repräsentation darstellen. Echte Repräsentationen und echte Zeichen, die intentionalen Zeichen Millikans, müssen vielmehr immer mit einer Form von Bewusstsein verknüpft sein, so dass es eine Erste-PersonFunktionalität gibt und nicht nur die Möglichkeit dieser Funktionalität. Repräsentation ist ein funktionaler Bewusstseinsprozess, der vom repräsentierenden System selbst, zum Beispiel einem Menschen, als anzeigend verstanden wird und somit systemrelevant und verhaltensanleitend ist. Repräsentation ist demnach nicht allgemein ein Zustand eines Systems, der mit einem Sachverhalt in der Welt korrespondiert – hierbei handelt es sich nicht um Repräsentation, sondern um ein allgemeines Dependenzverhältnis, wovon Repräsentationen nur eine Form sind. Das Bakterium versteht die Repräsentation seines Magnetosoms ebensowenig, wie das Tacho die Geschwindigkeit des Autos versteht, in dem es verbaut ist. Dass etwas eine echte Repräsentation ist, ist ganz entscheidend davon abhängig, ob es sich hier um eine Erfahrung handelt. Nur weil wir eine anzeigende Eigenschaft in den Magnetosomen von Bakterien erkennen, heißt das nicht, dass diese für das Bakterium, das diese besitzt, eine Repräsentation der Welt liefern. Sie liefern nur einen Reiz, der mit der Beschaffenheit der Welt in einem kausalen Zusammenhang steht. Die biologische Funktion ist hier eine zugeschriebene. Repräsentationen aber sind individualfunktional und nicht nur biologisch funktional. Es sind nicht wir, als zuschreibende Instanzen, die den Dingen aufgrund ihrer Zweckhaftigkeit aus beispielsweise evolutionärer Perspektive Zeichenstatus zusprechen sollten, denn die evolutionäre Funktionszuschreibung über die evolutionäre Hypostasierung ist zwar eine hilfreiche Variante des intentional stance, die genau dann richtigerweise eingesetzt wird, wenn wir von biologischen Merkmalen reden,143 aber nicht, wenn wir von 143

Dennett 1987: 277 ff.

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Eigenschaften und Funktionen von einzelnen Repräsentationen reden, die selbst zunächst nicht biologischer Natur sind, sondern individualrelativer. Dies ist nicht dasselbe, auch wenn es sein kann. So ist das repräsentationale bzw. phänomenale Bewusstsein als Ganzes eine Eigenschaft eines biologischen Systems, und somit Kandidat für eine biologische Funktionszuschreibung im Sinne des intentional stance. Die einzelne, bewusste Repräsentation aber ist es nicht, da sie kein abstraktes Merkmal des Systems ist, sondern zu allererst ein Prozess der Zustände erzeugt, in denen es sich befindet. Ein weiterer Unterschied zu Millikan und Dretske ist der, dass die echte Repräsentation als individualfunktional zu beschreibender Prozess, im Gegensatz zu den Repräsentationen des Bakteriums beispielsweise, tatsächlich Handlungen anleitet, indem es die Signifikanz der Repräsentation vom System berücksichtigt wird, anstatt komplett von ihr determiniert zu werden. Hier zeigt sich auch die Gemeinsamkeit der Begriffspaare determiniertvoluntativ und unbewusstbewusst. Zeichen sind demnach das, was als Ding in der Welt einem System als entscheidungsbeeinflussend zur Verfügung steht. Dass es sich dabei um Isomorphe von Tatsachen der Welt handelt, soll dabei gar nicht bestritten, sondern vielmehr befürwortet werden. Ein echtes Zeichen ist gleichbedeutend mit einer echten Repräsentation, die eine verhaltensanleitende bzw. handlungsanleitende Funktion auf erster-Person Ebene aufweist und nicht nur in Beschreibungen aus dritter-Person Perspektive. Diese Ebene kann bei Bakterien ebenso wie bei Thermometern nicht existieren, da diese ganz offensichtlich keine Alternativen im Anzeigen und in der Anzeigeverwertung, so sie die Repräsentation denn überhaupt verwerten können, haben. Der Schluss lautet also, dass die einzig sinnvolle Art von Zeichen zu sprechen, in eins fällt mit der Rede von echten Repräsentationen, die wiederum mentale Tatsachen sind. Eine echte Repräsentation ist immer eine Repräsentation, die ohne Repräsentierenden schlicht nicht möglich ist. Das Repräsentieren als Prozess ist etwas, das in einem erste-Person Vokabular beschrieben werden muss, im Vokabular der Individualfunktionalität und Voluntativität. 144 Demnach sind alle echten Repräsentationen intentionale Zeichen und alle anderen Repräsentationen nur 144

Wir benutzen den Begriff der Voluntativität hier folgendermaßen: gemeint ist mit diesem Terminus die Willensfreiheit im Sinne des Wollen-Könnens: der Möglichkeit zu Wollen und somit der Möglichkeit zur Entscheidung.

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zugeschriebene Repräsentationen, ohne die Möglichkeit eines erste-Person Bezugs, der maßgeblich mit einem nichtdeterminativen Zusammenhang von vermeintlicher Repräsentation und Reaktion bzw. Verhalten und Handlung des betreffenden natürlichen Systems einhergeht. Das Ziel einer Naturalisierung des Zeichenbegriffs läuft bei Millikan leider auch in einen Zeichenexternalismus, den sie offenbar nur ausgehend von einem selbst auferlegten methodischen Zwang stipuliert, der sie nötigt, ihre systematische Beschreibung in allen Teilen über den Zweckbegriff zu vollziehen. Das Problem bei dieser umfassenden Zweckzuschreibung ist der Akt der Zuschreibung selbst, der innerhalb ihres Ansatzes den erstePerson Charakter von Zeichen und Repräsentationen nicht explizit reflektiert. Auch wenn Funktionalität nach wie vor für ein wesentliches Merkmal einer naturalistischen Beschreibung gehalten wird, vor allem hinsichtlich einer genealogischen Erklärung von Repräsentation und Bedeutung, so scheint doch die Funktionalität, die wir nur zuschreiben und die, die erfahren wird, grundlegend verschiedener Art zu sein und diesen Unterschied in unser Verständnis von Repräsentation zu überführen, ist auch für den Begriff Sprache essentiell wichtig, da Sprachprodukte wie Worte, Sätze oder Texte an sich nichts repräsentieren. Texte und Sätze sind keine zeichenhaften Gebilde, solange sie als bloße Entitäten erfasst werden. Sie können Zeichen und Repräsentationen anregen, wodurch sie als Medium fungieren und als Zeichen betrachtbar werden. An sich aber repräsentieren sie nicht, ebenso wie das Autotacho und das Magnetosom des oben erwähnten Bakteriums nicht repräsentieren. 4.3 Bewusstseinsinterne und -externe Zeichen Alle Bewusstseinsinhalte repräsentieren etwas im Sinne eines Prozesses auf etwas zu verweisen bzw. etwas isomorph abzubilden, wovon der zweite Ausdruck der zu bevorzugende ist, da in ihm nicht die typische Minimalerklärung des problematischen Begriffs der Intentionalität mitschwingt, dem wir uns an späterer Stelle noch zuwenden werden. Dass es sich dabei um eine Eigenschaft handelt, ist hier nur eine Zuschreibung zweiter und also abstrakterer Ordnung. Repräsentationales Bewusstsein ist eine Eigenschaft von Lebewesen. Die sogenannten theoretischen Einzelrepräsentationen aus denen es sich zusammensetzt sind es hingegen nicht. Das Prozesshafte einer Repräsentation wird durch die Rede von einer Eigenschaft unkenntlich gemacht. Das ist ein Problem, da man den Eindruck gewinnen könnte, man redete hier von in ihrer Struktur

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festgelegten Tatsachen. Aber ein Zeichen ist ein Prozess. Es ist, wie Saussure sagte, linear. Da Zeichen immer Bewusstseinsinhalte sind, sind sie neben ihrer Linearität auch dem brentanoschen Sinne nach immer intentional. Es gibt demnach nur intentionale Zeichen. Allerdings sind eben nicht alle Repräsentationen Zeichen. Aber alle Zeichen sind Repräsentationen. Zudem: Zeichen sind zwar immer Bewusstseinsinhalte, aber nicht alle Bewusstseinsinhalte sind Zeichen. Beispielsweise scheinen Emotionen oftmals nichts zu repräsentieren, sondern erscheinen vielmehr wie nicht-intentionale Bewusstseinsinhalte, was auch ihre Eigenschaft ausmacht, nicht falsch sein zu können. Es könnte sogar gänzlich falsch sein bei Emotionen überhaupt von Bewusstseinsinhalten zu reden, während dies für die Repräsentation dieser natürlich in Geltung bleibt. Das ist zwar ein überaus wichtiges Thema für jede umfassend ausbuchstabierte Theorie des Bewusstseins, kann hier allerdings nur am Rande ausgeführt werden, denn das Ziel ist ja nur eine minimale Erklärung des Bewusstseins, das einen explanatorisch passenden Puzzlestein in unser Bild eines naturalistischen Sprachkonzepts einfügt. Ganz im Gegenteil zu Emotionen können Zeichen eben aufgrund ihrer Intentionalität falsch sein, wie Millikan richtig bemerkt. 145 Alles, was beim Eintreten in den Bewusstseinsstrom (um einen husserlschen Term zu bemühen, 146 der ursprünglich von William James stammt und die Linearität des Zeichens ganz gut ausdrückt) in der Welt existiert und seinem Wesen nach in der Lage ist, über bestimmte physikalische Eigenschaften zu verfügen, ist für ein Repräsentationssystem, das über den sensomotorisch-kognitiven Apparat verfügt, bestimmte physikalische Eigenschaften als Reize zu verarbeiten, kein Zeichen, also auch kein lokal wiederkehrendes Zeichen, sondern eine lokal wiederkehrende Tatsache. Die Welt ist die Gesamtheit der Dinge, die erste-Person Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen 147 und 145 146 147

Millikan 2008: 55 Husserl, Edmund (1913): Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phenomenologischen Philosophie. Max Niemeyer. Tübingen 2002 Wir legen hier also eine Lesart des Tractatus zugrunde, in welcher Tatsachen immer bereits Repräsentationen sind. In diesem Sinne lesen wir den frühen Wittgenstein als einen kantisch geprägten Antirealisten, dessen Abhandlung als Plädoyer gelesen werden sollte, dennoch stets als Realist zu agieren. Nur deshalb können Sätze die Welt abbilden, weil sie Tatsachen entsprechen, welche uns die Sachverhalte der Welt darstellen. vgl. Wittgenstein, Ludwig (1921): Tractatus logico-philosophicus. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 1971

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keine dieser Dinge ist oder wird jemals zu einem Zeichen, sondern kann einen Zeichenprozess oder einen Repräsentationsprozess anregen, in welchem dieses Ding oder ein Sachverhalt als Tatsache repräsentiert wird. Bestimmte, die Welt repräsentierende Bewusstseinsinhalte, sind im fortlaufenden Strom des Bewusstseins, der linearen Gesamtrepräsentation demnach prozesshafte Zeichen, als sie Teile dieser Gesamtrepräsentation sind. Bewusstsein ist eine einzige zusammenhängende lineare Repräsentation, die aufgrund von kognitiven und also auch physiologischen Beschaffenheiten sowie erworbenen Fähigkeiten, die zur Herausbildung von Ökonomieprinzipien führen, in Fokussierungen zergliedert werden. Ein solches Bild zeichnet auch Dennett in Consciousness Explained, eine Erörterung, auf welche wir für eine substanziellere Analyse eines auf diese Weise arbeitenden Bewusstseins verweisen. 148 Zeichen werden in diesem Sinne als Teile der Gesamtrepräsentation diskriminiert. Diese Zeichendiskriminierung ist Folge von individualteleologischen Fokussierungsprozessen des individuellen Bewusstseins und den unbewussten Selektionsmechanismen, die das Bewusstsein selbst ist und die wir in der Beschaffenheit des editorial brain erklärt finden, der diskriminierenden und selektierenden Matrix, wie Dennett sie auseinandersetzt.149 Erst diese individuierten Teile der Gesamtrepräsentation sind als Teile und somit Zeichen im Repräsentationsstrom einzeln erkennbar. Diese sind als Teilrepräsentationen Teile des repräsentierten Ganzen. So können denn auch bestimmte Dinge der Umgebung sowohl als Ganzes als auch als Summe von Teilen begriffen werden, ohne dass ihre Gesamtheit angezweifelt werden muss (Dies könnte man als die parmenidische Struktur der linearen Gesamtrepräsentation bezeichnen): Die Gesamtrepräsentation ist insofern unveränderlich, als sie auch in Fokussierung und Prädizierung von Teilaspekten in ihrer Gesamtheit bestehen bleibt. Phänomenale Konstanz setzt eine unteilbare lineare Gesamtrepräsentation voraus, da nur durch diese, und sei sie auch nur imaginär, die Möglichkeit des Analogons besteht. Das dies ebenso eine Leistung des Gedächtnisses ist wie der linearen Gesamtrepräsentation bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung. In diesem Sinne gibt es keine falschen Repräsentationen. Millikan hingegen macht eine Differenz zwischen Repräsentationen auf, die zumindest nicht 148 149

Dennett, Daniel (1991): Consciousness Explained. Black Bay. Boston, New York 1991 Dennett 1991: 113, 126 ff.

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hinsichtlich eines bloß biologischen Kriteriums, 150 das Verhalten anzuleiten, falsch sein können und den mentalen Zuständen, die zwar Gehalte haben, aber kein Isomorphieverhältnis zur Welt besitzen und so Verhalten ihrer Meinung nach nicht funktional anleiten. Diese Differenzierung ist allerdings nicht wünschenswert, da es sich eben auch bei nicht-isomorphen Repräsentationen um Repräsentationen handelt, die Verhalten anleiten. Ob dies funktional oder nicht-funktional geschieht, hängt, wie schon bei Dretskes Funktionsbegriff, ausschließlich von der Interpretation der Funktion ab. Dazu reicht ein einfaches Gedankenspiel: Stellen Sie sich ein Einhorn vor. Sie haben jetzt eine Repräsentation eines Einhorns. Klassisch wahrheitskonditional ist dieser Repräsentation bekanntermaßen schlecht beizukommen. Man hat sie als unsinnig und vieles mehr bezeichnet, weil es keine korrespondierende Entität gibt, die diesem Gehalt entspricht. Aber auch nach dem teleologischen Kriterium Millikans ist sie falsch, da sie ihren biologischen Zweck nicht erfüllt, nämlich das Handeln, Verhalten, Reagieren in einer biologisch sinnvollen Art und Weise anzuleiten. Aber Sie denken doch immer noch an ein Einhorn, wenn Sie an ein Einhorn denken? Oder denken sie an kein Einhorn, wenn sie an ein Einhorn denken? Dass der Gedanke an ein Einhorn leer ist, kann nur jemand behaupten, der Zeichen im Grunde externalistisch beschreibt. Mithin also die Zweckhaftigkeit selbst, als Basisprinzip der Erklärung, völlig aus einer Dritte-Person-Perspektive definiert. Es muss in einer sinnvollen Variante des Naturalismus wie auch des Funktionalismus jedoch der tatsächlichen Zweckhaftigkeit Rechnung getragen werden, und das ist eine Zweckhaftigkeit nicht nur für ein Lebewesen, sondern für ein bestimmtes erfahrendes Lebewesen mit einer Erster-Person-Perspektive. Das teleologische Kriterium der biologischen Funktionalität muss hier scheitern, denn zweifellos kann auch eine vorgestellte Repräsentation Handlungen funktional anleiten, allerdings immer aus Erster-PersonPerspektive. Dass man ein Einhorn vorstellt, ist eine Repräsentation, die hilft, eine Geschichte von Einhörnern zu erzählen. Auch Missrepräsentationen leiten Verhalten funktional an. So ist ein Stern, dessen Licht auf dem Weg zur Erde besonders schwere Körper passiert, möglicherweise so abgelenkt, dass die Darstellung, die sich kraft der Repräsentationsfähigkeiten eines Systems diesem am Sternenhimmel bietet, zwar kein Isomorphieverhältnis der Sachverhalte ist, aber dennoch 150

Millikan 2008: 101

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hinreicht, um Verhalten sinnvoll anzuleiten: zum Beispiel den Acker zu bestellen, wenn dieser Stern Teil eines Sternbildes ist, das zu einer bestimmten Zeit im Frühjahr auftaucht. Millikans Funktionszuschreibung ist ebenso zirkulär wie die Dretskes, denn auch sie weiß nicht zu unterscheiden zwischen erster-Person Funktionalität und dritter-Person Funktionalität, sondern kennt vielmehr nur eine Variante der biologischen Funktionalität. Millikan hingegen würde also vermutlich auch sagen, dass gewisse Teilaspekte eines Dinges (einer Tatsache, wie etwa eines Buches) Zeichen sind, die in einer bestimmten Weise, konventionell, auf etwas verweisen. Aber was, wenn sie auf Einhörner verweisen? Dasselbe Problem begegnet uns also auch in dieser Formulierung. Ein solcher Verweis muss natürlich nach Millikan auch irgendwie falsch sein, nur, dass sie es als leer bezeichnet, aufgrund einer nicht vorhandenen dritten-Person Zweckhaftigkeit. Die rein biologisch-teleologische Semantik steht hier auf ebenso problematischem Grund, wie die referenztheoretischen Wahrheitstheorien. Für einen Gedanken, der ein Einhorn beinhaltet, würde man nur durch Methodenzwänge genötigt sagen wollen, er wäre leer. Das Problem des leeren Gehalts ist also ebenso wie der der Zeichendefinition ein Problem der Perspektive. Denn das Zeichen hat einen Gehalt und auch eine Funktion, allerdings nur aus der Perspektive des individuell repräsentierenden Systems. Diese ist mitunter eben keine biologische Perspektive, sondern eine kulturelle oder eben nicht unmittelbar biologisch zweckhafte, sondern eine individualfunktionale. Dass man sogenannte falsche intentionale Zustände im Sinne von Repräsentationen konstatiert, liegt also allein daran, aus welcher Perspektive man sie beschreibt. Eine Beschreibung der Repräsentationen eines Individuums als falsch, also nicht den Tatsachen oder den biologischen Zwecken, zu denen sie selektiert wurden, entsprechend, gibt es eben nur aus der Dritten-Person-Perspektive. Es gibt auf erster-Person Ebene keine falschen Repräsentationen, da die Erste-Person-Perspektive immer vollständig durch die Gegenwart, die Unmittelbarkeit des Bewusstseins, determiniert wird. Das ‚Wie es ist‘ ist unbezweifelbar und somit nicht in Begriffen von wahr oder falsch aufzulösen, bevor nicht ein dritte-Person Maß an dieses angelegt wird. Die vollkommen naturalistische Lösung des brentanoschen Paradox der Nichtexistenz von Objekten des Denkens, wie etwa einem König von

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Frankreich der eine Fleischmütze trägt, 151 welche Millikan im Zuge ihrer Theorie anbieten könnte, hat leider eine Externalisierung von Zeichen in Kauf genommen, um die biologische Zweckhaftigkeit als das global bestimmende Merkmal auszuzeichnen. Doch diese Zweckhaftigkeit, die als bestimmendes Element in unserer Erklärung von Sprache in abgewandelter Form eine zentrale Rolle spielt und deren Umformulierung auf den Ideen Millikans fußt, kann nicht als naturalistische Erklärung für etwas fungieren, das völlig kontrafaktisch als etwas externes beschrieben wird: Zeichen bzw. Repräsentationen. Funktionalität existiert nur für jemanden, der diese Funktionalität (als Bewusstseinsinhalt) hat: für den etwas auf erster-Person Ebene funktional ist. Das kann man aus Dritter-Person-Perspektive natürlich immer zuschreiben, wenn ich einen Endzustand als zielhaft annehme, auf ErsterPerson-Perspektive allerdings nicht notwendigerweise, so diese erstePerson Ebene überhaupt im jeweiligen Fall gerechtfertigterweise angenommen werden kann. Die Dinge sind nicht von sich aus Zeichen. Auch die Wachtelspuren auf dem Boden nicht, ebensowenig geschriebene oder gesprochene Worte. Um ein Ende zu finden: Das Problem ist nicht zu sagen, dass das Glucken der Henne beim Finden eines Korns ein Zeichen ist. 152 Das ist nur ungenauer Sprachgebrauch. Aber es ist ein Problem zu sagen, es ist ein intentionales Zeichen, dessen repräsentativer Gehalt darin besteht, den biologischen, evolutionär positiv selektierten Zweck zu haben, einen Effekt für die Küken zu besitzen. Weshalb? Weil das Glucken selbst kein Zeichen ist, sondern erst die Repräsentation dieses Gluckens. Es ist auch ein terminologisches Problem, um das es bisher ging und das eine klare Differenzierung hinsichtlich der eigenen Terminologie nötig macht. Trotz des nicht geteilten Zeichenbegriffs ist Millikans Ansatz doch ungemein nützlich für unser Vorhaben, sowohl was die Natur von echten Repräsentationen als auch unseren externalistischen Sprachbegriff anbelangt. Eines muss jedoch verstanden sein: Sprache zu externalisieren, heißt nicht notwendigerweise, Zeichen zu externalisieren. Sprache, so wie wir sie definiert haben, ist nicht zeichenhafter als andere Dinge der Welt.

151

152

vgl. Russell, Bertrand (1904): On Denoting in: Stegmüller, Wolfgang (Hrsg.) (1978): Das Universalien Problem. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt 1978. S. 21-40 Das Beispiel stammt aus Millikan 2008

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Für Millikan heißt Zeichen zu externalisieren, Sprache zu naturalisieren. Unserem Vorschlag nach ist dem nicht so. Zeichen sind nie etwas Bewusstseinsexternes, so wie auch sprachliche Zeichen nie etwas Bewusstseinsexternes sind – die reine Sprache ist bloßes Ding unter Dingen. Unser naturalisiertes Konzept dessen, was Sprache ist, beruht nicht auf einem Zeichenexternalismus, sondern auf Sprachexternalismus. Konsequentiell muss also die Rede von externalisierten Zeichen jeder Art zugunsten eines terminologisch sauberen Vorgehens aufgegeben werden. Nun also zur vorgeschlagenen Terminologie, die zentrale Punkte des Ansatzes Millikans dennoch unberührt lassen wird, was natürlich ein wichtiger Umstand ist, wenn man ihrer Argumentation hinsichtlich der intentionalen Zeichen zu folgen vor hat. Einige der Begrifflichkeiten, die eingeführt werden sollen, sind hierbei bereits erwähnt worden. 4.4 Perspektive und Information Bei der weiteren Entwicklung der Begriffe ist ein Kriterium von besonderer Bedeutung. Es ist auch hier das der Perspektive der Erklärung. Es hängt von diesem Kriterium ab, ob das Phänomen der Repräsentation beschrieben oder nur zugeschrieben wird. Dieser Unterschied wird eben genau dann wichtig, wenn man sich über den Sprachbegriff als solchen klar werden will und natürlich auch, wenn man eine Erklärung des Verhältnisses von Intentionalität und Sprache geben können muss, die sich in einen Sprachexternalismus integrieren lässt. Zunächst, wenn auch nicht allzu detailliert, muss der Begriff der Information bestimmt werden, da dieser in einer Erklärung von Repräsentation, Zeichen und Bedeutung eine grundlegende Rolle insofern spielt, als er in all diesen Begriffen grundlegend enthalten ist. Eine Information, wie etwa, dass vor uns ein Tisch steht ebenso wie dass dort Spuren auf dem Waldboden zu sehen sind, muss ich als etwas auffassen, das den Dingen der Welt nicht automatisch zukommt, wie wir sehen werden. Es handelt sich nichtum Eigenschaften. Wir differenzieren uns somit erneut von Dretskes Auffassung. 153 Dass dort Spuren auf dem Waldboden sichtbar sind, wird ein Blinder nicht erkennen, wenngleich sie dennoch als Form des Bodens selbst vorhanden sind. Die Information, dass es sich um 153

Dretske 1999

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Unebenheiten, Spuren, Wachtelspuren handelt, liegt nicht in der Beschaffenheit des Bodens begründet, sondern in einem System, dass diese Beschaffenheit repräsentiert, so dass die Informationen erst in der Repräsentation überhaupt vorhanden sind. Spricht man also davon, dass Informationen repräsentiert werden, so ist hier damit gemeint, dass Repräsentationen informativ sind. Die Information taucht buchstäblich erst auf, wenn sie da ist – in der bedeutungsvollen Wahrnehmung, und das ist, in der bewussten Repräsentation. Lassen Sie uns ein viel strapazierten Beispieltyp nutzen, um diesen Umstand noch deutlicher werden zu lassen. Stellen Sie sich vor, ein humoristisch Begabter schüttet Ihnen auf einer Party etwas LSD in ihr Getränk. 154 Bevor Sie merken, dass Ihnen komisch zumute wird, gehen sie aus dem Haus in den Garten, der an ein Waldstück grenzt. Als Sie nahe an den Bäumen des Waldes stehen, sehen Sie Spuren auf dem Boden. Sie beugen sich herab, um die Spuren genauer sehen zu können, denn Sie waren vielleicht als Kind bei den Pfadfindern und wollen herausfinden, um welches Tier es sich handelt, das diese Spuren hinterlassen hat. Aufgrund dieses Wissens entscheiden sie, es müssen Wachtelspuren sein. Sie erheben sich wieder, denn nun haben Sie die Information, dass diese Spuren dort Wachtelspuren sind. Was Sie allerdings nicht gemerkt haben ist, dass es dort gar keine Spuren gibt, noch nicht einmal einen Waldboden, sondern nur, sagen wir, einen reichlich begrünten Parkplatz. Sie haben die Welt dort hinter dem Garten als etwas gesehen, was für alle anderen, nicht in ihrer Repräsentationsweise Beeinflussten, nicht einmal existiert. Und dennoch würden Sie nicht darüber sprechen, weil es Ihnen uninteressant erscheint, darüber zu berichten und auch sonst nie eine Situation mit Ihrer Wahrnehmung der Wachtelspuren konfligiert, so ‚wüssten‘ Sie, dass es dort Wachtelspuren gibt. Die Repräsentation der Beschaffenheit des Bodens hat Ihnen diese Information wohl übertragen, oder doch nicht? In der wirklichen Welt gibt es noch nicht einmal einen Waldboden. Die Information, die sie entnommen haben, um zu dem Schluss zu gelangen, es gäbe dort Wachtelspuren, war hinsichtlich der Einschätzung einer vermutlich überwältigenden Mehrheit an Artgenossen schlichtweg falsch. Ihre Informationen waren stets nur in ihrem Kopf, so wie alle Informationen, die Sie je haben werden, nur innerhalb ihres Bewusstseins 154

Die Inspiration zu diesem Beispiel stammt aus: Kripke, Saul A. Wittgenstein on Rules and Private Language. Harvard University Press. Cambridge 1982

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Informationen für Sie sein werden. Wer jetzt dagegen argumentiert, die Halluzination beinhalte allerdings einen Kernbestand an Merkmalen der wirklich vorhandenen Welt, was hieße, dass diese doch Informationen enthält, dem muss man dazu sagen, dass der Unterschied zwischen Wahrnehmungswissen, also das, was aus der bloßen Wahrnehmung entnommen wird, einen Kernbestand an sinnlich vermittelten Reizen enthält, aber nicht an Informationen, die erst in der Überführung zum Glauben/Wissen Informationen tragen. 155 Allerdings soll hier auf die Unhintergehbarkeit der Raumzeitlichkeit auf erster-Person Ebene hingewiesen werden. Dass eine solche Erfahrung sich bewusst nur innerhalb dieser Kategorie abspielen kann, ist, mit Kant gesprochen, ein grundlegendes Merkmal des psychophysischen Systems Mensch, beziehungsweise seines Bewusstseins und ist denkbarerweise der unhintergehbare Kernbestand des halluzinierenden Systems, welches Sie dort im Garten waren. Das, was jemanden zu einer bestimmten Erfahrung zu bringen vermag, ist keine Information, sondern ein Ding in der Welt, das auf der Grundlage der psychophysischen Verfassung eines etwaigen Systems ein Reiz sein kann oder nicht. Was mit den Reizen dann passiert, ob eine Information daraus wird oder nicht, entscheidet sich erst innerhalb des Systems. Eine Information ist demnach etwas anderes als ein Reiz. Das Licht, das auf die Photorezeptorzellen trifft, die Schallwellen, die das Trommelfell in Schwingung versetzten, die kinetische Energie, die die Druckrezeptoren der Haut anregt sind in diesem Sinne keine Informationen. Nur aus einer dritte-Person Beschreibung sind sie es, denn es ist durchaus einleuchtend zu sagen, dass es zu einem Erkennen von Teilaspekten der Welt beitragen kann, wenn das Licht auf die Photorezeptoren des Auges trifft. Das tut es aber eben nur aus einer Dritte-Person-Perspektive, wenn ich die ErstePerson-Perspektive in die Erklärung unreflektiert integriere. Denn nur von außen beobachtet, kann ich nicht sagen, dass das Licht, welches auf das Auge trifft, eine informationsgebende Wirkung hat, die in einer veränderten Wahrnehmung der Zustände der Welt begründet liegt. Der Schlüsselbegriff ist hier natürlich der der Wahrnehmung. Lassen Sie uns hierzu ein weiteres Gedankenspiel anstellen: Stellen sie sich einen unbewohnten Planeten vor. Und nehmen wir an, es gibt kein Lebewesen, 155

vgl. hierzu: Roessler, Johannes (2009): Perceptual Experience and Perceptual Knowledge in: Mind 118 (472). 2009. S. 1013-104

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das diesem Planeten oder einem Teilaspekt dieses Planeten jemals in irgendeiner Form gewahr geworden wäre. Inwiefern können wir sagen, dass der Planet Informationen für uns enthält? Der Punkt ist: Das können wir nicht. Obwohl der Planet in einer bestimmten Bahn um seinen Stern kreist und ebenso das Licht reflektiert und auch sonst ein Himmelskörper ist, der den uns bekannten in allen Facetten der Be-schreibbarkeit entspricht, so können wir doch nichts über ihn sagen, bis wir ihn uns zumindest vorstellen. Wobei wir dann allerdings eben nur etwas über die Vorstellung sagen können, also auch nur dieser Informationen entnehmen können. Aber solange wir keine Planeten gesehen haben, keine Messung vollzogen haben, der uns auf seine Existenz hinweist, so lange gibt es nicht nur diesen Planeten für uns schlicht nicht und auch keine Information, die diesen Planeten betrifft oder ihm eigen wäre. Es gibt also so lange auch keine Information, die diesen Planeten auch nur in irgendeiner Weise betrifft, obwohl er ja da ist. Und das ist das Be-merkenswerte. Informationen liegen nicht in den Dingen der Welt, sondern erst im Gewahrwerden dieser Dinge bzw. im Gewahrwerden an sich (Schlussfolgerndes Denken ist in diesem Sinne informationsgenerierendes Gewahrwerden). Informationen gibt es erst, wenn ich mir dieser bewusst werde – ohne repräsentierendes Bewusstsein keine Information. Information ist somit der Teilaspekt einer Repräsentation, auf den wir uns aus einer dritten-Person Beschreibung heraus beziehen, um sagen zu können, weshalb die Repräsentation funktional war. Auf erster-Person Ebene gibt es Informationen nicht, sondern nur motivierende Emotionen, Überzeugungen und Intentionen, die aus dem analogisierenden Automatismus der Verknüpfung momentaner Repräsentationen mit mnematischen Repräsentationen erfolgt. Dazu wird später noch mehr zu sagen sein. In diesem Sinne ist also auch unser Bakterium nicht mit der Information versorgt, die das Magnetosom ihm übermittelt, sondern nur mit kausal beschreibbaren Reizen, die im Falle einer funktionierenden Reiz-Reaktionskette zu einem bestimmten Verhalten determinieren. Diese Beschreibung ist eine Beschreibung eines Beobachters, eine dritte-Person Beschreibung. Hier können wir Information oder Repräsentation nur zuschreiben, da es schlicht keinen Anhaltspunkt gibt von einem Bewusstsein auszugehen. Ab wann die Anhaltspunkte genügen, ist natürlich die Frage, auf welche wir noch eingehen müssen. Gibt es keinen Standpunkt, so gibt es auch keine Information. Information ist nicht in den Dingen, sondern wird entweder zugeschrieben oder ist Teil einer Repräsentation. Das, was in der Welt

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unabhängig von uns und unserem Gewahrwerden existiert, ist nicht an sich informativ, sondern hat Eigenschaften. Information ist kein ontologisches Moment. Für unsere Zwecke reicht es, sich zu vergegenwärtigen, was wir mit Information meinen: die Eigenschaft einer Repräsentation bewusst zu sein und somit zu bedeuten, was heißt, dass wir, wie erwähnt, Dretskes Informationsbegriff gänzlich ablehnen, nach dem eine Information bereits im Signal steckt, dass von einem Ding ausgehen kann und welches die Form ‚s is F‘ besitzt, wobei s für das jeweilige Ding und F für die Wahrnehmung diese Dinges als etwas bestimmtes steht. 156 ‚s is F‘ ist aber nicht Teil des Signals, sondern der Repräsentation des Dinges durch ein Signal erst nachgeordnet. Erst indem das Ding zu einer (Bewusstseins-) Tatsache wird, wird es informativ. Es braucht eine Repräsentation, es braucht einen Beobachter, der repräsentiert. 4.5 Echte und unechte Repräsentationen Informationen sind also maßgeblich an ein repräsentierendes System gekoppelt. Aber was ist eine Repräsentation und was ein repräsentierendes System? Unter einem repräsentierenden System verstehen wir ein System, welches zu Repräsentationen imstande ist, also mit einer bestimmten Form von Bewusstsein ausgestattet: dies sind fürderhin ausschließlich biologische Systeme. Dieser Sprachgebrauch ist ein gänzlich anderer als der, den Dretske oder auch Millikan vorschlagen, für die ein repräsentierendes System auch eine Entität oder ein Sachverhalt sein kann, der unecht repräsentiert. Unserem Vorschlag nach ist es nur sinnvoll über ein repräsentierendes System zu reden, wenn dieses System auch Repräsentationen haben kann. Dieser Umstand wird deutlicher, wenn nun in der Folge die Begriffe der echten und der unechten Repräsentation erläutert werden. Diese beiden Termini sollen unserer Spracherörterung vor dem geschaffenen Hintergrund unserer bisherigen Erklärungen eine gewisse vorläufige Klarheit im terminologischen Dickicht schaffen, das die gesamte Bewusstseinsdiskussion überwuchert, wenn eben auch nur zu unserem ganz eigenen Zweck einer naturalistischen Sprachbegriffsbestimmung. In Auseinandersetzung mit Dretske und Millikan wurde im vorigen Abschnitt versucht zu zeigen, dass eine echte Repräsentation ebenso wie echte Information immer an ein Bewusstsein gekoppelt ist. 156

Dretske 1999: 66

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Also an eine Erste-Person-Perspektive, die daher prinzipiell auch einen reflektierten Ort in der dritten-Person Erklärung von Repräsentations- und Informationserklärungen haben muss. Im Folgenden wird nun versucht, diese Begriffe noch etwas deutlicher zu umreißen. Was ist eine unechte Repräsentation? Unechte Repräsentationen sind alle Repräsentationen, die nur zugeschrieben sind. Also alle Repräsentationen, deren Beschreibung und Erklärung ohne jede Erste-Person-Perspektive hinsichtlich des Beschriebenen auskommt. Das heißt, sie werden beschrieben, ohne dass es ein Bewusstsein gibt, bis auf das, welches die Erklärung bzw. Zuschreibung der unechten Repräsentation als Repräsentation vornimmt, und zwar von Standpunkt des intentional stance. 157 Ein Autotachometer zum Beispiel, das bei Dretske158 die Geschwindigkeit des Automobils, mit dessen Achse dieser Tachometer verbunden ist, repräsentiert, repräsentiert unserer Terminologie nach gar nicht. Ebensowenig wie es eine Eigenschaft eines Tachos ist zu repräsentieren. Nur innerhalb einer Repräsentation kann er diese Funktion haben. Und auch das ist nicht beliebig auf alle Bewusstseinstypen erweiterbar, denn es ist offensichtlich, dass das Tacho für beispielsweise eine Fledermaus niemals die Funktion haben kann die Geschwindigkeit eines Objekts anzuzeigen. Es handelt sich um eine zugeschriebene Repräsentationseigenschaft, in unserem Sinne also um eine unechte Repräsentation. Ohne informationsentnehmenden Repräsentierenden gibt es auch keine Information darüber, wie schnell das betreffende Auto fährt. Es gibt keine Funktion, nur ein Objekt, eine Entität bzw. einen Sachverhalt, der in einem logischen, kausalen oder konventionellen Zusammenhang mit einem anderen Ding oder einer Repräsentation steht. Eine Tatsache, eine Entität, ist erst in dem Moment ein Anzeigen, in dem sie von einem Bewusstsein repräsentiert wird. Unechte Repräsentationen existieren in diesem Sinne nur als Gehalte echter Repräsentationen. In diesem Sinne existiert auch das, was man für gewöhnlich als sprachliche Zeichen versteht, nur im Sinne repräsentationaler Gehalte, die konventionell an bestimmte weitere Repräsentationen geknüpft sind. Der Übergang, vom gehaltvollen Anzeigen eines Repräsentierten als Information zum konventionellen Anzeigen eines Repräsentierten ist hier natürlich ein kritischer Abschnitt in der Geschichte zur Natur der Sprache. Was sind echte Repräsentationen? 157 158

vgl. Dennett 1987 zum Beispiel: Dretske 1998: S. 37 ff., 146 ff.

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Echte Repräsentationen sind Repräsentationen auf erster-Person Ebene, die auch über die Dritte-Person-Perspektive beschrieben werden, allerdings notwendig unter Einbindung eben der Erste-Person-Perspektive. Dabei ist zu beachten, dass einem Erklärenden tatsächlich nur die Dritte-PersonPerspektive bleibt, um Beschreibungen und Erklärungen zu machen. Dies ist ein kritischer Punkt in jeder Betrachtung des Bewusstseins, auf den, außer von Daniel Dennett, relativ wenig Wert gelegt wird. 159 Tatsächlich wird im stetigen Verweis auf den privilegierten Zugang zur eigenen Erfahrung sogar das Gegenteil behauptet. Wir haben für unsere (Selbst-) Beobachtungen und Beschreibungen aber nur die Dritte-Person-Perspektive. In der Erklärung von echten Repräsentationen im Gegensatz zu den unechten ist es jedoch ein notwendiger Teil der expliziten Erklärung, die Erste-Person-Perspektive in die DrittePerson-Perspektive zu integrieren bzw. diese einzubetten, ohne die drittePerson Beschreibung zur ersten-Person Beschreibung werden zu lassen. Die Nicht-Reduzierbarkeit der Erste-Person-Perspektive, auf die Nagel hinweist, 160 muss sich auch in der Methodik der Erklärung erster-Person Phänomene wiederfinden, indem stets vermieden wird, die verallgemeinernden und nichtindividuellen Aspekte jeder dritten-Person Beschreibung uneingeschränkt gültig zu setzen, aber umgekehrt ist es auch unbestreitbar, dass es keine erste-Person Beschreibung gibt, da das Beschriebene niemals das Beschreibende gleichermaßen sein kann. Im Falle von Bewusstseinstatsachen ist es mit der Allgemeinheit nicht weit her, die nicht explizit mit dem erste-Person Maßstab Maß nimmt. Man muss sich klar machen, dass die Erste-Person-Perspektive selbst nur beschrieben werden kann, sie kann nicht selbst beschreiben. Man muss sich zudem klar machen: Selbst bei den Beschreibungen eigener Bewusstseinsinhalte müssen wir notgedrungen auf die dritte-Person Ebene wechseln, um etwaige Repräsentationen zu repräsentieren.161 Indem wir eigene phänomenale Bewusstseinsinhalte, welche an sich Tatsachen repräsentieren, repräsentieren, wechseln wir bereits in einen Bewusstseins159 160 161

Dennett 1991: 71 ff., Dennett 2007: 50 ff., 103, 167 Nagel 1974 und Nagel, Thomas (1986): Der Blick von Nirgendwo. Reclam. Stuttgart 1992 Es handelt sich hier um eine Ablehnung des cartesianischen Gefälles der epistemischen Zugänglichkeit und um eine Annäherung an eine platonische Auffassung der Möglichkeit der Beschreibung von Bewusstseinsinhalten.

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modus, der nur einer dritte-Person Beschreibung als Grundlage dienen kann. Vielleicht dazu ein weiteres kurzes und möglicherweise ungenaues, aber dennoch praktisches Beispiel der echten Repräsentation von echten phänomenalen Repräsentationen. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen auf einer Bank in einem Park. Es ist Frühsommer. Die Vögel sind aus dem Süden längst wiedergekehrt. Ein Vogel sitzt vor Ihnen im Gras und zupft einen Wurm aus dem Boden. Wie beschreiben Sie dies? Sie sagen vielleicht etwas, wie: ‚Ich sehe, dass der Vogel einen Wurm frisst‘. Indem Sie dies sagen, haben sie ihr Erleben, ihr Gewahrwerden, bereits zu einer weiteren Repräsentation werden lassen, was durch das Wort ‚ich‘ angezeigt wird, welches in diesem Sinne als ein Indikator für eine Objektivierung ihres Selbst bzw. ihrer Wahrnehmung fungieren kann. Die einzige Perspektive der Erklärung und Beschreibung aber ist hierbei die Dritte-PersonPerspektive. Haben Sie es bemerkt? Allerdings ist der Selbstbezug, der hier im Wort ‚ich‘ steckt, immer auch ein Integrieren einer Erste-PersonPerspektive. Sie gehen, wenn Sie davon sprechen, Sie hätten etwas gesehen, immer von einem, und zwar Ihrem je eigenen Wahrnehmungsstandpunkt aus, der stets ein von anderen Perspektiven zumindest raumzeitlich differenter ist. Das eigene Bewusstsein wird objektiviert in Beschreibungen desselben eingebettet. Dies ist Teil der Irreduzibilität der ‚Wie es ist‘ Qualität von Erfahrungen, auf die Nagel hingewiesen hat. Indem Sie diesen Relativsatz mit einem /ich/ formulieren, haben sie bereits ausgedrückt, dass Sie sich beschreiben, anstatt die erste-Person Erfahrung ungefiltert weiterzugeben. Aber das ist auch gar nicht weiter schlimm, weil es, wie gesagt, überhaupt nicht möglich ist. Was passiert, ob auf Ebene ihres Bewusstseins oder in der restlichen Welt, ist schlicht das, was Sie erinnern, das passiert ist. Eine Beschreibung der eigenen Wahrnehmungen enthält die Erste-PersonPerspektive notwendigerweise als eingebetteten Gehalt, aber sie kommt dieser nicht näher als allen anderen Gedächtnisinhalten. 162 Indem sie über ihre Erfahrungen sprechen, haben Sie sie bereits objektiviert bzw. repräsentiert. Es gibt keine repräsentationale Ebene, die eine erste-Person Erklärung überhaupt ermöglicht. Dass Sie den Vogel sehen, wie er einen Wurm frisst, heißt zwar, dass Sie diese erste-Person Erfahrung sehr wohl haben, aber Sie können Sie erst in ihre Merkmale gliedern, in Kategorien teilen, in einen propositionalen Rahmen zwängen, wenn Sie sie als 162

vgl. Dennett 1991: 132

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Repräsentation introspektiv ‚beobachten‘, also erneut repräsentieren, dass Sie die Erfahrung hatten, dass Sie einen Vogel sahen, der einen Wurm fraß. Ganz offensichtlich spielt also das Gedächtnis eine gewichtige Rolle unserer Erklärung. Dritte-Person Beschreibungen betten erste-Person Wahrnehmung ein, ebenso wie die Introspektion eine Repräsentation einer Wahrnehmung, einer anderen Repräsentation ist. Insofern behauptet Dretskes Satz Gültigkeit, dass man Erfahrungen, also Bewusstseinsinhalten, ebenso gewahr wird wie externen Gegenständen 163 und Dennetts Ansatz einer Heterophänomenologie ist hinsichtlich seiner Besinnung auf die Zwangsläufigkeit der dritten-Person Wissenschaft grundlegend richtig. 164 Aufgabe jeder Wissenschaft, die Bewusstseinsphänomene zu erklären wünscht, und dazu gehören auch die Wissenschaften, die sich mit Sprache auseinandersetzen, da sie sich mit einem Bewusstseinsphänomen auseinandersetzen, ist es, diesen Unterschied in den jeweiligen Beschreibungen und Erklärungen zu reflektieren. 4.6 Vom Repräsentieren zur Selbstobjektivierung zur Fähigkeit zu Verstehen Was Sie da als Erfahrung repräsentieren, ist eine Tatsache bzw. eine Bewusstseinstatsache. Diese Repräsentation ist einer Erklärung aber nur retrospektiv und also in einer dritte-Person Beschreibung zugänglich. Dies ist die Erfahrung der Tatsache als Tatsache, zum Beispiel, dass der Vogel auf dem Gras vor Ihnen einen Wurm zupft. Diese Repräsentationen von Dingen und Sachverhalten, die damit selbst Ausgangspunkt einer Tatsache werden, haben die (erste-Person) Funktion als isomorphe Darstellung der Dinge und Sachverhalte, Informationen möglich zu machen, die zumindest prinzipiell dem Zweck dienen Handeln und Verhalten in einer individuell sinnvollen Weise zu koordinieren. In diesem Sinne ist das Bewusstsein eine anticipation machine, wie Dennett schreibt. 165 Halluzinieren im oben beschriebenen Beispiel ist daher als Variation der sonstigen linearen Gesamtrepräsentation des Bewusstseins beschreibbar, allerdings eben nicht als leere Repräsentation oder falsche Repräsentation. Auf subjektiv-linearer Ebene mag der Verifikationismus funktionieren, aber an und für sich gibt 163 164 165

Dretske 1998: 72 Dennett 1991: 72 Dennett 1991: 177

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es hier kein wahr oder falsch, sondern nur Erfahrungen, die so sind, wie sie eben sind. 166 Diese Position sollte uns allerdings nicht zu einem mentalen Monismus (Berkeley, Hegel) führen, sondern nur zu einem starken sozialen Konstruktivismus, einer Position, deren Ausarbeitung einer anderen Abhandlung vorbehalten bleiben muss. Indem Sie gewahr werden, was Sie repräsentieren, einen Vogel, der einen Wurm fängt, zum Beispiel (also im Sinne einer Introspektion, was sie gerade wahrnehmen), haben Sie also eine Repräsentation einer Repräsentation. Der Unterschied zur linearen Gesamtrepräsentation besteht nun darin, dass Repräsentationen von Repräsentationen im Gegensatz zu Repräsentationen der Dinge der Welt konzeptueller Natur sind – sie sind bereits vermittelt bzw. subjektiv informativ, indem sie Bedeutungen tragen. Erst hier sehen Sie den Vogel als Vogel, als Lebewesen, von dem Sie etwas wissen, den Wurm als potenzielle Nahrungsquelle für Vögel und so weiter. Erst hier gibt es Informationen. Es handelt sich dabei um Repräsentationen einer zweiten (höheren) Ordnung. Diese Repräsentationen zweiter Ordnung sind notwendig für Erklärungen und Beschreibungen. Ohne ein Gewahrwerden bzw. Bewusstwerden der echten Repräsentationen erster Stufe, was einem Fokussieren und damit Individuieren eines Teils der Gesamtrepräsentation des bloß wahrnehmenden Bewusstseins erster Stufe gleichkommt, gibt es keine Merkmals- und Relationsindividuation, die die Grundlage jeder Beschreibung und Erklärung auf erster-Person Ebene bilden. Nur in dem Fall, dass Sie ihre Aufmerksamkeit auf den Vogel lenken, also die lineare Gesamtrepräsentation auf einen Teil hin fokussieren, können Sie aufgrund von Metakategorien bzw. Begriffsdeterminanten wie Raum und Zeit, ihrem spatial Know-how, 167 sowie Ihrem individualhistorischen Bestand an Begriffen und Inferenzbeziehungen 168 innerhalb dieses Bestandes und den damit einhergehenden impliziten Konklusionen, ein Urteil, das propositionaler Form ist (und somit einem Satz als Ausgangspunkt dienen kann) bilden und daraufhin

166 167

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Dennett 1991: 132 vgl. Schellenberg, Susanna (2010): Perceptual Experience and The Capacity to Act in: Gangopadhay, Nivedita et al. (2010): Perception, Action, Consciousness. Oxford University Press. Oxford, New York 2010 Die am Weitesteten ausgearbeitete inferentielle Semantik bietet Robert Brandom an, in: Brandom, Robert (1994): Expressive Vernunft. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 2001

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echte Repräsentationen erster Ordnung, die Isomorphe der (sinnlich vermittelten) Welt sind, in Relations- und Merkmalsauszeichnungen beschreiben. Dieses Bewusstwerden erfolgt typischerweise, wie die Artikulation dieses Bewusstseins, in einem propositionalen dritte-Person Muster, das eine erste-Person Ebene bzw. eine erste-Person Repräsentation bzw. eine echte Repräsentation erster Ordnung mit einschließt, die sentential durch das Personalpronomen ‚Ich‘ ausdrückbar ist. Das phänomenologische Element wird also genau deshalb nicht greifbar, weil es immer nur von einer anderen Ebene aus beschrieben werden kann. Das Problem ist natürlich, dass sich Repräsentationen bzw. echte Repräsentationen erster Ordnung und unechte Repräsentationen auf dritterPerson Ebene der Beschreibung nicht unterscheiden. Beide sind in solchen Beschreibungen eingebettet. Ihre Differenzierung scheint schwierig. Und das ist der Umstand, welcher beispielsweise Dretske dazu bringt, alles Bewusstsein (das heißt bei ihm begriffliches Bewusstsein, im Gegensatz zum erfahrenden Bewusstsein) repräsentational zu erklären. 169 Eine Erklärung, der wir uns gerne anschließen, wenn auch in anderer Akzentuierung, denn man beachte, dass die Eigenschaft von Sprachprodukten, (unecht/zugeschrieben) zu repräsentieren, nur durch die Repräsentationalität des erfahrenden Bewusstseins existiert. Dies ist derselbe Umstand, der Searle zur Einsicht brachte, die Intentionalität der Sprache wäre von der des Geistes abgeleitet, 170 was wir in diesem Zusammenhang als weitestgehend offensichtlich erachten. Die Antwort auf die kritische Frage, wie und wann Sprache beginnt, ist hier zu suchen: im Unterschied zwischen der Art der Einbettung, also wie etwas Gehalt einer Repräsentation wird und wie es zu Repräsentationen von unechten oder echten Repräsentationen kommt, da wir schlüssigerweise im Zuge des Sprachexternalismus und Zeicheninternalismus davon ausgehen, dass der gemeinhin so benannte repräsentationale Charakter von Sprache dem repräsentationalen Charakter von Bewusstseinszuständen oder -prozessen entspricht, wobei offensichtlich nur die Einbettung unechter Repräsentationen für den referenziellen Charakter von Sprache in Frage kommen kann. Bei der unechten Repräsentation erfolgt die Einbettung durch eine Zuschreibung. Unechte Repräsentationen sind niemals Repräsentationen erster Ordnung, wie es die lineare Gesamtrepräsentation 169 170

Dretske 1998 Searle 1991

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ist. Die Unauflöslichkeit der Erste-Person-Perspektive, also der echten Repräsentationen erster Ebene, besteht demnach darin, dass es sich bei einer Erklärung dieser niemals um eine Erklärung handelt, die aus der Erste-Person-Perspektive beschreibt, sondern diese immer nur eingebettet in eine dritte-Person Erklärung überführt. Sie diskriminieren dieses Ding in der Welt (erste Ordnung). Sie diskriminieren dieses Ding als ein Tacho (zweite Ordnung). Zum Begriff des Tachos gehört die Zuschreibung einer Repräsentationsfähigkeit (zweite Ordnung – unecht/zugeschrieben). Unechtes Repräsentieren dieser Art ist das Repräsentieren-als Dretskes (s is F). Es ist deshalb ein unechtes Repräsentieren, weil es den Isomorphen der ersten Ordnung und den Repräsentationen zweiter Ordnung Bedeutung verleiht, die perspektivisch bzw. standpunktrelativ sein muss, da es unecht keine Re-präsentation der Welt mehr ist, sondern vielmehr so etwas wie eine Intra-präsentation, die nur innerhalb eines Standpunktes bzw. einer Perspektive verkörpert bzw. gesetzt in einem psychophysischen bzw. repräsentationalen System existiert, insofern Sie ausgehend von der Repräsentation dieselbige in begrifflicher oder sonstiger Form dem System gegenüber mnematisch anreichern, um dann ihr Verhalten bzw. ihre Koordination im Allgemeinen zu beeinflussen. „There is no reality of conscious experience independent of the effects of various vehicles of content on subsequent action. (and hence, of course, on memory)“ 171,

wie Dennett treffenderweise schreibt. „Any of the things you have learned can contribute to any of the things you are currently confronting.“ 172

Sobald Sie einen ausdrückbaren Repräsentationsgehalt haben, sind Sie bereits auf der zweiten Ebene des repräsentationalen Bewusstseins. Fassen wir noch einmal kurz zusammen: Es kann keine echten erste-Person Beschreibungen geben. Es gibt nur dritte-Person Beschreibungen, die auf Urteilen propositionalen Charakters basieren, die wiederum auf echten Repräsentationen zweiter Ordnung mit eingebetteten echten Repräsentationen erster Ordnung basieren. Das, was wir qualitative Erfahrungen nennen, sträubt sich, und dieses Argument ist bekannt, deshalb so vehement einer definitiven Erklärung, weil wir zu 171 172

Dennett 1991: 132 Dennett 1991: 279

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diesen nur einen erfahrenden Zugang besitzen, keinen beschreibenden, aber sehr wohl einen zuschreibenden. Das, was wir als Erfahrungsbeschreibung bezeichnen, ist eine Beschreibung unserer Repräsentationen, also keine Beschreibungen der Erfahrungen, sondern der Zuschreibungen, die wir aus unserem begrifflichen Repertoire schöpfen. Es gibt kein Werkzeug, um die Erste-Person-Perspektive zu bearbeiten (außer so etwas wie eine Heterophänomenologie173), denn unsere Werkzeuge sind bereits immer objektivierend und der eigentlichen Erfahrung nachfolgend. All unsere Erklärungen und Beschreibungen beruhen auf Repräsentationen zweiter Ordnung und sind daher unechte Repräsentationen bzw. immer und zwangsläufig Zuschreibungen, um einen anderen Ausdruck zu verwenden. Alles formulierbare Wissen ist demnach Zuschreibungswissen, das man vielfach auch als konstruiert bezeichnet hat, was seiner Funktionalität nicht Abbruch tut, sondern seinen funktionalen Aspekt im besten popperschen Sinne vielmehr hervorhebt. Es gibt keine Sprache der Erste-Person-Perspektive – auf dieser Ebene gibt es nur Erfahrungen. Erfahrungen allerdings können sich nicht selbst beschreiben. Repräsentationen zweiter Ordnung über Repräsentationen zweiter Ordnung zu analysieren ist hingegen kein Problem, weil die explanatorischen Möglichkeiten, die sich aus der zweiten Ordnung ableiten lassen, natürlicherweise auch auf diese selbst anwendbar sind. Daher ist es auch kein Problem die Bedeutung von Äußerungen, Worten, Sätzen und Texten zu erklären, weil wir hier nie die Ebene zweiter Ordnung verlassen, wir machen Zuschreibungen zweiter Ordnung hinsichtlich der Zuschreibungen zweiter Ordnung. Wie diese Repräsentationen zweiter Ebene aus einem erfahrenden Bewusstsein erster Ebene resultieren, ist dann allerdings überhaupt erst eine Erklärung der Grundlagen des Phänomens Sprache, denn die Erklärung der Repräsentationen zweiter Ordnung muss die erste Ebene beinhalten. Was sie de facto aber nicht tut, wenn beispielsweise konventionelle Bedeutung repräsentiert wird. Eine Struktur, die sich epistemologisch durchdringen lässt, ist erst auf Ebene der zweiten Ordnung des repräsentationalen Bewusstseins möglich. Dass wir Dingen repräsentierende Eigenschaften zuschreiben, wie etwa den sogenannten sprachlichen Zeichen, speist sich 173

vgl. Dennett 1991, 2005 und Dennett, Daniel (2003): Who's On First? Heterophenomenology Explained in: Journal of Consciousness Studies, Special Issue: Trusting the Subject?. 9-10. 2003. S. 19-30

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also aus der Quelle der uns zugänglichen Struktur unserer Bewusstseinsinhalte, etwas als etwas zu erfahren. Daher sind sie im Grunde Repräsentationen zweiter Ordnung von Repräsentationen zweiter Ordnung von Repräsentationen erster Ordnung. Die explanatorischen Möglichkeiten innerhalb der zweiten Ordnung auf eine gänzlich anders strukturierte Ebene erster Ordnung anzuwenden, funktioniert hingegen ganz offenbar nur sehr begrenzt, denn selbst wenn man annimmt, dass die Beschaffenheit der Ebene erster Ordnung auf der Beschaffenheit der repräsentationalen Ebene zweiter Ordnung basiert, man also die Beschaffenheit der ersten Ebene teilweise anhand der zweiten Ebene herzuleiten versucht, ist doch noch kein Wort über das passende Instrumentarium verloren, das einer unvollständigen Strukturbeschreibung der ersten Ebene schon aufgrund der nur mutmaßlichen Beschaffenheitszuschreibung niemals gerecht zu werden droht. Rein teleologisch, wie dies Millikan und Dretske tun, kann man zwischen diesen Ebenen ebenfalls nicht differenzieren, denn natürlicherweise haben alle Repräsentationen einen biologischen Zweck, zu Koordinierung zu verhelfen. Das unterscheidende Merkmal, das Millikan und Dretske einführen, nämlich ob eine Repräsentation falsch sein kann oder nicht (dank ihres intentionalen Charakters) wird dabei allerdings nicht außer Kraft gesetzt, sondern vielmehr fundiert, da die Art der Einbettung, wie wir sie hier denken, der klassischen Intentionalität nach Brentano entspricht – dem Über-Etwas-Sein. Intentionalität erster Ordnung ist also gedacht als das ‚Über-Etwas-Sein‘, also als referenzieller Charakter der isomorphen, linearen Gesamtrepräsentation ‚Bewusstsein‘. Die Intentionalität zweiter Ordnung hingegen ist gedacht als ‚Gerichtetsein‘, also im Sinne seines Zusammenhanges mit bestimmten mnematischen Repräsentationen, die der Repräsentation überhaupt erst eine Richtung geben (Intentionen, Überzeugungen, Emotionen). 174 Searle hat also unrecht, wenn er schreibt, viele bewusste Zustände seien nicht intentional, 175 denn das, was wir hier als Bewusstsein verstehen, ist immer repräsentational und daher immer mit dem explanatorischen Hilfswort Intentionalität beschreibbar. Intentionalität ist in diesem Sinne ein relationaler Ausdruck, der dem Ausdruck der Repräsentation nichts hinzuzufügen hat und insofern eine unnötige Verdopplung darstellt (Ockhams Klinge sollte hier angesetzt werden). Aber 174 175

vgl. Dretske 1998: 40 ff. u. a.: Searle 1991: 16

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was ist mit Überzeugungen, Intentionen und Emotionen? Nun, diese Elemente sind unserer Auffassung nach weder notwendig intentional zu bescheiben, noch Teil des (repräsentationalen) Bewusstseins. Darauf kommen wir gleich noch zu sprechen. Zunächst aber halten wir fest: Der hier vorgeschlagenen Sichtweise nach wird Intentionalität als Begriff obsolet, da er sich im Begriff der Repräsentation vollkommen auflöst.Wir hatten im vorherigen Kapitel einen Sprachexternalismus vorgeschlagen, der nun mit unserer knappen Geschichte über Repräsentationen und das repräsentationale Bewusstsein verbunden werden soll. Wenn der eigentliche Ort der Sprache nur im Produkt liegt, dann ist natürlich die Bezeichnung, es handele sich bei Sprache, den in Büchern fixierten Sprachprodukten, wie der flüchtigen rein lautlichen Fixierung, um referenzielle Zeichen, in zweierlei Weise falsch. Zunächst einmal repräsentiert in beiden Fällen nichts. Es handelt sich um eine Repräsentationszuschreibung. Worte und Sätze sind metasemantische Prädikationen, wie die Bedeutungszuschreibung bzw. das Verstehen eines Wortes oder Satzes eine semantische Zuschreibung ist, die niemals eine Repräsentation erster Ordnung sein kann. Wir repräsentieren hier (echt) eine echte Repräsentation von Teilaspekten der tatsächlichen Welt als repräsentierend (unecht). Lassen Sie uns hierzu ein weiteres Beispiel betrachten: Sie gehen durch die Stadt. An einer Häuserwand ist ein Graffiti, es hat in etwa die Form STOP. Wie ist dieses Phänomen, so Sie es wahrnehmen und es sich also nicht nur um ein bloßes Ding einer bedeutungslosen Welt handelt, exakt zu beschreiben? Zunächst einmal ist da nur Ihre Gesamtrepräsentation. Diese ist eine isomorphe Darstellung der von Ihnen sensorisch erfassbaren Welt, die als lineare Gesamtrepräsentation ihr Bewusstsein ist. (Das wiederum natürlich durch Gedächtnis und Emotionen und dergleichen bestimmt bzw. eingerahmt wird. Es handelt sich um eine echte Repräsentation erster Ordnung, deren Gehalt eine unspezifische Abbildung der Welt ist und es Ihnen ermöglicht, ihr Aktzentrum bzw. ihren Körper in biologisch vorteilhafter Weise zu koordinieren. Während Sie also die Gesamtrepräsentation der Welt genießen, werden einige Aspekte, vornehmlich die, die sich zu verändern scheinen, ihre Aufmerksamkeit auf sich lenken, ihre Gesamtrepräsentation ist an diesen Stellen ausdifferenzierter, indem Sie diese Teile fokussieren. Ihr Bewusstsein fokussiert sich zunächst auf die Stellen der Gesamtrepräsentation, die im Zuge ihrer Körperkoordination also dem biologisch unmittelbar sinnvollsten Zweck gemäß relevant sind: den sich verändernden.

