Spielregeln für den Untergang: Die Welt des Nibelungenliedes 3484107731, 9783484107731

Die Bedeutung der nibelungischen Texte im Prozess ihrer Verschriftlichung zu erörtern erscheint zunehmend problematisch,

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German Pages VI+494 [504] Year 1998

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Spielregeln für den Untergang: Die Welt des Nibelungenliedes
 3484107731, 9783484107731

Table of contents :
Avant-propos 1
Einleitung: Das Nationalepos und seine Interpreten - Aporien der Deutung - Das Dilemma der Sagengeschichte - 'Vokalität' und kulturelles Wissen - Buchepische Integration im Zeichen der 'Vokalität' - Alterität: die Herausforderung der Ethnologie - 'Spielregeln für den Untergang' - Zum Vorgehen 6
I. Umschriften der Sage
Kollektiverinnerung? - Erzählen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit - Wie denkt man sich die Verschriftlichung der Sage? - Spuren der Arbeit an der Sage - Erzählen gegen die Tradition - Markierte Ersetzungen - Syntagmatische und paradigmatische Integration (zur Isenstein-Episode) - Entproblematisierung, Wucherung, Amputation - Die Eingangsaventiure - Sagenhorizonte 55
II. Heroisches Erzählen und buchepische Komposition
Unendliche Rede: Ein Epos fängt an — Buchepos und Initialformel: die unterdrückte Bewegung - Das Ende und sein Dementi - Buchepos und Sagenerinnerung - Sivrits doppelte Jugendgeschichte - Erzählen in fingierter Mündlichkeit: Hagens 'niuwemære' - Doppelungen - Störungen - Kalkulierte Unbestimmtheit 103
III. Nibelungische Gesellschaft:
Personenverband - Treuekonflikte - Ambiguisierung von 'triuwe' - Wer soll herrschen? - Heros, Adel, Landesherr - Heroen im Exil - 'Rehter heldes muot' - 'Frouwen ziehen' - Warum der 'pfaffe' als Opfer des Heros? 153
IV. Nibelungische Anthropologie:
Wider Psychologisierung - 'zorn' - 'trûren' - Spannung von 'außen' und 'innen' - 'herzen jâmer'/'herzeliebe' - Die 'arme' Königin - Kriemhilt, die 'gotes arme' - Psychische Komplexität — Name und 'Identität' des Heros - 'übermuot' - Personalität als Oberfläche 201
V. Die Trübung der Sichtbarkeit:
Transparenz der nibelungischen Welt - Antizipierte Sagenerinnerung - Löschen der Sichtbarkeit - Politik der Blicke - Verwirrung der Blicke - Worte und Zeichen I: Sivrits Trophäe - Worte und Zeichen II: Kampf um den Augenschein - Falscher Augenschein — Krieg der Blicke und Gewalt 249
VI. Räume:
Offener vs. abgeschlossener Raum - Raum, Institution, Personenkonstellation: 'ze hove' - Regionalität und Fremde - Anwesenheit/ Abwesenheit - 'Einander Nahekommen' - Bedrohliche Ferne/gewaltsame Nähe - Vertikale Ordnung - Schrumpfung des Raums - Wege - Wuchern der nibelungischen Welt 297
VII. Gestörte und problematisierte Interaktionsregeln:
Scheitern von Ritualen - 'milte' und Herrschaft - Gestörte 'milte' - Gratishandeln, 'miete', 'lôn' - Ehre - Eid - Wahrheit setzende Sprechakte - 'suone' und 'ergetzen' - 'gruoz' - Waffentragen - 'dringen' und 'schal' - Ruhe und 'gâben' 545
VIII. Das Verspielen der höfischen Alternative:
'Ze hove': Zeremoniell und Prachtentfaltung - Turnier und Gewalt - Frauendienst: das heroische Mißverständnis - Heros und Frauendiener - Wie dient man der 'vrouwe'? - Virtualisierende Gesten - Zusammenbruch höfischer Virtualisierung - Destruktion höfischer Form - Mahl - Das andere Fest - Blut und Wein 389
IX. Dekonstruktion der nibelungischen Welt:
Geistliche Kritik? - Distanzierung heroischer Muster? - Epidemie der Gewalt - De-Humanisierung - Perspektive? 435
Literaturverzeichnis 457
Register 477

Citation preview

JAN -DIRK M ÜLLER SPIELREGELN FÜR DEN UNTERGANG

JAN-DIRK MULLER

Spielregeln für den Untergang Die Welt des Nibelungenliedes

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1998

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Müller, Jan-Dirk:

Spielregeln für den Untergang : die Welt des Nibelungenliedes / Jan-Dirk Müller. - Tübingen : Niemeyer, 1998 ISBN 3-484-10773-1 © Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Umschlaggestaltung: Art & Office Martin Lang, Walddorfhäslach Satz: Pagina GmbH, Tübingen Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Heinr. Koch, Tübingen

In h alt

A v a n t - p r o p o s .............................................................................................................

i

Das Nationalepos und seine Interpreten - Aporien der Deu­ tung - Das Dilemma der Sagengeschichte - ,Vokalität‘ und kulturelles Wissen - Buchepische Integration im Zeichen der .Vokalität4 - Alterität: die Herausforderung der Ethnologie - .Spielregeln für den Untergang4 Zum V o r g e h e n ......................................................................................................

6

E

in l e it u n g :

I.

II.

Erzählen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit - Wie denkt man sich die Verschrift­ lichung der Sage? - Spuren der Arbeit an der Sage - Erzählen gegen die Tradition - Markierte Ersetzungen - Syntagmatische und paradig­ matische Integration (zur Isenstein-Episode) - Entproblematisierung, Wucherung, Amputation - Die Eingangsaventiure - Sagenhorizonte .

U m sc h r ift en

H er o isch es E

d er

S a g e : Kollektiverinnerung? -

r z ä h l e n und bu c h episc h e

K om position : Unendliche Re­

de: Ein Epos fängt an — Buchepos und Initialformel: die unterdrückte Bewegung - Das Ende und sein Dementi - Buchepos und Sagenerinne­ rung - Sivrits doppelte Jugendgeschichte - Erzählen in fingierter Münd­ lichkeit: Hagens niuwemcere - Doppelungen - Störungen - Kalkulierte U nbestim m theit...................................................................................................... III.

IV .

55

103

N ib e l u n g isc h e G e s e l l s c h a f t : Personenverband- Treuekonflikte -

Ambiguisierung von trium - Wer soll herrschen? - Heros, Adel, Landes­ herr - Heroen im Exil - Rehter beides muot - Frouwen Riehen - Warum der pfaffe als Opfer des H e r o s ? ...............................................................................

153

N ib e lu n g isc h e A n th r o po lo g ie : Wider Psychologisierung - ^orn - trureti - Spannung von .außen4 und .innen4 - herben jämer/her^eliebe - Die arme Königin - Kriemhilt, die gotes arme - Psychische Komplexität — Name und .Identität4 des Heros - übermuot - Personalität als Oberfläche.

201

V

Inhalt

V. D ie T rübung d er S ic h t b a r k e it : Transparenz der nibelungischen Welt Antizipierte Sagenerinnerung - Löschen der Sichtbarkeit - Politik der Blicke - Verwirrung der Blicke - Worte und Zeichen I: Sivrits Trophäe Worte und Zeichen II: K am p f um den Augenschein - Falscher Augen­ schein —K rieg der Blicke und G e w a lt............................................................

249

VI. R äu m e : Offener vs. abgeschlossener Raum - Raum, Institution, Perso­ nenkonstellation: %e hove - Regionalität und Fremde - Anwesenheit/ Abwesenheit - .Einander Nahekommen4 - Bedrohliche Ferne/gewaltsame Nähe - Vertikale Ordnung - Schrumpfung des Raums - Wege Wuchern der nibelungischen W e l t .................................................................

297

VII. G estö r te und pr o b lem a t isier te I n t e r a k t io n sr e g e l n : Scheitern von Ritualen - milte und Herrschaft - Gestörte milte - Gratishandeln, miete, Ion - Ehre - E id - Wahrheit setzende Sprechakte - suone und ergeben gruo% - Waffentragen - dringen und schal - Ruhe und gäben.......................

545

VIII. D as V er sp iele n d er h ö fisc h en A l t e r n a t iv e : Ze hove\ Zeremoniell und Prachtentfaltung - Turnier und Gewalt - Frauendienst: das heroi­ sche Mißverständnis - Heros und Frauendiener - Wie dient man der vrouweï - Virtualisierende Gesten - Zusammenbruch höfischer Virtualisierung - Destruktion höfischer Form - Mahl - Das andere Fest - Blut und W e i n ...............................................................................................................

389

IX. D eko n stru k tio n d er n ib e l u n g is c h e n W e l t : Geistliche Kritik? - D is­ tanzierung heroischer Muster? - Epidemie der Gewalt - De-Humanisierung - P e r s p e k tiv e ? ............................................................................................

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L i t e r a t u r v e r z e i c h n i s ............................................................................................

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R e g i s t e r ........................................................................................................................

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VI

A

v a n t

-pr

o po s

Lange bevor ich das Nibelungenlied, ja selbst nur Teile daraus kannte, hakte sich in meinem Bewußtsein ein Problem fest. E s begegnete mir noch auf der Grundschule, und zwar in jener Vorschule der Germanistik, die man Aufsatzerziehung nennt. Wie man weiß, spielt dabei das Verfassen einer Gliederung eine Hauptrolle, die man dem sog. Besinnungs-Aufsatz voranzustellen hat: z. B. Einleitung, drei Punkte da­ für, drei dagegen, dann die ,eigene Meinung' und der Schluß. Zwischen Einleitung und Hauptteil aber gehörte die .Wiederholung des Themas in Frageform'. Der Beispielsatz dafür lautete: ,Wie nun ward Kriemhild zur Unholdin?' Ja, wie nun? Ich muß gestehen, daß mich die Frage seitdem nicht mehr los­ gelassen hat. Zuerst war es wohl die feierliche Unverständlichkeit des Satzes, die mich faszinierte, dann vielleicht seine prägnante Bezeichnung eines Merkpostens für regelgerechte Gliederungen, dann möglicherweise die Trägheit des menschli­ chen Gedächtnisses, das über Jahre allerlei Unbrauchbares mit sich herumschleppt, schließlich, und da muß ich schon Mediävist gewesen sein, die Einsicht, daß die Frage einige der Probleme anspricht, die die Nibelungenphilologie nach wie vor beschäftigen. Sie spiegelt ja nicht nur ein bürgerliches Befremden darüber, wie es mit einem wohlerzogenen Mädchen aus gutem Hause soweit kommen kann, son­ dern enthält implizit vor allem eine Hypothese, wie Geschichten erzählt werden müssen. Wenn Kriemhilt zur Unholdin ward, dann war sie es offenbar nicht von Anfang an. E s muß erst einiges geschehen, damit der Übergang vom einen zum anderen plausibel ist; man suchte nach einzelnen Ereignissen, die unter Zuhil­ fenahmen von .covering laws' und plausiblen Annahmen über die menschliche Seele und den L au f der Welt erklären können, warum aus der Nicht-Unholdin die Unholdin wird. Die analytische Geschichtstheorie hat sich um die Struktur derartiger Geschich­ ten bemüht und ihren Erklärungsanspruch untersucht, und das .Nibelungenlied' wurde gelesen, als sei es ein historischer Bericht, wie ihn jene Theorie voraussetzt. Dabei mußte man dann feststellen, daß es die Erwartung plausibler Erklärungen durchweg frustriert. Offenbar gehört es zu einem anderen Typus von Geschichten, Geschichten nämlich, die sich nicht um möglichst lückenlose kausale Verknüpfüng sorgen, wie sie der psychologische Roman seit etwa 250 Jahren propagiert, Gei

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schichten, die überhaupt an psychischen Entwicklungen desinteressiert sind und überdies die Voraussetzungen nicht teilen, die die Annahme von solchen Entwick­ lungen stützen. So steht am Anfang des Buchs also eine törichte Frage, doch eine Antwort darauf will es nicht geben. Es will vielmehr zeigen, daß schon die Frage falsch gestellt ist. Nun ist die Warnung vor einfühlsamer Common-sense-Psychologie bei der A us­ einandersetzung mit alten Epen nicht eben grundstürzend neu (was nicht hindert, daß der Common sense aller Zeiten sich unerbittlich das ihm Fremde einverleibt). So hat dieses Buch neben jenem negativen auch ein positives Ziel. E s will die Spielregeln der Welt beschreiben, in der sich jenes Geschehen vollzog, den Kredit bestimmen, den man diesem wie allen Erzählern einräumen muß. Dabei gilt es, die vielen angeblichen Widersprüche des ,Nibelungenliedes' unter die Lupe zu nehmen. Unbestreitbar gibt es solche Widersprüche im Gang der Handlung immer wieder, und es werden eine Reihe von ihnen zu kommentieren sein. Aber sie werden nicht als ,Fehler' betrachtet, an denen das ästhetische Mißlingen des Epos ablesbar ist, sondern als Spuren, die auf eine andere Sicht der Welt und eine andere Ästhetik hinführen. Das erfordert eine Abkehr nicht nur von den lebensweltlichen Normen eines naiven Realismus, sondern auch von jener anspruchsvolleren .realistischen' Roman­ poetik, wie sie grosso modo etwa zwischen 1750 (der Aufstiegsphase des Romans) und 1880 - der Konsolidierungsphase der Germanistik - literarisches Programm war. Die Wissenschaft von der neueren Literatur geht längst davon aus, daß dieses Programm weder für die vorausgehende noch die nachfolgende Literatur taugt, und sie hat selbst die Literatur des Realismus im 19. Jahrhundert als eine subtile poetische Veranstaltung erwiesen, die ihren mimetischen Anspruch unterläuft. Die Forschung zur Heldenepik kann sich nicht mehr wie in ihrer Frühphase auf ein nur scheinbar überzeitliches, in Wirklichkeit der Ästhetik des 19. Jahrhunderts ver­ pflichtetes Programm poetischer Mimesis berufen. E s ist also nach dem besonderen Kontrakt zwischen Erzähler und Rezipient zu fragen, der Voraussetzung jeden Erzählens ist, wo bislang noch häufig an die Stelle des .suspended disbelief', den jeder ernstzunehmende Text zwischen Homer und James Joyce (und darüber hinaus) beansprucht, das totale Mißtrauen tritt (,wo hat er sich jetzt schon wieder geirrt?'). Große Literatur hat sich freilich noch nie um das kleinliche Nachbuchstabieren einiger ihrer Rezipienten geschert. Der Texttypus .Hier irrte Goethe' verdankt diesem Umstand seinen Ursprung - und seinen be­ scheidenen Witz. Mit kriminalistischem Scharfsinn nachzuweisen, wo Dinge offen, dunkel, doppeldeutig, gar widersprüchlich bleiben, ist eine Sache, der sich die Nibelungenforschung der letzten 150 Jahre mit seltener Hingabe gewidmet hat. Weit schwieriger ist es darzutun, warum es an diesen und jenen Stellen zu solchen Problemen kommt, welche ästhetischen Prinzipien Lösungen nahelegen, die ,wir heute' so nicht erwarten und die mit dem, was wir wissen, nicht recht in Überein-

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Stimmung zu bringen sind. A u f diese Prinzipien kommt es hier an, und - das sei gleich gesagt - es wird nicht die eine Lösung geben, die den Text ein für alle Male aufschließt. Der Plan zu diesem Buch reicht lange zurück. Den Gedanken, »Spielregeln“ mittelalterlichen Handelns zu beschreiben, habe ich seit den frühen 1980er Jahren in Münster mit Gerd A lth off diskutiert, der damals sein Buch über ,Verwandte und Freunde“ abschloß und seitdem eine ganze Reihe von Studien zu derartigen .Spielregeln“ vorgelegt hat. Daß das »Nibelungenlied“ im Zentrum stehen würde, konkretisierte sich bei der Vorbereitung des von Fritz Peter Knapp veranstalteten Passauer Nibelungen-Symposions von 1985, das meine älteren Überlegungen in den Gesprächen mit den dort versammelten Fachleuten in eine neue Richtung lenkte; seine Vorlagen wurden 1987 gedruckt. Eine Gastdozentur 1991 in St. Louis bot die Gelegenheit, zwei Monate lang immer wieder nur den Text der Vulgatfassung zu studieren und einer kleinen wißbegierigen Gruppe von Studenten aus der Neuen Welt verständlich zu machen. Neben vielen anderen Dingen wuchs das Buch lang­ sam weiter, bis mir ein zusätzliches Forschungsfreisemester der Deutschen For­ schungsgemeinschaft im WS 1996/1997 die Zeit verschaffte, das Typoskript weit­ gehend abzuschließen. Eine letzte Überarbeitung fand in der^i Semesterferien 1997 statt. Ich habe mich bemüht, meine Überlegungen auch denen verständlich zu machen, die nicht in die engere Fachdiskussion eingearbeitet sind. A u f diese Diskussion habe ich deshalb oft nur in allgemeiner Form verwiesen, ausführlicher bloß, wo ich mich mit ihr auseinandersetzte. Die inzwischen nicht mehr überschaubare Se­ kundärliteratur ist also nur selektiv zitiert. Jahrelange Beschäftigung mit einem Gegenstand bringt es allerdings mit sich, daß dem Verfasser vieles eigene Überle­ gung zu sein scheint, was andere schon vor ihm gedacht haben. Ich habe versucht, hier zu trennen; daß es mir immer gelungen ist, glaube ich nicht. Allerdings scheint mir auch die - zumal in Dissertationen geübte - Praxis, für jede Einzelheit den ersten Erfinder nachzuweisen, auch wenn sie in seiner Argumentation eine ganz andere Bedeutung hatte, und den Namen eines jeden aufzuführen, der sich zum gerade verhandelten Sachverhalt geäußert hat, überflüssig, da vom Gesamt­ zusammenhang ablenkend, der dadurch oft mehr verstellt als geklärt wird. Davon unbeschadet gilt, daß sich philologische Arbeit im genau dokumentierten kriti­ schen Gespräch mit Vorgängern zu bewähren hat. Ich würde mir also wünschen, daß dieses Buch nicht nur von Altgermanisten wahrgenommen wird, sondern wenigstens von Fachleuten aus verwandten philo­ logischen und historischen Disziplinen, vielleicht sogar von einem größeren, an fremden Kulturen interessierten Publikum. Ein solches Publikum sollte die Ausein­ andersetzung mit derzeit diskutierten Forschungsmeinungen überschlagen und sich gleich den Überlegungen zum Text zuwenden. Für solch einen weiteren Kreis könnten freilich Argumentationen unübersichtlich sein, die nicht, wie üblich, das 3

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Epengeschehen nacherzählend verständlich machen wollen, sondern gewisserma­ ßen von der Seite, wenn auch aus unterschiedlicher Perspektive auf den Text blikken. Um diese Leser nicht abzuschrecken, wäre ein knapper Überblick über die Handlung hilfreich gewesen, den wiederum der Fachmann nicht braucht. Ich ver­ zichte darauf, denn eine der Grundthesen dieses Buches ist, daß Erzählen Sinnstif­ ten bedeutet, was zur Folge hat, daß jede komprimierende Nacherzählung, und mag sie noch so demonstrativ auf Bewertungen verzichten, der Geschichte einen neuen Sinn, den Sinnentwurf des Interpreten, einschreibt und damit eine Kohärenz unterstellt, die doch erst noch zu erweisen wäre. E s kommt hinzu, daß es zum ,Nibelungenlied' eine Reihe guter Zusammenfassungen gibt,' die, jede für sich, wesentliche Aspekte des Textes erfassen, und daß Grundzüge der Sage trotz allem immer noch über den engeren Kreis der Fachleute bekannt sind. Die Lektüre des Textes —etwa in der vorzüglichen Übersetzung von Siegfried Grosse (1997) - kann ohnehin keine Inhaltsangabe ersetzen. Das Buch wurde in einer ganzen Anzahl von Einzelstudien vorbereitet. Deren Leser werden auf einiges Bekannte treffen. Doch schien es mir sinnvoll zu zeigen, daß hinter der Erörterung dieser Einzelprobleme eine Konzeption steht und daß sie sich zu einem Zusammenhang ordnen. In Deutschland ist es üblich geworden, die genaue monographische Abhandlung in Aufsatzform der übergreifenden Darstel­ lung im Buch vorzuziehen, und Publikationen aus dem angelsächsischen Bereich wirft man gelegendich allzu großzügigen Umgang mit Differenzierungen und D e­ tails vor (oder auch die allzu lockere Verkoppelung von Einzelstudien zum Buch). Man könnte die umgekehrte Rechnung aufmachen: daß die Versenkung ins Detail allzu oft mit der Entschuldigung abgebrochen wird, der Raum, die Zeit, das Vor­ gesetzte Ziel oder was auch immer zwängen zum Abbruch, so daß der Verfasser die Auseinandersetzung mit den Konsequenzen seiner Beobachtungen schuldig bleiben darf. Ich halte dieses Argument für gewichtiger. So greife ich immer wieder ältere Überlegungen und Deutungsvorschläge auf, modifiziere sie gelegentlich auch wohl, um ihre Tragfähigkeit für eine neue Lektüre des gesamten Textes zu erproben. .Lektüre des gesamten Textes* meint nicht eine jener .Gesamtinterpretationen nach Form und Gehalt*, die die Stimmigkeit aller Details untereinander und ihre Übereinstimmung mit einem übergreifenden Konzept behauptet und die Bedeu­ tung des Epos ein für alle Male gültig sistieren will. Den Preis, um den solche Gesamtdeutungen zu haben sind, hat gerade die kritische Nibelungenphilologie schonungslos aufgedeckt: der postulierte Sinn ist einer von Gnaden des Interpre­ ten, der dem Text und den vielen in ihn eingegangenen Überlieferungen Gewalt antut. Doch möchte ich zeigen, daß die berechtigte Kritik daran die ,Interpretierbarkeit* des Textes nicht ausschließt.



Zuletzt von Schulze (1997a), S. 86—89.

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Der folgende Versuch beruht auf einer Anzahl von theoretischen Vorüberlegun­ gen, die von Fall zu Fall zur Diskussion gestellt werden. Wer darauf verzichten zu können glaubt, täuscht sich nur über die (dann freilich undurchschauten) theore­ tischen Grundannahmen, die sein eigenes Vorgehen leiten. Theorie meint allerdings nicht, wie manche Kritiker anzunehmen scheinen, den Entw urf eines abstrakten Modells, das dann den Texten aufoktroyiert wird, meint vielmehr Reflexion der Bedingungen, unter denen jene Gegenstände allererst wahrgenommen und gedeu­ tet werden können. Der manchmal konstruierte Gegensatz zwischen ,Theorie* und ,konkreter Textarbeit* oder ,Philologie* ist ein Phantom: E s gibt keine Philologie oder Textarbeit, die nicht versteckt oder offen theoriegeleitet ist und deren Ergeb­ nisse nicht von der Validität jener Theorie abhängen, und es gibt keine literatur­ wissenschaftliche Theorie, die unabhängig von ihrem Gegenstand ist und die nicht ihre Triftigkeit in der Auseinandersetzung mit Texten darzutun hätte. E s gilt vielfältigen Dank abzustatten. Den vielen Helfern ohnehin, die mich beim Verfassen unterstützten, den Mitarbeitern - ganz besonders Ute von Bloh und Udo Friedrich, deren unermüdliche Diskussion mich zu immer neuem Nachfragen veranlaßte, - den Studenten einer Reihe von Seminaren, die sich auf die ungewohnten Fragen einließen, Céline Hofer und Cornelia Herberichs, die die Last der K orrek­ turen mit mir teilten. Last, but not least aber all jenen mich zum Widerspruch reizenden Philologen und Liebhabern, denen ich (vergeblich) auszureden versuch­ te, daß es sinnvoll sei zu fragen: Wie nun ward Kriemhild zur Unholdin? München, März 1998

Jan-D irk Müller

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„D u kennst die Sage?", fragte ich. ,y\her ja doch“, sagte sie. „D ie tragische Geschichte, die die Deutschen mit ihren verspäteten Nibelungen zugrundegerichtet haben.“ *

E in l e it u n g

Das Nationalepos und seine Interpreten Bücher über das .Nibelungenlied“ sind Legion, und an weiteren, so scheint es, besteht kein Bedarf. Die Sage ist populär wie kaum eine andere aus dem deutschen Mittelalter. Ihre epenferne Adaptation durch Richard Wagner dient immer noch zeitgenössischer Reflexion über die Verstrickungen von Macht und Besitz, Liebe und Haß, Anarchie und Herrschaft. Weniger ist das Nibelungen-Epos aus dem späten i2. Jahrhundert im gegenwärtigen Bewußtsein präsent. E s hat sich, wenn auch zögernd, aus den meisten Lehrplänen der Gymnasien verabschiedet, aus denen die ältere Literatur ohnehin weitgehend verschwunden ist. Beim .Nibelungenlied“ kommt hinzu, daß es immer noch, meist wenig gekannt, als ein fragwürdiges Bil­ dungsgut in den nationalen Verirrungen der jüngeren Geschichte gilt.1 Das Schlag­ wort von der .Nibelungentreue“ ist sogar mit der ersten Katastrophe der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, dem Ersten Weltkrieg der .brüderlichen“ Hohenzollern- und Habsburgermonarchien gegen den Rest der Welt, verknüpft.*12*Mit der Anspielung auf den Untergang der Nibelungen suchten auch die Machthaber des Dritten Reichs der schlimmeren zweiten Katastrophe so etwas wie eine mythische Dimension zu geben. Als das Grauen vorüber war, schien auch das Epos kom­ promittiert. E s zog sich zurück in die umfriedeten Räume der Altgermanistik, wo es weiterhin Gegenstand unermüdlicher Anstrengungen ist, der Anstrengungen einiger weniger Spezialisten. Seinen Platz im kulturellen Gedächtnis Deutschlands und seine Assoziation mit der deutschen Geschichte verdankt das .Nibelungenlied“ vor allem der Herkunft seines Stoffes aus einer als .national“ aufgefaßten Überlieferung, die sich von der lateinisch-mediterran-westeuropäischen absetzt, dann auch der Gestaltung dieses Stoffes, die jene Eigenheit noch zu verstärken scheint. Beides erklärt das Interesse am Text seit den Befreiungskriegen,5 erklärt auch daß das .Nibelungenlied“ immer * 1

Jo rge Luis Borges: Ulrike (Erzählungen 3), München 1982, S. 21. Vgl. die Beiträge in: Die Nibelungen (19 9 1), insbesondere die Einleitung von Heinzle und den Beitrag von von See; dazu Brackert (19 71). 2 Schatz des Drachentöters (1977), S. 63. 5 Z u deren wahrer, meist überschätzter Dimension vgl. von See (1991).

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D a s N ationalepos und seine Interpreten

noch das bei weitem bekannteste Werk des deutschen Mittelalters ist und daß sein Stoff bis in die Gegenwart selbst in der Massenkultur, in Roman und Film z. B., präsent ist. In der Fachwissenschaft hat es diese zentrale Stellung seit dem Zweiten Welt­ krieg eingebüßt. Da hat die ,europäisch' orientierte, ein weniger martialisches Men­ schenbild entwerfende höfische Dichtung der blutrünstigen Geschichte vom N i­ belungenuntergang längst den Rang abgelaufen. An Versuchen, das Epos, befreit von nationalistischen Verzerrungen, aufzuwerten, hat es nicht gefehlt.4*Doch folgte insgesamt der übersteigerten Glorifizierung eine Ernüchterung, die auch die Frage nach der literarischen Qualität des Textes aufwarf. Symptomatisch ist die Skepsis in einigen neueren Untersuchungen,’ ob das Epos nicht letztlich nur ein mißlungener Versuch sei, widersprüchliche Sagentraditionen halbwegs plausibel zusammenzulei­ men. Das ist eine verständliche Reaktion auf das Zuviel an nationaler und ästhe­ tischer Bedeutung, das ihm von seinen nationalen Lobrednern, Politikern, aber auch Philologen, zugemutet worden war. Seit seiner Wiederentdeckung durch Johann Jakob Bodmer, spätestens aber seit der nationalen Aufrüstung der napoleonischen Zeit war das .Nibelungenlied' vor allem Projektionsfläche gewesen: für eine Theorie des Nationalepos, für heroische Selbstbestätigung durch die Vorzeit, für einen unverfälschten Volkscharakter und die Werte und Ziele, die man diesem Volkscharakter zuschrieb.6 Dabei machen die politischen Aktualisierungen nur einen kleinen Teil der Rezeptionsgeschichte aus: Gewiß konnte am .Nibelungenlied' Friedrich Heinrich von der Hagen in der Aus­ einandersetzung mit dem welschen Erbfeind völkische Tugenden der Deutschen beschreiben. Der Fürst Bülow konnte angesichts der internationalen Spannungen, die zum Ersten Weltkrieg führten, die „Nibelungentreue“ zwischen der heiteren Donaumonarchie (= Volker) und dem grimmigen Deutschen Reich (= Hagen) beschwören. Schließlich konnte Hermann Göring seine Durchhalteappelle in der Endphase des Zweiten Weltkriegs mit Hilfe von nibelungischem Kampfeswillen bis zum letzten Mann propagieren, alles begleitet von moralischer Aufrüstung in an­ geblich nibelungischem Geiste, von national gesinnten Schulmännern und Profes­ soren betrieben.7 Doch unabhängig von solchen Entgleisungen galt das öffentliche Interesse ei­ nem ,autochthonen‘, d. h. nicht von anderen Völkern übernommenen Sto ff der eigenen Vergangenheit, in dem man Züge des Nationalcharakters zu entdecken

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’ 6 7

Schröder (19 8 1) hat zu Recht darauf verwiesen, daß der B egriff ,Nationalepos‘ kaum notwendig ein affirmatives oder gar glorifizierendes Verständnis der eigenen Geschichte einschließen muß, und hat angedeutet, daß die Rezeptionsgeschichte nicht nur Zeichen kollektiven Irrsinns ohne Basis im Text ist (S. i2f.). Etwa Heinzlc (1987a) und (19 9 1) oder Andersson (1978). Dokumentiert bei Ehrismann (1975). Vgl. die Textsammlung Schatz des Drachentöters (19 77), S. 96.

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Einleitung

glaubte. Nicht die besondere Handlung, aber die nibelungische Welt insgesamt bot sich zur Identifikation an. So wurde das Epos übersetzt, bearbeitet und immer wieder prächtig illustriert, damit es möglichst breit ,im Volk‘ wirken solle. Wie sehr das gelang und mit welchen Folgen, ist eine andere Frage; die Wissenschaft jeden­ falls zog Vorteil aus jenem Interesse. Bis zur Mitte unseres Jahrhunderts beschäf­ tigte sie sich mit dem ,Nibelungenlied' mehr als mit jedem anderen Werk des deutschen Mittelalters. Schon in den Anfängen der Altgermanistik nahm es einen hervorragenden Platz ein. An seiner Überlieferung schieden sich die Geister; sie gab Anlaß zu erbitterten Gelehrtenfeindschaften, wie sie der Nibelungen selbst würdig gewesen wären, und die wissenschaftliche Geographie des Reichs ließ sich nach der Einstellung der Wissenschaftler zur „Nibelungenfrage“ vermessen, nach der Antwort auf die Frage nämlich, welcher der konkurrierenden Überlieferungen des Epos die Priorität zukomme und die größte Nähe zum ,ursprünglichen' Text: Einige Universitäten waren von den .Berlinern' beherrscht, die anderen von den .Süddeutschen', dazwischen die ,Leipziger', und jede Gruppe favorisierte eine der großen Nibelungen-Handschriften aus dem 15. Jahrhundert.8 Bis zum zweiten Weltkrieg war die Nibelungenphilologie wichtigster Prüfstein altgermanistischer Kompetenz, ob in Edition oder Kommentar, in Sagen- oder Sprachgeschichte. Das .Nibelungenlied' untermauerte die Unentbehrlichkeit der Disziplin insgesamt, die für das nationale Erbe aus dem Mittelalter zuständig war. Es wäre deshalb zu einfach, die Geschichte der Nibelungenphilologie aus dem nationalen Taumel und öffentlichen Getöse zu erklären, die sie von ihren Anfängen an begleiteten. Ihre bleibenden Ergebnisse wurden abseits davon, manchmal in ausdrücklicher Frontstellung gegen tagespolitische Vereinnahmung gewonnen. Trotzdem ist die Privilegierung dieses Textes in der Literaturgeschichte des deut­ schen Mittelalters ohne jene Begleiterscheinungen nicht zu verstehen. Als man nach dem zweiten Weltkrieg daranging, die politischen Positionen zu verabschieden, die man fälschlich im Epos wiederzufinden glaubte, da trafen die Konsequenzen auch das .Nibelungenlied' selbst. Ein Buch wie das Gottfried Webers (1965), das in einer Art von Vulgärexistentialismus nibelungische Reckenhaftigkeit einer entgötterten Gegenwart vorhielt, ist eine eher schon kuriose Ausnahme. Im übrigen sanken die Geschichten um den starken Siegfried und die grausame Kriemhild endgültig in die Trivialgenera von Literatur, Film und Fernsehen ab. Was das mittelalterliche Epos angeht, entstanden natürlich weiter wichtige M o­ nographien und Aufsätze, mehr sogar als je zuvor. Befreit vom politischen Ballast germanischer Vorzeitkunde, rückte erstmals die Interpretation des Textes als eines literarischen Werks, jenseits seiner vielfältigen, hypothetischen Vorstufen, ins Zen­ trum. Die Figuren sollten Anteilnahme unabhängig vom Anspruch heroischer Vor­ bildhaftigkeit erwecken. Ihre, wie es schien, aus allgemein menschlichen Antrieben * *

K olk (1990), S. 2 2 -7 5 zum Prozeß der Gruppenbildung.

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D a s N ationalepos und seine Interpreten

wie Liebe, Eifersucht, Haß, Neid, Machtgier, Gutgläubigkeit usw. hervorgehenden Verstrickungen waren mit Hilfe der kargen, auf Kommentar verzichtenden, oft widersprüchlich scheinenden Worte des Epikers nachzuerzählen. Sieht man von wenigen Arbeiten ab,9 dann schob sich damit nicht so sehr das Epos aus dem späten 12. Jahrhundert ins Zentrum als vielmehr das überzeitliche Kunstwerk, dessen menschlich bewegende Konflikte jederzeit unmittelbar aus sich selbst heraus ver­ stehbar schienen. Diesem Bemühen verdanken sich seitdem vielfältige subtile Einsichten in A u f­ bau, Darstellungsweise, Figurencharakteristik und Motivationsgefüge. Gemeinsam ist aber der Mehrzahl von ihnen, daß sie den Zugang nicht oder nicht radikal genug auf dem Umweg über die Fremdheit historischer Verstehensbedingungen suchten, sondern durch Einfühlung in diejenigen Handlungskonstellationen, die modernem Verstehen unmittelbar zugänglich scheinen. Das Ziel ist bis in jüngste Zeit, das Handeln und Empfinden der Figuren, voran Kriem hilts,101 einem modernen Leser nachvollziehbar zu machen und eine psychologisch einsehbare Rekonstruktion der Epenhandlung herzustellen. Die Basis solcher Rekonstruktion wird selten expli­ ziert; tatsächlich verdankt sie sich zumeist der Intuition des Interpreten, seinen Erfahrungen als Gatte oder Freund, gängigen Auffassungen über das rechte Ver­ halten der Jugend oder bei Hof, Annahmen über die weibliche Seele usf. Natürlich werden in den einläßlichsten Interpretationen nicht naiv Mittelalter und Gegenwart identifiziert." Zeitspezifische Faktoren wie die Verpflichtung zur Rache, die größere Intensität von Affekten und Willensakten, ein Weltbild, in dem Riesen, Drachen und Wasserfeen ihren Platz haben, werden in Rechnung gestellt. Doch all diese besonderen Bedingungen einmal abgezogen, kommen eben doch die großen und immer gleichen Themen von Liebe und Haß, Freundestreue und E r ­ gebenheit gegenüber dem Herrn, von Macht und Rivalität zum Vorschein. So führ­ te der Anspruch, das .Nibelungenlied' als ein Werk der Zeit um 1200 zu interpre­ tieren, paradoxerweise zu einer Enthistorisierung des Epos und zu einer falschen Anthropologisierung seiner K onflikte.'2 Das politischste Großepos des deutschen Mittelalters wurde Gegenstand der Dekontextualisierung werkimmanenter Inter­ pretation, und so konnte es seinen neuzeitlichen Interpreten ganz nah, im Kern tiefverwandt Vorkommen. Im Extremfall - von dem sich die professionelle Mediä­ *

Etw a Maurers Studie über den B egriff leit im .Nibelungenlied* (vgl. Maurer, 19 5 1, S. 13 —38; insbes. S. i j; 20; 2 2 -3 } ) . 10 Besonders eindringlich Schröder (1968), S. 4 8 -15 6 ; doch ebenso, ein wenig sozialpolitisch garniert, noch Spiewok (1989). " Schröder (1968), S. 3f. u. ö. weist z. B. durchaus auf die unterschiedlichen ästhetischen Bedingungen mittelalterlicher und neuzeitlicher Literatur. Aber er begründet die „Einheit der Dichtung“ mit einem überzeitlichen „zentrale(n) Thema: Kriemhilts Liebe, Leid und Rache“ (S. 7). Falks (1974) Verständnis des Epos ,in seiner Zeit* kombiniert globale Epochenvorstellungen mit Annahmen über generelle Krisenerfahrungen des Menschen (etwa S. 6 5 - 7 1 ; 7 2 -9 9 ; 240-258). 11 Vgl. Haug (19 8 1), S. 39 u. 49 (Anm. 9).

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Einleitung

vistik freilich unterscheidet - konnte noch das Fremdeste dem Eigenen anverwan­ delt werden, wenn etwa Falk die mythisch-archaischen Reste der Handlung, die sich der planen Interpretation nach dem gewöhnlichen L a u f der Welt entziehen, zum Ausdruck von „Innenwelt“ e r k l ä r t : D a ß Sivrit den märchenhaften Nibelungen­ hort Kriemhilt als Morgengabe überantwortet, ist realiter „unmöglich“ , und doch wahr, denn „durch den Eheschluß brachte Siegfried seinen inneren Reichtum nach außen“ .*14* Dank solch einer Deutungsakrobatik ist das mittelalterliche Epos von einer Adaptation mythischer Stoffe im 19. Jahrhundert nicht mehr zu unterschei­ den. Selbst dort, wo man den politischen Charakter zum Ausgangspunkt nahm, wur­ de der historische Gehalt zugunsten überzeitlicher Bedingungen politischen Han­ delns beiseitegeschoben, dieses aber in den Charakteren der Figuren fundiert.1’ So reduziert sich das politische Problem auf die Frage, ob Kriemhilt aus Machtgier oder aus Liebe handelt und ob es im Epos im wesentlichen um einen Machtkampf oder die Rache einer liebenden Frau geht.1617Ganz gleich, wie die Antwort ausfällt, erscheint Kriemhilt als Repräsentantin allgemeinmenschlicher Verstrickungen - der Macht oder des Gefühls. Dabei fehlte den politischen Deutungen in der Regel die konkrete historische Basis: Epische Charaktere wurden zu Repräsentanten politi­ scher Mächte hochgerechnet, charakterliche Schwäche zur politischen, positive oder negative Wertung von der einen in die andere Sphäre ,übersetzt‘ .'7 Daß eine in ihren Voraussetzungen unreflektierte Psychologisierung möglich schien und in gewissem Rahmen mit Erfolg praktiziert wurde, kam dem Anspruch des Epos auf einen Platz im aktuellen Lektürekanon entgegen und schien seinen Bedeutungsverlust nach dem Zweiten Weltkrieg zu kompensieren, steht doch der Versuch historischer Distanzierung und Rekonstruktion im Verdacht, alles L e­ bendige im Staub akademischer Studierstuben zu ersticken. In Wirklichkeit freilich ist es genau umgekehrt. Als quasi zeitgenössische, da überzeitliche Geschichte ge­ lesen, erscheint das Epos von barbarischer Unverständlichkeit, als löchriges psychologisches Gewebe, als Ansammlung von Widersprüchen, als notdürftig aus unklarer Sagenüberlieferung zusammengeflickt, zentriert um einige Probleme, die entweder (nimmt man das Ehedrama) ein wenig trivial oder aber (berücksichtigt

’ ’ Falk (1974), S. 123. 14 Ebd. S. 159. Dergleichen Deutungen produzieren abenteuerlichen Tiefsinn wie: „D urch die Heldentaten der Hohen Minne hatte Siegfried nach Überwindung der inneren Kriemhild die äußere zur Frau gewonnen“ (ebd.) oder: „D es jungen Siegfried Hauptposition war jene des Herrschers in der Traumwelt. Daneben hatte er eine andere in der Ehrenregion inne, die aber zunächst sehr schwach war“ (S. 176) oder: Siegfrieds „Untergang wird die letzte Wesensfolge der Hohen, der hochmütigen Minne sein“ (S. 181). " Beyschlag (19 52 /19 6 1); Ihlenburg (1969). 16 Vgl. die Kontroverse zwischen Beyschlag und Schröder; dokumentiert bei Schröder (1968), S. 82; 87­ 9 1; hierzu Müller (1974), S. ii2 f. 17 So bei Beyschlag (19 52 /19 6 1) oder Ihlenburg (1969); vgl. Müller (1974), S. n a f.; 116.

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Das Nationalepos und seine Interpreten

man dessen Einbettung in politisch-soziale Zusammenhänge) nicht eben sonderlich aktuell sind. Dergleichen mag man von Zeit zu Zeit ehrfürchtig ob des Alters bestaunen, mehr nicht. So unpolitisch sie sich gibt: auch jene Aktualisierung namens einer überzeitli­ chen allgemeinen Menschennatur, die sich von den unseligen nationalistischen A k ­ tualisierungsversuchen abgewandt hat, bleibt demselben Rezeptionsmodell verhaf­ tet wie jene: einer identifikatorischen Lektüre. Längst sind es nicht mehr die naiv aneignenden Projektionen des Nationalismus, die den Blick auf den Text verstellen. Das Mißverständnis sitzt tiefer: Denn kurzschlüssig-propagandistisch konnte das Epos nur ausgeschlachtet werden, weil man die Lebensverhältnisse, von denen es erzählt, letztlich als den eigenen Lebensverhältnissen kommensurabel ansah, allen­ falls ins Großartige und Heroische überhöht. Auch der Versuch, dem N ibelungen­ lied* politisch weniger fragwürdige Botschaften abzugewinnen, setzt voraus, daß die Botschaft den Adressaten in seiner eigenen Welt noch etwas angeht.18 Auch der Philologe, der die heroisierenden Verfälschungen in der politischen Aneignung des Epos anprangert, der zurecht auf die textimmanenten Widerlager zur Feier helden­ haften Untergangs verweist und das kritische Potential herauszuarbeiten sucht, macht in der Regel sein eigenes Verständnis von der Welt und den Menschen zum Maßstab. Und so konnte in Kriemhilt die Tragödie einer liebenden Frau nacherlebt werden, der man ihr Liebstes geraubt hatte; in Hagen gab es die Unmenschlichkeit eiskalten Machtkalküls zu bestaunen, in der burgondischen Königssippe die Ver­ strickungen politischen Handelns und die Schwäche politischer Entscheidungsträ­ ger, in Sivrit die Verblendung dessen, der nur auf sich selbst vertraut. Der Epenwelt ist all das kaum weniger fern als die Stahlgewitter völkischen Ringens. Die handelnden Figuren und die Konflikte, in die sie verstrickt sind, erschließen sich dem Verständnis nur in ihrer historischen Konkretheit. Erst die historische Verfremdung läßt eine Welt erkennen, die nicht mehr die unsere ist, die aber eben deshalb Alternativen zu dem erzählt, was heute gilt. Erst sie öffnet den Zugang zu den sozialen Konstellationen, in denen das Erzählte weder platt noch antiquiert, sondern notwendig, freilich auch in seinen immanenten Aporien erkenn­ bar ist. Ein neues Buch über das .Nibelungenlied* rechtfertigt sich durch sein Plädoyer gegen eine falsche Aktualisierung, die das Mittelalter ebenso kolonisiert, d. h. den eigenen vorgefaßten Meinungen anverwandelt, wie dies mit den fremden Welten außerhalb Europas geschah.

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,s Die Botschaft ist dann notwendig sehr allgemein, z. B. ein Plädoyer gegen Egoism us, Stolz und Übermut (vgl. Bostock, i960); vgl. dagegen Wehrli (19 72 ), S. 99 zu derart moralisierenden Inter­ pretationsversuchen.

Einleitung

Aporien der Deutung Auszugehen ist von der historischen Besonderheit der nibelungischen Welt, deren vermeintlich zeitlose Konstellationen von Vorgaben abhängig sind, die für uns nicht mehr gelten. Was uns nah vorkommt, scheint es oft nur auf Grund einer perspektivischen Täuschung. Sie zu bekämpfen, setzt ein Umdenken voraus, das allenfalls näherungsweise gelingen kann, denn wir können nie völlig unseren ei­ genen historischen Standpunkt aufgeben, allenfalls probeweise einige vermeinte Selbstverständlichkeiten suspendieren. Dafür sind allerdings die Voraussetzungen gegenwärtig nicht ungünstig, denn das Tempo der Modernisierungsprozesse einer­ seits und die fortschreitende Relativierung eurozentrischen Denkens andererseits nötigen uns schon in unserem alltäglichen Gegenwartsverständnis immer wieder ab, das, was als selbstverständlich festzustehen schien, auf seine generelle Geltung hin zu befragen. Der Blick aus einer Lebenswelt, die immerzu von der Zukunft überholt und von ihren Rändern her problematisiert wird, findet in der Vergan­ genheit keine Beruhigung mehr, weder in der Verläßlichkeit fortgeltender Tradi­ tionen, seien es nationale, kulturelle, ethische oder was immer sonst, noch im Ver­ sprechen stetigen Fortschreitens entlang jener teleologisch gerichteten Linien, auf denen wie auf Geleisen die Geschichte auf den Interpreten zuläuft. Wo es zur Uberlebensfrage werden kann, probeweise den Blickpunkt des Anderen einzuneh­ men, des Fremden, des unerwartet Neuen, muß auch historisches Denken auf die Frage ,Was wäre, wenn...?* eine Antwort suchen. Mit dieser Frage ,Was wäre, wenn dies oder das nicht gelten würde?* suche ich mich dem ,Nibelungenlied* zu nähern. Ich will Annahmen darüber einklammern, wie ,ich anstelle der epischen Figuren handeln würde* oder ,was ich zu ihrem Verhalten sagen würde*, Annahmen über ihren Habitus, ihre Weisen der Wahrneh­ mung, das im Epos unterstellte Verhältnis von ,innen* und ,außen*, über den ge­ wöhnlichen L au f der Welt und über zureichende Bedingungen kausaler Verknüp­ fung. Für solch einen Versuch fehlen innerhalb der Mediävistik weithin die Vorar­ beiten. Der Interpret sieht sich eher auf Arbeiten zum archaischen Griechenland oder zur modernen Ethnologie verwiesen.'910Immerhin kann ich einige eigene Ver­ suche fortführen, die oft an einzelne Skurrilitäten des Epos anknüpften.20 Diese Versuche wurden manchmal fälschlich als Plädoyer dafür verstanden, eine .psychologische* Lektüre durch eine .soziologische* zu ersetzen.2' Doch zielt das Vorhaben entschieden weiter, nämlich auf eine historische Lektüre des .Nibe­ lungenliedes*, die auch die historische Gestalt dessen zu reflektieren hätte, was die

'9 Etw a auf die Arbeiten von Snell, Dodds oder Geertz. 10 Müller (1974); vgl. (19 87), (1992a), (1993b), (1996a). “ So Ehrismann (19 87), S. 89 über meinen Versuch von 1974.

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A p orien der Deutung

moderne Wissenschaft als psychologisch4 oder ,soziologisch4 auseinanderhält, mit dem Risiko, die in beiden Sphären gängigen Verständigungskategorien als histo­ risch inadäquat aufgeben zu müssen. Als erstes ist der auf die neuzeitliche Schriftkultur bezogene und von ihr abhän­ gige Literaturbegriff zu suspendieren. Wo das ,Nibelungenlied4 an ihm gemessen wird, stößt man nämlich rasch auf angebliche ,Mängel4. Das vermutlich um oder kurz vor 1200 entstandene Epos setzt eine jahrhundertelange Überlieferung voraus, die entweder nie schriftlich fixiert wurde oder aber, sofern das geschah, nicht auf uns gekommen ist. Man nimmt an, daß der Erzähler mindestens Teile dieser Überlieferung kannte und in sein Epos zu integrieren suchte, daß aber dessen großepische Anlage sein Werk ist.“ Das Buchepos war dann seinerseits Gegenstand weiterer Bearbeitung. Die Geschichte dieser Entstehung muß demnach als fundie­ rend für seinen literarischen Status in Rechnung gestellt werden (und nicht nur als Erklärung jener angeblichen Mängel, die das Epos von einem literarischen Text in der Neuzeit unterscheidet): E s gibt nicht den einen, ein für alle Male abgeschlos­ senen Text, noch ist der ,Dichter4 eines Epos, das in einer langen Tradition steht, in vollem Sinne der ,Herr4 dieses Textes. Problematisch sind deshalb an neuerer Literatur abgelesene Erwartungen an K o ­ härenz, Stimmigkeit und Ganzheit, die selbst dort noch normativ vorausgesetzt werden, wo man dem Epos größere Lizenzen in Abweichungen zugesteht. Gewiß, wenn eine vielstimmige Überlieferung verarbeitet werden mußte, können Störun­ gen eher auftreten, Erwartungen an Stimmigkeit oder wenigstens Widerspruchs­ freiheit können leichter enttäuscht werden. Und umgekehrt: Eine Erzählweise, die es erlaubt, divergierende Traditionen der Sagengeschichte zusammenzuführen, stellt von vorneherein geringere Ansprüche an die Verknüpfung aller Elemente.15 Doch darf die Frage nach dem Gelingen der buchepischen Integration nicht vom Maßstab der Erfüllung neuzeitlicher Kohärenzerwartungen abhängig gemacht wer­ den. Bis heute erwarten selbst professionelle Leser des ,Nibelungenliedes4 lücken­ lose Verknüpfung und .wahrscheinliche4 Motivationen, wie sie die Alltagserfahrung unterstellt und wie sie die Erzähltheorie des 18. Jahrhunderts entwarf, statt nach anderen Typen von Motivation und narrativer Kohärenzbildung zu fragen. Was als .wahrscheinlich4, was als .Widerspruch4 angesehen wird, wird meist nur intuitiv postuliert, kaum je wird die historische und ästhetische Adäquatheit der Kriterien diskutiert, von denen einige für ein Gerichtsprotokoll oder einen durchschnittli­ chen Kriminalroman passen mögen, aber selbst für die meisten großen Texte der Neuzeit von Cervantes über Goethe und Kleist bis zu Kafka unangemessen sind und zum Verdikt der .Unwahrscheinlichkeit4 und .Widersprüchlichkeit4 führen müßten.1 11 Fromm (1974). M Wachinger (i960), S. 14 0 -14 5 ; vgl. S. io jf.

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Einleitung

Am ehesten noch wurde die Erwartung von Ganzheit und Geschlossenheit auf­ gegeben. Mit vollem Recht werden Versuche, eine Gesam tkonzeption“ des Epos plausibel zu machen, inzwischen kritisch aufgenommen.24 Entsprechend traten in den letzten Jahren Kommentare zu Einzelszenen, die sich in ihrer Reichweite von vorneherein beschränken, in den Vordergrund. Das scheint der Entstehungsweise des Textes angemessener, doch ist es letztlich Ausdruck einer Verlegenheit. Noch den Verzicht auf Verknüpfung von Einzelbeobachtungen bestimmt nämlich insge­ heim eine moderne, am Roman des späten 18. und 19. Jahrhunderts abgelesene Theorie .realistischen“ Erzählens, das offenbar im .Nibelungenlied“ noch nicht be­ herrscht wurde, weshalb man ihm bestimmte Lizenzen einräumen muß, wenn man ihm literarische Qualität zusprechen will. Eine historisch adäquate Lektüre muß dagegen die dieser Theorie inhärenten Kohärenzerwartungen selbst als historisch begrenzte und deshalb dem Mittelalter unangemessene erkennen. Für ältere Erzählformen ist dies, zunächst am Beispiel der spätmittelalterlichen Prosaerzählung, bereits 1932 durch die Analysen von Lugowski vorbereitet w or­ den.25 Die Übertragung ihrer Fragestellungen auf die mittelalterliche Literatur steht immer noch aus. Das ist umso erstaunlicher, als die stillschweigend als überzeitlich unterstellte Romanästhetik, deren Geltung Lugowski für die Vormoderne in Frage stellt, in der neueren Erzählliteratur längst aufgegeben ist. Jener .realistische“ E r ­ zähltypus, an dem latent mancherorts das .Nibelungenlied“ und sein Verhältnis zur Sagenüberlieferung immer noch gemessen wird, ist ein Phänomen von literarhi­ storisch begrenzter Reichweite. Auch ist seine psychologisch-anthropologische Ba­ sis in der Alltagserfahrung längst von der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts, von Psychoanalyse, Soziologie und Sprachwissenschaft, destruiert worden. E r lebt zu­ meist nur noch in einigen Trivialgenres fort. Die Suspension vertrauter Kulturmuster muß also diejenige nur scheinbar selbst­ verständlicher ästhetischer Normen einschließen. Aufgabe muß sein, ein adäqua­ teres Beschreibungsmodell für das Erzählen im .Nibelungenlied“ zu entwickeln. N ur so lassen sich Folgerungen aus der Entstehungsgeschichte des Epos zurück­ weisen, die seine Interpretierbarkeit grundsätzlich in Frage stellen. Ihr Argument: Wenn der Redaktor an eine widersprüchliche und, soweit mündlich, möglicherweise schwankende und unzuverlässige Überlieferung gebunden war, die er nicht mehr bruchlos zu einem geschlossenen Werk verarbeiten konnte, dann läuft jede Inter­ pretation des Ganzen wie einzelner Szenen Gefahr, Zusammenhänge zu konstruie­ ren, wo einfach Divergentes mühsam verleimt wurde.26 Solche Konstruktionen 14 *6 14 Etw a Haug (1974/1989), S. 295; Pérennec (1987), S. 214 ; 219; grundsätzlich Heinzle (1987b). Wie sich bei derartigen Gesamtdeutungen über das Epos ein neuer, mit mittelhochdeutschen Einsprengseln angereicherter Erzähltcxt legt, zeigt Schröders (1968) Konstruktion der „Tragödie Kriemhilts“ (S. 48­ 156). *’ Lugow ski (19 32/19 76 ); hierzu Martinez (1996). 16 Heinzle (1987a), S. 88f. u.ö.; ders. (1987b) und (19 91).

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A p orien der Deutung

gelingen, so diese Überlegungen, immer nur mit Hilfe massiver Ergänzung und Glättung des Textes durch den Interpreten, indem dieser Brüche herunterspielt, Lücken füllt und stillschweigend ,Fehler' bei der Adaptation der Sagengeschichte korrigiert. In der Tat, liest man einige Interpretationen des .Nibelungenliedes', dann wird man auf Schritt und Tritt solche Ergänzungen finden, „Interpolationen“ habe ich sie genannt,17*„Sinnunterstellungen“ Heinzle.28 Solche Interpolationen dürfen freilich nicht nur als methodisch fragwürdige Konsequenz aus stoffgeschichtlichen Mängeln kritisiert werden, als hilflose Repa­ raturversuche also, sondern sind als Antworten moderner Interpreten auf Auffäl­ ligkeiten eines vormodernen Erzählkonzepts zu verstehen. Unternommen werden sie nämlich im Namen des Prinzips handlungslogischer Kohärenz und psycholo­ gischer Stimmigkeit, wie es Maßstab bei der Beurteilung neuerer Erzähltexte ist. A u f dieses Prinzip sind - und das ist die Pointe der Auseinandersetzung - auch die meisten Kritiker verpflichtet, wenn sie Mißlingen der Integration feststellen. „Sinn­ unterstellungen“ werden durch Elemente des Textes stimuliert, die aus sich heraus unverständlich und einander widersprechend scheinen und daher die Hypothese einer Störung oder einer unpassenden Kontamination in der sagengeschichtlichen Überlieferung nahelegen - oder eben dazu auffordern, den Text neu und besser zu dichten. Mit seinem Vorschlag, auf Interpretation zu verzichten, zieht Heinzle die K o n ­ sequenz aus dem Dilemma, denn jede Interpretation harmonisiere, was nicht zu­ sammen paßt, habe es der Interpret doch mit einem brüchigen, lange und vielfältige Stofftraditionen nur oberflächlich integrierenden Werk zu tun. Heinzle schlägt stattdessen eine Rückbesinnung auf die Sagengeschichte vor. Damit meint er keine Rückkehr zu den Spekulationen der älteren Forschung über verlorene Versionen und eine ursprüngliche Gestalt des Werks,19 sondern die Einsicht in dessen sagen­ geschichtlich bedingte Zufälligkeit. Die Überlieferung führt nicht auf den einen geschlossenen, allenfalls marginal verderbten und daher durch Textkritik in .originaler' Form wiederherstellbaren Text, sondern dokumentiert eine Reihe von zwar im Kern festen, in der konkreten Ausformung aber variantenreichen G ebil­ den, die mehr oder minder glücklich aus einer nicht mehr rekonstruierbaren Sage geklittert sind. An den Bruchstellen muß jede Interpretation scheitern, es sei denn, es suchte sie harmonisierend zu verkleistern. Freilich ist Heinzles Alternative - „einmaligefs] Originalkunstwerk“ vs. diver­ gierende, keine eindeutige Aussage zulassende Überlieferung - zu einfach.10 Sie 17 Müller (1987), S. 225. ■ 21 (1987a), S. 92; an der Schlußszene entwickelt (1987b), im Untertitel des Beitrags Heinzle (19 9 1); zuletzt (1997), S. 85. 19 Vgl. schon Heinzles (1978) Kritik an den Spekulationen der Forschung zur Dietrichepik. ,0 Heinzle (1978), S. 6; ähnlich Schröder (1968), S. 32; vgl. auch S. }8f. Schröder stellt die Alternative: das .Nibelungenlied* als „einmalige[ ] Schöpfung“ des ,,eine[n] große[n] Dichter[s]“ vs. .Pluralität

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Einleitung

berücksichtigt zwar den besonderen literarischen Typus, den das .Nibelungenlied4 repräsentiert, doch ist implizit Vergleichsmaßstab die ästhetische Norm, die den kritisierten Versuchen der „Sinnunterstellung“ zugrundeliegt. Stattdessen müßte nach der Angemessenheit dieser Norm und nach ästhetischen Konzepten gefragt werden, die auf jene Überlieferungslage antworten. Heinzles Warnung vor Inter­ pretation richtet sich zudem vornehmlich gegen ein antiquiertes Interpretations­ konzept, dessen Korrelat das gebildehaft geschlossene Kunstwerk ist und das sich auf eine totalisierende Bedeutungszuweisung mit Ausschließlichkeitsanspruch rich­ tet, wobei jedes Element einem organizistisch gedachten Ganzen zu subsumieren ist. Die berechtigte Kritik an diesem Typus von Interpretation trifft jedoch nicht hermeneutisch-interpretatorische Anstrengung überhaupt. Die neuere Literaturtheorie hat herausgearbeitet, daß die gebildehafte Geschlos­ senheit des Kunstwerks eine Illusion ist, bestenfalls ein Inszenierungseffekt, der die Vielstimmigkeit und Brüchigkeit sprachlicher Gebilde auf der Oberfläche zum Ver­ schwinden bringt. Dies gilt erst recht für vormoderne Texte, die dem Ideal ge­ bildehafter Geschlossenheit und organischer Stimmigkeit noch gar nicht verpflich­ tet sind. Das bedeutet freilich weder hier noch dort, daß sie jeder Analyse ihrer semantischen Potenzen unzugänglich sind. Dem .offenen4 Text korrespondieren .offene4 - keineswegs beliebige - Lektüren, und daß ein neuzeitliches ästhetisches Konzept am mittelalterlichen Text scheitert, besagt noch nicht, daß es kein anderes, adäquateres gäbe. So scheint mir die Resignation verfrüht. „Sinnunterstellungen44 setzen an sog. Inkonsistenzen und Widersprüchen des Textes an. Müßte aber nicht zuerst geprüft werden, ob es sich tatsächlich um Inkonsistenzen und Widersprüche handelt? Ob die „Interpolationen“ der Inter­ preten - ganz gleich welcher Art - gerechtfertigt, ja überhaupt notwendig sind? Ob es nicht andere Erklärungsmöglichkeiten gibt als die harmonisierender Glättung oder Annahme einer sagengeschichtlichen Panne? Die Alternative bleibt verbaut, solange im Hintergrund ein .eigentlich4 zu erwartendes, linear progredierendes, nach gängigen Alltagserfahrungen kausal verknüpfendes und insofern syntagmatisch kohärentes Erzählen als Normalfall von Erzählen überhaupt angesehen wird. E s ist letztlich gleich, ob man angebliche Zwischenglieder etwa des KriemhiltRomans, der Geschichte des jungen Sivrit oder des Hortraubs, Elemente also, die der Epiker verweigert, vor dem Hintergrund eines solchen erwartbar-normalen Erzählens ,Sinn unterstellend4 ergänzt oder ob man ihr Fehlen aus einer hetero­ genen Sagentradition erklärt, die jeden Interpretationsversuch zuschanden mache. Beide Male nämlich schiebt man die Besonderheit der literarischen Verfahren bei-

von gleichrangigen Verfassern1 auf. Dabei muß die Dichtung eines Buchepos nach älteren Erzählun­ gen nicht „einmalig“ sein, sondern kann, wie in mittelalterlicher Schriftlichkeit auch sonst, zu A usge­ staltung, Fortsetzung, Verbesserung usw. einladen, und, wenn mehrere sich darum bemühten, dann müssen sie deshalb noch lange nicht „gleichrangig“ sein.

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A porien der Deutung

Seite. Wenn daher der Kritik Heinzles zuzustimmen ist, so doch nicht ihren Fol­ gerungen und ästhetischen Voraussetzungen. Ein weiteres kommt hinzu. Selbst Forschungen zum .realistischen4 Roman haben gezeigt, daß literarische Texte immer und notwendig mit „Leerstellen“ arbeiten, die der Leser durch eigene Imagination zu füllen hat und daß in der Interaktion zwi­ schen den Vorgaben des Textes und der deutenden Aktivität des Lesers der „A kt des Lesens“ bestehe.51 Ein Text, der sämtliche Voraussetzungen, die zum Verstehen dessen, was er erzählt, nötig sind, explizieren würde und der Imagination seines Rezipienten auch nicht den kleinsten Raum mehr ließe, ist allenfalls als Grenzfall denkbar und wäre im übrigen ein nicht mehr konsumierbares literarisches Monstrum. Lawrence Sterne hat es im ,Tristram Shandy4 parodiert. Jeder Text stimuliert durch „Leerstellen“ die Phantasie des Lesers und begrenzt sie zugleich durch das, was er sagt. Eine Lektüre, die nicht durch die Vorgaben des Textes sich begrenzen läßt, steht in Gefahr, beliebig zu werden und nur der Selbstaffektion des Lesers zu dienen.52 Die Schwierigkeit besteht darin, die (notwendige) Tätigkeit des Rezipienten auch historisch adäquat zu kontrollieren, das aber heißt: von den In­ struktionen des Textes auszugehen. Hinter den vielfältigen Bemühungen, Lücken und Widersprüche dem Epiker nachzuweisen, steht so gut wie immer der Gedanke einer einstmals .richtigen4, eben nur verderbten Verknüpfung; die Regeln aber dieser Verknüpfung werden als überzeitlich verbindliche angesehen. Ein (sagen-)historisches Argument wird also ahistorisch begründet. Damit wird die Aufgabe umgangen, jene angeblichen Brü­ che und Lücken als Spuren einer fremden Auffassung von Welt, von uns fremd gewordenen Selbstverständlichkeiten, einer anderen Weise der Kohärenzbildung zu lesen. Diese Aufgabe setzt voraus, daß man die eigenen Erwartungen, wie eine Geschichte plausibel zu erzählen sei, möglichst lange suspendiert und sich, soweit wie möglich, auf das einläßt, was tatsächlich erzählt wird.

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Heinzle knüpft an Isers Überlegungen zu „Leerstellen“ in literarischen Texten an, versteht sie jedoch gänzlich anders (1987b, S. 265-267). Iser will zeigen, daß jede Rezeption eines literarischen Textes die Produktivität des Rezipienten erfordert, die an sog. „Unbestimmtheitsstellen“ einsetzt (1976, S. 2 57ff.). Diese Produktivität ist zwar grundsätzlich durch keinerlei Regeln eingeschränkt; sie muß aber im Vollzug des Leseprozesses diszipliniert werden, bleibt also, wo sie zu legitimen, intersubjektiv vermittelbaren Aussagen kommen will, durch die Instruktionen des Textes begrenzt. Fehlt diese Leistung des Lesers, bleibt der Text stumm. Heinzle meint dagegen mit „Sinnunterstellung“ eine zu falschen Ergebnissen führende Tätigkeit des Rezipienten, der sich über Instruktionen des Textes hinwegsetzt und unkontrolliert eigene Assoziationen interpoliert. Wo es Iser also um eine not­ wendige Voraussetzung jedweden literarischen Verstehens geht (.Leerstellen sind notwendig, und sie müssen notwendig aufgefüllt werden*), da Heinzle um ein methodisch fehlerhaftes Vorgehen, das den Textsinn verfehlt. Aus „Leerstellen“ werden bei ihm daher unversehens „Lö ch er“ im Text, die auf „Strukturmängel“ zurückgehen (1987b, S. 2Ö6f.). Das ist aber etwas ganz anderes. ** In dieser Weise wird Isers Konzept bei Stech (1993) mißverstanden (S. 4 0 - 5 1). „D er Leser selbst muß das Geschehen motivieren, sich in die Personen hineinversetzen“ (S. 85): Das leistet genau den naiven Spekulationen Vorschub, die Heinzle zu Recht kritisiert hatte.

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Einleitung

Angesichts seiner erfolgreichen Verbreitung fällt es schwer zu glauben, daß das »Nibelungenlied“ nichts als sagengeschichtliches Patch-work zum Aufdröseln durch Philologen ist und daß dies jahrhundertelang Rezipienten und Abschreibern ent­ ging - oder sollte man vielleicht doch wieder .kindliche Leichtgläubigkeit“ und .ästhetische Anspruchslosigkeit“ des mittelalterlichen Menschen unterstellen? D a­ von, daß auch mittelalterliche Rezipienten Schwierigkeiten mit einigen jener Brü­ che, Lücken und Widersprüche hatten,55 wird noch öfter zu handeln sein, wenn von Varianten der handschriftlichen Überlieferung die Rede ist. Aber wenn sie bemüht waren, sich einen Reim auf das Erzählte zu machen, indem sie den Text zu ver­ bessern suchten, dann zeigt das auch, daß die Geschichte als ganze akzeptiert wur­ de. Eine komplexe Struktur zu vereinfachen, um sie dem eigenen Verständnis eben zu machen, ist im übrigen in der Geschichte literarischer Rezeption zu gängig, um ein Argument gegen jene Komplexität zu liefern und die schlichtere Version als die ursprüngliche und richtige zu begründen. Die Grundfrage dieses Buches lautet also, ob in der von Heinzle zutreffend beschriebenen Aporie nicht ein problematisches Konzept von Interpretation, ein historisch unangemessenes Modell des Erzählens und ein neuzeitliches Welt- und Gesellschaftsbild steckt. Vorgeschlagen wird eine Lektüre, die sinnvolle Verkettun­ gen, Isotopien und strukturelle Rekurrenzen auf den verschiedenen Ebenen des Epos und in den verschiedenen von ihm thematisierten Sachverhalten nachweist, ohne den Anspruch zu erheben, daß all jene Beobachtungen zu der einen ge­ schlossen-schlüssigen, alles Disparate integrierenden, alle Brüche kittenden .Inter­ pretation“ sich fügten, sind es doch gerade die Brüche und Widersprüche (wie sie sich aus neuzeitlicher Perspektive darstellen), die die Faszination des .Nibelungen­ liedes“ ausmachen.

Das Dilemma der Sagengeschichte Am fundamentalsten stellt der Verweis auf die Sagengeschichte ein Vorhaben wie das vorliegende in Frage. „Ohne eine [...] Vorstellung [wie die Vorgeschichte des .Nibelungenliedes“ verlaufen sein könnte] ist jeder verloren, der das Werk verstehen will“ , denn der Dichter habe „sich dem vorgegebenen Sto ff mit seinem Traditions­ potential und seinem Anspruch auf Verbindlichkeit als Vorzeitkunde zu beugen, ihn als objektive Größe zu nehmen“ .54 Eine derartige Traditionsgebundenheit des Dichters, die seinen Gestaltungsspielraum einschränkt, gilt in der Tat allgemein im Mittelalter. Selbst Gottfried von Straßburg, der Autor des am tiefsten in die la-*14

Heinzle (1997), S. 94. 14 Heinzle (1987a), S. 32; zur Diskussion der ,Quellen‘ -Frage .nach Heusler*: Andersson (1987), S. 10 5 ”

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7.

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D as D ilem m a der Sagengeschichte

teinische Schriftkultur eingelassenen mittelhochdeutschen Romans, erzählt vor dem Hintergrund der Tradition und reagiert auf beides: literarische Fassungen und mündlich umlaufendes Erzählgut; er beansprucht, die Geschichte besser zu lesen als seine Vorgänger, die sie .falsch gelesen4 haben (Tr 1 3 1 - 1 3 4 ) . 5’ A forteriori gilt das für eine traditionsfixierte Gattung wie die Heldenepik. Erzählen, selbst mündliches Erzählen, erst recht Erzählen nach einer buchepi­ schen Konzeption ist nicht schieres Registrieren von allem und jedem, sondern auswählende, ergänzende, deutende Auseinandersetzung. Ihr Spielraum ist gat­ tungsabhängig unterschiedlich weit. Für den Artusroman Chrétiens ist er, so der Konsens, so groß gewesen, daß Chrétien den umlaufenden Erzählungen keltischen Ursprungs eine bele conjointure einzeichnen konnte.56 Selbst Texte mit historiographischem Anspruch, die sich um möglichst vollständige Berücksichtigung dessen bemühen müssen, was überliefert ist, geben dem Überlieferten durch kritische A us­ wahl und Anordnung eine eigene Struktur. Im heroischen Epos lassen sich werk­ spezifisch beide Tendenzen nachweisen, sowohl der Versuch sinnhaft-eigenständi­ ger Durchformung des Vorgegebenen als auch Treue gegenüber dem Überliefe­ rungsbestand. Auch wenn die Heldenepik als Vorzeitkunde aufgefaßt wurde, wurde sie, wechselnden Interessen folgend, immer wieder neu adaptiert.57 Eine andere Frage ist es, wie überzeugend die Integration des Überlieferten gelingt, und an eben diesem Punkt entscheidet sich, welches Verhältnis zur Erzähl­ tradition man dem Verfasser des .Nibelungenliedes4 zutraut. Hätte er sich wirklich in den Fäden einer nicht mehr entwirrbaren Tradition verheddert, dann wäre das .Nibelungenlied4 ganz einfach ein schlechter Text - wie viele Dietrichepen.58 Un­ streitig steht hinter ihm eine breite, diffuse Sagentradition. Über das, was sie er­ zählte, und erst recht das, was der Epiker davon wissen konnte, sind günstigsten­ falls ein paar plausible Vermutungen möglich. Das ,Modell4, nach dem sich Andreas Heusler die Entstehung des .Nibelungen­ liedes4 über wenige Zwischenstufen zurechtlegte, war ein Versuch, einen unüber­ sichtlichen Problemkomplex durch Reduktion zu bewältigen, doch ging Heusler von ganz und gar neuzeitlichen Vorstellungen aus, indem er die Überlieferung eines heroischen Stoffes ausschließlich auf einige wenige, von Dichtern fixierte Texte*



Man muß sich der verführerischen Nähe zum poststrukturalistischen B egriff der lecture entziehen: lesen meint hier das Zusammenholen (colligere) der vielerlei Elemente der Geschichte, die im Umlauf sind, und ihre stimmige Zusammenfügung. E s gibt deshalb für Gottfried ein .richtiges“ lesen, im Gegensatz zu den vielen falschen Versionen. ,6 Haug (1992), S. 9 1 - 1 1 8 zu Chrétien de Troyes. ,7 Für die Dietrichepik zeigt das Heinzle (1978). ** Und genau dies ist die Konsequenz: „Jener Nibelungendichter war nun kein Originalgenie“ (Heinzle, 1987b, S. 268) - als gäbe es einen einzigen Autor im Mittelalter, auf den dieser Terminus des 18. Jahrhunderts paßte; ähnlich Andersson (1978). W olf (1995) bezeichnet das Ganze als ,,prächtige[n] Stamm“ , konstatiert aber im einzelnen „Holprigkeiten“ , .Unbeholfenheit“, „Schwachstellen“ , „R at­ losigkeit“ u. ä., zumal in den Details (vgl. etwa S. 297-300).

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Einleitung

unterschiedlicher Länge (Heldenlied, Kurzepos, Buchepos) einschränkte59 und die Integration dieser Dichtungen wieder einer Dichtung, der sog. ,Alteren N ot‘ zu­ schrieb, einem kürzeren Buchepos, das er sich in verhältnismäßig enger zeitlicher Nachbarschaft zum ,Nibelungenlied“ entstanden dachte und dem man all die Fehler und Modernismen absprechen konnte, die am Nibelungenlied störten. Uber den Inhalt der ,Älteren N ot“ glaubte man Aufschlüsse aus der nordischen Überliefe­ rung, zumal der ,Thidrekssaga“, einer Prosadichtung des 13. Jahrhunderts, zu er­ halten.*40 Diese hypothetische Konstruktion der ,Älteren N ot“, in der frühere Adaptatio­ nen der Sage - vielleicht in Form von .Heldenliedern“ - zusammengeflossen sein sollen, hat lange Zeit die Arbeit an einem adäquaten Textverständnis blockiert, indem ihr alles an Stimmigkeit zugeschrieben wurde, was ein durchschnittlicher moderner Leser von einer .wahrscheinlichen“ Geschichte erwartete und was das .Nibelungenlied“ vermissen ließ. Die Plausibilität eines solchen .missing link“, ge­ schweige die von Annahmen, wie es im einzelnen ausgesehen haben könnte, hängen nicht zuletzt davon ab, welchen Kredit man latent darwinistischen Evolutionstheo­ rien auf dem Feld der Kulturwissenschaften einräumt. Die .Altere N ot“ avancierte jedenfalls rasch zur festen Größe sagengeschichtlicher Forschung, mit der man wie mit einem tatsächlich überlieferten Text rechnete.4' Doch wie sicher ist diese Konstruktion? Die Überlieferung in den Jahrhunderten zwischen Völkerwanderungszeit und dem mutmaßlichen Zeitpunkt der Entstehung eines Buchepos liegen im Dunkeln. Daß die Sage weiter erzählt wurde, machen Spuren in genealogisch-dynastischer Hausüberlieferung wahrscheinlich.414 2*Alle kon­ kreten Vorstufen aber beruhen auf nicht verifizierbaren Hypothesen.45 Unbeweisbar ist auch die Annahme, daß Nibelungendichtungen des Nordens ,der“ Urform der Sage näherstehen, so daß mit ihrer Hilfe entscheidbar ist, was .altnibelungisch“, was .Zutat“ ist. Eine solche These setzt voraus, daß die kulturellen Bedingungen N ord­ europas die Sagen nur peripher beeinflußten, während sie in Kontinentaleuropa massive Eingriffe erzwangen. Aber selbst wenn man wahrscheinlich machen könn­ te, daß die nordischen Versionen eine ältere Gestalt der Sage bewahren, folgt daraus ,9 Heusler (19 21/19 6 5); affirmativ noch Andersson (1980 u. 1987); zur grundsätzlichen Kritik Haug (19 75/1989) und (1981/1989). 40 So etwa Andersson (1987), S. 109!. Wenn freilich die ,Thidrekssaga‘ Übersetzung oder Bearbeitung eines auf dem Kontinent entstandenen Buchs vom Ende des 12. Jhs. ist (Andersson, 1987, S. 5 1 f.), dann ist sie erst recht ein selbständig mit dem .Nibelungenlied“ konkurrierendes Werk, nicht aber Zeugnis für die Geschichte, die dieses .eigentlich“ erzählen sollte. 41 Vgl. Fromms (1990), S. 6 Spott, daß mit der .Älteren N o t“ so fest gerechnet wird, daß Studenten das Buch in der Seminarbibliothek vermissen könnten. Tatsächlich erzählt Andersson (1987), S. n 8 f. den Inhalt der .Alteren N o t“, um die .originellen“ Zusätze des .Nibelungenliedes“ davon abzusetzen (S. 1 1 9E); dagegen abgewogen Heinzle (1997), S. 8jf. 42 Stornier (19 73), S. 4 9 1-4 9 6 , (1974) u. (1987); Meves (1980) u. (19 8 1); Wenskus (19 73), passim; zu­ sammenfassend S. 447h 41 Schröder (1968), S. 40.

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weder, daß es die ,authentische“ Fassung ist, noch daß sie den Maßstab für alle späteren Aneignungen setzt. Oder mißt man Goethes .Fehler“ an Euripides? Die Rede vom .Urgestein“ der alten Nibelungenüberlieferung setzt ein im Kern romantisches Entstehungsmodell voraus: Es gibt den einen wahren Ursprung, von dem alles seinen Ausgang nahm und zu dem man durch alle Verschüttungen wieder Vordringen muß. Was als .Urgestein“ gilt, ist deshalb nicht nur die älteste, sondern auch die wertvollste Schicht, Ursprung, unverfälschte Quelle, „Krondiam ant“ .44 Daraus folgte der Umkehrschluß, daß das, was der Intuition des Forschers am wertvollsten schien, auch am ältesten sein müsse. Aber warum eigentlich müssen die „qualitätvollen“ Lieder am Anfang stehen? Warum muß der Weg von einer „kurzen, sprunghaften Darstellungsweise zu der ausführlicheren, glättenderen der Prosa“ führen?4' Was berechtigt dazu, die Adaptationen auf dem Kontinent als abgenutzt und fehlerhaft aufzufassen?46 Wenn Überliefertes vom Verfasser nicht einfach beiseitegeschoben werden konnte, dann stellt sich die Frage, wie es aufge­ nommen, bearbeitet und umgedeutet wurde. Bearbeitung und Umdeutung sind nicht entbehrlicher Verputz von ,Urgestein“, ebensowenig wie sog. .Urgestein“ ein störender Atavismus ist.47 Das ursprungsmythische Modell endlich zu verabschieden, bedeutet nicht, die Arbeit von Jahrhunderten zu verkennen, die die Sage umbildeten. Ohne Zweifel wirkten dynastisch-politische und sozialgeschichtliche Konstellationen auf die Sage ein.48 Bekannt ist, daß politische Konstellationen des Frühmittelalters ihre Spuren hinterließen.49 Aber es ist eine Illusion zu glauben, man könne Schicht für Schicht abtragen, um zum Kern vorzustoßen. Vermutlich waren verschiedene Versionen den Verfassern bekannt; daraus folgt jedoch nicht, daß die eine mehr oder minder zufällig erhaltene Fassung Auskunft darüber geben kann, was mit „considerable evidence“ in der anderen gestanden haben muß und vom Verfasser mit großen Mühen und um den Preis von „many inconsistencies“ unterdrückt wurde.’0 Des­ halb besagen älteres und jüngeres .Atlilied“, .Völsungasaga“, .Thidrekssaga“ nichts für eine Geschichte, in der Sivrit nicht eidbrüchig, Gunther kein Hahnrei und Etzel 44 Heusler (19 21/19 6 5), S. 316; zur Kritik auch Schnyder in: Biterolf, S. 6if. 41 So fragt schon Beck (1990), S. 6 (mit Literatur zur nordistischen Diskussion). 46 Kuhn (1965) z. B. spricht von „schweren Störungen“ gegenüber der alten Hortszene (S. 287), einem „durch vielfache Eingriffe uneinheitlich und rissig gewordenen Sagenstoff“ (S. 280). 47 Mit welchem Recht nennt Schröder (1968) die Hortforderungsszene - als „dichterisches Urgestein [...] nicht aufgebbar“ - einen „Fremdkörper, der sich der geradlinigen Durchführung des neuen Themas, der Rache Kriemhilts für Sivrits Erm ordung, recht störend in den Weg stellt“ (S. 93)? Müßte sich das .neue Thema* nicht in der Auseinandersetzung mit der Tradition bewähren? 48 Wenskus (19 73), S. 394. 49 Vgl. Klcbel (19 57) zu Nebenfiguren des Epos; Birkhan (19 77), S. 4 - 1 1 zur frühmittelalterlichen Geschichte des Ostalpenraums und zur mutmaßlichen Entstehung in Passau; allgemein Voorwinden 0 9 8 7 ), S. 31. Andersson (1986), S. 6; vgl. S. 4. Die Metapher nach Neumann (19 24/196 7), S. 9 -3 4 , der von „Schich­ ten der Ethik“ spricht.

Hinleitung

nicht goldgierig ist, und aus dem Fehlen des Deflorationsverbots in der ,Thidrekssaga‘ läßt sich weder schließen, daß das Verbot im .Nibelungenlied' Zutat ist, noch umgekehrt, daß die ,Thidrekssaga‘ es .vergessen* habe, handelt es sich doch beide Male um verschiedene Deutungen des Handlungskerns. Wichtig sind konkurrierende Dichtungen deshalb nicht als .Quellen*,'' sondern als Hinweis auf Deutungsalternativen und auf unterschiedliche Selektionsmöglichkeiten aus der Tradition. Es gibt keinen Stoff ,an sich* und deshalb keine Fassung eines Stoffes in einem Text, der nicht eine bestimmte Deutungsperspektive eingezeichnet ist,’2 und so determiniert der Stoff den Erzähler nur in festumrissenen Grenzen.” Der ein­ zelne Text ist als bestimmte Antwort auf eine Tradition zu würdigen, die ihrerseits bestimmte Antworten versammelte. Paralleltexte zeigen das Spektrum möglicher Aneignung, nicht ,wie die Geschichte eigentlich lauten müßte*. Keinesfalls darf die Sagengeschichte als Joker benutzt werden, der immer dann gespielt wird, wenn der Interpret in seinem Bemühen um handlungslogische und psychologische Stimmigkeit mit seinem Latein am Ende ist. Wo die Sagengeschichte als Auskunftsmittel für Einzelheiten der Handlung un­ brauchbar ist, da verweist sie doch auf einige allgemeine Bedingungen für die Verschriftlichung des Nibelungenstoffes. Statt von einzelnen hypothetischen Tex­ ten auszugehen, die dem .Nibelungenlied* vorausgegangen sein mögen, muß man den literarischen Typus beim Übergang von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit beden­ ken.54 Die Sagenüberlieferung schließt individuelle und überindividuelle Aneignun­ gen, poetisch fest geformte und nicht geformte Erzählungen ein. Während im Norden „innerhalb weniger Jahrzehnte ab Anfang des 13. Jahrhunderts“ fünf schriftliche Fassungen des Burgondenuntergangs konkurrierten und neben bloßem „Tradieren“ immer auch „Neudichten“ möglich war,5’ setzte sich auf dem K onti­ nent das .Nibelungenlied* allein durch (ohne die Spuren anderer epischer Versionen ganz zu löschen), ergänzt in nahezu allen Handschriften um die (Nibelungen-) , Klage*.

*' Vgl. Andersson (1987), S. 82; 84. Der B egriff der .Quelle“ ist unangemessen, gleich ob man damit stoffliche oder strukturelle Verwandtschaft oder die Wiederkehr einzelner poetischer Elemente be­ schreibt, denn er ist im Horizont von Schriftlichkeit gedacht und schließt unangemessene Wertungen ein: Die .Quelle“ ist .reiner“ als das, was aus ihr strömt, und man muß zu ihr zurückfinden, wenn man herausfinden will, was .eigentlich“ gilt. Die (unlösbare) Frage nach der .Quelle“ zieht sogleich die ebenso unlösbare nach .Original“ und .Originalität“ nach sich (Andersson, 1987, S. 109; 11 8 - 1 4 3 ) . ’ * Andersson (1986) demonstriert genau dies eindrucksvoll an der .Sigurdarquiöa in meiri“. W ie hier der Dialog zwischen Sigurd und Brynhild einen (gattungsgeschichtlich erfolglosen) Ü bergang zum R o ­ man bedeutet, so setzt auch das .Nibelungenlied“ unterschiedliche literarische Traditionen zueinander in Beziehung. ” Vgl. Göhler (1996), S. 2 19 zum spekulativen Argumentieren mit dem „Stoffzwang“ . 54 Haug (1974/1989). S- 29ü ücrs. (1975/1989). S. 279F ” W olf (1988), S. 168; 170.

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Der Traditionsrahmen ist auch hier präsent. Die Erzähler spielen immer wieder auf etwas allgemein Gewußtes an, das man sich erzählt.’6 Sie sind von der Tradition abhängig: Durch Rekurs auf das, was man weiß, beweisen sie ihre Glaubwürdig­ keit. Indem zumal der Verfasser des Epos einzelne Verse oder Verssegmente wie Spolien dem eigenen Text einfügt und vorgeprägtes oder wie vorgeprägt aussehen­ des Material verwendet, zeigt er, daß er über ein traditionelles poetisches Inventar verfügt. Determiniert werden durch die Tradition kann er schon deshalb nicht, weil diese nicht mit einer Stimme spricht.’7 In einigen Passagen des ,Nibelungenliedes' glaubt man einen Dialog mit der Tradition zu hören; der Erzähler stößt sich von ihr ab, versucht, das Vorgegebene auszulöschen, zu verwischen, neu zu deuten oder besser zu fassen. Jeder mündliche Vortrag setzt solch einen impliziten Dialog mit der Tradition voraus. Mit der Verschriftlichung löst sich der Text aus dem Gewirr einander übertönender Stimmen, schreibt sich als die ,authentische' Version dem Bewußtsein des Rezipienten ein, mindestens so lange, bis der nächste Text ihm diesen Status bestreitet. E r will als ,richtige' Version ohne den Rekurs auf das, was er verwirft, verstanden werden. Doch hängt auch sein Geltungsanspruch von der Kompatibilität mit dem ab, was man im allgemeinen weiß, mit einer Tradition, die Glaubwürdigkeit und Autorität sichert. Ohne jene Tradition fehlt dem Text die Verbindlichkeit, ohne ihre entschiedene Formung die Eindeutigkeit und die A k­ tualität für die Gegenwart der Rezipienten. Versuche, sog. Widersprüche des überlieferten Textes in sagengenetischer Per­ spektive aufzulösen, können, dies hat Bumke demonstriert, interpretatorisch er­ tragreich sein, wenn sie auf das aufmerksam machen, was sich neuzeitlichem Ver­ ständnis sperrt und auf Narben variierender Aneignung weisen.’8 Doch können sie nur Hypothesen anbieten für das, was ihr vorauslag. Kaum ist herauszufinden, von welchen Details der Sage die Verfasser im einzelnen ungefähr wußten, welche Ele­ mente sie vielleicht bei ihren Hörern als bekannt unterstellen konnten oder even­ tuell sogar in einem ausgeformten Text vorfanden.’9 E s ist ungewiß, wie das he­ roische Vorwissen des Erzählers aussah, doch sicher war es geringer als das des Mythenforschers und Philologen; meist ist wohl nicht einmal genauere Kenntnis des Handlungsnexus zu unterstellen. Betrachtet man, was neben dem ,Nibelungen,s Haug (19 75/198 9, S. 291) spricht von der „Herausbildung eines spezifischen heroisch-historischen Bewußtseins“ und rechnet mit der Offenheit der Heldenepik gegenüber anderen Gattungen. ” Höfler (19 55 /19 6 1), S. }89f. ’ * Bumke (i960), konstatiert „Fugen und Nähte“ , „Härten und innere Widersprüche“ (S. 1), „nicht wegzudisputierende Widersprüche [...], wo sich die Traditionen mischen“ (S.5), sucht die „Quellen­ bestandteile zu scheiden“ (S.19 ); manches wirke wie ein „unbehauener Block“ (S.23), anderes sei „in jahrhundertelanger Tradition langsam um- und abgeschliffen“ (S. 2), wieder anderes nur „äußerlich miteinander verbunden“ (S. 12) oder durch das „Zusammenrücken zweier Traditionen“ (S.8) erklär­ bar. 19 Curschmann (1989), S. 385.

Einleitung

lied' an Sagenwissen im späteren Mittelalter - etwa über Kriemhilt - anspielungs­ haft präsent ist, dann wird man sich von Genauigkeit und Detailreichtum solchen Wissens keine übertriebenen Vorstellungen machen/10 Inwieweit dieses Wissen je­ dem Erzähler als Grenze seiner Möglichkeiten vorgegeben war und inwieweit es eher als Stimulans für Grenzüberschreitungen wirkte, ist erst recht nachträglich schwer zu entscheiden. Das durchweg negative Kriemhilt-Bild außerhalb des N ib e ­ lungenliedes' spricht für die letztere Möglichkeit: Der Erzähler des Epos und erst recht der der ,K lage' erzählten gegen das Sagenwissen von der bösen Kriemhilt an, und sie taten dies, was Kriemhilts Leumund betrifft, trotz der Verbreitung ihrer Werke nicht einmal mit durchschlagendem Erfolg. 1 Auch bedürften die Modelle der Sagengenese der Überprüfung. Üblicherweise rechnet man mit zwei verschiedenen Typen von Sagenüberlieferung, einer in be­ stimmten Texten geformten und einer ohne Verdichtung in einem Text weiterer­ zählten. Der zweite kann meist nur hypothetisch als notwendiges Zwischenglied zwischen zwei tatsächlich überlieferten Versionen postuliert werden. Dabei werden zwei kontradiktorische Entwicklungsmodelle unterstellt. Die Prämissen des ersten beruhen auf „nachvollziehbarer psychologischer Progression“ : „D ie Sagenlogik folgt einem psychologischen Räsonnement, einer Entfaltung vom Einfacheren zum Komplexeren“ , sie rechnet mit „Ausgestaltung“ , „Steigerung“ , „Weiterführung“ .6 61 0 Das zweite Modell rechnet dagegen mit Mißverstehen, Banalisierung, Harmonisie­ rung oder Verkürzung einer einstmals sinnvollen Handlungsfolge. Die erste Prä­ misse kommt eher zur Anwendung, wenn man Repräsentationen einer Sage in eine chronologische Ordnung, als ,Stufen einer Entwicklung', bringen möchte, die zweite, wenn schwer Verständliches in tatsächlich überlieferten Texten auftaucht. Beide Typen der Rekonstruktion sind - jeder für sich, aber erst recht in ihrer Kombination - für textgenetische Argumentation höchst problematisch, denn war­ um soll die Auseinandersetzung mit der Sage konsequent in eine Richtung gehen? Eine gelungene überlieferte Konstellation kann ihrerseits Sekundärbildung sein,6’ eine psychologisch konsequenter scheinende späte Zutat, umgekehrt eine weniger plausible vielleicht nicht verderbt, sondern ursprünglich. 60 Man konsultiere bei W . Grim m (18 29 /19 57) die Einträge zu Criemhild; zum B egriff ,Sagenwissen‘ Curschmann (1989), S. 385; 387 u.ö. 61 Curschmann (1989), S. 39 5 -3 9 7 zur gelegentlich sprichwortartig gefaßten Ansicht über Kriemhilt, der das Epos entgegenarbeitet; vgl. Saxo Grammaticus und seine Wertung von Kriemhilts ergafratres perfidia (Abdruck in englischer Übersetzung bei Andersson, 1987, S. 2 5 2 -2 5 5 ). 61 Kritisch hierzu Beck (1990), S. 5; das führe bei einer Beurteilung des Überlieferten in einen „ A r g u ­ mentationszirkel“ . Sagengeschichtliche Überblicke tendieren überdies dazu, die Veränderungen am Sagenkern als einsinnigen Prozeß zu beschreiben. Dabei gibt es immer nur einzelne Adaptationen, deren Überlieferung bis heute auf Zufallen beruht, und diese müssen keineswegs untereinander abgestimmt sein. 6j Von See hat dies für den Flammenritt der nordischen Brünhildsage wahrscheinlich gemacht. Dabei ist unbestritten, daß die im 13. Jh. aufgezeichneten eddischen Lieder auf eine mehrhundertjährige münd­ liche Überlieferung zurückgehen (von See, 1993, S. 26), so daß selbstverständlich wechselseitige Beeinflussung mit kontinentaler Überlieferung möglich ist.

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yV okalität' und kulturelles Wissen

Jede Adaptation erfolgt in einem konkreten zeitgeschichtlichen Zusammenhang, und der kann demjenigen sehr fern stehen, in dem die Geschichte zum ersten Mal erzählt wurde. E s werden Geschichten aus der Völkerwanderungszeit, solche des Frühmittelalters und solche der jüngeren Vergangenheit verarbeitet. Dadurch ist mit Verwerfungen zu rechnen. Geschichten haben ihren eigenen Zeitindex. Wie stark der sich bei jeder neuen Adaptation auswirkt, kann nur im einzelnen geprüft werden. Die Heterogenität der im .Nibelungenlied* thematisierten Lebensverhält­ nisse, Wertordnungen und Menschenbilder wurde von der Forschung seit Beginn unter verschiedensten Aspekten herausgearbeitet. Keine Interpretation des Epos ,in seiner Zeit* kann diese Heterogenität hinwegdisputieren; an ihr hat jeder Neuansatz sich abzuarbeiten. Wohl aber scheint ein Perspektivenwechsel möglich, indem näm­ lich die Heterogenität weder als bloßer Ausgangspunkt für die Herstellung eines (homogenen) angeblich Ursprünglichen benutzt wird noch als Ergebnis einer nicht voll gelungenen zeitgenössischen Integration abgewertet, sondern indem sie als Grundvoraussetzung für das spannungsreiche Gefüge des Epos verstanden wird, das Widersprüche auf prekäre Weise figuriert und zu bewältigen sucht. Jede Erzählung setzt andere Erzählungen voraus und nimmt auf andere Bezug. Da er eine Geschichte erzählt, die man kennt, kann der Erzähler nicht beliebig erfinden. Da er in Konkurrenz mit anderen steht, die diese Geschichte poetisch gefaßt haben, kann er ihnen folgen, aber er kann auch zeigen, wie seine Version andere überbietet. Beides kann geschehen, indem er ihre Vorzüge aufnimmt (den gelungenen Vers, die kühne Metapher) und ihnen andere hinzufügt. Dabei spricht er vor einem Horizont der Tradition, die nur zum geringeren Teil durch Schrift vermittelt ist.

.Vokalität*64 und kulturelles Wissen Das .Nibelungenlied* ist ein Buchepos, das sich aus mündlichen Überlieferungen speist. Das Verhältnis des schriftliterarischen Werks zur Oralität ist kompliziert. Von der älteren Oralitätsforschung wurde das Problem noch kaum gesehen. Viel­ leicht weil anfangs die an vorschriftlichen Gesellschaften entwickelten Thesen zur Oral formulaic epic allzu direkt auf das semi-orale Mittelalter übertragen wurden, haben Anstöße der Oralitätsforschung in der Nibelungenphilologie wenig Reso­ nanz gefunden.*6’ Die volkssprachliche Heldenepik des Mittelalters ist aber keine ‘ 4 Der B egriff wurde zuerst von Zum thor („vocalité“ ) entwickelt (1983 und 1987) und in Deutschland von Schaefer (1992) eingefuhrt. 6’ Am prononciertesten setzte sich Haymes damit auseinander, der seine früheren Thesen unter dem Hindruck der Kritik an einer allzu direkten Übertragung der Thesen von Lord und Parry revidierte; auch Bäuml hat die Kritik aufgenommen und kommt in seinen jüngsten Publikationen der im folgenden zu entwickelnden .Vokalitäts’ konzeption von Zum thor und Schaefer nahe; vgl. Bäuml (1978; 1980; 1984/85).

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Einleitung

genuin mündliche, nur sekundär schriftlich fixierte (.verschriftete4) Epik, sondern konzeptionsgeleitete Verschriftlichung einer ehemals mündlichen Tradition. Folgenreich war, daß die mediävistische Forschung das Verhältnis von Münd­ lichkeit und Schriftlichkeit zunächst überwiegend als Alternative interpretiert hat. Der Nachweis, daß ein Text wie das »Nibelungenlied4 ohne den Einsatz der Schrift nicht denkbar sei, implizierte dann, daß die Frage nach seiner Einbettung in eine vor allem mündlich kommunizierende, illiterate Laiengesellschaft beiseitegescho­ ben und das Problem seiner Abhängigkeit von mündlicher Überlieferung auf das Sonderproblem sagengeschichtlicher Genese einzelner Motive oder eines »formel­ haften4 Erzählstils verengt wurde. Dabei ist der Status des .Nibelungenliedes4 mit der Dichotomie Mündlichkeit - Schriftlichkeit nicht angemessen zu fassen. Ich greife daher einen von Schaefer eingefuhrten Terminus auf, um ihn näher zu be­ stimmen: „Vokalität44.66 Der B egriff ist für eine Gesellschaft konzipiert, die nicht völlig schriftlos ist (.primäre Oralität4), in der jedoch der Schriftgebrauch gruppen-, institutionen- und sprachspezifisch eingeschränkt ist (,sekundäre Oralität4), ein Teil der Schriftun­ kundigen (d. h. vor allem der Adel) sich Zugang zur Schrift verschaffen kann, umgekehrt auch die Schriftkundigen (d. h. die Kleriker) an den dominierenden mündlichen Kommunikationsformen der Laien teilhaben, in der schließlich Schrift immer wieder in Stimme rückverwandelt wird, indem Texte vorgetragen werden.67 Die schriftunkundige adlige Laiengesellschaft um 1200 lebt in einer Kultur, die wesentliche Wissensbestände ohne Schrift tradiert, aber sie kann von Fall zu Fall auf Schriftlichkeit zurückgreifen;68 literarische Kommunikation erfolgt dominant mündlich. Umgekehrt gibt es eine sektoral begrenzte Kultur der clerici, die ihre eigenen Wissensbestände schriftlich bewahrt, deren Schriftproduktion aber in eine überwiegend schriftlos kommunizierende Gesellschaft eingelassen ist, der sie zum Teil angehören und von der sie zum Teil abhängen.6’ Das europäische Mittelalter ist insofern eine „semi-oral or secondary oral culture44.70 E s ist nicht völlig schriftlos; vor allem können sich auch Schriftunkundige die Schrift zunutze machen. 66 Schaefer (1992), S. 7 -2 0 zu begrifflichen Unschärfen in der Dichotomie Mündlichkeit-Schriftlichkeit sowie bes. das Kapitel ,Der Zu gan g zum Schriftlichen in der Vokalität', S. 30-34. 67 Schaefer (1992), S. 17 spricht von „Hineinragen“ von Mündlichkeit in Schriftlichkeit und von ihrer „Fusionierung“ ; vgl. S. 2 1 - 2 9 'hre Beschreibung der Interferenzen in der frühmittelalterlichen Kultur F.nglands. Die Verhältnisse dort sind natürlich nicht einfach auf den Kontinent 400 Jahre später übertragbar; unterschiedlich sind aber vor allem die Proportionen, nicht die Spannungen zwischen beiden Kulturen überhaupt. 68 In semi-oralen Gesellschaften hat mündliche Kommunikation „changed its ritual status from that o f a culturally necessary ritual in a preliterate society to a subculturally distinctive ritual in an illiterate subculture o f a literate society“ (Bäuml, 1984/85, S. 39; vgl. 1980, S. 243). 69 Individuelle Fähigkeit des Schriftgebrauchs spielt also eine untergeordnete Rolle, insofern es auf das grundsätzlich mögliche Zusammenwirken von Schriftlichkeit und Mündlichkeit in verschiedenen sozialen Schichten ankommt (vgl. Bäuml, 1978, S. 43; 1980, S. 244; 246f.). 70 Diese Unterscheidung von ,primärer' und .sekundärer' Oralität ist wichtig; vgl. Bäuml (1980), S. 237; 239; (1984/85), S. 34. Sie differiert vom Sprachgebrauch bei O ng (1982/1987).

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, Vo k a li ta t' und kulturelles Wissen

Insofern sind in der mittelalterlichen Laienkultur Mündlichkeit und Schriftlich­ keit unauflöslich ineinander verschränkt.7' Kommunikationsformen, Wahrnehmungs- und Interaktionsmuster, der Umgang mit Überlieferung verändern sich durch die Einführung von Schrift zunächst nur in bestimmten Sektoren der G e­ sellschaft, während genuin der Oralität zuzuordnende kulturelle Muster in anderen Bereichen fortexistieren.7* Überdies ist mit der Langsamkeit historischer Prozesse in traditionalen Gesellschaften zu rechnen, die erklärt, daß Auswirkungen der L i­ terarisierung erst allmählich zutage treten. Mündliche Sicherung von Traditions­ beständen bleibt in bestimmten Bereichen bis mindestens in das späte Mittelalter und die Frühdruckzeit die Regel.7’ Das ,Nibelungenlied4 thematisiert ausdrücklich ,Vokalität‘, d. h. die Abhängig­ keit des Geschriebenen von und seine Umsetzbarkeit in Stimme. Unbestreitbar verwendet das Epos ,Formeln4, wie sie für mündliche Dichtung typisch sind. For­ meln sind vorgeprägte Versatzstücke - Wortgruppen, Syntagmen, metrische E in ­ heiten, Situationsmuster, Erzählschemata u.ä. - , deren Basisstruktur identisch, de­ ren konkrete Besetzung mit Wortmaterial jedoch variabel ist. Die Formel ist funk­ tional zu verstehen, als Hilfsmittel poetischer Produktion, Hilfsmittel des Memorierens und der Rezeption.71*74 Das bedeutet, daß die Formel beim Verfassen, beim Vortrag und seiner Vorbereitung, endlich beim Aufnehmen und Verstehen des Epos unterschiedliche Bedeutung und Funktion haben kann. Formelhaftigkeit impliziert nur unter den Bedingungen primärer Oralität, und nicht einmal hier notwendig, ,Improvisation4 - die Möglichkeit, ad hoc nach vorgegebenen Mustern Text zu erfinden - , denn die Formel kann ebensogut freier Improvisation entgegenwirken und eindeutiger Fixierung und Memorierung dienen.7’ In einer semioralen Gesellschaft ändert die Formel ihre Funktion. Der Verfasser eines Schriftwerks kann auf Formeln als auf ein tradiertes Inventar mündlicher Kompositionselemente zurückgreifen, um seine Geschichte als eine traditionell­ mündliche erscheinen zu lassen und dadurch bei seinen Hörern den Eindruck des Vertrauten hervorrufen.76 E s sind also ein „Produktionsproblem“ , ein „Überliefe 71 Auch Curschmann (1989), S. 384 wendet sich gegen die ,,absolute[n] Unterschiede — hier ,reine“ Mündlichkeit, dort ,reine“ Schriftlichkeit“ . Curschmann unterscheidet „Schriftlichkeit nur in tech­ nischem Sinne“ (die zufällige Tatsache der schriftlichen Aufzeichnung eines mündlichen Textes, die in weiterer Rezeption jederzeit wieder rückgängig zu machen ist) und „literarische“ Schriftlichkeit (S. 385). 71 Ein Überblick über die Charakterisierung der adligen Mischkultur bei Grünkorn (1994), S. 29. - Für Griechenland hat Rosier (1980) Ähnliches am Beispiel der „Entdeckung der Fiktionalität“ gezeigt; zum frühmittelalterlichen Irland Richter (1994). 7> Richter (1994), S. 232; Beispiele in Müller (i994a+b). 74 R L W I (1997), S. 619F (Schmid-Cadalbert); Folcy (1991)) S. 38. - Nach den Diskussionen der jün­ geren Oralitätsforschung kann ,Formelhaftigkeit“ nicht mehr als ästhetisch minderwertige Ansam m ­ lung vorgefertigter Versatzstücke verstanden werden: sie ist Ermöglichungsrahmen poetischer Pro­ duktion und Rezeption. 7’ Beck (1990), S. 1 5. 76 Bäuml (1984/85), S. 37 unterscheidet zwischen Formel als technischem Mittel beim Verfassen eines

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Einleitung

rungsproblem“ , ein „Rezeptionsproblem“ und ein „Stilproblem “ zu unterscheiden, deren Konsequenzen nicht übereinstimmen müssen.*77 Im verschriftlichten Text verschiebt sich das Gewicht auf die beiden letzten Aspekte.78 Wo mündliche Produktion ausgeschlossen ist,79 können weiterhin bei der Überlieferung mündliche und schriftsprachliche Praktiken interferieren. Das Re­ pertoire von .Formeln4 unterschiedlichster A rt erleichtert weiter dem Dichter (oder auch Arrangeur) sein Geschäft, indem er vorgefertigte Muster verwenden kann. Wichtiger jedoch ist die Rezeptionsseite. Beim Vortrag werden verschriftlichte For­ meln wieder durch die Stimme realisiert, in Mündlichkeit zurückgeführt, und können damit wie in genuin mündlicher Dichtung wirken. Die Formel erlaubt nämlich dem Hörer, im Neuen das wiederzuerkennen, was er schon weiß, sie re­ duziert Unbestimmtheit und schränkt Interpretationsmöglichkeiten ein.80 Sie setzt ein gemeinsames kulturelles Wissen voraus, das der Erzähler teilt und das im E r ­ zählen aktualisiert wird. Ein solches implizit vorausgesetztes Wissen spielt bei mündlicher Kommunika­ tion eine größere Rolle als bei schriftgebundener. Wenn Wissensbestände nicht schriftlich fixiert werden, bedarf es besonderer Zurüstungen, sie zu tradieren und vor dem Vergessen zu bewahren. Erzählungen sind Bestandteil des kulturellen G e­ dächtnisses.81* Die wichtigste Stütze der Erinnerung ist neben dem Ritual die ste­ reotype formale Prägung relevanter sprachlicher Einheiten. Die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes wird durch die Wiederkehr gleicher oder verwandter E le­ mente aufgefangen. Die Formel garantiert die Verläßlichkeit der Information und ihre Anschließbarkeit an zuvor Gewußtes. Sie ruft anspielungshaft Wissen über den gewöhnlichen L a u f der Welt und die gewöhnliche Weise ihrer Interpretation auf und sorgt dadurch für die Weitergabe und Bewahrung dieses Wissens. Mit der Einführung der Schrift verliert diese Form der Sicherung von Wissen an Bedeutung. Aber sie ist nicht einmal in der entwickelten Schriftkultur der Moderne nur auf Randzonen der Schriftkultur beschränkt. Wo die Schrift wie im Mittelalter nur einzelne Sektoren der Gesellschaft erfaßt, bleibt jene ältere Form des Wissens

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Textes und Formel als Element eines bestimmten literarischen Typus („means o f composition or technique“ vs. „compositional type“ ). Heinzle (1978), S. 69. Z u den Konsequenzen, wenn „Schaffensvorgang und Uberlieferungsprozeß [...] in den So g der Schriftlichkeit“ geraten: Rosier (1980), S. 3 0 5 ^ vgl. Mertens (1996a), S. 62 zum Einsatz von Elemen­ ten einer oralen Poetik im buchepischen Interesse. Das Problem darf nicht nur von dieser Seite angegangen werden, so Curschmann (1979), S. 93f.; ähnlich Beck (1990), S. 1 5 f. Bäuml (1984/85), S. 35f.; Schaefer (1992), S. 44. Hierzu Assmann (1992). Der B egriff ist noch sehr weit, insofern er sehr unterschiedliche Typen von Texten und Funktionen, verbale und nonverbale Phänomene umfaßt. Für die mittelalterliche Kultur wäre er deshalb zu differenzieren. A uch müßten vom kulturellen Gedächtnis als Ort der Sinnsiche­ rung und -Vermittlung Institutionen der Speicherung wie das Archiv, die keinen Anspruch auf Sinnstiftung haben, abgesetzt werden.

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,V o k a li ta t' und kulturelles Wissen

dominant und wird durch Schrift nur unterstützt. Verschriftlichte Formeln versi­ chern auch den schriftunkundigen Hörer der Kohärenz seiner Welterfahrung.11 Die Übereinstimmung mit dem, was man weiß und was seit je gilt, ist deshalb für einen Text wie das .Nibelungenlied* wichtiger als die Stimmigkeit narrativer Progression und die motivierte lineare Anordnung der Handlung. Der Hörer eines verschriftlichten Textes braucht sich also nicht auf die kompli­ zierteren Regeln schriftsprachlicher Kommunikation einzustellen. Erzählen kann auf vertrautere Muster der Verständigung zurückgreifen und so die umständliche­ ren Wege schriftsprachlicher Verständigung abkürzen. Während bei einem schrift­ sprachlichen Text nämlich die Kontexte, in denen er gelten soll, verbal expliziert werden müssen, so daß er auch jenseits seiner primären Kommunikationssituation verstanden werden kann, kann mündliche Rede darauf verzichten, einmal wenn sie sich, wie in alltäglicher Kommunikation, auf eine von Sprecher und Hörer gemein­ sam erfahrene Situation bezieht, über die man sich nicht nur in Worten, sondern auch handelnd-zeigend verständigen kann,8’ zum anderen indem sie - über die gemeinsam erfahrene Situation hinaus - auf ein kulturelles Wissen rekurriert, das sie, da die Kommunikationspartner sich kennen, unterstellen kann. Dieses Wissen muß nicht expliziert werden und kann durch Anspielungen präsent gehalten wer­ den. Das setzt voraus, daß es eindeutig und stabil ist, allenfalls langfristigen und dann kaum merklichen Veränderungen unterworfen. Demgegenüber sind die A n­ teile solchen Wissens in schriftsprachlicher Kommunikation von vorneherein ge­ ringer, und sie müssen bei Veränderung des Rezeptionskontextes kontinuierlich ergänzt werden, Folge des Umstandes, daß mit der Schrift sich die Homöostase archaischer Kulturen aufzulösen beginnt. Die Re-oralisierung eines verschriftlich­ ten Textes im mündlichen Vortrag steht zwischen beiden Kommunikationstypen. Sie gelingt umso glatter, je mehr jener Text schon auf ein nicht-problematisiertes Wissen rekurriert, wie es mündliche Kommunikation voraussetzt. Die Festigkeit und Geschlossenheit des Wissens in oralen Gesellschaften*4 gilt unter den Bedingungen der ,Vokalität* in vielen Bereichen fort. A u f mündliche Überlieferung zurückgehende oder auf mündliche Kommunikation ausgerichtete Texte scheinen daher zum einen stereotyper, zum anderen lückenhafter als genuin schriftsprachliche, stereotyper, weil sie auf die Verläßlichkeit des gemeinsam G e­ wußten bauen, lückenhafter, weil sie weniger explizieren müssen.*’ Doch entsteht*8 4 '* Bäuml (19 8 1), S. 1 1 5. *' Dieses Situationswissen ist beim Vortrag eines epischen Textes verhältnismäßig unspezifisch und daher von geringerer Bedeutung. Es kann sich z. B. auf den Anlaß des Vortrags beziehen, auf eine gemeinsam bewußte aktuelle Lage, auf genealogische Verbindungen zwischen Erzähl- und Alltags­ welt usw. Solch ein Wissen ist nicht mehr rekonstruierbar und für die wissenschaftliche Analyse daher ohne Belang. 84 Vgl. Goody/W att/Gough (1986), S. 6 1 - 7 } . *’ Bäuml (19 81), S. 1 19 spricht davon, daß bei der „Verschriftlichung mündlicher Texte“ „Lücken in ihrer einst mimetischen, d. h. auf die außertextliche Wirklichkeit bezogenen Funktion“ entstehen (vgl. 1984/85, S. 39).

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dieser Eindruck nur dort, wo sie in ihrer verschriftlichten Form betrachtet werden, und eben dies ist der Fall beim .Nibelungenlied4. Erst mit dem allmählichen Durch­ dringen der Schrift verblaßt der implizit vorausgesetzte Verstehenshorizont, werden konkurrierende Verstehenskontexte denkbar und explizitere Verfahren der Verstän­ digungssicherung die Regel.86 Das kulturelle Wissen betrifft die Normen des Handelns, Regeln des Verhaltens, Annahmen über den L au f der Welt, vor deren Hintergrund das Geschehen abläuft und die zu seiner Erklärung und Deutung abgerufen werden. Mit seiner Hilfe kann aufgefüllt werden, was auf syntagmatischer Ebene, d. h. bei der motivierenden Verknüpfung der Handlungsfäden, offen bleibt. Daß es offenbleiben kann, bedeutet gerade nicht, daß jeder aus eigener kultureller Kompetenz ergänzen kann, was nicht ausdrücklich gesagt wird, sondern daß eine vom Erzähler als gemeinsam unterstellte Kompetenz der Hörer aktiviert werden muß, so daß der Rahmen der Verständigung über das, was gilt, relativ stabil ist. Anders als der Lesevorgang (mit der Möglichkeit des ,Zurückblätterns4, des Textvergleichs) stellt das Hören geringere Anforderungen an eindeutige und voll­ ständige Verknüpfung der Handlungselemente (syntagmatische Kohärenz).87 D a­ gegen wird beim Hörvorgang ein Verstoß gegen das gemeinsame kulturelle Wissen unmittelbar wahrgenommen, denn dann muß nicht weit Auseinanderliegendes ver­ knüpft werden, sondern das hier und jetzt Gesagte muß sich vor dem seit eh und je Gültigen als plausibel erweisen (paradigmatische Konsistenz). Ein Verstoß hier wäre gravierender, ist daher viel seltener und wird, wo er vorkommt, häufig vom Sprecher ausdrücklich markiert, denn er stört das Einvernehmen zwischen Sprecher und Hörern und gefährdet damit das Gelingen von Kommunikation. Auch das mündlich vorgetragene Buchepos muß auf der Basis des allen Selbstverständlichen sprechen, wie es u. a. in Sprichwörtern, Sentenzen, rühmenden oder tadelnden Phrasen, stereotypen Situations- und Handlungsmustern sedimentiert ist. Die .Stereotypie4 der Heldendichtung hat hier ihren Grund. Das .Nibelungenlied4 steht im Zeichen der .Vokalität4, hat also sowohl an Schrift­ lichkeit wie an Mündlichkeit teil.88 Wenn man sich seine Entstehung nicht anders als unter Zuhilfenahme der Schrift denken kann, so scheint es doch für den Vor­ trag, d. h. mündliche Realisation bestimmt. Im Vortrag aber kann es auf solch ein unausgesprochen immer schon mitverstandenes Wissen rekurrieren, ohne dieses Wissen ausdrücklich zu machen. Ein angemessenes Verständnis kann ohne jene Voraussetzungen nicht auskommen, die der Erzähler bei seinen Hörern unterstellt. 1,6 Der höfische Roman, der konzeptionell weit stärker von der klerikalen Schriftkultur geprägt ist als die Heldendichtung, öffnet sich etwa im Bereich der äventiure dem Unerwarteten und Neuen, fängt es aber gleichzeitig in einem Netz verbindlicher Deutungsmuster ein. 87 Vgl. Bäuml (1980), S. 2 5 if.; Schaefer (1992), S. 57; 7 1 —87. Wolfs (1995) häufige Em pfehlung, cs mit den Einzelheiten doch nicht zu genau zu nehmen, hat darin ihre Berechtigung (S. 297; 379 u. ö.). 88 Bäuml (19 8 1), S. 1 2 . 3 ; schon From m (1974) und Wachingcr (19 8 1), S. 90 haben auf die „hochmit­ telalterliche mündlich-schriftliche Mischkultur“ als Voraussetzung des .Nibelungenliedes“ verwiesen.

L o k a litä t' und kulturelles Wissen

Demgegenüber befindet sich der moderne Interpret in einer mißlichen Lage, denn er teilt weder die Situation, für die das Epos bestimmt war, noch verfügt er und das ist wichtiger - über das kulturelle Wissen der ursprünglichen Adressaten.®9 E r muß versuchen, dieses Wissen zu rekonstruieren, wenn er dem Text gerecht werden will. Das .Nibelungenlied' enthält insofern mehr und andere „Leerstellen“ 8 909 1* als ein schriftliterarischer Text, nämlich solche, die dem Rezipienten nicht einen Spielraum individueller Aneignung eröffnen, sondern die mit jenem impliziten kulturellen Wissen aufgefüllt werden müssen. Dieses Wissen auszublenden, hieße den Text als ein Werk der neuzeitlichen Schriftkultur betrachten. Ein solches Ver­ fahren ist ahistorisch.9' Hieraus ergeben sich Folgerungen für die schriftlich vorliegenden Texte des ,Nibelungenliedes*. Ihre genaue Stellung in schriftsprachlicher Überlieferung ist nicht mehr bestimmbar. E s ist nicht ausgeschlossen, daß dem Epos des 12. Jah r­ hunderts schriftliche Vorstufen vorausgingen, doch erhalten hat sich davon nichts, und so kann man schwerlich mit ihnen argumentieren. Wir wissen nur, daß das .Nibelungenlied', wie es die Handschrift (Hs.) B überliefert, noch recht nah am Übergang von mündlicher Sage in Schrift situiert ist und vermutlich wieder mittels der Stimme - für Hörer - realisiert wurde. Ein mündlich rezipiertes Buchepos wird sich weder auf rein schriftliterarische Verfahren verlassen können noch allein die typischen Merkmale oraler Dichtung aufweisen. So wird die lebendige mündliche Tradition im Buchepos keineswegs ein für alle Male sistiert. Als weiträumig disponierendes Großepos ist das .Nibelungenlied' zwar ohne Schrift nicht denkbar, doch bedeutet Verschriftlichung (wie auch sonst bei einem Großteil der laikalen Schriftkultur des Mittelalters) nicht endgültige Fixierung, Autorisierung und Geschlossenheit des Textes. Die Auseinandersetzung mit dem S to ff geht, wie im folgenden Kapitel darzustellen, nach der ersten uns greifbaren schriftlichen Fixierung weiter. Der (schriftliche) Text ist weiter offen für Ergänzungen und Korrekturen, für die man das Fortwirken mündlicher Erzähl­ traditionen angenommen hat.9' E r steht insofern in einer schwer faßbaren Kontakt­ zone zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit.95 Wenn man von einer längeren Periode des .Übergangs' von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit spricht, dann ist zwar für jeden einzelnen Text eine und nur eine Position in diesem .Übergang' möglich, seine Komponenten aber gehören nicht

89 Schaefer (1992), S. 44. 90 Heinzle (1987b) S. 2 6 5-2 6 7; 275. 9* Die „G efahr, die historische Gestalt des Werks zu verfehlen“ (Heinzle, 1987b, S. 275), droht gerade, wenn man sich nur auf das schriftlich fixierte Zeichenensemble bezieht, das der Philologe vor Augen hat. 91 Brackert (1963), S. 1 6 5 - 1 7 3 ; Bäuml (1978), S. 42; vgl. das Beispiel bei Heinzle (1997), S. 97. 9* Bäuml (1980), S. 239 und ff.; zu den dabei ausgebildeten Typen Curschmann (1989), S. 384f.; 410; vgl. Bäuml (1984/85), S. 37f.

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notwendig völlig nur einer der beiden Kulturen an; es sind vielfältige Kombinatio­ nen denkbar: Der Text ist geschrieben oder ist es nicht; er ist für die Rezeption in dem einen oder dem anderen Kontext bestimmt; er ordnet sich dem einen oder dem anderen Kompositionstypus zu; er ist der Mündlichkeit zwar entwachsen, doch nimmt er Gesten mündlichen Sprachgebrauchs auf und zielt auf eine Kommunika­ tionssituation mündlicher Verständigung.

Buchepische Integration im Zeichen der ,Vokalität‘ Rin Buchepos in der Kontaktzone zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit darf nicht an den Kriterien schriftliterarischer Gattungen wie des neuzeidichen Romans gemessen werden.94 Wenn der Erzähler eine vielstimmige Sagentradition in sein buchepisches Konzept zu integrieren trachtete, hat er sich nur unter anderem um eine lineare Verkettung des Geschehens bemüht, und zwar im Großen (in der »biographischen' Anlage, die schon J. J. Bodmer mißbilligend bemerkte) wie im Detail (sichtbar an jenem Geflecht von Querverweisen, zumal Vorausdeutungen, das den Text überzieht). Kohärenz in einem so weit verzweigten Geschehenszusam­ menhang ist ein Endprodukt, das anzustreben erst möglich ist, wenn die Sage verschriftlicht wird, nicht der Ausgangspunkt sagengeschichtlicher Entwicklung. Wenn das Ziel älterer Nibelungenforschung, die ursprüngliche, angeblich kohären­ te Sage zu rekonstruieren, ein Erbe romantischer Literaturwissenschaft ist, dann bleibt es ästhetisch paradoxerweise von einem typisch schriftliterarischen klassizi­ stischen Kanon abhängig, der auf den innerlich und äußerlich geschlossen-stim­ migen Text setzt. Veränderungen sind dann nur als Textverderbnis infolge mehr­ fachen Abschreibens denkbar, und die Überlieferung scheint ein Verfallsprozeß, nach Art jenes Kinderspiels, bei dem ein flüsternd in die ,stille Post' eingegebener Satz sich von Übermitder zu Übermittler in größeren Unsinn verwandelt.9’ Die Vortragssituation dagegen erlaubt eine gewisse Freiheit gegenüber dem schriftlich fixierten Text, und die Auseinandersetzung mit dem Stimmengewirr der Tradition muß immer wieder neu ansetzen. Beide Möglichkeiten bestehen prinzi­ piell auch für höfische Romane um 1200. Das ist an ihrer frühen Überlieferung ablesbar, denn in ihr haben „sich relativ früh zwei oder mehrere Handschriften­ gruppen ausgebildet [...], die dann über Jahrhunderte festgeblieben sind“ .96 Doch 94 Stellt man das nicht in Rechnung, dann bleibt die Rücksicht auf die andersartigen Spielregeln einer historischen Welt folgenlos, wie an Grenzler (1992) zu beobachten, der unter der Prämisse radikaler kultureller Alterität den Text wie einen Roman des 19. Jahrhunderts liest, eine streng lineare hand­ lungslogische Kohärenz konstruiert, formelhafte Epitheta als situationsspezifische Kommentare faßt (z. B. S. 377), zwischen Erzähler- und Figurenperspektive unterscheidet (z. B. S. 378) usw. 91 Kritik an diesem „apriorisch“ von den Interpreten unterstellten „Erzählm odell“ auch bei Stein (1987), S. 85. 96 Bumke (1996c), S. 32.

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Buchepische Integration im Zeichen der , V okalität‘

scheint angesichts konsequenterer schriftsprachlicher Durchformung die Varianz insgesamt dort beschränkter, da die strengere Bauform und schärfere Fokussierung auf ein Problem jedes Element stärker ins Ganze einbindet. Von Anfang an setzt sich der höfische Roman vom Stimmengewirr älterer Erzähltraditionen ab, wie sie vom ersten Vers des ,Nibelungenliedes' an als Autorität, und zwar als Plural, zitiert sind. Das verbietet hier anders als dort den selbstherrlichen Umgang mit ihnen wie ihre möglichst vollständige Unterwerfung unter einen Sinnentwurf. Muß der Untergang der Nibelungen je die schlüssige Geschichte gewesen sein, die der Verfasser eines historischen Romans daraus gemacht hätte? Geschichten haben Lücken, dunkle, blinde Stellen, die zu immer neuer Aufklärung herausfor­ dern, Brüche, die nur mit Anstrengung überwunden werden können. An ihnen hat sich jeder zu bewähren, der sie neu zu erzählen versucht. E r muß schlüssig machen, was nicht schlüssig ist, aufhellen, was dunkel bleiben soll, erklären, was nicht erst im Abstand von Jahrhunderten unerklärlich scheint. In dieser Situation stand der, der eine alte mündliche Erzähltradition zum Buchepos formen wollte. Erzählen im Übergang zur Schriftlichkeit stellt sich die Aufgabe, in einem unübersichtlichen Feld teils bekannter, teils halb gewußter, untereinander nicht abgestimmter G e­ schichten Zusammenhang zu stiften. Wie allein schon das Nebeneinander mehrerer Fassungen von ,Nibelungenlied' und ,Nibelungenklage' zeigt, geschieht das offen­ bar in mehreren Anläufen. E s gilt, das Widerständige nicht zu unterschlagen, sondern zum Ausgangspunkt der Reflexion zu machen, Über- wie Untermotivationen als Symptome dafür zu deuten, daß ein Problem zu bewältigen war, die Brüchigkeit der Konstruktion nicht als ästhetischen Mangel zu kritisieren, sondern aus der Überlagerung kon­ kurrierender Ordnungen und widersprüchlicher Strategien verständlich zu machen, kurz, das Beunruhigungs- und Provokationspotential des Epos zu erschließen. Be­ sondere Aufmerksamkeit erfordern daher gerade Stellen, an denen der glatte Fluß der Flandlung zu stocken scheint, die mit Vorausgehendem und Nachfolgendem nicht abgestimmt scheinen oder an denen das spontane Verstehen aussetzt. Sie dürfen weder vorschnell einer angeblichen Gesamtkonzeption unterworfen noch im Sinne einer angeblichen Haupttendenz der Sage bagatellisiert werden.97 Erst recht sind sie nicht sogleich als .Fehler' auszumerzen, nur weil sie die syntagmatische Verknüpfung stören. Indem ein allgemein Gewußtes und Selbstverständliches unausgesprochen nicht nur allen Formen von Alltagskommunikation zugrundeliegt, die aus vielerlei mehr oder minder bruchstückhaften sprachlichen Äußerungen besteht, sondern auch der geformten Rede im Kontext von ,Vokalität', ist in höherem Maße Konformität, in geringerem textuelle Kohärenz garantiert, als sie unter dominant schriftliterari97 Die letztere Gefahr bei Heinzle (1987b), S. 264; 272 u. ö. Charakteristisch sind Sätze wie: „Ich halte dies für eine ebenso Substanz- wie folgenlose Floskel“ (S. 264).