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Diese Fokussierung ist eine Differenzierung bzw. Diskriminierung von Einzelrepräsentationen, also von bestimmten Objekten der Gesamtrepräsentation. Einer dieser Teilaspekte ist die Beschaffenheit der Wand, die, sonst weiß, die Farbvariationen enthalten, welche wir für gewöhnlich mit dem Ausdruck /Stop/ verbinden. Einmal dieses Schriftzuges gewahr geworden, haben Sie eine Einzelrepräsentation dieser Farbvariation eines der sie umgebenden Objekte. Diese Repräsentation ist eine echte Repräsentation erster Ordnung. Nun kommt, so Sie ein Mensch mit einer bestimmten (begrifflichen) Historie sind, 176 die das Erlernen des Alphabets und einiger weiterer erworbener Fähigkeiten einschließt, Ihr Gedächtnis bzw. Begriffsapparat ins Spiel. Sie sehen die Farbvarianz als Schrift. Sie haben eine echte Repräsentation zweiter Ordnung von einer echten Repräsentation erster Ordnung. Indem Sie die Farbvarianz als Schrift identifizieren, haben Sie bereits eine begrifflich strukturierte Repräsentation der Gesamtrepräsentation vorgenommen, die Sie die Farbvarianz an der Wand als etwas Repräsentierendes auffassen lässt. Also ist in der Repräsentation zweiter Ordnung etwas enthalten, nämlich die Zuschreibung, dass dieser Tatsachenaspekt etwas weiteres repräsentiert, und zwar einen Teil Ihres Begriffsapparats: die Bedeutung ‚Stopp!‘. Dieses Zuschreiben ist ein Zuschreiben einer Repräsentation und Resultat der begrifflichen Verankerung ihrer Repräsentation (zweiter Ordnung) von Repräsentationen (erster Ordnung). Sobald etwas auf zweiter Ebene repräsentiert wird, kann es sein, dass es als etwas Repräsentierendes, Anzeigendes repräsentiert wird. Entweder konventionell oder kausal. Das Repräsentieren der Farbvarianz als repräsentierend, also bedeutungstragend, ist selbst eine Repräsentation, die gänzlich von der grundlegenden Gesamtrepräsentation verschieden ist. Denn es handelt sich hier um kein Isomorphieverhältnis mehr, sondern um eine Repräsentation eines Bewusstseinseinsinhaltes bezogen auf mnematische Repräsentationen

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Die Frage, die sich an eine solche Sichtweise anschließt, ist natürlich, inwiefern dann das Gedächtnis nicht alles ist, was uns als Personen ausmacht, metaphysisch wie physisch. Ohne eine Antwort geben zu können, sei hierzu Eric Kandel erwähnt, der zu diesem Thema angeblich häufig nur sagte, dass alles was uns ausmacht unsere Erfahrungen sind und was wir von diesen erinnern. vgl. hierzu auch: Kirsh, Marvin Eli (2008): The Universe Framed with Respect to Paradox: Is Memory Physically All That Exists? online unter: SSRN: http://ssrn.com/abstract=1280605 (02/ 2011)

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(Gedächtnisinhalte). 177 In einer expliziten Erklärung dessen, was Sie als Wort individuiert haben, würden sie vermutlich daher mit der drittenPerson Beschreibung ‚Die Farbvarianz der Form STOP …‘ ohne eingebettete Erste-Person-Perspektive auskommen: ‚… bedeutet, dass man anhalten soll‘. Natürlich könnten Sie gleichermaßen sagen, das Wort referiert auf die Bedeutung ‚Stop!‘. So oder so ähnlich könnte also eine Explizierung lauten. Referentialität (Bedeutung) wird hier so zugeschrieben, wie beispielsweise einem Autotacho Referentialität zugeschrieben wird, nämlich auf erlernte bzw. erinnerte Weise. Es ist keine Einbettung einer Erste-Person-Perspektive nötig. Diese ist nur nötig, wenn Sie echte Repräsentationen erster Ordnung, also die Bewusstseinsinhalte, die eine Fokussierung ihrer lineare Gesamtrepräsentation sind, versuchen zu verbalisieren. In jedem Fall aber sprechen Sie von der Repräsentation, die Sie hatten, in einem dritte-Person Modus, dem ‚Ich‘ der Objektivierung, so wie Sie über die Referentialität der Farbvarianz aus einer Dritte-Person-Perspektive sprechen: ‚Es‘. Sie betten sie ein, wenn Sie über die Anzeige eines Tachos oder die Bedeutung eines Wortes reden. Und das ist, über eine Objektivierung, die beeinflusst durch ihre mnematischen Repräsentationen Bedeutung zuschreibt und damit Informationen enthält. Im Falle der Beschreibung eines Wortes betten Sie also keine Erste-Person-Perspektive ein, sondern eine Dritte-Person-Perspektive. In den Repräsentationen von Repräsentationen gibt es nur die Dritte-Person-Perspektive, so wie darauf aufbauend auch in der Beschreibung dieser nur die Dritte-PersonPerspektive existiert. Man sollte sich hier nicht durch das ‚Ich‘ in Sententialisierungen bzw. Verbalisierungen blenden lassen, das hier, wie erwähnt, keine Erste-Person-Perspektive anzeigt, sondern die Objektivierung/Einbettung dieser. 177

Der Knackpunkt scheint also der zu sein, dass die Struktur des Repräsentierens von Repräsentationen erster Ordnung sich in die Repräsentation übertragen lässt, so dass einer Farbvarianz, die als etwas repräsentiert wird, die Eigenschaft beigelegt wird, selbst ein repräsentierendes System der Form ‚x bedeutet y‘ zu sein. Wir sehen das STOP nicht nur als etwas, was die Bedeutung hat, dass Halt geboten sein könnte, sondern auch als Wort, das auf etwas verweist, dass Einhalt gebieten könnte. Die Repräsentation scheint unter Umständen dem Repräsentierten selbst einen repräsentationalen Charakter zu verleihen. Sprachliche Produkte als bedeutungstragend zu verstehen hieße dann, eine Repräsentation einer repräsentierenden (unechten) Repräsentation zu haben.

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Das Reflexivpronomen ‚mich‘ hat George Herbert Mead einmal als die Antwort des Menschen auf sein eigenes Sprechen bezeichnet. 178 In diesem Falle sollte es besser heißen, das ‚Ich‘ ist die Antwort des menschlichen Bewusstseins auf seine Selbstobjektivierung. Mead hat im Übrigen bereits klar gesehen, was in Theorien wie Dretskes und Millikans, Dennetts und auch der hier vorgeschlagenen der bestimmende Faktor ist, nämlich, dass der biologische Zweck dieser Selbstobjektivierung in der stetigen Neuanpassung des systemeigenen Verhaltens liegt, 179 und das heißt: Koordination. Wir nähern uns also George Zipf, dem Vordenker der modernen funktionalen Sprachbeschreibung, welcher festhält: „language is primarily a representation of experience. It may represent experience as a report of direct perceptual experience, such as in an account of a football game or in a description of some scene or event. Or it may represent tendencies to act and may be viewed as representative of potential activity, such as in an oration to persuade others to modify their behavior in accord with the wishes of the speaker […] a function of the linguistic representation is to preserve or restore equilibrium. This equilibrium may be of two types: (a) inter-personal and (b) intra-personal” 180

Während wir mit interpersonalem Equilibrium ein Koordinationsgleichgewicht bezeichnet finden, also den Zustand der maximal erreichbaren individualfunktionalen Intentionen innerhalb einer Praxis weiterer Intentionen habender Individuen durch ein verstehendes Handeln, werden wir noch ausführen, was intrapersonales Equilibrium und also Verstehen bedeuten kann. Man kann nur in sich schauen und die Erfahrungen und Bewusstseinsinhalte beschreiben, wenn man sich selbst bzw. diese Inhalte objektiviert. In diesem Fall bettet man die Erfahrung, das erste-Person Erleben, ein. Und nur dieses Erleben gibt es. Auch das Erleben von Erinnerungen scheint ein erste-Person Erleben zu sein. Die Ausdrücke des Erlebens und der Erinnerung bzw. des Objektivierten korrelieren hier natürlich mit dem Repräsentieren erster Ordnung bzw. dem Repräsentieren zweiter Ordnung. Etwas als etwas verstehen, das auf etwas verweist, wie Schrift oder Autotachos, ist ein Repräsentieren zweiter Ordnung von Repräsentationen 178 179 180

Mead, George H. (1912): Gesammelte Aufsätze Band 1. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 1980. S. 239 Dretske und Millikan sprechen in diesem Zusammenhang nicht von Objektivierung Zipf, George K. (1935): The Psychobiology of Language: An Introduction to Dynamic Philology. MIT Press. Cambridge 1965. S. 294 f.

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zweiter Ordnung von Repräsentationen erster Ordnung. Das Ding wird bereits als etwas Repräsentierendes repräsentiert, wenn der begriffliche Hintergrund dementsprechend gesetzt ist. Möglich ist dies aber nur durch Selbstobjektivierung und ein ausreichend leistungsfähiges Gedächtnis. Man könnte sagen, im Falle unechter Repräsentationen überträgt sich die Form der Repräsentationen zweiter Ordnung auf das Repräsentierte, in unserem Beispiel ein Autotacho oder Schriftsymbole. Diese Fähigkeit der Zuschreibung, das Vermögen der Selbstobjektivierung und also der subjektbezogenen Bedeutung bildet die Grundlage für Sprachfähigkeiten, denn diese bestehen basal schlicht darin, etwas als etwas zu repräsentieren (s is F). Zum Sprach- und Zeichenbegriff zurückgekehrt heißt das also, Sprache im externalisierten Sinne ist immer nur unecht repräsentational, während Zeichen, im nichtexternalisierten Sinne, immer echt repräsentational sind. Searle behält, wie erwähnt, an dieser Stelle recht, wenn er sagt, dass die Intentionalität der Sprechakttoken für ein verstehendes System von der Intentionalität der korrespondierenden mentalen Zustände abgeleitet ist. Andere Teile seiner Erörterungen sind allerdings vor dem hier entworfenen Ansatz eher fragwürdig. Im Gegensatz zu ihm behaupten wir nämlich, dass es keine Repräsentation ohne Repräsentierenden gibt. 181 Deshalb gibt es eben auch keinen Satz, kein Wort, ja keinerlei Sprachprodukte ohne jemanden, der irgendwelche Tatsachen der Welt dafür hält bzw. bestimmte Zuschreibungen macht. In diesem Sinne also auch keinen Sprechakt. Auf Grundlage des bisher Verfassten soll ein Stufenmodell der Minimalerklärung des repräsentationalen Bewusstseins bzw. eine Hierarchie vorgeschlagen werden, die das Formulierte greifbarer machen sollte. Die Basisstruktur des repräsentationalen Bewusstseins ließe sich zu rein explanatorischen Zwecken (dies ist keine Genealogie) ihren Ebenen nach etwa folgendermaßen fassen: 1. Die lineare Gesamtrepräsentation 2. fokussierte/diskriminierte Einzelrepräsentation 3. Repräsentation der Repräsentation 4. Repräsentation einer [repräsentierenden] Repräsentation (5. Verbalisierung 6. theoretisches Denken in Sprache)

181

Searle 1991: 40

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4.7 Repräsentationales Bewusstsein und Objektprädikation Bisher haben wir nur die Stufen eins bis vier behandelt. Die Frage ist nun natürlich, wie man von Repräsentationen der vierter Stufe zu einem propositionalen Gehalt kommt, der einer Verbalisierung zugrunde liegen kann, und ob eine solche Struktur nicht schon auf dritter Stufe konstatiert werden könnte. Bewusstsein mit Objekt-Prädikat-Strukturen propositionaler Art treten der hier vorgeschlagenen Bewusstseinshierarchie nach schon auf der dritter Stufe auf, oder besser formuliert: Sie sind das Bewusstsein dritter Stufe. Denn, wenn man etwas als etwas wahrnimmt, hat man bereits die ganz offensichtliche (individualspezifische Zweck-) Bestimmung, die wir Prädikation nennen: die Basisform der Bedeutung.182 Der Hase sieht den Fuchs als gefährlich (s is F), die Rübe als schmackhaft, das Erdloch als Schutz bietend, so dass man hier von einer Struktur redet, die der Form [Objekt(s) (Prädikat(F))] bzw. dann [Erdloch(Schutz)] entspricht. Das Objekt wird individualspezifisch funktional prädiziert. Ebenso prädizieren wir, wenn wir im Supermarkt stehen, die Ananas in der Auslage als Nahrung, also individualspezifisch und in diesem Falle auch biologisch funktional. Aber dass wir die Ananas als Nahrung sehen, ist noch keine Objekt-Prädikat-Beziehung, die man hat, sondern eine, die erlebt wird, aufgrund der je eigenen Historie des Systems. Ebenso verhält es sich mit der Prädikation [Erdloch(Schutz)]. Sie ist nicht nur nicht verbalisierbar, sondern auch nur in diesem immer gleichen Zusammenhang erlebbar, bis die Erfahrung, also die Gesamtrepräsentation, diese in Frage stellt, also mit der bisherigen Prädikation konfligiert. Dies dann mitunter auch nötigerweise redundant und vermutlich immer nötiger redundant, je länger die ursprüngliche Prädikation in der Historie des Systems überdauert, dessen Bewusstsein keine vierte Stufe der Einbettung unechter Gehalte erreichen kann. Dies ist der Grund für die umfassende Wirksamkeit des operanten Konditionierens in einfacheren repräsentationalen Systemen. Das operante Konditionieren ist des einzige Lernen, das bei Bewusstsein der Struktur [s(F)] überhaupt möglich scheint, einmal abgesehen von Habitualisierung durch nicht-intentionale Mimesis.183 Alles 182 183

Wir vertreten hier eine Form des Russellian Representationalism in Chalmers Sinne: Chalmers 2003: 17 vgl. Hurley/Charter 2005

135

bis zur dritten Ebene unterliegt also auf besondere Weise der Unzugänglichkeit, denn hier ist das Bewusstsein die Repräsentation. Das Wesen hat sich noch nicht bzw. hat es noch keine Welt, wie Max Scheler sagen würde. 184 Durch Erfahrung fixierte Objekt-Prädikat-Strukturen auf dieser Ebene des repräsentationales Bewusstsein können nur von außen, durch konfligierende Erfahrung, in ihrer dyadischen Struktur verändert werden. Assoziatives Gedächtnis und operante Konditionierung fallen als explanatorische Begriffe in das Instrumentarium der Erklärung des Bewusstseins dritter Stufe, indem sie die Festigung von Objekt-PrädikatStrukturen durch äußere Faktoren beschreiben. Erst auf vierter Stufe kann die Objekt-Prädikat-Struktur durch eine Objektivierung der Strukturen auf dritter Stufe bzw. des je eigenen Bewusstseins, der jeweiligen echten Repräsentationen erster und zweiter Ordnung logisch zu einer SubjektPrädikat-Objekt-(Prädikat)-Struktur werden. Reine Objekt-Prädikation, wie sie auf dritter Stufe zu finden ist, setzt noch nicht voraus, dass die betreffende Repräsentation auch ausgedrückt und somit in ein Sprachprodukt überführt werden kann, das eine propositionale Struktur aufweist. Dies schließt aber nicht aus, dass mit einer bestimmten Objekt-Prädikat-Struktur dritter Stufe bestimmte Laute einhergehen können, die ausschließlich biologisch funktional sind. Im Falle von einigen Vogelarten 185 beispielsweise können Laute bereits äußerst komplex und vielfältig sein, obwohl es sich dabei um keine propositionalen bzw. syntaktische Strukturen handelt, die in einem Isomorphieverhältnis zu Form und/oder Inhalt des Bewusstseins dieser Tiere stehen, sondern vielmehr um formkonstante Reaktionen, die möglicherweise voluntativ hervorgebracht werden können, aber eben keine beeinflussbare Struktur besitzen, im Sinne einer freien Variation der konstituierenden Laute. Die Laute müssten demnach von Artgenossen als Repräsentationen dritter aber nicht vierter Stufe verstanden werden. Die kognitiven Leistungen reichen hier nicht hin, um explizite Selbstbezüglichkeit zu ermöglichen, die es erlaubt, die Repräsentation mitsamt ihrem Inhalt zu objektivieren und darauf aufbauend den generativen Charakter von Sprache zu ermöglichen. Erst der Subjektplatzes erzeugt über die unmittelbare Beziehung zwischen den repräsentierten Objekten und den Prädikaten, mit denen diese 184 185

vgl. Scheler, Max (1928): Die Stellung des Menschen im Kosmos. Bouvier. Bonn 2005. S.42 Desalles 2001: 66 ff.

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repräsentiert werden bzw. als was sie repräsentiert werden, einen weiteren Objektplatz, durch den zum ersten Mal eine Variabilität der Bewusstseinstatsachen logisch möglich wird, denn ein Prädikat kann nicht vom Subjekt abgelöst werden, also für sich das Bewusstsein ausfüllen, aber ein Objekt, das so oder so prädiziert wird schon, insofern etwas vorhanden ist, was diese Objektvarianz im rudimentären Bewusstsein vierter Stufe ermöglicht. Wird auf Stufe drei ein Objekt als etwas repräsentiert, ist diese Verbindung intrinsisch unauflöslich, denn es ist das Bewusstsein. Man kann das Objekt nur so oder so repräsentieren. Wenn aber ein weiteres Objekt hinzutritt, das als Subjekt ein fester Bezugspunkt ist, den vorher die Prädikation systemexterner Sachverhalte bildete, so werden zum ersten Mal logische Verbindungen möglich, die die Objekte nicht mehr nur als Einzelobjekte in ihren Beziehungen zueinander belassen, wie das zwischen Repräsentationen auf der dritten Stufe der Fall ist, sondern es kann innerhalb von Repräsentationen Objekt-Objekt-Variationen geben, also nicht mehr nur feste [Objekt(Prädikat)] Strukturen. Die Möglichkeit das eigene Bewusstsein und den damit verbundenen Standpunkt als Objekt zu betrachten entsteht, so wie daraufhin diese Objektivierung auf andere Wesen und Dinge übertragen bzw. zugeschrieben werden kann, und das heißt, den intentional stance einzunehmen. Der Übergang von Wesen ohne Subjektbezug zu Wesen mit Subjektbezug und somit mit der Möglichkeit zur Einnahme des intentional stance ist der kritische Punkt in der Entwicklung des zu Sprachfähigkeiten nötigen Bewusstseins. „Once one has the principle of embedding in one’s repertoire, the complexity of what one can then in some sense entertain seems plausibly more a limitation of a memory or attention span or “cognitive workspace“ than a fundamental measure of system sophistication.” 186

Die Möglichkeit des intentional stance wird natürlich nicht ohne Notwendigkeit zur Bewusstseinstatsache, so dass es nötig ist, hierfür eine Erklärung zu entwickeln, was wir denn später unter Bezug auf Tomasellos Erklärung der Entwicklung der menschlichen Kommunikationsfähigkeit auch tun werden. Die Entwicklung der true believers 187, der Bedeutung habenden Wesen, beginnt mit der objektivierten Körperlichkeit, denn die Ausgangsform der zweiten repräsentationsintrinsischen Objektebene ist die Subjektform, bei der die auf dritter Ebene repräsentierte Tatsache bzw. der 186 187

Dennett 1987: 244 Dennett 1987: 15

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repräsentierte Sachverhalt in eine Form der Selbstbezüglichkeit eingebettet wird. Während das Bewusstsein auf dritter Ebene nur aus Repräsentationen besteht, ist auf vierter Ebene die Erfahrung, die Repräsentation der Welt als etwas, eine Repräsentation für ein das Aktzentrum vergegenwärtigendes Bewusstsein (höherer Ordnung). 188 Die Einbettung der Repräsentationen der Tatsachen in einen Selbstbewusstseinsrahmen, eine Subjektstruktur, bietet demnach eine Möglichkeit für das Verstehen des Unterschiedes von menschlicher Sprache und animalischer Sprache und ist daher nicht zu verwechseln mit dem Sieht-man-sich-im-Spiegel-oder-nicht-Gemeinplatz. Die Objektivierung von Repräsentationen in einem selbstbezüglichen Rahmen, mithin also die Objektivierung des eigenen Bewusstseins niedrigerer Ordnung, muss mit einer biologischen Funktion zusammenhängen, die diese Form der Repräsentation in irgendeiner Weise evolutionär sinnvoll sein ließ, wenn Bewusstsein nicht als evolutionäres spandrel 189, also als bloßes Beiprodukt, gelten soll. Die naheliegendste Erklärung scheint hier, wie erwähnt, eine bewusstseinsintrinsische Dezentralisierung der je eigenen Körperlichkeit zu sein. Also nicht nur ein unmittelbares Erleben, sondern ein Erleben der eigenen Körperlichkeit in einem Raum als Objekt unter vielen Objekten, was der strategischen Handlungskoordination im Angesicht von beispielsweise Gefahren, aber auch der rekursiven Handlungsadaption in Gruppen generell sehr nützlich ist. Der biologische Zweck einer solchen eingebetteten Repräsentation ist klar: strategisches Operieren, das andere Perspektiven als Perspektiven mit in die Verhaltensplanung mit einbeziehen kann (aber nicht muss). Rekursive Handlungsanpassung in kooperativ zu bewältigenden Situationen ist hier nur ein Beispiel innerhalb der Erklärungen der Ursprünge von 188

189

vgl. Shoemaker, Sydney (1986): Introspection and the Self in: French, Peter (1986) (Hrsg.): Studies in the Philosophy of Mind. Midwest Studies in Philosophy. Minneapolis 1986. S. 101-120; Cassam, Quassim (1995): Introspection and Bodily Self-Ascription und O’Shaughnessy, Brian (1995): Proprioception and the Body Image in: Bermudez, Jos (1995): The Body and the Self. MIT Press. Cambridge 1995 sowie LeGrand, Dorothée (2006): The Bodily Self: The Sensori-Motor Roots of Pre-Reflective Self-Consciousness in: Phenomenology and the Cognitive Sciences 5 (1). 2006. S. 89-118 Gould, Jay; Lewontin, Richard (1979): The Spandrels of San Marco and the Panglossian Paradigm: A Critique of the Adaptionist Programme in: Proceedings of the Royal Society of London. Vol. 205, Nr. 1161. 1979. S. 581-598

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Kommunikationsfähigkeit. Allerdings ist dann natürlich die Frage, warum andere Lebewesen mit Bewusstsein dieses nicht auf höherer Ebene ausbildeten bzw. keine darauf aufbauende Sprache entwickelten, die das expressive Potenzial wie die unsrige hat. Eine Frage, der wir uns im nächsten Abschnitt widmen werden. Was muss eingebetteten Repräsentationen eignen, um propositionale Bewusstseinsstrukturen auszubilden und damit syntaktische Strukturen zu ermöglichen, also verschiedene Arten von Beziehungen zwischen den Objekten und dem objektivierten Selbst, dem dezentralen Aktzentrum? Das Wichtigste ist, ganz unspektakulär, die Subjektform in eine Objektform transformieren zu können, also einen subjektabhängigen Weltbezug im Gegensatz zu bloßem Weltbezug an sich zu entwickeln. Die Grundlage liegt somit darin, sich selbst als etwas zu betrachten, was anderen Objekten ähnlich ist bzw. andere Objekte ähnlich wie sich selbst sehen zu können, salopp formuliert. Damit ist zunächst gar nicht mehr als die raumzeitlich gesetzte Form der Dezentralisierung des Aktzentrums gemeint, welche als Bewusstseinstatsache nicht nur individualfunktional, sondern auch biologisch funktional ist, insofern man die anticipation machine in ihren (Verhaltens-) Möglichkeiten erweitert und also eine rudimentäre Form der strategischen Betrachtung von subjektinvolvierender Koordination erreicht. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Im Umkehrschluss hieße das dann natürlich auch, dass so etwas wie Bewusstsein auf Stufe 4, also Bewusstsein, das zu strategischen Objekt- und damit Relationsverschiebungen fähig ist, der repräsentierten Inhalte, unmittelbar an Körperlichkeit geknüpft wäre. Eine Intuition, die in der KI-Forschung längst einen festen Platz in den Grundlagendiskussionen hat. 190 Wie sich der Übergang zu Subjekt-Objekt-Repräsentationen vollzieht, ist allerdings, ausgehend von Ergebnissen der Primatenforschung bzw. evolutionären Anthropologie, 191 ganz essentiell eine Sache der Interaktion mit anderen, in welcher sich die Fähigkeit ausgebildet haben muss, sich selbst und andere als relationale Objekte begreifen zu können, deren Objektplätze des propositional strukturierten repräsentationalen Bewusstseins in mente variabel werden kann.

190 191

vgl. Pfeifer, Rolf; Bongard, Josh (2007) (Hrsg.): How the Body Shapes the Way We Think: A New View of Intelligence. MIT Press. Cambridge 2005. S. 34 ff. siehe Kapitel 6

139

Hierbei spielt, wie wir sehen werden, die kooperative Erreichung von Zielen eine wichtige Rolle, allerdings nicht die alleinige. Und letztendlich läuft es auf das hinaus, was man rekursive Handlungsadaption nennt. Doch greifen wir damit schon viel zu weit vor. Später in unserer Argumentation werden sich an diesem Punkt die Argumente, die hier ausgeführt wurden, mit denen Millikans, Tomasellos und Savage-Rumbaughs in wesentlichen Punkten hinsichtlich der evolutionären Erklärung der Sprachfähigkeit zur Übereinstimmung bringen lassen. Zurück zu den Grundlagen des Verstehens: Dass ein bestimmter sensomotorischer Apparat ebenso wie gewisse kognitive Ressourcen die Bedingung der Möglichkeit eines repräsentationalen Weltzugangs der oben beschriebenen Art sind, ist selbstevident. Andere Arten des Weltzugangs sind offenbar vorhanden, andere Arten einer dem repräsentationalen Bewusstsein in seiner Funktion analogen Struktur zur Verhaltenssteuerung zumindest denkbar. Eine Sonderform der Repräsentation von Repräsentationen, so hatten wir versucht zu zeigen, nimmt die Repräsentationsform von Repräsentationen ein, die unechte Repräsentationen einbetten. Damit sind jene Repräsentationen gemeint, die dem repräsentierten Objekt selbst repräsentierende Eigenschaften beilegen, so wie dies bei Schriftzeichen bzw. Sprachprodukten im Allgemeinen der Fall ist. Als Sonderform der vierten Stufe des repräsentationalen Bewusstseins setzt die hier konstituierende Selbstobjektivierung nicht nur einen Bezugsrahmen voraus, sondern ‚kopiert‘ die Repräsentationsform, die sie selbst aufweist, auf die repräsentierten Tatsachen selbst. Die Voraussetzung dafür ist zunächst die Erreichung der vierten Stufe an sich, also der Bewusstseinsform der Selbstobjektivierung, denn ohne die eigenen Erfahrungen repräsentieren zu können, ist es nicht möglich, etwas anderem diese Eigenschaft der Repräsentation zuzuschreiben – Bedeutung wird erst variabel, wenn die feste [Objekt(Prädikat)] Struktur aufgebrochen ist. Dabei ist zu beachten, dass das Repräsentieren-Können von eigenen Repräsentationen etwas anderes ist, als sich Repräsentationen von Repräsentationen bewusst zu sein und wiederum etwas Verschiedenes davon, von Repräsentationen von Repräsentationen bewusstermaßen kommunikativ Zeugnis abzulegen. Etwas in der Welt die Eigenschaft des Repräsentierens zuzuschreiben, ist die allgemeine Form des Beilegens von Eigenschaften. In dieser neuen Form des Bewusstseins, dem vierter Stufe, scheint also erst die Möglichkeit zu liegen, die prinzipielle Möglichkeit des Referierens auf etwas als Form des subjektabhängigen Verstehens wirklich zu verstehen. Dies muss also auch der entscheidende Schritt sein, vom bloßen ‚Dinge an

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Resultate knüpfen‘, was Tiere ja bekanntermaßen antizipieren können, in Richtung Arbitrarität von Repräsentationalitätszuschreibungen, die der Ausgangspunkt des expressiven Reichtums von Sprachverhalten ist. Hier wird das Diktat der Linearität der Erfahrung durchbrochen und Bedeutung variabel, weil abseits der determinierten Repräsentation dritter Stufe echtes Verstehen möglich wird. In der Möglichkeit Bedeutung willkürlich zuzuschreiben, liegt die Freiheit, die den konventionalisierten Zuschreibungen der uns vertrauten Sprache als Grundlage dient. Und genau diese Möglichkeit haben die meisten Tiere nicht. Unserer Geschichte nach liegt der Grund für die Unfreiheit ihres Ausdrucks in der Unfreiheit ihres Verstehen-Könnens: Ihre Objektprädikationen sind unwillkürlich, weil nicht objektivierbar. Sie sind daher, wenn überhaupt, nur durch äußere Faktoren veränderbar. 192 Zum Teil sind sie das für uns Menschen natürlich auch, aber eben nicht nur. Das, was man auf vierter Stufe Arbitrarität bzw. Konventionalität nennt, ist auf dritter Stufe noch vollkommen eine Regel. Deshalb schreibt Kant, und Robert Brandom bedient sich an diesem Punkt ebenfalls dieser Feststellung, 193 dass wir als natürliche Wesen nach Regeln handeln, als rationale Wesen aber nach unserer Vorstellung von diesen. Die Bindung von Objekt und Prädikat ist nicht normativ, sondern unwillkürlich im Sinne dessen, was man resultativ gemeinhin als instinktives Verhalten zu bezeichnen pflegt. Die Bindung von bestimmten Repräsentationen an bestimmte Reaktionen ist hier also gänzlich nicht-konventionell und demzufolge nicht-arbiträr. 194 Diese Bindung kann nicht bewusstseinsimmanent aufgelöst werden, da das Bewusstsein auf dieser Stufe diese Repräsentation ist. Die Regelhaftigkeit verliert auf der vierten Ebene den Charakter der Notwendigkeit. Es gibt erste-Person Handlungsalternativen. Bonobos sind demnach vermutlich bereits bei Bewusstsein vierter Stufe, ebenso wie vermutlich auch viele andere höher entwickelte Tiere, da: „birds, dogs, horses, primates and other pre-human species are easily taught auditory or visual lexical code-labels for nouns, verbs, and adjectives […]. And the seeming ease with which such lexical learning takes places strongly suggests that the underlying cognitive structure and is supporting neurology is already in place.” 195

192 193 194 195

Dies sind in Millikans Terminologie die Pushmi-Pullyu Repräsentationen Brandom 2001: 72 Arbitrarität ist eine logische Voraussetzung der Konventionalität Givón 1995: 400

141

Allerdings scheinen diese allesamt, bis auf einige wenige Bonobos, noch keine Fähigkeiten entwickelt zu haben, unechte Repräsentationen repräsentieren zu können, was mit einschlösse, dass sie auch Artgenossen als repräsentierende bzw. intentionale Systeme verstehen können. Diesen Tatsachen werden wir uns wiederum im nächsten Kapitel widmen. Das Demarkationsmerkmal zwischen diesen Wesen und uns ist hier die formal propositionale Überführung von Bewusstseinsinhalten in Sprachprodukte, die ja nicht einfach nur durch konditionierte oder anderweitig nichtarbiträre Reaktionen hervorgebracht werden kann. Diese Überführung bedarf nicht nur der Selbstobjektivierung des jeweiligen Bewusstseins, sondern auch der Übertragung des Repräsentationsprinzips auf die repräsentierten Inhalte selbst. Es bedarf der Einbettung von unechten Repräsentationen. Die für Bewusstsein dritter Ebene nicht erkennbare und demnach auch nicht in Übereinstimmung zu bringende Diskrepanz der Ersten-Person- und Dritten-Person-Perspektive macht es Wesen dieser Stufe unmöglich zu erkennen, dass ihre Artgenossen die ihnen eignende Erste-Person-Perspektive ebenfalls haben, wie es diesen Wesen ebenso das Erkenntnisvermögen verunmöglicht, dass von diesen verschiedene Wesen diese einbetten können bzw. auf Grundlage einer einbettenden Bewusstseinsstruktur handeln. Intentionen erkennen zu können, hängt notwendigerweise damit zusammen, dass man zunächst sich selbst objektivieren kann, als prädizierendes und mithin auch Intentionen habendes Wesen. Es kann keinen intentional stance geben, ohne die Fähigkeit der Selbstobjektivierung. Der Übergang zu einer propositionalen Form muss also im Übergang von dritter zu vierter Stufe gar nicht erst vollzogen werden. Alles Bewusstsein ist in seiner Form propositional. Allerdings ist es nötig diese propositionale Struktur erkennen zu können, also in eine objektivierende Art des Bewusstseins einzubetten, um diese in propositional strukturierter Form auch ausdrücken zu können. Der erste Schritt gen Sprachfähigkeit Verstehen ist die Einbettung einer Repräsentationszuschreibung in die objektivierten, repräsentierten Gehalte. Diese Einbettung muss ganz praktisch funktionale Gründe für das Gesamtsystem Mensch in Onto- wie Phylogenese gehabt und bestimmten Bedingungen unterlegen haben, die auf andere Lebewesen, die uns mitunter sehr ähnlich sind, nicht in gleicher Weise zutrafen und -treffen. Um all dies sinnvoll zu erläutern, wird im nächsten größeren Abschnitt versucht, die spekulative Struktur des propositionalen Bewusstseins und die postulierten kritischen Prozesse der Selbstobjektivierung und Einbettung unechter Repräsentationen auf bestimmte etwas praktischere

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Beispiele und Positionen anzuwenden, um dann in der Folge Schlüsse auf das ziehen zu können, was Sprachproduktion und Sprachverstehen heißt bzw. was die Grundlage von Sprachfähigkeiten ausmacht.Dabei wird dann auch die Frage in den Blick geraten, was die grundlegenden Elemente der menschlichen Sprachpraxis sind, die zu konventionalisiertem Sprachgebrauch, dem Sprachgebrauch der uns heute so natürlich erscheint, führen. Zuvor wollen wir aber noch einmal auf Millikans funktionalistische Formulierung des repräsentativen Bewusstseins zurückkommen. 4.8 Biologischer Funktionalismus, Nativismus und erweiterter Phänotyp Auch bei Millikan finden wir eine biologisch-funktionalistische Theorie, die eine maßgeblich in Selektionsbegriffen arbeitende repräsentationale Erklärung von Sprachfähigkeiten anbietet. Zentral in ihrem Ansatz ist das Konzept der sogenannten Pushmi-Pullyu-Repräsentationen196, das sie in neueren Arbeiten mit den Behauptungen der Universalgrammatik Chomskys in Verbindung bringt.197 Einen Verknüpfung, die wir aus den im Abschnitt über Konventionalität formulierten Gründen ablehnen müssen. Aber weshalb unternimmt Millikan diesen Schritt? Was sind PushmiPullyu-Repräsentationen (im Folgenden kurz PP genannt)? Der Name leitet sich von einem doppelgesichtigen Phantasiewesen aus Loftings Geschichte des Dr. Doolittle ab. Innerhalb ihres teleosemantischen Ansatzes wird ein Zeichen bzw. eine Repräsentation über seine biologische Funktionalität beschrieben. In diesem Sinne unterteilt Millikan Repräsentationen in beschreibende und anleitende Repräsentationen. Diese funktionalistische Dopplung, welche die Namensgebung erklärt, ist nur im Menschen tatsächlich gänzlich vollzogen, so behauptet sie.198 Der entscheidende Unterschied in den Verstehensfähigkeiten von Mensch und Tier ist also ihrer Meinung nach, dass die meisten Tiere keine rein beschreibenden Repräsentationen haben können. Sie haben immer beschreibende Repräsentationen, die auch anleiten. Ein reines PP-Tier wird im Haben solcher PP-Repräsentationen stets auf 196 197 198

Millikan 2008: S. 117 ff. Millikan, Ruth Garret (2003): In Defense of a Public Language in: Dies. (2005): Language: A Biological Model. Oxford University Press. Oxford 2010 Millikan 2008: 230

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bestimmte Verhaltenspfade hin angeleitet. 199 Sie sieht den Unterschied zwischen PP-Wesen und Wesen die beschreibende (descriptive intentional representations) und anleitende (directive intentional representations) Repräsentationen differenzieren ganz offenbar in einer Nichtexistenz der ersten und zweiten Stufe, der von uns vorgeschlagenen Bewusstseinshierarchie. Dies ist allerdings ein Fehler, da die Erklärung der Entstehung der einzelnen Fähigkeiten in ihrem vermengenden Pushmi-PullyuKonzept gar nicht mehr sinnvoll möglich ist. Es ist vielmehr sehr zu bezweifeln, dass ein Bestreiten der zweiten Stufe überhaupt möglich ist, da Teile der Gesamtrepräsentation stets nicht-anleitend sind. Dazu reichen einige kurze Überlegungen: Eine Dohle, die auf einem Ast sitzt, wird den Ast unter sich ebensowenig als anleitend repräsentieren, wie ich selbst den unter mir befindlichen Stuhl, obwohl die Dohle, ebenso wie ich, dieser Tatsache doch innerhalb ihres Bewusstseins gegenwärtig sein muss, ob im Gesichtsfeld oder über taktile Reize oder was auch immer. Oder denken wir an den Vogel, den wir vor uns, an einem Wurm zupfend, repräsentiert haben. Auch er wird nicht alles in seiner Umgebung irgendwie anleitend repräsentieren. Auch die Diskriminierung einer Tatsache der Gesamtrepräsentation muss nicht zwangsläufig anleitend repräsentiert werden. Der See hinter der Wiese, auf der der Vogel Würmer fraß, wird von diesem Vogel nicht zwangsläufig als etwas repräsentiert, das anleitender Natur wäre, im Sinne von Verhaltenspfade oder Routinen anleitend. Das Repräsentieren eines Wurmes allerdings wird zu einem Pfad führen, da ist Millikan recht zu geben. Alles andere in dem beschriebenen Beispiel zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht. Ein weiterer kritischer Punkt in der Erklärung Millikans scheint zu sein, dass dieser Pfad, zu dem die Repräsentation anleitet, durch den Begriff der PP-Repräsentationen noch überhaupt nicht erklärt ist. Wie kann eine Repräsentation ein Angebot machen, wie sie es ausdrückt,200 also zum Beispiel einen Wurm als Nahrung prädizieren und damit einen Vehaltenspfad einleiten? Wir behaupten, das ist nur möglich, wenn es eine Erfahrung, hier etwa die erste Fütterung, zu einer festen Objekt-Prädikat Struktur hat werden lassen, die eben nur durch äußere Ereignisse wieder lösbar ist. Die grundlegende Form der Pfadanleitung ist hierbei eine simple Veränderung in der Gesamtrepräsentation. Je plötzlicher diese geschieht, 199 200

Millikan 2008: 265 Millikan 2008: 222

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um so heftiger die Repräsentation als alarmierend bzw. potenziell gefahrvoll. In Millikans Geschichte hingegen finden wir zwar Ausführungen darüber, wie ein PP-Tier ganz wunderbar auf uns bekannte Tiere abgebildet werden kann, also wie uns bekannte Tiere in diesen Begriffen beschrieben werden können und natürlich funktioniert das, weil sie ja recht hat, dass Repräsentationen anleiten können, aber es ist weder eine Erklärung wie PP-Repräsentationen entstehen noch weshalb diese Tiere nicht auch rein abbildende Repräsentationen haben sollten. Der Gedanke der individualfunktionalen Repräsentation von Dingen und Sachverhalten ist hier wiederum der zentrale Prozess in der Erklärung der Entstehung von Repräsentationsfähigkeiten im Allgemeinen und Sprachfähigkeiten im Besonderen. Millikans Terminologie führt hier zu Fehlern. Indem sie die anleitenden Repräsentationen mit den abbildenden verbindet, ohne die Ersteren auf die zweitgenannten aufzubauen, muss sie zwangsläufig auf nativistische Modelle der höheren Repräsentationsfähigkeit ausweichen, da sie sonst nicht sinnvoll erklären kann, was wir hier als Fixierung einer Objektprädikation durch Erfahrung erklärt haben. Hinsichtlich nativistischer Positionen dieser Natur sollte Folgendes bedacht werden: Dispositionen des Verhaltens, die aus genetischen Kodifizierungen resultieren, sind nicht das gleiche wie Verhaltensdispositionen die genetisch kodifiziert sind (die Existenz der zweitgenannten ist gänzlich fraglich). Während wir also vorschlagen, dass Verhalten und Sprachverhalten nicht ohne irgendeine Form von repräsentierendem Bewusstsein erklärt werden können, das seine eigenen Repräsentationen repräsentiert, geht Millikans rein funktionalistische Theoretisierung sogar so weit, dass sie behauptet, der Geist repräsentiere im Verlauf der Wahrnehmungsprozesse überhaupt nie eigene Repräsentationen. „Wenn direkte Wahrnehmung notwendigerweise innere Gegenstände zum Gegenstand haben muss, dann gibt es so etwas wie direkte Wahrnehmung einfach nicht, oder sie ist zumindest nicht am Prozess der Wahrnehmung der äußeren Welt beteiligt.“ 201

Natürlich kann es sich nicht um direkte Wahrnehmung handeln, wenn ich das Wahrgenommene über seine sensorisch wahrnehmbaren Merkmale hinaus prädiziere. Wann man an dieser Stelle bereits von Prädikation spricht bzw. den sensorisch wahrnehmbaren Merkmalen Namen verleiht,

201

Millikan 2008: 170

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ist das der betreffende Umstand. Aus all dem folgt aber nicht, dass die Repräsentation von Bewusstseinsinhalten als Erklärung falsch sein muss, sondern nur, dass diese neuerliche Prädikation bzw. Repräsentation eine Einbettung des repräsentierten Gehaltes in einen größeren individualspezifischen Erfahrungsrahmen darstellt. Dies ist natürlich keine direkte Wahrnehmung, ebensowenig wie die Prädikation selbst einem Übersetzen einer Repräsentation in eine andere gleicht, sondern vielmehr einem Einbetten, was sich daran erkennen lässt, dass die Prädikation des einzubettenden Gehaltes sich als eingebetteter Gehalt nicht verändert, sondern in seiner Bezüglichkeit und somit Relevanz, also Prädikation erweitert. Der Autotacho wird immer noch als Objekt mit der und der Farbe und der und der Form wahrgenommen, aber eingebettet als Objekt mit einer bestimmten Funktion. Den von Millikan vorgeschlagenen Begriff der Übersetzung von Bewusstseinsinhalten können wir daher nicht in das hier entworfene Bild integrieren. Millikan erachtet, ebenso wie wir hier, den biologisch-funktionalen Charakter von Repräsentationen als das explanatorische Kriterium erster Wahl, aber wir unterscheiden uns darin, dass hier, nicht um der explanatorischen Reinheit einer teleologischen Semantik willen, Teile des repräsentationalen Bewusstseins und der Möglichkeit einer evolutionären Erklärung derselben geopfert werden, sondern dieses, ganz im Gegenteil dazu, für ein unverzichtbares Element in jeder Erklärung von Verhaltenssteuerung durch Repräsentationen erachtet werden, so wie wir im Gegensatz zu ihr zu trennen wissen, zwischen individualfunktionalen und biologisch funktionalen Erklärungen von Verhalten, Verhaltensdispositionen und Fähigkeiten, was uns vor dem Mystizismus des Nativismus bewahrt. Die reduktionistische Externalisierung des Geistes, die sie vornimmt, geht dennoch zumindest grundlegend von den gleichen explanatorischen Bestimmungen eines naturalistischen Bildes von Repräsentationalität aus, was uns zu der geteilten Annahme führt, dass Repräsentationen beschreiben und anleiten, und auch, dass es reine PP-Tiere gibt, aber nicht, dass dies schon alles ist, was man dazu sagen sollte und auch nicht, dass dies das unterscheidende Merkmal zwischen Menschen und anderen Wesen ist. Den anleitenden Charakter herauszustreichen ist natürlich von vorrangiger Wichtigkeit, wenn man ein naturalistisches Konzept von Sprache entwickeln will und eben diesen Ansatz übernehmen wir hier explizit von Millikan, aber ohne die Repräsentation von Repräsentationen aufzugeben. Auch Millikan, so sollte man hinzufügen, kann das Konzept einer Gesamtrepräsentation und fokussierten Repräsentationsdiskriminierungen

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gar nicht vollständig aufgeben. Sie importiert es in Form der genannten lokalen natürlichen Zeichen (im Gegensatz zu den natürlichen intentionalen Zeichen) in die Mitte ihres externalistischen Bewusstseinskonzept, das bei ihr die Form eines Zeichenkonzepts ist.202 Und so ändert sich der kritische Punkt in der Diskussion um die Evolution von Sprache, was bei Millikan der Übergang der natürlichen Zeichen zu intentionalen Zeichen ist, ganz entscheidend. So wird ihrem Ansatz nach nicht plausibel erklärbar sein, wo die Unterschiede zwischen einem Bonobo wie Kanzi203 und einem Menschen liegen. Dieser hat nämlich ganz eindeutig intentionale Zeichen bzw. rein abbildende Zeichen zur Verfügung. Die Argumente, welche in dem hier vorgeschlagenen Ansatz und dem ihrigen ähnlich gelagert sind, speisen sich aus derselben Quelle. Und das ist, dass alles Zielgerichtete am Menschen seinen Ursprung in Prozessen der Adaption durch irgendeine Art von Selektion hat. 204 Die Betrachtung darüber, was Sprache ist, wird an dieser Stelle zwangsläufig zu einer Abhandlung darüber, welche Stellung der Mensch in der Gesamtheit der natürlichen Welt einnimmt bzw. richtiger formuliert, was er in Differenz zu anderen Lebewesen der naturwissenschaftlich beschreibbaren Welt ist. In diesem Sinne sind für Millikan Repräsentationen selektiert worden, weil sie der Steuerung einer Tätigkeit behilflich sind, die wiederum für den Organismus produktiv ist. 205 In diesem Sinne sind dann zum Beispiel Wünsche und Absichten mentale Repräsentationen „deren Ziel darin besteht, zur Herbeiführung genau dessen beizutragen, was sie repräsentieren.“206

Repräsentationen sind also zweckhaft und funktional für einen Organismus. Dies lässt sich aus zwei Perspektiven analysieren, wobei der Begriff der Zweckhaftigkeit sich je nach Perspektive verändert. Als Erstes haben wir hier die individuelle Perspektive, die auf jeweilige Situationen rekurriert, in denen ein Organismus biologisch sinnvoll agieren muss. Es 202 203

204 205 206

Millikan 2008: 122 Der Bonobo Kanzi ist das zu einiger Berühmtheit gelangte Untersuchungsobjet Savage-Rumbaughs. Im Zuge des Heranwachsens unter Menschen hat er diverse Fähigkeiten ausgebildet, die zeigen, dass er über intentionale Zeichen in Millikans Sinne verfügt. vgl. Millikan 2008: 33 Millikan 2008: 114 f. Millikan 2008: 26

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handelt sich dabei um eine individualbiologische Zweckhaftigkeit. Im Unterschied dazu, als Zweites, die evolutionäre Perspektive. In dieser Perspektive haben wir die typische Dritte-Person-Perspektive der wissenschaftlichen Betrachtung, die für gewöhnlich den Ist-Zustand, hier eines Organismus, als Endzustand einer Entwicklung begreift, die im Falle der evolutionsbiologischen Zweckhaftigkeit ihren Gehalt aus der individualbiologischen Zweckhaftigkeit ableitet, also Spekulationen zu einer linear erzählten Geschichte verknüpft, die zu den momentanen bzw. beschriebenen Endzuständen führten. Was können wir aus der phylogenetischen und ontogenetischen Perspektive für die Entwicklung der spezifischen Repräsentationsfähigkeitenbzw. Verstehensfähigkeiten ableiten? Dretske schreibt, Repräsentationen seien Zustände, die Anzeigefunktion haben. Und weiter, dass alles Bewusstsein repräsentational ist. 207 Das heißt, dass die Funktion der Repräsentation gleich der Funktion des Bewusstseins ist. Und dies ist, Verhalten anzuleiten. Millikan erweitert das dann darauf, dass die Funktion Verhalten anzuleiten biologisch zweckhaft sein müsse, in dem Sinn, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt in der evolutionären Geschichte dieser Vorteil ein derart signifikanter war, dass er positiv selektiert wurde. 208 Die andere Möglichkeit ist, dass selektierte Merkmale nur an individualbiologisch vorteilhafte Umstände gekoppelt sind, die ihrerseits positiv selektiert wurden, so dass diese Merkmale nur mehr oder weniger zufällig mitselektiert wurden. Es gibt also zwei weitere Möglichkeiten, die ganz entscheidend auf die Entstehung von Sprachverhalten, wie wir es heute an uns selbst beobachten können, hinführen und somit auch für die Frage, was die Natur von Sprache ist, wichtig werden könnten. Zunächst einmal ist es möglich, dass bestimmte Merkmale nicht nur biologisch funktional selektiert wurden, sondern auch huckepack, wie Millikan es bezeichnet (als spandrel im Sinne Gould/Lewontins). So muss es sich wohl mit Repräsentationen bestimmter Art verhalten haben, die eben nicht um ihrer selbst willen selektiert wurden, sondern als Handlungsweisen anleitend, die dann wiederum positiv selektiert werden 207 208

vgl. Dretske 1998: 30 f. zum Mechanismus des hierfür relevanten Baldwin Effekts, siehe: Bateson, Patrick (2004): The Active Role of Behaviour in Evolution in: Biology and Philosophy 19. 2004. S. 283-298; Weber, Bruce, Depew, David (2003) (Hrsg.): Evolution and Learning: the Baldwin Effect Reconsidered. MIT Press. Cambridge 2003

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konnten. Die zweite Möglichkeit ist die, dass an einem Punkt, an dem Sprache bereits vorhanden war, Repräsentationen ihren Zweck der unmittelbaren Handlungsanleitung durch die Abbildung bzw. das Zeigen auf Sachverhalte einbüßten, um mit kulturspezifischen, mithin narrativen Strukturen nur noch mittelbar handlungsanleitenden Charakter zu besitzen. Dieser Hypothese nach ist die Urform von Sprache, im Sinne Bickertons Protolanguage, 209 also nichts Besonderes, sondern nur Produkt eines speziellen strategischen Verhaltens. Mit rein abbildenden bzw. zeigenden Strukturen stehen dann natürlich rein deiktische Ausdrücke und rein prädikative Ausdrücke bzw. Kombinationen von beiden als erste Kandidaten einer biologischen Ursprache im Mittelpunkt. Die Geschichte der Entwicklung der heutigen Sprache müsste mit evolutionären bzw. funktionalen Begriffen in Kombination mit diesen beiden expressiven Möglichkeiten, deiktischen und prädikativen, eine Verknüpfung an die vorgeschlagene Geschichte des repräsentationalen Bewusstseins liefern. Die Frage des Übergangs von rein individualfunktionalen Ausdrücken zu Basisformen heutiger Sprache soll also so beantwortet werden, dass das (individual-) biologisch Zweckhafte seinen alles bestimmenden Charakter zugunsten des Einflusses kultureller Zweckhaftigkeit, also nur noch mittelbar biologischer Zweckhaftigkeit, einbüßt. Im Umkehrschluss lautet die Hypothese, dass der Unterschied zwischen Primaten und Menschen vermutlich so erklärt werden muss, dass es zunächst zu einer Verschiebung kommt, weg von unmittelbar individualbiologisch zweckhaften Verhaltensweisen, zu mittelbar biologisch zweckhaften Verhaltensweisen. Diese wurden dann wiederum nicht allein selektiert, sondern mit ihnen auch bestimmte Repräsentationsformen, insbesondere jene der Art, die wir unechte Repräsentationen bzw. Bewusstsein vierter Stufe nannten. Diese hängen, unserer Ansicht nach, mit der Fähigkeit zusammen, Repräsentationen vierter Stufe zu haben, die unechte Repräsentationen einbetten, im Gegensatz zu Repräsentationen vierter Stufe, die echte Repräsentationen einbetten. Diese Sonderform der vierten Stufe des repräsentationalen Bewusstseins ist als Sonderform eine explanatorische Möglichkeit, die keine weiteren kognitiven Elemente benötigt, als sie nicht schon für die normalen Repräsentationen vierter Stufe vorhanden sind, was darauf verweisen soll, dass sie mehr oder minder erlernt bzw. in der Ontogenese erworben werden. Dies wird ebenfalls im nächsten Kapitel 209

Bickerton, Derek (1981): Roots of Language. Karoma Press. Ann Arbor 1981

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hinsichtlich einiger Ergebnisse der Primatenforschung näher erläutert. Was allerdings keinen Grund, sondern ein mögliches Resultat dieser Fähigkeitsfixierung darstellt, ist das, was Millikan als vollständige Trennung von anleitenden und beschreibenden Repräsentationen erläutert. Der hierfür ins Feld geführte Grund ist rekursive Adaption der Interaktion zwischen Vertretern der gleichen Spezies, so wie es Michael Tomasello beschreibt. Die Entwicklung der Sprache ist diesem Ansatz nach vermutlich vielmehr einem cultural ratchet 210 zu verdanken als irgendwelchen Veränderungen der neurobiologischen Organisation bzw. genetischen Disposition von Lebewesen. Dieser Gedanke entspricht der maßgeblich von Boyd und Richerson ausbuchstabierten These der dual inheritance, nach der der ausgereifte Phänotyp einer Art nicht nur von biologischen, sondern in bestimmten Fällen auch kulturellen Eigenschaften der Vorfahren abhängt. 211 Die Möglichkeit einer Hervorbringung von Sprache hängt, Tomasello nach zu urteilen, von dem Verstehen anderer Akteure nicht nur als Artgenossen, sondern als intentionale Akteure ab. Dies allerdings ist etwas, das auf eine bewusstseinstheoretische Erklärung hinausläuft, wie die, dass auf vierter Stufe des repräsentationalen Bewusstseins unechte Repräsentationen eingebettet werden. Doch zunächst soll noch erwähnt werden, was Millikan zum Begriff der Sprache formuliert, da es sich, mit dem, was wir im Abschnitt über den Begriff Sprache formuliert haben, weitestgehend deckt. Sie schreibt, „dass das Verstehen von Sprache nichts anderes als eine weitere Art der sinnlichen Wahrnehmung der Welt ist.“ 212

Hier stimmen wir vollkommen zu, auch wenn einer methodologischen Naturalisierung (Externalisierung) des Bewusstseins aus den genannten Gründen nicht gefolgt wird. Sprache ist, wie Millikan sehr richtig schließt, nichts, dass den anderen Dingen in der Welt verschieden wäre. Erst wir machen diese akustisch, visuell oder taktil wahrnehmbaren Entitäten zu etwas, was mit Bedeutung versehen ist. Diese Bedeutungszuschreibung allerdings ist etwas, das auf dritter Stufe des repräsentationalen Bewusstseins noch nicht vollzogen werden kann. Hier kann etwas nur als 210 211 212

vgl. Tomasello, Michael (1999): Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens. Suhrkamp. Frankfurt am Main 2006. S.14 vgl. Boyd, Robert; Richerson, Peter (2005): Not by Genes Alone: How Culture Transformed Human Evolution. University of Chicago Press. London 2005 Millikan 2008: 163

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etwas (echt) repräsentiert werden. Sieht man Sprache externalistisch, so kommt man ebenso wie Millikan bald zu dem Schluss, der Zeichenbegriff ist wie auch der Verstehensbegriff ein erkenntnistheoretischer Begriff. 213 Denn ein Ding als Zeichen wahrzunehmen, ist nur durch die Bedingungen erklärbar, denen das erkennende Subjekt unterliegt. Zu diesen Bedingungen gehört allerdings zumindest eine bestimmte Form des Bewusstseins, welches diese Repräsentationen haben kann. Die Rede von einer erkenntnistheoretischen Dimension der Erklärung von Sprache führte im Übrigen bereits Saussure mit. 214 Eine Tradition, die wir bis zum erkenntnistheoretischen Denken in den cartesianischen Meditationen zurückverfolgen können. Der Fingerzeig auf die saussureschen Ausführungen sollte uns allerdings nicht zu dem weit verbreiteten Fehlschluss verführen Sprache ausschließlich von der Genese oder auch nur ausschließlich vom Menschen ausgehend zu definieren. Saussure schreibt an einer Stelle, in den unlängst veröffentlichten Schriften aus dem Nachlass, dass es keine sprachliche Entität gibt, die außerhalb des Begriffs, der sich an ihr festmachen kann, existiert. 215 Erst in einem System, das aufgrund seiner Erfahrungen mit diesen Dingen bestimmte Prädikate zuschreibt, werden diese Dinge bedeutungsvoll. In diesem Sinne dienen sie nicht dem unmittelbaren Handeln, 216 wie die Gesamtheit der Repräsentation, die eine Darstellung der Welt ist, die es uns ermöglicht, unseren Körper individualbiologisch sinnvoll hinsichtlich der uns auf diese Weise zugänglichen Tatsachen zu koordinieren. 4.9 Intentionale Handlungen, Intentionen und Emotionen Bevor wir endgültig den Bereich des repräsentationalen Bewusstseins als Grundlage der Sprachfähigkeiten verlassen und uns wieder ausführlich dem Bereich der Sprachfähigkeiten für sich genommen zuwenden, soll kurz skizziert werden, was mit einem rein repräsentationalen Bewusstsein gemeint ist und wie eine solche Theorie ihrer Gestalt nach an anderer Stelle weiter ausgeführt werden könnte. Wir hatten behauptet, alles repräsentationale Bewusstsein sei intentional. Die Nivellierung von 213 214 215 216

vgl. Millikan 2008: 125 Saussure 2003: 21 vgl. Saussure 2003: 78 vgl. Millikan 2008: 176

151

Intentionalität und Repräsentationalität, die wir vornahmen, war dabei nur bezogen auf tatsächliche mentale Tatsachen. Ein Resultat daraus ist, dass es keine Bewusstseinszustände geben kann, die nicht intentional sind. Ob nun Brentano mit seiner Behauptung, dass es keine mentalen Zustände gibt, die nicht-intentional sind, recht behält, ist allerdings vor dem Hintergrund einer Erklärung von Emotionen weiterhin fraglich, 217 da sie zwar als mentale Zustände erscheinen, aber dennoch auch nicht-intentional auseinandergesetzt werden können. Versuchen wir Brentanos These also so zu modifizieren, dass sie in unser Bild passt. Aufgrund unserer bisherigen Ausführungen sollte klar geworden sein, dass Bedeutung ursprünglich nicht über die Sprache in den Geist kommt, sondern über die Relevanz bzw. Signifikanz der Dinge der Welt für ein repräsentationales System in die Sprache. Individualfunktionale Bedeutung und Relevanz auf dritter Stufe, der von uns vorgeschlagenen Hierarchie, sind zwar bereits intentional, weil repräsentational, werden aber erst auf vierter Stufe zur intentionalen Bedeutung, die ausgedrückt werden kann, wenn die Subjektposition als Objektvariable zu Zuschreibungen von Repräsentationsfähigkeiten (unechtes Einbetten) hinzukommt. Die grundlegende Struktur der vierten Ebene ist die Voraussetzung für intentionale Handlungen und somit auch jede Form expressiver Bedeutung bzw. sprachlicher und nicht-sprachlicher Handlungen. Dies allerdings ganz im Gegensatz zur Intentionalität im Allgemeinen. Intentionalität führt nicht zwangsläufig zu Handlungen, die intentional sind. Was heißt das nun wieder? Intentionalität, verstanden als die Gerichtetheit eines mentalen Zustandes, kommt als Eigenschaft bereits dem Bewusstsein dritter Stufe zu. Das heißt, auf Stufe drei handelt es sich nicht um einen mentalen Zustand, sondern die mentale Verfassung an sich. Allerdings heißt dies noch nicht, dass die aus dieser Bewusstseinsstruktur hervorgehenden Verhaltensweisen eines Wesens frei wären, im Sinne einer echten Alternativenwahl. Dies wurde in den vergangenen Abschnitten als resultativer Unterschied zwischen Bewusstsein dritter und vierter Stufe festgehalten. Die feste Bindung von Objekt und Prädikation ist hier ein unmissverständlicher und nur durch systemexterne Faktoren auflösbarer, 217

vgl. Brentano, Franz (1874): Psychologie vom empirischen Standpunkte. Felix Meiner Verlag. Hamburg 1973. S.124

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biologisch zweckhafter Weltbezug, der in seiner systeminternen Unauflöslichkeit zu bestimmten, unmittelbar biologisch funktionalen Verhaltensroutinen führt. Die Voluntativität, die intentionalen Ausdrücken und auch jeder Handlung zugrunde liegt, ist erst auf einer Bewusstseinsebene möglich, die eine teilweise, systeminterne Auflösung der Bewusstseinsstruktur [Objekt(Prädikat)] ermöglicht. Eine mögliche Beschreibung einer solchen Struktur ist das Bewusstsein vierter Stufe. Womit der Weg zu diesem Bewusstsein, als die eigentlich interessante Geschichte, natürlich noch gar nicht erzählt ist. Wiederum von individualfunktionaler Handlungskoordination auszugehen, wenn man diesen Übergang erklären möchte, liegt natürlich nahe. Indem Objekt- und Prädikatplätze systemintern variabel werden, ist die rein individualbiologisch zweckhafte Bedeutung der Prädikationen dritter Stufe mit der rein individualbiologischen, voluntativen Zweckhaftigkeit eingetauscht, die zwar auch eine allgemein biologische Zweckhaftigkeit sein kann, aber nicht muss. Erst dieses Bewusstsein vierter Stufe ist als selbstobjektivierendes Bewusstsein auch koordinierendes Bewusstsein. Erst die Möglichkeiten der Prädikation der Dinge in Bezug zum Subjekt bedingt eine Reaktion die nicht bloß responsiv ist, sondern echter Handlungsalternativenevaluierung entspricht. Um eine Handlung zu vollziehen, die ihrem Wesen als Handlung nach, immer ein bestimmtes Ziel hat, also intentional ist, muss das Ziel auch als Ziel verstanden sein. Es muss ein Ziel auf erster-Person Ebene des Erlebens und nicht ausschließlich auf dritte-Person Ebene der Beschreibung sein. Ein Ziel kann als Ziel aber nur verstanden sein, wenn das System nicht einen Begriff von sich hat, sondern vielmehr, die einem solchen Begriff zuvor liegende Möglichkeit, zu erkennen, dass es dieses Ziel hat. Dem Ziel bewusst folgen zu können heißt, sich als Objekt unter Objekten zu verstehen und sein Handeln demnach strategisch koordinieren zu können.218

218

Diese Fähigkeit tritt bei Kleinkindern ca. 24 Monate nach der Geburt auf: vgl. Zelaso, Phillip David (2003): The Development of Conscious Control in Childhood in: Trends in Cognitive Sciences Vol. 8 Nr. 1. 2004. S.15, vgl. hierzu auch Millikan 2008: 30 – die ersten syntaktisch strukturierten Äußerungen bekanntermaßen hingegen nach dieser Zeit, ca. 30 Monate nach der Geburt – wir wollen hier keine oberflächlichen Schlüsse ziehen, aber der Gedanke, dass die Fähigkeit zur Selbstobjektivierung die Grundlage zum koordinierten Handeln und als Sonderfall,

153

Was ist nun aber mit dem oben angesprochenen Problem der Emotionen? Einem repräsentationalen Verständnis des Bewusstseins nach gibt es die Möglichkeit, sie als Teile der Repräsentation zu verstehen. Allerdings gibt es gewichtige Gründe, die gegen diese Annahme sprechen. Das größte Problem ist hier wohl das der Auszeichnung von Emotionen als qualitative Empfindungen im Allgemeinen. Emotionen (Schmerz, Glück, Mitgefühl, Hunger etc. = emotions) sollten nicht im gleichen Atemzug wie andere Empfindungen (Röte, Süße, Glätte etc. = feelings) behandelt werden, 219 denn sie sind in ihrer ersten-Person Funktion für das jeweilige System von diesen durchaus sehr verschieden, während Empfindungen das Verhalten nur mittelbar anleiten, leiten Emotionen Verhalten unmittelbar an 220 und während Empfindungen Teile der Repräsentation sind, sind Emotionen es nicht, sondern stellen vielmehr Rahmen der Erfahrung im Allgemeinen dar. So handelt es sich unserem Vorschlag nach bei Emotionen, im Gegensatz zu beispielsweise Farbempfindungen, vielmehr um Rahmen des Bewusstseins im Allgemeinen, die als funktionaler Marker nur als Teil von Repräsentationen erscheinen. Ursprünglich dienen Emotionen der biologisch funktionalen, verhaltenssteuernden Ordnung der Konnektion von repräsentativem Bewusstsein und repräsentativem Gedächtnis. 221 Allerdings sind sie keine Teile von Repräsentationen, wie es etwa Farben sind. Gefühlsempfindungen, wie beispielsweise Euphorie, sind richtigerweise nicht einmal intentionalen Charakters, nichtsdestotrotz aber doch Teil des erlebenden Bewusstseins. Wie das? Emotionen als Rahmen aufzufassen, hat den Vorteil, dass sie so verstanden dem Subjektplatz als grundlegender Struktur vorausliegen, also diesen voll und ganz bestimmen, was die Unhintergehbarkeit, wie auch die Unzugänglichkeit von Emotionen erklärt, die ja nicht Teil der einbettbaren Repräsentation sind, sondern der Rahmen des gesamten Bewusstseins, womit ausgedrückt

219 220

221

dem syntaktisch strukturierten sprachlichen Handeln, nötig ist, liegt vor dem Hintergrund unserer Ausführungen nahe. vgl. Damasio, António R. (1999): Ich fühle, also bin ich – Die Entschlüsselung des Bewusstseins. List. München 2000 vgl. Bechara, Antoine (2004): The Role of Emotion in Decision-Making: Evidence from Neurological Patients with Orbifrontal Damage in: Brain and Cognition 55. 2004. S. 30-40 vgl. Banich, Marie et al. (2009): Cognitive Control Mechanisms, Emotion and Memory: A Neural Perspective with Implications for Psychopathology in: Neuroscience & Biobehavioral Reviews Vol. 33 (5). 2009. S. 613-630

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werden soll, dass sie nicht dem Bewusstsein selbst zugehören, das vollständig durch eine der Ebenen der Repräsentation erklärt ist, sondern dieses voll und ganz bestimmen – sie werden demnach in gewisser Weise nicht erfahren, wie wir die restliche Welt erfahren, sondern sind Teil der Form dieser Erfahrung. Die Form der Erfahrung wird natürlich ebenso wahrgenommen wie der Inhalt dieser. Nichtsdestotrotz bleibt beispielsweise die Affizierbarkeit von Emotionen durch medikamentöse Einstellung im Bereich des von der Theorie Erklärbaren, da der funktionale Rahmen, den sie bilden, nicht nur auf früheren Stufen des Bewusstseins ohne Annahme verschiedenartiger Repräsentationen, sondern auch in ihrer grundlegenden Funktion, schlüssig als Resultat der Beschaffenheit und Verfassung des biologischen Systems erklärt werden können. So betrachtet sind Emotionen nicht nur dem Bewusstsein vorausliegend, sondern auch als Resultat schlichter, biologisch sinnvolle Reaktionen auslösender, biochemischer Reaktionen auf Veränderungen der Verfassung des physischen Systems erklärbar. Emotionen als Bewusstseinsrahmen, die nicht der Repräsentation selbst zugehörig sind, sondern, auf direkten körperlichen Zuständen beruhend, dem Bewusstsein vorgeordnet, haben also mehrere explanatorische Vorteile. Sie könnten eine alternative, wenngleich natürlich erst einmal vollständig einsichtig zu gestaltende, Grundlage eines Gefühlsfunktionalismus abgeben, der das, was man sonst eher im Zuge der Qualiadiskussion betrachtet, wiederum biologisch funktional reformuliert. Vor dem Hintergrund dieser resultativen Erklärung ließe sich auch erklären, weshalb Gefühle medikamentös umfassend beeinflusst werden können, während Farbwahrnehmungen nicht beeinflusst werden können. Rot wird immer als rot empfunden. Allein die Form der Wahrnehmung ist abänderbar. Es handelt sich bei Emotionen nicht um qualitative Empfindungen, wie es sich bei Farben um qualitative Empfindungen handelt. Emotionen erfüllen einen gänzlich anderen Zweck: sie sind prädikationsanleitend und auf der Verfassung des Systems basierend, während Farben nicht dem Zustand des Systems Rechnung tragen, sondern der Beschaffenheit der Außenwelt. Dass diese auch über körperliche Prozesse geschieht, darf hier nicht von den Unterschieden ablenken. Eine Farbe ist nicht signifikant, wie eine Emotion für ein System signifikant ist. Dass wir Farben sehen, erfüllt keinen biologischen Zweck, dass wir fühlen allerdings schon. Zudem ist die vielbeschworene Flüchtigkeit, die Emotionen zu besitzen scheinen, will man sie einer intersubjektiv gültigen

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Beschreibung zuführen, ein Indiz für einen womöglich nicht-repräsentationalen Charakter. Im Falle von körperlichen Empfindungen ist hier eventuell zu differenzieren, wobei diese sich ähneln müssen, wenn sich das Bewusstsein und das biologische System ähneln, da unter gleichen Bedingungen gleiche Prozesse mit hoher Wahrscheinlichkeit auch als gleich sinnvoll selektiert werden würden. Schlüssig scheint auch der Ansatz einer Erklärung ihres allumfassenden Wirkungsgrades auf die Inhalte des Bewusstseins und somit auf die verhaltensanleitende Wirkung dieser Repräsentationen. Körperliche Emotionen, also aus der materiellen Basis des Systems stammende Impulse, als Bewusstseinsrahmen aufzufassen, hieße, Emotionen ebenso wie Bewusstsein als vollkommen biologisch funktionale Elemente anzusehen, die der verbesserten individual-spezifischen Koordination bzw. Interaktion mit der Welt dienen. Natürlich besteht dann die Frage, inwieweit alle nicht-körperlichen Emotionen überhaupt noch im selben Sinne verstanden werden sollten wie Kälte, Schmerz und dergleichen. Die materialistische These scheint intelligibel, dass alle echten Emotionen einem biochemischen bzw. einem neuronalen Prozess korrespondieren, so dass die Wirkung des Bewusstseins auf biochemische Prozesse ein ebenso wichtiges Glied in der Erklärung des Charakters von Emotionen ist, wie es die Wirkung biochemischer Prozesse auf das Bewusstsein ist. Emotionen beruhen nicht nur auf biochemischen Prozessen, sondern eben auch biochemische Prozesse auf Emotionen. Während das Gedächtnis von Repräsentationen dritter Stufe und damit Emotionen und Prädikationen in der Erklärung des Bewusstseins dritter Stufe die alles entscheidenden Kriterien sind, die zu unwillkürlichen Verhaltensreaktionen führen, ist das Bewusstsein vierter Stufe als Bewusstsein, das etwas als etwas in Opposition von sich befindlich wahrnehmen kann, nicht auf das Ergebnis der Interaktion von momentan erlebter Repräsentationen und vergangenen Repräsentationen hinsichtlich der Verhaltensanleitung abhängig. 222 Es kann eine Entscheidung gegen das Ergebnis der Zusammenwirkung von Prädikation des erlebten Gehalts, den korrelierenden Gedächtnisinhalten 222

Zudem sind die mnematischen Repräsentationen auf vierter Bewusstseinsstufe bereits in ihrer Struktur von den mnematischen Repräsentationen dritter Stufe verschieden, denn sie sind keine dyadischen Gedächtnisinhalte, sondern immer schon triadische bzw. in diesem Sinne systematisch subjektbezüglich.

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und den vermittelnden bzw. Relevanz anzeigenden Emotionen geben. Objektivierung bzw. Einbettung ist die Voraussetzung von Wahlmöglichkeiten und somit von Freiheit, im Sinne der Möglichkeit zu wählen und somit voluntativ also intentional vorzugehen. Es wurde bereits darauf verwiesen, dass Handlungen im Unterschied zu bloßem Verhalten bzw. Reaktionen sich durch den Begriff der Alternative differenzieren lassen. Alternativen kann man nur haben, wenn man sich selbst hat. Dass sich ein System gegen das Verhalten, dass das oben beschriebene Zusammenwirken impliziert, entscheiden kann, hängt davon ab, ob es eine ordnende und vergleichende Instanz gibt, die die prädizierten Gehalte des Bewusstseinsstroms nicht nur automatisiert in den Kontext der Erfahrung stellt, sondern vergleichend vor dem Hintergrund der besseren Wahl, die immer die Wahl für ein System ist, gegen Alternativen abwägen kann. Diese Alternativen erwachsen aus der prinzipiellen Tauschbarkeit der Objektplätze und somit auch Prädikationen dieser, sobald das Bewusstsein nicht mehr nur aus bloßen Objektprädikationen besteht. Eine Handlung ist im Unterschied zu einer bloßen Reaktion demnach immer Resultat von alternativen Verhaltensmöglichkeiten. Nur in dieser Alternativität ist eine Handlung intentional. Intentionalität mentaler Gehalte unterliegt also nicht dem bestimmenden Kriterium der Willensfreiheit, während eine Handlung dies im Gegensatz zu bloßem Verhalten bzw. Reaktionen durchaus tut. Man sollte also auch Tieren intentionale mentale Zustände zusprechen, was aber nicht heißt, dass sie auch intentional agieren bzw. handeln können. Es ist eine notwendige Bedingung für eine Handlung eines Systems, dass dieses System intentionale mentale Zustände hat (Repräsentationen), aber es ist keine hinreichende Bedingung. Wie weiter oben beschreiben sind daher die Laute von vielen Spezies trotz ihrer Ausdifferenzierung nicht als intentionale Handlungen und somit nicht als sprachliche Artefakte zu betrachten. Die primär mit Hilfe des Gedächtnisses prädizierte Repräsentation, verstanden als Fokussierung eines Teils der Gesamtrepräsentation, wird als eingebettete Repräsentation teilweise vom einbettenden Grundelement des Bewusstseins vierter Stufe, dem Subjekt, ablösbar im Sinne einer Objektivierung. So wie die Objektivierung der Körperlichkeit des Systems einmal vorteilhaft für die strategische Koordinierung war und somit biologisch sinnvoll selektiert wurde, führte die Objektivierung des Selbst, welche zu Bewusstsein vierter Stufe führte, ebenso zur Objektivierung der repräsentierten Gehalte. Objektivierung ist die Voraussetzung intentionalen Handelns, da die eingebetteten Repräsentationen (die prädizierten Fokussierungen der Gesamtrepräsentation

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der Tatsachen der Welt) nicht mehr allein das Bewusstsein sind, sondern nur einen Platzhalter ausmachen, der innerhalb der Struktur des Gesamtbewusstseins als zunächst dem handlungsanleitenden Isomorphieverhältnis entsprechend sowohl unprädiziert als auch prädiziert prinzipiell variabel existiert. Nur auf Grundlage einer solchen oder ähnlichen Theorie, die die Objektivierung und die daraus resultierende voluntative Variabilität der Elemente der Bewusstseinsordnung berücksichtigt, kann eine Erklärung des intentionalen Handelns und somit des sprachlichen Handelns stehen, die dem unhintergehbaren Funktionalismus der evolutionsbiologischen Selektionsmechanismen genügend Schnittstellen für eine holistische und dynamische Erklärung des IstZustands menschlicher Lebewesen im Unterschied zu anderen Lebewesen bietet und damit auch der Erklärung der Fähigkeit sprachlich zu kommunizieren. Die Variabilität der Objekte und Prädikationen des Bewusstseins vierter Stufe ist natürlich nur aufgrund der biologisch funktionalen Isomorphiebeziehung teilweise auflösbar, wenngleich allerdings nur selten und niemals grundlos. Der strategische Charakter des Sprachverhaltens leitet sich aus dem strategischen Charakter des intentionalen Handelns ab. Der strategische Charakter des Handelns beruht auf der Intentionalität der jeweilig zugrunde liegenden mentalen Zustände und der Möglichkeit des Systems, diese Zustände als Zustände des systemeigenen Bewusstseins zu erfassen und sie in ihrer Systembezüglichkeit und Objekthaftigkeit vom Automatismus der bewusstseinsimmanenten Evaluationsprozesse zu entkoppeln. Der intentionale Charakter mentaler Zustände und die genannten Möglichkeiten beruhen damit auf einer bestimmten Form des Bewusstseins, die als individualbiologisch funktional hätte selektiert werden können. Mehrere Gehalte und Variationen von Objekt- und Prädikatplätzen sind nur auf vierter Ebene möglich, durch Einbettung in einen größeren Rahmen, den eines Subjekts, dem sich etwas als etwas darstellt. Imagination, also die aus der Einbettung resultierende Möglichkeit der freien Objekt- und Prädikatvariation, ebenso wie Mehrfacheinbettung, ist, der hier vorgeschlagenen Hierarchie nach, Tieren, die nur Bewusstsein dritter Stufe besitzen, überhaupt nicht möglich, da diese keine Differenzierungen vollziehen können, zwischen den Dingen da draußen und den Dingen hier

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drinnen, in unserem Kopf, salopp formuliert. 223 Für diese ist die Repräsentation der Außenwelt ihr Bewusstsein, welches unwillkürlich, mit mehr oder weniger stark emotional umrahmten Gedächtnisinhalten in Verbindung steht. Diese Unwillkürlichkeit im Gedächtnisbezug, die aus der dyadischen Bewusstseinsstruktur dritter Stufe zwangsläufig entsteht, ist ein wichtiges Hindernis für die Entwicklung von Sprachfähigkeiten und der Begriffsbildung. Und dies heißt für die hier vorgeschlagene Terminologie: Prädikation und Bedeutung sind nicht dasselbe wie Begriffe, auch wenn Begriffe aus Bedeutung (-svariationen, die individualfunktional sind) bestehen, ansonsten gäbe es nämlich keinen Unterschied zwischen erstePerson Repräsentationen und erste-Person Begriffen. Die Begriffe der Information, der Intentionalität und der Handlung beruhen somit auf einer Erklärung der Wahlfreiheit durch Selbstbezug und sind demnach funktionale Begriffe in allen Erklärungen des selbstobjektivierenden und somit einbettenden Bewusstseins. Durch diese funktionale Bindung allerdings ist auch jede sprachliche Äußerung nur infolge eines selbstobjektivierenden Bewusstseins möglich, wie auch immer man dieses im Einzelnen erklärt. Ein nachplappernder Papagei kann also sehr wohl intentionale Zustände haben, aber sein Geplapper wird dadurch noch lange nicht intentional, sondern es bleibt bloße Reaktion bzw. bloßes Verhalten. Daseinsformen dieser Art ‚haben sich noch nicht‘ und damit keine ‚Welt‘. Nichtsdestotrotz ist das differenzierte Verhalten eines Papageis, wenngleich auch unfrei, als Ausdruck eines prädizierenden Bewusstseins, also eines Bewusstseins dritter Stufe, begreifbar. Wodurch aber kann man ein Wesen wie diesen Papagei, als intentionale mentale Zustände besitzend, beispielsweise von den weiter oben beschriebenen anaeroben Bakterien unterscheiden, denen wir diese Eigenschaft absprachen, obwohl auch sie biologisch funktional auf Tatsachen der Welt reagieren? Das Kriterium ist das Gedächtnis und sein Einfluss auf die Prädikation des Bewusstseins dritter Stufe bzw. die Manifestation dieses Einflusses im Verhalten. Ein Bakterium, wie das geschilderte, wird sich nie durch äußere 223

Das heißt, dass die individualbiologische Fähigkeit zur Koordination und die ihr vorausliegende Antizipation von Situationen bzw. Imagination von Konstellationen der Ursprung aller Vorstellungskraft ist, die schlicht in freien Objekt-Prädikat Variationen besteht bzw. der freien Mehrfacheinbettung der voluntativ alternierten mnematischen Repräsentationen (hier klingt das empiristische Diktum nach, dass alle Vorstellung immer nur aus der Erfahrung erwachsen kann)

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Faktoren zu bestimmten Verhalten anleitenden Prädikationen bewegen lassen, die sich dann im Verhalten niederschlagen. Anders ausgedrückt, ein solches System kann nicht lernen. Es ist in seinen Reaktionen vollständig durch äußere Faktoren determiniert. Auch der Papagei kann vollständig determiniert beschrieben werden, und zwar unter Zuhilfenahme das komplexen Zusammenspiels von bereits erfahrenen Repräsentationen bzw. Prädikationen und den Fokussierungen der linearen Gesamtrepräsentation. Das Bakterium wird also immer nur auf bestimmte Reize bestimmte Reaktionen zeigen, wie die Ausrichtung hinsichtlich der Reaktion des Magnetosoms, ohne dass hier Informationen vorhanden wären, die in ihrer anleitenden Funktion mit irgendeinem Umstand konfligieren könnten. Der besagte Umstand könnte beispielsweise eine im Gedächtnis vorfindliche, stetige Mitausrichtung der umgebenden Bakterien gleichen Typs oder Ähnliches sein, dass, so die sensorischen Möglichkeiten gegeben sind, einen zusätzlichen Indikator und handlungsanleitenden Umstand für den Verbleib in anaeroben Wasserschichten bereitstellen könnte. So ist hier also die Möglichkeit gegeben, eine gezielte Veränderung des Magnetfeldes durch einen Magneten zu initiieren, so dass sich das Bakterium hinsichtlich seines Magnetosoms biologisch gesehen unvorteilhaft, weil in Richtung aerober Wasserschichten auszurichten beginnt. Eine Reaktion, die beliebig oft wiederholt werden kann, ohne, dass das Bakterium sein Verhalten ändern würde. Im Gegensatz dazu würde der Papagei ganz sicher in einer ähnlichen Situation sein Verhalten aufgrund seiner Erfahrung adaptieren und sich ab einem gewissen Punkt nicht mehr hinters Licht führen lassen. Man kann es auch so ausdrücken: Gedächtnis und Lernprozesse können bei biologischen Systemen nur aufgrund eines Bewusstseins entstehen. Lernen und Gedächtnis sind nur bei Wesen möglich, die echt Repräsentieren. Einen hinreichenden Grund für das Existieren von Bewusstseinsstrukturen in den ‚Köpfen‘ anderer Wesen zu finden, ist bekanntermaßen sowieso nichts, wofür es allgemein akzeptierte Argumente gibt, daher wird hier auch gar nicht erst versucht, solche zu liefern.224 Und um mit explanatorischen Vor- und Nachteilen unserer Erklärung des repräsentationalen Bewusstseins weiterzumachen: Was für eine Erklärung hinsichtlich der Entstehung intentionaler sprachlicher Handlungen kann uns eine solche Erklärung nun eigentlich überhaupt geben? Die sprachlich intentionale Handlung erlangt ihren propositionalen Charakter durch die 224

Es handelt sich also um das Problem des Fremdpsychischen bzw. der Other Minds.

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Struktur des Bewusstseins, dessen Ausdruck sie ist. Daher ist Sprache als propositional strukturiertes, intentionales verbales Handeln erst auf vierter Stufe möglich. Und einmal ganz abgesehen vom bloß logisch-hypothetischen Charakter unseres Vorschlages für eine Bewusstseinshierarchie ist der Umstand, dass die Syntax von sprachlichen Äußerungen, die in irgendeiner Weise auf der Propositionalität der intentionalen mentalen Zustände beruhen muss, definitiv Resultat eines Bewusstseins, welches seine Gehalte in einer bereits propositionalen Struktur auflöst, also nicht diese Struktur ist (Bewusstsein dritter Stufe), sondern diese Struktur hat (Bewusstsein vierter Stufe). Die Grundlage der propositionalen Struktur des einbettenden Bewusstseins resultiert aus der bereits vorpropositionalen, in Objekt und Prädikation aufgeteilten Struktur des Bewusstseins dritter Stufe, dessen vorprädikative Struktur isomorph den sensorisch erfassbaren Tatsachen der Welt ist. Die Sprache bildet nicht die Sachverhalte der Welt ab, sondern sie resultiert in ihrer Struktur aus der Abbildung der Sachverhalte der Welt im Bewusstsein repräsentierender Systeme. Woher sonst sollte sich die Struktur von Äußerungen herleiten, wenn nicht von der Struktur der Bewusstseinsinhalte. Ausdrückbarkeit heißt, dass etwas da sein muss, was in unserem Falle biologisch funktional ausdrückbar werden kann. Und das sind zunächst einmal bestimmte unmittelbar biologisch funktionale Aspekte der wahrgenommenen Welt. Diese individualbiologisch funktionalen Aspekte, die mit emotionaler Markierung im Gedächtnis abgelegt sind und je nach Lernerfolg mehr oder weniger automatisiert auf analoge Situationen bzw. Repräsentationen angewandt werden, um so prädikationsunterstützend konkrete Situationen anzuleiten, sind so etwas wie der Archetypus der Bedeutung. Diese ursprüngliche Form der Bedeutung ist die der logischen Prädikation, nicht die der syntaktischen. Allerdings muss die Syntax von sprachlichen Handlungen phylogenetisch funktional und das heißt, interaktionstheoretisch funktional, aus der Struktur des repräsentationalen Bewusstseins ableitbar sein. 225 Es heißt allerdings nicht, dass die Entwicklung der 225

Damit ist nicht das Gleiche gemeint wie die Gleichsetzung von syntaktischer Tiefenstruktur und propositionaler Bedeutung, wie sie der frühe Chomsky der „Aspekte“ noch für möglich hält und welche die Arbeiten der frühen funktionalistisch arbeitenden Linguisten um Lakoff inspirierte, sondern eine individualfunktionale anstatt einer rein biologisch funktionalen Bestimmung der Form-Funktion-Relation sententialer Strukturen.

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Sprache bereits mit einem abbildenden verbalen Handeln begann. Die formale Abbildung von Repräsentationen in sprachlichen Äußerungen ist interaktiv nicht ohne einen mittelbar individualfunktionalen Aspekt beschreibbar, da sich die Elemente des Bewusstseins dritter Stufe nur mit den auf dieser Stufe arbeitenden Mechanismen zu einem Bewusstsein vierter Stufe entwickeln konnten. Da die auf dritter Stufe arbeitende Kraft die der individualbiologischen Funktionalität ist, muss sich diese auch in der Erklärung des Übergangs von Stufe drei zu Stufe vier wiederfinden. Auch die Prozesse der Interaktion, die einen Übergang von Stufe drei zu Stufe vier kennzeichnen, müssen maßgeblich individualfunktional gewesen sein. Die Urform der Bedeutung, gedacht als Prädikation, ist zwangsläufig auf Repräsentationalität aufgebaut. Dies heißt unserem Vorschlag nach: keine Bedeutung ohne Repräsentationalität und keine Ausdrückbarkeit dieser Repräsentationalität ohne Objektivierung. Ein Problem, das in diesem Zusammenhang auftritt, ist die terminologische Unschärfe zwischen Intentionalität, verstanden als das bloße Gerichtetsein eines mentalen Zustands und dem Begriff der Intention. 4.10 Überzeugungen und Intentionen und Intentionalität Bevor wir also zu unserer eigentlichen Geschichte zurückkehren, nämlich der, was Sprache tatsächlich grundlegend ist, soll noch ganz kurz ein weiterer Vorschlag zur Ontologie der Bewusstseinsphänomene gemacht werden, und zwar hinsichtlich der Unterscheidung der beiden Begriffe der Intentionalität und der Intention, welcher geeignet erscheint unseren konsequenten Sprachnaturalismus argumentativ zu stützen, indem wir das Konzept der Intentionalität als reinen Eigenschaftsbegriff ablehnen. Die Behauptung ist folgende: Intentionalität, im Sinne der Gerichtetheit auf ein Objekt, ist nichts, das den typischerweise als intentionale Zustände beschriebenen mentalen Tatsachen zukommt. Glauben, Wünschen, Lieben und Wollen sind zum Beispiel keine intentionalen Zustände. Eine Intention ist kein intentionaler Zustand. Intentionalität ist einzig eine (zugeschriebene) Eigenschaft von Repräsentationen und dies auch nur als explanatorische Krücke einer dritte-Person Beschreibung. Auf ersterPerson Ebene gibt es keine Intentionalität. Es handelt sich nur um ein wissenschaftliches Hilfskonzept, das die Funktionsweise des Bewusstseins

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beschreiben hilft und aus dem keine Probleme erwachsen sollten. 226 Nichtsdestotrotz erzeugt es aber immer dann explanatorische Unschärfe, wenn geschlussfolgert wird, es handele sich um etwas wirklich Existentes. Absichten bzw. Intentionen sind kein Spezialfall der Intentionalität, da es Intentionalität auf erster-Person Ebene nicht gibt. Das, was uns phänomenologisch zugänglich ist, ist nur die Intention selbst. Sicher, man kann seine eigenen Absichten repräsentieren, allein, das Haben von Absichten ist keine Repräsentation. Zu behaupten, es handele sich im Haben von Überzeugungen und Absichten, Wünschen und so weiter um intentionale Zustände, ist, wie Daniel Dennett formuliert, nichts als eine nützliche Fiktion, welche uns helfen soll, nicht intersubjektiv feststellbaren Tatsachen Herr zu werden. 227 Das Problem, wie weiter oben bereits ausführlicher vorgestellt, liegt darin, dass man zwar einen Wunsch haben kann, ebenso wie eine Absicht, diese Absichten oder Wünsche jedoch immer nur etwas Erlebtes sind, das seinen Charakter in der Beschreibung über den Begriff der Intentionalität grundlegend verändert, denn es handelt sich nicht um einen Zustand, der auf etwas gerichtet ist, sondern der einer individuellen Historie entspricht, dessen Produkt er ist. In diesem Sinne handelt es sich zunächst um einen Systemzustand, der individualfunktionales Handeln determiniert und anleiten kann, wie er auch biologisch funktionales Handeln anleiten kann. Insofern verdeckt die Zuschreibung von Intentionalität den vorerst resultativen und funktionalen Charakter von Zuständen wie Intentionen, Überzeugungen und dergleichen mehr. Die Probleme, die um diesen Begriff konstruiert wurden, sind aus dieser Sichtweise heraus eben nur innerhalb der Konstruktion gültig, außerhalb dieser aber (insofern man, was den Begriff der Wahrheit angeht, Perspektivist ist) gänzlich unwichtig. Es ist auch an dieser Stelle wiederum das Perspektivenproblem, welches uns in die Quere kommt. Ein Beispiel: Selbstverständlich hatte ich heute Morgen die Absicht, die Milch aus dem Kühlschrank zu nehmen. Aber nicht diese Absicht selbst ist intentional, sondern die Vergegenwärtigung, die ich gerade vollziehe, die Bewusstmachung dieses Zustandes als etwas. Innerhalb des hier vorgeschlagenen spekulativen Bewusstseinskonzepts ist erst die Einbettung eines Gedächtnisinhaltes, der 226 227

Wir folgen hier also Dennett 1987 und auch: Beckermann, Ansgar (1996): Is There a Problem About Intentionality? in: Erkenntnis 51. 1996. S. 1-23 vgl. Dennett 1987

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auf bestimmte Weise emotional markiert ist, intentional, indem die eingebettete Repräsentation intentional ist. Die Beschreibung eines mentalen Zustandes ist immer eine Beschreibung ex post. Das Haben unterscheidet sich vom begrifflichen Erfassen eines Zustandes wie sich die Möglichkeit der Erste- und der Dritte-Person-Perspektive im Zugang zu den Tatsachen des Erlebens unterscheiden. 228 Wo liegt also der Unterschied zwischen dem Haben (erste Person) und dem Begriff-Haben (dritte Person) von beispielsweise Intentionen und Überzeugungen? Die Gruppe der genannten Phänomene sind auf erster-Person Ebene analog zu Emotionen zu verstehen und nehmen erst durch Einbettung, also Repräsentation, die typischen Eigenschaften an, die wir intentionalen Zuständen zuschreiben, so dass der Charakter dieser Zustände, wie Emotionen, resultativ und bewusstseinsbestimmend ist, nicht aber intentional, indem sie eben keine Bewusstseinsinhalte darstellen, sondern vielmehr den Rahmen dieser Erfahrung, was den Unterschied zwischen diesen Zuständen und Repräsentationen eben im Unterschied zwischen dem Haben-Modus derselben darstellt. Zusammengefasst heißt das, dass auf Erlebnisebene, der ersten-Person Ebene, diese Bewusstseinstatsachen nichts weiter als handlungsanleitende Bewusstseinsrahmen sind, die das Gesamterlebnis handlungsanleitend, also in ihrer Prädikation, affizieren, ganz so wie dies auch Emotionen tun. Die individualbiologische Funktionalität dieser, ebenso wie Emotionen funktionierenden Bewusstseinsrahmen der individualspezifisch sinnvollen Handlung bzw. des individualspezifisch sinnvollen Verhaltens, besteht in der, auf Grundlage der emotional markierten Gedächtnisinhalte erfolgenden, Prädikation des erste-Person Erlebens. Der Unterschied zeigt sich in der Wirkung die quasi-emotionale Bewusstseinsrahmen im Gegensatz zu Repräsentationen haben. Sie sind im Gegensatz zu Repräsentationen nicht vom Subjekt negierbar bzw. direkt beeinflussbar. Ebenso wie Emotionen sind sie nicht voluntativ hintergehbar. Dass es sich hier nicht um Tatsachen handelt, die den Charakter von Repräsentationen 228

Mead schreibt in diesem Zusammenhang beispielsweise, dass das „Mich“ immer nur das empirische Ich meinen kann, da das tatsächliche Ich niemals erreicht bzw. erkannt werden kann. Er schließt richtigerweise daraus, dass wir keine Reaktionen vergegenwärtigen können, während wir reagieren. In: Mead, George Herbert (1912): Der Mechanismus des sozialen Bewusstseins in: Ders. (1980): Gesammelte Aufsätze: Band I. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 1980. S. 239

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haben, kann man sich sehr schön mit Schopenhauers Wort, von der Unfreiheit des Willens vor Augen führen: „Der Mensch kann wohl tun was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.“ 229

Und fürwahr, der Mensch kann nicht wollen, was er will. Er kann auch nicht überzeugt sein, von was auch immer er will. Er kann auch nicht hoffen, was er will oder lieben, was oder wen er will. Man kann seinen Willen und somit seine Absichten nicht willentlich steuern. Die Umsetzung bzw. Anwendung wie auch den Prozess, der zu diesen quasi-emotionalen Zuständen führt, allerdings schon. Das Gleiche gilt für Überzeugungen, auch wenn diese explizierbar fraglos erst auf einer Stufe des Bewusstseins auftreten, die wir überhaupt nicht näher untersuchen werden. Der Stufe nämlich, die Dennett den popperian creatures vorbehält, also den Wesen, die bereits ein sprachliches Bewusstsein haben.230 Die eigenartige Kraft des besseren Grundes, die Robert Brandom heraufbeschwört, 231 und welcher wir als rationale Wesen unterliegen, ergibt sich daraus, dass Überzeugungen das Resultat der zunächst einmal immer für wahr gehaltenen Repräsentationen sind, die sich im Gedächtnis emotional markiert sedimentieren und resultative Gesamtsystemzustände der Erlebnisse bzw. der unwillkürlichen begrifflichen und inferentiellen Variationen sind. William James bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „die unmittelbare und dahinfließende Erfahrung ist immer Wahrheit“

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In diesem Sinne sind Intention und Überzeugung Teil bzw. Resultat der Erfahrung in einem engen Sinne. Sie selbst sind uns nicht zugänglich, wie auch unsere Erfahrungen uns nicht zugänglich sind. Das soll heißen, dass wir keinen Einfluss auf diese haben. Wir unterliegen ihnen. Sie bestimmen uns. Sie determinieren uns und nicht wir sie. Solange sie bestehen, sind sie nicht hintergehbar und bestimmen unser Bewusstsein und somit unser Handeln gänzlich. Sie sind der Rahmen unserer Erfahrung der Welt und der Erfahrung unserer selbst. So können wir zwar nicht zwei kontradiktorische 229 230 231 232

Schopenhauer, Arthur (1839): Preisschrift über die Freiheit des Willens. Felix Meiner. Hamburg 1978. S. 58 Dennett, Daniel (1995): Darwins Dangerous Idea: Evolution and the Meaning of Life. Penguin. London 1995. S. 374 f. Brandom 2001: 54 James, William (1912): Pragmatismus und radikaler Empirismus. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 2006. S. 19 f.

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Aussagen zur gleichen Zeit für wahr halten aber sehr wohl über diese beiden nachdenken, weil eben nur die Überzeugung, nicht aber die Repräsentation dieser, aus der Verfassung des psychophysischen Systems, das wir sind, direkt resultiert. Insofern kann ein so beschriebenes System sich nicht selbst hintergehen. Man kann wohl gegen die Implikationen seiner Repräsentationen handeln, nicht aber gegen seine Überzeugungen (so wie wir sie hier verstehen). Sicher kann man seine Überzeugungen objektivieren und sie also repräsentieren, und tut dies ja auch jedes Mal, wenn man über seine für wahr gehaltenen Gedächtnisinhalte reflektiert, aber biologisch funktional in tatsächlichen Erlebnissituationen sind Überzeugungen eben nicht auf Sätze bezogen, sondern aus markierten mnematischen Repräsentationen folgend, oder allgemeiner formuliert, den Erfahrungen des Systems. Überzeugungen müssen nicht verbalisiert sein und auch nicht vergegenwärtigt (explizit), um handlungsanleitend ihre Funktion für das Bewusstsein zu erfüllen. Es kann eine Frage des Wissens sein, eine Überzeugung zu haben, aber es muss keine Frage des Wissens sein. Es gibt keine Überzeugungen ohne ‚Wahr’-nehmungen, den fokussierten Inhalten der linearen Gesamtrepräsentation bzw. ohne Erlebnisse oder Gedächtnisinhalte. Auch Bewusstsein dritter Stufe hat Überzeugungen, die aus den im Gedächtnis befindlichen Repräsentationen resultieren. Es kann diese allerdings nicht einbetten, da das momentane Bewusstsein diese Repräsentation ist. Demnach kann es ausschließlich wahrnehmen. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Haben einer Überzeugung und dem Reflektieren bzw. Benennen einer bestimmter Überzeugung. Ebenso wie mit Überzeugungen verhält es sich, so sollte man annehmen, mit den meisten sonst als intentional beschriebenen Bewusstseinstatsachen, die nicht dem hier entworfenen Bild der Repräsentation entsprechen, also einem fokussierten und prädizierten Teil der linearen Gesamtrepräsentation. Ein weiteres recht klassisches Beispiel ist das Hoffen. Auch Hoffen ist, wie Überzeugungen, im Gegensatz zur Repräsentation der wahrgenommenen Tatsachen zunächst nicht anzweifelbar. Entweder man hofft oder man hofft nicht, dass man im Lotto gewinnt. Dieses Hoffen ist ein quasi-emotionales Erlebnis, das sich aus der momentanen Repräsentation und den erinnerten Repräsentationen ergibt. Es ist als mentaler Zustand nicht repräsentationalen Charakters, sondern ein Bewusstseinszustand, der im Gegensatz zu der Annahme, dass man hofft und dem ausdrückbaren Satz: ‚Ich hoffe, dass x‘, nicht selbst zugänglich ist. Ebenso wie uns die Außenwelt nur sensorisch vermittelt in das

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Bewusstsein tritt, treten uns auch die im üblichen Sinne intentional genannten Zustände nur vermittelt, also nur eingebettet in das Bewusstsein, womit sie sich natürlich in eine Form begeben, die allerdings intentional beschreibbar, weil repräsentational ist. Vor ihrem Auftreten als repräsentierter Gehalt sind Zustände wie das Hoffen keine Repräsentationen, sondern bestimmen diese. Aus diesem Grund ist es möglich, Überzeugungen (Repräsentation) von Überzeugungen (Zustand) zu haben. Der Gedanke, man hoffe, ist natürlich intentional, aber nicht das Hoffen als Zustand. Diese Zustände sind selbst keine repräsentationalen und somit auch keine intentionalen mentalen Tatsachen, weil sie keine Gehalte haben und demnach nicht wahr oder falsch sein können, sondern vielmehr resultative Zustände des Gesamtbewusstseins sind. Wenn man diese quasiemotionalen Zustände bzw. Bewusstseinsrahmen in Klassen einteilen wollte, so wäre das Kriterium ihre Resultativität, das heißt, ob sie primär aus der Verfassung des Bewusstseins an sich oder beispielsweise der Verfassung des biologischen Teils des Systems resultieren. Ein weiterer Kritikpunkt an der herkömmlichen Auffassung: Ein Hauptkriterium intentionaler Zustände ist es wahre oder falsche Bezüge herstellen zu können. Indem sich intentionale Gehalte auf etwas richten bzw. beziehen ist natürlich immer auch schon die Möglichkeit des falschen Bezugs gegeben. Diese Redeweise ist allerdings nicht sehr einleuchtend, denn Überzeugungen können schlicht nicht falsch sein. Nicht auf erster-Person Ebene. Sie sind allenfalls veränderlich, aber niemals falsch. Es gibt nur Überzeugungen korrespondierend eines Bestandes an Repräsentationen bzw. Begriffen. Wahrheit spielt in dieser Erklärung von Überzeugungen also zunächst überhaupt keine Rolle, da dieser Begriff auf erster-Person Ebene der Erfahrung kein Pendant hat. Es gibt nur effektive und ineffektive, funktionale und nicht-funktionale Überzeugungen. Es gibt nur das ‚Es-ist-so‘ der Erfahrung und momentanen Repräsentationen. Nur mnematische Repräsentationen sind anzweifelbar, weil einbettbar. Nur aus einer dritten-Person Beschreibung heraus ist eine Erfahrung, die hierzu zwangsläufig vergangen sein muss, als konfligierend mit dem zum Zeitpunkt der Einbettung vorhandenen Bestand an mnematischen Repräsentationen beschreibbar, was in der geläufigen Terminologie ‚falsch‘ genannt zu werden pflegt. Eine wiederum andere Art der Falschheit bzw. Unwahrheit ist die Beurteilung von Überzeugungen von je anderen Systemen, also beispielsweise von Menschen untereinander. Diese sind nicht systemintern konfligierend, sondern auf Grundlage der Bewusstseinsrahmen eines völlig

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anderen repräsentationalen Systems. Der Begriff der Wahrheit bekommt vor dem Hintergrund einer naturalistischen Beschreibung von Überzeugungen, wie sie hier vorgeschlagen wird, eine pragmatistische Perspektivität, die sich mit leichter Hand in Konzepte der sozialen Konstruktion von Wissen überführen lässt. Das wissenschaftstheoretische Kriterium der Wahrheit leitet sich von der Annahme ab, dass unsere Überzeugungen auf zwei verschiedene Weisen mit der Welt korrespondieren. Entweder geben sie die Tatsachen der Welt auf richtige Weise wieder, in diesem Falle sind sie wahr, oder aber sie tun dies auf falsche Weise, dann sind sie falsch. Wie hier vorgeschlagen wird, sind Überzeugungen aber selbst nicht auf die Welt bezogen, und können daher auch nicht wahr oder falsch sein. Aus diesem Grund schreibt Wittgenstein, dass ein Mensch sich unter gewissen Umständen logisch nicht irren kann. 233Überzeugungen sind lediglich handlungsanleitende Bewusstseinsrahmen, die aus der sogenannten Erfahrung resultieren, den mnematischen Repräsentationen. Sie beziehen sich nicht auf die Welt und sie beziehen sich auch nicht referenziell auf die Repräsentationen, sondern sind primär, ähnlich den Emotionen, handlungsanleitende Resultate der Verfassung des repräsentationalen Systems: den diesem System eignenden Erinnerungen. Das wissenschaftliche Kriterium der Wahrheit kann nur auf das Bild der kognitiven Verfassung des Menschen angewandt werden, aber innerhalb dieses Bildes selbst hat es keinen sinnvollen Platz. Hier gibt es nur die Funktionalität des Pragmatismus. Dass Überzeugungen mit Repräsentationen in einen Topf geworfen werden, liegt daran, dass sie dem System selbst, ebenso wie anderen Systemen, nur in einer Dritte-PersonPerspektive beschreibbar zugänglich sind. Repräsentationen können natürlich in ihrer Intentionalität wahr oder falsch sein, aber Überzeugungen und dergleichen mehr sind keine Repräsentationen. Die Prädikation einer Überzeugung als wahr oder falsch kann nur stattfinden, wenn wir sie einbetten und somit in voluntative Bezüge setzen, aber nicht auf Ebene der Erfahrung, wo sie zunächst resultativ und anleitend zu verstehen ist. Emotionen sind ebensowenig wie die Bewusstseinsrahmen, die wir für gewöhnlich als intentional beschreiben, Teile der Repräsentation selbst, da sie keine Prädikationen haben oder sind, sondern funktionale Resultative 233

Wittgenstein, Ludwig (1969): Über Gewißheit. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 1970. § 155 ff.

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der Verfassung des Systems, die zu diesen führen. Sie bestimmen die Prädikation wiederum individualbiologisch funktional, aber sind nicht diese selbst. Ein Beispiel: Der Wille ein Glas Milch zu trinken bestimmt meine Erfahrung des Kühlschranks und ist nicht Teil der Prädikation des Kühlschranks als Aufbewahrungsort der gestern gekauften Milch. Die Überzeugung, die sich aus meiner Erfahrung ergibt, dass in diesem Kühlschrank Milch vorhanden ist, ist nicht Teil der unmittelbaren Prädikation des Kühlschranks als Aufbewahrungsort der Milch, die ich gestern gekauft habe, sondern Resultat der Repräsentationen, die sich in meinem Gedächtnis befinden: dass ich gestern Milch gekauft habe, dass ich sie in den Kühlschrank gestellt habe und so weiter, ebenso, wie die Prädikation, dass der Kühlschrank der Aufbewahrungsort dieser Milch ist, Resultat der aus den vergangenen Repräsentationen entstehenden Überzeugung ist. Sobald ich feststelle, dass die Milch nicht im Kühlschrank ist, ich also keine Repräsentation von Milch im Kühlschrank habe, gibt es auch keine falsche Überzeugung im Kühlschrank befindlicher Milch mehr, sondern nur eine vergangene Repräsentation. Ich habe die Überzeugung gewonnen, dass die Milch nicht im Kühlschrank ist. Möglicherweise, weil sie jemand aus dem Kühlschrank genommen hat, ohne sie wieder hineinzustellen. 234 Eine Überzeugung bildet ebenso wie ein Schmerz, den ich verspüre, wenn mir jemand auf den Fuß tritt, einen Teil der momentanen Verfassung meines Systems bzw. meiner selbst, in welchem sensorisch und repräsentational Erfasstes unter dieser Bestimmung prädiziert wird. Die Illusion, dass sich diese funktionalen Bestimmungen des Bewusstseins intentional beschreiben lassen bzw. als wahr oder falsch, hängt davon ab, dass wir uns an die Annahme klammern, Sprache würde die Welt abbilden, die sie bekanntermaßen nur sehr mangelhaft erfüllt. Die einzigen wahren oder falschen Repräsentationen, die man haben kann, sind die Re234

Wir sollten den Versuch einstellen, an psychologische und phänomenologische Tatsachen mit einem wissenschaftstheoretischen Wahrheitsbegriff heranzugehen, denn hier gibt es keine Wahrheit, sondern nur Erfahrung. Und das heißt natürlich auch, dass wir den Begriff der Intentionalität fallen lassen müssen, der ohne einen korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff seine wesentlichste Bestimmung einbüßt – es gibt keine Notwendigkeit anzunehmen, dass der Wahrheitsbegriff innerhalb eines geschlossenen Systems funktional ist bzw. eine Realität besitzt, deren Konstituenten vorbewusst sind.

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präsentationen der einem System zugänglichen Tatsachen, nicht die Tatsachen selbst. Die Repräsentation der Überzeugung, dass ich Milch im Kühlschrank habe, kann wahr oder falsch sein. Die Überzeugung an sich nicht. Tatsachen des Bewusstseins, wie diese, sind nicht intentional, da sie nicht wahr oder falsch sein können. Sie können ebensowenig wahr oder falsch sein, wie die Tatsachen der Welt wahr oder falsch sein können. Allein unsere Repräsentation kann diesen Tatsachen mehr oder weniger gut entsprechen. Intentionalität ist, wenn überhaupt, eine Eigenschaft von Repräsentationen und nicht allgemein allen Tatsachen des Bewusstseins. Aber ohne Repräsentiertes und somit ohne Intentionales gibt es kein Bewusstsein. Bewusstsein ist immer Bewusstsein von etwas. Gefühle, ebenso wie die sogenannten intentionalen Zustände, sind keine Repräsentationen, sondern Bewusstseinsbestimmungen bzw. Möglichkeiten der Erfahrung, die aus den Bedingungen, die das System konstituieren und affizieren, resultieren. Es sind also deutliche Unterschiede zu erkennen, zwischen Repräsentationen, die tatsächlich intentional sind, und den mentalen Zuständen, die wir für gewöhnlich geneigt sind als intentionale Zustände zu benennen. Emotionen und quasi-emotionale Zustände sind mittelbar handlungsanleitend, indem sie die unmittelbar handlungsanleitenden Teile der fokussierten Gesamtrepräsentation in ihrer Prädikation bestimmten helfen. Emotionen und quasi-emotionale Zustände sind Zustände des gesamten Bewusstseins. Sie bilden, im Gegensatz zu der Repräsentation von etwas als etwas in Bezug zum Subjekt, den Rahmen aller bewusster Erfahrung. Als diese Zustände sind sie nicht hintergehbar. Im bewussten Erleben vierter Stufe können die repräsentierten Dinge angezweifelt werden, aber nicht die Verfassung, der Rahmen der repräsentierenden und anzweifelnden Erfahrung. Wie aber ist das mit der weiter oben angeführten Behauptung Brentanos vereinbar, dass alle mentalen Zustände intentional sind? Nun, wenn man annimmt, dass Emotionen und quasi-emotionale Zustände mentale Zustände sind, dann ist es das nicht. Aber Emotionen und quasi-emotionale Zustände sind genau betrachtet eben gar keine mentalen Zustände, sondern die Bedingungen dieser Zustände, oder besser ausgedrückt, der Hintergrund, vor dem mentale Zustände so oder so erscheinen (prädiziert werden). Alles Mentale wird durch sie bestimmt. Sie sind der Rahmen der Repräsentationen des Subjekts. Ein weiterer Umstand, der dies deutlich macht, ist folgender: Wir können diesen Hintergrund nicht an und für sich repräsentieren, sondern nur uns selbst als irgendwie befindlich. Heidegger prägte hierfür den schlichten

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wie treffenden Terminus der Gestimmtheit, 235 welcher die bewusstseinsbestimmende Funktion dieser quasi-emotionalen Zustände sehr gut beschreibt. Auf einem Instrument lassen sich nur Töne entsprechend der Verfassung des Instruments, seiner Stimmung, produzieren. Die Gestimmtheit des Bewusstseins durch emotionale und quasi-emotionale Bewusstseinsrahmen verhält sich wie die Stimmung des Instruments. Sie legen die Bedingung der möglichen Erfahrung (Funktion) in Übereinstimmung mit der Beschaffenheit des biologischen und kognitiven Systems fest. Das heißt also, selbst wenn wir eine bestimmte Überzeugung in das propositionale Bett des Bewusstseins vierter Stufe legen, sprechen wir stets von der Überzeugung für uns. Es handelt sich um eine Überzeugung für ein System mit einem bestimmten Apparat an Erfahrungen. Eine Überzeugung ist immer Zustand der Konstitution eines Systems. Einen Begriff zu haben ist hier dann, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, etwas anderes, als eine Überzeugung zu haben. Ein Begriff ist eine explizite Überzeugung. Eine explizite Überzeugung ist eine repräsentierte Überzeugung. Begriffe können sich daher widersprechen, während Überzeugungen dies nicht tun können. Überzeugungen können sich nicht widersprechen, weil Gedächtnisinhalte sich nicht widersprechen können. Nur unsere Annahmen (Prädizierungen) über diese Inhalte oder unsere Bezüge auf diese Inhalte können sich widersprechen, also wahr oder falsch sein. Nur aus diesem Grund kann man sich denn auch über seine Überzeugungen im Unklaren sein bzw. auf Grundlage von unklaren Überzeugungen handeln. Die Explizierung kann die Überzeugung an sich natürlich ändern, indem der Begriffsapparat verändert werden kann, so dass das Resultat dieses Apparates nicht mehr der ursprünglichen Überzeugung entspricht. Überzeugung und Begriffe wie auch Erfahrungen bilden hierbei ein Netz der Interdependenzen, wie es Brandom in Expressive Vernunft schildert. Doch zurück zu Intentionalität und Intention. Im Gegensatz zur Überzeugung und allen anderen emotionalen und quasi-emotionalen Bewusstseinsrahmen kann man nicht auf Grundlage eines Begriffs oder einer Repräsentation handeln, ohne diese jeweils gegenwärtig (eingebettet) zu haben. Erinnerung ist Vergegenwärtigung (Einbettung). Die Intentionen eines Handelnden, also die Absichten, die einen Handelnden zum Handeln anleiten, sind nicht intentional beschreibbar, weil diese Absichten, ebenso wie Überzeugungen, Resultate 235

Heidegger, Martin (1927): Sein und Zeit. Max Niemeyer. Tübingen 2001. S. 134 ff.

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der markierten Gehalte des Gedächtnisses sind. Die Intentionen, die zu einer Handlung führen, also auch zu sprachlichen Handlungen, sind begrifflich nicht aus der Intentionalität abzuleiten, sondern aus einem dem Emotionsbegriff analogen Begriff. Auf Beschreibungsebene sind sie in der Folge dieser Festlegung Resultate von Begriffen und mnematischen sowie momentanen Repräsentationen. Als diese Resultate sind sie umfängliche Bewusstseinsrahmen, die die Funktion haben, das bewusste Erleben erfahrungsgemäß zu bestimmen. Zu Handlungen können diese Bewusstseinsrahmen nur dann führen, wenn sie explizit gemacht werden. Explizierung von Absichten heißt, der hier vorgeschlagenen Bewusstseinshierarchie nach, Einbettung in eine Bewusstseinsstruktur, die im Subjektbezug das jeweils Eingebettete propositional strukturiert. Diese Struktur stellt ein Bewusstsein vierter Stufe zur Verfügung. Nur in der Auflösung der dyadischen Struktur des Bewusstseins dritter Stufe zugunsten einer mindestens dreiteiligen Struktur ist die Explizierung von Absichten und Überzeugungen, ebenso wie Emotionen überhaupt möglich, da nur hier der Subjektplatz als ein Objektplatz und somit als Selbstobjektivierung eingebettet werden kann. Die Bestimmung der Gesamterfahrung leitet bei der Subjekteinbettung die Prädikation nicht nur an, sondern füllt diese unvermittelt, da es keine sonstigen Repräsentationen oder Begriffe, die zur Prädikation herangezogen werden könnten, gibt, außer dem Erfahrungsrahmen an sich. Erst wenn diese Prädikation des Subjektplatzes der verbalisierbaren aber nicht notwendigerweise verbalisierten Form: ‚Ich will‘ erfolgt, kann davon eine intentionale Handlung ausgehen. Handlungen sind immer Resultate von Selbstobjektivierung. Deshalb verhalten sich Tiere dritter Bewusstseinsstufe und Menschen handeln, tun dies aber natürlich nicht immer: Auch wir verhalten uns daher mehr, als dass wir handeln. Erst die propositionale Form der Subjekteinbettung plus Prädikation plus Objekt (plus Prädikation) kann dazu führen, dass dem Bewusstseinsrahmen nicht entsprochen wird, indem diese eingebettete Repräsentation der Verfassung des Subjekts zugunsten anderer Repräsentationen zurückgestellt wird. Erst hier wird Handeln möglich. Erst durch die Einbettung des Subjekts und damit seiner Erfahrung von sich selbst, kann die Voluntativität entstehen, die als das auszeichnende Merkmal von Handlungen und somit auch sprachlichen Handlungen anzusehen ist. Erst die repräsentierte Absicht kann dazu führen, dass eine strukturierte sprachliche Handlung vollzogen werden kann. In diesem Sinne gibt es kein sprachliches Verhalten, sondern nur sprachliche Handlungen, da hierfür immer eingebettete und dadurch

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propositional strukturierte Subjekterfahrung nötig ist. So kann also die propositionale Struktur des Bewusstseins als Grundlage für die Struktur der Sprache gelten, so wie sich, ganz nach Searle, die zugeschriebene Intentionalität von Äußerungen aus der Intentionalität der mentalen Repräsentationen ableitet. Nur dass eben diese Repräsentation selbst nicht der Ausgangspunkt oder der Ort von Absichten, Überzeugungen und dergleichen ist, sondern das erste-Person Erfahren, das bereits auf dritter Stufe vorhanden ist und die Funktion besitzt, Verhalten anzuleiten. Der intentionale Zustand, aus dem sich die illokutionäre Rolle eines Sprechaktes ableitet, ist demnach kein Zustand des Absicht Habens, sondern die Repräsentation dieser Bewusstseinsverfassung. Abgesehen von all den Vorschlägen hinsichtlich der Beschreibung und Erklärung des repräsentationalen Bewusstseins, die wir an anderer Stelle weiter ausführen wollen, sollen folgende Elemente in den weiteren Ausführungen zu einem grundlegenden Sprachbegriff als zentrale explanatorische Elemente Berücksichtigung finden. Es muss irgendeine Erklärung des Bewusstseins geben, die Analysen auf Grundlage eines Begriffes der Intention fundieren, ansonsten wird man zu keinem konsistenten Bild der Zusammenhänge zwischen natürlicher Beschaffenheit und Genese eines biologischen Systems und dessen expressiven und responsiven bzw. interpretativen Leistungen, und das heißt, Sprachfähigkeiten, kommen. Eine besonders aussichtsreiche Erklärung ist eine Erklärung des Bewusstseins in repräsentationalen Begriffen, da die Beschaffenheit des Bewusstseins als repräsentationales Bewusstsein in eine Erklärung der Beschaffenheit dessen überführt werden kann, was wir für gewöhnlich als Sprache bezeichnen. Eine Erklärung des Bewusstseins ist damit das Fundament einer Erklärung der Mechanismen, die Sprachhandeln initiieren und konstituieren. Verstehen ist demnach eine Form der Repräsentationsfähigkeit während Bedeutung subjektbezogene Repräsentation ist, die mit individualfunktionaler Repräsentation beginnt. Sprachliches Handeln wiederum ist das Resultat eines repräsentationalen Bewusstseins, das über die Fähigkeit zur Repräsentation der eigenen Repräsentationen mitsamt ihrer Rahmung verfügt. Der kritische Punkt bei dieser Erklärung ist dabei das, was das Bewusstsein dritter Stufe vor dem Bewusstsein vierter Stufe auszeichnet: die Möglichkeit der Selbstobjektivierung. Die Fähigkeit, sich als Objekt unter Objekten wahrzunehmen, ist die Grundlage für das Verstehen anderer Objekte als alternative Subjektplätze. Als solche sind diese alternativen Subjekte nicht mehr nur funktional für das repräsentierende Subjekt, sondern bedeutsam

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an sich. Das ist es, was im vergangenen Abschnitt als Sonderfall des Bewusstseins vierter Stufe ausgeführt wurde: das Repräsentieren von Objekten als selbstrepräsentierend. Dies ist, egal welche Theorie des Bewusstseins man im Zusammenhang mit der Entstehung von Sprache sowohl auf onto- wie phylogenetischer Ebene vertritt, der Schlüssel zum Verstehen des gesamten Problemkomplexes Sprachfähigkeiten. Dabei spielt allerdings das Verstehen als individueller Repräsentationsprozess eine viel wichtigere Rolle als das Hervorbringen von Handlungen. Diese Vorrangstellung des Verstehens im Gesamtkomplex Sprache wird im übernächsten Kapitel argumentativ gestützt werden, nachdem im folgenden Kapitel die explanatorische Vorrangstellung des Verstehens im Gesamtbegriff Sprache bzw. Kommunikation ausführlicher erläutert wurde. Hierbei wird die zentrale Position der bewusstseinstheoretisch zu beschreibenden Komponente der Selbstobjektivierung weiter ausgeführt und die grundlegende These, dass ein Sprachbegriff grundlegend für verhaltenstheoretische Begriffe aufzugeben ist, in ein grundlegendes Performanzmodell überführt, das als Kandidat für eine naturalistische Beschreibung dienen kann, die die Probleme der Konventionalität, wie eingangs dargestellt, nicht mehr aufweist, indem sie erklärt, wie Normativität und Konventionalität natürlicherweise aus Interaktion erwachsen, anstatt die Grundlage der Sprache zu bilden.