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Einleitung

sehen Bedingungen erforderlich ist. Das gilt auch für das der Mündlichkeit ent­ wachsene, doch mündlich zu realisierende Buchepos. Die anfängliche Verschriftli­ chung erfüllte die Erfordernisse schriftsprachlicher Integration und Stimmigkeit gelegentlich nur ansatzweise.98 Das wirft die Frage nach der textuellen Einheit des .Nibelungenliedes4 auf. Schaefer lehnt für die Kultur der ,Vokalität‘ den Begriff „Text“ ab und möchte ihn durch den bei mündlicher Rede üblichen der „Äußerung“ ersetzen.99*Dies ist ungeschickt, so­ lange man „Äußerung“ zugleich für Alltagskommunikation gebraucht. Denn damit wird gerade preisgegeben, was der Begriff ,Vokalität‘ an Differenzierung zwischen Mündlich­ keit und Schriftlichkeit erbrachte.'00 Die neuere linguistische Forschung unterscheidet von den instabilen Äußerungen des alltäglichen, in Handlungen eingebetteten Sprachge­ brauchs (von ,empraktischer‘ Sprachverwendung) eine „mündliche Vertextung“, 101* d. h. die aus Alltagskommunikation herausgelöste, als situationsübergreifende kulturelle Über­ lieferung memorierte, gleichwohl ausschließlich mündlich realisierte Redeeinheit. Texte dieses Typs können sekundär .empraktisch“ eingebettet werden (z. B. im Ritus); sie wer­ den häufig von bestimmten Überlieferungsspezialisten (etwa einer Priesterkaste) verwal­ tet. Sie sind jedenfalls ebenso gültig fixiert und der Flüchtigkeit alltäglicher Sprechakte enthoben wie der schriftlich fixierte Text.'02 Zu diesem Typus gehören etwa .heilige“ Texte, Rechtstexte, Genealogien. Ihre Festigkeit erhalten sie zumeist durch poetische Prägung. Dichtung ist insofern in oralen Gesellschaften wichtigstes Medium kultureller Überlieferung. Sie kann diese Aufgabe aber zuverlässig nur erfüllen, insofern sie K on­ stanz der tradierten Informationen gewährleistet. Das setzt textuelle Stabilität voraus, was nicht ausschließt, daß bestimmte Parameter des Textes variabel bleiben und er insgesamt gewandelten sozialen und kulturellen Bedingungen angepaßt werden kann.IO} D ie Koppelung des Textbegriffs mit der Schrift ist also aus der Perspektive der Schrift­ kultur zwar verständlich, doch historisch falsch. Anders als „Äußerungen“ in Alltagsrede ist auch das mündliche Epos von „texthafter Abgeschlossenheit“.104*Erst recht hat sich 58 Schaefer (1994), S. 364F.: E s „ist anzunehmen, daß auch dort, wo nach deren Einführung Schrift und Schriftliches benutzt werden, es einige Zeit dauert, bis Denkweisen und Denkstrukturen, Diskurs­ formen und Diskursorganisation, die typisch sind für die primäre Mündlichkeit, gänzlich auch im Schriftlichen selbst von solchen der Schriftlichkeit verdrängt sind“ . 99 Schaefer (1992), S. 4 3 -5 8 ; vgl. O ng (1982/1987), S. 39: „E in e orale Kultur besitzt keine Texte“ . ,0° Schaefers Explikation (ebd.) bleibt unentschieden: „natürlich haben wir es bei den altenglischen Gedichten mit Texten (im engeren Sinn) zu tun. Was jedoch die Zeitgenossen in der Vokalität rezipierten, waren für sie énonciations, die sich von anderen, alltagssprachlichen verbalen Diskursen durch bestimmte Signale abgrenzten“ : Da hat man wieder die Dichotomie, die überwunden werden sollte. Eine mündlich vorgetragene Dichtung ist von Alltagsäußerung, auch alltäglicher ,Wieder­ gebrauchsrede“ scharf geschieden, insofern .Text“. Ehlich (1994), S. i8f. nennt sie eine erste Stufe der „Verdauerung“ , die von „der Flüchtigkeit der einzelnen Sprechhandlungen“ abgehoben ist; vgl. ders. (1989), S. 88. ,0J Ehlich (1989), S. 90. ,0) Vgl. die Beispiele der Veränderung von festgefügten Texten unter dem Einfluß des Wandels kultu­ reller Bedingungen bei G o o d y/W atts/Gough (1986), S. 70. 104 Schaefer (1992), S. 54; dabei ist sie sich des Zwischenstatus durchaus bewußt; vgl. S. 86, wo sie festhält, „daß der so geformte Diskurs anders ist als der Alltagsdiskurs“ . „Selbst wenn es sich um nicht-fiktionale Texte handelt, verhalten sich solche Diskurse der Welt gegenüber autonomer als mündliche Diskurse“ (S. 55). Dergleichen Unterschiede werden durch die Übernahme eines Termi­ nus, der für genuin mündliche Kommunikation geprägt wurde, verunklärt. Die Folge ist, daß z. B.

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Buchepische Integration im Zeichen der , V okalität'

schriftgestützte Mündlichkeit vom hic et nunc der Situation gelöst, auf die alltagssprach­ liche Äußerungen bezogen sind. Die (re-)vokalisierte Schrift ist in höherem Maße verfe­ stigt und selbstverständlich nicht in demselben Sinne deiktisch wie mündliche Rede in Alltagssituationen.lo’ Ein Buchepos wie das .Nibelungenlied' ist von geringerer textueller Geschlossenheit als ein rein schriftliterarisches Werk, doch dank dem Einsatz der Schrift von größerer Festigkeit als ein rein mündlich fixierter Text und daher mit Alltagsäuße­ rungen noch weniger vergleichbar als dieser.106

Die .fingierte Mündlichkeit'107 des .Nibelungenliedes' setzt also einen anderen als den schriftsprachlichen Textbegriff voraus, gleichwohl handelt es sich um einen Text. Das Epos ist in den Grundlinien seiner poetisch geprägten Form weit entfernt von der Instabilität und Beliebigkeit von Alltagsäußerungen. Dagegen schützt die wieder in Stimme zu überführende Schrift noch nicht den Wortlaut im einzelnen. Wichtiger als der Wortlaut ist der Sinn, auf den er referiert, der wie in mündlicher Rede immer mehrere Realisationen zuläßt und als derselbe gilt, solange nicht der Sachverhalt im allgemeinen verlassen wird. Die .Vokalität' volkssprachlicher Dichtung im Mittelalter sollte daher nur dann verbieten, von .Literatur' zu sprechen, wenn man den B egriff etymologisch korrekt an Buchstaben und Schrift bindet und damit ein Kollektiv (oder das Gesamt) genuin schriftsprachlicher Texte meint. Doch ist solch eine Einschränkung wenig praktikabel, weil er mündliche poetisch geformte Texte ausschließt. Im folgenden wird der B egriff daher in einem erweiterten Sinne auf das Ensemble volkssprach­ licher Texte im Zeichen von ,Vokalität' ausgedehnt. In dem Maße, in dem an die Stelle des körperlich anwesenden Erzählers der vertextete Erzähler der Schrift (oder - in der Aufführung - als sein Sprachrohr der Vortragende) tritt und an die Stelle der hier und jetzt versammelten Zuhörerschaft ein implizites Publikum (mit dem sich sekundär die anwesenden Zuhörer identifi­ zieren können),108 erscheinen Formeln als bewußt gewählte Mittel poetischer G e­ staltung, neben anderen, genuin schriftsprachlichen.109 Der Rezipient wird durch den „pseudo-oral-formulaic style“ auf eine bestimmte (nämlich die mündliche) Tra­ dition als Bezugsrahmen des Verständnisses verwiesen und damit auf die Geschlos­ senheit einer Welt festgelegt, die, indem ihre Mittel frei verfügbar werden, die poetische Produktion schon hinter sich gelassen hat.

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107 10* 109

O ng (19 82/198 7, S. 4of.) typische für das kulturelle Gedächtnis entwickelte Formen von Oralität der Alltagskommunikation zuzuschreiben scheint. Anders Schaefer (1992), S. 115 in Anlehnung an ein Diktum von Zumthor: ,,1’écrit nomme; le dit montre". Schaefer (1992), S. 52 hält es dagegen fur fraglich, daß „die vokal vermittelte Dichtung des Mittel­ alters dem Rezipienten, der zwar um ihre ,Fixiertheit‘ wußte, der aber dennoch diese Dichtung nicht als Schriftliches, d. h. im direkten A k t des Lesens rezipierte, wirklich als Text erschien“ . N u r bei ihrem Textbegriff muß man die Frage verneinen. Vgl. Curschmann (1979), S. 93; Grünkorn (1994), S. 32f.; Mertens (1996b), S. jöof. Vgl. Bäuml (1978), S. 45F ; (1980), S. 252F Bäuml (1984/85), S. 39; 44. Bäuml sieht deshalb jedes schriftliche Epos auf Basis mündlicher Tra­ dition als Kommentar dieser Tradition an; vgl. zur frühen griechischen Dichtung Rosier (1980).

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Welche Bedeutung hat daneben die Schrifttradition? Immerhin ist ja jeder, der sich um 1200 der Schrift bedient, durch die Schule der lateinischen Schriftkultur gegangen. Ist die schriftliche Konzeption einer zuvor mündlich tradierten Sage überhaupt ohne das prägende Vorbild lateinischer Schriftlichkeit denkbar? Soweit spezifisch schriftsprachliche Verfahren angewandt werden, sicherlich nicht, doch ist Vorsicht geboten. Der Sektor schriftsprachlicher Abhängigkeiten ist weit schmäler als in den später ausgeprägten europäischen Schriftkulturen, und die Sprach- und Bildungsbarriere des Latein bleibt hoch auch noch, nachdem die lateinischen Let­ tern für das Aufschreiben volkssprachlicher Texte adaptiert wurden. In der volkssprachlichen Literatur des 12. Jahrhunderts stößt damit ein privile­ giertes Verfahren der Literaturwissenschaft an seine Grenzen: die Beziehung von (schriftsprachlichen) Texten auf (schriftsprachliche) Texte herauszuarbeiten. An Versuchen dazu hat es nicht gefehlt."0 Doch stehen sie allesamt unter dem Vor­ behalt, daß sie den vielfältigen Schwierigkeiten des kulturellen Transfers nicht ge­ nug Gewicht beimessen. Wenn - um im Bereich der Heldenepik zu bleiben - bei einem lateinischen Waltharius-Epos das Vorbild des antiken Epos schon allein des­ halb naheliegt, weil einzelne Wendungen, Bilder, rhythmische Figuren direkt und ohne Einbuße aus der klassischen Literatur übernommen werden können,'" so ist deren Adaptation in der volkssprachlichen Epik weit schwieriger, ihr Gelingen unwahrscheinlicher, etwaige Berührungspunkte unbestimmter. Das gilt selbst unter Bedingungen stofflicher Verwandtschaft. Der mittelalterliche Antikenroman z. B. orientiert sich am Stoff klassischer Vorbilder, aber hat nurmehr wenig mit ihrem Gehalt, ihrer Struktur und ihrem Ornatus zu tun. Erst recht fragt sich, warum ein schwer zu adaptierendes lateinisches Muster gesucht werden muß, wenn autochthone zur Verfügung standen. Der Einfluß Vergils etwa muß immer herhalten, wo volkssprachliche Epik schriftlich wird, obwohl die Motive, die die These be­ legen sollen, sich oft in den entferntesten Literaturen ebenso finden.” 1 Angebliche Abhängigkeiten von der lateinischen Literatur bleiben meist im Un­ gefähren. So glaubte Heinzle in der ersten erzählenden Strophe des ,Nibelungen­ liedes' die „Programm-Formel der Troja-Geschichte“ zu entdecken: ,Um einer Frau willen müssen viele Helden ihr Leben lassen'. E r stellte dann allerdings fest, daß die Formel nicht allzu weit trägt, da die Geschichte sehr bald ganz anders verlaufe. Ist das wirklich „symptomatisch“ dafür, daß „der Versuch den Sto ff zu literarisieren“ „wohl nur partiell gelingen konnte“ ? " ’ Ist der Gedanke, daß einer Frau wegen viele Männer zu Tode kommen, so ungewöhnlich, daß er über einen Bericht vom Un-* Zusammenfassend Panzer (1945), S. 5—86; am prononcicrtesten zuletzt in mehreren Beiträgen Wolf, der einen starken Einfluß der chansons de geste annimmt. W olf (1995), S. 1 1 7 - 1 4 4 zum Waltharius-Epos. "* Vgl. etwa Andersson (1987), S. 30 u. ö. 1,5 Heinzle (1987b), S. 269h - S. 272 ist die Vermutung dann schon Gewißheit, daß der Dichter „m it der Troja-Formel zu einer buchgemäßen Deutung des Stoffes angesetzt hatte“ .

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Buchepische Integration im Zeichen der , V okalität‘

tergang Trojas vermittelt werden muß? Zumal, wenn sich sogleich herausstellt, daß das Modell nicht paßt? Und selbst wenn ein in der lateinischen Schriftkultur gelehrter Autor, der Schultexte kannte, in denen Troja häufig als Exemplum auf­ tauchte, eine Verbindung sah, verpflichtete ihn das darauf, das Modell zu überneh­ men - um beim gewählten Stoff zwangsläufig zu scheitern? So scheint mir eine Reminiszenz an Troja weniger textgenetisch von Bedeutung denn als Hinweis auf verworfene Möglichkeiten, mit dem Stoff umzugehen. Beim R ückgriff auf andere volkssprachliche Literaturen, also etwa französische chansons de geste,"4 rechnete man erst recht zu wenig mit gleich oder ähnlich gerichteten Traditionen, die eine ,Übersetzung“ von der einen Volkssprache in die andere überflüssig machen. Das kulturelle Gedächtnis einer illiteraten Laiengesell­ schaft kommt ja gerade weithin ohne die Stütze der Schrift aus. Bei der Vasallitätsthematik z. B., die die kontinentale Heldenepik von nordischer unterscheidet, muß man schwerlich mit Einflüssen französischer Literatur rechnen, wenn - bei allen regionalen Sonderentwicklungen - in West- und Mitteleuropa grundsätzlich ver­ gleichbare soziale Strukturen anzutreffen sind. „Vasallenproblematik“ gehörte zum politischen A lltag.1" Natürlich ist ein R ückgriff auf Texte der Nachbarliteratur denkbar, aber für den Nachweis bedarf es präziserer Übereinstimmungen als der Ähnlichkeit einer G este"6 oder des Verlaufs einer militärischen Unternehmung."7 Gesten sind in primär wie sekundär oralen Gesellschaften bei weitem stärker ko­ difiziert als in modernen, so daß ihre Übereinstimmung in zwei Texten nicht mehr besagt als die Identität oder Ähnlichkeit der Praxis, in der sie funktionieren sollen. Und für Handlungssequenzen wie Kämpfe entwickeln diese Gesellschaften stereo­ type Wahrnehmungs- und Darstellungsmuster, die es erlauben, die Komplexität kontingenter Geschehnisse so zu reduzieren, daß sie wiedererkannt, begriffen und memoriert werden können. Erst recht bedürfen Trivialitäten wie der Wechsel von Tag und Nacht, wie Faustschläge und Pferde, wenn sie in einem literarischen Text thematisiert werden, keiner schriftlichen V orlage."8 Textanalytisch mag die (schrift-)literarische Parallele erhellend sein; über Abhängigkeitsverhältnisse sagt sie nichts aus.14

114 Wolframs Einleitung zum ,Willehalm‘ mahnt übrigens zur Vorsicht, was die Bekanntheit von chansons de geste in Deutschland betrifft. Sie läßt sich auch kaum auf das Land eingrenzen, aus dem besonders viele Texte stammen, die sie thematisieren (vgl. Wolf, 19 81; ders., 1987, S. 175; dagegen Splett, 1968, S. 106). " 6 Vgl. Wolfs (zuerst 1981) Versuche, Hagens, Rüedcgers oder selbst Kriemhilts Gebärden als abhängig von der Wilhelmsgeste zu erweisen; es handelt sich, wie schon Wynn (1965) an Hagens Richterpose vor Kriemhilt klarstellte, um Szenentypen, die bestimmte personelle, soziale und rechtliche K o n ­ stellationen voraussetzen.

1,7 Panzer (1945), S. 55-58. "* W olf (1980); (1995), S. 254; 574; 398f. oder S. 377 (antike Epik als Vorbild für das M otiv eines Angriffs auf Schlafende).

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Ähnliches gilt für motivische Verbindungen zwischen Heldenepik und Chronistik ."9 Historiographische Darstellungen bedienen sich ähnlicher Wahrnehmungs-, Strukturierungs- und Deutungsschemata, die dem Erfahrungshaushalt einer histo­ rischen Gesellschaft entstammen. Statt nach Filiationen zwischen Einzeltext und Einzeltext zu forschen, wäre also nach dem .outillage mental* - Wahrnehmungs-, Erfahrungs-, Ordnungs- und Deutungsmustern - zu fragen,120 mit dessen Hilfe ebensowohl historisches Geschehen angeeignet wie Phantasiewelten entworfen wer­ den. Bei den meisten Hypothesen zu schriftliterarischen Einflüssen fehlt es überdies an einer glaubwürdigen Erklärung, auf welche Weise der Verfasser des einen Textes Kenntnis von dem anderen, fremdsprachigen erhalten haben soll.121 Der ,inselhafte* Charakter der volkssprachlichen Schriftlichkeit macht solche Verbindungen äußerst unwahrscheinlich, wenn es keine positiven Anhaltspunkte gibt. Wo sich derartige Beziehungen nachweisen lassen, sind sie in der Regel ausdrücklich durch ein M a­ nuskript vermittelt, das übersetzt oder bearbeitet wird. Textwissenschaftler neigen dazu, die Beziehungen von (geschriebenen) Texten auf (geschriebene) Texte gegenüber anderen denkbaren Beziehungen zu privilegieren und ihnen einen höheren Erklärungswert zuzusprechen.122 Das ist eine profes­ sionelle Selbsttäuschung. Die Randständigkeit der Schrift in der mittelalterlichen Laiengesellschaft legt es demgegenüber nahe, daß der Erzähler andere Formen des Wissens ausbeutet als unbedingt schriftliterarische Texte, zumal der mündlich rea­ lisierte volkssprachliche Text bei seinen laikalen Adressaten gerade nicht auf E r ­ wartungen trifft, die durch die lateinische Schriftlichkeit geformt sind. Der Ver­ such, an die Stelle einer diffusen und für allerlei Projektionen anfälligen Sagenge­ schichte die überlieferte Schrifttradition als Bezugsrahmen epischer Produktion zu setzen, befreit zwar die Nibelungenforschung aus den ideologischen Fesseln älterer Germanenspekulation, ist aber methodisch kaum weniger problematisch. Das am höfischen Roman entwickelte Instrumentarium intertextueller Analyse wird beim Buchepos im Zeichen von .Vokalität* stumpf. Vgl. Andersson (1987), S. 56-60 zum Brautwerbungsschema in der frühmittelalterlichen Historio­ graphie und S. 8 1-8 9 zu den Variationen im .Nibelungenlied*. ‘IO Z u diesem Programm und zu seinem Bezug zur .nouvelle histoire* der Annales-Schule: Müller (1986a). W olf (19 8 1), S. 53 erinnert z. B. nur ganz allgemein an die engen kulturellen Verbindungen zwischen west- und ostfränkischem Reich im Frühmittelalter. Inwieweit diese, zumal auf dem Gebiet heroi­ scher Epik, schriftlichen Austausch cinschlossen, bleibt unerörtert. Schon innerhalb der klerikalen Schriftkultur sind aber Übernahmen von Schriftzentrum zu Schriftzentrum nicht einfach generell zu unterstellen, sondern immer im Einzelfall plausibel zu machen. Uneingestanden ist bei dergleichen Vermutungen Modell die wissenschaftliche Öffentlichkeit des 20. Jahrhunderts, der ein Text aus Deutschland oder Spanien ebenso präsent ist wie einer aus Übersee. 1,1 Das gilt selbst für die Sagenforschung, obwohl sie doch mit schriftlich nicht faßbaren Überlieferun­ gen argumentiert. So nimmt Lohse (1959) beim Verfasser der .Thidrekssaga* eine ganze Handschrif­ tenbibliothek an, die vor allem eine .verlorene* Fassung der Nibelungensage enthielt mit allen M erk­ malen, die die .Thidrekssaga* mit verschiedenen Nibelungen-Handschriften verbindet (S. 298f.; 345).

A lte ritä t: die Herausforderung der Ethnologie

Alterität: die Herausforderung der Ethnologie Daraus folgt, daß für diesen Typus Literatur implizite Voraussetzungen eine größere Bedeutung haben als schriftliterarisch explizite. Jenes implizite kulturelle Wissen, das das Epos voraussetzt, muß in Umrissen rekonstruiert werden, damit der Blick auf den fremden Text nicht durch unsere eigenen kulturellen Selbstver­ ständlichkeiten versperrt ist. Zuerst Hans Robert Jauß hatte in Deutschland ent­ schieden wieder an die „Alterität“ der mittelalterlichen Literatur erinnert und in dieser „Alterität“ geradezu deren „Modernität“ gesehen, in dem Sinne nämlich, daß „Alterität“ vermeintlich selbstverständliche zeitgenössische Auffassungen von der Kunst, dem Menschen, der Welt herausfordert und zu revidieren zwingt.“ 5 Was Jauß auf die Literatur bezogen hatte, wurde zur Aussage über die mittelalterliche Kultur insgesamt verallgemeinert. Jauß hatte dabei nie eine schlichte Dichotomie oder radikale Opposition von Alterität und Modernität im Sinn. Alterität gilt im­ mer nur relativ.“ 4 Einiges hält sich durch, einiges ist radikal anders. Der kulturelle Zusammenhang entsteht durch das Ineinander und Miteinander ungleichzeitiger Tendenzen und Elemente. Mittelalterliche Kultur selbst ist deshalb nicht als sich durchhaltende Substanz, sondern als eine in dauernder Bewegung begriffene K o n ­ stellation zu beschreiben, genauer als unabgestimmtes Zusammenwirken unter­ schiedlicher Komponenten in unterschiedlichen Konstellationen. Weder gilt es, die Fremdheit der mittelalterlichen Literatur und Kultur ins schlechthin Exotische, zur uneinholbaren Fremde zu überdehnen,“ 5 sozusagen die Wilden vor der Haustür zu entdecken, noch taugt das Mittelalter als Flucht- und Wunschraum einer entfremdeten Modernität. E s geht weder um den Schauder des Exotischen“ 6 noch die Verlockung des verlorenen Ursprungs, nicht um dramati­ sche Wendungen oder spektakuläre Aktualisierung, sondern um die geduldige Be­ schreibung des Andersartigen im Vertrauten und des Bekannten im Fremden. Vor­ schnelle Identifikationen sind ebenso unangebracht wie radikale Distanzierung. Die Schwierigkeit liegt gerade darin, daß vieles in der mittelalterlichen Welt - etwa in der Klerikerkultur - uns immer noch direkt zugänglich scheint, eben weil es zu unserer eigenen Geschichte gehört. Bei solchen Problemen haben die historischen Kulturwissenschaften viel von der Ethnologie zu lernen, die die Phase eines nach Kuriositäten fahndenden Exotismus längst hinter sich gelassen hat. Auch ihre Untersuchungsgegenstände gehören - *120 Jauß (1977), insbes. die Einleitung. 124 Das verkennt die Polemik gegen das Alteritätskonzept etwa bei Heinzle (1994), S. 10 und ff. ,2' Wie bei Grenzler (1992), der alles, Personenkonstellation, Denk- und Verhaltensmuster aus der Fremdheit feudaler Herrschaftsstruktur ableiten will. 120 Geertz (1987), S. 21 hat das „berüchtigte Interesse am (für uns) Exotischen“ als „Ersatz für die abstumpfende Wahrnehmung des Vertrauten“ kritisiert. Das entspricht meinen Vorbehalten.

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von einigen, immer seltener werdenden Rückzugsgebieten abgesehen - in kom­ plizierte Gemengelagen ungleichzeitiger Kulturformationen. Die Ethnologie hat jene Naivität verabschiedet, die ihre Maßstäbe am Europa des 19. Jahrhunderts gewonnen hatte und sie auf die fremde Welt übertrug, Maßstäbe, wie sie in einigen historischen Kulturwissenschaften immer noch als selbstverständliche Basis wissen­ schaftlichen Argumentierens gelten. Auch wenn dies nachgerade modisch geworden ist: Den historischen Kulturwis­ senschaften ist jene „dichte Beschreibung“ („thick description“ ) zu empfehlen, die Clifford Geertz theoretisch begründet und zugleich in einer Reihe glänzender Stu­ dien praktiziert hat. Geertz hat selbst auf Analogien zwischen seinem Gegenstand wie seiner Vorgehensweise zu denen der Literatur bzw. der Literaturwissenschaft hingewiesen; der Transfer ist also bereits in der Ethnologie angelegt.'17 Seine be­ rühmte Beschreibung des Hahnenkampfes auf Bali ist am Paradigma von Literatur orientiert.“ 8 An einigen Prinzipien seines Vorgehens muß sich auch eine historische Untersuchung orientieren. Ich bemühe mich erstens um Rekonstruktion eines kulturellen Rahmens, des Bedingungsgeflechtes, in dem das, was das »Nibelungenlied' erzählt, möglich und plausibel scheint, um die »normale* Welt, aus der das außerordentliche Geschehen herauswächst. Eine Leitlinie ist in Geertz’ Bemerkung formuliert: „Das Verstehen der Kultur eines Volkes führt dazu, seine Normalität zu enthüllen, ohne daß seine Besonderheit dabei zu kurz käme. [...] Es macht sie erreichbar: in den Kontext ihrer eigenen Alltäglichkeiten gestellt, schwindet ihre Unverständlichkeit“ .“ 9 Um die Normalität des Fremden zu begreifen, darf ich mein spontanes Nicht-verstehen nicht hinweginterpretieren, sondern muß es zum Ausgangspunkt genauerer Nach­ forschungen machen. Dabei sind zweitens kausale Ableitungen zunächst zurückzustellen.'50 Wenn ich also ein Unternehmen wieder aufnehme, das ich mit einem ersten Versuch zum .Nibelungenlied' 1974 begonnen habe, so verändere ich seine Voraussetzungen: Damals glaubte ich, zwischen einzelnen Konstellationen im .Nibelungenlied' und zeitgenössischen politischen Konflikten unmittelbare Abhängigkeiten und Ähnlich-1278 9 127 Geertz (1987), S. 2} u. ö. „D ie Untersuchung der Kulturformen findet ihre Parallelen nicht mehr im Sezieren eines Organismus, im Diagnostizieren eines Symptoms, in der Dechiffrierung eines Codes oder im Anordnen eines Systems [...], sondern gleicht eher dem Durchdringen eines literarischen Textes“ (S. 253). 128 „Wie jede Kunstform [...] macht der Hahnenkampf gewöhnliche Alltagserfahrung verständlich, in­ dem er sie durch Handlungen und Gegenstände darstellt, deren praktische Konsequenzen aufgeho­ ben und auf das Niveau des reinen Scheins reduziert (oder, wenn man will, erhoben) wurden“ (1987, S. 246). 129 Geertz (1987), S. 21. 1,0 „A ls ineinandergreifende Systeme auslegbarer Zeichen [...] ist Kultur keine Instanz, der gesellschaft­ liche Ereignisse, Verhaltensweisen, Institutionen oder Prozesse kausal zugeordnet werden könnten. Sie ist ein Kontext, ein Rahmen, in dem sie verständlich - nämlich dicht - beschreibbar sind“ (Geertz, 1987, S. 21).

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keiten nachweisen zu können.'5' Dieser Versuch steuerte sein Ziel zu direkt an und berücksichtigte zu wenig, daß der widersprüchliche Regelzusammenhang der be­ fremdlichen Epenwelt ein Konglomerat unterschiedlicher kultureller, teils literari­ scher Traditionen und ungleichzeitiger sozialer Erfahrungen ist, zwischen denen es nicht einsinnige und eindeutige, sondern wechselseitige und diffuse Abhängigkei­ ten und Einwirkungen gibt. So ist zunächst der Zusammenhang der Epenwelt zu beschreiben und in seine diskursiven Varianten aufzufächern, bevor sich zwischen ihr und anderen Diskursen komplexe Beziehungsgeflechte plausibel machen lassen. Die Untersuchung unterstellt drittens nicht ein geschlossenes, in sich konsisten­ tes und kohärentes gesellschaftliches und kulturelles System und das ,Weltbild4 einer bestimmten Gruppe, aus dem sich alles Besondere ableiten ließe:'51 Was immer Symbolsysteme ,im Rahmen ihrer eigenen Bedingungen4 sein mögen, wo immer sie bestehen, empirisch werden wir ihrer erst habhaft, wenn wir Ereignisse unter­ suchen, und nicht, indem wir abstrahierte Entitäten zu einheitlichen Mustern zusammen­ fugen. Das impliziert auch, daß nicht Kohärenz der ausschlaggebende Gültigkeitsbeweis für die Beschreibung einer Kultur sein kann. Kulturelle Systeme müssen ein gewisses Mindestmaß an Kohärenz aufweisen, andernfalls würden wir sie nicht als Systeme bezeich­ nen; und bei näherer Betrachtung haben sie normalerweise sehr viel mehr davon. Nichts jedoch ist kohärenter als die Wahnvorstellung eines Paranoikers oder die Geschichte eines Schwindlers.'55

Viertens wird nicht behauptet, daß das, was im folgenden beschrieben wird, um­ standslos gewöhnliche Regeln hochmittelalterlichen Denkens, Sprechens oder Ver­ haltens darstelle. Mein Gegenstand ist nicht ,die mittelalterliche Kultur um 12004, sondern eine Symbolwelt, d. h. der Entw urf einer solchen Kultur in einem Text. Der Text simuliert einen kulturellen Zusammenhang und kann deshalb semiotisch als kultureller Zusammenhang gelesen werden. Solch ein literarischer Entw urf ent­ steht freilich nicht im luftleeren Raum. E r konkurriert mit anderen zeitgenössi­ schen Entwürfen, die uns wieder über Texte zugänglich sind, und er nimmt auf solche Entwürfe Bezug. E r muß daher von Fall zu Fall an anderen Texten - sprach­ lichen wie außersprachlichen - überprüft werden, die ihrerseits auf soziale Prakti­ ken und deren materielle Bedingungen zu beziehen wären, die diskursiv nicht voll auflösbar sind. Wenn die Untersuchung in der Regel vor der Überschreitung der Ebene des Diskurses haltmacht, dann im Interesse methodischer Konsistenz und im Bewußt­ sein, nur einen kleinen Ausschnitt der hochmittelalterlichen Kultur ein wenig er­ hellen zu können, auch wenn ich mir darüber im klaren bin, daß er in Verbindun­ gen mit und Abhängigkeiten von anderen Diskursen steht und daß in ihm Lösun­ Müller (1974), S. 1 1 8 - 1 2 4 . 1,2 „ E s fuhrt nicht viel weiter, einen B egriff von den Mängeln des Psychologismus zu befreien, wenn man ihn sofort darauf mit den Mängeln des Schematismus behaftet“ (Geertz, 1987, S. 25). 1,5 Geertz (1987), S. 26.

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gen und Aporien formuliert sind, die auf tiefliegende allgemeinere Defizite und Probleme der mittelalterlichen Adelskultur antworten. A u f sie wird wenigstens zu verweisen sein, und so versteht sich das Buch trotz jener Beschränkung als grund­ sätzlichen Beitrag zur hochmittelalterlichen Kultur. Literatur ist ein Teil dieser Kultur, ein besonderer zwar, doch in dauerndem Austausch mit anderen Teilen. Mit dem K ulturbegriff der neueren Ethnologie ist ein wichtiger Schritt zur Lösung des sogenannten ,Vermittlungsproblems' getan. Nicht die Literaturwissenschaft importiert wieder nur (wie so oft in ihrer Geschich­ te) anderwärts erarbeitete Fragestellungen und Ergebnisse, sondern umgekehrt werden literaturwissenschaftliche Methodik und Theoriebildung modellhaft auf die Kulturanalyse übertragen.’’4 Wenn „Kultur als Text“ verstanden w ird,'” dann sind literarische Texte nur Teilmengen eines größeren Zeichenbestandes, und zu bestim­ men ist das Verhältnis zwischen Konfigurationen verwandter Ordnung (als ,Texte' verstanden), nicht aber müssen heterogene Konstellationen (.Literatur' und .Gesell­ schaft') zueinander in Beziehung gesetzt werden. Eine derartige Ausweitung des Textbegriffs ist für die mittelalterliche Laienkultur erst recht zwingend. In ihr ist der geschriebene Text marginal gegenüber anderen Zeichenordnungen und Typen des Zeichengebrauchs. Damit ist seine Verflechtung mit und Abhängigkeit von anderen kulturellen Zeichenordnungen enger noch als in anderen Epochen.1’6 Allerdings muß die Rede von .cultural poetics' ihren metaphorischen Charakter präsent halten. Kultur realisiert sich in verschiedenen und als verschieden zu ana­ lysierenden .regionalen' Symbolsystemen und ist die übergreifende Ordnung, die sie, eingebettet in soziale Praktiken und Institutionen, aufeinander bezieht. Dabei handelt es sich in ihren unterschiedlichen Sektoren immer noch um .Texte' sehr verschiedener Art, bestehend aus sehr verschiedenen Zeichenelementen. Man darf deren Eigenart nicht überspringen. Wer eine Kultur wie einen Text liest, muß sich der Differenz verschiedener Typen von Text, also auch jenes Typus, den man als .Literatur' zusammenfaßt, bewußt bleiben. Gemeinsam ist all jenen .Texten' ihr ,Gemacht-sein‘. Kultur als Inbegriff der zu einer Zeit üblichen Zeichensysteme und ihrer Verwendungen, der Einstellungen, Rituale, Praktiken, sozialen Ordnungen 1,4 Der „Ethnologisierung der Literaturwissenschaften“ antwortet die Diskursanalyse innerhalb der So ­ zialwissenschaften, dem „anthropological turn“ hier der „literary turn“ dort (Bachmann-Medick, 1992, S. 2f.); vgl. Clifford, 1986, S. 102. 1,1 Wenn „eine kulturpolitisch inspirierte Poetik im Entstehen“ ist, die „auch Literatur als kulturelles Darstellungsmedium“ begreift (Bachmann-Medick, 1992, S. 17), dann kann der besondere literarische Text auf seine Teilhabe an übergreifenden symbolischen Ordnungen befragt werden. „.Writing Cul­ ture* bedeutet schließlich, daß Literaturwissenschaft und Ethnologie die .Ecksteine* des neuen inter­ disziplinären Feldes werden“ (S. 18). Wie der literarische Text ethnologisch* zu lesen ist, so das ethnologische Material .literarisch*, d.h. als Zeichenfolge, die Träger eines in der berichteten Fakti­ zität nicht aufgehenden .Sinns* ist (Clifford, 1986, S. 98f.); vgl. zu .Kultur als Text* und .cultural poetics* vor allem die verschiedenen Ansätze des N ew Historicsm (Überblick bei Baßler, 1995; vgl. Thom as, 1991). 1,6 Bachmann-Medick (1992), S. u f .; 19.

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usw. ist ein Konstrukt, deren ,Herstellungsregeln' wie die eines poetischen Textes expliziert werden können. Wenn, wie die Rede von ,cultural poetics' suggeriert, Kulturen wie Texte zu lesen sind, dann lassen sich umgekehrt auch Texte als Segmente von Kulturen, nämlich als Modelle möglicher Welten lesen, die in einem beschreibbaren Verhältnis zu anderen Modellen von Welt - alltagspraktischen, geglaubten, normativen usw. stehen. Der Unterschied zwischen beliebigen kulturellen Phänomenen und dem besonderen Wahrheits- und Geltungsstatus literarischer Texte ist also nicht aufge­ hoben, jedoch verfließt die konventionelle Unterscheidung zwischen .objektiver Realität' und .bloßer Fiktion'. Auch jene .Realität' ist Ergebnis einer Konstruktion und nur als Ensemble von Zeichenordnungen faßbar. Die Regeln des Zeichenge­ brauchs und die Teilnehmer am Austausch der Zeichen sind nicht auf allen Ebenen des kulturellen Diskurses dieselben, doch stehen unterschiedliche Zeichensysteme in Wechselbeziehungen miteinander. Eine semiotische Analyse von Literatur wird wegen der Besonderheit von Literatur - nur Teilbereiche der mittelalterlichen K u l­ tur erfassen, aber ihre Ergebnisse werden mit denen semiotischer Analyse ander­ wärts kompatibel sein müssen. Dies unterscheidet das Vorgehen von der älteren Mentalitätsgeschichte: Sie such­ te den gesamten Quellenbestand einer Epoche auf Indizien für die dominanten und tatsächlich wirksamen Dispositionen, Einstellungen und Habitus - „ l’imaginaire“ einer Epoche’ 57 —auszuwerten; sofern sie literarische Texte einbezog, waren sie ein Quellentypus unter anderen; ihr besonderer Status gegenüber anderen Texten wur­ de eingeebnet, ihren Aussagen kam allenfalls ein etwas geringerer Grad an Zuver­ lässigkeit bei der Rekonstruktion des epochenspezifischen .Imaginären' zu.158 Dabei droht der Zirkelschluß, daß, was als historische Mentalität u. a. aus literarischen Texten ermittelt wird, dann wieder Interpretament dieser Texte sein soll. Statt .historische Mentalität' als einen Durchschnittswert zu verstehen, gewonnen aus möglichst vielen und möglichst verschiedenartigen .Quellen', sollte sie als Plurale tantum aufgefaßt werden, als Ineinander und Gegeneinander unterschiedlich in­ tegrierter Komplexe von Habitus, Verhaltensmustern, Werten und Normen, Weltund Gesellschaftsbildern, ausdifferenziert in unterschiedlichen Gruppen und Typen von Texten und Zeichenordnungen. Literatur ist als eigen-artiger Teil von .cultural poetics' zu verstehen,’59 und das gilt auch für .Literatur' innerhalb einer von .Vokalität' geprägten Kultur. Sie hat es mit zugespitzten Konstellationen und riskanten Lösungen zu tun, die nicht mit dem, was gewöhnlich der Fall ist, verwechselt werden dürfen,’40 Konstellationen 1,7 Vgl. die im Sammelband von 1985 vereinten Studien le Goffs. Z u r Kritik: Müller (1986a), S. 63b ,w Bachmann-Medick (1992), S. i8f.; Thom as (19 9 1), S. 18 0 -18 2 u.ö.; Baßler (1995), S. 17 -2 0 ; vgl. Greenblatt, ebd. S. 59L; 4 8 -5 9 ; Kaes, ebd., S. 256-260. '■*0 Adler (19 75), S. 21. Literatur radikalisiert damit in jeder Kultur angelegte Möglichkeiten: .Jede

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und Lösungen freilich, die auf das reagieren, was alle glauben, für wirklich und richtig halten. E s geht um eine eigene Ordnung symbolischen Handelns, die mögli­ cherweise Voraussetzungen und Widersprüche der gewöhnlichen deutlicher zur Erscheinung bringt.*141 Solch ein Ansatz kann an ältere Auseinandersetzungen mit Heldenepik anknüp­ fen. E s wurde gesagt, daß Heldendichtung das „Exorbitante“ thematisiert;'42*14damit hat sie durch Überbietung immer schon die gewöhnlichen Ordnungen einer Kultur hinter sich gelassen, bleibt aber an sie als Bedingung der Möglichkeit der Über­ schreitung gebunden. Das „Exorbitante“ ist nur scheinbar eine überzeitliche K a ­ tegorie, denn es verändert sich unter konkreten Bedingungen, reizt immer wieder zu neuen Auseinandersetzungen und fordert die Maßstäbe der gewöhnlichen Welt immer anders heraus.145 A u f diesem Umweg sagen literarische Entwürfe etwas über außerliterarisch geltende kulturelle Selbstverständlichkeiten aus. Deshalb ist eine erzählende Neudeutung einer alten Sage, wie sie das .Nibe­ lungenlied2 darstellt, immer auch ein Stück .Ethnographie2'44 in dem Sinne, daß sie über den kulturellen Rahmen Auskunft gibt, in den eine alte, zu adaptierende Geschichte tritt. Sie kann es gerade dort sein, wo die mimetische Ähnlichkeit des Erzählten mit dem, was gewöhnlich der Fall ist, gestört oder jedenfalls verwischt ist, wo das Überlieferte gewöhnliche Erwartungen herausfordert und frustriert. Eine solche Geschichte ist die von der Erm ordung Sivrits und vom Untergang der Burgonden. Die Untersuchung hat an Segmenten anzusetzen, sie muß .topisch2 Vorgehen, d. h. bestimmte Problemfelder unter verschiedenen Aspekten thematisieren, ohne daß sie immer angeben kann, wie diese Felder sich zu einem übergreifenden System fügen. Für den Literaturwissenschaftler bedeutet dies, daß er von den besonderen Aussagen des Textes auszugehen hat und auf unterschiedlichen Ebenen der D ar­ stellung ansetzen muß. Die Regeln, die zu untersuchen sind, haben immer nur eine begrenzte Reichweite, und sie werden von konkurrierenden Regeln durchkreuzt.

Ausdrucksform wirkt (wenn sie wirkt) dadurch, daß sie semantische Zusammenhänge in Unordnung bringt, indem sie Eigenschaften, die man üblicherweise gewissen Dingen zuschreibt, in unüblicher Weise anderen zuordnet, als deren Eigenschaften sie dann auch angesehen werden“ (Geertz, 1987, ,

S -

141 Insofern haben literarische Konfigurationen eine gewisse Verwandtschaft mit krisenhaften Situatio­ nen einer Gesellschaft. Geertz (1987) vertritt S. 40 die „Auffassung, daß soziale Konflikte nicht etwa dann eintreten, wenn kulturelle Formen zu funktionieren aufhören, weil sie schwach, unbestimmt, überholt oder unbrauchbar geworden wären, sondern dann, wenn [...] diese Formen durch unge­ wöhnliche Situationen oder ungewöhnliche Intentionen dazu gebracht werden, auf ungewöhnliche Weise zu funktionieren“ . 142 von See (19 78 /19 8 1), S. 18 4 -18 8 und (1993), S. 22. 141 von See (1993), S. 24F , 27; vgl. die Überlegungen Webers (1990) zur archaischen Ethik. 144 So Gerhard Neumann über den literarischen Text auf einem kulturwissenschaftlichen Kolloquium Oktober 1996 in Ascona.

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So ist nicht eine sog. ,immanente' Interpretation des ,Nibelungenliedes' das Ziel, sondern die Rekonstruktion von (fiktiven) Bedingungen, nach denen das Gesche­ hen abläuft, Bedingungen, die über den Text hinausreichen. Damit die A rgu­ mentation nicht zirkulär wird (aus dem Text wird extrapoliert, was dann zur E r­ klärung eben desselben Textes dienen soll), muß zur Kontrolle immer wieder auf andere zeitgenössische Texte zurückgegriffen werden. Was dabei rekonstruiert wird, ist eine textvermittelte, insofern .virtuelle' Welt, deren Regeln wir hypothe­ tisch unterstellen müssen, um die Abläufe, von denen erzählt wird, nachvollziehen zu können. Um die historische Potenz solch einer virtuellen Welt abschätzen zu können, wären weitere Kontexte einzubeziehen. Solche Kontexte können freilich nicht ir­ gendwo abgerufen werden, wie das die ältere Sozialgeschichte der Literatur glaub­ te, sondern sind selbst Produkte von Rekonstruktionen; überwiegend sind sie eben­ falls durch Texte vermittelt. Ein Standardargument gegen solche Kontextualisierungsversuche lautet, daß Unvergleichbares zusammengebracht wird. In der Tat muß in jedem Fall der be­ sondere Vertextungstypus in Betracht gezogen werden. Um die Voraussetzungen vergleichbar zu halten, wird die Arbeit vorwiegend in verwandte Kontexte aus­ greifen, und das heißt, auf zeitgenössische Texte, literarische und außerliterarische. A u f anderen Feldern müßten sich weitere Untersuchungen anschließen, auch um zu überprüfen, inwieweit die vorgelegten Ergebnisse wirklich Elemente einer mittel­ alterlichen Anthropologie sind. Ich hoffe zeigen zu können, daß ein derartiger Versuch kein Spiel mehr oder minder geistvoller Beliebigkeiten ist, im Gegensatz zur harten Wissenschaft der Philologie (über deren Abhängigkeit von nicht problematisierten Vorannahmen auch einiges zu sagen wäre). Man kann zwar zu jedem Text Beliebiges sagen, jedoch nicht innerhalb des Sprachspiels Wissenschaft. Hier sind die Grundlagen der A r­ gumentation offenzulegen und bestimmte Begründungsverpflichtungen einzuhal­ ten.145 Die Schwierigkeiten sind dabei unübersehbar: Angesichts eines erst noch zu entwickelnden begrifflichen Instrumentariums muß die Untersuchung ihre Unvoll­ ständigkeit, Ergänzungs- und Korrekturbedürftigkeit einbekennen.14 *

141 Geertz («987), S. 35 geht so weit zu behaupten: „E s gibt keinen Grund, warum die begriffliche Struktur einer kulturellen Interpretation nicht ebenso formulierbar und damit ebenso expliziten Bewertungskriterien unterliegen sollte wie z. B. die einer biologischen Beobachtung oder eines phy­ sikalischen Experim ents", „keinen Grund außer vielleicht dem, daß uns die Begriffe, in denen der­ artige Formulierungen vorgenommen werden können, völlig oder doch fast völlig fehlen“ .

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.Spielregeln für den Untergang* Mein Versuch soll die Herausforderung durch die Interpretationspraxis der Eth­ nologie in dreifacher Weise aufnehmen. E r will erstens die Spielregeln rekonstruie­ ren, auf Grund derer das Erzählte plausibel ist: Spielregeln einer vergangenen Welt, die der Text thematisiert (implizit voraussetzt, explizit aufnimmt, kritisiert, verkehrt, als Spielmaterial benutzt); dabei ist zu zeigen, daß der Text nicht einem einzigen in sich stimmigen Regelsystem gehorcht, sondern Schnittpunkt konfligierender Regeln ist, die ihrer Herkunft und Geltung nach .ungleichzeitig* sind. Sol­ ches Regelwerk ist nicht unmittelbar auf ein .realhistorisches* Substrat zurückzu­ fuhren oder in realhistorische .Schichten* zu zerlegen. Das .Nibelungenlied* ist nicht .Quelle* für etwas anderes (also etwa für eine soziokulturelle Konstellation um 1200), sondern muß selbst als .kultureller Text“ 46 verstanden werden, der eine imaginierte Welt in bestimmter Weise konfiguriert und mit anderen gleichartigen Entwürfen konkurriert. Zweitens soll die Verbindung solcher .Regeln* mit Spielregeln des Erzählens dargestellt werden, Regeln nach denen diese Welt thematisiert und narrativ entfaltet wird. Hier berührt sich das Vorhaben mit demjenigen Lugowskis und dessen Wei­ terentwicklung in neuerer Erzähltheorie. Lugowski hat die .Unwahrscheinlichkeit* frühneuzeitlicher Erzählungen nicht als .Fehler*, sondern als .regelhaft* konstituiert nachgewiesen, als .Analogon* zum Mythos oder auch .Formaler Mythos*.'47 Seine Argumentation war dabei latent geschichtsphilosophisch begründet, das Ziel die entwickelte Form der .Individualität*. E r hat damit indirekt jedoch die historisch begrenzte Reichweite der an diese Individualität geknüpften Vorstellungen von Besonderheit, Ganzheit und zureichender Motivation und der damit verbundenen Modelle des Erzählens nachgewiesen, wobei sich herausstellte, daß auch jene Kunstform des neueren Romans, die Lugowski insgeheim Maßstab war, ihrerseits nur ein besonderes historisches Phänomen und eine besondere mythenanaloge Konstruktion ist,'48 die durch die Avantgarde des 20. Jahrhunderts verabschiedet wurde. Die Spielregeln des Erzählens sind nicht identisch mit den Spielregeln, nach denen die nibelungische Welt fünktioniert, hängen aber mit ihnen zusammen, und im Versuch, Hinweise auf diesen Zusammenhang zu geben, wäre Lugowskis Pro-14 *78 144 Ich übernehme nicht die prägnante Bedeutung, die A . Assmann (1995) dem B egriff gab, indem sie die kollektive Verbindlichkeit des kulturellen Textes, seine Identität stiftende Leistung und seine zeitenthobene Aktualität der Offenheit und Geschichtlichkeit des .literarischen Textes* konfrontierte (S. 2 4 1-2 4 3 ). Vielmehr scheinen mir die beiden Typen unterscheidbar nach der Perspektive, in der sie thematisiert werden (vgl. S. 234f.): Jeder .literarische“ Text kann als .kultureller“ - als Konfiguration einer (möglichen) Welt - gelesen werden und jeder .kulturelle“ als .literarischer“ rezipiert (d.h. unter Absehung von seinem ursprünglichen Geltungsanspruch). 147 Lugow ski (19 32/19 76 ), bes. die Einleitung von Schlaffer; vgl. den Titel von Martinez (1996). 148 Vgl. Martinez (1996), S. 2of. sowie Schlaffer in: Martinez (1996), S. *7 -3 6 .

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,,Spielregeln fü r den Untergang‘

jekt weiterzuentwickeln, indem .Künstlichkeit' als .andersartige', fremdgewordene Konfiguration von Welt’49 und die .formale Analyse' als je historische zu themati­ sieren wäre. Drittens möchte ich das Epos - oder seine verschiedenen Redaktionen - als Ergebnis eines Aneignungs- und Deutungsprozesses darstellen, wie sie, ausgehend von zeitgenössischen Problemstellungen, um 1200 erfolgt. Hier liegen die A n ­ schlußstellen zu außerliterarischen kulturellen und sozialen Konstellationen; sie werden um der Geschlossenheit der Argumentation willen meist nur knapp be­ zeichnet werden. Die Aneignung kommt mit der ersten Verschriftlichung nicht zum Stillstand; sie setzt sich letztlich bis in die Interpretationsbemühungen der Gegenwart fort. E s gibt keine ein für alle Male stimmige Lösungen, sondern Pro­ blemfelder, die von unterschiedlichen Positionen aus immer neu zur Bearbeitung herausfordern.1150 9 4 Rahmen eines solchen Versuchs ist eine Kulturanthropologie, die nicht mit der überzeitlichen Konstanz einer allgemeinen Menschennatur rechnet, wie dies die ältere Anthropologie tat,1’ 1 sondern mit unterschiedlichen Prägungen durch hi­ storische Kulturmuster und deren Diskursivierungen, und die sich deshalb den kolonialen Gestus der Vereinnahmung des Fremden versagt. Ein solcher Ansatz setzt eher auf Differenzen und Brüche als auf Identitäten (was diese nicht aus­ schließt, aber zunächst in den Hintergrund rückt). E r arbeitet sich an dem ab, was der Text dem planen Verständnis entzieht oder was immer neuen Deutungen sich zur Bewältigung anbietet. Insofern verfährt er mindestens implizit stets kulturver­ gleichend. Möglichst zu suspendieren sind die meist unausgesprochenen, häufig sogar unbewußten Selbstverständlichkeiten, die das Alltagsverständnis eines euro­ päischen Wissenschaftlers am Ende des 20. Jahrhunderts bestimmen. Sie dürfen so wenig zum Richtmaß der Geschichte gemacht werden wie sie als Maßstab im ho­ rizontalen Kulturvergleich, etwa zwischen der sog. Ersten und der Dritten Welt, taugen. Begründungspflichtig ist im Gegenteil die entgegengesetzte Annahme, daß das Alltagsverständnis von Menschen des 20. Jahrhunderts, angereichert um einige historische Faktenkenntnisse, ausreicht, eine durch wenigstens 700 Jahre und eine Reihe historischer Schwellen und Modernisierungsschübe entfernte Zeit zu erfas­ sen. Die Heuristik geben die überlieferten Texte vor: Wo sie sich zu sperren scheinen, ist nicht der Fluchtweg in eine weniger widerborstige, nach den Regeln modernen Weltverständnisses entworfene, als solche aber rein spekulative Sagengeschichte 149 Zu m Zusammenhang mit der Alteritätsdebatte: Martinez (1996), S. 1 4 - 1 7 . 1.0 Vgl. auch Haug (19 8 1), S. 4of. 1.1 Anschauungsmaterial bei W olf (19 8 1) S. 60-64, wo Interpretationsziel „das Eigentliche“ (S. 62) ist: „das Menschlich-Sentimentale“ (S. 6 1), „Humanisierung“ (S. 64), „innermenschliche Bindungen“ (S. 6 j), zentriert um „Gattenminne“ , „Freundschaft“ (S. 6 jf.) usw. Nachdem die Problemkonstella­ tionen derart verdünnt sind, scheint dann das .Nibelungenlied“ „modern“ (S. 63).

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Einleitung

einzuschlagen, sondern die mühsame Entzifferung einer Spur zu versuchen, deren Zeichencharakter opak geworden ist. »Spielregeln4 meinen kein für alle Male festgelegtes Inventar, sondern einen Rah­ men der Erm öglichung, der Bestimmtes zuläßt und Bestimmtes ausschließt, eben Regeln für ein Geschehen, das ein weites, gleichwohl begrenztes Repertoire von Optionen offenläßt. Insgesamt schließen sie sich zu einem (fiktiven) anthropolo­ gischen Kontext zusammen. E r bildet kein geschlossenes Ganzes. In das um 1200 entstandene Buchepos gehen .Spielregeln4 ein, die sich offensichtlich zu unter­ schiedlichen Zeiten ausgebildet haben und zu unterschiedlichen Zeiten vorherr­ schen, solche aus der Zeit der (vermutlichen) schriftlichen Fixierung des Textes, solche aus der Zeit, deren Stoff er behandelt und solche aus Epochen, die zwischen beiden liegen. Derartige Ungleichzeitigkeiten dürfen nicht einem imaginären Sy­ stem zuliebe geopfert werden. Sie treten auf der Textoberfläche als Brüche, Über­ determinationen, Motivdoppelungen, Untermotivationen usw. auf, die nicht als .Fehler4 zu eliminieren, sondern als Konsequenzen synchroner Verarbeitung diachroner Verwerfungen einsichtig zu machen sind. Andererseits konkurrieren jene Regeln (die ich abgekürzt .soziale4 und .literarische4 nennen möchte) um 1200 mit denjenigen anderer .Texte4 (im Sinne literarischer Werke wie kultureller Zeichensysteme). In dem, was als geltend unter­ stellt ist, muß mitgelesen werden, was implizit oder explizit ausgeschlossen oder als ungültig gelöscht wird. Der Text liefert da deutliche Signale, am deutlichsten dort, wo der Vorgang des Löschens selbst das Thema ist, in Szenen also, die eine zuvor erzählte widerrufen oder unausgesprochen gegen eine implizite Alternative aner­ zählen. So greift die Untersuchung eine Reihe von Fragen auf, die die ältere Forschung zum .Nibelungenlied4 beschäftigten, stellt sie aber in einen anderen Rahmen. E s genügt nicht, die gängigen Reden vom Übergangscharakter des verschriftlichten Epos zu rekapitulieren und nach ,alt4 und ,neu‘ zu sortieren. Daß das .Nibelungen­ lied4 .Ungleichzeitiges4 thematisiert, gehört zu den selbstverständlichen Grundan­ nahmen seit der Zeit seiner Wiederentdeckung. So hat Friedrich Neumann „Schich­ ten der Ethik44 herausgearbeitet.1,2 Otfried Ehrismann hat auf „archaische44 Züge in wohlabgegrenzten Bereichen der Sagenwelt verwiesen.155 Auch mein älterer Ver­ such (1974) suchte herauszuarbeiten, daß bei Sivrits erstem Erscheinen in Worms zwei »ungleichzeitige4 Entwürfe von Herrschaft und Königtum aufeinanderprallen, die bis zum Königinnenstreit den Fortgang der Handlung bestimmen.'54 Stephen Jaeger schließlich rechnet mit einem Gegensatz stärker traditionsverhafteter G rup­ pen (im Klerus?) zur »modernen4 höfischen K u ltu r,'55 und Walter Haug hat die 1,1 Neumann (1924/1967), S. 9 -54. Ehrismann (19 8 1), S. 164h 1,4 Müller (1974), S. 95 £. ' ” Jaeger (1983); vgl. ders. (19 85), S. 17 6 -19 4 .

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, Spielregeln fü r den U ntergang

Auseinandersetzung eines ,modernen4, ,höfischen' Erzählers mit einer ,archaischen* Heroik als Schlüssel der Interpretation benutzt.1,6 Die damit aufgeworfenen Fragen sind im einzelnen noch zu diskutieren. Man muß sich aber darüber im klaren sein, daß es sich bei den skizzierten Oppositionen nicht um Aussagen über eine ,reale* Welt handeln kann, sondern um wissenschaft­ liche Konstruktionen zu Analysezwecken, die es erlauben, Differenzen wahrzuneh­ men. Das wird nicht immer deutlich. Neumanns Schichtenmetapher spiegelte im Kern noch das sagengeschichtliche Interesse der älteren Forschung: Schicht auf Schicht ist abzutragen, um zum .Urgestein* der Sage vorzudringen, von der Zeit um 1200 in die Völkerwanderungszeit. Gewiß werden die jüngeren .Schichten* nicht einfach als Verfälschungen begriffen, sondern durchaus als Zeugnisse zeit­ genössischer Aneignung, doch liegen sie dem .eigentlichen* Konflikt ferner, kön­ nen dessen ,Kern* verdecken oder entstellen. Ehrismanns vorsichtiger gewählter Begriff des Archaischen1’7 impliziert umgekehrt eine Perspektive des Fortschritts und Aussagen über das Verhältnis realer Epochen z u ein an d er..A rch a isch * ist Kennwort einer historisch nicht näher bestimmbaren Vorzeit, deren einziges M erk­ mal ist, daß alles nicht so ist wie später.’ ’9 Historisch konkret gefaßt, verschwim­ men die Differenzen zwischen Völkerwanderungszeit und frühem Mittelalter in der Opposition zu einer als .gegenwärtig* gefaßten höfisch-feudalen Kultur. Sinnvoller scheint mir daher der Begriff eines .heroic age*, das nicht konkret datierbar ist, sondern eine relationale Größe, die immer von einer anders gearteten, nachfolgenden Zeit her entworfen w ird.'60 Identifizierbar wird es immer erst von einer späteren Position aus, die sich von ihm abgrenzt (was nicht ausschließt, daß sie genealogisch mit ihm verbunden bleibt). In diesem Sinne lassen sich bestimmte Konstellationen als .heroische*, nämlich für jene imaginäre Welt typische, von an­ dersartigen, im selben Text thematisierten unterscheiden; dagegen mißlingt jeder Versuch, ,das Heroische* substantiell zu bestimmen. Ähnlich relational lassen sich Jaegers Beobachtungen zur Kritik von „courtliness“ im .Nibelungenlied* interpretieren, die unter dem Druck heroischen Handelns zu­ sammenbreche.161 Dagegen wirft seine historische Verankerung dieser Opposition

1.6 Haug

(1974)-

1.7 Ehrismann (19 8 1) kontaminiert die Opposition .archaisch - modern* in Anlehnung an Norbert Elias mit der Opposition .unkontrolliert - kontrolliert* und ,vor-/außerzivilisatorisch* und .kulturell*; vgl. (1987), S. 116 ; 180. Derart voraussetzungsreich gefaßt, präjudiziert der B egriff in gewissem Maße schon die unter seinen Prämissen erwartbaren Ergebnisse. Symptomatisch ein Satz Ehrismanns (19 81): „Siegfried ist der personifizierte Schwebezustand zwi­ schen Gegenwart und Vorzeit“ (S. 1 1 3); vgl. auch die Charakterisierung S. 167. 1,5 Kritisch von See (1993), S. 5f.; zum Problem der angeblichen sprachlichen Archaismen Splett (1987), der zwar einige um 1200 veraltende Wörter konstatiert (S. 117 ), doch die These vom archaisierenden Sprachgestus insgesamt zurückweist. ,to Vgl. von See (19 78 /19 8 1), S. 17 6 -18 3 , bes. S. 182. ,6' Jaeger (1983); ders. (19 85), S. i92f.

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Einleitung

Probleme auf. Jaeger behauptet, das »Nibelungenlied' artikuliere einen geistlichen Protest gegen den verweltlichten und verweichlichten höfischen Verhaltenscodex; dieser Protest müßte sich dann freilich genauer an dem heroisch-feudalen G egen­ bild orientieren, das die Kirche doch seit dem frühen Mittelalter gerade bekämpft hat.'62 Auch der von mir 1974 herausgearbeitete Konflikt unterschiedlicher Herrschafts­ auffassungen, Handlungs- und Interaktionsmuster muß relational verstanden wer­ den. E r läßt sich, anders als ich damals glaubte, nicht unmittelbar und Punkt für Punkt auf einen sozialgeschichtlichen Konflikt abbilden (z. B. alter Adel vs. Ministerialität). Doch spricht das nicht gegen die Polarisierung von - übrigens bis ins Spätmittelalter gleichzeitig verfügbaren - Alternativen des Handelns und Verhal­ tens. Ebenfalls keine historische, sondern eine literarhistorische Datierung unter­ nimmt Haug, wenn er die Zersetzung eines .heroischen', »altertümlichen' Erzähl­ musters durch ein .höfisches', typologisch .jüngeres' beschreibt, das dann aber letztlich doch von jenem .älteren' eingeholt werde. Haug greift damit eine polare Spannung auf, die in der Tat für das Epos von Beginn an konstitutiv ist, wobei sich das Schwergewicht vom einen auf den anderen Pol verlagert. *5 Bei deren Be­ schreibung handelt es sich wieder um Idealisierungen mit heuristischem Wert, mit deren Hilfe Differenzen und Bewegungen erfaßt werden können. Statt über ein .Noch nicht' und .Schon nicht mehr' zu spekulieren, kommt es darauf an, im Text angelegte Alternativen aufzuzeigen. Wenn im folgenden von .ungleichzeitigen' Regeln der Weltauffassung und .ungleichzeitigen' Weisen des Erzählens die Rede ist, dann ist das also nicht im Sinne eines chronologischen Vorher oder Nachher gemeint, sondern benennt das gleichzeitige Auftreten ant­ agonistischer Konzepte bis hin zum scheinbaren Widerspruch. Indem den Brüchen stärkere Aufmerksamkeit gilt, weicht der gegenwärtige von meinen früheren Ver­ suchen ab. Als ich vor einigen Jahren erstmals daranging, der .L ogik ' der alten mœren auf die Spur zu kommen, indem ich sie gegen den gesunden Menschenver­ stand ihrer Interpreten in Schutz nahm, ging es mir vorwiegend darum, das, was Produkt divergierender Sage zu sein schien, als stimmig unter den Bedingungen der mittelalterlichen Gesellschaft nachzuweisen. Noch der Titel dieses Buchs, .Spielregeln für den Untergang', weist in diese Richtung, diejenige einer und nur einer .alternativen' Logik der feudalen Kriegergesellschaft. Solch ein Versuch muß indes an den immanenten Spannungen der Erzählwelt scheitern. Sucht man sich dem Problem weniger global zu nähern, statt über eine .Gesamtkonzeption' von den Rändern her, von den vielen kleinen befremdlichen Annahmen und Suggestio-

l6' Z u r Auseinandersetzung im einzelnen S. 436 -4 39 . 165 Haug (1974) und (auf die Rezeptionsbedingungen bezogen) (1994); vgl. die Auseinandersetzung S. 389ff.

5

°

Zum Vorgehen

nen des Textes, dann verliert sich die eine ,L o gik' in eine Vielzahl konkurrierender Logiken, deren Überlagerung als Ergebnis eines Nach- und Umschreibens zu ver­ stehen ist, das unterschiedliche Möglichkeiten des An- und Ausschlusses erlaubt. Eine Spannungen nicht aufhebende, Brüche nicht verkleisternde und Wider­ sprüche nicht stimmig zurechtbiegende Lektüre ist einem Epos angemessen, dessen Autor(en) sich an eine jahrhundertelange vielstimmige Tradition gebunden fühlen. Zwischen dem Versuch einheitsstiftender Sinngebung und den vielen Stimmen, die durch die Tradition sprechen, ist in der heroischen Epik die K luft größer als im höfischen Roman, wo dem literarischen Autor das Recht offensteht, souverän mit seinem S to ff zu schalten. Allerdings erlaubt eben dieser Umstand, einige Einsichten neuerer Literaturtheorie für die Analyse des ,Nibelungenliedes1 fruchtbar zu ma­ chen. Hat man doch auch für den Autor in der Moderne herausgearbeitet, daß das, was er scheinbar souverän verfügend dem Vorgefundenen Material abzugewinnen beansprucht, von dessen Vorgaben abhängig bleibt - von den Stoffen, Motiven, Verfahren, Gattungsmustern einer institutionalisierten Literatur ebenso wie von den zeitgenössischen Diskursen, in denen er sozialisiert ist, so daß auch durch ihn nicht nur die eine Stimme, die Stimme, deren Namen er trägt, spricht. Beim hero­ ischen Epos sind jene anderen Stimmen noch deutlicher vernehmbar. So sehr er ,Herr der Zeichen' in seinem Werk sein mag (und er ist es weniger als der Erzähler des höfischen Romans, doch mehr als die Oral formulaic theory glauben machen will): der Erzähler verbirgt diese Rolle hinter einer Instanz, in der sich ,alle‘ reprä­ sentiert finden können. Das erlaubt eher ,Regeln' des Erzählens zu beschreiben, als dort wo man mit einem ganz individuellen, vielleicht gar ideosynkratischen oder augenblicksgebundenen Stilwillen zu rechnen hätte.

Zum Vorgehen Wenn unterschiedliche, möglicherweise einander widersprechende Aspekte der nibelungischen Welt zur Sprache kommen sollen, wenn nicht von vorneherein an­ genommen wird, daß Handlungskonstellationen, Figurendarstellung, Gesellschafts­ entwurf, Normen, Bewertungen alle sich einem geschlossenen Gebilde integrieren, dem dann eine ebenso geschlossene Interpretation entspräche, wenn es um die Öffnung von Spielräumen statt um eindeutige Festlegung geht, um die Spannung zwischen Alternativen statt um ihre Entscheidung, dann kann die Untersuchung nicht dem A blauf der Handlung folgen. Darin unterscheidet sie sich von den mei­ sten ihrer Vorgängerinnen. Für den Leser hat das den Nachteil, daß er diesen A blauf im ganzen schon kennen muß, wenn er die einzelnen Argumente situieren will. Aus den erwähnten Gründen wird jedoch auf eine Nacherzählung verzichtet. Stattdessen sollen - quer zum Progreß der Handlung - Konstellationen des Erzählens selbst, Situations- und Interaktionsmuster, Entwürfe personaler Identi-

Einleitung

tat, konkurrierende Normensysteme, Vorstellungen von Raum und Zeit untersucht werden. Der epische Progreß soll aus unterschiedlichen Perspektiven, die nicht notwendig einen gemeinsamen Konvergenzpunkt haben, erfaßt werden. Manche Szenen werden deshalb notwendigerweise unter mehreren Gesichtspunkten zu be­ trachten sein. Ein solches Vorgehen kann nie zum Abschluß kommen, aber es kann sukzessive den offenen Bedeutungshorizont des Textes auszuschreiten versuchen, wo man bisher bemüht war, den einen und nur einen Sinn dem Epos einzuschrei­ ben. Ein Stellenregister wird dem Leser die Auffindung von Kommentaren zu bestimmten Stellen erleichtern. Bleibt abschließend die Frage nach dem zugrundegelegten Text. Die Sicherheit, mit der man vor Brackerts (1963) Untersuchungen sich auf die weithin an Hs. B. angelehnte Ausgabe von de Boor stützen konnte, gibt es nicht mehr. Selbst wenn man - gegen Brackert'64 - doch angesichts der relativen Stabilität des Textes einen konsistenten Entw urf hinter den vielen handschriftlichen Versionen sieht,'6’ ist die­ ser unerreichbar, und man muß die vielfältigen Varianten, die die Handschriften überliefern und die durchaus als „Sondergut“ aus ,alter' Tradition stammen könn­ ten, gleichfalls in Betracht ziehen, gerade weil sie oft so genau den ,Ton‘ und die „Technik“ des Ganzen treffen.'66 Das vollständig zu tun, ist angesichts des Umfangs dieses Materials ausgeschlos­ sen. Selbst .regional' operierende Textanalysen müssen da resignieren. Der Ver­ such, einen neuen Blick auf das .Nibelungenlied' zu eröffnen, soll sich deshalb an das halten, was einigermaßen gesichert vorliegt. Gewiß gibt es kritische Editionen nach den drei Haupthandschriften. Doch reicht es nicht aus, sich an ihnen zu orientieren. Die restliche Überlieferung zeigt nämlich, daß man keineswegs mit einigermaßen geschlossenen Überlieferungen von .Fassungen' zu tun hat, sondern mit vielfältigen Überkreuzungen. Nachdem Bumke dem editionsphilologischen J o ­ ker der Kontamination den Todesstoß versetzt hat,’67 müssen solche Überkreuzun­ gen neu interpretiert werden. Man wird außerdem mit verlorenen Überlieferungen rechnen müssen, die in unterschiedlicher Kombination Merkmale verschiedener Handschriften aufwiesen. Wer allein sich auf die drei Haupthandschriften verläßt,*6

164 Vgl. Brackerts (1963), S. i7of. Formulierungen; Schröder (1968), S. 38 kritisiert m. E . zurecht die in der Metapher vom „Zusammensintern“ des .Nibelungenliedes1 aus divergierenden Versionen impli­ zierte Vorstellung von der Entstehung des Textes. Ein Weiter,arbeiten“ (vgl. Kap. II) ist damit freilich nicht ausgeschlossen. l6' Fromm (1974); vgl. Schröder (1968), S. 41. 166 Brackert (1963), S. 169h; zum „Sondergut“ Schröder (1968), S. 33—37. Man wird den positiven Be­ weis, eine Variante basiere auf Sondergut, schwerlich erbringen können, doch - und das muß man gegenüber Brackerts Kritikern unterstreichen - das Gegenteil ist ebenso unbeweisbar, denn warum sollte eine Handschrift sonst in einem substantiellen Punkt abweichen? 167 Bumke (1996c), S. 1 1 —30; Bumke schließt Kontamination keineswegs völlig aus, macht aber klar, daß es sich dabei um genau zu erklärende Sonderfälle handelt. Wer Kontamination annimmt, hat das zu beweisen und darf sich nicht darauf als bequeme Ausrede berufen.

Zum Vorgehen

schließt a limine andere, durch spätere Überlieferung bezeugte Kombinationsmög­ lichkeiten aus. Andererseits ist deutlich ein einigermaßen fester Kerntext zu erken­ nen, von dem aus gesehen, einige bedeutendere Varianten (vor allem aus dem Umkreis von *C) klar als sekundär identifizierbar sind.'68 E s empfiehlt sich daher, zweigleisig zu verfahren. Ich halte die editionsphilologischen Bemühungen, die in der Bartsch/de Boor’schen Ausgabe mündeten, keineswegs für obsolet, so sehr man im Einzelfall anderer Meinung sein kann, denn sie bemühen sich, ausgehend von Hs. B einen Text herzustellen, der das ,Nibelungenlied“ nicht nur in der Momentaufnahme einer (freilich sehr sorgfältig redigierten)'6’ einzelnen Handschrift enthält, sondern die Redaktion einer Handschriftenfamilie. Man muß sich darüber klar sein, daß dieser Text so nirgends überliefert ist, und man muß deshalb die relevanten Abweichun­ gen von B als der Leithandschrift notieren. Aber man hat gleichfalls zur Kenntnis zu nehmen, daß ein Großteil der überlieferten Handschriften mit dem in B doku­ mentierten Text verwandt ist'70 und ihn mit einer gewissen Toleranzbreite von Varianten'7' bestätigt. Zugrundegelegt wird deshalb im folgenden nicht nur der leichten Verfügbarkeit wegen grundsätzlich die Edition der Vulgatfassung durch de Boor, und zwar in der noch von diesem selbst redigierten Gestalt. Wo er signifikant abweicht, hebe ich davon den Wortlaut der Hs. B nach der Transkription von Batts ab, die im übrigen auch für A und C oder weitere Handschriften (mit Ausnahme von w, n und m) zitiert wird (Sigle, Strophen- und Verszahl). Diese sind überall beigezogen, wo die Argumentation es erfordert.'72 Die Bearbeitung *C wird - bis auf begründete A us­ nahmen - nach der Hs. C zitiert. Nicht durchweg die kritisch bereinigten Ausgaben der einzelnen Handschriften zugrundezulegen, ist gewiß ein unbefriedigender Kompromiß, der sich allerdings aus der skizzierten Sachlage ergibt. Der Stand editionstheoretischer Überlegungen macht es jedoch zwingend erforderlich, die Edition nicht nur an der Leithandschrift B, sondern, soweit zugänglich und soweit für die Argumentation von Bedeutung, Vgl. S. 79f.; 85; 9 1-9 4 . 169 Bumke (1996c), S. 82; Palmer (1997). 170 Insofern kann von einem Mißerfolg der „N ot-Fassung“ nicht die Rede sein (anders Heinzle, 1997, S. 94). Im Gegenteil sind die Varianten und vermeintlichen Besserungen von C in ihrer Gesamtheit wenig erfolgreich gewesen (durchgängige Übereinstimmung nur mit a!). Die Fortüne der jeweiligen Versionen wäre, unabhängig von Braunes Stemma, an Hand der Zusammenstellung bei Batts noch einmal von Grund auf zu überprüfen. 171 Für die .Klage* hat Bumke (1996c), S. 390-455 einen Katalog solcher Varianten zusammengestellt. Das wäre für andere Dichtungen zu ergänzen, damit die Variantenlizenz volkssprachlicher Schriftlich­ keit im 13. Jahrhundert näher bestimmt werden kann. 171 Um die folgenden Ausführungen mit denen bisheriger Arbeiten über das .Nibelungenlied* vergleich­ bar zu halten, zitiere ich nach de Boor mit einfacher Angabe von Strophen- und Verszahl. Die Zählung von B weicht bis zu drei Strophen von der Ausgabe Bartsch/dc Boors ab. Bei C wurde ergänzend die kritische Ausgabe von Ursula Hennig verglichen.

Einleitung

an konkurrierenden Handschriften zu kontrollieren. Der überwiegende Teil der Überlieferung bewegt sich im relativ homogenen Spektrum einer ,nibelungischen‘ Welt und im relativ homogenen ,nibelungischen‘ Idiom und stellt Transformatio­ nen eines relativ homogenen Buchepos dar (*B-Gruppe), während mit C und der *C-Gruppe eine Bearbeitung greifbar ist, die auf jenen relativ homogenen Bestand früh einwirkte.'75 Die Nibelungen-,Klage' wird nach der Ausgabe von Bartsch zi­ tiert, unter Berücksichtigung des Apparats und vor allem der von Bumke (1996c) herausgearbeiteten Fassungen. Anders als Bumke bin ich nicht der Meinung, daß vorerst die Auseinanderset­ zung mit den überlieferten Texten zu schweigen habe, bis die grundstürzenden Erkenntnisse der neueren Editionsphilologie verarbeitet sind,'74 denn gerade die Nibelungenphilologie bietet viele Beispiele, bei denen die Editoren fehlgriffen oder mindestens den überlieferten Text für korrigierbedürftig hielten, weil sie ihn nicht verstanden. Edition und hermeneutische Auseinandersetzung sind wechselseitig aufeinander angewiesen.

171 Die Nibelungenphilologie ist insgesamt bei weitem zu punktuell vorgegangen. Wenn einzelne L es­ arten späterer Handschriften mit C übereinstimmten, dann heißt das noch lange nicht, daß sie die­ selbe Konzeption realisieren; dies ist im Gegenteil nur äußerst selten (bis Str. 270 in D b, später durchweg nur in a) der Fall. E s wäre, um die Übereinstimmungen solcher Lesarten zu erklären, durchaus denkbar, daß die Bearbeitung *C von einer verlorenen Fassung ihren A usgang nahm (vgl. Bumke, 1996c, S. 258), die - noch ohne die späteren redaktionellen Eingriffe des *C-Bearbeiters - auf die scheinbar mit C verwandte Überlieferung einwirkte. 1,4 Bumke schreibt, daß es „keine vordringliche A ufgabe“ sei, „ein Frageprogramm für die Interpreta­ tion epischer Parallelfassungen zu entwickeln, solange die Überlieferungsfragen nicht geklärt sind und solange es keine kritischen Ausgaben gibt, die die Grundlage für eine vergleichende Interpre­ tation von Parallelfassungen bilden könnten“ (1996c, S. 88). Offen ist derzeit, wie man sich derartige „kritische Ausgaben“ vorzustellen hat.

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I U

m s c h r if t e n

d e r

S

a g e

Kollektiverinnerung? Die Geschichten, die das .Nibelungenlied“ erzählt, reichen in die Völkerwande­ rungszeit zurück; andere Geschichten aus anderen Zeiten scheinen sich ihnen an­ gelagert zu haben. Bei der Beliebtheit des Stoffes bleibt auffällig, daß sich den vielen Varianten zwischen dem Norden und Kontinentaleuropa kein eindeutiger .Sinnkern“ zuschreiben läßt, der den Geschichten von den Nibelungen eine „fundie­ rende“ Bedeutung für eine Gegenwart verliehe:' Die Nibelungensage läßt sich nicht mit der hochmittelalterlichen Ordnung des Reichs in Verbindung bringen, weder genealogisch noch grundsätzlich in Modellen politisch-sozialen Handelns/ Das un­ terscheidet die Sage im allgemeinen wie das .Nibelungenlied“ im besonderen ebenso von anderen Sagen und ihrer epischen Verarbeitung, der ,Ilias“ z. B. und ihrem Entw urf eines .gesamtgriechischen“ Handelns** oder der französischen Heldenepik, den chansons de geste, die an die karolingische Dynastie, den politischen Gegensatz zwischen Krone und Hochadel und den K am pf der Christenheit gegen die Sara­ zenen erinnern/ Das unterscheidet sie aber auch von der Dietrichsage (unter Einschluß von ,Ortnit“ und ,Wolfdietrich“), deren Stoff ein römisch-germanisches Königtum vor der karolingischen Reichsgründung ist, die also in die Genealogie des Reichs ge­ hört. Die Dietrichepik konnte historisch-dynastisch ausgebeutet werden, die N i­ belungensage nicht/ Im .Buch von Bern“ oder im .Biterolf“ gibt es sogar handfeste Aktualisierungen und Elemente einer Gründungssage, die das Erzählte als Teil des

' * ’

4 ’

Die Begriffe nach Assmann (1992), S. 79. Im Norden gehören die Geschichten immerhin in den Zusammenhang eines identitätsstiftenden .heroic age‘ : von See (19 9 1), S. 5of. Ruh (1979), S. 20 hat auf die „reichsgeschichtliche Unverbundenheit und Unverbindlichkeit“ der heldenepischen Überlieferung verwiesen. Assmann (1992), S. 79. Daß das .Nibelungenlied“ als .deutsche Ilias“ entdeckt wurde, ist auch unter diesem Aspekt ein Mißverständnis, das sich nur aus der Spitzenstellung des Epos in der Gattungs­ hierarchie im 1 8. Jh. erklärt, die einen nationalen Platzhalter anstelle von ,Ilias“ und .Aeneis“ verlang­ te. Bender (1967), S. 7E; 176. Maximilian I. läßt an seinem Innsbrucker Grabmal neben K ö n ig Artus Dietrich von Bern, nicht etwa Siegfried oder Gunther auftreten und hat sich in seinen historischen Forschungen nur um Dietrichs Einbindung in die habsburgisch-merowingische Genealogie bemüht (Müller, 1982, S. 196).

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Um schriften der Sage

kulturellen Gedächtnisses bestimmen. Dagegen trifft man erst im Spätmittelalter auf einen - wahrscheinlich schon literarisch beeinflußten — Wormser SiegfriedK ult.6 Im Frühmittelalter scheint die Sage immerhin vorliterarisch Spuren im ge­ nealogischen Bewußtsein von Adelsgeschlechtern in Ostbayern hinterlassen zu ha­ ben, wie an ,nibelungischer‘ Namengebung wahrscheinlich gemacht wurde.7 Wenn sie je memoriale Funktionen hatte, dann dort. Zu der Zeit aber, in der das »Nibelungenlied' entsteht, ist eine vergleichbare, dynastisch interessierte Trägergruppe nicht auszumachen. Der vom Passauer Bi­ schof ins Leben gerufene Passauer Pilgrimskult des späten 12. Jahrhunderts mag die Erinnerung an Pilgrim, den geistlichen Verwandten der Wormser Könige und der ,K lage' zufolge - den Stifter ihrer memoria gefördert haben, aber die Rolle dieses Pilgrim im .Nibelungenlied' ist viel zu marginal, als daß das Gedenken an ihn als entscheidender Anstoß für die Entstehung, geschweige für die Verbreitung des Epos oder gar als Erklärungsgrund für die literarische Stilisierung der Unter­ gangsfabel auch nur annähernd ausreichte. Das schließt nicht aus, daß der Name Pilgrim eine - vielleicht auch politisch erwünschte - .Ansippung' der Geschichte erlaubte und mit meister Kuonrät eine vertrauenswürdige Autorität für eine erste Redaktion des Stoffes gefunden war.8 Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Epiker wie andere Verfasser volkssprachli­ cher Erzählungen punktuelle Anknüpfung an eine seinen Zeitgenossen bekannte Welt suchte; auch mögen Gruppenkonflikte und soziale Konstellationen um 1200 sich in der Konfiguration einzelner Episoden abbilden,9 aber beides hat die Adap­ tation der Sage allenfalls in Einzelaspekten beeinflußt. Ein zureichender Grund für die Aufnahme dieses Stoffes und seine Behandlung in dieser Form läßt sich kaum daraus ableiten.10 Selbst als eine nicht eng sippengebundene memoria großer Heldentaten der Vorzeit, wie sie etwa im Norden bezeugt ist, läßt sich das Epos schwerlich verstehen, denn was erzählt wird, feiert keineswegs den mos maiorum, sondern ist finale Auflösung einer Welt, nach deren Ende der Erzähler nichts Erzählenswertes mehr weiß. Am Ende des Epos steht nicht der un­ erschütterliche Nachruhm - klea andron - , sondern das Weinen, dem nichts mehr folgt.

6 7 *

Müller (1982), S. 190; 346, Anm . 8; neuerdings G ra f (1993a), S. J7f. Stornier (19 73), S. 4 9 1-4 9 6 , (1974) u. (19 87); Meves (19 8 1); Wenskus (1973). Z u r Beziehung Pilgrim - Wolfger von Passau, zu den kirchenpolitischen Plänen Wolfgers und zum mutmaßlich Passauer Entstehungskontext: Meves (19 81). Ausgeschlossen ist natürlich nicht, daß sich hinter Pilgrims Kuonrat ein Kuonrat zu Zeiten Bischof Wolfgers verbirgt, doch kann sich solch eine Hypothese nicht auf den Wortlaut der ,K lage“ stützen; grundsätzlich zum Problem: G r a f (1993b). 9 Vgl. die konträren Versuche von Müller (1974) und Jaeger (1985). 10 Auch wo der historische Entstehungszusammenhang mit größerer Sicherheit und genauer rekon­ struiert werden kann, ist - bei aller Nützlichkeit solcher Erkenntnisse - der Ertrag für das Verständ­ nis eines komplexeren literarischen Textes begrenzt (vgl. Müller, 1993a).

Kollektiverinnerung?

Der Schluß ist so apodiktisch, daß er Kompensation erforderte, und so wurde trotz des holprigen Übergangs11 in fast der gesamten Überlieferung'2dem Epos die N i­ belungen-,Klage“ angehängt,1’ die nicht nur eine in einzelnen Details andere Version der Geschichte erzählt, sondern in ihrem ersten Teil das nachholt, was das .Nibelungen­ lied“ verweigert, eine umständlich auserzählte memoria, und im zweiten dem Geschehen über den lakonischen Abbruch in der Katastrophe hinaus einen Abschluß gibt. Auch die .K lage“ läßt sich freilich nicht von diesem gängigen Muster „literari­ scher Interessenbildung“ her erfassen.’4 Zwar wird von ausufernden Trauerritualen und rühmendem Gedenken der gefallenen Heroen erzählt, doch ist die .K lage“ nicht Medium gemeinschaftlichen Erinnerns, sondern macht das Gedenken zum Gegenstand der Erzählung, verschiebt es vom Gedenken der Rezeptionsgemein­ schaft des Epos auf die überlebenden Protagonisten des Geschehens. E s wird er­ zählt, wie sich rühmende Erinnerung vollzieht und wie sie gesichert wurde. Auch die ,Klage“ ist mithin wie das ,Nibelungenlied“ vom ,Sitz im Leben“ des heroischen Epos, der heroischen memoria, gelöst. Wo in einem Kürzel gefaßt werden soll, worum es im Kern geht, da stößt man auf das sprichworthafte Kriembilden hochge^it.'' Gemeint ist ein Fest besonderer Art, ein Fest, das nicht Harmonie stiftet, sondern das schrecklich endet, obwohl die Teilnehmer doch eigentlich vriunde sind, und für das eine Frau, die sprichwörtlich übele Kriemhilt verantwortlich ist. Vor allen Instrumentalisierungen in diesem oder jenem Interesse gibt es offenbar einen Impuls, diese unerhörte Geschichte zu er­ zählen: wie es dazu kommen konnte und wie sich das Verhängnis trotz allen A b ­ wehrversuchen Bahn brach. Kriemhilden hochge^ft ist „exorbitant“ .'6 Noch die ,K lage“ nennt den Nibelungenuntergang die graueste geschiht/ diu %er werlde ie geschach (K l 348of.), obwohl deren Erzähler alles tut, sie auf gewöhnliches Maß zu­ rechtzustutzen. Damit setzt er die Bearbeitungsanstrengung des Epos fort, das*14 "

11 '*

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Z u r Verknüpfung beider Texte in den Hss. A , B und C: Bumke (1996c), S. 2 3 9 -2 5 ) . Auch dort, wo beide Texte deutlich voneinander abgesetzt sind, scheint es den Schreibern darum gegangen zu sein, ihre Zusammengehörigkeit darzutun, die sich zu einem „Werk“ verbindet (vgl. (vgl. S. 237). Daß sie trotzdem sekundär ist, zeigt sich weniger an einigen Detailunterschieden als an der konzeptionellen Differenz. Mit Ausnahme von n und k (wobei letztere kaum noch als Handschriftgz desselben Textes gelten kann). Z u r Priorität von .Nibelungenlied* oder .Klage* vgl. die Diskussion von Curschmann (1979), S. 1 16­ 119 , Wachinger (19 8 1), S. 265F, Schröder (1989), S. 1 3 - 2 1 und Bumke (1996c), S. 1 0 6 -1 1 2 . Schon Lachmann nahm die zeitliche Priorität der .Klage* an; Voorwinden (19 81) überlegt, ob nicht wenig­ stens die schriftliche Fixierung des .Nibelungenliedes* später als die Abfassung der Buchdichtung .Klage* erfolgte. Ich halte Schröders (auf Leitzmann fußenden) angeblichen Fntlehnungen der .Klage* aus Wolframs .Parzival* durchweg nicht für zwingend, glaube aber, daß sein Datierungsvor­ schlag das Richtige trifft, auch wenn zugestanden werden muß, daß die literaturtypologisch zweifels­ frei jüngere .Klage* nicht tatsächlich auch chronologisch später als das archaisierende Ep o s entstan­ den sein muß. Vgl. den Beitrag von G ra f im gleichnamigen Band (1993). Vgl. Ulrich v. d. Türlin, Willehalm 103,5 und die Belege bei Grim m (1829), S. 162; 165; 172; 289. Vgl. von See (19 78 /19 8 1), S. 1 87E

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seinerseits schon Bearbeitung von Bearbeitungen gewesen ist.'7 Ich möchte deshalb von den Aneignungsversuchen der Geschichte, die in überlieferten Redaktionen (also nicht einer hypothetischen vorliterarischen Sage) greifbar sind, ausgehen und sie als unterschiedliche Versuche, den Gegenstand zu bewältigen, interpretieren. Sie sind prinzipiell gleichwertige, wenn auch mehr oder minder schlüssige Entwürfe, deren je besondere ,Gemachtheit* - poiesis im Wortsinn - auf andere Entwürfe reagiert. ,Nibelungenlied* und ,Klage* bezeugen die anhaltende Auseinandersetzung mit einer sperrigen Sage. Sie versuchen, wenn auch zunächst mehr oder weniger unabhängig voneinander, den alten einheimischen Stoff literaturfähig zu machen, d. h. schriftliterarisch aufzuarbeiten. [...] [D]ie ,Klage* ist reflektierende Buchdichtung aus der Perspektive klerikal-lehrhafter, ur­ sprünglich lateinischer Literazität. In dieser Hinsicht bedeutet die ,Klage* für das ,Lied* vermutlich sogar ein letztes und entscheidendes Plus: erst über die Verbindung mit der .Klage* wird auch das ,Lied‘ endgültig zum Buch.1®

Epos und .Klage* repräsentieren zwei sehr unterschiedliche „Schichten literarischer Sprache“ .17*19 Durch die Reimpaarform nähert sich die .Klage* weiter dem N o r­ maltypus buchepischen Erzählens um 1 200 an, während die Strophenform des Epos enger an die alte Mündlichkeit anknüpft.10 Beide haben Elemente einer breiten, uns nicht mehr erreichbaren heroischen Überlieferung aufgenommen, andere verwor­ fen, sie zu einer mehr oder minder sinnvollen Erzählung geordnet. Der Verzicht des ,Nibelungenliedes* auf alles Programmatische, wie es die höfischen Epiker ih­ ren Werken voranstellen oder in Kommentaren zur Erzählhandlung aussprechen, sollte nicht täuschen: In der großdimensionierten Zuordnung von Sivrits Tod und Burgondenuntergang, zusammengehalten durch Anspielungen und Vorausdeutun­ gen, und im variierenden Durchspielen verwandter Konstellationen bemüht sich der Erzähler gleichfalls darum, was er zu erzählen hat, zu verklammern und zu interpretieren. Das .Nibelungenlied* ruft eine ,alte* Welt auf, wie sie der neue höfische Roman verdrängt, doch geschieht das so, daß es sie aus den Konstellationen der neuen hervorgehen läßt. E s setzt ein mit einer idealen höfischen Welt und läßt aus ihr die Verstrickungen erwachsen, die sich in der Katastrophe an Etzels H o f entladen. Das setzt eine entschiedene Auseinandersetzung mit der Sage voraus, deren Spuren nicht immer getilgt sein mögen und deren Vorgaben wir nicht genau abschätzen können. Man hat schon für vorausliegende Adaptationen des Stoffes, wie immer 17 „The author o f the K l obviously considers the N L to be inadequate and he intends to dispel the uneasiness o f the public by completing the narration o f the life histories o f the survivors o f the .Destruction o f the Burgundians* in a satisfactory manner“ (Gillespie, 1972, S. 155). '* Curschmann (1989), S. 382. D a es sich um zwei Auseinandersetzungen mit dem Sto ff handelt, sind die Wertungen der .K lage' - etwa der Tötung Kriemhilts durch Hagen (Frakes, 1994, S. 178) - nicht umstandslos auf das Epos zu übertragen. 19 Wachinger (19 8 1), S. 95; vgl. Voorwinden (19 8 1), S. 102. 10 Curschmann (1979), S. 10 1; 104; Mertens (1996b), S. 360; 363.

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die ausgesehen haben mögen, mit Bemühungen um Verknüpfung und Plausibili­ sierung der erzählten Begebenheiten zu rechnen, die keineswegs untereinander abgestimmt gewesen sein und sich nicht eindeutigen Tendenzen, geschweige einer ,leitenden Idee' zuordnen lassen müssen. Doch mußte die Arbeit der Erzähler von Epos und ,K lage' erheblich weitergehen. Angesichts einer übermächtigen Tradition ist die Instanz des Autors schwächer ausgebildet als in neuzeitlicher Dichtung, schwächer auch als die des höfischen Erzählers. Aber dafür hat sie höhere Autorität, denn sie kann sich auf etwas be­ rufen, das man von alters her sagt.“ Vor diesem Hintergrund erzählt er seine Geschichte. Wo man sich um die Urgestalt der Sage bemühte, blieb in der Regel außer Betracht, daß die germanische Heldensage von ihrer noch erkennbaren Früh­ zeit an Bearbeitung ist: der Aggressor Theoderich als Vertriebener, die Geißel Gottes Attila als Wohltäter exilierter Helden und als Mittelpunkt einer vorbildli­ chen höfischen Welt. E s geht nicht an, diesen Bearbeitungsprozeß irgendwo zu sistieren und ein Stadium der Adaptation zum ,ursprünglichen' zu erklären, denn die Sage ist immer schon interpretiert und wird in Auseinandersetzung mit solchen Interpretationen neu konfiguriert.

Erzählen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit In welcher Form hat die Nibelungensage existiert? Um 1200 bedarf die Aufnahme und Bearbeitung mündlicher Überlieferung in einem Buchepos offenbar der Be­ gründung. Wie sie aussehen kann, beantwortet die ,K lage'. So wenig diese Antwort mit der tatsächlichen Entstehung des ,Nibelungenliedes' zu tun haben dürfte, so aufschlußreich ist sie doch für zeitgenössische Vorstellungen vom Übergang von der Mündlichkeit in die Schrift. Dabei ist weniger von Interesse, ob und in wel­ chem Umfang der Erzähler andere Überlieferungen als das .Nibelungenlied' ein­ bezogen hat, sondern welches Bild er sich von dieser Überlieferung macht.22 Geht man von den Quellenberufüngen der ,Klage' aus, dann bietet sich ein verwirrendes Spektrum nur mühsam zu vereinbarender Aussagen,2’ die jedoch allesamt auf eine* 11 Daß dies für die höfischen Romanciers durchaus ein Problem ist, zeigt der Erzähler Hartmann in Hartmanns ,Iwein‘, der sich von einer übergeordneten Erzählinstanz, der Minne, korrigieren läßt, wobei erst beide zusammen die Autorität des Autors Hartmanns von Aue begründen, der sie beide erfunden hat. ** Im folgenden nehme ich Argumente aus einem Beitrag für die Festschrift Dieter Kartschoke auf (Müller, 1996a); ich präzisiere sie in einigen Punkten in Auseinandersetzung mit dem inzwischen erschienenen Buch Bumkes über die .Klage* (1996c). 11 E s ist dabei nicht immer klar, ob sich die Aussagen auf konkurrierende Sage, auf das Epos oder auf den eigenen Text beziehen. Meist wird in der Forschung diskutiert, wie sich die Quellenberufüngen zu Beginn mit der Nachricht vom Schreiber Kuonrat vertragen (vgl. Bumke, 1996c, S. 1 x1 u. 4 6 1­ 468: In der ,K lage‘ -Rezension *C passen sie besser zusammen, doch enthält auch *B keinen mani­ festen Widerspruch).

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Um schriften der Sage

Interferenz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit deuten. Der Erzähler der ,K lage4 beruft sich auf das, was bekannt ist und seinen Hörern schon gesagt wurde {lu ist tvol geseit das^ K l 7 1),24 dann auf der rede meister, der das mare bearbeitete (K l 44h o. ä.), schließlich au f ein Buch (Kl 19).*’ Buch und Sagenüberlieferung stützen sich gegenseitig: als uns ist gesaget sit/und ist uns von den buochen kunt (Kl C 66f.). Doch ist der Anteil der unterschiedlichen Beglaubigungsinstanzen, zumal aber des die Tra­ dition .beherrschenden' meister alles andere als klar: Anonyme Tradition, ein im Text präsentes, die Erzählung darbietendes Sprecher-Ich, die Autorität eines tihtare oder meister und die schriftliche Überlieferung, die sein Werk bewahrt, stehen meist unverbunden nebeneinander. Schon der Erzählgestus der .Klage' weist auf einen Zwischenbereich zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Ohne weitere Überleitung setzt der Text im A n ­ schluß an die letzte Strophe des Epos ein: Hie hevet sich ein mare da% war vil redebare und ware ouch guot %e sagene, niwan da% e% klagene den liuten allen gemimt. (Kl 1-5) Worauf diese Verse verweisen, ist unklar. Etwas Neues fangt an {H ie hevet sich). Da die Verse vorausdeuten, scheint das mare gemeint zu sein, das die .K lage' selbst er­ zählt. Aber stimmt dazu die Charakterisierung? Nicht primär der Inhalt der .K lage' provoziert Klagen, sondern das, was sie als Gegenstand von Klagen voraussetzt, mithin der Gegenstand des eben zu Ende erzählten Epos. Auch die übrigen Signale des Beginns {dit^e alte mare u. ä.) sind an dieser Stelle - im Inneren einer Nibelungen-Handschrift, hinter dem Epos und als Einleitung der schriftliterarischen Reim­ paardichtung .K lage' - zweifach zu beziehen, sowohl auf die tränenreiche G e­ schichte, die folgt, als auch auf das vorher im Epos ausgebreitete Geschehen, das beweint wird. Am zwanglosesten hebt sich diese Unklarheit, wenn man annimmt, daß es eine selbständige Überlieferung der .K lage' gab, die retrospektiv auch an die Vorgänge erinnerte, die das Epos erzählt.14 *1617Die Formulierungen des Eingangs wei­ sen auf den Vortrag einer solchen .Klage'-Dichtung. Die Einleitung dieser selb­ ständigen Dichtung wäre dann in einen Teil der Nibelungen-Überlieferung mit aufgenommen worden.47 14 Vgl. auch die von Bartsch aufgeführten Varianten, zumal im Einleitungsteil: lu ist gesaget dicke da% und lu ist gesaget da\ (K l S. 7). *’ Besonders früh in der *C-Fassung (Bartsch, S. 4): die soi ich iu nennen,/da\ ir si müget erkennen, / als uns da% buoch gesaget hât (K l C 3 3 -3 5 ). 16 Die deiktischen Signale am Anfang und die holprige Überleitung schließen aus, daß die Symbiose von .Nibelungenlied“ und .K lage“ ursprünglich ist. Die .K lage“ muß als selbständiges Werk konzi­ piert und dann dem Ep o s als dessen Korrektur und Kommentar angehängt worden sein. 17 Dies würde auch das Fehlen der ersten 70 Verse in einem Teil der Handschriften erklären: Sie sind angesichts des vorausgehenden Textes überflüssig.

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Wer spricht die einleitenden Verse? Die passivische Form entspricht der Erzähl­ weise des Epos: das mare .erzählt sich von selbst**; e% ist von alten stunden/her vil warlîch gesaget (Kl i2f.), lebt in mündlicher Überlieferung.1* Wer diese scheinbar subjektlose Rede aufnimmt, riskiere, so heißt es, daß sie zwar guot %e sagene ist, doch Klagen auslöst. Offenbar ist ein Sprecher anwesend, der dieses ,Sich-von-selbsterzählen* protokolliert und sich zur anonymen Tradition in Beziehung setzt. Vorher schon hat sich dieses Erzähler-Ich mit einer captatio benevolentiae zu Wort gemeldet: bette ich nu die sinne [ ...] (K l 9). Hinter ihm steht eine weitere als Individuum gefaßte Autorität: Dit^e alte mare bat ein tihtare an ein buoch schriben. des enkunde^ niht beliben, et£ ensf ouch noch da von bekant.

(Kl 17-21)

Die Geschichte wurde von einem einzelnen dictator19 zur Aufzeichnung in einem Buch bestimmt. Dies ist die Voraussetzung weiterer Verbreitung, denn im Buch bleibt die Geschichte nicht verborgen; von ihm leitet sich ,Kunde* (bekant) ab. Darunter ist nicht einfach Verbreitung des im Buch fixierten Textes zu verstehen: hinter dem bekant-Werden oder - in einer vergleichbaren Stelle des .Herzog Ernst*: dem erkennen (H E 4319) - könnte auch eine nicht unbedingt textgebundene Ver­ breitung des Inhalts stehen, wie sie Curschmann z. B. als eine der Quellen der .Thidrekssaga* vermutete.50 Dann paßte diese Aussage genau zu dem, was später über das Werk des meister Kuonrät gesagt wird, der umlaufende Erzählungen durch­ mustert. Der tihtaere und das Buch (auch ihre Texte sind noch einmal zu unterscheiden, denn .Buch* heißt nicht unbedingt wortwörtliche Wiedergabe eines Diktats) sind keineswegs Autoritäten für die eine, die authentische Version, die der Sprecher nur möglichst genau wiederzugeben hätte, sondern nur zwei - freilich maßgebliche Stimmen. In der *C-Fassung ist die Situation eindeutiger ins Schriftsprachliche verschoben. Anstelle des tihtare (in der *B-Fassung) heißt es in C: het ein schrlbare/mlen an ein buoch geschahen/latin, desn ist e% niht beliben (K l C 18-20). Zwischen tihtare und '* Vgl. Voorwinden (19 8 1), S. 107 zu den vielfältigen Hinweisen auf eine diffuse mündliche Überliefe­ rung* *9 Bumke (1996c), S. 467 sieht „keinen nennenswerten Unterschied“ zwischen schribare (C) zu den in B erscheinenden tihtare. Doch scheint mir hier mindestens der mechanische Vorgang des Schreibens vom .Diktat* getrennt zu werden (das wiederum Werk des gelehrten, dem bloßen Kopisten über­ geordneten scriba sein kann); allerdings ist tihtare nicht eindeutig der dictator im Sinne gelehrter Kanzleitradition. So macht K l 4.316f. (getihtet man sit hat/dicke in tiuscher jungen) deutlich, daß tihten n ic h t mit dem Konzipieren eines lateinischen Schriftwerks identisch sein muß, sondern das Verfas­ sen eines volkssprachlichen, nicht einmal notwendig schriftlichen Textes meinen kann. ,0 Curschmann (1984), vgl. S. 14 } zur Sagenüberlieferung außerhalb poetisch geformter Texte.

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Um schriften der Sage

Schreiber wird nicht unterschieden, weil Schreibkompetenz und Fähigkeit latei­ nisch zu tihten zusammengehören; verschriftlichen heißt ganz selbstverständlich la­ teinisch verschriftlichen. Die lateinische Sprache (oder sollte nur die lateinische Schrift gemeint sein?) verleiht dem Text gelehrte Autorität. Allerdings ist auch diese lateinische Version nicht die endgültige, sondern wieder Durchgangsstation (desn ist e% niht beliben) für weitere Aneignungen (bekant), möglicherweise in der Volkssprache; ihnen käme dann autoritative Geltung wegen ihrer schriftlich-la­ teinischen Quelle zu. Was man ,jetzt' erzählt, ist durch mehrere Stationen mündli­ cher und schriftlicher, in *C auch: volkssprachlicher und lateinischer, Aneignung hindurchgegangen. So kommt in der eindeutiger schriftliterarisch geprägten ,K lage4 von Anfang an die Schrift ins Spiel, von der im Epos kaum die Rede ist.5' Das Epos beruft sich ausschließlich auf das, ,was man sagt4.

Wie denkt man sich die Verschriftlichung der Sage? Die anfängliche Dominanz der Mündlichkeit und das Hinzutreten der Schrift wer­ den in der ,K lage4 ausdrücklich thematisiert. Deren Epilog erzählt, wie ein Gelehr­ ter, ein schrîber, meister Kuonrät (K l 43x5), im Auftrag des Bischofs von Passau die Geschichte schriftlich verfaßte.*2 Der Bischof bie% scrîben dit^e mare,/wie ergangen wäre,/in latînischen buochstaben (Kl 4297-99).15 In der lateinischen Form, so wird das Vorhaben des Bischofs paraphrasiert, wird der Bericht glaubwürdig: da% m an^für wâr solde haben,/ swer^ dar näh erfunde (K l 430of.); der Gelehrte verleiht ihm Auto­ rität.*4 Sein Gewährsmann aber ist ein mündlicher Informant, allerdings ein A u ­ genzeuge, jemand, der dabei war, in diesem Fall Etzels Spielmann: wand im seit der videlare diu kuntlichen mare, wie e% ergie und gescach, wand er% hörte unde sach, *! er unde manec ander man. (Kl 4309-13)*51

»’ Wyss (1990), S. 169F 51 Um eine Identifizierung Kuonrats bemüht sich Meves (19 8 1), S. 7 6 -8 3. Dieser Aspekt wird im folgenden ausgespart. ” Wieder fragt sich, ob dies nur die Schrift oder auch die lateinische Sprache meint; letzteres scheint mir wahrscheinlicher. In keinem Fall behauptet die Stelle eine epische Bearbeitung in Latein, also eine ,Nibelungias‘ . ,4 Bumke (1996c), S. 462 weist darauf hin, daß schribare auch den notarius und cancellarius, jedenfalls einen hohen bischöflichen Amtsträger meinen kann. ” N och stärker in K l C 4 4 17: alles^ an sach: adtestatio rei visae. 62

Wie denkt man sich die Verschriftlichung der Sage?

Warum gerade der videlcere und nicht irgendein anderer? Dem videlcere wird offenbar zugetraut, einen geordneten Bericht des Geschehens zu geben. Daher wählen vor­ her schon Etzel und Dietrich den videlcere zum Boten, der vom Vorgefallenen allent­ halben glaubwürdig erzählen soll. Ein videlcere ist nicht nur Musiker, sondern auch Dichter, Swämmel nicht nur Augenzeuge, sondern auch Repräsentant der laikalmündlichen K ultur.36 Bevor er zum Informanten des gelehrten schnbcere wird, hat er als Bote in Wien, Bechelaren, Passau und Worms und immer wieder unterwegs zu sagen, was geschehen ist. Wenn sein Auftrag als Bote beendet ist, kehrt er zum Bischof von Passau zurück, der sich mit der bloßen Nachricht, die rasch vergessen werden könnte, nicht zufrieden gibt. Das, was Swämmel berichtet, hat er selbst gesehen. E r ist nicht der einzige Augenzeuge, wenn auch der zum Gewährsmann prädestinierte. So läßt der Bischof noch Kunde von anderen Augenzeugen aus dem Hiunenland einholen: stver iht dervongesagert kan (Kl 3474; vgl. 3471-3477). Weil es von Anfang an mehrere Zeugen gibt (Kl 4313), muß man sich durch deren Befragung um eine gültige Fassung bemühen. Noch bevor Swämmel auf seiner Botenreise berichten konnte, hatte sich nämlich unkontrolliert das Gerücht vom Vorgefallenen verbreitet. Swämmel, der Bote Etzels, kann es richtigstellen. Der mündliche Bericht steht mithin von vor­ neherein in Konkurrenz zu anderen Berichten. Dank der Initiative des Bischofs aber wird er »autorisiert', indem er Gegenstand kunstgerechter schriftlicher Abfas­ sung und Durcharbeitung {prieven, K l 43 m )17 durch den Schreiber wird. Das au­ thentische Werk geht aus dem Zusammenwirken von Augenzeuge, der ein Ver­ treter laikal-mündlicher Kultur ist, und Kleriker-Schreiber hervor. Erm öglicht wird ihre Zusammenarbeit durch den geistlichen Gönner, der als Verwandter des hohen Laienadels für dessen memoria Sorge zu tragen hat; der Bischof gibt den Auftrag durh liebe der neven sin (Kl 4296). Die Aufzeichnung dient dynastischem Totengedächtnis, ist also in den Totenkult einer schriftunkundigen Laiengesell­ schaft eingelassen. Die dank dem Zusammenwirken von Augenzeuge und Schrei­ ber authentische Niederschrift wird dann sekundär (!) Ausgangspunkt volkssprach­ licher Dichtung: getihtet man e% sit hät dicke in tiuscher jungen

(Kl 43i6f.).’8

,6 In der Tendenz, nicht in den Einzelheiten, stimme ich daher Voorwinden (19 81), S. 105 zu, daß die .K lage' den „Sänger“ ins Spiel bringt. ,7 Die Bedeutung von prieven {prüfen, briferi) ist nicht leicht festzulegen; zu fragen ist, ob die gerundete oder die entrundete Form zugrundezulegen ist; das in der *C -G rup p e bezeugte prüeven, .hervorbringen', .zurechtmachen' ergibt einen guten Sinn; mir scheint aber auch die Nuance des kritischen Durcharbeitens {prüeven, .erwägen' u. ä.) bedenkenswert. Bumke (1996c), S. 46} plädiert dagegen wie schon Ranft für brieven .schriftlich ausfertigen' (nach B). ’ * In K l C 44z i heißt es: getichtet manig sit hat; das vorausgehende meister chvnrat kann nicht Subjekt dieses Syntagmas sein; keinesfalls wird in einer der Fassungen behauptet, Pilgrim habe Kuonrat veranlaßt, „das Nibelungenlied niederzuschreiben“ (so noch Spiewok, 1989, S. i8of.). Zutreffend

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Um schriften der Sage

Der Bericht der ,K lage4 über die Entstehung der Erzählung vom Untergang der Nibelungen entwirft idealtypisch das Verhältnis von (authentischer) Sage zu (au­ thentischer) Schrift. Die Glaubwürdigkeit ist an den Gelehrten gebunden, den Kaplan des Bischofs von Passau, doch steht dieser weder am Anfang noch am Ende der Aneignung. E r ist auf den Augenzeugen angewiesen, und sein gelehrtes Werk wird wieder Gegenstand weiterer Bearbeitungen in der Volkssprache. Dokumen­ tiert wird eine mehrfache Interferenz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, von Kleriker- und Laienkultur, und ein mehrstufiger Bearbeitungsprozeß, der nicht zu einem endgültigen Abschluß kommt, denn die Dichtungen schließen an jene gül­ tige, weil schriftlich-lateinische Fassung des Magister Kuonrat nur an, sie sind nicht mit ihr identisch. An der Genealogie des mœre haben orale Laienkultur und gelehrte Schriftkultur gleichermaßen gewirkt, wobei dieses Zusammenwirken nicht als ein Nacheinander, sondern als ein Ineinander gefaßt ist. Noch die stark schriftlitera­ risch geprägte ,K lage“, die am Ende der Reihe steht, indem sie vom komplexen Aneignungsprozeß und seiner lateinisch-schriftsprachlichen Basis berichtet, wird vom Erzähler litt genannt (Kl 4322); selbst sie bleibt mithin im Horizont von Mündlichkeit. Eine derartige Interferenz von mündlicher Überlieferung und gelehrter Schrift­ kultur scheint für das Selbstverständnis früher volkssprachlicher Epik vor dem Hintergrund oraler Traditionen typisch zu sein. Das bestätigt der ,Herzog Ernst“, den man seit langem zum Vergleich mit der ,K lage“ heranzog.,9 Im ,Herzog Ernst B “ wird nämlich eine ähnlich komplizierte Beglaubigungsfiktion entworfen. Sie bezieht sich freilich nicht auf das Ganze der Erzählung; diese ist ,Sage‘,4° geht auf den mündlichen Bericht Em sts vor dem Kaiser zurück, der auf Befehl des Kaisers aufgeschrieben wird (H E 6003-6007) und der sich auf vorzeigbare Beweisstücke die mitgebrachten Wunderwesen - stützen kann (H E 5970-5981). Enger der .K lage“ verwandt ist aber die Beglaubigung des kostbaren Edelsteins, den Ernst erwirbt, des weysen, der in die riches krön eingearbeitet wird (H E 4462-4465) und die Erwähltheit des römischen Kaisers anzeigt. Für ihn beruft sich das liet eigens auf eine schriftliche Quelle: Von ihm luget vns das buch nycht (H E 4466).*4 41 Wenn jemand 0 diese rede [ ...] / Vor leugenliche wercke (H E 4468f.) halten sollte, Der kome hin %u Bamberg: Da vindet er syn eyn ende An alle myssewende

spricht dagegen Hauck (19 61) von der ,,nibelungische[n] Hausüberlieferung des Bischofs Pilgrim“ als dem Ausgangspunkt „aller Nibelungendichtung“ (S. 170). ,9 Die ältere Forschung zusammenfassend Bumke (1996c), S. 463: „eine direkte Bezugnahme [...] ist jedoch nicht zu beweisen“ . 40 Vgl. die Termini des Prologs: rede, sagen, hören usw. (H E 1-30 ). 41 Hs. b hat stattdessen: Vnd lewchtet als ain liecht (zur Wahl der Nürnberger Hs. a als Leithandschrift: Weber, S. i6f.).

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Wie denkt man sich die Verschriftlichung der Sage?

Von dem meisten der es%gelichtet hat.41* Latin es% nach geschrieben stat: Da von44* 46es% anfalschen list Eyn vil wares liet ist. (HE 4470-76)44 Das lief, d. h. der volkssprachliche ,Herzog Ernst', leitet sich aus gelehrter Tradi­ tion ab, die wiederum auf authentischer historia, Em sts Reiseerzählungen, beruht. Zwischen Mündlichkeit und Mündlichkeit - mündlichen Bericht des Augenzeugen und mündliche Dichtung (lief) - schiebt sich irgendwann die lateinische Schrift­ kultur; doch drückt sich das Eigengewicht der volkssprachlichen Dichtung darin aus, daß die Schrift nur ein Durchgangsstadium ist, durch das dem lief höhere Autorität zuwächst. So scheint ein Bedürfnis bestanden zu haben, gerade auch literarische Überlie­ ferungen außerhalb der Klerikerkultur an deren Institutionen anzubinden. In ,K lage' und .Herzog Ernst' ist es der Bischofssitz, im ,Wolfdietrich‘ C das Kloster. Auch hier kreist die Quellenfiktion um die Interferenz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit; diesmal steht sogar das Buch am Anfang der Überlieferungsge­ schichte, obwohl der Text, der zu erzählen anhebt, ausdrücklich als mündlicher bestimmt ist:4’ Hie mügent ir gerne hären singen unde sagen [ ! ] von kluoger äventiure, so müe^ent ir gedagen. wart ein buochfunden,*b da^ sage ich iu für war, %e Tagemunt in dem klöster. dâ lac maniejâr. (Wo C 1) Es wird erzählt, wie das Buch zum Bischof von Eichstätt gesandt wurde, dem es siebzehn Jahre lang die Zeit vertrieb (Wo C 2,2b), daß es dann zehn Jahre nach seinem Tod von seinem cappellân erneut aufgefunden wurde (Wo C 3,4), daß dieser es überlas (Wo C 4,1) und dann zum Eichstätter Walburg-Kloster trug, von dem dann die Verbreitung der darin enthaltenen Geschichte ausging: 41 Das Satzzeichen ist problematisch; sinnvoller scheint mir, H E 4 4 70 -4 4 74 als Einheit zu lesen, also von dem meisten apo koinou auf das voraufgehende und das folgende Syntagma zu beziehen: Der Gelehrte (magister) ist Verfasser der authentischen (d. h. lateinischen) Schrift, die sich noch in Bamberg findet.

4* Das kann sowohl als kausal (.deshalb*) wie auch im Sinne von ,aus diesem lateinischen Werk abge­ leitet* verstanden werden. 44 Wie die einzelnen Textstufen dieser fiktiven Uberlieferungsgeschichte Zusammenhängen, bleibt in diesem Fall unklar: Was stellte der meister zusammen? Die Schrift, die auf einen Auftrag des Kaisers zurückgeht? Was heißt tihten} (lateinisches) Diktat? Jedenfalls wird auch hier von dem lateinischen Buch das lief unterschieden. In Hs. b fehlt die Behauptung H E 4474, das Werk des Meisters sei lateinisch geschrieben (Apparat, Weber, S. 58 5f.): Die Bindung an die Gelehrtenkultur ist dort schwä­ cher. 41 Die folgenden Ausführungen entstanden in Auseinandersetzung mit einem Vortrag von Sebastian Coxon auf dem 14. Anglo-deutschen Mediävistentreffen 1995 in Meißen. Coxon bereitet eine D is­ sertation zu den im Wo C implizierten Autorkonzepten vor. 46 Ich fasse finden nicht als ,erfinden*: deutlich ist die Vorstellung vom Buch als einem materiellen Gegenstand, der .aufgefunden* wird. Der Vorgang wiederholt sich (ebenfalls mit finden bezeichnet), wenn nach dem Tod des Besitzers ein weiteres Mal das Buch .entdeckt* wird.

Um schriften der Sage

merkt von dem guoten buoche wie e% sich %erspreitet hat. Diu eptissin was schcene, also uns ist gesaget. sie sach da% buoch gerne, wan e% ir wol behaget. sie sauf fü r sich %wen meister, die lertenij durch hübscheit: da% sie dran funden geschriben, das^ brahtens in die kristenheit. Nahen unde verre fuoren sie in diu lant. sie sungen unde seiten, da von wart e% bekant. die seltscene äventiure wolten sie niht verdagen. erst mügent ir gerne hoeren von einem riehen künege sagen.

(Wo C 4,4—6,4)

Hier fehlt zwar die Beglaubigung durch Augenzeugenschaft. Sonst aber ist der Vorgang ähnlich gedacht: Die Schrift (das Buchepos) steht nicht am Ende des Uberlieferungsprozesses, sondern ist wahrheitsverbürgender Ausgangspunkt mündlicher Verbreitung, steht also am Anfang. Das Buch is t ,uralt' - und also auch die Geschichte, die es erzählt es war lange (manie jâ r) verborgen, bis man es auffand, dann siebzehn Jahre beim Bischof, zehn Jahre in dessen Nachlaß und wurde dann wieder eine lange Zeit allenthalben %erspreitet. Seine Autorität wird durch geistliche Institutionen gestützt, durch die Klöster Tagemunt und St. Wal­ burg, das Hochstift Eichstätt; seine Attraktivität erweist sich durch geistliche Wür­ denträger: durch das siebzehnjährige, d. h. lebenslange Interesse des Bischofs, der das Buch für sich selbst behält, durch die Prüfung des Kaplans und durch die Sorge der (,schönen', also hochadeligen) Äbtissin, der es wol behaget (Wo C 4,2) und die es bekannt machen läßt. Erst durch Vermittlung geistlicher Institutionen wird es allgemein in der kristen­ heit bekannt. Anfangs dient es vornehmer Unterhaltung. Noch der Schritt aus der klerikalen Welt der Schrift in eine offenbar illiterate kristenheit, wo man von der Geschichte ,singt und sagt', wird mit gelehrter Hilfe getan: Die Äbtissin beruft zwei meister - ,Gelehrte' oder ganz einfach ,Könner'? Die Geschichte wird Gegen­ stand kunstvoller Formung durch mindestens passiv an der Schriftkultur partizi­ pierende Experten. Und warum zwei? Indem es zwei sind, wird gesagt, daß die Geschichte rasch und wirksam verbreitet wird, doch auch, daß die Verbreitung von Anfang an nicht einstimmig ist. Der Prolog des ,Wolfdietrich C' reagiert also wie die »Klage' auf die Tatsache der Vielstimmigkeit mündlicher Überlieferung, indem er sie schon in den (angeblichen) Ausgangspunkt der Verbreitung auf Basis von Schrift zurückprojiziert. Mit dem Schritt in die Mündlichkeit ist die bis dahin geltende lineare Filiation der Text­ überlieferung zuende, die der Prolog als Weg des einen Buchs aus der einen Hand in die andere beschrieben hatte. In der Schrift gibt es nur die eine, an den Buch­ körper gebundene Geschichte. Doch, einem breiteren Publikum vorgetragen, ver­ zweigt die Überlieferung sich; beglaubigt durch ihren gelehrten Ursprung, lebt die Geschichte von jetzt ab in der Mündlichkeit, im singen und sagen. Die beiden meister 66

Wie denkt man sich die Verschriftlichung der Sage?

reisen nähen unde verre herum und tragen vor, was sie aus dem Buch gelernt haben. Der Inhalt wird allgemein gewußte ,Kunde', Teil des kollektiven Gedächtnisses: da von wart e% bekant (Wo C 6,2). An jenes singen unde sagen knüpft der Erzähler an, an eine unbestimmte und mehrstimmige Tradition mithin, die irgendwann einmal von einem Buch ausging. ,Klage', ,Herzog Ernst' und ,Wolfdietrich' verankern mündlich vorgetragene Dichtung in der Schrift (die an ihrem Ursprung steht, nicht sie ersetzt) und .erklären' zugleich die Vielstimmigkeit dessen, was man auf Grund der Schrift .singt und sagt'. Der Verdacht der Lüge, mit dem volkssprachliche Dichtung sich im frühen Mittelalter auseinanderzusetzen hat, wird so entkräftet. Die Berufung auf Schrift garantiert Glaubwürdigkeit, doch nicht Wortwörtlichkeit der einen (und nur einen) Fassung. Von dieser authentischen Tradition ist bloße Fama durch Augenzeugenschaft unterschieden. Augenzeugenschaft und R ückgriff auf vielfache Quellen qualifiziert das mare als historia, die wie jede historia dem ordo naturalis zu folgen hat: wie e% sih huob und ouh began,/und wie e% endegewan (K l 4303f.).47 Auch wie die Glaubwürdigkeit der historia gesichert ist, wird erzählt. Der Augenzeuge soll richtigstellen, was in aller Munde ist. Die Arbeit an dem, was man vom Burgondenuntergang sagt und sagen soll, setzt unmittelbar nach der Katastrophe ein. Schon Dietrich von Bern versucht, die vielen Stimmen zu der einen authentischen zu verschmelzen. E r ver­ bietet Etzels Boten zunächst, in Bechelaren irgendetwas zu erzählen. Die Begrün­ dung ist plausibel - die Boten seien gefährdet, wenn etwas vom Zusammenbruch der hiunischen Macht ruchbar würde - enthält aber nur die halbe Wahrheit, denn Dietrich will selbst verbreiten, wie es eigentlich war. Tatsächlich scheitert sein Ver­ bot, indem die Boten, überwältigt von der schmerzlichen Erinnerung, die ihnen auferlegte diplomatische Lüge nicht aushalten, so daß die Wahrheit aus ihnen mit einem unartikulierten Schmerzenslaut hervorbricht. Das Verbot ist der erste Ver­ such, den Bericht über das, was geschehen ist, an die glaubwürdige Auskunft einer Person zu binden. Wie auch mündliche Kunde kanalisiert wird, zeigt sich bei der Ankunft der Boten in Worms. Dort erzählt Swämmel nicht einfach diesem und jenem, was er weiß, sondern wartet eine geeignete Situation für seinen Bericht ab: jane soi ich iu der mare sunderlingen niht sagen: ich solse pilliche verdagen, niwart da ich si sagen soi.