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Vom Bewusstsein zum Verstehen

5.1 Sprachfähigkeiten und vier Fehlschlüsse im Denken über Sprache Nachdem wir uns nun durch einen grob skizzenhaften und weiter auszuarbeitenden Vorschlag zur minimalen Struktur des repräsentationalen Bewusstseins gekämpft haben, um festzustellen, was als die bewusstseinstheoretische Grundlage der Sprachfähigkeiten gelten kann, soll nun wieder der Sprachbegriff selbst im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Im dritten Kapitel hatten wir für einen konsequenten Sprachexternalismus argumentiert und versucht, einige Konsequenzen desselben aufzuzeigen. Die zentralen Behauptungen, die diesen Abschnitt abschlossen, seien noch einmal kurz benannt, um sie als Ausgangspunkt für den nun folgenden Abschnitt nutzen zu können. Sprache an und für sich ist, dem hier vorgeschlagenen Naturalismus nach, nur noch im Sprachartefakt oder -produkt zu finden, welches an und für sich genommen zunächst einmal nur eine Tatsache der Welt unter anderen Tatsachen ist. Zu einer Tatsache mit Bedeutung, die sich aufgrund dieser Bedeutung von anderen sinnlich erfahrbaren Entitäten unterscheidet, wird das Sprachprodukt, ebenso wie alle weiteren Tatsachen, nur durch einen bedeutungsverleihenden Akt. Die grundlegende Form der Bedeutung ist nicht die sprachliche Bedeutung, sondern die individualfunktionale Bedeutung der Dinge der Welt für ein natürliches Wesen. Die Bedeutung von Sprachprodukten ist dieser natürlichen Bedeutungszuschreibung explanatorisch nachzuordnen. Wenn dies der Fall ist, dann ist die ursprüngliche Form der Bedeutung keine Bedeutung durch Intention bzw. Produktion, sondern durch Verstehen, im hier verwendeten, weiten Sinne dieses Wortes. Dass Bedeutung bereits im Verstehen existieren muss, bevor sie erzeugt werden kann, lässt den Schluss zu, dass auch sprachliche Bedeutung als Grundlage von Sprache überhaupt zunächst über den Begriff des Verstehens analysiert werden sollte, anstatt über den der Genese. Dies gilt im besonderen Maße, wenn man der Aussage zustimmt, dass Sprachproduktion analog zum Handeln aufzufassen ist, denn ebenso, wie es keine Handlung geben kann, die nicht individualspezifisch funktional ist, kann es auch keine Sprachproduktion geben, die nicht individualspezifisch funktional ist, und das heißt, intentional beschreibbar ist, woraus

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folgt, dass Sprachproduktion nur auf der Grundlage eines Verstehens, nämlich der individualfunktionalen Repräsentation von Intentionen funktioniert 236 und es intentionale Handlungen nur auf Grundlage eines zumindest individualfunktional bedeutungsvollen Weltzugangs geben kann. Ganz gegensätzlich verhält es sich mit bloß expressiven Lauten, denen wohl eine Intention, aber keine Repräsentation von Intentionen vorausgeht. Diese Repräsentation ist die Selbstrepräsentation des Subjekts, die Selbstobjektivierung. Diese Spezifizierung von sprachlichen Handlungen über den Begriff der Intention kann nur über einen Bedeutungsbegriff, welcher ein Verstehensbegriff ist, begründet werden, da eine Intention nur aufgrund eines Weltverstehens überhaupt entstehen kann, die wir im vorangegangenen Kapitel mit dem Begriff der Objektprädikation bezeichneten. Als Bedingung einer Handlung muss der Subjektplatz und die damit einhergehende Repräsentation dieser quasi-emotionalen Bewusstseinsbestimmung, in diesem Falle eine Intention, erfolgen. Das sogenannte Intendierte ist nicht in einem Intentionalitätsverhältnis zur Intention zu erörtern, sondern vielmehr ist die Intention Resultat der Gesamtverfassung eines Systems. Sie ist eine Triebfeder des Handelns, ebenso wie es Emotionen sind. Sie liegt jeder Vergegenwärtigung und Formalisierung zuvor und bestimmt diese gleichsam. David Humes allseits bekanntes Diktum im Treatise ist somit auf den Bereich der ursprünglichen Intentionen und Überzeugungen zu erweitern. 237 Man vergegenwärtige sich: Man kann auch einfach nur Laufen oder einfach nur kurz die Augen schließen wollen. Dass eine Intention ein Objekt habe, wie die Liebe immer etwas zu Liebendes und so weiter, ist nichts als eine der wittgensteinschen Verhexungen der Sprache, der wir in unseren Beschreibungen erliegen. Eine Intention hat kein Objekt, sondern Erfüllensbedingungen und Entstehensbedingungen. Die Erfüllensbedingungen supervenieren über den Entstehungsbedingungen, indem sie nur die individualfunktionale, nämlich handlungsanleitende Dimension von Intentionen wiedergeben, die Resultat 236

237

Computer mit Sprachausgabe würde ja auch niemand als eine Sprachhandlung vollziehend charakterisieren, da sie eben die Bedeutung ihrer Worte nicht verstehen. “reason is, and ought only to be the slave of the passions” in: Hume, David (1739): A Treatise on Human Nature. Prometheus. Amherst, New York 1992. S. 415

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der Konstitution des jeweiligen Systems sind. Nur durch den birds eye view der Selbstobjektivierung wird es möglich, dass zwischen mnematischen und momentanen Repräsentationen vermittelt werden kann und so eine Handlung im eigentlichen Sinne entsteht, die sich in Abgrenzung zum bloßen Verhalten dadurch auszeichnet, dass sie in ihrer Intentionalität der Intentionalität der repräsentierten Intention entspricht. Eine Intention kann nur entstehen, wenn es etwas gibt, das als etwas prädiziert wurde, also zum Beispiel als Gefahr, als Nahrung oder als wärmend. Das heißt, Intentionen als quasi-emotionale, individualfunktional sinnvolle Resultate der Prädikationen und der biologischen Verfassung des jeweiligen Wesens können als handlungsanleitende Resultative nur auf der Grundlage von individualspezifischen Wahrnehmungen entstehen. Individualspezifisch ist hierbei der prädikative Teil der sensorisch vermittelten, zunächst isomorphen Darstellung der Welt für ein repräsentierendes System. Diese Darstellung, die Repräsentation, bedarf explanatorisch eines Bewusstseins, das als theoretisches Konzept die verschiedenen Erklärungen von Handlung und Verhalten möglich macht. Dieses Bewusstsein scheint hinsichtlich der Repräsentationsfähigkeit von Lebewesen in den Teilen repräsentationalistisch beschrieben werden zu müssen, die die Wahrnehmung im Allgemeinen und die Produktion von unecht repräsentierenden sprachlichen Artefakten im Besonderen anbelangt, da es offenbare Gemeinsamkeit zwischen den Phänomenen der Wahrnehmung und der Sprachprodukte gibt: ihre echte bzw. zugeschriebene Repräsentationalität bzw. Intentionalität. Dies heißt aber eben nicht, dass Repräsentationalität das einzige Element der Erklärung sein muss. Hinsichtlich all dieser Annahmen muss sich Sprachproduktion als Form des Handelns allerdings immer noch vom lautlichen Verhalten von Tieren unterscheiden lassen, da die expressiven Möglichkeiten menschlicher Sprachproduktion im Vergleich offensichtlich vielfältiger sind. So vielfältig, dass man wie von selbst zu dem Schluss gelangt, es müsse sich bei den menschlichen Sprachfähigkeiten um etwas sehr Einzigartiges handeln, wenn sie uns aufgrund ihrer Ressourcen befähigt Wissen weiterzugeben, welches wiederum zu Kulturen führte, die jedem Vergleich mit tierischen Lebensweisen zu spotten scheinen. Die tatsächlichen Unterschiede scheinen vor dem Hintergrund einer Externalisierung von Sprache, die den wesentlichen Teil der Sprachfähigkeiten im Verstehen ansiedelt, aber kaum größer als die Unterschiede, die es in der Welterfahrung und Bedeutungszuschreibung (Objektprädikation bzw. Repräsentation) geben kann. Diese Unterschiede sind

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allerdings im Hinblick auf einige Ansätze, die in der Folge ausgeführt werden, bei weitem nicht so groß, wie man gemeinhin annimmt. Wenn man Bedeutung als Bewusstseinstatsache in den Mittelpunkt des Sprachbegriffs stellt und weiterhin zugesteht, dass Bedeutungszuschreibung immer ein Akt der Nachträglichkeit ist, so wurde weiter oben argumentiert, ist man schnell bei der Einsicht angelangt, dass dieses zentrale Element des Sprachbegriffs keineswegs nur uns Menschen vorbehalten ist, sondern in seinen individualbiologisch sinnvollen Grundzügen einem großen Teil der belebten Welt zugeschrieben werden muss, de facto aber allen Lebewesen, die ein Bewusstsein haben, das die Dinge und Sachverhalte der Welt in irgendeiner Weise für die Verhaltensweisen dieses Lebewesens funktional darstellt. Die intentionale Dimension der Produktion von Sprachartefakten gleicht theoretisch der Erklärung von Handlungen im Allgemeinen, die auf Grundlage der Intentionen des produzierenden Wesens angeleitet werden. Die Mittelbarkeit im intentionsgemäßen Agieren, die sich im Unterschied zu Handlungen in der Sprachproduktion findet, ist Resultat der Möglichkeit eines Wesens, auf die Verfassung seiner selbst als biologisches System nicht nur auf bestimmte Weise zu reagieren, sondern die handlungsanleitenden, prädikativen Teile der Repräsentationen als seine Repräsentationen zu begreifen, also als Tatsachen, auf die es reagiert. Sprachproduktion ist strategisches Verhalten, resultierend aus der Gesamtverfassung des jeweiligen Wesens und dem Objektivieren seiner je eigenen Verfassung. Zentrale explanatorische Elemente sind also Bewusstseinsstruktur als biologisch funktionale, weil zunehmend Verhalten koordinierende Erweiterung des natürlichen Gesamtsystems, ebenso, wie die hier wirksamen Intentionen und Überzeugungen. Eine Erklärung der Sprachproduktion muss demzufolge auch hier ansetzten – bei einer Erklärung der Fähigkeit auf bewusste Weise zu handeln: beim mittelbaren, statt unmittelbaren Verhalten aufgrund von Repräsentationen und Intentionen. Als Grundlage des Handelns muss also bereits eine Art des Verstehens der Tatsachen vorhanden sein, das ein Subjektverstehen mit einschließt und als solches wiederum zu mittelbaren intentionsgemäßen Handlungen führt. Sprachproduktion ist demnach eine Form des strategischen Verhaltens, so wie auch anderes Verhalten bzw. Handeln, das zur komplexen Problemlösung von Organismen situationsgebunden entwickelt wird. Dass Sprachproduktion und somit auch deren Resultate, die Sprachartefakte, in rein naturalistischem Vokabular erklärbar sind und somit eine naturalistische

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Beschreibung und weiterführend auch eine Geschichte zur Entstehung der Produktions- und Verstehensfähigkeiten auf phylogenetischer Ebene erzählen, muss Auswirkungen auf das Verständnis sprachlicher Phänomene haben. Die wichtigste wäre hierbei wohl, dass auch andere Lebewesen denn Menschen als sprachliche Wesen verstanden werden können und müssen. Und dass dies ein Zugeständnis ist, das gemeinhin nur ungern gemacht wird, muss dann natürlich an gewissen unzutreffenden Annahmen über den Begriff der Sprache selbst liegen. Wenn man erst einmal einen bestimmten Sprachbegriff voraussetzt, so hat man unweigerlich Prämissen angenommen, die man gewissermaßen axiomatisch einführt. Ohne eine Grundlage an Behauptungen, die als Voraussetzungen gelten, funktioniert kein wissenschaftliches System, aber: Die einzigen quasiaxiomatisch funktionierenden Begriffe sollten diejenigen sein, die sich aus einer umfassend akzeptierten Beschreibung ergeben, also einer Sichtweise, die zwar immer noch perspektivisch ist, aber dennoch in ihren Ergebnissen intersubjektive Gültigkeit beanspruchen darf. Eine solch umfassende Gültigkeit findet sich in den Regel- und Gesetzmäßigkeiten, welche von den Naturwissenschaften postuliert werden. Also den Gesetzmäßigkeiten, denen wir als natürliche Wesen ebenso unterliegen, wie es unsere Verhaltensweisen tun. Hierbei sind dann natürlich vor allem die extrapolierten Regelmäßigkeiten der phylo- bzw. ontogenetischen Entwicklung von natürlichen Wesen der zu bevorzugende Ausgangspunkt grundlegender Bestimmungen des Sprachbegriffs, indem sie die Bedingungen angeben, die die Entwicklung des Verhaltens und somit auch des Sprachhandelns natürlicher Wesen bestimmen. Das moderne Sprachdenken hingegen ist durch eine gänzlich gegenteilige Form methodologischer Überlegungen gekennzeichnet. Die Grundlegungen sind ganz und gar nicht um Vereinheitlichung bzw. einen reflektierten gemeinsamen Bezugsrahmen ‚Sprache‘ bemüht, da man diesen bereits weitestgehend zu haben beansprucht. Diese aus Fehlschlüssen resultierenden Annahmen, die als Grundlage für die bisherigen Ausführungen verwendet wurden, sind folgendermaßen allgemein umrissen. Der erste dieser Fehlschlüsse, der anthropozentrische Fehlschluss, besteht darin, dass wir auf Grundlage unserer Kommunikationsfähigkeit folgern, Sprache wäre etwas, das ausgehend vom Menschen zu definieren wäre, anstatt von einem umfassenden Verhaltensbegriff, in welchem menschliches Verhalten nur eine mögliche Variante des Verhaltens darstellt. Dieser Anthropozentrismus in der Begriffsbestimmung von

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‚Sprache‘ existiert, obwohl seit der pragmatischen Wende der Handlungscharakter von Sprachproduktion als grundlegende Annahme vermeintlich weithin, tatsächlich aber nur innerhalb der Pragmatik vollumfänglich und vor allem auch konsequentiell akzeptiert wird. Als zweiter problematischer Schluss sei der genetische Fehlschluss genannt, welcher Expressivität als ein notwendiges Kriterium für die Konstatierung von Sprachfähigkeit im Allgemeinen annimmt und somit auf die Annahme festlegt, Sprachfähigkeit wäre etwas, das von der Produktion ausgehend zu definieren sei. Dass Sprachfähigkeit aber vielmehr von der Bedeutungsfähigkeit aus und also ausgehend von der Fähigkeit zu verstehen zu betrachten ist, ist der Weg, den wir hier als den einleuchtenderen vorgeschlagen haben, und weiter ausführen werden. Der im zweiten Kapitel durchexerzierte generische Fehlschluss wiederum besteht darin, anzunehmen, dass die Existenz von ex post erkannten Regelmäßigkeiten einen hinreichenden Grund abgibt, anzunehmen, dass Sprachproduktion und Sprachprodukte ebenso wie Sprachverstehen sich grundlegend und eindeutig durch einen Konventions- oder Regelbegriff erklären lassen. Tatsächlich aber handelt es sich hier nur um die Beschreibung der sedimentierten kommunikativen Verhaltensweisen, die einmal nicht-konventionell gewesen sein müssen. Diesem Schluss wird mit einem Sprachpraxis- bzw. Performanzmodell zu begegnen sein, das zeigt, wie die vorkonventionelle Sprachpraxis zu beschreiben ist. Der vierte und letzte dieser fragwürdigen und hintergründig wirkenden Schlüsse im Denken über Sprache ist der linguistische Fehlschluss. Dieser besteht in der Annahme, es gäbe tatsächlich so etwas wie eine Sprache. Diese zweifelsohne nützliche Fiktion führte uns eingangs zum radikalen Sprachexternalismus, der an sich nichts vom Begriff Sprache übrig lässt als einen Namen für die physikalisch beschreibbaren Artefakte der Handlungen von Lebewesen bzw. deren individuell verschiedenen Repräsentationsweisen, den Idiolekten. Die Kombination, der sich aus den genannten Fehlschlüssen ergebenden Annahmen, lässt Sprache natürlich als etwas wunderbar einzigartiges Erscheinen. Das aber, so soll mit diesem Programm der Naturalisierung von Sprache nahegelegt werden, ist ein Fehler. Sprache ist nur ein Produkt von Verhaltensweisen, welche nur innerhalb eines Kontinuums an möglichen Verhaltens- und Handlungsweisen umfassend und sinnvoll beschrieben werden kann. Grundlage dieses Kontinuums sind die Regelmäßigkeiten der natürlichen Welt und die Gesetzmäßigkeiten, denen sich verhaltende Wesen unterliegen. Die Begriffe der Sprache und

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Kommunikation sind innerhalb dieses Konzeptes in Begriffen der biologischen und individualen Funktionalität zu beschreiben. Diese Funktionalität liegt jeder mit Sprachproduktion oder -verstehen befassten Betrachtung zugrunde und sollte diese auch explizit begründen. Solche Betrachtungen gewinnen in ihrer Explizierung den von Saussure vorgeschlagenen Charakter einer Erkenntnistheorie der Sprache, die sich durch einen biologisch-teleologischen Rahmen ein sicheres Fundament schafft. Sprache ist kein Rätsel der Natur, denn sie geht aus den Bedingungen und Bestimmungen, denen natürliche Wesen unterliegen bzw. welche sie tendenziell ausmachen, hervor wie alles Verhalten und Handeln im Allgemeinen. 5.2 Das explanatorische Primat des Verstehens und der Nachweis Desselben Wenn Sprachproduktion nur aufgrund des Verstehens der Dinge der Welt als individualfunktional erklärbar ist und die Abhängigkeit intentionaler Handlungen nur aufgrund eines bestimmten biologischen Systems, welches Objekte funktional prädiziert, dann ist eine Erklärung des Verstehens bzw. Interpretierens der erste logische Schritt in einer Gesamterklärung der Sprachfähigkeit bzw. des Komplexes Sprache an und für sich. 238 Wäre es die Sprachproduktion, so würde beispielsweise allein die Sprachausgabe eines Computers diesen bereits als sprachbefähigtes System ausweisen. Dies aber ist offensichtlich problematisch. Betrachten wir dies kurz. Um diese Zuschreibung sinnvollerweise leisten zu können ist eine bestimmte Variante des Turing-Tests nötig, die die Sprachausgabe auf mittelbar problemlösendes Handeln hin untersucht, das in der Lage ist, in einer zu bestimmenden Differenziertheit, Indikator für ein problemlösendes Bewusstsein zu sein. Man würde die Laute seines Mobiltelefons, das bei jedem Anruf die eingespeicherte Audiodatei abspielt: ‚Bitte gehen sie an ihr Telefon‘ auch nicht als Indikator dafür nehmen, dass dieses Telefon irgendwelche Sprachfähigkeiten besitzt. Wenn das besagte Telefon allerdings auf jeden von Ihnen geäußerten Satz in einer der Intention dieses Satzes entsprechenden Weise antworten würde, so wäre man sicherlich nicht mehr so sicher, ob es sich nicht doch um rudimentäre Sprachfähigkeiten handelte. Der Eindruck, dass ein tech238

vgl hierzu auch: Brandom 2001: 719

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nisches System, wie ihr Mobiltelefon, Sprachfähigkeit besitzt, könnte also auch eine sehr umfassend programmierte Routine erwecken. Theoretisch könnte ein solch umfassend programmiertes System den Turing-Test durchaus bestehen, aber die Zweifel wären wohl doch nicht gänzlich ausgeräumt, da zur Sprachfähigkeit irgendwie noch mehr zu gehören scheint als eine adäquate Reaktion unter mehreren möglichen auf eine intentionale sprachliche Handlung zu zeigen. Der Schlüssel hierfür ist das resultative Verständnis von Intention und Überzeugung sowie auch anderer emotionaler und quasi-emotionaler Bewusstseinsbestimmungen, die aus der Gesamtverfassung eines Systems erwachsen (also auch eine sensorisch vermittelte Körperlichkeit, an der sich ein Bewusstsein entlang seiner Bestimmungen bilden kann). 239 In einem solchen resultativen Ansatz werden Intentionen und dergleichen als Handlungsroutinen anleitende Bewusstseinsbestimmungen einer computationalen Bewusstseinstheorie zugänglich, die einer starken KI das Wort redet. Dazu ist allerdings die materialistische Annahme notwendig, es gäbe neuronale Korrelate dieser Bewusstseinsrahmen, wenn man nicht dem Epiphänomenalismus anheim fallen möchte, was man sicher nicht beabsichtigen kann, wenn man weiterhin konsequent naturalistisch zu verfahren vor hat. Der Nachweis, ob Ihr Telefon tatsächlich sprachfähig ist, fiele innerhalb einer solchen Beschreibung mit dem Nachweis zusammen, dass das in Frage stehende System auf mittelbare Weise sprachlich problemlösend agiert, da dieses mittelbare problemlösendes Handeln gegenüber einer immer gleichen unmittelbaren, bloß responsiven Reagieren Indikator für ein komplexes Netz an momentanen Repräsentationen und Überzeugungen und anderen Rahmen der Erfahrung wäre, das nur formal algorithmisch zu beschreiben ist, nicht aber dem Inhalt der jeweiligen Konstituenten nach (Multirealisierbarkeit). Was hier als hinreichend mittelbares sprachliches Problemlösen gelten darf, ist hier der entscheidende definitorische Umstand hinsichtlich der Sprachfähigkeiten eines jeweiligen Systems. Da eine Reaktion nur dann 239

Hier handelt es sich also um ein Primat der Emotionen und Gefühle, wie es vor allem von António Damasio für die biologisch sinnvolle, weil mit neuronalen Tatsachen korrespondierende Bestimmung von Bewusstsein, eingefordert wird. Vgl. Damasio, António R. (2003): Der Spinoza-Effekt – Wie Gefühle unser Leben bestimmen. List. München 2004; Ders. (2010): Self Comes to Mind: Constructing the Conscious Brain. Pantheon. New York 2010

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zweifelsfreien Handlungsstatus beanspruchen darf, wenn ihr eine Repräsentation der Intention zugrunde liegt, also ein selbstobjektivierendes Bewusstsein, das Intentionen hat und in Bezug zu sich selbst repräsentiert, ist das mittelbar problemlösende Verhalten in seiner Mittelbarkeit das zu konstatierende Indiz für eine relativierende und nicht unmittelbar biologisch funktionale Reaktionen begünstigende Instanz, die in ihren Entscheidungen zu noch funktionaleren, weil stärker differenzierten koordinativen Entscheidungen für das System beiträgt, indem es sich eben nur mittelbar problemlösend agiert. Echtes Verstehen zeigt sich nur in mittelbar problemlösenden Verhalten, das eine algorithmische Routine bzw. starre Verhaltenspfade ausschließt. Dieses mittelbar problemlösende Verhalten ist als Reaktion auf die richtig verstandenen Intentionen von Sätzen nicht unmittelbar individualfunktional. Die Frage ist natürlich, ob ein solcher Test, über dessen Konstituierung wir bisher gar nichts gesagt haben, tatsächlich in der Lage ist, das Verhalten gemäß eines äußerst komplizierten Tricks von echt problemlösendem Handeln zu unterscheiden, welches einzig als Indikator für echtes Verstehen von sprachlichen Handlungen gelten kann. Die zweite Frage ist, wie häufig und originär dieses mittelbare Problemlösen auftreten muss, um keine bloße Routine zu sein. Die Frage lautet also: Ab wann ist eine Routine so differenziert, dass der Trick nicht länger ein Trick ist? Die Grenzziehung, die mit einer Beantwortung einhergeht, ist in ihrer Standpunktrelativität ganz offensichtlich nie letztbegründbar. Aus diesem Grund wird ein solcher Test in seiner Funktion als Indikator für eine bestimmte Fähigkeit immer angreifbar sein. Verstehen als grundlegende Sprachfähigkeit bei Systemen nachzuweisen, wird daher immer auch diesem prinzipiellen Zweifel ausgesetzt sein. Und wie wir sehen werden, ist dies natürlich genau dann nötig, wenn wir abseits des anthropozentrischen Fehlschlusses versuchen, abzuschätzen, inwieweit wir auch bei Bonobos und anderen hoher entwickelten Tieren bereits von Sprachfähigkeiten sprechen können. 5.3 Verstehen als Subjekt-Objekt-Relation Wenn Sprachproduktion nur mit einem Begriff von Verstehen erklärt werden kann, so ist der Begriff des Verstehens dem der Produktion und dem des Produkts natürlicherweise und explanatorisch vorausliegend. Dass Sprachverstehen als eine besondere Form des Verstehens der Dinge der Welt (und dazu gehört auch das ‚Selbst‘ der Selbsterfahrung) zu erörtern

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ist, ist wiederum die Grundlage dafür, Verstehen auch in einem Gesamtbegriff von Sprache bzw. sprachlicher Kommunikation, als Sonderform von Kommunikation im Allgemeinen anzusehen. Ist Sprachverstehen nur eine Form des Verstehens der Dinge der Welt, so muss Sprachverstehen sich den gleichen Prinzipien und teleologischen Bestimmungen unterordnen lassen wie Verstehen im Allgemeinen. Dass dies tatsächlich der Fall ist, lässt sich daran zeigen, dass das Verstehen an sich und das Verstehen von Sprache prinzipiell denselben individualfunktionalen Bestimmungen unterliegen. Dass diese individualfunktionalen Bestimmungen als individualbiologische Bestimmungen gelten können, weist ihnen den Platz in dem von uns skizzierten naturalistischen Bild von Sprache zu. Verstehen im Allgemeinen heißt bestimmte Tatsachen der Welt auf bestimmte Weise zu verstehen. Im vierten Kapitel hatten wir versucht dies anhand des Begriffs der Prädikation von Objekten klar werden zu lassen. Diese Prädikation ist das Verleihen (dies ist noch kein voluntativer Akt) von Bedeutung. Diese Bedeutung muss nicht vom Bedeutung habenden System in irgendeiner Form vergegenwärtigt und also repräsentiert werden, um vorhanden zu sein. Vielmehr ist sie Teil der Basisform jedes repräsentationalen Bewusstseins. Die Prädikation von Objekten ist hier eine natürliche Reaktion auf die Emotionen, die mit vergangenen Repräsentationen formkonstanter Objektereignisse auftraten. Emotionen, ob Schmerz oder Furcht oder Hunger, etc., tragen sowohl auf höheren, wie auf niedrigeren Stufen des Bewusstseins zur Handlungsan- bzw. Handlungseinleitung bei bzw. bestimmen diese gänzlich. Sie sind auf niedrigeren Stufen, auf Stufen ohne koordinierenden Subjektplatz, innerhalb der Gesamtstruktur des Bewusstseins, die Quelle der Prädikation von Objektwahrnehmungen. Bedeutung ist auf dritter Stufe rein biologisch funktional vermitteltes Resultat der Emotionen eines etwaigen Systems, so wie Emotionen hier rein biologisch funktionale Resultate der sensorisch vermittelbaren Gesamtbeschaffenheit des Systems sind. Bedeutung ist hier also biologisch funktional und in genau diesem Sinne auch individualfunktional. Als systemerhaltend, also biologisch individualfunktional, weist Bedeutung die grundlegenden Eigenschaften für eine positive evolutionäre Selektion auf. Dass es hier auch noch andere Möglichkeiten der Selektion gibt, wurde bereits erwähnt, ebenso wie die

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Tatsache, dass es sich bei der Evolution von Sprachfähigkeiten um etwas handelt, das in Begriffen positiver Selektion zu beschreiben ist, wenn man nicht aufgeben will. 240 Die Geschichte der Entstehung von Sprachfähigkeiten beginnt an dem Punkt, an dem Lebewesen begannen, Emotionen zu entwickeln und daraufhin die Dinge der Welt mit diesen Emotionen in Verbindung zu repräsentieren. Das Verstehen an sich ist also nichts als die systembezogene, individualfunktionale Verbindung von Objektrepräsentationen mit den erlebten Emotionen des jeweiligen Systems. Der Weltbezug ist hier, in einer noch nicht expressiven Form, subjektiv. Bedeutung und Prädikationen sind demnach systemrelativ. Weltverstehen ist ein Verstehen der Tatsachen der Welt für ein System. Verstehen ist die systemrelative Relation von sensorisch vermittelten Daten über die Welt und den aus emotionalen Markierungen erfolgten Prädizierungen von Daten gleichen Typs. Der jeweilige Datentyp ist hier über den Begriff der Formkonstanz beschreibbar. 241 Im Verstehen werden die Objekte der Welt mit formkonstanten mnematischen Repräsentationen in Verbindung gebracht, die wiederum emotional markiert sind. Ein Lebewesen versteht, wenn es die Tatsachen der Welt, die ihm sensorisch zugänglich sind, in Bezug zu sich selbst prädiziert, ohne diesen Bezug zu sich selbst verstehen zu müssen. Den Selbstbezug herzustellen, ist etwas anderes als sich auf diesen Bezug zu beziehen. Dieser Bezugsbezug ist erst durch Selbstobjektivierung, also die Objektivierung der Bezüge des Selbst möglich. 5.4 Sprachverstehen und das Prinzip der Relevanz Wenn Verstehen in seinen Grundlagen nichts ist als die Prädikation von sensorisch vermittelten Tatsachen der Welt hinsichtlich der Verfassung des verstehenden Systems, was ist dann sprachliches Verstehen? Auch sprachliches Verstehen ist die subjektrelative Prädikation bestimmter Tatsachen der Welt. Diese bestimmten Tatsachen, die Sprachprodukte, werden relativ zum systeminternen Bestand an Erlebtem, also emotional 240

241

Insofern ist das Zugeständnis an eine nicht erklärbare Singularität in der Entwicklung sprachfähiger Wesen ebenso wie die Position des Dualismus schlicht ein Aufgeben gegenüber einer scheinbar allzu schweren Aufgabe, wie Dennett schreibt: Dennett 1991: 37 vgl. Millikan 2008: 166, 241

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markierten Repräsentationen, prädiziert, und das heißt, verstanden. Diese Prädikation ist subjektrelativ und individualfunktional. Eine Äußerung zu verstehen, heißt für ein System nichts anderes, als diese Äußerung für sich nutzbar zu machen. Sprachprodukte zu verstehen, erfüllt einen systemrelativen Zweck. Den Zweck des Verstehens an sich gibt es nicht bzw. fällt dieser mit dem systemrelativen Zweck, dem individualfunktionalen Aspekt des Verstehens, in eins. Das Verstehen an sich ist automatisiertes, individualfunktionales Verständnis von Sprachprodukten, wie die lineare Repräsentation eines Systems das automatisierte individualfunktionale Verstehen der Beschaffenheit der Welt ist. Ebenso wie die sonstigen Repräsentationen der Tatsachen der Welt, ist die Repräsentation von Sprachprodukten als bedeutsam grundsätzlich der Koordination des verstehenden Systems zuträglich. Auf erster-Person Ebene sind Repräsentationen individualfunktional durch ihren systemkoordinierenden Charakter. Die grundlegende Funktion des Verstehens und Produzierens von Sprachprodukten ist Koordination, ebenso, wie die Produktion von Sprachprodukten anderen helfen soll, ihre eigenen Handlungen besser und meist im Sinne des Sprachproduzenten zu koordinieren. Das bereits heute zum Klassiker avancierte Werk Relevance, von Dan Sperber und Deidre Wilson, in welchem das Verstehen von sprachlichen Ausdrücken in einem größeren kommunikativen Kontext unter dem gleichnamigen Prinzip der Relevanz erklärt wird, ist in seinen grundlegenden Annahmen eine Abbildung und Fortsetzung der hier naturalistisch formulierten Grundlagendiskussion zum Begriff des Verstehens, indem es eine theoretische Erklärung für die Prozesse des repräsentationalen Apparates liefert, der an der speziellen Form des Sprachverstehens beteiligt ist. Im folgenden Abschnitt werden wir also zeigen, dass und wie sich die Relevanztheorie mit der hier vorgeschlagenen Erklärung von Bewusstsein und Verstehen in Verbindung bringen lässt. Das Buch beginnt bekanntermaßen mit einer Ablehnung der explanatorischen Vorrangstellung des Code-Modells der Kommunikation, welches durch die Ausführungen Claude Shannons und Warren Weavers seinen festen Platz in der Debatte bekam. Diese Vorrangstellung wird von Sperber und Wilson unter dem Hinweis auf die less than perfect heuristics, denen zwischenmenschliche Kommunikation unterliegt, abgelehnt. 242 242

Sperber/Wilson 1995: 45

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Diese bei weitem nicht perfekte Heuristik der zwischenmenschlichen Kommunikation beschreibt positiv, was wir als Schlussfolgerung aus der Ablehnung eines konventionalistischen Sprachbegriffs ausschließend formuliert hatten, nämlich, dass es sich immer nur um standpunktrelative Analogieschlüsse handelt, die dem Sprachverstehen und somit Kommunikation zugrunde liegen. Es ist keine failsafe procedure, die ihre Grundlage in einer Regel (-anwendung) oder Konvention (-sanwendung) hat, welche sprachliches Handeln und Sprachverstehen anleitet, sondern nur eine bestimmte Strategie, die individualfunktional sein muss, weil sie als biologisch funktional selektiert wurde. Es ist somit auch nicht mehr der gemeinsame Hintergrund, der in einem gemeinsamen Code besteht oder einer gemeinsamen Norm, der die Grundlage von Kommunikation bildet. „In rejecting the mutual-knowledge framework, we abandon the possibility of using a failsafe algorithm as a model of human communication.”243

Diese Ablehnung lässt die Frage entstehen, was als Grundlage dann überhaupt übrig bleiben kann. Die naheliegende Antwort der psychologischen Erklärungen Sperber und Wilsons ist die Aufgabe einer intellektualistischen Grundlegung von Kommunikationsfähigkeiten zugunsten einer Theorie, der sich an der Praxis ausrichtenden kognitiven Umgebung, die als solche individualrelativ ist und maßgeblich von Analogiebildung bzw. inferentiellen Fähigkeiten abhängt. „Human beings somehow manage to communicate in situations where a great deal can be assumed about what is manifest to others, about what is mutually manifest to themselves and others, but nothing can be assumed to be truly mutually known or assumed.” 244

Die Ablehnung des gemeinsamen Hintergrunds an Wissen ist hier nichts anderes als eine andere Formulierung des Problems der Analogiebildung in Abschnitt 2.5 bzw. des klassisch skeptischen Regelregresses, ausgeführt in Abschnitt 2.4. Die kognitive Umgebung an sich, „a set of assumptions, which the individual is capable of representing and accepting as true” 245,

ist allerdings weder für Sperber/Wilson noch für den hier vorgeschlagenen Begriffskomplex eine zufriedenstellende Erklärung, da diese nicht erklärt, 243

Sperber/Wilson 1995: 44 Sperber/Wilson 1995: 45 245 Sperber/Wilson 1995: 46 244

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worin die besagten Annahmen bestehen, unter deren Einfluss sich ein System unter bestimmten Bedingungen befindet. Dies versucht ihr Konzept der Relevanz zu erklären. Bevor wir nun aber zu den Gemeinsamkeiten mit Sperber und Wilsons Ansatz kommen, muss natürlich etwas zum Begriff der Annahme (assumption) gesagt werden, welcher einen Verbalisierungsakt zu implizieren scheint, den wir in dem hier vorgeschlagenen Modell aus der explanatorischen Vorrangigkeit des Verstehens zunächst nicht annehmen dürfen und können. Das, was Sperber und Wilson als assumption beschreiben, ist innerhalb unserer Theorie keine bereits verbalisierte oder sententialisierte Annahme, wie der oben zitierte Satz nahelegt, sondern eine mentale Tatsache, die keine syntaktische Form hat, sondern in diese überführt werden kann. Vielmehr ist sie repräsentationsfähig und erst in dieser Repräsentation als wahr akzeptierbar bzw. überführbar. Natürlich schieben wir an dieser Stelle Sperber und Wilson einen Begriff der assumption unter, der ihren Ansatz in unserem Sinne auslegbar werden lässt. Allerdings findet sich in Relevance auch nichts, was grundsätzlich gegen die Identifizierung der assumption mit der mentalen Tatsache, welche wir im Kapitel über das repräsentationale Bewusstsein als Überzeugung definiert haben, spricht. Ganz im Gegenteil. Ihr inferentielles Programm der Alternierung kognitiver Umgebungen ist ein permanent in resultativen und maximal individualfunktionalen Begriffen arbeitender Ansatz, womit sich unsere Erklärung in dieser Hinsicht eine wesentliche Grundlage mit der Erklärung durch Sperber und Wilson teilt. „Our claim is that all human beings automatically aim at the most efficient information processing possible. This is so whether they are conscious of it or not.” 246

Dass es sich bei den zentralen Aspekten von assumption und Überzeugung um prinzipiell substituierbare handelt, zeigt sich in der Beschreibung von basic assumptions als factual assumptions, die „[…] entertained as true descriptions of the world, but not explicitly represented as such“ 247, „[…] are acquired from four sources: perception, linguistic decoding, assumptions and assumption schemas stored in memory, and deduction.” 248

246 247 248

Sperber/Wilson 1995: 49 Sperber/Wilson 1995: 74 Sperber/Wilson 1995: 81

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Sie besitzen also denselben resultativen Charakter wie die mentale Tatsache der Überzeugung. Sie sind Resultate der sensorisch vermittelten Daten, worunter auch die als bedeutungsvoll erkannten Tatsachen der Welt fallen, die wir als Sprachprodukte bezeichnen, und den mnematischen Repräsentationen, den assumptions und assumption schemas im Gedächtnis, die durch emotionale und/oder quasi-emotionale Bestimmungen markiert sind. Auch deduktive Inferenzen, die in unserem Konzept nicht explizit integriert wurden, lassen sich als Ausgangspunkte für eine Repräsentation verstehen, die wiederum von Überzeugungen bestimmt ist. Trotz der terminologischen Differenz bezüglich des Grundbegriffes der assumption bzw. der Überzeugung tritt eindeutig die individualfunktionale Motivierung des von Sperber und Wilson entworfenen Programms hervor, da ihre Erklärung der kognitiven Umgebung immer eine Erklärung von biologischen Systemen, in diesem Falle Menschen, ist. „According to the functional view, a factual assumption consists of a single representation […]. The strength of this assumption is a result of its processing history, and cannot be accounted for in terms of the logical concept of confirmation.” 249

Dass eine assumption nicht über einen logischen Begriff der Bestätigung bestimmt werden kann, ist, wie im Kapitel über das repräsentationale Bewusstsein ausgeführt, nicht möglich, weil dies ein, mit einem wahrheitsanalogen Begriff arbeitendes Instrumentarium voraussetzen würde, welcher wiederum auf vorsprachlicher Ebene des Bewusstseins, auf erster-Person Ebene, nicht vorhanden sein kann. Überzeugungen, ebenso wie assumptions, sind auf erster-Person Ebene nicht wahr oder falsch, sondern funktional oder nicht funktional. Allerdings trennen sich an dieser Stelle auch schon die Wege hinsichtlich ihrer und unserer Beschreibung der kognitiven Verfassung von sprachfähigen Wesen, denn Sperber und Wilson ergehen sich in der Folge in differenzierenden Betrachtungen lexikalischer und logisch mentaler Tatsachen, welche als solche bereits mit einem impliziten Sprachbegriff arbeiten, der dann auf die postulierten kognitiven Strukturen angewandt wird. Wir versuchen hier aber, eine Geschichte des Übergangs und des Entstehens von Sprachfähigkeit und somit Verstehen zu entwerfen, die

249

Sperber/Wilson 1995: 77

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solche Überlegungen fundiert, anstatt diese daselbst zu vollziehen. Daher wird bezüglich der Erklärung von Sprachverstehen im jeweiligen Einzelfall auf die Erklärungen Sperber/Wilsons und an diese anknüpfende Arbeiten verwiesen, während hier weiter nach den Grundlagen des Verstehens gefragt werden soll. Sperber und Wilson stellen das Verstehen an sich als einen Prozess dar, der sich nicht durch einen Prozess der Regelanwendung herleitet bzw. einem gemeinsamen Wissenshintergrund verdankt, sondern von der Beschaffenheit des Bewusstseins bzw. der kognitiven Umgebung herstammt, auf dessen Grundlage die Umgebung entsteht, vor der etwas als etwas verstanden werden kann. Das zu Verstehende ist demnach nicht vor einem externen Kontext relevant, sondern für ein Individuum, was für Sperber und Wilson die Basis für die Bestimmung der relevance in a context als „[…] a psycholgically more appropriate characterisation of relevance to an individual“ 250

ist. Das Prinzip der Relevanz ist eine spezielle Form der allgemeinen Funktionalität für ein System, dem wiederum ein Prinzip der biologischen Funktionalität zugrunde liegt, welches das gesamte Konzept der Relevanz nach Sperber und Wilson als ein naturalistisches ausweist. „We start from the assumption that cognition is a biological function, and that cognitive mechanisms are, in general, adaptions. As such, they are the result of a process of Darwinian natural selection“ 251

Wie unsere Ausführungen, in Übereinstimmung mit Sperber und Wilson, belegen sollen, wird der zu Beginn dieser Arbeit formulierten Forderung einer psychologisch-kognitivistischen Beschreibung eines umfassenden naturalistischen Sprachbegriffs, der in einer Theorie des Gesamtverhaltens einer Person verwurzelt ist, durch die Formulierung und Applizierung des Relevanzprinzips hinreichend nachgekommen. Denn dass es sich bei dem Prinzip der Relevanz um ein Prinzip handelt, das aus einem größeren teleologischen Erklärungsrahmen einer biologisch funktionalen und damit evolutionstheoretisch relevanten theoretischen Fundierung gefolgert werden kann, zeigt sich auch an der Ableitung des Relevanzprinzips aus dem Begriff der Ostension, da, wie uns Sperber und Wilson erklären, die

250 251

Sperber/Wilson 1995: 142 Sperber/Wilson 1995: 261

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Relevanz sprachlicher und nicht-sprachlicher Phänomene in ihrer jeweiligen Ostension verankert sind. „Every act of ostensive communication communicates a presumption of its own optimal relevance.” 252

Ostension aber ist wiederum individualrelativ, insofern sie nur für ein System mit einem bestimmten korrespondierenden Apparat an assumptions, also unter einem individualrelativen Kontext, als ostensiv erscheint. Diese Annahmen, abgebildet auf einen kommunikativen und mithin sprachlich strukturierten Kommunikationsakt, ergeben die von Sperber und Wilson formulierte presumption, die ein solcher Akt für einen Adressaten mit-kommuniziert (i. e., jemandem, der bestimmte Fähigkeiten besitzt, so und so erscheint): „(a) The set of assumptions I which the communicator intends to make manifest to the addressee is relevant enough to make it worth the addressee’s while to process the ostensive stimulus. (b) The ostensive stimulus is the most relevant one the communicator could have used to communicate I.” 253

Diese presumption soll bekanntermaßen eine realistischere Version dessen liefern, was Paul Grice 254 als Konversationsmaximen formulierte. Die Reduktion der von Grice formulierten Annahmen, die das Verstehen jedes Kommunizierenden bestimmen, auf das Prinzip der Relevanz, stellt das Vorhaben einer intentionalistischen Bedeutungstheorie im Besonderen sowie nicht-konventionalistischer Kommunikationstheorien im Allgemeinen notwendig auf den explanatorischen Boden einer individualfunktionalistischen Verhaltenstheorie, da der Begriff der Relevanz in dieser Variante ein Prinzip der Wahrnehmung im Allgemeinen ist. „A stimulus is a phenomenon designed to achieve cognitive effects. Relevance for a stimulus is thus the same as relevance for any other phenomenon.” 255 bzw. „Relevance is not a commodity; it is a property. What is it a property of? By our definition, it is a property of inputs to cognitive processes.” 256

252 253 254 255 256

Sperber/Wilson 1995: 155 Sperber/Wilson 1995: 158 Grice, Paul (1989): Studies in the Way of Words. Harvard University Press. Cambridge 1991 Sperber/Wilson 1995: 153 Sperber/Wilson 1995: 261

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Recht besehen, unterliegt das Verstehen von Sprachprodukten also auch bei Sperber und Wilson den gleichen Bedingungen wie das Verstehen aller anderen Phänomene der Welt. Als ein solcher Prozess können die grundlegenden Bestimmungen des Verstehens der Dinge der Welt auch auf das Sprachverstehen übertragen werden. Dies kann in einer Weise geschehen wie ausgeführt. 257 Es muss ein individualökonomischer bzw. individualfunktionaler Prozess sein, der als solcher ein biologisch funktionaler Prozess ist und daher grundlegend nur in einem naturalistischen Gesamtkonzept seinen festen Platz hat. Und ist dieser Platz anerkannt, so ist eine Geschichte vom Entstehen des Verstehens als ontound phylogenetisch kontinuierliche Geschichte, die keine Sonderstellung des Menschen oder der Sprachfähigkeit kennt, zu beschreiben. Diese Erklärung muss ohne einen Begriff der Konvention oder Regel auskommen, will sie den Weg bis zur konventionalen Schwelle nachzeichnen. Diese Schwelle ist der Punkt, an dem konventionelle Kommunikationsweisen aus nicht-konventionellen Kommunikationsweisen entstehen, aus dem Verhalten und seiner individualspezifisch funktionalen Bestimmung an sich. Das explanatorische Primat des Verstehens ergibt sich nun, wie wir gesehen hatten, durch das Argument, nachdem sich Konventionen und Regeln als nicht geeignete Begriffe erweisen, einen umfassenden Sprachbegriff zu begründen. Sperber/Wilson hierzu: „Incidentally, this view of verbal communication (the inferential view [Verf.]) has implications about the origin of human languages. The fact, that the semantic representations of natural-language expressions are merely tools for inferential communication suggests that inferential communication had to exist before external languages developed: human external languages are of adaptive value only for a species already deeply involved in inferential communication.” 258

Dass der inferentialistische Standpunkt von Sperber und Wilson in einem biologisch funktionalistischen begründet ist, heißt, dass diese Aussage ebenso für die hier vorgeschlagene Geschichte Gültigkeit besitzt. Im 257

258

Gestaltpsychologische Erklärungen sollten demnach die erfolgreichsten Kandidaten für die adäquaten begrifflichen Instrumente sein, mit deren Hilfe Spracherwerb bzw. das ‚Rätsel des Parsings‘ erklärt werden sollten. Die Frage, die mit einer solchen Erklärung allerdings einhergeht ist, wie formkonstante Wahrnehmungen überhaupt möglich sind. Sperber/Wilson 1995: 176

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Übrigen ist der Institutionscharakter unserer konventionellen Sprachmittel nicht mehr als ein bloßes Indiz für die Ökonomie des biologischen Systems Mensch, welches innerhalb seiner Möglichkeiten und unter den gegebenen Bedingungen stets optimal individualfunktional agiert und in der Folge auch im Sprachhandeln einmal bestätigte Funktionalität in den festen Bestand an nützlichen Verhaltensweisen übernimmt, indem es auch zukünftig auf diese Weise verfahren wird. Es gibt keine zwingenden Gründe, behaupten zu müssen, aus den scheinbar durch und durch konventionalisierten Handlungen, der uns umgebenden Sprachpraxen, würde folgen, dass die Grundlage der Sprache in diesen Konventionen bestünde als vielmehr im Handeln und dessen Grundlagen. Dass Sperber und Wilsons Ansatz sich erfolgreich in unsere Bestimmung des Sprachbegriffs einbinden lässt, ist nicht weiter verwunderlich. Die Naturalisierung des Sprachbegriffs und die dadurch erfolgende Begründung der Linguistik als Erkenntnistheorie der Sprache ist nämlich auch die Grundlage der Ausführung Sperber/Wilsons zur konkreten Manifestierung des funktionalistischen Grundprinzips im Prinzip der Relevanz. Die weiterführenden Spekulationen, die die beiden zum Begriff der Sprache anbieten, decken sich daher weitestgehend mit den bisher hier vorgeschlagenen Konklusionen bzw. Argumenten: „Language is an essential tool for the processing and memorizing of information. As such, it must exist not only in humans but also in a wide variety of animals and machines with information processing abilities.” 259

Dass, wie hier deutlich wird, die Vorrangstellung des Verstehens innerhalb der Bestimmung von Sprache allgemein formuliert wird, sollte nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass der Begriff der Information von Sperber und Wilson als dritte-Person Begriff implementiert wird, was von uns mit Hinweis auf die Signifikanz der Erste-Person-Perspektive abgelehnt wurde und woraus eine Einschränkung des in diesem Zitat Formulierten folgt, insofern, dass es kein Verstehen und keine Sprache geben kann, wo Information nicht Information für ein repräsentierendes System ist, was wiederum irgendeine Form des repräsentationalen Bewusstseins voraussetzt. Dass unser Projekt der naturalistischen Formulierung des Sprachbegriffs vorrangig eine Erklärung des Verstehens und nicht der Genese erfordert, ist also auch vor dem Hintergrund der 259

Sperber/Wilson 1995: 173

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Relevanztheorie begründbar. Und so wird diese Ausführung zwangsläufig auch eine Ausführung hinsichtlich der Frage, ob die Fähigkeit zur sprachlichen Kommunikation nur dem Menschen eignet. Dass dies innerhalb einer naturalistischen Erklärung nur wenig einzuleuchten vermag, wurde bereits mehrfach erwähnt. Sprache ist nichts Besonderes, sondern nur eine memetische260 und teilmimetische Form des strategischen Verhaltens bzw. Ausdruck der individualökonomischen, natürlichen Verfassung einzelner Lebewesen. Dass es nicht nur fraglich, sondern geradezu unschlüssig ist, davon auszugehen, dass Sprachfähigkeiten unseren nächsten Verwandten, insbesondere bestimmten Bonobos, nicht zugeschrieben werden kann, wenn der Begriff der Sprache über den Begriff des Verstehens als biologisch funktionaler Mechanismus analysiert wird, ist die grundlegende Behauptung, die dem nun folgenden Abschnitt zugrunde liegt. All das bisher Formulierte wollen wir in diesem Teil mit Ergebnissen der Primatenforschung in Einklang bringen bzw. an diesen fortführen, was die Behauptung der absolut grundlegenden Funktion des hier vorgeschlagenen naturalistischen Sprachbegriffs ebenso untermauert wie die Problematik der Fehlschlüsse im Denken über Sprache. Insbesondere die Beschreibung von tatsächlichen Sprachhandlungssituationen wird vor diesem Hintergrund interessanterweise einen Gewinn an grundlegenden explanatorischen Elementen zeitigen. Sprache ist nicht das, für was wir sie oft halten. Tatsächlich ist sie gar nicht. Vielmehr sollte uns der Sprachbegriff ob seiner Zergliederung abhanden kommen und wir sollten glücklich sein, dass dies der Fall ist, da wir somit einer kontinuierlichen naturalistischen Erklärung den Weg gebahnt haben. Die verschiedenen Fehlschlüsse zu entlarven, war der erste Schritt in Richtung eines allgemeingültigen Sprachdenkens, das auf naturalistischer Grundlage ruht und auf diese rückprojiziert werden kann. Hinsichtlich aller bisher gemachten Annahmen soll nun die Beantwortung folgender Fragen versucht werden: Wenn Sprachfähigkeit maßgeblich eine Sache des Verstehens ist, inwieweit lassen empirische Tatsachen den Schluss zu, dass Tiere Sprache besitzen? Und des Weiteren: Wie kann Verstehen, als explanatorisch vorrangig, in jeder allgemeinen Sprachbetrachtung, aus den restlichen Verhaltensweisen 260

zur Theorie der Meme, vgl. Dawkins, Richard (1976): Das egoistische Gen. Spektrum. Heidelberg 2010 und Blackmore, Susan (1999): Die Macht der Meme oder die Evolution von Kultur und Geist. Spektrum. Heidelberg 2010

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eines Lebewesens resultierend, erklärt werden? Diese Erklärung fragt also, welche Bedingungen möglicherweise die Entstehung von Sprachprodukten begünstigt haben und welche Bedingungen zum Übergang von nichtkonventionellem zu konventionellem sprachlichen Handeln führten bzw. womit sprachliches Handeln überhaupt beginnt. Daraus ließe sich dann wiederum ein Argument ableiten, das für oder gegen die These spräche, für die wir hier argumentieren, dass wir Sprachhandeln immer auf individualfunktionales, strategisches Handeln reduzieren können, was den naturalistischen Forderungen entspräche. Es ist Davidson, der uns hier den Weg weist, wenn er, wie bereits erwähnt, formuliert, dass Sprache keine Bedingung von Kommunikation ist, so wie Konventionen keine Bedingung für Sprache sind.

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6

Natürliche Sprachfähigkeiten

6.1 Sprache als natürliches Phänomen Dass Sprachfähigkeit nicht über die Genese zu bestimmen ist und dass Sprache nicht auf der Grundlage von Konventionen funktioniert, sondern diese erst hervorbringt, haben Sperber und Wilson, wie im vorigen Abschnitt gezeigt wurde, zu einigen Schlüssen veranlasst, welchen wir aufgrund unserer eigenen Ausführungen in den vorangegangenen Abschnitten zustimmen. Unter diesen Schlüssen ist ein wesentlicher derjenige gewesen, dass Sprachfähigkeiten womöglich nichts sind, was wir nunmehr nur dem Menschen vorbehalten können. Die Frage, ob anderen Lebewesen Sprache zuzuschreiben sei, beantworten Sperber und Wilson folgendermaßen: „The great debate about whether humans are the only species to have language is based on a misconception of the nature of language. The debate is not really about whether other species than humans have languages, but about whether they have languages which they use as mediums of communication.” 261

Sprache ist, ihren Ausführungen folgend, in die Bereiche des Kognitiven und des Medialen aufzuteilen und wird so gänzlich in entweder psychologisch-kognitivistischen oder aber verhaltenstheoretischen Begriffen beschreibbar und dies, und dieser Punkt ist als besonders wichtig hervorzuheben, ohne einem intellektualistischen Sprachverständnis, wie es Krämer diagnostiziert, nachgeben zu müssen. Denn die Frage, ob Sprachfähigkeit nur auf Grundlage einer genetisch fixierten Universalgrammatik entstehen kann, wird konsequent unter dem Hinweis darauf verneint, dass Sprachfähigkeit eben nicht in der Genese und im Produzieren zu finden ist, sondern im Verstehen, welches auch Lebewesen zugesprochen werden muss, die nicht die genetischen Voraussetzungen haben wie wir Menschen. Mit dieser Argumentation steht der Ansatz der Relevanz, ebenso wie der hier vorgeschlagene grundlegende Sprachnaturalismus den empirischen Arbeiten und Ergebnissen Michael Tomasellos und Sue SavageRumbaughs sehr nahe, deren Erkenntnisse nun mit der Theorie der naturalistischen Sprachanalyse in Verbindung gebracht werden sollen. Die

261

Sperber/Wilson 1995: 173

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Ablehnung des Konzeptes der Universalgrammatik und der Vorschlag eines empiristischeren Bildes des Erstspracherwerbs sowie die Annahme von einer nicht-konventionellen Grundlage von Sprache, die aus dem Primat des Verstehens resultieren, sind allerdings nicht die einzigen Anknüpfungspunkte an die genannten Arbeiten. Die zentrale Position der Selbstobjektivierung als essentielle Bewusstseinsstruktur in jeder Geschichte zur Entstehung der Sprachfähigkeit ergibt sich ebenso wie die Möglichkeit der Konstatierung von Sprache bei nichthumanen Lebewesen zwingend aus Teilen der Erörterungen Tomasellos wie auch denen Rumbaughs. Für einen geeigneten Anfang in diesen Betrachtungen dient hier die im Zentrum der Arbeiten Tomasellos stehende Frage, wie sich die ontogenetische Entwicklung zwischenmenschlicher Kommunikation und als besonderer Fall, der sprachlichen Kommunikation, in einem dynamischen Prozess der gegenseitigen Formung von Interaktion und Denken formulieren lässt, wobei diese Analyse der ontogenetischen Entwicklung von kommunikativen Fähigkeiten von der Annahme bestimmt wird, dass die besagte ontogenetische Dimension die phylogenetische maßgeblich zu bestimmen hat, und nicht umgekehrt. 6.2 Ontogenese und Phylogenese „Es ist sehr bezeichnend, dass es kaum Leute gibt, die sich selbst Biologen nennen und zugleich vorgeben, Nativisten zu sein. Wenn Entwicklungsbiologen den sich entwickelnden Embryo betrachten, haben sie keine Verwendung für den Begriff der Angeborenheit. Der Grund dafür ist nicht, dass sie den Einfluss der Gene unterschätzen – die bedeutende Rolle des Genoms wird als selbstverständlich vorausgesetzt –, sondern vielmehr, dass das kategorische Urteil, ein Merkmal sei angeboren, nichts zu einem Verständnis des Prozesses beiträgt. Es würde den Biologen beispielsweise nichts nützen, wenn sie sagten, dass das Auftreten von Knospen für Körperglieder in der zehnten Woche der menschlichen Embryonalentwicklung angeboren sei.“ 262

Was Michael Tomasello hier in seiner wunderbar leicht nachzuvollziehenden Art schildert, ist die ganze Krux des Nativismus, nämlich, dass er im Grunde nur sehr wenig zur eigentlichen Erklärung der Entstehung bestimmter Merkmale und Fähigkeiten eines Lebewesens beitragen kann, ohne rein spekulativ zu werden. Eine tatsächliche Erklärung 262

Tomasello 2006: 69

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dieser Phänomene ist vielmehr stets teilempiristisch, so wie der Nativismus immer einen guten Teil an Mystizismus in sich trägt, indem er eine explanatorische Singularität schafft. Eine empiristisch geprägte Geschichte wiederum ist zwangsläufig zuerst eine ontogenetische, wie sehr leicht nachvollziehbar ist. Dies ist der Grund, aus welchem sich auch Brandom, im Zuge seiner Formulierung seines Sprachperformanzmodells, fragt, worin dieses Kunststück besteht, aus einigen wenigen Sätzen viele zu extrapolieren, anstatt wie Chomsky nur zu fragen, nach was dieses Kunststück aussieht.263 Der philosophische Nativismus wiederum, der vor allem auch der Universalgrammatik nach Chomsky als Hintergrund dient, ist eine typische Form dessen, was Krämer als intellektualistische Sprachkonzeption, mit all den von ihr ausgeführten Konsequenzen, beschreibt. Die Erklärung von Fähigkeiten und deren möglicher Niederschlag in Sprachpraxen wird immer nur ausgehend von einer festen Struktur im Kopf des jeweils untersuchten Systems bzw. des in Kommunikation befangenen Systemkomplexes beschrieben, was dem umgekehrten Weg unseres eigenen Vorschlags entspricht. Nämlich, die Erklärung dieser Phänomene an einer Praxisbetrachtung entlang zu entspinnen. Natürlich wird jetzt der ein oder andere mutmaßen: Verstehen, in seiner explanatorischen Vorrangstellung, ist doch wohl ebenso eine dieser intellektualistischen Postulate, da sich dieses ja auch nur mit Hilfe von mentalistischen bzw. psychologischen Beschreibungselementen darstellen lässt. Diesem Einwand ist zu entgegnen, dass das Verstehen ganz essentiell die Erörterung in den Bereich der kommunikativen Praxis verschiebt. Denn Verstehen kann natürlich nicht sinnvoll erklärt werden ohne etwas, das verstanden werden kann. Das heißt, eine bestimmte Form von Praxis oder zumindest potenziell Informationen liefernder Umgebung ist immer einem Verstehen vorausliegend, was für die Erklärung des Verstehens in seiner ontogenetischen Entstehung bedeutet, dass sich diese nur in Anlehnung an eine Erklärung der systemexternen Umstände ihrer Entstehung vollziehen lässt. Für Sprachverstehen ist dies dann konsequentiellerweise eine Sprachpraxisbeschreibung. In diesem Sinne bildet ein grundlegendes Sprachperformanzmodell aus den Erklärungen der ontogenetischen Entstehung des Verstehens und den Bedingungen seiner phylogenetischen Tradierung das abschließende Kapitel unserer Geschichte. Allerdings ist 263

Brandom 2001: 519

200

eine Erklärung der Praxis bzw. der Praxisbedingungen während der Entstehung von Sprachfähigkeiten nicht die Erklärung des Sprachperformanzmodells selbst, welches die grundlegenden Mechanismen von sprachlicher Kommunikation beschreibt, sondern muss vielmehr auf die Formulierung des letztgenannten Modells angewandt werden. Die nativistische Erklärung ist, aus den von Tomasello exemplifizierten Gründen, für uns also kein adäquater Weg zur Erklärung des Verstehens und der darauf supervenierenden Entstehung der Fähigkeit zur Sprachproduktion. Dass die Phylogenese als Entwicklung einer biologischen Art demnach nicht der geeignete Ort sein kann, um nach den Mechanismen zu fahnden, welche für die Entwicklung der Fähigkeiten zum Verstehen und der Produktion von kommunikativen Handlungen verantwortlich sind, wird unmittelbar deutlich, wenn man sich wiederum den Mangel an Explikation vergegenwärtigt, den ein genetischer Rückbezug aufweist. Man kann es in den Begriffen, die unsere bisherige Ausführungen bestimmt haben, auch so ausdrücken: Die evolutionstheoretisch relevanten, also selektierten Merkmale und Verhaltensweisen bzw. mentalen Tatsachen sind immer zunächst individualbiologisch sinnvoll gewesen. Ohne die resultative Erklärung von Fähigkeiten, die der Nativismus konsequent vernachlässigt, bleibt allerdings, und das ist keinesfalls wünschenswert, nur die zufällige Variation biologischer Systeme als Erklärung der Entstehung und Bedingung besagter Merkmale und Fähigkeiten übrig. Da die Prozesse der Natur ganz offensichtlich unter bestimmten Bedingungen auf erwartbare Weise erfolgen, sind sie auch in genau diesem Sinne teleologisch zu beschreiben. Das heißt, dass die Erklärung der Sprachfähigkeiten bzw. des Verstehens zunächst eine ontogenetische sein muss, da sich, salopp formuliert, die phylogenetische Entwicklung aus unzähligen ontogenetischen Entwicklungen zusammensetzt, unter denen eine einmal die erste gewesen sein muss, die eine Veränderung gegenüber den anderen zuvor abgelaufenen ontogenetischen Entwicklungen aufwies und dann hinsichtlich ihrer Resultate aus bestimmten (funktionalen) Gründen im Verlauf der Evolution (mit Hilfe des Baldwin Effekts) selektiert wurde. Das cartesianische Konzept der ideae innatae ist vor dem Hintergrund einer Erklärung von Kommunikations- und Sprachentwicklung eine denkbar schlechte Ausgangshypothese. Eine konsequente

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Ablehnung des Spracherwerbsnativismus, die hier favorisiert wird, ist eine Variante des james’schen radikalen Empirismus 264 und beruht im Allgemeinen auf dem Ansatz Tomasellos, der den Erstspracherwerb über den Ansatz der Early-Spelke-later-Dweck-Theorie 265 erklärt. Die Grundthesen, die innerhalb dieses Ansatzes vertreten werden, beschreiben die erste Phase des Spracherwerbs im Sinne Elisabeth Spelkes, die auf Grundlage empirischer Forschung für Fähigkeitsvoraussetzungen argumentiert, die in der Beschaffenheit des biologischen Systems selbst wurzeln. Diese Form der biologischen Grundlegung hat allerdings recht wenig mit den Erklärungen der Spracherwerbsnativisten zu tun, als vielmehr mit einer Erklärung, die die Beschaffenheit des biologischen Systems nur anführt, um die daraus resultierenden Möglichkeiten des sensorisch vermittelten Weltbezuges zu erklären. 266 Sie selbst formuliert die grundlegenden Schlussfolgerungen hinsichtlich der Entwicklung des Denkens bei Kleinkindern folgendermaßen: „Studies of human infants and non-human animals, focused on the ontogenetic and phylogenetic origins of knowledge, provide evidence for four core knowledge

264 265 266

vgl. James, William (1890): Principles of Psychology. Harvard University Press. Cambridge 1983 vgl. Tomasello, Michael (2009): Why We Cooperate. MIT Press. Cambridge 2009a mit den Vorschlägen, wie sie beispielsweise Jackendoff macht, hat das allerdings recht wenig zu tun, denn bei ihm bleibt de facto nur noch der Terminus Universalgrammatik übrig. Und auch wenn er das Label des Nativisten zurecht trägt, so ist von den ursprünglichen Annahmen der UG nur noch die Tendenz übrig geblieben, was man nicht unmittelbar erklären kann, in den Bereich des genetisch Fixierten zu verschieben, wie nunmehr kleinere und einfachere Subsysteme des einstmaligen Großkomplexes UG (Bis irgendwann einmal alles empiristisch erklärt worden ist und nichts mehr zu verschieben bleibt, so scheint es). Bis zu diesem Zeitpunkt der Indifferenz der Positionen aber, ist immer noch das entscheidende Demarkationskriterium, dass wir hier Sprachfähigkeiten aus globaleren Fähigkeiten erklären, während die Nativisten um ihre Führungspersönlichkeiten Jackendoff und Pinker von ganz spezifischen Sprachfähigkeiten ausgehen, die angeblich nicht erworben sein können: vgl. vor allem Jackendoff, Ray (2002): Foundations of Language: Brain, Meaning, Grammar, Evolution. Oxford Unviversity Press. Oxford, New York 2002. S. 71, 235, 364 und andere; Jackendoff, Ray (1993): Patterns in the Mind: Language and Human Nature. Harvester Press. Hempsted 1993 und Pinker, Steven (1995): The Language Instinct: How the Mind Creates Language. New York 1995 sowie Pinker, Steven (2002): The Blank Slate: The Modern Denial of Human Nature. Penguin Books. New York 2002

202

systems (Spelke, 2004). These systems serve to represent inanimate objects and their mechanical interactions, agents and their goal-directed actions, sets and their numerical relationships of ordering, addition and subtraction, and places in the spatial layout and their geometric relationships.” 267

Die Grundlage des Weltzugangs besteht, Spelke zufolge, nicht in einer genetischen Manifestation, sondern den Bedingungen, die das biologische System für ein Bewusstsein bietet. Dass die Prozesse, die das Bewusstsein aufgrund seiner Beschaffenheit vollziehen kann, allein durch eine individualfunktionale Komponente der sensomotorisch vermittelten Daten in ausdifferenzierte Formen des Weltbezuges, wie etwa Sprachverstehen, überführt werden können, ist selbstevident, da ein biologisches System stets versuchen wird in maximal systemökonomischer Weise zu agieren. Das heißt, die Grundlage ist wohl eine biologische, aber sie wird nicht zu einer etwaigen Erklärung von Fähigkeiten selbst verwendet, sondern nur zur Beschreibung der Konstitution des Systems, welches funktional über Bewusstsein verfügt, das bestimmte Fähigkeiten hervorbringen kann: „Core systems for representing objects, actions, numbers, places, and social partners may provide some of the foundations for uniquely human cognitive achievements, including the acquisition of language and other symbol systems, the development of cognitive skills through formal instruction, and the emergence and growth of cooperative social networks.” 268

Dass die Repräsentation eines sozialen Partners hier gleichberechtigt neben den core systems der Repräsentation von Objekten, Ereignisrelationen und Quantitäten aufgeführt wird, sollte als Hinweis auf die grundlegend repräsentationale Form des Bewusstseins verstanden werden. Die Entdeckung der Spiegelneuronen 269 wiederum lässt das Kernsystem der Repräsentation von sozialen Partnern als kritisches Element in der Erklärung der Evolution von Kommunikation und Sprache als auch neuronal fundiertes System erscheinen. Interessanterweise finden sich diese Neuronen, die für das Imitationslernen und somit für die Erklärung von Sprachhandlungslernen verantwortlich gemacht werden, allerdings

267 268 269

Spelke, Elizabeth; Kinzler, Katherine (2007): Core Knowledge in: Developmental Science 10 (1). 2007. S. 89-96 Spelke/Kinzler 2007: 92 vgl. Gallese, Vittorio. et al. (1996): Action Recognition in the Premotor Cortex In: Brain 119. 1996. S. 593-609 sowie Keysers, Christian et al. (2003): Audiovisual Mirror Neurons and Action Recognition in: Exp. Brain Res. 153. 2003. S. 628-636

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auch bei Menschenaffen, Primaten und Vögeln, was jede Spracherklärung, die sich auf diese Neuronen beruft, notwendig mit einer kontinuierlichen Theorie der Sprachfähigkeiten in Verbindung bringt. Abgesehen von der möglichen neurologischen Bestätigung, die die Spiegelneurone einmal für eine Theorie der ontogenetischen Entstehung von Kommunikationsfähigkeit im Allgemeinen und Imitationstheorien des Erstspracherwerbs im Besonderen liefern könnten, ist nach Elisabeth Spelke und Michael Tomasello die Ausbildung der grundlegenden Kommunikationsfähigkeit, die von beiden mit einer besonderen Fähigkeit zur Kooperation in Verbindung gebracht wird, ebenso empiristischen wie naturalistischen Charakters, indem alle Merkmale des Systems biologisch funktional beschreibbar sind. Die core systems sind, einfach ausgedrückt, nichts als die natürlichen Repräsentationen der sensorisch vermittelten Umwelt, die für ein Lebewesen im Laufe der beginnenden Ontogenese relevant sind bzw. werden. Phylogenese ist demnach eine Beschreibung der Regularitäten, der auf ontogenetischer Ebene ablaufenden Entwicklungsprozesse, die im Falle des Menschen auf Grundlage der biologisch funktionalen und systemkonstitutional resultativen core systems des Bewusstseins erfolgen, zu denen nach Tomasello auch die bereits bei einjährigen Kindern nachweisbare Kooperationsfähigkeit gehört, die das zentrale Element in der Erklärung menschlicher Kommunikation ist. Nachdem die Grundlage der Ontogenese des Menschen, durch die von Spelke beschriebenen core systems, gewissermaßen natürlich zum Menschen kommt, wird die weitere Entwicklung des Individuums von Tomasello durch die von Carol Dweck formulierten Schlussfolgerungen näher erklärt. Ihrem Ansatz zufolge ist die kulturelle Ontogenese als kumulative Entwicklung bzw. in Begriffen der Weitergabe zu beschreiben, so dass die Internalisierung sozialer Normen und Rollen bzw. die Erwartung reziprozitärer Sozialität, denen das Individuum maßgeblich unterliegen muss, wenn es als Mitglied einer Gemeinschaft betrachtet wird, nicht selbst angeborenen Kompetenzen entsprechen können. Das Fundament dieser Entwicklung, die auch die Entwicklung hin zur Kommunikations- und Sprachfähigkeit ist, ist nach Tomasello so etwas wie die Entstehung des intentional stance und darauf aufbauend, des birds eye view, der erst die Möglichkeit schafft, dass eine Erwartung interaktionaler Reziprozität entsteht. Diesen Umständen, die die Entstehung der zu Sprachverstehen nötigen Bewusstseinsformen der vierten Stufe des repräsentationalen Bewusstseins schildern, wird sich der nächste Abschnitt widmen. Dass erst

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die Erklärung der ontogenetischen Bedingungen eine wirkliche Erklärung für das Auftauchen phylogenetisch beschreibbarer Merkmale liefert, ist jedenfalls der an dieser Stelle für uns in besonderem Maße interessante Schluss, welchen Tomasello in eine Theorie der Bedingungen überführt, die ontogenetisch zur Entstehung von Fähigkeiten geführt haben, die dann eben nur noch kulturell weitergegeben wurden und nicht durch genetische Evolution. Die kulturelle Entwicklung des Denkens, die er beschreibt, ist in diesem Sinne gleichsam die kulturelle Entwicklung der Kommunikations- und Sprachfähigkeit, wozu die Theorie der dual inheritance, nach der die ausgereiften Phänotypen einer Art nicht nur von der biologischen, sondern auch entscheidend von der kulturellen Vererbung abhängen, die adäquate evolutionstheoretische Fundierung darstellt. 6.3 core systems und Verstehen Wenn Phylogenese, verstanden als der Prozess der Entstehung einer Art bzw. des geno- wie phenotypischen Endzustandes in der Geschichte der Entstehung einer systematisch biologisch beschriebenen Art, nicht nur den genetischen, sondern auch der kulturellen Weitergabe unterliegt und das Verstehen das zunächst zu erklärende Phänomen in der Entstehung der Kommunikations- und Sprachfähigkeit ist, so ist der Übergang zwischen der Early-Spelke-Ontogense und der Later-Dweck-Ontogenese der Ort der Manifestation dieser Fähigkeit. Die sich daran anschließende Frage ist, inwieweit der Early-Spelke-Teil nicht bei Tieren bereits soweit vorhanden ist, dass hier die Bedingungen der Möglichkeit von Sprachfähigkeiten bereits erfüllt sind. Dass Spelke auf Grundlage ihrer eigenen Versuchsreihen das Erkennen von sozialen Partnern als ein core system annimmt, was vermutlich mit neurologischen Tatsachen wie etwa den Spiegelneuronen zusammenhängt, sollte aber so verstanden werden, dass dieses Erkennen nicht nur allein dem Menschen vorbehalten ist, sondern, bestimmten Studien zufolge, zumindest auch einigen Primaten. Das Erkennen von sozialen Partnern, das von Spelke als core system konstatiert wird, ist im Übrigen nicht einmal eine artinterne Kompetenz, sondern ist auch zwischen Arten existent, wovon natürlich die Interaktion anderer Arten mit dem Menschen die interessanteste und am deutlichsten nachzuweisende Form dieses Erkennens über Artgrenzen hinweg darstellt. In dieser Hinsicht ist der Übergang vom Verstehen zu repräsentationalen Sprachfähigkeiten als der Übergang vom Verstehen auf Grundlage der core systems des Bewusstseins zum Verstehen von

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Sozialpartnern als intentionale Akteure (als intentionale Handlungen und somit kommunikative Handlungen vollziehend) aufzuschlüsseln. Erst das Verstehen von Akteuren als intentionale Handlungen vollziehende Akteure schafft die Möglichkeit, dass diesen Akteuren gegenüber eine informative und darauf aufbauende kommunikative Intention entstehen kann (was wiederum die Grundlage von Sprachhandlungen bildet). 270 Dieser Übergang, vom bloßen Verstehen von Akteuren als Tatsachen der Welt hin zum Verstehen dieser Akteure als intentionale Handlungen vollziehend, kann wiederum als Übergang vom echt einbettenden Bewusstsein vierter Stufe zum unecht einbettenden Bewusstsein vierter Stufe beschrieben werden. Dieser Übergang innerhalb derselben Bewusstseinsstufe ist auch deshalb stufenintern von uns beschrieben worden, weil es theoretisch keine biologische Variation benötigt, um diese neue Bewusstseinsstruktur auszubilden. Alle Elemente, die zu unecht einbettendem Bewusstsein benötigt werden, sind auf der ursprünglichen vierten Stufe echt einbettenden Bewusstseins bereits vorhanden: und dabei handelt es sich zunächst um die Möglichkeit des Subjektbezugs. Sobald die unmittelbare Bindung einer dyadischen Relation in einer triadischen aufgelöst wird, ist die Möglichkeit gegeben, dass die jeweils dominante Instanz, im bewussten Normalfall der Subjektplatz, weitere mnematische Repräsentationen neben die grundlegende Objektrepräsentation der wahrgenommen sensorischen Daten stellt und so den Raum der möglichen Objektplätze des Bewusstseinsraumes im Prinzip unendlich erweitert. Allein die Möglichkeit der ‚Brennweite‘ der dem Subjekt möglichen Fokussierung ist hier das begrenzende Kriterium. Dass die ‚Brennweite‘ der Aufmerksamkeit des Subjekts im Normalfall ökonomischen Prinzipien folgt, ist der biologisch funktionalen Ausbildung der kognitiven Fähigkeiten des Individuums geschuldet. Der Übergang zu unecht einbettendem Bewusstsein, also dem Zuschreiben von nicht subjektbezogener Bedeutung, ist eine allgemeine Formulierung des Spezialfalls des Verstehens von Subjekten (dies ist ein dritte-Person Prädikat) als intentional handelnde Objekte, also als an sich bedeutungsvoll. Sie stellen sich vor dem Hintergrund der ihnen zugeschriebenen Intentionen nicht als subjektbezogen zweckhaft dar bzw. werden vom Bewusstsein auf diese Weise prädiziert, sondern haben einen Selbstzweck. Objekte als Subjekte 270

zur Unterscheidung von informativer und kommunikativer Intention, siehe: Sperber/Wilson 1995: 29

206

aufzufassen, ist maßgeblich eine Sache des unechten Einbettens. Unechtes Einbetten ist die Repräsentation von Tatsachen der Welt in einem nur mittelbaren Subjektbezug. Im Gegensatz zur Prädizierung von Objekten in unmittelbarer Relation zu einem Subjekt, ist Zuschreiben von nicht unmittelbar subjektrelationaler Bedeutung, die als zunächst nichtrelationale Bedeutung relational werden kann, die Voraussetzung für das Verstehen von sozialen Partnern als soziale Partner. Diese Fähigkeit kommt ganz natürlich zum Menschen, so Kinzler und Spelke: „Unlike the case of objects, spatio-temporal principles do not govern infants’ representations of agents, who need not be cohesive (Vishton et al., 1998), continuous in their paths of motion (Kuhlmeier et al., 2004; although see Saxe et al., 2005), or subject to the constraint of action only on contact (Spelke et al., 1995). Instead, infants represent agents’ actions as directed towards goals (Woodward, 1999) through means that are efficient (Gergely and Csibra, 2003). Infants expect agents to interact with other agents, both contingently (Watson, 1972; Johnson et al., 2001) and reciprocally (Meltzoff and Moore, 1977). Although agents need not have faces with eyes (Johnson et al., 1998; Gergely and Csibra, 2003), when they do, even human newborns (Farroni et al., 2004) and newly hatched chicks (Agrillo, Regolin and Vallortigara, 2004) use their gaze direction to interpret their actions, as do older infants (Hood, Willen and Driver, 1998; Csibra and Gergely, 2006). In contrast, infants do not interpret the motions of inanimate objects as goal-directed (Woodward, 1998). Research on human adults provides evidence for the same system of agent representations. Representations of goal-directed, efficient actions and of reciprocal interactions guide adults’ intuitive moral reasoning (Cushman et al., in press; Trivers, 1971). Together, these findings provide evidence for a core system of agent representation that persists over human development, characterized by goaldirectedness, efficiency, contingency, reciprocity, and gaze direction.” 271

Die Behauptung a, dass bereits Neugeborene die Blickrichtung von Agenten benutzen, um ihr Verhalten zu koordinieren, ebenso wie dies neugeborene Küken tun sollen, ist allerdings keine hinreichende Begründung für die Annahme, dass diese, ob nun neugeborenen Menschen oder Küken (tatsächlich sind es in der Studie von Agrillo et al. drei Tage alte Küken gewesen), den Agenten auch als intentionalen Agenten verstehen, sondern nur, dass sie bestimmte Dinge in der Umgebung, die von ihnen repräsentiert werden, als Wahrgenommenes nicht ignorieren, sondern darauf reagieren. Allerdings unterscheidet sich dieses Reagieren nicht wesentlich von der Reaktion auf andere Tatsachen der Welt. Es mag 271

Kinzler, Katherine; Spelke, Elisabeth (2007): Core Systems in Human Cognition in: Progress in Brain Research, Vol. 164. 2007. S. 258

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sein, dass auch Neugeborene bereits einen Artgenossen erkennen, aber das heißt noch nicht, dass dieses Erkennen das ist, was wir als erwachsene Menschen vollziehen, wenn wir Akteure als intentionale Akteure verstehen. Dies heißt nämlich, permanent implizite Prädikationen zu vollziehen, zum Beispiel einen sozialen Partner in Analogie zu sich selbst zu verstehen, indem man ihn als intentionalen Akteur begreift. Dass die Richtung, in welche der sich bewegende Blick eines Akteurs weist, von einem Lebewesen verfolgt wird und sein Verhalten scheinbar affiziert, hat noch nichts darüber auszusagen, ob dieses Verhalten auf der Grundlage des Verstehens eines Akteurs als intentionalem Akteur beruht. Ansonsten müsste wohl auch der Biene ein solches Verstehen zugeschrieben werden, da sie den Tanz ihrer Artgenossen zum Auffinden von distalen Nahrungsquellen verwendet. Aber vieles spricht dafür, dass dies nicht heißt, dass die Biene die Perspektive der tanzenden Artgenossen versteht bzw. diesen Artgenossen als intentional agierenden Artgenossen. Dies gilt auch für das core system des Erkennens von sozialen Partnern, welches Spelke postuliert. Es gibt also auch hier keine Notwendigkeit, anzunehmen, dass hier eine Perspektivenübernahme stattfindet. Die Prädikation der Änderung der jeweiligen diskriminierten Tatsache als sich bewegend, ist bereits individualbiologisch signifikant genug, um von verhaltenskoordinativer Relevanz zu sein. Selbst wenn das sich bewegende Objekt beispielsweise Spiegelneuronen anregte, so heißt das noch nicht, dass auch ein Verstehen der Perspektive bzw. eine Zuschreibung von Selbstzweck oder Intentionalität vorliegt. Insofern ist also die Entwicklung der Fähigkeit Bedeutung zuzuschreiben bzw. nicht-systembezogen zu verstehen, auf Ebene der core systems noch nicht gegeben und muss folglich auf deren Grundlage über nicht-fixierte, natürlich zum Lebewesen kommende Prozesse erfolgen, die Tomasello als cultural ratchet 272 bezeichnet. Es ist eine Weiterentwicklung des Bewusstseins, die ohne eine zusätzliche biologische bzw. genetische Erklärung auskommt und sich daher auf Grundlage systemexterner Bedingungen in jeder ontogenetischen Entwicklung der Exemplare einer betreffenden Art aufs Neue vollziehen muss. Die biologische, natürliche Grundlage für diese Entwicklung ist beim Menschen vorhanden: Ein Bewusstsein, das den objektprädikativen Weltbezug in Bezug zum, diese Repräsentationen verwendenden, Subjekt vollziehen kann. Das Zuschreiben von Intentionalität, dass Objekte einen 272

Tomasello 2006: 14

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Selbstzweck besitzen bzw. nicht-individualfunktional, aber dennoch bedeutsam, repräsentiert werden, ist der Übergang vom Verstehen von Sozialpartnern auf Grundlage der core systems, (die immer noch nur individualfunktional als Objekte prädiziert werden) zum Verstehen dieser als echte Sozialpartner, die in einem Reziprozitätsverhältnis zum Subjekt erkannt werden, woraus erst Institutionalisierung und somit auch Konventionalisierung von kommunikativen Handlungen entstehen kann. Einmal abgesehen von unserem eigenen Vorschlag einer Bewusstseinsstruktur, ist der kritische Punkt hier die Transformation des Bewusstseins von allein auf Grundlage der core systems arbeitenden Prozessen hin zu Prozessen, die die Möglichkeit bieten, Dinge als an sich intentional, das heißt, eine Bedeutung habend, zu verstehen. Und dies in zweifachem Sinne: im Falle von Akteuren, als Intentionen habend und nach ihnen handelnd und im Falle von Kommunikationsprodukten als an sich, also ebenfalls nicht nur individualfunktional, sondern intersubjektiv bedeutungsvoll. Die Erörterung dieses Prozesses erläutert demnach auch, inwieweit ein Sprachbegriff, der sich auf Grundlage des Begriffs des Verstehens entfaltet, in verhaltenstheoretischem Vokabular formuliert werden kann und damit etwas bezeichnet, was den Bereich des Verhaltens transzendiert. 6.4 Kritische Prozesse in der Ontogenese Der kritische erste Schritt in Richtung Verstehen, der als Grundlage von Sprachverstehen gelten kann, muss im Übergang vom Verstehen der Dinge der Welt als funktional für das System selbst und dem Verstehen von Dingen der Welt als an und für sich bedeutungsvoll liegen. Dieser Übergang ist der Übergang von den natürlichen Ressourcen des Bewusstseins vierter Stufe, welches mit bestimmten core systems ausgestattet ist, hin zu einem Bewusstsein, welches auf Grundlage dieser core systems Bedeutungen zuschreiben kann. Warum sollte man diesen Übergang auf diese Weise beschreiben? Nun, vor allem deshalb, weil der Erwerb der Sprachfähigkeit in der kritischen Erwerbsphase und die Entwicklung allgemeiner kognitiver Fähigkeiten auf dem Rücken der cerebralen Entwicklung ein ontogenetisch koevolutionärer Prozess ist, der genau dann nicht zum Erwerb der Sprachfähigkeit führt, wenn bestimmte externe Bedingungen nicht erfüllt sind. Ebenso wie bei den Universalgrammatikern, ist es also ein Zusammenspiel von natürlichen Grundlagen und einer bestimmten Praxis, die zur tatsächlichen Sprach-

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fähigkeit als Kommunikations- bzw. Handlungsfähigkeit führen oder nicht führen, nur dass nicht irgendwelche genetisch kodierten Prinzipien angenommen werden, die in ihren Parametern bestätigt oder nicht bestätigt werden, sondern nur die globalen mentalen Ressourcen, die tatsächlich beobachtet werden können, also die, die Spelke als core systems definiert. Die kritischen Prozesse der Ontogenese werden theoretisch externalisiert. Das Rätsel, wie das heranwachsende Gehirn über die Möglichkeiten bestimmt, die nach Abschließen der kritischen Erwerbsphase fixiert sind, ist hierbei viel weniger wichtig als der Umstand, dass diese Prozesse zum Erwerb oder Nicht-Erwerb führen. Dass es in Ermangelung einer Praxis, in der bestimmte Handlungsweisen verbal oder nicht-verbal vollzogen werden, dazu kommen kann, dass bestimmte Fähigkeiten nicht erlernt werden, ist zwar kein notwendiger Grund für die Annahme, dass die Sprachfähigkeit mehr oder weniger auf eine tabula rasa 273 eingedrückt wird, wie man an allen Argumentationen der nativistischen Theorien unschwer erkennen kann, aber es ist doch ein deutliches Indiz für die Relevanz einer bestimmten Praxis hinsichtlich der ontogenetischen Fixierung eines bestimmten Weltverstehens. Signifikant wird die Praxis für das Individuum hinsichtlich seines Weltbezuges natürlich insofern es die Dinge der Welt als entweder individualfunktional oder an sich bedeutsam verstehen lernt. Welche Prozesse der Ontogenese sind dafür verantwortlich, dass auf Grundlage der core systems etwas als etwas, unabhängig von der Funktionalität für das repräsentierende System selbst, erkannt wird? Anders ausgedrückt: Was führt dazu, dass wir unsere Sozialpartner als Sozialpartner, als intentional Handelnde verstehen? Wenn es eine bestimmte Art des Verstehens ist, das auf der Grundlage systemexterner Bedingungen ausgebildet werden muss, so stellt sich nicht nur die Frage, wie diese Bedingungen aussehen, sondern auch, ob diese bei den mit uns genetisch über 99 Prozent verwandten Menschenaffen bisher nicht vorhanden waren und wenn dem so sein sollte, weshalb nicht. Oder verstehen Menschenaffen ihre Sozialpartner als intentionale Akteure?

273

Man beachte die Missdeutung, das Prinzip der tabula rasa nach Locke sage aus, es würde keine Grundlage geben für das Individuum geben, es sei bestimmt durch Leere, die von außen gefüllt werden müsse. Tatsächlich aber existiert sehr wohl die Wachstafel an sich, die natürlich irgendwie beschaffen sein muss, damit auf ihr Eindrücke zurückbleiben können.

210

6.5 Das Verstehen von Sozialpartnern als intentionale Akteure Tomasello schlussfolgert aus seinen Experimenten mit Kleinkindern und Menschenaffen: „dass Affen andere verstehen, und zwar sowohl im Hinblick auf deren Ziele und Wahrnehmungen als auch im Hinblick darauf, wie diese zusammenwirken, um Verhaltensentscheidungen zu bestimmen. Mit anderen Worten: Sie verstehen andere als intentionale, möglicherweise sogar rationale Akteure. Deshalb können sie jene praktischen Schlussfolgerungen ziehen, die der flexiblen, strategischen sozialen Interaktion und Kommunikation zugrunde liegen – beispielsweise herausfinden, was der andere will, den Grund, warum er es will, und was er wahrscheinlich als nächstes tun wird.“ 274

Glaubt man den Schlussfolgerungen Tomasellos, so haben also auch Affen die Fähigkeit, Sozialpartner als intentionale Akteure zu verstehen. Eine Einsicht, die noch nicht sehr alt ist. Und dies im Übrigen auch für den Forscherkreis um Tomasello, der in seinem 1997 erscheinen Standardwerk Primate Cognition noch ausführt: „However, with regard to understanding the less observable aspects of behavioral functioning, there is no solid evidence that nonhuman primates understand the intentionality or mental states of others.” 275

Neuere Forschungen lassen hier die Ähnlichkeiten zwischen Affen und Menschen allerdings eher anwachsen, als dass diese weniger würden. Ob die Demarkationslinie zwischen Mensch und Affe, die von Tomasello in seinen neueren Veröffentlichungen entlang der Fähigkeit zur geteilten Intentionalität gezogen wird, in Zukunft nicht gänzlich neu gezogen werden muss, wird an späterer Stelle mit Verweis auf die Ergebnisse Savage-Rumbaughs erörtert werden. Zunächst aber zurück zur Feststellung, dass Affen sehr wohl intentionale Akteure zu erkennen in der Lage sind und somit die grundlegende Verstehensfähigkeit erworben haben, Dinge als Bedeutsam an sich zu verstehen, was dem Verstehen von Sprachprodukten formal gleicht. Wie ist das zu verstehen? Das Herausbilden der Fähigkeit des Verstehens von Sozialpartnern als intentionale Akteure bildet sich nach Tomasello im Zuge der Soziogenese heraus, die in 274 275

Tomasello, Michael (2008): Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation. Suhrkamp. Frankfurt a. M. 2009b S. 61 Tomasello, Michael; Call, Joseph (1997): Primate Cognition. Oxford University Press. New York 2007. S. 340

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einer speziellen Form der Internalisierung der Aspekte von Zusammenarbeit mündet, welche überhaupt erst dazu führen kann, dass kollektive Erzeugnisse hervorgebracht werden können, 276 zu welchen er, in einem problematischen Sinne, auch die Sprache zählt. Die Soziogenese beschreibt bei Tomasello den Prozess der Prägung des Individuums durch Interaktion während der Ontogenese, welchen wir weiter oben mit dem Begriff der relevanten Praxis bezeichnet hatten. Dass man andere Dinge der Welt als an sich bedeutsam versteht, heißt im Falle von Sozialpartnern, dass sie als intentional verstanden werden – als Bedeutung habende Wesen. Diese Bedeutung ist unter anderem die Bedeutung der Intentionen des betreffenden Wesens. So verstandene intentionale Akteure haben Absichten, die in die Handlungskoordination des so verstehenden Systems einbezogen werden können. Das Verstehen von Sozialpartnern als intentionale Akteure muss also eine Funktionalität besitzen, die in der Koordination des systemeigenen Verhaltens gegenüber des Verhaltens der als intentionale Akteure repräsentierten Sozialpartner liegt. Wie aber kann eine Notwendigkeit entstehen das systemeigene Verhalten nicht nur aufgrund der Repräsentation von Sozialpartnern, sondern auf der Grundlage der Repräsentation dieser als intentionale Akteure zu koordinieren, also nicht nur hinsichtlich seiner Nützlichkeit für das repräsentierende System selbst, sondern in seinem (dritte-Person) Subjekt- statt Objektcharakter, also vor dem Hintergrund des Zuschreibens von intentionalen Zuständen. Warum sollte ein System ein anderes Wesen im Hinblick auf dessen Absichten repräsentieren? Welche Verhaltensweisen in der Soziogenese erzeugen bzw. welche Praxis erzeugt die Repräsentation von Sozialpartnern als intentionale Akteure? Eine Erklärung dieser Praxis darf das Verstehen anderer als intentionale Akteure noch nicht mit in die Erklärung einschließen. Diese Frage hatten wir in den bisherigen Kapiteln dieser Arbeit mit dem Hinweis auf die Fähigkeit der Selbstobjektivierung versucht zu beantworten. Selbstobjektivierung muss in der einen oder anderen Form immer dann entstehen, wenn die physischen Grundlagen hinsichtlich des sensomotorischen Apparates und des kognitiven Apparates hinreichen, um die sensorisch vermittelte Datenmenge in Bezug auf einen hinreichend großen Bestand an mnematischen Repräsentationen voluntativ bewerten zu müssen, um zwischen Handlungsanleitenden mentalen Tatsachen 276

Tomasello 2006: 25

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entscheiden zu können. In diesem Sinne ist Bewusstsein vierter Stufe die Reaktion des Gesamtsystems auf den Zwang zur Entscheidung, die nicht länger von einem Bewusstsein dritter Stufe gewährleistet werden kann. Selbstobjektivierung könnte als Adaption hinsichtlich eines Mangels an quasi-algorithmischen Entscheidungsprozessen gegenüber eines leistungsfähigeren Repräsentationsapparates bzw. Gedächtnisses beschreiben werden. Oder wie Charles Taylor es ausdrückt: „A self is a being for whom certain questions of categoric value have arisen, and received at least partial answers.“ 277

Insofern ist Bewusstsein ein Adaptionsprozess vor dem Hintergrund systeminterner Bedingungen, die in ihrer Gesamtheit hinreichen, eine Koordination auf Grundlage von Selbstobjektivierung zu evozieren. Damit ist natürlich noch gar nichts erklärt, denn die Bedingungen, die zu dieser Evozierung führen, sind natürlich das eigentlich Interessante. Wie diese aussehen, darüber könnte an dieser Stelle aber nur sehr oberflächlich spekuliert werden. Dass dieses Verstehen aller Wahrscheinlichkeit nach in Interaktion mit Sozialpartnern auftritt, lässt sich darauf zurückführen, dass die Handlungskoordination bei permanentem Kontakt mit Artgenossen in besonderem Maße erforderlich wird. In jedem Fall aber muss als Grundlage ein wiederkehrender Prozess der Erfahrung von Selbstverursachung dienen, 278 der so etwas wie ein Protosubjektplatz überhaupt erst möglich macht, der dann im Erfahren von Fremdverursachung zum Selbstverstehen des Subjekts als verursachendes Objekt, in einer Welt mit anderen verursachenden Objekten führt. Mead drückt dies so aus: „Wir können uns selbst nur insoweit verwirklichen, als wir den anderen in seiner Beziehung zu uns erkennen. Indem der Einzelne die Haltung der anderen einnimmt, ist er fähig, sich selbst als Identität zu verwirklichen. […] Selbst-Bewusstsein erreicht man nur dann, wenn man die Haltung der anderen einnimmt oder dazu angeregt wird.“ 279

Selbstobjektivierung ist demnach das Verstehen des je eigenen, körperlichen Selbst unter anderen Objekten und Resultat der phylogenetischen Mangelhaftigkeit des Automatismus einfacherer Bewusstseinsstrukturen. 277 278 279

Taylor, Charles (1977): What is Human Agency? In: Ders. (1985): Philosphical Papers I. Cambridge University Press. Cambridge 1985. S. 3 vgl. Tomasello 2006: 88 Mead, George H. (1934): Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Suhrkamp. Frankfurt am Main 1991. S. 238

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Andere als intentionale Akteure zu verstehen, heißt allerdings nicht nur sich selbst, mitsamt seinen Intentionen und sonstigen, gemeinhin intentional genannten Zuständen objektivieren zu können, sondern ihnen eine Bedeutung zuzuschreiben, die nicht der Bedeutung entspricht, die wir natürlicherweise auf Grundlage der Funktionalität der Dinge für uns verleihen. Andere als intentionale Akteure verstehen zu können, resultiert nach Tomasello aus der Soziogenese, den Bedingungen, die durch eine bestimmte Praxis für ein Individuum bereitgestellt werden. Die Praxis, die ein solches Verstehen hervorbringen kann, muss dieses Verstehen unter der Bedingung hervorbringen, dass es unmittelbar individuell funktional bzw. ökonomisch für das System ist, eine bestimmte Routine zu entwickeln, welche dieses Verstehen mit einschließt, da kein Lebewesen eine neue Routine ohne Notwendigkeit hervorbringt. Handlungen oder Verhalten basieren immer auf (dritte-Person) Gründen. Eine solche Routine ist das unter bestimmten Umständen erfolgende Zuschreiben von Intentionalität bzw. nicht-systembezogener Bedeutung. Das Verstehen, dass ein Sozialpartner Ziele hat, muss innerhalb der Interaktion mit Sozialpartnern geschehen, da die Bedingungen zur Bildung von Verstehen anderer als intentionale Akteure nicht ausschließlich systemintern formuliert werden können. Wie sollte das repräsentierende System ohne äußeren Einfluss eine Notwendigkeit zur Ausbildung dieser Art von Verstehen entwickeln können? Ein solcher Gedanke ist völlig uneinsichtig. Dass es systemexterne Faktoren sind, die die Bedingungen bilden, welche ein Verstehen von intentionalen Akteuren überhaupt erst für ein bestimmtes Bewusstsein möglich machen, ist dann auch die Erklärung, die von Tomasello favorisiert wird. Noch einmal zur Erinnerung, all die bisher in diesem Abschnitt geschilderten Fähigkeiten sind auch bei Affen zu beobachten 280 – auch das Verstehen anderer als intentionale Akteure. Wir versuchen hier also eine Gemeinsamkeit und keine Unterschiede zwischen Mensch und Affe zu beleuchten. Dass das Verstehen von Sozialpartnern als intentionale Akteure wiederum in Begriffen der Rollenübernahme in einer Praxis geschieht, heißt grundlegend nichts anderes, als das Verstehen der eigenen Körperlichkeit in einer Welt weiterer Körper. Ein möglicherweise sogar inzidentielles, tatsächliches Nach-Vollziehen, des bei Sozialpartnern beobachteten Verhaltens, gibt die passende Grundlage für eine Verbindung von mnematischen Re280

vgl. Tomasello 2009b: 61

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präsentationen mit der momentanen Repräsentation der Welt ab, deren Analogien bzw. Formkonstanzen sich nicht mehr nur auf das bloß Beobachtete beziehen, sondern auch auf das Subjekt. Indem eine Tatsache der Welt (ein Sozialpartner) formkonstant, in mnematischer Repräsentation mit dem Objektverstehen des Systems repräsentiert wird, verkehrt sich das Verhältnis von Repräsentation und Repräsentierendem in sein Gegenteil. Die Welt wird nicht als subjektabhängige Tatsache repräsentiert, sondern das eigene Ich als etwas, das den Dingen der Welt, in diesem Fall dem Sozialpartner, in irgendeinem Aspekt formkonstanterweise analog ist. Das Subjekt erkennt sich in Analogie zu einem Sozialpartner, nicht den Sozialpartner in Analogie zu sich. Erst dieses Verstehen des Selbst als etwas in der Welt macht es möglich, die Sozialpartner in Analogie zu sich selbst zu erfassen, denn erst wenn das Subjekt sich als Subjekt und somit logisch als Objekt (unter Objekten) begreift, kann es sich als Objekt analog zu anderen Objekten begreifen. Der entgegengesetzte Weg, dass das Andere wie das Subjekt aufgefasst wird, setzt ja schon voraus, dass das Subjekt sich als Objekt versteht. Wirkliches Imitieren bedeutet also, zunächst sich selbst in Analogie zum Sozialpartner und erst daraufhin den Sozialpartner in Analogie zu sich selbst zu begreifen. Dass das Verhalten von Sozialpartnern als neuronal gespiegelt erklärt werden könnte, dass es also eine biologische Grundlage für ein Verhalten nachvollziehendes Verhalten geben könnte, ist sowohl Indiz für die Wichtigkeit dieser Fähigkeit für höher entwickelte Bewusstseinsformen als auch dafür, dass diese neuronale Aktivität, da nicht nur beim Menschen vorzufinden, nicht die Differenz hinsichtlich der Kommunikations- und Sprachfähigkeit zwischen humanen Systemen und Primaten sein kann. So wie es, und das ist merkwürdig, demnach auch nicht das Erkennen von intentionalen Akteuren sein kann, das einen Unterschied in der Sprachfähigkeit ausmacht, wie anhand der Erkenntnisse der Primatenforschung, die Tomasello ausführt, nahegelegt wird. Wenn Rollenübernahme bzw. das Verstehen von intentionalen Akteuren in Analogie zu sich selbst aber schon bei Affen zu beobachten ist, ist dann diesen Lebewesen nicht vielleicht doch die Fähigkeit zu Sprachfähigkeiten und womöglich die Sprachfähigkeit(en) selbst bereits eigen? Tomasello behauptet, dass nein. Dies allerdings beruht auf einem unreflektierten Sprachbegriff seinerseits, der auf dem linguistischen und dem generischen Fehlschluss gründet. Dass Affen soziale Partner als intentionale Akteure zu verstehen scheinen, heißt, dass entweder dieses Verstehen nicht als Grundlage für die Begründung einer Sprachfähigkeit hinreicht, es also eine

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noch speziellere Form geben muss, oder, dass es bestimmte Bedingungen gibt, denen Menschenaffen im Gegensatz zum Menschen in ihrer Ontogenese nicht unterliegen. Die zweitgenannte Variante werden wir später als die plausiblere darzustellen versuchen. Die erstgenannte Möglichkeit allerdings, dass es eine noch speziellere Form von Verstehen geben muss, die dann erst hinreicht, um Kommunikation in menschlicher Art und Weise zu vollziehen, favorisiert Tomasello, wenn er zwei weitere Elemente einführt, die seiner Meinung nach Menschen und Affen in ihren Möglichkeiten zur Ausbildung von Sprachfähigkeit unterscheiden. Das erste dieser beiden Elemente, welches Tomasello in Anlehnung an Searle 281 in die Mitte seiner Erklärungen zur Entstehung von intentionaler Kommunikation stellt, ist das Konzept der geteilten Intentionalität. Geteilte Intentionalität bezeichnet den Gedanken, dass Individuen nicht nur Gleiches repräsentieren können, sondern auch wissen, dass sie dies tun. Konventionen und Institutionen, also auch die Bedeutungen, die wir bestimmten lautlichen und symbolischen Tatsachen intersubjektiv gültig zuweisen, sind ihrem Sinne nach eine Form geteilter Intentionalität. Allein, dass Ziele oder Bedeutungen geteilt werden, reicht nicht hin, um von geteilter Intentionalität zu sprechen. Der Herausbildung von geteilter Intentionalität innerhalb einer Praxis muss die individuelle Fähigkeit vorausliegen, andere Akteure als intentionale Akteure zu verstehen. Innerhalb dieses Ansatzes ist es dann der entscheidende Schritt Richtung Sprachverstehen, dass über die Repräsentation von Sozialpartnern hinaus, geteilte Intentionalität besteht. Dass man die Intentionen von Sozialpartnern versteht, also den intentional stance einnehmen kann, trägt dazu bei, sein eigenes Handeln in bestimmter Weise hinsichtlich dieses Akteurs zu koordinieren. Diese Form der Koordination von Handlungen hinsichtlich der intentionalen Zustände kann zu vielen Zwecken vorgenommen werden. Prinzipiell scheint es völlig einsichtig, dass, so das Individuum einmal die Rollenübernahme vollzogen hat, dies auch in weiteren Situationen der Interaktion innerhalb von Gruppen tun wird, insofern diese Intentionalitätszuschreibung das System nicht über ein ökonomisch bzw. individualfunktional vertretbares Maß hinaus von der unmittelbaren Situationsevaluation abhält. Die Ausbildung der geteilten Intentionalität muss vor diesem Hintergrund als Spezialfall der Rollen281

Searle, John R. (1995): Die Konstruktion der Gesellschaftlichen Wirklichkeit. Rowohlt. Reinbeck 1997

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übernahme bzw. der Zuschreibung bestimmter intentionaler Zustände gelten. Um diese Zuschreibungen zu gewährleisten, so sollte angenommen werden, müssen zu einer inzidentiellen ersten Übernahme weitere Bedingungen hinzutreten, da nicht angenommen werden kann, dass die erste Realisierung allein bereits den Prozess des Zuschreibens als Routine manifestiert. Einige dieser Bedingungen müssen dem Individuum einen unmittelbaren Nutzen für eine diskrete Menge an Bewusstseinszuständen und Situationen aufzeigen, unter denen es sinnvoll erscheint, die Perspektive und Absichten eines anderen Akteurs zu antizipieren. Die Frage, wie es dazu kommt, dass eine solche diskrete Menge vom Individuum erkannt wird, ist allerdings hinsichtlich bekannter Skeptizismen nur schwierig zu beantworten. Wir finden hier nämlich ein ähnliches Problem, wie wir es im Abschnitt über Konventionen formuliert hatten. Wie sieht der Prozess der Analogiebildung aus, der einen Affen oder Menschen veranlasst, vergangene Abläufe auf gegenwärtige Repräsentationen anzuwenden? Das Problem der Analogiebildung hier wiederzufinden, ist nicht weiter verwunderlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass dieser Prozess, angewandt in der Erklärung von Konventionen, derselbe ist wie in der Erklärung des Zuschreibens von Intentionalität. Es handelt sich um denselben kognitiven Vorgang. Unser Zuschreiben von Konventionalität beruht eben auch auf den individuellen Intentionalitätszuschreibungen der Akteure einer Praxis. Dabei ist dieses Zuschreiben von Intentionalität eine Form des Zuschreibens von nicht primär individualfunktionaler Bedeutung im Allgemeinen. Doch zurück zur konventionalen Schwelle: dem Ausbilden geteilter Intentionalität – denn genau darum handelt es sich hier: Geteilte Intentionalität nach Tomasello ist die kognitive bzw. verhaltenstheoretische Grundlage einer Beschreibung von konkreten Konventionen und Regeln. Für Tomasello beginnt Sprachfähigkeit genau hier, an der Stelle, an der Bedeutungen geteilt werden. Damit lehnt er sich natürlich sehr stark und unhinterfragterweise an einen Sprachbegriff an, der von einem lexikologisch beschreibbaren Bestand an geteilten Bedeutungen als definitorisches Merkmal ausgeht, einem Bild der Einzelsprachen, so wie das Deutsche oder das Englische Einzelsprachen sind. Dass dies ein falsches Verständnis von Sprache ist und dass es gute Gründe gibt, in diesem Zusammenhang nicht von Sprache zu sprechen, hatten wir unter Verweis auf Davidsons Kritik des Sprachbegriffs bereits auseinandergesetzt. Die Frage ist hinsichtlich Tomasellos Schlüssen also, ob Affen im Vergleich zum Menschen die Fähigkeit zu geteilter Intentionalität doch haben.

217

Hinsichtlich der verfügbaren Erkenntnisse der Primatenforschung weist Tomasello, und das ist nicht sehr überraschend, darauf hin, 282 dass man einem Fehlschluss unterliegt, wenn man Affen geteilte Intentionalität zuschreibt. Unter Bezug auf Studien von Boesch und Boesch 283 wird hier argumentiert, dass das Jagdverhalten einiger Schimpansen zwar so erscheinen mag, wie auf ein gemeinsames Ziel hin ausgerichtet, dies aber in einer ersten Person Beschreibung keineswegs so ist. Tomasello zufolge ist es das Ausbilden von geteilter Intentionalität, das, was uns vom Menschaffen trennt, was geteilte Intentionalität in Tomasellos Sinne zur Grundlage der Sprachfähigkeiten macht, die Affen eben nicht besitzen. 284 Aber auch dieser Schluss ist problematisch, wenn man den anthropozentrischen Fehlschluss, den wir weiter oben ausgeführt hatten, ernst nimmt. Der Schluss, dass es geteilte Intentionalität ist, die das unterscheidende wie auch begründende Merkmal der Sprachfähigkeit ist, geht bereits von der unhinterfragten Annahme aus, dass geteilte Intentionalität die Grundlage menschlicher Kommunikation und damit (nicht nur menschlicher) Sprache ist, während es eigentlich ein neutraler Verhaltens- bzw. Handlungsbegriff sein sollte, der eine neutrale Grundlage für eine Diskussionen über Kommunikation und Sprache fundiert. Ausgehend von seinen Schlussfolgerungen zur relevanten Primaten- und Kleinkindforschung sieht Tomasello die Basis einer genuin menschlichen Kommunikation also in der Fähigkeit zur Ausbildung von gemeinsamen Zielen, die es uns gestatten, uns auf bestimmte Zuschreibungen festzulegen, wie es auch bei der konventionellen Bedeutung von Lauten und visuellen sowie taktil wahrnehmbaren Symbolen der Fall ist. Wie bereits kurz erwähnt: Die Probleme konventionalistischer Theorien sind auch die Probleme einer Theorie der geteilten Intentionalität. Daraus ergeben sich für unseren eigenen Vorschlag zur Natur der Sprache folgende Fragen: Hat Tomasello tatsächlich recht, wenn er behauptet, dass erst der Übergang zur geteilten Intentionalität den Übergang zu einem sprachbegabten Wesen ausmacht? Und natürlich: Wieso kommt es nicht auch bei Menschenaffen zu geteilter Intentionalität? 282 283

284

Tomasello 2009b: 187 ff. Boesch, Christophe; Boesch-Achermann, Hedwige (2000): The Chimpanzees of the Tai Forest: Behavioural Ecology and Evolution. Oxford University Press. Oxford 2000 Tomasello 2009b: 190

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6.6 Individualspezifische Koordination vs. angeborene Kooperation Die Strategie, die Tomasello in seiner Erklärung der Grundlagen der geteilten Intentionalität vorschlägt, ist im Wesentlichen auf zwei zentrale Elemente gestützt. Das erste dieser beiden Elemente ist das Element der geteilten Aufmerksamkeit, das zweite ist das der Kooperation. Weshalb es diese beiden sind, ist schnell erklärt. Nur durch echte Kooperation, also durch altruistisches Helfen bzw. (Mit-) Teilen sowohl von materiellen Gütern als auch Informationen, wird es seiner Vorstellung nach möglich einen gemeinsamen Hintergrund 285 bzw. eine geteilte kognitive Umgebung, wie Sperber und Wilson es ausdrücken, zu initiieren, die zu gemeinsamen Zielen und in der Folge, zu Handlungen und Produkten geteilter Bedeutung (Institutionen/konventionelle sprachliche Elemente) führen kann. Vor der Übereinkunft, der Konvention, steht ein gemeinsamer Hintergrund, der es erst möglich macht, sich auf ein Ziel oder eine Bedeutung intersubjektiv gültig festzulegen. Dieser minimale gemeinsame Hintergrund entsteht in Bezug auf die Aufmerksamkeit, die man auf Dinge der Umgebung richtet und die in jeder Schnittmenge der jeweiligen beteiligten Perspektiven zumindest prinzipiell ähnlich wahrgenommen werden (auch hier spielt natürlich Erfahrung eine prädisponierende Rolle). Dass geteilte Aufmerksamkeit ein wichtiger Schritt hin zur geteilten Intentionalität ist, ist recht einsichtig. Nur wenn es einen gegenständlichen Bezug gibt, der von den jeweiligen Beteiligten repräsentiert wird, kann es hinsichtlich dieses Gegenstandes eine geteilte Auffassung geben. Dass dem Menschen die Verfolgung der Blickrichtung, der als intentionale Akteure erkannten Sozialpartner, leichter fällt als Primaten, ist womöglich ein nicht ganz unwichtiger, wenngleich aber nicht hinreichender Grund für die Erklärung der mangelhaften Ausbildung geteilter Aufmerksamkeit bei Primaten und ihrer Position innerhalb einer Erklärung von geteilter Intentionalität: „Es ist eine interessante morphologische Tatsache, dass von allen Primaten nur die Menschen eine sehr gut sichtbare Ausrichtung der Augen aufweisen (Sklera), und tatsächlich neigen Kinder dazu, der Augenrichtung anstatt der Kopfrichtung zu

285

Tomasello benutzt hier das Konzept des gemeinsamen Hintergrundes von Clark, In: Clark, Herbert (1996): Using Language. Cambridge University Press. Cambridge 1996

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folgen, während Menschenaffen eher der Kopfrichtung und nicht der Augenrichtung anderer folgen“ 286

Zudem haben scheinbar auch von Menschen aufgezogene Schimpansen die gleichen Probleme gemeinsame Aufmerksamkeit herzustellen, wie ihre sonstigen Artgenossen, was den Charakter dieser Beobachtung zusätzlich als nicht wesentlich, innerhalb einer Erklärung von Kooperativität, auszeichnet, da die von Menschen aufgezogenen Affen in den beschriebenen Fällen sehr wohl ein stärker ausgeprägtes kooperatives Verhalten zeigten. Ganz im Gegensatz zu ihren Artgenossen, die nicht von Menschen aufgezogen wurden: „Die Schimpansen blickten den Menschen manchmal an, um zu prüfen, was er tat, aber sie schauten ihn nicht an, um mit ihm ein Interesse oder die Aufmerksamkeit bezüglich eines äußeren Gegenstands zu teilen. Sie versuchten auch nicht, gemeinsame Aufmerksamkeit durch gestische Kommunikation herzustellen, und in einer Studie nutzten sie die mit dem Menschen geteilte Erfahrung nicht, um zu bestimmen, was für ihr Gegenüber neu und daher überraschend war.“ 287

All diese Verhaltensweisen wurden in den betreffenden Experimenten von menschlichen Kleinkindern allerdings sehr wohl vollzogen. Sowohl Kooperation als auch Aufmerksamkeit hinsichtlich desselben Gegenstands sind in diesen Experimenten bei Affen nur in geringem Maße nachweisbar gewesen. Warum aber ist eine geteilte Aufmerksamkeit für Affen von so wenig Interesse? Ist es der fehlende Wille oder die fehlende Fähigkeit zu der umfassenden Art von echter Kooperationsbereitschaft, welche Schimpansen daran hindert, geteilte Intentionalität auszubilden? Der erste Teil der Antwort, die Tomasello anbietet, lautet, dass Affen weniger durch wirkliches Imitieren und Rollenübernahme lernen, sondern häufiger durch Emulation und daran anschließende Ritualisierung.288 Bei dieser Form des Lernens werden Rollenübernahme und Zuschreiben von Intentionalität in erheblich geringerem Maße erfordert und somit in die allgemeinen Prozesse der Interaktion mit Artgenossen überführbar. Emulationslernen zeichnet sich im Unterschied zu Imitations- und Kooperationslernen dadurch aus, dass bestimmte Techniken und funktionale Handlungen von Affen nicht dadurch erlernt werden, dass sie die repräsentierten Intentionen anderer Artgenossen auf sich selbst anwenden, sondern dass sie die 286

Tomasello 2009b: 211 Tomasello 2009b: 194 288 Tomasello 2006: 41 287

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Veränderung der Umgebung ohne diese Rollenübernahme nachvollziehen, was für bestimmte Situationen durchaus die ökonomischere Art des Lernens darstellt. 289 Anstatt also etwas über das Verhalten anderer Artgenossen zu lernen, lernen sie etwas über die Beschaffenheit der Dinge in der Welt. „Wenn z. B. eine Mutter einen Holzblock wegrollt und die Insekten darunter frisst, wird ihr Kind sehr wahrscheinlich dasselbe tun. Das geschieht einfach deshalb, weil das Kind von der Mutter gelernt hat, dass sich Insekten unter dem Holzblock befinden. […] Aber sie lernte von der Mutter nicht, wie man einen Holzblock wegrollt, um Insekten zu fressen;“ 290

Einige Lernprozesse bei Menschenaffen, die unter ihresgleichen aufwuchsen, scheinen also nicht durch Rollenübernahme abzulaufen. Eine hieran anknüpfende Frage könnte also lauten, weshalb, obwohl vermutlich sogar ähnliche neuronale Korrelate der Verhaltensspiegelung existieren, die im Zitat beschriebenen Wahrnehmungen nicht in der Rollenübernahme und somit Imitationslernen münden. Tatsächlich aber sind, so räumt auch Tomasello ein, vielerlei Beobachtungen an Menschenaffen erfolgt, die sehr wohl auf eine Form des Imitationslernens hinweisen, vor allem dann, wenn sie von Menschen aufgezogen wurden. Und es sind auch diese von Menschen aufgezogenen Affen, die eine deutliche Tendenz zu kooperativem Handeln aufweisen. 291 Weshalb sollten diese aber keine geteilte Intentionalität ausgebildet haben? Affen, die unter Artgenossen aufwachsen, spezieller Schimpansen, können offenbar zwar die Intentionen von Sozialpartnern in Analogie zu sich repräsentieren und dies auch zur Handlungskoordination einsetzen, aber nicht daraus lernen, dass sie dieses Wissen nutzen könnten, um die Handlungen von Artgenossen im Sinne ihrer Ziele für sich nutzbar zu machen, indem sie sich auf gemeinsame Ziele festlegen. Dieser Schritt aber ist beschreibbar als ein Schritt zwischen zwei verschiedenen Formen der Repräsentation von intentionalen Akteuren, also Objekten denen Bedeutungen zugeschrieben werden. Um Imitationslernen und Rollenübernahme für ein sich festigenderes Analogieverständnis zwischen Artgenossen und dem betreffenden Subjekt selbst werden zu lassen, ist es nötig, die Differenz zwischen unmittelbar individual289 290 291

vgl. Tomasello 2006: 44 f. Tomasello 2006: 44 f. vgl. Tomasello 2006: 50 f.

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funktionalem Repräsentieren von intentionalen Akteuren und nur mittelbar individualfunktionalem Repräsentieren von intentionalen Akteuren zu überwinden.Nur indem intentionale Akteure nicht permanent in einem instrumentellen Rahmen repräsentiert werden, ist es möglich, die Ziele dieser Akteure für das repräsentierende System selbst nutzbar zu machen, indem es seine eigenen Ziele vorerst vernachlässigt. Diese Vernachlässigung von individuellen Primärzielen zugunsten der repräsentierten Ziele anderer Akteure muss in einer irgendwie bedingten Veränderung der völlig natürlichen individualfunktionalen Repräsentation hin zu einer nicht-instrumentellen Repräsentation bestehen. Wie diese Bedingungen beschaffen sind, biologisch oder kulturell, und wie sie konkret aussehen, ist eine Frage für weitere Forschung. Das Attribut, das man dieser nicht primär instrumentellen bzw. nicht unmittelbar individualfunktionalen Repräsentation von intentionalen Akteuren für gewöhnlich gibt, ist ‚kooperativ‘. Affen sind nach Tomasello letztlich nicht hinlänglich kooperativ, um geteilte Intentionalität im für Sprachfähigkeiten relevanten Maße auszubilden. Jeder der intentionalen Akteure einer Gruppe von Affen ist nach Tomasello immer noch grundsätzlich ein Wesen, das es nicht versteht, einen zunächst nicht gewinnbringenden Akt gegenüber einem Artgenossen, um der Kooperation selbst willen zu vollziehen (der in der Folge, also mittelbar, allerdings durchaus gewinnbringend sein kann). Eine dieser gewinnbringenden Folgen ist auch die kumulative kulturelle Evolution, das cultural ratchet, der kulturelle Wagenhebereffekt. Es gibt bei Affen zwar mutualistisches Verhalten und auch kooperatives, aber kein echt kooperatives, welches nach Tomasello der menschlichen Form von Kooperation entspricht – einer erste-Person Kooperativität, die an Stelle der Funktionalität für das Individuum die Repräsentation der Tatsachen der Welt bestimmt. „Human cooperativeness and helpfulness are, as it were, laid on top of this selfinterested foundation”292

Auf eines sollte aber hinsichtlich dieser Ausführungen Tomasellos hingewiesen werden: Kooperation muss nicht nur von außen beobachtbar bzw. aus einer dritte-Person Beschreibung heraus als Kooperation beschreibbar sein, sondern auch ein nicht nur individualfunktionales Repräsentieren des Systems beinhalten. Dieses aber muss auf der 292

Tomasello 2009a: 5

222

Grundlage jenes individualfunktionalen Repräsentierens funktionieren, da es die natürliche Grundlage der Repräsentation von Tatsachen der Welt für ein natürliches Wesen bildet. Wie sich diese individualfunktionale Repräsentation in eine kooperative bzw. altruistische verändert, kann logisch auf zwei verschiedene Weisen beschrieben werden: als Mangel als auch als Hinzukommen. Es gibt also sowohl die Möglichkeit, dass dem individualspezifischen funktionalen Repräsentieren etwas hinzugefügt wird, was altruistisches Repräsentieren bewirkt, oder aber, dass dem individualspezifisch funktionalen Repräsentieren etwas abhanden kommt, so dass es seinen typischen Charakter zu einem altruistischeren verändert. Aber wie sollte man Eigennutz auf Altruismus sublimieren bzw. Altruismus auf Eigennutz reduzieren können? Wir glauben, dies ist sehr wohl möglich und natürlich für jede rein empiristische Erklärung auch nötig. Hier erst klärt sich Tomasellos Grundlegung in der Kooperationsfähigkeit hinsichtlich ihrer Alternativen und Gültigkeit auf. Denn, Tomasellos Annahme, dass es die Kooperationsfähigkeit ist, die den Unterschied zum Menschen und seinen scheinbar spezifischem Vermögen zur geteilten Intentionalität ausmacht, ist von seiner Seite nicht weiter nachgegangen worden und stellt daher auch nur eine Möglichkeit der Erklärung dar.Zunächst also die Frage: Welche Bedingungen sind für eine Erklärung der Sublimation von Eigennutz zu Altruismus bzw. einer Reduktion des Altruismus nötig? Was ist es, das zur Überwindung des rein individualfunktionalen Repräsentierens führt? Folgt man konsequent dem empiristischen Weg, so muss es eine Art Lernprozess sein. Zu diesem Lernprozess aber müssen bestimmte Kommunikationsmittel schon vorhanden sein, die dann zur Grundlage noch keine geteilte Intentionalität haben können. Diese Kommunikationsmittel müssen dann in mutualistischer statt echt kooperativer Interaktion zur Ausbildung eines hinreichenden gemeinsamen Hintergrundes bzw. geteilter Aufmerksamkeit geführt haben, so dass geteilte Intentionalität entstehen konnte, die über geteilte Aufmerksamkeit hinausreicht. Tomasello hierzu: „Daher lautet unser relativ unstrittiger Vorschlag, dass menschliche Kommunikation anfangs mutualistisch war. Dieser Mutualismus selbst hing von einem ersten Schritt hin zu toleranteren und großzügigeren Individuen ab. Dem innovativeren Teil des Vorschlags zufolge, ist die mutualistische Zusammenarbeit die natürliche Heimstatt kooperativer Kommunikation.“ 293 293

Tomasello 2009b: 213

223

Hieraus erst entsteht rekursives Zuschreiben von intentionalen Verfassungen und darauf aufbauend, die Herausbildung geteilter Intentionalität. So besehen ist die Antwort auf die Frage, was den Menschen im Unterschied zu Affen phylogenetisch zur Ausbildung von Produkten geteilter Intentionalität befähigt, wiederum in einer Praxisstruktur zu suchen, der Menschen bzw. Affen in ihrer Ontogenese unterliegen. Beide, Tomasellos und unsere eigene Geschichte, sind bis zu diesem Punkt also immer noch ziemlich konsequent empiristisch. Die sich anschließende Frage ist offensichtlich: Welche Elemente der intentionalen Kommunikation, die nicht in rekursiven Begriffen beschreibbar sind, sind verantwortlich für die Ausbildung von geteilter Intentionalität? Anders formuliert, welche explanatorisch geeigneten Verhaltensweisen weisen die Kommunikationspraxen von Affen, im Gegensatz zu humanen Praxen, gerade nicht auf? Der auffallendste Unterschied, neben der zu erklärenden Hilfsbereitschaft, ist der deontische Charakter der Welterfahrung, den wir durch unsere Erziehung erhalten. Affen sind im Vergleich zum Menschen keine Wesen, die sich Normen beugen. Während Menschen von Beginn an über Prozesse der Bestätigung und Sanktionierung in ihrem Verhalten auf Konformität hin geformt werden, noch bevor sie verstehen, wozu sie dies eigentlich tun, ist bei Affen, die in einer nicht-menschlichen Umgebung aufwuchsen, dies nicht zu beobachten, so wie auch helfendes Verhalten nicht zu beobachten ist. Die Vermutung liegt also nahe, dass hier ein Zusammenhang zwischen den konstanten Determinanten der jeweiligen Ontogenese und den Fähigkeiten des entwickelten Systems besteht. Die Frage ist nun natürlich, ob die Normen tatsächlich zur Ausbildung von altruistischem Verhalten führten oder ob dieses Verhalten die Ursache der Normen ist bzw. ob das altruistische Verhalten von Kleinkindern tatsächlich nicht doch auf einer „natural inclination to help others in strife“ 294

basiert. Tomasello favorisiert die Version der natürlichen Fähigkeit zur Hilfsbereitschaft, die er mit einer Reihe von Argumenten und Studien belegt, zu deren je einzelner Infragestellung wir uns an dieser Stelle weder in der Lage noch in der Pflicht sehen (da unser Argument logischer Natur ist), obschon wir die tomasellosche Version anzugreifen gedenken. Unter Tomasellos Argumenten sind die folgenden für seine Argumentation 294

Tomasello 2009a: 13

224

bezüglich des Unterschiedes von Mensch und Affe im Ausbilden von geteilter Intentionalität und somit der Grundlage von Sprache in seinem Sinne am wichtigsten: 295 Die sehr frühe Nachweisbarkeit von helfendem Verhalten bei Kleinkindern, welches bereits zwischen vierzehn und achtzehn Monaten auftritt und somit die Zeit, in der die Umwelt prosozial auf diese einwirken kann, auf ein Minimum reduziert. Zudem scheinen Kinder dieses Alters auf bestätigendes bzw. belohnendes Verhalten vonseiten der Erziehenden keinerlei signifikante Verstärkungsreaktionen zu zeigen. Des Weiteren zeigen Studien mit 24 Monate alten Kindern, dass deren helfendes Verhalten scheinbar auf Grundlage von empathischer Besorgtheit zu stehen scheint. All diese Gründe scheinen für eine natürliche Grundlage für echt kooperatives Verhalten zu sprechen und somit das Verhältnis zwischen vermitteltem deontischen Weltbezug und altruistischem Verhalten zugunsten einer altruistischen Grundlage zu interpretieren. Allerdings gibt es durchaus auch gute Gründe, diese, von Tomasello favorisierte Auslegung, anzuzweifeln. Dass beispielsweise von Menschen aufgezogene Affen sehr deutlich kooperatives Handeln zeigen, ebenso wie auch, allerdings in weit geringerem Maße, Affen, die unter Artgenossen aufgezogen wurden, lässt an der Theorie der natürlichen Grundlage von kooperativem Verhalten zweifeln, da es offenbar auch bei den Geschöpfen, denen er diese natürliche Grundlage abspricht, die Möglichkeit gibt, die relevanten Fähigkeiten, wenngleich auch in geringerem Maße, zu erwerben. Interessanterweise zieht Tomasello aus der an Affen beobachtbaren Kooperativität dennoch den Schluss, dass es sich um etwas handelt, das diesen im Allgemeinen nicht zukäme. Ein weiterer zweifelhafter Schluss ist, dass das kooperative Handeln nichts sei, was ein allgemeines Merkmal des Menschen sein kann, sondern, Tomasellos Urteil nach, in verschiedenen Domänen des Handelns verschiedentlich stark ausgeprägt erscheint. „I do not believe that human altruism is a single trait, but rather that humans are more or less altruistic in different domains of activity, each of which has its own characteristics.” 296

295 296

zu einer ausführlichen Besprechung dieser, siehe: Tomasello 2009a Tomasello 2009a: 5

225

Dies ist aber offensichtlich problematisch, wenn man ebenso annimmt, dass es sich um eine natürliche und angeborene Handlungstendenz handelt. Daher wollen wir nun kurz einen allgemein bekannten Alternativvorschlag neu formulieren, der sowohl das Auftreten von kooperativen Fähigkeiten bei Affen, welches die Grundlage für das zentrale Element der geteilten Intentionalität bildet, in seiner verschieden starken Ausprägung erklärt und die Probleme einer natürlichen Grundlage von Kooperationsfähigkeit umgeht, nämlich den damit verbundenen Zwang der Auffindung einer genetischen Fixierung bzw. eines materiellen Korrelates einer solchen natürlichen Fähigkeit sowie der Erklärung der nicht allumfassenden Wirkungskraft dieser. Diese Erklärung ist natürlich eine empiristische, die die Auslegung der Early-Spelke-later-Dweck-Theorie durch Tomasello verneint, die da lautet: „human children are already cooperative and helpful in many, though obviously not all, situations. And they do not learn this from adults; it comes naturally.” 297

Die zu belegende Annahme lautet also, dass es sehr wohl eine Praxis sein muss, die zur Ausprägung dieser Fähigkeit zur echten Kooperation in einem altruistischen Sinne führt, welche dann den Unterschied zwischen Menschen und Affen in kulturellen Begriffen zu begründen vermag. Es spricht zumindest ebenso viel dafür, dass die weiter oben aufgeworfene Frage, weshalb Affen keine geteilte Intentionalität und somit keine Fähigkeit des spezifischen rekursiven Verstehens von intentionalen Akteuren haben, durch eine Geschichte der normativen Praxis beantwortet werden kann, wie dafür, dass es eine natürliche Fähigkeit ist, die dieses Vermögen begründet. Die Beantwortung der Frage, was Sprachfähigkeit ist, wird also mit einem Verweis auf die erste-Person Grundlagen des dritte-Person Begriffs der geteilten Intentionalität beantwortet werden, die wiederum eine bestimmte Praxis zur Grundlage haben, wodurch die Sprachfähigkeit selbst natürlich auch auf dieser Grundlage steht. Diese Erklärung in Abgrenzung von Tomasellos Ausführungen zu den natürlichen Grundlagen dieser Fähigkeit zu formulieren heißt dabei allerdings nicht, den Rest seiner Erklärungen zur gestischen Kommunikation anzuzweifeln, die sehr einleuchtend sind und gänzlich vereinbar mit unserer Erörterung der Grundlage des Verstehens und der Sprachfähigkeiten.