(Kl 3568-71)

Die passende, den offiziösen Charakter seiner Botschaft garantierende Zuhörer­ schaft sind Prünhilt und ihr Hof. Doch auch vor diesem Forum trägt er zuerst nur

i um Prünhilde stät (531,4). Dieser Rollentausch nun wird verschieden deutlich markiert. Wo die Vulgatfassung vor der Fahrt über Sivrits Wissen von Isenstein sagt: da% was ir dekeinem niwan Sivride erkant

(382,4),

da betont die *C-Gruppe, daß hier ein anderer, Hagen, ausgespielt hat, weil er über dieses Wissen nicht verfügt: da%het von Tronege Hagene é vil selten bekant.

(C 390,4)

Das überlegene Wissen setzt sich durch. Sivrit stimmt zu, doch sorgt er dafür, daß Hagen und Dancwart, der andere waffenfähige Mann der Tronegcere, das Risiko teilen und mitfahren. Das ist struk­ turell - nicht der Präsentation durch den Erzähler zufolge - eine konfliktträchtige Situation: der, der abgeraten hat, als entscheidender Helfer; der, der zugeraten hat, auf den zweiten Platz gedrängt. Der Rollentausch vollzieht sich vor dem Hinter­ grund eines vorerst harmlosen Dissenses der Ratgeber. Daß der eine den anderen für ein gefährliches Unternehmen benennt, müßte schemagerecht den Verdacht nahelegen, er wolle sich seiner entledigen - man denke ans ,Rolandslied“ - , doch davon verlautet nichts. Die Szene schafft mit der Ersetzung Hagens durch Sivrit in der Helferrolle eine Situation der Rivalität, biegt aber zugleich mögliche Konflikte ab, denn Sivrit übernimmt freiwillig die Aufgabe, und Hagen räumt freiwillig sei­ nen Platz, ohne sich von der Fahrt auszuschließen. Erst von später her betrachtet, sind Dissens und Austausch der Ratgeber nicht so harmlos, denn sie präludieren den Bruch, der zu Sivrits Tod führen wird. Bei der Rückkehr nach Worms wird der Rollentausch in anderer Richtung vollzogen. Der Hs. B zufolge geht er nicht glatt vor sich: Gunther will, wie das der burgondischen Herrschaftsordnung und der üblichen Rollenverteilung entsprechen sollte, Hagen mit der Erfolgsbotschaft nach Worms betrauen: uns ware %e der selben verte niemen so bereit als ir, friunt her Hagene [...]. (5 30,2f.) Hagen aber weigert sich, indem er behauptet, er sei niht boteguot, (5 31,1) und wolle bt den frouwen [bleiben], behüeten irgewant (531,3). E r rät, an seiner Statt Sivrit durch iuiver swester liebe (532,4) um die Botschaft zu bitten. In der Ubergangszone zwischen Isenstein und Worms erweist sich die Verteilung der Rollen also als unsicher. Für Gunther ist der in Isenstein nötige Rollentausch beendet; er unterstellt die Verhältnisse, wie sie in Worms galten; Hagen dagegen hält an der neuen Konstellation noch fest. Sivrit wird seine Rolle so schnell nicht los (was sich noch viel verhängnisvoller zeigen wird). E r wehrt sich, indem er sich erst einmal weigert; Gunther muß ihn durch einen Appell an seine mime zu Kriemhilt - an die zweite Werbung, deren Voraussetzung das Gelingen der ersten ist - zur 84

M arkierte Ersetzungen

Botschaft überreden. Die beiden Werbungen werden also ein weiteres Mal mitein­ ander verknotet, doch diese Verknotung ist problematisch. An der Diskussion über die Botschaft ist der prekäre Charakter des Rollentauschs ablesbar, der Sivrits Status ins Zwielicht rückt. Die Verkehrtheit der R ol­ lenverteilung zeigt sich an Sivrits Widerstreben wie an Hagens angeblicher Zustän­ digkeit für die kamere der Königin.’ 6 Erst nach der Rückkehr nach Worms ist die Verkehrung dann aufgehoben; Sivrit und Hagen werden wieder, was sie waren. Genau dies wird aber Prünhilts Argwohn erregen und die Aufdeckung des Betrugs in Gang setzen. Die Verzögerung der Rückkehr in die alten Rollen erlaubt auszu­ spielen, was an diesen Rollen nicht in Ordnung ist, und unterstreicht die prekäre Komplikation des Brautwerbungsschemas. Entsprechend haben B und die B verwandten Handschriften den latenten K o n ­ flikt als verzögerte Ersetzung erzählt. In Handschrift A und in der C*-Gruppe ist er dagegen unkenntlich gemacht. Auch A erwähnt zwar vor Antritt der Fahrt den Umstand, daß Sivrit an Hagens Stelle tritt, denn der ist für den Fortgang notwendig, doch die Problematik des Tausches, die sich erst zeigt, wenn er rück­ gängig gemacht wird, ist heruntergespielt. Der Erzähler beschränkt sich allein auf das Faktum, daß Gunther Hagen um den Botendienst bittet; Hagen schlägt so­ gleich Sivrit vor, und dieser führt widerstandslos die Botschaft aus. Nur noch der entbehrlich scheinende Umweg (warum wird Hagen als erster gefragt?) deutet an, daß die Lösung so selbstverständlich nicht ist. Indem weder Sivrit noch Hagen die Aufgabe verweigern, kommt kein Verdacht mehr auf, daß der Botendienst etwas Anstößiges haben könnte.9 97 Die Handlung ist im Endeffekt dieselbe, schreitet sogar 6 geradliniger voran, doch die paradigmatische Bedeutung der Szene für den G e­ samtverlauf ist geschwächt.’ 8 Auch in C ist die Pointe des rückgängig gemachten Rollentauschs abgeschwächt. Hagen wird auch hier als erster um den Botendienst gebeten, da er solche Aufgaben gewöhnlich übernehme (wände wir in disen zjten ander niemen ban, C 538,3); er soll also wieder an seinen alten Platz rücken, doch weist er wie in B das Ansinnen zurück (C 539,1) und empfiehlt, Sivrit zu bitten, der es dvrcb iwer swester liebe (C 539,4) nicht verweigern werde. Tatsächlich fehlt der Widerstand auf seiten Sivrits. Der ist näm­ lich gleich bereit, die Botschaft auszuführen (C 541,4), ohne daß Gunther vlegen muß (B 531,4). Die Rollenverteilung der Isensteinfahrt wird um eine weitere E p i­

96 Anders Strohschneider (1997), S. 50, der in der Episode den Versuch sieht, die Komplikationen des Schemabruchs abzuwenden, nämlich die Tristan-I.ösung der Konfusion von Werber und Werbungs­ helfer. E r betont deshalb Hagens Rolle, darüber zu wachen, daß die Ehe nicht vor der Zeit vollzogen wird. Sivrit wird entfernt. 97 E s fehlt die Betonung des doppelten Widerstandes gegen die Substitution des man Hagen durch den künec Sivrit (Lücken nach A 497 und A 499). 9< Das entspricht der Beobachtung Curschmanns (1979) S. 97, daß A mehr an der einzelnen Episode als dem Gesam tverlauf interessiert ist.

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Um schriften der Sage

sode verlängert, ein notwendiges Glied der Handlungskette eingefügt, doch so, daß es möglichst wenig stört, ein Konflikt, dessen Zeit noch nicht gekommen ist, wird dem glatteren A blauf zuliebe herausgenommen. Damit wird die Handlungsfolge freilich zum entbehrlichen Schnörkel. Der Verlauf ist nicht glatt, sondern nur ge­ glättet. E s scheinen marginale Retuschen, und doch stehen sie für unterschiedliche Wei­ sen der Auseinandersetzung mit der Sage. E s gibt eine Tendenz zur Verzahnung von Erzählblöcken durch variierende Umbesetzung von Strukturmustern (B), eine zur Herstellung eines glatten Ablaufs - anderwärts auch durch Erzählen von K o n ­ text, Auffüllen von Motivationslücken - (C). Doch kann auch im Buchepos pas­ sagenweise auf beides verzichtet werden und der Gang der Erzählung einem schlichten ,und dann‘ folgen (A). Solche Unterschiede lassen sich auch an Kleinigkeiten beobachten: Nach Isenstein fahren nur wenige Recken. Das ist bei Abenteuern dieser A rt zu erwarten. Schon bei Sivrits Aufbruch nach Worms war die (vorgeschlagene) Heerfahrt durch eine Fahrt in recken wise ersetzt worden (57/58). Das entspricht Sivrits Rolle als Heros, der allein den Burgonden entgegentreten will, scheint aber im Verhältnis zwischen den Herrschaften von Worms und Xanten ungewöhnlich und bleibt ja auch ohne Erfolg. Nach Isenstein dagegen muß man in recken wise fahren (vgl. 34 1,1), was wiederum unpassend bei einem Unternehmen ist, das Gunther anführt. Folglich will Gunther ursprünglich 30.000 Mann dafür aufbieten. Auch hier eine explizite Korrektur: Sivrit belehrt ihn, daß solch ein Aufgebot sinnlos sei (340)." In B bleibt die Korrektur implizit. C hebt zusätzlich noch einmal Gunthers Fehlein­ schätzung hervor: Für einen E rfolg dort reichen vier von Gunthers Schlag nicht aus (C 335/336). Dagegen fehlt wieder eine Markierung in A, indem Gunthers unpassender Vorschlag (A 338) gar nicht ausdrücklich zurückgewiesen wird, son­ dern Sivrit nur die vier nennt, die tatsächlich fahren sollen (A 339): Die Abwei­ chung vom Erwartbaren wird vollzogen, nicht eigens betont. Noch unscheinbarer die Ersetzung Uotes durch Kriemhilt. Man fragt sich, war­ um Gunther vor seiner Brautwerbungsfahrt zuerst seinen Entschluß bekundet, %uo miner lieben muoter zwecks Hilfe bei der Vorbereitung zu gehen (345,2f.), nur damit dann Hagen, mit hêrlîchen siten noch dazu, ihn an die Schwester weisen kann (346,1). Die seltsame Schleife erklärt sich daraus, daß Kriemhilt als vrouwe von jetzt an Bezugspunkt des Handelns am Wormser H o f ist, Uote als vrouwe abgelöst wird und zur Statistin herabsinkt. A '°° spart die Schleife ein: Gunther sendet sogleich zu seiner Schwester (A 326), ohne sich erst durch Hagen von der Absicht abbringen lassen zu müssen, die Mutter ins Vertrauen zu ziehen. Für den Fortgang macht das keinen Unterschied.9 99 So B 338F.; C 348F '°° C hat keine Abweichung.

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Syntagmatische und paradigm atische Integration ( %ur Isenstein-Episode)

Syntagmatische und paradigmatische Integration'01 (zur Isenstein-Episode) Der Einsatz der Isenstein-Episode ist doppelt markiert durch den formelhaften Einsatz E \ was ein küneginne gesehen über sê (326,1) und durch die (voraufgehende) Überleitungsstrophe Iteniuwe mare sieb huoben über Rin (325,1). Curschmann hat überlegt, daß hier ein älteres Lied in den buchepischen Zusammenhang eingear­ beitet sein könnte, dem man, um es besser zu integrieren, eine zusätzliche Einlei­ tungsstrophe voranstellte.102*In diesem Punkt stimmen alle drei Haupthandschriften überein. Doch geht in Hs. C der Versuch, den Übergang zu glätten, noch weiter, indem zwischen die beiden Einleitungsstrophen eine weitere eingeschoben ist, die den Handlungszusammenhang herstellt.,0, An der knapperen Handschrift A , deren Lücken sich insgesamt auffällig auf die Prünhilt betreffenden Aventiuren 6 - 1 1 konzentrieren, glaubt Curschmann deutli­ chere Konturen einer älteren mündlichen Episodendichtung zu finden, die noch nicht in den größeren buchepischen Zusammenhang eingebunden werden mußte. Die Version in A repräsentiere zwar kein mündliches Lied,104 könne sich jedoch kürzer fassen, weil sie die Kenntnis eines derartigen Liedes voraussetze.10’ A zeuge damit bis in die Buchfassung hinein von der Interferenz zwischen implizit mitge­ wußtem Sagenwissen, das offenkundige Lücken stillschweigend auffülle, und ver­ schriftlichter Deutung durch den E piker.106 Insofern lassen sich an den drei Haupthandschriften Stufen buchepischer K o ­ härenzbildung in der Auseinandersetzung mit traditionellen Vorgaben studieren.

,01 Z u den Begriffen: Titzmann (1977), S. 6 1- 6 3 ; 14 9 -16 4. lo‘ Curschmann (1979), S. 96 (älteren Überlegungen folgend). ,0) ln den drei Hss. stellt sich das so dar: A 324/325 entspricht B 323/324 und C 327/329; die einge­ schobene Strophe in C schließt an den veränderten Schluß von C 327 an und formuliert den E n t­ schluß zu einem neuen Unternehmen: do sprach der chunk riche: ine mil niht langer biten me. Des vH ich beraten, va ich die mvge nemen, div mir vnd mime riche %eproven mvge fernen an edel vnd oveh an schone; der gib ich miniv lant. als ich die reht ervinde, si sol iv verden vo l bekant. (C 327,4 -328 ,4) 104 Nicht also in der Weise, „daß A hier den ursprünglichen Text enthält, der noch sorgloser im Fahr­ wasser der Quelle konzipierte“ Curschmann (1979), S. 96. '° ’ Der Redaktor von „ * A kennt nicht nur, wie vermutlich jedermann in diesem Kreis, die ab der 6. Aventiure mitbenützte Erzählung, er hat sie auch als nach wie vor gängige mündliche Episodendich­ tung so weit im Ohr, daß er sich gelegentlich in dem betreffenden Abschnitt entsprechend .kürzer* faßt“ (Curschmann, 1979, S. 96). 106 E s gebe eine „Tendenz zum Brautwerbungsschema als solchem [...], in dem Sigfrid die Standardrolle des wissenden und listigen Helden spielt, ohne die besonderen Komplikationen, die der weitere Zusammenhang des .Nibelungenliedes* in die Handlung und ihre Motivierung mit hineinträgt“ (ebd., S. 96).

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Um schriften der Sage

An vielen Punkten gehen sie konform - auch, wo es auffällige Motivationslücken gibt - , an anderen weichen sie voneinander ab, auch in Passagen, die als besonders unwahrscheinlich gelten. Hierzu gehört Sivrits Standeslüge.107 Die Standeslüge ba­ siert, der communis opinio gemäß, auf verschiedenen Fassungen der Sage, gilt als schlecht motiviert, doch notwendig für den Fortgang. Die Bedingungen sind klar: Nur wer Prünhilt im Wettkampf besiegt, erhält ihre Hand; das kann nur der Stärk­ ste; in Isenstein herrscht die Stärkste, woraus folgt, daß jener Stärkste gleichfalls Herrscher sein muß, denn sonst gäbe es einen noch Stärkeren. Soll die Täuschung Prünhilts gelingen, dann muß wenigstens dem Schein nach die Gleichung Stärkster = Herrscher = Werber aufgehen. Wenn Gunther mit E rfo lg die Rolle des Werbers spielen soll, muß er der Stärkste scheinen, stärker als der starke Sîvrit, und dies muß seinen Ausdruck darin finden, daß Sivrit ihm unterworfen ist, was wieder nach der gleichen Logik bedeutet, daß Gunther Sivrit bezwungen haben muß. Damit ist die Standeslüge notwendig für die gewünschte Rollenverteilung.108 Ein zweiter Aspekt kommt hinzu. Im Wettkampf mit Prünhilt ist kein Wer­ bungshelfer vorgesehen. Sivrits Stärke müßte Gunther disqualifizieren. Die im Brautwerbungsschema übliche Rollenverteilung muß also wenigstens auf der Ober­ fläche zum Verschwinden gebracht werden. Damit stellt sich dem Erzähler eine dreifache Aufgabe: E r hat ein gängiges Erzählschema, das Brautwerbungsschema, abzuwandeln; er muß zeigen, daß die Erfüllung dieses Schemas auf Lüge beruht, und er muß dartun, warum diese Lüge plausibel wirkt. Aus dieser dreifachen Vor­ gabe ergibt sich der Umgang mit der Szene in den Haupthandschriften. Daß Sivrit nicht der Werber, das heißt nicht der Stärkste, das heißt nicht der Herr ist, wird in B szenisch und verbal in einer Überinszenierung ausgedrückt. Sivrit verpflichtet erstens seine Gefährten auf seine Version, er sei Gunthers man\ er führt zweitens vor den Augen des Isensteiner Hofs Gunthers Pferd am Zügel ans Land, erfüllt also den Ehrendienst eines solchen mannes\XW ) und er läßt drittens Gunther beim Empfang durch Prünhilt den Vortritt; allen sichtbar steht Gunther ,vor Sivrit4 (420,5). Damit sollte alles klar sein. Doch all diese Inszenierungen helfen nichts, denn Prünhilt hält ihn trotzdem für den Werber.'**10 Ihr Gruß für Sivrit schiebt die Zeichen, die auf Unterordnung deuteten, einfach beiseite, so daß sie ein weiteres Mal, diesmal durch Worte, belogen werden muß, indem Sivrit Prünhilts auszeichnenden Gruß ausdrücklich zurückweist: E r deutet auf Gunther hin - wand’

,07 Vgl. die ständische Termini untersuchende Darstellung von Hennig (19 8 1), S. 18 0 -18 2 und auf Grund von Urkundenmaterial kritisch hierzu Schulze (1997b). I0* Z u den politischen Implikationen dieses Modells unten S. 17 1h 109 M it Panzer (1945) gehe ich davon aus, daß um 1200 die Bedeutung des Zü gel- und Bügeldienstes den meisten ebenso klar ist wie ihr umstrittener politischer Aussagewert (vgl. S. 10 0-108); danach besteht kein Zweifel, daß Sivrit die „gewöhnliche Leistung des Vasallen“ erbringt (S. 10 1); vgl. Hennig (19 8 1), S. 180; Sachsenspiegel 66, 3; hierzu Wenzel (1992), S. 337. 1,0 Z u diesem Verkennen S. 268.

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Syntagmatische und paradigm atische Integration ( %ur I senst ein- Episode)

er ist min herre (420,4) - , identifiziert ihn als den Werber (421,3) und legt seine eigene Rolle auf die des Begleiters bei der gefährlichen Fahrt fest, der ge­ zwungenermaßen dem Gebot seines Herrn gefolgt ist: mäht’ ich es im geweigert ban, ich het i% gerne verlan (422,4).'“ Die Uberinszenierung der Standeslüge mutet dem Rezipienten einiges zu und zeigt, daß es dem Erzähler weniger um Wahrscheinlich­ keit des Ablaufs als um Deutlichkeit, die Herausarbeitung des paradigmatischen Gehalts, geht. Dabei wären syntagmatische Ungereimtheiten, wie die, daß Prünhilt die Ankunft der Fremden ein zweites Mal gemeldet werden muß, leicht zu ver­ meiden gewesen. Und in der Tat: In A verläuft die Szene handlungslogisch konsequent, ohne den nutzlosen Stratorendienst und den befremdlichen Umstand, daß Prünhilt die A n ­ kunft genau beobachtet."2 So ist auch der merkwürdige ,Widerspruch* vermieden, daß Prünhilt noch einmal informiert wird, obwohl sie doch ,alles* selbst gesehen h a t."5 In dieser zielgerichteten Darstellung erweist sich auch die gesonderte Vor­ stellung der Gefährten als überflüssig."4 Unwichtig ist, ob A dadurch die Handlung begradigt hat oder die fehlenden Elemente nachträglich hinzugefügt wurden. J e ­ denfalls ist der Verzicht auf die Überinszenierung denkbar, so daß sich fragt, war­ um die anderen Handschriften nicht diese glatte Lösung wählen. ln der Version, die B repräsentiert, wird auf Kosten einer linear plausiblen Ver­ knüpfung mehrfach unterstrichen, daß .etwas nicht stimmt*. Was der Erzähler in drei aufeinanderfolgenden Handlungssequenzen vorführt, ist eine Inszenierung von Lüge, damit die Diskrepanz zwischen gewünschter Schauseite und dem, was .tatsächlich* der Fall ist, jedem Hörer erkennbar wird. Es kommt nicht auf die Glaubwürdigkeit der Lüge an, sondern auf die Tatsache, daß es eine Lüge ist, daß sie mehrfach wiederholt wird und daß sie schließlich gegen Widerstand - gegen Prünhilts und der Hörer Wissen - durchgesetzt werden muß. In Sivrits Schau­ spielerei verschafft sich also nicht die Sagenreminiszenz an seinen inferioren Status G eltu n g,"5 sondern ein poetisches Prinzip, das die handlungslogische Konsequenz hinter der paradigmatischen Bedeutung der Szene zurücktreten läßt. In B wird das Doppelgesicht der Hauptfigur in Erinnerung gerufen, die von der zweiten Aventiure an Heros und höfischer Ritter auf widersprüchliche Weise zugleich ist."6 Das eine Gesicht Sivrits - das des von niemandem abhängigen Heros - muß aufwendig zum Verschwinden gebracht werden, damit Prünhilt dem anderen glaubt, daß Sivrit Gunther dient. Abweichend, doch ähnlich C 4 31,4 . - Haustein (1993) glaubt: „Siegfried hätte Kriemhilds Hand wohl auch ohne den Steigbügeldienst erhalten“ (S. 18). Das widerspricht dem Regelkontext von Isenstein. 1,1 Lücken zwischen A 383 und A 384 (drei Strophen = 396-398) und zwischen A 585 und 386 (= 401). Lücke zwischen A 392 und A 393 (= 409). 1,4 Lücke zwischen A 394 und A 395 (vier Strophen = 4 1 2 - 4 1 5). Peeters (1986) S. 9L: „ursprünglich ein .vertriebener Fürstensproß*“ ; „wahrscheinlich ein vertriebe­ ner, wandernder Held“ . 1,6 Vgl. Curschmann (1979), S. 96.

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Um schriften der Sage

Damit verstärkt sich die Verknüpfung mit der Folgehandlung. Erklärt wird Sivrits auffälliges Verhalten aus einem übergreifenden Bezugsrahmen, dem Minne­ dienst: Jane lob’ ih%niht so verre durch die liebe dîn/sô durch dine swester [ ...] / ich mil da% gerne dienen, da^ si werde min wip (388,if.; 4). Die Überinszenierung unterstreicht emphatisch, wie einschneidend der Held seinen königlichen Status unter dem G e­ bot der minne verleugnet. Bezeichnenderweise fehlt auch dieser explizite Vorbehalt in A ; " 7 die Verhaltensänderung wird einfach konstatiert. Ausdrücklich lügen wird Sivrit noch ein weiteres Mal, wenn er nach erfolgrei­ chem Wettkampf den Tarnmantel beim Schiff wieder ablegt und zurückkehrend so tut, als wisse er nicht, daß die Spiele längst stattgefunden haben. E r ist bei den Kampfspielen also nicht einfach abwesend, sondern spielt - recht plump - A b ­ wesenheit und Unkenntnis öffentlich vor: Wes bitet ir, min herre? wan beginnet ir der spil (471,1). Damit provoziert er eine erstaunte Frage der Königin und gibt Hagen Gelegenheit, mit einer weiteren Lüge zu ,erklären“, warum er nicht dabei war. Und auch hier fehlen die betreffenden Strophen - die Überinstrumentierung von Lüge in A . " 8 , Zwischen A und B gibt es also in dieser Erzählsequenz fundamentale konzeptio­ nelle Differenzen. Die Lösungen von B lassen sich auf zwei leitende Prinzipien zurückfuhren: Der Bedeutungsgehalt der Szene ist wichtiger als die lineare Ver­ knüpfung einer Begebenheit mit der folgenden (Überinszenierung von Lüge); und über diesen Bedeutungsgehalt ist die Szene enger auf den übergreifenden Zusam ­ menhang der Betrugshandlung bezogen. Was auf der Oberfläche Widersprüche zu produzieren scheint, läßt sich aus diesen Prinzipien begründen. Sivrits Standeslüge erfolgt nicht ad-hoc, sondern gehört zu einer Kette von Täuschungshandlungen,"9 die von Prünhilt erinnert und unter veränderten Umständen wiederholt werden können. Die weiträumig disponierende buchepische Integration erfordert, daß .regional“ notwendiger Betrug und .allgemeingültige“ ständische Realität gleichzei­ tig bewußt gehalten werden. In A unterbleibt die handlungslogisch sperrige Inszenierung. A unterschlägt sonst in der ganzen Episode keine wesentlichen Glieder des Geschehensnexus, sondern spart nur entbehrliche Zwischenglieder aus. Schon bei der Vorbereitung der Fahrt bleibt z. B. Kriemhilts Frage, um wen man werben werde, zwar unbeant­ wortet,*120*12aber die Antwort ist später als selbstverständlich vorausgesetzt.'" E s feh­ len nähere Umstände des höfischen Leben s;"1 Zwischenglieder der Handlungskette " 7 Lücke zwischen A 376 und A 377 (= 388). "* Lücke zwischen A 44z und A 445 (drei Strophen = 4 7 1 -4 7 3 ) gegenüber B 4 6 9 -4 71 und C 482-484. " 9 Die Überinszenierung zeigt, daß der Betrug keineswegs als akzeptable Alternative aufzufassen ist (so Czerwinski, 1979, S. 7 1), sondern als etwas ganz und gar Auffälliges dem Hörer eingehämmert werden soll. 120 Lücke von vier Strophen zwischen A 348 und 349 (= 35 4 -35 7 ). ■ *’ Vgl. A 361. 122 Weit knapper erzählt sind nach der Rückkehr nach Worms die Vorbereitungen für das Hochzeitsfest,

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Syntagmatische und paradigm atische Integration (%ur lsenstein-E pisode)

sind eingespart."5 Im übrigen aber wird erzählt, was sich an der Oberfläche zeigt. So unterbleibt der Hinweis auf Sivrits verborgene Anwesenheit beim Wettkampf, die rätselhafte Berührung Gunthers durch den unsichtbaren Sivrit, seine aufmun­ ternden Worte zu G ünther."4 Auch der Zweideutigkeit des Wettkampfes zwischen Spiel und Gewalt schenkt A keine Aufmerksamkeit: daß Sivrit die tödlichen K o n ­ sequenzen des Kampfes abbiegt, indem er den Speer umdreht, um Prünhilt zu schonen."’ Die Verabredung zur Lüge, Prünhilts ,Irrtum“ beim Empfang, dessen ,Korrektur‘ und der gewünschte Verlauf des Wettkampfes bilden eine geradlinige Handlungsfolge. Es entfallen Handlungselemente mit impliziter Kommentarfunk­ tion, wenn in der getäuschten und sich täuschenden Prünhilt der Ankunftszene die getäuschte und sich täuschende Prünhilt in Worms vorweggenommen wird. In eine andere Richtung geht die Bearbeitung der *C-Gruppe. C verstärkt im Gegensatz zu B die Tendenz zu linearer Kohärenz und unterstreicht einzelne A k ­ tionen und Situationen durch Verdoppelung. Die Varianten sind in der bespro­ chenen Szene allerdings wenig spektakulär. Es gibt verdoppelnde Emphasen in Zusatzstrophen, etwa wenn Gunther bei der Ankunft die Unvergleichlichkeit von Prünhilts Burg rühmt (C 592), der Erzähler auf seiner sorge vor dem Wettkampf insistiert (C 452,i ) " 6 oder wenn Prünhilt wegwerfend kommentiert, wie wenig den Burgonden ihre Waffen nützen werden (C 458). Nur gelegentlich ist Anlaß, präzi­ sierend einzugreifen und z. B. noch einmal klarzustellen, daß es Sivrit war, der alle aus der Not befreite (C 480,4) oder daß Prünhilts Gefolge sich aus Furcht unterwarf (C 480,3). Einmal wird ein unerwähntes, doch selbstverständliches Glied der Hand­ lung nachgetragen: daß Gunther - als einziger - für den Wettkampf bewaffnet wird (C 452,2). Statt, wie sonst oft, sich um eine .wahrscheinlichere* Version zu bemü­ hen, wird in dieser Episode eher das Übermaß aller Aktionen in lsenstein unter­ strichen."7 Einmal jedoch verschafft sich das Prinzip weiträumig-syntagmatischer Verknüp­ fung auffällig Geltung, indem der spätere Verlauf auf die Erzählung der Episode zurückwirkt, freilich ausgerechnet dort, wo das Ergebnis wenig plausibel ist. In der Vulgatfassung bittet Sivrit die Gefährten, ihn als man Gunthers auszugeben. Der *124 7 6

nicht eigens erwähnt wird die M itwirkung von Nebenfiguren wie Rumolt. E s gibt Lücken nach A

5* 6, 529. 5) i , 5) 2. 551, 559. 583. u’ Lücken nach A 358 (= 368) und A 359 (= 370); so fehlt etwa in der Folge: Kleider werden geordert — angefertigt - sind fertig - werden anprobiert - alle finden, daß sie passen, das dritte und das fünfte Glied. 124 Lücken zwischen A 428 und 429 (= 453); 429 und 430 (= 455). ,2’ Lücke zwischen A 432 und 433 (= 459). 126 Schon B hatte in einer Plusstrophe gegenüber A Gunthers A ngst stärker herausgehoben (442); C fügt eine weitere Strophe ein. 127 Prünhilts überlegene Kampfkraft wird vbermvt genannt (C 433,4). Der schwer vorstellbare Weit­ sprung, bei dem Sivrit Gunther trägt, wird kommentiert: da% was ein michel wnder vnd kunsteklich genveh (C

475, 3)91

Um schriften der Sage

B egriff man ist unscharf und unterschiedlichen Interpretationen offen, von rechtli­ cher Abhängigkeit bis zu freier Gefolgschaft, doch ist die gebräuchlichste Bedeu­ tung Vasall.128 Prünhilt aber wird später, in auffälliger Abweichung von dieser weiten und ständisch nicht unbedingt diskriminierenden Bedeutung, eine herabset­ zende, nicht durch die Handlung vorbereitete Formulierung wählen und Sivrit als eigen, unfrei also, bezeichnen (821,2f.). Die Mesalliance, die Prünhilt zwischen Sivrit und Kriemhilt wittert, soll durch die Überdehnung der ständischen Distanz ge­ brandmarkt werden. Der Bearbeiter von *C hat offenbar bemerkt, daß Prünhilt an dieser Stelle nicht das wiederholt, was sie gehört hat. Das hat er korrigiert, indem er schon in Isenstein Sivrit den Gefährten empfiehlt, vor Prünhilt zu sagen: Gunther si min herre; ich si sin eigen man (C 395,3f.). Damit werden Prünhilts spätere Worte vorbereitet. Das dient nur vermeintlich syntagmatischer Kohärenz. Der Preis ist nämlich hoch. Die Situation in Isenstein verlangt zwar Unterordnung des starken unter den stärksten, nicht aber Leibeigenschaft. Durch die Korrektur wird Sivrits Behaup­ tung zu einem leichtfertigen und überflüssigen Einfall und Gunthers spätere A b ­ wehr - ursprünglich durch das unbestimmte man gerechtfertigt —eine hilflose und unwahrscheinliche Ausrede. Vor allem aber sagt Sivrit das diskriminierende eigen man gar nicht zu Prünhilt, sondern zu den Gefährten, so daß Prünhilts spätere Worte nur scheinbar vorbereitet sind, in Wirklichkeit wieder von der »unwahr­ scheinlichen“, doch typisch heldenepischen Voraussetzung abhängen, daß das, was irgendwo zu irgendwem einmal gesagt wird, ein fiür alle Male gilt. Eben weil die Änderung mißlingt, zeigt sie aber das neue, nur ansatzweise realisierte Erzählprin­ zip von *C, das schriftliterarische Tendenzen verstärkt, indem die einzelnen E p i­ soden folgerichtig auseinander entwickelt und nicht nur über Strukturanalogien und -Varianten einander zugeordnet werden. Tatsächlich handelt es sich nur schein­ bar um eine vorbereitende Motivation, denn Sivrits Worte werden vom Ergebnis her bestimmt: E r muß sagen, er sei ein eigen man, weil Prünhilt ihn später als eigen holden beanspruchen w ird.'29 Die Beobachtung läßt sich auf die überlieferte Gestalt des Buchepos insgesamt übertragen: Eine Tendenz zur isolierenden szenischen Ausarbeitung, wie sie für mündliche Epik oder sich mündlich stilisierende Epik typisch ist (so in einzelnen Abschnitten auch in A) wird von verschiedenen Verfahren weiträumiger Integra­ tion überformt, wobei C durch syntagmatische Verknüpfung der einzelnen Hand­ lungselemente neuzeitlichen Erwartungen am weitesten entspricht, damit aber im »Nibelungenlied“ häufig noch scheitert.1’0 Die *B-Gruppe realisiert eine alternative*129 11* Z u den semantischen Verschiebungen der Bezeichnungen für Abhängigkeit Wachinger (i960), S. i n , Hcnnig (19 8 1), S. i8 if. sowie Schulze (1997b); zur Interpretation S. 178. 129 Anders Schulze (1997b), S. 44f., die durch die Änderung „von Anfang an die Vasalleninterpretation ausgeschaltet“ sicht; „auch ein Ministeriale als Begleiter des Königs [...] macht Sinn“ . Das ist richtig, würde aber aus der sonstigen sozialen Konstellation des Ep o s herausfallen. !>0 Auch mit Handschrift C war der Prozeß noch nicht abgeschlossen, wie spätere Handschriften zeigen,

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Entproblem atisierung Wucherung, A m putation

Möglichkeit, eine Art von ,szenischen Kommentar4, durch Überlagerungen von Situations- oder Handlungsmustern, durch Aggregation divergenter Situations­ und Handlungselemente, durch Widerspruch zwischen Szene, Wort und Geste. A u f diese Weise wird Komplexität hergestellt und werden weit auseinanderliegende Tei­ le des Epengeschehens zueinander in Beziehung gesetzt. In der Geschichte der Überlieferung scheint dieses Verfahren nicht immer verstanden worden zu sein, so daß früh schon Normalisierungsversuche einsetzten.

Entproblematisierung, Wucherung, Amputation Die handlungslogische Glättung in der *C-Gruppe geht oft mit einer Entproble­ matisierung einher, die im Sinne geradlinigen Fortschreitens Umwege abschneidet und Ambivalenzen tilgt, wie bei Sivrits Botschaft nach Worms, wo die Störungen in Hs. B fehlen. Die Tendenz zur Entproblematisierung ist besonders an der burgondischen Erbteilung abzulesen. In der Vulgatfassung besteht Kriemhilt trotz Sivrits Verzicht auf einem angemessenen Anteil am Erbe und beansprucht von den Burgonden degene vor allem Hagen und Ortwin (698,1).1,1 Nicht bei den Königen, aber bei Hagen stößt sie auf vehementen Widerstand namens der Tronegare. Die Szene endet, wie so oft, ohne Entscheidung und hält damit den Konflikt in der Schwebe: D a% liefen si beliben (700,1): ein Signal latenter Störung. Aber selbst das umgangene Problem scheint anstößig gewesen zu sein. In C ist die Erbteilungs­ szene zwar beibehalten, aber um ihr Konfliktpotential gebracht. Übernommen sind die anfänglichen Gesten der Eintracht: Die Könige sind bereit zu geben; Sivrit will nichts haben; Kriemhilt will trotzdem Buregonden degene (C 705,2); Gernot bietet ein Drittel von ihnen an, welche sie wolle. Dann aber greift der Redaktor glättend ein. Kriemhilt bringt ihre Forderung gar nicht erst vor, Hagen mitzunehmen, sondern ist mit Gernots Angebot einverstanden: da% was ir liebe getan (C 706,4), ohne daß man erfährt, welche Handlungsfolgen das hat. Keine skandalöse Forderung, folg­ lich auch keine empörte Zurückweisung und kein unentschiedener Ausgang. Gleich geht es weiter: S i bereite sich %ir verte (C 707,1). Im Dienste eines glatteren Ablaufs wird Konfliktstoff möglichst lange vermieden - mit der Folge, daß die Erbteilung zu einem belanglosen Umweg wird. Auch die Verteilung von Prünhilts Besitz vor dem Aufbruch nach Worms führt in der Vulgatfassung zu einem Konflikt, der letztlich wieder abgebogen wird (514­ 521): Dancwart soll für Prünhilt milte üben. In ihren Augen verschenkt er jedoch

etwa wenn im erörterten szenischen Kontext das Ambraser Heldenbuch (d) hinter C 336 eine Z u ­ satzstrophe enthält, die Gunthers ritterliche Entschlossenheit, um Prünhilts willen sein Leben zu riskieren, ausdrückt (Batts, S. 101).

1,1 Zu dieser Szene s. u. S. 141.

Um schriften der Sage

zuviel. Deshalb entzieht sie ihm den Auftrag und sorgt dafür, daß sie einen Teil ihres Besitzes behält. Hagen und Gunther lachen über den Vorgang. Die Ver­ schleuderung des Schatzes ist Teil der Depotenzierung Prünhilts.1,4 Damit weist die Szene auf den konfliktuösen Hintergrund der Werbung, der in der Hochzeitsnacht wieder aufbricht. Die gerade noch vermiedene Verschleuderung des Schatzes ist eine überflüssige Schleife, doch wird die Szene dadurch zur Station im K am pf um Prünhilts Macht. Wieder ist in *C die Auseinandersetzung gestrichen zugunsten einer reibungslosen Demonstration von Freigiebigkeit.1,5 Dancwarts Exzeß, Prünhilts Mißtrauen, Gunthers und Hagens Lachen über ihre Besorgnis entfallen:154 Prünhilt äußert den Wunsch, über eigenen Besitz zu verfügen; Hagen weist sie auf Gunthers Reichtum; sie wünscht trotzdem Schätze mitzunehmen, und das ge­ schieht; eine Zusatzstrophe (C 532) berichtet sogar von ihrem militärischen G efol­ ge, das an Zahl dem Gunthers gleichkommt: ein glatter und geordneter Übergang von Isenstein nach Worms ohne gefährliche Anzeichen künftiger Konflikte. Normalisierungsversuche der *C-Gruppe bleiben oft nach wenigen Strophen stecken oder führen zu neuen Ungereimtheiten. Auch in den Handschriften A und B gibt es Spuren, die Versuche hinterließen, sich auf Ungereimtes einen Reim zu machen, etwa Übermotivationen, wo Verbindungsglieder zu fehlen schienen. Die Bearbeitung eines überlieferten Stoffes stellte nicht nur Sinn her, sondern auch Unsinn. Wenn etwa Blcedelin, durch Versprechen Kriemhilts verleitet, Dancwart und den Troß überfällt und den Überfall mit seinem Leben bezahlt, schickt Danc­ wart ihm noch einige höhnische Worte über den verpatzten Lohn nach, den ihm Kriemhilt bei Gelingen des Anschlags in Aussicht gestellt hatte. Von Kriemhilts Versprechungen gegenüber Blcedelin kann Dancwart eigentlich nichts wissen. Der Erzähler schiebt deshalb als Erklärung nach: ein vH getriuwer Hiune het im da% geseit, da% in diu küneginne riet sô grasfîchiu leit

( 1 9 2 8 , 3h).

Das kostet seinen Preis. Nicht nur ist der anonyme, nirgends sonst erwähnte ,treue Hiune' eine arge Verlegenheitslösung. Vor allem entsteht ein neues Problem: Wie konnte Dancwart, wenn er doch schon alles wußte, von Blcedelin überrascht wer­ den, als der bewaffnet beim Mahl auftauchte, wie ihn freundlich begrüßen, wo er doch einen Überfall befürchten mußte (1922,jf.)? Der Erzähler verläßt sich hier, wie weit häufiger dann der Bearbeiter von *C, nicht mehr auf den impliziten K o n ­ trakt heroischen Erzählens - was einmal offen gesagt wurde, wissen alle - und beugt sich einem neuen Anspruch auf kausale Motivation. Doch geschieht das punktuell und ohne Rücksicht auf die Umgebung, so daß das Ergebnis störender ist als die Lücke zuvor. 1,1 Vgl. S. 349. 1)1 Str. 5 11 u. 5 12 sind ersetzt; 5 15 —516 fehlen (Lücke von vier Strophen zwischen C 527 und C 528). 1,4 Lücke zwischen C 529 und C 530. In A fehlt nur eine Strophe (518) - Lücke zwischen A 486 und 487 -, die Prünhilts Protest gegen ihre Entmachtung verschärft. 94

Entproblem atisierung, Wucherung, A m putation

Im Zuge der Adaptation der Sage wird also das Erzählen auf einen anderen Motivationstyp umgestellt. Der Erzähler achtet darauf, daß Voraussetzungen und Folgen in der richtigen Ordnung erscheinen. Von Fall zu Fall kommt alltägliche Erfahrung ins Spiel, die mit ihren Fragen an das vorher fraglos Gültige herantritt. E s sind oft Nebensächlichkeiten, an denen solche Fragen ansetzen. So fragt C in einem zweistrophigen Einschub: Wie werden so viele Helden, wie sie Sivrit im Nibelungenland unterhält, versorgt? Nv sprichet liht ein tvmher: e% mach wo/ Ivge wesen. wie mohte so vil ritter bi ein ander sin genesn? wa namen si die spise, wa namen si gewant? (C 518,1—3). Eine scheinbar vernünftige, auf .wahrscheinliche' Dimensionen zielende Frage, zu­ mal angesichts der mittelalterlichen Versorgungsprobleme. Doch erhält sie wieder nur eine sagenmäßige, keine alltagsweltlich plausible Antwort: Sivrits Hort sei eben unerschöpflich; für ihn gibt es keine Beschränkung der Ressourcen. Ähnlich die eingeschobene Strophe a 1609,1,5 die beim Übersetzen über die Donau die Größe des Schiffes zur Zahl des Heeres in eine vernünftig-wahrscheinliche Relation zu bringen sucht: Nicht mit einem lächerlich kleinen B o o t,'56 sondern mit einem 400 Mann fassenden Schiff ist die Überfahrt des riesigen Heeres zu bewerkstelligen. Das ist plausibel, berücksichtigt aber nicht, daß zuvor der Fährmann und Hagen das Schiff allein manoeuvrieren konnten. So bleibt der Versuch, einen handlungslogisch plausiblen Zusammenhang herzu­ stellen, immer wieder stecken. Das Buchepos erledigt nicht gleich alle Fragen, sondern lockt immer neue hervor.1’7 Am weitesten ist die ,K lage' beim Versuch fortgeschritten, alles Widerständige zu integrieren, um den Preis, daß alles Pro­ blematische ausgeblendet wird. Der Versuch, die übermächtige Tradition zu er­ klären, gerät in Gefahr, sie zu liquidieren.1’8 An den verschiedenen Fassungen, die dank Bumke (1996c) jetzt deutlicher unterschieden werden können, zeigt sich, daß das Normalisierungsbedürfnis sich sehr unterschiedlich ausprägen konnte und die Fortsetzung des Nibelungenuntergangs in den einzelnen Handschriften unter­ schiedlich weit reichte. Während in den ältesten ordnungsgemäßes Beklagen und Hs. a vertritt hier die *C-Gruppe; die Strophe findet sich auch in d. 1.6 Hierzu hat From m (1990), S. 8 bemerkt: „ E s ist unvorstellbar, daß der Epiker sich der Absurdität nicht bewußt war, daß Hagen mit einem kleinen Ruderboot an einem Tage ein bald zehntausend Mann starkes Heer über die Hochwasser führende Donau bringt, und daß der Dichter nicht imstande gewesen sein sollte, mit ein paar Strichen dieses überkommene Detail zu ändern“ . Z u notieren ist also kein Fehler, sondern die Konsequenz aus einem Erzählprinzip.

1.7 Heinzle (1978), S. 262: „ratlos wie die Germanisten standen schon die Zeitgenossen vor diesem Werk [in der Fassung B]. Seine Unbestimmtheit hat mit der Fassung C und der .Klage*, aber auch und nicht zuletzt mit dem .Rosengarten* jenen Kommentierungsprozeß ausgelöst, den wir in der Fas­ sungsbildung unserer Texte beobachtet haben: Rezeption hat sich vollzogen als Weiterbildung“ . '** Wehrli (19 72 ), S. 101 bezeichnet die .Klage* als „eine gewaltige systematische Liquidation des N i­ belungenuntergangs“ .



Um schriften der Sage

Bestatten der Toten, Auskunft über die Überlebenden und Nachricht über die literarische Fixierung der Geschichte nachgetragen wurden, begnügten sich spätere Redaktoren mit Teilen des Normalisierungsprogramms. So gibt es in der stark kürzenden Fassung *J nur „ein knapp erzähltes Nachspiel zum furchtbaren Ende des .Nibelungenliedes*“,139 während Prolog und Einleitung (Kl 1-70) ebenso fehlen wie das ausführliche .Verklagen* der Kombattanten, so daß der erste Teil ganz auf Kriemhilt, das positive Urteil über sie, schließlich auf ihre Bestattung ausgerichtet ist. Das Normalisierungsbemühen konzentriert sich hier auf die Hauptfigur und mildert die Dissonanz ihres Endes. Es folgen dann mit Swämmels Botschaft (unter Eliminierung ent­ behrlicher Episoden) die Reaktionen Gotelints und Prünhilts und die Nachricht von der Abfassung der Geschichte. So wird knapp zu Ende gebracht, was sich zur Fortsetzung noch sagen läßt, mehr nicht. Ebenso ist das umgekehrte, die ausschmückende Erweiterung möglich, wie sie in der *D-Fassung der .Klage* vorliegt.140 D (14. Jh.) bricht jedoch ab, sowie das .Verklagen* durch die am Geschehen Unschuldigen zu Ende ist, nämlich wenn die Nachricht von der Kata­ strophe in Bechelaren angekommen ist: da%beweinte wip unde man (Kl 3140). Auch das ist ein sinnvoller Schluß.'41 D ie noch folgenden Klagen und Erklärungen in Bechelaren bringen nichts Neues; die Fortsetzung von Swämmels Reise (Kl 3287^) liegt deshalb offenbar au­ ßerhalb des Interesses.

In zwei anderen späten Handschriften kommt zur in D erzählten Handlung noch die Benachrichtung der Wormser und ihre Klagen (b),'42 oder aber der Text bricht ab (d), nachdem von Etzels grenzenlosem Jammer berichtet wurde.'43 Dagegen fehlen Dietrichs Einkehr in Bechelaren und die Sorge des Bischofs von Passau fur das Gedenken an seine Verwandten.’44 Auslassungen und Ausgestaltungen sind Zeugnis lebendigen Weiterdenkens der Überlieferung. Auch in den Handschriften des Epos gibt es, wenn auch nicht so eingreifend, Varianten, die sich um einen Kern, eben den Verrat und Burgondenuntergang zentrieren. Sie verdienten eine ebenso intensive Aufarbeitung wie die*14 1,9 Bum kc (1996c), S. 289; vgl. 2 8 2 -29 7; S. 282f.: Verzeichnis der Lücken; S. 283!.: Charakteristik der Eigenart der *J-K lage, die „nicht durch Nachlässigkeit und Gedankenlosigkeit zustande gekommen ist“ , indem nämlich „ein planender Redaktor am Werk war“ (S. 284). Plusverse „haben die Funktion, die [im Vergleich zur vollständigen Version] entstehenden Lücken zu überbrücken“ (S. 285). I4° Abgedruckt bei Bumke (1996c), S. 30 6 -339 , '4' Curschmann (1989), S. 381: „D er Abbruch ist bewußt“ . „E s kann nicht Platzmangel gewesen sein (zumal noch leere Pergamentblätter folgten), was den Schreiber veranlaßt hat, den ,K lage‘ -Text an dieser Stelle abzubrechen, mitten in der Schilderung, wie die Nachricht vom Tod alle Helden in Bechelaren aufgenommen wurde“ . Der Text ende zwar „mitten im Satz“ , aber man könnte dort auch „einen Punkt setzen, wenn man das Folgende nicht berücksichtigt“ (Bumke, 1996c, S. i7of.). 141 Abbruch nach K l 3957, jedoch infolge von Blattverlust, so daß über etwa noch folgende Passagen keine sicheren Aussagen möglich sind (Bumke, 1996c, S. 185). ,4} Auch vom voraufgehenden Epos fehlt einiges, nämlich die Aventiuren 30, 3 2 - 3 4 und 37-39 (der Schluß), doch ist dafür in der Hs. jeweils Platz gelassen. 144 Curschmann (1989), S. 38 1; Bumke (1996c), S. i88f. Man kann auch hier nicht von einem „unvoll­ ständigen“ Text sprechen (S. 186; vgl. zu D und a); d endet da, wo auch in J und h die Handlung aufhört und sich nur noch der Epilo g anschließt (Pilgrim, Meister Kuonrat und die erste Nieder­ schrift). Gegenüber A B C a fehlt also vor allem die Fortsetzung der Dietrich-Handlung (bis K l 4294), die Abschnitte über die Niederschrift der Geschichte sowie über Etzels Ende.

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Entproblem atisierung, Wucherung, Am putation

,K lage“ durch Bumke (1996c). Abseits der im engeren Sinne textkritischen Pro­ bleme müßten konzeptionelle Alternativen durch größere Ergänzungen oder häufiger noch - Lücken untersucht werden. Ein paar verstreute Hinweise wollen nicht mehr als einige vorläufige Beobachtungen zum Prozeß des Weiterschreibens Zusammentragen. Sie sollen belegen, daß sich dieser Prozeß keineswegs völlig be­ liebig vollzog. Es gibt Fugen im buchepischen Zusammenhang, in denen die Erzählung gewis­ sermaßen zu wuchern beginnt, indem sie Redaktoren zum Hinzudichten heraus­ fordert. Die meisten Hinzufügungen gehören der Bearbeitung *C, doch können sie prinzipiell auch in anderen Handschriften auftreten. Der Einschnitt zwischen er­ stem und zweitem Teil nach der 19. Aventiure, zwischen Kriemhilts Tiefpunkt nach dem Hortraub also und ihrem Wiederaufsteig an der Seite Etzels, erlaubt der *C-Gruppe, Strophen über Kriemhilts Rückzug aus Worms und ihre Sorge für die memoria Sivrits einzuschieben (vgl. C 115 8 -116 5 ), die den Eindruck der A bge­ schlossenheit der Handlung noch verstärken. Doch .wuchert“ das Epos auch an anderen Fugen, etwa bei Einsetzen der Prünhilt-Handlung zu Beginn der 6. Aven­ tiure, wo Gunther sich mit seinen Vasallen beraten will (C 328) und die Beratung ausgesponnen wird (C 532), der Disput über die Gefährlichkeit des Unternehmens verlängert (C 335/336) und Informationen über die Tarnkappe aus dem Zwergenreich nachgeschoben werden (C 342, 343).‘4’ Oder auch beim Übergang von höfi­ scher Harmonie zum Konflikt vor Beginn des Königinnenstreits (C 821 und 822). Die ausführlichste nicht in C enthaltene Wucherung ist ein Passus in b, der den Empfang der Burgonden an Etzels H o f durch die Amelungen in zw ölf zusätzlichen Strophen ausmalt.*146 Oft beschränken sich die Wucherungen auf eine einzige Strophe. Sie nistet sich in Lücken der Handlung ein, knüpft an Unausgeführtes oder Widersprüchliches an und bekundet, daß die Sage nicht ein für alle Male zu Ende erzählt ist. Manchmal kann eine Situation zur Interpolation eines Witzes einladen wie dem, daß jemand so glatt von einem Schwert zertrennt wird, daß er es erst beim Bücken merkt, indem er auseinanderfallt.147 Doch auch das Umgekehrte ist möglich: der Verzicht auf Entbehrliches. Von den Auslassungen in A war die Rede; andere Handschriften haben weit spektakulärere Lücken. In J ist das Fehlen des Anfangs der Fahrt zu Etzel (Rumolts Rat, das Überqueren der Donau, der K am pf mit den Bayern) nachträglich durch Änderung des Wortlauts kaschiert.'4* Manche Fassungen lassen ganze Teile des komplexen '4' 146 147 141

Batts, S. 9 8 -10 3. Nach 17 18 (B 17 15 ) ; vgl. Batts, S. 17 5 f. Wieder b nach 137 6 (Batts, S. 723): Kriemhilts Zerstückelung. Änderung der ersten beiden Verse von 1568, vgl. Abeling, S. 169; daß die Auslassung „beabsichtigt“ ist, ist angesichts der heterogenen Thematik des Fehlenden, vor allem aber auch angesichts des Punktes, an dem die Erzählung wieder einsetzt (gleich nach den Kämpfen der Nachhut, doch deut-

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Um schriften der Sage

Handlungsgefuges aus oder verkürzen sie radikal. Opfer ist meist der erste Teil, der von einer Reihe von Redaktoren offenbar als bloße Vorgeschichte zum eigendich erzählenswerten Burgondenuntergang betrachtet wurde. Hs. a setzt z. B. erst mit Str. 326 (= B 324)‘49, d. h. mit der Prünhilt-Handlung E s was gesesgenn [ ...] ein. Voraus geht eine Prosa-Uberschrift, die das Geschehen historisch datiert, und zwar auf die Zeit des Pipanus, der im Jahre 714 römischer Kaiser gewesen sei, und Dietrichs von Bern, seines vogt in Rom, der Boethius ins Gefängnis geworfen habe: Pein herdietrichs/feittenn de% romischenn vogt\* vergienng sich die auennteur/dev^pueches vonn denn rekchenn vnd vonn kreymhilldenn."'0 Vom ersten verhängnisvollen Betrug also bis zum Untergang reicht der Bogen. Alles was Sivrits Mitwirkung an der Fahrt zu Prünhilt mit seiner Vorgeschichte am H of zu Worms erklärt, fällt damit fort. Schemagerecht markiert die Nachricht von der Herrscherin über sê (326,1) den Beginn eines Heldenepos. N och radikaler ist die Kürzung in Hs. n ,1’1 die die ganze Vorgeschichte des Untergangs der Burgonden - den Streit der Königinnen, den Mord an Sivrit, den Raub des Hortes - auf 23 Strophen kürzt, davon nur fünf den entscheidenden Vorgängen gewidmet. D ie Hand­ schrift setzt mit dem Königinnenstreit ein, unter vager Anspielung auf eine Initialformel der Heldenepik: [FJrauw Brünylt undfrauw Kremhylt da yusamen gesaßen. (n 1,1) Ohne lange Umwege, über Rede und Gegenrede, Beschuldigung und Beweis, Mobilisierung der höfischen Öffentlichkeit und Gericht steuert das Geschehen auf die Ermordung Sivrits durch seinen swager (n 10,2) zu;1’2 zwei Strophen (14 und 15) sind Kriemhilts Leid gewidmet, vier weitere Etzels Werbung und Vermählung mit Kriemhilt sowie der (anders begründeten) Einladung. Ohne die Diskussionen, ob man die Einladung annehmen solle, leiten vier wei­ tere Strophen zum Zug der Burgonden in den Untergang über (25. Aventiure). Sivrit, die Zentralgestalt des ersten Teils, gibt nur noch den Anstoß, ohne selbst eine Rolle zu spielen. Für das komplexe Bedingungsgefüge, in dem sich im Verhältnis zwischen Sivrit und dem Wormser H of nur langsam die Gewichte und Bewertungen verschieben, hat der Redaktor keinen Sinn. Übrigbleibt die furchtbare Geschichte vom Burgondenuntergang, für den wie in der ,Klage* die Ermordung Sivrits nur die unbestimmte Voraussetzung ist.

M9 1.0 1.1

1.2

lieh vor der Ankunft in Passau) schwer zu begründen. Die nachträgliche Glättung der Überleitung (auf Rasur) spricht eher dafür, daß eine Lücke in der Vorlage bemerkt wurde und korrigiert werden sollte. Z u den Lücken im Anfangsteil Batts, S. 105—12 1. Batts, S. 795. Ich danke Peter Göhler für die Überlassung seiner (vorläufigen) Transskription der Eingangsstro­ phen; vgl. seine Charakterisierung Göhler (1995), S. 7 3 - 7 7 ; einen Überblick über den Strophenbe­ stand gibt Vorderstemann (1976), S. 11 6 —119. Dabei wird vorausgesetzt, daß Sivrit Kriemhilt vor einem Drachen errettet hat (n 8,3f.): ein unthematisiertes Sagenwissen steht im Hintergrund.

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D ie Eingangsaventiure

Die Eingangsaventiure Neben solch bedeutsamer Auswahl scheinen Eingriffe der »vollständigen4 Hand­ schriften weit weniger aussagekräftig. Bei näherem Zusehen erweist sich das jedoch als Täuschung. Besondere Varianz kennzeichnet den Einsatz des Epos. Die erste Aventiure muß festlegen, in welcher Perspektive die Geschichte von Sivrits Tod und dem Nibelungenuntergang erscheint. Sie enthält drei Komponenten: die Pro­ grammstrophe Uns ist in alten maren, die Vorstellung des Wormser Hofes um Kriemhilt und Kriemhilts Traum. Jede dieser Komponenten ist in der Uberliefe­ rungsgeschichte anders behandelt. Die Programmstrophe, die das Erzählte in zeitliche Distanz rückt, findet sich in den Hss. ACDd, nicht jedoch in B .'” Danach setzt das Epos mit der Vorstellung einer höfisch-idealen Welt ein (Hss. ABCDJd). Als erste genannt wird eine Frau, erst dann folgen ihre königlichen Brüder und die Helden an ihrem Hof. Durch das höfische Idealbild wird die Fallhöhe des Geschehens markiert. In den einzelnen Handschriften ist der Rahmen freilich jedesmal etwas anders ausgezogen. In einem Teil der Überlieferung - ADJd - wird der ungewöhnliche Einsatz mit einer Heldin statt einem Helden (2,1) durch eine weitere Strophe unterstrichen (= Der minneclichen meide triuten wolge%am, 3,1). Nach der Nennung der Wormser Könige” 4 dann fehlen in zwei Handschriften (Jd) die Angaben zur Genealogie des Königshauses und zur höfischen Ämterhierarchie in Worms (7-12). Diese Handschriften begnügen sich mit der Nennung der Protagonisten (Jd) und dem Ort ihres Wirkens (d) und gehen dann gleich zum dritten Abschnitt, zu Kriemhilts Traum vom Falken, über. Beim Traum gehen die Handschriften, die die erste Aventiure überhaupt enthalten, wieder zusammen, nur vom anschließenden Gespräch mit der Mutter lassen J und d wieder zwei Strophen aus,1” in denen Uote Kriemhilts Entschluß, ohne minne bleiben zu wollen, tadelt und Kriemhilt widerspricht. Es sind diejenigen Strophen, die eine Reminiszenz an Veldekes ,Eneit‘ enthalten, die für den Fortgang der Handlung aber irrelevant sind.1,6 Getilgt ist also eine Allusion auf den höfischen Roman. Schließlich fehlt in j Str. 19, in der der Erzähler den Traum ausdeutet (ABCDd).1’7 »Historische4 Situierung des Geschehens, die Balance zwischen der Protagonistin und ihrer heroischen Umgebung, die Vorstellung des Wormser Herrschaftsverban­ des, der Traum und die literarischen Reminiszenzen, die das Gespräch über ihn weckt - die drei Komponenten des Prologs sind also immer wieder anders kom-

Diese Programmstrophe ist keineswegs eine redaktionelle Zutat nur in C oder der *C -G ruppe; sie findet sich in B eng verwandter Überlieferung ebenfalls. 1,4 Drei Strophen in A B C D d , nur zwei in J (6 fehlt); vgl. auch zur abweichenden Reihenfolge in D: Batts, S. 3. Nämlich 16 und 17; vgl. Batts, S. 7. 1.6 Vgl. das Mutter-Tochter-Gespräch aus Heinrichs von Veldeke ,Eneit‘ (Wolf, 1995, S. 2 7 1, 283 u. ö.). Auch bei Veldeke glaubt Lavinia, der Macht der Minne entgehen zu können, und auch hier wird sich das als Irrtum heraussteilen. 1.7 Eine andere Handschrift (b) setzt wegen Verlust von zwei Blättern erst mit dem (2.) Abentewr von Seyfrid dem Starebn ein (vgl. auch Bumke, 1996c, S. 184); defekt ist auch der Anfang von h.

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biniert und akzentuiert, und ein wenig ändert sich dadurch jedesmal der Blick auf das, was folgt. Erst danach setzt parallel die Geschichte Sivrits ein, wobei der Einleitungsstrophe dieser Aventiure die Hs. A eine zusätzliche Strophe des Helden­ preises hinzufügt (A 2 1).1,8 Im einzelnen kann die Formierung des Blicks auf das Epengeschehen in den verschiedenen Handschriften hier nicht untersucht werden, doch zeigt sich schon, wie die Arbeit am Eingangsportal des Epos auf ganz Unterschiedliches hinzufuhren scheint: in eine ferne Vorzeit (1), auf eine ungewöhnliche Protagonistin (2), einen ideal geordneten H o f (4ff.) oder das Schicksal eines bekannten Helden (ijff.). Sieht man von der Programmstrophe ab, dann findet sich immer eine Skizze des sozialen Kontextes und der unheilverkündende Traum, doch was davon erzählenswert ist, variiert, ob nun um entbehrlich Scheinendes verkürzt (die Vorstellung des Wormser Hofes? die Fortsetzung eines für die Handlung irrelevanten Dialogs?) oder um Erinnerungswürdiges erweitert (eine weitere Preisstrophe auf Sivrit?). So gewinnt das unübersichtliche Gefüge in den Fassungen, die die Handschriften überliefern, unterschiedliche Gestalt.

Sagenhorizonte Neben der Auswahl und Akzentuierung, der Konzentration auf wesentliche Hand­ lungsfolgen gibt es auch das Umgekehrte, den Anschluß an andere Geschichten. Die Geschichten um Sivrit und den Burgondenuntergang erweisen sich da freilich als weit weniger offen als die chansons de geste, und sie sind auch nur in einem Fall - der Bearbeitung k - integrierender Bestandteil eines Heldenbuchs geworden. Die Tendenz zu buchepischer Geschlossenheit stand dem Anschluß an andere Texte, bei aller Varianz im einzelnen, entgegen. Ansätze gibt es jedoch, anknüpfend an das Personal, das das ,Nibelungenlied4 mit anderen heroischen Epen teilt: die Amelungen. Einen Anschluß an die Amelungen-Sage sieht Curschmann im Buch Chreimhilden (D) aus dem 14. Jahrhundert.1,9 In b lädt die erste Konfrontation zwischen Dietrich und Kriemhilt zur wuchernden Ausgestaltung durch Zusatzstrophen ein (verkürzt, doch mit ähnlicher Ten­ denz in n), die den Empfang der Burgonden durch die Amelungen ausmalen.,6° Und auch der Zusatz am Ende von b (nach 2376), der Kriemhilts Hinrichtung durch Hildebrant lächerlich macht, verstärkt die Konfrontation. Den gleichen Ansatz zur Zyklenbildung*16061 zeigt Hs. a, die auf die dem Prünhilt-Abenteuer vorausgehenden Teile verzichtet und mittels

Batts, S. 8f.

1,9 Curschmann (1989), S. 393-395; zur Konkurrenz der Sagen S. 398f.; vgl. auch Wolf (1995), S. 315­ 342; 4o if.; 407f. 160 N ach Batts S. 795; vgl. Curschmann (1989), S. 406. 161 Curschmann (1989), S. 406h

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Sagenhori^onte

der Datierung in der Überschrift {Pein herdietrichs/%eittenn) den Zusammenhang mit der Dietrichsage herstellt. Im Ambraser Heldenbuch (d) ist es der Kontext - dem „Doppelepos .Nibelungenlied'/,Klage'“ geht das „Doppelepos“ .Buch von Bern'/,Rabenschlacht' voraus -, der den Nibelungenuntergang in die Perspektive eines „Dietrichlebens“ rückt.1 1 Erfolgreicher war ein sagengeschichtlicher Synkretismus, wo er sich vom .Nibe­ lungenlied' löste wie in der Verschmelzung der beiden Sagenkreise um Dietrich und um Kriemhilt im .Wormser Rosengarten': Aus dem komplexen Handlungsgefüge des .Nibelungenliedes', das in der Konfrontation und im Untergang zweier Reiche mündet, wird ein Turnierschema, das es erlaubt, Heldengruppen unterschiedlicher Sagenkreise gegenüberzustellen, die ansatzweise verschiedene Lebensformen reprä­ sentieren.l6) Hier wächst sich die latente Spannung in der Tat zu einer klaren „R i­ valität der Sagenkreise“ und zu einer „natürlichen Opposition“ aus,'64 während sich beide im .Nibelungenlied' noch konflikthaft ineinander verschlangen, ohne daß die eine oder die andere Seite bevorzugt war. Wo der .Rosengarten' die Verknüpfung der beiden Sagenkreise als blutiges, will­ kürlich von der argen Kriemhilt angezetteltes Spiel erzählt, da hat .Biterolf und Dietleib', ebenfalls aus der Konfrontation herausgesponnen, den militärischen Z u ­ sammenstoß zwischen den Helden Etzels und Dietrichs auf der einen, Gunthers und Sivrits auf der anderen Seite Schritt für Schritt in ein Turnier transformiert, bei dem es nur noch wenige, meist .unbedeutende' Tote gibt und alles in einem großen Fest sich auflöst: Zyklenbildung als Entschärfung eines tödlichen Gegensatzes und als Überführung ins bloße Spiel. Der .Biterolf' ist eine durchweg entproblematisierte Variante des Nibelungenkonfliktes; hier ist die sprichwörtliche hôchge^ît Kriemhilts endgültig bewältigt - aber eben auch zu literarischer Belanglosigkeit trivialisiert. Das ist weder eine notwendige noch eine einsinnige Konsequenz. E s kann auch keineswegs eine Abfolge .Nibelungenlied', .Wormser Rosengarten', .Biterolf und Dietleib' behauptet werden, vielmehr kreisen die drei Epen um eine verwandte Konstellation, die möglicherweise weit in die Oralität zurückreicht. Auch die Heldenbuchprosa verarbeitet ein diffuses und widersprüchliches, jedoch nach all­ gemeiner Ansicht sehr altes Material aus Nibelungen- und Amelungensage.l6’ Der*S .

1111 Curschmann (1989), S. 395. Allerdings bleiben das allenfalls Ansätze: Der chronologische Anschluß der vier Rückkehrschlachten in den Dietrichepen des .Am braser Heldenbuchs' an .Nibelungenlied' und .K lage' bleibt unausgeführt (vgl. S. 394). Erst recht ist der vorzeitige Abbruch der .K lage' in a (dô her Dietrich dan gerat, K l 4206) als Abschluß eines „Dietrichlebens“ wenig überzeugend. ,6’ S. 396-598; zum sagen- und kulturgeschichtlichen Hintergrund: Curschmann (1989), S. 398-404; bes. S. 401 f.; Heinzle (1978), S. 2 4 7 -25 4 . ’ 4 Curschmann (1989), S. 3 89C - Im .Nibelungenlied' ist Kriemhilt freilich m. E . noch nicht als „g e ­ fährlicher Eindringling“ aus Perspektive der Dietrichsage inszeniert (S. 388); die Rechtfertigung der .Klage' wäre sonst nicht möglich, zumal diese doch lt. Curschmann gleichfalls den Anschluß an die Amelungensage betreibt und aus deren Perspektive klagt (S. 390-394). ,6’ Curschmann (1989), S. 4o8f.

I OI

Um schriften der Sage

Transformation ins Gesellschaftsspiel entgegen läuft dort die Stilisierung der N i­ belungensage zur wilden und archaischen Vorzeit. Auch das Heldenbuch entwirft noch einmal die Konfrontation Dietrich - Kriemhilt. Vor allem aber erzählt es den Burgondenuntergang als endgültiges Ende des Heldenzeitalters, als Geschichte von einer gewaltsamen Welt, in der es überlebensgroße Heroen, Riesen und Zwerge gab. Die spätmittelalterlichen Adaptationen führen weit über die im N ibelungen­ lied4 aufgerufenen Konstellationen hinaus, trivialisieren sie oder stilisieren sie zur absolut fremden Vorwelt. Gegenüber diesen zerfasernden Alternativen stellt sich das Epos mit der ,K lage4, ungeachtet aller Varianz, als Entw urf von relativer G e­ schlossenheit dar.

102

II H

e r o isc h e s

E

r z ä h l e n

u n d

b u c h e p isc h e

K

o m p o sit io n

Unendliche Rede: ein Epos fängt an Das Epos bewahrt in der sog. Vulgatfassung eine Weise des Erzählens, die nicht mehr aus der Mündlichkeit abgeleitet werden kann und doch nicht in allem den Anforderungen an ein erzählendes Werk der Schriftkultur genügt. Diesen Z w i­ schenstatus scheint man zu Beginn des i j . Jahrhunderts gespürt zu haben, indem nicht nur immer wieder Bearbeitungsimpulse an einzelnen Stellen ansetzten, son­ dern die Geschichte, die das Epos erzählt, als etwas Außergewöhnliches angekün­ digt wurde: Uns ist in alten mœren Wunders vilgeseit.

(i,i)

Ausgerechnet diese Programmstrophe fehlt zwar in B, der Handschrift, die der Vulgatfassung zugrundeliegt, doch ist sie für die Perspektivierung des Erzählens im Rahmen von Schriftkultur signifikant. Vermutlich wurde sie nachträglich dem Epos vorangestellt.1 Während eine mündliche Erzählung mit der Stimme dessen, der erzählt, einfach einsetzen kann, muß in der Schrift der Ort dessen, was gesagt wird, eigens bestimmt werden. Angekündigt wird eine uralte Geschichte, wobei der Spre­ cher von einer Position aus zu sprechen scheint, auf der, sie zu erzählen, bereits nicht mehr selbstverständlich ist. Wo man alte maren identifiziert, gibt es auch andere, weniger alte. Der Erzähler optiert für die ersten. „,A lt‘ ist ein Adelstitel in der schriftlichen Überlieferung. Da die mündliche Überlieferung die Bedingungen solcher Lagerung nicht kennt, ist ihr auch das Alter als Wertbegriff fremd“ .* Die Programmstrophe setzt also Schriftlichkeit schon voraus, auch wenn sie einsetzt, als sei sie mündliche Rede in einer Gemeinschaft von Anwesenden, die Sprecher und Hörer umgreift {uns). Dieses uns spaltet sich im vierten Vers auf; der Sprecher bringt die Hörer auf Distanz: muget ir nu wunder baren sagen.5 Wer die Strophe dem Epos 1

1 ’

Sowohl der not- wie der /«/-Fassung; sie findet sich in Hs. A wie in C. Natürlich ist es auch denkbar, daß sie in B fortgelassen wurde. N icht nur ihres Binnenreims wegen wird die Strophe allgemein als verhältnismäßig jung angesehen; vgl. zu ihrer Bedeutung: Haubrichs (19 95), S. 44 -4 6 ; Curschmann (1992); Strohschneider (1996), S. 7-9 . Assmann (1992), S. 100. Curschmann (1992), S. 6}f. hat gezeigt, wie raffiniert der Erzähler das Aufrufen einer anonymen Erzähltradition zur Inszenierung seines - des Dichters - Auftritts benutzt: „ein Dichter metaphorisiert den Auftritt eines Sängers“ (S. 64).

m

Heroisches E rzäh len und huchepische Kom position

voranstellte, zeigt an, daß das ,Nibelungenlied4*das wir kollektiver Erinnerung hin­ ter sich läßt und nicht mehr selbstverständlich einen gemeinsamen Horizont von Erzähler und Publikum voraussetzt.4 Erzähler, Erzählgegenstand und Hörer rükken auseinander. Die Situation gemeinschaftlichen Erinnerns an das, was man un­ vordenklich weiß, wird „zerdehnt“ ’ zur Situation der Mitteilung einer fremdartigen Geschichte, die der Experte über einen Hiatus der Zeiten hinweg bekanntmacht. Was er ankündigt sind wunder ( 1 ,1 ; 1,4), also etwas, das die Hörer aus der Alltäg­ lichkeit des Hier und Jetzt hinausführt. Damit wird die Geschichte vom Burgondenuntergang historisch perspektiviert. Man hat als eine Eigenschaft oraler und semi-oraler Gesellschaften herausgearbei­ tet, daß sie kein historisches Bewußtsein im Sinne fixer zeitlicher Relationierungen ausbilden, die sich mit dem Wandern des Gegenwartspunktes ihrerseits verändern.6 Die Vergangenheit erscheint in derselben Gestalt wie die Gegenwart; was als erin­ nerungswürdige Vergangenheit gilt, verschiebt sich deshalb unmerklich mit dem Fortschreiten von Zeit. Doch gibt es dabei Abstufungen: Das Vergangene kann als mehr oder minder fremd und vom eigenen Standpunkt entfernt erfahren werden. Im Mittelalter bietet die Schrift Korrektiv und Gegenhalt gegen die kulturelle Überlieferung einer illiteraten Laienwelt, die sich ausschließlich an Identität und Stabilität der gegenwärtigen Gesellschaft orientiert und sich - langsam zwar, aber stetig - deren Bedürfnissen entsprechend umbildet. Auch die volkssprachliche Schriftlichkeit bleibt von den kulturellen Rahmenbedingungen einer überwiegend mündlich kommunizierenden Gesellschaft geprägt. Die Aneignung des Fremden in der Schrift verläuft deshalb anfangs in ähnlichen Bahnen wie unter den Bedingun­ gen der Oralität.7 Die schriftliche Überlieferung kann primär einzelnes Vergange­ nes sichern, nicht unbedingt schon eine Vorstellung von Vergangenheit insgesamt ausbilden und das Vergangene insofern überschreiten. Eine semi-orale Kultur ist nicht mehr einfach ,vergangenheitslos4,8 aber das Verhältnis zur Vergangenheit ist in der Regel nicht prozessual artikuliert. Oft bleibt es beim Bewußtsein eines A b ­ standes, der Fremdheit, des wunder. Und eben dies deutet die Programmstrophe an.9 Sie besagt, daß, was das Lied zu erzählen hat, von alters her erzählt wird. Erzählen ist hier sagen, mündliche Rede,

4 ’

6 7 1 9

Z u r grundsätzlichen Bedeutung der Personalpronomina für das .kulturelle Gedächtnis“: Assmann (1992), S. 16. Ehlich (1989), S. 91. Eine „Zerdehnung“ der Kommunikationssituation liegt schon in mündlichen Texten vor, sobald sie sich vom Gegenwartsbezug mündlicher Kommunikation lösen. In der schrift­ sprachlichen Situation ist der Abstand noch einmal erweitert. Schaefer (1992), S. 18, unter Berufüng auf Vollrath (19 81) und Clanchy (1970); Bäuml (1980), S. 249; Rosier (1980), S. 291; vgl. aber die Differenzierungen bei Assmann (1992). Rosier (1980) hat an der frühen griechischen Dichtung gezeigt, daß die Voraussetzungen einer oralen Kultur und ihre Erwartungen gegenüber Dichtung weit in die Schriftkultur hineinragen. Bäuml (1980), S. 249. Haug (1974/1989), S. 298 spricht von „Verfremdung [...] zum Unerhört-Unbegreiflichen“ .

104

Unendliche Rede: ein E p o s fä n g t an

die sich seit je an ,uns‘ richtet. Der Erzähler markiert keinen wirklichen Neubeginn, sondern behauptet, nur fortzusetzen, was schon lange vor ihm gesagt wurde. Die Strophe macht explizit, was zu den Bedingungen von Heldenepik gehört: daß sie wiedererinnert (oder wiederzuerinnern vorgibt), was man seit langem weiß. Darin schließt sich die Schrift der schriftlosen mémoire collective an. Indem es diesen A n­ schluß aber explizit macht, steht das Epos schon außerhalb der Tradition, die es fortzusetzen vorgibt. Der Erzähler führt nicht einfach fort, sondern er sagt, daß er fortfuhren werde. E r zitiert den Typus von Erzählung, den er vortragen will, beruft sich auf mündliche Rede im Gestus des Erinnerns, doch er tut beides schon in der Schrift: ein Riß, der das Buchepos von der alten heroischen Überlieferung trennt. Die Schrift setzt ihren Anfang, indem sie auf etwas verweist, das sie nicht ist. Sage wird seit je gesprochen, und deshalb ist ihr Beginn absolut: Das mare kann an irgendeinem Punkt einer unendlichen Rede einsetzen, ohne sich um das Vorher zu kümmern, denn alles, was ihr Gegenstand sein kann, ist letztlich zeitlos neben­ einander präsent. Heldenepisches Erzählen ist Fortsetzung, doch ohne daß, was fortgesetzt wird, selbst Thema werden müßte; umstandslos knüpft es an früher Gesagtes an, indem es aus dem Sagengedächtnis herausgreift, was für dieses Mal präsent gemacht werden soll. Schon das ,Hildebrantslied‘ vertritt diesen Typus: Ik gihorta dat seggen, dat sich urhettun cenon muotin [...] untar heriun tuem. (Hi i-}) Scheinbar voraussetzungslos treffen sich zwei Krieger, und erst nach und nach wird deutlich, wie viel diesem Treffen vorausging und in diesem Treffen nachwirkt. Im ,Nibelungenlied4 sind einige der Initialformeln bewahrt, die solch vorausset­ zungslosen Beginn aussprechen, der sich aus unendlicher Rede herauslöst, und die sich deshalb auch anderwärts immer wieder finden.10 In Str. z, der Eingangsstrophe der Handschrift B, tritt die erste auf: E% wuohs in Burgonden ein vil edel magedin.

(2,1)

Parallel setzt die zweite Aventiure ein: Do wuohs in Niderlanden eins edelen küneges kint.

(20,1)

Markiert ist ein Ort, den man kennt oder kennen kann, und ein Ausgangspunkt der Bewegung, die nacherzählt werden soll. Irgendwann setzt das Geschehen ein. Die E%-wuohs-Fotmc\ erinnert daran, daß dem Berichteten weitere Geschehnisse voraus­ gehen, die doch nicht - oder mindestens nicht hier - erinnerungswürdig sind. Im Unterschied zur medias-in-res-Technik, die durch die Poetik des antiken Epos ka­ nonisiert wurde, orientiert sich die Formel an der natürlichen Chronologie. Die medias-in-res-Technik setzt schon Schriftlichkeit voraus, die Möglichkeit des Buch-

,0 Zu typischen Initialformeln Masser (1981), S. izjf. 105

Heroisches E rzäh len und buchepische Komposition

epos zu weiträumiger, sich vom chronologischen Verlauf lösender Disposition. Der formelhafte Einsatz dagegen dissimuliert Schriftlichkeit, sucht Mimikry an münd­ liches Erzählen. Die Formel ist verbreitet: Zu Beginn des ,Ortnit‘ heißt es in der dritten Strophe: wuohs in Lamporten ein gewalteger künic rieh.

(Ot 3,1)"

Die .Virginal* setzt ein: Da^ ich iu sage, da%ist war. e% wuohs ein beiden %welefjdr %e schaden manegem manne. (Vi 1—3) Mit dem Heranwachsen des Helden (oder seines Gegners) ist der Punkt erreicht, an dem der Erzähler anheben kann. Mit der wuohs-¥ormt\ konkurriert die was-gesesgen-Votmcl. Sie nimmt nicht den Abschluß einer (selbst narrativ nicht entfalteten) Bewegung, sondern eine quasi statische Situation zum Ausgangspunkt des Erzählens: U f Kunstenobel %e Kriechen ein gewaltiger künic sa^.

(Wo A 1)

E% was %e Berne gesehen ein degen so vermengen. (La if.) Diese Formel findet sich auch außerhalb der Heldenepik i.e.S. in verwandten Tex­ ten: Bi deme westeren mere sa% ein kuninc, der hei% Rother.

(Rt if.)

ein konig hie bevorn sa% %u Kornevali%der hi%Marke, der orlögete starke. (Trt 54-5 6)*12 Beide Formeln können auch miteinander kombiniert werden wie im ,Orendel‘ ; dort wird nach einem Prolog - Prologe zeigen wieder buchepischen Charakter an — zunächst der Ausgangspunkt des Geschehens, Trier, genannt: dar inne was gesehen ein here wol vermessen, konic Ougel was er geheimen.

(Or 161-163)

Und erst nach Schilderung der idealen Herrschaft Ougels wird in einem zweiten Schritt unter Einsatz der wuohs-Votme\, der eigentliche Held, Ougels Sohn Orendel, eingeführt: "

In diesem Fall gehen - den buchepischen Charakter betonend - zwei Strophen voraus, die das Erzählte im Kontext der Schrifttradition situieren wollen. Wie im .Nibelungenlied“ markiert die Formel nicht den ersten Beginn. 12 A ls epische Einleitungsformel bietet sie sich auch in anderen Texttypen an; vgl. z.B. W vO: A in her in Francriche sa% (133).

Unendliche Rede: ein E p o s fä n gt an

in %ocb der kunic, da% ist war, volleclichen uf drunebenjar. (Or i7Öf.) Mit der E^-wuohs- oder der was-gese^en-¥oimt\ können immer neue Handlungs­ folgen aus der heldenepischen Welt herausgesponnen werden. Die was-gese^enFormel nimmt die feste Fügung legitimer Herrschaft als Ausgangspunkt, die wuohs-Formel bezeichnet den Eintritt des Helden oder seines Gegners in den Raum heroischen Handelns. Der Punkt, an dem angeknüpft wird, kann selbst im Dunkeln bleiben. Heldenepik kann immer neue Verbindungen in der heroischen Welt her­ stellen und immer neue Punkte als Ausgang neuer Begebenheiten wählen.'* Im Zuge der Verschriftlichung scheint solch unvermittelter Einsatz als unange­ messen empfunden worden zu sein. So sind Programmstrophen oder Strophen mit Quellenangaben zu erklären oder ausdrückliche Abweichungen vom Schema. Oder der Erzähler will nicht, was seiner Erzählung vorausliegt, in einem nebelhaften Nirgendwo belassen. Der voraussetzungslose Einsatz muß begründet werden. Im ,Biterolf‘ legt der Erzähler, bevor er zu seinem Helden kommt und seinen Namen nennt,*14*umständlich dar, warum er nicht auch die Vorgeschichte - vom Geschlecht seines Helden —erzählt: Von sinen alten mdgen darf mich nieman fragen [...] der dise rede tihte, der liez uns unberihte [...] hate er iht da von geschriben, daz HcZf w*r *uch «nverdeit: uns hat des nieman niht geseit.

(Bit ic>f.; 2}f.; 26-28)

Hier hat sich ein neuer Erzähltypus des heldenepischen Personals bemächtigt. Heldenepik wird als schriftliche Historie gedacht, und Historie verlangt vom mit­ telalterlichen Chronisten genauere Fixierung in der Zeit und in der Folge der G e­ nerationen. Der Erzähler beklagt seine unzureichenden Quellen (Quellen dabei als schriftliche - geschriben - verstanden).'’ Indem er sagt, was er nicht weiß, was man aber von ihm erwartet, grenzt er sich von einem Erzähltypus ab, der den Beginn voraussetzungslos und absolut setzt. Auch im »Nibelungenlied4 ist der formelhafte Einsatz, der nach keinem Vorher fragt, sondern sich damit begnügt, daß jemand irgendwo herrscht oder heran­ wächst, mit der Reflexion solchen Erzählens und dem Versuch, den voraussetzungs­ losen Beginn historisch-genealogisch einzubinden, kombiniert. Der Erzähler liefert M Die Verzweigungen der französischen Heldenepik zu immer neuen .branches* hat Adler (19 75) vorgefiihrt. 14 Von dem man hie gesprochen hät, des wil ich niht haben rät ich enkünde iu sinen namen. (Bit 29—31) M Metaphorisch auch rede, tihte.

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Heroisches E rzäh len und buchepische Komposition

gleich zu Beginn nach, was der des ,Biterolf“ schmerzlich vermißt hatte: das G e­ schlecht, die Verwandtschaft, die Gefolgschaft derer, von denen er erzählen will (Str. 3 - 12 ) .1617Dabei geht er differenziert vor. Am ausführlichsten werden Dynastie und Herrschaftsverband, dem Kriemhilt angehört, vorgestellt; knapper schon wird der Hörer über Sivrits Herkunft informiert; von Etzel (bei dem die Formel fehlt) erfahrt man wenigstens den Namen des Vaters und des Bruders. Dagegen gibt es keine genealogisch-historische Einführung bei den Nibelungenkönigen, von denen man nur hört, daß sie küneges kint sind (87,3), und vollends nicht in der Geschichte Prünhilts, die traditionell voraussetzungslos einsetzt: E% was ein küneginne gesehen über sê (326,1). Immerhin ist der schroffe Einsatz durch eine weitere Überleitungs­ strophe (325) - also im Sinne schriftsprachlicher Kohärenzbildung - gemildert. Das Maß historisch-dynastischer Verankerung (Errungenschaft einer Schriftkultur, die sich der Vergangenheit zu bemächtigen beginnt) nimmt ab, wenn man sich aus der ,gewöhnlichen“ Welt auf die fremden Schauplätze der Sage begibt.

Buchepos und Initialformel: die unterdrückte Bewegung'7 Die beiden typischen Formeln des Epeneinsatzes, die eher .dynamische“ (E% wuohs) und die eher .statische“ {E% was gesehen), leiten den Übergang von (relativer) Ruhe in (heroische) Bewegung ein. Diesen Übergang vollzieht das .Nibelungenlied“ gleich mehrfach, zweimal allein in der Eingangsaventiure. Die Bewegung, die mit der Initialformel {E% wuohs) einzusetzen schien, erstarrt sogleich im Bild des Wormser Hofes (3 -12 ), das die êren der Protagonisten ausführlich verzeichnet. Da­ nach setzt der Erzähler ein zweites Mal an, diesmal scheinbar, um eine Geschichte zu erzählen: ln disen höhen êren troumte Kriemhilde [ ...] .

(13,1)

Der Einsatz der Erzählung von Kriemhilts Traum thematisiert erneut die Span­ nung von Zustand {êren) und Ereignis {troumte). Doch was ist das für ein Ereignis? Der Traum bringt noch nicht die erwartete Handlung, sondern weist nur auf eine erst noch zu erzählende Handlung voraus und verdichtet sie wieder zum Bild. Das Bild muß ausgelegt werden, und die Auslegung der Mutter nimmt vorweg, was erzählt werden soll.

16 Z u den Auswahlmöglichkeiten aus dem Repertoire der Prologstrophen, das die Hss. verschieden nutzen S. 99F 17 Ich knüpfe an Beobachtungen von Haug (1974/1989), bes. S. 299-30 3 an, der an den markanten Wendepunkten das Erschlaffen der Bewegung als (vergebliche) höfische Däm pfung heroischer Fa­ talität darstellte. Der Erzähltypus (vgl. auch Rupp, 1979, S. 250) geht freilich nicht in dieser Funktion auf.

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Buchepos und Initialform el

Unheilverkündende, trotzig oder leichtsinnig beiseite geschobene Träume sind typische Elemente heroischen Erzählens. Auffällig ist hier die Placierung, da der Traum vom Nexus der folgenden Begebenheiten geschieden bleibt, zeitlich bezie­ hungslos neben (oder auch: irgendwann vor) ihnen steht und keine Wirkung her­ vorruft (etwa, wie üblich, einen Versuch, die Gefahr zu vermeiden, um ihr desto sicherer zu erliegen).’8 Der Traum scheint von den Akteuren später schlicht ver­ gessen zu werden. Der Einsatz der Erzählung täuscht also; nichts wird in Gang gesetzt. Was erzählt wird, ist nur dem ersten Anschein nach ein Ereignis, in Wirk­ lichkeit aber enthält der Traum eine Metapher, dank deren Auslegung der Hörer vorweg überblickt, was ihm erst noch erzählt werden soll. Die Bewegung erstarrt zum zweiten Mal zum Tableau, statt wie beim ersten Mal zum Tableau der êren diesmal zu einem des Unheils. Schon weniger ausgeprägt ist die Spannung zwischen Ruhe und Bewegung in der zweiten Aventiure. Auch dort wird die Unvermitteltheit des Beginns, die die wuohs-Formel anzeigt, in der Skizzierung des ständischen und lokalen (.histori­ schen*) Kontextes in Xanten aufgefangen; auch dort wird das Bild eines idealen Hofes in .durativer* Rede entfaltet, anhand wiederholter, zeitlich nicht näher arti­ kulierter Geschehnisse: In sinen besten saften, bi sfnenjungen tagen (22,1), vilselten (25,1) oder in den ohne Zeitadverbien beschriebenen Zuständen. Auch dort beendet, mit dreifachem Anlauf eingeführt, nur scheinbar ein Ereignis die Schilderung dauer­ hafter höfischer Harmonie {E r was nu so gewahsen da% [ • • • ] ,19 24,1; N u was er in der Sterke da% [ . . . ] , 26,1; Do hie^ sin vater Sigmunt künden [■ ■ ■ ], 27,1). Denn dieses Ereignis - die Schwertleite - ruft wieder nur ein weiteres Bild höfischer Idealität herauf. Das Epos hat Mühe, in Gang zu kommen. Erst in der dritten Aventiure wird das anders {er hörte sagen mare, 44,2; Dô gedâht ûf hohe minne, 47,1; dô sprach, 48,4). Das Motiv der Fernliebe leitet zum Schema der gefährlichen Brautwerbung über, das heroische Aktion verspricht. Aber noch be­ vor Sivrit Gelegenheit zu seiner ersten Bewährung erhält, wird die Bewegung un­ terbrochen, um Hagen Gelegenheit für seinen Rückblick auf frühere Taten Sivrits zu geben. Der Hörer erfährt, daß die eben eingeleitete Initialaventiure, die Wer­ bung um Kriemhilt, gar keine Initialaventiure ist. Sivrit ist in heroischer memoria schon Held, bevor er überhaupt auf der Vorderbühne agieren darf. Und dann ist auch sein lange herausgezögerter kriegerischer Auftritt in Worms sogleich wieder zu Ende: statt die gewaltsame Konfrontation auszufechten, leitet Gunther Bewegung und Provokation wieder in einen Zustand höfischer Harmonie, in die der Herausforderer sich dauerhaft einordnet:*19

11 Angedeutet wird eine Konsequenz aus dem Traum allenfalls in 46,3: da\ si deheinen wolde %e eime träte hän, doch in Bezug auf Sivrit spielt das Gelöbnis, das der Traum hervorruft, keine Rolle. 19 Die von der wuohs-Votme\ ausgehende Bewegung ist ans Ziel gelangt.

Heroisches E rzäh len und huchepische Komposition

Sus wont' er bi den herren, da% ist alwär, in Guntheres lande volleclich einjär. (ij8,if.) Die Strophen 3 - 12 unterliefen die absolute Setzung des heldenepischen Beginns, indem sie ihn in ein dem Typus nach wohlbekanntes Umfeld stellten. Und wo die Programmstrophe ganz unbestimmt Geschehnisse nannte, die sich immer wieder­ holen und unabsehbar fortsetzen können —fröuden, hôchge^îten, weinen, klagen, küener recken striten - , hob der Erzähler mit Beschreibungen einer nahezu bewegungslosen Idealität an, die dreimal, doch immer nur kurz, gestört wurde: durch den Traum, Sivrits Entschluß zur Brautwerbung und seine Herausforderung Gunthers. Die Werbung kommt weder zum Ziel, noch wird sie abgewiesen. Ein neuer Schwebe­ zustand tritt ein. Zwei gleichermaßen ideal geschichtslose Welten in Worms und Xanten scheinen miteinander verschmolzen zu werden. Die Eingangsformeln weisen in falsche Richtung. Mit ihrer Hilfe wird ein Span­ nungsfeld von Ruhe und Bewegung umrissen, aus dem die programmatisch ange­ kündigten heroischen Handlungen zunächst ausgeschlossen sind. Statt die G e­ schichte in Gang zu bringen, wird mit Hilfe der Formeln eine Szenerie befriedeter Ruhe aufgebaut, in der sich die Geschichte nur zögernd, aber trotz allem zuletzt eben doch, durchsetzen wird.101 Integriert werden die selbständigen Teile durch die Parallelisierung der Eingangsformeln, wodurch isolierte Handlungen und Hand­ lungsfelder miteinander verbunden werden. Zuerst wird die Heldin vorgestellt, dann der Held, dann in der 6. Aventiure beider Gegenspielerin Prünhilt. Die For­ meln weisen nicht über den Text hinaus auf eine übergreifende heroische Überlie­ ferung, aus der nur eine unter vielen möglichen Erzählungen eines unendlich sich fortsetzenden Geschehens abgerufen wird, sondern sie beziehen sich aufeinander und strukturieren ein intratextuelles Geflecht. Parallelität bedeutet Komplementa­ rität. Die Figuren werden als zusammengehörig gekennzeichnet. Mit Mitteln tra­ ditioneller Epik entsteht somit ein schriftsprachlicher Verweisungszusammenhang. Bis zum Auftreten Prünhilts sind schon eine Reihe von Vorfällen erzählt worden, die aber ausnahmslos zur Stabilisierung des eingangs entfalteten Gleichgewichts führen. Mit N u nähten vremdiu mare (139 ,1) hatte das Geschehen zu Beginn der 4. Aventiure neu eingesetzt mit dem siegreichen K am pf gegen Feinde von außen, nur um am Ende der 5. Aventiure erneut in einem großen Fest zur Ruhe zu kommen. Das Ergebnis ist wieder Stillstand; der Heros bleibt weiter tatenlos am H o f (324,1). Erst die 6. Aventiure leitet den Umschwung ein. Jetzt setzt die Handlung ein fünftes Mal ganz neu ein, und zwar diesmal auffäl­ ligerweise doppelt markiert: Iteniuwe mare [ ...] (325,i) 11 und - mit der alternativen

10 Haug (1974/1989), S. 302. 11 Thelen (1984), S. 146 bc2icht iteniuwe auf den Erzähler, der so seine Geschichte als neu ankündige („the originality, the »newness* o f the story which is to follow“ ). Nach dem Wortlaut ist Adressat des Neuen jedoch der burgondische Hof.

110

Buchepos und Initialform el

Initialformel - E% was ein kiineginne gesehen über sê (326,1). Mit Gunthers Entschluß (Do sprach der vogt von Riney 329,1) beginnt das verhängnisvolle Unternehmen der Fahrt nach Isenstein. Die Alternative von Ruhe und Bewegung, die sich in der wuohs- und in der was-gese^en-Formel ausprägte, macht sich der Erzähler dabei auf eine paradoxe Weise zunutze: Die ,dynamische4 wuohs-Formel mündete in die Schilderung eines Zustandes: der wohlgefestigten Herrschaft in Worms und der höfischen Welt Xantens. Die .statische* was-gese^en-Formel eröffnet die PrünhiltHandlung, die die festgefügten Ordnungen von Worms und Xanten zum Einsturz bringen wird. Sieht man sich die Handlungen bis zu diesem Punkt an, dann fällt ihre lockere Verknüpfung auf: ,syntagmatisch* sind sie nur schwach integriert. Der Rhythmus von Ruhe und Bewegung scheint genau kalkuliert zu sein. Dabei stehen die Bilder höfischer Harmonie von Anfang an vor der Folie düsterer Vorausdeutungen auf das, was eigentlich erzählt werden soll und allein schon durch die Nennung der Namen - wie undeudich auch immer - als Sagenerinnerung aufgerufen ist. Wo immer aber eine böse Wendung drohen könnte, wird die Bewegung aufgefangen. Die Drohung des Traums scheint mit Kriemhilts Entschluß, auf mime zu verzich­ ten, gebannt. Von Sivrits gefährlichen Abenteuern erfährt man erst, wenn sie längst bewältigt sind. Seine Herausforderung burgondischer Macht mündet in einer fried­ lichen Einladung, der Sachsenkrieg in einem glänzenden Siegesfest. Weinen unde klagen werden vordergründig immerzu abgebogen und stehen als Drohung doch unablässig im Hintergrund. So sind von Anfang an die Adaptation der alten E r­ zähltradition und ihre Überschreitung ineinander verschränkt. Mit der Fahrt zu Prünhilt kündigt sich zum zweiten Mal das heroische Muster gefährlicher Brautwerbung an. Über nahezu sechs Aventiuren (6 -11) erstreckt sich die Prünhilt-Handlung, die erste wirkliche Herausforderung, die auf der Vorder­ bühne abrollt. Auch sie mündet wieder in ein Fest, das die neu erreichte Harmonie darstellen soll, tatsächlich allerdings den Keim der Spaltung in sich trägt. Die Störung kommt diesmal nicht von außen, sondern von innen, und sie betrifft das Fest selbst, das zu scheitern droht.“ Wieder werden die Turbulenzen beruhigt. Die Befriedung scheint gründlich zu glücken: des wart diu vreudeguot (685,2). Eine zehn­ jährige, in neun Strophen (715-723) ausgebreitete Phase friedlich-unheroischer Herrschaft schließt sich an. Die potentiellen Kontrahenten werden räumlich weit voneinander entfernt. Aus der Eröffnungsformel der Handlung {In disen höhen êren troumte Kriemhilde, 13 ,1) scheint eine Schlußformel geworden zu sein: In disen grölen êren lebet'er [Sivrit] (715,1) und: E r het den wünsch der êren (723,1). Die beiden Höfe repräsentieren aber nicht mehr wie zu Beginn bloß nebeneinander höfische Idealität, sondern sie sind1 11 Czerwinski (1979), S. 72-74 und 78h hat das „Mißlingen der Feste“ als Schlüssel zum Epos heraus­ gearbeitet. 111

Heroisches E rzäh len und huchepische Kom position

durch eine gemeinsame Geschichte mit unaufgeklärten Zweideutigkeiten aneinan­ der gebunden. Das motiviert einen weiteren Anlauf, die Handlung wieder in Gang zu bringen (TV«), jetzt durch Prünhilt: Nugedaht’ ouch alle vtfte da% Guntheres wîp (724,1). Was da in G ang kommt, wird zunächst wieder iterativ (alle %fte) benannt, doch mündet der andauernde Zweifel in ein Ereignis, in die Einladung zum Fest. Damit wird die diesmal schon sieben Aventiuren umfassende, in sich wieder gestufte - Intrige um Sivrits Tod eingeleitet. Die Bewegung beschleunigt sich kurzfristig. Jetzt gibt es nur noch wenige Aufenthalte, den feierlichen Empfang oder die friedlichen Szenen vor Ausbruch des Streits der Königinnen (800-813). Nach der offenen K o n ­ frontation zwischen Kriemhilt und der burgondischen Macht und dem Scheitern einer rechtlichen Klärung ist die Bewegung nur scheinbar stillgestellt. Die Wen­ dung Do liefen si% bettben (871,1) ist trügerisch. Sie drückt einen Schwebezustand aus, in dem nur noch die Gäste das höfische Vergnügen genießen, während in allen seiten die Mordintrige vorangetrieben wird (870,2). Eine kurze Phase hektischer Aktivität, dann wieder Stillstand. Sivrits Tod setzt schärfer als alles zuvor eine Zäsur, diesmal einen Zustand der Lähmung, nicht des Gleichgewichts. Kriemhilt verhindert den Vollzug der Rache, Sigemunt verschwin­ det aus dem Epos, und von Sivrits Sohn ist fortan nie mehr die Rede. Nach dem Tod des Heros gibt es in Xanten nichts mehr, das sich zu erzählen lohnte. Von nun an schweigt der Erzähler davon. In Worms aber tritt Stillstand ein: Prünhilt diu schcene mit übermüete sa%.

(1100,1)

Die Initialformel (1vas gesehen), auf die der Vers anspielt, scheint in ihrem Sinn verkehrt, denn sie markiert nicht mehr den Ausgangspunkt einer Handlung, son­ dern deren scheinbar unwiderrufliches Ende, von Prünhilt aus gesehen den (fol­ genlosen) Sieg - keine Rede davon, daß sie bekommt, was sie wollte - , aus der Sicht Kriemhilts die völlige Erstarrung. Tatsächlich geht aber von diesem Punkt illegitimen Triumphs ein neuer Impuls aus, von dem Prünhilt allerdings nicht mehr betroffen sein wird. Die Formel bezeichnet den Stillstand des Endes und den Still­ stand, aus dem neue tödliche Kämpfe erwachsen werden. Prünhilt in ihrer übermüete und Kriemhilt, die man fa llen selten [ ...] klagen hört (1099,2), bleiben aus der Sivrit-Geschichte übrig. Der Antagonismus versteinert, Sieger und Besiegte stehen fest. Stillstand wird durch ,sitzen* ausgedrückt: dâ si mit ir gesinde sît âne vreude sa% (1102,3), heißt es von Kriemhilt. Die Situation des A n ­ fangs ist verkehrt - Prünhilt nicht mehr in ferner Isolation, Kriemhilt nicht mehr Mittelpunkt einer mächtigen Königssippe und ihres Gefolges. Die Initialformel als Schlußformel, statt Anstoß die schiere Negation von Geschehen: Sus sa:£ si nach ir leide, da%ist alwär, nach ir mannes tôde wol vierdehalbe^jâr. 1 12

(1106,if.)

Buchepos und Initialjorm el

Dem Zustand der Erstarrung sind - wie vorher demjenigen ereignislosen Glücks mehrere Strophen (1099-1106) gewidmet. Dann beendet Hagen den Stillstand irgendwann“: sprach der heit von Tronege (110 7 ,1). Das ist dieselbe Wendung, mit der das Isenstein-Abenteuer auf den Weg gebracht wurde (Do sprach der vogt von Rêne, 329,1). Scheinbar soll die Ausgangslage der Harmonie im Herrschaftsverband restituiert werden, doch tatsächlich gibt es einen neuen Konflikt, jetzt um das Nibelungengold, das von Sivrits Macht geblie­ ben ist. Einige Strophen erzählen von Verhandlungen hin und her; die kurze Phase der Bewegung mündet in neue Gewalttat: D ar nach vil unlange ( 1 1 1 6 ,1 ) wird der Hort nach Worms gebracht; der Raub mit unklarer Beteiligung, Gerichtsverfahren und erneut Stillstand: Nach Sifrides töde [ ...] si ivonte in wattigem sêre driu^ehen jä r (ii4 2 ,if.): Dauer nicht als Ausgangspunkt von Aktion, sondern wieder als Läh­ mung, scheinbar für immer. In C 116 2 /116 3 revoziert überdies ein zweites Mutter­ Tochter-Gespräch (um Kriemhilts Rückzug nach Lorsch) die Eingangsszene des Epos; doch statt um dauerhaften Verzicht Kriemhilts auf einen Mann geht es dies­ mal um die dauerhafte Nähe zu seinem Grab. Der Kreis scheint sich geschlossen zu haben. Nach dem Ende dieser 19. Aventiure, in der Mitte des Epos, liegt die tiefste Zäsur: Kriemhilt scheint der Möglichkeiten zur Rache endgültig beraubt. Sie er­ starrt zur Ikone des Schmerzes: done gestuont ir klage des libes nimmer mère unç an ir jungesten tage.

( 1 141,3 F.)

Wo iteniuwe mare (325,1) zu ,unerhörtem* Abenteuer gereizt hatten, sind itemuwe leit ( 1 14 1,1) Umschreibung eines in endlosen Wiederholungen kreisenden Zustandes des Verlustes. Der vom Beginn ausgehende Bewegungsimpuls scheint endgültig erschöpft. Der Einsatz der 20. Aventiure ist das Gelenk zwischen zwei ursprünglich ge­ trennten Sagenkreisen. E r bildet die Mittelachse des Epos, die seine beiden annä­ hernd gleich langen Teile (1 —19; 20—39) scheidet. Im ersten Teil lassen sich vier Abschnitte unterscheiden: problemlose, kaum vorübergehend gefährdete Idealität (1-5 ), der siegreiche, doch auf Betrug beruhende K am pf um Prünhilt (6-10), die gegenläufigen Versuche von Aufklärung und Befriedung ( 1 1 - 1 4 ) , schließlich der Mord an Sivrit und die Demütigung Kriemhilts (15 -19 ). Der Übergang zur folgenden Handlungssequenz leitet sich nicht aus dem Vor­ ausgehenden ab und benutzt keine Variante einer der Initialformeln. Der neue Anstoß muß von außen kommen. Der Erzähler wählt die blässeste Formel epischer Überleitung, die keinerlei Zusammenhang, gar Kausalität behauptet, sondern nichts als Gleichzeitigkeit aussagt: Da% was in einen stften dö vrou Helebe erstarp.

(1143,1)

Heroisches E rzäh len und buchepische Kom position

Dadurch daß Etzel um Kriemhilt wirbt, erhält Kriemhilts Geschichte eine Chance, fortgesetzt zu werden. Von jetzt ab geht es immer rascher über wenige Ruhezeiten hinweg auf den Untergang zu: (i) Kriemhilts Restitution als Königin, (2) eine neuerliche verräterische Einladung, (3) Aufbruch und Z u g der Burgonden - dies­ mal nicht nur einzelner recken - in ein gefährliches Abenteuer und (4) die Vernich­ tung nahezu der ganzen zuvor aufgebauten Welt. Der Gesamtverlauf wiederholt den des ersten Teils, während die einzelnen Teile spiegelbildlich zueinander ange­ ordnet sind: Der Harmonie des Beginns antwortet die Vernichtung am Schluß; dem Abenteuer um Prünhilt und seinem ambivalenten Verlauf der Z u g zu Etzel mit seinen widersprüchlichen Signalen; der verräterischen Einladung Prünhilts dieje­ nige Kriemhilts und - in der Mitte des Epos - Kriemhilts äußerster Demütigung ihre glänzende Erhöhung zur Hiunenkönigin. Die Abschnitte sind ungleich lang und unterschiedlich bewegt. Helches Tod und Etzels Werbung (20.-22. Aventiure) kommen in den sechs Strophen 1385—1390 zum Z iel,15 die Kriemhilt wieder auf der Höhe von êren zeigen, in genauer Umkeh­ rung der Situation nach dem Hortraub: Mit vil großen êren, da^ ist alwär, wonten si14 mit ein ander un% an da% sibendejär.

( 1 387,1F.)

Der Idealzustand ist jetzt aber nicht Ziel, sondern bloß neuer Ausgangspunkt für eine diesmal radikale Zerstörung. Mit der 23. Aventiure setzt, markiert durch das Zeitadverb N u (N u het si m l erkunnen, 13 9 1,1), die Bewegung neu ein, jetzt als Intrige Kriemhilts. Dieser Abschnitt (23-24. Aventiure) ist durch widersprüchliche Signale gekennzeichnet: freundliche Einladung und heimtückische Falle, Vorberei­ tungen auf eine hochge^tt und auf einen Waffengang. Das setzt sich auf dem Weg zu Etzel und den ersten Szenen am H o f fort (25.-31. Aventiure): blutige Kämpfe und freundliche Empfänge, die mehrdeutige Begrüßung durch Kriemhilt, Etzel und die Helden an Etzels Hof, das Fest zwischen Verwandten und die allzeit drohende Gewalt. Das Resultat ist zunächst unentschieden, doch konfliktträchtig. Dann wird die Unentschiedenheit beendet. Die letzten Aventiuren (32.-39.) erzählen, wie einer nach dem anderen in den Strudel des Verderbens gezogen wird und fast alle sterben müssen. Der Erzähler scheint zu zögern, die heroische Handlung überhaupt in Gang zu setzen. Die Trübungen sind anfangs scheinbar unbedeutend und rasch bewältigt. Doch steigern sich die Störungen von Mal zu Mal. Immer länger werden die das Gleichgewicht gefährdenden Partien, immer prekärer die Friedenszustände, die sie beenden. Alle Beruhigungsversuche verfangen nicht. Der Konflikt wird vertuscht, totgeschwiegen, durch ein Machtwort unterdrückt, doch nur damit er umso ver-*24

** Zwischen 1386 und 1387 die Aventiurengrenze. 24 Eine Variante der .»^«»-Form el; vgl. 114 2,2.

U

Buchepos und Initialform el

hängnisvoller ausbricht. Blöcken ungleicher Länge, die diesen Konflikt langsam aufbauen und dann zögernd sich entladen lassen, sind knappe Phasen der Ruhe eingeschoben, anfangs noch höfisch erfüllte, im zweiten Teil nur noch leere Zeit bloßen Aushaltens. Läßt die Verknüpfung einzelner Episoden manchmal auf be­ fremdliche Weise Zusammenhang, kausale Abhängigkeit, Plan und größere Hand­ lungsfolgen überblickende Kausalität vermissen, so ist die Gesamtanlage überlegt disponiert. Die prägnante Schlüssigkeit der maren von Sivrits Tod und dem Untergang der Burgonden, wie sie etwa die eddischen Lieder bewahren, ist aufgebrochen. Was dort nahezu notwendig erscheint, erweist sich hier als voraussetzungsreich: E s könnte auch ganz anders verlaufen. Im opaken Wechsel von Aktion und Ruhe stellt sich in den einzelnen Szenen der Eindruck der Kontingenz her, während im G ro ­ ßen genau das abläuft, was, wie man seit alters weiß, ablaufen muß. Die buchepi­ sche Konzeption spannt zwar mit verschiedenen Mitteln alles Einzelne auf das Ende hin, aber zunächst strafft sie nicht die Verkettung zur Katastrophe, sondern lockert sie im Gegenteil.1’ Der offene Zeitraum der Heldensage wird hier zeitlich exakt vermessen. Bestim­ mungen kürzerer und längerer Zeiträume legen den Abstand zwischen den E p i­ soden genau fest: ein Jahr ist Sivrit in Worms, bevor er Kriemhilt sieht (13 8 ,if.). Sechs Wochen nach der Rückkehr vom Sachsenkrieg wird das Siegesfest gefeiert (257.2) . Vierzehn Tage dauert Gunthers und Kriemhilts Hochzeit (686,1). Bis ins zehnte Jahr herrschen Sivrit und Kriemhilt glücklich in ihrem eigenen Land (715.2) . Dreizehn Jahre trauert Kriemhilt um Sivrits Tod (1142,2). Nach sieben Jahren wird ihr Sohn mit Etzel geboren (1387,2). Solche Zeitangaben haben stets auch paradigmatische Bedeutung, d.h. sie wollen kein exaktes chronologisches G e­ rüst für die Handlung erstellen, sondern dienen der epischen Qualifizierung von Sachverhalten: Kriemhilt trauert ,sehr lang“, der Hort ist ,unermeßlich groß', wes­ halb sein Transport ,viel Zeit kostet“ (1122,2-4 ). Doch gehen die vielen kleinen und großen Zeitangaben in paradigmatischen Funktionen nicht auf. Sie zeigen an, wie Erzählzeit und erzählte Zeit sich gegeneinander annähern, die leeren Zeiten der Dauer immer kürzer werden und zuletzt im nur wenige Tage dauernden Taumel der Vernichtung untergehen. Nachdem Kriemhilt Jahrelang“ glücklich geherrscht hat, geht es vom Aufbruch der Burgonden an immer rascher. Der Z ug zu Etzel (25.-28. Aventiure) bietet die letzten retardierenden Momente; die Aufenthalte aber sind nur kurz: einen tac/und ouch die naht mit vollen in Passau (1630,if.), zwar un\ an den vierden morgen in Bechelaren (1691,2), doch ist die Zeit gestundet: enkunde niht wem langer, si muosen dannen varn (1692,1). Der Rest verteilt sich auf drei Tage: den

Haug (1974/1989), S. 303-30 5 und zusammenfassend 1987/1989 sieht darin eine Substitution „heroische[r] Verhaltensschematik“ durch das rein „subjektiv begründete[ ] “ Wollen der Protagonisten. Mir scheint dieses subjektive Moment sekundär.

Heroisches E rzäh len und buchepische Komposition

Vorabend der sunewende[] ( i 8 16 ,i), an dem der Konflikt noch in der Latenz bleibt (28.-30. Aventiure), die sunewende selbst (30.-36.), an der er ausbricht, und den Tag danach ( 3 7 . - 3 9 . Aventiure), an dem alles zugrundegeht. Ruhezeiten sind nur noch Phasen der Erschöpfung, bevor das Gemetzel weitergeht. Mit der Beschleunigung gehen Alternativen des Handelns mehr und mehr ver­ loren, wie sie zumal in den langen Ruhephasen steckten. Weniger daß der Erzähler letztlich doch immer den Linien der Sage folgt, ist bemerkenswert/6 als daß neben dieser Linie andere Szenen denkbar werden, weniger verhängnisvoll, freilich auch weniger erinnerungswürdig. So heißt es unmittelbar vor der verhängnisvollen Jagd auf Sivrit: noch beten e%bescheiden genuoge 'sküniges man: dône wolt’ et Hagene nie des rates abe gân. (882,3f.) Oder später in der spannungsgeladenen Atmosphäre an Etzels Hof, kurz vor dem Ausbruch: het iemen gesaget Etteln diu rehten mare, er het’ wol understanden da% doch sit da geschach. durch ir vil starken übermuot ir deheiner ims verjach.

(1865,2—4)

Wie solch eine Lösung ausgesehen hätte und was davon noch erzählenswert ge­ wesen wäre, ist Nebensache gegenüber dem Umstand, daß sie erörtert wird. Das mare soll gerade nicht als zwingend notwendig erzählt werden. Das Buchepos läßt Alternativen erkennen, auch wenn sie nicht realisiert werden.

Das Ende und sein Dementi Im Epos sieht es am Ende so aus, als gebe es keinerlei Fortsetzung mehr: Diu vil michel ère was da gelegen tôt. die liute beten alle jämer unde not. mit leide was verendet des küniges hôhge^ît, als ie diu liebe leide palier jungeste gît. Ine kan iu niht*27 bescheiden, wa% sider da geschach: wan ritter unde vrouwen weinen man da sach, dar %uo die edeln knehte, ir lieben friunde tôt. hie hât da^ mare ein ende: da\ ist der Nibelunge not.

(2378; 2379)

Das Ende der Geschichte, das Ende der Welt, von der sie erzählt und die Vollen­ dung des Epos fallen ineins. Mit einer und derselben Geste resümiert der Erzähler, 16 Vgl. Göhler (1989), S. 12 4 - 12 7 : „A b e r keiner dieser Möglichkeiten kann der Epiker ernsthaft folgen, da jede von ihnen ein Ausbrechen aus dem vorgegebenen Handlungsverlauf bedeutet hätte“ (S. 125). 27 Als Akkusativobjekt (.nichts“) aufzufassen, das durch den «wf-Satz spezifiziert wird.

D as Ende und sein D em enti

daß alle, von denen zu erzählen lohnte, metonymisch gefaßt als ère, tot sind, mit Ausnahme von Dietrich und Etzel; daß damit das mit der ersten Aventiurc ange­ kündigte Thema erfüllt ist, liep in /eit, Freude in Klagen, Fest in Vernichtung umgeschlagen ist; daß er nichts mehr zu berichten weiß, außer daß alle Überleben­ den weinen (2377,3) und daß somit jede höfische Ordnung, deren Signum Freude ist, zerstört ist; schließlich daß die Geschichte einen Namen trägt: der Nibelunge not. Mit dem Titel28 versinkt die Epenwelt in die absolute Vergangenheit. Diese Endgültigkeit des Endes war im Erzählvorgang immer wieder aufge­ schoben worden. Im Sog aber, den das Ende ausübt, wurde jeder Aufschub weg­ gespült. E s gibt keinerlei Perspektive, keinerlei „aedifikatorische“ und „konsolatorische“ Versöhnung, wie sie die christlichen Adaptationen heroischer Muster in den Heiligenlegenden des frühen Mittelalters leisten.29 Jeder Ausblick über das Ende hinaus wird verweigert. Bekanntlich hat nahezu keiner derer, die das Epos ab­ schrieben, die vierfache Geste endgültigen Abschließens, wie sie die Schlußstro­ phen vollziehen, akzeptiert, sondern nahezu ausnahmslos alle haben dem Epos die Nibelungen-,Klage' angehängt. Schon deren Einsatz dementiert provozierend das absolute Ende, das doch eben dekretiert worden war: H ie hevet sich ein metre (K l i) .’° Das Epos läßt beunruhigende Fragen offen, die die ,K lage' mit einiger G e­ schwätzigkeit zu beantworten sucht. Doch nutzt sie nicht die Möglichkeiten hero­ ischer Überlieferung, die Taten der Helden unendlich fortzuspinnen. Auch die Geschichte der Nibelungen war, wie ,Rosengarten', ,Biterolf‘, einzelne Passagen der Dietrichepik (,Buch von Bern') bezeugen, Teil unendlicher Rede, die sich in anderen Geschichten fortsetzen kann. Fortsetzungen können sich in der heroischen Welt voraussetzungslos anschließen. In der .Virginal' heißt es: nu hat da% buoch ein ende. harent wie e% dä ergienc: dö disiu arbeit ende nam, ein ander schiere ane vienc.

(Vi 1097,10—13)

Erinnerungswertes gibt es immer wieder. Erzählen ist auf einen Erinnerungsraum bezogen, in dem viele Geschichten nebeneinander aufbewahrt sind und aus dem sie immer wieder abgerufen werden können. Vom Erinnerungsraum der Sage ist die buchepische Fortsetzung durch die .K lage' scharf unterschieden. Mit buchhalterischer Genauigkeit registriert sie die Totenklagen und die Bestattung der Helden, die wenig spektakulären Begebenhei­ ten danach und die Sorge um eine gültige Aufzeichnung der Geschehnisse. Erzählt 18 9 18 Deutlicher handelt cs sich in der *C-Gruppe —der Nibelunge lief — um den Titel eines Textes, während not auch den Gegenstand bezeichnet. 19 Haubrichs (1995)» S. 27; 44. *° Was ist mit redebare gemeint: ,redenswert“, .wert, weitererzählt zu werden“ oder vielleicht doch eher .redeträchtig“, ,Rede auslösend“? (vgl. Kl C: da% ist pH redebare, S.j). Das würde zu dem passen, was folgt: unablässiges Bereden.

17

Heroisches E rzäh len und buchepische Komposition

wird, iva% sider da geschach (2379,1), doch in einem anderen Sinne, als das im Epos gemeint war. Die vielen abgerissenen Fäden sollen wiederaufgenommen werden, auch wenn man tatsächlich kaum etwas Bemerkenswertes erfährt: A u f ihrem Z ug zu Etzel hatten Gunther und sein Gefolge die Höfe von Worms, Passau und Bechelaren zurückgelassen, die nacheinander in Kenntnis zu setzen sind, und auch ein Reich wie das Etzels kann nicht völlig zerstört sein: ein unheroisches Nichts an Folgehandlung. Die ,K lage4 ist Zeugnis einer Irritation, eines Trauma, das unablässig neues Re­ den produziert. Sie steht unter Besprechungszwang. Ihren größten Teil machen Reden der Überlebenden über das im Epos erzählte Geschehen aus: Beklagen der Toten, Kommentare über Vermeidbarkeit oder Unvermeidbarkeit der Katastrophe, Erzählen von deren Hergang für Abwesende. Hier kommt die „konsolatorische“ Funktion einer erneuerten Heroik zu ihrem Recht; die „in der heroischen Dichtung sedierten Normen der Krieger- und Adelsgesellschaft“ werden in ihrem „normset­ zenden Charakter“ von ihrer Zweideutigkeit befreit,5' die Figuren werden in beflis­ senen Erläuterungen des Erzählers, wer gen Himmel, wer zur Hölle fuhr, moralisch in Gute und Böse sortiert. Erörtert wird, wer Täter, wer Opfer war und welchen Platz jeder in heldenepischem Gedenken einzunehmen hat. Die leere Zeit nach dem absoluten Ende ist zu füllen, mit wortreichen Klagereden - wo Kriemhilt einfach schwieg - , mit ausufernden Begräbniszeremonien - wo das Epos die Figuren im Schmerz erstarren ließ —, mit banalen Fortsetzungen durch Figuren des zweiten Glieds - wo es keine Fortsetzung gibt, nachdem die Helden tot sind. Wie weit diese Fortsetzung geht, ist, wie skizziert,51 in den einzelnen Handschriften unterschied­ lich. In keinem Fall wird der Untergang als Endpunkt akzeptiert. Die ,K lage4 stellt den geschichtlichen Zusammenhang her, indem sie die G e­ schicke der Überlebenden berichtet, zu Dietrichs Rückkehrabenteuern überleitet, also den heldenepischen Raum in die gewöhnliche Feudalgeschichte öffnet, die sie sogar bis zum Thronwechsel in Worms weiterführt.55 Gunthers Sohn erhält seine Chance, und dem burgondischen Reich scheint der Aderlaß trotz Strömen von Tränen nichts auszumachen. Insofern wird das Geschehen kontextualisiert, der Un­ tergang der Protagonisten mit einem Netz dynastischer Beziehungen umgeben, die, wo sie schon im Epos angelegt waren, ausgebaut werden (Pilgrim von Passau!). Vor allem aber wird die im Buchepos angelegte Möglichkeit, Alternativen auszu­ denken, weiter getrieben: Wäre nur Etzel rechtzeitig informiert worden, denn dann hätte er doch ... :

Haubrichs (1995)» S. 44; S. 36; im Nachdenken über Kriemhilts Ende oder im leidvollen Tod G o tclints und Uotes scheint sich auch ein Bemühen um eine „Akkom odation von labor sanctorum und labor heroum“ auszuprägen (ebd., S. 37). ’ * Vgl. oben S. 95F. ” Müller (1985), S. 7 5 - 7 7 ; McConnell (1986b). ’’

D a s E n de und sein D em enti

man möht e% lihte erwendet hän. der Etteln hete kunt getan von erste diu rehten mure. (Kl 283-8 j)H Wären sich Sivrit und Kriemhilt nur nie begegnet, dann ... : man soi undanc der wile sagen in der diu not geschähe, unt da% Kriemhilt ie gesahe des edelen Sifrides lip. (Kl 546-49) Selbst Hagens Wüten war nicht unvermeidlich: het diu künegin das^ eine län da% si Bladelinen Hagenen den bruoder sinen %e töde niht heilen sldn: sone war es alles niht getan.

(Kl 1304-08)

Wo sich im Epos der Nexus der Untergangssage gegen alle Ablenkungen durch­ gesetzt hatte, wird jetzt auch der unscheinbarsten Veränderung die Kraft zur A b ­ wendung der Katastrophe unterstellt, das Geschehen aus seiner erratisch-fraglosen Selbstverständlichkeit entlassen. Solche Überlegungen, so banal sie auch sein mögen, verweisen auf ein nun durchgängig verändertes Erzählkonzept. Jedes Ereignis steht in enger Beziehung zu anderen Ereignissen, wirkt auf sie, wie es von ihnen beeinflußt wird. E s gibt immer auch eine andere Möglichkeit. Zeit ist ein Kontinuum, in dem es keine leeren Phasen des Stillstandes gibt. Die ,K lage' muß als ein Werk der Schriftkultur nicht ökonomisch mit Erinnerungskapazitäten umgehen, sondern kann alles, was vorfällt, protokollieren. Sie kennt den absoluten Anfang so wenig wie das totale Ende. Sie kommentiert und korrigiert kommentierend nicht nur, was das Epos erzählte,” sondern widerruft den Typus von Geschichte, der erzählt wurde. Auch im Detail wird die Erzählung ,in Ordnung' gebracht. Das beginnt mit der Vorstellung des handelnden Personals. Wo das Epos unkonventionell mit Kriemhilt einsetzte, dann zu ihren königlichen Brüdern überging und dann deren Geschlecht erwähnte, hält die ,K lage' die richtige, d.h. die dynastische Ordnung ein: zuerst das Geschlecht (vertreten durch den alten K önig Dancrat), dann seine heidenmäßigen Söhne und die Königin Uote, die mit ihm die Krone trägt, und dann erst die swester, die doch die Hauptperson ist.j6 Und solche Gewissenhaftigkeit setzt sich fort. M Ähnlich K l 9 1 2 t , 9 4 4 t, 1 1 1 5 - 1 1 1 7 , 12 14 t., 1248, 12 5 6 -12 5 9 . ” Vgl. Gillespie (1972): „commentary, not only on the text which we have, but also on the story o f the Nibelungen“ (S. 154). ,6 K l *C hat wieder eine andere Ordnung, doch auch sie ist regelgerechter: die Könige, ihr Land, ihr Geschlecht (die in diu erbe liefen. K l C 32), Dancrat und Uote, dann (noch einmal) deren drei Söhne, dann erst die Tochter (K l C 41 f.).