297

Tomasello 2009a: 4

226

6.7 Kooperation als Resultat einer normativen Praxis Die Frage, die sich stellt, ist also, weshalb Affen im Allgemeinen und Schimpansen im Besonderen echte Kooperation in ihren Interaktionen mit Sozialpartnern nicht in der Weise zu zeigen scheinen, wie dies beispielsweise Kleinkinder tun: „infants appear to ask themselves, “why does she think my attending to that cup will be helpful or relevant for me?“ this self-question is based on something like the philosopher Paul Grice’s principle of cooperation: others are trying to be helpful by informing me of things relevant not to themselves but to their interlocutors.” 298

Die Frage, weshalb Affen keine geteilte Intentionalität ausbilden können, die untrennbar an der Frage hängt, weshalb sie nicht kooperieren bzw. altruistisch agieren, kann so erklärt werden, dass Affen im Unterschied zu Menschen und menschlichen Kleinkindern in Besonderen nicht nur kein altruistisches Verhalten zeigen, sondern eben auch keine Erwartung von altruistischem Verhalten haben. Für Affen scheint es keine informative intention im Sinne des Relevanzprinzips zu geben. Diese informative intention ist bekanntermaßen die Absicht eines Praxisteilnehmers, in seiner kommunikativen Handlung, den jeweils adressierten Praxisteilnehmern eine für diese relevante Information zukommen zu lassen. Diese wird allerdings dann auch von den anderen Praxisteilnehmern erwartet. Es wird erwartet, dass es sich um relevante Informationen handelt, die im Sinne dieser Intention gegeben werden. Glaubt man Tomasello, so scheint es diese für Affen nicht zu geben. „But what about alarm calls and food calls? Are they not generated by an informative intent? In a word, no. […] Whatever they are doing, it is for their own, or their kin’s, direct benefit.” 299

Die Weitergabe von Informationen, ohne Erwartung eines unmittelbaren Nutzen, ebenso wie die Erwartung von altruistisch zur Verfügung gestellter relevanter Information, sind die ersten beiden Elemente des angeblich natürlich zum Menschen kommenden altruistischen Verhaltens. Es handelt sich hier augenscheinlich um kommunikativ signifikante Varianten echt kooperativen Verhaltens bzw. Varianten auf echter Kooperativität supervenierender, kommunikativ signifikanter Erwartungen. Weitere Varianten 298 299

Tomasello 2009a: 18 Tomasello 2009a: 18

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des altruistischen Verhaltens, welche nach Tomasello den Unterschied in der Ausbildung von geteilter Intentionalität zwischen Menschen und Affen begründen, sind Teilen und Helfen. Da das Informieren aber als der Wichtigste dieser drei in der Ausbildung der geteilten Intentionalität erscheint, soll uns auch nur dieser interessieren. Die Frage, ob Kleinkinder im Gegensatz zu Affen tatsächlich natürlicherweise mit einer kooperativen Fakultät ausgestattet sind, beantwortete Tomasello ziemlich deutlich positiv, woraus sich Probleme ergeben, bezüglich der nicht allumfassenden Wirksamkeit dieser kooperativen Disposition gegenüber dem Handeln von Kindern und dem offenbaren Auftreten der Disposition bei von Menschen aufgezogenen Affen sowie sehr rudimentär auch Affen, deren ontogenetische Entwicklung unter Artgenossen erfolgte. „There is very little evidence in any of these three cases – helping, informing, and sharing – that the altruism children display is a result of acculturation, parental intervention, or any other form of socialization.” 300

Den Schluss, den Tomasello aus Studien zieht, scheint allerdings nicht sehr gut begründet, wenn er formuliert, echt kooperatives Verhalten von Kindern „is an outward expression of children’s natural inclination to sympathise with others in strife.“ 301

Womit natürlich noch nichts erklärt ist. Die Frage ist hier, ob man gültigerweise von Sympathie als motivierendes und differenzierendes Element schließen darf, wenn man zudem noch behauptet, dass das Verhalten, welches hierzu herangezogen wird, nur deshalb nicht als Internalisierung von sanktionierendem und bestätigendem bzw. belohnendem Verhalten seitens der Sozialpartner dieser ersten vierzehn bis achtzehn Monate erklärt werden könne, da es nicht so sei, dass „most parents have seriously started to expect their children, much less to train them, to behave pro-socially.“ 302

Dass dies ein, wenn nicht sogar der kritische Umstand des Gesamtarguments ist, weiß natürlich auch Tomasello, welcher fortfährt:

300 301 302

Tomasello 2009a: 28 Tomasello 2009a: 13 Tomasello 2009a: 7

228

„But this is a debatable point, as infants have certainly seen adults helping others 303 during the first year of life.”

Tatsächlich ist es der neuralgische Punkt in der gesamten Diskussion, ob es sich beim echt kooperativen Verhalten um eine erworbene Tendenz handelt oder nicht, die hier von Tomasello mit einem unbegründeten Konzept von Sympathie erklärt wird. Die Stützung seines Arguments mit dem Verweis auf das Verhalten von Eltern ist hierbei ebenso unzureichend und allerhöchstens von spekulativem Wert. Wenn man beginnt, die Stufen der Entwicklung der Kommunikationsfähigkeit über Konzepte wie Rollenübernahme und das Verstehen von intentionalen Akteuren zu beschreiben, so sollte man fragen, wie die Fähigkeit echt prosozialen Verhaltens auf diesen und weiteren bereits erklärten Elementen fußen könnte. Mit dem Rückzug auf den ungeklärten Erklärer Sympathie, der ja bereits ein prosoziales Element ist, begeht man hier eine petitio principii, zumal die Definition dessen, was wir allgemeinhin als Sympathie bezeichnen, mehr als umstritten ist. Handelt es sich um ein Gefühl oder etwas das auf Gefühlen beruht? Der einzige Ausweg aus dem circulus in demonstrando ist eine nativistische Erklärung, deren explanatorische Mangelhaftigkeit Tomasello, wie wir zu Beginn des Kapitels gesehen hatten, selbst bemängelte und hinsichtlich der Kooperation dennoch formuliert. Im Grunde unseres Alternativvorschlags, der die genannten Fehlschlüsse zu umgehen beabsichtigt, steht daher folgende Einsicht: Die Relationen, die von einem Wesen zu bestimmen wären, um prosozial agieren zu können, sind sehr einfach strukturiert und in individualfunktionalen, also natürlichen bzw. grundlegend handlungsbestimmenden Begriffen beschreibbar: nämlich positiv oder negativ, hinsichtlich der Verfassung des repräsentierenden Systems selbst bzw. seiner Wahrnehmung von sich selbst respektive seinen resultativen Gesamtsystemzuständen. So verstanden muss prosoziales Verhalten allein auf den bereits erklärten Elementen des Verstehens von intentionalen Akteuren und der individualfunktionalen Repräsentation dieser beruhen. Der entscheidende Faktor, der diese Repräsentationen in ein prosoziales Verhalten überführt, kann also nur noch die Praxis selbst sein. Und nun der eigentliche Alternativvorschlag: Durch das Verhalten von Sozialpartnern gegenüber dem repräsentierenden System werden im System biologisch

303

Tomasello 2009a: 7 f.

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funktional positive bzw. negative Emotionen verursacht, die als intrinsisch positiv oder negativ das Hervorbringen erfahrener und beobachteter Handlungen motivieren. Kurz: Die Praxis ist normativ gegenüber dem betreffenden System und seinem zukünftigen Verhalten, indem sie zu geteilter Intentionalität nötige positive oder negative emotionale Verknüpfung initiiert. Der deontische Weltbezug, welcher in Interaktion geschaffen wird, ist insofern individualfunktional, wie er auf Vermeidung von negativen und Erzeugung von positiven Emotionen beruht. Die emotionale Markierung von bestimmten Repräsentationen bildet die Grundlage für die Motivation analogen Verhaltens. Kooperatives Verhalten ist in diesem Sinne immer individualfunktional, es basiert geradezu hierauf. Zu beachten ist allerdings, dass diese Praxis selbst kein Bewusstsein von ihrem normierenden Effekten auf das betreffende System haben muss. Diese Erklärung kann sowohl in Begriffen des Erkennens von intentionalen Akteuren geschehen wie ohne diese. Im ersteren Falle hieße das: Sind Sozialpartner erst einmal als Sozialpartner und als intentionale Akteure erkannt, so sind die Handlungen anderer in ihrer Kosequentialität für den beobachteten Akteur erkannt, da das Erkennen von Intentionalität bereits das Erkennen von Zielen und somit auch deren Erfüllung beinhaltet. Dieses Verständnis führt über die Rollenübernahme zu Analogieschlüssen bezüglich systemeigener Zustände: ‚Dies oder das führte dazu, dass jemand von jemandem eine Handlung erfuhr, die positiv für ihn war oder nicht …‘ Die andere mögliche Erklärung kommt ohne die Fähigkeit aus, Sozialpartner als intentionale Akteure zu verstehen, ist also vollständig im Rahmen der core systems beschreibbar: Das Kleinkind versteht die Sozialpartner zwar als Sozialpartner, aber nicht als intentionale Akteure, wodurch es zwar keine Analogien zu sich selbst aus den beobachteten und erfahrenen sanktionierten bzw. bestätigten/belohnten Verhaltensweisen der es umgebenden Sozialpartner bilden kann. Die core systems aber reichen völlig hin, um individualfunktional bestimmte einmal erfahrene Verhaltensweisen, die vom System emotional positiv oder negativ erfahren wurden, in einen voluntativen Bezug zu überführen oder dies gegebenenfalls zu vermeiden, da natürlich nur möglichst positive Erfahrungen wiederholt werden wollen. Ein System, das die Fähigkeit nicht besitzt, Sozialpartner als intentionale Akteure zu repräsentieren und somit auch keine Rollenübernahme zustande bringen kann, kann also nicht aufgrund von Beobachtung lernen, sondern nur durch direkte emotionale Erfahrung. Ob also das Kleinkind nun Verhalten spiegelt und dieses dann in Analogie

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zu sich selbst in Handlungsentscheidungen einfließen lassen kann oder ob es in diesen ersten Monaten nur auf sich und seine Erfahrungswelt beschränkt ist – es gibt jedenfalls zwei allgemeine Argumentformen, nach welchen prosoziale Verhaltensweisen, die unter normalen Umständen sanktioniert oder nicht sanktioniert werden, aus Begriffen der individualfunktionalen Vermeidung von negativen Emotionen ableitbar sind und das nativistische Argument nicht nur nicht alternativenlos erscheinen lässt, sondern dessen explanatorisch kritische Punkte zu begründen in der Lage ist. Der große Vorteil einer der beiden von uns vorgeschlagenen Erklärungen ist natürlich, dass, wenn Kooperation auf diese Weise über die individualfunktionale Vermeidung von negativen Emotionen erklärt wird, nicht nur die Frage nach dem eigentlichen Ort der Kodierung einer vermeintlich natürlichen Fähigkeit zur Kooperation verschwindet, sondern auch die Kooperation selbst nur ein sich verselbständigendes Resultat der instrumentellen Repräsentation bzw. des verhaltensbiologisch grundlegenden, natürlichen Prinzips der Funktionalität von Handlungen und Prozessen für das agierende System ist. Da sich die Prozesse der biologischen Welt in sinnvoller Weise in Begriffen der Kausalität und Funktionalität beschreiben lassen, sollte dies auch für den Aspekt der biologischen Welt Anwendung finden, den wir Mensch nennen, anstatt die Erklärung mit dem Hinweis auf ein ‚so ist es eben‘ des Nativismus abzukürzen. Die vorgeschlagenen Argumenttypen bieten bei gleichem explanatorischem Potenzial also den deutlichen Vorteil, dass sie vor einem Rückfall in die eine oder andere Variante eines starken Nativismus bewahren, den Tomasello sich kaum wünschen kann, wenn man in Betracht zieht, dass seine gesamte Theorie einen solchen Schluss ursprünglich zu umgehen bemüht war. Seine gesamte Geschichte der Wichtigkeit kultureller Weitergabe und der Entwicklung des menschlichen Denkens hinsichtlich der Entwicklung von Sprache und Kommunikation ist ursprünglich gegen starke nativistische Positionen gerichtet und unser Vorschlag lautet daher, dass es auch hinsichtlich des prosozialen Verhaltens bzw. echter Kooperativität nicht nur keinen zwingenden Grund gibt, nativistisch zu argumentieren, wenn man Kooperation in den oben angeführten Begriffen einer Praxis und den Prinzipien der individuellen Funktionalität von Handlungen und der intrinsisch positiven und mithin motivierenden Funktionalität von Emotionen erklärt, sondern dass dieses Gegenargument vielmehr auch für die Kohärenz der tomaselloschen Position nur von Vorteil sein kann. Die von Tomasello angeführten Argumente und Studien, die er für die Postulierung

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der natürlichen Grundlage von echter Kooperationsfähigkeit bei Menschen benutzt, können, so wollen wir nahelegen, ebenso gut in rein empiristischer Manier erklärt werden. Auch das Argument, „parental encouragement did not affect the infant’s behavior at all; they helped the same amount with or without it” 304

gibt keinen guten Grund für die Vermutung ab, dass Kooperation eine natürliche Fähigkeit ist. Ebenso verhält es sich mit dem overjustification effect, 305 der sich bei den von Tomasello durchgeführten Versuchen darin niederschlug, dass bei wiederholter Bestätigung von prosozialen Aktivitäten, ab einem gewissen Grad der Wiederholung dieser Bestätigungen, eine Abnahme der Tendenz zu prosozialem Verhalten zu beobachten ist. Zu bedenken ist hier, dass das Vorhandensein des erwähnten Effekts nicht anzeigt, dass die verdrängte intrinsische Motivation natürlich wäre. Zumindest dann nicht, wenn man behauptet, dass Kooperation kein weiteres Motiv benötigt, sondern an sich motivatorisch funktioniert. Viel einleuchtender ist hier die Differenzierung zwischen den motivierenden Eigenschaften von Emotionen, die als angenehm oder unangenehm empfunden werden und den durch sie motivierten Handlungen bzw. dem durch sie motivierten Verhalten eine systemintrinsische Funktionalität zuweisen. Die intrinsisch motivationale Funktionalität von Emotionen bildet die Grundlage für die empiristisch zu erklärende Fixierung von kooperativem Verhalten als durch eine Praxis emotional positiv markiert. 306 Man begeht einen Fehlschluss, wenn man das, aus einer Dritte-PersonPerspektive beobachtete Verhalten bzw. Handeln zugeschriebenermaßen als kooperativ einstuft, um diese Kategorisierung in die Motivation des beobachteten Wesens zu importieren, um dann zu behaupten, das zugeschriebene Prädikat wäre das Prinzip der Handlung an und für sich. Die Rückschlüsse von standpunkt- und wissensrelativen Beobachtungen auf die Natur der Dinge müssen sich an den Bedingungen orientieren, die 304 305

306

Tomasello 2009a: 8 zu deutsch: Korrumpierungseffekt, der die Abnahme einer Verhaltenstendenz bei wiederholter Belohnung beschreibt. Wobei die betreffende Handlung zuvor freiwillig vollzogen wurde. Man geht dabei davon aus, dass die ursprünglich intrinsische Motivation durch die extrinsische Belohnung verdrängt wird und so das vormals intrinsische Motiv bei Entzug der extrinsischen Motivation nicht mehr hinreichend stark ist, um eine Handlung zu initiieren. auch hier denken wir natürlich an David Hume

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diese Natur vorgibt, und das Grundprinzip biologischer Systeme ist zunächst einmal sich selbst zu erhalten, so dass auch die Prädikation eines Verhaltens als kooperativ zunächst innerhalb dieses Erklärungsrahmens sinnvoll sein sollte. Es ist ein nicht unmöglicher aber doch wesentlich weniger naheliegender Schluss, die Kooperativität selbst bzw. Sympathie als eigenständiges Motiv anzunehmen, auch wenn dies einem zweifellos schönen Gedanken zum Wesen des Menschen entspräche. Eine Handlung, die innerhalb eines Versuchs als bestätigend eingestuft wird, kann auf erster-Person Ebene, je nach Erfahrungshintergrund des jeweilig untersuchten Systems, zu unterschiedlichen emotionalen Effekten führen, die in der zur Diskussion stehenden Zeitspanne, bis zum achtzehnten Monat, so ziemlich die einzigen primär handlungsanleitenden Faktoren sind. Dass es so etwas wie einen overjustification effect gibt, kann ebenfalls über die Individualfunktionalität beschrieben werden. Denn dadurch, dass die Redundanz eines betreffenden Stimulus für gewöhnlich zu einer Abnahme der Intensität der hervorgerufenen Emotionen führt, ist auch das weniger kooperative Verhalten bei redundanter Bestätigung als Konsequenz eines solchen Stimulus zu erklären, der durch sein redundantes Auftreten an Relevanz und damit auch an emotionalen und motivatorischen Konsequenzen verlieren muss, so dass andere und mithin gegenteilige Motive in den Vordergrund rücken. Es ist nicht verwunderlich, dass auch dies ein individualfunktionaler Adaptionsprozess ist, indem er den Weltbezug und das Handeln für das System, im Rahmen der Bedingungen, denen dieses System unterliegt, maximal ökonomisch gestaltet. Es sind eben nicht die dritte-Person Bedingungen, die aus einem betreffenden Verhalten abgeleitet werden, sondern wie es für das System selbst ist – die erste-Person Signifikanz, also die individualfunktionale Beschreibung, die hier zu richtigen Schlüssen führt. Unser Schluss lautet also, dass die von Tomasello angeführten Argumente zur echten Kooperation durchaus auch in Begriffen einer empiristischen Theorie der Internalisierung von Normen erklärt werden können und sollten. Beachtet werden sollte innerhalb dieser Erklärung allerdings auch: Die Norm wird dabei nicht als Norm internalisiert (dazu wird sie erst in der dritten-Person Beschreibung), sondern nur als Verhaltensroutine, die zu emotional positiven oder negativen Resultaten führt. Das Einzige, was auf erster-Person Ebene vorhanden ist, ist Erfahrung von Repräsentationen und den damit verbundenen Emotionen, die in Prozessen der Analogiebildung je eigenes Handeln anleiten. Vor dem Hintergrund der weiter oben ausgeführten Probleme hinsichtlich der Annahme, echte Kooperations-

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fähigkeit wäre angeboren, sollte eine Neubewertung der Beobachtungen der betreffenden Studien erfolgen. Dass Affen keine geteilte Intentionalität ausbilden können ist also auch hinsichtlich der Fundierung in der Kooperationsbereitschaft, nach der hier vorgeschlagenen Argumentation, weniger der biologischen Differenz zu uns Menschen geschuldet, als vielmehr den Bedingungen, denen Affen bzw. Menschen in der Ontogenese unterliegen. Unter diesen Bedingungen ist in den ersten Monaten der Ontogenese das Heranwachsen unter prosozial agierenden Wesen der wichtigste. In der späteren Ontogenese, dem later-Dweck Teil, ist es dann zusätzlich die biologische Fähigkeit, sprachliche Handlungen reproduzieren und so in einen Prozess eintreten zu können, der die weitere Entwicklung gravierend von einer Entwicklung, die ohne dieses Mittel auskommen muss, unterscheidet. Dass es sich vermutlich um eine solche Geschichte handelt, belegen auch die Forschungsergebnisse von Sue Savage-Rumbaugh, deren Arbeit mit Bonobos eindrucksvoll zeigt, dass die Entstehung von geteilter Intentionalität empiristisch erklärt werden sollte. Auch der Begriff der geteilten Intentionalität selbst ist als dritter-Person Begriff in diesem Zusammenhang fragwürdig. Es scheint vielmehr eine Frage der ontogenetischen Bedingungen zu sein, denen Affen oder Menschen unterliegen, ob die Fähigkeiten entwickelt werden, die unter diesen Begriff fallen. Ein Mensch würde, unter Bedingungen, unter denen Affen natürlicherweise heranwachsen, sicher ebensowenig kooperative Kompetenzen ausbilden, wie diese Affen selbst. Ein solches Experiment verbietet sich selbstverständlich aus naheliegenden Gründen. Die zahlreichen belegten Fällen von Kindern, die ohne oder nur mangelhaften Kontakt mit Menschen aufwuchsen, der die interkulturell vorhandenen minimalen Normen des prosozialen menschlichen Miteinander zeigen, also ohne eine Praxis, deren prosozialer deontischer Weltbezug sich in den Verhaltensweisen gegenüber dem Kind niederschlägt, weisen hier ebenfalls in die Richtung einer Geschichte, wie wir sie hier vorschlagen. Folgt man der empiristischen Version, dürfte der Grad an Kooperationsbereitschaft, je nach Fall, deutlich von der normal aufgezogener Kinder abweichen. Und so scheint es sich auch zu verhalten, denn die meisten der dokumentierten Fälle liefern tatsächlich Hinweise darauf, dass ihnen, durch einen Mangel an prosozialer Praxis, die Fähigkeit zu altruistischem Verhalten bzw. echt kooperativem Verhalten/Handeln fehlt, was als indirekter Beleg für eine Erwerbstheorie von Kooperationsfähigkeiten spricht. Um die ganze Geschichte etwas abzukürzen, wird also darauf verwiesen, dass alle verfügbaren Berichte über feral children der

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letzten zehn Jahre 307 ähnliche Schlüsse nahelegen, nämlich, dass es eine Sache der Praxis ist, in der ein Mensch aufwächst, ob er prosoziales Verhalten zeigt oder nicht. Dass dieses rudimentäre Lernen der Rolle, die ein Akt im sozialen Gefüge einnimmt, dem konventionellen Gebrauch sprachlicher Strukturen vorausliegt und das Wesen dieser bestimmt, ist ein naheliegender und für unsere Sprachbegriffsdefinition sehr wichtiger Umstand. Der sellars’sche Gedanke, dass es die Normen einer grundlegenden nichtsprachlichen Praxis sind, die den deontischen Status und so die Rolle von sprachlichen Handlungen bestimmten, wird die grundlegende Beschaffenheit der Praxis, die für das Lernen von Sprache und allen unseren Sprachund Kommunikationspraxen verantwortlich ist, näher bestimmen helfen. Das heißt, die Argumentation Tomasellos ist insofern richtig, dass es Kooperation ist, welche den Unterschied zwischen Menschen und Affen in ihrer Fähigkeit zu einer geteilten Intentionalität ausmacht, aber eben nicht, dass die Fähigkeit hierzu dem Menschen angeboren sein muss. Hinzu kommt, dass die Erörterung zur geteilten Intentionalität als Grundlage für Sprache, wie wir weiter oben ausführten, bereits einen konventionalistischen und anthropozentrischen Sprach- und Kommunikationsbegriff voraussetzt. Da wir aber einen explanatorisch reinen Sprachbegriff erst gewinnen wollen, kann uns die zweifelsohne grundlegende Funktion der geteilten Intentionalität für konventionalisierte Kommunikation nicht als Grundlage der Erklärung von Sprachfähigkeiten im Allgemeinen dienen, bevor wir nicht zu einem Urteil über die Grundlage der Verstehensfähigkeiten im Allgemeinen gekommen sind. Die Frage, wie Affen zu geteilter Intentionalität und somit einem hinreichend großen geteilten Hintergrund und, in der Folge, konventionalisiertem Verhalten, kommen, ist eine Frage der Praxis, der sie ausgesetzt sind bzw. eine Frage dessen, was diese Praxis im betreffenden System emotional auslöst. Und diese Betrachtung ist dann eine ontogenetische, die möglicherweise nicht nur auf humane Systeme anwendbar ist. Wir wollen also nun fragen, wie uns die Beobachtungen 307

vgl. Newton, Michael (2002): Savage Boys and Wild Girls: A History of Feral Children. Faber and Faber. London 2002 sowie: Candland, Douglas (1993): Feral Children and Clever Animals: Reflections on Human Nature. Oxford University Press. New York 1993 und Curtiss, Susan (1977): Genie: A Linguistic Study of a Modern-day ‘Wild Child’. New York Academic Press. New York 1977

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Rumbaughs helfen können, zu bestimmen, wie eine alternative Geschichte zu den grundlegenden Fähigkeiten des Verstehens und somit zur Sprachfähigkeit aussehen könnte bzw. ob man nicht auch schon Affen Sprachfähigkeit zusprechen muss, was dann entweder hieße, dass sie zu geteilter Intentionalität fähig sind oder aber, dass geteilte Intentionalität nicht die Grundlage von Sprachfähigkeiten sein kann. Halten wir aber Folgendes erneut fest: es gibt genügend gute Gründe anzunehmen, dass die echte Kooperativität keine angeborene Eigenschaft ist, die dem Menschen ohne Hilfe von Außen zukommt, das heißt, ohne die Hilfe einer bestimmten Art von Praxis. Abgesehen von unserer Problematisierung dieses Aspektes der tomaselloschen Theorie jedoch, ist anzumerken, dass der phylogenetische Entstehungsprozess von menschlicher konventioneller Kommunikation von uns nicht angesprochen wurde, was daran liegt, dass Tomasello hierfür auch eine Variante vorgelegt, die, bis auf den diskutierten Punkt, der Entstehung von echter Kooperation, vollkommen schlüssig erzählt – nämlich über geteilte Intentionalität und Gesten. Diese Geschichte ist allerdings für unsere Frage nach der Natur von Sprache wesentlich weniger interessant als die Frage danach, ob die grundlegende Verstehensfähigkeit, die zum Verstehen von kommunikativen Handlungen nötig ist, mit dem Verstehen intentionaler Akteure oder mit dem rekursiven Verstehen der Intentionen beginnt. 6.8 Sprachverstehen und geteilte Intentionalität bei Bonobos Die Frage, ob Affen Sprachfähigkeiten besitzen, ist vom Lager um Tomasello also unlängst negativ beantwortet worden, da die von ihnen untersuchten Schimpansen nicht die Fähigkeit zu besitzen scheinen, so etwas wie geteilte Intentionalität zu entwickeln, die über geteilte Aufmerksamkeit hinausgeht. Tomasello begründete diese Feststellung damit, dass die untersuchten Affen, im Gegensatz zu Menschen, nicht mit der natürlichen Fähigkeit ausgestattet seien, echt kooperativ zu agieren. Diesen letzten Punkt hatten wir in Zweifel gezogen, ebenso wie die Aussage, Sprachfähigkeit begänne mit geteilter Intentionalität. Die Zweifel, die wir bisher anführten, wurden dabei von uns des Öfteren mit einem Verweis auf die Forschungsergebnisse Sue Savage-Rumbaughs versehen. Die Beobachtungen, die ihre Forschergruppe im Georgia State University's Language Research Center sowie dem Great Ape Trust in Iowa an den dort lebenden Bonobos machte, sind mehr als aufschlussreich, wenn es um die Frage geht, ob Affen Sprachfähigkeiten besitzen. Aus

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diesem Grund wollen wir nun auf diese zu sprechen kommen, um zu einem Urteil darüber gelangen zu können, wo die Grundlage des Sprachverstehens nun schlussendlich liegt und ob diese auch bestimmten Affenarten eigen ist. Dazu sollten wir zunächst ein paar Worte über das betreffende Projekt verlieren. Rumbaughs bevorzugtes Untersuchungsobjekt, der Bonobo Kanzi, ist, ob seiner Fähigkeiten zu weltweiter Bekanntheit gelangt. Weshalb Kanzi? Der besagte Bonobo wuchs in der besonderen Umgebung der besagten Forschungseinrichtungen auf, welche insbesondere darin bestand, dass diese Affen in einem relativ ‚normalen‘, pro-sozialen Umgang für und mit Menschen aufwuchsen. Zunächst war es allerdings die Mutter Kanzis, die im Fokus der Untersuchungen der Wissenschaftler stand. Ihr versuchten die ausführenden Mitarbeiter den Gebrauch von Lexigrammen zu lehren, wie dies auch schon in einigen Studien zuvor an anderen Menschenaffen geschehen war. All dies mit recht wenig erfolgt, 308 wie auch in all den anderen bis dahin erfolgten Studien. Bis der Tag kam, an welchem die Mutter des damals zweieinhalbjährigen Kanzi für eine gewisse Zeit in ein anderes Institut überstellt wurde und die einzigen Bezugspersonen die Wissenschaftler selbst waren. „To everyone’s astonishment, on the first day of Matata’s absence, Kanzi produced 120 utterances using twelve different symbols […] Kanzi had been keeping a secret, he had learned these words all along”309

In der Folge dieser Beobachtungen wurde Kanzi schnell das bevorzugte Objekt der Forschungen der beteiligten Wissenschaftler. Der 1980 in Gefangenschaft geborene Kanzi hatte die Fähigkeit erworben, über Lexigramme syntaktisch strukturiert zu kommunizieren. Die Benutzung der auf einem Keyboard befindlichen Lexigramme, welche bei Berührung die korrekte Vokalisation des jeweils damit in Zusammenhang stehenden englischen Wortes produzieren, hatte er ohne jeden didaktischen Aufwand seitens der Wissenschaftler gelernt. Er hatte auch gelernt Worte und Sätze zu verstehen, deren Inhalt ihm nicht durch Abrichtung bzw. Belohnung oder ähnliche verstärkende Elemente antrainiert wurde, sondern gewissermaßen auf natürlichem Wege, allein durch Exposition. Seine Verstehensfähigkeiten sind derart groß, dass er in einem Test, den er in

308 309

Savage-Rumbaugh et al. 2001: 17 ff. Savage-Rumbaugh et al. 2001: 22

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einem Alter von 9 Jahren absolvierte, auf 660 syntaktisch komplexe, indikative und interrogative Äußerungen, die über einen Lautsprecher ausgegeben wurden, zu 72 Prozent adäquat reagierte. Diese Äußerungen bzw. die adäquate Reaktion auf dieselben wurden ihm vorher nicht beigebracht. Es handelte sich dabei um Sätze wie: „Pour the coke in the lemonade!“ oder „Can you put the bunny on your head?”, die, in dieser Art, ihm gegenüber, wir wiederholen, niemals zuvor geäußert worden waren. 310 „Sometimes Kanzi responded to some of the sentences in a most unexpected manner, but one that was nonetheless correct. For example, when I asked him to “put some water on the carrot,” he tossed the carrot outdoors. At first I thought this was a mistake until I reflected on the fact that it was raining heavily at the moment, and tossing the carrot out into the rain was certainly a satisfactory means of getting it wet.” 311

Kurzum, Kanzi hat es gelernt, Sprache bzw. Sprachprodukte zu verstehen, wie auch menschliche Kleinkinder, allein durch Exposition. Weitere Tests bestätigten diese Ergebnisse. Dass er dieses Verhalten zeigt, beruht nicht auf Abrichtung, sondern einzig darauf, dass er dem Gebrauch von bestimmten Sprachhandlungen ausgesetzt war. Wie ist das aber mit der These vereinbar, dass Affen entweder nicht hinreichende cerebrale Voraussetzungen mitbringen oder aber die betreffende Kooperationsfähigkeit, die zum Ausbilden geteilter Intentionalität nötig ist, nicht besitzen sollen? Bevor man hier Vergleiche anstellt, sollte man natürlich zugestehen, dass die besagten Tests allesamt in einem Alter Kanzis stattfanden, das bereits weit über dem von Kleinkindern lag, mit dem man die gezeigten Fähigkeiten vergleichen kann, was allerdings einzig auf eine sich etwas weniger schnell entwickelnde Leistung des kognitiven Apparates hinweist. Weitere offenbare Abweichungen zwischen Kleinkind und Kanzi nahmen sich folgendermaßen aus. So ist etwa in einem Vergleich zwischen Kanzi und einem zweieinhalbjährigen Mädchen namens Alia Folgendes dokumentiert: „Kanzi did not get every sentence correct, but he was able to properly carry out 72 percent of the requests. […] Alia responded appropriately to 66 percent of the sentences.” 312 310

Savage-Rumbaugh et al. 2001: 68 ff. Savage-Rumbaugh et al. 2001: 69 312 Savage-Rumbaugh et al. 2001: 69 311

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„In instances where an ape does not perform as well as a child, the difficulties seem to reside either in the ape’s failure to comprehend the semantic content of words – for example , ”trash can,” – or in a failure to hold in short-term memory a list of unrelated items” 313

Dass es eine Frage des repräsentationalen Gedächtnisses sein würde, welche den Unterschied zwischen Wesen mit Bewusstsein vierter Stufe macht, hatten auch wir in den Betrachtungen zur Beschaffenheit des repräsentationalen Bewusstseins nahegelegt. Neben dem Auftauchen von mehreren Objekten in Sätzen, die offenbar ein mnematisches Problem für Kanzi darstellen, gab es in den vollzogenen Versuchen allerdings keine Hinweise darauf, dass Kanzi Probleme im Verstehen von sonstigen, syntaktisch kodifizierten Relationen oder Informationen bezüglich der Intentionen dieser Äußerungen hat. „The fact that Kanzi found grammatically difficult sentences easier to respond to than simple ones suggests that, contrary to the expectations of linguists, structural relationships between words helped Kanzi to decode the speaker’s intent.” 314

So hatte er auch keinerlei Probleme mit eingebetteten syntaktischen Strukturen, bei denen ein Satzglied ein anderes näher bestimmt. „Linguists maintain that only human beings are able to process symbolic information that is structured in such a complex interdependent manner. Kanzi, however, did quite well on such sentences. In fact, he responded correctly to 77 percent of the sentences presented with this structure” 315 „The assumption that only human beings can understand complex structural and categorical relationships clearly deserves reevaluation in light of Kanzi’s ability to understand such sentences.” 316 „Had Kanzi been exposed to another language, and had his listeners been speakers of a language that used another means of indicating grammatical relationships, Kanzi probably would have adopted a different grammatical device.“ 317

Das Beobachtete lässt nun zwei Schlüsse zu. Entweder Kanzi hat tatsächlich die Fähigkeit Sprache zu verstehen oder aber, er führt nur einen ungeheuer komplexen Trick aus. Die Meinung, Affen und auch andere Tieren würden nur Tricks ausführen, die auf der ein oder anderen Form von Konditionierung beruhen, wenn sie adäquat auf die mit Sprachhandlungen 313 314 315 316 317

Savage-Rumbaugh et al. 2001: 73 Savage-Rumbaugh et al. 2001: 72 Savage-Rumbaugh et al. 2001: 72 Savage-Rumbaugh et al. 2001: 72 Savage-Rumbaugh et al. 2001: 49

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ausgedrückten Intentionen reagieren, kommt natürlich typischerweise von Vertretern eines anthropozentrischen Sprachbegriffs (wie Pinker, Chomsky, Fodor oder auch Jackendoff). Als Vertreter einer Theorie distinkter angeborener Sprachfähigkeit, wie dies etwa bei den Universalgrammatikern der Fall ist, ist man gewissermaßen gezwungen davon auszugehen, es wäre ein sehr kompliziertes Kunststück, das hier vollzogen wird oder aber man spricht die angeborenen Fähigkeiten, Module oder Kompetenzen in irgendeiner reduzierten Version auch Affen zu, was aber genau dann ein Problem ergibt, wenn man erklären will, weshalb diese kognitive Struktur nicht auch ohne menschlichen Kontakt zur Entfaltung gelangt. Wir haben hier also ein Problem, ähnlich dem der angeborenen Kooperativität. Zumal es ein tolles Kunststück sein müsste, das jedem Menschen in seiner Komplexität zu Ehren gereichen würde, welches Kanzi da vollzieht.318 Es scheint wenig einleuchtend anzunehmen, es wäre ein trainiertes Stück oder eine vollständig determinierte Reaktion auf Intonation oder eine Nachlässigkeit in der Untersuchungsmethode des betreffenden Forscherteams, das hier zur Beobachtung linguistischen Verhaltens bzw. Handelns führt. Der Fluchtpunkt Nativismus ist eine schlechte Wahl, wenn man in Betracht zieht, was dieser Affe kann, auch wenn das heißt, hoch errichtete Lehrgebäude in ihren Fundamenten in Frage zu stellen. Zusätzlich sollte man ebenfalls beachten, dass Kanzi nur der Erste in einer Reihe von Affen ist, an dem diese Fähigkeiten bis dato beobachtet wurden. Auch die anderen in den benannten Einrichtungen von Geburt an aufgezogenen Bonobos zeigen ähnliche Entwicklungsverläufe und zum Teil noch größere Fähigkeiten sowohl hinsichtlich Produktion als auch Verstehen von syntaktisch komplexen sprachlichen Handlungen. Was ist der Unterschied zu den zahlreichen Affen, die in Gefangenschaft und unter Exposition von sprachlichen Handlungen aufwachsen, ohne die besagten Fähigkeiten auszubilden? Es scheint, schlicht und einfach, die Integration in eine menschliche Gruppe zu sein, die menschliche prosoziale Bedingungen schafft, die auch die Behandlung als vollwertige Person umschließen, wie darauf aufbauend, eine ständige Interaktion mit sprachlichen Handlungen. Diese besonderen Bedingungen, die denen einer normalen menschlichen 318

vgl. zur positiven Evaluierung der Sprachfähigkeiten unter linguistischen Gesichtspunkten: Segerdahl, Per et al. (2005): Kanzi’s Primal Language: The Cultural Initiation of Primates into Language. Pelgrave Macmillan. New York 2005

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Entwicklung äußerst nahe kommen und Möglichkeiten der symbolischen Expression für die Affen beinhalteten, wurde bisher nur von dem Forscherteam um Savage-Rumbaugh über einen ausreichend langen Zeitraum geschaffen. Ob man nun die Frage erörtert, was man diesen Bonobos nun zuschreiben sollte – angeborene Sprachfähigkeit oder erworbene Sprachfähigkeit – dass sie die Fähigkeit zur Sprache besitzen, ist kaum abzustreiten, wenn man das von ihnen dokumentierte linguistische Verhalten im Lichte der Ausführungen zu einer adäquaten Variante des Turing-Tests betrachtet, die in Kapitel fünf ausgeführt wurden. Denn sie zeigen in ihrem Verhalten alle Anzeichen eines auf Verstehen basierenden Handelns, dass also das Verstehen von Intentionen von Sozialpartnern, eingebettete Repräsentation unechter Repräsentationen vierter Bewusstseinsstufe ebenso wie ein nur mittelbar individualfunktionales Agieren hinsichtlich dieses Verstehens, das in Begriffen der Kooperation beschrieben werden kann, beinhaltet: „Nevertheless, there can be no doubt that Kanzi attributes intentions and feelings to others and that he recognizes the need to communicate things about his own mental state to others. From his early gestural communications, like asking me to make his own mother permit him to nurse, to his present ability to tell me where the ball is hidden or that he has a sore throat, Kanzi’s communications are inevitably characterized by a desire on his part to get an intentional message across.” 319

Anstatt aber nur kooperativ zu interagieren, zeigte Kanzi sogar, dass er die deontischen Status seiner Handlungen für andere Sozialpartner versteht: „When the lexigrams “good“ and “bad“ were first placed on Kanzi’s keyboard I did not think that he would use them frequently, or with intent. […] To my surprise, Kanzi was intrigued with these lexigrams and soon began using them to indicate his intent to be good or bad, as well as to comment on his previous actions as “good” or “bad”. When he was about to do things that he knew we did not want him to do, he started saying “bad, bad, bad” before he did them” 320.

Unvoreingenommen würde man hier genötigt sein, die Tatsache, dass dieser Affe, als erster in einer Reihe weiterer Exemplare, die Schwelle zum Sprachverstehen und zu einer Form der Sprachproduktion durchbrochen hat, für hinreichend erwiesen anzusehen, auch wenn es sich bei dieser Beobachtung nur um eine Routine handeln könnte, die kein Verstehen einschließt. 319 320

Savage-Rumbaugh et al. 2001: 56 Savage-Rumbaugh et al. 2001: 52

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Aber eben dieses Argument des komplizierten Tricks sollte man generell nicht gelten lassen, 321 weil jeder von uns beobachtete Mensch dieses Arguments zufolge jemand sein könnte, der nichts von dem wirklich versteht, was er tut – eine Hülle, die nur nach einer Routine handelt. Wir haben hier also wiederum einen skeptischen Einwand der klassischerweise aus der Bewusstseinsphilosophie stammt und der einmal mehr die Frage nach der Sprache in Abhängigkeit zur Frage nach dem Bewusstsein an sich darstellt. Der Skeptizismus gegenüber dem wirklichen Verstehen von Tieren ist nämlich eine Variante des Problems der philosophischen Zombies, nur eben nicht hinsichtlich qualitativer Erfahrungen, sondern hinsichtlich Verstehen im Allgemeinen und Sprachverstehen im Besonderen. Das skeptische Argument besteht in diesem Fall darin, dass es möglich ist, dass ein Wesen auf bestimmte akustische Sprachprodukte so reagiert, wie man es aufgrund der Intention, die die Bedeutung dieser Sprachprodukte bestimmt, erwarten würde, ohne dass es tatsächlich irgendeine Art von Verstehen gibt, das die Handlungen dieses Wesens anleitete. Die Frage, die sich also stellt, ist folgende: Ab wann ist eine Routine so differenziert, dass der Trick nicht länger nur ein Trick sein kann? Ab wann ist das beobachtete Verhalten echtes Handeln, das auf echtem Verstehen basiert? Die Fragen, die hier gestellt werden, sind im Grunde die gleichen Fragen, die wir auch stellen müssen, wenn wir über die Stichhaltigkeit des Turing-Tests reden, da es im Prinzip das gleiche skeptische Argument ist, mit dem die Beantwortung der Frage nach mentalen Zuständen in Zweifel gezogen wird: die Unzulänglichkeit jedes Schlusses von Verhalten auf innere Zustände. Das Problem, wann wir berechtigterweise von bestimmten mentalen Zuständen sprechen können und wann nicht, ist also solange unmittelbar an die permanente Unterbestimmung der angebbaren Bedingungen geknüpft, die zu einem bestimmten mentalen Zustand führen können, wie wir kein neuronales Korrelat desselben vorweisen können. Leider ist aber die bloße Möglichkeit einmal eine hinreichend große Menge an 321

Chomsky hat unrecht, wenn er behauptet, es könne keine vernünftige Debatte zu diesem Thema, der Zuschreibung von Denk- und Sprachfähigkeiten, geben, denn es gibt die erwähnten guten Gründe sich für oder gegen die Zuschreibung dieser Fähigkeiten zu entscheiden. Und er hat ganz sicher ebenfalls unrecht, wenn er behauptet, dass es nur individuelle statt objektiver Entscheidungen für oder gegen die eine oder andere Position geben könne. Vgl.: Chomsky 2000: 116

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Bedingungen anzugeben wiederum allein den Spielarten des Materialismus vorbehalten, nach denen Bewusstsein und somit auch Verstehen als Resultat von natürlichen Gegebenheiten verstanden werden, ohne die funktionalen Aspekte des Bewusstseins und des Verstehens zu verneinen, wie dies beispielsweise im Epiphänomenalismus der Fall ist. Die Frage, wann Sprachfähigkeit vorliegt, fällt partiell mit der Frage in eins, wann Bewusstsein vorliegt bzw. ab wann es gerechtfertigt ist von mentalen Zuständen zu sprechen. Wenn wir diese Frage abseits von Diskussionen über Zombies und Sumpfmänner stellen, bekommt sie eine gänzlich neue Richtung. Denn wenn es biologische Systeme sind, über die wir reden, können wir natürlich von bestimmten Annahmen genau dann ausgehen, wenn wir es für richtig erachten, dass beispielsweise die Naturgesetze und auch die Regularitäten der Evolution in Onto- und Phylogenese allgemein zutreffend sind. Die Entscheidung, diese nicht als bestimmende Elemente weiterer Betrachtungen gelten zu lassen, kann nur auf drei Weisen begründet werden. Entweder man hält sie für falsch, was für die meisten Theoretiker sicher nicht zutreffen wird oder: Man unterstellt eine Art naturalistischen Fehlschluss, nach dem man nicht berechtigterweise von den Regularitäten der Vergangenheit darauf schließen dürfe, wie sich etwas in Zukunft verhalten sollte, was wir aber de facto permanent tun, wenn wir innerhalb der Verhaltensbiologie oder Psychologie funktionalerweise mit diesen regelmäßig auftretenden Phänomen prognostisch arbeiten. Oder aber: Man hält sie für richtig, aber für konfligierend mit den bisher favorisierten theoretischen Grundlagen des Theoretikers. Wenn man sie aber für richtig hält, dann, so sollte man feststellen dürfen, sind sie doch wohl auch hinsichtlich jeder Erörterung über die Beschaffenheit von biologischen Systemen in irgendeiner Art und Weise relevant, vor allem aber dann, wenn es um die Erörterung des Status von Verhaltensweisen geht. Eine ganz andere Frage ist es, ob es mit den aus materialistischen bzw. in diesem Fall natürlichen Systemen Probleme gibt, die einer Beantwortung harren. Bedenken wir doch Folgendes: Die Regeln und Regelmäßigkeiten der Naturwissenschaften geben an, unter welchen Bedingungen die in Frage stehenden Systeme entstanden sind und funktionieren, und dies mit derart verblüffender Genauigkeit, dass es schon viel guten Glauben braucht, die Evidenzen ihrer Beschreibung zu ignorieren. Sollten diese Beschreibungen aber dann nicht auch die Grundlage für die Bestimmung von Eigenschaften und Verhaltensweisen dieser Wesen bilden, also auch dann, wenn wir darüber sprechen, was sich hinter den Begriffen des Denkens und Fühlens,

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des Verstehens und der Sprache verbirgt. Wittgenstein hat in Über Gewißheit geschrieben, es müsse ein Ende alles Begründens geben, denn ein Zweifel ohne Ende nicht einmal mehr ein wirklicher Zweifel sei. 322 Eine Einsicht, die man auch auf den Skeptizismus anwenden könnte, der die Beobachtung von Verhalten nicht als hinreichend annimmt, um auf mentale Tatsachen schließen zu können, denn dieses Ende schließt auch ein Ende des beantwortbaren Zweifelns ein. Auch wenn keiner von uns einen Beweis hat, dass es sich bei den Menschen um uns nicht um Zombies handelt, so werden wir dies zwar weiterhin für möglich, aber doch nicht für pragmatisch sinnvoll erachten und so diesen Gedanken bald wieder verwerfen. Tatsächlich werden wir jemanden, der seine Mitmenschen als geistlose Hüllen betrachtet, sicherlich sogar in eine Heilungsanstalt überweisen wollen. Und um was zu heilen? Nicht einen gerechtfertigten Zweifel, sondern seinen pathologischen Gedanken, man könne vom Verhalten seiner Mitmenschen nicht darauf schließen, dass diese ein Innenleben haben, das ihrem Verhalten entspricht. Wenn wir bestimmen wollen, ob es sich bei einem biologischen System um ein System handelt, das versteht, so sollten wir auch hier daran glauben dürfen, dass es sich um ein solches System handelt, wenn gewisse empirische Kriterien erfüllt sind. An diesem Punkt in der Untersuchung noch zu zweifeln ist zwar logisch möglich, aber pragmatisch nicht sinnvoll, bis uns ein Datum vorliegt, das den empirischen Schluss in Zweifel zieht. Ebenso wie man von irgendeiner Form des Realismus ausgehen muss, wenn man den Naturwissenschaften ernsthaft zu vertrauen gedenkt, so ist man eben auch genötigt, die Eigenschaften und das Verhalten von biologischen Systemen in ihrer Resultativität und Funktionalität anzuerkennen, wenn man fürderhin annimmt, dass die Daten der Naturwissenschaften hinsichtlich der Bedingungen, denen wir als biologische Systeme unterliegen, richtig sind und also den allgemeinen Rahmen unserer Weltbeschreibung bilden. Die Frage, ob das Verhalten, das ein biologisches System zeigt, auf bestimmten mentalen Zuständen bzw. Verstehen beruht, ist, nach dem heutigen Diskussionsstand, nicht logisch letztbegründet beantwortbar, solange man nicht das materialistische Argument des neurologischen Korrelats zum jeweiligen mentalen Zustand anführen kann – was man leider nicht kann. Man sollte aber auch ohne dieses Argument nicht in ein 322

vgl. unter anderem: Wittgenstein 1970: § 625

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an Solipsismus grenzendes Zweifeln verfallen, wenn es darum geht, eine Frage zu beantworten, die wir implizit jeden Tag hinsichtlich natürlicher Wesen beantworten. Dass wir unsere Mitmenschen trotz ihres Verhaltens als intentionale Akteure verstehen, die Handlungen aufgrund von einer Art Weltverstehen vollziehen, anstatt sie für Zombies zu halten, sollte uns zunächst zu dem Schluss hinreichen, dass auch Kanzi ein intentionaler Akteur ist, der auf Grundlage von echtem Verstehen und Sprachverstehen handelt. Es ist zu bedenken, dass es ein wirklich fantastisches Kunststück wäre, auf 660 Sätze, von denen die meisten im betreffenden Versuch nur einmal formuliert wurden, zu 72 Prozent der ihnen unterliegenden Intention entsprechend angemessen zu reagieren. 323 Man sollte den anthropozentrischen Fehlschluss erkennen, der uns davon abhält, hier mit gleichen Maßstäben zu messen. Wenn man sich nun von den angeführten Gründen gegen den methodologischen Skeptizismus gegenüber einer natürlichen und bei weitem nicht einzigartigen Sprachfähigkeit überzeugen lässt, dann dürfte es nicht schwer sein, zuzugestehen, dass Affen erworbene Sprachfähigkeiten besitzen, wenn diese Affen intentionale syntaktische Strukturen erkennen und produzieren können. Dies wiederum ist natürlich nur möglich, wenn man zugibt, dass es sich in den von Rumbaugh vorgetragenen Beobachtungen um Tatsachen handelt, die eindeutig dafür sprechen, dass es sich im Verhalten dieser Affen auch um echtes Handeln auf der Grundlage von Verstehen handelt. Auch dieses Problem ist also ein Problem der Perspektiven. Die endgültige Beweiskraft besitzt an dieser Stelle nur der Nachweis echten Verstehens auf erster-Person Ebene, zu der wir als beobachtende Subjekte keinen Zugang haben. Ganz im Unterschied zu den Erörterungen zur Intentionalität und einem Minimalverständnis des repräsentationalen Bewusstseins ist die Frage hier genau umgekehrt hinsichtlich der Perspektivenproblematik zu beantworten. Während dort das Problem so beschaffen war, dass es problematisch ist, erste-Person Tatsachen des Bewusstseins aus einer Dritte-Person-Perspektive zu beschreiben, wodurch einige Bewusstseinstatsachen intentional beschreibbar werden, die es im unmittelbaren Erleben nicht sind, ist hier das Problem, dass wir hier zunächst ausschließlich aus dritter-Person Perspektive schließen können, ob ein bestimmtes Verhalten auf bestimmten mentalen Zuständen oder Prozessen beruht. Wenn man diesen Schluss dennoch vollzieht, ist dies 323

Savage-Rumbaugh et al. 2001: 68 ff.

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dann nicht ein Zugeständnis an eine anthropozentrische Grundlage der Erklärung mentaler Zustände von Tieren in phänomenologischen Begriffen, da man von den eigenen, auf erster-Person Ebene vorhandenen Bewusstseinstatsachen ausgeht? Nein, ist es nicht. Denn wenn wir die Grundlage dieser phänomenologischen Begriffe hinsichtlich ihrer biologischen Funktionalität und phylo- wie ontogenetischen Resultativität schildern, ist die Grundlage nicht länger der Mensch bzw. das Bewusstsein des Menschen an sich, sondern die den natürlichen Regularitäten und Gesetzen entsprechende Beschreibung dieser, die als solche Teil einer umfassenden Beschreibung der Natur als Ganzes sind und keine Absolutsetzung des menschlichen Bewusstseins. Dass die beschriebenen mentalen Tatsachen auch hinsichtlich des Verhaltens von Tieren angewandt werden können, zeigt sich demnach in der Beschreibung der betreffenden Teile des Bewusstseins und des Verstehens als evolutionärem Endpunkt: als Teil funktionalistisch und resultativ zu beschreibender, bedingungsgemäßer Entwicklungen, die nicht durch einen nativistischen Hiatus explanatorisch voneinander getrennt, sondern durch ein naturalistisches Prinzip miteinander verbunden sind. Dass Affen unter ähnlichen ontogenetischen Bedingungen wie Menschen in der Lage sind, Sprachfähigkeiten zu entwickeln, stützt die empiristische Erklärung des Spracherwerbs, also der Resultativität der Sprachfähigkeiten auf Grundlage von systemexternen Bedingungen. Hinsichtlich der Entstehung von Bewusstseinsformen sind allerdings die systeminternen Faktoren, die Faktoren der biologischen Beschaffenheit offensichtlich ausschlaggebend. Niemand bezweifelt, dass es eine bestimmte genetische Grundlage geben muss, um das cerebrale Potenzial zu entwickeln, auf dessen Grundlage sich Sprachentwicklung vollziehen kann. Dass die tabula rasa bestimmten Kriterien genügen muss, damit auf ihr ein geeigneter Abdruck zurückbleibt, welcher als Grundlage des Handelns von Lebewesen dienen kann, ist keine Frage. Wenn aber zwei biologische Systeme derart ähnlich sind, wie die Vertreter der Familie der Hominidae, so ist anzunehmen, dass sich die möglichen Bewusstseinsformen, abhängig von den externen Bedingungen der Ontogenese, sehr stark ähneln, was wiederum auf das Zugeständnis hinausliefe, dass über den Zweifel hinaus, gute Gründe existieren, anzunehmen, dass das Verhalten Kanzis auf echtem Verstehen beruht und also Sprachverhalten eben nicht nur einen besonders klugen Trick darstellt. Unserem gesamten Argument hierzu liegt also allgemein die leicht nachvollziehbare Einsicht zugrunde, dass theoretisch gleiche Bedingungen gleiche Ergebnisse hervorrufen werden.

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Im Besonderen zeigt sich dies eben daran, dass die Änderung der Bedingungen unter denen die Entwicklung eines Bonobos abläuft, dazu führen kann, dass dieser Sprachfähigkeiten ausbildet. Der in diesem Zusammenhang naheliegende skeptische Einwand, das Verhalten von Affen könne stets in nicht-linguistischen Begriffen erklärt werden, ist ebenso obsolet, solange man das Handeln und Verhalten von Menschen bereits im weiteren Rahmen seiner biologisch bzw. natürlichen Bestimmung erklärt und erst in dieser Hinsicht mit dem Verhalten von Menschenaffen vergleicht bzw. das offensichtliche erkennt: das alles linguistische Verhalten nicht-linguistisch erklärt werden kann. Sollten wir also gemäß des Verhaltens von Bonobos, welches die Forschergruppe um Savage-Rumbaugh dokumentiert hat, annehmen, dass Affen sprachliche Handlungen verstehen? Und sollten wir annehmen, dass der dokumentierte Umgang mit Symbolen sprachliche Handlungen darstellt? Was bedeutete dies für die Frage nach den Grundlagen der Sprachfähigkeiten? Auch wenn wir kein logisch letztbegründetes Argument vorweisen können, das zweifelsfrei belegt, dass das Verhalten der oben beschriebenen Art Handeln darstellt, das in einem Verstehensprozess wurzelt, so ist dieser Schluss doch kaum gefährdet, wie wir gezeigt haben und somit gerechtfertigt. Wenn wir nun also bereit sind anzunehmen, dass Affen oder zumindest Bonobos im Zuge ihrer ontogenetischen Entwicklung fähig sind, sowohl produktive wie responsive Sprachfähigkeiten auszubilden, wie ist es dann um die Annahme bestellt, die für Sprachverstehen und -produktion grundlegende Fähigkeit bestünde in einer natürlichen Fähigkeit zur Kooperation, ohne welche kein rekursives Verstehen der Intentionen unter intentionalen Akteuren zur Entstehung von geteilter Bedeutung oder gemeinsamen Zielen führen würde? Es gibt zwei Antwortmöglichkeiten: Entweder man spricht den besagten Bonobos diese Fähigkeiten zu und ist somit bereit zumindest prinzipiell die Möglichkeit der Entwicklung solcher Fähigkeiten auch bei weiteren Bonobos und womöglich auch anderen Menschenaffen zuzugeben, oder man behauptet, dass das dokumentierte Verhalten etwas anderes zeigt als Sprachfähigkeiten, ob man dazu nun geteilte Intentionalität bzw. echt kooperatives Verhalten zählt oder nicht. Im Falle man spricht diese Fähigkeit zu, so ist man natürlich zudem auf die Feststellung festgelegt, dass echt kooperative Einstellungen ein Resultat der systemexternen Bedingungen ist und damit kein nativistischdemarkatives Merkmal des Menschen im Gegensatz zu anderen Vertretern der Hominidae. Im Falle man entschiede sich aber für die zweite Version und man spricht Bonobos keine Sprachfähigkeiten zu, würde man also

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genötigt sein, das in Frage stehende Verhalten anders zu erklären als in Begriffen einer kooperativen Tätigkeit. Welche Rückschlüsse lässt in diesem Zusammenhang die Tatsache zu, dass diese Bonobos Sprachfähigkeiten erworben haben, und zwar allein dadurch, dass sie in einem prosozialen Umfeld dem Vollzug von Sprachhandlungen ausgesetzt wurden? Wir halten in Anlehnung an Tomasello noch einmal fest, dass es unstrittig ist, dass Hominidae ihre Sozialpartner als intentionale Akteure repräsentieren, die Intentionen der anderen Akteure also durchaus einzuschätzen vermögen. Zudem hatten wir eine Erklärung angeboten, die kooperatives Verhalten in Begriffen der individuellen Funktionalität erklärt und somit echte Kooperativität als etwas darstellt, das nicht an sich gedacht werden sollte, sondern stets auf Grundlage der individuellen Funktionalität. Der natürliche, individualfunktionale Weltzugang eines biologischen Systems mit repräsentationalem Bewusstsein wird unserem Modell nach nur durch bestimmte systemexterne Bedingungen während der Ontogenese zu einem mittelbar individualfunktionalen Weltzugang. Das Agieren hinsichtlich der Ziele anderer Sozialpartner ist nicht angeboren, sondern vielmehr individualfunktional erworben. Hinsichtlich der Ziele anderer zu agieren, mag aus einer eindimensionalen Betrachtung dieses Verhaltens heraus keinen genügend großen Anreiz für das so agierende System haben, also altruistisch erscheinen, aber hinsichtlich des deontischen Status dieser Handlungen sind diese vermeintlich nicht individualfunktionalen Handlungen sehr wohl individualfunktional. Der Schlüssel zum Verständnis dieses Zusammenhanges bildet die Erwartung, die mit einer Handlung unmittelbar einhergeht. Wird eine Handlung vollzogen, ist mit ihr immer die Erwartung einer bestimmten Wirkung bzw. eines bestimmten Resultats verbunden. Dieser Punkt bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung. Im Falle von Handlungen, die in Bezug auf Sozialpartner vollzogen werden, ist die Erwartung, auf deren Grundlage die Handlung vollzogen wird, allerdings von besonderer Bedeutung. Handlungen werden auf der Grundlage der Erfahrung vollzogen, dass man bestimmte Tatsachen der Welt durch die betreffende Handlung verändert. Das intendierte Ziel einer Handlung ist demnach das erwartete Resultat einer Handlung. Welche Handlung adäquat ist, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, ist grundlegend und natürlicherweise zunächst einmal eine Sache der individuellen Möglichkeiten des Agierens und der Erfahrung bzw. der mnematischen Repräsentationen, über die ein System verfügt. Eine Handlung gegenüber einem intentionalen Akteur bzw. Sozialpartner wird, wie alle anderen Handlungen auch, mit einem bestimmten Ziel

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vollzogen und somit einer bestimmten Erwartung. Im theoretischen Falle altruistischen Agierens ist das Ziel zwar immer noch ein Ändern der Tatsachen der Welt, aber wie verhält es sich mit der Erwartung? Bei echt altruistischem Handeln, von dem wir hier annehmen, dass es nicht existiert, müsste das intendierte Ziel auch die Erwartung sein, auf deren Grundlage eine Handlung vollzogen wird. Wenn ich den Kühlschrank öffne, dann tue ich dies in der Erwartung eines individualfunktionalen Resultats, nämlich, um zu erfahren, ob Milch darin ist oder nicht. So verhält es sich mit allen Erwartungen, die Handlungen zugrunde liegen. Sie lassen sich in der einen oder anderen Form auf individualfunktionale Motive zurückführen. Im Falle einer sogenannten echt altruistischen Handlung ist dies aber logisch ausgeschlossen. Das intendierte Ziel der Handlung ist nicht ein individualfunktionales Resultat, das erwartet wird, sondern eine Änderung der Tatsachen der Welt, die für einen Sozialpartner individualfunktional ist. Diese Handlungen, die allein durch das Helfen an sich angeregt sein sollen, müssen demnach durch eine neue ominöse motivatorische Kraft erklärt werden, wie es Tomasello tut. Dies aber ist völlig unnötig, denn es gibt natürlich einen Anreiz für kooperatives Verhalten, nämlich Bestätigung bzw. Belohnung oder aber Sanktionierung hinsichtlich vollzogener Handlungen, die wiederum in bestimmten Emotionen beim handlungsvollziehenden Subjekt resultieren. Die normative Praxis, der ein Mensch oder Affe ausgesetzt ist, entscheidet über dessen Kooperativität, indem sie im jeweiligen Individuum eine Erwartungshaltung generiert, die wiederum Teil der Handlungsanleitung ist. Die weiter oben angeführte Frage, ob die Grundlage der Sprache in so etwas wie echter Kooperation besteht, ist also genau dahin gehend falsch gestellt, dass es so etwas wie echte Kooperativität im Sinne altruistischen Verhaltens gar nicht gibt. Man gibt sich einer zweifellos schönen Illusion hin, wenn man annimmt, dass der Mensch sich durch eine natürliche Fähigkeit zur Kooperation im Sinne altruistischen Handelns vor seinen Verwandten auszeichne – und dies auch hinsichtlich seiner Fähigkeit zur Sprache. Auch kooperatives Verhalten ist individualfunktional. Die Grundlage der Kooperativität und somit auch der Entstehung von geteilter Intentionalität ist auf Grundlage der allgemeingültigen Prinzipien der maximal ökonomischen Verhaltensweisen einzelner Lebewesen zu beschreiben. Das was uns als Kooperativität und Altruismus erscheint, hat immer einen zugrundeliegenden individualfunktionalen Aspekt. Einen besonders guten Grund die nativistische Position einzunehmen gibt es hier also nicht.

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Für den Begriff der Sprachfähigkeit heißt das, Sprachverstehen basiert auf einem Erfahren der deontischen Status der mit sprachlichen Äußerungen vollzogenen Handlungen, nicht einer angeborenen Veranlagung zu Kooperativität. Das Verstehen sprachlicher Handlungen wird zu einem Sonderfall des Verstehens von Handlungen im Allgemeinen bzw. der deontischen Status, die mit einer Handlung verbunden sind. Was Äußerungen und die in diesen Äußerungen enthaltenen Elemente bedeuten können bzw. wie unsere Sprachspiele diese intersubjektive Bedeutungen festlegen, ist immer abhängig von der Praxis, dem größeren deontischen Handlungskontext. Aus diesem Grund schreibt Wittgenstein: „Das Wort Sprachspiel soll hier hervorheben, dass das Sprechen einer Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.“ 324

Die explanatorisch erste Einheit der Beschreibung von Sprachprodukten ist die sprachliche Handlung, deren korrekte Benützung in Bedeutung und Funktionalität in einem sozialen Kontext erworben wird, wie das korrekte nicht-sprachliche Agieren in einem sozialen Gefüge: über eine normative Praxis, die den Handlungen deontischen Status zuweist, deren Internalisierung wiederum individualfunktional für jedes Wesen ist, das sich in Analogie zu seinen Sozialpartnern als intentionaler Akteur begreift, also fähig ist, seine eigenen Ziele und die Anderer zu repräsentieren. Vor dem Erwerb von Sprachfähigkeiten liegt der individualfunktionale Prozess der Konformisierung im Handeln im Allgemeinen. Da aber eine sprachliche Praxis nicht ohne sonstige Handlungen gedacht werden kann, während eine nicht-sprachliche Praxis sehr wohl ohne Sprachpraxis gedacht werden kann, ist die nicht-sprachliche Praxis der sprachlichen Praxis zugrunde zu legen, was heißt, dass die Initiierung von deontischen Status durch nicht-sprachliche Handlungen zu geschehen hat. Dass dies zunächst im Großen und Ganzen eine Sache der Mimesis ist, wurde in den vergangenen Kapiteln immer wieder deutlich gemacht. Bevor das Individuum beginnt, syntaktische Strukturen zu internalisieren und auch dies über deren Funktionalität hinsichtlich der mit ihnen erreichbaren Ziele, ist es hier zunächst der (erfahrene und gefühlte) Status einer Handlung bzw. Verhaltensweise, der in stetiger affirmativer Interaktion innerhalb einer Praxis erworben wird. Dass sich die Grammatiken der uns bekannten Sprachen grundlegend gleichen, also ineinander übersetzbar 324

Wittgenstein 1975: § 23

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sind, liegt nicht daran, dass wir so etwas wie eine Universalgrammatik in unseren Köpfen hätten, sondern daran, dass unser sensomotorisch vermittelter Weltzugang der immer gleiche ist, so sich die biologischen Grundlagen gleichen. Und damit sind die logischen Variablen des Prädikats und des Objekts bzw. Subjekts gemeint. Alle weiteren Entwicklungen der grammtischen Strukturen von Sprachen sind der letzte Schritt in der Entwicklung natürlicher Sprachen. 325 Gleiche biologische Bedingungen führen zu sich gleichenden Bewusstseinsformen und also gleichen systemfunktionalen Weltzugängen.326 Wovon sollten sich unsere Ausdrucksmöglichkeiten, unsere sprachlichen Handlungen ableiten, wenn nicht von der Struktur unseres repräsentationalen Bewusstseins? Es ist nicht etwas bereits Repräsentiertes in unseren Köpfen, sondern die Form des repräsentationalen Bewusstseins, das zu gleichförmigen Verstehensund Produktionsprozessen führt. Dieses repräsentationale Bewusstsein und die aus ihm erwachsende Möglichkeit des Sprachhandelns sind nichts, was vom Menschen ausgehend zu beschreiben ist, da diese nicht allein dem Menschen zukommen, wie wir an den Fähigkeiten von Menschenaffen wie Kanzi erkennen können. 6.9 Die Grundlage natürlicher Sprachfähigkeiten Eingangs hatten wir die Frage formuliert, was Sprache abseits der tradierten sprachwissenschaftlichen Vorstellungen tatsächlich ist. Diese Frage soll nun im Lichte der vergangenen Kapitel einem ersten Beantwortungsversuch zugeführt werden. Eine erschöpfende Beantwortung und Konklusion der Argumente wird hierbei allerdings noch nicht angestrebt, sondern im Schlussteil vollzogen. Wir sind allerdings nun an einem Punkt, an dem deutlich geworden sein sollte, wie wir allgemeingültig und grundlegend von Sprache sprechen können, ohne

325

326

vgl. Givón 1995: 435 ff. sowie: Bickerton, Derek (1990): Language and Species. University of Chicago Press. Chicago 1990, Lieberman, Philip (1984): The Biology and Evolution of Language. Harvard University Press. Cambridge 1984 Die Prädikation ist daher die grundlegende Struktur jeder Sprache und Grammatik (morpho-semantisch), vgl. hierzu zum Beispiel die Grundannahmen der funktionalen Grammatik nach: Dik, Simon (1997): The Theory of Functional Grammar Part 1: The Structure of The Clause (second, revised edition). de Gruyter. Berlin/New York 1997. S. 58 ff.

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einem der erwähnten vier Fehlschlüsse zu erliegen. Wir hatten eingangs für die Position argumentiert, der Begriff der Sprache zerfalle in zwei Bereiche: den der Sprachfähigkeiten und den der Sprachprodukte. Da sich die Sprachprodukte in ihrem Charakter als Sprachprodukte nur im Verstehen zu erkennen geben, hatten wir festgehalten, dass die Sprachfähigkeiten, das Produzieren und das Verstehen für unsere Erörterung von besonderem Interesse sind. Die Charakteristika der Sprachprodukte müssen über die Prozesse des Verstehens und der Produktion erklärt werden bzw. im Rahmen des Gesamtverhaltens eines Individuums in einer Praxis, die sich dem Medium der Sprachprodukte bedient, um bestimmte Zwecke zu realisieren. In diesem Sinne ist Sprache prinzipiell eine Teilmenge eines umfassenderen Kommunikationsbegriffs, welcher wiederum unter einen Verhaltensbegriff subsumiert werden kann. Insofern bestand unsere Annahme fürderhin darin, dass Sprache im Grunde rein biologisch funktional, in naturalistischen Begriffen des Verhaltens bzw. Handelns und seiner Bewusstseinsgrundlagen beschreibbar ist. Resultat war ein Vorschlag einer Erklärung des repräsentationalen Bewusstseins, mit welcher man die Sprachfähigkeiten wie auch das hierfür nötige Bewusstsein an sich konsequent naturalistisch erklären kann. Die explanatorisch vorrangige Erklärung des Verstehens war ein Resultat dieser Erläuterungen. Wie ein solches Verstehen phylo- wie ontogenetisch entstehen konnte, war die konsequentielle Erörterung des hierigen Abschnittes, welche also helfen sollte, zu erkennen, dass die Grundlagen, der für den Sprachbegriff zentralen Verstehensfähigkeiten, nicht nur keine ausschließlich menschliche Bewusstseinsleistungen sind, sondern auch nicht zwangsläufig nativistische Erklärungen benötigen. Im Zuge des vergangenen Kapitels wurde nun die Schlüsselrolle der Praxis für den Erwerb von Sprachfähigkeit deutlich, ebenso wie die Tatsache, dass damit der Begriff der Sprache nicht ohne eine Einbettung in einen größeren Praxisbegriff auskommt, da es eben nur eine spezielle Form des erworbenen Repräsentationsvermögens ist, dass Sprachverstehen und Sprachhandeln ermöglicht. Die Frage ist also, wie die Praxis beschaffen ist, die das Verstehen, wie auch die, auf dieses Verstehen aufbauende Sprachproduktion in ihrer Form konstituiert und initiiert. Die Einsicht, dass es eine allgemeine und grundlegende Beschreibung einer Praxis ist, über die eine Erklärung des Begriffs Sprache sinnvollerweise erfolgen muss, ist mit einigen weiteren Annahmen in Verbindung zu setzen, die wir in früheren Teilen dieser Arbeit bereits ausführlicher behandelt hatten. Dies geschah

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vornehmlich hinsichtlich der problematischen Aspekte der strukturalistischen, konventionalistischen und intellektualistischen Sprachbeschreibungen. Die alternative Erklärung, die wir im Anschluss an diese vorschlugen, erschöpfte sich in der Annahme, dass es ein Sprachperformanzmodell sei, welches die unter den angeführten Bezeichnungen diskutierten Probleme zu lösen vermag. Dieses Sprachperformanzmodell muss, da wir mit unseren naturalistischen Erklärungen einem grundlegenden Allgemeinheitsanspruch genügen wollten, maßgeblich von Sprachhandlungen als einem strategischen Verhalten sprechen, das sich in seiner Funktionalität und also Bedeutung für das Individuum grundlegend nicht von anderen Handlungen unterscheidet. Wenn wir nun hinzuziehen, zu welchen Schlussfolgerungen wir hinsichtlich der Grundlagen und Bedingungen des Sprachverstehens als einer Form des allgemein natürlichen Weltzugangs gelangt sind, wie wir auch hinsichtlich der Sprachproduktion zu einem Bild gelangt sind, das diese Gleichförmigkeit spiegelt, dann ist die Konsequenz tatsächlich eine Naturalisierung der Sprache, die eben in einer Reduktion des Sprachbegriffs auf biologisch sinnvolles bzw. individualfunktionales Repräsentieren und Handeln besteht. Sprachproduktion und Sprachverstehen sind Prozesse, die durch bestimmte Bedingungen natürlich entstehen. Was wir mit ‚Sprache‘ tun, ist, wie all unser Handeln, Resultat bestimmter natürlicher Bedingungen, so wie unser Sprachhandeln, genau wie unser sonstiges Handeln auch, in seiner Funktion vollständig vor einem naturalistischen Hintergrund einsichtig gemacht werden kann und sollte, der ein handelndes Wesen hinsichtlich der Art und Weise zu Handeln als Resultat der Bedingungen auffasst, denen es in seiner Entwicklung jeweils unterliegt. Denn es sind die natürlichen Bedingungen, die uns in unserer Gesamtheit ebenso bestimmen, wie diese natürlichen Bedingungen auch allen nicht-natürlichen, i. e. kulturellen Bedingungen, zugrunde liegen, denen wir wiederum in Gemeinschaften unterliegen. Man sollte sich stets bewusst machen, dass der Begriff der Kultur ebenfalls auf naturalistische Begriffe rückführbar ist und in diesen aufgelöst werden kann. Wenn Sprachfähigkeiten natürlicherweise nur in Abhängigkeit bestimmter Bedingungen entstehen können bzw. diese Bedingungen die Beschaffenheit der Sprachproduktion und des Sprachverstehens sowie der daraus folgenden Sprachprodukte konstituiert, wie sieht diese Gesamtpraxis dann aus, von der die Sprachpraxis nur ein Teil ist? Die Praxis selbst ist in ihrer Gesamtheit, ob ihrer Komplexität, nicht greifbar. Aber welche Strukturen dieser Praxis sind wesentlich für

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unsere Sprachpraxen? Oder anders formuliert: Wie kommen unsere sprachlichen Handlungen durch nicht-sprachliche Handlungen zu ihrer Bedeutung bzw. welche Mechanismen der Praxis sind grundlegend für die Formung der Repräsentationsfähigkeiten verantwortlich? Welche grundlegenden Mechanismen determinieren das, was wir sprachliches Handeln nennen? Oder treffender formuliert: wie ist sprachliches Handeln als Teil des Gesamtverhaltens von Individuen, die an einer Praxis partizipieren, möglich? Eine solche Praxistheorie muss das eingangs geforderte, grundlegende Performanzmodell liefern, indem es erklärt, auf welcher Grundlage Sprachpraxen im Allgemeinen und Sprachhandlungen im Besonderen ihre spezifischen Status bzw. ihre Funktionalität hinsichtlich eines sozialen Umfeldes gewinnen und so auf Grundlage ihres individualfunktionalen Charakters weiter ausdifferenziert werden können.

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7

Die Normativität der Praxis

7.1 Sprache in situ Die Tatsache, dass Sprache als Fähigkeit zu Verstehen und diesem Verstehen gemäß zu Handeln nur über ein Praxismodell einsichtig gemacht werden kann, sie also nur in situ existiert, heißt, dass der Sprachbegriff außerhalb eines Kommunikationsbegriffs gänzlich bedeutungslos ist und dass es eine Theorie der grundlegenden Verhaltens- bzw. Handlungsweisen sein muss, vor denen Sprache als Begriff Bedeutung erhält. Die Erörterungen hinsichtlich der ontogenetischen Entstehung von Sprachfähigkeiten, die wir auch bei Tieren finden, führte uns ebenfalls zu eben diesem Schluss, der zu Beginn formulierten Feststellung, die wir mit Bühler in Verbindung brachten, dass es eine Theorie der sprachlichen Praxis sein müsse, von der her eine allgemeingültige, grundlegende Bestimmung eines Sprachbegriffs ausgehen kann. Inwiefern eine Erklärung der kognitiven Prozesse des Verstehens und des biologisch funktionalen, strategischen Agierens als Grundlage des Sprachverstehens und Sprachproduzierens gelten kann, wurde in den vergangenen Kapiteln auseinandergesetzt. Dass diese Prozesse in einem Dependenzverhältnis zur systemexternen Praxis zu beschreiben sind, weil erst durch diese das Verstehen der Welt im Sinne eines nicht unmittelbar individualfunktionalen Bedeutungszuschreibens möglich wird, wie es auch nur durch die Praxis zu einem kooperativen Verhalten kommen kann, das die Grundlage für die speziellen Formen der geteilten Intentionalität bereitstellt, die zur Überschreitung der konventionalen Schwelle nötig sind, macht es nötig sich Klarheit darüber zu verschaffen, wie diese Praxis aussieht. Der Begriff der Sprache wird also nicht nur hinsichtlich der Sprachprodukte externalisiert, sondern auch hinsichtlich der Grundlagen des Sprachhandelns und diesem zugrundeliegend, des Sprachverstehens, indem diese kognitiven Prozesse zwar selbstverständlich im Kopf eines Verstehenden bzw. Produzierenden ablaufen, aber neben der Bedingung einer bestimmten Form von repräsentationalem Bewusstsein, für die wir einen rudimentären Vorschlag unterbreitet haben, gänzlich durch die Praxis determiniert sind. Sprachfähigkeiten, ebenso wie Sprachprodukte, deren Charakter und Bedeutung von eben diesen abhängen, sind als Begriffe wie als Tatsachen abhängig von einer bestimmten Form der Interdependenzen

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der Verhaltensweisen von Sozialpartnern einer Praxis. Die Darstellung dieser Praxis ist also hinsichtlich der Gesamterörterung zu einem allgemeingültigen, naturalistischen Begriff von Sprache nötig, weil diese Praxis maßgeblich angibt, was Sprache als spezielle Form des Verstehens bzw. Handelns ist. In diesem Sinne handelt es sich um eine normative Praxis. 7.2 Die Begriffe der Praxis und der Kommunikation Die Abhängigkeitsverhältnisse in einer Beschreibung dessen, was der Begriff Sprache allgemeingültig bedeutet, wenn man ihn erst einmal naturalistisch reduziert hat, stellen sich also folgendermaßen dar: Die Praxis bestimmt den kommunikativen Prozess und dieser die Repräsentationsfähigkeiten und damit die Verstehens- und Sprachfähigkeiten. Um diese Verhältnisse darzustellen, muss natürlich erst einmal klar sein, wie sich diese Begriffe im Einzelnen darstellen lassen, bevor sie in ihrer Abhängigkeit untereinander bestimmt werden. Was ist eine Praxis bzw. welche Typen von Praxen lassen sich hinsichtlich unseres Vorhabens der Untersuchung der Normativität von Praxen gegenüber der Repräsentationsfähigkeiten natürlicher Wesen differenzieren? Der Begriff der Praxis lässt sich hinsichtlich einer maximal allgemeinen Beschreibung von Interaktion zwischen bestimmten Praxiselementen in zwei Begriffsteile differenzieren, den Begriff der vorkommunikativen Praxis und den Begriff der kommunikativen Praxis. Allgemein verstehen wir unter einer Praxis jedoch erst einmal eine Menge an Elementen, die miteinander interagieren. Praxis ist Interaktion von Elementen in irgendeiner Art, wovon die minimal vorhandene Art der Interaktion eine rein auf kausalen Begriffen bzw. Ursache-Wirkungsprinzipien beruhende ist. Diese Art der Interaktion ist eine rein zugeschriebene. In einer solchen Praxis hat keines der involvierten Elemente genügend Bewusstsein, um der Interaktion selbst gewahr zu werden. Dies ist der Fall, da der Begriff der Praxis immer und ausschließlich ein Begriff der dritten-Person ist, der keine Korrespondenz in einem erste-Person Erleben hat. Eine Praxis besteht theoretisch also bereits dann, wenn Elemente einer Gruppe auf das Verhalten anderer Elemente dieser Gruppe in irgendeiner Weise reagieren. In diesem Sinne ist es möglich, auch bei unbelebten Dingen und im Grunde allen bewusstseinslosen Entitäten, die sich in irgendeiner Weise affizieren, wie etwa dem sich reziprozitär beeinflussenden Verhalten subatomarer Teilchen, von einer Praxis zu sprechen, solange man den

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Praxiselementen nicht durch eine Variante des Individuenbegriffs spezifiziert. Allein das Vorhandensein von reziprozitären Abhängigkeitsverhältnissen unter bestimmten Entitäten ist also hinreichend, um von einer Praxis zu sprechen. Den Individuenbegriff, den wir bemühen, um eine Differenzierung in Praxistypen vollziehen zu können, ist dem Organismusbegriff (biological open system) Bertalanffys angelehnt, 327 nach welchem wir ein Individuum einer Praxis als ein belebtes Element dieser Praxis auszeichnen, das sich als biologisches System durch die Wechselwirkung seiner Bestandteile selbst erhält und reguliert. Es besteht somit ein Unterschied zwischen einer Praxis von Elementen, die nichtbzw. entwicklungshistorisch vor-biologische Systeme darstellen, und einem Individuum, das seiner Definition nach ein Organismus im oben spezifizierten Sinne ist. In der vorkommunikativen Praxis von Individuen sind die Wirkungsbeziehungen zwischen den einzelnen Individuen immer noch ohne ein praxisinternes Bewusstsein der zwischen ihnen herrschenden Reziprozitätsverhältnisse. Sie zeichnen sich fürderhin dadurch aus, dass sie in den Bereich der Beschreibung der Biologie gehören und somit den hier gültigen entwicklungstheoretischen Regularitäten in Beschreibung und Erklärung unterliegen. In einer vorkommunikativen Praxis der Interaktion von Individuen sind die Interaktionen immer noch unbewusst, sie erschöpfen sich in Aktions-Reaktions-Relationen. In diesen Reaktionen ist weder echtes Verstehen involviert, noch tatsächliches Handeln, das, wie wir gezeigt hatten, auf einem Bewusstsein basiert, das tatsächliche Informationen gewinnt (versteht) und nicht nur vollständig determiniert auf Reize reagiert. Die Individuen einer vorkommunikativen Praxis reagieren auf das Verhalten weiterer Individuen, wie sie auf alle andere Dinge der Welt reagieren: in rein kausaler Responsivität. Tatsächlich handelt es sich bei vorkommunikativen Praxen um die Zuschreibung einer Praxis, die das Verhalten der beschriebenen Individuen in einem Zusammenhang beschreibt, der eben nur kausal und in diesem Sinne nicht kommunikativ ist. So können beispielsweise Zellen nicht miteinander kommunizieren und auch keine Informationen austauschen, da hier weder Intentionen noch Verstehen integrative Bestandteile der beobachtbaren Prozesse sind und somit den von uns vorgenommenen Spezifizierungen hinsichtlich der 327

Bertalanffy, Ludwig von (1950): The Theory of Open Systems in Physics and Biology in: Science, Vol. 111 Nr. 2872. 1950. S. 23-29

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Begriffe des Verhaltens und des Handelns nicht genügen. Die Interaktion von beispielsweise Zellen ist daher eine vorkommunikative Praxis, da Zellen miteinander interagieren, ohne ein Bewusstsein der sie umgebenden Welt oder ihrer selbst zu haben. Die chemischen Stoffe, die Zellen in Zellverbänden untereinander bisweilen austauschen, tragen keine Informationen, weil sie nicht verstanden werden können (im Sinne einer zugrundeliegenden Intention). Für Fälle, wie etwa Interaktion zwischen Zellen, wird eine nützliche Fiktion bemüht, wenn wir sagen, sie würden miteinander kommunizieren. Eine Fiktion fürwahr, die es uns Menschen leichter macht, bestimmte Prozesse zu erklären, indem wir sie in Analogie zu uns selbst beschreiben. Will man aber Klarheit über ein Phänomen erlangen, muss man allerdings zusehen, dass man diese Fiktionen und Metaphern in unseren Ausdrucksweisen entlarvt. In diesem Sinne hängen die definitiven Begriffe der Praxis, der Kommunikation und der Information vom Verstehen und somit von einer bestimmten Form des Bewusstseins ab. Auch die Differenzierungen von Praxistypen hängen von kognitiven Prozessen ab, wovon Verstehen der explanatorisch grundlegende ist. Die Frage nach den Praxistypen ist also eine nach den Bedingungen des Verstehens. Alle Praxen, die keine Verstehensprozesse involvieren, sind nur durch eine verstehende Instanz, eine Dritte-Person-Perspektive erschließbar. Vorkommunikative Praxen zeichnen sich daher durch ein ausschließlich praxisexternes Verstehen aus, während kommunikative Praxen sich sowohl durch praxisexternes Verstehen als auch praxisinternes Verstehen auszeichnen (das, nebenbei bemerkt, kein Verstehen der Praxis als Praxis sein muss). Hier wird bereits deutlich, dass der Begriff der Praxis durch einen weiteren Begriff des Verstehens, den der Kommunikation, erläutert wird. Die Frage ist also, welche spezifische Art von Verstehen im Prozess der Kommunikation vorliegt. Was ist Kommunikation, wenn Kommunikation in Abhängigkeit vom Verstehensbegriff zu definieren ist? Kommunikation als Prozess zeichnet sich dadurch aus, dass etwas als etwas verstanden wird. In einer allgemeinen Auslegung beruht der tradierte Kommunikationsbegriff darauf, dass zwei Individuen sich und ihre Handlungen hinsichtlich ihrer Intentionen, dem was sie kommunizieren wollen, verstehen. Der Kommunikationsbegriff, den wir vorschlagen, beginnt aber nicht bei der minimal dyadischen Struktur interagierender Individuen, sondern bei Repräsentationsprozessen, die dieser Interaktion unterliegen. Kommunikation setzt nicht nur Interaktion voraus, sondern auch Verstehen. Der klassisch systemexterne Kommunikationsbegriff muss also

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zugunsten eines systeminternen aufgegeben werden. Charakteristisch für diesen Begriff ist, dass es keine Grundvoraussetzung ist, dass die betreffende Intention einer zu verstehenden Handlung mit einer informative intention verbunden ist. Auch Handlungen, die in ihrer Intention kein anderes Individuum betreffen als das Handlungen vollziehende, können kommunikativ sein, insofern sie von einem Individuum mehr oder weniger gut hinsichtlich der tatsächlich vorhandenen Intention verstanden werden. Immer wenn eine Handlung als Handlung erkannt wird, lässt diese Repräsentation praktische wie theoretische Inferenzen für ein hinreichend strukturiertes Bewusstsein zu. Insofern ist jede echte Handlung, die von einem Individuum als Handlung repräsentiert wird (und dazu gehört der jeweilige Grund des Handelns – die Intention oder Emotion, die sie veranlasste), kommunikativ. Watzlawicks Wort, man könne nicht Nichtkommunizieren, 328 heißt auf unseren Kommunikationsbegriff angewandt also, dass Individuen, die über hinreichende Bewusstseinsstrukturen verfügen, die Handlungen anderer Individuen als Handlungen repräsentieren und diesen individualspezifisch informativen Gehalt in ihren Bestand an für-wahr gehaltenen Repräsentationen überführen. Insofern ist eine sprachliche Praxis nicht nur immer kommunikativ, sondern Kommunikation auch immer nur in einer Praxis von Individuen möglich, die verstehen können. Kommunikation ist demnach nur unter Individuen möglich, die die anderen Akteure einer Praxis als intentionale Akteure repräsentieren können. Das Repräsentieren von anderen Akteuren und ihren Handlungen bedarf demnach eines Bewusstseins, das fähig ist, die sensorisch erfahrbaren Tatsachen der Welt nicht nur unmittelbar in Bezug zu sich selbst zu repräsentieren, sondern vielmehr durch einen mittelbaren Selbstbezug. Dass dieser mittelbare Selbstbezug auf dem unmittelbaren beruhen muss, wurde im sechsten Kapitel über die allgemeine Gültigkeit der Regularitäten der Entwicklung biologischer Systeme erklärt. Kommunikation ist also zwar von intentionalen Handlungen abhängig, aber nicht in dem Sinne, dass diese Handlungen eine informative intention besitzen müssen. Kommunikation hängt vielmehr vom Verstehen ab als vom Prozess der Genese von Verstehbarem. Ohne Verstehen kann es keine Kommunikation geben. Allein Verstehen ist allerdings noch nicht Kommunikation, 328

Watzlawick, Paul et al. (1969): Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien. Huber. Bern 2011

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ansonsten wäre jeder bedeutungsverleihende Weltbezug bereits Kommunikation. Das Verstehen von intentionalen Handlungen ist nur dann ein kommunikativer Prozess, wenn diese Handlungen auch auf ersterPerson Ebene des Handelnden intentionale Handlungen sind. Kommunikation ist zwar nicht ohne Verstehen möglich, aber die spezifische Art des Verstehensprozesses, den wir Kommunikation nennen, hängt daran, ob das Verstandene tatsächlich auf Intentionen basierte oder nicht. Verstehen und Kommunikation als bestimmte Prozesse sind durch die vorhandene oder nicht vorhandene Intentionalität des jeweils Verstandenen voneinander zu differenzieren. Kommunikative Prozesse unterscheiden sich von bloßen Verstehensprozessen durch den Kontext der Handlung, vor welchem das Verstandene kraft seiner intentionalen Evozierung zu beschreiben ist. Das Verstehen von Verhalten kann also immer nur einem unzureichenden Sinne kommunikativ genannt werden. Nur Handlungen und Handlungsprodukte können Teil eines Verstehensprozesses sein, der genuin kommunikativ ist. Im Unterschied zur herkömmlichen Auffassung von Kommunikation, die eine dyadische Struktur in der Praxis als Voraussetzung für Kommunikation annimmt, ist die tatsächliche Bedingung der Möglichkeit von Kommunikation vielmehr eine dyadische Struktur zwischen kognitiven Prozessen: der Intention, die einer Handlung oder einem Bewusstseinsakt vorausliegt, und dem Verstehen von Handlungen bezüglich der Intentionen, die ihr aus Sicht des Verstehenden jeweils unterliegen. Das heißt also, die herkömmliche Auffassung von Kommunikation, die von mindestens zwei Akteuren ausgeht, ist nur ein spezieller Fall unserer allgemeineren Auffassung von Kommunikation, die den Prozess beschreibt, wenn Intentionen über Handlungen ein Verstehen anregen. Alle Prozesse des Verstehens von intentionalen Handlungen sind kommunikative Prozesse. Alle Prozesse des Verstehens, die die Intention eines Akteurs in Übereinstimmung mit den tatsächlichen Intentionen dieses Akteurs repräsentieren, so dass von diesem Verstehen ein individualfunktionales Handeln ausgehen kann, sind erfolgreiche kommunikative Prozesse. Je größer die Übereinstimmung zwischen zugeschriebener Intention und tatsächlicher Intention, um so erfolgreicher der kommunikative Prozess. Dass der Erfolg des kommunikativen Prozesses der Repräsentation der Handlungen von intentionalen Akteuren hinsichtlich ihrer Intentionen vom Grad der Übereinstimmung zwischen tatsächlicher und repräsentierter Intention abhängt, lässt sich darauf zurückführen, dass die korrekte Repräsentation dieser Intentionen die Grundlage für eine individualfunktionale,

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strategische Handlungssteuerung hinsichtlich der erkannten Intentionen ist. Da Kommunikation eine Relation von kognitiven Prozessen der Repräsentation beschreibt, die vom Verstehen her zu definieren ist und nicht vom sogenannten Kommunikationsversuch, der eine informative intention als Grundlage der Kommunikation annimmt, wird es nun beispielsweise auch möglich, den Monolog und jede reflexive Wendung im Bewusstsein eines Individuums als Kommunikation zu beschreiben, und zwar als Verstehen von vergangenen intentionalen Handlungen. Der Prozess des Verstehens der Intentionen vergangener intentionaler Handlungen, die das jeweilige System mnematisch repräsentiert, ist Kommunikation, da das Resultat dieses Verstehensprozesses für zukünftiges Handeln signifikant bzw. individualfunktional ist. Wenn man Kommunikation als einen solchen Prozess erklärt, dann ist es auch möglich noch weiter zu differenzieren, zwischen systeminterner und systemexterner Kommunikation. Jedes Reflektieren in Sprache und jedes begriffliche Denken ist in diesem Sinne systeminterne Kommunikation. Indem bestimmte vergangene, bewusste und somit auf Intentionen und Emotionen beruhende Handlungen und Bewusstseinswendungen in einer bestimmten Weise (nach-) vollzogen werden: sie werden verstanden. Auf diese Weise kann vergangenes Handeln und Denken je nach Verstehen zu einem bestimmten Zeitpunkt im Dasein eines Individuums, seinen Charakter verändern und weitere Verhaltensweisen anleiten. So kann man sich dann auch selbst hinsichtlich vergangener Handlungen missverstehen, weil der Prozess der systeminternen Kommunikation bereits voraussetzt, dass die Nachträglichkeit des Verstehens das Verstandene stets verändert und in Abhängigkeit zur momentanen Systemverfassungdarstellt. 329 Stellt man 329

hier zeigt sich natürlich das klassische Problem des Identitätsbegriffs, welchem wir hier im Sinne Leibniz‘ gegenüberstehen, indem wir zunächst davon ausgehen, dass Identität von zwei Dingen vorliegt, wenn sie in allen ihren Eigenschaften gleich sind. Da dies hinsichtlich der Entwicklung eines Individuums in der Zeit niemals der Fall sein kann, gibt es also auch nur Individuen, die nie identisch mit ihrem früheren Dasein sein können, insbesondere natürlich hinsichtlich ihrer Erfahrung und ihrem repräsentationalen Weltbezug. Das heißt, dass jedes Individuum, da es nie mit seinem historischen Selbst identisch sein kann, stets ein vergangenes Ich betrachtet, wenn es systemintern kommuniziert. In früheren Kapiteln hatten wir diesen Punkt auch mit der prinzipiellen Unzugänglichkeit des Erlebens im Erleben besprochen. Das erste-Person Erleben bekommt sich zu keiner Zeit selbst zu fassen. So ist jede Kommunikation als Verstehensprozess ein Prozess der Nachzeitigkeit.

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also den Kommunikationsbegriff vom Kopf (der Interaktion zweier Akteure) auf die Füße (des Verstehens von Intentionen), so wird deutlich, dass nicht nur Kommunikation, sondern auch Sprache wesentlich von einem Begriff des Verstehens abzuleiten ist. Es ist daher nur folgerichtig gewesen, dass Sprache in den ersten Kapiteln als Teilbereich des Komplexes Kommunikation von einem explanatorischen Primat des Verstehens aus erläutert wurde. Der Zusammenhang besteht eben darin, dass Kommunikation selbst bereits ein Prozess ist, der eine spezielle Form des Verstehens darstellt. So wie man ohne einen verstehenden Akteur nicht von Kommunikation sprechen kann, kann man auch nicht davon sprechen, dass keine Kommunikation vorläge, wenn ein Verstehender eine intentionale Handlung versteht. Man kann ebenso nicht Nichtkommunizieren, wie man nur von Kommunikation reden kann, wenn es einen Prozess des Verstehens gibt. Ein Mensch, der im Delirium in der Wüste nach Wasser ruft, den niemand hört und der auch selbst dieser Handlung im Nachhinein nicht mehr bewusst wird, kommuniziert ebensowenig wie das Telefon, welches nichtintentional eine Lautfolge produziert, deren Laute den sogenannten Worten einer Einzelsprache entsprechen. Kommunikation ist ein Prozess, der in einer Praxis zwischen Individuen ablaufen kann, wie die Praxis eine Struktur ist, in der eine Form der Interaktion auf Kommunikation beruht. Eine kommunikative Praxis ist demnach nur dort möglich, wo die an der Praxis partizipierenden Individuen alle anderen an der Praxis Partizipierenden als intentionale Akteure repräsentieren. Es ist eine Praxis von Individuen mit einer bestimmten Form von Bewusstsein. Wenn man die Begriffe Kommunikation und kommunikative Praxis auf diese Weise erklärt, dann sind auch jene Sprachprodukte vor diesem Hintergrund als kommunikativ beschreibbar, und darauf sei nochmals hingewiesen, die keine informative intention besitzen, wie etwa bestimmte Produkte der Lyrik. Der kommunikative Charakter von beispielsweise Gedichten orientiert sich eben nicht an der möglichst genauen Erschließung der Intentionen des Poeten, sondern an der bloßen Existenz eines Verstehensprozesses, der eine Intention zuschreibt, wo eine Intention ist, ohne das hier eine Übereinstimmung nötig wäre. Überhaupt ist jede Kunst kommunikativ und nicht nur allein dann, wenn die Intention des Produzierten erschlossen wird, sondern in jedem ausgelösten Verstehensprozess. Dass das Kunstwerk nach seiner Vollendung für sich steht und des Künstlers nicht mehr bedarf, sondern vielmehr nur dem Gedanken, dass es ein Produkt ist, dem irgendeine Intention zugrunde lag, verdeutlicht nicht

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nur die Bedeutung des Ausdrucks, Kunst sei Kunst per se, sondern auch den allgemeinen Charakter von Kommunikation. Es bedarf wohl einer Intention und eines Verstehens des jeweiligen Resultats dieser Intention, um von Kommunikation zu sprechen, aber damit hat es sich dann auch schon mit der Notwendigkeit. Das Intendierte muss nicht seinem Wesen nach erschlossen sein, um von Kommunikation sprechen zu können. Kommunikation beinhaltet geradezu die Möglichkeit des Missverstehens. Dass es im Falle direkter zwischenmenschlicher verbaler Kommunikation allerdings in besonderem Maße darauf anzukommen scheint, dass eine Übereinstimmung zwischen tatsächlich zugrundeliegender Intention und verstandener Intention gibt, ist dem bloßen Umstand geschuldet, dass es sich hier grundlegend um eine Art der Interaktion handelt, die durch Koordinationsprobleme strukturiert wird. Wenn Menschen miteinander direkt kommunizieren, ob mit oder ohne konventionelle, einzelsprachliche Produkte, so handelt es sich um intentionale Handlungen, mit welchen bestimmte zunächst rein individualfunktionale Zwecke erfüllt und die damit einhergehenden Koordinationsprobleme gelöst werden sollen. Je mehr man über sein Gegenüber zu wissen glaubt bzw. je mehr ein Individuum an Erfahrungen in einer Praxis gesammelt hat, um so mehr verstärkt sich das Gewicht der koordinativen Komponente gegenüber der bloßen Intentionserfüllung in der jeweiligen Handlung. Wenn ausschließlich aus einer Intention heraus gehandelt wird, also ohne Erfahrungen hinsichtlich der Praxis, innerhalb derer die Intention zur Erfüllung gebracht werden soll, so ist die Handlung nicht nur minimal koordinativ, sondern auch einer größeren Gefahr unterworfen, die Intention nicht erfüllen zu können. Die Erfahrung dient der Koordination und diese wiederum der Erfüllung von Intentionen, da Koordination überhaupt erst nötig ist, wenn bestimmte Kenntnisse einer Praxis vorhanden sind. Ohne Praxiskenntnis kann es keine (systemimmanente) Notwendigkeit zur Koordination eigener Handlungen geben. Interessanterweise heißt dies, dass das Streben nach immer genauerer Kenntnis einer Praxis, dass seine Grundlage in der immer erfolgversprechenderen Erfüllung von Intentionen durch Handlungen liegt, zumindest tendenziell nach immer komplexeren Koordinationsmechanismen verlangt, so dass die individualfunktionale Intentionserfüllung eine stetig zunehmende kognitive Leistung des Individuums benötigt, welches seine Handlungen hinsichtlich seiner Intentionen in einer Praxis zu koordinieren versucht. Diese Art von Praxis schafft also Bedingungen, in denen die kognitiven Leistungen eines Individuums in immer stärkerem Maße gefordert werden. Insofern gibt es

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einen koevolutionären Prozess zwischen Bewusstseinsleistungen (zu denen auch das Erinnerungsvermögen gehört) und Praxis, oder wie Mayr es ausdrückt: „it is virtually a foregone conclusion that the new selection pressures (owing to change of habit) would soon have an effect on the facilitating structure“ 330

Voraussetzung hierzu ist allein, dass die Praxisteilnehmer ein Bewusstsein entwickelt haben, das sie in die Lage versetzt andere Praxisteilnehmer hinsichtlich ihrer Intentionen zu repräsentieren. Denn, wie uns David Lewis bekanntermaßen erklärt, richten sich in Interaktion befangene Praxisteilnehmer in ihren Entscheidungen für oder gegen eine bestimmte Handlung nach den von anderen erwarteten Handlungen.331 Jede (prosoziale) Praxis, die aus Individuen besteht, welche andere Praxisteilnehmer hinsichtlich ihrer jeweiligen Intentionen zu repräsentieren vermögen, ist auch eine Praxis der Koordinationsprobleme, da das eigene Handeln nun nicht mehr allein auf Grundlage der eigenen Intentionen angeleitet wird, sondern stets auch hinsichtlich der jeweils erkannten Ziele und Einstellungen der anderen Praxisteilnehmer. Da jedes Individuum in der Gruppe zunächst seine eigenen Intentionen zu erfüllen bestrebt ist, ergibt sich die Notwendigkeit der Koordination also aus dem Verständnis, dass diese Erfüllung mittelbar bzw. nur durch die Anerkennung und Einbeziehung der jeweilig zugeschriebenen Intentionen erreichbar ist, wenn das zukünftige Erfüllen von Intentionen innerhalb dieser Praxis weiterhin gewährleistet bleiben soll. Dies bedingt natürlich, dass die jeweiligen Individuen zu einem bestimmten Zeitpunkt erkennen bzw. fühlen, welche Intentionen ihnen wichtiger sind als andere. Ein Beispiel: Man stelle sich eine Praxis von einigen wenigen Individuen vor, die kurz vor dem Verhungern stehen und keine Möglichkeiten haben, Nahrung zu beschaffen, die sie zunächst vor diesem Schicksal bewahren würde. In diesem Fall ist die Intention, als Mitglied der Praxis nicht sanktioniert zu werden, zum Beispiel durch Ausschluss oder was auch immer, vermutlich wesentlich weniger stark als die Intention ohne Rücksicht auf die anderen Praxisteilnehmer jede verfügbare Nahrungsquelle zunächst für sich allein zu nutzen, oder vielleicht sogar andere Praxisteilnehmer, die dem eigenen

330 331

Mayr, Ernst (1976): Evolution and the Diversity of Life. Harvard University Press. Cambridge 1976. S. 106 Lewis 1975: 8 ff.

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Weiterleben gefährlich werden könnten, als Bedrohung auszuschalten. Während es in Praxen, in denen die körperliche Existenzbedürfnisse weitestgehend erfüllt sind, eine der wichtigsten Intentionen sein dürfte, Teil der Praxis selbst zu bleiben, da die Praxis notwendig ist, um bestimmte weitere Intentionen überhaupt erst erfüllen zu können, wie etwa Sicherheitsbedürfnisse und deren Anschlussmotive, welche wiederum Kommunikation an sich zu einem Motiv werden lassen können. 332 Das brechtsche Wort, dass zuerst das Fressen und dann die Moral komme, veranschaulicht also nicht nur, wie eng ein Moralbegriff gefasst werden kann, sondern vor allem auch, dass die Gewichtung von Intentionen situationsabhängig ist. Die Erfüllung von Intentionen unter Berücksichtigung der Intentionen anderer Praxisteilnehmer bzw. der koordinative Charakter von Handlungen ist nicht nur system-, sondern auch praxis- und situationsabhängig. Wenn man nun zwischenmenschliche verbale Kommunikation betrachtet, so ist diese also deshalb auf erfolgreiche Kommunikation angewiesen, die darin besteht, dass die Intention eines Praxisteilnehmers möglichst genau erkannt wird, weil dies für die Koordination und somit der Erfüllung der Intentionen eines Individuums in dieser Praxis von entscheidender Bedeutung ist. Wenn die Erwartungen eines Individuums hinsichtlich der Handlungen anderer Praxisteilnehmer fehlgeht, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Individuum seine eigenen Intentionen in dieser Praxis realisieren kann, je nach Art der Intentionen und Grad der Übereinstimmung von zugeschriebenen und tatsächlichen Intentionen anderer Praxisteilnehmer, geringer als im Falle größerer Übereinstimmung. Auf diese Weise wird rein unmittelbar individualfunktionales Handeln in seinem Charakter zu mittelbar individualfunktionalem Handeln. Kommunikation, verstanden als der Prozess des Verstehens von intentionalen Handlungen, unterscheidet sich von verbaler zwischenmenschlicher Kommunikation durch die Koordination, die durch Sprachhandlungen zu erreichen versucht wird. Erst bei sprachlicher Kommunikation werden die Intentionen des Handelnden hinsichtlich der den anderen Praxisteilnehmern zugeschriebenen Intentionen gewichtet und einer Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Handlung zugeführt. Die Handlung wird zu einem Medium der koordinativen Verursachung von 332

vgl. Maslow, Abraham (1943): Motivation und Persönlichkeit. Rowohlt. Reinbek 2002

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Verstehensprozessen, die wiederum der Erfüllung der Intentionen des handelnden Individuums zuträglich sind. Je mehr ein Individuum einer Praxis über die Intentionen der anderen Praxisteilnehmer weiß, um so bessere Voraussetzungen hat jenes Individuum sein eigenes Handeln so zu koordinieren, dass seine eigenen Intentionen erfüllt werden. Je größer die mnematischen Kapazitäten von Individuen sind, die diese wiederum für die Repräsentation von intentionalen Akteuren hinsichtlich ihrer Intentionen und sonstigen Verfassung verwenden können, um so komplexer werden die Erwartungen und Entscheidungsfindungsprozesse hinsichtlich dieser Zuschreibungen werden, so dass die Entwicklung von kognitiven Fähigkeiten hier ebenfalls von der Praxis und den Fähigkeiten zur Repräsentation bzw. den mnematischen Ressourcen abhängt. Dass die menschliche Kommunikation durch Sprachhandlungen derart komplex und reich an expressiven Möglichkeiten ist, hängt hinsichtlich dieser Annahmen damit zusammen, dass die Notwendigkeit zur Lösung von Koordinationsproblemen innerhalb menschlicher Praxen stetig zugenommen hat und weiter zunimmt, weil die Praxis allein durch die Zunahme an expressiven Möglichkeiten auch hinsichtlich der Koordination dieser tendenziell immer komplexer wird. Wachsende expressive Möglichkeiten, die aus der Notwendigkeit zur Koordination erwachsen, können weitere expressive Möglichkeiten erfordern, so dass diese einmal begonnene Entwicklung bis zu einem gewissen Punkt selbst die Notwendigkeit produziert, neue Medien des Ausdrucks zu schaffen. In diesem Sinne bedarf sprachliche Kommunikation an bestimmten Stellen ihrer Entwicklung neuer Mittel, um die Handlungen mit den jeweils älteren besser koordinieren zu können. Es bedurfte in dieser Entwicklung, an deren Anfang die Fähigkeiten standen, die Intentionen anderer zu repräsentieren und die Erwartung zu haben, dass andere Praxisteilnehmer dies ebenfalls tun und sich dementsprechend zu verhalten, Handlungen, die deutlich zeigen, welche Intentionen ihnen jeweils zugrunde liegen. Die Folge hieraus ist die Produktion von in dieser Hinsicht möglichst expliziten Handlungen. Handlungen, denen nicht nur eine informative intention zugrunde liegt, sondern die sich innerhalb der Praxis auch als gut verständlich erwiesen haben, hinsichtlich der zugrundeliegenden Intentionen. Diese expressiven Handlungen wurden natürlich nicht wegen ihrer Expressivität von den Individuen einer Praxis reproduziert, sondern wegen der Funktionalität, die diese für das Individuum besitzen. Daher ist richtig:

267

„verbal communication is a specific human enhancement of ostensive-inferential communication.” 333

Der expressive Charakter von Handlungen kann nur in Folge der Funktionalität dieser Handlungen selektiert worden sein. Der Beginn regelmäßigen Handelns, der Grundlage konventionellen Handelns, ist demnach einer Reduktionstendenz des koordinativen Aufwands im Handeln der Individuen einer Praxis geschuldet. Dieses regelmäßige Handeln geht dann wiederum über in Handlungserwartungen, die dann die Praxis selbst maßgeblich bestimmen. Oder wie Lewis es formuliert: „Wir erwerben schließlich eine allgemeine, zeitlich unbeschränkte Überzeugung, dass Mitglieder einer bestimmten Art wiederkehrender Koordinationsprobleme zum Zweck der Koordination einer gewissen Regularität folgen.“ 334

Indem sich die Individuen an die Komplexität einer Praxis anpassen müssen, sind sie bestrebt diese Komplexität zu reduzieren, was zu regelmäßigem Handeln bzw. der Erwartung regelmäßigen Handelns führt. Eine Folge der Anpassung an die Komplexität der Praxis, der zugeschriebenen Intentionen und Eigenschaften sowie der dem Individuum je eigenen Intentionen, ist die Hervorbringung von Handlungsformen, die möglichst hohe Übereinstimmung im Kommunikationsprozess erzeugen, zwischen den tatsächlichen Intentionen einer Handlung und den verstandenen Intentionen. Da nicht-sprachliche Handlungen nur sehr schwer in ihrer Intention treffend erkannt werden können, sind bestimmte begleitende Elemente der Kommunikation, die dem Handelnden helfen, seine eigenen Intentionen zu erfüllen, indem er andere auf seine eigenen mentalen Zustände explizit hinweist, wichtig für die individuelle Komplexitätsreduktion innerhalb einer Praxis. Den weiteren intentionalen Akteuren wird über sprachliche Kommunikation die Intention des Handelnden kommuniziert. Sprachliche Handlungen führen dieses Merkmal der Explizitheit in die Kommunikation ein, wie Sperber und Wilson richtigerweise erklären. 335 Sprachhandlungen sind in ihrer Expressivität besonders explizit und vermögen es daher, die Komplexität von Koordinationsproblemen effizient zu reduzieren, indem die Intentionen, Überzeugungen und Emotionen von Handelnden besser

333 334 335

Sperber/Wilson 1995: 176 Lewis 1975: 42 Sperber/Wilson 1995: 175

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erschlossen werden können als durch nicht-sprachliche Handlungen allein. Dies ist übrigens noch keine alternative Erklärung der Entstehung der menschlichen Sprache, sondern eine theoretische Überlegung hinsichtlich einer Praxis an Individuen, die aus Gründen der Komplexitätsreduktion gegenüber der notwendigen Koordination in dieser Praxis, zunächst zu geteilter Intentionalität und dann zu konventionellen Sprachhandlungen übergehen, wie sie zuvor zur regelmäßigen Handlungen übergegangen ist. Des Weiteren sei bemerkt, dass sich die alltägliche Kommunikation eines heutigen Menschen immer noch in den Kategorien der notwendigen Koordination innerhalb einer Praxis beschreiben lässt. 336 So wie Sprache vermutlich aus der Notwendigkeit für ein Individuum entstand, einer sich immer komplexer darstellenden Praxis individualfunktional und koordinativ begegnen zu können, ist es auch diese Praxis, die über den Prozess der Kommunikation Form und Bedeutung von Sprachhandlungen und -produkten beeinflusst. Da Kommunikation ein Prozess des Verstehens von intentionalen Handlungen ist, der auch Sprache zugrunde liegt, ist es dieser Prozess, der angibt, wie die Sprachpraxis als Teil einer Gesamtpraxis instituiert und konstituiert wird. 7.3 Grundlagen der Normativität natürlicher Kommunikationspraxen Da Verstehen und Sprachverstehen, wie auch die Produktion von (Sprach-) Handlungen den Mechanismen der sie formenden Praxis unterliegen, muss über den Begriff der Kommunikation erschließbar sein, wie die Praxis die Sprachpraxis im Allgemeinen und das Sprachverstehen und die Sprachproduktion im Speziellen in Form und Inhalt beeinflusst. Da diese Praxis ebenso wie die Individuen die sie konstituieren zunächst einmal natürlichen Bedingungen unterliegen, muss die allgemeine und grundlegende Beschreibung der Dependenzen zwischen Praxis im Allgemeinen und Sprachpraxis im Besonderen ebenfalls von diesen Bedingungen ausgehen. Wenn Sprachhandeln dazu dient innerhalb einer Praxis koordinativ zur Erfüllung der einem System eignenden Intentionen zu gelangen, wie alle Handlungen zur Erfüllung von Intentionen dienen, so sind die praxisimmanenten Strukturen, welche intentionales Handeln in seinem koordinativen Charakter beeinflussen, auch die Strukturen, welche 336

vgl. Lewis 1975

269

intentionales Sprachhandeln in seinem koordinativen Charakter beeinflussen. Die Frage, wie Sprachverstehen auf Grundlage einer bestimmten Praxis entsteht, muss, wenn unsere Erklärungen eine gewisse Richtigkeit beanspruchen wollen, im Zuge dieser Erklärung mit beantwortet werden können. Die Praxis ist dann aber nicht nur hinsichtlich der Entstehung von Verstehen und somit Bedeutung normativ, sondern auch, und diese erste Art der Normativität leitet sich aus der folgenden ab, hinsichtlich der Entstehung von intentionalen Handlungen und Sprachhandlungen. Die Normativität der Praxis ist hinsichtlich der Möglichkeiten des repräsentationalen Weltzugangs eine umfassende. Dies heißt allerdings nicht, dass sie den Weltzugang und darauf aufbauend das Handeln in dieser Welt vollständig erzeugt, sondern nur, dass sie, und das ist wenig spektakulär, die Bedingungen initiiert, die ein biologisch natürlich auftretendes Bewusstsein auf seine Möglichkeiten der Repräsentation hin bestimmt. Wie aus den basalen Bedingungen, die ein Bewusstsein bereitstellt, ein spezifischer Weltzugang wird, der Formen der nicht unmittelbar individualfunktionalen Bedeutungszuschreibung beinhaltet, ist eine der Fragen, die im Kapitel über das minimale repräsentationale Bewusstsein auftauchten und innerhalb dieser Praxisnormativität erklärt werden muss. Dass in einer solchen Erklärung nur ein Begriff des Kommunikationsprozesses funktional ist, der die Relation von kognitiven Prozessen beschreibt und nicht die Übereinstimmung von verstandener Intention und tatsächlicher Intention als Grundlage verwendet, wird deutlich, wenn man folgendes Merkmal der Normativität der Praxis betrachtet: Jede innerhalb einer bestimmten Praxis erfahrene intentionale Handlung ist normativ hinsichtlich der Art und Weise des erfahrenden repräsentationalen Systems, so es über genügend Gedächtnisleistung verfügt. Das heißt, dass jede für-wahr gehaltene Repräsentation einer Handlung für das weitere Handeln des erfahrenden repräsentationalen Systems relevant ist. Vor allem natürlich hinsichtlich der eigenen Koordination hinsichtlich anderer Akteure der Praxis. Da jede dieser erfahrenden Handlungen in der einen oder anderen Weise normativ gegenüber dem repräsentationalen Weltbezugs ist, sind es auch alle Handlungen, die nicht in Übereinstimmung mit der Intention der betreffenden Handlung vom erfahrenden Individuum verstanden werden. Das heißt, auch wenn ein verstehendes System eine Handlung nicht in Übereinstimmung mit der tatsächlich dieser Handlung zugrundeliegenden Intention versteht, ist dieser Verstehensprozess normativ hinsichtlich des weiteren Handelns des verstehenden Individuums. In allen Fällen von

270

erfahrenen Handlungen innerhalb einer Praxis, die als Handlungen eines Sozialpartners bzw. intentionalen Akteurs erfahren werden, handelt es sich um Kommunikationsprozesse, da sie normativ sind. Diese Normativität einer Handlung ist ein notwendiges Kriterium für eine kommunikative Handlung. Jede Handlung (die ihrer Definition nach immer intentional ist), welche auf ein Individuum in einer noch zu spezifizierenden Weise wirkt, ist eine kommunikative Handlung. Die Wirkung einer Handlung auf ein verstehendes Individuum bildet den normativen Aspekt dieser Handlung. Kommunikation, als der Prozess des Verstehens einer intentionalen Handlung oder eines Handlungsprodukts, ist gekennzeichnet durch die Normativität des Verstehens der intentionalen Handlung gegenüber dem Weltbezug dieses verstehenden Individuums, so es über hinreichende mnematische Möglichkeiten verfügt, das Verstandene als Teil seines Bestandes an für-wahr gehaltenen Repräsentationen und den daraus resultierenden quasi-emotionalen Bewusstseinsbestimmungen, Handlungsentscheidungen bestimmen zu lassen. Die Normativität, die Handlungen hinsichtlich der zukünftigen Verhaltensweisen eines Individuums haben, ist nicht von der gleichen Art wie die Normativität, die mit Verhalten einhergeht, das im Gegensatz zu Handlungen keine intentionale Grundlage hat und so das zukünftige Verhalten eines Individuums nicht in gleicher Weise bestimmt wie das der Handlung. Verhalten initiiert keinen kommunikativen Prozess, da es keine Intention gibt, die verstanden werden kann. Wird dennoch eine Intention verstanden, so ist dies ein Verstehen von Verhalten als Handlung, dass nichtsdestotrotz das Verhalten nicht von seinem faktisch nichtintentionalen Charakter lösen kann. Ebenso verhält es sich mit dem Verstehen von Verhalten als Verhalten. Verhalten, das als Verhalten verstanden wird, ist normativ hinsichtlich des Verhaltens bzw. der Handlungsentscheidungen des verstehenden Individuums, wie auch intentionales Handeln in dieser Hinsicht normativ ist. Es findet hier kein Prozess der Kommunikation statt, da im Verstehen von Verhalten keine Intention verstanden wird, sondern Kausalitäten, deren Ausgangspunkte nicht Intentionen sind. Im Falle ein Verhalten wird als Handlung aufgefasst, indem Intentionen zugeschrieben werden, die nicht vorhanden sind, wie dies häufig beim menschlichen Verstehen des Verhaltens bestimmter Tiere der Fall ist, ist der normative Charakter dieses Prozesses ebenfalls kein kommunikativer Prozess, da es kein Prozess zwischen Intentionen, den durch sie entstehenden Handlungen und dem mehr oder weniger in Übereinstimmung mit diesen geschehenden

271

Verstehen ist. Das Verstehen von nicht-intentionalem Verhalten in intentionalen Begriffen ist zwar normativ gegenüber dem weiteren Handeln des Verstehenden, aber es ist keine Kommunikation, die zwei Bewusstseinszustände und die Beeinflussung des einen (Verstehen) durch den jeweils anderen (Intention) beinhaltet. 337 Die Normativität zwischen Verhalten und Verstehen bzw. Handeln und Verstehen ist also differenziert zu beschreiben, nicht nur hinsichtlich der Affektion des Verstehensprozesses, sondern auch hinsichtlich der verhaltensanleitenden Funktionalität, der aus diesen Verstehensprozessen resultierenden Überzeugungen, Emotionen und Intentionen. Der Unterschied, ob es sich um Kommunikation handelt oder nicht, zeigt sich also auch daran, wie das Handeln, das durch den Verstehensprozess und den daraus resultierenden quasi-emotionalen Bewusstseinsbestimmungen angeleitet wird, individualfunktional erfolgreich die Koordination innerhalb der bestehenden Praxis anleitet. Im Falle eines Verstehensprozesses, in dem eine intentionale Handlung mehr oder weniger in Übereinstimmung mit der ihr zugrundeliegenden Intention verstanden wird, haben die aus diesem Verstehensprozess folgenden Überzeugungen, Intentionen und Emotionen stets Bezug zu der Praxis, innerhalb der die intentionale Handlung stattfand. Der Grad der Übereinstimmung wird hierbei den Erfolg der koordinativen Handlungsentscheidung maßgeblich beeinflussen. Bei einem nicht-kommunikativen Verstehen besteht ein solcher Zusammenhang nicht. Die Verstehensprozesse, die aus Verhalten resultieren, leiten das Verhalten und Handeln eines betreffenden Individuums entweder nicht hinsichtlich einer Praxis an, weil es keine Praxis gibt (keine intentionalen Akteure, sondern nur sich verhaltende) oder aber der Verstehensprozess leitet individualfunktional erfolgreich hinsichtlich einer Praxis an, indem das angeleitete Handeln nur inzidentiell mit der Verfassung der Individuen einer Praxis nicht konfligiert. In beiden denkbaren Fällen der Handlungsanleitung durch nicht-kommunikative Verstehensprozesse besteht bei den

337

Kommunikation und Praxis sind Begriffe der Beschreibung. Sie sind nur als Kategorienbegriffe relevant, um die grundlegenden Prozesse des Vestehens und des Handelns in ihrer allgemeinen Abhängigkeit voneinander theoretisch darstellen zu können. Auf erster Person Ebene gibt es zunächst keine Kommunikation und keine kommunikative Praxis, sondern nur Verstehen und verstandene Handlungen bzw. verstandenes Verhalten.