Heroisches E rzäh len und buchepische Komposition

Damit setzt sich die ,K lage4 von einem älteren Erzähltypus ab, der schon im .Nibelungenlied4 in Richtung auf buchepische Integration transformiert wurde und am ehesten noch in Randzonen der nibelungischcn Welt am Platz ist. Diese Abkehr hat die .K lage4 an einer Stelle ausdrücklich vollzogen: Einmal nämlich behauptet der Erzähler, passen zu müssen, wenn er sagen soll, was aus Etzel geworden ist: des enkan ich der wärheit iu noh niemen gesagen. (Kl 4326!.) Solch eine Abwehrgeste ist nur scheinbar mit den Schlußversen des Epos identisch. Mit Etzels Verschwinden wird eine Figur verabschiedet, die in der voll ausgeleuch­ teten Welt der .K lage4 keinen Platz hat. Etzel verschwindet so spurlos aus der Geschichte wie die Xantener im .Nibelungenlied4 am Ende des ersten Teils, doch aus ganz anderem Grund. Im Epos treten Figuren kommentarlos von der Bühne ab, wenn sie als Helden abgedankt haben und nicht mehr gebraucht werden. Die Schrift dagegen muß sich Rechenschaft auch über Lücken geben. Etzels weiteres Schicksal fallt in solch eine Lücke. Die unwirschen Worte der .K lage4 über seine Zukunft spielen die Überschaubarkeit einer (klerikal geprägten) Schriftkultur ge­ gen die wilde Welt der Sage aus, wie sie in mündlicher Heroik bewahrt ist. Was nämlich der Erzähler als mehr oder minder absurde Alternativen für Etzels Ende anbietet, ist wirre Sage, bei der niemand etwas Rechtes weiß und jeder etwas anderes behauptet: sümeltche jehent [ . . . ] : so sprechent sümeliche nein (K l 4328^). A n­ fänglich werden noch Versionen von Etzels Ende erwogen, die dem heroischen Geschehen gemäß sind (manche sagen, er wurde erschlagen; andere meinen, daß nicht), doch dann bringt der Erzähler zunehmend aberwitzige Dinge vor: Vielleicht fuhr er gen Himmel, vielleicht zur Hölle, vielleicht auch aus der Haut, vielleicht verkroch er sich in der Erde. Curschmann hat auf den Gestus der Distanzierung des gelehrten Klerikers von dem, was man sich so erzählt, aufmerksam gemacht: „Das sind (fast ironische) Rationalisierungen eines Literaten, der sich eben nicht die Mühe macht, gattungsgemäß zu literarisieren44.37 Mir scheint dies programmatisch zu sein und auf ein literarisches Bewußtsein zu verweisen, das sich von mündlicher Tradition distanziert: A u f heldenepischem Niveau mögen diese Vorschläge nicht sein, jedenfalls bewegen sie sich in der .K lage4 auf einem Niveau weit unter dem Interesse des Erzählers. Im Gewirr der Sage ist zwischen lüge und wärheit nicht zu entscheiden (Kl 43 3 1 F.), denn die eine Autorität, die vom tihtare verantwortete Schrift, schweigt sich dazu aus, so gerne der Erzähler mehr über Etzel berichtet hätte: Uns seit der tihtare, der uns tihte dit^e mare, e% enwar von im sus niht beliben, >7 Curschmann (1992), S. 65: Der Verfasser stelle „verschiedene Hypothesen zur Wahl“ .

120

Buchepos und Sagenerinnerung

er het i%gerne gescriben, da% man wiste diu mare, wie e% im ergangen ware.

(Kl 4349-54)

Dem einzigen, der nicht in die beruhigenden Bahnen feudaler Normalität zurück­ kehrt, verwehrt der Erzähler den Weg in die schriftliterarische memoria (und die steht notwendig in der Obhut der clerici). Auch darin gibt die ,K lage' eine schrift­ literarische Antwort auf die .Offenheit* der Epenwelt. Sie führt die Geschichte, soweit sie außerhalb ihres Interessenhorizontes liegt, rasch ihrem traurigen Ende entgegen. Der Heide Etzel bleibt da, wo er hingehört, im albernen Stimmengewirr der Sage. Der Erzähler im .Nibelungenlied* wußte nicht mehr weiter, weil es nach der Katastrophe nichts Erinnerungswürdiges mehr zu erzählen gab. Derjenige der ,Klage* verstummt, weil er, was Etzels Ende angeht, keine Quelle hat, denn die Gewährsleute, die Vertrauen verdienen, wissen nichts. Der (schriftsprachliche) Sinngebungsversuch wird bezeichnenderweise dort abgebrochen, wo die Grenze der christlichen Welt erreicht ist. Noch der unfeste Platz des Passus über Etzels Ende in den ,K lage‘-Handschriften deutet darauf hin, daß dieser Teil der Sage in die nach den Regeln der Schriftkultur verbindlich aufgezeichnete und verbindlich gedeutete Geschichte vom Ende der Nibelungen nicht gehört: In der *C-Bearbeitung nämlich geht der Passus der Nachricht von der schriftlichen Fixierung der Geschichte voraus; hier hat die Schrift das letzte Wort. In der *B-Fassung werden die Bemerkungen über Etzel ganz am Schluß angehängt; dann bleibt buchstäblich das letzte, was sich christlich­ schriftlicher Kontextualisierung sperrt, ausgeschlossen. Indem die .Klage* das ab­ solute Ende des Epos nicht akzeptiert und doch Etzel ein rühmloses Ende bereitet, füllt sie die Leere, die für ein christliches Bewußtsein die alten mären aufgerissen haben, mit Sinn auf: Die Grenzen der Welt fallen mit den Grenzen der Christenheit zusammen.’8

Buchepos und Sagenerinnerung Mit der Verschriftlichung wird es möglich, unterschiedliche Register des Erzählens zueinander in Beziehung zu setzen. Im .Nibelungenlied* gibt es Räume und E p i­ soden, in denen Formen des Erzählens dominieren, die eher auf ,Sage* als auf .Buch* zu verweisen scheinen. Zwar gibt es keinen empirischen Nachweis, daß eine bestimmte Episode im schriftlich fixierten Text aus mündlicher Dichtung übernom­ men wurde - ein solcher Nachweis würde auch nichts über die Funktion der E p i­ Für die Überlieferungsgemeinschaft von Epos und .K lage’ stellt sich mithin die Frage nach der Christlichkeit anders als für das Epos allein (vgl. Knapp, 1987, S. 166).

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Heroisches E rzäh len und buchepische Kom position

sode im neuen Medium aussagen - , aber es lassen sich Erzählstrategien und -Struk­ turen beschreiben, die von schriftliterarischen signifikant abweichen und insbeson­ dere Merkmale schriftsprachlicher Kohärenzbildung auffällig vermissen lassen. Vielleicht heißt es dem Erzähler zuviel Bewußtheit zuzutrauen, wenn man an­ nimmt, er habe zwischen solchen Registern unterschieden. Doch auch wenn eine Unterscheidung nicht seinem ästhetischem Kalkül entspränge, ist sie dort denkbar, wo die Tradition, auf die er rekurriert, sie nahelegt. Ob es sich in solchen Fällen tatsächlich um Sage handelt oder nicht, ist gleichgültig. Entscheidend ist, ob der Erzähler erzählt oder erzählen läßt, wie man ,traditionellerweise4 erzählt hat. Im ,Nibelungenlied4 hat man nach unterschiedlichen Erzählregistern bislang nicht gefragt. Die Kriterien dafür lassen sich auch schwer operationalisieren. An den Bemerkungen der ,K lage4 über Etzels Ende fällt die - ironisch pointierte Verworrenheit auf. So deutlich ist das ,Nibelungenlied4 nie. Doch ließe sich auch hier Abwesenheit oder Störung einer weiträumig disponierenden Ordnung als In­ diz für eine .andere4 Erzählweise auffassen.39Jedenfalls sollten, das lehrt die .K lage4, solche Störungen nicht vorschnell als ästhetisch fehlerhaft abgetan werden. Daß Registerwechsel in der Heldendichtung des 13. Jahrhunderts sinnvoll ein­ gesetzt werden können, soll zunächst an einem anderen Buchepos, das Heldensage verschriftlicht, der .Kudrun4, gezeigt werden. Den Versen über Etzels Ende stellt sich nämlich dort eine seltsame Episode aus dem K ön ig Hagen gewidmeten Teil zur Seite, und wieder läßt sich das spannungsvolle Verhältnis einer späteren Schrift­ kultur zu der Sagenwelt beobachten, von der sie erzählt. Der Passus findet sich beim Übergang von Hagens Jugendgeschichte in der Wildnis zu seiner Herrschaft als K önig in der Nachfolge seines Vaters. N ur an dieser Stelle erhält Hagen, der Großvater Kudruns und der erste Held, dessen Geschichte ausführlicher erzählt wird, einen Beinamen: Valant aller kiinige (K 168,2; 196,4). Dieser Name ist durch nichts, was bis dahin von ihm erzählt wurde oder künftig noch erzählt wird, motiviert. E s ist offensichtlich der Name, unter dem man Hagen kennt und sich von ihm erzählt: dâ bl was er bekant (K 168,2), denn Hagen ist eine berühmte Sagengestalt: des hörte man in dem lande von dem helde sagen oder singen.

(K 166,4)

Ob dies wirklich so war oder ob es vom Erzähler nur fingiert wird, ist gänzlich ohne Belang, denn für das Buchepos ,K udrun4 zählt allein, daß eine Sagengestalt, nämlich die des .wilden Hagen4 (K 199,4), in die Erzählwelt hineinragt und die Geschichte, die das Buchepos erzählt, mit dem verknüpft, was sonst noch so an Erzählungen umläuft. Jener andere Hagen der Sage soll mit dem Helden der .Kudrun4 identisch sein.59

59 Ich erinnere an Curschmanns (1979) Überlegungen zu A .

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Buchepos und Sagenerinnerung

Der Hagen der ,Kudrun‘ wurde als Kind von einem Greifen entführt; er hat in der Wildnis drei Jungfrauen gerettet, mit denen er schließlich an den H o f seines Vaters zurückgekehrt ist; eine von ihnen wird er heiraten und mit ihr eine Tochter zeugen, die die Dynastie fortsetzen wird. Nachdem diese in einer der üblichen Brautwerbungsfabeln gegen den Widerstand des Vaters verheiratet ist, verschwindet Hagen aus der Geschichte. All dies rechtfertigt schwerlich seinen Sagenruhm, Schrecken aller Könige zu sein. Auch, was von seiner machtvollen Herrschaft und Rechtsprechung gesagt wird - von der Ausübung der Blutgerichtsbarkeit heißt es etwa: inner einem jä r e enthoubet er ah^ig oder mère (K 194,4; vgl. 194-196)40 —, erklärt den Namen nicht zureichend, rationalisiert eher nachträglich seine Bedeutung, in­ dem die Wildheit des Heros in die vertrautere Sprache feudaler Gerichtsbarkeit und näherhin in die quantitativ meßbare Effektivität des Blutbanns übersetzt wird. Star­ ke Rechtspflege zeichnet den guten Herrscher aus, doch ohne daß daraus sich Sagenruhm ableitete. Auch Sivrit wird sie nachgesagt (714), seinen Ruhm als Heros aber verdankt er eben Hort und Drachenkampf. Mit dem Namen eröffnet sich ein Durchblick auf eine Erzähltradition, die der Erzähler gerade nicht thematisiert. Das wäre allein noch nicht auffällig, fänden sich nicht im Umkreis dieser Stelle weitere signifikante Abweichungen von der Erzähl­ weise sonst, Signale einer Überlagerung von nurmehr anspielungshaft präsenter ,Sage‘ und dominierendem schriftliterarischen Konzept. Die Zone dieser Überla­ gerung umfaßt etwa die Strophen K 163-196, die die beiden Abschnitte von Ha­ gens Biographie - seine Jugend und seine Investitur als legitimer Herrscher miteinander verknüpfen. Deutlich ist eine Fuge erkennbar zwischen zwei Erzähl­ blöcken, die das Leben in der Wildnis und das in der Zivilisation erzählen. Die Verbindungsglieder sind Schwertleite, Krönung und Brautwahl. Diese Ereignisfolge aber wird seltsam inkohärent erzählt, mit Versetzungen ein­ zelner Elemente gegeneinander und mit scheinbar überflüssigen Wiederholungen. Der in der ,Kudrun‘ vorherrschende Duktus der Kohärenzbildung wird immer wieder aufgegeben, indem assoziativ gereiht, vor- und zurückgegriffen, nicht linear fortgeschritten wird. Die zeitliche Reihenfolge wird unübersichtlich. Einzelne Stro­ phen rekapitulieren zuvor längst Erzähltes, Hagens Taten in der Wildnis z.B. (D a r %uo w art er so küene [ ...] , K 166,1; E r wuohs in einer wüeste [ ...] , K 167,1), doch so, als erzählten sie davon zum ersten Mal. So entsteht der Eindruck, hier setze eine Geschichte neu ein, indem sie abkür­ zungsweise an Vorausliegendes erinnerte. Diesem Eindruck entspricht die - variier­ te - Epeneingangsformel, mit der die Episode beginnt:

40 Quantität ist in der ,K udrun‘ wie in Heldenepik überhaupt häufig Mittel hyperbolischen Sprechens: Die Zahl der Hingerichteten ist Maßstab für eine erfolgreiche Rechtspflege.

12J

Heroisches Erschien und buchepische Komposition Wabsen er begunde bevollen

einem man

(K 163,1).

Dieses wahsen setzt nicht die eben zu Ende erzählte Jugendgeschichte fort, sondern benennt jene Bewegung, die gewöhnlich der heroischen Handlung vorausgeht und hier in Hagens Krönung zum Herrscher mündet: Damit er im vollen Sinne Herr­ scher sein kann, muß er dazu ,herangewachsen“ sein. Die zuvor erzählten Abenteu­ er in der Wildnis sind in keine klare Relation zu dieser Bewegung gesetzt; sie mögen darin eingeschlossen sein oder auch vor ihr liegen. Nachdem die sich ver­ abschiedet haben, die ihn von dort zurückbegleitet hatten (K 164), wird der Held und künftige K önig noch einmal wie eine neue Figur eingeführt. Die eingeschobenen Strophen, die am Beginn seiner höfischen Karriere an den Sagenheld erinnern, weisen atypisch viele Brüche auf. Die Erzählung springt zwi­ schen den Zeitstufen hin und her, ohne kausale Motivation oder den Versuch, Beziehungen zwischen den Handlungssträngen herzustellen. Dabei begründet sie ihren Wahrheitsanspruch mit der Formel des hörte man in dem lande von dem beide sagen unde singen (K 166,4). Sie situiert sich also in der Mündlichkeit, was andere For­ mulierungen bestätigen: d a \ lobet en schcene frou w en (K 165,3), a^s um tst geseit (K 166,1), sft w art er genant (K 168,1), da b i was er bekant (K 168,2).41 Was man inhaltlich von dem, was ,man singt und sagt“, erfährt (sein Aufwachsen in der Wildnis, sein Umgang mit Tieren, seine Schnelligkeit), hat man vorher genauer gehört; es er­ scheint im Rückblick dieser Strophen nur als vage Allusion, räumlich und chro­ nologisch unbestimmt, wobei von der Geschichte des heroischen Königs, des valant a lle r künige, sogar einzig der Name bleibt. Erst mit K 169,1 (Im rieten sine mäge, er würbe umb ein w ip) und entschiedener dann mit K 17 1,1 (S in vater hie ^ in gaben) kehrt der Epiker auf die Vorderbühne zurück, zu dem Punkt, den seine Erzählung vorher schon einmal erreicht hatte: zur Geschichte der Erhebung Hagens zum Herrscher und zu seiner Heirat. Mit dem Rat der mäge, eine Frau zu nehmen, wird das Erzählmuster (gefährliche) Brautwerbung aufge­ rufen, doch hat diese längst stattgefunden, und die Braut, die Hagen aus der Wild­ nis mitgebracht hat, ist längst errungen. Nach Hagens Rückkehr an den H o f der Eltern sind heroische Unternehmen nicht mehr angebracht, so daß die Sche­ maansage ins Leere geht. Stattdessen beginnt eine völlig undramatische Brautwer­ bung: Die Braut was im da v il nahen (K 169,2); sie zu gewinnen, verlangt keine Heldentat; gewaltlos fügt die Heirat Hagen in die dynastische Ordnung ein. Von jetzt an schreitet die genealogische Erzählung, die in der Friedensstifterin Kudrun gipfeln wird, wieder ordentlich vom einen Herrscher zum nächsten fort. Die chronologische Folge des Buchepos, das auch Unspektakuläres berichtet, setzt sich gegenüber dem, was die Sagenformel zu versprechen schien, durch. Die im Rückblick nurmehr anspielungshaft erinnerte Sagenwelt, in der Hagen seine Ju-

41 Vgl auch die Berufung auf das allgemein geltende Urteil (da\ beiden wol ge^am, K 16 5,1).

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Sivrits doppelte Jugendgeschichte

gend verbrachte - es ist die einzige mit mythischen und märchenhaften Elementen in der ,Kudrun‘ - wird rückblickend mit einem deutlich abgehobenen Erzählgestus präsentiert. Sie wird mit Mündlichkeit assoziiert. E s ist die Welt, die in der ,Kudrun* verabschiedet wird. Auch im ,Nibelungenlied* gibt es Passagen zitathaft-,sagenmäßigen* Erzählens, so in der doppelten Jugendgeschichte Sivrits.42* Dabei ist der Epiker in der Ver­ knüpfung von ,Sage‘4J und buchepischer Konzeption allerdings subtiler verfahren als in der ,Kudrun*. Die Sage vom Drachentöter wird weder weggelassen,44 noch ist sie nur an Spuren zu erahnen, die rieht gründlich genug verwischt wurden. Sie wird als ,Sage* erzählt, d.h. als das, was einer, der es wissen muß, ,zu sagen hat*. Die Geschichte vom Drachentöter, wie man sie aus Hagens Mund erfährt, weist auf etwas zurück, das das Buchepos in den Hintergrund verbannt hat.

Sivrits doppelte Jugendgeschichte Bekanntlich gibt es zwei Versionen von Sivrits Jugend, nämlich die höfische Erzie­ hung, von der der Epiker erzählt, sowie den Horterwerb und Drachenkampf, von denen Hagen berichtet.4’ Allgemein wird die erste als die jüngere angesehen, wobei der Erzähler seine Absicht, dem Helden eine neue Identität zu verschaffen, nur mangelhaft durchgeführt habe. Auffällig ist immerhin, daß die beiden Versionen an zwei unterschiedliche Erzählinstanzen gebunden sind und daß die eine die verschriftete Stimme des Epikers, die andere der mündlich erzählende Hagen ist.46 Für mündliche Rede gelten andere Regeln und andere Kohärenzerfordernisse als die, denen sich der Erzähler sonst überwiegend verpflichtet weiß. Anders als die ,Kudrun* thematisiert das ,Nibelungenlied* Sage nicht nur als besondere Form des E r ­ zählens, sondern auch als gebunden an eine bestimmte Erzählinstanz und an be­ stimmte Räume. Der Epiker wechselt die Register, wo man von der einen Welt in die andere übergeht. Dabei tritt er vorübergehend seine Rolle an einen der Prot­ 42 Haug (1974/1989), S. 297 zum kalkulierten Bezug zwischen den beiden Erzählungen von Sivrits Jugend. Seitter (1987), S. 81 f. ist m.W. der einzige, der auf die gänzlich andere narrative Präsentation verwiesen hat. 41 ,Sage‘ ist hier primär als ein Erzähltypus gemeint. Es muß nicht unbedingt auf eine tatsächlich mündlich erzählte Geschichte angespielt werden. Daß es dergleichen gab, spricht neben Erzählungen aus Nordeuropa auch der erst in der Frühen Neuzeit schriftlich fixierte .Hürnen Seifried“. 44 Curschmann (1992), S. 68 bemerkt zutreffend über Sivrits Jugendgeschichte, daß sie „so mächtig im allgemeinen Bewußtsein verwurzelt war, daß sie noch zwei Jahrhunderte später selbständig ver­ schriftlicht werden konnte“ . 4' G . Müller (19 75), S. 96 sieht eine Funktion der Aventiure darin, „die wahrscheinlich immer noch gegenwärtige Erinnerung an einen länderlosen Recken von dunkler Herkunft“ abzuschneiden; zu­ sammenfassend jetzt Schulze (1997a), S. 13 6 - 1 4 1 . 46 Mertens (1996a), S. 62 hat diese Doppelung als „buchepisches Gestaltungsmittel“ erkannt, das para­ doxerweise unter „Berufung auf die Mündlichkeit“ eingesetzt werde.

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Heroisches E rzäh len und buchepische Komposition

agonisten ab.47 Hagens Erzählung vom Drachentöter und Hortbesitzer Sivrit ist weit stärker als die Uberleitungsstrophen der ,Kudrun“ - als eine mündliche E r ­ zählung von präzis kalkulierter Unschärfe inszeniert, die souverän mißachtet, was man von einer schriftliterarisch kohärenten Erzählung erwarten müßte. Hagens Wissen ist ,Sagenwissen“, ein kollektives Wissen von dem, das alle an­ geht. Hagen geht deshalb bald vom ich zum wir über. Dieses Wissen Hagens muß nicht handlungslogisch ,erklärt“ werden. E s ist kein in einer besonderen Biographie kontingent erworbenes Wissen.48 Daß Hagens Erzählung von Sivrits Jugendtaten als erratischer Block eingeführt wird und nicht narrativ mit dem Vorausgehenden verknüpft, hat Signalcharakter: So kann sie „wie etwas ,Unerhörtes“ wirken“ ,49 denn Hagens Wissen kontrastiert scharf mit dem Wissen des Erzählers, der eben noch ganz anderes von Sivrits Jugend erzählt hatte: von seiner höfischen Erziehung unter der Aufsicht von Eltern und Hofleuten, dem Fest der Schwertleite, dem Zurückstellen eigener Herrschaftsansprüche hinter diejenigen des Vaters. Sivrit genießt denselben Typus von höfischer Erziehung und sorgfältiger A u f­ sicht (719 ,1), wie sie auch der jüngere Sivrit, Gunthers Sohn, erfährt, der nie zum Heros stilisiert werden wird. Für die Taten des künftigen Heros ist, dieser Erzäh­ lung zufolge, wenig Platz. Einzig die Strophen 21 und 22 lassen ein anderes Bild vom Helden durchscheinen, von dem man vermuten darf, daß es das bekanntere war: er versuochte vil der riche durch ellenthaften muot. durch sines libes Sterke er reit in menegiu lant. hey n>a^ er sneller degene sit %en Burgonden vant! In sinen besten Veiten, bi sinenjungen tagen, man mohte michel wunder von Sivride sagen, wa% eren an im wüehse und wi sccene was sin Up. sit beten in %e minne diu vil westlichen wipd° (21,2—22,4)

47 Göhler (1989), S. 14 verweist auf das Aventiurenregister m, wo diese Entscheidung des Erzählers korrigiert ist; sie war also schon einem Bearbeiter im späteren Mittelalter aufgefallen. A uch Göhler stellt die Lückenhaftigkeit der Erzählung Hagens fest. 48 Natürlich wäre es sonst, an gewöhnlicher Lebenserfahrung gemessen, „nicht wahrscheinlich“ , daß Sivrits Jugendgeschichte allein Hagen erzählt wurde (vgl. Dinkelacker, 1990, S. 87). 49 Grubmüller (1994), S. 6 1, der die Bedeutung der Szene allerdings herunterspielt: „dieser ganze ins .literarisch Alltägliche“ verharmloste Hintergrund wird überdies nur in gerade 16 Strophen (8 6 -10 1) beiläufig im Rückblick durch Hagen referiert, damit ein wenig Respekt für Siegfried aufkommt“ . ,0 Der Inhalt dieser Verse könnte, aber muß sich nicht auf das, was Hagen erzählt, beziehen; sie werden allerdings meist so verstanden (vgl. Schulze, 1997a, S. 1 38). Eiflers (1989) These, der „zwischen dem Ende der zweiten und dem Anfang der dritten Aventüre geöffnete Zeitraum“ erlaube, die Jugend­ taten Sivrits einzuschieben, faßt den Text wie eine historische Quelle auf, die auf eine Realität referiert, so daß Lücken und Widersprüche in der Repräsentation dieser Realität gefüllt werden müssen. Im referenzlosen literarischen Text ist eine solche Interpolation methodisch unzulässig (S. 285; vgl. auch Falk, 1974, S. 118 ; Andersson, 1980, S. 15 7 F ; dagegen Schulze, 1997a, S. 159: „D och derlei Spekulationen sind eigentlich unangemessen“ ).

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S ivrits doppelte Jugendgeschichte

Auch hier wird auf das verwiesen, was ,man sagt' (22,2). Auserzählt wird das, was Str. 21 andeutet, nicht, und der B egriff wunder wird sogleich so interpretiert, daß man nicht an den Drachentöter denkt, sondern an den jungen Höfling: Von êren, Schönheit, dem Erfolg im Frauendienst ist die Rede (22,3f.). E s entsteht sogar der Eindruck (21,4), daß Worms Ziel und Krönung seiner Laufbahn ist. Die Werbung um Kriemhilt erscheint im Erzählkontext als Initialaventiure, die sich der heran­ gewachsene und zum Ritter promovierte junge Sivrit zusammen mit wenigen G e­ fährten vornimmt (44, 47h, 5of.). Sein Entschluß (43), sich vor Übernahme der Königswürde ritterlich zu bewähren, hat nichts mit Horterwerb und Drachenkampf zu tun, sondern begründet schemagerecht den Entschluß zur gefährlichen Braut­ werbung. Seine Jugend aber besteht in der Erziehung zum vollendeten Hofmann: Man %ßch in mit dem vli^e als im daç wol ge\am. E r was nu so gewahsen da% er %e hove reit. V il selten âne huote man riten lie da% kint. in bie% mit kleidern gieren Sigmunt und Siglint. sin pjlägen ouch die wesen, den ère was bekant.

(23,1)

(24, i)5'

(25,1-3)

Während der junge Ritter sich stets im Kreis der Hofleute bewegt, muß der Heros im Nibelungenland gemäß den Regeln der Sagenwelt’2 allein handeln: D ä der heit al eine än’ alle helfe reit (88,1). Das sollte nach 25,1 ausgeschlossen sein:'5 Bis zur Schwertleite erfährt man von keinerlei Abenteuer, die Fahrt von Xanten nach Worms aber endet schon A n dem sibenden morgen (7 1,1) nach dem Aufbruch, ohne erwähnenswerte Zwischenfälle. Wo ist da Platz für den Hort und den Drachen? Gleichwohl hat Hagen als Sprachrohr eines kollektiven Wissens recht. Was er zu erzählen weiß, steht auf einer anderen Ebene als das, was der Erzähler zuvor be­ richtet hatte, hat diesem sogar die allgemeine Bekanntheit der Sage voraus, gegen die jener offenbar anerzählt, wenn er das höfische Bild der zweiten Aventiure dem Bild, das die Sage kennt, vorausgehen läßt. Die Erzählerrolle ist also gespalten. Während man in mündlicher Rede in der Regel dem jeweiligen Sprecher zurechnet, was er sagt, gibt es im geschriebenen Text von vorneherein mehrere Sprecherin­ stanzen. Die Spaltung der Erzählerrolle erlaubt, zwei zunächst inkompatible Aspekte des Heros vorzustellen und zwei zwar verwandte, doch durchaus unter­ scheidbare Erzählweisen zu konfrontieren.’4 Hagens Rede läßt sich freilich nicht ” Eine höfische Umpolung der wuohs-Formel. '* Auch später bei der Rückkehr ins Nibelungenland heißt es: D er heit derfuor aleine (485,1). " Vgl. Göhler (1996), S. 217. Der Versuch, .allein ausreiten* als literarische Verschlüsselung von G e ­ meinschaftsaktionen aufzufassen (der Held als Abbreviatur des gesamten Personenverbandes, Peeters, 1986, S.7), rekurriert auf ein (euhemeristisches) Interpretationsschema, das von außen an den Text herangetragen wird. M Curschmann (1992), S. 68 nennt Hagens Erzählung „unvollständig“ ; „der Hörer muß aus eigener Kenntnis des Sagenganzen ergänzen — oder u.U. unbefriedigt bleiben“ .

Heroisches E rzäh len und buchepische Komposition

perspektivisch' dem Individuum Hagen zurechnen und insofern relativieren.'5 E r ­ zählen ist nicht von der Sehweise, der zufälligen Kenntnis oder gar den Interessen eines einzelnen abhängig. Erzähler wie Hagen sprechen nicht für sich selbst, son­ dern für das, was ,man sagt*. Zwischen dem, was der Erzähler, und dem, was seine Figuren sagen, besteht grundsätzlich kein Unterschied in Bezug auf den Wahrheits­ und Geltungsanspruch.'6 Doch bleibt die genaue Abstimmung der beiden Versio­ nen undiskutiert.'7 Wenn man, wie üblich, an den Inhalten haften bleibt, sieht man nur den miß­ glückten Versuch einer höfischen Überformung des wilden Vorzeithelden: ausge­ rechnet der wohlbehütete junge Mann als Eroberer des sprichwörtlichen Nibelun­ gengoldes und als Drachentöter!'8 So setzte sich die Ansicht fest, mit Umdeutungs­ versuchen dieser Art sei der Erzähler noch öfter gescheitert und so von einer Falle in die nächste getappt.'9 Nun wäre es dem Erzähler ein Leichtes gewesen (und Dutzende minderer Poeten sind in ähnlichen Situationen auf Auswege verfallen), die beiden Erzählungen aufeinander abzustimmen und Drachenkampf und Horter­ werb irgendwann und irgendwo in der Geschichte der Jugend oder auch auf der Fahrt von Xanten nach Worms unterzubringen. Warum hat er darauf in so auffäl­ liger Weise verzichtet, so wie er auch bei anderen Gelegenheiten so offenkundig desinteressiert ist, dem landläufig Erwartbaren entgegenzukommen?60 Auch mit dem geringeren Anspruch mittelalterlicher Rezipienten an Glaubwürdigkeit kommt man nicht weit, denn offenbar gab es schon früh Fragen an diesem Punkt. So bemüht sich die Bearbeitung *C, durch eine Zusatzstrophe zu glätten und Raum für eine zweite Karriere Sivrits neben der höfischen zu öffnen: E da% der degen chvne vol whse %e man, do het er solhiv wnder mit siner hant getan, da von man immer mere mac singen vnd sagen, des wir in disen stunden mv^en vil von im gedagen. ”

,6

17

'*

19 60 6'

(C 2i)6'*179

So die Lösung von Stech (1993), S. 7 1-8 0 . Bäuml (19 8 1), S. 11 9 parallelisicrt - leider ohne nähere Ausführung - die Doppelung der Erzählerrolle mit den komplizierten Erzählfiktionen im höfischen Roman. Weil er mit dem Wissen des Erzählers ausgestattet ist, kann auch Dietrich später Kriemhilt vilandinne nennen (1748,4), während der Vorw urf von dem her, was das Individuum Dietrich wissen kann, unsinnig wäre. Ein „Stilfehler des jüngsten Dichters“ (de Boor, S. 276) ist dergleichen nur unter den poetologischen Bedingungen des neuzeitlichen Romans. Solch eine Aussage ist zu unterscheiden von den zuerst in die Homerkritik eingeführten Appellen an die Nachsicht des modernen Lesers mit Ungenauigkeiten in älteren Texten (das ,Schläfchen H o­ mers“!). E s geht nicht um einen Rabatt auf eine immerdar und allerorten gültige Erzähllogik, sondern um die Erkenntnis historisch besonderer Erzählweisen. Keine Nachfolge fand Falks (1974) bizarrer Gedanke, Sivrits Jugendtaten seien nicht wirklich, son­ dern „traumhafter, psychischer N atur“ (S. 120), „Abenteuer im Reich der Psyche“ (S. 12 1) , „in der Phantasie“ (S. 123). Echt germanistisch schließt Falk: „Richtig ist, daß Hagen dem Traumhaften keine Herrschaft über das Leben in der Ehrewelt einräumen wollte“ (S. 120). Andersson (1978), S. 38. Vgl. u.a. Fromm (1990), S. 8. Auch in D b; vgl. Batts, S. 8f.; Schulze (1997a), S. 138 schließt daraus, daß B 2 if. vom Redaktor als „Platzhalter“ für eine zunächst abgewiesene Erzählvariante verstanden wurde.

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S ivrits doppelte Jugendgeschichte

Wann das gewesen sein könnte, bestimmt eine zweite Zusatzstrophe, die der E r ­ zählung von der Schwertleite folgt: In dorfte niemen schelten; sit do er wafen genam, ia gerw ete vil selten d er reche lobesam svchte niwan striten. sin ellen thaftiv hant

tet in fallen i f ten in vremeden riehen wol bekant.

(C 4})61

Die Erklärung bleibt, wie häufig in *C, rein punktuell. Noch für das, was er notdürftig unterzubringen trachtet, verweist der Bearbeiter von *C auf eine diffuse mündliche Überlieferung, auf das, was man ,singt und sagt' (C 21, 3). Indem er die Narbe zu tilgen sucht, erinnert er an ihre Herkunft. Was es mit jenen wnder auf sich hat, erfahrt man nicht, und der Zusatz steht in manifestem Widerspruch zu dem, was die 2. Aventiure auch in *C von Sivrits behüteter höfischer Erziehung zu berichten wußte.*6’ Die Zusatzstrophen haben daher keine Beweiskraft für ein ,eigentlich* vorauszusetzendes Handlungsgerüst,64 sondern bezeugen nur, daß hier eine harte Fügung vorliegt, die für den Erzähler grundsätzlich relativ leicht repa­ rierbar wäre. Wie leicht, zeigt das sog. Darmstädter Aventiurenverzeichnis, wo die Sage in die Geschichte von Seifrits Jugend eingebaut ist: Abinture wie siferit wusch %u stride und wie er hurnyn wart/vnd der nebulunge hurt gewan E er ritter wart,6’ Die problematische, doch unproblematisch korrigierbare Zuordnung zweier E r ­ zählabschnitte ist damit geglättet. Auch die späte Bearbeitung k aus Lienhard Scheubls Heldenbuch belegt, wie nahe dies lag. Die Erziehung zum höfischen Ritter am H o f zu Xanten ist dort ganz in den Hintergrund gerückt. Gleich die zweite Strophe, die von Sivrit erzählt, entspricht dem Bild der Sage: E r p f lag vil grosser Sterke der edel ritte r gut, Nach stürm und hartem streiten stund im sein sinn und mut; Durch streit und abenteure durchzog er manig lant, Bis er kam gen Burgunder! der wunderkun weigant. (k 22)

Ä< Auch in D , nicht jedoch in b (Batts, S. i4f.): Es gab, wie oben dargestellt, schon in den Hand­ schriften verschiedene Grade beim Versuch, alltägliche Glaubwürdigkeit herzustellen. 6* Vgl. C 24,1. Weggelassen dagegen ist in C die Strophe 24 der Vulgatfassung, die Sivrits Erziehung mit seinem Erscheinen bei H o f enden läßt. 4 Vgl. dagegen Andersson (1980), S. 158. Erst der Bearbeiter öffne „seinem Helden einen Freiraum, den er später nach Bedarf ausfullen wird, immer dann, wenn er die Requisiten der mythischen Tradition, des Unglaublichen benötigt“ (Ehrismann, 1987, S. 113). Der Schluß daraus: „ A u f einem der jugendlichen Streifzüge könnte also Siegfried Herr über das Land gen Nibelungen (484) geworden sein“ argumentiert wieder vom Standpunkt des Historikers aus, der der besten Quelle für ein ver­ gangenes .Faktum* folgt. 6’ de Boor (1959), S. 176; 187. Der Drachenkampf ist von dieser Geschichte getrennt (zu dessen mut­ maßlichem Platz im Erzählgefuge: S. 18 9 -19 1).

Heroisches E rzäh len und buchepische Komposition

Der gewaltsame Auftritt in Worms ist hier Ziel der Bewährung als Heros, der Seifrit von Anfang an ist, indem er in seinerju g en t v il mange tode schlug (k 27,2), indem sein Sinn nur A u f sturm en und a u f streiten gerichtet ist (k 27,3) und indem er zwar m l in hüte seiner Eltern ist (k 26,1), doch ohne daß das Bild eines immer beaufsichtig­ ten jungen Höflings entstünde. In k ist damit chronologisch plausibel eine Span­ nung beseitigt, wie sie die Vulgatfassung aufgebaut hatte, indem sie den Dra­ chentöter zum höfischen Ritter stilisierte. Möglich war also die Integration der Geschichte des Heros und des höfischen Ritters allemal. Wo sie - wie in k - einem mäßig begabten Redaktor mühelos gelang, wird man die Verweigerung einer solch schlichten Auflösung in der Vulgatfassung wohl ernstzunehmen haben. Die beiden Versionen von Sivrits Jugendgeschichte repräsentieren unterschied­ liche Weisen des Erzählens, das sorgfältiger dimensionierende schriftsprachliche des Buchepos und das informell-mündliche, das der Sagenfigur in den Mund gelegt wird. Das Sagenwissen vom Drachentöter wird suspendiert, bis es von Hagen nach­ holend bestätigt wird. Damit wird jedoch nicht einfach die vom Erzähler aufge­ baute höfische Welt beiseitegeschoben. Vielmehr bleibt sie Widerpart dessen, was der Sivrit der Sage ist.66

Erzählen in fingierter Mündlichkeit: Hagens niuwemœre Hagens Bericht von Sivrits Jugend ist nicht schlechter erzählt,67 sondern anders. E r unterscheidet sich von dem des Erzählers schon in der Zeitstruktur. Hagen ordnet das, was er zu erzählen hat, weder räumlich noch zeitlich dem bisher Erzählten irgend zu: Die Tat, die Sivrit zum Helden macht (die kitenen N ibelunge sluoc des beides hant, 87,2), hat weder Ort noch Zeit, sie fällt aus der Kette der bisher erzählten Ereignisse heraus. Die Störung linearer Kohärenz, wie sie bis dahin vorgeherrscht hatte,68 fallt mit dem Übergang in eine andere Welt zusammen.69 Unklar sind die räumlichen Dispositionen: Wo liegt das Land Nibeluncs (das Epos spart sonst nicht mit geographischen Angaben, mögen sie auch von heute aus gesehen unpräzise sein)? Wie kommt man dorthin (Sivrit ist plötzlich ,da‘)? Die Umgebung ist rudi­ mentär skizzierte Kulisse: vor einem berge (88,2) trifft Sivrit auf Krieger; u% einem holen berge (89,2) - demselben? - wurde der Hort herausgetragen; ist es auch noch derselbe Berg, vor dem Sivrit später mit Alberich zusammenprallt, wenn beide wie

66 Vgl. W olf (1987), S. 180. E s handelt sich ebenso wie bei Kricmhilt um ein bewußt entworfenes Gegenkonzept. 67 D e Boor (1959), S. 185 spricht von „nicht eben klar[en] Andeutungen“ - „er hat lediglich Unklarheit verursacht“ - und vermutet deshalb für das Darmstädter Aventiurcnverzcichnis m eine deutlich klärende Ausweitung. 6' Reichert (1990), S. jo8. 69 Khrismann (1987), S. 1 1 5f.

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Hagens niuwemœre

die Löwen an den berc (97,2) laufen? Fragen, die heroisches Erzählen nicht stellt. Räumliche Unbestimmtheit ist alles andere als ungewöhnlich in Heldenepik: ,der‘ Berg, ,der‘ Baum, ,der‘ Brunnen genügen als Kulisse, ohne daß sie in ihrem Ver­ hältnis zueinander näher bestimmt werden müßten; es kommt auf die Bedeutung derartiger Raumsegmente und Requisiten an, die sie dem Geschehen verleihen, nicht auf ihren Platz in einem raumzeitlichen Kontinuum. Auch das .Nibelungen­ lied* kennt noch diesen Darstellungstypus. Auffällig aber ist an Hagens Erzählung die Massierung solcher Eigentümlichkeiten. Hagens Bericht ist ,Rede* und macht als solche von deren Lizenzen Gebrauch. Seine Erzählweise ist mit der fremden Welt verbunden. Wenn Sivrit später dorthin zurückkehrt - %e einem [ ! ] lande (484,2), wie es wieder seltsam ungenau heißt - wird der Raum - diesmal in der Rede des Erzählers - ähnlich undeutlich bleiben (.eine* Insel, ,ein* Berg, .eine* Burg, 485,1-3). Nicht weniger unbestimmt die zeitlichen Relationen. Das unterscheidet den Pas­ sus von den mit exakten (wenn auch oft unwahrscheinlichen) Zeitangaben zuein­ ander relationierten Erzähleinheiten des Epos: Was Sivrit, Hagen zufolge, mit­ bringt, ist ,neu* (niuwemœre), denn in der Tat haben die Ritter in Worms bisher nichts davon gehört, doch diese niuwemœre ist nicht datierbar. Auch jüngste Ver­ gangenheit darf man nicht assoziieren, denn was Hagen erzählt, ist überhaupt nicht auf den Fixpunkt irgendeines Jetzt bezogen. Zwischen dem herausragenden E reig­ nis ,damals*, dem Erschlagen der beiden Könige, und .heute* liegen außerdem weitere heroische Taten, die in Raum, Zeit und Umständen noch weniger fixiert sind: er frumte starkiu wunder mit sfner grölen krefte sint (87,4). Nach der Geschichte vom Horterwerb geht Hagen zum Drachenkampf über: Noch wei^ ich an im mère da^ m ir ist bekant. einen lint rachen den sluoc des beides hant. ( 1 0 0 , if.)

Der Wagnerkenner ist daran gewöhnt, daß Hort und Drache als Schatz und Schatz­ hüter miteinander verknüpft sind und daß der Gewinn des einen den anderen sein Leben kostet. Deshalb fragt er nicht näher nach: Geht der Drachenkampf voraus? Folgt er später (sint)? Spielt er sich in derselben Gegend ab oder ganz woanders? Welche Verbindung besteht zwischen dem Drachen und den Nibelungenkönigen?70 Bei welchen .häufigen* Gelegenheiten (dicke) erweist sich (100,4), daß Sivrit unver­ wundbar geworden ist? Nichts davon wird im Epos beantwortet. Die Relation der einzelnen Ereignisse zueinander bleibt undeutlich. Als Zeitadverb steht überwie­ gend das unspezifische sit zur Verfügung, das zwar einen .späteren* Vorgang von einem .früheren* abhebt, jedoch kein eindeutiges Verlaufsgefüge zu rekonstruieren erlaubt (94,3; 96,2; 97,3).

70 Auch Göhler (1996), S. 218 sieht keine Verbindung; vgl. Stutz (1990), S. 4 12.

Heroisches E rzäh len und buchepische Komposition

In der Welt, von der Hagen spricht, gibt es raumzeitliche Raster und logisch miteinander verknüpfte Geschehensfolgen nicht: Sivrit ,ist‘, wenn er in Worms erscheint, ,der, der den Drachen getötet und den Schatz erobert hat“. Wie er dazu wird, bleibt unklar. Der Xantener Königssohn hatte eine Geschichte: E r wuchs heran, wurde sorgfältig erzogen, erhielt die Schwertleite, verzichtete zunächst auf eigene Herrschaft, entschloß sich zur Brautwerbung. Der Drachentöter dagegen hat keine Geschichte, die in einem raumzeitlichen Kontinuum verortet werden könnte. Sivrit ist von Anfang an der, den man kennt. In jenem Irgendwo ,findet“ er fremde Krieger der Könige Nibelunc und Schildunc: die wären im ê vremde, un^ er ir künde da gewan (88,4). Das ist eine seltsam leere Floskel, die im Fortgang noch rätselhafter wird: Sivrit kommt in eine für ihn völlig fremde Umgebung, die er erst jetzt kennenlernt, doch hindert das nicht, daß dort ir einer1 ' ihn schon kennt und sagen kann: hie kum t d er starke S iv rit, der heit von N id erla n t (90,3). Das sind der Name und der Beiname, unter denen Sivrit später berühmt ist - als der starke S ifr it wird ihn z.B. auch Prünhilt sogleich apostrophieren (416,2) - , doch wieso heißt er hier schon so? Bevor er seine Stärke gezeigt hat und ohne daß davon die Rede war, daß sich sein R u f über Xanten hinaus verbreitete? Auch scheint i r einer nicht ein belie­ biges Individuum, das sein zufällig erworbenes Wissen seinen Gefährten mitteilt, sondern was ir einer sagt, gilt für alle:7* ,M an‘ weiß, wer Sivrit ist, und deshalb muß auch niemand nachfragen, wen der Sprecher mit diesem starke[n] S iv rit denn ei­ gentlich meine. Sivrit wird von Anfang an also als der Held identifiziert, der er doch eigentlich erst noch durch eine heroische Tat werden müßte. Vorher und Nachher haben keine Bedeutung. Unklar sind weiterhin Anlaß und Verlauf des Streits: Sivrit ,sieht“ den Versuch, den Nibelungenschatz zu teilen. E r wird freundlich empfangen, und man überträgt ihm den Schiedsspruch. E r stimmt zu, erhält das Schwert i(e m iete (93,1), doch scheitert er an der Aufgabe (e r’n kündet^ niht verenden , 93,4). Die Auftraggeber ge­ raten in Zorn (93,4). Ihre riesenhaften friu n d e sind plötzlich da (94, i )7) mit 700 weiteren Kriegern, die alle durch das Schwert Balmunc bezwungen werden. Es folgt die Unterwerfung des lant %uo den bürgen (95,4) unter Sivrits Herrschaft. Dann erst wird gesagt, daß die beiden Könige erschlagen werden. Später - oder infol­ gedessen? - (s it : wann eigentlich?, 96,2) wird Sivrit von Alberich bedrängt.71*5

71 Das wird von Eifler (1989), S. 280 im Sinne .wahrscheinlicher* Verknüpfung paraphrasiert: „als Sieg­ fried näherkommt, wird er von einem der Beteiligten erkannt“ - so als hätte ihn jemand schon einmal gesehen und als wüßte daraufhin jeder, wer gemeint ist; beides sagt der Text nicht. 71 Auch Hagen wird von den Wasserfecn, ebenfalls Bewohnern jener anderen Welt, später sofort erkannt und mit Namen genannt werden (15 5 5,2 ). Bei Heroen versteht sich das. 75 Wo steht eigentlich: „sie bieten ihre Anhänger gegen Siegfried auf, darunter zw ölf unerschrockene Männer, da% starke risen wären“ (Eifler, 1989, S. 280)? So oder ähnlich könnte man sich den Verlauf denken, handelte es sich um einen Tatsachenbericht. Das Epos sagt nichts davon. In Hagens a l o ­ gischer Darstellung heißt es: Si beten da ir friunde %welf kiiene man [ . . . ] (94,1).

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Hagens niuwemœre

Das ist alles andere als klar, besonders was Ursache und Folge betrifft. Unklar schon die Rolle Sivrits. E r ist bei den Fremden bekannt, obwohl man ihn doch erst noch kennenlernen muß. N ur als der starke S îv rit ist er für die Schiedsrichterrolle qualifiziert, aber als der starke S îv rit erweist er sich erst, wenn er sich allein gegen eine weit überlegene Schar von Kriegern behaupten muß. E r gebraucht dabei, als die Teilung mißlingt, das Schwert, das man ihm zum Lohn schenken wollte (wenn es dasselbe ist); es ist an erster Stelle dieses Schwert (und erst an zweiter der k ü en e[] m an , 9 5 , } ) , das die Leute der beiden Könige zur Unterwerfung zwingt.74 Worum geht es eigentlich? Um Erbteilung? Warum mißlingt sie? N ur das Resultat erfahrt man: e r’n künde% niht verenden: si waren %ornec gem uot ( 9 3 , 4 ) . Beachtung verdient das wären (statt etwa wurden ), denn es stellt die Aktion Sivrits und die Reaktion der Könige in kein exaktes zeitlich-kausales Verhältnis, so daß, streng genommen, un­ klar bleibt, ob der Zorn Reaktion auf das Mißlingen der Teilung ist oder ob die Teilung mißlingt, weil die Kontrahenten bereits %ornec sind: Die Situation ,ist‘ konfliktträchtig, und so artet sie folgerichtig in Gewalt aus; der K am pf ist im Gange, ohne daß gesagt werden muß, daß er anfing. Auch sonst bleibt vieles dunkel. Woher taucht Alberich plötzlich auf (er kom von A lb rîc h e stt in grö%e not, 96,2)? Wann und in welcher Form hat man sich einen Vorgang eigentlich vorzustellen, wie ihn der Vers erzählt: da% lant %uo den bürgen si im täten undertän (95,4)? Doch schwerlich - wie die Erzählprogression nahelegen könn­ te - vor dem Tod der Könige (96,1) und vor dem K am pf mit Alberich (96, 2ff.)? Vermutlich aber vor der Rückführung des Schatzes und der Bestellung Alberichs zum Kämmerer? Folgt man Hagens Rede, dann steht das Ergebnis der Unterwer­ fung von Land und festen Plätzen schon fest, bevor - nahezu nebenher - erwähnt wird, daß Sivrit auch die Könige erschlägt. Am Ende das Resümee: D ie da torsten vebten, die lägen alle erslagen (98,1) - doch worauf bezieht es sich? Alberich, mit dem Sivrit der voraufgehenden Strophe zufolge (97) gekämpft hat, kann nicht gemeint sein, denn er überlebt. Werden damit die Vorgänge bis zum Tod der Könige (96,1) zusammengefaßt? Warum aber folgt der Vers erst zwei Strophen später, nach dem K am pf mit Alberich? Natürlich weiß man intuitiv auf all die Fragen, wie sie eine mißtrauische Lektüre aufwirft, eine Antwort: Es wird schon derselbe Berg sein, von dem immer wieder die Rede ist. Wenn die Söhne sich um einen Schatz streiten, der dem Vater gehört hat, und dieser Vater nirgends auftritt, wird er wohl tot sein, der Streit also ein Erbstreit. Alberich wird schon unter den alten Herrschern mit dem Schutz des Schatzes betraut gewesen sein, und so fort. Fragen wie die skizzierten werden professionelle Leser des .Nibelungenliedes' deshalb zurecht als unangemessen zu­ rückweisen, denn es besteht Einvernehmen darüber, daß im heroischen Epos nicht 74 Wie man wohl naheliegenderweisc schließen muß, ist es das eben gewonnene Schwert, das von den jungen recken gefürchtet wird. Gesagt wird das nicht.

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Heroisches E rzäh len und buchepische Komposition

in linearer Progression und mit Anspruch auf möglichst vollständige kausale Ver­ knüpfung erzählt wird. Das gilt auch sonst an einer Reihe von Stellen für das .Nibelungenlied', freilich nirgends so auffällig wie in Hagens Erzählung. Hier ist jener Erzählstil so radikalisiert, daß Ursache und Folge, Vorher und Nachher, E n t­ ferntes und Benachbartes verschwimmen. Hagens Erzählung zitiert einen Erzähl­ gestus, von dem sich das .Nibelungenlied' sonst bereits zu entfernen beginnt. E r setzt eine Auffassung von Kausalität voraus, die von Cassirer noch als .mythisch' beschrieben wurde, die aber offenbar über den echten Mythos hinaus wirksam war7’ und die von Lugowski „mythisches Analogon“ genannt wird.*76 In ihr ist die Zeitstruktur des .Vorher - Nachher' aufgehoben oder gegenstandslos. Ein Zusammenhang besteht auch dann, wenn er nicht exakt zeitlich artikuliert werden kann, also etwa als .Entwicklung'. Das Verhältnis von Hagens Heldensage zur Geschichte des höfischen Sivrit in Xanten kann nicht chronologisch-kausal bestimmt werden, denn es handelt sich um kein Verhältnis in der Zeit, sondern um eine Aussage über die widersprüchliche Natur des Helden. Daß dieser Erzählstil schon im Jahrhundert des höfischen Romans als lückenhaft empfunden wurde, zeigen spätere Eingriffe. So sah sich der Bearbeiter von *C veranlaßt, eine Strophe einzuschieben und aus der gescheiterten Teilung des Schat­ zes den Ausbruch des Kampfes herzuleiten: ern kundes niht verenden; do wart der heit von in bestan. Den schaff er vngeteilet beliben mvse lan. do begunden mit im striten der zweier kunige man. mit ir vater swerte, das; Palmvnc was genant, es; streit ab in der chune den hört vnd Nibelung lant.

(C 9 3 ,4 ; 9 4 )77

Hier ist die klare Kausalität und Verantwortlichkeit hergestellt, die die Vulgatfassung vermissen läßt.78 Sogar das Schwert wird zweifelsfrei identifiziert: Pedanterie im Dienste schriftsprachlicher Kohärenz. Noch mehr Licht sucht Lienhard Scheubls Heldenbuch (k) in das Geschehen zu bringen. Der Erwerb des Hortes passiert nicht irgendwie, sondern ist eine von

71 Martinez (1996), S. 18; Gabriel in: Martinez (1996), S. 4 9 -6 1; vgl. Cassirer zu Kausalität, Raum-, Zeitund Prozeßstruktur (19 25/19 9 7), S. 5 5 -7 7 . 76 Lugowskis „M otivation von hinten“ beschreibt eine Figur der Aufhebung klarer zeitlicher Progres­ sion, die eine Wenn-dann-Relation konstituiert; dies nennt er ein „mythisches Analogon“ (vgl. Marti­ nez, 1996, S. 19). 77 Ähnlich Db. Entsprechend muß später in *C die Str. 95 (B 93; ebenfalls in AJdh) ausfallen, die berichtet, daß Sivrit mit Balmunc seine Gegner bezwingt. Die A bfolge in C D b ist eingängiger, die andere die lectio difficilior (vgl. Batts, S. jof.). 78 Eifler schreibt dazu (1989, S. 28of.): „D er B-Text hat auf eine derartige Verantwortlichkeitszuweisung offensichtlich keinen Wert gelegt. Sie war nicht erforderlich, wo es sich nur darum handelte, Sieg­ frieds Sieg gegen eine große Übermacht und damit seine Stärke zu berichten, und sie war auch nicht möglich, da der Berichterstatter Hagen ja kein Augenzeuge des Vorgangs gewesen war“ - als ob, was das letztere betrifft, je ein Epenerzähler auf solche Bedenklichkeiten Rücksicht genommen hätte.

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Hagens niun>emetre

Anfang an intendierte Handlung Seifrits: D en schleich er nach m it listen, bis er den sc h a ff gewan (k 87,4).79 Seifrit wartet darauf, daß er zugreifen kann: Da% merkt gar wol Seijride und eilet schnelligleich. E r kam in also nahen, da% er den schat%ersach Under den Nibelunger. (k 88,4-89,2) Als Schiedsrichter legt er es gleich auf Betrug an und setzt sich über das, was er versprochen hat, hinweg:80 Si wurden keiner trewe da von dem held gewert: E r globet in mit trewen, er wolt si han in hut; Da% brach an in der degen und traib groß ubermut.

(k 92,2-4)

Wegen Seifrids Verrat bricht dann folgerichtig der K am pf aus, den er gegen die Riesen, die künen recken (k 95,1) und Alberich, der sie rächen will, gewinnt.8' Vor der Folie von k fällt die Untermotivation in Hagens Erzählung auf. Diese Untermotivation wird offenbar als Kunstmittel bewußt eingesetzt. Hagens Bericht bleibt ein Fremdkörper und ist als Fremdkörper in die Jugendgeschichte Sivrits montiert. Wenn man im ,Nibelungenlied4 insgesamt Elemente von Mündlichkeit zu entdecken glaubte, dann sind diese Züge in Hagens Bericht nicht etwa nur ver­ stärkt, sondern sie werden gezielt eingesetzt.82 Die Jugendgeschichte ist als ,Rede‘ inszeniert, die an das erinnert, was ,von allen gesagt4 wird. Hagen nennt immer wieder als Quelle seines Wissens ,das, was man hört4 (niuwemcere, 87,1; da ç ist m ir w ol geseit, 88,2; so w ir hären sagen, 92,1; aber auch: da^ m ir ist bekant, 100,1; d a \ ist dicke worden sein, 100,4). ,Sage4 ist im buchepischen Entw urf des ,Nibelungenliedes4 sti­ listisch markiert, und sie erscheint in der höfischen Atmosphäre der ersten Aventiuren als erratischer Einschub. Natürlich muß Hagens Erzählung nicht wirklich Relikt verlorener Mündlichkeit sein, sondern sie zitiert nur einen anderen Erzählgestus als den des Buchepos und inszeniert ihn als mündliche Rede. Sie ist deshalb nicht wirr oder unverständlich, denn in prätendiert mündlicher Rede gelten andere Anforderungen. Hagen (und durch ihn der Erzähler) kann an ein ,Wissen4 seiner Hörer appellieren, das Leer­ stellen auffüllt und deshalb den Bericht von Sivrits Heldentaten als schlüssig ak­ 79 Statt die wären im ê vremde, un\ er ir künde da gewan (88,4). *° Daß „Siegfried hier etwas tut, was eigentlich nicht in Ordnung ist. E r raubt den Schatz ja förmlich“ (Peeters, 1986, S. 7), ist ein Urteil, das sich auf diese Version, nicht den Vulgattext bezieht. *' In Besitz nehmen des Schatzes heißt hier hin furen (k 97,2), während er in * A B wieder an seinen ursprünglichen O rt gebracht wird (98,2f.), wo er sich auch später in der 19. Aventiure noch befindet: Die Plausibilität der Szene geht also, wie üblich, auf Kosten des Gesamtzusammenhangs; de Boor (1959), S. 182 vermutet auch für das Darmstädter Aventiurenverzeichnis m eine andere Version des Horterwerbs (Seifrid führt den Hort hinweg), die den späteren Hortraub ausschließt. ,2 Einige Forscher nehmen mindestens differente stilistische Register zwischen erstem und zweitem Teil an, wobei der zweite archaischer ist (vgl. Voorwinden, 1990, S. 438 u. 441h zur Kampfschilderung und -motivation).

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Heroisches E rzäh len und buchepische Kom position

zeptiert. Wie in mündlicher Rede können Antizipationen und Nachträge, räumliche und zeitliche Sprünge durch begleitende Gesten zueinander relationiert werden: ,Man versteht4 den Sprecher. Zugleich aber macht der Erzähler durch die Brechung in der Figurenrede, auch durch die Divergenz zu seiner eigenen Erzählung auf einen anderen Zustand von Welt aufmerksam, der vom bekannten radikal unter­ schieden ist, eine Welt, in der man Drachen tötet und märchenhafte Schätze er­ wirbt. Die heroische Welt, die mit Sivrit bedrohlich in Worms einbricht und sich gleich in der ersten Konfrontation mit den burgondischen Königen gewaltsam zu entladen droht, steht unter ,anderen4 Gesetzen, Gesetzen auch des Erzählens. Diese anderen Gesetze werden als wunder apostrophiert (schon i , i ; hier 89,2; 101,4), das wundern erregt (89,4), als seJtsaniu mare (90,4). Doppelungen Solch deutliche stilistische Markierung ist sonst selten. Doch konkurrieren im ,Nibelungenlied4 öfter schriftsprachliche Kontextualisierung und syntagmatische Kohärenzbildung mit kontextloser und unverbundener Darstellung einzelner Sze­ nen. Am Beispiel der sog. .Formeln4 hat man gezeigt, wie es Darstellungsmuster und Elemente mündlicher Dichtung im Dienste seiner buchepischer Konzeption zitiert und wie sich diese Elemente zu einem künstlichen Idiom, einem „Nibelungisch“ verbinden, das der Autor als Zeichen der Nähe des Gegenstandes zu einer ihm schon fremden Mündlichkeit, also in Auseinandersetzung mit einer Poetik, die nicht mehr die seine ist, ausdrücklich erfunden und eingesetzt hat.8} „Nibelungisch“ ist eine Literatursprache.*84 Ihr entsprechen besondere Kompositionsstrategien. Das .Nibelungenlied4 entwirft großräumige Zusammenhänge weniger in der Weise handlungslogisch-linearer Verknüpfung als in der Form scheinbar redundanter Doppelung, die sich bei genauerem Zusehen als Variation erweist. Redundanz und Wiederholung des Immergleichen sind typisch für Oralität.8’ Konstruktion eines komplexen Gebildes aus differenten Bauelementen ist eine Errungenschaft von Schriftkultur.86 Variierende Verdoppelung dient buchepischer Kohärenzbildung in einem der Mündlichkeit entstammendem Material.87 *’ Curschmann (1979), S. 94; ders., (19 8 5/19 8 7), Sp. 955!.; ders., (1992), S. 60; Wachinger (19 8 1), S. 95: „Literarisierung eines mündlichen Erzählstils“ . 84 „D as ,Lied‘ transponiert und stilisiert traditionelle Mündlichkeit zur episch inventarisierenden G roß­ erzählung ,im alten Stil“ * (Curschmann, 1989, S. 382). Man muß sich über den metaphorischen Status dieser Rede im klaren sein. Versuche wie die von Reichert (1990), dieses,Idiom“ im einzelnen dingfest zu machen, enden im Ungefähren. Reichert spricht übrigens von der .K lage“ durchweg als „C läge“ . O ng (1982/1987), S. 43; Haug (1996), S. 194. 86 Assmann (1992), S. 97. „Vom Barden erwartet das Publikum das Vertraute, vom Autor das Unver­ traute“ (Assmann, 1992, S. 98). Etwas anders Haug (1996): Variierende Wiederholung in Buchepik ist Mittel weiträumiger Integration: „Handlungsdoppclung unter wechselnden Vorzeichen“ als „Mittel der Sinnkonstitution“ (S. i94f.): „Beim unfesten Text der improvisierenden Dichtung liegt der Sinn im Identischen, beim festen Text der schriftlichen Dichtung liegt er in der Differenz “ (S. 195). 87 Haug hat vorgeschlagen, den zweiten Teil des .Nibelungenliedes“ als variierende Wiederaufnahme des

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Doppelungen

In anderen Heldenepen läßt sich der Übergang vom einen zum anderen deutli­ cher beobachten, indem dort größere Gebilde zunächst nur durch Addition glei­ cher oder ähnlicher Elemente entstehen, ohne daß das Ganze mehr ist als jedes seiner Teile. Im ,Buch von Bern** etwa muß die Rückkehrschlacht Dietrichs dreimal (nimmt man die ,Rabenschlacht“ hinzu: viermal) geschlagen werden, und jedesmal muß Sieg in Mißlingen münden. Damit realisiert sich immer wieder dieselbe Struk­ tur, in der Dietrich als glückloser Sieger erscheint; die Varianten haben - mit Ausnahme des letzten Kampfes in der ,Rabenschlacht“ - keinen Perspektivpunkt. Bloße Wiederholung bringt das Geschehen auf buchepische Dimension, doch ohne die Möglichkeit schriftsprachlicher Texte zur Sinnstiftung zu nutzen: Mündlichkeit im Übergang zur Schrift.8,t Das .Nibelungenlied“ dagegen steht eindeutiger auf Seiten der Schriftkultur. Va­ riierende Verdoppelungen haben vor allem drei Funktionen: komplexe Konstella­ tionen darzustellen, die Gleichzeitigkeit antagonistischer Motive auszudrücken oder aber durch Wiederholung einer teils unveränderten, teils umbesetzten K o n ­ stellation .Veränderung“ sichtbar zu machen. Häufig verbinden sich die drei Funk­ tionen miteinander. Was an Wiederholungen als überflüssig oder gar widersprüch­ lich kritisiert wurde, löst sich insofern meist als funktional sinnvoll auf. Das D ar­ stellungsverfahren wurde „aggregativ“ genannt. .Aggregative“ Darstellung besagt Aufbau aus relativ selbständigen Blöcken, Nicht-Systematizität, nicht lineares Fort­ schreiten von einem zum anderen, sondern abrupter .Sprung“, Nicht-Integration der Elemente in einen übergreifenden Verlauf oder Sachkomplex, stattdessen Her­ stellung von Sinnbezügen durch Addition ähnlicher oder widersprüchlicher, jeden­ falls aufeinander beziehbarer Komponenten.®9 Komplexität ergibt sich dann aus der Konfiguration isolierter Elemente. Aggregativ können Figuren, Szenen, Episoden eingesetzt werden. Zunächst ein einfaches Beispiel: Als Hagen scheinbar ohne Grund sich am K a ­ plan der Burgonden vergreift, ist die Reaktion: Giselher der junge, sjirnen er% began. er’n wold' i\ doh niht lâiçen er enhet im leide getan. Do sprach von Burgonden der herre Gêrnôt: “wa? hilfet iuch nu, Haeene, des kappelânes tot? t-S

ersten zu verstehen, „aber nun als subjektiv-bewußter A k t“ . Das ist der weitestgehende Versuch, Verdoppelungen als Kommentar zu verstehen, doch nähert er m .E. das .Nibelungenlied* zu sehr dem genuin schriftsprachlichen Doppelweg des höfischen Romans an. Dessen Schema findet im Text jedoch keine Stütze (vgl. 1994, S. J96f.). 88 Vgl. Haug (1979), bes. S. 1 1 9 - 1 2 5 ; Müller (1980), S. 231. *9 Czerwinski (1989), S. 14; 45; 79; 90 u.ö. Beispiele aus dem höfischen Roman; zur Diskussion des Begriffs Strohschneider (1995), S. 1 77f-

D 7

Heroisches E rzäh len und buchepische Komposition

Der eine zürnt, der andere spricht. Beides weist in dieselbe Richtung: warum also nicht nur ein und derselbe Vorgang? Indem die gleiche Reaktion auf zwei Figuren auseinandergelegt wird, ist sie keine individuelle mehr. Gernot und Giselher sind die beiden durchweg positiv gewerteten Figuren im Wormser Herrschaftsverband; ihre Reaktion steht metonymisch für eine kollektive: Die Rechtdenkenden in G un­ thers Heer mißbilligen die Gewalttat, aber sie tun nichts dagegen als reden und zornig sein. Aufspaltung und Verdoppelung drücken die Komplexität der Reaktion aus. Die gleiche Geste kann auch, auf verschiedene Figuren verteilt, Entgegengesetz­ tes ausdrücken. Als die Burgonden an Etzels H o f eintreffen, scheinen sich Etzel und Kriemhilt ähnlich zu freuen: Kriemhilt diu vrouwe in ein venster stuont: si warte näch den mögen, sofriunt nachfriunden tuont. von ir vater lande sach si manigen man. der künic vriesc ouch diu mare; vor liebe er lachen began. "Nu wol mich miner vreuden", sprach Kriemhilt. "hie bringent mine mage vil manigen niuwen schilt und halsperge wi%e: swer nemen welle golt, der gedenke miner leide, und wil im immer wesen holt. “ (1716-1717) Die Freude des Königspaares scheint das zu sein, was sich gehört zwischen Ver­ wandten so fr iu n t nach friu n d en tuont\ Etzels Lachen verleiht dem Ausdruck. Kriemhilts vreude glaubt er aus derselben Quelle gespeist. Kriemhilt unterlegt Etzels L a­ chen aber eine andere Bedeutung: Möglichkeit zur Rache. Die Doppelung drückt Ambivalenz aus. Die Zerlegung eines Vorgangs in zwei Szenen erlaubt es, unterschiedliche Aspek­ te herauszustellen. Wenn z.B. Gotelint von Rüedegers Auftrag nach Worms in Kenntnis gesetzt wird, dann erfährt sie durch Boten zunächst nur von der Tatsache der Brautwerbung (1160,3), die Rüedeger für Etzel zu übernehmen hat, was sie schemagerecht beunruhigt, denn Brautwerbungen sind nun einmal gefährlich. Wenn sie dann in ehelicher Intimität Genaueres erfragt (1168/1169), dann wird die Brautwerbung in den gewöhnlicheren Kontext dynastischer Geschichte hinein­ genommen: Gotelint freut sich über die neue Herrin. Von der Handlung her nötig ist solch eine Aufspaltung der Nachricht und der Reaktion auf sie nicht, doch erlaubt sie, zwei Ansichten des Vorgangs in der Reaktion einer Beteiligten zu spie­ geln. Die Verdoppelung kann entgegengesetzte Aspekte ausdrücken. So erklärt sich ein ,Widerspruch* gegen Ende des Epos: Dietrichs Gefolgsleute bitten die Burgon­ den um Rüedegers Leichnam, um ihn angemessen zu bestatten, Gunther antwortet ihnen rühmend: nie dienest w art sô guot/sö den ein vriunt vriunde näch dem töde tuot (2264,if.), aber Volker verhindert den Totendienst, indem er den Amelungen den

Doppelungen

Leichnam verweigert. Später aber, wenn Dietrich diese Verweigerung Hagen und Gunther vorwirft, übernimmt plötzlich Gunther die Verantwortung dafür: den bie% ich in versagen Etteln %e leide, und niht den dinen man, un% da£ dö Wolfhart dar umhe schelten began.

(2335,2-4)

Das ist kein ,Fehler*, sondern zeigt widersprüchliche Anforderungen an den K önig an. Gunther wird ihnen auf doppelte Weise gerecht: durch Lob der Sorge, die seine Feinde für den toten Freund beweisen, und durch Zurückweisung einer Geste, die als Nachgeben ihnen gegenüber gedeutet werden könnte, durch heroische Unnach­ giebigkeit und durch Achtung vor dem Feind. Da die Handlungskonsequenzen einander ausschließen, werden sie zunächst auf zwei Figuren verteilt, Gunther und Volker; der eine lobt, der andere verweigert. Doch gelten beide Verpflichtungen, und deshalb gibt es grundsätzlich keinen Dissens zwischen Gunther und Völker, so daß der K önig später Volkers Weigerung als seine eigene Anordnung übernehmen kann. Durch variierende Verdoppelung können weiträumige Bezüge hergestellt wer­ den, etwa zwischen Sivrits Werbung um Kriemhilt, der Gunthers um Prünhilt und Sivrits Fahrt ins Nibelungenland (8. Aventiure), die sagenschichtlich als Variante des Horterwerbs verstanden wurde.90 Sie lassen sich als Transformationen des Brautwerbungsschemas verstehen, in dem darüber verhandelt wird, wer die beste Frau erhält und wer zu recht Herrscher ist.*9' Nach der Auffassung Sivrits und Prünhilts und nach den implizit vom Erzähler vorausgesetzten Normen sollte es der Stärkste sein. Bei Sivrits Werbung um Kriemhilt sind beide Motive - K am pf um die Herrschaft und K am pf um die Frau - so selbstverständlich miteinander verknüpft, daß sie füreinander eintreten können. Der Zweikam pf um Gunthers Land soll, so scheint Sivrit vorauszusetzen, ihm auch die Frau verschaffen, deretwegen er nach Worms gekommen ist. Damit trifft er auf Unverständnis und Ablehnung. Das Prinzip, daß der Stärkste die Schönste erhält, wird abgebogen. E s läßt sich in dem komplexen Herrschaftssystem von Worms nicht unmittelbar realisieren. Bei der Werbung Gunthers in Isenstein dagegen ist der K am pf um die Frau von Anfang an das Hauptanliegen, und er verschafft dem Sieger nebenher auch ein Land. Das Schema greift also. Allerdings sind diesmal die Rollen falsch besetzt, indem insgeheim Sivrit für Gunther agiert, nicht der Stärkere, sondern der Schwä­ chere die schönste Frau gewinnt. Die Erfüllung des Schemas basiert auf einer Lüge. Prünhilts Versuche, sie aufzuklären, kosten Sivrit das Leben. 90 So Bumke (19 58), S. 258; 266f.; vgl. noch Mertens (1996a), S. 65. 9' Strohschneider (1997), S. 51, in dessen Deutung allerdings die .politische* Besetzung des Schemas hinter Strukturvarianten zurücktritt. Ich deute aus diesem Grund die Szenenfolge etwas anders (vgl. S. 17 0 -17 4 ).

Heroisches E rzäh len und buchepische Komposition

Wieder anders in der dritten Variation, im Nibelungenland, wo Sivrit sich als der Stärkste erweist und folglich mit dem Herrscher identisch sein muß. Wenn Sivrit, obwohl ihm das Land schon gehört, im Zw eikam pf seinen eigenen Wächter über­ wunden hat, bescheinigt der ihm, da£ ir von wären schulden muget landes herre wesen (500,3). Hier sind die Rollen richtig besetzt. Nur fehlt als Preis die Frau. Nur indirekt dient Sivrits K am pf seiner Brautwerbung; indem er Gunther mit seinen Kriegern unterstützt, verschafft er noch einmal dessen Werbung E rfo lg und fördert dadurch seine eigene um Kriemhilt. Uneingeschränkt E rfo lg hat Sivrit nur außer­ halb der gewöhnlichen Welt, und dieser E rfo lg muß bei seiner Rückkehr dissimu­ liert werden. So ist das Schema auch in diesem Fall defizient. Eine verwandte Konstellation wird also dreimal durchgespielt, und nie stimmen alle Komponenten. Für die Frage, wer als Stärkster herrschen soll, wird eine Ant­ wort nahegelegt, aber episch voll realisiert wird sie nie. Der Konflikt, der im Streit der Königinnen ausbricht, baut sich somit über eine weite Strecke in drei Stufen auf. Die Variation stiftet Zusammenhang. Erkennt man diesen Erzählstil, dann lösen sich angebliche Widersprüche auf. Verdoppelt ist das Motiv für Sivrits Werbungsfahrt - die beiden Antriebe Kriemhilts Minne und K am pf um die Herrschaft sind einfach unverbunden nebeneinan­ der gesetzt. Sivrits Standeslüge muß nicht mehr als Spur einer ,ursprünglichen4 ständischen Inferiorität des Helden gelesen werden, sondern verstärkt durch Wort und Geste einen ständischen Aspekt des Betrugs. Verdoppelt ist die Überwindung Prünhilts, in Isenstein und in Worms. Kriemhilts Rache ist mit dem Mord an Sivrit und dem Raub des Hortes doppelt motiviert; sie hat zwei nicht hierarchisierbare Anlässe. Man sollte dieses Verfahren nicht nur mit einer „psychology o f oral composition“ erklären,92 vielmehr scheint die .Aggregation4 unabgestimmter oder sogar gegen­ läufiger Motivationen gleichfalls typisch für frühe volkssprachliche Schriftlichkeit. Die Doppelungen setzen weiträumige Dispositionen voraus. Dem Hörer wird nicht auseinandergesetzt, wie man von einem Zustand zum nächsten gelangt, sondern ihm werden zwei Bilder gezeigt, die, übereinanderkopiert, das Ganze ausmachen.

Störungen Ein weiteres Mittel, durch Handlungskomplexion einen diskursiven Kommentar zu ersetzen, sind seltsam folgenlose Störungen. Auch unter diesem Aspekt ist Kriem ­ hilts Streit um ihr Erbe (693-700) von Interesse. In dieser Szene sind die eigentli­

92 Haymes (1975)» 6. 164: „The progress o f narration in oral poetry can be understood as the result o f interaction between the themes belonging to the tradition as a whole and the events belonging to the specific song being sung“ .

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Störungen

chen Kontrahenten um die Macht, Sivrit und die burgondischen Könige, von A n ­ fang an auf Einigung gestimmt.*9 45 Kriemhilts Brüder sind zur Teilung bereit (693) und gestehen Kriemhilt - einer Frau! - sogar mehr zu, als für jeden der männlichen Erben dann übrigbliebe (697,3).94 Sivrit will sogar überhaupt nichts haben, weil er selbst genug besitze (694-695). Nur Kriemhilt besteht auf ihrem Anteil, wenigstens an Vasallen (696,if.). Doch ist auch dieser Konflikt zu Ende, bevor er begonnen hat, denn Gernot stimmt gleich zu (697); Kriemhilt läßt Hagen und Ortwin rufen (697,4F). Hagen aber weigert sich, Kriemhilt und Sivrit zu folgen. Kriemhilt muß nachgeben: D a \ liefen si beliben (700,1). Die Störung ist, kaum hat sie begonnen, schon wieder vorbei. Selbst Hagens vermeintliche Auflehnung gründet in enger Bindung an den H o f und den K ön ig:95 eine randständige und folgenlose Episode. Die Lösung ist friedlich, aber auch ohne rechte Entscheidung. Warum also diese Schleife? Dahinter verbirgt sich ein häufiger gewähltes Verfahren: In einer scheinbar überflüssigen Störung wird ein latenter Konflikt präludiert, weniger ein persönli­ cher - zwischen Kriemhilt und Hagen - als ein herrschaftlicher - zwischen Sivrit und der burgondischen Königsherrschaft. Im künftigen Machtkonflikt geht es frei­ lich nicht um Sivrits und Kriemhilts Teilhabe an der burgondischen Macht, son­ dern darum, ob sie selbst dieser Macht einverleibt werden. Die Störung wird erst viel später, dann aber umso verhängnisvoller virulent. Ganz ähnlich bringt später die Parallelszene, der Streit um die Herausgabe der Reste von Kriemhilts Besitz, die künftigen Kontrahenten in Position. Auch dieser Konflikt ist scheinbar ein bloßer Umweg, da vorweg von Rüedeger entschärft; er scheint in Kriemhilts Sinn gelöst zu werden, ohne daß die von Hagen befürchtete Wirkung eintritt,96 und er hinterläßt weder bei den Königen (die Kriemhilt unter­ stützen) noch bei Hagen (der sie noch einmal berauben will) Spuren. Wirklich gelöst aber wird nichts; die pragmatische Einigung ist kein Ersatz für die Rache. Daß etwas offengeblieben ist, läßt die Redaktion *C Kriemhilt in einer Zusatz­ strophe aussprechen: ein mort vnd %wene rovbe, die mir sint genomen, des mohte ich vil arme noch %e liebem gelte chomen.

( C 1 7 8 5 ,3 F.)97

9* Vgl. S. 93; Frakes (1994), S. 68 sieht in diesen Szenen einen epochentypischen Versuch der Männer, den Frauen keine Verfügungsgewalt über Besitz einzuräumen. M ir scheint dabei der erzählstrategi­ sche F.ffekt - es soll Einigkeit demonstriert werden - zu kurz zu kommen. 94 In der .Thidrekssaga* soll das Erbe zwischen Sigfrid und den Brüdern Kriemhilts hälftig aufgeteilt werden; dort wird insofern eine denkbare Auseinandersetzung erzählt (c. 204; 321). ” Vgl. S. 155. 96 Ganz deutlich ist das nicht, wie Kriemhilts späterer Vorw urf an Hagen in einer Zusatzstrophe in C 1785 zeigt. 97 Nach 1744 der Vulgatfassung; vgl. Göhler (1996), S. 224f.

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Heroisches E rzäh len und huchepische Komposition

Die rasch bewältigte Störung auf der Oberfläche ist Symptom einer tiefliegenden Gestörtheit. Das gilt auch für weniger spektakuläre Widerhaken, die oft nahezu unverständ­ lich von ihrer Umgebung abstechen. A u f Kriemhilts Reise zu Etzel reiht sich fest­ licher Empfang an festlichen Empfang. Umso überraschender ist plötzlich vom Unwillen der Leute Kriemhilts die Rede: Wes si dâ mère pjlagen, des enkan ich niht gesagen. da\ in so übele %ogete, da%hörte man dö klagen die Kriemhilde recken, wan i% was in leit. hey iva^ döguoter degene mit ir von Bechelären reit!

(1321)

Fragt man, was Kriemhilts Begleitung le it war, so erfährt man aus dem Kommentar zu %ogete, „daß ihnen die Reise so langsam vorwärts ging“ ; oder sollte es das G e­ genteil heißen: ,daß man sie so hetzte4?98 Entscheidend ist, daß etwas an der Reise übele verläuft und ihnen das leit ist: Der A blauf prunkvoller Auftritte, freundlicher Empfange und unausgesetzter Ehrbezeigungen, der scheinbar so glänzende Z ug hat irgendeinen Makel, und dieser Makel tritt mit der Reaktion des Gefolges ans Licht. E r geht nicht in der psychischen Dimension auf, sondern er ist ,objektiv*. Und so scheint mir der Vers ebenso auf künftiges Unheil zu deuten wie die viel­ zitierte Strophe, in der Kriemhilt sich trotz allem Glanz weinend erinnert, Wie s i sçe R în e sce^e ( 1 3 7 1 , 1 ) . "

Solche scheinbar folgenlosen Störungen begleiten den Z u g der Burgonden zu Etzel. Sie sind nicht auf spektakuläre Szenen wie den Übergang über die Donau beschränkt, der ja zur ersten bewaffneten Auseinandersetzung gerät, sondern treten gerade an unscheinbaren Details zutage: Etzels Grenze ist durch Eckewart, einen K riem h ilde man (1642,3), bewacht, doch der schläft. Die Szene offenbart einen selt­ samen Widerspruch: Mögliche Gewalt wird angedeutet (die Grenze muß gegen Westen geschützt werden) und im selben Z u g zurückgenommen (der Schutz er­ weist sich als unwirksam): die m arke Rüedegêres d i fu n den s‘ übele bewart (1632,4). Die Schwäche der Verteidigung zu betonen, hat Sinn nur, wo K am pf zu erwarten steht. Warum aber sollte sich die Wache gegen die geladenen Gäste des Königs richten? Weil die Gäste latent schon Feinde sind? Und warum nimmt Hagen Eckewart die Waffen ab, wo er doch ein Landsmann ist und man von Etzels offiziellem Beauf­ tragten eine gute Aufnahme zu erwarten hat, wie sie dann ja auch tatsächlich er­ folgt? Eckewart die Waffen abzunehmen, ist ebenso eine Vorsichtsmaßnahme wie eine Kränkung, über die Eckewart in einen trürigen muot (1632,2) verfallt, aber diesem muot wird plötzlich ein ganz anderer Grund untergeschoben: ,s Lexer III, Sp. 145F. läßt beide Bedeutungen zu; vgl. de Boor, S. 2 13 ; die Hss. D J haben ,eilen* verstanden, indem sie çaute setzten; beides ist handlungslogisch gleich sinnlos. ” Vgl. S. 228; 374.

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Störungen

„Owê mir dirre schände", sprach do Eckewart. ,jä riuwet mich vil sêre der Burgonden vart. sit ich verlos Sifride, sit was min freude %ergän. ouwê, herre Rüedegêr, wie hdn ich wider dich getan! "

(1633)

Eckewart beklagt seine schände und die Reise der Burgonden zu Etzel - weil sie für ihn schmachvoll ist oder gefährlich für seine Landsleute? - , dann den Tod seines früheren Herrn, endlich die Pflichtverletzung seinem Herrn Rüedeger gegenüber: eine Summe dessen, was hier nicht in Ordnung ist. Wieder wird der Konflikt sogleich aus dem Weg geräumt, indem Hagen ihm die Waffen zurückgibt, dazu sechs goldene Ringe schenkt: da% du min jriunt sist (1634,3). Immer noch ist die Störung nicht ganz behoben. Jetzt warnt Eckewart die Burgonden vor den Gast­ gebern: doch riuwet mich vil sêre %en Hiunen iuwer vart. ir sluoget Sifriden: man ist iu hie geba%. (163 5,2f.) Wenn er dann eilt, um Rüedeger die Burgonden als Gäste zu melden, geht wieder nicht alles glatt, denn es gibt ein Mißverständnis: Rüedeger vermutet, daß Ecke­ wart nicht Freunde, sondern K rieg ankündigt: da% die viende im beten leide getan (1642.4) . Der Empfang von Etzels Gästen steht also bis zuletzt vor dem Hinter­ grund der Befürchtung, Etzels Reich werde angegriffen - und tatsächlich wird ja genau dies der Fall sein. Selbst die ,Idylle' von Bechelaren weist solch einen Bçuch auf. Am Ende der Schenkorgien, die die vorbildliche milte des Markgrafen Rüedeger unter Beweis stellen, gibt es eine rätselhafte Szene. Unter den Geschenken ist eine Ausnahme, die Gabe der Markgräfin für Hagen. Hagen will zunächst kein Geschenk nehmen (1697.4) - wieder eine Vorausdeutung auf künftige Feindschaft?-, doch dann bittet er um einen Schild, der an der Wand hängt. Dieser Schild nun unterbricht die Freude höfischen Gabentauschs auf unvorhergesehene und vom Erzähler im D un­ kel der Sagenerinnerung100 belassene Weise, denn Gotelint beginnt zu weinen: e% mante si ir leides: weinen si ge^am. do gedâhte si vil tiure an Nuodunges tôt. den het erslagen Witege, dâ von sô het si jâmers nôt.

(1699,2-4)

Der Schild erinnert Gotelint an einen Toten, den muo% ich immer weinen, des gät mir armem wibe nôt

(1700,4).

Hinter der Herrin des Hofes erscheint plötzlich die andere Frau, die einen Toten ,immer* beweinen muß. Die handlungslogisch unbegründete Störung erinnert an

’°° „Nuodungs Tod durch W itege gehört in den Dietrichkreis. Seine Verwandtschaft mit Gotelind läßt der Dichter im unklaren. Nach der Thidrekssaga war er Gotelinds Bruder, nach deutschen Dichtun­ gen (Biterolf, Rosengarten) ihr Sohn“ (de Boor, Kommentar, S. 268, Anm . 1699,2).

Heroisches E rzäh len und buchepische Komposition

die gestörte Einladung insgesamt, die vollkommene Gastgeberin Gotelint an die hinterlistige Gastgeberin Kriemhilt, das Geschenk an den Tod. Gotelint und Kriemhilt weinen über den Verlust eines Mannes. Von dem einen trägt Hagen das Schwert, von dem anderen erhält er den Schild. Die Gabe für Hagen ist stigmati­ siert, und nur Hagen kann solch eine stigmatisierte Gabe erhalten. Der Besitz des Toten ist für Todgeweihte.*101 Störungen dieser A rt können eine vom Erzähler verworfene Alternative erzäh­ len.102 Warum etwa kommt Sigemunt mit Sivrit nach Worms, wenn er nach dessen Tod sang- und klanglos aus der Geschichte verschwindet? Sigemunt gibt eine Be­ gründung dafür, daß er mit Kriemhilt und dem Sohn aufbricht: sit da\ iuch min sun Sifrit %e vriunde gewan, dö rieten mine sinne, da^ ich iuch solde sehen.

(790,zf.)

Seine Anwesenheit unterstreicht die engen verwandtschaftlichen Bindungen zwi­ schen den beiden Dynastien, entspricht also dem erreichten Harmoniezustand. Schon gleich nach der Ankunft in Worms kann er deshalb ohne Schaden in den Hintergrund treten, denn er verstärkt nur das, wofür auch die anderen Akteure stehen. Gebraucht wird er erst wieder nach Sivrits Tod (1014). Die verdoppelte Nähe vormals ist jetzt verdoppelter untrium gewichen (1074,1). E r steht Kriemhilt bei ihrer Klage bei; vor allem aber ruft er nach Rache, zu der er als nächster männlicher Verwandter aufgerufen wäre. Und genau deshalb muß er da sein, aller­ dings nur um zu zeigen, daß er doch nicht gebraucht wird, denn die gewöhnliche Rachepflicht wird nur aufgerufen, um abgebogen zu werden. Dahinter steht mehr als die taktischen Argumente Kriemhilts ( io jjf.) , daß angesichts der burgondischen Übermacht ein Racheversuch scheitern müßte. Markiert wird, daß das N ib e ­ lungenlied1 vom Erwartbaren abweicht. Sigemunt muß da sein, damit er entfernt werden kann und Kriemhilt mit ihrem Rachewunsch allein ist. Der Mord an Sivrit setzt nicht den gewöhnlichen Mechanismus von Schlag und Gegenschlag in Kraft. Sigemunts abgelenkte Kampfbereitschaft zeigt an, daß etwas offen geblieben ist, nachdem die naheliegende Lösung einer Rache durch die männlichen Verwandten verworfen wurde. Korrektur leistet nicht ein Kommentar, sondern was zuvor an Alternativen ver­ spielt wurde. Handlungslogisch funktionslose Störungen und opake Szenen sind narrative Mittel, Bewegungen und Tendenzen unterhalb des manifesten Geschehens anzudeuten.

101 Mit Nuodunc sind auch später die Gaben Frau und Land verknüpft, die Kriemhilt fur Blœdelin in Aussicht stellt (1906/1907) und die ihn gleichfalls geradewegs ins Verderben führen.

101 Strohschneider (1997), S. 58 hat auf das Gestaltungsmittel der „abgewiesenen Erzählalternative“ auf­ merksam gemacht; dort weitere Beispiele. 144

K alkulierte Unbestimmtheit

Kalkulierte Unbestimmtheit Ein weiteres Erzählprinzip hat moderne Interpreten besonders irritiert: Der Erzäh­ ler bevorzugt Wendungen von präziser Unschärfe, wo sie Eindeutigkeit verlangen. Beispiele gibt es viele. Als frühes Anzeichen für den sich aufbauenden Machtkonflikt wurde Hagens Kommentar zu Sivrits reichen Geschenken an die burgondischen Boten aufgefaßt, wenn diese die Nachricht von seinem Kommen nach Worms überbringen: „Er mac", sprach dö Hagene, „von im sampfte geben, er’n kunde% niht verswenden, unt sold’ er immer leben, hört der Nibelunge beslovgen hat sin hant. hey sold’ er körnen immer in der Burgonden lant! “

(7 7 4 )

Vor allem der letzte Vers gilt als Zeichen für Hagens Machtgier und strategisches Kalkül, Sivrits Machtressourcen in seine Hand zu bringen. Dabei ist der gram­ matische Bezug von er auf hört keineswegs so eindeutig, wie manche Interpreten wollen; bei der lockeren syntaktischen Fügung des Epos könnte er sich auch auf Sivrit (774,1 u. 2) beziehen:,0’ Hagen nähme dann am allgemeinen Wunsch und der Freude über den hohen und mächtigen Besuch (775,1) teil: J a , wenn Sivrit nur je in unser Land kommt!'. Solch ein Besuch ehrt K önig, H of und Land. Erst vom Fortgang her bietet sich die andere Deutung eher an. Wichtig ist aber gar nicht die Entscheidung zwischen der einen und der anderen Möglichkeit, sondern die A m ­ biguität der Worte Hagens, hinter deren Harmlosigkeit auch etwas anderes stecken kann und, wie sich dann immer wieder zeigt, tatsächlich steckt. Die Welt des hö­ fischen Festes und friedlichen verwandtschaftlichen Umgangs ist doppelt lesbar, und an ihrer doppelten Lesbarkeit geht sie zugrunde. Einige der umstrittensten Stellen des Epos lassen sich als Ergebnis von Erzähl­ strategien deuten, die nicht auf Klarheit, sondern auf Ambiguität zielen. Die A n­ spielung auf einen undeutlich mitgewußten Sagenhorizont erlaubt es dem Erzähler, einen Spielraum konkurrierender Deutungen zu öffnen. E r kann seine Version an ihre Stelle zu setzen suchen wie beim Tod Ortlieps; er kann aber auch die Alter­ nativen offenhalten und aus der Uneindeutigkeit den Impuls für den Fortgang entwickeln. Allgemeiner Ansicht gemäß betreibt Hagen gezielt die Versöhnung mit Kriemhilt, um sich in den Besitz des Hortes zu versetzen. E r sagt deshalb zu Gunther: da-,£ ir iuwer swester

mäht ir da£ tragen an, vriunde mähtet hin,lo

lo* Das immer - .jemals1, ,auf Dauer“ — legt die andere Bedeutung vielleicht näher, läßt sich aber gleich­ falls auf Sivrit beziehen: .irgendwann einmal1.

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Heroisches E rzäh len und buchepische Kom position

so käme %e disen landen da% Nibelunges golt. des möht ir vil gewinnen, würd’ uns diu küneginne holt.

(1107)

Vom späteren Verlauf her scheint der Zusammenhang zwischen diesem Rat und dem Hortraub klar, aber ist er es auch nach Hagens Worten in 1107,4? Der Vers hält mehrere Interpretationsmöglichkeiten offen. Der erste Teil ist nicht eindeutig: heißt er .davon (d.h. vom Hort) könntet ihr dann viel in euren Besitz bringen*? oder allgemeiner: .davon hättet ihr viel Vorteil*? Für das erste spricht der Fortgang (und so wurden die Worte schon in C verstanden), für das zweite der folgende Halbvers .wenn w ir104 die hulde der Königin erwerben, wieder friedliche Beziehung zur K ö ­ nigin herstellen*. Hagens Worte könnten dann nicht mehr besagen, als daß der Bruch im Herrscherhaus im Interesse des Königs geheilt werden muß, denn dann wird Kriemhilts unendlicher Reichtum Teil der burgondischen Macht.105 Für die Offenheit gibt es ein Indiz: Um die Uneindeutigkeit zu beseitigen, g riff der Redaktor der *C-Bearbeitung ein: des wrde vns v il %e teile, w a r uns d iv kuniginne holt (C 1118 ,4 ; ähnlich nur a), d.h. .davon - von diesem Hort - käme viel in unseren Besitz, würden wir großen Besitz erlangen*. Warum nimmt der Redaktor diese Änderung vor, wenn alles gleich so klar ist? Rückte Hagen von Anfang an mit dem Plan heraus, Kriemhilt den Hort zu rauben, dann bliebe unverständlich, daß G un­ ther später seinen Vorschlag empört zurückweist: j a erw arp ich da% v il kûm e, da% si m ir w art so holt (1129,3). In der Versöhnung, um die es Gunther geht, ist die Möglichkeit skrupellosen Mißbrauchs eingeschlossen, aber sie ist nicht von Anfang an klar erkennbar. Erst als sich herausstellt, daß Kriemhilt den Hort in einer Weise verwendet, die der Macht des K önigs gefährlich werden könnte, beginnt Hagen zu warnen (1128), Gunther versteht, was er daraus zu folgern hat (1x29), bevor Hagen die Folgerung ausdrücklich zieht (1130 ) und bevor Gunther an seinen Eid erinnern kann, der ihn hindere, gegen Kriemhilt vorzugehen ( 113 1) . Die .offene* Situation, die die suone schafft (und die Hagens Worte zu planen scheinen), wird also Schritt für Schritt eingeengt, ihre Unbestimmtheit beseitigt, bis als Konsequenz ein neuer­ liches Verbrechen übrigbleibt. Die Sagenüberlieferung kennt den Hortraub, und der Erzähler muß ihn deshalb als zentrales Motiv im Handlungsnexus einbeziehen. Weiträumig disponierend, muß er die Voraussetzungen dafür schaffen, daß der Hort überhaupt in Hagens und der Könige Reichweite ist. Diese Voraussetzungen werden durch die Versöhnung Kriemhilts mit Gunther geschaffen. Aber die Versöhnung ist nicht nur ein not­ wendiges Glied in einer zielstrebigen Intrige; sie fügt sich gleichzeitig in eine Reihe von Geschehnissen ein, die den Zug in die Katastrophe scheinbar aufhalten. Wie in den parallelen Fällen stellt sich das auch hier nachträglich als eine Illusion heraus. '°4 D b haben noch präziser ward euch, also ,ihr‘ (Batts, S. 355). Z u gewinnen Lexer I, Sp. 991F.: möglich ist sowohl ,in die Gewalt bekommen“ wie .Gewinn haben von etwas“. ,0’ Vgl. Müller (1987), S. 242.

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K alkulierte Unbestimmtheit

Trotzdem ist die suone zunächst in ihren Konsequenzen mehrdeutig.'06 Was aus ihr folgt, muß sich erst noch zeigen. Hagens unbestimmte Worte fugen sich beiden Zusammenhängen ein: Sie passen zur Versöhnung, die den Sippenfrieden im K ö ­ nigshaus wiederherstellt und die Gefahr der Rache Kriemhilts an ihrem Bruder (scheinbar) abwendet, und eröffnen gleichzeitig die Möglichkeit für den späteren Raub. Die Ambiguität erlaubt, die Rachehandlung ein Stück voranzutreiben und gleichzeitig eine Station einzufügen, die hoffen läßt, daß sie aufgehalten werden kann. Das Verfahren, erst nachträglich und durch die Handlung eine offene Bedeutung zu vereindeutigen, scheint schon im 13. Jahrhundert befremdet zu haben. Der Re­ daktor von *C hat sich deshalb mit dem einen E in griff nicht begnügt, sondern auch im Fortgang der Szene den Stellenwert der suone festgelegt: Für Kriemhilt ist sie bloßes Lippenbekenntnis {m in m vnt im g ib t der sune; im w irt da% herce nim m er holt, C 1124,4), und Gunther heuchelt, denn seine und Hagens wahre Absichten sind klar: durch des hordes liebe was der rat getan; dar vmbe riet die svne der vil vngetriwe man.

(C 1 127,3 F.)

Das ganze ist eine verlogene Inszenierung (C ii2 8 ,if.). Später wird dann noch einmal eine Strophe über den gem eine[n] ra t[J und giteklichen m vt der Könige ein­ geschoben, die gemeinsam über den Hort verfügen wollen (C 1 1 51 ), und eine weitere über Hagens vntriuwe , da sich seine Gier nach dem Hort von Anfang an eigensüchtig gegen seine Herren gerichtet habe: er wände in niesen eine (C ii5 3 ) .'°7 Erst durch den Redaktor entsteht somit ein eindeutiger Motivationszusammen­ hang, in dem die suone von vorneherein Mittel zum Hortraub ist, womit allerdings die gegenläufigen Versuche einer friedlichen Lösung als bloße Farce scheinen. Die Tendenz zu größerer Präzision in der linearen Verknüpfung der Handlung liqui­ diert hier also mit der kalkulierten Unbestimmtheit die scheinbare Offenheit eines Geschehens, das Alternativen erkennen läßt, aber letztlich doch seinen verhängnis­ vollen Verlauf nimmt; *C ist klarer, aber eben auch banal. Am raffiniertesten wurde das Verfahren in einer Szene angewandt, deren kon­ troverse Interpretationen schon lange die Vermutung nahelegten, daß die Unauf­ lösbarkeit in der Sache selbst, nämlich in der subtilen Textstrategie, liege. Kriem ­ hilts Forderung nach Genugtuung in der letzten Konfrontation mit Hagen nämlich spielt noch spektakulärer mit kalkulierter Unbestimmtheit.'08 Kriemhilts Worte sind: 106 Ihr Doppelsinn wird auch an der Varianz faßbar, mit der in den Handschriften die Reaktion Günthers benannt wird: Hätte von sinem räte ( 1 1 1 4 ,3 ) Kriemhilt nicht Zeit erfahren, so mSht er vnywtfetlichen %y Criemhilde gan (B 1 1 1 1 ,4 ) ; oder statt vn^wifellichen: vreveliche (A 1054,4, ähnlich D O d ), friuntlicb (Jh), freylichen (b); Ca weichen ab (vgl. Batts, S. )j6 f.). Vgl. schon C 114 2,4 . 101 Soweit ich sehe, hat dies am klarsten Göhler (1996), S. 228 erkannt; auch Schröder (1968), S. 149 spricht von ,,vordergründig[em]“ und ,,hintergründig[em]“ Sinn, betont S. 163, daß man Kriemhilts Frage an Hagen keineswegs auf den Hort beziehen müsse, und beschreibt die Folge absichtlicher

Heroisches E rzäh len und buchepische Komposition

weit ir mir geben widere da% ir mir habt genomen, so muget ir noch wol lebende heim %en Burgonden körnen.

(2367,3F.)

Vom bis dahin Erzählten her lassen sie sich auf zweifache Weise deuten, wobei dahinter zwei unterschiedliche Sagenmotive angenommen werden: die Rache für den geraubten Hort und die für den Mord an Sivrit. Der Interpret kann der nach­ folgenden Szene daher Argumente für das eine oder andere Motiv entnehmen, ohne daß beides völlig aufgehen würde. E s ergeben sich ,Unstimmigkeiten“, die daraus zu resultieren scheinen, daß der Erzähler sich nicht für eine der beiden Versionen der Sage entschieden hat.'09 Aber ist solch eine Entscheidung überhaupt nötig? Betrachtet man die Verse, die der Epiker Kriemhilt sprechen läßt, im Wortlaut,"0 dann sind sie doppelsinnig, indem sie keine sichere Auslegung der Forderung - auf den Hort oder auf den toten Sivrit hin - zulassen: ,wenn ihr mir zurückgeben werdet, was ihr mir geraubt habt, dann...“. Warum sollte die Frage mit Hilfe der „Sagentradition“ entschieden werden, „mit der Dichter und Publikum vertraut waren“ ? Dominiert eine solche Kenntnis so, daß sie zwingt, „die Forderung jedenfalls zunächst als Hortforderung zu verstehen“ ? '" Kriemhilts Worte sind ambig. Einen Kontext, der sie vereindeutigte, gibt der Erzähler nicht, man muß ihn schon als allgemeine ,Sagenkenntnis“ postulieren. Dies aber ist rein spekulativ. Die Ambiguität folgt keineswegs aus der hilflosen Auseinandersetzung zwischen einer undeutlich mitgewußten Sage und der deutenden Aneignung des E p ik ers,'" sondern drückt mit höchstem Raffinement die unauflösbare Verquickung unterschiedlicher Antriebe aus. In Kriemhilts Worten kommt der Hort nicht vor. Sie fordert ganz unbestimmt zurück, ,was man ihr genommen hat“. Das ist im vollen Sinne unmöglich, denn wenn Sivrit gemeint ist, ist Wiedergutmachung ausgeschlossen, wie sie etwa Dietrich in Aussicht gestellt hatte (wie wol er iuch ergets(et'"’ da% er iu hat getan!, Mißverständnisse (bes. S. 16 5 -16 8 ; 17 3 -17 9 ) . Sein Ziel ist jedoch, eine deutliche (und im Text nicht vorfindliche) Hierarchie herzustellen und die materielle Seite der Hortforderung „in Wahrheit“ (S. 178) in ein bloßes Symbol für die Liebe zu Sivrit aufzulösen. Im allgemeinen werden Rache und Hortforderung als Alternative verstanden (etwa Kuhn, 1965, S. 283; 293); aus den damit verbundenen ,Sinnunterstellungen‘ und Widersprüchen ‘ verspricht dann einzig die Sagengeschichte einen beque­ men Ausweg. 1051 Heinzle (1987b), S. 259 nennt die Verknüpfung „unlogisch“ . E r kritisiert zurecht die Versuche Schrö­ ders, Beyschlags oder anderer, den G ang der Handlung ,stimmig“ im Sinne der Motivierung ent­ weder durch Liebe oder durch Macht zu vereindeutigen (S. 260), stellt zurecht fest, daß dgl. Inter­ pretationen allesamt voraussetzen, „daß der Text im Sinne einer psychologischen bzw. handlungs­ logischen Stimmigkeit kohärent ist“ (S. 262), fragt aber nicht nach den zeitgebundenen Kriterien solcher Stimmigkeit und nach dem Fundament der Kontroverse in der Erzählwcise des Textes. Schon die erste Hortforderung bei der Begrüßung war ähnlich doppeldeutig (Hcnnig, 19 81, S. 76). Heinzle (1987b), S. 264. 1,1 In dieser Auseinandersetzung mit der Sagentradition hat der Epiker nach Meinung vieler Interpreten allemal unrecht, indem manchmal selbst dezidierte Umdeutungen des Stoffes als bloße „Polemik gegen die Quelle“ gelten, die mehr Verwirrung als Zusammenhang stifteten (Bumke, i960, S. 8). "* Z u r Bedeutung von ergetqen S. 37 0 -375 .

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K alkulierte Unbestimmtheit

2355.3) . Versteht man Kriemhilts Forderung also umfassend, ist der Versuch eines rechtlichen Ausgleichs von Anfang an gescheitert. Bezieht man die Worte dagegen auf den Hort, dann wäre die Realisierung möglich, wenn auch die Erfüllung des Rachewunsches unvollständig bliebe. Auch diese Forderung würde Hagens Trotz provozieren, wie dies schon beim Empfang an Etzels H of geschah. Kriemhilt nutzt also in doppelter Hinsicht die Chance, Hagen noch einmal als unerbittlichen Gewalttäter vorzuführen (unwahrscheinlichenfalls um ihn als Maulhelden zu entlarven, dessen Widerstand gebrochen ist).” 4 In jedem Fall wäre sie die Siegerin. Ihr Versprechen, bei Erfüllung ihrer Forderung könnten Hagen und Gunther heimkehren, ist nur ein hinterhältiges, konjunktivisch an Bedingungen geknüpftes Scheinangebot (muget ir noch wol, 2367.4) , und deshalb charakterisiert der Epiker ihre Worte als fientlkhe (2367,2). Das Angebot dient dem Rachewunsch, den er im Hintergrund dauernd präsent hält (2365,3; 2366,4). Erst Hagens Antwort vereindeutigt die Worte, indem er sie allein auf den Hort bezieht. E r legt Kriemhilt damit wieder wie zuvor schon auf die Rolle der gold­ gierigen Königin fest, was Werner Schröder zurecht als eine letzte perfide Demü­ tigung gedeutet h at,"' und er inszeniert sich selbst als unbeugsam zu seinem Wort stehenden treuen Vasallen: jâ hdn ich des gesworn, da% ich den hört iht steige die wile da% si leben, deheiner miner herren, sô soi ich in niemene geben.

( 2 3 6 8 ,2 - 4 )

Auch Hagens Antwort ist allerdings wieder doppelsinnig, denn sie läßt zwei Fol­ gerungen zu, die eine: ,ich kann dir nichts zurückgeben, denn mich bindet mein E id “; die andere: .solange mich mein Eid bindet, ist nichts zu machen; du müßtest schon dessen Voraussetzungen aus der Welt schaffen“. E s bleibt also offen, ob Hagen mit Absicht den Tod seines Herrn herbeiführt oder ein letztes Mal die unauflösliche /r;*a>e-Bindung an diesen beweist. Der Vorwurf, Hagen opfere durch seine Worte das Leben seines Herrn, läßt sich nicht nur nicht belegen, er setzt zudem voraus, es gäbe in diesem Machtspiel mit kalkulierten Doppeldeutigkeiten noch die Chance eines ersprießlichen Endes. Die Rede enthält eine perfide Insinuation, spricht sie aber keineswegs offen aus. Kriemhilt jedoch greift Hagens Worte im Sinne dieser Insinuation auf und verein­ deutigt sie damit ihrerseits zu der Aufforderung des man Hagen, seinen herre um-

" 4 Schröder (1968), S. 162. Das ,Öffentlich-machen‘ von Hagens Schuld ist wesentlicher Handlungsim­ puls, bis der K am p f ausbricht (S. 285f.; 2 9 if.). Schröder (1968), S. 17 4 -17 6 ; vgl. 168; S. 95 weist er auf Hagens absichtliches Mißverständnis in einer früheren Szene. - Die Spannung zwischen Hortforderung und Rache (S. 93-99), die er in Anlehnung an Hans Kuhn (1948) darstellt, sollte allerdings nicht vorzeitig aufgelöst werden, indem Dingliches aufs bloße Symbol für Geistiges reduziert wird (S. 956 ); vgl. Hennig (19 8 1), S. 76.

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Heroisches E rzäh len und buchepische Komposition

zubringen. Kriemhilt legt Hagen auf die Rolle des Verräters fest. Erst aus diesen vereindeutigenden Auslegungen folgt alles weitere: die Hinrichtung Gunthers, Ha­ gens Triumph, Kriemhilts letzte Gewalttat. Der Redaktor der *C-Bearbeitung, ohne Verständnis für die Erzählstrategien seines Textes, war wieder einmal um Klarstellung bemüht. Für ihn steht das Ende fest, wenn er über Hagen sagt: E r wiste w ol d iv m are sine lie fe n in niht genesen (C _ _ 2428,1). Wo er Hagen zum Bösewicht stempeln will, muß er seine Worte eindeutig als Verrat brandmarken: wie mohte ein untriwe iem er stercher wesen (C 2428,2), und er fügt noch die wenig begründete Befürchtung Hagens hinzu, Kriemhilt könne ihren Bruder mit dem Leben davonkommen lassen, wenn er selbst erst beseitigt sei. A u f diese Weise wird motiviert, daß Hagen Gunther nach dem Leben trachte. Die Vulgatfassung verweigert solche Eindeutigkeit. Das ende, zu dem Kriemhilt sich entschließt, ist zynische Folgerung aus Hagens Worten, die sie ihrerseits in m alam partem interpretiert. Damit geht die nächste Runde des Spiels an sie. Und wie ein guter Schachspieler erkennt Hagen an, daß dieser Z u g konsequent war {a ls ich m ir hête gedâht) und daß seine Gegnerin ihrem Ziel {fe in e m ende) wieder ein Stück näher ist. Doch der Z u g erlaubt ihm zugleich, mit seinem Gegenzug ein letztes Mal zu triumphieren: t

du hdst i% nach dinem willen feinem ende bräht, und ist ouch rehte ergangen als ich mir hête gedâht. Nu ist von Burgonden der edel käme tôt, Giselhêr derjunge, und ouch her Gêmôt. den schall den wei% nu niemen wan got unde min: der soi dich, välandinne, immer wol verholn sin. (2570,3-2371,4) Der Triumph läßt wieder zwei Folgerungen zu, aus Hagens Sicht: ,von mir erfährst du nichts, solange ich lebe*; von Kriemhilt aus gesehen: ,cs besteht kein Grund, Hagen am Leben zu lassen, denn sagen wird er ohnehin nichts*. Was Kriemhilt daraus schließen muß, ist klar. Ihre Replik spielt ein letztes Mal mit dem D op­ pelsinn ihrer Forderung. Jetzt allerdings ist an die Stelle von Wiedergutmachung {ergeben ) Vergeltung getreten:S i Si sprach: „so habt ir übele geltes [ ! ] mich gewert. so wil ich doch behalten da% Sîfrides swert. da% truoc min holder vriedel, do ich injungest sach, an dem mir her^eleide von iuwern schulden geschach. “

(2372).

Kriemhilts Anspruch auf Genugtuung - was Sivrit betrifft, unerfüllbar, was den Schatz angeht, frustriert - bemächtigt sich dessen, was aus Sivrits Besitz in ihrer Reichweite ist, nämlich des Schwertes, das Hagen sich angeeignet hatte. Sie nimmt sich, was sie sich nehmen kann von dem, was ihr verweigert wurde. Das Zeichen hat vielerlei Bedeutungen: Das Schwert ist Teil aus dem nibelungischen Besitz Sivrits, auf den Kriemhilt Anspruch erhebt; es ist das, was vom Heros übrigge-

K alkulierte Unbestimmtheit

blieben ist; es vertritt metonymisch Sivrit und seine heroische Potenz; aber es ist auch metaphorisch Zeichen der Rache: Durch Vorzeigen des Schwertes hatte Ha­ gen in der 29. Aventiure ausgedrückt, daß er Kriemhilts Anspruch auf Rache kraft seiner überlegenen Stärke zurückwies (1782-1784); jetzt kann es in Kriemhilts Hand Hagen besiegen. Kriemhilts Worte geben ihm eine weitere Bedeutung, die der Erinnerung an ihr hertçeleide (2372,4). Wenn Kriemhilt sich das Schwert aneig­ net, ist die Geste wieder mehrdeutig wie ihre Rede: Retten der Trümmer des Be­ sitzes, Erinnerung an Sivrit und Durchführung der Rache. Die Tat schafft Klarheit: Kriemhilt schlägt Hagen den K o p f ab. Das Spiel mit hinterhältigen Unschärfen und gemeinen Unterstellungen ist zu Ende. So braucht man keine Sagengeschichte, um die Schlußszene zu verstehen, freilich nicht als banale Auflösung in diese oder jene Richtung, sondern als letztmalige Demonstration eines unauflösbaren Widerspruchs, der nicht länger mehr in der Schwebe gehalten wird. Das Epos hat diesen Widerspruch in der Schlußszene als Machtspiel um Doppeldeutigkeiten inszeniert. Wenn man die besonderen Erzähl­ strategien des Epos in Rechnung stellt, lösen sich die meisten der vermeintlichen Widersprüche auf.

Ill N

ib e l u n g isc h e

G

esellsch aft1

Personenverband Die Nibelungen-/r/«a>£ hat dem Epos eine traurige Berühmtheit beschert. Über­ tragen von den Heroen Volker und Hagen auf die Kollektivsubjekte Donau­ monarchie und Deutsches Reich spiegelt sie die Mythisierung des Kollektivs Staat zum heroischen Individuum. Die Mediävistik hat mühsam lernen müssen, daß jenes zum Subjekt mythisierte Gebilde Staat eine Errungenschaft erst der Neuzeit und ihrer staatstheoretischen Wegbereiter im späten Mittelalter ist. An seiner Stelle steht im Mittelalter der Personenverband, der die Feudalherrn und ihre Lehens- und Eigenleute in ein komplexes Geflecht horizontaler und vertikaler Abhängigkeiten integriert.1 Der Personenverband und nicht die einzelne Figur ist der eigentliche Held des .Nibelungenliedes* und der Gegenspieler Kriem hilts.5 Dies unterscheidet das hero­ ische Epos vom etwa gleichzeitigen höfischen Roman. Im Personenverband ga­ rantieren vertragsähnliche Beziehungen (trium 12*4) den gesellschaftlichen Zusammen­ hang. Ein dichtes Netz personaler Beziehungen bestimmt das Handeln der Prot­ agonisten. In seinem Zentrum stehen „familiäre Bindungen, agnatische und kognatische“ , der an den Rändern unscharfe Verband der mögen und konemägen.' Hin­ zutreten vasallitische Beziehungen. Unter Verzicht darauf, den Verband „lehens­ rechtlich differenziert zu gliedern“ , bleibt es hier jedoch bei „Rudimenten zur Be-

1

2 * 4 ’

Die sozialen Verhältnisse, die das .Nibelungenlied“ voraussetzt, sind manchmal am ehesten im Lichte weit älterer Verhältnisse zu verstehen (Müller, 1987, zu frühmittelalterlichen Vorstellungen von vriunt). Man muß also mit erheblichen Ungleichzeitigkeiten rechnen. Ziel der folgenden Überlegun­ gen ist jedoch nicht, die sozialen Verhältnisse zu identifizieren, auf die das .Nibelungenlied“ referieren könnte. Ich fasse einige für die Argumentation wichtige Überlegungen meines Aufsatzes von 1987 zusammen. Z u r Kritik neuzeitlicher Staatsvorstellungcn, historische Forschungen von Theodor Mayer u. a. auf­ nehmend und zusammenfassend: Keller (1989). Müller (1987), S. 251. Hauptsächlich die ethischen Aspekte des Terminus stellt Schröder (1968), S. 60-66 heraus; allgemein Gentry (1975). Müller (1987), S. 2)4f.; dort genauere Nachweise. Die kognatischen Beziehungen spielen - entgegen den Erhebungen über die frühmittelalterliche Gesellschaft - eine besondere Rolle; vgl. Nolte (1995), S. 245 f. zur „Wertschätzung einer hochrangigen cognatischen Verwandtschaft“ , z. B. in der A usge­ staltung des Avunkulats (Gunther — Ortliep).

M3

Nibelungiscbe Gesellschaft

Zeichnung von Herrschaft und Abhängigkeit: Herr und Mann“ .6 Schließlich gibt es besondere Bündnisse, Freundschaften, genossenschaftliche Verpflichtungen, beson­ ders auch in der Form der Waffenbrüderschaft. Alle diese Beziehungen können mit vriuntschaft bezeichnet werden. Zusätzlich können am Rande dieses Geflechts Bin­ dungen durch Gaben zwischen Ungleichen hergestellt werden, z. B. zu Boten. Der Kern des Personenverbandes läßt sich im wesentlichen als Interferenz der drei erstgenannten Kreise beschreiben, des verwandtschaftlichen, des herrschaftlichen und im weiteren Sinne genossenschaftlichen.7 Unter den vriunden sind die mögen, die Verwandten, besonders herausgehoben, ohne daß die Abgrenzung bei jeder Figur völlig klar wäre.8 Der offene Personen­ verband des Frühmittelalters, der Blutsverwandte unterschiedlichen Grades, auch Gefolgsleute und Verbündete einbezog,9 scheint seit dem 1 1 . Jahrhundert zur K o n ­ zentration auf die engere agnatische Verwandtschaft hin (wenn auch noch nicht die Kernfamilie) zu tendieren. Im ,Nibelungenlied4 steht die burgondische K önigs­ familie im Zentrum, auf die Kriemhilts Geschichte bis zur Werbung Etzels bezogen ist. Sie verläßt sich auf ihre Garantien, traut auch Hagen als Verwandtem: du bist m in mdc, so bin ich d er dîn (898,1), bleibt nach Sivrits Tod in dem Schutz, den ihr die jüngeren Brüder bieten, und lehnt es ab, Sivrits Vater dorthin zu folgen, wo sie lü t^ el künnes (1081,4), niemen mage (1085,3), Blutsverwandte also, hat, selbst wenn sie deshalb unter denen leben muß, die Sivrit töteten, und selbst wenn ihr in Xanten die Herrschaft angeboten wird. Sie erfährt in Worms die Unterstützung ihrer Ver­ wandten Giselher und Gernot und stimmt der Versöhnung mit Gunther zu. Noch die Werbung Etzels um ihre Hand wird von den Brüdern gefördert, denn sie liegt im Interesse des Hauses insgesamt, wie Gunther betont: des soi ich ir wol gurmen: si ist diu swester min. wir sollen^ selbe werben, ob e% ir ère mähte sin.

(x 2 0 4 ,3 f.)

Solche Verbände sind durch wechselseitige hulde (fam iliaritas') verknüpft.10 A u f die Bindung an ihre mögen kann Kriemhilt ihre verräterische Einladung stützen, kön­ nen, wenn sie sie annehmen, die Burgonden scheinbar vertrauen; ihretwegen schöpft Etzel keinen Verdacht. 6 7 8

9

Hennig (19 8 1), S. 179. A lth o ff (1997), S. 185. In der Überlieferung des .Nibelungenliedes' scheinen mägen und friunt austauschbar (vgl. etwa die Varianten von 10 77,2 u. 3 in A 10 17 , B 1074, C 1088 sowie Batts, S. 324f.). Anderwärts wird deutlicher zwischen Verwandten und Gefolgsleuten unterschieden, etwa wenn Karl im .Rolandslied' fragt: wann frunt und man (RI 8 811). R .H . Bloch (1986), S .14 4 unter Berufung auf Georges Duby, M arc Bloch und Karl Schmid, S. 30­ 63. Die in der Geschichtswissenschaft umstrittene Frage einer Umstrukturierung der offenen Per­ sonenverbände des Frühmittelalters in die agnatisch organisierte Familie des Hochmittelalters (Schmid) kann im folgenden außer Betracht bleiben, da es nicht um Aussagen über außerliterarische Verhältnisse geht. Grundlegend A lth o ff («99x3/1997), S. 19 9 -2 28 ; vgl. S. 202f.

154

Personenverband

Die Einbettung in den Verwandtschaftsverband ist problematische, freilich nicht problematisierte Voraussetzung des Handelns. So ist Sivrits Vertrauen auf die mögen seiner Frau (923,2) nicht einfach törichte Verblendung, sondern ergibt sich aus dem Verhältnis, in das er mit seiner Heirat eingetreten ist. ine iveiz bie niht der Hute, die m ir iht b a sses tragen, alle dîne mâge sint m ir gemeine holt, ouch hän ich an den degenen hie niht anders versolt.

( 9 2 3 ,2 -4 ) "

Der Mord an ihm befleckt alle Verwandten, sogar seinen eigenen völlig unbeteilig­ ten Sohn, dem man vorwerfen (itewigen) wird, daß sine mâge iemen mortlîche hän erslagen (995,2f.). Uber Kriemhilt ist Etzel den Burgonden verwandtschaftlich - durch vriuntschaft verbunden (1406,2f.). Daher spricht er von Kriemhilts Verwandten (den vriunden din, 1407,2) auch wie von seinen eigenen (friunde mine, 1861,3). Noch in der ,K lage4 betrauert er nicht allein den Verlust von Frau und Sohn, sondern auch den der konemägen (K l 825), obwohl diese doch an deren Tod und dem seiner Leute schuld sind. Verwandtschaft dient auch in anderen mittelalterlichen Texten als ein kogni­ tives Modell für Zusammenhänge unterschiedlicher A r t." Sie in Frage stellen heißt deshalb eine Grundlage mittelalterlicher Lebensordnung untergraben. Hagens Handeln ist überwiegend nicht aus den Bindungen an die Verwandten, sondern aus denen an seine Herren ableitbar. Kriemhilts Vertrauen auf Verwandt­ schaft (898,1) nutzt er für seinen Mordanschlag aus, der der burgondischen K ö ­ nigsherrschaft dienen soll. Kriemhilts Anrede: vil lieber vriunt und ihr Appell an seine genäde sind verhängnisvolle Irrtümer; vriunt nennen ihn mit größerem Recht die K ö n ig e.'’ Vriunt ist auch im herrschaftlichen Kontext ein Verhältnis von nahezu Gleichen, gestützt auf Gegenseitigkeit, wie sich herausstellt, als Kriemhilt Hagen aus dem burgondischen Königserbe als Gefolgsmann beansprucht: ja n e mac uns G unther %er werlde niemen gegeben. A n d e r iiver gesinde da% lat iu volgen mite, want ir doch w ol bekennet der T r onegœ re site: w ir müeyen b i den künigen hie en hove bestân. w ir suln in langer dienen den w ir alher gevolget hän.

(6 9 8 ,4 —6 9 9 ,4 )

Die begrenzte Verfügungsgewalt der Könige impliziert nicht Selbständigkeit des Vasallen. Hagen handelt anstelle des Königs für die verletzte Ehre der Königin gegen Sivrit. E r schützt die burgondische Herrschaft vor der Gefahr durch unkunde[] recken (1127,2), schätzt die Bedrohung durch Etzels Macht richtig ein; er nimmt selbst an einem Unternehmen, das er mißbilligt, teil: Wer seine Herren einlädt, lädt auch ihn ein, denn er hat sie auf jeder Hofreise begleitet: die hei^ent mine herren, so bin ich ir man (1788,3).*1 " Vgl. Müller (1987), S. 236. 11 Peters (1994); vgl. dies. (1990); Bertau (1985), S. 190-240; Bloch (1986), S. 50 -37. '* Etw a 2106,4; >n diesem herrschaftlichen Sinne alternierend mit man (2105,3).

1 S5

Nibelungische Gesellschaft

Hagen repräsentiert einen in mittelalterlicher Epik verbreiteten Typus von Hel­ fergestalten, auf denen das Überleben des Gemeinwesens beruht: Wate, Berhter, Hildebrant usw. Herr und Mann sind nichts ohne den anderen. Dabei überwiegt in der deutschen Epik die Abhängigkeit des Herrn vom Mann die umgekehrte; stets beweist der Mann seine durch nichts zu gefährdende triuwe. Die gegenseitige Verpflichtung wird im heldenepischen Experiment in extreme Konsequenzen getrieben, so daß alle anderen sozialen Bindungen ausgeblendet werden können. Dietrich gibt im ,Buch von Bern' sein ganzes Reich auf, nur damit er das Leben seiner treuesten Gefolgsleute retten kann.'4 In Eilharts der Heldenepik noch eng verwandtem ,Tristrant‘ fördert der Gefolgsmann sogar den Ehebruch seines Herrn, um ihn von der tödlichen Minnekrankheit zu retten.1’ Umgekehrt meidet Tristrant dem Gefolgsmann zuliebe ein Jahr lang seine Geliebte.'6 Vor solchem Hintergrund ist Hagens radikale Bindung an seine Herren'7 nichts Erstaunliches: seine Rücksichtslosigkeit gegenüber Kriemhilt, sein Entschluß, das eigene Leben durch die Fahrt zu Etzel aufs Spiel zu setzen, seine rigorose Uner­ bittlichkeit, der Unverletzlichkeit seines Eides zuliebe die letzten burgondischen Überlebenden zu opfern. Wegen dieser engen Bindung ist es aber auch ausge­ schlossen, daß er als einziger Schuldige Kriemhilts Rache geopfert wird (2104­ 2107). Die gegenseitige Verpflichtung von Herr und Mann gilt absolut und bis zur Selbstzerstörung. Eine Einzelverantwortung außerhalb dieser Bindung gibt es nicht. Das stellt erst die ,K lage1 in Frage (K l 259-269). Indem die Schuld auf den einen Hagen geschoben, mithin individualisiert wird, setzt sich ein abstrakteres Prinzip von Schuld und Verantwortung auf Kosten des Prinzips strenger Wech­ selseitigkeit im Epos durch.'8 Am wenigsten fixiert sind vertragsähnliche Bindungen zwischen Personen, die weder verwandt sind noch in einem Verhältnis herrschaftlicher Unterordnung ste­ hen. Hierzu gehört die Waffenbrüderschaft zwischen Sivrit und Gunther und vor 14 *7 14 Vgl. Müller (1980), S. 228f. ’ ’ Tristrants Tod würde auch die arme[n] lute Kurneval und Brangäne in ihrer Existenz bedrohen (vorlise wir unser hêrschaft, / so werde wir sêre schadehaft, Trt 2624-2626). Um den Zitataufwand nicht durch Parallelfassungen zu belasten, zitiere ich den ,Tristrant* nach der - grundsätzlich problematischen Ausgabe von Lichtenstein. ,6 Der Vasall Kurneval verlangt das von ihm, damit er an ihr die Kränkung seiner Ehre rächt, sonst kündige er ihm den Dienst auf (Trt 7o6)f.). Das dem man gegebene Versprechen gilt fort, auch nachdem Tristrant und Isalde schon wieder versöhnt sind. 17 Hagen verwahrt sich einerseits gegen einen Status wie den des Ministerialen, den man einfach ver­ schenken kann, andererseits ist er den Königen ergeben wie dieser. Czerwinski (1979) betont die Widersprüchlichkeit dieser Konstellation: „D er beste, weil stärkste Vasall ist der, gegen den der Herr seinen Willen schon nicht mehr durchsetzt“ (S. 74). Indem Hagen diesen Willen aber allein an Vorteil und Ehre seiner Herren - selbst gegen deren explizit bekundete Absicht - orientiere, repräsentiere er jedoch bereits „die andersartige, tatsächlich feste Gebundenheit des moderneren Funktionsträgers. Das heißt, das Neue kann als solches offenbar nicht ausgedrückt werden, sondern muß als Perfek­ tionierung des Prinzips erscheinen, das es auflöst“ (S. 75). '* Vgl. K l 238-240 ; K l C 1 3 2 1 - 1 3 2 3 .

Personenverband

allem die zwischen Hagen und Volker. Die erste erweist sich als labil, da sie mit herrschaftlichen Abhängigkeiten verwechselt wird. Die zweite aber, die nur auf einem informellen Versprechen gegenseitigen Beistands basiert (i777f.), ist im Schlußteil des Epos der idealisierte Gegenentwurf zur Perversion verwandtschaft­ licher und zur Katastrophe herrschaftlicher Bindungen. Anders als diese wird sie keinerlei Belastungen ausgesetzt und bewährt sich konfliktfrei bis in den Tod: Am vollkommensten ist vriuntschaft, wo sie sich von andersartigen sozialen Bindungen gelöst hat. Diese drei Typen von Bindungen garantieren allein einen übergreifenden sozialen Zusammenhang, doch erzählt das Epos, wie sie miteinander in Konflikt geraten, da sich Beziehungsnetze immer nur durch die Verknüpfung einzelner Elemente mit einzelnen Elementen aufbauen und es keine abstrakt-allgemeinen Bindungen ober­ halb solcher Einzelverknüpfungen gibt.'9 A u f den Verwandten und den G efolgs­ mann ist kein absoluter Verlaß, weil einander widersprechende Verhältnisse darun­ ter subsumiert sein können. Der vriunt von heute kann der Gegner von morgen sein. Das prägt sich in paradoxen Formulierungen aus wie jener über Etzels Ver­ hältnis zu Hagen: sinenf rinnt von Tronege den bet er rehte ersehen, der im in siner jugende vil starken dienest bot. sit frumt’ er im in alter vil manigen lieben vriunt tôt.

(1757,2-4)

Hagen ist jetzt vriunt - als Gast und Gefolgsmann der konemägen? oder weil er früher zu Etzel in einem Dienstverhältnis stand? - , wird aber später andere vriunde Etzels Verwandte, Lehens- und Gefolgsleute? - totschlagen. Die ,kettenförmige1 Verknüpfung einzelner Elemente des sozialen Verbandes wirkt sich verhängnisvoll aus: Kriemhilt kann damit rechnen, daß die Einladung an die Brüder das Kommen Hagens nach sich zieht; dessen vriuntschaft mit Volker involviert diesen in den Konflikt, mit dem er anfangs gar nichts zu tun hatte; sukzessive werden die hiunischen Gefolgsleute in den K am pf verwickelt. Zwar fehlen bisweilen die Zwischenglieder, so daß die Kette unterbrochen ist, doch dann treten Umstände ein, die die notwendigen Verbindungen schaffen: Etzel läßt sich erst spät an seinen burgondischen vriunden irremachen; er ist nur durch verriu sippe mit Sivrit verbunden, wie Hagen spottet (2025,1), und daher nicht zur Rache ver­ pflichtet - solange bis der Mord an seinem Sohn auch ihn hereinzieht (2095). Dietrich lehnt es zunächst ab, für Kriemhilt zu kämpfen, da ihm ihre möge der leide niht getän haben (1901,3). Doch das leit (2319,1), das er durch den Tod seiner eigenen Leute erfährt, zwingt ihn, gleichfalls einzugreifen.19

19 A lth o ff (1997) hat an vielen Beispielen dargestcllt, wie schwierig es war, die unterschiedlichen „Ver­ pflichtungshorizonte [...] miteinander in Kinklang zu bringen“ (S. 186) und daß sich keineswegs immer die herrschaftliche Verpflichtung durchsetzte.

Nibelungische Gesellschaft

Vor allem Kriemhilts Bemühen geht dahin, die fehlenden Kettenglieder zu er­ gänzen und alle ihrem Racheplan gefügig zu machen. Zerren zwei Ketten in unter­ schiedliche Richtungen, so muß die eine Bindung zuerst gelöst werden, bevor die andere wirksam wird: so Kriemhilts Bindung an Giselher, so die Etzels an die vriunde seiner Frau oder die Rüedegers an seine Gastfreunde. Die Verbindung der Kettenglieder erweist sich als unterschiedlich fest; die Rang­ folge ist: Waffengemeinschaft, Vasallität, Verwandtschaft, Verpflichtung mittels Lohn (miete). Auch wird sie unterschiedlich bewertet. Am höchsten steht eine frei­ willige Bindung von Gleichen wie die zwischen Hagen und Volker, die weder auf gentilizischer noch vasallitischer noch ökonomischer Grundlage basiert. Sie vertritt das Prinzip persönlicher Bindung in emphatischer Reinheit: swa so friunt bt friunde friuntlîchen stât (1801,2). Da also, wo die Haltbarkeit tatsächlich am stärksten gefähr­ det ist, weil sie durch kein dingliches Substrat gewährleistet wird,20 ist sie umso ruhmwürdiger. Emotionale Orchestrierung ersetzt hier, was an institutioneller A b ­ sicherung fehlt. Ihr Zerrbild ist das Bündnis auf Zeit zwischen Gunther und Sivrit, das zerfällt, wenn der gemeinsame Zweck erreicht ist. Am geringsten gelten Verpflichtungen, die man sich mit Gold kaufen muß. Zwar überbietet das hiunische Machtgefüge alles je zuvor;21 selbst Sivrit hatte nie, trotz seines unermeßlichen Besitzes, so viele recken edele wie Etzel (1368,4).22 Doch wenn es zum K am pf kommt, wird die ganze Macht zur gesichtslosen Masse, die ohne großes Bedauern hingeschlachtet werden darf. Mit Etzels Macht scheitert der kom­ plexere staatliche Verband am Nahverhältnis heroischer trium. A u f die Hiunen ist insofern - trotz der auffälligen Schonung Etzels - das Hei­ denklischee der Kreuzzugsepik übertragen (obwohl doch sonst die Merkmale einer paganen Gegenwelt ganz zurückgedrängt sind): Der burgondischen Waffenbrüder­ schaft wird (wie dem christlichen Heer dort) ein zwar zahlenmäßig überlegener, doch dauernd vom Zerfall bedrohter heidnischer Herrschaftsverband konfrontiert. Wie in der Kreuzzugsepik müssen die Heiden mit Drohungen und Gewalt ge­ zwungen werden, in den K am pf einzugreifen, wo die Burgonden (Christen) mit unerschrockener Zuversicht zum Sieg (Martyrium) drängen. Lohn ist auf hiunischer (heidnischer) Seite ein M otiv niedriger Gier. Anders erweist sich der Zusammenhalt des Personenverbandes an Etzels christ­ lichen Kriegern im Exil. Hier werden herrschaftliche Strukturen durch Waffen­ brüderschaft überlagert. Irinc und seine Leute werden an ihrer Ehre (schände, 2027,4!) gepackt, wenn Volker ihnen vorwirft, sie genössen Etzels Gastfreund­ schaft, ohne ihm in seiner not zu helfen. Nahezu reflexhaft stürzt Irinc sich in den aussichtslosen Kampf: 20 Z u den dinglichen Voraussetzungen des Lehnswesens: G anshof (19 57/196 7), S. 162h, 16 7 f. 21 Hennig (19 8 1), S. 178h zur abweichenden Herrschaftsstruktur des Hiuncnreichs. 22 Vgl. 13 5 9 -13 4 7 . Z w ö lf recken unter ihnen werden durch Kriemhilts Kuß ausgezeichnet; zw ölf Könige sind an ihrem H o f (139 1,3).

158

Treuekonflikte „ich hân û f ère lâ^en nu lange m îniu dinc und hân in Volkes stürm en des besten

vil getan.

nu brine m ir m in gewatjen: j â m il ich Ilagen en besta n .“

(2028,2- 4)

Sein Entschluß bindet seine Gefolgsleute so sehr, ihm zu folgen und mit ihm ihr Leben zu wagen, daß er sie fußfällig bitten muß, das^ si in eine liefen den recken bestdn (2035,2): Anders als die Hiunen muß man sie nicht nur nicht bestechen, damit sie kämpfen, sondern kann sie kaum davon abhalten. Die Warnung des sterbenden Irinc, sich nicht durch Kriemhilts Gold verführen zu lassen, verfängt bei ihnen nicht (2068), denn es geht ihnen nicht um golt, sondern darum, den vriunt zu rächen; so stürzen sich Irincs mäge und Verbündeten trotzdem in den K am pf und kommen alle ums Leben. E s gelingt Kriemhilt erst in dem Maße der Gäste Herr zu werden, in dem sie gegen sie ihresgleichen, gleich strukturierte Personenverbände aufbieten kann, die Dänen, die Leute Rüedegers, schließlich Dietrich und sein Gefolge. Die Typen sozialer Beziehungen, aus denen sich der Personenverband aufbaut, sind also deut­ lich gewichtet.

Treuekonflikte Das entworfene Bild gesellschaftlicher Integration ist um 1200 bereits archaisch. Es wertet ökonomische und politische Strukturen oberhalb persönlicher Bindungen ab, die auf Kosten aller anderen idealisiert und untereinander harmonisiert sind. Wenn bei Hagen der herrschaftliche Aspekt vorherrscht, dann wird er, wenn Hagen sich zur positiven Figur wandelt, durch die voraussetzungslose Freundschaft zu Volker ausbalancicrt, nicht anders bei Rüedeger, der, wenn er seiner Lehensver­ pflichtung folgt, seine Bindung an die burgondischen vriunde noch einmal de­ monstrieren darf. Herrschaftliche Bindungen werden anders als in der Rebellenepik der chansons de geste, nirgends in Frage gestellt und sind mit den ,horizontalen' Bindungen an den vriunt vorab harmonisiert. Mit den Machtkämpfen und ständi­ schen Differenzierungsprozessen in Reich und Territorien um 1200 hat das nur oberflächlich zu tun; politisch aktualisierende Deutungen sind deshalb gescheitert. Betrachtet man freilich die Konsequenzen jener uneingeschränkt positiven Bin­ dungen, dann wird vor allem ihre Gefährdung reflektiert. Ihre Repräsentanten triumphieren allemal, jedoch im Untergang. Im Falle Hagens sind die Verpflich­ tungen gleichgerichtet; zwischen der triuwe zu Volker und der zu seinen Herren gibt es keinen Konflikt, aber er zieht beide ins Verderben. Im Falle Rüedegers wider­ sprechen sie einander mit tödlichen Konsequenzen. Die Waffenbrüderschaft Sivrit Gunther wird herrschaftlich (fehl-)interpretiert. Insofern erweist sich der Versuch einer Harmonisierung ,horizontaler' Bindungen (gegenüber Gleichgestellten, also etwa den Verwandten und Gästen) mit .vertikalen' (gegenüber Höhergestellten,

Nibelungische Gesellschaft

also etwa dem König) als voraussetzungsreich hybride Veranstaltung von Gnaden des Erzählers - mit fatalen Folgen. Die Verpflichtungen des Personenverbandes sind nicht alle miteinander kompa­ tibel. Das Epos spielt alternative, zum Teil antagonistische Optionen durch. Es gibt da keine Lösung, allenfalls wie im Fall Rüedegers die sentimentale Gebärde, die die Aporie ausdrückt. Persönliche Verpflichtungen im Namen anderer zu brechen, ist in jedem Fall Verrat und Treubruch. Eindeutig ist die Kritik an der Erm ordung Sivrits. Gunther gibt im Mordrat zu bedenken: er was uns ie getriuwe (868,4), und der todwunde Sivrit wiederholt das wörtlich: ich was iu ie getriuwe (989,3). Der Erzähler kann kaum genug tun, beim Mord an Sivrit die starken untriuwe (876,2), den grâtçefn] meinrät (906,3), den ungetriuwen tôt (988,4) anzuprangern, und er mahnt: sus größer untriuwe solde nimmer man gepflegen (915,4).15 Im Verrat ist das Fundament des Per­ sonenverbandes - des Inbegriffs sozialer Ordnung - getroffen, und deshalb wirkt er weit über die unmittelbar Beteiligten hinaus: ir habt an iuwern mögen leider übele getan (989,4), trifft auch die, die mit den Tätern ihrerseits durch persönliche Bin­ dungen Zusammenhängen, und stigmatisiert künftige Generationen (990). Das ist eindeutig, und trotzdem ist die Erm ordung Sivrits durch eine konkur­ rierende triuwe-V>\ndung, die Hagens an Prünhilt, begründet, und der Rache für den Verrat werden andere triuwe-Verpflichtungen skrupellos geopfert werden. Die mo­ ralische Wertung ist gegenüber dem sozialen System hilflos. Mehrfach und in im­ mer neuen Konstellationen wird vorgeführt, wie sich personale Bindungen über­ kreuzen und gegenseitig ausschließen können. Und jedesmal ist Verrat die Folge. Hagen folgt einer sozialen Norm von ähnlicher Verbindlichkeit wie die, die ihn auch an Sivrit - den f r i unt der Könige, den Verbündeten, den Waffengefahrten binden müßte. E r entscheidet sich für die Bindung an das Königshaus, handelt nicht als mäc Kriemhilts (898,1), sondern als man Gunthers.*24 Seine Entscheidung bleibt im Kommentar des Erzählers und der Figuren problematisch, wird aufge­ wertet erst, als sich eine noch problematischere anbahnt: die Entscheidung Kriem ­ hilts gegen die nächsten Verwandten. Damit nämlich rückt Kriemhilt in die Posi­ tion des Verrats ein, die Hagen im ersten Teil eingenommen hatte. In der Kontroverse um Rüedeger wird ein vergleichbarer Konflikt durchge­ spielt. Sie wurde oft dargestellt und muß hier nicht wiederholt werden.2’ Es kommt hier nur darauf an, den Konflikt als Reflexionsmedium der Aporien des Personen­ verbandes zu erkennen. Vom Ergebnis her ist klar: Der Pflicht gegenüber dem Lehensherrn Etzel (dazu dem Eid gegenüber Kriemhilt) wird die Bindung an die 2> Unverständlich sind daher Versuche (z. B. Grenzler, 1992, S. 37 5-5 7 9 ), diese eindeutigen Urteile wegzudisputieren. 24 Hennig (19 8 1), S. 179 weist daraufhin, daß die verwandtschaftliche Komponente im burgondischen Herrschaftsverband zugunsten der lehensrechtlichen zurückgedrängt ist. 21 Vgl. zusammenfassend Splett (1968), S. 7 0 -10 6 ; zuletzt - wieder stark psychologisierend - Campbell (1996).

Treuekonflikte

burgondischen friunde aufgeopfert. Die Entscheidung ist eindeutig, ihre Grundlage keineswegs. Das Votum für die Lehensverpflichtung ist nicht mit dem für ,das Recht' gleichzusetzen: Rüedeger muß Recht brechen.26 Die herrschaftliche Bindung erscheint als unausweichlicher Zwang, wie der E r ­ zähler Rüedeger unablässig beteuern läßt: e% muo^ hiute gelten (2163,2); ich muo^ iu leisten als ich gelobet hän (2166,3); die küenen Burgonden die muo% ich leider bestän (2167,4); Jane mac ichs niht geladen (2178,1); ich muo^ mit iu striten, wände ich^gelobt hän (2178,2); mich enwoldes niht erlägen des kiinec Et^elen wfp (2178,4). Was sich durchsetzt, wird mithin als von außen auferlegt erfahren.27 Trotzdem, durchsetzen muß und wird es sich. Die Bindung an den Lehensherrn wird effektvoll inszeniert im pathetischen Fuß­ fall Etzels und Kriemhilts vor Rüedeger, wie er vielleicht auf den Fußfall Barba­ rossas vor Heinrich dem Löwen oder vergleichbare Rituale anspielt.28 Allerdings ist dieser A kt nur Kontrafakt des (vorausgehenden!) Fußfalls Irincs vor seinen G e­ folgsleuten, stellt im Erzählzusammenhang also das Gleichgewicht gegenseitiger Verpflichtungen wieder her. Geht es jetzt darum, Rüedeger zum Eingreifen für den Herrn zu veranlassen, dann war vorher das Ziel, die Gefolgsleute am Eingreifen für den Herrn zu hindern. Die Unterwerfungsgeste macht also nicht anklagend die Verbindlichkeit herrschaftlicher Bindungen in einer Verkehrung der legitimen Hier­ archie sichtbar, sondern betont wieder die wechselseitige Abhängigkeit von Herr und Gefolgschaft. Was als herrschaftlicher Zwang ,von oben nach unten' fraglos gilt, wird durch die korrespondierende Geste ,von unten nach oben' relativiert. Beide Male gelingt die Geste der Preisgabe an den Partner im Herrschaftsver­ trag, indem sie diesem alle Alternativen verbaut. Rüedeger kann noch versuchen, die Lehensbindung aufzulösen (was mißlingt);29 er kann seine Situation beklagen (was er ausgiebig tut); die Verbindlichkeit der Forderung Etzels in Frage stellen kann er nicht. Dagegen spielt das Versprechen gegenüber Kriemhilt, ihr leit zu büe^en (1257,2F), bloß eine untergeordnete Rolle und bloß anfangs.30

16 So - gegen Wapnewski (i960) - überzeugend Splett (1968), S. 87 und schon Harms (1963), S. 4of.; zu den rechtsverbindlichen Verpflichtungen gegenüber den Burgonden auch Bernreuther (1994), S. 76­ 79; zur Unlösbarkeit des Konfliktes S. 96—100. 27 Wapnewski (i960) setzt hier - typisch neuzeitlich - einen Gegensatz zwischen .rechtlichen* und .sittlichen* Verpflichtungen voraus, von denen nur die letzteren personal gedacht sind (S. 384-388; 3 9 1—393). Eine solche Unterscheidung ist mittelalterlichen Vorstellungen vom Recht, das nichts Abstraktes ist, sondern sich in personalen Beziehungen realisiert, unangemessen. 21 Panzer (1945), S. 178; vgl. A lth o ff (1992/1997), S. 7 1. 29 A lth o ff (1993/1997). S. 254. Z u r Zweideutigkeit des Eides S. 3646; daß er den Ausschlag bei der Entscheidung gibt (Kuhn, 1965, S. 295), geht aus dem Text nicht hervor. Die spätere Formulierung ich muo% mit iu striten, wände ih\ gelobt hän (2178 ,2) ist durchaus nicht zwingend allein auf den Eid gegenüber Kriemhilt zu beziehen (anders Naumann, 1952, S. 390). N ur den Kriemhilt geleisteten Schwur übrigens stellt Rüedeger unter den Vorbehalt, daß er das Seelenheil nicht gefährden dürfe (2150,3). Bernreuther (1994) arbeitet S. 97 heraus, daß die „Wahrung von je für sich positiven Rechtsbindungen“ , auf die Rüedeger sich

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Rüedeger folgt, anders als der .Verräter* Hagen, offen dem, was ihm auferlegt ist, und er geht, anders als er erwartet, unbeschädigt aus dem Konflikt hervor. Da es keine pragmatische Lösung gibt, muß er sterben; aber es gibt auch keinen Schul­ digen, weshalb ihm unvergänglicher Ruhm zugesprochen w ird.’ 1 Hatte er geglaubt, mich schiltet elliu diet (2154,3), so wird er tatsächlich von allen gepriesen werden. Dies ist jedoch nicht so sehr Ergebnis seiner besonderen Entscheidung, also des Umstandes, daß er der Vasallenbindung den Vorrang gibt, sondern erklärt sich aus der vorbildlichen Weise, in der er mit einer aporetischen Situation fertig wird. Objektiv verletzt jede Entscheidung oder Nicht-Entscheidung Recht (2154). Rüe­ deger aber kann zeigen, daß sein Verhalten auf beiden Seiten Recht bestätigt. Sein bewaffneter Auftritt vor den Burgonden wird von Volker sogleich als E r ­ füllung der Lehenspflicht verstanden: an uns w il dienen Rüedeger sin bürge und siniu lant (2173,4). Die ursprünglich entgegenstehenden Verpflichtungen gegenüber den Bur­ gonden - Giselher hofft auf die Verwandtschaft (2172), Gunther gedenkt der vil großen triuwe (2177,3), erinnert an trium unde rninne, die ir uns habt getân (2179,3), Gernot an Gastrecht und Geschenke (2182; 2184) - können dagegen nichts mehr ausrichten. Die Erwartungen der Akteure sind übrigens ständisch genau ausbalan­ ciert, indem jeder von der ständischen Position des anderen aus spricht: Es ist der Vasall Volker, der die Kraft der vasallitischen Bindung als die stärkere nennt, wäh­ rend die Könige die Hoffnung ausdrücken, daß die Rechtsbeziehungen zwischen Gleichen den Ausschlag geben werden.32 Auch das unterstreicht das Gleichgewicht. Das Gespräch mit den Burgonden wiederholt seitenverkehrt die Auseinan­ dersetzung mit Kriemhilt und Etzel. Analog zur gescheiterten diffidatio dort bittet Rüedeger auch hier um die Auflösung rechtlicher Verpflichtung, jetzt derjenigen durch Konnubium, Gastrecht, Geleit und Geschenke: ê do wären wir friunde: der triuwen w il ich ledec sin (2175,4).33 Dieser Versuch mißlingt ebenso, wie auch die Hoffnung scheitert, daß die Bindung durch vriuntschaft den K am pf übersteht. E s zeichnet sich ein doppelter Bruch bestehender Verpflichtungen ab. Doch Ha­ gens Eingreifen34 erlaubt, beide Seiten zu bestätigen. Hagens Bitte um Rüedegers Schild reaktiviert die Bindungen, gegen die Rüedeger zu verstoßen gezwungen ist.33

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beruft, „nicht mehr selbstverständlich die Anerkennung vor G o tt und der höfischen Gesellschaft“ bedeutet. Insofern sehe ich in seinem K a m p f keinen „Rechtsentscheid“ , der seine Beurteilung im Tod Rüe­ degers als Strafe der Verletzung von Recht fände (so Splett, 1968, S. 8 7-89, u. a. in Anlehnung an Nottarp). Vgl. Splett (1968), S. 91. Splett (1968), S. 78; 84-86. Kuhn (1965), S. hebt hervor, daß diese Pflichten weit über das rechtlich Gebotene gesteigert werden. Dies ist typisch für die heroische Darstellung von Rechts­ konflikten (Schmidt-Wicgand, 1982a). Wapnewski (i960), S. 396; vgl. Bernreuther (1994), S. 100. Bachorski (1996), S. 9f. „Im übrigen bleibt es [...] belanglos, ob die vasallitische Bindung Rüedegers wirklich so viel zwingender ist als die, die aus der Verlobung von Giselher und Gotelint resultiert [...]; wichtiger ist [...], daß aktuell neben all den schon bestehenden Bindungen durch den Gaben­ tausch [die Schildgabe an Hagen] eine neue, wiederum zwingende hergestellt wird“ .

Am biguisierung von triuwe

Rüedeger erfüllt sie ebenso willeclichen (2231,1) wie das, was ihm von Etzel auferlegt wird (2231,1). Die Gewichte sind „im L o t“ ,56 freilich um den Preis der Vernich­ tung. Die gegenseitige Verpflichtung durch die Gabe drückt sich in Hagens und Vol­ kers Rückzug vom K am pf aus. Sie entscheiden sich damit - nochmalige Umkeh­ rung der Ausgangskonstellation - gegen ihre Herrn und für die Alternative, die Rüedeger verworfen hat. Auch Giselhers Zurückhaltung vom K am pf gegen den Verwandten bestätigt den unterlegenen Rechtsstandpunkt (2208,3). Daß Rüedeger durch das Schwert stirbt, das er seinem Gegner selbst geschenkt hat, stellt noch einmal die tödliche Konsequenz aus den entgegengesetzten Verpflichtungen dar. Gerühmt wird er nicht vom König und der Königin, für die er gekämpft hat - im Gegenteil gibt es da Zweifel an seiner Zuverlässigkeit (2228h) - , sondern von denen, denen er die vriunde totschlug, doch auch freiwillig seine Großzügigkeit erwies. In Rüedeger triumphiert die Ordnung des Personenverbandes noch in ihrer Wi­ dersprüchlichkeit, indem sich durchsetzt, was Herrschaft garantiert, jedoch unter Strömen von Tränen gefeiert wird (2197,2), was an persönlichen Bindungen dem entgegensteht und noch im Untergang intakt bleibt. Im Untergang Rüedegers feiert sich die Heroenwelt auf Kosten der Sieger. Aber Rüedegers Triumph ist identisch mit der Katastrophe des sozialen Systems, in dessen Netz er sich verfan­ gen hat. Die ,Klage* hält zwar an Rüedegers Vorbildlichkeit fest57 - er wird auf seinem Schild liegend gefunden, demjenigen, der den Hagen geschenkten Schild ersetzte - , spart aber seinen Konflikt völlig aus. Es bleibt der vorbildliche K am pf für Etzel, die herrschaftliche Komponente also. Die Widersprüche und Konfliktm öglichkei­ ten, die sich aus der Struktur des Personenverbandes ergeben, scheinen für den Dichter des 13. Jahrhunderts an Interesse verloren zu haben. Ein trauriges Heroen­ schicksal, mehr nicht.

Ambiguisierung von triuwe Triuwe war das Prinzip, das den Zusammenhang des Personenverbandes garantieren sollte.5® Triuwe verwandtschaftlicher Natur - triuwe innerhalb der Familie oder der Sippe - , lehnsrechtlicher - triuwe zwischen Herr und Mann - , vertraglicher und emotionaler - triuwe zwischen Gleichen, die sich zu irgendeinem Zweck zusam­ menschließen, ist stets mehr als ein individuelles Gefühl, doch - graduell verschie-

,6 Wapnewski (1960), S. 398.

,7 Gillespie (1972), S. 163: Fast ein Fünftel der .Klage' ist Rüedeger gewidmet, hat er berechnet. ,s Gentry (1989), S. 305 spricht sogar von einer „message“ des .Nibelungenliedes': Kritik der untriuwe.

Nibelungische Gesellschaft

den - weniger als eine institutionell abgesicherte Verpflichtung. Insofern ist trium Inbegriff aller wechselseitigen Bindungen zwischen Menschen.59 ,Innere4, d. h. auf den einzelnen Menschen bezogene und .soziale4 Komponenten sind unauflöslich miteinander verbunden und nur schwach gegeneinander ausdifferenziert.*40 Im be­ sonderen Fall kann die eine oder die andere Komponente überwiegen. So sind in der triuwe zwischen Hagen und Volker die herrschaftlichen Elemente weniger stark ausgeprägt als etwa in einer Lehensbeziehung. Zwischen diesen beiden Typen steht die Solidarität innerhalb des burgondischen Herrschaftsverbandes, der um den Preis der Selbstaufgabe kein Mitglied an den Feind ausliefert. Herrschaftliche Komponenten werden hier von persönlichen gestützt. E s fehlt zwar eine eindeutige Hierarchisierung von Bindungen unterschiedlichen Typs, stärker kollektiv-gesell­ schaftlichen und stärker individualisierten. Vergleicht man aber die beiden Macht­ konglomerate, die sich an Kriemhilts höchst gegenüberstehen, dann fällt alles Licht auf den Verband, in dem beide Typen ununterscheidbar sind: den burgondischen. Die horizontalen Bindungen sind durchweg positiv besetzt, vor allem diejenigen innerhalb der Sippe, dazu andere zwischen Männern, die Waffenbrüderschaft zwi­ schen Hagen und Volker, die Gastfreundschaft zwischen Rüediger und den Burgonden, das anfängliche Einvernehmen zwischen den Burgonden und den exilier­ ten Helden an Etzels H o f und natürlich die - später dann verratene - vriuntschaft zwischen Sivrit und Gunther. Solche Bindungen können die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen politischen — selbst feindlichen - Gruppierungen übergreifen. Noch als die Burgonden schon in den K am pf mit Etzels Leuten verwickelt sind, nennt Rüedeger sie vriunde[] (1996,4), und Giselher bestätigt: sft ir sft triuwen state (1997,3). Das Einvernehmen zwischen den Amelungen und den Burgonden wird erst im Streit um Rüedegers Leichnam zerstört, und Rüedeger, Hagen und Volker beweisen noch beim tödlichen Zusammenstoß, daß sie friunde[] sind (2200,3). Die vielerlei Verhältnisse, die mit triuwe benannt werden, haben einen gemein­ samen gesellschaftlichen Kern. Erst allmählich verschiebt sich dieser Kern in der Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts zu einer stärker individuell modellierten Beziehung.41 Ansätze dazu, noch ohne explizite Reflexion und deutlich problemati­ siert, gibt es auch im Nibelungenlied. Die triuwe Kriemhilts zu Sivrit ist unbestrit­ ten: si was im getriuwe, des ir diu meiste menige gibt (1142,4). Selbst dieser triuwe aber fehlt das gesellschaftliche Moment keineswegs. Kriemhilts Rolle im Herrschafts­ gefüge ist zunächst über Sivrits Stellung als König, dann über ihre Zugehörigkeit



Nicht thematisiert wird nur triuwe des Menschen gegenüber G ott und Gottes gegenüber dem Men­ schen. 40 Deshalb läßt triuwe sich auch nicht auf standesrechtliche und herrschaftliche Aspekte einschränken, etwa wenn Czerwinski (1979), S. 76f. Kriemhilts Bindung an Sivrit nur als „Bindung an den stärksten Körper, den mächtigsten und reichsten“ versteht. 41 Reflexionsmedium sind vor allem Minnesang und höfischer Roman, nicht so sehr die heroische Überlieferung; vgl. zur ethischen Komponente Zimmermann (1990), S. 525.

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Am biguisierung von triuwe

zur burgondischen Königssippe bestimmt. Doch soll der Satz getriuwer wibes kiinne ein heit nie mère geivan (1126,4) unabhängig von Sivrits Macht, Stärke und Reichtum gelten (1126,3). Gerade weil Kriemhilts minne zu Sivrit nicht mehr über Sivrits Stellung allein vermittelt ist, sondern ihm, unabhängig von dem, was er ist und hat, gelten soll, fällt sie aus dem Geflecht gewöhnlicher /rz/we-Bindungen heraus. Die Bindung an den holde[n] vriedel (2372,3) kann und wird alle anderen - die an Ver­ wandte und vriunde - zerstören. Mit vriedel - Geliebter - ist ein Nahverhältnis unter Ausklammerung von rechtlichen Unterscheidungen (Liebhaber, Ehemann) be­ z e ic h n e t.In der Perspektive des Erzählers wie seiner Figuren pervertiert allerdings diese im Wortsinne a-soziale triuwe zur Ungeheuerlichkeit. Sie kommt erst allmählich ins Spiel. Liest man das Epos vom Ende her und träumt man sich in Kriemhilts letzte Worte über ihren Abschied vom holden vriedel jene Gefühlstiefe hinzu, über die sich das Epos ausschweigt, dann übersieht man allzu leicht, wie konventionell die Verbindung mit Sivrit zunächst begründet wurde und wie eng sie in den herrschaftlich-sozialen Verband eingebunden war. Sivrits Rolle als werbender Ritter mag vom höfischen Frauendienst tingiert sein, auch Kriemhilts Reaktion von Elementen des amor de lonh beeinflußt, doch ist Kriemhilt nicht die souveräne höfische vrouwe, die nach Verdienst über die Annahme von minne-Dienst entscheidet, sondern sie steht in der Verfügungsgewalt ihrer Brüder, die ihre Hand zu vergeben haben (5 3f.).4J Von diesen wird sie nach Opportunitäts­ gesichtspunkten benutzt: Ihr gruot£ belohnt Sivrit, sie ist Gunthers Einsatz beim Frauentausch und muß Gunthers eidliche Verpflichtungen einlösen, als Sivrit sei­ nen Preis fordert. Wenn sie zu Sivrit spricht, beurteilt sie seine Person zuvörderst nach seinen Verdiensten um ihre Verwandten und nach deren ,Huld‘ (303). Vor­ behaltlos unterwirft sie sich dem Wunsch der Brüder (613). Ihre Heirat ist ein Staatsakt, für dessen erbrechtliche Folgen sie sich interessiert (696-699), und sie versteht, wie sich zuerst im Streit mit Prünhilt zeigt, ihre eigene Rolle ganz in Abhängigkeit von der sozialen Rolle ihres Mannes. Die Vorbereitung dieser normgerechten feudalen Ehe wird allerdings durch min­ ne als individuelle Wahl eines besonderen Partners überblendet: Kriemhilts Interesse für Sivrit drückt sich in versteckten Blicken, in Neugier, im Interesse für den Sieger im Sachsenkrieg (225, 241), im Erröten (292,2) aus; erotische Nähe ergibt sich aus dem höfischen Grußritual (293f.), bei der offiziellen Vermählung an dem ringe zeigt sich Zuneigung (614h). Das .Nibelungenlied4 zitiert Minnesymptome, wie sie der höfische Roman weiter ausgestalten wird, doch stets koordiniert mit den üblichen Konstellationen feudaler Eheschließung. Was aber anfangs nur mitzulaufen scheint*4 1

41 Lexer III, 5 1 3f.: Das Bedeutungsspektrum reicht von Ehe bis zu illegitimer Liebschaft. 41 Die damit konkurrierende Aussage, daç si deheinen wolde eime träte hart (46,3), die also Kriemhilts Entscheidung über die Heirat in den Mittelpunkt stellt, wird nie handlungswirksam; Differenzen zum höfischen Minnedienst S. 399-406.

Nibelungische Gesellschaft

und die Eheschließung zur emotionalen Seite vervollständigt, wird allmählich so sehr zur Hauptsache, daß die Ordnungen, denen es sich anlagerte, Z u g um Z ug zur Disposition gestellt werden. Man muß dieses anfängliche Nebeneinander beachten, um den literarhistorischen Ort des ,Nibelungenliedes4 um 1200 zu bestimmen. Das Heraustreten personaler Bindung aus einem konventionellen Geflecht kollektiver Verpflichtungen scheint nämlich in der Zeit allgemein Stimulans des Erzählens und Quelle der Beunruhi­ gung in der frühen epischen Literatur in der Volkssprache. Eine Schlüsselrolle spielt die Tristansage, ln der konventionellen Bindung zwischen dem K önig von Cornwall und der Königstochter aus Irland muß das nach Konvenienzgesichtspunkten geschlossene, auf Status und Politik gegründete Rechtsverhältnis Ehe durch individuelle Zuneigung der Partner ergänzt werden. Dies ist ursprünglich die Aufgabe des Minnetranks, den - ich folge der Version Eilharts - Marke und Isalde trinken sollen. Die emotionale Bindung an die Person tritt also auch hier erst nachträglich hinzu (vgl. Trt 2266ff.). Umso schlimmer, daß der falsche Mann den Trank trinkt, wodurch die offenbar nicht mehr selbstverständliche, daher durch den Trank zu gewährleistende Verknüpfung von minne und Konvenienz, von Person und Status torpediert wird. Damit treten beide Seiten konflikthaft gegeneinander. Eine rein personal begründete Liebe ist auch hier nur als Privation denkbar; sie wird bei Eilhart zunächst von allem, was den adligen Mann liebenswert nach kol­ lektiven Normen machen könnte, abgesetzt: Erst nachdem sie unter magischem Zwang schon liebt, entdeckt Isalde an Tristrant die üblichen Vorzüge A d d , Schön­ heit, Stärke, Großtaten. Isaldes Passion für die eine Person wirkt in der Folge dann ähnlich zerstörerisch wie Kriemhilts Fixierung auf die Rache für Sivrit. Zu einer vergleichbaren Passion wächst sich Kriemhilts minne erst nach Sivrits Tod aus. Sie bleibt in der Nähe des Grabes, und das heißt bei ihren Verwandten, doch nur solange, bis sie die Möglichkeit der Rache an diesen Verwandten erhält. Ihre Option gegen Verwandtschaft unterscheidet sich von der Hagens. Hagen ver­ läßt die geltende Ordnung nicht, sondern entscheidet sich für eine Seite, die K ö ­ nigin, zuungunsten der Gegenseite, zu der er seine Bindung kappt. Dies hat seine bekannten Zynismen zur Folge: lät mich den schuldigen sin (113 1,4 ) und nu reche'.£ swer der welle (1791,3). Trotzdem sind die Folgen seines Verrats nicht so verheerend wie desjenigen Kriemhilts, die ihrer Bindung an Sivrit jedwede andere opfert, die an die Gefolgsleute, die Helden Etzels, die Brüder, den Sohn, den Mann. Kriemhilts triuwe gegenüber Sivrit ist deshalb - anders als diejenige der Männer untereinander - ambivalent, uneingeschränkt positiv nur so lange, wie sie in andere triuwe-Netze eingebettet ist (wie durchweg vor der Hochzeit mit Etzel), dann jedoch immer weniger, je mehr sie alle anderen /r/'/rt^e-Bindungen bedroht und zuletzt vernichtet. Planmäßig wird deren Ausschaltung erzählt, zuerst und noch unproblematisch die der Bindung an Sivrits Sippe, indem sie diese an der Rache hindert und sich von ihr löst; damit wird die Rache ihre Angelegenheit, ist nicht mehr Sache der Sippe 66

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und des Herrschaftsverbandes; der Sohn Sivrits ist vergessen. Noch scheint Kriemhilt sich auf ein anderes allgemein akzeptiertes triuwe-Netz, die Bindung an die Blutsverwandten, berufen zu können (1078,4). Dort abgerissene Bande werden so­ gar neu geknüpft, damit man, wie es sich gehört, im Verwandtschaftsverband wie­ der einander holt ist (1129 ,3).44 In diesem Netz aber kann die Rache nicht gelingen, weil sie auf seine Zerstörung zielen müßte, sind doch diest getriuwen ihrerseits durch verwandtschaftliche und herrschaftliche Beziehungen denen verpflichtet, gegen die Kriemhilt vorgehen müßte. So erfährt sie neues leit (vgl. 1 1 4 1 ,1) , gegen das sie unter den Verwandten keine Hilfe finden kann: w ar’ er niht min mäc, e^gienge im an den Up (1133 ,3), wehrt Giselher die Zumutung ab, gegen Hagen vorzugehen. Indem Kriemhilts triuwe gegen Sivrit (vgl. 1142,4) das Vorhaben, ihn zu rächen, ein­ schließt, wird sic durch die triuwe, die sie mit den Verwandten und diese unter­ einander und mit anderen verbindet, behindert. Diese triuwe besteht noch, wenn Kriemhilt zu Etzel aufbricht, ablesbar an den Ritualen des Abschieds. Die Trennung zwischen den guoten friunden (1291,4) ist tränenreich; Giselher versichert Kriemhilt noch einmal seiner Dienste, wenn sie Hilfe brauche; und Kriemhilt gibt denen, die ir mäge wären, zum Abschied den Friedenskuß (1293,1). Hier ist Kriemhilt noch in den Verband der vriunde einge­ bunden. Erst als sie auf die Leute Etzels zählen kann, wird die triuwe zu Sivrit zum absoluten, alle anderen sozialen Bindungen aufzehrenden Motiv. Wie sie den Bru­ der - Gunther, doch auch Giselher4’ - aufgibt, wird im großen Selbstgespräch zu Beginn der 23. Aventiure erzählt. Das ist satanisch, Einflüsterung des välant (139 4 ,1-3), der dort gebraucht wird, wo ein normales Verständnis der Welt aus­ setzt.4 *6 Verschärft ist die Kritik an Kriemhilt noch, indem sie auch das Gastrecht 4 bricht.47*Kriemhilts triuwe ist radikal individualisiert, nurmehr auf eine Person ge­ richtet und blendet alle sozialen Rücksichten aus. Sie muß aus dem selbstverständ­ lichen Geflecht der getriuwen, das feudale Gesellschaft konstituiert, herausgelöst werden, und das geschieht unter eindeutig negativen Vorzeichen.4* Das Bewußtsein, eine in der nibelungischen Welt fraglos geltende Norm zu ver­ letzen, teilt sogar Kriemhilt selbst, wenn Dietrich sie välandinne (1748,4) nennt, weil er weiß, daß sie zur Rache an den nächsten Verwandten entschlossen ist: Des schämte sich vil sêre da%E fielen wip.

(1749,1)

44 A lth off (19 9 13/19 9 7), S. 206: „Huldverlust grenzte aus, macht ein Zusammenleben in einer Gruppe, in der gegenseitige Huld herrschte, unmöglich“ ; vgl. schon Müller (1987), S. 242. 4’ Z u r Vertauschung der Namen und zum Motivationsgeflecht dieser Szene vgl. S. 2 j i . 46 Ähnlich Kuhn (1965), S. 29 1; McConnell (1986a), S. 47; Rupp (1985), S. 172 erkennt, daß „in diesem Augenblick die Zerstörung aller politischen und menschlichen Ordnungen deutlich“ wird; vgl. M ül­ ler (1987), S. 250; 2 }}. 47 Splett (1968), S. 86; zum M otiv der verräterischen Einladung: Hennig ( 1 987)4' Wynn (1965), S. 114 , Anm . 16, 20, 22; Haug (1987), S. 14; Müller (1987), S. 2 51. A ls rechtliche Ver­ pflichtung zur Blutrache läßt sich Kriemhilts Tat nicht verstehen (Schmidt-Wiegand, 1982a, S. 381).

Nibelungische Gesellschaft

Scham ist das Bewußtsein des Verstoßes gegen eine Ordnung, die man noch aner­ kennt. Auch davon wird später nicht mehr die Rede sein. Der Erzähler hämmert die Ehrlosigkeit des Vorhabens unaufhörlich ein: Diu bete dich lü/^el êret, vil edelesfürsten wip, da% du dinen mägen ratest an den Up. si körnen ûf genäde her in di% lant. (1902,2f.) Indem der grotte mort ausgerechnet an ir nahsten mägen*'* vollzogen wird (2086,1; 3), steht das Vertrauen in die Ordnung von Gesellschaft überhaupt (gedingen) zur Dis­ position. Giselher klagt an: Ich was dir ie getriuwe, nie getet ich dir leit. i f solhen gedingen ich her hove reit, da% du mir holt wärest [...]■ (2102,1—3) Noch die Schlußszene insistiert auf Verwandtschaftsbezeichnungen (vil liebiu swester, 2363,1; bruoder, 2366,3; 2369,2), um sie gegen den holde[n] vriedel (2372,3) auszu­ spielen. Kriemhilts Tod spiegelt das Vergehen: tçe stücken was gehouwen dö da£ edele wip.

(2377,2)

Zerstückeln ist wie Zerreißen die Strafe für den Verräter, der Ordnung schlechthin zerstört.4 50 Hagen, der im ersten Teil als Verräter gebrandmarkt wurde, wird dage­ 9 gen nur enthauptet. Enthauptung ist die Form der Hinrichtung, die Privileg des Vornehmen ist und seine Ehre nicht tangiert. Wenn daher die ,K lage' Kriemhilt als Ausbund von triuwe feiern will, muß sie die spiegelnde Strafe rückgängig machen und eine ehrenvollere Art des Todes erfinden. In der Tat findet man bei Kriemhilts Leiche nur den K o p f vom Rum pf getrennt (K l 796h). Vom schlimmsten Vorwurf ist sie entlastet.5' Die triuwe, die undiskutiert als Höchstwert eingeführt wurde und in den vielen wertenden Kommentaren, oft a parte gesprochen, weiterhin uneingeschränkt gilt, erweist sich in Kriemhilts Einschränkung auf einen einzigen Menschen als des­ aströs. Erst die ,Klage* hat Kriemhilts ausschließliche Bindung an Sivrit unter demselben B egriff der triuwe positiviert und Kriemhilt ihretwegen die Rettung ihrer Seele zugesprochen (Kl 139 -15 8 u. ö.). Hier wird in religiöser Perspektive triuwe zur individuellen Tugend. Die auf Kriemhilt gemünzte, mit der Autorität von Des buoches meister ausgestattete Sentenz dem getriuwen tuot untriuwe wé (Kl 569f.) hat

49 M it nahsten mögen gliedert sich aus dem umfangreichen Verband der Verwandten, wie ihn das frühe Mittelalter kennt, die engere Kernfamilie aus; die Gegenposition zu Kriemhilts Verhalten ist also gar nicht allzuweit von deren ausschließlicher Bindung an den holden vriedel entfernt. 50 Ohly (1989/1995), S. 428. ’ ’ Kuhn (1965), S. 302; Flood (1994), S. i86f.; anders Bumke (1996c), S.475, der annimmt, der ,K lage‘ -Dichter habe die Zerstückelung als Enthauptung verstanden.

Am biguisierung von triuwe

Voorwinden als Bibelzitat (Proverbia 29,27) erkannt:’1 Kriemhilt wird an einer re­ ligiös (und nicht feudal, sippenbezogen oder wie immer) verstandenen triuwe ge-* messen; triuwe kennzeichnet primär nicht mehr ein Verhältnis zwischen mehreren Menschen, sondern kommt als Eigenschaft dieser einen Person zu. Selbst hier aber ist der Konnex mit dem zentralen mittelalterlichen Vergesell­ schaftungsprinzip nicht völlig aufgehoben. Die Rechtfertigung Kriemhilts hebt nämlich an: sold er [ ! ] des engelten, der rebter triuwen künde phiegen, der bete schiere sich bewegen da% er m it rehten dingen mähte niht Volbringen deheingetriulichen muot [ . . . ] .

(K l 14 0 -14 5 )

Diskutiert wird Kriemhilts triuwe zunächst also als eine allgemeine - und das heißt männliche (er!, mannes lip\), zugleich gesellschaftliche - Tugend, erst in zweiter Linie dann als (gleichfalls gesellschaftliche) Tugend der Frau, wobei sie zuerst nicht einmal ausdrücklich auf die exklusive Bindung an den Geliebten bezogen wird: triuwe diu ist dar %uo guot: diu machet werden mannes lîp [ ! ] , und êrt ouh [ ! ] also schaniu wip da% ir %ubt noch ir muot nach schänden nim m er niht getuot.

(K l 14 6 -1 5 0 )

Und so spricht der Erzähler seinem Publikum vor, was es zu denken hat: swer dit^e m are merken kan, der sagt unschuldic g a r ir lîp, wan d a \ da% v il edel werde wip täte nach ir triuwe ir räche in großer riuwe.

( K l 1 5 4 —15 8 )

Die Rechtfertigung Kriemhilts durch die zentrale Tugend mittelalterlicher Feudal­ gesellschaft hat deren Gehalt freilich unter der Hand verändert: vom Element so­ zialen Zusammenhangs zum persönlichen Vorzug. Nur unter dieser Voraussetzung kann die falsche Meinung zurückgewiesen werden, Kriemhilt sei zur Hölle ver­ dammt (Kl 556—565): sît si durch triuwe tôt gelac, in gotes hulden manegen tac sol s i

himele noch geleben.

got hat uns allen da% gegeben, swes lîp m it triuwen ende nimt, d a \ der %em himelriche %imt.

( K l. 5 7 1 —5 7 6 ) ” 1

11 Voorwinden (19 81), S. 105; zu einer ähnlichen Aussage Reinmars: Gillespie (19 72), S. 162. ” Der Krzähler dreht sogar den Spieß sogar um und beschuldigt diejenigen, die andere verurteilen, sich

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Nibelungiscbe Gesellschaft

Hier ist der Außenbezug von trium gekappt: Wenn Kriemhilt von sich aus getrium ,ist4, dann stellt sich gar nicht mehr die Frage, wem gegenüber die Verpflichtung gilt und was für Bindungen sonst sie verletzt. Gewaltsam macht die ,K lage4 die Ambiguisierung von trium rückgängig, doch wird dabei deren sozialer Gehalt geopfert. Im Epos ist diese Personalisierung von trium nur an einigen Stellen angelegt, jedoch immer in Konkurrenz zu anderen, stärker rechtlich konturierten /r/#»'f-Beziehungen, und dadurch ist sie problemati­ siert. Die ,K lage4 sucht zu vereindeutigen, was das Epos als offenes Problem dis­ kutiert. .Nibelungenlied4 und ,K lage4 reagieren im entgegengesetzten Sinn auf eine offenbar als krisenhaft erfahrene Sozialbeziehung. Bei trium handelt es sich um ein dynamisches Prinzip, dessen immanente Widersprüche (Hagen) und manifeste Grenzen (Kriemhilt) auserzählt werden. In der Katastrophe der Nibelunge not (2379,4) wird die Individualisierung, die trium durch Kriemhilt erfährt, widerrufen.

Wer soll herrschen? Aus Rüedegers Entscheidung läßt sich kein Modell politischer Herrschaft ableiten, das überdies auf die politische Situation um 1200 abgebildet werden könnte, und so sind Versuche, dem Epos eine politische Botschaft abzugewinnen, steckengeblie­ ben, ob man sich nun um Parallelen zur Reichsentwicklung um 1200 bemühte und im .Nibelungenlied4 den Konflikt zwischen Reichsspitze und den mächtigsten Für­ sten verarbeitet sah,54 ob man die kanonistisch-politische Diskussion über die ido­ neitas des Herrschers den alten mären aufpfropfen zu können glaubte55 oder ob, wie von mir selbst, ein Konflikt zwischen Ministerialität und altem Adel vorausgesetzt wurde.**6 Erzählt wird zwar auch von der politischen Organisation einer aristokra­ tischen Kriegergesellschaft und deren latenten Antagonismen, aber es gibt keine eindeutigen Lösungen, und die Konflikte sind nicht umstandslos als Kommentare zur zeitgeschichtlichen Situation lesbar. Schon in der eigentlichen Eröffnungsszene der Handlung in der dritten Aventiure spielt die Frage, wer zu Recht herrscht, eine entscheidende Rolle.57 Ausgangs­ punkt ist die gefestigte Herrschaft in Worms und in Xanten. Gunther ist einerseits der ideale Vasallenkönig,58 andererseits beruht seine Herrschaft auf Tradition. Nach vor G ott zu versündigen, wo sie doch gleichfalls nicht ohne Sünde seien (K l 578-586): Zeichen dafür, daß die Diskussion ganz ins Religiöse hinübergespielt wird. ’4 Ihlcnburg (1969); zur Kritik: Hcnnig (19 8 1), S. 175. ” Gottzmann (1987), S. 19—72. ,6 Müller (1974). 17 Ich wiederhole einige Argumente, die ich vor mehr als zwanzig Jahren erstmals formulierte (Müller,

*974 )s® Wie selbstverständlich das Zusammenwirken von K ö n ig und Großen ist, zeigt sich, wenn eigens als außergewöhnlich betont wird, daß Gunther Rüedeger âne vriunde rät (119 2 ,2 ) erlaubt, seine Botschaft vorzutragen.

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Wer soll herrschen?

den Prämissen dieses System ist es unverständlich, daß der Xantener Königssohn Sivrit in Worms erscheint, um um die Königstochter zu werben, und dabei Gunther einen Zweikam pf um die Herrschaft vorschlägt. Wer siege, sagt Sivrit dem soi

alle% dienen, diu liute und ouch diu lant.

(i 14,3).

Sivrit will zeigen, daß er von rehle liute unde lant (109,3) besitzt, indem er durch seine persönliche Stärke {eilen) seine Befähigung, den Frieden zu sichern, erweist, und für Gunther soll das gleiche gelten: Ine wil es niht erwinden [...] e% enmüge von dinen eilen din lant den fride hän.

( 1 13,1 f.).

Basis der Wormser Herrschaft ist demgegenüber das Recht: diu dienent uns von rehte, sagt Gernot über die eigenen Länder (115,4). E s ist durch dynastische Tradition abgesichert {des min vater lange mit êren hât gepflegen) und darf nicht durch iemannes kraft aufs Spiel gesetzt werden (ii2 ,2 f.).19 Legitime Gewalt beruht auf der Abstam­ mungslinie des Königshauses, dem sich einige Seitenlinien zuordnen, und vor allem auf dem hierarchisch ausdifferenzierten Herrschaftsverband (Str. 9 -12). Sivrits Xantener Königsherrschaft wird weniger breit ausgefaltet, doch als auf Abstam­ mung und Lehen beruhender Herrschaftsverband von vriunden ist sie grundsätzlich gleich.*60 Auch Sivrit beruft sich deshalb auf den ererbten Anspruch auf die Krone (109,1), doch sollen altes Recht und Qualifikation des Landesherrn übereinstim­ men. Sivrit kann sich mit seiner Herausforderung bekanntlich nicht durchsetzen, wird jedoch bei Gunthers Werbungsfahrt in eine Welt verwickelt, in der gilt, was er in Worms vergeblich forderte, daß der (die) Stärkste herrscht und daß im Zweikam pf mit dem Stärkeren über Herrschaft entschieden wird.6' Sivrit muß seine Stärke dissimulieren, will er nicht - was ja tatsächlich geschieht - als Werber angesehen werden. E r muß also Prünhilt betrügen. Gunther erwirbt Frau und Land dank Stärke, freilich der eines anderen. Wenn man in Sivrits symbolischen Dienst für Gunther eine Anspielung auf den Zügel- und Bügeldienst Kaiser Barbarossas für



Einzig Grenzler (1992) behauptet S. i6of., daß zwischen Gunther und Sivrit „Einverständnis über die angemessene A rt der .Herrschaftslegitimation* besteht“ ; er kann damit weder den Verlauf der Szene noch Gunthers Rolle im Fortgang erklären und muß annchmcn, daß ein Teil der Akteure uninformiert ist (S. 16 0 -16 2). Sivrits Überlegenheit über Gunther wird immer wieder bestätigt. 60 Czerwinski (1979), S. 7 1 , dem ich in der Charakterisierung von Gunthers Herrschaft folge, hat die Differenzen zwischen Worms und Xanten als die zwischen einem archaischeren Zustand unmittel­ barer Gewalt und einem Zustand fortgeschrittener höfischer Gewaltregulierung beschrieben, als „zwei Stufen im Entwicklungsprozeß der Organisation von Herrschaft“ (S. 72). Xanten sei noch „ganz auf den einzelnen Repräsentanten“ Sivrit zugeschnitten und beruhe „au f der personalen G e ­ waltsamkeit und unmittelbaren Herrschaftsfähigkeit des Helden“ (S. 54). Ich kann das nicht sehen. Czerwinski muß sich überwiegend auf Argumente e silentio stützen und unterschätzt die .höfische* Seite von Sivrits Herocnrollc. 6| Z u dieser Episode vgl. S. 88-90.

171

N ibelm gische Gesellschaft

den Papst und den daraus erwachsenden Streit um die Suprematie der geistlichen oder der weltlichen Macht sieht,6' dann erweist sich Gunthers Rolle als betrügeri­ sche Anmaßung. Wie sehr Gunther sich eine Rolle arrogiert, die ihm nicht zusteht, zeigt sich noch, wenn politische Normalität wiederhergestellt wird. Mit Gunthers angeblichem Sieg ist nämlich die Herrschaft noch nicht gewonnen. Die Übertragung der Herrschaft muß vor dem gesamten Herrschaftsverband voll­ zogen werden, und ein Verwandter der Königin tritt an ihre Stelle. Das Prinzip Herrschaft dank körperlicher Überlegenheit wird durch ein dynastisches Prinzip ergänzt. Das scheint überflüssig,65 da Prünhilt gleich nach dem Wettkampf sich und möge wie man Gunther unterworfen hat (466,4). Warum verlangt sie plötzlich, bevor sie Gunther nach Worms folgt: müe^en ê bevinden mäge unt mine man und di mine besten friande müesçen werden ê besant (475,2/4)? Warum plötzlich Hagens Mißtrauen gegen dieses Aufgebot, als wolle Prünhilt damit das Ergebnis des Wettkampfes umkehren? Warum holt Sivrit eine Hilfe, die nie gebraucht wird, für eine Versamm­ lung, die nie stattfindet?6 1*64 Die Schwierigkeiten heben sich, wenn man sieht, daß die Diskussion um rechte Herrschaft fortgesetzt wird. Prünhilt ist eine Königin, wie Sivrit sie sich vorstellte, die dank ihrer persönlichen Stärke herrscht. Trotzdem hängt diese Herrschaft so wenig wie irgendeine sonst im Mittelalter von ihr allein ab. Die Herrschaftsträger müssen beteiligt werden. Prünhilts Wunsch, ihr Land an der Unterwerfung unter Gunther zu beteiligen, bringt diese andere Seite zur Geltung; zugleich nähert sie sich damit den Wormser Verhältnissen, denn dort ruht die königliche Gewalt auf einem komplexen sozialen Gefüge. Damit Gunther als gleichrangig auftreten kann, braucht er ein großes ritterliches Gefolge. Um es herbeizuholen, fährt Sivrit ins Nibelungenland. Dank Sivrit kann auch die ,öffentliche' Seite des Vorgangs - die Inbesitznahme des Landes mit militärischer Macht - gewissermaßen nachgearbeitet werden. Auch bei dieser Gelegenheit muß sich Sivrit demonstrativ unterordnen. Daher schärft er Gunther ein, da% ir mich habt gesendet, da% suit ir Prünhilde sagen (481,4). So können zwei Modelle von Herrschaft kontaminiert werden. Gunther wollte mit 30.000 Mann um Prünhilt werben, einem Vielfachen des Aufgebots im Sach­ senkrieg (16 1,1). Sivrit wußte es besser: Man kann Prünhilt nur in recken wise (341,1) erobern. So kam es denn auch, und eigentlich wäre die Werbung damit am Ziel. Doch bereitet sich die Rückkehr in die Wormser Ordnung vor, wo anderes gilt. Im Brautwerbungsschema gehören persönliche Bewährung und Machtdemonstration des politischen Verbandes zusammen, wobei in Worms, wie Sivrit erfahren mußte, 61 Vgl. Panzer (1945), S. 10 5f. nach Gerhoh von Reichersberg, ,D e investigatione Antichristi' I, 72 (M G Libelli de lite III, S. 393. 6* Z u den Ungereimtheiten dieser Episode: Pérennec (19 75), S. 1. 64 Die Widersprüche schienen so offensichtlich, daß Bumke (1958) in der Episode sogar eine entstellte und hier völlig deplacierte Version des Horterwerbs vermutete.

172

Wer soll herrschen?

das erste die geringere Rolle spielt. In Isenstein ist das umgekehrt, doch ganz verzichten auf den Machtapparat des .Landes* kann man auch dort nicht. Den reinen Gegentypus, in dem allein Stärke entscheidet, vertritt das Nibelunge lant. Hier gab es zwar einmal eine Dynastie; aber seitdem Sivrit deren Nachkommen beseitigt hat, gibt es weder eine Abstammungsgemeinschaft noch eine Hierarchie. Hier ist allein Stärke Voraussetzung rechter Landesherrschaft, wie es Sivrit in Worms gefordert hatte,6’ und sie wird immer wieder auf die Probe gestellt. Daher muß Sivrit, obwohl schon Landesherr, noch einmal erobern, was ihm längst gehört. Der erbitterte K am pf ist nur handlungslogisch unnötig, denn er dient der Bewäh­ rung des Prinzips. Im Nibelungenland kann Sivrit die latente Konkurrenz zur qua Tradition eta­ blierten Macht, wie sie Gunther repräsentiert, für sich entscheiden, und zwar auf Gunthers ureigenem Feld, der Herrschaft über einen größeren Apparat. Seine K rie­ ger (und nicht Gunthers Leute) sind Gegengewicht zu Prünhilts Gefolge.66 So ist es neuerlicher Betrug, daß Gunther noch einmal ungeniert das herangeschaffte nibelungische Heer für sich reklamiert: sint mine man (509,1). Worms und Nibelun­ genland markieren die Extrempunkte in einer Auseinandersetzung um dynastische Tradition und legitime Herrschaft; Isenstein wandert von einem Pol zum andern. In der Figur Sivrits sind gegensätzliche Optionen legitimer Herrschaft kombi­ niert. Während er im Nibelungenland sich ein eigenes lant %uo den bürgen (95,4) erworben hat und dank seiner Stärke als landes herre (500,5) herrscht, ist er, obwohl genealogisch zum Herrscher prädestiniert, in Xanten noch nicht König. Dies wird auffällig kompliziert dargestellt: Zu Lebzeiten der Eltern lehnt Sivrit zu herrschen ab (43,if.),67 doch nimmt er die „vornehmste Herrscherpflicht“ , den Schutz vor Gewalt, schon wahr.68 E r ist beides: recke und solde kröne tragen (109,1). Erst nach seinen Taten für Gunther und nach seiner Heirat kommt beides zusammen, wird Sivrit K önig auch in Niderlant. Sigemunt verfügt: er soi vor disen recken die mine kröne tragen ( 7 13»3)* slt was er ir aller meister die er %e rehte vant unt dar er rihten solde, da% wart also getan da% man sêre vorhte der schcenen Kriemhilden man.

(714,2-4)

Die Erbfolge erweist sich als nebensächlich, wenn Sivrit endlich die Rolle des Herrschers zufällt und er sie so ausfüllt, wie er zuvor proklamiert hatte (721-723). *6 4

Pérennec (19 75), S. 5 hat den Zusammenhang der 3. mit der 7. Aventiure herausgearbeitet. W ie in der 3. Aventiure ist Sivrit nichts an dem Platz gelegen, der ihm als Herr kampflos zukäme; so geriert er sich lieber als gast (zum B egriff S. 3f.), um seine Stärke zu zeigen. 64 Pérennec (19 75), S. 9. 07 Das ist ein Stereotyp, das den künftigen Heros ankündigt, der erst ritterliche Taten vollbringen will, bevor er K önig ist (vgl. etwa Al 398-420). 4> de Boor, Kommentar S. 12.



N ibelm gische Gesellschaft

Indem der alte K önig am Leben bleibt, Sivrit nach Worms begleitet und ihm sogar in der Herrschaft nachfolgt, wird die natürliche dynastische Folge ein weiteres Mal als sekundär ausgewiesen. N ur was Kriemhilt betrifft, wird die Erbfolge gewahrt: Während der zehnjährigen Ruhephase stirbt Sigelint und macht Platz für sie: dö bet den gewalt mit alle der edeln Voten kint (717,2). Daß - für die Handlung völlig un­ wichtig - Sigelint stirbt und Sigemunt nicht, weist noch einmal auf die K om bi­ nation von genealogischem und heroischem Prinzip. So bleibt bei Sivrit als Herr­ scher, der sich auf die eigene Stärke stützen will, bis zuletzt eine minimale Differenz zum durch Erbfolge vermittelten Königtum Gunthers bestehen. Der von Sivrit repräsentierte Typus von hêrschaft ist nicht mit der idoneitas der gelehrten politischen Theorie des 12. Jahrhunderts zu verwechseln. Diese meint ein rationales Auswahlprinzip bei der Übertragung von Herrschaft, anstelle naturwüch­ siger Erbfolge; idoneitas wird dabei einerseits ethisch-moralisch gefaßt, andererseits - und schwächer - als intellektuelle Befähigung zur Regierung. Beides läßt sich im Investiturstreit im Sinne kirchenpolitischer Interessen interpretieren und gegen Erbfolge wie gegen Ansprüche des (militärisch) Stärkeren anführen. Dabei werden aus einer religiös fundierten Ethik Regeln politischen Handelns (z. B. der Friedens­ sicherung) abgeleitet, und es wird der geistlichen Gewalt übertragen, über ihre Erfüllung zu wachen. Dieses Programm nachprüfbarer Qualifikationskriterien ist Teil eines im 11./ 12 . Jahrhundert von der Kirche ausgehenden Rationalisierungs­ prozesses und richtet sich damit gerade gegen die im .Nibelungenlied' diskutierten Formen feudaler Herrschaftslegitimation durch überlegene Gewalt. 9 Ein K raftbe­ weis, wie ihn Sivrit vorschlägt, wäre angesichts der politischen Verhältnisse, den im Epos unterstellten wie den aus der zeitgenössischen Geschichte bekannten, sinnlos, in seinen Folgen für das Land desaströs, denn die dauernde Erprobung militäri­ scher Überlegenheit müßte einen nicht endenwollenden Krieg auslösen.6 9 70 Anders als es die Sympathielenkung des heroischen Epos vermuten läßt, vertritt Sivrit ein in der Politik um 1200 höchst problematisches Prinzip, das sich in den Wirren des Territorialisierungsprozesses allenfalls de facto, keineswegs programmatisch durch­ 69 Anders Gottzmann (1987). Sie verwischt freilich die semantische Besonderheit der kanonistischen idoneitas, wenn sie behauptet, das Idoneitätsprinzip gehe „schon [auf] die Germanen“ zurück, erhalte unter den Karolingern „eine christliche Deutung“ , werde von der Kurie aufgegriffen und im Inve­ stiturstreit von G regor V II. gegen Heinrich IV . gewendet („da er [der Papst] die religiösen Belange vom K önig nicht mehr angemessen vertreten sah“ ), schließlich im Thronstreit von 1198 gegen „kirchenfeindliche Anw ärter“ eingesetzt, die aufs Geblütsrecht pochen (S. 6 5 f.). Das .Nibelungen­ lied* habe „das Idoneitätsprinzip [...] wieder der kirchlichen Uminterpretation entkleidet“ (S. 65). Es spricht jeder begriffsgeschichtlichen Methodik Hohn, wenn man die Spielarten geblütsrechtlicher, religiöser, ethischer und politischer Legitimation in eins zusammenwirft. 70 Sivrits Herausforderung wird zwar nicht als Fehde erzählt, doch erkennt Gernot darin den Kern fehdemäßiger Gewalt:

Wir hân des niht gedingen [...] da% wir iht lande ertwingen, da% iemen drumhe tôt gelige vor beides handen. (115,1—5) 174

Wer soll herrschen?

setzen kann, den damit verbundenen Ansätzen zur Institutionalisierung überdies geradewegs entgegenläuft. Sein Legitimationspotential verdankt es dem unvor­ denklichen Alter heroischer Überlieferung, und genau hierin liegt seine Attrakti­ vität. Heldenepische Überlieferung bewahrt ältere Leitvorstellungen politischer Herr­ schaft, ohne sie einer aktuellen politischen Diskussion aussetzen zu müssen. Der in der 3. Aventiure aufbrechende Konflikt ist nicht eine versehentlich stehengeblie­ bene sagengeschichtliche Reminiszenz und bedingt nicht bloß einen ,Bruch* in Sivrits ,Charakter*, sondern gehört ins Zentrum eines Weltentwurfs, der immer wieder neu die Geschichte des überlegenen Heros in einer ihm unterlegenen Um­ gebung erzählt.7' In abgewandelter Form findet er sich in der griechisch-lateini­ schen Heldensage ebensowohl wie in den chansons de geste, und er kann - manch­ mal als unverstandenes - Schema bis in spätmittelalterliche Heldenepen verfolgt werden. Dieses Schema scheint ein pièce de resistance der heroischen Welt zu sein, das bis in deren entproblematisierte Varianten sich forterbt. Im ,Wolfdietrich D* etwa wird erzählt, wie der junge Wolfdietrich - umherziehender Held wie Sivrit - an den H o f Kaiser Ortnits kommt und wie, unvorbereitet und handlungslogisch völlig über­ flüssig, sein schieres Erscheinen dort einen Konflikt um die Herrschaft auslöst. Wie Sivrit ist Wolfdietrich ohne Eroberungsabsicht zu Ortnit aufgebrochen. Anders als Sivrit fordert er den Herrn des Hofes nicht einmal mit Worten zum K am pf um die Herrschaft heraus. Die Provokation ist indirekt: Wolfdietrich legt sich unter einer Linde schlafen, unter die noch nie ein Held zu gehen wagte (Wo D 541,1). E r dringt damit in einen ,gehegten* Bezirk ein,7172 der zugleich locus amoenus und Ort königlicher Rechtsprechung ist. Dadurch fühlt sich Ortnit herausgefordert, denn Wolfdietrichs Verhalten scheint nur den Schluß zuzulassen, daß er die Herrschaft über Ortnits Land beansprucht. E r hart, sam wer sin aygen di lut und auch di lant. Ir paret, sam da% riche ganc% ewer aigen si.

(Wo

D 545,3)

(Wo D 552,2)

Wieder geht es um einen Konflikt zwischen einer herkömmlich-etablierten Herr­ schaft und einem von außen kommenden starken Helden. Wolfdietrichs Geste schließt unausgesprochen wie im ,Nibelungenlied* den Anspruch auf eine Frau, Ortnits Gemahlin, ein - deshalb verdächtigt ihn dieser mit ihr, ohne daß irgendein Anlaß erkennbar wäre. Anders als Gunther reagiert Ortnit allerdings sofort auf die Herausforderung:

71 Weber (1990), S. 457h zum ,Cid‘ . 71 H R G II, Sp. }6f. (G. Köbler); im allgemeinen unter dem Aspekt der Hegung des Gerichtsortes behandelt, doch in der Heldensage auf Rechtsverhältnisse unterschiedlicher A rt ausgedehnt (vgl. ,Laurin*).

Nibelungische Gesellschaft

Auch traw ich wol beschirmen vor euch di mynen rieh.

( Wo D 5 5 3 , 1 )

Damit ist Wolfdietrich, obwohl er Ortnit doch aus ganz anderen Gründen aufsu­ chen wollte, gleich einverstanden und behauptet von sich situationsgerecht: Dar umb ich her t(u lande mit euch %ufechten rait.

( Wo D 5 54,2)

Allerdings, wie im .Nibelungenlied“ bleibt das aufgerufene Situationsmuster ohne Konsequenz; die Auseinandersetzung fällt aus; die Helden verbünden sich sogar. Doch sind die versteckte Rivalität und die Opposition der unterschiedlichen For­ men von Herrschaft, die sie vertreten, damit nur ausgesetzt. Später wird Wolf­ dietrich tatsächlich den Kaiser Ortnit in der Herrschaft und bei seiner Frau erset­ zen, denn, ungeachtet seiner Bereitschaft zum Zw eikam pf jetzt, wird sich Ortnit später als unfähig erweisen, seinem Land wirksam (in diesem Fall vor Drachen) den Frieden zu sichern. Die handlungslogische Überflüssigkeit der Szene verweist auf ihre paradigmati­ sche Bedeutung für eine Diskussion um legitime Herrschaft aus der Perspektive des Kriegcradels. Der Inhaber des Kaisertums wird auf lange Sicht dem Eindringling weichen müssen, so daß sich der .heroische“ Legitimationstypus letztlich durch­ setzt. Dabei sind im spätmittelalterlichen Werk dessen destruktive Konsequenzen ausgeblendet, möglicherweise weil solch ein Konflikt unter vorausgesetzten Bedin­ gungen ohnehin nichts mehr mit ernsthaften politischen Optionen zu tun hat. Der Heros wird die legitime Herrschaft nicht zerstören, sondern retten, und dieser droht Gefahr nicht von ihm, sondern von anderen, untermenschlichen Aggresso­ ren, den Drachen. Außerdem ist die Substitution des einen Typus von Herrschaft durch den anderen an einen Generationenwechsel gebunden, so daß die K onse­ quenzen des Konfliktes entschärft sind. Daß aber hier nicht eine diachrone A bfol­ ge, sondern eine synchrone Konfliktfiguration gemeint ist, zeigt sich immerhin daran, daß die Frau, die mit der Herrschaft verbunden ist, dieselbe bleibt. Die Typologie von Herrscher und Herrschaft entspricht der im .Nibelungenlied“, doch ist der Konflikt verwischt und in seinen Folgerungen entschärft, indem Wolf­ dietrichs Herrschaft nicht mit der Ortnits rivalisiert, sondern sie ablöst und über­ bietet: ein heldenepischer Atavismus. Im älteren .Nibelungenlied“ wird das Prinzip noch ernsthaft diskutiert, erweist sich freilich als wenig erfolgreich - mit der be­ stehenden Rechtsordnung versöhnt wird es nur in der kurzen Phase von Sivrits Xantener Herrschaft, wenn er kröne, gerihte und ouch da% laut erhält ( 7 1 4 , 1 ) , persön­ liche und dynastische Legitimation zusammenfallen, der ,beste Ritter“ auch der .beste Herrscher“ ist. da\ er wäre ein der beste, der ie ûf ors gesa%. man vorhte sine Sterke unt tet v il billiche da%.

(723, 3!.)

Doch wird der darin verschlüsselte Anspruch, selbst wenn er nur in den Randzonen von Isenstein und Nibelungenland realisiert wird, auch in der bekannten Welt er­

Heros, A d e l, Landesherr

hoben: daß der Herrscher auch der beste Krieger ist. Das zeigt sich, wenn der K önig die Grenzen seines Landes verteidigen muß. Im Sachsenkrieg bleibt G un­ ther zuhause, statt das burgondische Aufgebot anzuführen; die feindlichen Könige aber tun sich persönlich hervor: Liudegast hat selbst die warte besetzt (i82f.); Sivrit muß ihn gefangennehmen. E s ist charakteristisch, daß einige der Sachsen die G e­ fangennahme fälschlich nicht Sivrit, sondern Gernot zuschreiben. Allein Liudeger, d.h. der andere gegnerische König, weiß, wie es wirklich war: wol wesser [Liudeger] da£ e% täte da%Siglinde kint. man %êh es Gêrnôten: vil wol ervant er e% sint. (209, }f.) Die falsche Vermutung, scheinbar ein funktionsloser Schnörkel, unterstreicht, wie selbstverständlich dem König auch die erste Rolle als Heros zugeschrieben wird (wobei Gernot hier Gunther ersetzt) und wie auffällig der Rollentausch Sivrits mit Gunther ist. Auch König Liudeger muß vom burgondischen Anführer Sivrit per­ sönlich im K am pf überwunden werden. Liudeger weiß, wem er unterliegt: Sivriden den starken hdn ich hie bekant (216,5). Krieg, außerhalb der höfischen Welt von Worms, ist überlegene Stärke mit dem Amt des Königs verknüpft, und deshalb werden Sivrits Taten dem K önig zugeschrieben. So bleibt Sivrits Anspruch eine Herausforderung, der der Wormser K önig auf Dauer nicht gewachsen ist, auch wenn er nie aggressiv vertreten wird, in reiner Form nur in der heroischen Welt .draußen' realisiert werden kann und in der Wormser Mordintrige scheitert. Die Antwort auf die Frage: Wer soll herrschen? fällt verschieden aus, je nachdem, ob man das, was sein sollte, oder das, was sich erfolgreich durchsetzt, ins Auge faßt.

Heros, Adel, Landesherr Nun wird das Problem von Herrschaft und Stärke durch die Brautwerbungsintrige mit dem Problem Stärke und Status verknüpft. Nicht Sivrits Herrschaftsanspruch führt in den offenen Konflikt, sondern die Konsequenzen aus dem Umstand, daß er ihn dort zurücknimmt, wo er am Platz gewesen wäre. In Worms tritt scheinbar die frühere Rollenverteilung in ihr Recht. Die erratische Prünhilt fügt sich der Wormser Ordnung ein.73 Der Konflikt um Sivrits Status hat zum einen seine Worte in Isenstein zur Voraussetzung, zum anderen das Prinzip, das sich seit der dritten Aventiure durchgesetzt hatte, daß eine traditionale Ord­ nung den Status vorgibt, unabhängig von persönlichen Qualitäten. Persönliche Stärke und legitime Herrschaft lassen sich aber weiterhin nicht trennen. So ist es71

71 Insoweit — nur insoweit - hat Newman (19 8 1) recht, wenn sie von ,zwei Prünhilden* spricht und konstatiert, daß sich die Figur mit Eintritt in die Welt von Worms verändert (S. 72f.).

77

N ibelm gische Gesellschaft

möglich, daß die Auseinandersetzung um Sivrits Stärke und Status weitergeht, obwohl sie aus der Sphäre der Politik zurückgespielt wird. Ausgetragen wird sie auf Feldern, wo sich die Stärke des einzelnen zwar ganz unmittelbar zu bewähren hat, aber politische Konsequenzen ausgeschlossen sind, in der königlichen Schlafkam­ mer und im Turnier. A u f unterschiedliche Weise erweist sie sich beide Male als problematisch: Im ersten Fall steht nicht Gunthers Königsherrschaft nur, sondern Gunthers Ehre als Mann auf dem Spiel. Sivrits körperliche Überlegenheit muß in diesem Fall erst recht verborgen bleiben. Von Kriemhilt als Argument in der Sta­ tusdiskussion vorgebracht, zieht sie seine Ermordung nach sich. Im zweiten Fall in der Demonstration des Turniers - darf sie sich zeigen, doch in einer Situation, die Herrschaftsansprüche gerade ausschließt, also gleichfalls in der Statusdiskussion nicht taugt. Das eine darf Prünhilt nicht wissen; das andere spielt für sie keine Rolle. Prünhilts unmittelbare Verbindung zwischen Stärke und Status ist ein K urz­ schluß. Ihren Worten zufolge scheint es - wie in Isenstein - nur die Alternative Herrschaft oder Leibeigenschaft zu geben, weshalb sie aus dem man Sivrit (so nennt sie selbst ihn 423,1) beim Wormser Hochzeitsfest gleich den eigenholt macht.74 Das ist nicht hinnehmbar. Ein politisches Modell, das Unterordnung nur als Leibeigen­ schaft kennt, ist archaisch und vereinfacht unzulässig die komplexe feudale O rd­ nung mit ihren vielfältigen und unterschiedlich bindenden Abhängigkeiten zwi­ schen Herr und Mann, die nibelungische in Worms wie diejenige der Laiengesell­ schaft um 1200. Wenn Prünhilt nur die Alternative von Befehlen und Gehorchen, Herr und Knecht kennt, beweist sie, wie Gunthers Reaktion zeigt, ihr Unverständ­ nis für die Adelswelt, in die sie geheiratet hat: des ersmielte Gunther, dô si da\ gesprach. er’njähes im niht %e dienste, swie dicke er Stfriden sach.

(728,îf.)

Durch Prünhilts Deutung der Standesverhältnisse auf Grund dessen, was sie in Isenstein gehört hat, kommt ein für Heldenepik sonst typisches Thema ins Spiel: der (falsche) Herrschaftsanspruch des Königs gegenüber seinen mächtigen G e­ folgsleuten, jedoch anders als in den chansons de geste nicht als Vasallitätskonflikt, sondern chiffriert als Konflikt zwischen zwei ,Königen' und überdies verschoben auf die Königin, unter Entlastung des Königs.

74 Hennig hat meiner Auffassung von 1974 widersprochen, nach der das diskriminierende eigen man als .M in isterial' zu verstehen sei (Hennig, 1981, S. 182): es handele sich nicht um einen ständerechtlich präzisen Begriff, sondern um eine pathetische - Neubildung des Dichters, die ebenso wie eigen diu nur die Ungeheuerlichkeit des so Bezeichneten demonstrieren soll“ (S. 185). Dagegen hat U. Schulze betont, daß eigen man (,Unfreier') in bestimmten Kontexten durchaus Gegenbegriff zu adelvrt sei, also ministerialischen Status bezeichnen könne und daß eigenholt - ohne notwendig negative Konnotationen — in die semantische Nähe von eigen man gehöre (1997b, S. 4Öf.). In jedem Fall wird das neutrale man zu eigen man/eigenholt verschärft, und dienest erscheint als diskriminierend.

178

H eros, A d e l, Landesherr

Man wird darin eine Entschärfung eines latenten politischen Konfliktes sehen dürfen, der in anderen Heldenepen weit schärfer in seinem aktuellen zeitgenössi­ schen Gehalt erkennbar ist. Ein ungerechter Herrschaftsanspruch wird z. B. in den (wohl eingeschobenen) Versen eines Heinrichs des Voglers im ,Buch von Bern“ einer neuen Generation von Fürsten zugeschrieben, die die Freiheitsrechte des Adels bedrohen. Die Handlung des Epos dagegen betont das Einvernehmen zwi­ schen dem K önig und den mächtigsten Vasallen und die Ausrichtung allen Han­ delns am Wohl der letzteren.71 Das vorbildliche Zusammenwirken von K önig und Gefolgsleuten und seine tödliche Gefährdung durch Verrat ist zentrales Thema nicht nur der Heldenepik, die sich an Namen der Völkerwanderungszeit knüpft, sondern allgemein der frühen Feudalepik, vor ihrer höfischen Uberformung. Das .Nibelungenlied“ erzählt das genaue Gegenteil.*76 In Sivrit ist, in den ständischen Konstellationen verwischt und an eine kompli­ zierte Intrige gebunden, die Gefährdung solchen Einvernehmens thematisiert. So wäre zu überlegen, ob das archaische Modell, das Prünhilt durchzusetzen trachtet, tatsächlich nicht Konsequenzen des Territorialisierungsprozesses chiffriert, in dem die vielen selbständigen Herrschaften dem einen überlegenen Herrschaftsträger zum Opfer fallen.77 Zumal Hagens Worte über Sivrits Herrschaft, seinen Schatz und mögliche Vorteile fur Gunther (774,4; 870, jf.; 110 7 ,}f.) lassen sich, und zwar gerade weil sie meist keine bestimmten Folgen im Epengeschehen haben, vor diesem Hin­ tergrund lesen: wol mich deich stner hérschaft hart rate getan (993,4).78 In Prünhilts Gesellschaftsbild kommt Adel - neben und in Konkurrenz zum K önig - nicht vor. Sie verstößt gegen die Annahme exklusiver Gleichheit innerhalb der Adelsgesellschaft, die durch herrschaftliche Abhängigkeit nicht aufgehoben wird. Kriemhilt wird deshalb ihren Anspruch abwehren, indem sie darauf besteht, adelvri zu sein (828,1). Adel ist in der mittelalterlichen Epik in heroischer Tradition Bedingung von Epenwürdigkeit und somit eine selbstverständliche Basis von Si­ vrits Überlegenheit. Leibeigenschaft schlösse ihn aus dem Kreis der Heroen aus. Adelsqualität ist allem anderen vorgeordnet. In Eilharts ,Tristrant“ etwa bietet Morolt einen Zweikam pf zur Klärung der Rechtsansprüche nur jemandem an, der von

77 Zu m ,Buch von Bern*: Müller (1980). 76 A m Beispiel Hagens hat Czerwinski (1979), S. 75 die paradoxale Rolle Hagens betont, der, indem er der vollkommene Vasall ist, das Prinzip der Vasallität, die Selbständigkeit dessen, der sich unterord­ net, untergräbt. 77 Anders als 1974 würde ich solch eine Überlegung nicht mehr an Erfahrungen in einem bestimmten Raum, etwa in der Umgebung Passaus binden. Doch ist in einem Epos, das so ausführlich Fragen von Herrschaft und Herrschaftslegitimation thematisiert, eine Sensibilität für jenen zeitgenössischen Prozeß wahrscheinlich. 7" Damit kann natürlich schwerlich direkt Sivrits Herrschaft in Niderlant angesprochen sein, die die burgondischen Könige nirgends usurpieren und die nach seinem Tod weiter besteht. Gephardt (1994) bemerkt zurecht: „D ie Burgunden können letztlich Siegfrieds Macht nur zerstören - sie sich an­ zueignen, vermögen sie nicht“ (S. 77).

*79

NibeIm gische Gesellschaft

adele si so vri/da% er min genösse si (Trt 41 jf.). Deshalb lehnt er Tristrant zunächst als ungernz ab (Trt 627), provoziert so, daß dieser sein Incognito lüftet und nachweist, daß er von adele wol vri ist (Trt 63a).79 Oder Sifrit weist im ,Biterolf‘ Heime als Gegner zurück: „der von arde ein kiinic si, dem suit ir man siege dri bieten und deheinen mir; wan ir sit," sprach der fürste her, „eines küneges eigen man, ir suit von mir wichen dan

(Bit 10883-88)

Prünhilts Anspruch ist insofern ein fundamentaler A n g riff auf das System von Neben-, Über- und Unterordnung im adeligen Personenverband, damit auf die Basis der nibelungischen Welt. Es muß deshalb keinen direkten Machtkampf zwischen Sivrit und Gunther ge­ ben, und der Mord an Sivrit läßt sich nicht daraus erklären, daß Sivrit „blind vor Ehrsucht“ handelte.80 Nie wird Sivrit Gunthers Stelle einzunehmen suchen. Im Gegenteil geht von den Wormsern die Initiative aus, sich seiner zu entledigen, und zwar genau dann, wenn Gunthers Königsherrschaft durch den fremden künec nicht mehr gestützt, sondern in der beleidigten Königin beschädigt zu werden droht.81 Die Institution erweist sich - wie bei der Frage nach der Legitimation von Herr­ schaft - als stärker. Von einer „Beeinträchtigung und Schwächung der Souveränitätsfunktion“ auf Kosten der „kriegerischen Funktion“ 82* läßt sich im ,Nibelungenlied2 nur reden, wenn man auf die von Sivrit vertretene Werthierarchie blickt statt auf die durch den Verlauf nahegelegten Konsequenzen. Gunthers vielbeklagte ,Schwäche‘85 ist gerade nicht identisch mit einer Krise der politischen Institution Königtum. E s wird sich noch häufiger zeigen: Das Epos feiert, was verabschiedet wird. N ur nach dem politischen Modell, das sich im ,Nibelungenlied“ nicht durchsetzt, wäre aus der Schwäche Gunthers die des Königtums abzuleiten. Der Apparat, dem Sivrit zum Opfer fällt, muß im Gegenteil umso stärker sein, je schwächer sein Repräsentant ist. Daß dieser Repräsentant sich als schwach bis zur Lächerlichkeit erweist, ändert nichts an seinem Erfolg. Wenn der Erzähler die Sympathie auf den Helden und 79 Rangfragen spielen auch im Verhältnis Tristrants zu Isalde Weißhand eine wichtige Rolle: sie ist als edele als ir (Trt 6225). 80 Anders Gephardt (1994), S. 46. *’ Rupp (1985), S. 168. 81 Seiner (1995), S. 149 nach Dumézil; vgl. S. 152. M ir scheint der B egriff problematisch, da er stillschweigend die monopolisierte Gewalt des neuzeitlichen Staates voraussetzt, der allererst eine Souveränitätsfunktion ausbildet, indem er unterschiedliche Komponenten von Macht und Herrschaft zusammenfaßt. *’ Z u r Kritik Seiner (1995), S. 152; die zahlreichen moralisierenden Jeremiaden über den schwachen K önig verwechseln die Person mit der Institution; vgl. dagegen Czerwinski (1979), S. 67.

80

Heroen im E x i l

gegen den Intrigenzusammenhang lenkt, dem er zum Opfer fällt, gilt die Sympa­ thie, wie meist im ,Nibelungenlied‘, dem Unterlegenen, die Abneigung dem Sieger. Sogar Hagen, der den Sieg exekutiert, erscheint deshalb bis zu diesem Punkt als hinterlistiger und feiger Vertreter einer Macht, die offener Auseinandersetzung nicht gewachsen ist. Und nicht nur Gunther, auch Hagen wird im zweiten Teil davon profitieren, daß er nicht mehr auf der Seite der Sieger steht. Gunthers Königsherrschaft bleibt ungefährdet, bis sich der Herrschaftsverband zu Etzel aufmacht. Bis dahin gelingt es immer wieder, Bedrohung abzuwenden, ohne daß der Herrscher sich exponiert: den Herausforderer Sivrit, die Sachsen, die Heldenjungfrau Prünhilt, Kriemhilts A n griff auf die Ehre der Königin, den Miß­ brauch des Hortes.*4 Sogar in der Bestrafung Hagens für den Hortraub setzt sich die königliche (Gerichts-)Gewalt durch.8’

Heroen im Exil Kaum merklich wandelt sich von da an die politische Struktur. Im zweiten Teil verschwinden die Träger höfischer Ämter aus der Geschichte, mit Ausnahme des Marschalls Dancwart, der anfangs noch in seiner Funktion gebraucht wird,86 dann aber nur noch, wie schon in Isenstein, als Heros und Bruder Hagens. Volker, der im ersten Teil des Epos keine Rolle spielte, kommt hinzu. Wo sind die anderen ge­ blieben? Erklärt wird die Abwesenheit im Fall Rumolts. Der Spott über ihn gilt auch der institutionalisierten Form von Herrschaft, die er vertritt.87 Den anderen Amtsinhabern geht es nicht besser. Das Fehlen des Truchsessen Ortwin hat wenig­ stens der Redaktor von *C bemerkt;88 ausgerechnet der kühne Wortführer der Burgonden gegen den Aggressor Sivrit (n 6 f.) weigert sich, die gefährliche Fahrt mitzumachen, da er sich des geschaftes hie haime (a 1502,2) annehmen will. Zwar macht sich der ganze Herrschaftsverband auf den Weg. Man fährt nicht in recken wise, sondern es wird eine riesige militärische Macht aufgeboten; doch einmal bei Etzel, verschwindet sie rasch. Der Troß spielt eine Nebenrolle und wird bei erster Gelegenheit ausgeschaltet; das Personal wird auf epenfähige Heroen redu­ ziert, und selbst von ihnen bleiben die meisten namenlos, Zahlen, die durchge­ strichen werden müssen. Hagen, später auch Volker übernimmt die Regie. Bei Etzels Werbung unterliegt Hagen noch klar; bei der Einladung setzt sich zwar sein

8,1 Rupp (1985) hat dies als in sich stimmige Handlungsfolge beschrieben. Problematisch sind allerdings seine Bewertungen, was daran .politisch*, was .unpolitisch* ist. *’ Gephardt (1994), S. 7 5 -7 7 . 8(1 1524,4; vgl. Seitter (1987), S. 128; 202. 87 Vgl. S. 419. 88 Das hat sich in der Tradition festgesetzt: Ortwin ist der, der beim entscheidenden Kam pf, .nicht dabei ist*, nach einer weniger ehrenrührigen Version, weil er jung stirbt (Bit 6001-03).

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Nibelungische Gesellschaft

anfänglicher Rat auch nicht durch, aber nur, weil er, herausgefordert, selbst zum Befürworter der Fahrt wird. Von da an beansprucht er die Führung, zuerst auf der Reise zu Etzel. Gunther und seine Brüder werden zu Statisten. Hagen setzt das Heer über die Donau, Volker führt es durch Beiern, Hagen und Dancwart wehren mit der Nachhut feindliche Angriffe ab. Das bedeutet nicht, daß sich wie im zeitgenössischen Reich verhängnisvoll die Feudalgewalten gegen das Königtum durchsetzen und das ,Nibelungenlied* den tragischen Untergang einer überständigen Ordnung erzählt.8’ Vasallitische Unter­ ordnung wird nirgends in Zweifel gezogen. Im Gegenteil triumphiert sie in Rüedegers Entscheidung für den K önig wie in Hagens selbstzerstörerischem Dienst. Die Zersetzung königlicher Gewalt hängt nicht am Standardkonflikt heroischer Epik der französischen Empörerepen, indem Vasallen unbeirrbar treu und Könige unbeirrbar vasallenfreundlich sind.8 90 Nirgends Auflehnung, und trotzdem gehen die Reiche Gunthers und Etzels zugrunde. Doch scheinen mit der Entfernung von Worms die Burgonden mehr und mehr zu einem Verband von Gleichen zu werden. Das zeigt sich in Bechelaren an dem auffälligen Konnubium zwischen dem jüngsten K önig Giselher und der Tochter des Markgrafen Rüedeger, auffällig weil es ausdrücklich Gegenstand einer Diskus­ sion wird: Volker konstatiert Rüedegers Ranggleichheit mit einem Fürstenge­ schlecht. „Ob ich ein fürste wäre", sprach der spilman, „und solde ich tragen kröne, tçe wtbe wold’ ich hän die iuwern scheinen tohter [•■ ■ ]■ “ (1675,1-3) Rüedeger versteht fürste als künec (1676,2) und betont dagegen die Rangdifferenz: wa% hülfe grösfu schäme der guoten junevrouwen llp?" (1676,4),91 jedoch nur, damit sie beiseitegeschoben werden kann. Ein König - Gernot - würde darüber hinwegse­ hen (1677,2), ist doch scheine allein schon Adelsqualität. Hagen aber schlägt die Heirat mit Giselher vor.91 (1678,4). Diese Einebnung von Standesdifferenz ist in C noch weiter getrieben, indem der Mangel an eigenem Besitz als ganz unwesentlich beiseitegeschoben wird. Rüedeger verstärkt dort zunächst noch einmal seinen E in ­ wand, indem er fortfährt: vnd haben niht ^egebene (C 1715,4), doch nur damit Gernot den Königsrang der Tochter mit den Worten bekräftigen kann, er nähme sie auch ane gut \e wibe (C 1716,3). 89 Ihlenburg (1969), S. i4 if. Kronzeuge ist der Vers: D er künicgevolgete übele Hagenen stnem man (876,1), dem jedoch jeder ständisch-programmatische Charakter abgeht, indem er nicht mehr besagt, als daß sich die bessere Einsicht des Herrn der schlechteren des Mann beugt. 90 Ähnlich im .Buch von Bern“; vgl. Müller (1980). Erst in einigen Zusatzstrophen von *C gibt es Hinweise auf Eigenmächtigkeit und Verrat Hagens an Gunther. 91 N ur in B C; in A fehlt diese Strophe. A n dergleichen prinzipiellen Fragen ist A durchweg weniger interessiert (vgl. S. 87). 91 Dabei verweist er jedoch zusätzlich auf die hôbe[n] mäge[n] der Markgräfin (1678,2), ihren ererbten Rang also, der sich in der Schönheit der Tochter ausdrücke.

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H eroen im E x i l

An Etzels H o f erweist sich die königliche Macht immer offensichtlicher als hilf­ los. Gunther sucht vergeblich zu verbieten (1887), daß Volker einen hiunischen Höfling einfach totschlägt. Nichts von einer Sanktion: Der K önig steht im an­ schließenden Getümmel dem Mann bei, der ihn überspielt hat. Etzel kann diesen Zwischenfall noch einmal schlichten; dann verliert er gleichfalls die Kontrolle, wie die burgondischen Könige, wenn der K am pf einmal ausgebrochen ist: sine mohten%mit ir sinnen dô niht understân, dô Volker unde Hagene so sere wiieten began.

( 1967,3 f. )

In der Regression auf unmittelbare Gewalt zerfallen übergreifende politische E in ­ heiten. Das hierarchisch strukturierte Herrschaftsgefüge spielt jetzt keine Rolle mehr. Die Helden sind unter sich: Dietrich von Bern, Hildebrant und die Amelungen, Rüedeger, Irinc, Irnfrit, Hagen, und auf gleicher Ebene die Wormser Könige. In dieser Gruppe sind, wie an den Amelungen ablesbar, ständische Unterschiede nicht aufgehoben, aber eingeklammert. Jeder sucht sich als der beste hervorzutun. Im ,Biterolf‘ wird einmal formuliert, was ein K önig in solch einem Kreis zu sein hat: so was er einer drunder unde iedoch besunder der beste den man dô vant.

(B it 1 3 4 3 - 4 5 )

A u f hiunischer Seite gibt es, vom K ön ig und seinem Bruder abgesehen, nur die exilierten Heroen, zu denen auch der eilende M arkgraf Rüedeger noch zu rechnen ist,95 auf burgondischer Seite ist die Waffenbrüderschaft zwischen Hagen und Vol­ ker der Kern des Verbandes. Alle an Etzels H o f sind eilende, das heißt, aus dem sozialen Zusammenhang gelöst, in den sie hineingeboren wurden. In einem solchen Kontext bewährt sich feudale milte rein, da sie keine herrschaftlichen Funktionen mehr hat, nicht einmal an den Herrscher gebunden ist, sondern durch dessen Va­ sall, den Markgrafen, repräsentiert wird, der vroude eilender diete heißt (2258,4), denn er ist den eilenden holt (2245,4), zu denen er doch ursprünglich selbst gehört. Auch Etzels burgondische Gäste werden eilende genannt,*94 schon als sie noch Etzels Gast­ freundschaft genießen (1812,4), d. h. sie stehen mit den anderen Helden im Exil auf gleicher Stufe. Die Bedeutung von eilende verschiebt sich immer deutlicher von ,fremd' auf .schutzlos ausgeliefert“ und .außerhalb der gewöhnlichen (hiunischen) Ordnung stehend“.” Die entscheidenden letzten Kämpfe finden nur noch zwischen

9* Vgl. auch Splett (1968), S. 87 zu 2164,4, wo eilende ausdrücklich auf die Leute in Bcchelaren ausge­ dehnt ist. 94 18 2 3,3; •834,4; 1836,4; 1935,2; 2 13 5 ,1; 2222,4; 2238,3 (die eilenden recken); 2245,4 (nur A B ; Ca durch Burgonden ersetzt; vgl. Batts, S. 682f.); 2253,4 (nur A B ; ein anderer Gedanke in Ca; Batts, S. 686f.); 2 * 74 , 4 91 Die Charakterisierung ellende[] rechen kann in C 19 15 ,4 an die Stelle von Nibelungen (1870,4) treten, ebenso in a; vgl. Batts, S. 569.

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eilenden statt, den Amelungen ( Wir sin ouch eilende als Rüedegêr der degen, 2263,1), Dietrich (2329,3; 2345,4) und den eilenden burgondischen Überlebenden (2364,4). Sie sind aus der geordneten politischen Welt herausgefallen. Solidaritäten innerhalb der Heroenwelt funktionieren über die Grenzen der G eg ­ nerschaft hinweg, aber sie begründen keinen dauerhaften sozialen Zusammenhang. In der Konsequenz ist die Versammlung der exilierten Heroen anarchisch. Vasallitische wie verwandtschaftliche Bindungen treten an den Rand. Wenn Rüedeger den Willen des Königs exekutiert, hindert das nicht, daß er dem Feind Hagen einen Schild gibt, und auch Hagen suspendiert die Verpflichtung gegenüber seinen K ö ­ nigen zugunsten derjenigen gegenüber dem vriunt, und Volker schließt sich dem fride an, den min geselle Hagene Rüedeger gewährt (2203,2). Etzels H o f ist in der literarischen Topographie des heroischen Epos der Ort ungleicher Gleichheit, Alternative zum Artushof, doch eindeutiger ständisch ex­ klusiv. Am Artushof sind auch die Königssöhne nichts als Ritter; im Umkreis Etzels dagegen bleiben die ständischen Differenzen sichtbar. Auch handelt man gemeinsam, nicht als Einzelritter, entfernt von den andern. Von der christlichen Feudalwelt aus betrachtet, ist dieser H o f Exil. Die Helden dort entstammen ver­ schiedenen gentes und haben ihren Rang nicht von Etzels Gnaden, sondern von Geburt. Die Exilsituation hat eine seltsame Statik zur Folge: Man ist in keinerlei ernste Auseinandersetzungen um Herrschaft verwickelt; die Welt ringsum ist be­ friedet; man scheint auf einen Einsatz im K am p f zu warten.96 Die überlegene G e­ walt beansprucht, anders als der Artushof, nicht, Ordnung zu stiften in einer chao­ tischen Welt. Jeder steht für sich und seine Ehre. Der H o f Etzels hat keine A u f­ gabe. Etzel bietet den zeitweise inaktivierten Helden Heimstatt und Unterstüt­ zung.97 Das Grundmuster läßt der ,Bitcrolf‘ erkennen, der den entproblematisierten Normaltypus der Etzelsage repräsentiert: Etzel ist in dieser Gesellschaft nur der erste unter gleichen. E r setzt sich für seine Gefolgsleute ein (die doch seinen Reich­ tum nicht ausnützen), bleibt aber auf sie angewiesen, ob es nun die Eroberung einer Stadt gilt (Bit 1468-72) oder die Rettung seines Lebens (Bit 1588-93). E r verdankt die Steigerung seiner Macht dem gaste (Bit i788f.). Die geste haben ihre Identität in der Feudalgesellschaft hinter sich gelassen, im Falle von Biterolf bis hin zur Verleugnung seines Namens und erst recht seiner Stellung als König: er gedähte im eines namen: er dorfte sichs niht enschamen; der in von wären schulden truoc, 9,1 Das ist die Prämisse auch im ,BiterolP, wo man darauf zu warten scheint, daß man gemeinsam von außen irgendwo einfällt, im K rieg in Osteuropa oder in dem Turnier-Krieg am Rhein aktiv wird. Zum Verhältnis der heldenepischen Exilsituation zu der sie begründenden Stammessage: Weddige (1989), S. 9 9 -10 $. 91 Vgl. ,Biterolf, ,Buch von Bern“ und .Rabenschlachf.

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biderbe was er genuoc: er was ein recke Tenelant, Diete98 so was er genant. (Bit 1905-10)

Indem er den amelungischen Namen Diete wählt, der überdies dem seines Sohnes verwandt ist, optiert Biterolf für den Heros und gegen den angeborenen K önigs­ rang.99* An Etzels H o f ist der Antagonismus, der den ersten Teil des ,Nibelungenliedes4 bestimmte, gelöst, indem allein Stärke etwas gilt, doch diese keineswegs Herrschaft bedeutet, vielmehr über all den Starken unangefochten ein K önig herrscht, der ihr Zusammenleben garantiert, selbst ganz zurückgenommen auf die formale Rolle des Gastgebers. Im Exil haben ehemalige soziale Positionen keine konkret politische Bedeutung. Man ,ist‘ König, ohne zu herrschen, beansprucht einen Rang, den man nicht ausfüllen muß. Der angeborene Rang ist nur für eine Zeit außer Kraft gesetzt. Die Gründe fürs Exil sind verwischt, im .Nibelungenlied4, anders als im ,Waltharius‘ , ,Buch von Bern4, ,Rabenschlacht4, allenfalls aus sekundären Überlie­ ferungen zu erschließen (Tribut, Vertreibung, Blutschuld); die Folgen sind ausge­ blendet.'00 Eine Rückkehr steht nicht zur Debatte (und wenn sie, wie in der ,K lage4, dann doch unternommen wird, dann scheint sie allein vom Entschluß des exilierten Dietrich abzuhängen). So schafft Etzels exterritorialer H o f die Bedingungen eines Laboratoriums, aus dem politische Strukturen ausgeblendet sind, damit alle nur noch Helden sein können. Nicht königlicher Rang, aber adliger Status ist hier Voraussetzung. Der Heros ist ständisch kein Außenseiter, noch im Exil wird er als ebenbürtig anerkannt. Anders als für die höfische Epik scheint für die vorhöfische und heroische des 12. Jah r­ hunderts selbst eine nur vorübergehende Suspension ständischen Ranges ausge­ schlossen. Wo sich Zweifel erheben könnten, werden sie explizit behoben. Völker z. B. ist Musiker, aber er ist - daran scheint dem Epiker (angesichts eines Heers von Unterhaltungskünstlern?) besonders gelegen - vor allem adliger Krieger und Herr: er was ein edel berre. im was ouch undertän vil der guoten recken in Burgonden lant. durch da\ er videlen konde, was er der spilman genant.

(1477,2-4)

Herkunft und Status sind nicht, wie oft im höfischen Roman, eine Nebensache, die erst nachträglich den individuell erworbenen Rang zu bestätigen hat, sondern ge­ hören zur Voraussetzung heroischen Handelns.101 Daß Status im politischen Gefüge 9* Der Herausgeber Jänicke hat durchweg das in der Hs. überlieferte Diete in truote konjiziert, was jedoch unnötig ist und von der späteren Forschung durchweg verworfen wurde. 99 Vgl. Bit i9 j8 f.; 2000; Kronen müssen verdient werden. ,0° Die historisch belegte Praxis, vornehme Geiseln tributpflichtiger Völker in der Umgebung Attilas zu halten, ist nur noch selten erkennbar, etwa im ,Waltharius‘ . 101 f’ aradigmatisch z.B. der ,Wigamur‘ , wo der Held auf Grund seiner Taten längst anerkanntes Mitglied

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und persönliche Stärke im zweiten Teil des Epos nicht mehr in Konflikt geraten, gelingt nur unter den Bedingungen des Exils.

Rehter beides muot Unter dieser Voraussetzung zählt in den Schlußepisoden nur noch der einzelne heit, recke, berre. Damit setzt sich eine im ersten Teil angelegte Tendenz durch. Schon bei Sivrit kam es auf das Herr-sein an.,oi Das Epitheton hêrlîch bezeichnet alles, was zu solchem Herr-sein gehört, indem es sich vor seiner Umgebung auszeichnet. Das kann ein Auftritt von Frauen (786,3) sein, das Gefolge (794,1: Da% hêrliche gesinde) oder ein Schwert (2185,3). Doch besonders wird der Heros so genannt, Hagen, wenn er Sivrit identifiziert (man sach in hêrlîche mit recken hin \e hove gân, 82,4), Sivrit, wenn man ihn zum ersten Mal in Worms sieht {das^ e% st der recke, der dort so hêrlîchen gât, 86,4) oder wenn er aufs Lager der Jagdgesellschaft trifft: Wie rehte hêrlîchen er %en herbergen reit (951,1) und: der hêrlîchejägere der was hohegemuot (95 5,4). Der hêrlîche gast wird er noch genannt (977,4), bevor Hagens Speer ihn trifft. Hêrlîch ist der Auftritt im Kam pf, des blutverschmierten Dancwart {man sach den Hagenen bruoder %e hove hêrlîchen gân, 1947,4) oder auch Wolfprants {do sach man Wolfpranden in strîte hêrlîche gân, 2281,4) und Gunthers in seinem letzte K am pf {e% het der künec Gunther einen hêrlîchen muot, 2359,4). Wo der Augenschein heroischer Überlegenheit standes­ rechtliche Differenzierungen Lügen straft,103 wenn Hagen und Volker Kriemhilt den Gruß verweigern, heißt es: N u dichten sich sô hère die %wêne küene man (1786,1). In diesem Sinne einer gefährlichen Überlegenheit hatte Hagen auch, wie bereits zitiert, von Sivrits hêrschaft (993,4) sprechen können: wir vinden ir vil wênic, die türren uns bestdn. wol mich deich sîner hêrschaft hân rate getan.

(993, jf.)

Mit hêrschaft muß jene andere Art des Herr-seins gemeint sein, die Gunthers in­ stitutioneller Herrschaft entgegengesetzt ist.104 Von ihr haben die Burgonden künf­ tig nichts mehr zu furchten. Gefährlich wird es für sie erst wieder in einer Umge­ bung, in der sie auf ihresgleichen stoßen: im Exil um Etzel. der höfischen Gesellschaft ist und sich erst bei einem Gerichtskam pf die Frage stellt, ob er auch von königlichem Rang ist (Wg 4147). 104 Stutz (1990), S. 4 19 hat beobachtet, daß Sivrit den Titel kunic nur selten erhält. E r steht damit wohl weniger „jenseits von ständischen Realitäten“ , als daß sein Rang angesichts seines Herr-seins N eben­ sache ist. Walther von der Vogelweide hat dieselbe Pointe in der Wendung ich vil hêrscher man (L. 49,18). 104 Das mag genetisch Überbleibsel einer älteren Motivation sein, nach der Sivrits Macht Gunther bedrohte. Doch bedeutet hier hêrschaft etwas anderes. Der Kommentar de Boors versucht hier wieder .Schichten* abzutragen, wo es sich um einen polaren Gegensatz in der Konzeption von Herrschaft handelt: „D as uralte M otiv der Machtsteigerung durch Siegfrieds Tod; vgl. 870. Hagens wilder Jubel durchbricht urtümlich die höfische Rinde“ (S. 164). Daß es im ersten Teil um einen K a m p f um die Macht gehe, wird gelegentlich immer noch behauptet (Spiewok, 1989, S. 193£.).

R e hter beides muot

Der Burgondenuntergang erscheint als Selbstvergewisserung heroischer Identi­ tät. Die Akteure werden (wieder) ,sie selbst'. In Hagens Entschluß, ohne Rücksicht auf die Gefahr für sich und andere, die Könige zu Etzel zu begleiten, klingt das an: Hagen will er%eigen'°\ daß es niemanden gibt, der getürre riten mit iu %e hove ba% (1464, jf.): Das Unternehmen dient dem Selbstbeweis. Im K am pf gegen die Beiern setzt sich das fort: si versuochten wer si wären; da wart vilgrimme gestriten (1608,4), heißt es von der burgondischen Nachhut. Eine Übersetzung wie: sie „erprobten, was sie leisten konnten“ , 106 rationalisiert diese Aussage; nicht, was sie ,können', steht zur Debatte, sondern was oder besser noch: wer sie ,sind‘ . E s geht um eine Identität, die alle anderen Rollen abstreift und sich allein im K am pf Mann gegen Mann aus­ tobt. Die Explikation des zitierten Satzes in der folgenden Strophe lautet daher: Wie mähten sich versuochen immer beide batff (1609,1). Das erzeigen und versuochen ist auf Zuschauer angewiesen. Richtmaß ist die Ehre, mag ein Verhalten taktisch klug sein oder nicht. Auch wenn sie einen A n griff der Beiern fürchten, wollen die Burgonden auf keinen Fall zu schnell das Land durchqueren, denn der Anschein von Furcht wäre Schande: diu ross diu suit ir lä^en deste sanfter gän, da% des iemen wane, w ir vliehen ü f den wegen.

( 1 593,2F.)

E s gilt nur noch, sich als heit zu erweisen, und nur noch mit beiden hat man zu tun. Der feindliche Fährmann was ein heit ^en banden (1603,4), auch der Beiernherzog Gelpfrat (1613,3). Jetzt erhält auch Gunther das Prädikat, das ihm bisher verweigert worden war; er ist nicht mehr nur König: er was ein heit %en banden (1968,4), heißt heit, der beide sin hat (2208,2). Das ist kein ,Bruch' im ,Charakter' Gunthers, der aus dem ,Schwächling' ein bis zum letzten Blutstropfen kämpfender Heros wird, son­ dern Konsequenz aus der Suspension einer herrschaftlich strukturierten Feudalord­ nung im hiunischen Exil. ,Heros werden' ist die einzig positiv gewertete Handlungsperspektive. E s gibt nurmehr die Rangskala überlegener Gewalt. Nachdem er Volker beim Kämpfen erlebt hat, bedauert Hagen, daß er je - dank Herkommen? —einen höheren Platz eingenommen habe als jener (2005,if.). Auch die Könige werden im Vergleich mit anderen Kriegern taxiert: doch sach man vor in allen Gfselheren stän gegen den vianden [ . . . ] .

( 1 9 7 1 , 2f.)

Ein Rat Giselhers kann nicht höher gelobt werden, als wenn er der Rat eines degen genannt wird, denn das heißt, daß es nicht nur der Rat eines Königs ist:*10 4

Hs. a hat versuochen, .sich selbst aufs Spiel setzen“. 104 de Boor, S. 255.

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Nibelungische Gesellschaft „S o wol mich sölhes herren“, sprach dö Hagene. „d er rät entam e niemen wan einem degene, den uns min ju nger herre hiute hat getan.

(2012,1—3)

Der K ön ig wird durch den Heros substituiert. Wenn beim Mahl die festgefugte Hierarchie zusammenbricht, hat, wer nicht mit­ metzeln kann, schlechte Aussichten: wa% half in das^ er künec was? (1982,4), heißt es von Etzel. Ab jetzt gilt der Anspruch, da% die herren vahten palier vorderôst (2020,2); auch Etzel will sich dem nicht entziehen und muß mit Gewalt gehindert werden, sich ins Getümmel zu stürzen: da% von so richer» fürsten selten nugeschiht (2022,2), wie der Erzähler anerkennend konstatiert. Der königliche Rang erhöht allenfalls den Glanz des Helden, so daß Wolfhart stolz darauf sein kann, daß ihm ein K önig die tödliche Wunde beibrachte (2302,4). Auch Rüedeger hat am Ende nur noch zu beweisen, daß er Held ist: dö lie f er %uo den gesten einem degen ge lieh.

(2206,3)

dem tet des tages Rüedeger harte w ol gelich, da% er ein recke weere

[...].

(2213,3f.)

Durch mortrcechen willen, um ihn zu töten nämlich, lassen die Burgonden Rüedeger in den Saal: si beten beide sin (2208,1 f.). Noch in der Totenklage um Rüedeger wird die Aufhebung ständischer Hierar­ chien sichtbar: Eine Klage so ungefuoge (2234,4; 2237,4), dat^ palas unde turne von dem wuofe erdön^ (2235,2), muß, so glaubt man, dem K önig oder der Königin gelten: Wie möhtens’ anders alle haben solhe not? (2237,1). Tatsächlich beklagt man aber den recken Rüedeger. Erzählt wird dieser Irrtum nur, um desto effektvoller die richtige Wer­ tung davon abzuheben: Nicht der Tod des Königs, sondern des Heros erregt solche Trauer. Auch die Amelungen werden in den K am p f hineingezogen, weil herrschaftliche Strukturen sich auflösen. Der K önig Dietrich hatte seinen Leuten strikt verboten zu kämpfen und bis zuletzt Sorge getragen, daß sie nicht in Kriemhilts Rache verwickelt werden: E r hatte sie vom bühurt .geschieden' (1874^), hatte beim Fest­ mahl vride von den Burgonden begehrt (1992,2), sich und seine Leute vom K am pf ferngehalten, sich nicht einmal als Vermittler hineinziehen lassen (2137) und sogar bei der Botschaft, die nach den Umständen von Rüedegers Tod sich erkundigen soll, jede Provokation zu vermeiden versucht (2240). Von Mal zu Mal war dieser Versuch deutlicher in Frage gestellt worden (1993; 2239; 2246), am deutlichsten von Wolfhart. Wolfhart gibt den Ton an, wenn die Amelungen zu den Burgonden gehen, um Genaueres zu erfahren. In der wechselseitigen Provokation von Wolfhart und Volker bleibt dem K önig Gunther nur eine ebenso abgewogene wie wirkungslose Lobrede für den, der noch für den toten vriunt sorgt. Den Ausbruch der Gewalt kann er damit nicht verhin­ dern, nicht einmal Volkers herausfordernde Worte unterbinden. Wenn Wolfhart sich auf das Verbot seines Herrn beruft, erhält er von diesem zur Antwort:

R e hter beides muot

der vorhte ist gar %e vil, siva% man im verbiutet, der\ allere la^en ml. da% kan ich niht geheimen rehten beides muot.

(2268,1-3)

Rehte[r] beides muot kennt offenbar keine von oben auferlegten Zwänge, auch nicht durch den König. Schon verhandeln heißt da verächtlich vlêgen (2265). Die D ro­ hungen eskalieren. Wolfharts tumben %orn kann Rücksicht auf des herren hulde nicht mehr zügeln (vgl. 2271, jf.). Mit dem Verzicht auf hulde zerreißt der Sozialverband. Nachdem so der Versuch Dietrichs, den Frieden zu erhalten, gescheitert ist (2137), bleibt auch ihm nur noch die Alternative Kampf, und das heißt selbstverständlich: Do gewan er widere rehten beides muot.

(2325,1)

Nicht mehr als König, sondern als Heros tritt er den Überlebenden Hagen und Gunther im Einzelkam pf entgegen.'07 Im Streitgespräch mit Hagen und Gunther setzt sich die Auflösung des Herr­ schaftsgefüges fort. Dietrich verlangt Sühne für das, was die Burgonden durch den Tod seiner Leute ihm (wider mich eilenden, 2329,3) angetan haben, zunächst vom K önig Gunther (23 36h). Doch es antwortet Hagen, der das Angebot ablehnt (2238).,o8 Der man, über den gleich mitzuentscheiden, Dietrich dem K önig vorge­ schlagen hatte {du und ouch din man, 2337,1), erklärt sich zum Subjekt des Handelns. Darauf wendet sich Dietrich an beide gemeinsam, Gunther unde Hagene (2339,2), doch wieder antwortet nur Hagen. Nachdem der Streit als Wortgefecht zwischen Hagen und Hildebrant, den beiden man, fortgesetzt wurde und Dietrich - letzter Rest königlicher Gewalt? - Hildebrant verboten hat weiterzureden, richtet er seine Rede nur noch an Hagen und verzichtet auf jede Hilfe anderer. E r nimmt Hagens Herausforderung als ein landflüchtiger Heros an: mich eilenden recken tnhngent grœ^ltcbiu sér.

(2345,4)

Hagen ist seinesgleichen (2346,1h). Auch Gunther darf jetzt Heros sein, so daß ihm die Ehre des letzten Kampfes bleibt, in dem er Dietrich an den Rand einer Niederlage bringt und einen hêrlichen muot, den muot eines Heros nämlich, zeigt (2359,4). In der Klim ax der Aristien bleibt insofern noch ein Rest ständischer Rangfolge gewahrt, doch wird es Hagen sein, der als letzter getötet wird, so daß bis in die Schlußszene hinein das Gleich­ gewicht genau austariert ist. Gerächt wird am Schluß nicht der Tod des Königs, den die Schwester enthaupten läßt, sondern der des man Hagen. Wo K önig Etzel bloß klagt, obwohl er den fürchterlichen Hagen im Tod anerkennt {sivit vient ich im0 * Heinzle (1995a) arbeitet heraus, daß damit und mit den anschließenden Geschehnissen „die heroische Ebene“ endgültig erreicht werde (S. 229; vgl. S. 230, 233, 235): Das widerlegt das - übrigens bei Hebbel vorgeformte — Klischee von Dietrich als .neuem“ auf Frieden setzenden Menschen (S. 22 5 F). I0* Daß der K önig aus dem Dialog ausgeschaltet wird, scheint heroische Tradition; vgl. W olf (1976), S. 180 zum .Waltharius“.

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ware, ist mir leide genuoc, 2374,4), da handelt der man Hildebrant im Dienste einer makabren poetischen Gerechtigkeit. Keine königliche Gewalt stellt Recht wieder her. Hildebrant darf um die Folgen seiner Tat ebenso unbesorgt sein (swa% halt mir geschiht, 2375,2) wie zuvor Hagen. Das Heros-Werden der Könige ist eins mit der radikalen Destruktion der Ord­ nung, um deren friedliche Stabilisierung sie sich bemüht hatten.109 Und diejenigen, die vor der Gefahr des Heros-Werdens gewarnt hatten, werden Schritt für Schritt abgewertet: von Rumolt, dem Helden und Inhaber eines hohen Hofamtes, der zum ordinären Koch degradiert wird, über den Grenzwächter Eckewart, der seine Rolle verschläft, bis zu Dietrich, der anfangs nur redet und dann .trauernd4 herumsitzt, bis er endlich wieder ,ein Held wird4. E r bleibt mit Hildebrant und Etzel in der Vereinzelung zurück. Erst die .K lage4 läßt es sich angelegen sein, allenthalben neue soziale und politische Einheiten (wieder-)erstehen zu lassen. Helden gibt es da, gottlob, keine mehr.

Frouwen ziehen Was neben den Heroen auftaucht, zählt nicht viel. Das gilt vor allem für die G rup­ pen, denen die Adelskultur um 1200 das meiste verdankt, die Frauen und die clerici. Frauen spielen in heroischer Epik keine herausragende Rolle, wenn aber, dann häufig eine recht zweifelhafte."45Heldenepik erzählt von einer Männerwelt. Das gilt so selbstverständlich, daß Gunther sich vor der Burg Prünhilts, von deren amazonenhaftem Wesen er doch gehört hat, die Frauen, die er sieht, nur in der Obhut eines Landes^rr« denken kann: swi ir herre heisse, si sint vil höhe gemuot.

(390,4)'"

In Heldenepik herrscht ein negatives Frauenbild v o r ." 1 Zumal der .Rosengarten4 entwirft ein Zerrbild weiblicher Macht, die sich weniger durch %uht auszeichnet, als die Züchtigung durch die Männer herausfordert. Im .Biterolf4 ist dieses Bild zu­ rückgedrängt, doch trägt hier Brünhilt Züge der vrouwe, die sich am blutigen Streit der Männer ergötzt. Das .Nibelungenlied4 entwirft nur anfangs ein ganz anderes Bild. 109 „Im Untergang herrscht wieder die überkommene feudale Welt, ihre Gewalt-Orgie fegt die neuen, friedlichen Verkehrsformen hinweg und läßt sie als lächerlich erscheinen“ (Czerwinski, 1979, S. 79). 1.0 Frakes (1994) macht dies zum Schlüssel seiner Interpretation. E r zeigt, wie Kriemhilt und Prünhilt amazonenhafte Zü ge tragen, die freilich von den Figuren des Ep o s durchweg dämonisiert werden (S. 13 7 -16 9 ). Die höfischere Fassung * C hat stattdessen: si gebarent dem geliche da\ si hohe sint gemvt (C 599,4). 1.1 Eine Ausnahme ist die ,K udrun‘ . Bennewitz (1995), S. 48 hat darauf verwiesen, daß im .Nibelungen­ lied* zwar die theologisch begründete M isogynie fehlt, dafür aber das weit gefährlichere selbständige Handeln der Frau korrigiert werde, zumal in der *C-Redaktion; zur Kritik sog. .feministischer* Deutungen ebd., S. 34 -45.

Frouwen fiebert

Die tugende der jungen Kriemhilt (3,4) spiegeln den Zustand idealer höfischer Harmonie. Doch wirken diese tugende, anders als der Falkentraum anzukündigen scheint, nicht in der Erziehung des Mannes, sondern als Ansporn heroischer Wer­ bung. Die Frau ist der Gewalt des Mannes unterworfen und dient der Ehre seines H o f e s .D a h e r wachen die Männer über die %uht der Frau. Sie, nicht die Männer, ist Objekt von Erziehung. Männliche Gewalt schließt Züchtigung ein. Mit der Beschimpfung Prünhilts hat Kriemhilt ihre durch fuoge gezogene Grenze über­ schritten. Ihr Verhalten kritisiert Sivrit als üppecltch und ungefiiege, also unkontrolliert, spontanen Impulsen nachgebend und deshalb ordnungsstörend: „Man soi so vrouwen ziehen“, sprach Sifrit der degen, „das^ si üppecliche Sprüche läyen under wegen. verbeut e% dînem wibe, der minen tuon ich sam. ir großen ungefüege ich mich warliehen schäm. “ (862) Was vrouwen ziehen heißt, macht schon der drohende Unterton der vorausgehenden Strophe deutlich (861), und Kriemhilt bestätigt später: „Das^ hat mich set gerouwen“, sprach da% edel wip. „ouch bât er so %erblouwen dar umbe minen lip ; da% ich i% ie geredete da^ beswärte ir den muot, da% hat vil wol errochen der heit küene unde guot. “

(894)

Hinter der höfischen %uht, als deren vollkommenstes Muster Kriemhilt gilt, kommt eine andere ,Zucht' zum Vorschein. Sie ist in mittelalterlichen Erzählungen reich bezeugt. Wie sehr sie Dressur ist, zeigt ein Maere wie das des Sibote. Als Sivrit sich auf seine Erziehungsrechte besinnt, ist es jedoch schon zu spät. Das Verhängnis, aus­ gelöst durch zwei Frauen, nimmt seinen Lauf. Immer mehr bestätigt sich, daß weibliche Macht gefährlich ist und deshalb eliminiert werden m uß."4 Zuerst lehrte das Prünhilts Herrschaft. Sie wird mit dämonischen Mächten as­ soziiert. Aus einem Wettkampf macht sie ein Spiel auf Leben und Tod: der ir da gert %e minnen, diu ist des tiuveles wip (438,4)."’ Prünhilts Stärke gefährdet die patriar­ chalische Ordnung: suln uns in disen landen nu verderben diu wip?

(443,4)"6

Prünhilt wehrt sich vergebens gegen die Unterwerfung unter einen Mann, zuerst im Wettkampf, dann als Dancwart ihren Reichtum zu verschleudern anfängt, schließ­ lich in der Hochzeitsnacht. Als Sivrit beim Ringkam pf im Bett mit ihr zu unterlie-*14

"* Czerwinski (1979), S. j 5fl 114 Frakes (1994), S. i6 if. zum ideologischen Hintergrund. Ähnlich die Anspielungen auf den Teufel 4 4 2,2-4 ; 450,4; grundlegend Kuhn (1965); vgl. Frakes (1994), S. 15 7 -16 8 ; Frakes sieht die Charakterisierungen als tiuvel o.ä. als an die jeweilige Figuren­ perspektive gebunden an, was der Erzählweisc des Epos widerspricht. 1,6 Kriemhilt und Prünhilt als „Zielfläche männlicher Angstprojektionen“ : Bennewitz (1995), S. 50.