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angeleiteten Handlungen kein tatsächlicher Praxisbezug. Für die Ausbildung der spezifischen Formen des repräsentationalen Weltbezugs sind zwar alle Verstehensprozesse relevant, die genannt worden sind, insbesondere aber die kommunikativen. Dass alle Verstehensprozesse relevant sein können, ergibt sich aus ihrem normativen Charakter. Insofern eine grundlegende Repräsentation zu einem Handeln führt, wird dieses Handeln wiederum in der Praxis zu bestimmten Handlungen führen, die vom verstehenden Individuum entweder positiv erfahren werden, also individualfunktional, indem diese in Emotionen resultieren, die angenehm empfunden werden oder der Erfüllung von Intentionen entsprechen. Anders ausgedrückt: Dass ein bestimmter Verstehensprozess mit den Intentionen der die Praxis konstituierenden Handlungen in Übereinstimmung steht oder nicht, wird dazu führen, dass das Handeln und der diesem zugrundeliegenden Verstehensprozess, innerhalb der Praxis mit Handlungen, die für das verstehende Individuum individualfunktional sind, beantwortet wird oder nicht. Die Praxis reagiert entweder positiv oder negativ für ein jeweilig handelndes Individuum auf dessen Handlungen. Da es für das handelnde Individuum nicht unmittelbar individualfunktional ist, negativ markierte Erfahrungen zu machen, besteht der Zweck der Koordination und des Verstehens darin, eigenes Handeln möglichst nicht mit der bestehenden Praxis konfligieren zu lassen. Da aber nur kommunikatives Verstehen hinsichtlich der bestehenden Praxis Handlungen anzuleiten vermag, im Falle des Verstehens von Verhalten gibt es ja nicht einmal einen Praxisbezug, bestimmt auch dieser Prozess die Art des Verstehens bzw. des repräsentationalen Weltbezuges. Die Praxis wirkt auf den Prozess des Verstehens insofern ein, als dass die Praxisteilnehmer bestimmte Handlungen entweder positiv oder negativ für das jeweils handelnde Individuum, durch eigene Handlungen beantworten. In einer Praxis intentionaler Akteure sind es Handlungen, die andere Handlungen in ihrem deontischen Status für ein Individuum und in der Folge für eine Praxis ausweisen. Die erfahrenen Handlungen werden vor dem Hintergrund der Tendenz von biologischen Wesen individualfunktional zu agieren, zu dem bestätigenden oder sanktionierenden Element der dem Wesen eignenden Handlungs- und Verstehensweisen. In diesem Sinne ist die Praxis normativ gegenüber den Möglichkeiten des repräsentationalen Weltbezuges. Wenn Handlungen auf Grundlage eines bestimmten Verstehens sanktioniert werden, ist zunächst die Tendenz, auf diese Weise wiederholt zu handeln, vermindert, wie auch das Verstehen, das der Handlung zugrunde lag, an

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Funktionalität für das verstehende Individuum verliert, da sich das Resultat der Handlung als nicht individualfunktional erwiesen hat. Dies ergibt sich daraus, dass die Funktionalität einer Handlung und damit auch der ihr zugrundeliegenden Verstehensprozesse nicht nur durch das Erfüllen oder Nicht-Erfüllen der ihr jeweils zugrundeliegenden Intention bestimmt wird, sondern eben auch maßgeblich durch die Reaktion der anderen Praxisteilnehmer hinsichtlich dieser Handlung. Die Tendenz jedes Individuums, seine Intentionen umzusetzen und möglichst unangenehme Empfindungen zu vermeiden, macht jede Praxis, die in irgendeiner Form die Erfüllung dieser Intentionen begünstigt oder behindert bzw. negativ oder positiv empfundene Emotionen im Individuum auszulösen imstande ist, zu einer normativen Praxis gegenüber jedes Individuums, das in der Lage ist diese Umstände im Einzelfall zu repräsentieren. Die Normativität der Praxis beruht damit auf der Tatsache, dass biologische Wesen bestrebt sind, negativ empfundene Bewusstseinszustände zu vermeiden, wie sie ebenfalls bestrebt sind, die eigenen Intentionen zur Erfüllung zu bringen. Kurzum, die Normativität der Praxis gegenüber dem Individuum und den Verstehensprozessen und Handlungen, die dieses Individuum vollzieht, beruht auf der natürlichen Tendenz biologischer Systeme individualfunktional zu agieren. Die natürlichen Prinzipien, denen ein bewusstseinsfähiges, biologisches System in seiner Ontogenese unterliegt, bilden damit den Grund für die Affizierbarkeit dieses Individuums durch andere, als intentionale Akteure erkannte Individuen. Damit ist nun allerdings noch nicht erklärt, wie sich das formbildende und formtransformierende Potenzial von Sprachpraktiken begründen lässt. 338 Wie sieht die Praxis aus, die auf Grundlage der natürlichen Verfassung von bestimmten bewusstseinsfähigen Wesen, die Repräsentationsfähigkeiten und somit Sprachfähigkeiten von Wesen beeinflusst? 7.4 Die Struktur normativer Praxen Die Grundlage der Normativität der Praxis ist also die natürliche Tendenz biologischer Systeme, sich individualfunktional zu verhalten, also auch negativ empfundene Emotionen zu vermeiden und positiv empfundene Emotionen sowie die Erfüllung von Intentionen anzustreben. Wie sieht nun 338

vgl. Krämer 2001: 15

274

die Struktur der Praxis aus, die sich auf dieser Grundlage ergibt, und wie ergibt sich aus dieser Struktur die spezifische Normativität der Praxis gegenüber der Form und dem Inhalt sprachlicher Handlungen? Eine Metapher, die häufig herangezogen wird, um Praxen in ihrer allgemeinen Bestimmung begrifflich habhaft zu werden, ist das Spielen eines Spiels. Von Wittgenstein über Sellars und Lewis bis Brandom ist diese Metapher bemüht worden, und wir wollen hier keine Ausnahme bilden, zumal wir uns an den Positionen der genannten Autoren maßgeblich orientieren. Weshalb ist die kommunikative Praxis wie ein Spiel beschreibbar und inwiefern kann diese Metapher die Normativität der Praxis gegenüber dem repräsentationalen Weltbezug, dem Sprachverstehen, der Sprachproduktion, Form und Bedeutung von Sprachhandlungen erklären helfen? Wittgenstein schreibt: „Das Wort Sprachspiel soll hier hervorheben, dass das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.“ 339

Innerhalb dieser erwähnten Form zu Leben gewinnt das Sprechen einer Sprache erst seinen Handlungscharakter. Diese Form des Lebens ist die Praxis, die selbst ein Spiel ist, dessen Spielregeln in den natürlichen Prinzipien bestehen, denen Individuen unterliegen. Aus diesen natürlichen Bestimmungen, so hatten wir ausgeführt, entwickeln sich Praxen, die in ihrer Komplexität die rein natürlichen Bestimmungen erweitern. Die Lebensform (Praxis), die aufgrund der natürlichen Dispositionen von Individuen normativ auf deren repräsentationalen Weltbezug und deren Handlungen wirken kann, besteht aus Handlungen und Verhaltensweisen von Individuen. Die Grundlage der normativen Wirkung dieser Handlungen und Verhaltensweisen ist die natürliche Disposition von Individuen, sich zunächst unmittelbar individualfunktional zu verhalten bzw. zu handeln. Die Praxis oder Lebensform ist dem Individuum gegenüber also normativ, weil das Individuum die Handlungen und Verhaltensweisen in einer charakteristischen Weise erfährt und versteht und sie innerhalb seiner individualfunktionalen Entscheidungen einbindet. Aufgrund dieser Umstände besteht die grundlegend normative Praxis immer nur für ein bestimmtes Individuum und aus negativ und positiv erfahrbaren Handlungen der jeweils anderen Praxisteilnehmer. Das Spiel, das aus 339

Wittgenstein 1975: § 23

275

dieser Grundlage erwächst, ist ein Spiel, in dem die Handlungen der einzelnen Praxisteilnehmer einen deontischen Status erhalten, indem sie sanktioniert werden oder nicht. Die Sanktionierung besteht in einer, für das Individuum, dessen Handlung sanktioniert wird, negativ empfundenen Reaktionen der anderen Praxisteilnehmer, also in Handlungsresultaten, die für jenes Individuum nicht individualfunktional sind. Die Repräsentationen, die einer sanktionierten Handlung zugrunde liegen, werden hier in ihrer Form so verändert, dass die Gesamtheit der sanktionierenden Handlungen einer Praxis den repräsentationalen Weltbezug eines Individuums formt, auf dessen Grundlage bestimmte Handlungen anderen Handlungen vorziehbar werden, da jene in Bezug auf die sanktionierende Praxis besser geeignet erscheinen, Intentionen zu erfüllen, ohne hierfür sanktioniert zu werden. Die Gesamtheit der sanktionierenden Handlungen einer Praxis gegenüber einem Individuum, dass diese Handlungen auf diese Weise erfährt, legt demnach fest, wie eine bestimmte Handlung repräsentiert wird: als geeignet oder ungeeignet hinsichtlich der dem Individuum eignenden Intentionen und Tendenzen. Diese Status des geeignet und ungeeignet nehmen aus einer Dritte-PersonPerspektive heraus die Form eines ‚sollte‘ oder ‚sollte-nicht‘ an. 340 Das Individuum sollte so oder so handeln, wenn es seine Ziele umsetzen will, ohne sanktioniert zu werden. Das Spiel, welches gespielt wird, ist also ein Spiel der Sanktionierungen. Um nicht sanktioniert zu werden, muss das Individuum seine Handlungen hinsichtlich der ihm zur Verfügung stehenden Erfahrung koordinieren. Sanktionierung und die Tendenz von natürlichen Wesen sich individualfunktional zu verhalten stehen hier in einer Korrelation, bei welcher die Sanktionierung nur dann ihre normativen Kräfte hinsichtlich des repräsentationalen Weltbezuges und der deontischen Status von Handlungen entfalten kann, wenn das betreffende Individuum den natürlichen Bestimmungen seiner Tendenz sich individualfunktional zu verhalten unterliegt und ein genügend entwickeltes repräsentationales Bewusstsein besitzt, eines vierter Stufe, das unechte Repräsentationen einzubetten imstande ist bzw. in der Lage ist Bedeutungen zuzuschreiben und somit prinzipiell über die Möglichkeit verfügt, Sozialpartner hinsichtlich ihrer Intentionen zu repräsentieren (einer Fähigkeit, die auf Selbst-Objektivierung beruht). 340

Praxisrelative deontische Status sind auf erster-Person Ebene demnach zunächst erfahrene Funktionalität.

276

Der Begriff der Sanktion ist in kommunikativen Praxen, die noch nicht über das expressive, explizierende Potenzial von Sprachhandlungen verfügen, nur als negativ empfundene Emotion vorhanden und kann nur aus Perspektive eines dritte-Person Beschreibenden in ihrem normativen Charakter erkannt werden. Die Möglichkeit, explizit abzusehen und auseinanderzusetzen, was getan werden sollte, ist erst durch eine Form expliziten Denkens möglich, das wiederum nur kraft der explikativen Ressourcen sprachlicher Mittel möglich wird (worin im Übrigen auch der Grund ihrer Selektion zu suchen ist). Der grundlegende Aspekt von sprachlichen Handlungen gegenüber nicht-sprachlichen Handlungen ist daher ihre Explizitheit, in ihrem charakteristischen Wesenszug der informative intention eines Individuums gerecht werden zu können, welche aus der zunehmenden Komplexität der Praxis bzw. den daraus erwachsenden Koordinationsproblemen und der natürlichen Tendenz eines Individuums entsteht, diese Komplexität im Rahmen seiner Möglichkeiten individualfunktional zu reduzieren. Dass unser Denken teilweise durch Sprache strukturiert ist, ist also das Resultat einer Notwendigkeit, die aus der Beschaffenheit menschlicher Praxen irgendwann in der jeweilig relevanten phylogenetischen Entwicklung entstanden sein sollte. Bis zur Entwicklung explizit kommunikativer Handlungen ist das Spielen des sanktionierenden Spiels allerdings kein bewusstes Spielen. Erst im Auftreten von explizit-expressiven Handlungen wird ein Element geschaffen, das neben der reinen individualspezifischen Empfindung ein öffentliches Element ist, das die Sanktionierung für die Individuen einer Praxis intersubjektiv erkennbar macht. Erst wenn eine explizit expressive Handlung von mehreren Individuen einer Gruppe hinsichtlich der ihr zugrundeliegenden Intentionen verstanden wird, kann es einen intersubjektiven Status geben, der eine intersubjektiv für gültig erachtete Berechtigungszuweisung zu dieser und weiteren Handlungen ermöglicht. Mit dem Element der Berechtigung tritt damit die Rolle eines jeweiligen Praxisteilnehmers für die jeweiligen Praxisteilnehmer in das Spiel des Sanktionierens. Die Berechtigung für bestimmte sanktionierende Verhaltensweisen zuzuweisen, erfolgt allerdings zunächst als individualfunktionales Agieren und nicht im Sinne einer expliziten Zuweisung. Jede Nicht-Sanktionierung eines Sanktionierenden ist bereits eine Berechtigung des nicht-sanktionierten Sanktionierenden hinsichtlich dessen sanktionierender Handlung. Aus dem Zusammenspiel von Berechtigung zu sanktionierendem Verhalten und den Sanktionen ergibt sich die Rolle des jeweiligen Individuums innerhalb einer kommunikativen Praxis bzw. den

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einzelnen Teilnehmern dieser Praxis. Die kommunikative Praxis ist zunächst eine Praxis, in der sanktioniert wird und in der man entweder als berechtigt zu Handlungen behandelt wird oder nicht. Die jeweilige Struktur der Handlungen, i. e., Sanktionierungen und Berechtigungen, ergibt sich aus den individualfunktionalen Tendenzen der die Praxis konstituierenden Individuen. Wir lehnen uns ausdrücklich an Sellars an, wenn wir nun formulieren, dass das Spiel, das die Praxis spielt, ein Spiel ist, in welchem durch Handlungen Züge gemacht werden, deren Relevanz immer die individualfunktionale Relevanz für die einzelnen Individuen ist. Mit jeder kommunikativen Handlung wird ein Zug gemacht. Mit jeder Sanktion und Berechtigung werden sowohl Züge gemacht als auch auf Züge reagiert. Sanktionierungen und Berechtigungen zeichnen sich an dieser Stelle ebenfalls wieder nicht dadurch aus, dass die Intention hinter diesen Handlungen oder Handlungsunterlassungen die einer Sanktionierung oder Berechtigung sein muss, sondern kann. Entscheidend für diese Züge im kommunikativen Spiel ist auch, als was sie von einem bestimmten Individuum verstanden werden. Die Frage, welchen deontischen Status Handlungen (und also auch Sprachhandlungen) im Spiel haben, ergibt sich aus Dritter-Person-Perspektive besehen aus allen in dieser Praxis gemachten Zügen und unter Verweis auf die Erste-Person-Perspektive, aus allen getätigten und erfahrenen Handlungen. Der deontische Status einer Handlung ist Resultat des durch die sanktionierende Praxis geformten repräsentationalen Weltbezugs, das heißt, wie eine Handlungsentscheidung getroffen wird, hängt von der praxisgeformten Art und Weise ab, wie die Handlungsalternativen repräsentiert werden. Somit ist der individualrelative deontische Status von Handlungen eine individualspezifische Form Handlungsalternativen als funktional zu repräsentieren. Dass es keine Regeln sind, die hier Handlungen bestimmen, sondern allein die Form der deontischen Repräsentation von Handlungen jedes einzelnen Individuums, das an der Praxis teilnimmt, ist ein Umstand auf den Sellars hinweist, wenn er schreibt: „Thesis. Learning a language (L) is learning to obey the rules of L. But, a rule which enjoins the using of an action (A) is a sentence in a language which contains an expression for A. Hence, a rule which enjoins the using of a linguistic expression (E) is a sentence in a language which contains an expression for E – in other words, a sentence in a metalanguage (ML) in which the rules for L are formulated. So that learning to use a language (L) presupposes having learned to use a metalanguage

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(ML). And by the same token, having learned to use a metametalanguage (MML) and so on. But this is impossible.“ 341

und damit zeigt, dass Sprache durch ein außersprachliches Tun bestimmt sein muss, damit der unendliche Regress der erforderlichen Metasprachen unterbrochen werden kann bzw. kein Regelregress, wie er etwa von Brandom in Expressive Vernunft bzw. im zweiten Kapitel von uns ausgeführt wurde, die Erklärung gefährdet. Diese vorsprachliche Praxis ist ein Spiel des Sanktionierens und Berechtigens, 342 das sich in den sprachlichen Handlungen fortsetzt, da die Sprachhandlung ihren Bedingungen nach gleichen Charakters ist wie Handlungen im Allgemeinen. Man kann hinsichtlich dieser als berechtigt behandelt werden oder nicht, man kann hinsichtlich dieser sanktioniert werden oder nicht. Wenn Sellars schreibt: „Pattern governed Behaviour of the kind we should call ‘linguistic’ involves ‘positions’ and ‘moves’” 343,

so ist dies auch für die Praxis im Allgemeinen zutreffend, wenn man annimmt, dass die Rolle, die ein Individuum in der Praxis einnimmt, welche wiederum aus den eingeräumten Berechtigungen besteht, die Position im Spiel bestimmt, welche durch die Züge im Spiel individualrelativ konstituiert wird. Was in der außersprachlichen Praxis als Position im Spiel des Sanktionierens und Berechtigens gilt und einem sozialen Status bzw. einer Rolle entspricht, ist im Sprachspiel die diskursive Rolle, die ein Individuum für ein weiteres Individuum einnimmt. Dieser diskursive Status bzw. die diskursive Rolle, welche im Sprachspiel das Korrelat der sozialen Rolle ist, die dem Status zuweisenden Individuum mnematisch repräsentierbar ist, ist die Erfahrungshistorie eines über Sprachhandlungen kommunizierenden Individuums, welche die Repräsentation weiterer Individuen hinsichtlich ihrer Rolle und der Rolle ihrer Sprachhandlungen in ihrer Form bestimmt. Brandom nennt dies das deontische Konto der einzelnen Praxisteilnehmer. 344 Da die sprachlichen 341 342

343 344

Sellars, Wilfrid (1954): Some Reflections on Language Games in: Science, Perception and Reality. Ridgeview. Atascadero 1991. S. 321 Der Gedanke, dass die grundlegende Struktur der außersprachliche Praxis in diesen Begriffen beschrieben werden kann, stammt aus Robert Brandoms Expressive Vernunft (2001) Sellars 1991: 327 vgl. Brandom 2001

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Praxen eine Teilmenge der nichtsprachlichen Praxen darstellen, weisen sie dieselben Regelmäßigkeiten auf, wie die vorsprachlichen Praxen, deren Teil sie sind. Sie unterliegen denselben Bedingungen, den individualfunktionalen Tendenzen der sie konstituierenden Individuen und deren Bewusstseinsfähigkeiten. Die Spielregeln, die für die nicht-sprachlichen Praxen oder Spiele gelten, gelten gleichermaßen für die sprachlichen Praxen bzw. Sprachspiele. Die Normativität der Praxis gegenüber der Form sprachlicher Handlungen besteht in den deontischen Status für die jeweiligen Individuen dieser Praxis (deontische Status auf erster-Person Ebene), welche wiederum aus einem Spiel der Sanktionierung und Berechtigung erwachsen bzw. aus deren Einfluss auf die Art und Weise der den Individuen eignenden repräsentationalen Weltbezüge. Die soziale Rolle von Individuen, die deontischen Status von Handlungen bzw. die Repräsentation von Handlungen auf diese bestimmte Weise sind unauflöslich mit dem deontischen Status von Sprachhandlungen verbunden. Diese unauflösliche Verbindung zeigt sich in der performativen Kraft von Sprachäußerungen, deren Bedeutung und Folgenreichtum nicht nur häufig vom sozialen Status des mit Sprache Handelnden abhängt, sondern diese auch je selbst zu verändern vermögen. Die Bedingungen der Typologisierung von bestimmten Sprachhandlungen, im Sinne von beispielsweise Soziolekten oder auch Glückensbedingungen von bestimmten Sprechakten, sind ein direktes Resultat dieser Dependenzen der normativen Praxis bzw. der deontischen Repräsentationen der einzelnen Individuen einer Praxis, was solche Kategorisierungsversuche zwangsläufig in ein Abhängigkeitsverhältnis zu einer Erklärung, wie der hier erfolgenden, bringt, die diese Praxis in ihren Grundzügen maximal allgemein beschreibt. Der sehr geringe explanatorische Gehalt von Typologisierungen, wie sie beispielsweise die Sprechakttheorie vornimmt, ist hierbei also dem Umstand geschuldet, dass diese Theorien die Praxis nicht in ihrer grundlegenden Prozesshaftigkeit beschreiben, sondern vielmehr die Resultate dieser Praxis, die soziale Stellung oder Rolle bzw. die Folgen von bestimmten Sprachhandlungen – wie sie für gewöhnlich, aufgrund bestimmter Regelmäßigkeiten, verstanden werden. Der Prozess des Verstehens selbst aber ist in diesen Theorien, ob ihres Regularismus, nicht thematisiert (Sie kommen nie über den intentional stance hinaus). Anstatt die Bedingungen zu untersuchen, die diese Regelmäßigkeiten möglich machen und damit tatsächlich eine Erklärung des Phänomens Sprachhandlung zu liefern, wird nur formuliert, dass es bestimmte Sprachhandlungen mit bestimmten Merkmalen gibt.

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Die sprechaktkonstituierende Praxis selbst kommt dabei überhaupt nicht in den Blick. Die kleinste kommunikative Einheit ist daher nicht der Sprechakt, sondern sollte im Verstehensprozess gesucht werden – dem jeweilig individualspezifischen und momentanen repräsentationalen Weltbezug. Wird der Versuch unternommen eine kommunikative Praxis mit der Sprechakttheorie zu beschreiben, so ist das, als versuchte man einen Kuchen allein dadurch zu beschreiben, wie er aussieht oder schmeckt. Diese Beschreibungen werden nicht falsch sein, aber auch nur sehr wenig dazu beitragen, nachvollziehen zu können, wie man den betreffenden Kuchen backt. Aber genau das ist es, was uns interessieren sollte, weil das, was den Kuchen ausmacht, die Elemente sind, aus denen er besteht und die Bedingungen, die zu diesem spezifischen Zusammenspiel führten, das wir in der Backwarenauslage finden. Eine Schlüsselrolle in der Erklärung der Formung von Handlungen und Sprachhandlungen nehmen die deontischen Status ein, welche einer Handlung oder Handlungsalternative zugeschrieben werden. Diese deontischen Status, die aus den von einem Individuum erfahrenen Sanktionierungen und Berechtigungen erwachsen, sind der individual-spezifisch repräsentationale Bezug eines Individuums einer Praxis. 7.5 Deontische Status und explizit expressive Handlungen Der formale Zusammenhang zwischen normativer Praxis und normiertem Weltbezug und damit Handlungen und Sprachhandlungen besteht also in der sanktionierenden oder berechtigenden Kraft von Handlungen. In der Erfahrung erhalten diese Handlungen anderer Individuen einen normativen Charakter, indem sie auf der Grundlage der natürlichen Tendenz bewusstseinsfähiger, natürlicher Systeme stehen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten individualfunktional handeln. Die Art und Weise, wie ein Individuum in dieser Praxis eigene und fremde Handlungen repräsentiert, ist also abhängig von den Handlungen, die es in Reaktion auf das eigene Handeln erfahren hat. Die Sanktion und Berechtigung ist also zunächst nur ein Name innerhalb unserer dritte-Person Beschreibung dieser Zusammenhänge. Das, was wir dann als deontische Status von Handlungen beschreiben, entspricht auf erster-Person Ebene keinem ‚sollte‘, solange das Explikationsmedium Sprachhandlung bzw. -produkt noch nicht vorhanden ist. Es handelt sich hier nur um ein natürlich empfundenes, individualfunktionales ‚Besser‘. Und selbst hinsichtlich eines Bewusstseins mit und in Sprache und den hier möglichen Ressourcen der

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Kategorisierung ist es nicht nur kontraintuitiv anzunehmen, dass Handlungsentscheidungen und -bewertungen in expliziten deontischen Zuschreibungen bestehen. Sie bestehen vielmehr unwillkürlich und quasiemotional als Resultate der automatisierten, analogisierenden Evaluierung markierter mnematischer Repräsentationen. Aber wie verhält es sich mit der formtransformierenden Normativität der Praxis gegenüber den Sprachhandlungen bzw. deren Bedeutungen? Zunächst muss man sich klarmachen, dass man, indem man zu einer Erklärung der Bedeutung von Sprachhandlungen übergeht, einen Schritt vollzieht, den beispielsweise Tomasello innerhalb seiner Geschichte um Gesten und geteilte Intentionalität nachvollzieht, wenn er versucht, die Entwicklung der Kommunikation über expressive Gesten zu erklären. Während wir im Zuge des formal strukturellen normativen Zusammenhangs zwischen Praxis und (Sprach-) Handlungen noch keine Unterschiede zwischen eben diesen beiden, Handlung und Sprachhandlung, konstatieren konnten, was wir darauf zurückführten, dass sich Sprachhandlungen als Teilmenge von Handlungen im Allgemeinen darstellen, so ist hinsichtlich der tatsächlich verstandenen Bedeutung von Handlungen und Sprachhandlungen zumindest ein Unterschied auszumachen, der in der formverändernden Normativität der Praxis zu suchen ist. Dieser Unterschied liegt offenkundig in der Expressivität von Sprachhandlungen. Indem Sprachhandlungen vollzogen werden, tritt ein öffentliches Element in die Praxis, welches in seiner zumindest prinzipiellen Enthebung von subjektiver Erfahrung Ausgangspunkt für das ist, was für Tomasello einen Fall geteilter Intentionalität darstellt. Nur dass es im Gegensatz zu Tomasellos Ansicht hier nicht einfach um einen mentalen Zustand und ein Objekt dieses Zustandes geht, den zwei oder mehr Praxisteilnehmer besitzen, denn diese Redeweise haben wir ja abgelehnt, sondern genauer um Repräsentationen einer phänomenalen Tatsache in nicht individualfunktionalem Selbstbezug, einem Zuschreiben von nicht-individualfunktionaler Bedeutung auf der Grundlage der Erfahrungen und der Fähigkeiten des repräsentierenden Individuums, Sozialpartner hinsichtlich ihrer Intentionen zu repräsentieren. Sprachhandlungen sind aufgrund der lautlichen Struktur wesentlich entbunden von der geteilten Aufmerksamkeit, wenn es darum geht, dass viele Individuen einer Praxis Notiz von dieser Handlung nehmen. Während bei sonstigen Handlungen die Erfahrbarkeit immer innerhalb einer Ich-Du Sozialität abläuft, die die visuelle Hinwendung oder ein direkt körperliches In-Verbindung-Treten erfordert. Wenn innerhalb von Praxen lautlich intentional gehandelt wird,

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so handelt es sich damit, im Gegensatz zu nicht-lautlichen Handlungen, um nicht nur explizierende Handlungen, indem diesen Handlungen Intentionen zugrunde liegen, sondern auch um expressive Handlungen, die es vermögen von allen Praxisteilnehmern in Hörreichweite hinsichtlich der ihnen zugrundeliegenden Intention verstanden zu werden, ohne dass hierfür eine Aufmerksamkeit hinsichtlich des Sprachhandelnden Individuums nötig wäre – diese wird vielmehr durch die lautliche Fixierung hergestellt. Die Momente der Explizitheit und Expressivität von Sprachhandlungen zeichnen diese also in ihrer Möglichkeit aus, intersubjektiv intentionsgemäß verstanden zu werden. Das heißt, explizit expressive Handlungen, zu denen auch die tomaselloschen Gesten zählen, sind aufgrund ihrer Expressivität und den Fähigkeiten anderer Praxisteilnehmer, diese Expressivität in Bezug zum sich ausdrückenden Individuum zu repräsentieren, Ausgangspunkt für intersubjektiv ähnliche Zuschreibungen. Im Gegensatz dazu schaffen nicht explizit expressive Handlungen nur höchst inzidentiell die Möglichkeit, intersubjektiv ähnlich verstanden zu werden. Die explizit expressiven Handlungen sind die ersten sprachlichen Handlungen (im Gegensatz zu den ersten kommunikativen Handlungen, die nach Tomasello vermutlich Gesten waren), da sie nicht nur einen Verstehensprozess anregen und eine informative intention besitzen, sondern definitorisch deshalb, weil Kommunikation durch sie die intersubjektive Dimension erreicht, die über viele einzelne dyadische Strukturen hinausreichend, eine Praxis ermöglicht, in der die Kommunikationsprozesse von einer großen Anzahl an Individuen als solche repräsentiert werden können. Das heißt natürlich nicht, dass dyadische Kommunikation keine sprachliche Kommunikation ist, sondern es heißt, dass Kommunikation durch sprachliche Handlungen, im Gegensatz zu nicht-sprachlichen kommunikativen Handlungen, ein explizit expressives Moment aufweist, das diese Handlung zumindest prinzipiell über die unmittelbar isoliert miteinander agierenden Systeme hinaus verstehbar macht. Dass also zwei oder mehr Praxisteilnehmer auf die intentionale Grundlage einer Handlung eines weiteren Praxisteilnehmers schließen können, häng davon ab, welche sensorischen Inputs ihrer biologischen Beschaffenheit nach eine maximale Expressivität hinsichtlich der biologischen und physikalischen Beschränkungen ihres sensomotorischen Apparates bzw. ihrer Umwelt gewährleisten. Für vorsprachliche menschliche Praxen waren die Beschränkungen und Möglichkeiten einer lautlichen Manifestation von mit informative intention versehenen

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Handlungen hinsichtlich der Umgebungsbedingungen ihrer Existenz offenbar am geeignetsten. Die intersubjektive Erfahrbarkeit einer mit informative intention versehenen Handlung ist somit ausschlaggebend für die Rede von einer (ur-/proto-) sprachlichen Handlung. Sprachliche Handlungen können überhaupt erst dadurch funktionieren, dass sie öffentlich sind. Die Voraussetzung für eine intersubjektiv ähnliche Bedeutungs- bzw. Intentionszuschreibung ist natürlicherweise diese intersubjektive Erfahrbarkeit. Erst die durch Sanktionierung oder Berechtigung in der Praxis regelmäßig auftretenden expressiven Handlungsweisen können als individualfunktionale Handlungen konventionell werden. Die Sprache beginnt daher nicht mit der geteilten Intentionalität oder der Konvention, sondern mit der Struktur der Praxis (sanktionierend und berechtigend) und den biologischen Voraussetzungen, der sie konstituierenden Individuen, sowohl an Bewusstsein und sensomotorischem Apparat als auch der Expressivität der Handlungen dieser Praxisteilnehmer. Es ist kein einzelner Terminus Sprache, der hier sinnvoll wird, sondern ein komplexes Zusammenwirken von natürlichen Tendenzen und Fähigkeiten natürlicher Individuen und den Koordinationsproblemen, die diese Individuen in einer stetig an Struktur gewinnenden Praxis verstehen müssen, um ihr eigenes Handeln hinsichtlich dieser Probleme anpassen zu können. Dass nun die expressiven (Sprach-) Handlungen hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Individuen dieser Praxis gegenüber Handlungen im Allgemeinen einen Sonderstatus beanspruchen, rührt, wie erwähnt, von ihrer Expressivität her, die in besonderem Maße geeignet ist, Koordinationsprobleme effektiv zu lösen. Wenn wir dies innerhalb der Spielmetaphorik verdeutlichen wollen, so gelangen wir an dieser Stelle sehr schnell zu Robert Brandoms Theorie einer normativen Pragmatik, die die Bedeutung von sprachlichen Handlungen im Allgemeinen und Sätzen und Worten im Speziellen in der genannten Abhängigkeit ausdifferenziert, um seiner Theorie einer nicht-konventionalistischen, inferentiellen Semantik eine Grundlage zu schaffen. Die bisherigen, allgemeinen Ausführungen zur normativen Praxis können zumindest teilweise als Grundlage für seine spezielle Theorie der inferentiellen Semantik und normativen Pragmatik verstanden werden, die eine spezielle Sprachpraxistheorie darstellt, welche das formtransformierende bzw. bedeutungskonstituierende Potenzial der außersprachlichen Status von Handlungen in die Mitte der Betrachtung von Sprache selbst stellt. Innerhalb dieser

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Erläuterungen nehmen, wie wir bereits weiter oben erwähnt hatten, die deontischen Status von Handlungen eine prominente Stellung ein. Wie wir des Weiteren im obigen Abschnitt zum formal-normativen Zusammenhang zwischen Praxis und Sprachhandlung durch den repräsentationalen Weltbezug geschildert hatten, ist es auf der anderen Seite eine durch Sanktionierung und Berechtigung und individualfunktionale Tendenzen des Individuums geformte Art fremdes Handeln und eigene Handlungsalternativen zu repräsentieren, welche hier über das Konzept des deontischen Status beschreibbar wird. Ob eine Handlung erfahrungs- und somit praxisrelativ individualfunktional erscheint, also ausgeführt werden sollte oder nicht, ist auch in der Bedeutungskonstitution der alles entscheidende Umstand. Diese besondere Form des Verstehens leitet die Verwendung von Sprachhandlung zunächst voll und ganz an. Das heißt also auch, dass die Erklärung von subsententialen Ausdrücken hinsichtlich der Praxiskonstitution von Bedeutung zwangsläufig nach dem Top-down Prinzip verfahren sollte, da eben zunächst die Handlung Bedeutung hat und erst durch diese die Teile, die sie konstituieren. Zunächst (ontogenetisch und auf erster-Person Ebene) wird die Rolle von Sprachhandlungen im Sinne von sozial relevanten Handlungen verstanden bzw. repräsentiert und erst aufbauend darauf die Rolle, der in diesen vorkommenden Elemente. Das heißt, dass es Teil dieser Zielumsetzung durch eine repräsentierte Handlungsalternative sein kann einen Sachverhalt oder ein Ding oder eine Eigenschaft dieser Tatsache zu differenzieren, so dass beispielsweise die Verknüpfung von Begriff und Wort nichts anderes ist als eine inferentielle Rolle der gesamten deontischen Repräsentation von Handlungen und Handlungsalternativen. Wenn also beispielsweise Dummett fragt, was es bedeutet, das Konzept ‚quadratisch‘ zu begreifen und es begriffenermaßen als subsententiales Element nutzen zu können, 345 so kann man darauf antworten, dass der Begriff „quadratisch“ hier nichts anderes als die inferentielle Rolle in den deontischen Repräsentationen eines Individuums darstellt, und das heißt, wie und wann er gemäß einer bestimmten Praxis verwendet wird. Und dies ist eben von Mensch zu Mensch verschieden. Diese Erklärung deckt sich dann auch mit seiner

345

Dummett 1993: 98

285

„observation, that there is no such mental event as a concept’s coming to mind“ 346,

was nichts anders heißt, als dass es sich auch bei den sogenannten Begriffen oder Konzepten in natürlichen Kontexten nur um explanatorische Hilfen handelt, die kein erste-Person Korrelat vor und abseits einer aristotelischen Begriffsbestimmung besitzen. Für unseren naturalistischen Sprachbegriff ist es jedenfalls wichtig festzustellen, dass es eine Theorie gibt, die sich in ihren grundlegenden Annahmen mit der hier vorgeschlagenen Erörterung in Einklang bringen lässt, wenn Brandom schreibt, dass die grundlegende, bedeutungskonstituierende Praxis eine Praxis des Festlegens auf Gehalte, Berechtigungen und Sanktionierungen ist und damit das ausdrückt, was wir hier beschrieben haben. Es gibt allerdings einige entscheidende Differenzen zwischen seinem Ansatz und der hier ausgeführten Erörterung, so dass es nur recht und billig erscheint, auf diese, wie auf grundlegende Gemeinsamkeiten und wechselseitige Erweiterungsmöglichkeiten, in aller Kürze hinzuweisen. Zunächst einmal geht Brandom innerhalb seines Werkes nicht von der Grundlage eines naturalistischen Prinzips an die Erklärung der Sprachfähigkeit heran, sondern vielmehr von der Frage, was es heißt, propositionale Gehalte zu verstehen. 347 Der größere Erklärungsrahmen wird von ihm um die Beantwortung dieser Frage gesponnen, anstatt nach einer Grundlagenerklärung dieses Verstehens in einem größeren, noch allgemeineren Kontext zu suchen. Dass er dabei dennoch bei einer quasinaturalistischen Beschreibung der Sprachpraxis ankommt, sollte man durchaus als Indiz dafür verstehen, dass die hier vorgeschlagenen Erklärungsschritte hinsichtlich ihrer begründenden Funktion, zumindest der Theorie Brandoms gegenüber, nicht fehlgegangen sind. Vielmehr als das sind die Schnittmengen natürlich einigen geteilten Ausgangsannahmen geschuldet. Die Wichtigste ist natürlich die Ablehnung des Konventionalismus bzw. die Abkehr von Beschreibungen von Sprache in Begriffen von Regeln, die Brandom aus seiner Variante des wittgensteinschen bzw. kripkeschen Regelregressargumentes folgert und in Anlehnung an Davidson ausformuliert. 348 Es ist die seiner Theorie wie auch der hier dargestellten Ausführung zugrundeliegende Einsicht Sellars, dass Regeln gelebt werden und nicht in der Beschreibung existieren, die seinen 346 347 348

Dummett 1993: 99 Brandom 2001: 38 Brandom 2001: 342

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Regelskeptizismus in eine Praxistheorie von Sprache und Bedeutung münden lassen. 349 Die naturalistische Komponente importiert er über seine Auslegung Kants, nach der wir als natürliche Wesen nach Regeln handeln, während wir erst als rationale Wesen nach unserer Vorstellung von ihnen handeln können. 350 Dies drückt im Grunde das aus, was wir versucht hatten, mit der Differenz zwischen Erster- und Dritter-Person-Perspektive zu beschreiben. Eine Norm im Handeln wird demnach erst durch die praktischen Einstellungen derer, die sie in einer Praxis anerkennen, instituiert. 351 Die Norm selbst aber, die nur in einer Dritte-Person-Perspektive existent ist, beruht darauf, dass das Handeln, was auf der Grundlage des Repräsentierens eines Individuums ausgeführt wird, von den übrigen Individuen der Praxis sanktioniert wird oder nicht. Deshalb schreibt Brandom auch, dass das Repräsentieren als Repräsentieren-Wollen verstanden werden sollte. 352 Hinter solchen kryptischen Aussagen Brandoms verbirgt sich die implizit naturalistische Grundlage seiner Theorie, denn hinter diesem Ausdruck des Repräsentieren-Wollens steckt nichts anderes als das Konformitätsbestreben der Praxisteilnehmer, das der individualfunktionalen Handlungstendenz natürlicher, bewusstseinsfähiger Systeme im Allgemeinen geschuldet ist. Repräsentieren-Wollen heißt in Bezug auf die erfahrene Praxis und die eigenen Intentionen individualfunktional verstehen und darauf aufbauend, handeln zu wollen. Ganz entschieden in Abweichungen voneinander begriffen, sind die hier vorgeschlagene Argumentation und die seinige allerdings hinsichtlich der von ihm postulierten Vorrangigkeit des Propositionalen, die er in einer kurzen Ausführung zu den elementaren Bewusstseinstatsachen in Anlehnung an Kant formuliert. Dieser Vorrang des Propositionalen erschöpft sich in der Behauptung seinerseits, der Grundgegenstand des Bewusstseins sei das (stets propositionale) Urteil. 353 Dass dies nicht sein kann, wenn man als Urteilen bereits einen begrifflich strukturierten inferentiellen Prozess annimmt, zeigt sich daran, dass alles nicht begrifflich strukturierte Bewusstsein, mithin also alles vorsprachliche Bewusstsein, diesem Sinne nach nicht mehr als Bewusstsein 349 350 351 352 353

Brandom 2001: 64 Brandom 2001: 72 Brandom 2001: 117 Brandom 2001: 127 Brandom 2001: 139

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beschreibbar ist. Dies ist aber vor dem Hintergrund einer umfassenden und kohärenten Definition von Bewusstsein höchst fraglich. Dass dem ganzen Versuch der Erklärung des menschlichen Vermögens zur Repräsentation propositionaler Gehalte unter der Bedingung zu Leibe gerückt wird, dass wir uns als Menschen durch diese Art des Verstehens von der restlichen belebten Welt abgrenzen lassen, ist zwar zunächst richtig, wächst sich aber über seine Kantauslegung zu einer höchst problematischen Grundlage seines gesamten Unterfangens aus, die er im Übrigen selbst nicht hinterfragt, obschon sein Augenmerk selbstformulierterweise auf genau solchen nicht-erklärten Erklärern liegt. So lesen wir zu Beginn seiner Ausführungen den programmatischen Satz, dass das (menschliche) Verstehen das Begreifen von Gründen sei, das Beherrschen von Richtigkeiten des theoretischen und praktischen Folgerns. 354 Wenn man Verstehen, dieses zentrale Element in jeder Erklärung von Repräsentation, Sprache und Kommunikation, bereits zu Beginn von seinen natürlichen Bedingungen entkoppelt und stattdessen als isoliertes Phänomen behandelt, das vollkommen einzigartig ist, so unterliegt Brandom dem weiter oben angesprochenen anthropozentrischen Fehlschluss, mit der höchst problematischen Konsequenz, dass seine Ausführungen zu den Grundlagen des Verstehens auf äußerst wackeligem Grund stehen, den auch der Verweis auf kantisches Gedankengut nicht zu befestigen vermag. Wie schlüssig kann es sein, anzunehmen, dass die Form unseres Verstehens aus einer Art entwicklungstheoretischer Singularität hervorgegangen ist, wo doch die sonstigen Merkmale natürlicher Wesen sich ohne jeden explanatorischen Hiatus sinnvoll und funktional beschreiben lassen? Wenn Brandom den Menschen in seiner Eigenschaft, propositionale Gehalte verstehen zu können, untersucht, so macht er einen Fehler hinsichtlich jeder globaleren Erklärung von Verstehensfähigkeiten und damit auch Sprachfähigkeiten. Nichtsdestotrotz gelangt er für den speziellen Fall des menschlichen Verstehens propositionaler Gehalte zur gleichen Einsicht, die wir hier in Bezug auf diese Fähigkeit formuliert hatten, nämlich, dass Kommunikation im Verstehen und dass Verstehen in einer sozialen Praxis von Individuen mit bestimmten mnematischen Fähigkeiten bzw. Repräsentationsfähigkeiten wurzelt. 355 Aus diesem Grund ist sein Modell der inferentiellen Semantik in seinen Grundzügen auch dann noch für unsere 354 355

Brandom 2001: 37 Brandom 2001: 719

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Zwecke hilfreich, wenn es hinsichtlich allgemeinerer Erklärungen fehlgehen muss, da es den Einfluss der Praxismechanismen auf die Bedeutungskonstitution und deren Signifikanz für etwaiges weiteres Handeln des Verstehenden und Äußernden dennoch in reliabler Weise untersucht. Der Umstand, dass sein bei Weitem zu eng gefasster Verstehensbegriff dem hier vorgeschlagenen in all seiner Allgemeinheit gegenübersteht, tut diesem Sachverhalt keinen Abbruch, da es für die partielle Untersuchung der menschlichen Fähigkeit, propositionale Gehalte zu repräsentieren, nicht nötig ist, einen derart weit gefassten Verstehensbegriff anzunehmen, wenngleich, wie bereits erwähnt, eine komplette Integration seiner Theorie an eben diesem Punkt scheitern oder aber neu diskutiert werden muss. Wie sieht nun Brandoms Erklärung von Bedeutungskonstitution durch die Praxis aus? Es handelt sich bei seiner Dependenztheorie der Bedeutung um eine grob in drei Elemente aufzugliedernde Praxistheorie. Die normative Praxis zerfällt nach Brandom in Festlegungen, Berechtigungen und Sanktionierungen. Was bedeuten diese Begriffe im Vergleich zu den weiter oben von uns eingeführten? Der erste und wichtigste Unterschied besteht darin, dass sich die von uns eingeführten Begriffe bisher vorrangig auf nicht-sprachliche Handlungen bezogen. Wir hatten bisher nur vom formalen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Bedeutung und den deontischen Status bzw. zwischen Handlungsrepräsentationen und sanktionierenden und/oder berechtigenden Handlungen gesprochen. Dabei war es die Art der Repräsentation (deontisch) von Handlungen für ein Individuum, die in Abhängigkeit, geschaffen durch die individual-funktionalen Tendenzen eines Individuums, zur Praxis steht. Das setzt natürlich die Einsicht in die individual- und somit perspektivenrelative Verfassung jeder Bedeutung voraus, die demnach stets zugeschrieben ist. 356 Bedeutung ist eine reine Bewusstseinstatsache, wenngleich auch geformt durch die Praxis. Eine solche Theorie der Bedeutung sollte daher auch nicht von implizitem Wissen sprechen, sondern von mnematischen, deontischen Repräsentationen. Brandom aber arbeitet in seiner Praxistheorie nicht ausgehend von den nicht explizit expressiven Handlungen, sondern immer schon in Bezug auf diese. Das heißt, seine Begriffe der Sanktionierung, 356

Was hinsichtlich sprachlicher Bedeutung, und in expliziter Abgrenzung von jedem herkömmlichen Begriff einer natürlichen Einzelsprache in dem Davidsonschen Begriff des Idiolekts kulminiert.

289

Berechtigung und Festlegung beinhalten bereits die angesprochenen Unterschiede, die sich eben aufgrund des expressiven Elements ergeben müssen. Er setzt bereits bei sprachlichem und begrifflichem Verstehen an, das für unsere Schilderung der Praxis noch nicht nötig ist. Kurz, sein Praxismodell ist das einer rein sprachlichen Praxis. Da aber, wie wir weiter oben festgehalten hatten, die sprachliche Praxis eine Teilmenge der Gesamtpraxis ist, bleiben die Feststellungen hinsichtlich der formal normativen Zusammenhänge zwischen Praxis und repräsentationalem Weltbezug und den aus diesem resultierenden Handlungen in Gültigkeit. Allerdings ist nochmals darauf hinzuweisen, dass Brandom infolge des anthropozentrischen Fehlschlusses hinsichtlich der Erörterung des Verstehens, das erwähnte Abhängigkeitsverhältnis in sein Gegenteil verkehrt und die soziale Praxis als Teilmenge bzw. Spezifikum der sprachlichen Praxis begreift. 357 Dass die sprachliche Praxis die Gesamtpraxis zu ändern vermag, ist unwidersprochen richtig, aber das gesamte Abhängigkeitsverhältnis in sein Gegenteil zu verkehren, muss spätestens an generischen Erklärungen von Repräsentationsfähigkeiten scheitern, weil in dieser Verkehrung nicht mehr einsichtig gemacht werden kann, wie Sprache überhaupt aus etwas anderem hervorgeht. Die Unterschiede in der von ihm vorgeschlagenen Terminologie und der hier angewandten sind nichtsdestotrotz gradueller Natur bzw. stellen unseren Begriffen allgemeingültige Variationen seiner nur auf Sprache bezogenen Termini dar. Zunächst fällt natürlich auf, dass Brandom den Sanktionierungen und Berechtigungen als Zügen im (Sprach-) Spiel den Zug der Festlegung zur Seite stellt. Dies ist eines der Resultate seiner Hinwendung zu ausschließlich explizit expressiven Handlungen. Von diesem Element ausgehend soll die bedeutungskonstituierende Praxis nach Brandom mit unserem eigenen, allgemeinen Vorschlag zur Natur der Sprache verbunden werden. Dazu ist es allerdings erst einmal erforderlich zu erläutern, was Brandom mit seiner inferentiellen Semantik meint, die er durch eine normative Pragmatik ergänzt. Hinsichtlich unseres Vorschlages zur De- und Rekonstruktion des Begriffes Sprache, ist hier besonders beachtenswert, dass eine komplex ausdifferenzierte Semantik bereitsteht, die die grundlegenden Mechanismen der Repräsentation propositionaler 357

im Übrigen handelt es sich auch hier wieder um einen ungeklärten Erklärungssatz Brandoms: vgl. Brandom 2001: 40

290

Gehalte in Weiterführung des hier vorgeschlagenen Sprachhandlungskonzepts leisten könnte. Innerhalb der Bedeutungstheorie Brandoms ist man, wie erwähnt, allerdings immer schon in der Sprache und somit im Bereich des expliziten Denkens und des Ausdrucks. Für Brandom, so scheint es, ist der Mensch entweder in der Sprache oder er ist es nicht, es gibt hier für ihn offenbar keine Übergänge, was er immer wieder durch den Ausdruck zu veranschaulichen sucht, dass man, um einen Begriff (im Sinne eines Konzepts) von etwas zu haben, bereits viele Begriffe haben müsse. 358 Dies heißt bei ihm, dass die Bedeutung eines Ausdrucks aus der inferentiellen Rolle abgeleitet ist, die dieser Begriff in den einem Individuum möglichen Inferenzen einnimmt. 359 Dies ist der Ausgangspunkt für seine inferentielle Semantik. Die Bedeutung eines Ausdrucks, und hier geht er zunächst von Sätzen und satzähnlichen Strukturen aus, die Handlungsstatus einnehmen können, ist durch die Rolle in den Inferenzen bestimmt, in denen er als Prämisse oder Konklusion vorkommen kann. Das heißt, die Satzbedeutung leitet sich formal von der Bedeutung ab, die dieser Satz in Argumentstrukturen einnimmt. Die Satzbedeutung ist nach Brandom daher durchweg material-logisch (im Gegensatz zur formal logischen Bestimmung) gekennzeichnet. Die Feststellung, man müsse viele Begriffe haben, um überhaupt welche zu haben, bekommt so einen inferentialistischen Sinn. Die Bedeutung subsententialer Ausdrücke wird über die Rolle bestimmt, die diese Ausdrücke im Hinblick auf die inferentielle Rolle des Satzausdruckes in diesem Satz einnehmen. Brandom erklärt diese Rolle über Substitutionsregeln, wonach zwei subsententiale Ausdrücke genau dann die gleiche Bedeutung besitzen, wenn sich die inferentielle Rolle des Gesamtausdrucks durch Substitution dieser Ausdrücke nicht ändert.360 Die Ausdrucksbedeutung ist im Gegensatz zu der formalen Bestimmung der 358 359 360

Brandom 2001: 152 Brandom 2001: 152 Für detailliertere Ausführungen hinsichtlich der Mechanismen der inferentiellen Semantik nach Brandom siehe: Brandom, Robert (2000): Begründen und Begreifen. Suhrkamp. Frankfurt a M. 2004; Knell, Sebastian (2004): Propositionaler Gehalt und diskursive Kontoführung. Eine Untersuchung zur Begründung der Sprachabhängigkeit intentionaler Zustände bei Brandom. de Gruyter. Berlin/New York 2004; Ebeling, Christian (2009): Festlegen-Berechtigen-Sanktionieren: Robert B. Brandoms Konzeption von Sprachpraxis und Sprachgebrauch. Akademische Verlagsgemeinschaft. München 2009

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Satzbedeutung zwar auch von den Inferenzen abhängig, in denen dieser Ausdruck vorkommen kann, aber nicht in allen möglichen, sondern in allen dem Individuum möglichen Inferenzen, was de facto ein Zugeständnis an den davidsonschen Idiolektbegriff ist, dessen Kernthese es ist, dass sprachliche Bedeutung stets individualrelativ ist – dass es abseits der idealisierten Satzbedeutung nur Äußerungsbedeutungen geben könne. Indem es die dem Individuum möglichen Inferenzen sind, die die Bedeutung eines Ausdrucks und der in ihm befindlichen subsententialen Elemente bestimmen, ist die jeweils praxiskonforme Art der Repräsentation von Sprachhandlungen maßgeblich eine Sache der Erfahrung des jeweiligen Individuums bzw. der erfahrenen inferentiellen Beziehungen von Handlungen und Sprachhandlungen. 361 Zu wissen, was die richtige Handlungsweise bzw. die richtige sprachliche Handlungsweise innerhalb einer bestimmten Praxis und eines gegebenen Kontexts ist, heißt, einen Begriff von dieser Handlung zu haben. Einen Begriff von einer Handlung zu haben heißt wiederum, eine bestimmte Art inferentiell gegliederten Tuns zu beherrschen – dies ist das (explizite) Verstehen im Sinne Brandoms. 362 Wobei hier natürlich zwangsläufig wieder die Frage auftaucht, inwieweit dieser enge, konzeptualistische Verstehensbegriff explanatorisch hinreichen kann. Es bleibt für unser Modell jedenfalls die Feststellung in kraft, dass es wenig sinnvoll ist, anzunehmen, jede Handlungsentscheidung, die ja zwangsläufig einen Verstehensprozess beinhaltet, wäre bereits begrifflich strukturiert. Ebenso fragwürdig erscheint die völlig willkürlich gezogene Trennlinie zwischen bloß responsiven Praxen und begrifflichen Praxen,363 die es nahezu unmöglich erscheinen lässt, dass es hier einen natürlichen Übergang geben könne. Dieses praktische, inferentiell gegliederte Tun, das Verstehen von Begriffen bzw. Äußerungen hinsichtlich der Inferenzen, in denen diese sinnvoll vorkommen, heißt nichts anderes, als die Gründe zu kennen, die eine bestimmte Sprachhandlung legitimieren.

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Was die Grammtik angeht, so schlägt Givón eine ähnlich empiristische Erklärung vor, wenn er schreibt: „grammar appears to code simultaneously propositional semantics and discourse pragmatics […] highlighting the adaptive nature of grammar.“ in Givón, Talmy (2002): Bio-Linguistics: The Santa Barbara Lectures. John Benjamins Publishing Co. Amsterdam/Philadephia 2002. S. 13, 15 Brandom 2001: 193 vgl. Brandom 2001: 152

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Es heißt zu wissen, wie ein Ausdruck in seinem Handlungscharakter ausgeführt werden sollte oder nicht. Die Inferenzen praktisch zu beherrschen, die diesen deontischen Status einer Äußerung festlegen, heißt, dass ein Praxisteilnehmer aus seinen Erfahrungen zu schließen fähig ist, was getan werden sollte. Auch bei Brandom sind Sätze nur die theoretischen Einheiten (Typen), die wir benutzen, um konkrete Sprachhandlungen (Token) zu bezeichnen. Die Satzbedeutung ist der (durch das Verstehen der jeweiligen Intention definierten) Äußerungsbedeutung zumindest theoretisch zu subsumieren, wie die Wortbedeutung der Satzbedeutung unterzuordnen ist. 364 Das inferentiell begabte Wesen ist also in der Lage, Handlungen anderer Praxisteilnehmer und auch eigene Handlungsalternativen hinsichtlich der deontischen Status zu repräsentieren, die sich aus den Erfahrungen des betreffenden Individuums ergeben. Wie deontisches Repräsentieren zu begründen ist, legt Brandom nicht nahe, aber hier können wir mit unserer Verbindung von Repräsentationsfähigkeit und individualfunktionalen Tendenzen natürlicher Wesen, die weiter oben erfolgte, die Lücke in unserem Sinne schließen. Der relevante Punkt für unsere Ausführungen hier ist jedenfalls, dass die inferentielle Semantik sich am repräsentationalen Weltbezug des je einzelnen Individuums ausrichtet und somit in der Lage ist, die prinzipielle Standpunktrelativität aller Kommunikation und Bedeutung zu fassen. Dies aber kann sie nur deshalb, weil sie als theoretisches Konstrukt die Praxisstruktur spiegelt. Indem die Annahme in Gültigkeit gesetzt ist, dass es der deontische Status ist, der angibt, ob eine sprachliche Handlung zu einem bestimmten Zweck sinnvoll ist, also in einer Praxis eine bestimmte Bedeutung besitzt, ist es die Praxis, die durch Mechanismen wie Sanktionierung und Berechtigung das Individuum zur Repräsentation von Handlungen und Handlungsalternativen in diesem spezifischen Sinne anleitet und bestimmt. Was, wann und wie innerhalb einer bestimmten Praxis eine berechtigte Handlung sein kann, ergibt sich aus der Evaluierung dieser spezifischen Handlung (-salternative) durch ein inferentiell verstehendes Individuum, welches wiederum in dieser Evaluation bzw. in diesem inferentiellen Verstehensprozess durch seine eigenen Erfahrungen innerhalb bestimmter Praxen bestimmt ist. In diesem Sinne bestimmt die Praxis die deontischen Status. Die normativen Teile dieser Praxis, so hatten wir weiter oben argumentiert, sind zunächst Folgehandlungen, die als 364

vgl. Brandom 2001: 142

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negativ oder positiv empfunden werden, also als das, was aus DritterPerson-Perspektive als Sanktion oder Berechtigung beschreibbar ist. Wenn Brandom darüber schreibt, wie sprachliche Bedeutung als Repräsentation propositionaler Gehalte funktioniert und dies über ein inferentiell gegliedertes Tun beschreibt, ist dies nichts anderes als eine Schilderung auf Grundlage dessen, was wir allgemein über die Verstehensfähigkeiten von Individuen mit einbettendem Bewusstsein vierter Stufe formuliert haben. Und dies gilt natürlich in besonderem Maße für die Bedingungen, die diese Wesen erfüllen müssen, um insgesamt eine Praxis zu konstituieren, in der deontisches Repräsentieren überhaupt möglich ist. Hier spielt, wie in den vorherigen Abschnitten ausgeführt, die Fähigkeit, Sozialpartner hinsichtlich ihrer Intentionen zu repräsentieren, eine besonders wichtige Rolle. Dass eine (Sprach-) Handlung eine bestimmte Bedeutung innerhalb einer Praxis und für ein bestimmtes Individuum besitzt, hängt nach unserer Argumentation maßgeblich vom deontischen Status ab, den diese in der Repräsentation dieses Individuums erhalten. Wie kann man nun den Einfluss der Praxis auf den deontischen Weltbezug erklären, so dass die Bedeutung eines sollte oder sollte nicht auf die Bedeutung von explizit expressiven Handlungen, mithin also Sprachhandlungen, erweiterbar wird? Dies ist recht schnell einsichtig zu machen. Brandom lässt im Hintergrund seiner inferentiellen Semantik ein durchweg wittgensteinsches Programm laufen, das uns eine Antwort auf diese Frage geben kann. Denn ist die Konstitution von sprachlicher Bedeutung den sanktionierenden und berechtigenden Mechanismen der Praxis geschuldet und besteht das Zuweisen von deontischen Status als Folge eines inferentiellen Verstehensprozesses im praktischen Folgern aus diesen Sanktions- und Berechtigungserfahrungen, so ist der Erwerb bestimmter Bedeutungen ein wittgensteinsches Abrichten. Die Frage ist natürlich, wie sich eine solche Hintergrundannahme zumindest allgemein gegen POSArgumente 365 behaupten kann. Da die Bedeutungskonstitution innerhalb

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Die Argumentationen, die die Poverty of Stimulus Argumentvarianten unterfüttern sollen, muten allerdings bisweilen zweifelhaft bis abenteuerlich an: So meint Chomsky beispielsweise, es wäre bereits ein schlagendes Argument für eine Ilanguage, dass blinde Menschen eine Einzelsprache inklusive der richtigen Verwendung von Farbwörtern oder Wörtern wie ‚sehen‘ und ‚schauen‘ lernen. Dass Chomsky hier die Reichhaltigkeit der analytischen Mechanismen der nativistischen language faculty am Werk sieht, verwundert nicht. Es sollte jedoch einigermaßen

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inferentieller Semantiken aber nicht in rein reproduktiven Prozessen des jeweiligen Inputs geschildert wird, also über einen ausdifferenzierten Verstehensbegriff, kann man den typischen Einwänden vonseiten der Nativisten auch mit Rekurrenz auf eben diesen Verstehensprozess begegnen, was Brandom denn auch tut, wenn er hinsichtlich des Problems der Extrapolation des richtigen Gebrauchs vieler Sätze aus dem richtigen Gebrauch weniger schreibt: „Die sprachliche Gemeinschaft legt den richtigen Gebrauch einiger Sätze und somit auch der Wörter fest, die darin vorkommen, und damit wiederum den aller übrigen Sätze, die durch die Verwendung dieser Wörter ausgedrückt werden können. Indem das Individuum also eine relativ kleine Stichprobe von Sätzen zu gebrauchen lernt, lernt es auch alle darin verwickelten Wörter und auch all die Sätze zu gebrauchen, die aus diesen Wörtern gebildet werden können.“ 366

Zudem kann mit Verweis auf Tomasello gegen diese Art Argument auch schlicht eingewendet werden, dass „in the current view, the principles and structures whose existence is difficult to explain without universal grammar […] are theory internal affairs and simply do not exist in usage-based theories of language – full stop.” 367

Im Übrigen kann man der typischen Argumentation der POSA Vertreter folgendes Beispiel zu bedenken geben, welches wir von Davidson übernommen haben und das er zwar zu anderen Zwecken benutzt, allerdings dennoch einen wesentlichen Fakt offenbart. Stellen Sie sich vor, „einem angehenden Naturwissenschaftler werde mitgeteilt, dass die Masse eines Körpers keinen Einfluss darauf hat, wie lange es dauert, bis er, in einem Vakuum fallend, eine bestimmte Entfernung zurückgelegt hat. Sodann wird ihm die Frage gestellt: >>Nehmen wir an, Galileo hätte eine Feder und eine Kanonenkugel von der

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bemerkenswert sein, dass diese Phänomene auch völlig schlüssig dahingehend interpretiert werden können, dass Worte wie die genannten eben nicht in dem gelernt werden, was sie bezeichnen, wie es Chomsky zu denken scheint, sondern in dem, was sie sind: deontische Repräsentationen von Handlungen bzw. Handlungsalternativen, die als (Sprach-) Handlungen mit einem deontischen Status versehen sind, der durch die normative Praxis festgelegt wird, in der sich die betreffenden Individuen aufhalten – und diesen Status muss man nicht sehen, sondern man wird auf ihn hin erzogen. Vgl.: Chomsky 2000: 121 f. Brandom 2001: 520 Tomasello 2003: 7; für eine umfassende Ablehnung des Nativismus siehe auch: Cowie, Fiona (1999): What’s Within? Nativism Reconsidered. Oxford University Press. Oxford, New York 1999

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Spitze des Emipre State Building fallen lassen, und die Erde besitze keine Atmosphäre. Welches von beiden wäre zuerst unten angekommen, die Feder oder die Kanonenkugel?>Keine Ahnung. Ihr habt mir nur erzählt, was tatsächlich geschieht, wie die Dinge nun einmal liegen; was geschähe, wenn die Dinge anders lägen, habt ihr mir nicht gesagt.