Nibelungiscbe Gesellschaft

gen droht, gibt ihm der Gedanke Kraft, daß seine Niederlage männliche Vorherr­ schaft grundsätzlich gefährden müßte: „Owe“, gedäht' der recke, „sol ich nu minen Up von einer magt Verliesen, so mugen elliu wip her näch immer mère tragen gelpfen muot gegen ir manne, diu e% sus nimmer getuot. “ (6j 3) Prünhilts Unterwerfung (unter den falschen Mann!) bestätigt, wer der Herr zu sein und wer wen zu leiten hat: ich hän da% wol erfunden, da%du kanst vrouwen meister sin.

(678,4)

Prünhilt wird gezähmt. Das erste und dritte Mal wird sie niedergeworfen; beim zweiten Versuch kommt es gar nicht erst zu einem dauerhaften K o n flik t."7 Kriemhilt dagegen sprengt die Fesseln männlicher %uht. In dem Maße, in dem sie die Möglichkeit zu selbständigem Handeln erhält, geht die Welt aus den Fugen. Bei ihr erweist sich auch das Verfugen über Besitz als gefährlich. Wenn sie ihren von Sivrit ererbten Hort dazu benutzt, fremde Krieger ins Land zu holen, bemerkt Hagen: e% solde einfrumer man deheinem einem wîbe niht des hordes lân.

( i 1 30,if.)

Kriemhilt will sich nicht mit dem zufriedengeben, was ihr durch ihren neuen Mann an Besitz zufällt: e%gewan küniges tohter nie richeite mêr donne der mich Hagene âne hât getan. (1276,2F) E s wird dem Hörer eingehämmert, daß die Rache bis zum letzten, in der alles untergeht, Werk einer Frau ist, die ihre engsten Verwandten opfert: Z ’einen sunewenden der grosse mort geschach, da£ diu vrouwe Kriemhilt ir herben leit errach an ir nœksten mögen und ander manigem man, da von der künec Et%el vreude nimmer mêr gewan.

(2086)

Doch weniger die Rache selbst, als daß eine Frau sie übt, ist das eigentlich A n­ stößige. Wenn Kriemhilt selbst ihre Rache an Hagen vollstreckt, ist das sogar für Etzel zuviel, der doch Grund hätte, dem Mörder seines Sohns den Tod zu wün­ schen, denn es ist eine Frau, die Hagen erschlägt: „Wäfen [...] wie ist nu tôt gelegen von eines wibes handen der aller beste degen [ ...] .“

(2374,1F)

Das darf nicht sein, und deshalb rächt Hildebrant seinen toten Feind (2375,1F.). Noch die letzte Tat eines Mannes im Epos ist ein A kt der ,Züchtigung4. Kriemhilt

1,7

Bennewitz (1995), S. 46.

192

Frouwen Riehen

hat etwas gewagt, das ihr nicht zustand, und wird dafür ,bestraft*. Die %uht hat dafür zu sorgen, daß aus der höfischen vrouwe nicht wirklich die Herrin wird. Was anfangs sich dem höfischen Kulturmuster Frauendienst und Erziehung durch minne zu fügen scheint, kehrt sich unter dem Beifall des Erzählers Schritt für Schritt in männliche Gewalt über Frauen um. Die angstbesetzt phantasierte, überlegene Frau ist ein Stereotyp der Heldenepik, ebenso wie ihre gewaltsame Bestrafung. Die Kriemhilt des .Rosengarten* unterwirft sich die Kampfkraft der Männer, indem sie ihr wechselseitiges Abschlachten als Schauspiel genießen will, und das zeigt, daß man an ihrer ,Zucht* etwas versäumt hat: warum be lât ir den willen ir? war^uo bât ir sie gezogen? (Ro A 174,2). Sie wird dafür bestraft durch die blutige Niederlage aller ihrer Leute, aber auch, indem der Preis, den sie für den Sieger im K am pf versprochen hat, ein helsen und küssen, einigen Kombattanten Anlaß ist, ihr das Gesicht blutig zu kratzen. Wenn in Kriemhilt noch in der Verzerrung ein Bild der höfischen vrouwe zu erkennen ist, die die Ritter zu höchster Bewährung anspornt, dann ist dieses Bild hier zur Weiberherrschaft ver­ bogen, die ihre verdiente Strafe erhält. Das Stereotyp findet sich sogar in der ,Kudrun‘ , wo der Frau die Aufgabe zufallt, die politische Ordnung dauerhaft zu sichern. Der rohe Gewaltcharakter der Wendung vrouwen Riehen ist dort eher noch rücksichtsloser: Sie bezeichnet das Blut­ bad, das der Heros Wate unter Kudruns Gegnerinnen anrichtet, wobei er sein Gemetzel mit den Worten begleitet: ich bin kamercere; sus kan ich frouw en Riehen.

( K 1 5 2 8 ,5 )

Solch brutale .Erziehung* scheint selbst hier noch der Preis dafür zu sein, daß die Friedensordnung der ,Kudrun* am Schluß sich einer Frau statt einem Mann ver­ dankt, was doch eigentlich, wieder Wate zufolge, unsinnig ist: solte ich nu frouwen volgen, war teste ich mînen sin? (K 1491,2). Selbst die .Klage*, sonst doch peinlich bemüht, alles Problematische in Ordnung zu bringen, hat an diese Konsequenz nicht gerührt: einige bedauernde Worte Hildebrants über Kriemhilts Tod sind alles; Sanktionen, wie er sie doch offenbar selbst befürchtete (swa% halt mir geschiht, 2575,2), gibt es keine. In ihrer Recht­ fertigung Kriemhilts bleibt der .Klage* nur der Ausweg, auf das beliebte Klischee weiblicher Schwäche zu setzen: Beschränkte Einsicht einer Frau {kranke sinne, Kl 243; vgl. 1910) war es, die die schrecklichen Folgen verschuldete. Rache wider­ spricht grundsätzlich dem weiblichen Geschlecht, nur blieb Kriemhilt keine Wahl, wo kein Mann ihr half: sine bete m it ir henden, ob si mähte sin ein man, ir schaden, als ich mich verstän, errochen manege stunde. geschehen e% nine künde, wand si hete vrouwen lip .

( K l 1 2 8 —1 5 5 )

Nibelungische Gesellschaft

Die Ursache des Burgondenuntergangs nennt der Verfasser deshalb ein wunder, weil vielleicht am großen Pathos des Heros, kaum aber am %orn einer Frau zwei Reiche zugrundegehen dürfen: Für wunder soi man%immer sagen da\ so vil helede wart erslagen von eines wibes %orne. (Kl 317-} 19) Erzählenswert ist die Geschichte, weil solch eine Rache außerhalb des Gewöhnli­ chen liegt: des hat man immer genuoc da von noch %e sagene, wie da£ kam da% Hagene stürbe von einem wibe. (Kl 756—39) So ungeheuerlich ist das, daß viele es für lüge halten, obwohl es doch wärheit ist (Kl 743f.). Die ,Klage' rechtfertigt Kriemhilt nicht, sondern entschuldigt sie, weil sie ja nur eine Frau war. Vorbildliche höfische %uht, wie sie Kriemhilt zu Anfang reprä­ sentiert, ist nur die Kehrseite von Schwäche und bedarf der Züchtigung, wo das vergessen wird.

Warum der pfaffe als Opfer des Heros? Gänzlich marginal ist die Rolle der clerici.1'* Ihre Einschätzung kann an jenem unseligen pfaffen abgelesen werden, den Hagen rechtzeitig, bevor die Käm pfe zwi­ schen den Heroen ausbrechen, in die Donau wirft, wodurch er ihn unfreiwillig vor dem Tod bewahrt. Warum eigentlich muß ausgerechnet der pfaffe, von dem sonst nie die Rede ist, von Hagen fast ermordet, doch dann als einziger gerettet werden? Die Szene gewinnt erst Profil, wenn man sich Alternativen vergegenwärtigt und sich die Rolle von pfaffen in vergleichbaren Texten ansieht. Der pfaffe bleibt im .Nibelungenlied' ganz blaß, ist z. B. nicht durch die wisheit charakterisiert, die sonst seinen Stand auszeichnet. Dank dieser wisheit kann er in anderen Erzählungen als vorsichtiger Ratgeber bei waghalsigen Unternehmen auftreten, als Gegenpart hero­ ischen Wagemuts. Im ,Liet von Troye' z. B. warnt einer der Söhne des Priamus, Elenus, im königlichen Rat vor den gefährlichen Folgen des Abenteuers, das Paris vorschlägt. Seine Kritik wird höhnisch zurückgewiesen, denn man weiß, was man von der Instanz zu halten hat, die sie vorträgt:

1,8 In der *C -G ruppe ist sie etwas verstärkt: die Strophe 152 3, in der erstmals wieder die Nibe/ungc auftauchen, ist ersetzt durch die Erwähnung eines geistlichen Beistandes für die Fahrt zu Etzel: ln der selben freiten was der gelaube nach chranckch (a 15 5 9 ,1), Zeichen dafür, daß schon der Bearbeiter das Defizit bemerkte.

194

Warum der p fa ffe als O pfer des H eros?

Armer bleiche wissage Vnseliger cappelan Ir soldet %v dem bethus gan We uwern buchen. [...] (LvTr 2266-2269) Wer zur Vorsicht rät, ist ein pfaffe. Ein pfaffe ist auch, wer Künftiges prognostiziert, erst recht wer den unglückli­ chen Ausgang heroischer Unternehmen vorhersieht. Das ,Liet von Troye“ bemüht ein beträchtliches Aufgebot an Unglückspropheten, und sie sind alle dadurch ge­ kennzeichnet, daß sie ihre Weisheit den Büchern verdanken."9 Prophetie ist zur Buchwissenschaft rationalisiert. Buchkundige aber sind nach dem Verständnis der Zeit vor allem clerici, und als solche werden einige der Verkünder künftigen Unheils auch gezeichnet. Nichts davon findet sich im ,Nibelungenlied“. An den Warnungen vor der ge­ fährlichen Fahrt haben weder Bischof noch Hofkaplan teil. Sie sind Sache der Krieger selbst: anfangs Hagens und Rumolts, später Eckewarts und Dietrichs. Weitere Stimmen kommen nicht zu Wort. Die Rolle der wissagen gehört ebenso­ wenig zur Welt des Buchwissens; es gibt die Sprüche prophetisch begabter weiser Frauen und Träume, doch zu deren Deutung ist keine Gelehrsamkeit erforderlich. Der pfaffe hat da nirgends einen Platz. Aber offenbar muß gerade das erzählt werden. In der Szenenfolge des Epos sind Spuren einer Ersetzung zu erkennen: Der pfaffe wird ausdrücklich entfernt. Als Gegenstand der düsteren Weissagung der Wasserfrauen würde er nicht notwendig gebraucht, mithin auch nicht als Probe auf deren Wahrheitsgehalt, denn an jedem anderen im Heer wäre die Prophezeiung ebensowohl zu überprüfen. Der pfaffe muß, wo er nicht Wissender ist, wenigstens Opfer des Wissens sein, des anderen Wissens, das Hagen und die merwtp vertreten. Doch die gotes hant (1579,3) rettet ihren Diener. Dabei steckt in Hagens grundloser Aggressivität (%ornec, 1578,3) und im Spott über die Hilflosigkeit des Pfaffen (er kann nicht schwimmen, strampelt genöte, schüt­ telt am sicheren Ufer seine nassen Kleider) der Rest einer Kontroverse, wie sie das ,Liet von Troye“ erzählt, der Kontroverse zwischen todesmutigen Kriegern und vorsichtigen Klerikern. Sie ist im .Nibelungenlied“ sogar noch blasphemisch zu­ gespitzt, indem Hagen den Pfaffen ob dem heilectuome ergreift (1575,2) und zu er­ tränken versucht. Zugleich aber ist der Kern der Auseinandersetzung zuungunsten des pfaffen verschoben: E r ist völlig passiv, kann nicht nur nicht weissagen, sondern nicht einmal schwimmen: ein Bild jammervoller Kom ik, eine Figur, die nichts weiß, aber an der das mythische Wissen, das der Heros erpreßt hat, ausprobiert werden kann. Die Grenze zwischen Wissen und Nicht-wissen verläuft nicht zwi­ schen miles und clericus, sondern zwischen den Kriegern; der pfaffe hat da nichts zu " 9 L v T r 543ff.; 2 2 3 iff.; 2 j27ff.

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Nibelungische Gesellschaft

suchen. Und selbst Gott, indem er ihn rettet, bestätigt damit zuvörderst dem He­ ros, was der von den Wasserfrauen weiß.110 Wo der geistliche Beistand für den Rest der Fahrt fehlt, übernimmt Hagen seinen Part. Hagen, kein pfaffe, ist fortan der Unglücksprophet, der die Lage richtig ein­ schätzt, aber auch verhindert, daß jemand kneift. E r bereitet die Burgonden auf den Kirchgang vor (1850-1856), indem er sich nicht nur um eine sachdienlich-aggres­ sive Ausrüstung bemüht, sondern um passende Gebete und bußfertige Gesinnung: ir suit v il willeclichen %uo der kirchen gärt, und klaget got dem riehen sorge und iuwer not, und w isse t sicherlichen da% uns nahet der tôt. I r ’n suit ouch niht vergeben, swa% ir habet getan, und suit v il vh\eclfche dâ gein gote stan.

( 18 5 5 ,2 -18 5 6 ,2 )

Überlegungen, wie dies mit seinem .Charakter' zu vereinbaren sei, gehen an der Logik der Ersetzung vorbei. War zuvor kirchliche Frömmigkeit Bestandteil höfi­ schen Lebens, so begleitet sie jetzt den heroischen K am pf bis zum letzten Bluts­ tropfen. Zwar wird es von dieser Szene an im Epos keine kirchliche Zeremonie mehr geben - erst die ,K lage' wird das nachholen - , doch dementiert sie, daß ein Widerspruch zwischen christlicher Frömmigkeit und heroischer Selbstbehauptung bestehe. Auch die seelsorgerische Aufgabe des Pfaffen geht also auf Hagen über. Derje­ nige, der auch sonst alles weiß, weiß auch in letzten Dingen Bescheid - soweit die in dieser Kriegerwelt überhaupt bedenkenswert sind. Aus diesem Grunde darf es nicht ein beliebiger Krieger sein, an dem Hagen die Wahrheit dessen, was er erfah­ ren hat, erprobt, sondern nur ein pfaffe, denn damit wird das Wissen ausgeschaltet, das in der mittelalterlichen Kultur dem Wissen der laikalen Kriegergesellschaft konkurrierte und sich als überlegen erwies. Die Szene steht für den Versuch einer Vereinnahmung einer möglichen Gegenposition. Dies stimmt mit der heldenepi­ schen Tendenz überein, .klerikale' Fertigkeiten parodistisch in kriegerische umzu­ deuten: Hagen als .Erzieher' bei Hof, Volker mit seinem Schwert gekonnt ,musizierend', die frommen Übungen des brutalen Mönchs Ilsung in den ,Rosengarten'-Epen oder der fromm gewordene Wolfdietrich, der noch nichts von seinen Kriegerqualitäten eingebüßt hat und, als es um einen Kreuzzug geht, den Heiden blutige .Buchstaben' beibringen will: g a r iibele buochstaben w il er iu vor lesen, M it sinem swerte schriben. da% sint munden sir.

(W o D X , 3 5 ,4f.)

120 Vfyss (1990), S. 172 weist daraufhin, daß Hagen sich „des einzigen allenfalls schriftkundigen Zeugen entledigt“ .

196

Warum der p fa ffe als O pfer des H eros?

Die Buchstabenschrift und die Musik aus wohlproportionierten Tongebilden wer­ den in die Kriegerwelt zur Blutschrift ,umgedeutet‘, die dem Körper des Feindes eingeschrieben w ird.'*' Der topische Gegensatz von chevalerie und clergie spielt im heroischen Epos keine Rolle, weil die einzig erwähnenswerte Form von Wissen gleichfalls auf der Seite der chevalerie ist. Der heroischen Welt entspricht ein besonderes Wissen. Es sind die größten Helden, Hagen und Sivrit, die ,alles wissen4. Sivrit weiß in Prünhilts Welt Bescheid. Folglich wird Hagen zeitweise nicht nur als Krieger, sondern auch als ,Wissender4 vom starken Sivrit verdrängt werden, um die Rolle in dem Augenblick wieder zu übernehmen, in dem Sivrit beseitigt ist. E r seinerseits weiß von Sivrit, er kennt Rüedeger, Dietrich und die Amelungen ( 17 2 1,1F ), er weiß ihre Geschichte, er kann Fremde identifizieren (1178,4) und schätzt Gefahren richtig ein: het ir Etteln künde, als ich sin künde hdn.

(1205,2)

Hagen ,weiß alles, was man wissen kann4, weil er die Möglichkeiten der heroischen Welt in höchster Potenz repräsentiert. Ähnlich weiß Dietrich ,über Kriemhilt Be­ scheid4; Rüedeger kennt bi Rine die Hute und ouch da%lant (1147,2); auch Volker muß mit Wissen ausgezeichnet werden: „Wer soi da^gesinde wisen über lant?“ si sprächen: „da% tuo Volker, dem ist hie wol bekant stige unde strafe (1594,1-3). Andere Heldenepen bestätigen den Befund. Wate in der ,Kudrun4 kennt allein die Wege auf dem Meer (K 836,4), ist deshalb der beste Ratgeber, aber auch Anführer im K rieg .'“ ,Wissen4 ist an andere Höchstwerte feudalen Kriegertums geknüpft.' Der Mächtigste und Stärkste weiß am meisten. Als Wissen des Heros ist es durch­ weg positiv besetzt; es ist nicht mit Hinterlist (wie im ,Laurin4) oder mit Schwäch­ lichkeit (wie im ,Liet von Troie4) gekoppelt. E s ist anders als das Wissen der Kleriker. Das ,Nibelungenlied4 gibt kirchlichen Institutionen kaum Raum. Man hat ihre Abwesenheit zum Indiz für die Christlichkeit oder Nichtchristlichkeit der Intention genommen und daraus entweder eine heidnische Grundhaltung oder umgekehrt eine Fundamentalkritik an der gottfernen Welt der Heroik abgelesen.“ 4 Doch ist der Sachverhalt komplizierter, denn weder läßt sich die Christianisierung der mit­ telalterlichen Laiengesellschaft bestreiten, noch ist es angemessen, einen geschlos­ senen, homogen christlichen Verständnishorizont um 1200 anzunehmen, der alles 121 Vgl. S. 4 28 -4 30 . - Das gilt mutatis mutandis auch für die chansons de geste, in denen zwar Kleriker wie der Bischof Turpin eine herausragende Rolle spielen, aber zuvörderst eben als Krieger. 1,1 Vgl. McConnell (1978), S. 43. ,1’ Das gehört zu den in frühmittelalterlicher Historiographie verbreiteten Stereotypen herausragender Feudalherrn; vgl. etwa Widukinds Sachsengeschichte II, 44 über Wichmann. 124 Vgl. Weber (1963); Willson (1963); Moser (1992).

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Nibelungiscke Gesellschaft

primär ihm Fremde, Widerständige und Abweichende assimiliert hätte. Kulturelle Systeme sind niemals widerspruchsfrei, sondern lassen immer bis zu einem gewis­ sen Grade antagonistische Tendenzen zu. An der Umbesetzung der Position des ,Wissenden' ist der Anspruch der laikalen Welt gegenüber einer Institution abzu­ lesen, der im übrigen ihr konventioneller Platz nicht bestritten wird. Im schwieri­ gen Akkulturationsprozeß12’ beansprucht das ,Nibelungenlied' eine Extremposition laikalen Selbstbewußtseins. Die nibelungische Welt ist so selbstverständlich christlich, daß kirchliche Insti­ tutionen gar nicht immer eigens erwähnt werden müssen. Kirchliche Riten haben ihren festen Platz im gewöhnlichen A blauf des Lebens. Zumal in den Unterbre­ chungen des Alltags erinnert man sich ihrer, beim höfischen Hochzeitsfest (si gieri­ gen %uo dem münster da man die messe sanc, 644,5) oder bei Sivrits Begräbnis (1050­ 1065). Nach Sivrits Tod führt Kriemhilt das Leben einer frommen Witwe, die kaum noch den kirchlichen Bezirk verläßt (1102), nach der Redaktion *C sich sogar in einen sedelhof beim Kloster Lorsch zurückziehen will (C 115 8 -116 4 ). Die Kirche ist ebenso gewöhnlicher Bestandteil höfischen Lebens wie kostbare Kleider oder feier­ liche Empfänge. Hierin ist das ,Nibelungenlied' sogar weit ausdrücklicher christia­ nisiert als etwa die ,Kudrun‘. Von einer christlichen Positivierung des Krieges, wie sie die Moraltheologie im Vor- und Umfeld der Kreuzzüge entwirft, findet sich dagegen nichts. Sie wäre Voraussetzung einer religiösen Rechtfertigung heroischer Dichtung.11*116 Eine „A k ­ komodation“ 117 von Heroik und christlichem Glauben wie im ,Rolandslied' liegt außerhalb der Möglichkeiten des Stoffes. Dem Epos fehlt eine christliche Heils­ perspektive. Der rituelle Aufwand der .K lage' kann dies nicht ausgleichen, zumal er dezidiert christlich nur im abgezirkelten Bereich des geistlichen Hofes Bischof Pil­ grims in Passau ist. Da auch die .K lage' dem Morden keinen christlichen Sinn abgewinnen kann, muß sie immer wieder den Handlungsnexus als eine Kette von Pannen und Mißverständnissen ausgeben.118

111 Die Schwierigkeiten der Christianisierung heroischer Ideale beschreibt Huppé (1975). Integriert sind beide im Heiligen-Heros, einer Figur der chansons de geste, die jedoch dem .Nibelungenlied“ fehlt. Aus Sicht der frühmittelalterlichen Kirche gilt das Heroische als „self-reliant, proud“ usw., ist Z e i­ chen der gefallenen Menschheit und eines Zustandes ohne Gnade (S. 13). Huppé erwägt, ob nicht sogar christliche Helden wie Beow ulf mit Notwendigkeit dort untergehen, wo ihre heroische Über­ legenheit nicht mehr bloßes Instrument der göttlichen Vorsehung ist. Bloomfield (19 75) weist auf die Ambiguität des Heroischen in spätmittelalterlichen Texten, in denen es nie mehr ungebrochen auftritt (S. 31). 116 Haubrichs (1995), S. 39 -4 3. Die „legitimierte Rührung und Tröstung“ (S. 39), die heroische D ich­ tung erzeugen kann, setzen einen geistlichen Rahmen voraus. Auch gesta principum als Gegenstand heroischer Dichtung stehen unter der Prämisse, utilia auch in einem geistlichen Sinne zu vermitteln (S. 40); als Beispiele von gesta heroum et antiquorum patrum werden Märtyrergeschichten genannt, aber auch die historia regis Karoli (S. 42). 1,7 Haubrichs (1995), S. 37.

,2‘ S. i i 8.

98

Warum der p fa ffe als O pfer des H eros?

Das Epos verwirft einen naheliegenden Sinngebungsversuch, indem der Gegen­ satz zwischen Heiden und Christen heruntergespielt wird. Das positive Bild Etzels mag alte Stofftradition im Südosten sein, der sich vom negativen Bild Atlis im Norden absetzt; trotzdem ist seine Aufwertung im Zeitalter der Kreuzzüge unge­ wöhnlich, so daß der Verfasser der ,Klage* ihm lieber eine umwegige Renegaten­ laufbahn andichtet: Etzel ist weniger der friedfertige K önig der Heldensage als der rückfällige Gottesleugner, der zuerst bekehrt wird, dann erneut vom christlichen Glauben abfällt und sein trauriges Schicksal als göttliche Strafe erlebt (K l 4 i9 2f.).119 E r versinkt in unchristlicher desperatio. Der Versuch ist aufgesetzt und mit dem zuvor erzählten Verlauf kaum zu vereinbaren. Vor dem Hintergrund dieses auf Normalmaß gebrachten Heidenkönigs der ,Klage* hebt sich der Etzel des N ib e ­ lungenliedes* scharf ab: der auf Frieden bedachte, die Christen an seinem H o f fördernde, Ausgleich zwischen den Glaubensgemeinschaften stiftende Herrscher, der sogar den eigenen Sohn taufen läßt. Damit entfallt eine mögliche Rechtferti­ gung des Kampfes, wie er die Greuel der chansons de geste akzeptabel machen konnte. Die Ehe mit einem Heiden dient nur Kriemhilt als - fragwürdiger - Vor­ wand für eine jedes Maß sprengende Rache. Der valant handelt durch sie, nicht durch den auf Frieden bedachten Heiden. So wird zwar letztlich doch ein christli­ ches Deutungsmuster eingesetzt, aber es dient gerade nicht der Polarisierung einer christlichen und einer unchristlichen Welt, sondern soll ein unverständliches G e­ schehen ,erklären*. Für das, was an Christentum gebraucht wird, reicht Hagen völlig aus. Der pfaffe kann verschwinden.

119 Ansatzpunkte dazu in schon in *C.

199

IV N

ib e l u n g is c h e

A

n t h r o p o l o g ie

Wider Psychologisierung' Der Wendung der Nibelungenforschung zur Psychologie fiel die Aufgabe zu, scheinbar Disparates in den überlieferten Texten zu verbinden und scheinbar Wi­ dersprüchliches zu plausibilisieren. Nicht gestellt wurde zumeist die Frage nach der Herkunft der psychologischen Kategorien, mit denen dies geschah. In der Regel verdanken sie sich der Intuition des Interpreten, und ihre Suggestion leitet sich aus ihrer scheinbar überzeitlichen Geltung ab: Liebe, Haß, Neid, Eifersucht, Treue usw. gelten als universale Antriebskräfte. Sie müssen nicht unbedingt im Epos direkt angesprochen sein, sondern können, wo sie auf der Textoberfläche fehlen, von jedem Leser intuitiv substituiert werden. Wenn sich auch dann noch kein schlüssiges Bild ergibt vom Handeln oder dem ,Charakter*1 einer Figur, kann man psychologische Stimmigkeit im Sinne moderner Erwartungen auf Kosten einer der einander widersprechenden Komponenten herzustellen versuchen oder aber auf die angeblich geringeren Anforderungen an psychologische Glaubwürdigkeit im Mit­ telalter verweisen; sie ließen zu, daß man mit ,zwei‘ unterschiedlichen Kriemhilden, Prünhilden oder Hagen zu rechnen habe, von denen dann jede(r) für sich neuzeit­ lichen Anforderungen genügt.2 Aber ist das zulässig? Die historische Anthropologie hat die Augen dafür geöff­ net, daß die Standards neuzeitlich-westlichen Handelns, Verhaltens und Em pfin­ dens keineswegs überall und jederzeit gelten, sondern je nach dem kulturellen Kontext unterschiedlich modelliert sind.’ Zwar muß man hier mit Strukturen län­ gerer Dauer und größerer Reichweite rechnen als bei anderen kulturellen Phäno­ menen wie z.B. einem Baustil, einer Gattungskonvention oder einer Trinksitte, und die Chancen, Vergleichbares oder gar Bekanntes zu entdecken, sind größer als anderwärts, doch ist die Unterstellung anthropologischer Konstanten in Affekten,

'

1 ’

Die Abwehr naiven Psvchologisicrens beginnt sich in der Forschung zum Heldenepos durchzusetzen; vgl. Weber (1990), etwa zum ,Atlilied* S. 462F Gleichwohl laden die Epen immer wieder zur psycho­ logischen Rekonstruktion, selbst unter Einbeziehung von Erkenntnissen der Psychoanalyse (M cConell, 1978) ein; bis in jüngste Publikationen (Thelen, 1997) reicht das Bemühen um individual­ psychologische Charakterisierung. Newman (19 81) u.a. Z u r mediävistischen Diskussion vgl. den Forschungsbericht von Kiening (1996).

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Nibelnngische Anthropologie

Habitus, Einstellungen, psychischen Mechanismen usw. eine vorwissenschaftliche Naivität. Dies gilt auch für das europäische Mittelalter, in dem erst die Weichen gestellt werden für die Ausbildung der Handlungs- und Verhaltensstereotypen, die wir unreflektiert-selbstverständlich als die normalen unterstellen. Dabei ist die E in ­ sicht in historische Konditionierung vermeintlicher anthropologischer Universalien keineswegs neu, allerdings wurde ein Verfahren, das in der Ethnologie oder in der Erforschung archaischer Gesellschaften längst üblich ist, bislang nur selten für die Untersuchung mittelalterlicher Texte nutzbar gemacht.4 Dies soll hier versucht werden: Vermeintlich überzeitliche Annahmen über psychologisch plausibles Verhalten sollen suspendiert werden, und es ist mit der Möglichkeit historisch andersartiger Entwürfe von psychischen Dispositionen, Verhaltensmustern, Motivationen und personaler Identität zu rechnen. Diese zu ermitteln, stößt freilich auf erhebliche methodische Schwierigkeiten, vor allem, was die Quellen betrifft. Hier empfiehlt sich ein streng textbezogenes Vorgehen: L i­ terarischen Texten sind, wie Texten auch sonst, mehr oder minder explizit an­ thropologische Modelle eingeschrieben. Diese Modelle sind nicht unabhängig von anderen, in andere Texte eingeschriebenen oder praktisch gelebten Modellen der gleichen Kultur, doch empfiehlt es sich, die Frage nach der Beziehung unterschied­ licher Diskurstypen und der ihnen inhärenten Modelle zueinander zunächst einmal einzuklammern. Die Rekonstruktion einer ,nibelungischen Anthropologie“ soll vorerst beiseitelassen, ob diese etwa gewöhnlichen Vorstellungen um 1200 und der damaligen Lebenspraxis entspricht (die ja ihrerseits wieder aus anderen Texten zu rekonstruieren wäre). Vorläufig an einem solchen fiktiven Weltmodell anzusetzen, hat den Vorteil, die unübersehbare (und immer wieder eingeklagte) Differenz zwi­ schen unterschiedlichen Zeichenordnungen nicht verwischen zu müssen. Der einem Text eingeschriebene anthropologische Entw urf darf nicht als unmittelbarer .Ausdruck“ einer historischen Mentalität verstanden werden, sondern als ein Ent­ wurf, der durch situationsabhängige, pragmatische, sprachliche, stilistische, gat­ tungsspezifische Bedingungen mitkonstituiert ist, die sich mehr oder minder weit von denen des Alltags entfernen können. Die Untersuchung muß sich auf wenige, besonders auffällige Beispiele beschrän­ ken. Insofern bleiben die folgenden Überlegungen weit hinter dem zurück, was für räumlich oder zeitlich entfernte Kulturen an anthropologischen Grundannahmen und spezifischen Verhaltensstereotypen erarbeitet wurde. Die Beispiele wurden ge­ wählt, weil bei ihnen die gefährliche Verwechslung mit unbefragt gültigen gegen­ wärtigen Annahmen besonders naheliegt und tatsächlich die Interpretationsge­ schichte des .Nibelungenliedes“ bestimmt hat.

4

Für die griechische Epik hat Snell (1948) den Weg gewiesen. Überlegungen von Sees (19 8 1) zum Exorbitanten und Webers (1990) zur Ethik germanischer Heroik gehen in ähnliche Richtung.

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Z °m

Literarische Texte zeichnen sich dadurch aus, daß sie das Besondere, das sie zur Sprache bringen, vor die Folie dessen stellen, was gewöhnlich gilt. E s lassen sich Vordergrunds- und Hintergrundsstrukturen unterscheiden. Was auf der Vorder­ bühne passiert, rekurriert auf Voraussetzungen im Hintergrund, die nicht expliziert werden müssen, da sie als selbstverständlich gelten, an die deshalb bloß anspie­ lungshaft erinnert werden muß. Doch kann allererst vor diesem Hintergrund das Vordergrundgeschehen in seiner Besonderheit erkannt werden, als ungewöhnliches, vielleicht gar einmaliges oder aber auch als gängiges und unauffälliges. Dabei ist schon die Unterscheidung nur zweier Ebenen, von Vordergrund' und H in ter­ grund', eine unzulässige Vereinfachung, denn tatsächlich handelt es sich um ge­ stufte, einander überlagernde und perspektivierende Strukturen, ein Geflecht von mehr oder minder expliziten, mehr oder minder auffälligen Annahmen und Voraus­ setzungen. Stillschweigend unterstellte, nicht problematisierte Bedingungen sind zu unterscheiden von solchen, die als kontrovers behandelt werden oder Alternativen zulassen, und schließlich von besonderen Konstellationen, die auf jene Bezug neh­ men, sie aber zugleich sprengen. Das nicht problematisierte, implizite oder explizite Wissen wird vermutlich dem, was jenseits der Textwelt gilt, am ehesten vergleich­ bar sein, die problematische Zuspitzung und radikale Besonderheit am weitesten davon entfernt. Welche Erwartungen bei den Zuhörern des .Nibelungenliedes' tatsächlich be­ standen, ist selbstverständlich nicht mehr rekonstruierbar. Der R ückgriff auf an­ dere Texte verspricht da bestenfalls Annäherungen. Gewiß hat sich gezeigt, welche Aufschlüsse etwa lateinische Chroniken über Verhaltensmuster und Rituale, Wahr­ nehmungsweisen und Denkordnungen des Mittelalters bereithalten, doch ist zu beachten, daß diese durch die Tradition, in der sie stehen, und durch die Struktu­ rierungsgesetze der Gattung mit ihrem Referenzanspruch - Chroniken behaupten zu sagen, ,wie es gewesen ist' - sich von einem volkssprachlichen Heldenepos unterscheiden, das ,alte Geschichten' aus einer außerordentlichen Kriegerwelt er­ zählt, die nicht mit der alltäglich gewußten identisch ist, wenn auch ihre Vorstel­ lung von ihr mitgeprägt ist, was Formulierungen wie ,das geschah so, wie das auch heute noch zu gehen pflegt', belegen.

Zorn

Ich setze bei einigen Beobachtungen zu Gefühlsäußerungen an. Die Termini, die ich dabei verwende, sind Hilfskonstruktionen. Sie sollen möglichst unbelastet von späteren Konnotationen benutzt werden. Der neuzeitliche Leser ist geneigt, aus dem .Charakter' der handelnden Figuren ihre affektiv ausladenden Reaktionen, anfallsartig auftretende Gemütsbewegungen und dauerhafte Stimmungen abzuleiten. Doch ist das Verhältnis umgekehrt. Die 2°3

Nibelungische Anthropologie

Reaktionen, die wir Affekten zuschreiben würden, sind Funktionen der Handlungs­ konstellationen, innerhalb derer sich die Figuren bewegen, und was man als deren Charakter herausgearbeitet hat, ist nichts als eine nachträgliche Bündelung jener Funktionen. Psychische Antriebe, die natürlich durchaus zu erkennen sind, grün­ den nicht in dem Kern eines Selbst, sondern in Konstellationen und Ordnungen, in denen die jeweilige Figur steht. Erläutern kann man das am Begriffspaar minne und haç .! Beide bezeichnen durchaus auch psychische Impulse. Beide sind aber gleichzeitig Rechtstermini: min­ ne meint das Verhältnis friedfertigen Umgangs und dessen rechtliche Absicherung; ha% das Gegenteil. Eine Handlungskonstellation (mit bestimmten rechtlichen Im­ plikationen) und ein psychisches Phänomen fallen zusammen; minne und ha% be­ zeichnen das intakte oder gestörte Verhältnis zweier Figuren nach der Seite ihrer rechtlichen Beziehungen, ihres Umgangs miteinander und ihrer psychischen E in ­ stellung zueinander. Psychische Konstellationen erscheinen nicht als Ergebnis einer Interaktion von »Innenwelt“ und .Außenwelt“. E s fehlt eine Ebene, auf der ein Impuls der Außen­ welt gemäß persönlichen Dispositionen einer Figur verarbeitet wird und sich dann als Affekt dieser Figur äußert. Die affektische Reaktion ist unmittelbar von der Situation abhängig, so daß es keiner charakterlichen Disposition bedarf. Das Feh­ len dieser Zwischeninstanz kann sich darin äußern, daß bestimmte Figuren wie z.B. Wolfhart durchgängig durch einen affektischen Habitus gekennzeichnet sein kön­ nen. Dann ist keine auslösende Situation, kein Impuls der Außenwelt nötig, damit der entsprechende Affekt auftritt. Unterwirft sich im einen Fall die Situation die psychische Reaktion, so im anderen der psychische Habitus jedwede Situation. Ein Dazwischen gibt es nicht. Beides läßt sich an einer typisch heroischen Reaktion, dem %orn, zeigen. Zorn und als seine Folge blindwütiges Rasen kennzeichnet den Heros seit dem homerischen Aias. Deshalb kann %orn zum einen der Habitus eines bestimmten Helden sein. Wolfhart ist nicht iraszibel in dem Sinne, daß er beim kleinsten Anlaß in %orn gerät, sondern er ist immerzu .zornig“. Das sagt nichts aus über sein besonderes emotio­ nales Befinden, sondern heißt, daß er grundsätzlich heroisch-gewaltbereit ist. Der .Biterolf“ findet dafür die glückliche Wendung in Spornes siten (Bit 8104): \orn ist eine regelhaft Handlung steuernde Disposition wie jede andere site auch. In Wölfhart ist aber nur vereinseitigt, was jedem Heros angemessen ist, wenn er leit erfährt. Zorn äußert sich im gewalttätigen Rasen:7 Gunther was sô sêre erzürnet und76 * ’ 6 7

H R G j, Sp. 582-588 (H. Krause); Hattenhauer (196}). Czerwinski (1979), S. 68 hat darauf verwiesen, daß „bereits die begriffliche Opposition .innerlich/ äußerlich'“ falsch sei. Vgl. u/üeten 1967,4 (über Hagen und Volker im Kam pf); tobeliche 2050,1 (über Irinc); 2280,4 (über Dancwart); alsam er wuote 2282,1 (über Hildebrant); des muotes er ertobete 2206,2 (über Rüedeger). Parodiert ist der voraussetzungslose Zo rn als heroischer Habitus im .Orlando furioso', dem .rasenden Roland'.

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Zorn

ertobt, wand er näcb starkem leide sin ber^evient was (2358,2F.), wenn er gegen Dietrich antritt, der seinen letzten Verbündeten besiegt hat. Daraus Folgt der Umkehrschluß, daß jede Situation gewaltsamer Konfrontation die Akteure ,zornig4 zeigt. Der psychische Anlaß von zorn tritt dabei ganz zurück. Wenn die Sachsen die Burgonden zum K rieg herausFordern, ,erklären4 das die Boten mit dem zorn ihrer Könige auF die burgondischen Herrscher: Ir habt ir zprn verdienet (144,1). Von einem Motiv dieses z?rn muß nichts verlauten, denn zorn ist nicht Ursache, sondern Erschei­ nungsform des Feindseligen Zustandes, der in den K rieg mündet {daz in die herren beide tragent grölen haz, 144,2); die Aussage, der zorn sei verdient, ist identisch mit der Aussage, es gebe Krieg. AngriFF und z?rn sind eins, der zorn nur scheinbar der Grund des AngriFFs.8 Die Nachträglichkeit des z?rn u°d seine Abkoppelung von innerpsychischen Einstellungen fällt besonders beim K am pf Rüedegers gegen die burgondischen Verwandten auf, die er doch eigentlich nicht als Feinde bekämpfen wollte. Nach­ dem nämlich einmal der K am pf unausweichlich geworden ist, tobt er in wildem Zorn los, als habe es zuvor keine Gesten des Einvernehmens gegeben {des muotes er ertobete, 2206,2), worauf der Gegner, auch er eben noch versöhnungsbereit, gleich­ falls in z.orn gerät: daz sach ein Burgonde: zornes im (2 2 15,3). Man könnte glauben, dieser z?rn Gernots sei dadurch motiviert, daß er seine vriunde durch Rüedeger fallen sieht, doch scheint das nicht ausschlaggebend, denn Hagen, der doch dasselbe sehen müßte und immer zur Rache bereit ist, bleibt ruhig. E r hat nämlich versprochen, dem K am pf gegen Rüedeger fernzubleiben, und folgerichtig bleibt bei ihm der zorn zunächst aus. E r gerät erst in dem Augenblick in in dem er losschlagen kann, nämlich wenn Rüedeger gefallen und er damit von seinem Versprechen entbunden ist: alrêrst erzurnde Hagene (2221,4). Das Handeln erst ruft den zorn herauf, nicht umgekehrt. Die Abkoppelung des zorn von seiner psychischen Basis ist in der mittelalterli­ chen Heldenepik verbreitet.9 Dies kann seltsame Folgen haben, wie am - dem go™ verwandten - haz ersichtlich. Im .Biterolf4 etwa tauschen Etzels Boten an Gunthers H of zuerst lange Artigkeiten aus, bevor sie ihre Botschaft - die Herausforderung zum K am pf - mit den Worten Vorbringen: iu tregt vil hazltchen sin/der künec von Hiunen riche (Bit 4872F): Der freundliche Umgang zuvor und der einer Kriegser­ klärung angemessene haz schließen einander nicht aus, weil sie auf unterschiedliche Situationen bezogen sind, für die sie passen, einmal das höfische Ritual einer G e­ sandtschaft, dann die militärische Konfrontation.1 1

9

E s ist bezeichnend, daß an dieser Stelle schon eine mittelalterliche Handschrift (D) geändert hat; hier sagen die Boten, Gunther habe den zorn ihrer Herren vernomen statt verdienet; damit wird die uns vertrautere Kausalbeziehung hergestellt, daß einer (vorher schon bekannten) feindseligen Einstellung eine feindselige Aktion folgt (Batts, S. 45). So durchweg auch in Wo A , wo mit zorne zur Charakterisierung einer gespannten Situation dient, erst in zweiter Linie einen Gemütszustand meint (Wo A 13 4 ,1; 15 4 ,1; 173,1).

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Nibelungische Anthropologie

Natürlich heißt tçorn oft die aktuelle psychische Reaktion auf einen Reiz (Belei­ digung, Verletzung), aber eben nicht nur. Auch fällt die Abgrenzung von einem durchgehend zornigen Habitus oft schwer: Hagen will mit seinem Versuch, den Kaplan beim Übersetzen über die Donau zu ertränken, die Prophezeiung der merwîp Lügen strafen, daß das ganze Heer bei Etzel untergehen werde und nur der Kaplan heimkehre. Der zur Gewalttat passende Habitus ist %orn. Darum heißt es, wenn Hagen den pfaffen unter Wasser zu drücken trachtet: wan der starke Hagene vil %ornec wasgemuot (1578,3). Hagens muot ist identisch mit dem, was alle an seiner Tat sehen können. Die Tat ,ist‘ \orn\ besondere feindliche Gefühle gegen den armen pfaffen müssen nicht eigens begründet werden. Giselher dagegen reagiert auf das, was er sieht: filmen er% began (1576,3). Anschaubarer Habitus und spontaner Impuls tragen denselben Namen. Ein anderes Beispiel: Prünhilts Wettkampf mit Gunther wird mit Erbitterung ausgefochten. Bei der zweiten Probe heißt es: Do gie si hin vil balde; %ornec was ir muot. den stein huop vil höhe diu edel maget guot.

(462,1F.)

Damit könnte gesagt sein, daß Prünhilt durch die Niederlage beim ersten Mal gereizt ist; doch eher ist %orn Ausdruck des gewaltsamen körperlichen Einsatzes beim Wettkampf. Wer den Gegner niederringen will, ,ist“ zornig. Erst wenn Prün­ hilt den K am pf verliert, steht die momentane Aufwallung im Vordergrund: Prünhilt diu schoene wart in sporne rôt.

(465,3)

Wenn Gunther auf dem Zug zu Etzel von einem A n g riff der Beiern gegen sein Heer erfährt, und zwar erst, nachdem alles schon vorbei ist, spricht er dann %ornecltchen (1624,4) aus dem Augenblick heraus, weil er sich übergangen fühlt,10 oder holt die ,zornige“ Rede nur den Habitus nach, der bei einem feindlichen A n griff angemessen wäre? Die Frage ist der Erzählweise des Epos unangemessen. Deutlicher scheint die psychische Komponente in den Vordergrund zu treten, wenn der Affekt nicht ausagiert werden kann. So heißt es von Gernot, wenn Hagen Kriemhilt den Hort weggenommen hat: da% v^urnde ir bruoder Gêrnôt, do er da\ rehte bevant.

( 1 132,4)

Diesem %orn entspricht keine Aktion. Ähnlich Giselhers Reaktion auf die Gewalttat gegen den Priester: Giselher der junge, njimen er% began. er’n wold’ i% doh niht lassen er enhet im leide getan.

tu wart' versmähet da%,/da% ich bi iu ware (16 2 5 ,1F ).

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(1576,3F)

%orn

Doch auch in diesen Fällen ist %orn mehr als eine jähe psychische Aufwallung. E r ist die Hagens Rechtsbruch angemessene Haltung, auch wenn sie sich nicht in einer Tat ausdrücken kann, weil andere rechtliche Verpflichtungen entgegenstehen. Der %orn bleibt stecken und ist insofern gegenüber der gewöhnlichen Äußerung heroi­ schen forties defizitär. Wo die Tat fehlt, fehlt dem %orn etwas: In der ,Kudrun‘ packt der K önig Ludewic Kudrun an den Haaren, um sie im Meer zu ertränken; sein Sohn Hartmuot ver­ hindert das, wobei er sagt: täte

ander iemen, so säumte ich also sêre,

dan Ludew ic der vater min, ich name im beide lib und ère.

( K 9 6 4 ,3 F.)

Hartmuots Vorgehen gegen Ludewic ist durch die verwandtschaftliche Beziehung eingeschränkt, so daß seine empörte Reaktion sich nicht zu dem %orn steigern kann, der angemessen wäre und sich in einer Tat gegen den Vater äußern würde. Dank der engen Verknüpfung von Affektäußerung und Tat ist es sinnlos, nach der psychischen Wahrhaftigkeit von %orn zu fragen: Hagen hat die Abwesenheit der Könige von Worms benutzt, um Kriemhilt den Hort zu rauben. Bei der Rückkehr der Brüder erhebt sie vor ihnen Klage und erreicht, daß Hagen sich für eine Zeit vom H of entfernen muß, um, wie es heißt, der fürsten %orne (1139,2) zu entgehen. Die Frage, ob dieser %orn der Könige bloße „K om ödie“ ist, geht am Problem vorbei." Das Wort zeigt an, daß vor dem Königsgericht Hagens Rechtsbruch fest­ gestellt wird, was eine Verurteilung nach sich ziehen muß. Das gestörte Rechts­ verhältnis zwischen K önig und Vasall heißt %orn; %orn ist identisch mit Entzug von Nähe und stellt sich öffentlich in einem Rechtsakt dar. Der Entzug gilt auf Zeit, nämlich bis Hagen die hulde der Könige wiedergewinnt (1139,3). Dann wird ohne Übergang auch der %orn verschwunden sein. Was die königlichen Richter sich bei der Verurteilung denken, ist gänzlich ohne Interesse. Ihre Haltung spiegelt die jeweils geltende rechtlich-soziale Konstellation. Ein ähnlicher Fall: Noch sein letztes Angebot gegenüber Etzel und den Hiunen, eine suone zu erwirken, bringt Gunther in inornes muote vor (2094,if.), ein unpassen­ der Affekt, möchte man meinen, wenn sein Vorschlag auf offene Ohren beim G eg­ ner stoßen soll. Aber darum geht es gar nicht: %orn entspricht der Feindschaft zwischen beiden Parteien, die Gunther nicht durch bedingungslose Unterwerfung, sondern eben durch eine suone - einen gerechten Ausgleich - überwinden will; %orn drückt sein Beharren auf seiner Rechtsposition aus, die, bis solch ein Ausgleich gelingt, gewaltsam vertreten werden muß.

"

de Boor, Kommentar S. 186. Symbolische Bestrafungen mit bloß demonstrativem Charakter sind bei Konfliktlösungen im Mittelalter verbreitet (Althoff, 1989/1997, S. 31; 34; 36F). Sie erlaubten, die Stärke des Königs und der von ihm garantierten Rechtsordnung darzustellen und zugleich einen politisch notwendigen Kompromiß zu erreichen. Farcenhaft sind sie keineswegs. Die gängige Inter­ pretation des Verfahrens gegen Hagen geht also fehl.

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Nibelungiscbe Anthropologie

Am offenkundigsten ist die Auswendigkeit von %orn in der Szene, in der Etzel ein letztes Mal den Ausbruch von Feindseligkeiten zwischen den Burgonden und seinen Leuten unterbindet. Die Situation: Volker hat im spielerischen Getümmel einen hiunischen Ritter erschlagen; die Gewalttat droht in einen K am pf aller gegen alle zu münden; doch Etzel greift ein; einem Verwandten des Toten schlägt er die Waffe aus der Hand und erklärt den Anschlag zum Unfall, der kein Vorgehen gegen die Gäste rechtfertige. Jede Äußerung von Gewalt wird im Keim erstickt, und das heißt in den Worten des Erzählers: %orn er mêr deheinen da niht werden lie (1898,2).12*14 Natürlich kann Etzel nicht die Gefühle seiner Leute dirgieren, sondern nur Hand­ lungen verhindern, in denen %orn erscheint; von der äußeren Erscheinungsform wird aber gar nicht etwas anderes unterschieden, das ,dahintersteht‘. Zorn kenn­ zeichnet eine Situation gewaltsamer Konfrontation, die es zu entschärfen gilt. In­ dem Etzel dies gelingt, hat er auch das, was hier tçorn heißt, bewältigt. Einen Affekt jenseits dessen, was offen zutage tritt, scheint es nicht zu geben.

trären Auch trären ist Reaktion auf einen beschädigten Weltzustand. So wenig wie %orn ist es subjektive Befindlichkeit, sondern bezeichnet Haltungen, die sich aus einer kon­ fliktträchtigen Situation ergeben, und bestimmte ihnen zugeordnete Gebärden, vorgetäuschte oder echte.'5 Zorn und truren sind angemessene Reaktionen auf leit, aktiv die eine, passiv die andere, wobei der passive Zustand in den aktiven Um­ schlagen kann und umgekehrt. Semantisch gehört trären in die Nähe von leit, und dies legte die Bedeutung .seelischen Schmerz empfinden“ nahe, doch fragt sich, ob dieser Aspekt nicht eine typisch neuzeitliche Bedeutungsverengung zur Vorausset­ zung hat, denn leit ist mehr. Dies einzuräumen, bedeutet nicht, leit überwiegend auf rechtliche Aspekte (Be-leid-igung) einzuschränken, sondern beide Aspekte als un­ unterscheidbar zu erkennen. L eit meint allgemein einen .defekten Status“, der von einem anderen verschuldet ist.'4 Das schließt die Nuance ,Schmerz“ über den „Tod geliebter Menschen“ , „Herzeleid“ u.ä. durchaus ein,1’ was allerdings nicht den Um­ "

Eine Bilderbuchszene für Norbert Elias’ These (1936/1969), daß erst im Laufe des Mittelalters Fremdzwänge in Selbstzwänge verwandelt würden. '* A lth o ff (1989/1997), S. 29f. 14 Maurer (19 5 1); zur Kritik: Schröder (1968), S. iof.; 57—60; 6 7-7 0 ; 7 4 -7 9 ; 1 2 7 - 1 3 3 . Schröder entdeckt an jeder Stelle, an der leit auftaucht, daß eine rein rechtliche Interpretation unbefriedigend bleibt. N un will niemand behaupten, daß leit in der rechtlichen Dimension aufgehe. Indem Schröder eine Alternative sieht, wo für das Mittelalter ein Zusammenhang bestand, verfährt er zirkulär: Was ,nicht ganz aufgeht“, beweist ihm das Gegenteil von Maurers These. " Schröder (1968), S. 127h Schröder kann bezeichnenderweise seine These am überzeugendsten an der .Klage* ausführen (S. 19 1-2 0 1 ) , aber sic steht in diesem Punkt dem Epos schon fern. Die Annahme „grundsätzliche]):] Gleichartigkeit und Gleichgerichtetheit“ (S. 225) der .K lage“ tut beiden Texten Gewalt an.

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trûren

kehrschluß rechtfertigt, dies sei die alleinige oder auch nur dominierende Bedeu­ tungsnuance. Im ,Nibelungenlied' gibt es keine semantisch scharfe Grenze zwi­ schen äußerer Verletzung und innerer Beleidigung. Das tangiert die Bedeutung von trûren als Reaktion auf leit. Die Ehrkränkung durch einen Hiunen {leit) versetzt Rüedeger in trürige[n] muot (2 14 1,1); trûren zeigt den Defekt der ère an; trûren hat Zeichencharakter.'6 Der muot äußert sich sogleich gegenüber dem Beleidiger in der Tat, die den Defekt aus der Welt schafft; trûren schlägt in %orn um, indem Rüedeger sein leit rächt und den Beleidiger erschlägt. Hier erscheint %orn nicht vorweg als Motiv für den tödlichen Faustschlag, sondern benennt nachträglich das, was alle gesehen haben: daç von des beides sporne dem Hiunen was geschehen (2147,2); trûren ist der Moment, der der Tat {%orri) vorausgeht. Wenn Dietrich Hagen niederringt, heißt es: Gunther der edele dar umbe trûren began (2352,4); das ist die Lähmung dessen, der sich kaum mehr helfen kann,16 17 bevor er sich dann noch einmal aufrafft, eben erzürnet und ertobt ist (2358,2). Aus der Passi­ vität {trûren) schwingt er sich zum Handeln (^orn) auf. Wo das mißlingt, bleibt es beim trûren: Sivrit bringt König Liudegast schlimme Wunden bei; des muose der kiinec Liudegast haben trürigen muot (188,4). Das ist nicht bloße Niedergeschlagenheit, son­ dern Zeichen dafür, daß Liudegast sich ergeben muß (189). Was harmlos wie eine Trübung der Stimmung aussehen könnte, ist eine Störung des Gleichgewichts, das in Aggression Umschlagen kann. Dietrich überlegt, wie er etwas über Rüedegers Schicksal erfahren wird, ohne in den K am pf verwickelt zu werden: ob ungefüegiu vrage danne dageschiht, /da^ betrüebet lihte recken ir muot (2240,2f.). Dietrich fürchtet nicht, seine Leute könnten den Burgonden die Laune verderben, sondern er zieht in Betracht, daß im Wortwechsel eine irreparable Kränkung er­ folgt. Aus trûren droht Gewalt zu werden. Wenn auf der Fahrt zu Etzel der Fähr­ mann Hagen die Überfahrt über die Donau verweigert, antwortet dieser: trürec ist min muot (1559,1). Dieses trürec ist weder durch die schlechten Nachrichten erklärt, die Hagen gerade erhalten hat, noch drückt es nur eine Verstimmung aus. Es zeigt an, daß Hagen, obwohl er die Worte des vergen als A n griff versteht, vorerst in seiner Passivität verharrt; trûren benennt die konfliktgeladene Situation, deren K onse­ quenzen er noch einmal abzuwenden trachtet, indem er den anderen auffordert, %e minne (1559,2) den angebotenen Lohn zu nehmen und das Heer überzusetzen. Ha­ gen ist be-leid-igt und gibt dem anderen Gelegenheit, die Beleidigung zu­

16 A lth o ff (1997), S. 2 58 -2 8 1 hat den demonstrativen Charakter von Gefühlsäußerungen in mittelal­ terlichen Texten herausgearbeitet. Es scheint mir allerdings nicht notwendig, ihn in Gegensatz zu .Spontaneität“ zu bringen (vgl. S. 274 u.ö.): Zeichenhaftigkeit schließt nicht notwendig kalkulieren­ den Zeichengebrauch ein, wodurch die emotionale Reaktion zu einer absichtlich vorgeführten, m ög­ licherweise auf Täuschung berechneten Inszenierung würde (nicht „echt“ , vgl. S. 276). Rüedegers Reaktion indiziert Kränkung der Ehre, und diese entlädt sich in einer Gewalttat. 17 In diesem Sinne wird in Eilharts .Tristrant“ Marke trürig genannt, wenn er die Bedrohung seines Landes durch Morolt nicht abwenden kann (Trt 444).

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Nibelungische Anthropologie

rückzunehmen. Als das mißlingt, schlägt die Szene in Gewalt um, die weitere Gewalt nach sich zieht. Als Innehalten vor der Gewalttat ist auch Dietrichs ,trauernde' Pose am Ende des Epos zu verstehen, wenn immer unübersehbarer wird, daß er sich aus dem Konflikt mit den Burgonden nicht länger heraushalten kann: vil harte senecliche er in ein venster sa%. Do sah er trärecliche sitzen hie den man.

(2247,2) (2309,1)

Trüren ist Ausdruck einer vorübergenden Lähmung, nicht nur im ,Nibelungenlied': Im jRother' hat K önig Constantin bei Todesstrafe verboten, daß jemand um seine Tochter wirbt, doch erlaubt er Rothers Gesandtschaft, bei H o f ihr Anliegen vo r­ zubringen. Als sich herausstellt, daß dieses Anliegen nun genau in der verbotenen Werbung besteht, heißt es: Trorich sprach do Constantin — garnieh was der mot sin — „Da% ich die rede irlovbit han, des mo% ich lange trorich stan [■ •■ ]“■

(KR 324-327)

Constantin bedauert, sich unbedacht in eine Situation gebracht zu haben, die ihm zu handeln verbietet, wie die siete verlangen würde, nämlich die Boten zu töten. Den %orn muß er im mot verschließen; trorich signalisiert nicht Mitleid mit den Boten oder Indignation über die unpassende Rede, die er hören mußte, sondern drückt den Verlust an Handlungsoptionen durch voreilige Selbstbindung aus. Beim Mordrat gegen Sivrit ist Gunthers Haltung zunächst unentschieden. E r macht Sivrits Unschuld geltend (868,if.). Die Gefolgsleute (vertreten durch Ort­ win) sind dagegen bereit, Sivrit zu opfern. Da bringt Hagen die Machtfrage ins Spiel: E r riet in allen syten Gunther dem degene, ob Sîfrit niht enlebte, so wurde im undertän vil der künege lande, der heit des trüren began.

(870,2—4)

Was heißt hier trüren und worüber {des) gerät Gunther ins trüren? de Boor psychologisiert trüren zum „Ausdruck innerer Zerrissenheit und Unsicherheit“ (S. 146). In der Tat tritt nach dieser Szene ein Schwebezustand ein (8 71,1), in dem Gunther zunächst weiter gegen das Mordkomplott argumentiert, ihm schließlich aber statt­ gibt. Insofern drückt trüren wieder den ungewissen Zustand vor dem Ausbruch von Gewalt aus. Doch hat es einen weiteren Grund. Hagen weist den K önig auf einen ,Mangel' hin: Die Reiche, die Sivrit besitzt und die, Hagen zufolge, Gunther bei dessen Tod undertän würden, fehlen ihm jetzt; die êren, die die burgondische Herr­ schaft auszeichnen, sind unvollständig, wobei Hagen einen Weg andeutet, das zu ändern; trüren ist Zeichen von Unentschiedenheit und Mangel. 210

trûren

So zeigen trûren/trûrec objektive Beschädigungen an, an denen die einzelne Figur nur partizipiert; sie sind nicht auf die psychische Dimension reduzierbar. Das zeigt sich besonders an zeugmatischen Wendungen: Wenn Rüedeger seiner Frau meldet, daß er als Bote nach Kriemhilde aufbrechen werde, um für Etzel um sie zu werben, heißt es: do w art diu marcgrâvinne trûrec unde hêr.

( i 16 0 ,2 )

Die beiden Prädikate trûrec und hêr'%scheinen nur auf unterschiedlichen Ebenen zu liegen. Der Kommentar sucht das auszugleichen, indem er paraphrasiert: „traurig und zugleich froh, innerlich erhoben“ .'9 E r bezieht mithin beide Aussagen auf eine innere Stimmung der M arkgräfin;10 aber das ist nur die eine Seite. Zu erinnern ist an die Grundbedeutung, nämlich an das Wortfeld hêrre, hêrlich\ hêr kennzeichnet einen positiven Zustand und den ihm angemessenen Habitus, wie er dem Status des Herrn gemäß ist; eine Statusbezeichnung schließt die dem Status angemessenen Attribute und Haltungen ein. Das Wort kann deshalb ebensowohl wie Emotionales die äußere Erscheinung oder Requisiten wie Waffen*19 21 kennzeichnen. Auch in Go20 telints Fall hängen diese Aspekte zusammen, und deshalb kann her Gegenbegriff zu trûrec sein. Das eine Epitheton zeigt eine Beschädigung an, das andere einen unbeschädigten Zustand. Beides betrifft nicht Gotelint allein: In Etzels Reich ist nach dem Tod Helches eine Lücke entstanden (114 3), die geschlossen werden muß (1144). Das ganze Land ist von diesem Defizit betroffen: sin voie ist âne f rende ( 1 194,2), da von i% ime lande viljâmerlîche stât (1195,2). ,Freude2 hängt vom Zustand der Herrschaft ab. Rüedegers Botschaft läßt erwarten, daß der defekte Zustand beendet wird (ergeben, vgl. 1170,3), unter dem Gotelint22 wie das ganze Land leidet: Do diu marcgrâvinne die botschaft vernam, leide, Weinens si ge%am,

ein teil was ir

ob si gewinnen solde vrouwen alsam ê.

so si gedâht' an H eichen, da% tet ir innéeliehe wê.

(116 1)

Das leit und das weinen, das der Situation angemessen ist (ge^am\), gilt der Landes­ herrin und dem andauernden Defekt, den deren Tod ausgelöst hat. Die Prädikate trûrec unde hêr zeigen nicht eine widersprüchliche Stimmung, sondern einen wider­ sprüchlichen Zustand an, der sich sogleich in Freude verkehrt, wenn Kriemhilt erscheint (Gotelint: 1313,4 ; das Land: 1379,2-4). ’ ’ So nicht in Ca; ähnlich jedoch 1222,1 (nach B) Criembilt div here vnd vit trvrech gemvt\ dagegen C 124 9 ,: arme (Batts, S. 37 2 f.; vgl. 12 2 5,1). 19 De Boor, S. 189. W orauf genau sich das „innerlich erhoben“ beziehen soll, bleibt im Dunkeln. 20 In der Tat erlaubt hêr diese Konnotation: Lexer I, Sp. 2 5 1; vgl. her = (roh 1534 ,3: die Wasserfrauen; 15 38 ,1: Hagen über die günstige Prophezeiung. 21 86,4; 409,2; 133 7 ,3; 1595,2. 22 Der Zusammenhang wird in derselben Strophe hergestellt: si gedâhte minnecliche an der schienen Hetchen tip (1160,4).

Nibelungische Anthropologie

Solch eine Verklammerung von Freude und Trauer mit überpersonalen K o n ­ stellationen scheint im späteren Mittelalter schon nicht mehr selbstverständlich ge­ wesen zu sein. In der Handschrift D wurde deshalb die Aussage, das Land sei âne freude (i 194,2 nach A B ), durch diejenige, es sei ane vrouwen, ersetzt.15 Der Verlust der Landesherrin und der der Freude sind nicht mehr fraglos identisch. Hier verengt sich die Aussage auf den öffentlich-politischen Aspekt, dem nicht mehr automa­ tisch ein bestimmter Gemütszustand zugeordnet wird.

Spannung von ,außen“ und ,innen“ Die Abkehr von neuzeitlichen Psychologisierungsbemühungen bedeutet keines­ wegs Reduktion auf die politische Dimension der Handlung. Diese würde nämlich genau die Trennung in .private“ und .öffentliche“, .innere“ und .äußere“, .individuelle“ und .soziale“ Komponenten voraussetzen, die eine historisch argu­ mentierende Anthropologie suspendieren muß.14 Beides hängt eng zusammen. Auch wo sich eine Spannung zwischen den beiden Polen andeutet, bleibt der Z u ­ sammenhang anschaubar. Gunther ist nach seiner mißlungenen Hochzeitsnacht trürec in einer Umgebung, in der Freude herrscht (wol gehörte), und dies, obwohl es auch für ihn angesichts der Festkrönung passen würde, Freude zu zeigen: swie wol man da gehörte, trürec was genuoc der herre von dem lande, swi er des tages kröne truoc.

(643,3f.)

Dieser Widerspruch zwischen Gebärde und Gunthers beschädigtem Selbstgefühl ist beim Auftritt under kröne nicht erkennbar. Zeremonie und Haltung sind kongruent; sie drücken Freude aus (645,4 vrœlîchen). Das Prädikat vrcelichen findet sich freilich nur in einigen Handschriften, die übrigen konzentrieren sich allein auf das Äuße­ re. 15 Eine .subjektive“ Deutung der öffentlich anschaubaren Freude16 wird in diesen Handschriften also explizit ausgeschlossen - Zeichen einer sich anbahnenden D is­ soziation. Doch kommt Gunthers verborgenes trüren beim Turnier ans Licht, in-*24 6 M Nach Batts, S. 362F. 24 Einige Kritiker .bürgerlicher“ Psychologie setzen diese Trennung weiterhin voraus, wenn sie ihre Interpretation nur statt auf die .Charaktere“ auf die politisch-sozialen .Rollen“ gründen und die Figuren auf „Verkörperungen des adligen Herrschaftstypus“ reduzieren (Grenzler, 1992, S. 178). Solche Deutungen sind eindimensional: Bis in die Schlußszene hinein geht es bei Grenzler immer nur um Politisches wie die Wahrung des herrscherlichen Status; vgl. Formulierungen wie „das in dem Tarnmantel enthaltene herrscherliche Potential“ (S. 188); selbst der Beischlaf wird als .nichtöffent­ liches Herrschaftshandeln“ betrachtet (S. 197) u.ä. 11 N ur in BDbd (vgl. auch zum folgenden: Batts, S. 195). Dagegen heißt es in A , daß man schone sich zeigt, in Ca loheliche, in IQh herlichen. 26 Vgl. den Gegenbegriff unvraliche (852,4), auf Prünhilts öffentliche Kränkung bezogen: Beide Male geht es um Intaktheit oder Kränkung des Status in der Öffentlichkeit des Hofes.

212

Spannung von ,außen' und , innen'

dem er sich von der allgemeinen Freude ausschließt (647,4). Ginge es um sein psychologisches Geschick - ,das Geheimnis seiner Ehe zu wahren“ - dann wäre es unklug, sich vom Turnier fernzuhalten. Aber trürende ist eben mehr als eine bloße Stimmung, die man unterdrücken könnte, nämlich Ausdruck eines objektiven Sachverhalts. Gunthers defizienter Status zeigt sich in einer eingeschränkten Reprä­ sentationsfähigkeit und wird damit für den, der wie Sivrit genau hinsieht, sichtbar/7 Der Defekt kommt in einer Situation zum Vorschein, in der Gunther weniger eng ins kollektive Ritual eingebunden, nicht nur K önig, sondern auch Ritter ist. Beim Turnier zählt nicht ererbter Rang, sondern allein persönliche Überlegenheit, während im Krönungsritual Gunther die geforderte Freude noch normgerecht zei­ gen konnte. Von Sivrit nach dem Grund befragt, hebt er die öffentlichen K onse­ quenzen seines Versagens als Ehemann hervor, die Beschädigung seiner Ehre: ich ban laster unde schaden (649,1). Wenn Sivrit ihm dann Abhilfe verspricht, fühlt er sich folgerichtig als Herr und K önig wiederhergestellt: der rede was do Gunther nach sinen arbeiten her.

(6 51,4)

Wieder ist Antonym zu trürec jenes her, das inneren Zustand und äußeren Status umgreift. So ist es auch in erster Linie der K önig, der im Bett schließlich die Oberhand behält: Prünhilt redet ihren Bezwinger, den sie für Gunther hält, förmlich an: kiinic edele, du soit mich leben làn (678,1). Danach bleibt von Gunthers trûren nichts zurück; es gibt kein persönliches Verhältnis der Eheleute, das durch die peinliche Erinne­ rung gestört werden könnte, nicht einmal durch den Vergewaltigungsakt, der spur­ los an Prünhilt vorüberzugehen scheint. Am nächsten Morgen ist Gunther nicht mehr von der allgemeinen Freude ausgeschlossen, und weil sein königliches Selbst­ bewußtsein wiederhergestellt ist, ist auch das ganze Land in Harmonie: Der wirt wart an dem morgen verrer ba%gemuot danne er da vor wäre, des [ ! ] wart diu vreude guot in allem stnem lande (685,1—3) Unterschieden werden nicht ,innen“ und ,außen“, ,öffentlich“ und ,privat“, sondern verschiedene Ansichten eines einmal defekten, einmal intakten Zustandes. Gleichwohl kann man sich auf die Fassade nicht verlassen. Zwei verwandte Sze­ nen spielen die Alternative durch: Die Sachsen haben den Burgonden den Krieg erklärt. Das ist Gunther leit (148,1; 153,1). E r ,klagt“ es seinen Gefolgsleuten, damit sie die Herausforderung auch als ihr leit erkennen (da% lat iu wesen leit, 149,3). Bis sich eine Lösung abzeichnet, geht Gunther trürende umher (153,2; vgl. 158,1). Die Kriegserklärung beschädigt das harmonische Gleichgewicht burgondischer Herr­ schaft. Durch sein trûren provoziert Gunther Sivrits Frage:17 17 Es ist also nicht nötig, mit de Boor anzunchmen: „Danach war Siegfried auch in diesem Fall über Brünhild und ihre Stärke im klaren und hatte Gunthers Mißerfolg vorausgesehen“ (S. 112).

N ibelm gische Anthropologie

wie ir so habet verkêret die vrcelichen sit der ir mit uns nu lange habt alher gepflegen.

(i 54,2f.)

Die Frage zeigt, daß Sivrit nicht eine individuelle Gemütsregung Gunthers beob­ achtet, sondern den Zustand des Hofes {sit), der sich in der Haltung des Königs spiegelt.18 E r fragt nach dem Grund der Störung und erfährt vom Krieg. Sein Angebot zu helfen befreit den König aus seinem trüren und stellt seine Freude (157.3) und damit die des Hofes wieder her; Gunther kann höhen muot tragen

(174.3)

-19 Gunthers trüren bei der Kriegserklärung war wohlbegründet. Wenn er später jedoch mit Hagen einen zweiten K rieg gegen die Sachsen nur vortäuscht, ist ebenso von %orn und trüren die Rede. Wo er den Anlaß doch selbst erfunden hat, sollte Gunther keinen Grund haben, der eigenen Lüge zu glauben. Doch als man ihm die falsche Kriegserklärung bringt, tritt eine ähnliche Reaktion wie zuvor ein: der künic begonde filmen do er diu mare bevant.

(880,4)

Der srorn ist anschaubare Gebärde; kein Blick hinter die Fassade ist erlaubt. Erst der Redaktor von *C arbeitet den Riß zwischen dem nach außen zur Schau getragenen Verhalten und dem, was dahinter steht, heraus: do begunde fernen Gunther, als ob e% ware im vnbechant.

(C 888,4)

In der Vulgatfassung dagegen ist Gunthers Haltung zwar simuliert, doch von der echten beim ersten Mal ununterscheidbar, und wie beim ersten Mal fragt Sivrit deshalb: wie gât sö trürecliche der künic unt sine man?

(883,3)

Erzählt wird überhaupt nicht, was Gunther empfindet, sondern was er vor den anderen zeigt. Der nach außen gewendete Gestus kann fehlinterpretiert werden. Wenn Gunther auf Sivrits Hilfsbereitschaft beim fingierten Sachsenkrieg reagiert, tut er nur so, als ob er ernstliche der helfe wäre vrö. in valsche neig im tiefe der ungetriuwe man.

(887,2f.)

Das Auseinandertreten von Körperzeichen und bezeichnetem Affekt ist nur als ein perfides Täuschungsmanöver vorstellbar; Gunther ist ungetriuwe. Der Gestus des trüren bemäntelt eine verräterische Intrige. Mit dem als ob spalten sich ,innen' und ,außen'. Dieses Auseinandertreten ist eine große Entdeckung der volkssprachlichen Literatur um 1200. Reflektiert wird es im hohen Minnesang, in Liedern, in denen das werbende Ich die Wahrheit seines21 21 Vgl. Czerwinski (1979), S. 66. 29 Von de Boor wird diese Aufforderung mißverstanden, wenn er sie wieder nur auf Gunthers Befinden bezieht: „hier nur ,seid zuversichtlich2, ohne höfischen Beiklang“ (S. 35).

Spannung von ,außen' und, innen'

Fühlens - des Liebesschmerzes - gegen die Körperzeichen behauptet, die ihn zu dementieren scheinen durch die pflichtgemäß zur Schau getragene Freude. Der Sänger, der vor der Gesellschaft vom leit seiner mitine spricht, muß die höfische Form wahren, sein leit, mit Reinmar zu reden, schöne [ ...] getragen (MF 163,9); wenn er aber die Form wahrt, dann könnte dies heißen, daß er gar nicht leidenschaftlich liebt. So muß er unablässig sagen, was er nicht zeigen darf, muß versichern, daß er tatsächlich empfindet, was er nicht ungefiltert aussprechen darf; er muß dissimu­ lieren und darauf deuten, daß er dissimuliert. Dies kunstvoll im Lied vorzuftihren, ist Leistung höfischer Selbstkontrolle und erlaubt zugleich die Artikulation von mime als einer nie in vollem Sinne gesellschaftlich vcrrechenbaren, inneren Erfah­ rung.30 Nur der Ausgangspunkt ist im .Nibelungenlied' vergleichbar, die Antwort auf jene Dissoziation aber geradewegs entgegengesetzt, denn im Minnesang erscheint unter positivem Vorzeichen, was hier tückische Verstellung ist. Ist dort dissimulatio zivilisatorische Leistung, die die Ausdifferenzierung einer von den .anderen' ab­ gewandten Sphäre innerer Erfahrung erlaubt und Stimulus einer paradoxen Kunst­ praxis ist, so ist sie hier Betrug. Was sich nach außen abschirmt, ist keine neue ,Innen‘-Dimension, sondern etwas, das das Licht scheut. Selbst Kriemhilts Schmerz um Sivrit ist nie bloß nach innen gewendet, immer auch körperhaft gedacht und entzieht sich deshalb nicht völlig der Wahrnehmung: man hörte hie fallen ißten Kriemhilde klagen, da'.i ir niemen tröste da% her^e unt ouch den muot, e% enteete Giselher [ ...] . (1099,2-4) Nach der Hochzeit mit Etzel müßte freilich, wenn man die übliche Konvergenz von Affektgebärde und Situation zugrundelegt, mit der Wiederherstellung ihrer êren Kriemhilts leit verschwinden. Bekanntlich ist das von Anfang an nicht der Fall. Beim Hochzeitsmahl mit Etzel muß sie ihre Tränen verbergen. Was sie insgeheim denkt, tritt also sogleich nach außen und muß, für diesmal erfolgreich, vor den anderen verborgen werden. Auch wenn sie ihre glänzende Stellung neben Etzel schon lange eingenommen hat, weiß Dietrich von ihr: Kriemhilt noch sere weinet den heit von Nibelunge lant.

(1724,4)

Die Könige können, um der vrouwen Kriemhilde muot zu erfahren, Zeugen befragen; Dietrich warnt: ich hare alle morgen weinen und klagen mit jâmerlîchen sinnen da%Et^elen wip dem riehen got von himile des starken Sifrides lip.

(1730,2—4)

,0 Vgl. das Glaubwürdigkeitsparadox bei Reinmar, etwa M F 16 5,10 ; 170,36 u.ö.

Nibelungiscbe Anthropologie

Diese Klage um Sivrit vollzieht sich nicht vor den anderen und für die anderen wie etwa bei seinem Begräbnis: Kriemhilt ist mit sich und Gott allein. Trotzdem kapselt sich kein ,Inneres' ab. Dietrich muß nicht mühsam entziffern, was Kriemhilt heim­ lich fühlt, sondern er kann sie hören. Entzifferung einer sich dissimulierenden Körpersprache gehört dagegen zu den wichtigsten Problemfeldern höfischer Didaxe und folgerichtig zu den Konstitutionsbedingungen des neuzeitlichen Romans. Im ,Nibelungenlied' ist dissimulatio nichts als Verrat. Kriemhilts (vergeblicher) Versuch, ihren Schmerz zu verbergen, ist Hinterlist wie Gunthers vorgetäuschtes trüren. Ihre Einladung an die Verwandten greift offen zu Mitteln der Täuschung. Den Boten befiehlt sie: den suit ir niht verjehen/da^ ir noch ie gestehet betrüebet minen muot (14 15 ,2f.). Das setzt voraus, daß der Schmerz, den alle êren bei Etzel nicht vertrieben haben, auch den Boten sichtbar war. Der muot tritt an die Oberfläche und ist anschaubar, aber er darf es nicht für alle sein. Was heimlich getan oder gesagt wird, ist einigen zugänglich und schließt andere arglistig aus.

herben jdm er - her^eliebe Heftige Emotionen treten nach außen, etwa in den exzessiven Klagegebärden nach Sivrits Tod. Am expressivsten sind diejenigen Kriemhilts: Ohnmacht, Schrei, Blut­ sturz. Doch ist Schmerz nicht Sache einer einzelnen: mit klage ir helfende manic vrouwe was (1067,2). A lle % ir gesinde klage te unde schrê m it ir lieben vrouwen, wände in was harte wê [ . . . ] .

( 1 0 1 3 , if .)

Sigemunt der herre den fü rsten umbeslö do w art von sinen vriunden der jä m e r also grö% da% von dem starken wuofe pa las unde sal und ouch d i stat %e W orm \e von ir weinen er schal.

(10 25 )

lu enkunde niemen d a \ wunder volsagen von rittern unt voji vrouwen, wie man die hörte klagen, so da% man des wuofes w art in der stat gewar. die edelen burgare die körnen gähende dar.

(10 36 )

V il lute sehnende da% Hut gie mit im dan (1065,1) und: mit ungefüegem leide vil des Volkes ranc (1064,2). Der Schmerz stellt sich in der Kasteiung des Körpers dar: A ne e^gen und âne trinken beleip da manic man.

( 1 0 5 8 ,1 )

Deshalb setzt auch der Körper der Trauer ihr Maß: der dreitägige Verzicht auf Speise und Trank ist nicht länger durchzuhalten: doch mohten si dem libe so g a r geswichen niht: si nerten sich nach sorgen, sö noch genuogen geschiht.

216

( 1 0 7 2 ,3 6 )

herben jâ m er - her^eliebe

Die Trauer ist zu Ende, wenn ihre öffentlichen Zeichen getilgt werden. So gilt das jedenfalls im allgemeinen. Kriemhilts Schmerz aber ist in dieser Welt kollektiver und sichtbarer Affekte etwas Besonderes. Ausgedrückt wird das zuerst, wenn Kriemhilt Rache und Klagehilfe der Verwandten Sivrits ablehnt. Ihr /«/w ird mehr­ fach herben jâm er genannt.51 Der hertçen jâm er verlegt Ursprung wie Äußerung des Schmerzes ins (weiterhin körperhaft gedachte) Innere der Person. Insofern er­ scheint er - wie die Kriemhiltgestalt insgesamt - als ein Fremdkörper in der nibelungischen Welt. Was Kriemhilt von anderen Figuren unterscheidet, scheint neu­ zeitlichen Erwartungen näher zu stehen, doch ist Vorsicht geboten, wenn man darin die ,eigentliche', ,tiefere' Schicht des Werks zu entdecken glaubt.52 Vor allem ist daran zu erinnern, daß überhaupt erst durch den Verlust, den Mord an Sivrit, aus einer dynastischer Konvenienz und höfischem Comment gemäß geschlossenen Ehe die ausschließliche Verbindung wird, in der die Forschung .Liebe' zu erkennen glaubt.55 Das Spektrum von jâm er deckt ähnlich wie das von leit persönliche wie über­ persönliche Phänomene ab.54 So kann die kollektive Trauer um Sivrit (1025,2) oder die um Rüedeger (2241,4) jâm er heißen, jâmerlîche der Zustand eines Landes nach dem Tod der Königin genannt werden (1195,2). A u f inneren Schmerz bezogen wird jâm er erst in Kombination mit her^e. Diese und verwandte Kombinationen legen eine Spur durch den zweiten Teil des Epos, die auf Kriemhilts Motiv für die Unerbittlichkeit ihrer Rache hinleitet: dö was ir da% berste so grauliche wunt: e% künde niht verväben, swa% man ir trôstes bot. si bete nach liebem vriunde die aller grasjsten not, Die nach liebem manne ie mêr wip gewan.

(1104,2-1105,1)

Die Bedeutung, die dem berste zugemessen wird, führte man auf den Einfluß der zeitgenössischen höfischen Literatur zurück.55 Mit berste wird dort das Innere als Bühne entdeckt, auf der unterschiedliche Antriebe, unterschiedliche Werte, Frauenund Gottesdienst, Minne und Ehre, miteinander streiten; das ber^e ist eine der Instanzen des Ich, Gegenpart z.B. des Ifp, mit dem es um die Vorherrschaft kämpft, und es ist - zumal bei Walther von der Vogelweide - Inbegriff und Sitz all jener

’ ’ Zcntralbegriff in Wolfs (1995) Interpretation des .Nibelungenliedes*; vgl. S. 400; 422 u.ö. ’ * So vor allem Schröder (1968), S. n j ; 2 0 4 -2 10 u.ö. Die Beweisführung ist oft zirkulär: Schröder legt zunächst allgemein riuwe, smer^e und ähnliche Bezeichnungen auf Seelisches fest, um dann an den angeführten Stellen solch Seelisches zu .entdecken*, während Bedeutungsalternativen marginalisiert werden. ” Kritisch hierzu Frakes (1994), S. 1 3 3 —1 35; 152; 156 u.ö. ,4 In der Forschung besteht die Tendenz, jâm er stets mit „Herzeleid“ zu übersetzen und zum Zentrum von Kriemhilts Racheaktionen zu erklären (vgl. etwa Schröder, 1968, S. 204). ” W olf (1987), S. 188 hat auf Kriemhilts Verwandtschaft mit den .modernen* Frauengestalten des hö­ fischen Romans hingewiesen.

217

Nibelungische Anthropologie

affektiven Antriebe, die bloß konventionelle Werte der höfisch-feudalen Gesell­ schaft wie Stand, Geburt, Schönheit, Reichtum in Frage stellen. Auch wo die A us­ einandersetzung nicht szenisch-dialogisch zwischen personifizierten Instanzen des Ich erfolgt, ist das Ausagieren von inneren Konflikten eine der großen Entdekkungen der neuen volkssprachlichen Dichtung. Man wird aber deren Bedeutungsvielfalt und -tiefe nicht ohne weiteres auf das ,Nibelungenlied* übertragen dürfen. Häufig ist zwar das Vokabular übernommen, nicht aber das damit verknüpfte Konzept. Sicherlich, es ist her%eliebe[] minne, die Sivrit in Worms hält (294,2), und er trägt Kriemhilt in herben (134,1). Doch wenn gesagt wird, daß auch er selbst durch herben liebe das Begehren auf sich lenkt, dann ist damit keineswegs die Liebe Kriemhilts gemeint, sondern die Wünsche anderer Frauen (manec frouwe). Sw enri er b l den beiden u f dem hove stuont, also noch die liute durch kur^ew ile tuont, so stuont so minnecltche da% Siglinde kint, da% in durch herein liebe träte manec frouw e sint.

(135)

Das heißt, her^e liebe wird von konventioneller minne, jener auf überpersonale Werte gerichteten Zuneigung auf Abstand, die auf Bewunderung der Erscheinung beruht, dem Gesellschaftsspiel, von dem sich her^eliebe bei Walther z.B. gerade absetzt, nicht unterschieden. Sivrits ausschließlich auf Kriemhilt gerichteter, zwischen Hoffnung und Ver­ zagen schwankender Dienst gleicht viel eher dem konventionellen Gegenkonzept zur hersçeliebe, nämlich verzweifelter hoher minne, obwohl Sivrit selbst beteuert, sie komme von herben (136,3). Der Verlauf seines Dienstes (diu ist mir noch vil vremde: des muo\ ich trûric gestän, 136,4; er leit ouch von ir minne dicke michel arebeit, 137,4) zitiert geradezu floskelhaft, was man an Wirkungen der hohen minne zuschreibt.56 Kriem ­ hilt umgekehrt nennt her^eliebe auffälligerweise Etzels Verhältnis zur Königin Helche, das doch der Erzähler eher als eine gewiß vorbildliche, doch konventionelle dynastische Verbindung, als kollektive Angelegenheit des ganzen Landes vorge­ stellt hatte: wa\ sold’ ich einem man, der ie her^eliebe von guotem mbe gewan (i2i8,3fi). Selbst wenn man in Kriemhilts Worten eine Projektion ihrer eigenen Liebe zu Sivrit (vgl. i238,3f.) auf den Hiunenkönig sieht, bleibt der Eindruck terminologischer Sorglosigkeit: daß das her^e gerade da bemüht wird, wo im allgemeinen die K o n ­ vention herrscht. Wenn sich also Elemente der Psychologie höfischer Literatur finden, so fehlt im allgemeinen deren semantische Differenzierung. Ihr Vokabular wird meist unter­ minologisch gebraucht. Die Bedeutung von her^e kann manchmal so verblaßt sein, daß es nur noch Adverbien wie sêre oder fa st ersetzt, zwecks Verstärkung eines ,6 Das bestätigt übrigens auch eine Variante zu 1 37, 4 in drei Handschriften (CD b), die minne durch hohe minne ersetzt (Batts, S. 4zf.).

218

herben jâ m er - her^eliebe

Sachverhaltes oder zur Kennzeichnung einer besonderen Intensität: » W er nach starkem leide sin her^evient was (2358,3). In ähnlichem Sinne kann hergeleit jeden besonders schmerzhaften Zustand meinen, etwa den der großen räumlichen Ent­ fernung von den Blutsverwandten (741,4). Auch kann her^e metonymisch für an­ dere Instanzen des Ich stehen, ohne daß eine emotionale Vertiefung angesprochen ist, wenn etwa über die jungen Ritter und ihren Spaß an Ritterspielen gesagt wird: den ir tumbiu her^e gäben höhen muot (809,3). Man wird also das höfische Vokabular nicht allzusehr mit den Konnotationen der höfischen Dichtung belasten dürfen. Überdies ist berste nicht einmal immer positiv besetzt. Das Innere ist nicht der Schauplatz einer neuen Sensibilität, sondern ein verschlossener Raum, in dem Ver­ rat vorbereitet werden kann. Was Prünhilt bei sich über Kriemhilts Stolz und des .leibeigenen' Sivrit Pflichtvergessenheit denkt, ist Motor einer verhängnisvollen Intrige: das truoc si in ir herben unt wart ouch wol verdeit (725,1). Wenn das, was sie für sich behält, nach außen tritt, hat das katastrophale Folgen.57 Kriemhilts Rache­ wunsch wird wille[] in ir herben genannt (1396,1); sie will ir herben leide [ ...] niht vertragen (1960,2). Das her^e ist der Ort sorgfältig geheimgehaltener Pläne, Denken hat die Form eines geheimgehaltenen Selbstgesprächs (1397,4).58 In der Bearbeitung *C, die das mit her^e angezeigte Innere häufiger ins Spiel bringt, steht her^e einmal genau an der Stelle, an der die Vulgatfassung von Einflüsterung des valant spricht ( 1 394,if.): Sine chvnde ovch nie vergeben, swie wol ir anders was, ir starchen hercen leide, in ir hercen si e% las mit iamer stallen stvnden, da% man sit wol bevant. do begvnde ir aber salwen von heilen traben ir gewant.

(C 1421)

Das her^e, die innere Instanz, die sich gegenüber den vielen äußeren Abhängigkei­ ten durchsetzt, ersetzt an dieser Stelle die dunkle, ich-ferne Determination durch den Satan. Gewiß ist dies programmatische Umwertung, trotzdem zeigt sie die ursprünglich negative Besetzung der Stelle an, an die das her^e rückt. Sie meint einen unheimlichen Ort heimlichen Planens, von dem die Zerstörung sozialer Ord­ nung (triuwe) betrieben wird. Erst der Bearbeiter von *C neutralisiert diese Un­ heimlichkeit (vgl. aber C 1421,3!), und der Dichter der ,K lage1 verwandelt ihn, wie zu sehen war, wieder in den Sitz von triuwe, einer triuwe freilich, die ihrer sozialen Implikationen weithin entkleidet ist.5917 17 Zw ei Zusatzstrophen - C 821 (auch Jad) und 822 (auch Jadh) - machen noch deutlicher, daß das herçe ein Versteck ist, in dem nur mühsam zurückgehalten werden kann, was nach außen drängt: ine mac n iht langer dagn (C 8 2 1,1) und da% i r lach am m e hercen %e lieh t e% mvse chomen (C 822,3; v gl- Batts, S. 244­

247)­ *'

S i [g e ]d ä h t[e ] (139 1,4 ; I J 92. 1 : * 396»2; '

399. 1 ; 1400,4). ,9 Die ersten drei Verse weichen in der Vulgatfassung ab; sie beginnen mit Ich w ane der übel valant K riem h ilde da^ geriet-, zur Deutung dieser Szene S. 2 3 1; zur Uminterpretation von triuw e in der ,Klage* S. 16 8 -17 0 .

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Nibelungische Anthropologie

Zu den problematischen Konsequenzen des herben jä m e r gehört, daß Kriemhilt mit ihrem Schmerz in die Isolation gerät. Sie muß ihn allein und gegen alle anderen aushalten. Angezeigt ist das anfangs in ihrem Rückzug in die Nähe der Grabstätte, im unermüdlichen Dienst für den Toten, in der Beschränkung des Umgangs auf wenige Verwandte. Mit den Tränen der suone, die gemeinschaftlich, also von Kriem ­ hilt und Gunther nebst beider Anhang, vergossen werden, scheint der Versuch gelungen, Kriemhilt aus der Isolation des herben jä m e r zu befreien. Da es keinen Blick ins Innere der Beteiligten gibt, muß suone als verbindliche Versöhnung auf­ gefaßt werden. Hinter dem Ritual gibt es nichts. Erst der Redaktor von * C nennt die suone m it valsche gefvget ( C 1128,2); hier bleibt das betrat vom öffentlich vollzo­ genen Akt ausgeschlossen: m in munt im g ib t der svne; im w irt da% berce nim m er holt ( C 1124,3h ). Davon weiß die Vulgatfasung nichts. Durch die vermeintliche Wieder­ gutmachung der Verbrechen, die Heirat mit Etzel, wird der jä m e r aber auch dort nach ,innen4, ins berede abgedrängt. In die Schilderung vom Aufbruch der Burgonden hat der Erzähler eine Voraus­ deutung künftigen Unheils eingefügt: die Sîf rides wunden täten Kriembilde wê.

(1523,4)

Das ist paradox formuliert, denn niemand kann den körperlichen Schmerz eines anderen wirklich spüren. Es muß also noch Verletzungen von anderer als körper­ licher A rt geben. Das ist die Entdeckung der höfischen Literatur, ausgelegt in der Vorstellungswelt einer Kriegergesellschaft. Unkörperliche, doch nicht weniger schlimme Verletzungen — die Trauer um Sivrit - werden in der Metapher eines physischen Schmerzes gefaßt. Das ist in der Heroenwelt provozierend unverständ­ lich. Hagen bringt es brutal auf den Punkt, wenn er an die Vergänglichkeit kör­ perlichen Schmerzes erinnert und daran das Fortdauern von Gefühlen bindet: Si mac wol lange weinen [...] er lit vor manigemjâre %e töde erslagene. den künec von den Hiunen sol si nu holden haben: Sifrit kumt niht widere [ ...] . (1725) Dietrich antwortet in derselben Vorstellungswelt: Die Sîfrides wunden lä^en wir nu stén.

(1726, 1 )

Doch beide verkennen, daß S î f rides wunden auch diejenigen Kriemhilts sind und daß man sie deshalb keineswegs auf sich beruhen lassen kann. Ein solches Leiden muß in der frühen feudalen Epik über die Körpermetapher allererst verständlich gemacht werden. Ähnlich Eilharts ,Tristrant‘ zur Bezeichnung einer höfischen Intrige: do w art âne wundin/T ristra n t sêre vorsnitin (Trt 3o82f.) oder sogar noch spätmittelalterliche Texte ekstatischer Frömmigkeit, die vom Gläubigen fordern, Christi Passion am eigenen Leib nachzuerleben, nicht nur als geistige Erfahrung, nicht einmal nur in intensiver Imagination, sondern als körperlichen 220

D ie arme Königin

Schmerz. Um die Wunden Christi wirklich zu spüren, wird manchmal sogar emp­ fohlen, den eigenen Körper zu verletzen.404 1 Die somatische Bindung von compassio ist also selbst in der spätmittelalterlichen Passionsfrömmigkeit nicht völlig aufge­ geben. In analoger Weise umschreibt die kühne Metapher von Kriemhilts Leiden an Sivrits Wunden ein psychisches, sich gleichwohl körperlich-wahrnehmbar äußern­ des Syndrom. E s ist in einer Welt, in der Schmerz konkrete Körpererfahrung ist, höchst befremdlich. Versteht man die Wendung nur als Umschreibung eines rein innerseelischen Vorgangs, dann tilgt man die Auffälligkeit, ln diametralem Gegen­ satz zu spiritueller Frömmigkeit ist dieses Mit-leiden freilich zerstörerisch; es sprengt alles Erwartbare. An Kriemhilt arbeitet der Erzähler eine Seite heraus, die in der Welt des .Nibe­ lungenliedes* ganz unwahrscheinlich ist und deshalb von allen verkannt wird. Was man als ihre unverbrüchliche Liebe und Treue gegenüber Sivrit aus den Hand­ lungskonstellationen erschloß, besetzt einen Raum, der im Epos als dunkle Leer­ stelle erscheint. E s ist das berste, einerseits aus der höfischen Dichtung als Ort einer neuen Kultur der Innerlichkeit bekannt, doch auch ein verschlossener Ort heimli­ cher Gedanken und Pläne, die nicht offen eingestanden werden können. Der Unter­ schied zwischen Gunthers Lüge und Kriemhilts dissimuliertem jäm er ist nur gra­ duell.

Die arme Königin Im .Nibelungenlied* weist ein älteres Modell der Auswendigkeit psychischer Vor­ gänge Brüche auf, so daß seelische Vorgänge, die sich in ihm nicht verrechnen lassen, andeutungsweise, doch nur im Modus der Negativität aufgenommen wer­ den. Dies zeigt sich an der Wendung Kriemhilt diu arme (1053,1). Man ist geneigt, arm als Aussage über ihren herben jäm er zu nehmen, doch hat das Epitheton arm eine sehr viel umfassendere Bedeutung.4' E s schließt subjektives Befinden und ob­ jektive Sachverhalte ein, ohne daß beides voneinander zu trennen wäre. Den Blick dafür kann die ,Kudrun* schärfen. Auch Kudrun wird in der Gefan­ genschaft gotes armiu genannt.4* Das bezieht sich auf ihre Situation insgesamt: Sie ist Waise (K 1217,4), deren Vater erschlagen wurde, sie ist getrennt von Herwic, dem sie zur Ehe versprochen war, getrennt von ihrer Mutter und ihren übrigen Ver­ wandten, hat ihren Besitz verloren, soll zur Heirat mit ihrem Entführer gezwungen werden und leistet, weil sie sich weigert, unwürdige Dienste einer Magd: Gott

40 Schuppisser (1993), S. 189-191. 41 Vgl. die Dokumentation im Frühnhd. W b II, Sp. 10 0 -119 , deren Grundlinien sich schon mhd. nachweisen lassen. 4* K 1 1 7 1 , 1 ; K 1209,1; so auch Hilde, nachdem sie ihre Tochter Kudrun verloren hat (K 929,4).

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Nibelungische Anthropologie

scheint sie verlassen zu haben (K 1036,3). Von dieser vielfältigen Begründung für arm wird insbesondere der Verlust ihrer königlichen Stellung in den Vordergrund gerückt. Bei ihrer Ankunft in Ormanie läßt sie sich die Dienste Hartmuots gefallen, obwohl sie ihn doch als Entführer verachtet: ja nam ouch diu arme den dienst von im durch ère

(K 975,3),

denn Hartmuots Geste stellt für einen Augenblick die Stellung {ère) wieder her, die sie —diu arme —verloren hat. Synonym zu armiu meit (K 979,1) ist eilende meit (K 989.1) ; eilende ist Kudrun, weil sie von dem Sozialverband getrennt ist, in dem man sie anerkennt und von ihrem Rang weiß.45 Die Gewalt, die Gerlint, die Mutter Hartmuots, gegen Kudrun braucht, zielt vornehmlich auf die Erniedrigung der Königstochter: von allen höhen dingen w il ich dich swachen unde scheiden.

(K 999,4; vgl. K 1062)

Das gelingt: jâ mohten st ir adeles niht genießen (K 1007,4). Die Wiederherstellung (erget^en) ihrer königlichen Stellung ist nur um den Preis der Ehe mit Hartmuot zu haben (K 1028,3); weil Kudrun ablehnt, bleibt sie arme1.1 ingesinde (K 1190,3; K 119 4 .1) . Wie konkret dieser Status gefaßt ist und wie wenig er bloß als verzweifelte Niedergeschlagenheit verstanden werden darf, zeigt sich, wenn sich die Rettung ankündigt. Kudrun wird durch die Botschaft eines Engels auf das Erscheinen ihrer Befreier - des Verlobten und des Bruders - vorbereitet (K 1206,2). Doch wenn die beiden dann endlich kommen, freut sie sich nicht, sondern bemerkt erst, wie arm sie ist. Sie ist beschämt und möchte fliehen: D o sprach diu jäm ers riche: „owe, ich armiu meit [ . . . ] sint e% die boten Hilden, suln mich die sus hie vinden waschen ü f dem griene, da% laster künde ich nimmer überwinden.

(K i2o8,i;3f.)

Der Gegensatz zwischen dem Status der vil edelenfrouwen einst und der Erscheinung als arm e[in gesin de jetzt (K I2i6,2f.), als gotes armiu [ ...] in disen großen schänden (K 1209,1; 4), ist für Kudrun so unerträglich, daß er sogar fast die Rettung vereitelt: Lieber als im Zustand der Erniedrigung gesehen zu werden, wolle sie bleiben, was sie ist (ê wolte ich immer heilen ingesinde, K 1209,4). Auch die Gefährtin traut sich in einer so heiklen Sache nicht zu raten (vgl. K 1210,2). Erst als die Retter sie durch ander magede ère zu bleiben beschwören (K 12 15 ,3 ; vgl. 1214,3), wartet Kudrun wenigstens ab, bis sie näherkommen. Im anschließenden Gespräch wird das Wiedererkennen immer wieder verzögert, damit Kudruns defizienter Status - Kleidung, Entfernung von der Heimat und von den Verwandten (die vil armen weisen, K 1217,4) - stets aufs neue betont werden 4 1* 41 Deshalb geht eine Formulierung wie doch müejet mich min eilende sere (K 1040,4) nicht in einem „Gefühl des Fremdseins“ (K S. 209) auf.

222

D ie arme Königin

kann. Sie muß zuerst in ihrem früheren Rang wiederhergestellt werden, bevor die Rettung beginnt. Gewiß sind auch in ihrem jetzigen Zustand noch Adel und Schönheit sichtbar. Die Ankömmlinge erkennen Kudrun zwar nicht, doch ver­ muten sie bei ihrem Anblick, sie sei von königlichem Rang: ir mähtet kröne tragen [ ...] ir soltet landes frouwen sin mit größer ère (K 122 2 ,1; 3). Als schcene fromven Damen also - (K 1224,3) reden sie Kudrun und ihre Gefährtin an. Aber auch sie rechnen offenbar mit einer Standesdifferenz zur armen Kudrun, weshalb sich die beiden Männer, um diese zu verringern, nicht als Könige, sondern nur als eines küniges ingesinde vorstellen (K 1228,4). Kudruns Erniedrigung trübt auch den Blick ihrer Befreier: Kûdrûn diu arme (K 1240,3), diu arme meit (K 1246,1), die vil armiu (K 1277,2), wird nicht einmal vom eigenen Bruder wiedererkannt. E r befindet im Gegenteil: sie ist miner swester nindert anelich\ denn die war eine so schcene maget wie keine sonst auf der Welt (K 1239,2; 4).44 Die psychologisch naheliegende Erklärung, man habe sich schließlich über ein Jahrzehnt nicht gesehen, greift zu kurz, denn Kudrun erkennt die Züge des Ver­ lobten durchaus: dem sit ir anelich (K 1241,2). Herwic nämlich ist nicht durch eine erniedrigende ständische Rolle entstellt. Ihm dagegen kann Kudrun, obwohl er sie vor sich sieht, weismachen, Kudrun sei tot, die Wäscherin, die er sieht, ist jedenfalls Kudrun nicht.4’ E s bedarf eines Zeichens, um die Identität zu sichern: Kudruns Ring. Das Z ei­ chen repräsentiert Kudruns wahren Status, denn es ist golden. An ihm erkennt Herwic weniger die Person als ihren Rang, der im schäbigen Gewand unkenntlich war: dich truog auch anders niemen, e% < en)ware küniges könne,

( K 1250 ,3)

Die Kennzeichnung arm steht also primär in Opposition zu adlig, angesehen, mäch­ tig und bezeichnet die Entfremdung von der Stellung, die Kudrun dank Geburt, Eheversprechen und Verwandtschaft zukommt.46 Seelisches leit ist überwiegend durch den Identitätsverlust vermittelt, der Folge der Entführung - Isolation vom Verwandtschaftsverband - und Erniedrigung - Verlust des königlichen Ranges ist.47

44 Früher einmal war K udrun diu schiene (K 1243,4), diu edele K udrun aus der Sippe von Helden (K 1244,4) und diu m aget hère (K 12 7 7 ,1). 41 Wenn Kudrun ihrerseits vom Gerücht spricht, Herwic sei tot (K 1246,2), dann hat das eine andere Bedeutung: Herwic hat sich eben erst zu erkennen gegeben, und Kudrun wirft ihm vor, der wirkliche Herwic hätte viel früher etwas zu ihrer Rettung unternommen. Tatsächlich weiß Kudrun durch den Engel ja, daß Herwic lebt (K 1174 ,2). Der Vorw urf erlaubt überdies, das Wiedererkennen noch etwas länger zu verzögern. 46 A ls Kudruns Mutter Hilde vom Tod K önig Hetels erfahrt, ruft sie aus: wie sw indet min ère (K 926,3). Der Tod des Königs heißt vor allem Einbuße an Macht und Ansehen. 47 Wenn es auf die seelischen Folgen ankommt, sind paradoxe Wendungen wie a rm e[] kuniginne (K 797,4; 941,4) oder a r m e [] fr o u w e [ ] (K 1606,4) am Platz.

223

Nibelungische Anthropologie

Dieses Bild der armen Königin, die mit dem Verlust des Mannes den des T hro­ nes und mit dem des Thrones den ihrer Identität beklagt, scheint - gewiß auch unter dem Eindruck von Gestalten des höfischen Romans wie der trauernden Enite oder Sigune - später als unzulänglich empfunden worden zu sein. Damit ver­ schwindet es jedoch keineswegs. Ins Skurrile gewendet ist es im ,Wolfdietrich D ‘ . Liebgart, die Witwe Kaiser Ortnits, klagt dort allabendlich über den Verlust ihres Mannes. Ihre Klage gilt der großen Macht und glänzenden Stellung des Kaisers, dem halb Europa diente. Die hat sie mit seinem Tod eingebüßt: ich han es als verloren und mus esfaren lan. D i vor min diner waren, sin nu di herren min.

(Wo D 1477,4) (Wo D 1478,1)

Ach wer soi mich nu trösten, mich arm elendes wip.

(Wo D 1480,4)

Das entspricht zwar dem Bild einer armen Königin, läßt sich aber aus der Erzählung nicht begründen: Liebgart ist nach wie vor Kaiserin; niemand unterdrückt sie oder macht ihr den Besitz streitig. Ihre Klage ist Parodie. Das zeigt sich, wenn der Wächter aus der Klage der arme[n] frawe (Wo D 1482,3) nur den materiellen Aspekt heraushört und ihr rät, ihren Lebensunterhalt mit dem zu bestreiten, was sie gelernt hat: Sidt ir wol kunnet spynnen und wurcken an der ram: Dar mit ir wol gewynnet brot und den klaren win, Sidt ir von laut und luten sollend verstossen sin. (Wo D 1483,2-4) Die Worte des Wächters verspotten den Doppelsinn von arm, indem sie Liebgarts Schmerz auf ein Problem reduzieren, das zum einen nicht besteht, zum andern lösbar scheint.48 Die spätzeitliche Burleske ist Replik auf die implizite Vorausset­ zung, daß es bei arm nicht primär um Seelisches geht, sondern um gesellschaftliche Stellung, Besitz, êren und die damit verbundenen Vorzüge.

Kriemhilt, die gotes arme E s macht die .Modernität'49 des .Nibelungenliedes' aus, daß arm sich nicht auf diesen Aspekt einschränken läßt, doch bedeutungslos wird er deshalb noch nicht. Verknüpft sind z.B. .subjektive' und .objektive' Komponenten in Rüedegers Klage: Owê mir gotes armen, da%ich dit% gelebet hän. aller miner êren der muoç ich abe stän, triuwen unde %ühte, der got an mir gebot. (2153,1-3) 48 Die Klage hört übrigens auch Wolfdietrich, der sie für den Verlust Ortnits in jeder Hinsicht ent­ schädigen wird und dem sie wenige Strophen später Bern und Garda anbieten kann, über die sie offenbar weiter verfugt, dazu sich selbst und ihre Krone (Wo D 1498). 49 Haug (1987), S. 293.

224

K riem hilt, die gotes arme

Gottverlassenheit bedeutet nicht nur die Zerstörung der ethischen Werte, die Rüedeger vertrat, sondern auch den Verlust von deren Ausdruck in sozialem Status und allgemeiner Geltung vor Gott und den Menschen. Wenn Kriemhilt diu arm e genannt wird, denkt man zuerst an ihren Schmerz um Sivrit: da% si des recken tödes ve rg e b e n künde niht (114 2, 3). Der unermeßliche Besitz Sivrits kann den Verlust seiner Person nicht aufwiegen: Und wäre sin tüsent stunde noch alse vil gewesen, und sold der herre Sifrit gesunder sin gewesen, bi im ware Kriemhilt hendeblô%bestän. getriuwer wibes künne ein heit nie mère gewan. ( 1 1 26)’° Andere, in die entgegengesetzte Richtung weisende Aussagen dürfen jedoch nicht heruntergespielt werden, auch sind Aussagen wie die zitierten nicht aus ihrem Kontext zu isolieren.’ 1 Strophe 1126 dient eben auch heroischer Hyperbolik: Die ungeheure Größe des Schatzes wird durch das noch ungeheurere Ausmaß des Schmerzes bei weitem überboten; damit ist nicht gesagt, daß der Schatz nichts zählt. Beides gehört zusammen: Mit iteniuwen leiden beswaret was ir muot, umb ir mannes ende, unt dô si ir da%guot also gar genämen. done gestuont ir klage des libes nimmer mère un% an ir jungesten tage.

(1141)

E s ist ebenso falsch, Kriemhilt auf die Verfolgung von Machtinteressen zu reduzie­ ren wie ihre Abhängigkeit von ihrer königlichen Stellung zu bestreiten.’2 Seit Sivrits Tod heißt Kriemhilt die a rm e [] K riem h ilt (1056,4), diu gotes arm e (1080,4),H das v il a rm e [] w ip , das seine Vertrauensseligkeit Hagen gegenüber be­ dauert (1112 ,2 ). Das Epitheton arm faßt Aspekte des Statusverlustes und des Ver­ lustes des Geliebten zusammen. Zu einem Teil ist arm - Sein materiell kompensier­ bar. Wenn Giselher anbietet: nu %er m in eines guot (1079,2) und verspricht: j ä w il ich dich erget^en dînes mannes tôt (1080,3), dann steht offenbar der materielle Aspekt des Verlustes im Vordergrund, und der Erzähler unterstreicht ihn durch die Zustim ­ mung der gotes arm e[n] : des w are K riem h ilde not (1080,4), oder noch deutlicher in C 1091,4: dô sprach diu küniginne: „des w a r m ir arm en wibe n o t." Mit ganz ähnlichen*1

Vgl. Schröder (1968), S. 1 1 ; 86; W olf (1987), S. 191 f.: „Kriemhilts Hortfrage [..] macht die Strophe 112 6 nicht ungeschehen“ - so wenig „ungeschehen“ allerdings wie umgekehrt die zahlreichen Stro­ phen, in denen es um Macht und Besitz geht. 11 N ur dann kann man behaupten, „äußere Ehre“ bedeute Kriemhilt wenig, der Dichter habe sie „einseitig als Liebende“ konzipiert oder - in einer typisch neuzeitlichen Unterscheidung: „Kriem hilt liebt an Sivrit nicht die Macht, sondern die Person“ (Schröder, 1968, S. 80; 82; 87). 11 Beyschlag (19 52/6 1 und 1957/58) vs. Schröder (1968); vgl. ebd., S. 87—91: „M ode“ nennt Schröder die Einbeziehung politisch-gesellschaftlicher Aspekte (S. 87), doch war es einstmals „M ode“ allenfalls, den historischen Zusammenhang zwischen beiden Aspekten zu zerreißen. ” In den Hss. Jh steht stattdessen fravden arme; in Ca küniginne (Batts, S. 526c.).

225

Nibelungische Anthropologie

Worten wird Kriemhilt später Rüedeger an sein Versprechen erinnern, ihr bei der Rache zu helfen: des wart mir armem wibe nie so grauliche not (2149,4), und, als der sich weigert, wird sie klagen: Owê mirgotes armen (2153,1). Mit arm ist hier jedes Mal ein Mangel bezeichnet, dem durch Giselhers guot und durch Rüedegers militärischen Einsatz abgeholfen würde. A rm ist hier Gegenbegriff zu einer Position der Macht {riche), die Besitz und Status einschließt.’4 Das Epitheton meint die (momentane) Nichtzugehörigkeit zum Kreis der Mäch­ tigen und Reichen, durch das Kriemhilt den armen gleichgestellt w ird.” Das be­ einträchtigt ihren Status allerdings nur zum Teil, denn für Etzel zählt, was sie an Sivrits Seite war: Wenn der beste Held sie zur Frau nahm, ist sie auch für den mächtigsten K önig begehrenswert: D o sprach der künic E t^ el: „was si des recken wip, so was wol also tiure des edelen fürsten Up, da% ich niht versmähen die küneginne soi. durch ir großen scheme sô gevellet si m ir wol.“ (1158)

Etzels Begehren {gevellet) gilt nicht der Person, die er nicht kennt, sondern der Schönheit und dem durch sie angezeigten Adel, die sich aus dem Wert {tiure) ihres ersten Mannes ergeben und die es verbieten, sie jetzt gering zu achten {versmähen). Kriemhilt ist für ihn durch den Status definiert, den sie an Sivrits Seite erhielt. Für Kriemhilt steht dagegen im Vordergrund, was sie durch Sivrits Tod verloren hat. Sie nennt Etzels Werbung daher spot, wie ihn Gott nicht zulassen dürfe, denn er gilt einer arme[n] Frau (1218,3). ,Armut' meint einen Zustand der Ohnmacht und materiellen Abhängigkeit, der Schonung verlangte, doch tatsächlich Kriemhilt der Willkür der Mächtigen aussetzt. Weil die Ausschaltung von Sivrits Macht und die Zerstörung seiner Person und Schönheit’6 zwei Seiten derselben Sache sind, ist mit Sivrits Tod nicht nur Kriemhilts Stellung vernichtet, sondern auch ihre Schönheit wertlos. Wenn sie nach dem Mord an Sivrit die schœne[] vreudeläse[] (1009,2) genannt wird, dann ist das eigent­ lich ein Widerspruch von allgemeinem Status und gegenwärtigem Zustand, der gleiche Widerspruch wie in der Wendung: Kriemhilt diu hère und vil trürec gemuot (12 2 5 ,1).57 Z u ihrer zerstörten gesellschaftlichen Stellung ,paßt‘ {%emen\) weinen (1242,4; 1245,2),’® nicht das, was man von einer Herrscherin erwartet, die Demonstration *17 M Entsprechend dem von Bosl (1965) untersuchten Begriffspaar poten s und pauper. ” In diesem Sinne nennen sich im ,Tristrant‘ Kurneval und Brangäne arm e liute (Trt 564}); über die Selbstkasteiung der Isalde wird gesagt: si gehabet sich a ls ein arm u>ip (Trt 7223). ,>; 2 9 2 >4; 3 2 5 . 4 ; 3 5 ° . 2 ' 94 283,4; 284,2; 5 4 3,t; 578,3; 602,2; 602,4; 787,4; 789,4; 809,3 usw. 91 1 : 7 1 ,4 ; 134 7,4 (als Kriemhilt Etzels prächtiges Gefolge sieht); des w a rt dô vroun K riem h ilde v it w o lgehabet d e r muot. Brackert definiert im Kommentar zu 11 7 1 ,4 : das Zusammenfallen „von äußerer Prä­ sentation, gesellschaftlicher Repräsentation und personaler Existenz“ (vgl. Grenzler, 1992, S. 201). 96 So etwa, wenn Sivrits und Gunthers Herrschaften gefestigt scheinen (z.B. 7 2 1,4 ; 748,4; 750,2).

241

Nibelungische Anthropologie

bezeichnet überhaupt die Haltung derer, die zur höfischen Gesellschaft zählen: si sint v il höhe gem uot (390,4). H ö h er muot kann im positiven Sinne von „Kam pftüchtig­ keit, Heldenmut, V irtu s “ verwendet werden.97 Mit der freudigen Erwartung vor dem K am p f (181,4) oder bei der siegreichen Rückkehr aus dem K rieg (243,4), mit dem Unternehmungsgeist bei einem Abenteuer (381,4), dem Hochgefühl bei der Jag d 989 beginnt sich der B egriff in Richtung auf den (positiv konnotierten) übermuot zu verschieben. Aber nicht nur die selbstsichere Zufriedenheit beim Anblick eines zahlenmäßig weit überlegenen Heeres wird so genannt - S iv rit in hohem muote sach v il vroeltchen da % (181,4) sondern wieder auch Anmaßung und Selbstüberschätzung bis in die Nähe von höchvart. Der Fährmann an der Donau ist so reich und vornehm (so lieh e), daß er den Burgonden seine Dienste verweigert; die zusätzliche Begründung lautet: ouch wären sine knehte v il höhe gem uot (1551,3). Das meint gewiß auch deren vornehmen Status, weist jedoch zugleich auf den künftigen Zusammenstoß hin, bei dem jeder es seinem Selbstge­ fühlt schuldet, nicht nachzugeben. Ein weiteres Beispiel: Hatte der Erzähler die Bereitschaft der Gefährten, Prünhilt über Sivrits Stand zu täuschen, als übermiiete gekennzeichnet, so fragt er, wenn Sivrit aus Prünhilts Schlafkammer Ring und Gürtel mitnimmt: ine wei% ob er da^ tä te durh sinen höhen muot (680,2). Sivrit handelt aus einem Gefühl des Triumphs heraus, so weit, so gut, nur kommt ihn das teuer zu stehen. Sind übermuot und höher muot hier noch unterscheidbar? Schließlich, wenn Sivrit sich anspornen will, um im Bettkampf Prünhilt zu besiegen und damit ein für alle Mal zu verhindern, daß die Frauen tragen gelpjen muot (673,3), dann kann diese Formulierung in der *C-Gruppe durch hohe tragen den muot (C 678,3) ersetzt werden. Das mildert den gelpfen muot, verweist aber auch noch auf die latent negativen Konnotationen des neuen höfischen Modebegriffs im nibelungischen Kontext. Eine eindeutige Trennung zwischen (eher negativem) übermuot und (positivem) höher muot99 läßt sich nicht aufrechterhalten. Ü berm uot und höher muot scheinen, anders als höchvart, häufiger neutral gebraucht,100 was gelegentliche Abwertung nicht ausschließt. Sie bezeichnen eine Skala von Erscheinungsformen eines - im Kern wohl adeligen - Selbstgefühls zwischen dem Insistieren auf der eigenen Stär­ ke, die sich dauernd gewaltsam beweisen will, und einer als höfische vreude in Erscheinung tretenden, nicht-aggressiven Selbstgewißheit. Beide äußern sich im Übermaß an muot, das nicht eine individuell zuzurechnende Eigenschaft ist, son­ dern eine Kraft, die sich durch die Heroen hindurch verwirklicht. Diese Kraft macht den Heros aus, aber sie erscheint schon häufig als ambivalent. Ihr K om ­ plement ist die körperliche Erscheinung des Heros. 97 9* 99 ,0°

Hempel (1970), S. 2 1 8f. 95 5,4: der hirltche jägere der was höhe gemuot. So Hempel (1970), S. 219. Positiv ist auch die Kennzeichnung von hochmut, Übermut oder höchvart Rölants oder Karls (RI 5689; 4038; 1842; 7627).

Personalität als Oberfläche

Personalität als Oberfläche Die Vorstellung von dieser Erscheinung ist seltsam zweidimensional. Jeder ,ist‘, was seine Oberfläche zeigt. Wo die Tarn hüt die Oberfläche verbirgt, verschwindet die Person. Mit hüt scheint (anders als beim üblicheren vel - ,Haut‘ ,0‘ -) eine Schicht gemeint, die sich über den Körper legt, ähnlich einem Kleid. Vom Panzer aus Drachenblut, dem Sivrit seine Unverwundbarkeit verdankt, heißt es: sin hüt w art hurnîn (100,5); bei der Jagd ist sein Gewand von einer ludemes hiute (954,1).10 1102*Auch die tarnhüt, alternierend,0i mit tarnkappe (,Tarnmantel4), ist solch eine Schicht. Was unter dem Schutz der Tarnhaut geschieht, ist ebenso verborgen wie das, was im her^e vor sich geht. Beide decken eine dunkle Realität, und es erweist sich als gleich verhängnisvoll, ob Körperliches oder Unkörperliches wie Gedanken und Emotionen dem Blick entzogen werden. Sivrit bleiben unter der Tarnhaut die Spra­ che und die riesigen Körperkräfte, ja er kann sogar - unsichtbar, aber fühlbar? bluten (458,1). Wer ihm nahekommt wie Gunther, kann ihn hören und tasten (453). Der Körper ist anwesend und abwesend zugleich. Anwesend für Sivrit selbst und für die, die ihn berühren, abwesend für alle anderen, denn für sie ist Sivrit nur sichtbare Oberfläche. Auch im zweiten K am pf mit Prünhilt sind heroische Stärke und körperliche Erscheinung seltsam dissoziiert.104*Der Ringkam pf mit Prünhilt ist fühl- und hör­ bar, Sivrit und Prünhilt werfen sich gegenseitig schmerzhaft gegen das Mobiliar, Prünhilts Gewand wird zerrissen (671,4), es fließt Blut (675,2f.), Sivrit setzt Prün­ hilt so zu, da^ ir diu lit erkrachten unt ouch a l der lîp (677,3), aber die Kraft des Heros hat keinen identifizierbaren Körper, weil seine Oberfläche verborgen ist. Die bru­ tale Vergewaltigungsszene10' ist so völlig entpersonalisiert, daß der Erzähler, als Sivrit Prünhilt endgültig niederzwingt, das mit den Worten kommentiert: dö w art si G untheres w ip (677,4). Die Namen der Männer sind austauschbar, weil der eine ,gar nicht da‘ ist. Erst durch das anschaubare Äußere bekommt Sivrits Stärke ihren Namen. In diesen Szenen zerfällt die Figur Sivrit in drei Komponenten: seine Oberfläche (die verschwindet), seine übrigen Körperzeichen (die nur von einigen wahrgenom­ men werden können) und seine Stärke (die unabhängig von Sichtbarkeit und Wahr­ nehmbarkeit sich behauptet). Alle drei Komponenten sind körperhaft gedacht. Was für neuzeitliches Verständnis den Kern der Person ausmachen müßte, sein Selbstbe­ wußtsein, ist nur Nebeneffekt des Bewußtseins überlegener Stärke. 101 In der Bedeutung .nackte Haut“ findet sich hüt auch in Trt 16 73; 7 17 2 ; vgl. W h 447,28: manic verhouwen hüt (Hinweis von Christian Kiening); vgl. zu den .Häuten“ Sivrits: Seitter (1987), S. 8)f. 102 Im .Straßburger Alexander“ hat der Held einen hürnenen Panzer (Al 130 0 -130 5). IOi So auf engstem Raum in 337 und 338; D hat helkappe, auch torenkappe. 104 Z u r Verwirrung der Sinne Frakes (1994), S. 115 f. ,0’ Z u diesem Aspekt Frakes (1994), S. 1 1 3 - 1 2 1 .

Nibelungische Anthropologie

Die Figuren des .Nibelungenliedes' haben keine ,Tiefe', etwas, das .hinter' ihrer Erscheinung steht, selbst ihre Körperlichkeit ist flach, auf die sichtbare Oberfläche reduziert. Das, was unter allen Oberflächen dasselbe bleibt, ist ein Allgemeines, die exorbitante Stärke des Heros: Im Jagdgewand, unter der tarnhüt, selbst unter dem Panzer aus Drachenblut bleibt Sivrit d er starke S iv rit, der allen überlegene Held. Seine Häute aber machen ihn unverwundbar, unsichtbar oder aber zum glanzvoll auftretenden höfischen Ritter. Durch sie scheint er jedesmal ein anderer. Um Klarheit über Sivrit zu gewinnen, und das heißt in dieser Vorstellungswelt: um ihn zu bewältigen, müssen seine Gegner durch alle seine .Häute' dringen.106 Das gelingt schließlich, indem Hagen, angeblich um ihn im drohenden K rieg zu schüt­ zen, herausfindet, wo die Haut unter den Kleidern und der tarnhüt durchlässig ist. An dieser Episode zeigt sich abermals, wie das, was jemand ist, von der Oberfläche abhängt. Generationen von Lesern haben sich gefragt, wie Hagen das Geheimnis von Sivrits Verwundbarkeit im entscheidenden Moment eigentlich nutzen kann. Die Wahrscheinlichkeit wird überhaupt stark strapaziert, denn mit welchen Mitteln will Hagen die bezeichnete Stelle eigentlich schützen und wozu braucht er dazu die genaue Markierung? Kriemhilt hat die verwundbare Stelle auf Sivrits Gewand be­ zeichnet. Wenn man zum Schein in den K rieg aufbricht, reitet Hagen so nahe an Sivrit heran, da% er geschouwete diu k le it (907,4). Als er genug gesehen hat (A ls er gesach da ^ bilde, 908,1), läßt er tougen Boten kommen, die den K rieg absagen. Eine Jagd wird angesetzt. Daß Sivrit auf ihr nicht in Kriegsrüstung reitet, das Zeichen also auf seiner Kleidung gar nicht zu sehen ist, gehört zu den Erleuchtungen der Nibelungenphilologie.107 Doch es kommt ja noch ärger, denn beim verhängnisvol­ len Wettlauf mit Gunther ist er wie dieser nur mit einem weißen Hemd bekleidet. Trotzdem heißt es von Hagen: er sach nach einem bilde an des küenen gervant. Da der herre Sljrit ob dem brunnen träne, er schä% in durch da% krittle [ . . . ] (9 8 0 ,4 —9 8 1 ,2 ) . Jetzt ist das Zeichen offenbar auf dem Hemd, auf dem es Hagen zuvor kaum hätte entdecken können. Aber es geht gar nicht um die passende Zurichtung eines Requisits, sondern um die Aufdeckung von Sivrits Verwundbarkeit. Die Kraft des Heros wird bezwing­

106 Seitter (1987), S. 83. 107 de Boors Kommentar S. 1 5 3 wendet das Problem wieder einmal sagengeschichtlich: „H ier liegt eine der deutlichsten Fugen zwischen alten und jungen Teilen. A lt ist der Jagdaufbruch, jung Hagens List mit dem vorgeblichen Kriegszug und dem Zeichen auf dem Gewand. Aber Siegfried reitet natürlich nicht im Kriegsgewand zur Jagd, sein Jagdgewand wird 95 iff. ausführlich beschrieben. Das seidene Kreuzchen sitzt also auf einem Kleidungstück, das im entscheidenden Augenblick gar nicht zur Stelle ist“ .

244

Personalität als Oberfläche

bar, indem eine schützende Haut nach der anderen entfernt wird. Dank Kriemhilts Vertrauensseligkeit wird etwas, das tougen war, durch alle verbergenden Hüllen hin­ durch sichtbar, und nachdem es einmal sichtbar geworden ist, kann es nie mehr verborgen sein. Einmal an der Oberfläche, bleibt es präsent. Sivrit trägt an seinem Körper das Mal seiner Verwundbarkeit. Ein anderer für die anderen sein, setzt voraus, daß man die sichtbare Gestalt verdunkelt oder über sie eine andere Hülle zieht, ein fremdes Kleid: Kriemhilt in Alltagskleidern in einer festlich gekleideten Hofgesellschaft (1225,3) ist die 991), S. 17 aus der Anthropologie übernommenen und auf die ho­ merische Welt übertragenen Begriff der „Schamkultur“ (im Unterschied zur „Schuldkultur“ ) auf diese Auffassung von Verfehlung übertragen: Es kommt nicht darauf an, wofür man persönlich tatsächlich verantwortlich ist, sondern auf das, was in den Augen der anderen gilt. Nach Dodds ist „die Unterscheidung eine relative“ , da „viele Verhaltensweisen, die für eine Schamkultur bezeichnend sind“ unter den Voraussetzungen einer auf persönliche Schuld bezogenen Ethik beibehalten werden (S. 19). 61 Naumann (1933), S. 47. 280

Worte und Zeichen I I : K a m p f um den Augenschein

und hat er sihs gerüemet, da% soi er hären län, oder sin muoç lougen der heit Niderlant. (85 5,2f.) Sivrit soll den ruom öffentlich wiederholen oder aber abstreiten. Bisher stützen sich bloß Behauptungen auf andere Behauptungen, die ihrerseits Behauptungen eines Dritten wiedergeben: mir hat min vrouwe Prünhilt ein metre hie geseit, du habes dich des gerüemet, daç du ir schienen lip allererst habes geminnet, da% sagt vrou Kriemhilt din wip.

(857,2-4)

Sivrit bietet den Reinigungseid dafür an, daß es die Behauptung nie gegeben hat, was bedeutet, daß er Prünhilt nicht beleidigt hat und Kriemhilts Worte keine Grundlage in dem haben, was er selbst ihr sagte: und wil dir da% enpfderen vor allen dinen man mit minen höhen eiden, da%ich irs niht gesaget ban.

(858,3f.)

Indem alle ihn hören, soll der Eid die Wahrheit evident machen; nicht die der Hochzeitsnacht, sondern den Anlaß der Kränkung; in der Schwurgeste wird sie sichtbar:6’ da% soltu leiden sehen [ ! ] . den eit den du da biutest, unt mac der hie geschehen, aller valschen dinge wil ich dich ledic län. (859,1-3) Die Wendung aller valschen dinge ist ein Hysteron proteron: durch den Eid würden sich die Beschuldigungen als falsch erweisen und Sivrit wäre entlastet. E s besteht kein Grund zur Annahme, der Eid werde Sivrit erlassen,*64 nachdem Gunthers Leute einmal zum Ring - umbstand - zusammengetreten sind. Der Vers Sifrit der vil küene \em eide bot die hant (860,1) meint die Ausführung der Geste des Schwörens.6’ Ganz ähnlich heißt es, wenn Gunther von seinen Gegnern im Sach­ senkrieg Garantien dafür verlangt, daß die Gefangenen nicht entfliehen: des bot Liudegêr die hant (251,4): Liudeger gibt sein Ehrenwort wie Sivrit seine Unschuld beschwört. Folgerichtig wiederholt Gunther daraufhin seine eigene Formulierung ledic län (859,3), um auszudrücken, daß die Angelegenheit beigelegt ist: mir ist so wol bekant iuwer grö% unschulde; ich wil iuch ledic län.

(860,2f.)

6> Der Eid versichert Gunther über einen Umstand, den dieser tatsächlich nicht wissen kann (Salmon, 1976, S. 318), während Gunther ja dem Erzähler zufolge über Sivrits Unschuld in der Sache Bescheid weiß. Der Eid ist also auf Günthers, nicht auf Prünhilts Nicht-Wissen zugeschnitten; zur Bedeutung des Eidm otivs allgemein in der Siegfriedsage: ebd., S. 3 2 1- 3 2 5 . 64 So de Boor in seinem Kommentar; zur Diskussion Salmon (1976), S. 318 ; abschließend Bischoff (1970), S. 20f. 6' So u. a. auch Wachinger (i960), S. 112 ; Grenzler (1992), S. 290; anders z. B. Beyschlag (19 52 /19 6 1), S. 199; Bumke (i960), S. 18 u. a.

281

D ie Trübung der Sichtbarkeit

Durch die Geste (so) wird Sivrits unschulde allen, vor allem aber dem K önig, der in Prünhilt beleidigt worden ist, offenkundig (bekant, 860,if.). Gunther läßt seinen Anspruch gegen Sivrit fallen und verkündet: des iuch min smster %}het - und das ist nach allem bisherigen das rüemen - , da% ir des niene habt getan (860,4).66 Durch Sivrits Eid ist Kriemhilts Rede als bloßes Geschwätz entwertet; ohne Rückhalt bei einem Mann soll das öffentlich gesprochene Wort einer Frau nichts gelten. Sivrit schlägt Gunther vor, den Kasus aus der Sphäre öffentlicher Auseinandersetzung, die allein den Männern Vorbehalten ist und in der es deshalb allein darum geht, was Sivrit gesagt hat, in die abgeschlossene Sphäre des Hauses und der Hauszucht zurück­ zuspielen, in der der Ehemann rechtliche Gewalt über die Frau ausübt, um so die Gegnerin zum Schweigen zu bringen. Gunthers Urteil schafft keineswegs Frieden.67 Der Widerspruch zwischen Wort und Zeichen ist durch Gunthers Spruch und Sivrits Eid nicht aufgelöst, es hat sich nur wieder das Wort an die Stelle des Zeichens gesetzt, so daß dem Hin und Her zwischen Wort und Zeichen ein weiteres Glied angefügt wurde. Was laut königli­ chem Urteil gelten soll, schafft weder die Tatsache öffentlicher Beschimpfung aus der Welt, noch begründet es zweifelsfrei Wahrheit, denn es gibt zwar eine Stufen­ folge der Macht, die entscheidet, was gelten soll, aber keine Stufenfolge von K ri­ terien dafür, was der Fall war. Sivrits Worte in Isenstein waren durch eine Reihe von Zeichen bei Prünhilts Hochzeit in Frage gestellt worden. E s tauchten andere, noch verstörendere Zeichen auf, die neuen Argwohn erregen. In einem förmlichen Gerichtsverfahren wird gül­ tig festgestellt, daß das, was die Zeichen andeuten, nie behauptet worden ist. Das hat aber mit der .Wahrheit* von Isenstein nichts zu tun. Beides kann gut nebenein­ ander bestehen, Sivrit man sein und sich nie gerühmt haben, Prünhilts erster Lieb­ haber gewesen zu sein. Die beunruhigenden Zeichen der Gleichrangigkeit bleiben unerklärt, und Gürtel und Ring sind da, gleich was Sivrit gesagt hat. Prünhilts Frage wird durch den Eid nicht beantwortet, und sie kann auch mit den Mitteln öffentlicher Demonstration nicht beantwortet werden. Statt aus der Verwirrung herauszuführen, führt der Spruch tiefer in sie hinein. Der Widerspruch ist in einer auf Worte und Zeichen vertrauenden Gesellschaft nicht auflösbar. 66 de Boor (S. 145) stützt seinen Zweifel am Zustandekommen des Eides auf 861,4: dö sähen \uo %ein ander die guoten ritter gemeit. E r stellt sich diese Blicke als .betroffen* vor. Das steht nicht im Text (Bischoff, 1970, S. 20). Ihre Bedeutung ist alles andere als klar. Will man gemeit nicht als rein for­ melhaft nachgestelltes Epitheton auffassen, dann könnte es anzeigen, daß durch die (scheinbare) Wiederherstellung des Rechtsfriedens die anwesenden Ritter wieder froh {gemeit) sein dürfen. A u ­ ßerdem könnten mit ritter aber auch nur Sivrit und Gunther gemeint sein, die sich froh über den Ausgang anblicken (vgl. Salmon, 1976, S. 319); mit Gunthers „bösem Gewissen“ führt de Boor (ebd.) jedenfalls (wie vorher schon G . Weber, 1963, S. 69) eine Kategorie ein, die dem Epos fremd ist. 67 Wo der tatsächliche Betrug gegenüber der .Fassade* des Reinigungseides ausgespielt wird, setzt man im Sinne von Dodds (19 9 1) eine .Schuldkultur* im Gegensatz zur .Schamkultur* voraus. Das ge­ schieht gegen den Text. E s zeigt sich hier allerdings, daß die Regeln der .Schamkultur* in diesem Fall unbrauchbar zur Konfliktlösung sind.

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Falscher Augenschein

Hagen und Sivrit nehmen komplementäre Positionen ein: Für beide gibt es keine Sphäre selbständigen Handelns der Frau. Der eine will den Streit in die Rechts­ sphäre des Hauses zurückholen und dort mit patriarchalischer Gewalt ,lösen*, die Frauen also von weiteren Verhandlungen ausschließen. Und für den anderen gibt es überhaupt keine Sphäre jenseits der öffentlichen, in der allein Männer handeln; er schreibt weiterhin unbeirrbar Kriemhilts Worte allein dem Ehemann Sivrit zu, in­ dem er fragt: Suln wir gouche Riehen (867,1) und bekundet: da% er sich hat gerüemet der lieben vrouwen min, dar umbe w il ich sterben, e% enge im an da% leben sin.

(867,3F.)

Indem er Sivrit gouchG%nennt, verläßt er sich rückhaltslos aufs Sichtbarkeitsprinzip und folgt wieder dem, was man (dank Ring und Gürtel) sehen kann und was daher öffentlich gilt.

Falscher Augenschein In der folgenden Intrige steht allein zur Debatte, was vor allen zutage getreten ist, die Ehrkränkung der Königin. Prünhilts Weinen (850,3; 852,1) zwang den K önig einzugreifen, und als sein Versuch zu schlichten den Konflikt nicht löste, wird das Weinen der vrouwe Sache des ganzen Hofes (863,4). In Prünhilt wurde die Wormser Königsherrschaft insgesamt beleidigt:*69 do truret' also sere der Priinhilde lip, da% e% erbarmen muose die Guntheres man. dö kom von Tronege Hagene %uo siner vrouwen gegän.

(863,2—4)

E r vrdgete wa% ir wäre, weinende er si vant. dö sagte si im diu mcere. (864,1F)

Der Defekt zwingt den man Hagen zu handeln, denn mit der ,Freude* der Königin ist die ,Freude* des Hofes zerstört. Das zeigt sich auch daran, daß man Prünhilt beim höfischen Fest nicht mehr sieht. Mit dem Scheitern der Gerichtsszene in Worms taucht die Geschichte in ein verhängnisvolles Dunkel, in dem Verbrechen geplant werden. Das Mordkomplott gelingt, teils weil das Geschehen der Wahrnehmung entzogen ist, teils weil ein falsches Bild für die Wahrnehmung arrangiert wird (lüge, 877,4). Hinter dem, was

61 Daß Sivrit die Ehe des K önigs gebrochen hat, drückt gouche aus, wenn man den Bezug auf den Kuckuck, der Eier in fremde Nester legt, gelten läßt und nicht darin nur eine blasse Floskel sieht. Brackert übersetzt: „Sollen wir uns denn alles gefallen lassen?“ (1970, Bd. 1, S. 193). K ern der Metapher ist .heimliches Handeln“, das Hagen Sivrit vorwirft. 69 Rupp (1985), S. 170 hebt hervor, daß Hagens Vorgehen, wie immer man es rechtlich-moralisch bewertet, insoweit notwendig ist.

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D ie Trübung der Sichtbarkeit

offenlîche geschieht (874,4), kann Hagen heinlîche seinen Plan verfolgen (873,2): D er künec mit sinen vriunden rünende70 gie (882,1) und: Eines tages Sîfrit si rünende vant (883,1). Das ist nicht die Beratung über die angebliche zweite Kriegserklärung (was gäbe es da zu überlegen, wenn man weiß, daß die Nachricht falsch ist?); runen zeigt an, daß der Plan nicht offen-offiziell betrieben werden kann, selbst wenn alle davon wissen sollten; auch später bezeichnet runen eine nicht offen eingestandene feindse­ lige Haltung (1959,2), bevor die Hiunen offen zu den Waffen greifen. Mit runen ist die moralische Verwerflichkeit einer Handlung angedeutet; rünende bezeichnet im ,Rolandslied4 die heimtückischen Beratungen der Heiden (RI 13x7); runen ist das verdächtige Getuschel zwischen Neidharts dörpern und der vrouwe, das sich der Kontrolle höfischen Frauendienstes entzieht und zu offenem Streit fuhrt.71 Doch wie alles, was heimlich geschieht, ist auch runen wahrnehmbar; die Intrige ist nicht völlig ins Innere verschlossen. So kann Sivrit sie bemerken, doch deutet er sie falsch als Störung der auf Freude verpflichteten Schauseite des Hofes und als Z ei­ chen für die Bedrohung durch den vermeintlichen Krieg. Sichtbarkeit wird zur bloßen Fassade bei den Vorbereitungen für den zweiten Sachsenkrieg: S i f ride und den sinen %e sehen e% was getan.

(888,2)

Der falschen Fassade wird noch einmal eine sich überbietende Inszenierung von Sivrits anschaubarer Überlegenheit konfrontiert, in der das Prinzip der Sichtbarkeit zum letzten Mal triumphiert: der glänzende Auftritt (in hêrlichem site, 9 17,1), die Jagd als offener Wettstreit (wer die besten jegere an dirre waltreise sin, 930,4), den Sivrit nach aller Urteil für sich entscheidet (dö wart sinjaget da^ riche wol den Burgonden kunt, 939,4; 942,2f.), sein prachtvoll anzusehendes72 Gewand und die glänzenden Waffen (952-956); einhellig urteilen die, die da%sähen, er ware ein kreftec man (963,1): manjah im größer êren swer i% ie gesach (971,3). Noch Hagens hinterlistiger Vorschlag eines Wettlaufs mit Gunther soll angeblich die glänzende Schauseite der heroischen Welt bestätigen: hey wolde er uns da^ sehen län! (972,4); der Sieger soll im Ruhm von Mitund Nachwelt strahlen: dem soi man jehen danne, den man sihet gewannen hän (973,4). Und tatsächlich sehen alle Sivrits letzten Sieg: dö sach man bi dem brunnen den küenen Sîfriden ê (976,4). Durch den Mord wird er buchstäblich ausgelöscht: Erblichen was sin varwe (987,1).73 Sivrits Tod soll das Gespinst zerreißen. Hagen will danach gleich zur Offenheit zurückkehren (mir ist vil unmare, und wirt e% ir bekant, 1001,2). Doch wieder, wie in Isenstein und unter Verwendung der gleichen Worte, wird verabredet, die Wahrheit 70 Jh haben stattdessen: trvrende (Batts, S. 267). 71 Müller (1986b), S. 445; vgl. Lexer II, Sp. 538f. 72 den sach man in tragen (952,2); in sähen %uo in körnende di Guntheres man (957,1). 75 M it einer ähnlichen Metapher war das im .harmloseren“ Zusammenhang des Sachsenkrieges so ausge­ drückt worden: Die burgondischen Helden die lascten ime strife vil maneges helmes schtn (201,2).

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Falscher Augenschein

zu verbergen und alle dieselbe Lüge bezeugen zu lassen (/> suit e% kein alle unt suit gelîche jehen, 1000,2).74 Der Mord an der Lichtgestalt Sivrit soll im Dunkel ver­ schwinden: Do erbiten si der nahte (1002,1). Kriemhilt soll über Sivrits Leiche gera­ dezu stolpern, die man tougenlichen (1004,1) vor ihre Tür gelegt hat. Entdeckt wird sie von einem kamercere, der erst ein Licht bringen muß (1006,3). Die Verwirrung des Augenscheins zeigt die Beschaffenheit von Sivrits Schild nach seiner Erm ordung an.7’ Der schilt war Sivrits letzte Waffe gewesen, nachdem Hagen die übrigen heimtückisch entfernt hatte. Bis zuletzt war damit ungewiß geblieben, ob der Anschlag gelingen würde, denn gegen einen Sivrit mit seinen Waffen in Reichweite hätte Hagen nichts ausgerichtet. Der Heros scheint wehrlos, aber doch nicht ganz, denn noch mit einer Verteidigungswaffe ist er gefährlich: Swie wunt er was %em töde, so kreftecllch er sluoc, da% dem Schilde drœte genuoc des edelen gesteines; der schilt vil gar çerbrast. sich bete gerne errochen der vil hêrlîche gast. (985) So schlägt er, den Speer im Rücken, Hagen zu Boden - sô sêre ^urnt’ der wunde (986,4) - , bis ihn die Kräfte verlassen. Das scheint vergessen, wenn Kriemhilt den toten Sivrit findet: Do rief vil trûreclîche diu küneginne milt: „owe mich mines leides! nu ist dir dln schilt mit swerten niht verhouwen; du list ermorderôt. wesse ich wer t\ het getan, ich riet’ im immer slnen tot.“

(1012 )

Man mag darüber rechten, ob in der ersten Szene vil gar %erbrast wirklich heißen muß, daß der Schild völlig zersplitterte oder ob er nur ramponiert wurde oder auch ob Kriemhilts Worte sich vielleicht nur auf eine bestimmte Beschädigung, durch Schwerter im Kampf, beziehen. Entscheidend ist, jedesmal bedeutet der Schild etwas anderes. Beim ersten Mal macht er Sivrits Stärke noch einmal in dem A u­ genblick sichtbar, in dem sie zerstört wird, da noch die Verteidigungswaffe ihm zum gefährlichen A n g riff dient, beim zweiten zeigt er Verrat an. Als Zeichen un­ stimmig, bringt der Schild zwei Aspekte einer und derselben Sache - des Verrats zum Vorschein, mag man sich auch im einzelnen darum sorgen, welche Kratzer er nun davontrug. In den folgenden Episoden werden immer neue Anläufe unternommen, das Dunkel, in das sich die Geschichte immer weiter verloren hat, aufzuhellen. Das Ent-decken der Tat und der Täter - die Wiederherstellung von Transparenz - zieht sich quälend hin bis zur Konfrontation am H o f Etzels. Die Wahrheit herauszu-74 * 74 Z u r Erinnerung: Sivrit hatte, damit der Betrug an Prünhilt gelänge, empfohlen: ir habt einen muot./ir je het geliehe (385,1 f.) 71 Anders als Grubmüller (1994), S. 66 scheint mir die widersprüchliche Beschaffenheit des Schildes kein „läßlicher Fehler“ , sondern ein kalkuliertes Signal.

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D ie Trübung der Sichtbarkeit

bringen, ist ein mühevoller Vorgang, sie durchzusetzen, noch mehr. Kriemhilt zwar ,weiß sofort', wer der Tote vor ihrer Tür ist, und auch, wer ihn erschlagen hat: Ê daç si reht’ erfunde da% i% ware ir man, an die Hagenen vräge denken si began [•■ ■ ]. (1008,if.) dô sprach si: „e% ist Sifrit, der min vil lieber man: e% hat geraten Prünhilt, da% e% hat Hagene getan.

(ioio,jf.)

Aber die Intuition reicht nicht aus.76 So fragt Kriemhilt wenig später: wesse ich wer i% het getän, ich riet’ im immer sînen tôt (1012,4). Für die Rache braucht sie Beweise: der mir in hat benomen, / wird’ ich des bewîset, ich soi im schadeliehe körnen (103 3,3b). Die scheint sie zu bekommen, wenn Gunther und Hagen samt Gefolge zur Totenklage kommen, denn die Bahrprobe kann augenscheinlich für alle den Mörder entlarven: Si buten vaste ir lougen. Kriemhilt begondejehen: „swelher si unschuldic, der läs^e da\ gesehen; der soi %uo der bare vor den liuten gen. da bi mac man die warheit harte schiere versten.“.

(1043)

Der Beweis durch ein michel wunder (1044,1) gelingt: swä man den mortmeilen bi dem töten siht, so bluotent im die wunden, als ouch da geschach. da von man die schulde da %e Hagene gesach. (1044,2—4) Kriemhilt hat den Beweis durch die Bahrprobe gefordert {jehen) und kann nun feststellen: Gunther unt Hagene, ja habet ir i%getan.

(1046,3)

Warum aber bleibt das folgenlos? Die erstmals beim Reinigungseid zutagetretende Dissoziation von Wahrheit und Geltung kehrt unter entgegengesetztem Vorzeichen wieder: Was wahr ist, ist diesmal klar, aber Geltung verschaffen kann man ihm damit noch lange nicht. Gunther bestreitet den Vorwurf. Das vor allen gesprochene königliche Wort steht gegen das allen sichtbare Zeichen, und es ist stärker. Gegen die öffentliche Bekräftigung durch den K ön ig und die Bestätigung durch sein Gefolge (Si buten vaste ir lougen, 1043,1) kommt das wunder der blutenden Wunden des Ermordeten nicht an. E s bleibt bei der Absicht der Rache (1046,4). Der Augen­ schein der Bahrprobe müßte durchgesetzt werden, und das ist aussichtslos. Wahr­ heit hängt von Macht ab. Recht setzt Durchsetzbarkeit voraus, und gegen die Garanten des Rechts, den K önig und seine mächtigen Vasallen, ist Durchsetzung nicht möglich.

76 „D ie sichere Ahnung genügt zur Rache nicht; sie verlangt den Erweis, der durch die Bahrprobe t043ff. geführt wird“ (de Boor, S. 167).

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Falsch er Augenschein

Dafür daß sie hat betrüebet den Prünhilde muot (1001,3), muß Kriemhilt mit ihrem leit bezahlen, aber der gleiche Hagen, der das Weinen seiner Königin zu seiner eigenen Sache gemacht hatte, bekundet jetzt: e% ahtet mich vil ringe, stva^ si weinens getuot (1001,4). Das ist nicht Zeichen seiner bekannten Roheit oder seiner Rolle als Verräter, sondern zeigt an, daß Kriemhilts Weinen nur ihre Sache ist und anders als das Prünhilts keine Bedeutung für den burgondischen Herrschaftsverband hat; es ist nicht von öffentlicher Bedeutung.77 Indem die Xantener aus der Geschichte ausscheiden, ist zunächst einmal das Forum verschwunden, vor dem Hagens und Gunthers Schuld sich gezeigt hatte und Kriemhilts Tränen Folgen haben müßten. Der Rechtsstreit bleibt offen bis zur suone, die in seltsamer Abweichung von dem, was die Bahrprobe gezeigt hatte, rechdich verbindlich festhält, was gelten soll, indem Kriemhilt Gunther vom Mord freispricht (des %ihet in niemen: in sluoc diu Hagenen hant, 1 1 1 1 ,1 ) und sein Gefolge außer Hagen einschließt (1113 ,2 ). Das ist Voraussetzung dafür, daß der Hort nach Worms kommt, doch er erlaubt nicht nur, daß Kriemhilt ins Licht rühmender Aufmerksamkeit zurückkehrt (sipflac vilguoter tugende, des man der küneginnejach, 1127,4), sondern dient auch der Vorbereitung einer neuen Intrige. Erneut also ein Riß zwischen glänzender Fassade und heimlichem Plan, der erneut heimliches Gegenhandeln provoziert. Das neue Verbrechen ist kaum camoufliert; es muß nur zeitweise das Forum entfernt werden, vor dem es verurteilt werden müßte (1136). Hagen kann nur ,in Abwesenheit“ der Könige und ,abseits“ der von ihnen garantierten Rechtsordnung handeln. Was die Züge und Gegenzüge im einzelnen betrifft, so sind die Vorgänge alles andere als transparent: folgenloser Zorn, unwirksame Versprechen, eine prag­ matische Lösung, die Kriemhilts Recht verletzt (1134 ), ein dubioser Eid (ii4 o ).*7* Statt Transparenz ein trübes Gewirr von Intrige und Gegenintrige. Kriemhilts Klage nach Rückkehr der Könige, mit meiden unt mit vrouwen in einem öffentlichen Gerichtsverfahren (1138 ), stellt Ordnung zum Schein noch einmal her. Immerhin erreicht sie eine Verurteilung Hagens. Doch bleibt das Urteil folgenlos; es kann den verletzten Rechtszustand nicht heilen, die Wiederherstellung des Rechts gegen den Täter nicht durchsetzen; die dunkle Verwicklung der Könige aber - erst nach dem Urteil erfährt der Hörer von ihren eiden (1140,2), die sie zu Mittätern machen - bleibt unaufgeklärt. Nicht mehr nur die Wahrheit, auch die Geltung dessen, was vor dem ganzen H o f festgestellt wird, ist beschädigt. Schon mit dem ersten gescheiterten Gerichtsverfahren wurde die Auseinan­ dersetzung in den Dämmer heimlicher Machenschaften abgedrängt, die die Sphäre von Verrat ist. Das zeigt sich, wenn Sivrits Leiche im Finstern vor Kriemhilts Tür

77 Tränen als Zeichen für einen Rechtsbruch: Bernreuther (1994), S. 36. 7‘ Z u den konkurrierenden Rechtsinstituten der nibelungischen Welt S. 362?. - In Hs. C fehlt die letzt­ genannte Strophe; an ihrer Stelle wird nach 1 1 3 6 eine andere eingeschoben (C 1 1 5 1 ) , die den giteklichen mvt Hagens und der Könige schärfer betont (C 115 1,4 ).

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gelegt und ihm damit die Ausstellung seines heroischen Körpers im Tod verweigert wird, so daß das Begräbnis sie nachholen muß. Heimlichkeit zeitigt nach mittelal­ terlicher Rechtsauffassung weit schlimmere Verbrechen als noch die brutalste offene Gewalttat.79 Von der Heimlichkeit des Verrats her fällt aber nachträglich auch ein zweideutiges Licht auf alle voraufgehenden Szenen von Heimlichkeit, selbst die, die mit mime verbunden waren.80 Zwar muß Heimlichkeit nicht grundsätzlich unter negativem Vorzeichen erscheinen, doch wird sie mit Fortschreiten der Handlung mit dunklen, sich der Sichtbarkeit entziehenden Vorgängen assoziiert. Aus der Heimlichkeit der minne wird in Isenstein der heimliche Betrug. Sivrit stiehlt sich ê i% iemen erfunde zu den Schiffen, wo der Tarnmantel verborgen liegt (451,2F), tougenlîche - von listen - kehrt er auf den Kampfplatz zurück (452,3); tougenliche rührt er Gunther an (452,3) und fordert ihn auf, die List zu beln (455,1); Gunther klagt - nach Hs. A 8' - seine klägliche Hochzeitsnacht tougen (A 600,3); auch der zweite Betrug unter der Tarnkappe läuft tougenlîche81* ab (653,2) und im Dunkeln. Vor allem die Intrigen der Frauen werden als heimliche diskreditiert. Prünhilt verschweigt ihre Zweifel an Sivrits Stand (verdeit, 725,1) und betreibt ihren Plan verdeckt (heinlîche, 726,3) in einem nur anfangs ehrlichen, dann immer heuchleri­ scheren Gespräch mit Gunther. Die parallele Unterredung zwischen Etzel und Kriem hilt85 über die Einladung an die Brüder (1400-1407) erfolgt ausdrücklich in der ,Heimlichkeit': Dô si eines nahtes bi dem künige lac [ ...] (1400,1). Deutlicher noch als bei Prünhilt und Gunther sind alle anderen ausgeschlossen, so daß Kriemhilt die Situation zu ihrem tückischen Anschlag nutzen kann, ohne daß Etzel merkt, was er tut. Während Etzel guten Glaubens offen die Boten mit der Einladung beauftragt, spricht sie insgeheim mit ihnen (tougenlîche) (14 13,3), instruiert sie, was sie in Worms sagen dürfen und was nicht (14 14 -14 19 ), und befiehlt ihnen einigen Hand­ schriften zufolge84 sogar, bei ihrer Mission verdeckt (tovgenlichen) vorzugehen. D a­

79 Vgl. etwa H R G I, Sp. 7 3 1 zu Diebstahl (R. Lieberwirth). Dies ist bei Althoffs (19 9 0 ^ 19 9 7 ) These zu bedenken, daß mittelalterliche Repräsentationsakte bloße „Inszenierungen“ waren, die nur öffentlich darstellten, was zuvor in geheimen Beratungen ausgemacht worden war (S. 167): daß es vorbereiten­ de Gespräche gab, ist anzunehmen, doch degradieren dieser schwerlich den öffentlichen A k t zum bloßen Theater, im Gegenteil befreit sie erst dieser A k t vom Odium des Heimlichen und ist konsti­ tutiv für ihre Rechtskraft. 10 Vgl. künftig Müller (1998a). *' Dagegen 650,3 nach B C ûf genäde; ähnlich wie in A dagegen heinlichen (o. ä.) in Jh Q . '* Fehlt in C. 8) Das Darmstädter Aventiurenverzeichnis hat Kriemhilts Intrige bei Etzel ausdrücklich mit Prünhilts Einladung an Sivrit parallelisiert; es heißt ausdrücklich: also det brunhild vor (S. 178); beide Einladun­ gen werden dem bose[n] fint zugeschrieben (de Boor, 1959, S. 177). 84 So in C JK hla eine Variante von Vers 14 14,2 da%ir minen willen vilgüetliehen tuot (nach A B ); güetlichen ist in der Variante durch tovgenlichen ersetzt (vgl. Batts, S. 428h),• tugentlickh (d) setzt wohl auch diese Variante voraus.

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K rieg der B lick e und G ew alt

bei treibt sie selbst ihnen gegenüber doppeltes Spiel, denn sie vertraut ihnen nicht ihre wahren Pläne an, täuscht Sorge für die Verwandten vor und läßt nichts von ihren Racheabsichten gegen Hagen merken (14 20 ,1-3), so daß sie die Boten, ohne daß diese es wissen, als Komplicen mißbraucht. Hinter dem heimlichen Auftrag versteckt sich also eine weitere heimliche Absicht. Im Dreischritt der Szenenfolge ist Heimlichkeit potenziert, als Sphäre von Verrat.8’ Ein einziges Mal nur, wenn Rüedeger seiner Frau das Ziel seiner Werbungsfahrt zu Etzel eröffnet (1168), ist die nächtliche Nähe nicht Mittel des Verrats, und bezeichnenderweise ist dort auch von tougen oder heinllche nicht die Rede. Dagegen erfolgt Rüedegers verhängnisvolle Unterredung mit Kriemhilt, bei der er ihr Hilfe bei leit verspricht, in heimliche (125 5,2). Allein dies schon - mehr als der umstrittene Inhalt seines Versprechens - ist dubios.

Krieg der Blicke und Gewalt In der Metaphorik von Licht und Dunkel drückt sich die Spannung zwischen scheinhafter Oberfläche und tatsächlicher Intrige aus, und mit dem Übergang vom einen zum andern bricht sich die Katastrophe Bahn. Scheinbar wird die Transpa­ renz der Welt wiederhergestellt, doch mit verhängnisvollen Folgen. Kriemhilts Rückkehr ins Licht der Öffentlichkeit bedeutet Wiederherstellung der Fassade. Ihr Z ug zu Etzel ist eine Folge glänzender Schaubilder: wie hêrlîchen Kriemhilt da käme durch diu laut (1337,3). Die allen sichtbare Pracht der höfischen Welt wird noch einmal aufwendig inszeniert.86 Etzels Macht ist wlt erkant (1334 ,1); seine Leute verkünden [jähen) Kriemhilts Ehre (1333,3); Kriemhilt scheint, was sie schon ein­ mal war: hey wa% si großer êren sît dâ %en Hiunen gewan! (1330,4). Nacht wird es nur, damit sogleich ein neuer Tag anbrechen kann ( 13 17 ,1; i3Öo,if.). Wenn Kriemhilt dann aber darangeht, ihren argen willen zu verfolgen (1399,4), geschieht das wieder nachts (1400,1). Der scheinbar legitime Wunsch, die Verwandten ,bei sich zu sehen‘, eigentlich der Erneuerung oder Herstellung von Eintracht dienend, wird zum hinterlistigen Vorwand. Kriemhilt will, anders als Prünhilt, dabei nicht nur herausfinden, was sie nicht weiß, sondern im Gegenteil, aus dem, was sie weiß, ihre Rache ins Werk*16

*'

Heimliches Handeln wird zum negativen Charakteristikum der Sagenfigur, so wenn im »Rosengarten* Kriemhilt sich heimliche über die Annahme ihrer Herausforderung durch die Amelungen freut (Ro A 83,2). 16 Vgl. den glänzenden Einzug in Passau (129 7); den Z u g zu Gotelint (1 jo i ; 1304); den Em pfang mit Ritterspielen (1306, 1307); die Begegnung Kriemhilts mit Gotelint ( 1 3 1 1 , 1 3 1 3 , 13 14 ); das Fest in der offenstehenden Burg ( 1 3 1 8ff.); die Demonstration von mille (13 2 3 ; 1366; 1369; 1372; 137 3); den A ufzu g von Etzels Völkern ( 13 3 9 -15 4 7 ) ; den Em pfang durch Etzel selbst (1349); Kriemhilts strah­ lende Erscheinung ( 13 5 1,2 ); Ritterspiele und Mahl ( 1 3 5 3 - 1 3 5 9 ) ; die Hochzeit in Wien (136 2 -136 7).

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setzen. Die Brüder und Hagen ,sehen* bedeutet, sie in die Gewalt zu bekommen. Kriemhilts Racheplan könnte nicht gelingen, wenn ihr Wunsch gegenüber Ver­ wandten nicht selbstverständlich wäre und mithin harmlos schiene. Das Prinzip sozialen Zusammenhalts wird für die Rache instrumentalisiert. Ins Dunkel ist weithin der Zug der Burgonden zu Etzel getaucht. Das Dunkel ist unsicher. Tougen (i 534,1) schleicht Hagen den merwîp nach. Was wahr, was falsch ist, erweist sich als zweifelhaft: Hagen wird von ihnen zuerst mit einer Lüge abgespeist ( ï 539,3), dann, als sie diese widerrufen haben, hält er die Korrektur der Lüge für Betrug (15 4 1,1); er muß die Wahrheit auf die Probe stellen; herauskommt die Wahr­ heit nur mittels einer willkürlichen Gewalttat. Hagen täuscht seine Herren (lougenlfche, 1568,1) darüber, daß er den Fährmann erschlagen hat, als man dessen noch dampfendes Blut im Schiff entdeckt ( 1 566E). Mit der Überschreitung der Donau scheint das Licht, in dem heroisches Handeln zu stehen hat, vollends gelöscht. Die Kämpfe gegen die Bayern finden im Dunkeln statt: In was des tages ^erunnen (1600,1). Der Überfall auf die Nachhut erfolgt nachts; zuerst hört man die Feinde nur (si hörten hüeve klaffen, 1601,2), bevor man sie sieht (si sähen in der vinster der liebten Schilde schm, 1602,2). Erst wenn er vorbei ist, bricht der Mond aus den Wolken (Ein teil schein den wölken des liebten mänen brehen, 1620,1), doch die aus dem Dunkel drohende Gefahr besteht weiter: Bevor es Tag wird, darf sich das Heer nicht ausruhen (1623,2). Außerdem rät Hagen, den K am pf vor den Königen zu verbergen, bis der Tag das Blut auf den Rüstungen sichtbar macht (1624): Plötzlich scheint die Bewährung der Krieger im K am pf nicht mehr selbstverständlich ins Licht allgemeiner Aufmerksamkeit zu gehören. Vorübergehend scheinen die Burgonden in Passau und Bechelaren das Dunkel hinter sich gelassen zu haben, doch an Etzels H o f geht das gewaltträchtige Ver­ steckspiel erneut los. Erst als es keinen Rückweg mehr gibt, sagt Hagen den Burgonden, was er von den merwîp gehört hatte (1589,1). Von da an kommt die Wahrheit Stück für Stück ans Licht. Schon die Begrüßung durch Kriemhilt drückt Konfrontation in den Blicken aus. Kriemhilts Blick wird zur Waffe: wan da% si swinde blicke an ir viande sach ( I 7 4 9 . 4 ) . 8’

In der folgenden Szene bieten sich Volker und Hagen den Hiunen als Objekte neugieriger Musterung aus sicherem Abstand dar: Alsam tier diu wilden wurden gekapfet an die übermüeten beide von den Hiunen man.

(1762,1F.)

Das ist die Kehrseite des Glanzes, den die Helden ausstrahlen: Schrecken. Für Kriemhilt ist schon der Anblick Hagens verletzend; sie bricht in Gegenwart ihres

*7 Ich folge de Boors Übersetzungsvorschlag („scharfe Blicke auf ihre Feinde warf“ , S. 276), da er das aktiv-aggressive Moment des Blicks (.einen Blick sehen*) herausstellt.

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hiunischen Gefolges in Tränen aus: E% mante si ir leide: weinen si began. (1763,1) Ihr Weinen ist ein Politikum wie das Prünhilts und löst eine ähnliche Reaktion aus: des bete michel wunder die Et^elen man, wa% ir s6 schiere beswaret het ir muot. si sprach: „da% hat Hagene, ir beide küene unde guot. " Si sprächen %uo der vrouwen: „wie ist da% geschehen? wand’ wir iuch niuliche haben vro gesehen nie niemen wart so küene, der%iu hat getan, heißet ir% uns rechen, e% soi im an sin leben gän.“ (1763,2-1764,4) Endlich scheint die Gelegenheit gekommen, Licht ins Dunkel zu bringen. Kriemhilt erklärt den Grund ihres leit. Sie versucht die Aufdeckung der Wahrheit über Sivrits Tod und den Hortraub feierlich zu inszenieren, so daß sogleich Sanktionen erfolgen können. Indem sie ihr militärisches Gefolge verstärkt und under kröne (1770,4), mit den Insignien ihrer königlichen Macht, auftritt, wird der angemessene Rahmen für die verbindliche Feststellung und sofortige Durchsetzung von Wahr­ heit geschaffen. Kriemhilt provoziert ein Geständnis vor dem ganzen Hof. Deshalb fordert sie ihre Leute auf, gut auf Hagens Worte zu achten (17 7 1,1F ): ich wei% in so übermüeten da% er mir lougent niht\ sie gibt ihn der Rache frei: so ist ouch mir unmare, swa% im dar umbe geschiht (17 7 1,3F). Das erste gelingt, das zweite nicht. Worte und Zeichen stimmen jetzt wieder überein; die Wahrheit kommt heraus, doch ihre Geltung wird bestritten. Die Abfolge kehrt die des Streits mit Prünhilt vor dem Münster um. Noch bevor gesprochen wird, zeigt der übermüete Hagene offen das Beweisstück für seine Schuld, Sivrits Schwert: wol erkande^ Kriemhilt, da% e% Sifrides was (1783,4), aber er zeigt damit auch die Waffe, die Kriemhilt es verwehrt, daraus Folgerungen zu ziehen. Das Zeichen beleidigt Kriemhilt zweifach: e% mante si ir leide: weinen si began. ich wane e% bete dar umbe der küene Hagene getan.

(1784,3 F).

Die Worte bestätigen die Geste. Wie in einem gerichtlichen Verhör stellt Kriemhilt Hagen die Frage, schon nicht mehr nach dem Ob (das steht fest), sondern nach dem Warum seiner Tat: [...] %wiu tätet ir da% da% ir da% habt verdienet, da% ich iu bin geha%? ir sluoget Sîfrîden, den minen lieben man. (1789,1—3)8

88 Die Worte bezieht de Boor (S. 279) auf „Kriem hilds Freudenausbruch beim Nahen der Burgunden“ . Das ist zu punktuell gedacht, denn der A u sru f N u wol mich miner vreuden ( 1 7 1 7 ,1 ) setzt ja nur fort, was Kriemhilt an höfischer Harmonie all die Jahre vorgespielt hat.

291

D ie Trübung der Sichtbarkeit

Sie bekommt zu hören, was sie hören will, indem Hagen vor ihrem Gefolge erklärt: D er rede ist nugenuoc [ ...] ich bin% aber Hagene, der Sifrideti sluoc [ ...] E% ist âne lougen [ ...] ich hän es alles schulde [ ...] ich emuolde danne liegen (179 0 -179 1). Kriemhilt stellt vor allen fest, daß Hagen gestanden hat: Si sprach: „nu hccrt ir recken, wa er mir lougent niht

(1792,1)

Und sie erklärt ihn zum vogelfreien Opfer der Rache (1792,3). Es gibt waffenfähige Zeugen. Damit sollte nach den früher geltenden Regeln alles klar sein. Doch Hagens Worte nu reche:£ swer der welle [ ...] (1791,3) schneiden die K onse­ quenzen ab und wiederholen seine aggressive Geste.**9 Mit Sivrits Schwert auf den Knien nimmt er die Pose des Richters in eigener Sache90 ein und droht mit der Waffe (1783; 1785). Damit definiert er den Gerichtsakt in seinem Sinn um. Der Urteilsspruch ist nicht mehr Sache der Königin, sondern dessen, der sein eigenes Recht mit dem Schwert durchsetzen kann. Statt daß jetzt derselbe Mechanismus wie damals in Worms abläuft und die Gefolgsleute die Königin rächen, zucken die Hiunen zurück. Die Niederlage spiegelt sich in den Blicken. Die Blicke des hiunischen Gefolges halten das aggressive Bekenntnis der Wahrheit nicht aus und werden zurückge­ worfen: die übermüeten degene ein ander sähen an.

(1792,4)

Ein Hiune fragt: wes sehet ir mich an? (1794,1), ein anderer wagt Volker nicht an­ zugreifen durh sine swinde blicke, die ich an im gesehen hän (1795,4). Der K rieg der Blicke ist verloren, die beide kêrten dannen (1799,3). E s hat sich herausgestellt, daß aus der Wahrheit, die unbestritten und öffentlich ist, keinerlei Konsequenzen folgen, weil sie eine Funktion der Macht ist. Die Wie­ derherstellung von Sichtbarkeit bedeutet nicht Wiederherstellung von Recht, son­ dern Demonstration schierer Gewalt. Solange Kriemhilt niemanden hat, der für sie eintritt, ist Hagens Position unangreifbar. Wenn damit die Haltung der Königin geklärt ist, so doch noch nicht die Etzels. Wieder geht es nur darum, was die meisten schon wissen, öffentlich wahrnehmbar zu machen. Volker fordert daher seine Herren vil lute auf: ir suit %e hove gên und hœret an dem künege, wie der s igemuot.

(i8c>3,2f.)

*9 Wynn (1965) hat in der Ausstellung symbolischer Gesten ein durchgängiges Gestaltungsprinzip des Epos erkannt: „ A t crucial points o f the plot he allows the gesture to take over from dialogue and detailed description“ (S. h i ). 9° Wynn (1965), S. 107; keine Rede davon, daß die Geste von ihrer rechtlichen Bedeutung abgelöst würde (Wolf, 1981, S. 59f.): Die rechtliche Bedeutung pointiert erst die ungeheuerliche Provokation.

K rieg der B lick e und G ew alt

Der Empfang bringt jedoch die gewünschte Klärung nicht. Was die Burgonden bei der Begrüßung durch Etzel an Freundlichkeiten erfahren, widerspricht dem, was die Konfrontation mit Kriemhilt ergeben hatte (1808; 18 11,4 ), und es wird erneut darauf ankommen, den Widerspruch aufzulösen. Darauf legen es in der Folge Kriemhilt, Volker und Flagen an. Etzel muß Stellung beziehen. Bis dahin muß Kriemhilt noch verdeckt agieren, und das heißt wieder Verrat. Licht und Dunkel stehen für Recht und Unrecht. Nachdem Hagen âne lougen die brutale Wahrheit offengelegt hat, ist das Licht auf Seiten der Burgonden und das Dunkel auf der Kriemhilts. Der erste Anschlag auf die Gäste erfolgt aus dem Dunkel, wenn die Burgonden schlafen. Das disqualifiziert ihn. Wieder läßt sich, was im Dunkeln geschieht, nicht völlig verbergen. Die Attentäter werden bemerkt, weil Volker, der mit Hagen Wache hält, einen Helm verre u% einer vinster blitzen (schinen) sieht (i837,2f.). Nur versehentlich tritt ans Licht, was im Dunkeln bleiben wollte. Anders die Burgonden, Volker strahlt in hellem Licht, wobei die nächtliche Situation vergessen scheint: Der treit üf stnem houbte einen heim glan% /•••/

'

ouch lohent im die ringe sam da^fiwer tuot.

(1841,1—3)

Heroischer Glanz auf der einen Seite und feiges Versteckspiel auf der anderen entsprechen der Rollenverteilung, wie sie von nun an gelten soll. Was im Dunkel ins Werk gesetzt wurde, will Volker ans Licht zerren: Do sprach aber Volker: „so lat doch da%geschehen, daz mir si bringen innen da% ich si habe gesehen, da%des iht haben lougen die Kriemhilde man, da% si ungetriweliche vil gerne hêten getân. “ (1845) Diesmal versucht Völker noch vergeblich, die Gegner zu zwingen, aus ihrer Ver­ borgenheit herauszutreten, ihr lougen aufzugeben. Beim Kirchgang, tatsächlich einer Zurschaustellung kriegerischer Rüstung, setzt sich der Krieg der Blicke fort: Hagens erlogene Erklärung für den martialischen Auftritt der Burgonden beantwortet Kriemhilt nur mit einem Blick: wie rehte fientliche si im under diu ougen sachl (1864,2). Die Blicke herausfordern soll auch der bühurt: lat die vrouwen schouwen und die degene, wie wir künnen riten; daç ist guot getân. man gît doh lop dekeinen des künec Guntheres man.

(1888,2-4)

Nicht mehr der hiunische H o f gafft die Fremden wie wilde Tiere an, sondern diese geben die aggressiven Blicke zurück; ein hiunischer Höfling reizt Volkers Blick, das reicht, ihn totzuschlagen. Aus den unbeteiligten Zuschauern des höfischen Schau­ spiels werden Zeugen einer Gewalttat {idt^el unde Kriemhilt e% bescbeidenltchen sach, 1 890,4). Den offenen Ausbruch allgemeinen Kampfes kann Etzel noch einmal ver­ 29J

D ie Trübung der Sichtbarkeit

hindern, indem er öffentlich bezeugt, was er doch nicht gesehen hat (1896,3): es sei ein Unfall gewesen. Ein letztes Mal verschafft sich eine Lüge Geltung. Doch Etzels Blick ist jetzt in die verdeckte Auseinandersetzung einbezogen. Wenn Hagen beim Festmahl aggressiv den frühen Tod des Königssohns voraus­ sagt, heißt es: Der künec an Hagene blihte; diu rede was im /eit.

(1919,1)

Der Blick ersetzt die von Etzels Fürsten gewünschte Antwort auf die Provokation. Mit Dancwarts Auftritt beim Festmahl kehrt das Epos zur Transparenz des he­ roischen Schauspiels zurück: man sach den Hagenen bruoder %e hove hêrlîchen gân (1947,4). E r meldet vil lute (1952,1), was geschehen ist. Endlich kommt, was ver­ borgen war, ans Licht, und was Recht ist, ist Gegenstand offenen Kampfes. Der Preis für diesen Durchbruch von Wahrheit ist beispiellose Brutalität und totale Vernichtung. Das Morden hört erst auf, wenn fast alle tot sind. Der Blick Kriemhilts, von der gerühmt wurde, wieviele Helden sie ,vor sich sah‘, hat schon vorher kein Ziel mehr: nu sehet al umbe, Kriemhilt, wem ir nu gebieten weit.

(2231,3)

Das Ende bedeutet auch eine Auslöschung des Blicks. Das Fenster, vor dem sich bei zahllosen Empfängen höfische Pracht entfaltete, ist jetzt der Platz Dietrichs (2247,2), der sich, dorthin zurückgezogen, heraushalten zu können glaubt. Von diesem Fenster aus gibt es nichts mehr zu sehen. Übrig ist die melancholische Geste: Do sah er trürecliche sitzen hie den man.

(2309,1)

Hagen wird nach seiner Niederlage den Blicken entzogen; man bringt ihn an sin ungemach, da er lac beslo^gen unt da in niemen sach.

(2356,1F.)

Der alles so tat, wie man es sehen sollte, verschwindet an einen Ort, wo ihn nie­ mand sieht - die größte Entfernung von seiner Rolle. Der Blick stiftet keinen sozialen Zusammenhang mehr, K önig und Mann haben sich aus den Augen ver­ loren: Si lie si ligen sunder durch ir ungemach, da\' ir sit dewedere den andern nie gesach [ ! ] , un% si ir bruoder houbet hinfü r Hagenen truoc

(2366,1—3).

Wenn Hagen noch einmal zu einem letzten Kräftemessen auf die Bühne kommt, zwingt Kriemhilt ihm den Anblick seines toten Herrn (2370,1) auf, indem sie sein Haupt bi dem hdre vor ihn trägt (2369,3) und macht Etzel zum Zeugen ihrer letzten Greueltat (2373,4). Das ist alles, was zu sehen bleibt. Die den Blicken von Mit- und Nachwelt sich darbietende Pracht ist dahin. In der anfänglichen Trübung und letzt­ 294

K rieg der B lick e und G ew alt

endlichen Auslöschung des Blicks sind die Ursachen sowohl wie die Erscheinungs­ formen des Untergangs der nibelungischen Welt chiffriert.

295

VI R

ä u m e

Offener vs. abgeschlossener Raum 1 Hagens Erzählung von Sivrits Jugendtaten hatte eine fremde Welt ohne jedes feste raumzeitliche Koordinatensystem entworfen. Dadurch hatte sie sich von der ge­ wöhnlichen nibelungischen Erzählwelt abgehoben, doch weicht auch diese von alltagsweltlichen Raumvorstellungen ab. E s gibt keine deutlich geschiedenen Räu­ me, die gegeneinander abschließbar wären. Was verhandelt wird, findet in der Regel auf offener Szene statt, zu der prinzipiell jeder Zutritt hat. Der grundsätzlich offene Raum erklärt die Beliebtheit des Motivs .K am pf in der Halle1*4 im heroischen Epos, denn die äußere Abgrenzung erlaubt Konzentration des Geschehens.1 Absonde­ rung muß immer ausdrücklich angezeigt werden. Sie wird, wie an der Darstellung der Intrigen Prünhilts und Kriemhilts zu sehen war, nicht immer lokalisiert, wohl aber als tougeny heimliche u. ä. gekennzeichnet. Es reicht anzuzeigen, daß niemand zuhört. Der Raum ist kein Kontinuum. E r ist die Bühne, auf der jeweils gehandelt wird. Alle Akteure, die gebraucht werden, sind auf der Szene. Wer dort nicht ist, hat derzeit mit dem Geschehen nichts zu tun. Oft wird nur der, der etwas zu tun hat, genannt. Wer gebraucht wird, ist plötzlich da. Nicht wer einen Raum betritt, nimmt am Geschehen dort teil, sondern wer daran teilnehmen soll, ist in räumlicher Nähe. Die Auftritte der Protagonisten sind allein von ihrer Funktion für die Handlung gesteuert. Aus der Abwesenheit eines Namens darf man nicht auf Abwesenheit der Figur schließen.1 Man agiert auf Hör- und Sichtweite. Was in einem abgeschlossenen Raum gesagt wird - dem Festsaal des Hiunenkönigs z. B. - können die Draußenstehenden hö­ ren, wenn es die Handlung erfordert und umgekehrt.4 Man nimmt wahr, was der Gegner tut. Was in einem K am pf auf jeder der beiden Seiten gesprochen wird,

1

Zum historischen Raum der Sage: Brunner (1990); er wird im folgenden nicht erörtert werden.

1

Wolf (1995), S. }8 3f.



Man kann deshalb nie wissen, ob nur die ausdrücklich Genannten anwesend sind, wer Zeuge einer Szene ist und wer nicht (dagegen etwa Grenzler, 1992, S. 160; 163; 371 u. ö.). Dem Erzähler geht es nie um vollständige Situationsprotokollc, was als Intention implizit vorausgesetzt wird, wenn ein .realistischer' A b lauf aus dem Wortlaut des Textes gezimmert wird. Vgl. etwa 2034; 2230.

4

297

Räume

vernehmen die andern mit und reagieren darauf. Wo eben noch erzählt wurde, daß die Kämpfer weit auseinandergezogen werden - z. B. wenn die Burgonden die Hiunen aus dem Saal vertrieben haben und gewaltsam auf Distanz halten: den E t ­ ile n man/gab er herberge höher von dem sal (20 18,2F), - ist man sich doch nahe genug, um alles vom Gegner zu verstehen: Hagen und Volker verhandeln mit Etzel (2019,2f.); Kriemhilt mischt sich ein (2021,2-4); Hagen beleidigt Etzel und Kriemhilt, die in unmuote (2024,2) ist, weil dies vor Et^elen man (2024,5), also in deren Hörweite, geschieht. Wenn Kriemhilt an Etzels Leute ihr Versprechen reichen Lohns richtet, dann antwortet ihr der Burgonde Volker mit höhnischen Worten über deren Feigheit (2026f.). Irinc befindet sich in Kriemhilts Gefolge, wenn er nach seinen Waffen ruft (2028); darauf warnt ihn von der Gegenseite Hagen (2029), und Irinc repliziert (2030); erst danach sieht Volker, wie Irinc mit 1000 Mann heranrückt. Oder die Schlußszene: Dietrich verläßt Kriemhilt mit weinenden ougen (2365,2); Kriemhilt läßt Hagen und Gunther getrennt durch ir ungemach gefangen halten (2366,1); dann geht sie, da si Hagenen sach (2367,1) - in sein Gefängnis also? - , und streitet mit ihm um den Schatz; nach Hagens Weigerung läßt sie - wo? - Gunther enthaupten und trägt - hat sie sich entfernt? - sein Haupt bi dem hare vor Hagen (2369,3); ein weiterer Wortwechsel schließt sich an; als er in Gewalt ausartet, sind plötzlich Etzel, Hildebrant und wieder Dietrich auf der Szene - doch wo? Kein Wort davon, wann sic hinzukamen und welche Bewegungen inzwischen stattgefunden haben.’ Weil der Raum des Handelns offen, Räume nicht gegeneinander abgegrenzt sind, müssen Veränderungen im Raum in der Regel nicht erzählt werden. Eben hat Kriemhilt noch vergebens versucht, Dietrich in den K am p f zu ziehen, da gelobt sie schon Blcedelin Lohn für Hilfe bei der Rache (1903/04), ohne daß gesagt werden müßte, daß sie den einen verließ, um den anderen aufzusuchen. Sogleich fordert Blœdelin sein (bei der Unterredung anwesendes?) Gefolge auf, sich zu wappnen (1910). Wenn Kriemhilt ihn verläßt und %e tische geht (19 11,2 ), dann zeigt das an, daß sie bei den folgenden Aktionen nur aus dem Hintergrund mitwirkt. In räumlichen Konfigurationen drücken sich Rangverhältnisse aus. Das Beiein­ anderstehen des Königspaars macht geordnete Herrschaft anschaubar (604,2-4): Daß Sivrit vor [ ...] recken [ ...] kröne trägt (713,3), bedeutet, daß sie ihm unterge­ ben sind. Gunthers und Prünhilts Auftritt unter Krone findet nicht an einem ge­ nauer lokalisierbaren Ort statt, sondern ,vor dem Land' (in des küneges lande, 604,4). Das anschließende Krönungsmahl, der nächste Teil der Hochzeitszeremonie, ist von diesem Staatsakt unterschieden, folglich gehört er an einen ,anderen' Ort (ob­ wohl es zuerst so scheint, als befände sich das gesidele im gleichen Raum); man muß



Schröder (1968), S. 162 denkt über eine „wahrscheinlichere“ Lösun g nach, indem Kriemhilt z. B. Hagen „vorführen ließ“ und „der ganze Wortwechsel vor Zeu gen“ stattfand. Das ist zweifellos plausibler, hat aber nichts mit der Raumbehandlung im Text zu tun.

298

O ffener vs. abgeschlossener Raum

,sich dorthin begeben4 {der künic wolde gdn/^e tische mit den gesten, 604,1h). Wohin, bleibt offen. Prünhilt tritt tatsächlich ab (611,4). Wie selbstverständlich gleitet man von einem Raum in den anderen. Wenn Sivrits Hochzeit mit Kriemhilt derjenigen Gunthers mit Prünhilt gleichwertig sein soll, muß sie am selben Ort stattfinden. Kriemhilt ,ersetzt“ dann Prünhilt. Danach muß nicht eigens gesagt werden, daß man sich zum Hochzeitsmahl in einen anderen Raum begibt, und natürlich ist Prünhilt sogleich wieder dabei. In der männlich dominierten Welt gibt es keinen Raum jenseits der Bühne, auf der vor allen agiert wird und die manchmal um die Gesellschaft der Frauen erwei­ tert werden kann, es gibt allenfalls abgedunkelte oder unzugängliche Sphären, in denen heimliche Dinge vor sich gehen. Diese Räume sind nicht ,privat4 in einem modernen Sinne, sondern allenfalls in der ursprünglichen Wortbedeutung, daß ih­ nen .etwas fehlt4. Hier handeln vor allem die Frauen. Entgegengesetzt werden weniger Räume als Sphären legitimen und illegitimen Handelns. Wenn Kriemhilt Etzel überredet, ihre Verwandten einzuladen, gibt es eine Abfolge von drei Räumen: das eheliche Schlafgemach {Dô si eines nahtes bi dem künige lac, 1400,1), der Raum, in dem Etzel die Boten abfertigt, und der, in dem Kriemhilt anschließend die Boten gesondert instruiert. Man hat sich gewundert, daß die nächtliche Unterredung unmittelbar in die Szene übergeht, in der Etzel mit den Boten spricht {die guoten videlare hie% er bringen sä %ehant, 1407,4).6 Kriemhilt beordert sie immerhin danach in ir kemendten (1413,2). Doch nicht der Wechsel von Raum zu Raum ist von Interesse, sondern die Tatsache, daß einer der Räume öffentlich ist und von zweien die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Gemeint ist bei der ersten Unterredung gar nicht eine Szene ehelicher Intimität, sondern eine öffentlichkeits-abgewandte Situation, die ein Doppelspiel erlaubt: für Kriemhilt das E in ­ fädeln eines hinterlistigen Planes, dessen Mitspieler nur halb unterrichtet sind, da­ gegen für Etzel eine Demonstration von Eintracht des Sippenverbandes, die alle angeht und daher prinzipiell öffentlich ist. Die Fortsetzung findet deshalb in ver­ schiedenen Räumen statt, je nach den Zielen der Beteiligten. Für das, was Etzel von Kriemhilts Vorschlag versteht, ist keine Abschließung in Heimlichkeit nötig. Deshalb kann das Resultat der Unterredung - die Einladung an die Burgonden - übergangslos vor anderen publik gemacht werden. Etzel bewegt sich von Anfang an, schon in der Unterredung mit Kriemhilt, in der Sphäre herr­ scherlichen Handelns, und deshalb finden ihn die Boten auch sogleich dort - da der künec sa% (1408,1) - und nicht im Bett bei Kriemhilt. Kriemhilt dagegen handelt, auch nachdem der offizielle Auftrag ergangen ist, versteckt und in abgesonderten Räumen. Und deshalb müssen die Boten, nachdem sie vom K önig ihre Instruktio­

6

Vgl. 14 0 7 -14 13 ; Masser (19 8 1) nimmt hier Vortragsvarianten an, denn „die als Boten vorgesehenen Spielleute eilen kaum mitten in der Nacht ins königliche Schlafgemach“ (S. 1 30). Einen Fehler sieht auch Andersson (1987), S. 134.

Räume

nen erhalten haben, den öffentlichen Raum verlassen und sie in ir kemenäten auf­ suchen (1413,2). Solch symbolisch konnotierter Raum ist aus heldenepischer Darstellung wohl­ bekannt. Im Vergleich mit Werken wie dem ,Rolandslied47 fallt sogar auf, daß der Raum klarer definiert, nicht nur durch ein Requisit gesetzt ist. E r ist in abgegrenzte Teilräume gegliedert, die Handlungssbereiche und Personenkonstellationen be­ zeichnen. Insofern ist er immer mehr als nur Raum.

Raum, Institution, Personenkonstellation: %e hove Das zeigt die Wendung %e hove. Damit wird sowohl ein Raum wie eine Personen­ gruppe wie eine Institution benannt, häufig aber alles zugleich. Meist ist hove ein unbestimmter Raum mit unbestimmten Grenzen, der das Zentrum der Herrschaft ist. So sieht man die angeblichen Boten der Sachsen mit der falschen Kriegserklä­ rung %e hove rîten (877,2), was wohl die weitere Umgebung der Könige meint. Dort bekommen sie dann urloup, vor dem K önig selbst zu erscheinen (878,1). Die A n ­ kunft der Burgonden in Etzels Burg heißt hin %e hove reiten, d. h. sie verlassen das freie Feld (1719,3), wo sie ein Zeltlager aufgeschlagen haben, um zu Etzels Regie­ rungssitz zu gelangen (1732,1); %e hove im Sinne von ,zum K ö n ig4 gehen sie dann erst später (1803,2; 1804,4). Bei diesem zweiten Mal ist also nicht der Sitz des Hofes, sondern enger der Herrscher gemeint, wo immer der sich gerade aufhalten mag. In diesem Sinne werden die Boten der Sachsen \e hove fü r den künec geleitet (141,4). Die Wendung in was %e hove erloubet meint deshalb: ,sie wurden beim K önig vorgelassen4 (744,4)/ Daneben gibt es eine rein räumliche Bedeutung. Mit hof kann der freie Platz im Inneren der Burg gemeint sein, auf dem sich Ankömmlinge aufhalten, die jungen Ritter ihre Kräfte messen oder ein bühurt stattfindet.78 910Bei der Ankunft der Burgon­ den bei Etzel bleiben zunächst die berren ü f dem hove stân (1760,1), während Volker und Hagen über den hof vil verre fü r einen palas wît gehen (1760,3). Hier ist der H o f der Raum zwischen den verschiedenen Gebäuden.’45 7

Man denke etwa an die An- und Abwesenheit des K önigs Marsilie in der ersten Schlacht. E r nimmt zunächst an ihr nicht teil, empfängt aber mehrfach Nachricht von ihrem Verlauf, auf den er unmit­ telbar reagieren kann; als alle diese Reaktionen den Verlauf der Schlacht nicht ändern, greift er selbst ein: Ein am realistischen Roman geschulter Leser müßte annehmen, er habe sich die ganze Zeit in der Nähe aufgehalten, und würde fragen, wo und wie das möglich war. Das ,Rolandslied‘ drückt auf diese Weise nur aus, daß er ,an der Schlacht beteiligt ist1, zuerst durch sein Heer, dann durch direkt Beauftragte, schließlich in eigener Person. 8 Dies ist in Heldenepen üblicher Sprachgebrauch. In der ,Kudrun‘ etwa erscheinen Hartmuots Boten, nachdem sie schon vorher in der Burg angekommen sind, %e hove (K 76 6 ,16 ), d. h. vor den K öni­ ginnen; Hilde erlaubt, daß Hartmuot ohne Fesseln %e hove, nämlich vor sie, kommen darf (K 1599,2). 9 13 3 ,1 : üf dem hove\ 7 4 1,2: an dem hove; 742,2; 1869,4; 1872,3: üf dem hove usw. 10 So auch ,K udrun‘ 1618,4: Kudrun geht des hoves an ein ende.

300

Raum, Institution, Personenkonstellation: %e hove Die unterschiedlichen Vorstellungen sind aber nicht immer klar geschieden, und die Bedeutung kann innerhalb einer einzigen Episode wechseln. Wenn Hagen und Volker, nachdem sie über den hof gegangen sind, zu ihren Königen zurückkehren, wird auch das hin tçe hove gehen genannt (1800,3): H o f wieder als Personenkonstel­ lation. Kurz darauf schiebt sich erneut die Raumvorstellung nach vorne, wenn es heißt, si giengen dâ si funden die gieren degene in großem antpfange an dem hove stân.

(1802,2h)

Wenn gleich danach Volker seine Herren auffordert ir suit %e hove gên (1803,if.), ist ,H o f‘ wieder anderswo; gemeint ist weder der Platz, auf dem man steht, noch die Gruppe um die burgondischen Könige, in der man sich befindet; gemeint ist: zu Etzel, in die Umgebung des hiunischen K ö n igs." Weil \e hove räumlich und institutionell nicht eindeutig definiert ist, kann der Herrscher, wenn er seine Leute um sich versammeln will, hove schicken: [Gun­ ther] bat ouch harte balde %e hove nach Gêrnôte gân (148,4)." H o f ist die Versammlung derer, die über das Land herrschen.'3 Wenn Kriemhilt öffentlich auftreten soll, ordnet Gunther an, daß sie vor ihm und seinen Leuten erscheint: da% si mit ir mageden hin

hove solde gân.

(275,4)

Oder bei der Eheschließung mit Sivrit: do bie% man Kriemhilde %e hove fü r den künic gân.

(609,4)

Was %e hove passiert oder laut wird, hat die Umgebung des Herrschers zu Zeugen, ist also im mittelalterlichen Sinne ,öffentlich4. Daher Rüedegers Empörung und Rache für die Schmährede eines Hiunen, die %e hove %e lute erfolgte (2141,4). Schließlich kann %e hove auch noch die Umgebung der Damen meinen. So sucht Sivrit um die Erlaubnis nach, tçe hove, d. h. zu Kriemhilt und ihrer Mutter, zu gehen (550,2). Ze hove gehen ist ein feierlicher Auftritt in Festgewändern; die Damen kleiden sich ebenfalls um, bevor sie Sivrit zu kommen auffordern. Auch wenn der K önig sich dorthin begibt, geht er \e hove.'* Neben dem Herrschaftszentrum in der Nähe des Fürsten gibt es ein zweites mit der vrouive als Mittelpunkt. Umgebung der Damen und Herrschaftszentrum fallen in eins, wenn man %e hove zu Prünhilt fährt (359>2! 4)-*1 11 So auch 1805,1 und 1806,1. 11 A m wahrscheinlichsten ist %e hove hier Angabe der Richtung, in die jemand kommen soll. Dann wäre zu übersetzen: .Günther schickte nach Gernot, daß er an den H o f kommen sollte“. Die syntaktische Ordnung läßt jedoch auch die Bedeutung zu: ,E r schickte an den H o f nach Gernot“, was bedeuten würde, daß auch des anderen Königs Umgebung ^e hove genannt würde. '* S o auch etwa RI 8674; 8681 u. ö. '* 290,

y >

349 .3;

550,2; 55 1,2; vgl. 110 9 ,1.

3° i

Räume

Herrschaftszentrum und Raum, in dem die Herrschaft zentriert ist, können für­ einander eintreten: hie en hove, d. h. in Worms in der Umgebung Gunthers, ist der Platz der Tronegare (699,3). Die Damen gehören das eine Mal (wo es um die Herr­ schaft geht) nicht dazu; das andere Mal ist ihre Sphäre der Mittelpunkt von Hof, zu dem sogar der König um Zutritt bittet. E s überlagern sich also unterschiedliche Vorstellungen, die erst der höfische Roman integrieren wird. All diese Verwendun­ gen sind jedoch recht unspezifisch; %e hove impliziert in der Regel nicht eine beson­ dere Lebensform. Genauere räumliche Vorstellungen sind mit %e hove allenfalls als Aufenthaltsort der Frauen verbunden. In diesem Kontext ist der Einfluß der zeitgenössischen höfischen Kultur am deutlichsten zu spüren. Mit dem kulturellen Muster wechselt die poetische Figurierung des Raums. Die räumliche Absonderung hat die gesell­ schaftliche Trennung von Männern und Frauen anzuzeigen. Die männlich domi­ nierte Welt des Hofes als Versammlung von Feudalherren um den K ön ig kann von den Frauen angeschaut werden ( 13 3,2f.), doch bleiben sie in der Regel ausge­ schlossen. In umgekehrter Richtung sind Blick und Zugang blockiert. Gesehen werden können die Frauen nur, wenn sie in der Sphäre des (männlichen) Hofes auftreten, wenn z. B. Kriemhilt und ihre Frauen in feierlicher Prozession im Fest­ gewand erscheinen (276-280): M it ir vil schœnen m'àgeden si kom fü r den sal (6 10 ,1).’’ Die Sphäre der Frauen ist nur unter genau festgelegten Bedingungen zugänglich. Wenn Sivrit Gunthers Botschaft den Frauen verkünden will, hat er eigens die E r ­ laubnis zu erwirken, daß er %e hove gän darf (551,2; vgl. 550,2). So entfaltet sich .höfisches Leben* im prägnanten Sinn hauptsächlich, wenn die Absonderung der beiden Räume momentan aufgehoben wird. Dies geschieht meist in feierlicher Form. Der Übergang vom H o f in die Frauengemächer ist zeremoniell formalisiert. Vorbereitet wird er wie ein diplomatischer Empfang {Do enbot er sîner swester da% er si wolde sehen, 347,i)."6 Man verkehrt durch Boten miteinander.'7 Die Frauen wie die Männer legen Festkleider an; Begrüßung, Einnehmen der Plätze, Rede und Gegenrede, Abschied gehen ihren gemessenen G an g.18 Hier, wo ein im engeren Sinne .höfisches* Leben faßbar ist, unterscheiden sich die Interaktionsfor­ men deutlich von denen des höfischen Romans. Es gibt keine entlastete, Männer und Frauen umgreifende, exklusive Geselligkeit, sondern nur den hochformellen Kontakt zweier gewöhnlich getrennter Gesellschaftssphären.

" Vgl. 581, 582. '6 Vgl. 546, 549, 550; so später noch beim Versöhnungsritual.

17 So vor der Fahrt nach Isenstein, wenn Kriemhilt den Bruder verständigen will:

Nach den hergesellen wart ein bote gesant, ob si wolden scouwen niuwes^ irgewant [ . .. ]

(36 9 ,if.) '* 3 4 8 -3 6 1; 55 2 -5 6 2 ; vgl. Rüedegers Auftritt vor Kriemhilt ( 1 2 2 5 ,}f.).

302

Régionalisât und Fremde

Regionalität und Fremde E s gibt Zentren höfischer Ordnung und politischer Macht, die verhältnismäßig ähnlich strukturiert sind: Worms, Xanten, Passau, Bechelaren, Etzelburg, selbst Isenstein, insofern es Sitz von Prünhilts Herrschaft und Ziel der Werbung des höfischen Gunther ist. Raum wird von Punkten politischer Herrschaft aus gedacht. Die Welt zwischen ihnen ist leer. E s zählt allein, was an jenen Zentren sich abspielt. Die bekannte Feudalwelt verteilt sich auf eine Anzahl von ,Inseln4 in einer bedroh­ lichen Wildnis. A u f den ,Inseln' hat man Verwandte, dort ist man bekannt, selbst wenn man sich noch nie von Angesicht sah. Zwischen den ,Inseln' dagegen, auf denen die geschlossene feudale Kriegergesellschaft fest institutionalisiert ist, liegt ein gefährlicher Raum, den man schwer bewaffnet und mit größter Vorsicht durch­ messen muß. Das gilt insbesondere für den Raum, der sich zwischen dem burgondischen und dem hiunischen Machtbereich erstreckt. Eine solche geographisch-soziale Struktur beruht auf „segmentärer Differenzie­ rung“ .'9 E s gibt eine Reihe gleicher Einheiten, doch nicht oder kaum Strukturen, die diese Einheiten übergreifen: weder eine verbindliche Rechtsordnung, die lokale Gewalten mediatisiert hat - daher muß der Racheanspruch sich immer wieder neu beweisen - , noch eine Herrschaft, die sich kleinere Herrschaften unterordnet Versuche dazu sind negativ besetzt - , und nur ansatzweise sichere Verhaltensstan­ dards, die überall gelten - daher die .Mißverständnisse' bei der Ankunft von Frem­ den oder betreffs regionaler site.101 Eine solche Welt hat um 1200 - gerade auch im Vergleich mit der höfischen Kultur - schon archaisches Gepräge. Gleichwohl wird sie eng an die bekannte herangerückt. Die Ortsnamen, die gewöhnlich im Heldenepos die Handlung irgendwo lokalisieren, ob nun im .Orient', in ,Lamparten‘, .Bern' oder ,im Gebirge', sind hier mit präzisen geo­ graphischen Vorstellungen verbunden: in Burgonden (2,1), genauer %e Wormen^ bi dem Rine (6,1).21 Das ist nicht irgendwo im unvertrauten Raum einer epischen Sonder­ welt, sondern eine bekannte Stadt, wenn auch der alte Name %en Burgonden (21,4) befremden mag; selbst wenn die Ortskenntnisse des vermutlich aus dem Südosten des Reichs stammenden Dichters in Bezug auf den Oberrhein nicht allzu gut sind, wird man ihm doch eine Unterscheidung von heldenepischem und zeitgenössi­ schem Burgund Zutrauen können, und Worms dürfte als eines der Zentren der Königsmacht im 12. Jahrhundert ein bekannter Name gewesen sein. Bekannt sind dann erst recht die Namen im Donauraum, deren ausführliche Nennung in seltsa­ mem Kontrast zur Bedeutungslosigkeit der Geschehnisse steht, die sich dort ab­ 19 Luhmann (1980), I S. 25. 10 Die segmentäre Differenz ist freilich schon verfügbar, wenn man wie Hagen zum eigenen Vorteil eine site erfindet (1863,2). 11 Vgl. W olf (1995), S. 3 1 5ff-

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spielen. Das ist ein geographisches Pendant zur ,Ansippung‘ von Dynastenge­ schlechtern an Gestalten der Heldensage, wie sie vor allem im Spätmittelalter dann üblich werden wird; gezeigt wird, daß die Heldensage ,bei uns* spielt. Den geographisch fixierbaren Räumen stehen im Dunkel der Sage verschwim­ mende gegenüber.“ Hinter Isenstein mag eine Vorstellung von Island stehen, doch liegt es außerhalb der bekannten Welt, über sê (326,1). E s wird aus dem Epos verschwinden, wenn die Macht Prünhilts gebrochen ist. Als Ort des Wettkampfs mit ihr liegt es .jenseits*. Nachdem aber Prünhilt einmal bezwungen ist, erweist sich ihr Reich dem der Burgonden als eine Erbmonarchie relativ verwandt, zumal wenn obendrein die weibliche durch eine männliche Herrschaft ersetzt wird, indem Prün­ hilts Mutterbruder an ihre Stelle tritt. Insofern entpuppt sich Isenstein nach dem Sieg im Wettkampf doch als .normal* strukturiertes Land, das mit Prünhilts A b ­ schied nicht sofort zusammenbricht, wie dies zu erwarten wäre, gründete Herr­ schaft allein auf ihrer Person. Isenstein ist nun zwar nicht mehr fremd, aber auch erzählerisch uninteressant. Anders das Nibelungenland. Wo es sich befindet, liegt im Dunkeln.23 Zufällig kommt Sivrit das erste Mal dorthin; in kurzer Zeit - bi des tages %ite unt in der einen naht (484,1) - erreicht er es von Isenstein aus. Diese beiden Orte sind .benachbart*, weil sie beide jenseits der gewöhnlichen Welt liegen. Im Nibelungenland gibt es Riesen und Zwerge. Aus der gewöhnlichen Welt könnten sonst nur noch die merwip herausfallen. Das aber ist neuzeitliche Täuschung: Sie sind Wassergeister, wie sie nach mittelalterli­ cher Vorstellung in der bekannten Welt, hier am Ufer der Donau, durchaus anzu­ treffen sind, denn das Wasser war von derartigen Wesen bevölkert.24 Allerdings halten sich die merwip an einer Grenze auf, an der die Burgonden die sichere eigene Welt für immer hinter sich lassen und in den gefährlichen Raum jenseits ihres Einflußbereichs hinüberwechseln. Die Epenwelt zerfällt aufs Ganze gesehen in zwei Teile, in die höfische Welt von Worms, Xanten, Bechelaren und selbst noch von Etzelburg, und eine fremdartige Welt, aus der Prünhilt kommt und in der Sivrit seinen Hort gewinnt. Insgesamt wird die Grenze der gewöhnlichen Welt nur an zwei Punkten überschritten, wobei Isenstein gewissermaßen kolonisiert wird und das Nibelungenland anfangs das glei­ che Schicksal zu erleiden scheint, bis es dann eine eigentümliche Gewalt über die bekannte Welt gewinnt.2’*14 “ Auf die unterschiedlichen - .mythischen* und .realistischen* - Raumvorstellungen des Epos macht Gillespie (1987) aufmerksam. '* Wenn Peeters (1986) aus den geographischen Angaben über die Lage des Nibelungenlandes Schlüsse zu ziehen sucht (S. 6), dann übersieht er, daß sich solche Angaben erst machen lassen, nachdem das Land später aus seiner nebelhaften Ferne zu einem Teil der burgondischen oder niederländischen Machtsphäre geworden ist. 14 Lecouteux (1978), S. 295 u. (1979), S. 76. 11 Vgl. S. 337-34}. 304

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Grundsätzlich gelten aber auch innerhalb der gewöhnlichen Welt Regeln ,regional4, d. h. die Unterordnung, die in Isenstein nötig ist, ist es nicht mehr, ja ist sogar anstößig in Worms; Sivrits Trophäen kann man in Xanten zeigen, nicht unter den Burgonden; der Beweis für Hagens Mord ist nur für die Trauergemeinde in Worms erbracht; vor den Hiunen muß Hagen sein Schuldgeständnis wiederholen. Verhalten wird plausibel jeweils in Bezug auf einen bestimmten Kontext. Latente Konflikte eskalieren beim Übergang von einem Raum in den anderen, so wenn Prünhilt ihr Wissen von Isenstein nach Worms bringt oder Kriemhilt die Trophäe ihres Siegs über Prünhilt nicht nur im eigenen Herrschaftsbereich gebraucht. Die durch suone und Königsgericht neu gefestigte Wormser Herrschaft geht zugrunde, wenn der burgondische Herrschaftsverband die Last eines ungesühnten Verbre­ chens zu Etzel schleppt. So entstehen nicht nur Konflikte, indem die fremde Welt ,jenseits4 in die Feu­ dalwelt hineinragt (Prünhilt, Sivrits Stärke, sein Hort). Virulent werden auch sie erst, wenn die Grenzen zwischen den ,Sektoren4 der Feudalwelt überschritten wer­ den, von Isenstein zu Gunthers Hof, von Xanten nach Worms, von Worms nach Etzelburg. Nur für sich sind die Sektoren der Feudalgesellschaft einigermaßen sicher. Die Grenzen der bekannten Welt werden sichtbar, wenn man sich aus dem ei­ genen Sozialverband herausbegibt und beim gleich strukturierten, verwandten noch nicht angekommen ist. So wenn das nibclungische Heer auf dem Weg zum Hiunenhof, über die Donau setzen muß. Die Donau markiert eine Grenze. Bis hierher hatten Kriemhilt bei ihrem Z u g zu Etzel ihre Getreuen begleitet (1291). Hier fangt eine bedrohliche Welt an. Hagen ist hier auf den Rat übernatürlicher Wesen, der Wasserfrauen, angewiesen, die er um Auskunft über die Auspizien der Fahrt zu Etzel angeht. Hier treten sofort wieder heroische Sonderbedingungen ein, wie man sie aus dem Umkreis des Nibelungen­ hortes kennt, etwa das kleine Boot, das wie bei der Fahrt nach Isenstein ausreicht, diesmal sogar, um ein riesiges Heer überzusetzen.26 Die Fremde ist Ort einer nicht weiter erklärungsbedürftigen Gewalt. Was Hagen von den Wasserfrauen über das Land erfährt, das er durchqueren muß, und über die Möglichkeit, das ganze Heer heil über die Donau zu bringen, läßt einen Sozialverband erkennen, der dem burgondischen sehr ähnlich ist. Die Wasserfrauen erklären Hagen, wie er versuchen soll überzusetzen: Flußaufwärts gibt es eine herberge und einen Fährmann; nur dort kommt man über den Fluß (i544,2f.); dirre man herre heißt Else (1545,4), sein Bruder Gelpfrat; der Fährmann ist Gelpfräte holt (1547,4), d. h. ein Gefolgsmann des Landesherrn. Für einen Frem­ den wie Hagen ist dieser Fährmann dagegen lebensbedrohlich: so grimmes muotes, er

26 Fromm (1990), S. 8.

Räume

lât iuch niht genesen, / ir enwelt mit guoten sinnen bi dem beide wesen (i 547,1h), d. h. wenn ihr nicht klug auf die Situation reagiert. Daher raten die Wasserfrauen Hagen zu einer List: E r solle sich als ein gewisser Amelrich ausgeben, der was ein heit guot, der durch fientschefte rämte dit^e lant. so kumt iu der verge, swenne im der name wirt genant.

( i 5 4 8 ,2 —4)

Das ist eine recht komplizierte Auskunft, ein véritables Soziogramm des fremden Landes: Wie in Worms herrschen Brüder gemeinsam. Wie die Wormser haben sie in dem Fährmann einen unheimlich starken Gefolgsmann, der wie Hagen dank per­ sönlicher Verpflichtung (holt) ihnen dient.17 Amelrich endlich, der vierte namentlich genannte, ist auf dunkle Weise mit den übrigen verbunden (vgl. 1552,3). E r ist wegen einer Fehde exiliert (so wie auch Hagen den Wormser H o f einige Zeit meiden mußte), aber trotzdem offenbar so im Land verwurzelt, daß man ihm über die Donau helfen wird. Hagen folgt dem Rat. Der Fährmann ist am anderen Ufer. Aber an eine gewöhn­ liche Vereinbarung über die Überfahrt ist offenbar nicht zu denken. Hagen ruft zwar: nu hol mich hie, verge [ ...] , sô gib’ sich dir %e miete einen bouc von golde rôt (1550,2-3). Doch miete allein reicht nicht aus: Der verge was sô riche, da%im niht dienen \am, da von er Ion vil selten von iemen da genam. (1551,1—2) Das nun erinnert an die Stellung, die Sivrit zugeschrieben wurde; auch er war so riche, daß er keinen lön nahm. Anders als Sivrit ist der Fährmann jedoch offenbar man des Landesherrn, eine lockere Abhängigkeit, die diesen jedoch später veran­ lassen wird, den erschlagenen heit %en handen (1603,4) zu rächen. Das lockere Herr­ schaftsgefüge gleicht der burgondischen Herrschaft. Hagen muß sich als jener Amelrich ausgeben, als Elsen man, /der durch starke fientschaft von disem lande entran (15 5 2,3h). Damit sagt er mehr, als er von den Was­ serfrauen gehört hat. Hagen versteht die fremde nach den Regeln der ihm bekann­ ten Welt und baut darauf seine List; denn er schlußfolgert, Amelrich müsse Elsen man gewesen sein, wenn sein Name so angesehen ist. So kann er auf die Hilfe des anderen hoffen. Obwohl offenbar primär personale Beziehungen zählen, muß Ha­ gen jedoch außerdem den versprochenen goldenen Ring vil höhe an dem swerte (15 53,1) zeigen, damit er Erfolg hat. Dies scheint den Gegner zu disqualifizieren, wie es später die hiunischen Krieger disqualifizieren wird, nur für Gold kämpfen zu wollen: E r ist mvlich gesit (nach A 1494,1),18 und die g ir nach großem guote (1554,2)

17 15 9 1,2 heißt er auch Elsen verge. ' * Diese Lesart ,von schlechter Gewohnheit, Gemütsart“ (so auch in CDla) scheint mir auch für die * A B -G ruppe, trotz der Reimschwierigkeit, dem nivlich gehit in B (das erste Wort verschrieben? ver­ lesen?) vorzuziehen; b hat - mit falscher Diphthongierung des vom Reim geforderten Langvokals

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Regionalität und Frem de

verleitet ihn, Hagen überzusetzen. Eine merkwürdige Doppelmotivation, doch ist die Priorität klar: Der Fährmann nimmt nur (und das heißt: begibt sich in Abhän­ gigkeit) innerhalb des ihm vertrauten Personenverbandes. Soziale Beziehung wird doppelt, personal und materiell, abgesichert. Selbst Amelrich, der (vermeintliche) Bruder, muß dem vergen einen goldenen Ring zeigen, damit der vom anderen Ufer aufbricht, um ihn überzusetzen.29 Doch dann merkt der verge, als er Hagen aus der Nähe sieht, daß er betrogen wurde: den er da nennen hörte, do er des niht envant, dö %urnde er ernstlichen [ ...]. (i 555,2.f".) des ich mich hie verwcene, dem sit ir ungelich. von vater und von muoter was er der bruoder min.

(15 56,zf.)

Und sogleich weigert er sich, ihn überzusetzen. Hagens Vorschlag, ihn, den vremde[n] recke[n ], trotzdem wie einen Freund (vriuntliche) gegen Bezahlung über die Donau zu bringen, lehnt er ab: e% habent jiande die lieben herren min, dar umbe ich niemen vremdenfüere in dit^e lant.

(1558,2-3)

Nach außen stabilisiert sich der Personenverband durch strikte Abschließung. Als Hagen insistiert, versetzt der Fährmann ihm mit dem Ruder einen heftigen Schlag. Hagen schlägt zurück. Der Fährmann wird getötet. Die Burgonden setzen in da\ unkunde lant über (1572,4); die Rache der Landesherrn Else und Gelpfrat zieht weitere Kämpfe nach sich und weitere Todesopfer. Die Fremde ist zugleich feindlich und vertraut. Sie erschließt sich über Namen. Indem er über den Namen des exilierten Mitgliedes des Personenverbandes verfugt, kann Hagen hoffen, in den fremden Raum einzudringen, denn damit würde er sich als vrirnt, als Mitglied des Personenverbandes ausweisen.50 Regeln - Dienst auf Grund von Lohn - gelten nur innerhalb der eigenen Gruppe, wo man einander holt, liep, vriunt ist. Nicht einmal die Gier nach Gold kann den Fährmann dazu bringen,*19 mulich ge sa it ; d (new/ich geschieht) steht B näher (Batts, S. 472f.). De Boor folgt, in Anlehnung an die ,Thidrekssaga‘, B: .frisch verheiratet' - ein isoliertes, seltsam privates Detail; de Boor will daraus ohne jede Stütze im Text oder wenigstens indirekt in der Charakteristik des verge - schließen, der Fährmann habe „den Ring seiner jungen Frau schenken“ wollen (S. 247). Hält man an der Lesart von B fest, dürfte es aber eher darum gehen, den Fährmann durch die angeheiratete Sippe im Land noch fester zu verwurzeln.

19 Obwohl ganz pragmatisch motiviert, weist die Szene auch auf die von A lth o ff beschriebene Verhand­ lung des deutschen K önig Heinrich I. mit dem französischen K önig, bei der jeder der Parteien an einem Ufer des Rhein sich postiert und über den Rhein hinweg zunächst durch Blicke sich mit den anderen vertraut macht, bevor die eigentlichen Verhandlungen beginnen. .Sehen' aus sicherer E n t­ fernung soll Vertrauen schaffen (Althoff, 1993/1997, S. 246). ,0 Über Kenntnis der Namen sucht sich im .Hildebrantslied' auch Hiltibrant dem Sohn Hadubrant als Freund zu empfehlen.

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diese Grenzen zu überschreiten. Hagens Versuch, die Überfahrt %e minne (1559,2) zu regeln, scheitert an der Abwehr des Fremden. Das Fremde beginnt jenseits des eigenen Sozialverbandes. Hier funktionieren Absprachen offenbar nicht. Allem, auch dem Gold, vorgeordnet sind personale, im Kern verwandtschaftliche Bezie­ hungen. Die personalen Bindungen an den angestammten Sozialverband werden durch Fehde (fientschefte, 1548,3), in deren Gefolge Amelrich das Land verlassen mußte (verbannt wurde?), nicht aufgehoben, sondern erweisen sich als stärker als jede fientscbajt innerhalb der eigenen Gruppe. Vertragsbeziehungen zu einem Un­ bekannten, wie Hagen sie vorschlägt, können nicht an ihre Stelle treten. Hagens List gelingt fast, wäre die Verbindung des Exilierten zum Fährmann nicht enger gewesen, als er wissen kann, denn den eigenen Bruder hätte der verge erkannt. Ist die Behauptung entlarvt, bleibt nur der Kampf. A u f dieser Ebene funktio­ niert Kommunikation wieder problemlos. Die Kontrahenten gehören der gleichen Herrenschicht an; auch der Fährmann ist ein mächtiger Herr, der nicht um Sold dient. Insofern ist er für Hagen ein ebenbürtiger Gegner, und insofern gibt es zwischen den fremden Sozialverbänden dann doch wieder ein wechselseitiges Ver­ stehen, wenn auch nicht als friedlicher Ausgleich, sondern als intuitives Begreifen von Feindschaft: Man bemerkt den Angriffswillen des anderen und sucht ihm mit List und Gewalt zu begegnen. Das ,Nibelungenlied4 entwirft eine segmentär differenzierte Welt.5' Die Welt zer­ fallt in viele gleich strukturierte Einheiten (Segmente), die untereinander keine Beziehungen unterhalten und die daher nur konflikthaft in Kontakt treten können. Im heroischen Epos wird nur von der Spitze jener Segmente erzählt, der Gruppe jener Herren, die ihre Herrschaft auf militärische Überlegenheit gründen und die durch verwandtschaftliche oder sonstwie geartete personale Beziehungen unterein­ ander verbunden sind. Alle wesentlichen Funktionen sind bei ihnen konzentriert; so leistet der Bewacher der Grenze nicht nur militärischen Schutz, sondern übt auch die Aufgabe des vergen aus, ähnlich wie Hagen nicht nur mächtiger Heerführer ist, sondern seinen Königen auch den Weg weist oder als Bote dienen könnte. Die Segmente sind so gleichartig, daß intuitives Verstehen (freilich nicht Verständi­ gung) zwischen ihnen möglich ist, zuerst durch Anpassung (Hagen verstellt sich und sucht sich in den fremden Personenverband mit dem Namen Amelrich hinein­ zulügen) und, wenn das mißlingt, mindestens dadurch, daß man zur Waffe greift. Anders als im höfischen Roman gibt es keine das einzelne Segment übergreifen­ de (Herren-) Schicht {stratum), die auf gemeinschaftliche Interaktionsregeln - mit Ausnahme derer gewaltsamer Auseinandersetzung - verpflichtet wäre. E s ist das archaische Gegenmodell zur ,stratifikatorischen‘ Differenzierung der höfischen G e­ sellschaft.52 In Konrads von Würzburg ,Engelhart4wird hypothetisch eine verwandZ u r Begrifflichkeit: Luhmann (1980), I S. 2 5 -2 7 ; mit anderer theoretischer Begründung: Czerwinski (1979), S. 62. J1 Luhmann (1980), I S. 44.

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Anwesenheit - Abwesenheit

tc Situation durchgespielt:35 Was passiert, wenn man ,draußen4, außerhalb des Ho­ fes, einem Fremden begegnet und nicht weiß, wie man ihn einzuschätzen hat, ob als Freund oder nicht? Der Vater des Helden gibt für diesen Fall den Rat, dem anderen einen Apfel anzubieten; ißt er ihn allein auf, läßt man ihn besser laufen; teilt er ihn aber und gibt die Hälfte zurück, dann taugt er als ,Freund4. Engelhard probiert den Rat zweimal aus, mit negativem Ergebnis. Beim dritten Mal teilt der Fremde den Apfel nicht nur, sondern gibt ihn geschält zurück: Das ist der rechte Freund. Was hier vorgeführt wird, ist das Funktionieren von Interaktionsregeln innerhalb der gleichen Gesellschaftsschicht. Die Mitglieder des gleichen Stratums erkennen sich auch unter unwahrscheinlichen Bedingungen (auf der beide) an einem gemeinschaft­ lichen Verhaltenscode und insofern als potentielle .Freunde4. Die Probe, die der Vater empfiehlt, formuliert eine Kernbedingung des höfischen Verhaltenscodex: Reziprozität, wechselseitige Berücksichtigung von Interessen. Der andere, der die Bedingung erfüllt, fügt noch etwas hinzu: die schöne Form der zivilisierten Geste. Anders als im ,Nibelungenlied4 gibt es innerhalb des eigenen Stratums keine ,Fremde4; man versteht sich überall und kann unter jedweden Umständen .Freund4 werden. Das ist in der nibelungischen Welt anders. Regeln, die gesicherten Umgang jenseits des eigenen Sozialverbandes garantieren, gibt es nicht, wenn Machtgaran­ tien fehlen. Man trifft immer auf dieselben Strukturen, aber die garantieren nicht gewaltfreien Umgang. Die .Regionalität4 der nibelungischen Welt entspricht der Punktualität sozialer Beziehungen. Anwesenheit - Abwesenheit Räumliche Nähe ist daher mit weiterer sozialer Bedeutung aufgeladen. Anwesenheit und Abwesenheit sind Zeichen der Verwicklung oder der Distanz zu einem G e­ schehen. Sie ersetzen Darlegungen zu Handlungsmotivationen und Aussagen zu psychischen Vorgängen. Anwesenheit und Abwesenheit werden deshalb immer wie­ der ausdrücklich hergestellt. Wenn Sivrit zum ersten Mal bei H o f erscheint, muß Hagen abwesend sein, denn ,es fehlt das Wissen4 über die Person des Ankömm­ lings, und dieses Wissen ist in Hagen repräsentiert. Man kann das Fehlen von Wissen bemerken und nach Hagen rufen. Sein Wissen erhält einen feierlichen A u f­ tritt: man sacb in hêrlîche mit recken hin %e hove gän (82,4). Wenn Hagen da ist, erfahrt man, wer Sivrit ist. So wie heroische Kraft anschaubar sich zeigen muß, so muß auch das Fehlen und die Verfügbarkeit heroischen Wissens sich bemerkbar machen. Das gilt selbst bei Nebenfiguren: Wenn Rüedeger ankommt, muß Hagen fehlen, damit er geholt werden kann: der wirt nach Hagene sande, ob si im kündec mähten sin (ii 77, 4). }4 " Müller (1984/1985), S. 299b M Ebenso bei der Ankunft der Boten Etzels: Der K önig, ratlos, muß fragen; niemand weiß etwas, un^e da% si sacb/Hagene von Tronege ( 1 4 5 1 , ^f.).

Räume

Ähnlich fehlt Prünhilt bei Sivrits Eheschließung, ohne daß gesagt werden muß, warum sie den Raum verläßt: dö was diu vrouwe Prünhilt vol hin un\ an den tisch gegdn.

(61 1 ,4)

E s ist belanglos, wo jener Tisch steht, wichtig ist allein ihre Abwesenheit, die anzeigt: Sie ist von den Abmachungen über die Heirat samt deren dunklen Im­ plikationen ausgeschlossen. Da sie ,woanders* ist, fehlt ihr Einverständnis mit dem, was jetzt geschieht. Analog An- und Abwesenheiten bei Rüedegers Konflikt. Für seine Zurückhal­ tung vom K am pf schwärzt ihn ein Hiune an, der £er küneginne spricht (2138,3), die sich mithin in seiner Nähe aufhalten muß. Das bedeutet, er macht seinen Vorwurf offenbar, dort wo er Resonanz findet. Rüedeger schlägt ihn tot. Der K önig, der, ohne daß das gesagt werden mußte, ,dabei stand*, wirft ihm darauf vor, wie er seine ,Hilfe* als Vasall auffasse. Damit ist der Vorwurf auf die Ebene gehoben, auf der er verhandelt werden muß: als Vasallitätskonflikt. E r geht den K önig, nicht so sehr die Königin an, die deshalb, obwohl zu ihr doch eben noch der Hiune gesprochen hatte, jetzt erst ,hinzukommen* muß, wenn sie eingreifen soll: Do kom diu küneginne und het i% ouch gesehen.

(2147,1)

Mit Kriemhilt .tritt* nämlich eine neue Verpflichtung zum Anspruch des Lehns­ herrn auf helfe .hinzu*, Rüedegers persönliches Versprechen ihr gegenüber. Der Konflikt baut sich auf, indem die Kontrahenten des Wortwechsels samt ihren A r­ gumenten zusammengebracht werden. Der Raum ist eine Funktion der K onflikt­ konstellation. Besonders auffällig spiegelt die Dramaturgie der Auftritte beim Streit der K ö ­ niginnen die wachsende Dimension des Konflikts. Der Streit bricht im Zw iege­ spräch aus, doch vor dem Gefolge der Königinnen als Zeugen; sein Eskalieren hat zur Konsequenz, daß sich das Gefolge Kriemhilts von dem Prünhilts trennen muß, ohne daß die liute, am Disput nicht teilnehmende, umstehende Beobachter, wissen, was das bedeutet (834,1). Kriemhilt kehrt, prächtig geschmückt mit ihren Hofda­ men zurück, begleitet offenbar auch von Sivrits Gefolge (/> warten vor dem hüse alle Stfrides man, 833,4).” Das hebt den Streit weiter über ein Gezänk zwischen Frauen hinaus. Sivrit selbst ist nicht dabei, denn er wird noch nicht gebraucht und muß erst in einem späteren Stadium geholt werden. Auch Prünhilt ist umgeben von ir frowen (845,1) und vil maniges ritters Up (835,2), jedoch gleichfalls nicht begleitet von den angesehensten Männern des Hofs, denn die müssen später eigens mit Gunther kommen. Nach Kriemhilts Sieg im Wortgefecht weitet der Kreis sich noch einmal aus. Prünhilt macht die Beleidigung vor dem fürsten vonme Rfne anhängig, so daß GunM Vgl. 846,1: Kriemhilt kommt aus dem Münster mit manigem küenem man.



Anwesenheit - Abwesenheit

ther seinen Auftritt bekommt (heißet here gän, 8 5i,if.): D er künic kom mit recken (852,1). Zur Klärung des Streits ist auch Sivrits Erscheinen notwendig: er soi herfü r gän (855,1); damit sein ,Hinzutreten‘ erzählt werden kann, darf er sich nicht in der Entourage Gunthers befinden. Sivrit leistet seinen Eid vor dem ganzen Hof, vor allen dlnen man (858,3), die %uo dem ringe zusammentreten (859,4). Jetzt scheinen alle versammelt. Unter ihnen scheint jedoch seltsamerweise Hagen zu fehlen, denn Ha­ gen muß ,hinzukommen und fragen', wenn Gunthers Schlichtungsversuch scheitert und Prünhilt unversöhnt weiter trauert. Ausgerechnet Hagen, der sonst alles weiß, sollte vom Skandal nichts gehört, nicht zu den Zeugen im Gefolge des Königs gehört haben und deshalb erst Informationen bei Prünhilt einholen müssen?36 Die Frage ist falsch gestellt. An- und Abwesenheit bedeuten offenbar anderes: Hagen wird in der vorausgehenden Szene nicht erwähnt, weil er für die mißglückte Schlichtung ,nicht verantwortlich' ist. Seine Stunde kommt erst, wenn die Schlich­ tung erfolglos bleibt und man sich anders um Abhilfe bemühen muß; jetzt betreibt er die Sache der Königin: dö kom von Tronege Hagene %uo sîner vrouwen gegän (863,4). Hat inzwischen die Szene gewechselt? Befindet man sich noch am selben Ort? Der Erzähler gibt keine Auskunft. Klar ist nur, daß etwas anderes anfangt, das vom vorigen öffentlichen Gerichtsakt unterschieden ist, eine heimliche Intrige nämlich. Deshalb müssen die, die doch eben schon versammelt waren, erneut versammelt werden. Jetzt sind nicht mehr ,alle‘ anwesend, die beim Gericht dabei waren. Vor allem fehlt Sivrit. E s spinnt sich ein Kom plott an, das vor einigen geheimgehalten werden muß und von dem andere sich ausschließen: Zuo der rede körnen Ortwin und Gérnôt dâ die beide rieten den Sifrides tôt. dar %uo kom ouch Giselher [ ...]. (865,1—3) Unsinnig die Frage, ob all die Genannten denn vorher bei der Eidesleistung gefehlt haben: Was jetzt beginnt, ist nicht mehr öffentlich, und deshalb muß der Kreis der Mitwisser neu bestimmt werden. A n die Stelle von Gemeinschaftshandeln tritt Ver­ einzelung: Hagen rät zum Mord; der hinzukommende Ortwin stimmt zu; der gleichfalls hinzukommende Giselher spricht dagegen; von Gernots Reaktion ver­ lautet nichts, doch wird er sich später am Kom plott nicht beteiligen. Plötzlich ist auch Gunther dabei (868,x), und dann zerfällt die Versammlung wieder so rasch, wie sie sich zusammengefunden hatte: Sin gevolgete niemen, niwan da% Hagene riet in allen selten [ ...]. (870,1) Im folgenden sprechen - wo? wann? wie oft? - nur noch die, auf die es ankommt: Gunther und Hagen. Die Mordintrige hat keinen Raum, denn sie kann sich ja nicht auf der Bühne höfischen Handelns zeigen.* *

Salmon (1976), S. 320. E s ist müßig zu spekulieren, wer beim Reinigungseid alles dabei ist.

Räume

Beteiligung an der Tat wird als Anwesenheit, Entfernung als Ausschluß von ihr verstanden.57 Giselher und Gernot reiten nicht mit zur Jagd, folglich gelten sie als unschuldig am Tod Sivrits. Gêrnôt und Giselher die wären dâ heime bestän (926,4). Erst der Redaktor von *C wird fragen, warum sie denn Sivrit nicht warnten, denn schließlich waren sie doch beim Mordrat anwesend:58 Do die vil vngetriwen vf geleiten sinen tot, si wistenç al gemeine. Giselher vnd Gernot wolden niht lagen riten. ine weil1 durch weihen nit, da% si in niht en warenden; idoch erarneten si% sit.

(C 923)

Das ist die Frage eines christlichen Rezipienten an den Lakonismus der alten mœren\ Gernot und Giselher bekommen ein Gewissen, das sie verpflichtet, einen Mord zu verhindern, und ihnen Schuld zuspricht, wenn sie ihr Wissen nicht weitergeben; ihr Untergang kann daher als Strafe gedeutet werden. Die Strophe ist deutlich als eingeschoben erkennbar; die Frage, warum sie schwiegen, stört, denn beide werden fortan auch in der *C-Gruppe als schuldlos behandelt. Das Prinzip, daß nur Anwesenheit Beteiligung bedeutet, wurde nach­ träglich einer anderen Ethik angepaßt, während ursprünglich ihre Abwesenheit ausreicht, um sie freizusprechen.59 Die Änderung belegt gleichwohl, daß solch eine Fassung von Verantwortlichkeit im Begriff steht, obsolet zu werden. Für die Sym­ bolik des Raums ist sie konstitutiv, denn so können Schuld und Unschuld räumlich vergegenwärtigt werden. Das dies nicht mehr ganz aufgeht, zeigt der Hortraub. An ihm ist keiner der Könige direkt beteiligt; Gunther hatte von dem Plan abgeraten, Giselher hatte zornig reagiert, Gernot immerhin, um den Anstoß des Streits zu beseitigen, emp­ fohlen, den Schatz im Rhein zu versenken. Nur der aus der suone ausgeschlossene Hagen war bereit, den Hort zu rauben: lat mich den schuldigen sin (113 1,4 ). Die Könige haben ritennes wän (1135,4) und sind außer Landes, wenn er den Schatz versenkt. So setzt Giselhers Schutz gegenüber Kriemhilt vorübergehend aus ( 1 1 3 5 ,3f-). E s entsteht im wörtlichen Sinne ein rechtsfreier Raum, in dem Hagen tätig werden kann. Bei der Rückkehr der Könige tritt die ursprüngliche Rechtsord­ nung wieder in Kraft. Jetzt können sie - am Verbrechen auf Grund von Abwesen­ heit unbeteiligt - über Hagen zu Gericht sitzen, und Giselher kann Kriemhilts Rechte vertreten {gerne wcer ir Giselher aller triuwen bereit, 1138,4).40 Hagen wird verurteilt. Ausübung der königlichen Gewalt setzt Anwesenheit voraus.*19 ,7 Vgl. H R G I, Sp. 989-10 0 1 zur mittelalterlichen Diskussion der Erfolgshaftung (E. Kaufmann). Anwesenheit als Kriterium für Beteiligung/Untcrstützung: A lth o ff (1997), S. 296. *' Die Zusatzstrophe folgt nach B 9 12 (915), und zwar nicht nur in den meist zusammengehenden Hss. C und a, sondern auch in Jdh, in d sogar ein zweites Mal nach C 9 13 (Batts, S. 273, 277). 19 Z u bedenken sind auch die Verpflichtungen innerhalb des Personenverbandes (S. 15 7—1 j 9): A n g e ­ sichts ihrer Bindung an den Bruder und seine vriunde würde es schlecht passen, wenn sie diese dem fremden Sivrit verrieten. 40 de Boor, Kommentar S. 186; vgl. Müller (1987).

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Anwesenheit - Abwesenheit

Wenn man freilich sieht, wie sie in die Rache für den Raub hineingezogen wer­ den, wird solch eine Bewertung zweifelhaft. Bezeichnenderweise ersetzen C und a den Vers über Giselhers triuwe, indem sie auf das Farcenhafte dieser angeblichen Nicht-Beteiligung aufmerksam machen: do gebarten die degene sam si im heten widerseit (C 1154,4). Gegenüber dem Mord an Sivrit, in den nur Gunther verstrickt ist, ist die Lage diesmal komplizierter. Zwar wird Hagen von nun an als der Horträuber behandelt, doch die Könige sind von Anfang an mitverantwortlich (1140), durch geheime Absprachen, aber auch indem sie Hagen den Raum freigeben und damit ihre Pflicht, als Könige das Recht zu schützen, zeitweise aussetzen. Denkt man vom Ergebnis - der Rache - her, dann läßt sich der Schuldzusammenhang nicht mehr säuberlich mittels räumlicher An- oder Abwesenheit abgrenzen. Im allgemeinen gilt jedoch Anwesenheit noch als Zeichen intakter Rechtsbezie­ hungen. Gunther begleitet Kriemhilt, wenn sie zu Etzel aufbricht, ein lüt^elfür die stat (1288,4) - das drückt schon eine gewisse Distanz aus zu dem, der am weitesten in die Mordintrige verwickelt war - , doch Gernot und Giselher geben der swester ,sehr weit*, nämlich bis zur Donau4' Geleit, ebenso Gere, Ortwin und Rumolt. Warum gerade sie, wird nicht gesagt. Doch fehlen später in Etzelburg gerade sie beim Vernichtungskampf, Rumolt weil er lieber bei H o f bleibt; die beiden anderen werden nicht mehr erwähnt.*41 Geleit beim Abschied, Abwesenheit beim Vernich­ tungskampf drücken das intakte persönliche Verhältnis aus. Dauernde Abwesenheit bedeutet umgekehrt Ausscheiden aus der höfischen Ord­ nung. Wenn Prünhilt sich nach dem Königinnenstreit entfernt, deutet sich an, daß sie als Königin von der höfischen Bühne abtritt.45 Anfangs bleibt sie nur von der Demonstration höfischer Freude im Turnier ausgeschlossen, das allein vor Kriem ­ hilt fortgesetzt wird (871), dann wird ihr noch Agieren aus dem Hintergrund, die Anstiftung zum Mord, zugeschrieben (917,4; 1010,4), ihr Triumph vermerkt (1100), doch verschwindet sie aus der Handlung. Zu einer Versöhnung mit Kriemhilt kommt es nicht. Bei den Trauerfeierlichkeiten fehlt sie, ebenso bei den Botschaften Etzels. Wenn Rüedeger um Kriemhilt wirbt, ist gar nicht von ihr die Rede. Aus­ drücklich markiert dagegen ist ihre Abwesenheit beim Auftritt von Kriemhilts Boten. Wärbel und Swämmel sollen Prünhilt Grüße ausrichten (1426,1), und sie erhalten auch die Erlaubnis, sie zu sehen: Der künic in erloubte, (des was noch niht geschehen) ob si wolden gerne froun Prünhilde sehen, dai s‘ f " r 51 solden mit sinem willen gän. (1485,1-3) 41 Die Donau ist immerhin zw ölf Tagereisen entfernt (15 2 5 ,1). Zu m Vergleich: Sigemunt muß zunächst an geleite Worms verlassen (10 9 5,1), bis Gernot und Giselher zu ihm kommen, Gernot seine Unschuld an Sifrides tôt versichert (1097,2) und nur Giselher ihm guot geleite gibt dem lande (10 9 8 ,if.). Hier sind Verbindungen gekappt. 41 Dem Redaktor von * C ist das aufgefallen, und er läßt Ortwin zu Gunthers Verdruß ausdrücklich daheim bleiben (vgl. S. 181 ); k läßt ihn gar sterben (so auch Bit 6001-6003). 4i Ehrismann (1987), S. 147.

Räume

Doch dann verhindert Volker das Treffen: da% was ir liebe getan (1485,4): „Jane ist min vrouwe Prünhilt nu niht so wol gemuot daç ir si müget scbouwen“, sprach der ritter guot. „bitet un% morgen, sô lût mans’ inch sehen. “ do si sie wänden schouwen, dône kund es niht geschehen.

(i486)

Warum dieser Umweg, wenn die Boten Prünhilt am Ende doch nicht sehen?44 Warum kund es niht geschehen? Bedenkt man, daß vröude und leit anderes als subjek­ tives Befinden (,sie fühlt sich nicht danach‘) meinen, dann ist mit niht sô wol gemuot nicht eine vorübergehende Indisposition gemeint, sondern jene dauerhafte Beein­ trächtigung, die an ihrem truren nach dem Streit mit Kriemhilt erstmals sichtbar wird. Ihre Beziehung zu Kriemhilt, repräsentiert in Etzels Boten, ist dauerhaft gestört, ebenso ihre Stellung am Wormser H o f untergraben. Sie hat mit Sivrits Tod Genugtuung erfahren (daher ihr übermuot), aber konnte ihr Ziel nicht durchsetzen. Deshalb die widersprüchliche und gegenläufige Disposition: Gunther erlaubt ihr einen Auftritt mit den Boten, Volker verhindert ihn, der Volker, der neben Hagen der erbittertste Feind Kriemhilts sein wird und der schon hier zeigt, daß verwandt­ schaftliche Bindungen gekappt sind. Prünhilt hat keinen Part mehr zu spielen, und dies soll durch ihre Abwesenheit bewußt gemacht werden. Nicht mehr als Königin, nur noch als Frau, die die Nacht vor dem Aufbruch mit dem K ön ig verbringt (1515,4), wird sie noch einmal erwähnt.4’ Erst in der ,K lage4 wird sie wieder eine herausragende Rolle spielen, als Adressatin der Nachricht vom Untergang der Burgonden, als Landesherrin und Mutter des künftigen Königs.

,Einander Nahekommen4 Wo die gesellschaftliche Ordnung noch kaum durch Institutionen abgesichert ist, spielen räumliche Konfigurationen und die ihnen korrespondierenden Handlungs­ und Verhaltensmuster eine zentrale Rolle. Gesellschaftliche Beziehungen müssen über personale Beziehungen konstituiert werden. Wo diese nicht durch Herkom­ men, Kult- und Sippengemeinschaft oder auch durch Ortsgebundenheit stabilisiert werden, sind sie vom Zerfall bedroht - die ,zentrifügalen‘ Tendenzen des Lehns­ wesens sind bekannt - und müssen daher immer wieder erneuert werden. Dies kann durch besondere Rituale geschehen, durch regelmäßig wiederkehrende Feste, durch Zusammenwirken beim Gericht, militärische Unternehmungen, aber auch bei au­ ßergewöhnlichen Gelegenheiten.* ** de Boor (S. 237) sieht wieder einen sagengeschichtlichen Lapsus: „Brünhild, der älteren N o t fremd, wird hier vom jüngsten Dichter noch einmal - ungeschickt genug - auftauchen lassen“ [sic!]. *' So ist jedenfalls die A b folge in A B ; * C (vertreten durch a) kennt noch einen tränenreichen Abschied vom K ö n ig und dem zu Etzel ziehenden Heer (a 1555/1 556) . A ls die Frau aber, die vor dem Z u g zu Etzel warnt, tritt nicht Prünhilt, sondern wieder die alte Königin Uote auf.

V4

,E in an der Nabekom m en'

Im ,Nibelungenlied4 finden sich weniger die offiziellen Anlässe - Hof- oder Gerichtstag, Heeresaufgebot - , von denen die hochmittelalterliche Chronistik be­ richtet, als vielmehr nicht-formalisierte Gelegenheiten .zusammenzukommen4 und .einander zu sehen4. ,Zusammenkommen4 erfüllt die Funktion, die in späteren G e­ sellschaften das Rechtssystem und ein Gefüge von Institutionen zur Sicherung des sozialen Zusammenhalts übernehmen müssen. Gesellschaftlicher Zusammenhang zeigt sich in Nähe.40 Beisammensein kann in der Heldenepik metaphorisch Ver­ wandtschaft, Bündnis, gemeinschaftlichen friedlichen Umgang ausdrücken. In der ,Kudrun4 z. B. kleidet Hartmuot seinen Wunsch, Kudrun zu heiraten, in die Worte: mähte da%geschehen, da% ich die Hilden tohter solte hie gesehen.

(K 740,if.)

Die Nähe Kudruns wäre Zeichen einer bedeutenden politischen Allianz, würde Hartmuts Herrschaft aufwerten und seinen Rang erhöhen. Deshalb kann sich auch seine Schwester über Kudruns Ankunft freuen: da% si in ir vater lande/ Kudrun gesahe (K 9 7 1,jf.). Kudrun aber lehnt die Heirat als politisch unerwünscht - angesichts des Rangunterschiedes zwischen beiden - ab, indem sie öffentlich sichtbare Nähe verweigert: ich wil des haben rät, da% der küene Hartmuot bi mir niht enstät vor unser beiderfriunden [ ...] . (K 769,1-3) Die vor dem Gefolge zur Schau gestellte Nähe wäre Ausdruck der Heiratsallianz. ,Bei-jemandem-sein4 ist daher weit mehr als eine Aussage zur Verteilung der F i­ guren im Raum. Der Satz: Ortrun was ir [ - Kudrun] gerne bi (K 983,2) drückt eine Verbindung zwischen der entführten Kudrun und der Schwester des Entführers aus, die diesseits des politischen Konflikts besteht und an die Kudrun deshalb später, wenn sie Frieden zwischen den verfeindeten Herrschaftsverbänden stiften will, anknüpfen kann. Solche Verbindung wird räumlich ausgedrückt: Ortrun sa% %uo ir nähen (K 1046,2). Räumliche Nähe als Abbreviatur persönlicher Beziehungen kann zu scheinbar absurden Konsequenzen führen: Wenn in Eilharts .Tristrant4 ausgedrückt werden soll, daß Marke nach kurzer Verbannung Tristrant wieder in seine Huld aufnimmt, dann läßt er Tristrants Bett in die eigene Kemenate stellen - scheinbar eine, wie man weiß, unvorsichtige Entscheidung (Trt 373 3f.), doch geht ein solches Urteil an der symbolischen Bedeutung von Raum vorbei. Königsnähe ist räumlich gedacht als ,Teilhabe an der persönlichen Sphäre4 Markes (Trt 3192).4 47 6

46 A lth o ff (1997), S. 296 zum Verhältnis von Konsens und räumlicher Nähe; vgl. S. 262. 47 Daher ist der direkte Zu gan g zum Herrscher umstritten und muß reguliert werden (Althoff, 1997, S. 18 5 -19 8 ).

Räume

Solch eine räumlich konkrete Vorstellung von ,Eintracht4 wirkte bis ins Spät­ mittelalter weiter, als längst komplexere politische Gebilde den alten Personenver­ band abgelöst hatten; im ,Weiskunig“ Maximilians I. wird sie auf das Verhältnis von Territorien übertragen: Militärische Allianzen werden bildlich dargestellt, indem die ,K önige“ an der Spitze der Territorien in einem Raum oder in einer Zeremonie Zusammenkommen, Auflösung von Bündnissen, indem sie auseinandertreten. Daß es einen solchen gemeinschaftlichen Akt nie gab, daß damals Allianzen oft schon über weite Distanzen geschlossen werden, zwischen unterschiedlichen politischen Systemen - Fürstentümern, Städten, Eidgenossenschaften, der Kirche - und unter Einsatz vieler Mittelsmänner und Diplomaten, tut der Metaphorik der Nähe keinen Abbruch.48 Im ,Nibelungenlied“ herrscht die Semantik der Nähe noch ganz selbstverständ­ lich. Solche Nähe herzustellen, wo sie nicht schon besteht, ist ein umständliches Geschäft. Nach Sivrits Tod ist Kriemhilt mit Gunther und Hagen überworfen, doch sind ihre Beziehungen zu Gernot und Giselher, die nicht am Mord beteiligt waren, in Ordnung, was in Gunthers Worten so ausgedrückt wird: mine bruoder sint ir bi (i 108,1). Deshalb kann Gunther die ,Nähe“ der Brüder zu Kriemhilt benutzen, um seine Annäherung vorzubereiten. Das geschieht, indem die Vertreter beider Parteien Zusammenkommen: Do bie% er Ortwinen bin %e hove gân unt den marcgrâven Gêren. dô da% was getan, man brâht’ ouch Gêrnôten und Giselher da% kint. si versuochten% vriuntliehe an vroun Kriembilde sint.

(1109)

Wenn die Mission Erfolg hat, wird eine zeremonielle Zusammenkunft vereinbart: „Ich wil den käme grüe^en“, dô si im des verjach, mit sinen besten vriunden man in vor ir sach. done torste Hagene für si niht gegän. ( 1 1 1 3,1-3) Die Reichweite der Versöhnung endet an den Grenzen des Raums, in dem die Zusammenkunft stattfindet, denn Hagen ist nicht dabei. Kriemhilts Zerwürfnis mit ihm drückt sich darin aus, daß sie ihn in der %ite nie gesach (1106,4) und auch Hagen sich bis zur Konfrontation an Etzels H o f von ihr fernhält. Frieden zu schließen heißt Nähe wiederherzustellen; die Chronistik hält dafür ebenso Beispiele bereit49 wie die Heldenepik. Die Versöhnungsrituale der .Kudrun“ setzen voraus, daß Hartmuots Sippe derjenigen Kudruns (K suone, 834,1) sich nä­ hern darf: dô giengen %uo einander die recken vil gerneit.

( K 8 3 4 ,2 )

48 Müller (1982), S. 138; Beispiele S. 330. 49 A lth o ff (1990), S. 19 5 -2 0 3 ; vgl. zu den mediatores ders. (19900/1997), S. 177; 179.

316

, Einander N ahe komm en'

Kudrun muß dafür den Widerstand ihrer Mutter Hilde brechen, die ein Nahver­ hältnis selbst zu Hartmuots Schwester Ortrun, die Kudrun half, ablchnt. Hilde nämlich sagt: Ich wil hie niemen küssen, er(n> si mir donne bekant.

(K 1 580,1)

Die Distanz muß aufwendig überwunden werden, durch Vermittlung derjenigen, denen man ,schon nahesteht4: Herwic, Hildes künftiger Schwiegersohn und Kudruns Mann, führt Ortrun an sîner hende (K 1579,1). Später erhält Hartmuot die Erlaubnis, ungebunden %e hove, d. h. nicht mehr als Gefangener vor die Königin zu gehen (K 1599,2). Das Geschenk höfischer Kleider gliedert ihn und seine Leute dem H o f wieder ein (vgl. K 1647,2f.). Kudrun läßt Hartmuot in ihrer Gegenwart sitzen (K 1632,1). Und so können sich schließlich auch die ursprünglichen Gegner , nahekommen4: un% Ortrun und Hartmuot für froun Hilden gê und biete sich %efüeyen der edelen küniginne. (K 1646,2f.) Das .Nibelungenlied4 nun problematisiert wie vieles andere auch dieses Prinzip, gesellschaftliche Ordnung zu stiften. Als Mittel der Konfliktlösung bewährt sich hier die Herstellung von Nähe gerade nicht, denn die Ordnung, die Nähe aus­ drückt, kann auch Unterordnung und Abhängigkeit bedeuten. In diesem Sinne ist zu verstehen, daß die Tronegcere, wie Hagen sagt, bi den künigen hie en hove bestân müssen (699,3). Das legt den Schluß nahe, daß Entfernung Unabhängigkeit bedeu­ tet, dauerhafte Nähe Abhängigkeit. Sivrits Anwesenheit am Wormser H o f ist Miß­ deutungen ausgesetzt, und daß die Könige sich darum bemühen (und dafür Kriemhilt einsetzen) läßt ,Nähe4 auch als Teil des Machtkalküls erscheinen. Der Rat belibet bi den recken, tuot des ich iuch bit, bi Gunther dem künege und ouch bi sinen man

(321,2F.)

ist weniger harmlos, als er klingt. Sivrits dauerhafte Einfügung in die Ordnung des Wormser Hofes muß immer wieder ausdrücklich mit seiner minne zu Kriemhilt entschuldigt werden, und so ist auch sein Entschluß zur Rückkehr heim in miniu lant (690,3) wieder doppeldeutig: Rückkehr in die angestammte Position und Wieder­ herstellung von Selbständigkeit des künec (so sehen es fast alle) oder aber Pflicht­ vergessenheit des küneges man und Herauslösung aus dem burgondischen Herr­ schaftsverband (so sieht es Prünhilt). Sie klagt: da% si ir vremde wären, da% was ir harte leit, da\ man ir so selten diente von Sifrides lant.

(725,2F)

Daher ihr Ziel, Sivrit ,herbeizuholen4, ihr Mittel eine Einladung zum Fest. Diese kann also zweierlei bedeuten. In der Wiederherstellung von Nähe kann sich eben­ sowohl verwandtschaftliches Einvernehmen wie die Aktualisierung einer herr­ schaftlichen Bindung ausdrücken. Und deshalb können sich Gunther und Prünhilt

Räume

auf die Einladung einigen. Die Entfernung zwischen Worms und dem Nibelungen­ land, die die Annahme der Einladung erschweren könnte,50 macht umgekehrt eine Zusammenkunft gerade nötig, damit die Einheit des Familien- oder aber des Herr­ schaftsverbandes erneuert wird. So besteht Einvernehmen auf beiden Seiten, die Voraussetzungen aber sind verschiedene. Die räumliche Ordnung ist also doppeldeutig und damit konfliktträchtig. Zw ei­ mal kann die unverfängliche Bedeutung - Nähe als Zeichen von Einvernehmen arglistig ausgenutzt werden, um die fernen Verwandten in den eigenen Machtbe­ reich zu bringen. Die verräterischen Einladungen des ersten und zweiten Teils machen sich ein fundamentales Prinzip der Her- und Darstellung sozialer Ordnung zunutze, und deshalb haben die Anstifterinnen beide Male Erfolg. So ist ,einander nahekommen‘ ambivalent. Besonders zeigt sich das an trügerischen Konfigurationen der Nähe, die der gewaltsamen Konfrontation vorausgehen. Wenn Kriemhilt träumt, [...] daç ir gienge vil dicke an der baut Gîselher ir bruoder; si kuste’n jailer stunt

(i393,2f.),

drückt das ihre intakte Beziehung zum jüngsten Bruder aus. Aber diese Beziehung kann sie benutzen, um ihren Feind ins Land zu holen. Bevor der Konflikt ausbricht, stellen sich zwischen den Burgonden und den germanischen Helden an Etzels H o f Konfigurationen von Nähe her, die die spä­ teren Konfliktparteien übergreifen: B i henden sich dâ viengen %wêne degene: da% eine was her Dietrich, da% andere Hagene.

(1750,1F.)

Andere Kombinationen treten hinzu: Der fürste von Berne der nam an die hant Günthern den vil riehen von Burgonden lant, lrnfrit nam Gêrnôten, den vil küenen man. do sach man Rüedegêren %e hove mit Giselheren gän.

( 1 804)

Hawart und Irinc sach man geselleclichen bi den künegen gän, Dancwart bei Wolfhart (1807). Einvernehmen, ausgedrückt in Nähe, stellt sich auch mit Etzel her. Wenn die Burgonden vor ihm erscheinen, springt der auf, begrüßt namentlich die K ö ­ nige, Hagen und Volker und setzt sie in seine Nähe: dô nam der wirt vil edele die lieben geste bi der hant.''' E r brâhte si %em sedele, dâ er ê selbe sa%.

( 181 i,4f.)

50 7*7,}; 758,4; vgl. 752,4. ’ ’ Zur Bedeutung des Handschlags HRG I, Sp. 1974^ (A. Erler). 318

Bedrohliche Ferne - gewaltsame N ähe

Das sind, wie sich bald zeigt, brüchige Bündnisse, die Bindungen Vortäuschen, die nicht halten. Auch das wird wieder räumlich angezeigt, an der einzigen K onfigu­ ration, die nicht die Parteien übergreift: Hagen und Volker, die zuerst mit den anderen ,zusammenstehen', scheren nämlich gleich nach der Ankunft aus: Do schieden sich die %wêne recken lobelich, Hagene von Tronege unt ouch her Dietrich.

( 17 j 8, i f.)

Hagen trennt Volker von Giselher und ruft ihn zu sich: Do sah er Volkeren bi Giselhere stên. den spähen videlare bat er mit im gen [■ ■ ■ ].

(1759,if.)

E r sondert sich mit ihm ab, niwan si %wêne aleine (1760,2), und später gesellen sie sich als einzige nicht zu Etzels Helden. Die Sonderrolle, die beide von da an spielen, zeigt sich in ihrer Nähe, die sie von den anderen distanziert: Swie iemen sich gesellete und ouch %e hove gie, Volker unde Hagene di geschieden sich nie, niwan in einem sturme an ir endes stft. (1805,1-3) Am Zusammenspiel von Hagen und Volker zerschellen andere Nahverhältnisse.

Bedrohliche Ferne - gewaltsame Nähe Wo Verwandtschaft sich in gemeinschaftlicher Nähe ausdrückt, läßt vremden Feind­ schaft vermuten. Getrenntsein deutet Zerwürfnis an, Zusammenkunft belegt vriuntschaft. Doch so klar liegen die Dinge nicht. Grundsätzlich drückt sich zwar in Nähe der Zusammenhalt des sozialen Verbandes aus, des Herrschaftsgefüges, familiärer Bindungen oder allgemein der vriuntschaft zwischen einzelnen, und insofern kann räumliche Nähe die Verbindung zwischen vriunden reaktivieren, doch kann sie sie aber auch dem Mißverständnis von Abhängigkeit aussetzen, kann auf Festigung von Herrschaft gerichtet sein, ist Mittel, Konflikte anzuzetteln und auszutragen. Wenn Nähe und vriuntschaft einerseits, Ferne und Fremdheit andererseits nicht kongruent sind, drohen Konflikte. Von daher erklärt sich, welch ungeheuerliche Bedrohung Hagen für sich und seine Herren darin sehen muß, daß Kriemhilt mit Sivrits Gold vil unkunder recken (1127,2) ins Land bringt, Krieger also in ir dienst (1128,4) holt, die nur ihr persönlich, nicht dem Herrschaftsverband verpflichtet sind. Fremde in der Nähe stehen unter Gewaltverdacht, vor jedem Anzeichen von Intrige oder Aktion. Das Fremde ist das potentiell Gewalttätige: Nu nähten vremdiu mare in Guntheres lant, von boten die in verre wurden dar gesant von unkunden recken die in truogen ha%. do si die rede vernâmen, leit was in warliehe dasç. ï 1?

(139)

Räume

Die schlechte, da fremde Botschaft, von Fremden durch Fremde von weit her gesandt (14 1,3), die vil manegen hêrlîchen gast (140,4) - zahlreiche waffenfähige Fein­ de’1 - ankündigt, bedeutet ha£ und verursacht leit. Im Außenverhältnis des burgondischen Reichs herrscht Gewalt. Nähe außerhalb der Grenzen des eigenen Per­ sonenverbandes muß abgesichert werden, andernfalls ist sie bedrohlich. Wenn man auf ihre Bedingungen eingehen werde, lassen die Sachsen und Dänen ausrichten, sone ritent iu so nähen niht die manegen scar.

(146,2)

Entfernt bleiben, bedeutet Sicherheit; Friede mit Fremden setzt Distanz voraus. Umgekehrt heißt, die Herausforderung anzunehmen, den Gegnern nahezurücken und die Grenze zu überschreiten: wir sulen in gerîten sô nähen in ir laut, daz in ir übermüeten werde in sorgen erwant.

(175,3F.)

Entfernung bietet Schutz; deshalb ziehen Sigemunt und Sivrits Leute nach dem Mord so rasch wie möglich wieder heim: hi ir starken vienden was in %e wesen leit.

(1076,3)

Abbruch freundschaftlicher Beziehungen drückt sich in Fernbleiben aus: man soi uns nimmer mère hie %en Burgonden sehen.

(1092,4)

Gunther unterstützt den Plan einer Ehe Kriemhilts mit dem gefährlich mächtigen Etzel mit dem Argument: ich behüete vil wol da§ da^ ich im kome sô nähen da%ich deheinen ha% von im dulden müese [ ...] . (1206,1-3) Etzels Macht ist nicht bedrohlich, solange Gunther sich nicht in ihre Nähe begibt. Später dann, bei Etzels Einladung, verläßt er sich fälschlich auf die Versöhnung mit Kriemhilt als ausreichende Garantie (1460) dafür, daß die Distanz ohne Gefahr aufgehoben werden kann, denn Kriemhilt hatte wieder Nähe hergestellt. Hagen dagegen befürchtet: weit ir Kriembilde sehen, / ir muget da wol Verliesen die ère und ouch den Up (1461,2F). Wie buchstäblich die Ordnung davon abhängt, daß man die Körper auseinan­ derhält, zeigt das Wort scheiden-. E s meint einerseits Aufhebung vertrauter Nähe, dann aber auch Herstellung von Abstand, der Aggression verhindert, und kann in diesem Sinne schließlich die friedliche Beilegung eines Konflikts ausdrücken. Trennung ist zunächst harmlos: Nach Sivrits Vermählung mit Kriemhilt gibt es zwei Zentren, Gunther und Sivrit, jeder mit seinem Gefolge; das entspricht der Situation und Sivrits Rückkehr in seine Herrscherrolle: Sich teilte da^gesinde (617,1); 52 52 'Lu. gast Pérennec (1975).

320

Bedrohliche Ferne - gewaltsame N ähe

ähnlich etwas später: sich teilten dö die recken, der zweier künige man. /do sach man vil der degene donne mit Sîfride gän (627,jf.). Mit der Trennung bereitet sich die K o n ­ frontation vor. Wenn Kriemhilts und Prünhilts Gefolge vor einer engen Treppe aufeinander treffen, muß ausdrücklich bemerkt werden, daß das ,noch‘ friedlich ist: vor des sales stiegen gesamenten sich dö sit Kriemhilt und Prünhilt; noch was i% än‘ ir beider ntt.

(626,}f.),)

Die Frage des Vortritts stellt sich noch nicht. Das räumliche Arrangement aber weist voraus: die Verengung des Raums vor der Stiege auf die Verengung vor dem Münster, die friedliche Trennung des Gefolges auf die feindselige. Beim Streit der Königinnen geht es um Vorrang. Uber Vorrang kann qua Vor­ tritt - also durch Besetzung des Raums - entschieden werden. Zum Konflikt führt das, wenn zwei Figuren denselben Raum besetzen wollen. In der Umgebung des höfischen Festes ist der Vortritt eine Auszeichnung, die man dem anderen gewaltlos einräumt, und so läßt sich das Gespräch zwischen Prünhilt und Kriemhilt auch an, indem Kriemhilt auf Sivrit deutet, der ganz buchstäblich ,hervortritt': nu sihestu wie er stät, wie rehte herliehe er vor [ ! ] den recken gät.

(817*1 f.)

Prünhilt unterscheidet zwischen Sich-hervortun und davon abhebbarem (»abstrak­ tem') ständischen Vorrang, auch er in Raummetaphern ausgedrückt: so muost du vor im län/Gunther den recken, denn dieser muo% vor allen künegen [ ...] sin (8 i 8,2-4). u N achdem der erste Wortwechsel keine Einigung brachte, macht das scheiden des Gesindes den Konflikt anschaubar. Prünhilt verlangt: so muostu dich scheiden mit den vroumn dîn/von minem ingesinde (830,2f.). Die räumliche Trennung zeigt an, daß ver­ traute Nähe zerstört ist: Die liute nam da% wunder, wä von da£ geschach, daz man die kiineginne also gescheiden sach, da^ si bi ein ander niht giengen alsam ê. (834,1—3) Wenn danach die getrennten Gruppen wieder aufeinanderprallen, bricht Gewalt aus. Die räumliche Kulisse ,vor dem Münster' wird gebraucht, um dem Zusam ­ menstoß einen effektvollen Hintergrund zu geben. Als Friedensbezirk kontrastiert das Gotteshaus mit dem Streit, der sich anbahnt. Der Zusammenstoß ist provo­ ziert: H ie stuont vor dem münster da^ Guntheres wip (835,1) und Ze samne si dô kämen vor dem münster wit (838,1). Das enge Portal zwingt die Kontrahentinnen in konfliktuöse Nähe. Entschieden werden soll der Streit mit der Probe des Vortritts; indem alle sehen sollen, ob ich vor küniges wibe %em münster türre gegdn (827,4), oder statt”

In C 632 ist wieder der Hinweis auf die latente Störung getilgt; es heißt stattdessen: die frowen schieden sich/in achten minnekliche, als ich wol verwane mich. u Hs. C 827 ergänzt: mit tobe, was die ständische Pointe verdirbt und die konkrete Raumvorstellung metaphorisiert.

321

Räume

dessen - ironisch - , me diu eigene diu dîn/Ze hove gê vor recken in Burgonden lant (828,4h). Wie sich im Raum der Rang spiegeln müßte, ist klar: jâ soi vor küneges wibe niht eigen diu gegdn (838,4), und die kebse nicht vor der legitimen Ehefrau. E s fragt sich, wer seinen Anspruch durchsetzen kann. Kriemhilt erkämpft den Vortritt: vor des küniges mbe in% münster si dô gie (843,2). Auch bei der Fortsetzung ist Nähe Ausgangspunkt von Konflikt. Prünhilt verstellt nach Ende der Messe Kriemhilt den Weg. Der Streit eskaliert noch einmal, diesmal in dauerhafter Trennung: M it rede was gescheiden manic schœne wîp (863,1). Wo Konfrontation gesucht wird, muß der Gegner in die Nähe geholt werden, um diese Nähe in Gewalt Umschlägen zu lassen. An Etzels H o f legt Kriemhilt es von Anfang an darauf an, ihren Gästen den Raum zu nehmen. Die Burgonden werden zuerst von ihrem Gefolge getrennt: Günthers ingesinde da% w art gesundert dan. da% riet diu küneginne, diu im v il badges truoc.

( 1 7 3 5 , 2 f.)

Bei der ersten Begrüßung ist der Raum noch offen: Kriemhilt zieht im Wortwech­ sel mit Hagen den kürzeren und muß das Feld räumen: dô gie si vom im balde, da^ si niht ensprach (1749,3). Zurück bleiben einträchtig die Gäste und die Helden Etzels. Noch ist die Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt. Hagen und Volker können über den hof vil verre fü r einen palas wît gehen (1760,3). So vereinzelt, sind sie das erste Mal Ziel von Kriemhilts Angriff. Ihr Versuch, Hagen ,in die Enge zu treiben4 und zu einem Geständnis zu zwingen, findet wieder ganz konkret räumlichen A us­ druck. Kriemhilt ,rückt ihm zu Leibe4, so daß er keine Ausflüchte mehr machen kann: des gie in an den fuo^/diu edele küneginne und bot in vientliehen gruo% (1786,3F). Es war zu sehen, wie der Versuch scheitert und sich ihr Gefolge aus der Konfrontation mit Hagen zurückzieht: D a mit was gescheiden, da% niemen ddne streit (1799,1). Das ist nur vorübergehend; die Trennung {scheiden) verschiebt nur den Streit. Weiter kann man sich frei bewegen und zum Empfang bei Etzel in den palas gehen (1808,1); zur Nachtruhe bringt man die Gäste in einen witen sal (1824,1). Doch erscheint die Unterkunft schon als Asyl, vor das man - außen noch! - eine Wache stellen muß. Hagen und Volker giengen ü\ dem büse fü r die tür stdn (1832,3). Volker setzt sich under die tür des buses (1834,1) und spielt seine Gefährten in den Schlaf, dann nimmt er seinen Schild und geht dem gademe fü r die tür stdn (1836,3). Das Nachtlager soll nach Kriemhilts Willen eine Falle sein. Die eingeschlossenen Gäste sollen überfallen werden, doch bietet der geschlossene Raum auch Sicherheit, und so vermeiden es die hiunischen Angreifer, in konfliktträchtige Nähe zu kommen, wie Hagen es sich wünscht {lat se uns her näher ba%, 1839,1). Sie gehen von dem hüse (1842,3); sie zu verfolgen, ist schon zu gefährlich (i843fl). Der Spielraum ist enger geworden. Mit Tagesanbruch scheint er sich noch einmal auszuweiten: Kirchgang, bühurt, das Festmahl mit dem König. Doch wird die Nähe der Hiunen zunehmend als 322

V ertikale Ordnung

bedrohlich erfahren; umso weniger weicht man auch nur eine Handbreit zurück (i866,2f.).” Wo aus Nähe Gewalt zu erwachsen droht, muß man versuchen, m ög­ liche Kontrahenten auseinanderzubringen (scheiden in der zweiten Bedeutung) oder aus dem Zentrum des Geschehens zu entfernen. Dietrich und Rüedeger veranlassen ihr Gefolge, dem bühurt fernzubleiben.'6 Die Zurückbleibenden prallen zusammen; Volker zufolge ist ein Schlichtungsversuch zwecklos (e% künde niemen gescheiden; e^gdt im an den lip, 1886,3). Nur noch mühsam kann Etzel sie ein letztes Mal trennen (scheiden, 1894,4). Beim Festmahl des K önigs sind Dietrich und Rüedeger wieder dabei, doch wer­ den sie ein zweites Mal den Schauplatz verlassen müssen, wenn - diesmal unum­ kehrbar - Gewalt ausbricht. Der Versuch der Könige, das Getümmel zu scheiden (1967,2), mißlingt.

Vertikale Ordnung Mit der räumlichen Ordnung verschiebt sich das personale Gefüge. Die symboli­ sche Besetzung des Raums ist insbesondere an der vertikalen Anordnung der A k ­ teure ablesbar, in der sich eine gefestigte Herrschaft und Hierarchie ausprägt.'7 Sie geht nach und nach zu Bruch, je rascher die nibelungische Welt in den Untergang gezogen wird. Vertikal ist die Welt vor allem im ersten Teil des Epos geordnet, ablesbar besonders an Ankunftsszenen. Dahinter steckt mehr als eine bloß durch die epische Situation erklärbare Anordnung (Jemand kommt irgendwo an und wird von der Burg aus - von oben! - betrachtet). Klar ist die Verteilung von oben und unten bei Sivrits erstem Erscheinen in Worms. Der Erzähler ist Sivrit und seinen Begleitern gefolgt (7if.) und schildert ihren Empfang durch die höhgemuoten recken, riter unde kneht (75,1), doch dann wech­ selt der Blick von den Ankömmlingen auf die Umgebung des Königs, in der man die Fremden zu taxieren sucht. Hagen geht feinem venster (84,1) und erkennt Sivrit. Das Machtgefälle spiegelt sich in der Verteilung von oben und unten. Hagens Blick entscheidet, wie man den Ankömmlingen begegnet; er billigt Gunthers Vorschlag, zu ihnen hinabzusteigen (jvir sulen im engegene hin nider %uo dem recken gän, 102,4): „Das; mugt ir", sprach dö Hagene, „wol mit e'ren tuon. er ist von edelem künne, eines neben küneges sun. [ ...] “

(103,if.)

Gunther begibt sich also, nachdem er weiß, wen er vor sich hat, auf die gleiche Ebene mit Sivrit. Sivrits Rang wird im höfischen gruo% anerkannt, doch seine For­ derung nach einem Zweikam pf zu gleichen Bedingungen abgewehrt, Sivrits ”

,0

Vgl. S. 3 8 1-3 8 3 zur Bedeutungsverschiebung von dringen. gescheiden, .Weggehen': 18 7 3 ,1; 18 7 7,1.



Wenzel (1995), S. 1 3 1 - 1 3 5 zur hierarchischen Strukturierung von Raum.

Räume

.Gleichheit4 mit Günther wird durch die Einladung, friedlich am H o f zu bleiben, hergestellt und begrenzt; sie bleibt prekär. Im Wortwechsel wird sich der legitime K önig durchsetzen. Diese Verteilung der Positionen dominiert im Fortgang: Sivrit üf dem hove (13 3 ,1; 135 ,1), bei Ritterspielen, Kriemhilt durch diu venster (133,3), von oben, ihn betrach­ tend, selbst ungesehen; ebenso bei der Rückkkehr mit den burgondischen Kriegern aus dem Sachsenkrieg sich den Blicken der Frauen, wieder aus den Fenstern, dar­ bietend (243,2); schließlich beim höfischen Fest mit den anderen Kriegern den Auftritt Kriemhilts und ihrer Frauen wie eine Himmelserscheinung anstaunend (281-283); verbildlicht wird damit das hierarchische Verhältnis von werbendem Ritter und vrouwe. Erst auf dem Höhepunkt des Festes wird es eingeebnet. Sivrit darf in Kriemhilts Nähe, tritt enhende mit ihr auf (295,4) und ist für die Dauer des Festes an ihrer Seite (305).58 Bei Gunthers Werbung um Prünhilt gab es solch eine eindeutige Ausrichtung der Blicke von oben nach unten nicht. E s waren die Ankömmlinge, die die Frauen oben in den venstern von unten her musterten (389,3). Prünhilt mußte die gewöhnliche Blickrichtung von oben nach unten erst hersteilen. Und nicht die Fremden suchen die Königin auf, sondern diese begibt sich dorthin, wo sie schon Platz genommen haben (418,4). Das scheinen belanglose Details; sie spiegeln aber die Tatsache, daß in Isenstein die gewöhnlichen höfischen Ordnungen nicht greifen und daß sich die Fremden diese Welt aneignen werden. Durch .Günthers4 Sieg werden die üblichen Verhältnisse hergestellt, und sogleich ist alles, wie es sein soll: Oben steht jetzt der K önig - mit der die Königin —in den ginnen (508,1); sie blicken auf Sivrit, der von seiner Expedition zum Nibelungenland zurückkommt und .Gunthers4 miltärisches Gefolge bringt; auf Rat des Königs geht Prünhilt hinab fü r den palas ( 5 11,1) , um Sivrit durch den Empfang zu ehren. Die vertikale Ordnung scheint intakt; doch sie basiert auf Betrug. Bis zum Streit der Königinnen bleibt es äußerlich gleich: Von oben beobachten die Damen die Ritterspiele beim Hochzeitsfest (647). Wenn der M arkgraf Gere als Bote bei Sivrit und Kriemhilt erscheint, um sie zu Gunthers Fest einzuladen, er­ kennt Kriemhilt ihn von oben, aus einem Fenster blickend. So ist es auch noch kurz vor Ausbruch des Streits: In diu venster sä^en diu bêrlîchen wip/und vil der schoenen mägede (8io,if.). Ze samene dö gesäten die küneginne rieh.

(815,1)

Doch der Blick der Damen - nach C noch ausdrücklicher von oben’9 - auf die Turnierkämpfer mündet in Streit. Nachdem Kriemhilt über Prünhilt gesiegt hat, ist*19 " S. 265 f. 19 Die Raumdispositionen eines Turniers mit Zuschauern scheinen so selbstverständlich, daß sie gar nicht auserzählt werden müssen. Erst Handschrift C präzisiert den Rahmen: [ ...] hvsir und dach was alle^ vol durch schowen von luten vher al (C 823,2h).

324

V ertikale Ordnung

diese aus der höfischen Zuschauerposition vertrieben. Jetzt schaut Kriemhilt allein auf das, was von den gemeinschaftlichen Spielen übriggeblieben ist: spiln man dä sach. hey u>a% man starker schefte vor dem münster brach vor Sifrides wibe al %uo dem sale dan! (871,3) Die Ordnung, die das Turnier stiftet und in der kampflos die höfischen Damen anerkannt werden, ist defizitär, denn sie schließt Prünhilt aus. Wie eine solche Szenerie ein Ordnungsversprechen enthält, das hier verspielt wird, kann der ,Biterolf‘ zeigen, die friedfertig endende Replik auf das .Nibe­ lungenlied1. Dort beginnt die Auseinandersetzung zwischen den rheinischen Hel­ den und den Helden Etzels als K rieg vor den Toren von Worms; doch schon der Krieg soll vor Zuschauerinnen stattfinden, die Logenplätze in den Fenstern ein­ nehmen.60 Vor dem panoramatischen Blick über die Kämpfe wird, was sich blutig anließ, allmählich in ein Turnier transformiert. Die Ordnung in oben und unten setzt sich durch. Durch den ungelösten Konflikt erweist sich dies im .Nibelungen­ lied* als bloßer Schein. In den Episoden zwischen den beiden großen Auseinandersetzungen, die zu Sivrits Tod und dem Untergang der Burgonden führen, wird auf vertikale Ordnung kein Wert gelegt. Sie scheint geradezu vermieden, so daß weder eine intakte Hier­ archie noch deren Störung erkennbar ist. Wenn Rüdeger in Worms für Etzel wirbt, gibt es keinen erhöhten Punkt, von dem aus sein Auftritt beobachtet würde, ob­ wohl geradezu inflationär erzählt wird, was man sieht oder nicht sieht. Rüedeger agiert auf gleicher Ebene mit den Burgonden. Etzel und Kriemhilt sind beide zu Pferd, wenn sie sich erstmals begegnen, stei­ gen ab und treffen sich zu Fuß: statt Hierarchie wird Ebenbürtigkeit vorgeführt. Vorher, beim Empfang Kriemhilts in Bechelaren muß solch eine Ebene von Gleich­ heit erst hergestellt werden: Die Fenster der Burg stehen offen (13 18 ,1), aber nie­ mand schaut heraus, denn die Bewohner sind der künftigen Königin entgegen­ geeilt; der Blick von oben auf sie wäre unpassend. Kriemhilts höherer Rang zeigt sich darin, daß sie zu Pferd ist, wenn Gotelint sie sieht. Sie hält das Pferd an und bittet, sie rasch herabzuheben, bevor sie sich Gotelint nähert und sie küßt ( 13 11) : Zeichen ihrer rangmäßigen Überlegenheit, die durch die höfische Geste korrigiert wird. Die Balance zwischen hierarchischer Ordnung und höfisch unterstellter Gleichheit, wie sie schon die erste Begrüßung Sivrits kennzeichnete, ist gelungen. Doch das bleibt ein Intermezzo. An Etzels H o f gelingt die Wiederherstellung der ursprünglichen Ordnung von oben und unten nur noch fassadenhaft. Die Empfangsszene, wenn die Burgonden erscheinen, sieht noch konventionell aus:

Ä0 Bit ioojof.; 113 2 6 -2 9 ; 118 3 4 -3 9 .

525

Räume

Kriemhilt diu vrouwe in ein venster stuont: si warte nach den mögen, sofriunt nachfriunden tuont. von ir vater lande sach si manigen man. der künic vriesc ouch diu mare; vor liehe er lachen began.

(1716)

Die wohlbekannte Szene - die Königin schaut von einer erhöhten Warte nach den Ankömmlingen aus - wird zitiert, damit deutlich wird: alles ist falsch. Kriemhilts Drohung (1717 ) gibt ihrer der Situation scheinbar angemessenen Freude einen sinistren Sinn; ihr Blick gilt Feinden, nicht Verwandten, und Etzels Lachen ist deshalb ahnungslos. Die herausgehobene Position, aus der Kriemhilt den Ankömmlingen entge­ gensieht, wird nicht zu halten sein. Die Begrüßung der Burgonden durch die Amelungen kennt ohnehin keine Vertikale; man steht auf gleichem Fuß: Dietrich reitet hinaus aufs Feld den Königen entgegen (1719,3). Als Hagen ihn von weitem sieht (1720,1), empfiehlt er seinen Herren abzusitzen. Dietrich sieht sie, nachdem er gleichfalls abgestiegen ist, gegen im körnen (172 3,1) und begrüßt sie. Doch das Z e ­ remoniell höfischer Gleichheit antizipiert auch die künftige Konfrontation auf .gleichem Fuß*. Das Verhältnis zu K önig und Königin erweist sich noch deutlicher als nachhaltig gestört. Kriemhilt und die Burgonden stoßen bei der Begrüßung schon zusammen (1737). Den Szenen friedlicher oder feindseliger Gleichheit folgt in der 29. Aventiure eine andere des Abstiegs Kriemhilts von ihrer herausgehobenen Position. In dieser bereits mehrfach angesprochenen Episode offener Provokation durch Hagens Schuldbekenntnis wird die vertikale Ordnung in auffälliger Weise aufgegeben. Ha­ gen und Volker setzen sich ,unten* in den Hof: vor dem hüse gegen einem sal, (der was Kriemhilde) üf eine banc %etal.

(i76i,if.)

Sie bieten sich dem gewöhnlichen Blick von oben nach unten dar und werden wie Tiere angestarrt, sagt der Erzähler (1762, i).6' Das scheint die Relation zu klären, doch scheint es nur so, wie sich herausstellt. Auch Kriemhilt sieht sie von oben, doch mißrät ihr die distanzierte Betrachtung: si ersah ouch durch ein venster da% Et^e/en wtp. des wart aber betrüebet der schcenen Kriemhilde Up.

(1762,jf.)

Nun verkehrt sich, was zuvor festgelegt war: oben und unten, Subjekt und Objekt des Sehens, distanziert und neugierig musternder H o f und den Blicken ausgesetztes ,Tier‘. Kriemhilt muß ihre Position oben aufgeben und eine Treppe zu Hagen und Volker hinabsteigen. Erzählt wird das schon aus der Perspektive von unten nach oben, aus der Perspektive derer also, die vorher angegafft worden waren:

6| S. 290. 326

Schrumpfung des Raums

Do sach der videlare [...] die edele küneginne ab einer stiege gdn nider ab einem hisse [...]. (1772,1-3) ,A u f gleichem Fuß mit Hagen0 2*4 erleidet Kriemhilt eine Niederlage, trotz der Insig­ nien ihrer königlichen Macht. Es ist nicht mehr die Rede davon, daß sie ,nach oben4 zurückkehrt. Nur scheinbar gelingt es noch einmal, die hierarchische Ordnung herzustellen, wenn Etzel und Kriemhilt mit ir vrouwen aus dem Fenster das Getümmel von E in ­ heimischen und Gästen vor dem Münster beobachten ( 1 869,1F.). Unter ihren A u ­ gen läuft ab, was riterschaft (1879,3) und kursçewîle (1882,1) genannt wird, sich je­ doch, während die Kulisse eines höfisch geregelten Spiels präsent gehalten wird,62 in blutigen Ernst verwandelt. Jetzt ist es Etzel, der gezwungen ist, seine Beobach­ terposition oben aufzugeben und hinabzusteigen, um gewaltsam zu schlichten: der wirt

einem venster vil harte gäben began.

(1893,4)

Weder er noch Kriemhilt werden je noch einmal auf den distanzierten Platz oben zurückkehren. Das Festmahl ist der letzte gemeinsame Auftritt der Kontrahenten ,oben4 im Saal. Dancwart, einziger Überlebender beim Überfall auf den Troß, muß sich durch die Angreifer dorthin nach oben durchkämpfen; jeden, der im fü r die stiege spranc (1950,1), schlägt er zurück.65 Der Festsaal wird für die Hiunen zum Grab. Etzel und Kriemhilt können froh sein, im Schutz Dietrichs den Saal verlassen zu dürfen, und das heißt: hinabzusteigen. Von jetzt aber sind die Grenzen klar gezogen: Die Burgonden ,oben4 im Saal, Etzel und seine Leute von ,unten4 gegen sie anrennend, so lange, bis fast keiner mehr übrig ist. Mit dem Gemetzel beim Mahl haben sich oben und unten umgekehrt.

Schrumpfung des Raums Ordnung erzählt das .Nibelungenlied4 paradoxerweise als eine Ordnung des Un­ tergangs, und diese Ordnung wird bis zum doppelten Zweikam pf am Schluß im­ mer übersichtlicher. Der Saal ist uneinnehmbar. Indem ihnen der Festsaal des Hiunenkönigs überlassen wird, rücken die Burgonden ins Zentrum des Geschehens und degradieren die anderen zu Randfiguren, die sich erst ins Zentrum begeben müssen, um Erzählenswertes zu vollbringen. E s gelingt nur wenigen. Sie kommen alle dabei ums Leben.

02 1887,4; 1 888,2; 1890,4. 6> Vgl. 1948,4; er will Etzels kamerare spielen, der auf seine A rt sich der stiegen annehmen will; zur Bedeutung der stiegen W olf (1995), S. 395; 399; 4 11 .

Räum e

Die Vertikale bekommt eine andere Bedeutung; sie repräsentiert nicht mehr Ord­ nung, sondern erlaubt, deren Auflösung zu inszenieren. Man wirft die toten und verwundeten Hiunen hinaus, die Treppe hinunter, damit man im Saal die Füße frei bekommt (2 0 11,1): vor des sales stiegen vielen si %etal.

( 2 0 1 3 ,3 )

Auch die leichter Verwundeten verlieren von dem höhen valle ihr Leben (2014,3). Etzel ist aus dem Zentrum seiner Macht vertrieben; er muß von außen mit denen verhandeln, die den palas besetzt halten: D o stuonden vor dem hûse v il manec tUsent man.

( 2 0 1 9 ,1 )

Eine Grenzüberschreitung wie die eines Markgrafen, der seinen verwundeten, auf die Leichenberge geworfenen Verwandten retten will, endet sogleich mit seinem Tod (2016). Volker markiert mit seinem Speer, den er über da% vole vil verre schießt (2018,2) den Abstand, den die Burgonden verlangen: höher von dem sal (2018,3). Auch Etzel wird gehindert, ihn zu überwinden (man muose in bi dem veygel ziehen wider dan, 2022,3). Damit ist ein Raum abgesteckt, in dem das Gemetzel bis zum letzten Mann sich abspielen wird. Die von Düringen und Tenemarke wurden bei Etzels Mahl nicht erwähnt. Sie sind weder ,dabei‘ noch .nicht involviert4, denn sie sind die ersten der fremden recken, die Kriemhilt in den K am pf zieht und die die Grenze überschreiten müssen, zuerst alle auf einmal, eine vol grö^fiu] schar (2032,1). Doch der Untergang hat seine gute Ordnung. Irinc muß seine Leute wieder hinter die Grenze zurück­ treiben, um allein zu kämpfen. Ihm gelingt es, in den Saal hinauf vorzudringen. Sein K am p f sticht von den wohlgeordneten Aristien der Schlußszenen ab, indem er die zuvor nur mühsam unterdrückte, zuerst im Todeskampf des Trosses, dann beim Festmahl ausbrechende chaotische Gewalt fortsetzt: Irinc springt zu Hagen, dann zu Volker, dann zu Gunther, dann weiter, wird von Giselher angefallen, doch noch gibt es keine Wunden: Hagen bleibt unverwundet (2040,1); Volker läßt er stehen; der heftige K am pf mit Gunther brâhte niht von wunden da% vlie^ende bluot (2042,3); zwar erschlägt er vier aus dem edeln ingesinde[] (2044,3); doch selbst Giselhers Schlag läßt ihn âne wunden (2046,4). Erst auf der Flucht gelingt es Irinc, Hagen zu verwunden. Nach heftigem K am pf rettet er sich zur Treppe: hin nider von der stiegen Hagene im volgen began.

(2 0 5 2 ,4 )

Ihm gelingt es noch einmal die Demarkationslinie zwischen den feindlichen Haufen in Gegenrichtung zu überschreiten. Beim zweiten Versuch gelangt er nicht einmal mehr hinauf.64 Hagen kommt ihm entgegen, die stiegen an ein ende (2061,3) und erschlägt ihn. Sein Tod zieht die von Düringen und Tenemark in den Kampf. Sie

64 W olf (1995), S. 395.

328

Schrumpfung des Raums Sprüngen fü r da^gadem, um ihn zu rächen (2070,1). Auch sie fallen; ein schrecklicher

K am pf beginnt vor dem hüse (2074,2), bis Volker rät, zum Schein zurückzuweichen, d. h. die überlegene Position im Saal wieder einzunehmen: lât si her mgdn (2075,1); si müegen drinne ersterben (2075,3), und so geschieht es. Alle, die in den Saal dringen, werden getötet (2076,1; 2077,1). Mehr und mehr wird der herausgehobene Platz zum Gefängnis, das die Burgonden nur noch in kurzen Pausen des Kampfes verlassen können. Das stellt sich erst recht nach einem weiteren fürchterlichen K am pf (2083-2085) heraus, wenn die Könige um eine Entscheidung in offenem K am pf bitten, um ein schnelles Ende zu machen (da% lât kur£ ergän, 2097,1) und sie hin nider an die wite (2096,4) hinauszu­ lassen: die bluotvarwen beide und ouch harnaschvar träten dem hüse, die drte künege her. (2o88,2f.) Kriemhilt sorgt dafür, daß es nicht dazu kommt: Lât einen dem hüse niht körnen über al, so hei f ich viern enden finden an den sal.

(2109,1)

Die noch draußen stehen, werden hineingetrieben (2 iio ,if.). Der sal wird ange­ zündet. Auch dieser heimtückische Anschlag scheitert zwar. Immerhin 600 Burgonden haben ihn überlebt. Aber aus den Trümmern des palas führt kein Weg mehr heraus. ,In-den-Kampf-hineingezogen-werden‘ ist ganz buchstäblich räumlich zu ver­ stehen, als ,hinzukommen4 in den Fokus des Untergangs: Do riefen irgenuoge: „näher, beide, ba% /[...] hie bellbet niemen man der doh sterben soi“ (2 132 ,1; 3).6’ Wie ein schwarzes Loch verschlingt der Saal ein hiunisches Aufgebot nach dem andern (2134,3). Auch die sich heraushalten wollen, geraten in den Sog: wine der Gotelinde kom %e hovegegân (2135,2). Rüediger hatte sich mit Dietrich aus dem Getümmel im Saal entfernt. Seine Distanz drückt sich darin aus, daß er, wenn er auf dem Schau­ platz erscheint, gleichzeitig .woanders hin4, nämlich zu Dietrich, der sich noch immer .fernhält4, eine Botschaft abfertigt: Do sande an Dietrichen der guote Rüedegêr, ob si% noch künden wenden an den künegen her.

(2137,if.)

Rüedegers Platz ist zwischen zwei Orten. Von Dietrich hat er sich schon .entfernt4, indem er .hinzukommt4. Entsprechend vergeblich ist der Versuch, den K am pf zu wenden. Doch noch ,steht4 er am Rand, zwar noch unentschieden .draußen4 mit weinenden ougen (2138,2), aber er steht schon bei der Partei Etzels. Wenn er sich dann ent­ schieden hat, drückt sich das in einer Bewegung im Raum aus: 6 s 4'

Ich beziehe den Satz auf die Burgonden, die die Gegner ,hineinziehen*.

Räum e

Man sah in von dem künege vil trûreclîchen gên. dô vant er sine recken vil nähen bi im stên. (2167,16) Rüedeger entfernt sich von dem künege, aber kaum (vil nähen) und nur um sich zu rüsten.66 E r nähert sich under helme, d. h. feindlich, den Burgonden (2170,1; 2 1 7 1 ,if.). Noch ist er diesseits der Demarkationslinie, die die Machträume ab­ grenzt: Rüdeger vor dem hüse (2174,2), in den sal (2175,1) rufend. Hagen spricht von der stiegen hin %etal (2192,4); Volker schließt sich seinen Worten von dem hüse - also von oben - an (2203,1). Die Burgonden kommen nicht heraus. Rüedeger muß sie im Saal bekämpfen; er wird durch mortrachen willen hineingelassen (2208,1) und fällt wie alle vor ihm mit seinen Leuten: die dô dar inne wären, die muosen liden not (2224,2). In den beiden letzten Massenkämpfen müssen sich die Burgonden im geschlos­ senen Raum behaupten, gegen Rüedeger und gegen die Amelungen. Der Saal saugt die Kämpfer in sich hinein. Auch Dietrich kann sich nicht mehr fernhalten. Seine widerwillige Annäherung an den K am pf ist noch aufwendiger erzählt als die Rüedegers. E r darf Rüedeger nicht ,fallen sehen', denn bis dahin soll er ,abwesend' sein. Nicht einmal er selbst, sondern ein anderer hört den Jammer um Rüedegers Tod, ohne den Grund dafür schon zu kennen. Die Distanz gegenüber dem Brenn­ punkt des Kampfes ist verdoppelt, aber das hilft nichts. Ein Kundschafter muß ausgeschickt, Dietrich vorläufig unterrichtet werden, nach genauerer Nachricht verlangen. E r sucht alles zu vermeiden, was die Burgonden reizen könnte. Den ersten, der nachzufragen anbietet, lehnt Dietrich ab, weil er fürchtet, doch hinein­ gezogen zu werden. Erst der zweite - Helpfrich - durfte dargän (2241,1) und hie\ in da£ ervinden an Et^elen man/oder an dengesten selben (2241,2f.). Helpfrich überschreitet die Demarkationslinie nicht, sondern bleibt diesseits: er fragt die Hiunen.67 A u f die Nachricht von Rüedegers Tod geht Dietrich immer noch nicht selbst: Der vogt der Amelunge hie\ e% ervinden ba%. vil harte senecliche er in ein venster sa%. (2247,if.) E s gibt nur wenige Räume, die Absonderung von der Bühne heroischen Gesche­ hens erlauben. In der Fensternische sitzend, drückt Dietrich seine Distanz aus. Er schickt andere, die wieder nur bis zur Grenze zwischen den Parteien gehen sollen, um Näheres zu erfahren (22 54,if.). Anfangs sieht es nach einer Einigung aus, doch dem sal, aus dem die Amelungen den Leichnam fordern (2262,1), darf niemand zurück, auch nicht als Toter; also werden Dietrichs Leute hineingelockt: nemt in in dem hüse da der degen lit (2266,2). Aus dem Sog in den tödlichen Saal kann Hildebrant einen Augenblick Wolfhart noch zurückhalten, dann stürmt der los fü r des sales want (2274,1), doch schneller noch kann Hildebrant die Grenze überschreiten, die Trep­ 66 N ur scheinbar ist die Bewegung handlungslogisch motiviert (etwa: er muß seine Waffen holen) denn das wäre Sache des ingesinde (2168). 67 Das geht aus der Auskunft hervor: da ist vil gar çergân/swaç w ir vreuden beten in der Hiunen lant (2242,26).

53 °

Wege

pe erreichen und in den Saal eindringen. Dort68 tobt der K am pf los; scheiden69 heißt jetzt nur noch, die ineinander verkeilten Kämpfer fur einen Augenblick auseinan­ derzubringen, damit sich neue Kombinationen im Gemetzel ergeben können. Nur einer kommt wieder heraus - Hildebrant; ihm gelingt es schon nicht mehr, den toten Wolfhart ûyem hûse mit im tragen dan (2300,1) - , und nur zwei bleiben übrig Gunther und Hagen. Der Spielraum wird immer enger, und er umschließt immer weniger Menschen. Die weiträumige nibelungische Welt ist auf einen K am pf im Saal geschrumpft, auf die Dimension archaischer Heldenlieder. Für den letzten K am pf der Überlebenden braucht es keine Abgrenzung zwischen den Machtblöcken mehr. Ein hiunisches Aufgebot scheint es nicht mehr zu geben. Dietrich scheint allein übrig mit Hildebrant, und im Hintergrund Etzel und Kriemhilt. Jetzt können die überleben­ den Burgonden die herausgehobene Position im Saal noch einmal verlassen. Dietrich trifft auf Hagen und Gunther stênde [ ...] û%en vor dem hûse, geleinet an den sal (2328,3;). Hagen stürzt sich von der stiege in den K am pf (2348,3), und Gunther läuft fü r den sal (2357,3)- In den beiden letzten Zweikämpfen gibt es keinen hierarchisch geordneten Raum mehr. Die Unterlegenen werden gefangengenommen; sie können sich nicht mehr im Raum bewegen. Hagen wird eingekerkert, Gunther und Hagen liegen sunder durch ir ungemach (2366). Im Schlußtableau entfallen die räumlichen Grenzen, aber nur als Szenerie für die Liquidation der Eingeschlossenen. Die Bühne ist wieder offen —es ist nicht so klar, wo sie eigentlich aufgeschlagen ist und wer sich auf ihr befindet - , aber es gibt auf ihr kaum noch Überlebende.

Wege Die Auflösung des geordneten Raums wird durch die Verwirrung der Wege vor­ bereitet. Die Wege, die durch die bekannte Welt führen, waren wenig auffällig. Der Weg von Xanten nach Worms, von Worms nach Isenstein und zurück ist eine nach Zeit zu bemessene Entfernung. Sieben Tage braucht man von Xanten nach Worms, zwölf dauert die Fahrt vom Rhein nach Isenstein. Die Distanz nahezu spielend zu überwinden, gehört zu den Stereotypen erfolgreicher Brautwerbung. Anders steht es mit dem Weg ins Nibelungenland. Wie man dorthin gelangt, ist dunkel, der Ort zwischen den höfischen Zentren von Worms und Xanten nicht recht unterzubringen, der Weg führt durch ein nicht meß- und lokalisierbares Nirgendwo, für das in der 8. Aventiure das Meer steht. Sivrit bewegt sich, ohne daß man Näheres erführe, souverän zwischen der bekann-*6 5 68 2287,2; 2292,3. 65 227 6 ,1; 2278,3.

331

Räume

ten und der fremden Welt, und er kann andere von der einen in die andere fuhren. Das Verfugen über den leeren Raum (das Meer) wird demonstriert, wenn Sivrit Gunther, Hagen und Dancwart uf derfluot führt und da, wo es keinen Weg zu geben scheint, die rehten Wasserstraßen kennt (378,1-3), dann wieder, wenn er als unsicht­ barer j chefmeister das Schiff von Isenstein ins Nibelunge laut bewegt, so rasch als wehe ein sunderstarker wint (483,1-3).70 Der Raum bietet Widerstand, doch Sivrit (und mit seiner Hilfe auch Gunther) meistert ihn, in recken wise, in der auch die Abenteuer dort zu bestehen sind. Die Raumvorstellungen verschieben sich, wenn der Hort und Prünhilt gewonnen sind und ihre Herrschaftsbereiche von den höfischen Zentren dominiert werden. Die Entfernung zwischen Gunthers und Sivrits Sitz scheint zum ersten Mal zum Problem zu werden, wenn Gunther die Verwandten nach Worms einlädt (727,3; 758,4), und zwar ohne daß zwischen dem, wie man weiß, in wenigen Tagen erreich­ baren Niderland und dem Nibelungenland unterschieden würde. Das ist bemer­ kenswert, denn Nibelunge lant ist nicht mehr nur dem Heros zugänglich, es liegt nicht mehr in einem fernen Nirgendwo, sondern scheint ein Nebenland des nie­ derländischen Königreichs geworden zu sein, wo Sivrit und Kriemhilt sich gerade aufhalten; es ist geographisch lokalisierbar {ße Nibelunges bürge [ ...] ße Norwage in der marke, 739,2h). Aus mythischer Unzugänglichkeit ist eine schwer, aber schließ­ lich doch zu überwindende Entfernung geworden; es zeigt sich, daß weiterhin Verbindungen nach Worms bestehen. Der Raum zwischen den beiden Höfen ist meßbar {in drin wochen, 739,1). Dieses Norwage ist sicher, anders als die Ortsnamen aus dem Donauraum, etwas sehr Fernes, doch ist es erreichbar. E s gehört so selbst­ verständlich zu Sivrits Kronländern, daß es keine Erklärung wert ist, warum die Boten Sivrit nicht in Xanten antreffen. Der Raum ist weit, aber nicht unvertraut. Schon auf Sivrits und Kriemhilts Z ug von Worms nach Xanten, wo sie gekrönt werden, passierte nichts Epenwürdiges, denn die Welt dazwischen gehört zu Gunthers Herrschaft. man hieß in allenthalben ir nahtselde legen swâ sis gerne nämen, al durch der künige lant.

(702,2f.)

Die Reise in die Gegenrichtung, vom Nibelungenland nach Worms, zu Pferd jetzt, nicht mehr zu Schiff (779-781), ist erst recht nicht erzählenswert: leere, zu über­ windende Zeit. Gleich geht der Erzähler zu den Vorbereitungen des Empfangs in Worms über. Die Grenze der Sagenwelt zur gewöhnlichen Welt ist durchlässig; man kann problemlos von Nibelunge lant (778,3) nach Worms reisen. Wenn Sivrit tot ist, können sogar Gernot und Giselher dorthin gelangen und den Schatz holen. Kaum ist das Unwegsame zugänglich, beginnen sich aber die Wege durch die bekannte Welt zu verwandeln. Unübersehbar wird das beim Z ug der Burgonden zu 70 Z u dieser Stelle Pérennec (1975), S. 2.

332

Wege

Etzel. Bei Kriemhilts Reise ins Hiunenland bemerkte man noch nichts davon, so weit der Weg auch ist. Der geographische Raum ordnet sich wieder um Herr­ schaftssitze. Kriemhilt berührt eine Reihe von markierten Punkten: bis Verge (Pföring) in Begleitung der Brüder; Einkehr in Passau beim Oheim; dann in dessen Begleitung nach Everding und Ense beim Übergang über die Traun, wo sie Gotelint trifft; mit ihr nach Bechelaren, zum Herzog Astolt nach Medelicke, der sie nach Mûtaren weist, wo der Bischof sie verläßt, dann nach Zei^enmäre an der Treisen, wo Etzel eine Burg besitzt, in die Stadt Tuln, wo sie Etzel trifft, nach Wien, wo sie Hochzeit hält, über Heimburc, Misenburc schließlich nach Et^elnburc. Kriemhilts Reise führt durch eine geordnete politische Welt7' - den Wormser Einflußbereich, Beiern, die Sphäre Pilgrims von Passau, Osterrich, das hiunische lant (1375,4). Ihr Weg durchläuft eine Folge fester Punkte. Überall wird sie gut aufgenommen, zuerst in der Einflußsphäre des Wormser Hofes, dann in Passau und in den verschiedenen Quartieren in Rüedegers und Etzels Machtbereich. Immer ist die nahtselde gesichert (si schuofen die nahtselde un% an Tuonouwe stat, 1288,3), manchmal in hätten und gesielt (z. B. 1304,2) oder auf einem Adelssitz.71 Überall ist von gemach, von Essen und Trinken und von geregeltem Wechsel zwischen der Reise tags und der Nachtruhe die Rede: D ie naht si beten ruowe bis an den morgen vruo (1317,4). So ist die Anstren­ gung erträglich: die wegemüeden vrouwen die beten senfte und ouch gemach (1377,4). Bei jeder Station wird der fremde Raum zum vertrauten, das Fremde ,angeeignet*; die landfremde Kriemhilt kann von Anfang an die verstorbene Königin ersetzen.73 Z w ö lf Tage - offenbar die Normalzeit für eine »lange* Reise - hatte Rüedegers Ritt an den Rhein in Anspruch genommen, als er um Kriemhilt warb. Z w ö lf Tage brauchten die Boten, als sie die Burgonden einladen fuhren. Bei Kriemhilts Reise spielte die Zeit keine Rolle, aber alles verlief geordnet und gefahrlos. Dann aber, wenn sich die Burgonden zu Etzel aufmachen, ist das anders. Derselbe Weg wird lang und beschwerlich. Nach zwölf Tagen erreichen sie gerade einmal die Donau. Man wird sagen: Natürlich benötigt ein großes Heer mehr Zeit als die kleine Schar. Trotzdem entsteht der Eindruck, daß der Z ug in den Untergang nicht enden will. E r ist mühsam: Wo Kriemhilt in Verge die Donau erreichte, Verge einfach ein Ortsname war (Pföring), begegnet den Burgonden an der gleichen Donau ein gewalttätiger verge, der sie an der Weiterreise hindern will. Die Homonymie, mag sie nun Absicht sein oder nicht, verschärft noch den Eindruck der Gegenbildlichkeit. Der Raum zwischen Worms und Passau dehnt sich, danach, hinter Passau (1630), ist er leer, bis auf die marke vor Bechelaren, einen militärischen Posten, den Ecke­ wart besetzt hält; nach der Enklave in Bechelaren geht es noch nider über sant/%etal bi Tuonouwe u% in da^ hiunische lant (1712,3h ). Obwohl langsamer, bietet diese Reise

71 Keine Rede davon, daß Bechelaren der letzte Vorposten der Zivilisation ist (Frakes, 1994, S. 163). 71 Vgl. 1 3 1 6 ,3 - 1 3 1 7 ,1 . 71 In Tuln z. B. lernt Kriemhilt vil manic site vremede kennen (13 4 1,3 ).

333

Räum e

den Lokalhistorikern weit weniger Anhaltspunkte als die vorausgehende Kriemhilts. Der Raum ist plötzlich gefährlich: Etzels Ansehen hatte Rüedigers Z u g (1174,4) ebenso wie die Boten Wärbel und Swämmel (1429,3F.) geschützt, Rüedeger selbst schützte Kriemhilt. Anders beim Z u g der Burgonden. Für Etzels Gäste reicht sein Schutz offenbar nicht mehr aus, denn sie haben Kämpfe zu bestehen. Dreimal, einmal unter Schwierigkeiten, geht es über einen Fluß. Die Burgonden brechen zu Schiff auf (1514 ,4),74 und es wird noch zweimal nötig sein, ein Wasser zu überque­ ren, gewaltsam die reißende Donau bei Moringen, dann den Inn (?) bei Passau (1629.3) . Flußüberquerungen sind bedeutsame Überschreitungen von Grenzen.75 Hinzukommen zwei weitere Grenzüberschreitungen: die zum Herrschaftsgebiet des Herzogs von Beiern und die Mark, die Rüedegers Land schützt. Dazwischen gibt es nur zwei Ruhepunkte: Passau und Bechelaren, die sich aber nur umso krasser von ihrer Umgebung abheben. Bis zur Donau (%e Maringen, 15 9 1,1) gibt es geographische Fixpunkte (wenn auch nicht mehr die dichte Folge von Herrschaftssitzen), den Main, Ostfranken; dann aber dehnt sich ein gefährlicher Raum, durch den der Z u g ohne genauere Rich­ tungsangaben sich bewegt. An der Hochwasser führenden Donau fangen die G e­ fahren an. Sie zu überschreiten, ist mühsam und führt zu den ersten kriegerischen Verwicklungen. Danach wird der Raum unübersichtlich, und es gibt keinen Aufent­ halt; ûf der strafe haben die Burgonden die Angriffe der Beiern abzuwehren (1602.4) ; sie müssen dann rasch û f disen wegen weiterreiten (1617,2). Immerhin drei Strophen lang wird auserzählt, daß es für sie trotz ihrer Erschöpfung nach dem K am p f mit den Beiern kein Nachtlager gibt: Zuerst fragt manic man nach einem Quartier und wird von Dancwart beschieden: wir mugen niht herberge hân (16 21,3F ), dann erkundigt sich Volker nach einer Rast (1622,2-4), doch wieder lautet Dancwarts Antwort: „w ir enmugen niht geruowen ê i% beginne tagen. swä w trz danne vinden, da legen uns an ein gras. " dô si diu m are hörten, wie leit in sümeliehen w as!

( 1 6 2 3 ,2 -4 )

Gewiß, das betrifft die Nachhut: Hagen, Dancwart, Volker und ihr Gefolge. Doch wenig später zeigt sich: Auch die Könige, die Burgonden alle, haben keinen Ort zum Ausruhen in der feindlichen Umgebung. Sie sind aus der bekannten Welt herausgefallen: Wir kunnen niht bescheiden wâ si sich leiten nider (1627,1). A u f dem Weg zu Etzel scheint aus dem festgefügten Herrschaftsverband ein Z u g von Nomaden zu werden, die irgendwo ,im G ras‘ ausruhen müssen, wo sie gerade sind.76 74 Das ist in der Tat, wie de Boor S. 242 bemerkt, nicht auffällig, denn man muß von Worms aus den Rhein überqueren. Z u denken gibt nur, daß die Lage von Worms bei Sachsenkrieg und verräterischer Jagd nicht beachtet ist (ebd., S. 152). Beim Mord an Sivrit im Waskenwald setzt man (fälschlich) über, beim Sachsenkrieg nicht. Sollte die Überfahrt also doch symbolische Bedeutung haben? ” Vgl. Strohschneider/Vögel (1989).

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Das wird ausdrücklich mit dem kontrastiert, was ,in Ordnung“ wäre und sofort wieder eintritt, wenn sie sich einem vertrauten Herrschaftssitz nähern: si wurden wol enpfangen da %e Patgpuwe sint (1627,4). Doch das ist die Ausnahme. Sie wiederholt sich, wenn der Zug Rüedegcrs Mark erreicht: Die vollendete Bewirtung durch den Markgrafen löst einen desolaten Zustand ab, in dem Etzels Gäste nicht wissen, wo sie sich lassen sollen. Das burgondische Aufgebot ist keineswegs zu schwach, um, wie im Mittelalter sonst doch üblich, selbst für Unterkunft und Verpflegung zu sorgen. Trotzdem sind die Burgonden getrieben von der Sorge derer, die nirgend­ wo zuhause sind. Wenn man Hagen hört, dann fehlt es ihnen inzwischen an allem. Hagen klagt Eckewart nämlich die sorge seiner Leute umb’ die herberge; man wisse nicht, wo man bleiben solle: wä wir in disem lande noch hinte nahtselde hän\ er fragt nach einem Platz ,heute abend“, damit die künige und ouch ir man (1636,2-4) ausruhen können. Die Ressourcen des Heeres scheinen verbraucht: „Diu ross sint uns verdorben üf den verren wegen, unt der spfse sçerunnen“, sprach Hagene der degen. „wir vinden\ ninder veile, uns ware wirtes not, der uns noch hinte gäbe durch sine tugende sin bröt.“

(1637)

Aus der Festgesellschaft scheint der Z u g einer abgerissenen und halb verhungerten Soldateska geworden zu sein. Statt anderen durch freigebige Geschenke zu impo­ nieren, sind sie selbst auf Rüedegers milte angewiesen. Das hat gewiß auch rhetorische Funktion: der Mangel ist Folie für den voll­ endeten wirt Rüedeger, der Gäste so aufnimmt, da^ ir hüse selten so wol bekomen birt (1638,2). Doch andererseits wird der bloße Aufschub, der retardierende Charakter des Aufenthalts in Bechelaren dadurch nur umso schärfer erkennbar. Der Z u g in den Untergang hat schon mit dem Aufbruch in Worms begonnen, und er setzt sich, nur in Passau und Bechelaren unterbrochen - die übrigens in enger Nachbarschaft zu liegen scheinen, so wenig Erzählzeit wird vom einen zum andern gebraucht - , unerbittlich fort. Dem Aufenthalt in Bechelaren geht ein anderes Hindernis auf dem Weg zu Etzel voraus. Man erfahrt von einer bewachten Grenze zu Etzels Reich, wenn diese auch scheinbar mühelos passiert wird.76 77 Als Kriemhilt kam, war davon nicht die Rede gewesen. Die Grenze ist durch widersprüchliche Merkmale gekennzeichnet. E s gibt den Grenzwächter Eckewart, doch der schläft; Eckewart ist fremd und vertraut zugleich, ist Kriemhilts Gefolgsmann, doch sorgt er sich um dessen potentielle Feinde; er wehrt zwar nicht ab, aber warnt; der Übergang ist friedlich, doch erst

76 Mir scheint dieses ,Nomaden-Werden‘ wichtig im Hinblick auf die Rolle, die die Burgonden-Nibelungen bei Etzel als Zerstörer des Reichs spielen werden (S. 4456); zum Weg der Nomaden: Deleuze/ Guattari (1980/1992), S. 522-526 . 77 Z u ihrem Charakter als .Störung* S. 1426

Räume

einmal nimmt Hagen dem Wächter die Waffen ab; die Burgonden werden als Gäste empfangen, aber müssen erfahren: man ist iu hie geha^ (1635,3). Sie sind in einen zweideutigen Raum eingetreten, dessen Gefährlichkeit sich erst langsam herausstellt. Bei Rüedeger wird noch einmal alles anders sein; er wird sie sicher zu Etzel bringen. Wie am Anfang der Reise scheint auch am Ende alles wieder in Ordnung zu sein. Doch der Weg zu Etzel ist nicht mehr der vom Helden leichthin überwundene Widerstand des Raums noch auch eine Perlenschnur von Herrschaftssitzen und höfischen Empfängen. E r isoliert die Burgonden total von ihrer Umgebung und setzt sie tödlicher Gefahr aus. Der Z u g ist von einer seltsamen Ruhelosigkeit gekennzeichnet, und diese R u ­ helosigkeit setzt sich an Etzels H o f fort. Trotz Etzels freundschaftlichem gruo^ und trotz der Bewirtung, volleclîchen und nach Wunsch, kehrt auch jetzt sogleich die sorge um einen Platz zum Ausruhen zurück: die wegemüeden recken, ir sorge si an vaht, wanne si solden ruowen und an ir bette gän.

(i8i8,2f.)

Anders als auf Kriemhilts Reise wird die Anstrengung nicht durch Bequemlichkeit kompensiert. Obwohl alles problemlos scheint, das Lager ausladend in seiner Pracht und Bequemlichkeit geschildert wird (1824-1826), muß die Bitte lät uns eilenden hint haben gemach ( i 823,3)7* bei Etzel und gegen die herandrängenden Hiunen erst umständlich begründet werden, und Giselher klagt Owê der nahtselde (18 2 7.1) , weil er den A n griff Kriemhilts furchtet. Die Müdigkeit begleitet die Bur­ gonden seit Beginn der Fahrt zu Etzel, vom Übersetzen über die Donau (1571,4) bis zum Erreichen der hiunischen Grenze Do die wegemüeden ruowe gendmen (16 3 1,1). Man schläft nicht mehr gut. In der ersten Nacht an Etzels H o f sind es nur Volker und Hagen, die wach bleiben müssen. Indem sie die anderen bewachen, auf gemach also verzichten, indem Volkers Musik vil manegen sorgenden man einzuschlafen erlaubt (1835,4), kann das sorgen (1828,1) der stolzen eilenden (1834,4) noch einmal zerstreut werden. Dann gibt es keine Entspannung durch nahtselde mehr. Am folgenden Abend heißt es: In was des tages gerannen: do gie in sorge not (2087,1). Ihnen wird nicht mehr nur die Ruhe bestritten, sondern man versucht, das Haus zu verbrennen, in dem sie ausruhen könnten, und sie darin: In sus getânen leiden in doch der naht %eran (2 120 .1) . Bei Tagesanbruch geht der K am p f gleich weiter: Des tages wider morgen grüe^en man in bot/mit hertem urliuge (2i28,if.). Statt Ruhe nur noch Erschöpfung: Den sitzen, disen leinen sah man manegen degen (2227,1). Der Rückweg heim in iuwer lant (2340.2) , den Dietrich in Aussicht stellt, bleibt eine leere Illusion. Erst die ,K lage“ wird die Tendenz, Wege zu verbauen und Raum zu bestreiten, umkehren, wenn Swämmel Etzels Botschaft durch die Lande verbreitet. E r wird wieder unbehelligt, offenbar unter dem Schutz von Etzels Macht (die doch eigent­ 7* Vgl. vorher 18 19 ,2; 1822,4.

Wuchern der nibelungischen Welt

lieh zerstört ist) von Herrschaftssitz zu Herrschaftssitz ziehen: Wien - Bechelaren Passau - Worms - , niemand, auch die Beiern nicht, werden seinen Z ug behelligen, und so kann er seine Botschaft überall verkünden. Die Wege sind wieder gangbar.

Wuchern der nibelungischen Welt A u f ihrem Weg in den Untegang mutieren die Burgonden zu Nibelungen. Diese feiern in der Rotte von Kriegern, denen mehr und mehr ihr Platz in der Welt streitig gemacht wird, Auferstehung. Anfangs hatte Sivrit die Kraft der Nibelungen repräsentiert. E r war nicht wie in anderen Fassungen der Sage der nomadisierende Fremde, der ,von draußen“ kommt, sondern an einen H o f gebunden. Doch gab es Geschichten von ihm, nach denen er herumzog: durch sines libes sterke er reit in menegiu lernt (21,3). E r behauptete sich dort, wenn er auf die Nibelungen und ihren sagenhaften Schatz traf, oder später in Isenstein dank seiner überlegenen Kraft. Seine Geschichte berührte sich mit der fremden Welt ,draußen“, er wußte sich als einziger dort zurechtzufmden, hatte eine Affinität zu ihr, mehr nicht. Nur dem, der genau liest, fällt auf, daß diese Affinität durch seine Gestalt an­ gezeigt wird; Sivrit wird durch die Größe seines gêr als riesenhaft gekennzeichnet: Sivrit der fu ort' ir einen n>ol zweier spannen breit (73,3).79 Auffällig ist, daß dies nicht explizit, sondern nur im Modus einer epischen Hyperbel gesagt wird. Auch Prünhilt ist durch ihre Waffen als riesenhaft gekennzeichnet.80 Doch auch bei ihr werden daraus keine Schlüsse gezogen. Beide Male sind äußere - körperliche - Spuren, die Sivrit und Prünhilt einer heroischen Sonderwelt zugehörig ausweisen, herunterge­ spielt. Ist Sivrit einmal König, rückt das Nibelungenland in die Reichweite des Wormser Hofes, nach Sivrits Tod sogar noch näher: Hagens Verrat hatte Sivrits scheinbar unverwundbare Schutzschicht zerstört und damit seine exorbitante Stär­ ke, die durch die magische tarnhüt vervielfacht worden war. Die Depotenzierung Sivrits ist auch die seines Landes. Wenn Gernot und Giselher den hört, Inbegriff nibelungischer Macht, abholen, beklagt Alberich deshalb folgerichtig den Verlust der guoten tarnhüt, der ihn und das Nibelungenland wehrlos gegen den Abtransport des Schatzes durch die burgondischen Könige mache: „Doch wurden nimmer“ sprach Albrich, .getan, niwan da\ wir übele dâ verlorn hän mit samt Sifride die guoten tarnhüt, want die truoc alle %ite%' der Schemen Kriembilde trüt.1* 79 Joachim Heinzle machte mich hierauf aufmerksam, daß bei dieser Größe des gêr Sivrit von riesen­ hafter Gestalt sein muß.

*° 4}7,4; 44*.if-; 449.4­ 11 Das kann nur bedeuten: .hatte immer in Besitz1, denn davon, daß Sivrit sie .dauernd* trägt, war nicht

J 37

Räume

Nu ist Sifride leider übel körnen, da% uns die tarnkappen bet der heit benomen unt da%im muose dienen alleç ditye lant.“ (i 1 19—1 120,3). Sivrit, der neue Besitzer der tarnhüt, garantierte Schutz und Verborgenheit des Nibelungenlandes. Wie die Haut ihn verbergen konnte, so lagen auch der Schatz und seine Hüter außer Reichweite der Wormser. Nachdem die tarnhüt mit samt Sîfrîde dahin ist, können Gernot und Giselher das Nibelungenland mit ihren 8000 Kriegern erreichen, Rechtsansprüche ( morgengäbe, 1118 ,4 ) greifen dort, und der Schatz kann verladen und abtransportiert werden. Obwohl angeblich unerschöpf­ lich, wird er mit einer zwar großen, doch endlichen Zahl von Fuhren wegge­ schafft.8' Seine mythische Potenz, materialisiert in einer Zauberrute (von golde ein rüetelîn, 112 4 ,1), die die Weltherrschaft sichert, bleibt unerkannt und ungenutzt. In *C ist diese Reduktion des Nibelungenlandes auf Normalmaß durch eine Zusatz­ strophe noch unterstrichen, die von Gernot und Giselher erzählt: [...] do vnderwnden si sich sint des landes vnd der burge vnd maniges rechen bait, das mvs in sider dienen bediv durch vorht vnd gewalt.

(C 1138,2—4)

Das Nibelungenland ist eingemeindet. Doch die Depotenzierung des Hortes und damit der nibelungischen Welt geht weiter. Weil er ihn als Machtfaktor fürchtet, versenkt Hagen den Schatz im Rhein; seine einstmals mythische Größe muß inzwischen handlicher geworden sein. Nur ein Rest bleibt übrig, soviel, daß immer noch hundert Pferde ihn nicht tragen können (1271,3). Dieser Rest kann schon mit dem Schatz Etzels verglichen werden, und siehe da, der neue, in der raumzeitlich fixierten Welt des Hiunenreichs ange­ sammelte Schatz ist größer als der mythische Hort. Der Hort - oder wenigstens, was von ihm übrig ist - wird bezifferbar. Von 30.000 Mark ist die Rede, die Kriemhilt an die Gäste verteilen will (1277,3), und von KFei f sc^ n voll Gold, die sie mitführt (1280,1). Das Nibelungenland und sein Hort erfahren das gleiche Schick­ sal wie ihr Herr. Auch insofern sind beide - nicht nur für Kriemhilt - ununter­ scheidbar. Nun aber passiert etwas Erstaunliches: Das Nibelungenland beginnt gerade in dem Augenblick, in dem es aus dem Horizont der Geschichte verschwindet, zu wuchern.8’ Nachdem die jenseitige Welt zuerst eingemeindet wurde, fängt sie an, die bekannte zu verwandeln. Sie verleibt sich die höfische Welt ein, die anfangs ihr*12 die Rede. In diesem Sinne präziser die Formulierung in C: trieb von allem rehten (C 113 2 ,4 ); Hs. a interpretiert noch weiter: trueg vor allenn rekchenn (Batts, S. 339). Das ist zwar unsinnig, insofern als sich die tarnhüt gerade nicht als Requisit öffentlicher Selbstdarstellung eignet, doch Ausdruck dessen, daß sie zu Sivrits Herrschaftsmitteln gehört. 12 Z u r Zahlcnsymbolik: Brunner (1990), S. 4 5-4 8 . ’ ’ Vor allem Seitter (1990), S. 23f. hat auf das „Nibelungenwerden“ (S. 24) der Burgonden aufmerksam gemacht; ich knüpfe im folgenden an ihn an, setze aber einige andere Akzente.

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Wuchern der nihelungischen Welt

Kontrapost gewesen war. Nibelunge ist nicht mehr mit einem bestimmten Raum verbunden, sondern meint eine Gruppe von Menschen und deren Form der E x i­ stenz. Eingeschlossen in Etzels sal werden die Nibelunge vernichtet werden. Nibelunge hießen die Könige der fernen Sagenwelt (Nibelunge lant, 92,3; 94,4), vielleicht auch ihre Gefolgsleute (87,2; 90,4), die sonst der Nibelunge man (89,3) oder di Nibelunges man (98,3) genannt werden. Nibelunc ist weiter der Name eines der jungen Fürsten (87,3; 9 1,1). Überhaupt schwankt der Gebrauch zwischen Eigenund Gentilname; der Name erscheint mal im Singular, mal im Plural: Nibelunges hor[t] (88,3), Nibelunges swert (93,1) oder Nibelunges man (98,3) gegen Nibelunge lant (92,3; 94,4) oder Nibelunge man (89,3). Offensichtlich ist die Unterscheidung nicht wichtig: Der Träger des Eigennamens trägt ihn, weil er zur gens gehört, und dic gens bestimmt ihre Identität über den Eigennamen.®4 Das entspricht durchaus frühmit­ telalterlichen Verhältnissen. E s erweist sich nun allerdings, daß der Name nicht nur nicht an einem einzelnen, auch nicht nur an der Dynastie oder deren Gefolgsleuten haftet, denn er kann allmählich zunächst auf Sivrit und seine Leute, dann auf die Burgonden übergehen. Mit ihm benannt werden nicht allein Personen, nicht einmal Personengruppen, sondern ein Syndrom aus Personen, ihren Rechtsbeziehungen und Machtmitteln. In der 8. Aventiure ändert sich noch kaum etwas. Das Land heißt Nibelunge (484,4);®’ in der burc gibt es Nibelunges sal (492,2); die Besatzung sind die Nibelunge (501,3) oder Nibelunge man (502,3) —bei ihnen wäre der Singular schon unpassend, denn es gibt keinen Nibelunc mehr. Sivrit dient da% lant %en Nibelungen (7 2 1,i);®6 das Gefolge heißt auch Schilbunges recken (721,3); Sivrit residiert in Nibelunges bürge (739,2), verfügt über den hört der Nibelunge (774,3) und kommt von Nibelunge lant zum Fest nach Worms (778,3). Seltener werden er und sein Gefolge die von Niderlant genannt;®7 er selbst, dann auch sein Gefolge - auch noch nach seiner Erm or­ dung — leiten den Namen von Nibelunge lant ab.8 688 *8 4 9Auch dies entspricht noch der üblichen Namensgebung nach Herrschaftstiteln oder -sitzen. Doch der Name haftet nicht an Sivrit und den Xantenern, und deshalb ver­ schwindet er auch nicht mit Sigemunt, der Sivrits Gefolge heimführt; er haftet nicht einmal an der väterlichen Dynastie. Wenn Sigemunt an Sivrits Stelle tritt, ist erneut der Sprachgebrauch schwankend geworden: Zuerst hieß es noch Nibelunge lant\ %er Nibelunge lant nahm Sigemunt Sivrits Gefolge zurück (1083,3);®’ auch 84 Nibelunc ist deshalb nicht nur der Name des einen jungen Fürsten (dem der Hort ja nur zur Hälfte zukommt), sondern des Sippenhauptes; die Sicherheit, mit der ihn de Boor zum Namen des ,,Vater[s] der jungen Könige“ erklärt (S. 388), findet allerdings im Text keine Stütze. *’ Das ist wohl als Genitiv Plural aufzufassen wie auch in 492,4. 86 Der Ländername ist jetzt regelmäßig gebildet wie tranken o. ä. ,7 888,3; 934,2; 1018,4: in den Worten eines Boten. 88 Sie heißen Sifrit [ . .. ] von Nibelunge lant (1003,3); der heit von Nibelunge lant ( 10 11,4 ; hier hat A Nider/ant, Cab eine andere Formulierung); die Sifrides beide von Nibelunge lant (10 15 ,2 ; 10 27 ,1; 10 71,3) oder Nibelunge (1030,2; 1058,4). 89 Dagegen C 1094,3 heim in Niderlant (so auch a: Batts, S. 326h).

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Räum e

Kriemhilt erklärt eigenartigerweise, sie habe in Nibelunge laut (1085,3) - und nicht in Niderlant - keine Verwandten.90 Als aber die Trennung vollzogen ist und Kriemhilt in Worms bleibt, ziehen Sigemundes man (io 9 i,2)9' %uo Sigemundes lande (1090,3). Es gibt auch noch einmal den Namen Nibelunge, wenn von möglichen Angriffen der Feinde die Rede ist, gegen die sich der küenen Nibelunge hant (1095,4) wehren würde; dann aber gelangen sie unbehelligt heim %e Niderlant (1098,3);919 2* sie kehren in die gewöhnliche Welt zurück und sind von da an vergessen. Der Name bleibt in der Latenz, taucht auf, als sich das Begehren der Burgonden auf da% Nibelungesgolt (110 7,3) richtet und der Hort von Nibelunges lande (1116 ,3 : jetzt wieder Singular!)9’ nach Worms kommt, und später, als Kriemhilt ihren Besitz mit zu Etzel nehmen will. Einmal heißt der Schatz gol[t] von Nibelunge lant (12 7 1,1), dann Sîfrides golt (1272,2). Der Name haftet in der Erinnerung an Sivrit, den heit von Nibelunge lant, wie ihn später Dietrich von Bern nennt (1724,4).94 Für die Hiunen heißt der Held dagegen von Niderlande Sifri[t] (1733,2), ist nicht der Heros aus einer Sagenwelt, sondern der Herrscher eines bekannten Königreichs. Für Kriemhilt sind beide Aspekte unter­ schieden. Beim Hochzeitsfest mit Etzel wird ihr jetziger Reichtum mit dem in Niderlande (1368,1) verglichen, und sie denkt daran, wie si %e Rfne sce^e [ ...] bi ir edelen manne ( 1 37 1,1F ). Doch wenn sie später darangeht, die Rache ins Werk zu setzen, erinnert sie sich der êren von Nibelunge lant (1392,1). Das ist nicht dasselbe. Beim Aufbruch der Burgonden zu Etzel tauchen plötzlich, gegen jede hand­ lungslogische Wahrscheinlichkeit, die Nibelunges beide wieder auf (15 23,1), 1000 an der Zahl, die mit (!) den Burgonden reiten.9’ Wie der Hort feudaler Politik verfüg­ bar wird, so wird auch das Land, aus dem er stammt, zugänglich und seine Leute Untertanen. Noch werden die Burgonden von ihnen unterschieden. Aber dann gilt wenig später der Name offenbar dem Z u g insgesamt, wenn es von Hagen, dem Führer der Burgonden und ihrer Könige, heißt: Do reit von Tronege Hagene paller vorderost. er was den Nibelungen ein heljlieber tröst. ( 1 526,1h)96

90 91 92 9' 94 91

So auch die übrigen Hss. auch: Sifrides man (10 95,1). Nach Jh: hem sinem rieh den kvnc von Niderlant (Batts, S. 331). C 1 1 3 1 , i (entspricht 1 1 18) fügt unterstreichend zusätzlich noch einmal in Nibelunge lant ein (ebenso a). In Jb h jedoch auch von Niderlant (Batts, S. 525). Die späte Hs. a, die hier wegen einer Lücke C vertreten muß, hat diese unsinnige Bemerkung getilgt (nicht also C: Seitter, 1990, S. 23). Wenn in a stattdessen vom Kaplan die Rede ist, den man trotz der beklagenswerten Glaubenspraxis damals mitgenommen habe, damit er Messe hielte, und der als einziger mit dem Leben davonkam, dann scheint das eher wieder eine verlegene nachträgliche G lät­ tung. Eine Änderung in umgekehrter Richtung ist jedenfalls undenkbar. 96 Die Überschrift der 25. Aventiure Wie die Nibelunge %en Hiunen fuoren, die de Boor in seine Ausgabe übernommen hat, basiert auf den Hss. b und d; in den übrigen wird eine neutralere Formulierung (z. B. ,die K önige“) gewählt.

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Wuchern der nibelungischen Welt

Das läßt sich mit der Ableitung von Herrschaft und Herrschaftssitz nicht mehr erklären.97 Von jetzt an werden die Burgonden häufig Nibelunge genannt. Der Name bezeichnet sie als die Träger der heroischen Handlung.98 Aus der sagenhaften ,Fremde* wurde anfangs politische ,Nachbarschaft* von Rei­ chen (Norwage), dann sogar ein Rechtstitel. Mit der unrechtmäßigen Aneignung dieses Rechtstitels scheint auch der Personenverband der Nibelunge sich den Siegern zu assoziieren; doch es geht noch weiter; bei der Fahrt zu Etzel wird aus Nähe Identität.9910 Der Untergang der Burgonden ist nicht in einer bedrohlichen heroischen G e­ genwelt lokalisiert, sondern in einer Welt, die aus Sicht des ursprünglichen Pu­ blikums nahezu in Reichweite liegt, auch wenn über sie ,damals* der sagenhafte Etzel herrschte. So tritt der unvertraute Raum der Sage, wie ihn Hagens Erzählung zu Anfang beschrieb, wie ihn die Wormser in Isenstein erfuhren und wie ihn Sivrit in der 8. Aventiure noch einmal souverän meisterte, immer weiter zurück. Die Personen und Requisiten aber, die aus diesem Raum stammen, ziehen die burgondische wie die hiunische Herrschaft ins Verderben. Die Burgonden werden zu Nibelungen. Verbunden ist das mit der schleichenden Auflösung herrschaftlicher Strukturen.'00 Der Übergang ist kaum merklich. Der Name Burgonden verschwindet keineswegs völlig. Doch sind die Bezeichnungen zumeist sorgfältig verteilt. Die Herkunftsbezeichnung Burgonden findet sich vor allem als Selbstbezeichnung101 oder dort, wo der Rahmen des höfischen Festes gewahrt bleibt, wo sie die Gäste Etzels und Verwandte der Königin sind oder der Erzähler neutral an ihre dynastische Herkunft erinnert,102* schließlich am Ende, wenn Kriemhilt den besiegten und gefesselten, auf den Status des wehrlosen Opfers reduzierten Günther begrüßt: willekomen Gunther û%er Burgonden lant (2362,4).'°5 Wo es dagegen um die Feinde der Hiunen geht, die sie mit in den Untergang reißen, werden sie Nibelunge genannt. Die Bezeichnungen wechseln auf engem Raum und mit ihnen die Perspektive: Der Übergang über die Donau, erster Anlaß zu Gewalt, bereitet den Nibelungen Schwierigkeiten (1725,2). Rüedeger spricht dagegen %en Burgonden (17 13 ,1). Wenn

91 Die Burgonden konnten Sivrits Machtmittel ja nur der Zusatzstrophe in * C zufolge in Besitz neh­ men. 98 In k ist diese handlungslogisch unerklärliche Bezeichnung durchgängig getilgt (vgl. Lunzer, 1895, S. 45 5)99 „D as ,Und‘ der Burgunden und Nibelungen ist der Stolperstein, den das Lied legt, der sich dem Lied auf den Weg legt, um das neue ,A ls‘ , um die Burgunden als Nibelungen auffällig zu machen“ (Seiner, 1990, S. 24). 100 Vgl. S. 18 6 -19 0 .

101 *989,2; 2012,4; 2201,4. 102 >875.3; * 88o ,j; 1884,4; 19 3 1.Î ; *940,4; 2070,4; 2076,4; 2 18 8 ,1; 2 2 15 ,3 ; 2228,4; 2242,4; 2244,4; 2317,4. ,0> So in der Tendenz alle Hss., sofern sie zum Namen das Land hinzusetzen; C fugt chunic zum Namen Gunther, doch fehlt die Herkunftsbezeichnung.

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sich aber die Nachricht von ihrem Kommen in Etzels Land verbreitet, heißt es, da% die Nibelunge ^en Hiunen waren (17 15 ,2 ).104 Dietrichs Warnung vor Kriemhilts Heimtücke richtet sich an Hagen als trost der Nibelunge (1726,4); doch einquartiert werden wieder Etzels Gäste, di Burgonden man (17 3 5,1), wobei Dancwart, der heit von Burgonden (1736,4) fürs Gesinde sorgt. Für Kriemhilt sind die Ankömmlinge oh­ nehin nicht mehr Mitglieder ihrer eigenen gens, sondern die Nibelunge (1737,2).,0’ Mit den Namen werden unterschiedliche Handlungskonstellationen verbunden; kur^ewüe will man mit den Burgonden hän (1873,3), die Nibelunge bekämpft man.*106 Das eine Mal wird an der wirklichen Herkunft festgehalten - seine Verachtung der Hiunen drückt Hagen mit der Bemerkung aus, daß sie ihn nicht hindern würden in der Burgonden lant zurückzukehren (1776,4) - , das andere Mal an die neue Rolle erinnert —Dancwart und das ingesinde von Burgonden lant (1870,3) werden, wenn sie sich rüsten, als die küenen Nibelungen (1870,4) bezeichnet. So heißen sie auch, wenn der blutige K am p f ausbricht: Nibelunge nennt sie Dietrich (1900,2), ebenso Rüedeger, der sich von ihnen lossagt: ir küenen Nibelunge, nu wert iuch über al (2175,2).107 Nibelunge ist der Name für die heroischen Gegner und bezeichnet zugleich Parias. In den Aristien der Helden geht das zuvor aufgebaute politische System unter. Indem die Burgonden ,zu Nibelungen werden', geht auf sie die zerstörerische G e­ walt, die ,von außen kommt', über. Nicht, wie die Geschichtsbücher berichten, von den Horden der Hiunen geht die Gefahr aus. Der (historische) Nomadenführer'08 ist Inhaber geordneter Reichsgewalt; dagegen wird der höfische Gunther zum A n ­ führer einer mit berserkerhafter Wut kämpfenden Rotte. Die Richtung, in die die blinde Gewalt wirkt, hat sich verkehrt.109 War im ersten Teil die Bedrohung der Wormser Ordnung ,von außen' - durch Sivrit und die Nibelungen - noch abzu­ wenden gewesen, so gerät der burgondische Herrschaftsverband im zweiten selbst außer Kontrolle und reißt den amelungischen mit sich. Etzels Reich bricht im K am pf mit ihm zusammen. Der abgekapselte Raum der Sage, abgekapselt sogar

104 Doch wechselt die Perspektive rasch; auch kann sie in den Handschriften variieren: Wenn A B D Jh davon sprechen, daß die Burgonden in Etzels Land kamen ( 17 18 ,1) , dann hat Ca Nibelunge (vgl. C «758, i ). ,! So natürlich auch 17 4 1,2 und 1742,2: hört der Nibelunge. 106 Bezeichnend auch, daß in der *C -G ruppe 1870,4 der Name durch eilenden rechen - die Fremden, die den Schutz der Herkunft verloren haben - ersetzt ist, 187 5,3 durch gesten - die Fremden, die zu einem Fest gekommen sind (Batts, S. 568f.). 107 Dagegen C 2233,2: edeln rechen von Burgonden lant\ ebenso a. Erst am Ende tritt der Name wieder zurück. Solange Dietrich noch an einen friedlichen Ausgleich glaubt, gebraucht er auch das neutra­ lere beide Burgonden lant (2317,4). Der Name ist von da an Nibelunges swert Vorbehalten (2347,3; 2348,4). 105 Das wäre ein episches Gegenmodell, der Einbruch einer Horde von „Nom aden“ ; zu diesen Deleuze/ Guattari (1980/1992), S. 4 8 1-5 8 5 . 105 Das gilt geographisch wie strukturell: Die ,Rosengarten“- und ,Biterolf‘-Geschichten machen das rückgängig und kehren zur ursprünglichen Konstellation zurück, indem sie Helden aus dem Südo­ sten Europas als Gegner am Rhein erscheinen lassen.

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Wuchern der nibelungischen Welt

durch die Strategie des Erzählers, von ihm durch den Mund einer seiner Figuren berichten zu lassen, hat sich über die bekannte Welt der Königreiche und G efolg­ schaftsverbände gelegt und sie vernichtet.

543

VII G

e st ö r t e

u n d

p r o b l e m a t isie r t e

In

t e r a k t io n sr e g e l n

Regeln des miteinander Kommunizierens, sich Verhaltens und miteinander Han­ delns im .Nibelungenlied“ insgesamt zu beschreiben, wäre eine Aufgabe, die den Rahmen der Untersuchung überschreiten würde.' Die folgenden Überlegungen richten sich daher nur auf wenige signifikante Einzelphänomene. Dabei wird es einmal um einige grundlegende Handlungsalternativen, zum anderen um die Ambiguisierung von Verhaltensmustern gehen, auf denen die Ordnung der nibelungischen Welt beruht, um die Veränderungen, die sie durchmachen, schließlich um die folgenreiche Durchbrechung regelhaften Verhaltens. Man hat sich immer wie­ der bemüht, dem .Nibelungenlied“ Thesen für diese oder jene Ansicht, Ordnung, Denkweise abzugewinnen, und traf so gut wie stets dabei auf Widerspruch, der sich auf andere Stellen im Text stützen konnte. Es scheint daher angemessener, stattdessen nach Problematisierungsfeldern zu fragen, nach den Themen, die der E r ­ zähler vornehmlich bespricht, nach den Positionen, von denen aus, und den D is­ kursen, in denen dies geschieht, nach den Lösungsalternativen, die er durchspielt.

Scheitern von Ritualen Rituale garantieren den Bestand der Welt. Ihr Scheitern hat deren Zerstörung zur Folge. E s hängt vom Ritualbegriff ab, welche Vorgänge man unter ihn subsumieren w ill:*1 Festbräuche, Rechtsakte, Empfänge, Verteilen von Gaben. Über solch heraus­ gehobene Akte hinaus ist im Mittelalter auch Alltagsverhalten weit stärker als in modernen Gesellschaften ritualisiert. Die Ritualisierung von Interaktionen aller Art gewährleistet Verhaltenssicherheit in einer vorerst noch kaum institutionell gefe­ stigten Welt. Abgrenzungen5 sind oft wenig sinnvoll. '

1 *

Allgemeiner hat Störmer (19 7 }), S. 4 6 2 -50 7 an literarischen Quellen grundlegende Zü ge des .frühen Adels“ herausgearbeitet, dessen Standesethos demjenigen der Figuren des .Nibelungenliedes“ eng verwandt ist. Vgl. Koziol (1992), S. 289-324. Ich halte eine scharfe Trennung von Ritual und Zeremonie für unmöglich. Leyser (der im übrigen mit einem weiten Ritualbegriff arbeitet) nennt als Kriterium: „Zerem onie ist konservativ. Das Ritual

Î4Î

Gestörte und problematisierte Interaktionsregeln

Dabei ist der rituelle Charakter im einzelnen durchaus unterschiedlich stark aus­ gebildet, und manchmal wird man einen Vorgang nur deshalb als Ritual qualifizie­ ren, weil aus anderen Zusammenhängen seine rituelle Ausgestaltung überliefert ist. Vieles, was in historischer Perspektive als Ritual erscheint, war möglicherweise für die Zeitgenossen nur eine Routine.**4* Im literarischen Text sind die einen wie die anderen mit Bedeutung geladen, so daß auch ihre Störungen bedeutungsträchtig sind. A u f den unterschiedlichsten Ebenen treten Abweichungen auf, die verhäng­ nisvolle Folgen haben. Die Erzählwelt erweist sich damit nicht als die selbstver­ ständlich gültige, sondern als problematisch, ihre Sicherungen als brüchig. Ob und wodurch ein Ritual scheitert, ist bei historischen Vorgängen abhängig vom Standpunkt dessen, der es beschreibt und an der erwarteten Leistung mißt, von der erst nachgewiesen werden muß, daß sie tatsächlich beabsichtigt war. So kann ein und derselbe Vorgang je nach Standpunkt als gelungenes oder als ge­ scheitertes Ritual erzählt werden. In literarischen Texten verschwindet dieses Pro­ blem, denn die Frage der Leistung des Rituals und der Anerkennung dieser L ei­ stung wird vom Text selbst beantwortet. Anders als in der Alltagsrealität ist durch die literarische Stilisierung Kontingenz (wie sie das Gelingen jeden Rituals gefähr­ det) ausgeschaltet: was im literarischen Text als ,kontingent' ausgegeben wird und ein Ritual stört, ist selbst Ergebnis literarischer Selektion. Die Störung des Rituals ist nicht weniger bedeutungsvoll als seine Erfüllung. Religiöse Rituale fehlen im ,Nibelungenlied' oder erscheinen überwiegend als bedeutungslos.’ Bedeutungsvoller sind die im engeren Sinne politischen. E s wäre jedoch zu eng, den Ritualbegriff auf diesen Bereich einzuschränken. Gerade im Umfeld der Herrschaft spielen Rituale eine große Rolle, wie dies auch in - vor allem frühmittelalterlichen - Chroniken berichtet wird. Wie dort finden Akte statt, die über ihren jeweiligen Vollzug hinaus die Aufgabe haben, gesellschaftliche Ord­ nung und die sie tragenden Werte symbolisch auszudrücken.6 Ihr A blauf jedoch wird mit dem Fortschreiten der epischen Handlung immer stärker gestört. Rituale sind widersprüchlich. Ausgerechnet under kröne (684,3) wird Kriemhilt von Sivrit die Trophäen seines Siegs in Gunthers Schlafzimmer erhalten; ausgerech­ net beim friedlichen Turnier wird der Rangstreit der Königinnen ausgetragen; der Schlichtungsversuch des K önigs vor dem H o f ist Ausgangspunkt einer Ver­ schwörung, die feierliche suone Auftakt zu einem neuen Verbrechen. Hinter Ritualen

4 ’ 6

dagegen schafft einen Übergang“ und schlägt demgemäß vor: „das Unter-der-Krone-Gehen war Zeremonie, die K rönung selbst Ritual“ (1993, S. 2f.). Hier scheinen mir van Genneps ,rites de passage* im Hintergrund zu stehen, die aber wohl als Spezialfall anzusehen sind. So läßt Leyser auch im folgenden die Unterscheidung beiseite, wenn er das Einander-die-Hand-geben, das Mahl, das Prahlen vor dem Kam pf, Demonstration sozialer Abgrenzung usw. als Rituale bezeichnet; vgl. K oziol (1992), S. 298f. Z u r Unterscheidung Soeffner (1992), S. 107. Anders als in der Kultur des Frühmittelalters sonst (Koziol, 1992, S. 293). Koziol (1992), S. 294.

Scheitern von Ritualen

deutet sich etwas anderes an: hinter Prünhilts Begrüßung ihrer Xantener Verwand­ ten die argwöhnische Beobachtung ihres Rangs; hinter Kriemhilts und Etzels Hochzeitsfest (da diu schane Kriemhilt bi Bt%el under kröne sa%, 1 374,4) die Erinnerung an vergangenes Zeit (137 1); hinter Kriemhilts Gruß für die Brüder und ihr Gefolge eine Kampfansage usf. Im Streit der Königinnen tritt zutage, daß die Bedeutung, die einem Akt gewöhnlich zugeschrieben werden muß (Ritterspiele als Gelegenheit, sich als Bester zu erweisen, und als Selbstbeweis einer ritterlichen Festgesellschaft), und die Bedeutung, die jemand ihm tatsächlich zuschreibt (Statusprobe) auseinan­ derfallen können. Rituale sind unzuverlässig.7* Statt Integration bewirken Rituale Trennung (scheiden):* beim Auftritt der K ö ­ niginnen vor dem Kirchgang (8 34,1 £.); nach der mißlungenen rechtlichen Beile­ gung des Streits (863,1); bei der Begrüßung der Burgonden durch Kriemhilt (1738,3). E s handelt sich um Rituale des Ausschlusses, die künftige Aggression vorwegnehmen. Rituale scheitern als Mittel der Konfliktbewältigung; sie legen al­ lenfalls noch offen, wie die Gegensätze tatsächlich verteilt sind.9 Das N ibelungen­ lied* erzählt das Umschlagen von Ritualen in Anomie. Diese Brüchigkeit ist nicht nur an Staatsakten zu beobachten, sondern auch an den pararituellen Lebensformen der höfischen Gesellschaft. Pararituell10 mögen sie heißen, weil sie einen geringeren Akt der Verbindlichkeit haben als z. B. eine Fest­ krönung, aber Alltagsabläufe einem hohen Grad der Stilisierung unterwerfen und damit beherrschbar machen. Das offene Scheitern ritueller Garantien und das Zerbrechen pararitueller For­ men bedeutet Ausbruch von Gewalt, aber - und hier scheint sich die Bewegung umzukehren - auch Rückkehr zu einer schonungslosen Offenheit, die alle Versuche der Regulierung, ob durch Recht, durch Herrschaft oder die schöne Form, zer­ schlägt. Rituale erweisen sich als Mittel des K am pfes." Statt die Sicherheit der Welt zu gewährleisten, machen sie das Zerbrechen dieser Welt evident. Und wie Rituale insgesamt scheitern, so werden auch die einzelnen Akte, aus denen sie sich zusam­ mensetzen, zunehmend ambivalent. Es fällt auf, daß auf allen Ebenen der Handlung anfangs gefestigt erscheinende Positionen sich verschieben oder auflösen. Die Heterogenität der im folgenden diskutierten Beispiele läßt die durchgehende Tendenz umso eindrucksvoller er­ scheinen.

7 * 9

Voraussetzung ist die durchgängige Am biguität ritueller Akte (vgl. Koziol, 199a, S. 3 0 7 - 3 11). S. 32 0 -323. Koziol schreibt: „rituals cannot create harmony where a basis for it does not exist. They will only reveal, what is already present“ (S. 3 11). 10 Vgl. Müller (1996b), S. 45 f. " Rituale sind nicht „an ideal opposed to a chaotic reality. They were a vehicle for competition as well as for consensus“ (Koziol, 1992, S. 305).

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Gestörte und problem atisierte Interaktionsregeln

milte und Herrschaft M ilte ist Fürstentugend. Mit den Worten: D ie herren wären milte, von arde höh erborn (5,1), werden die burgondischen Könige als ideale Herrscher eingefiihrt. Gaben stellen befriedete Beziehungen zwischen fremden Gruppen her.'2 Exzessive Ver­ schwendung von Geschenken spiegelt den Glanz einer Herrschaft. Geschenkt wird scheinbar absichtslos und ohne Ansehen der Person. Schenken ist öffentlich und meist hierarchisch strukturiert: Wer schenkt, steht über dem Beschenkten. Wo G e­ schenke Freundschaftsbindungen zwischen Gleichen hersteilen oder befestigen sol­ len, müssen sie durch gleichwertige Gegengeschenke beantwortet werden. Umge­ kehrt kann Schenken als Mittel des Wettkampfes aggressiv eingesetzt werden; man sucht sich an Geschenken zu überbieten, bis dem anderen die Gegengabe unmög­ lich wird.'* Von der Möglichkeit zu schenken, hängt die Anerkennung des königlichen Ran­ ges ab. Prägnant drückt es der Bischof Pilgrim aus, als er Kriemhilt rät, da% si ir êren koufte als Helche hete getan (1330,}). Ehre ist etwas, das sich gegen Gaben eintau­ schen läßt,'4 Geschenke an Fremde wie an die eigenen Leute. Doch gibt es keine feste Preisrelation zwischen Gabe und Gegengabe. Man muß schenken, ohne zu rechnen. Freigebige Geschenke sind abgrenzbar von miete oder Ion, die auf einen bestimm­ ten Zweck (z. B. einen bewaffneten Überfall) oder eine bestimmte Leistung (z. B. militärische Unterstützung) zielen und sich deshalb nur an die damit beauftragten Personen richten. Milte dagegen ist ungerichtet, weder auf ein Ziel noch auf be­ stimmte Empfänger eingeschränkt; sie äußert sich gegenüber den eigenen G efolgs­ leuten, um sie fester zu binden, wie gegenüber anderen, um sie geneigt zu machen; sie ist selbstbezogen, steigert Selbstgefühl und Ansehen dessen, der gibt. So geben Sigemunt und Sigelint bei Sivrits Schwertleite unterschiedslos den vremden und den künden (27,4) und erhöhen dadurch ihr Ansehen: Von der hôhge^îte man mähte wunder sagen. Sigmunt unde Siglint die mohten wol bejagen mit guote michel ère; des teilte vH ir hant. (29,1-3) M ilte gehört nun zwar zu den immer wieder herausgestellten Fürstentugenden, doch gerade dank ihrer Selbstverständlichkeit ist sie Indikator von Störungen und Herrschaftskonflikten. Sich-verausgaben um der ère willen ist Ausdruck auch von 1*4

11 Mauss (1975), S. 14 5 -2 7 9 . - Zu m politischen Hintergrund des Schenkens als Substitut militärischen Handelns im Frühmittelalter: Hannig (1986). '* Hannig (1986), S. 1 5 3 f.; 155h : der indianische Potlatsch. 14 Zu m Verhältnis von „Ehrkapital“ und „ökonomischem Kapital“ Schreiner/Schwerthoff (1995), S. tof.

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m ilte und H errschaft

Prünhilts königlichem Status. Ihre Unterwerfung unter Günther wird daran er­ kennbar, daß ihre Möglichkeit zu schenken gefährdet ist. Sie will sich bei ihrem Abschied von Isenstein noch einmal in königlicher Freigebigkeit üben und min silber unt min golt / min unt des küneges gesten verteilen lassen (513,2F.). Dancwart überträgt sie die Aufgabe der Verteilung. Dancwart teilt aus, doch so, daß Prünhilt, das Subjekt der milte, aus den Blick gerät: da% er [ ! ] milte ware, da% tet er [ ! ] graulichen schin (514,4). Dancwart übt milte aus dem Besitz einer anderen, und die Folge der milte, die der man übt, ist die Entmachtung der K ö n igin ,'’ die fürchten muß, ihre Fähigkeit milte zu üben, zu verlieren. Der Exzeß des Schenkens geht Prünhilt zu weit (e% was ir warliche leit, 516,4). E r gît sô riche gäbe, ja wanet des der degen, ich habe gesant nach töde: ich wils noch lenger pflegen. ouch trûwe ich% wol verswenden, da£ mir mîn voter lie.

(518,1-3)

Völlige Verausgabung bedeutet Tod durch Auslöschung der sozialen Existenz. Aber milte, die ökonomisch verfahren muß, ist keine milte mehr: Prünhilts ange­ strengt demonstrierter Status erweist sich schon hier als geschwächt; die milte droht sich zu erschöpfen, nicht, wie sie behauptet, obwohl sie (physisch) noch nicht, sondern gerade weil sie (gesellschaftlich) schon längst tot ist, ein Anhängsel von Gunthers Macht, vor der, was sie hatte, dahinschmilzt. Dancwart bringt heraus, was Ergebnis des Wettkampfes ist, Prünhilts Depotenzierung; er demonstriert nach der körperlichen Niederlage den Verlust der ökonomischen und politischen Res­ sourcen.'6 Prünhilts Sorge wird als komisch aufgefaßt: Gunther unt Hagene dar umb lachen began (521,4), zumal doch ihr Ehemann Gunther weit mehr zu verschenken habe.'7 Das Lachen zeigt die irreversible Umkehr der Machtverhältnisse an - vor ihrer Niederlage hatte Prünhilt gelacht (447,2) wenn sie wenigstens %wein%ec leitschrin mit Preziosen nach Worms mitfuhren will (520,2), dank denen sie sich als reiche Königin zeigen kann, dann ist ihr Besitz zwar groß und erweist sie als Gunther ebenbürtig, doch auf das Maß gebracht, das im politischen System von Worms tolerierbar ist.17*

’ ’ Vgl. S. 9 jf. - Z u den dahinter stehenden Problemen der ökonomischen und sozialen Enteignung der Frau vgl. Frakes (1994), S. 67F.; 7 3—76. ,6 Ich sehe darin also weniger eine Befürchtung für die Zukunft (Frakes, 1994, S. 175). 17 Vgl. Pérennec (19 75), S. 1 0 - 1 2 ; solche Vergleiche von Ressourcen beim Abschied der Braut sind üblich, doch wird die Szene hier für den Konfliktzusammenhang instrumentalisiert. Die Ansicht, daß hier wie später bei Kriemhilt „Sondervermögen der ausländischen Gemahlin nicht sehr erwünscht ist“ (Konecny, 1977, S. 110 ), ist eine unzulässige Extrapolation, die epische Konstellationen zu direkt auf historische Realität abbildet; so sucht auch Frakes (1994), S. 7of. den Schlüssel der Szene zu aus­ schließlich in Erklärungen, wie sie für historische (und nicht fiktionale) Figuren unter den sozialen Bedingungen der Zeit gelten würden.

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Gestörte und problem atisierte Interaktionsregeln

Mit der Erm ordung Sivrits wird Kriemhilts Status als Königin zerstört, sichtbar daran, daß sie nichts mehr zu schenken hat.1’ Mit der Überführung des Hortes nach Worms wird ihre Fähigkeit zu schenken für kurze Zeit wiederhergestellt; sie ver­ wendet ihn vorbildlich: da^ man so größer milte mère nie gesach. si pflac vilguoter tugende, des man der küneginnejach.

(i 127,3F.)

Doch ist diese unvergleichliche milte zweideutig und politisch gefährlich; in Kriem ­ hilts milte demaskiert sich die scheinbare Absichtslosigkeit als Kalkül: Hagen wit­ tert darin das Interesse, den Mißbrauch des Hortes zur miete für künftige Krieger gegen die burgondischen Könige: si bringet e% mit gäbe noch un% itf den tac dd\ vil wolgeriuwen die küenen Burgonden mac.

( 1 130,3F.)

Wo Prünhilts milte in den Augen der Burgonden überflüssig, doch ungefährlich war, vermutet man hier ein bedrohliches Kalkül. Neben der milte des Königs ist für die milte Kriemhilts kein Platz. Der Hort als Mittel der Rekrutierung fremder Krieger und der Hort als Mittel herrscherlicher Selbstdarstellung scheinen nur zwei verschiedene Dinge. Indem Hagen verhindert, daß milte Deckmantel für Rache wird, muß er Kriemhilt an der Ausübung guoter tugende hindern, denen sie ihr Ansehen verdankt. Was sie im Sagengedächtnis auszeichnen müßte (jach), erweist sich als latent destruktiv und wird deshalb durch ein weiteres Verbrechen aus der Welt geschafft. Nach der Annahme der Werbung Etzels ist Kriemhilts Fähigkeit, milte zu üben, wiederhergestellt, doch deren latent destruktiver Charakter rückt gleich wieder in den Vordergrund, indem Kriemhilt auch über Teile des gefährlichen goldes von N ibelunge lant verfügen will (12 7 1,1), und wieder geht der Streit los; Hagen fürchtet, daß Freigebigkeit bloßer Vorwand sei, das golt nur üf den minen has^ verteilt werden solle (1273,2). Man könnte sich fragen, wieso denn noch etwas von dem versenkten Schatz übrig ist. Doch kommt es darauf nicht an; die Wiederholung unterstreicht die Ambivalenz von milte und steigert noch einmal Hagens Verbrechen. Auch hier soll Kriemhilt sich am Besitz des Ehemannes (und des Brautführers) schadlos halten.'9 Doch scheint Kriemhilts legitimer Anspruch schließlich erfüllt zu werden (1277) und doch seine für Hagen gefährlichen Konsequenzen abgebogen (i278f.), weil Rüedeger .nichts vom Hort anrühren will4.10 Was Kriemhilt schließ-*15 18 Nichts mit milte zu tun haben die Geschenke aus Anlaß von Sivrits Tod, denn dabei handelt es sich um Alm osen und geistliche Stiftungen, also um ,Seelgerät* (1059,4; 1060; 10 6 1,2f.). 15 Z u r Deutung Frakes (1994), S. 82f., der freilich den Wortlaut überstrapaziert (Transportschwierig­ keiten bei Mitnahme des Hortes? Verteilung an Kriemhilt vorbei? Rüedeger zufrieden über den Verlust des Hortes?). " Der Widerstand der K önige gegen Hagens zweites Verbrechen (sie wollen% gerne wenden; dö des niht geschach [ . . . ] , 1 274,3) wird durch Gernot korrigiert (M it gewalt des küniges den slü^gel stie% er an die tür. /

m ilte und H errschaft

lieh mitnimmt, ist begrenzt, begrenzter noch als das, was Prünhilt bleibt: syvelf schrin (1280,1). Das Hin und Her zeigt Widersprüchliches: Vermeidung einer Wie­ derholung des Hortraubs und Vermeidung einer Bedrohung Hagens - und also Harmonie - , und zugleich Wiederaufleben eines Konfliktes, der mühsam beigelegt wird - und also Störung.2' Kriemhilts neue Macht als Hiunenkönigin drückt sich in dem aus, was sie weg­ geben kann. Anfangs scheint es noch wenig: Swie ir genomen wäre der Nibelunge golt, alle die si gesâhen, die machte si ir holt noch mit dem kleinem guote, da% si dâ mohte hân.

(i 323,1—3)

Doch dann ist die Beschränkung bald vergessen: Kriemhilt kann geben vollkom ­ mener als Helche (1333,1); sie macht sich bekannt mit gäbe dem der si nie gesach (1366,1) und löst Erstaunen aus: wir wänden da%vrou Kriemhilt niht guotes mähte hân: nu ist hie mit ir gäbe vil manic wunder getän. ( 1 366,3F.) Ihre mille reißt alle mit (1369-1374), es ihr gleichzutun; als Königin an der Seite Etzels übt sie Exzesse des Schenkens. dâ teilte diu küneginne golt unt ouch gewant, silber unt gesteine. swa% si des über Rin mit ir %e Hiunen brühte, da% muose gar ^ergeben sin.

(1384,2-4)

Insgeheim aber schlägt milte in etwas anderes um, ist immer weniger achtloses Wegschenken allein um der Ehre willen und wird immer mehr instrumentalisiert zur miete für die Rache an Hagen. So soll an Kriemhilt die Perversion eines Systems zutagetreten, in dem ungemessen-freiwillige Leistung ebenso ungemessen-freiwil­ lige Gegenleistung herausfordert. Der H o f Etzels, dessen sprichwörtliche milte in der Heldensage - ,Buch von Bern2, ,Rabenschlacht‘, ,Biterolf‘ - Magnet für die besten Helden ist, wird damit zur tödlichen Falle, in der die Burgonden der grö­ ßeren Konzentration von Machtmitteln zum Opfer fallen. Dieser Ambivalenz wird eine andere unbeschädigte Art von milte konfrontiert, diejenige Rüedegers:22*1

g o lt d a ç K riem h ilde reichte m an d a f ü r , 1 277,1F.). Daß er es an die geste (d. h. Rüedegers Gefolge) gibt

(1277,4), läuft Kriemhilts Absichten noch nicht zuwider. Unklar bleibt, ob man Rüedegers A uffor­ derung (N u h eißet behalten, w and' ich sin n iht enw il , 12 7 9 ,1) Folge leistet, so daß das D a v o r in a ller wile (12 8 9 .1) aufgepackte G old aus dem Kriemhilt verbliebenen Besitz stammen müßte; so versteht de Boor die Zeitbestimmung: „in der ganzen Zeit (der Auseinandersetzungen)“ (S. 207; ähnlich Frakes, 1994, S. 83). Kriemhilt spendet unabhängig davon noch einmal Seelgerät im Wert von tûsent m arc (12 8 1.2 ) . 11 Vgl. S. 14 1. “ Gephardt (1994), S. 5 5 -6 1 , die allerdings die Absichtslosigkeit von m itte unterschätzt und z. B. po­ litisches Kalkül hinter Giselhers Verlobung annimmt (S. 56); dem widerspricht m. E . der Ablauf.

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Gestörte und problem atisierte Interaktionsregeln

Riiedegêr der künde vil wênic iht gesparn vor der siner mille, sms iemen gerte nemen, das^ versagete er niemen: e% muose in allen ge^emen.

(1692,2—4)

Seine milte wird als völlig uneigennützig erzählt, indem er den eilenden holt ist (2245,4) und nach [ ...] leide tagen (2258,3) denen von seinem Besitz gibt, von denen er keine Gegengabe zu erwarten hat. Eben dadurch erwirbt er unermeßliche Ehre. Aber was bedeutet es, wenn er den burgondischen Königen schenkt, die als Etzels mächtige Gäste zu ihm kommen? Daß das nicht selbstverständlich ist, zeigt sich daran, daß zunächst die Hierarchie der milte gewahrt ist. Gegenüber den Königen übt er milte erst, nachdem er seine Tochter mit dem jüngsten Burgondenkönig verlobt hat und seine Bedenken über den Abstand im Rang zerstreut worden sind (1676-1678). E s wird betont, wie ungewöhnlich es ist, daß K ön ig Gunther mit êren von Rüedeger ein Geschenk annimmt, swie selten er gäbe enpfienge (1695,2F.). Indem Rüedeger die Könige beschenkt, deutet sich an, daß sie künftig mit ihm auf einer Stufe agieren werden und sich ihr Status zu verändert hat: E s sind schon, dem Anschein zum Trotz, e ile n d e ,die er beschenkt; wie sich herausstellen wird, sind sie auf Gabe angewiesen wie die anderen Exilierten an Etzels Hof; wenn im letzten Gespräch die Könige noch einmal der hêrlîcben (2180,3), der vil riehen gäbe (2184,2) gedenken, wird Hagen rühmen: mrt iuwer geliche deheiner nimmer mir, der eilenden recken [ ! ] so herliehen gebe. (2199,2F) Als Adressaten von Rüedegers milte gehören auch die Burgonden zu den eilenden recken. Nur diese milte ist ,rein‘, ein Wunschphantasma uneigennütziger Hilfe, un­ beeinträchtigt durch herrschaftliche Forderungen und deshalb ohne die Erwartung ungemessener Gegenverpflichtung. In diesem Sinne wird Rüedeger als vröude eilen­ der diete (2258,4) gerühmt. Mit seinem Tod ist für alle Exulanten die Aussicht auf gemach (2258,2), auf ein standesgemäßes Leben an Etzels H 0 P 4 und auf Unterstüt­ zung der Krieger bei Ausübung ihres Berufs (hervart) dahin (2260,2). Der schade seines Todes geht deshalb alle an. Rüedegers Gaben an die Burgonden erweisen sich deshalb als ambivalent. Rüe­ deger gibt seine Tochter Giselher — und begründet damit Verwandtschaft - und Waffen dessen königlichen Brüdern - und antizipiert damit Feindschaft. Gernot erhält ein Schwert (durch das Rüedeger fallen wird), Gunther ein wdfenlich gewant, das er gegen Etzels Leute (1695,3), auch gegen Rüedeger gebrauchen kann, Hagen einen Schild. Was als schöne Geste gemeint ist, die Gleichheit voraussetzt, gerätl Auch Hagens anfängliche Weigerung, ein Geschenk zu nehmen, betont in erster Linie emphatisch, daß nach Überwindung von Widerstand selbst er sich dieser Ordnung fugt. M Vgl. S. 336. l* Z u eng auf den Handlungsnexus bezogen scheint mir die Deutung de Boors, S. 353: „das angenehme Dasein. Spielt wieder (wie 2246,4) auf Rüedegers Vermittlung an“ .

Gestörte m ilte

unter der Hand zu einem makabren Tausch. E r steigert sich, wenn Rüedeger noch einmal, unmittelbar vor Ausbruch des Kampfes, Hagen mit einem zweiten Schild beschenkt, der ihn vor Rüedegers eigenen Schlägen schützen müßte - wenn Hagens Gegengabe, sich aus dem K am pf herauszuhalten, das nicht verhinderte. Wenn Rüedeger sich zu kämpfen entschieden hat, erhält er von den Burgonden zwar zurück, was er ihnen gegeben hat, doch in invertierter Form, indem sie die geschenkten Waffen gegen ihn einsetzen und er durch das Schwert, das er Gernot schenkte, umkommt. Rüedeger tauscht Feindschaft ein, und deshalb ist seine milte die vollendetste, denn sie berechnet am wenigsten, schließt die Selbstaufgabe des Schenkenden ein und verschafft ihm eben dadurch unermeßliche ère. Ihre Vollen­ dung ist identisch mit dem Untergang Rüedegers und der Welt, die von seiner milte abhing. Im politischen System ist milte, indem der M arkgraf ihr vornehmster Repräsen­ tant ist, dezentriert, vom Herrschaftszentrum abgelöst. In der Person Rüedegers ist sie zwar vorweg mit diesem System harmonisiert, denn sie richtet sich nicht offen gegen den König. Allerdings ist auch diese Möglichkeit mitgedacht, wie sich an der Art der Gaben Rüedegers für Etzels potentielle Feinde und selbst noch an seiner letzten und größten, allen Tränen der Rührung abpressenden Gabe, dem Schild für den stärksten Feind, zeigt. Ein direkter Konflikt ist zwar ausgespart, doch muß die Verpflichtung gegenüber dem König immerhin ausdrücklich beiseitegeschoben werden: torst' ich dir in bieten vor Kriemhilde (2196,2). Indem milte sich aufs höchste vollendet, gerät sie latent in Spannung zur Herrschaft, denn sie erweist sich in letzter Konsequenz als a-sozial. Die milte ist in allen Fällen gestört: Rüedegers milte antizipiert die Verwandlung der königlichen geste Etzels in eilende und unterminiert tatsächlich Etzels Herrschaft; Prünhilts Vorsicht zeigt den Verlust ihrer Unabhängigkeit an, und Kriemhilts E x ­ zesse an Freigebigkeit nehmen den skrupellosen Einsatz aller Mittel für das Ziel der Rache vorweg.

Gestörte milte Zwei Szenen der Beschenkung von Boten, Randszenen scheinbar, zeigen, wie milte zweideutig wird. Die Boten, die die Kriegserklärung der Sachsen bringen, erhalten von Gunther reiche Gaben und nehmen sie trotz des bevorstehenden Krieges an: dine torsten niht versprechen die IJudegêres man.

(166,3)

Hinter der Annahme steht also der Druck, den Gunthers Macht ausübt; diese Macht beweist sich im Schenken noch dort, wo Aggression angebracht wäre. Über die bevorstehenden Feindseligkeiten hinweg schafft sie aber auch die Basis eines Einverständnisses, an das man später beim Friedensschluß anknüpfen kann. Das ist 55Î

Gestörte und problem atisierte Interaktionsregeln

bei erklärter Feindschaft ungewöhnlich. Näher liegt es in älteren Gesellschaften, die Boten als Feinde zu behandeln, sie z. B. aufzuhängen (Al 1005-1028). Geschenke werden nicht mehr ausgetauscht, wenn Gewalt droht. In der ,Kudrun‘ will Hilde die Boten Hartmuts beschenken, aber sie nehmen nichts (K 772), denn die Feindse­ ligkeiten stehen unmittelbar bevor.1’ Indem das .Nibelungenlied4 hier abweicht, demonstriert es die Tragfähigkeit von Umgangsformen, die auch den potentiellen Feind vil scone zu behandeln (152,2) verlangen, allerdings nur im ersten Teil. Der W iderruf dieser Ordnung im Untergang an Etzels H o f bereitet sich in einer anderen, einerseits verschiedenen, andererseits parallelen Situation vor, bei Etzels Einladung an die burgondischen Verwandten.*16 Die Boten, die diese Einladung überbringen, zu beschenken, heißt Etzels freundliche Geste aufnehmen. Gunther was den boten holt (1487,1); er läßt ihnen reiches Gold bringen, und die anderen bei H o f bis hin zu M arkgraf Gere und Ortwin tun es ihm nach. Doch die Boten schlagen die Geschenke zunächst aus.17 Dafür werden mehrere Gründe genannt, was darauf hinweist, daß keiner wirklich zutrifft. Als erstes weiß der Erzähler: also riche gäbe si buten die boten an, da£ si se vor ir herren niht getorsten enpfän.

( 1 4 8 8 , jf .)

Mindert die Kostbarkeit der Gabe das Ansehen Etzels, dem sie verpflichtet sind? Oder weigern sie sich, eine Gabe anzunehmen, die nicht steigerungsfähig scheint, vor ir herren, dem solch reiches Geschenk eigendich gemäß wäre? Dann spiegelte milte, der Austausch von Geschenken, einen verdeckten Machtkampf zwischen Gunther und Etzel, der begonnen hat, längst bevor die Burgonden zu Kriemhilts Fest aufbrechen.18 Dann fürchteten die Boten zurecht eine Verpflichtung, die sich gegen ihren Herrn richten könnte. Was auf der Oberfläche erzählt wurde, weist in entgegengesetzte Richtung, auf vriuntschaft zwischen Etzel und den Wormsern. G e­ schenke anzunehmen, dürfte bei den mögen ihres Herrn keine Rolle spielen, denn Verpflichtungen sollten innerhalb von mdgschaft eigentlich nicht konkurrieren. Hin­ ter der Ehrkonkurrenz der milte zeichnet sich eine Machtkonkurrenz ab, die das Messen der militärischen Kräfte antizipiert. M In Rudolfs von Em s exemplarisch höfischem .Willehalm von Orlens“ wird den Boten zwar reiche Gabe angeboten, jedoch: U f ir ere und u f ir leben/ Versprach ir ait die gäbe da (WvO 1076h). 16 Z u dieser Szene auch Gephardt (1994), S. 31h 17 Wailes (1982), S. 268h vermutet, daß darin ein sagengeschichtlich altes M otiv steckt, demzufolge die Boten in den Verrat eingeweiht sind, und daß der Erzähler einen Kompromiß schloß zwischen der alten Sagenkonstellation und seinem durchgängigen Bemühen, Etzel als friedenstiftenden K önig unbeschädigt zu lassen. Der Text sagt davon nichts, außer daß die Boten zweimal Boten Kriemhilts genannt werden (1479 ,1 und 1482,4), was in C korrigiert ist. 11 Das scheint die Auffassung de Boors (S. 238) zu sein: „ vor ir herren, mit Rücksicht auf ihren Herren. Gabe empfangen ist an sich dem Spielmann gemäß. Aber in diesem Augenblick sind sic Vertreter ihres Herren, dessen Ansehen sie durch Annahme von Gaben verringern würden“ ; ähnlich Gephardt (1994), S. 32.

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Gestörte m ilte

Die übrigen Ablehnungsgründe deuten noch unverhohlener auf die Störung. Als zweiten Grund nennen die Boten Transportschwierigkeiten: wir mugen ir doch niht füeren (1489,3); ein dritter ist ein angebliches Verbot Etzels; der vierte, daß sie auf Gaben nicht angewiesen sind: ouch ist es harte lüt^el not (1489,4). Gedanken um den Transport macht man sich allenfalls ironisch. Wenn Kriemhilt Hagen fragt, was er ihr an Etzels H o f mitgebracht habe (und Sivrits Hort meint), entgegnet Hagen, an seinen Waffen habe er genug zu tragen gehabt. Das ist nicht mehr als ein höhnischer Vorwand, die Drohung mit einer Gegendrohung zu beant­ worten. Angesichts von Schätzen sonst, beispielsweise dem Nibelungenhort, die über weite Strecken transportiert werden, ist die Ausrede der Boten eher Zeichen dafür, daß ein geregelter Austausch von Gaben zwischen Etzels und Gunthers Leuten .eigentlich' nicht möglich ist. Warum Etzels - hier erstmals erwähntes - Verbot? Angesichts der freundlichen Einladung an die konemägen und angesichts der vriuntschaft zu ihnen, paßt das nicht. In der Parallelszene beschenkt Sivrit Gunthers Boten (764, 773), die ihn nach Worms einladen denn auch; hier fehlt der versteckte Hinweis auf Arglist (und tatsächlich entwickelt sich das Kom plott auch erst während des Besuchs). Gaben befestigen bestehende Bande; nur von Feinden nimmt man nichts. Verständlich also, daß Gunther auf die Ablehnung vil ungemuot (1490,1) reagiert, widerspricht sie doch der mehrfach beteuerten vriuntschaft. Der letzte Grund ist für die Gattung geradezu provozierend unglaubwürdig. Ein Reichtum, der sie die Gaben eines Königs ablehnen läßt, wäre für Spielleute ganz ungewöhnlich, selbst wenn bei Etzel noch die Spielleute reich sind.19 Sogar der beirische Fährmann, der %e riche ist, um auf Gaben von Fremden angewiesen zu sein, beansprucht innerhalb seines eigenen Herrschaftsverbandes Lohn. Von Spiel­ leuten aber erwartet man, daß sie Gaben nehmen, und epische Konvention ist, daß mächtige Könige Spielleute bis zur Besinnungslosigkeit beschenken. Wärbel und Swemmel machen da in voraufgehenden Situationen keine Ausnahme: Wärbel unde Swemmelin, des küniges spilman, ich wcen' ir ieslieber %er höhgesft gewan wol %e tûsent marken oder dennoch ba da diu scheme Kriemhilt bi Et^el under kröne sa%.

(1374)

Noch auf dem Weg nach Worms - auf dem Hinweg: von Transportschwierigkeiten ist keine Rede! - empfangen sie von Rüedeger ebenso reiche Gabe wie vom Bischof von Passau:

15 Das findet seinen Ausdruck darin, daß sie bei ihrer Ankunft in Worms ihre kostbaren Reisekleider verteilen, wo sonst sie es sind, die Kleider empfangen (de Boor, S. 230; vgl. 1434?.; Gephardt, 1994, S. 31).

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Gestörte und problematisierte Interaktionsregeln Sine Helens' âne gäbe von in niht scheiden dan. niwan sin golt also rôt Gap er den boten %e minne; riten er si lie.

(1425,1)

(1427,4-1428,1)

Die Geschenke nicht anzunehmen, deutet auf Feindschaft. Die räumliche Entfer­ nung, die die Boten als Hindernis vorschützen, steht für die tödliche Konfronta­ tion, in die die versuchte Nähe münden w ird.50 Keiner dieser Gründe ist also akzeptabel. Tatsächlich spielen sie dann ja auch letztlich keine Rolle, indem die Boten schließlich doch nachgeben müssen und Gunther es durchsetzt, sie zu beschenken, ohne daß daraus die Schwierigkeiten erwüchsen, die zuvor vorgeschützt wurden: doch muosen si enpfâhen sin golt und gewant, da% si mit in fuorten sit in Efielen lant. (1490,3f.) Warum also dieser Umweg über die Weigerung, wenn am Ende doch alles in Ord­ nung scheint? Anders als Geschenke sonst erregen Gunthers Geschenke Anstoß; dagegen nehmen die Boten wenige Verse später ganz problemlos die Geschenke Uotes an,3' wie sie das mit denen Rüedegers oder - schon im fremden Herrschafts­ bereich - Pilgrims taten. Mit Gunthers Geschenken ist das anders. Sie fingieren intakte Beziehungen, wo Verrat schon im Gange ist. Offene Feindschaft schließt die Beschenkung der feindlichen Boten vor dem Sachsenkrieg nicht aus. Gunthers Gabe an die Boten der Sachsen war nicht trü­ gerisch; denn indem er sie trotz der Kriegserklärung gab, suchte er noch die A n ­ erkennung seiner Feinde und brachte damit zum Ausdruck, daß jenseits der be­ waffneten Auseinandersetzung geordnete Beziehungen möglich sein werden. E r suspendiert in der Beschenkung der Feinde das manifeste Interesse. Die Boten des vriunt Etzel zu beschenken, scheint weit weniger auffällig, da man einander ja vriuntschaft beteuert; indem die Annahme aber zunächst verweigert wird, wird die Basis friedlichen Umgangs in Frage gestellt. Die Ordnung des Schenkens ist Spiegel der Ordnung von Gesellschaft, ihre Störung zeigt an, was sich unter der Oberfläche vorbereitet. Ein Höchstwert herrscherlicher Selbstdarstellung erweist sich als E le­ ment in einem verdeckten Machtkampf.*

,0 Dem entpricht auch Hagens Mißtrauen, wenn er die Boten festzuhalten rät und ihnen nur sieben Tage Vorsprung vor den Burgonden gönnt (1480). ** Nach Gephardt (1994), S. 32 spielt „sicher der Minnegestus eine Rolle [...], der es auch einem hochstehenden Mann ermöglicht, von einer ,frouwe‘ Geschenke anzunehmen“ . A uch im .BiterolP sind die Gaben der Damen im Gegensatz zu denen des Königs ungefährlich.

Gratishandeln, miete, lôn

Gratishandeln, miete, lôn Wie milte sind erst recht andere Formen des Austauschs von Gaben von Mißbrauch und Mißverständnis bedroht. Schenken ist symmetrisch und asymmetrisch zu­ gleich, denn der eine schenkt, der andere nimmt bloß, aber der Schenkende hofft für das Geschenk etwas anderes einzutauschen, ère. Dieser Tausch ist im Rahmen von milte verdeckt, denn der milte Fürst enthält kein materielles Gegengeschenk, nur Anerkennung, und es besteht keine meßbare Relation, nicht einmal ein ein­ klagbares Folgeverhältnis von Gabe und Ehre; die Verkettung von „Recht und Interesse“ im Gabentausch scheint deshalb aufgehoben. Doch wird, Geschenke anzunehmen, dort vermieden, wo man die unausgesprochene Bindung vermeiden w ill.51 Wo absichtslos verschwenderische milte als Pflicht und Auszeichnung des Herrn gilt, erscheinen alle anderen Formen von Gabe und Gegengabe an dieser Norm gemessen unvollkommen. Sie sind interessegeleitet und immer der Gefahr der Miß­ deutung ausgesetzt. Die in Gesten absichtsloser Großzügigkeit eingeschlossenen interessierten Erwartungen dürfen sich nicht vordrängen. E s geht um demonstra­ tive Selbstpreisgabe, ablesbar an Rüedegers Waffengeschenken an seine späteren Feinde. Der Friede, den Gunther mit den Sachsen schließt, überbietet bei weitem die Spielregeln klugen politischen Handelns beim Friedensschluß mit dem unter­ legenen Gegner, auch wenn zu diesen Regeln gehörte, „bei der Festsetzung der Genugtuung nicht zu überziehen, vielmehr großzügig zu sein“ .55 Hier wird gleich überhaupt nichts von den Besiegten gefordert, in der ungesicherten Erwartung, daß vientlfche^ riten her in luwer lant (315,3) künftig unterbleibt. Man könnte sich darin täuschen, und deshalb liegt - trotz der bewiesenen Großzügigkeit - später ein neuerlicher A n g riff der Sachsen durchaus im Rahmen des Möglichen, ist die Vor­ täuschung eines solchen Angriffs, die Sivrit in die Falle lockt, also durchaus wahr­ scheinlich. Was wie weitsichtige politische Taktik klingt, ist also zuvörderst D e­ monstration von Gunthers Macht, indem er auf die angebotene riesige Ent­ schädigung (swa^fünf hundert mcere goldes mähten tragen, 314,2) verzichten kann, und sie setzt die bisherigen großzügigen Gaben an die Feinde fort. Daß Gunther sich erlauben kann, den Sieg großzügig zu verschenken, warnt vor jeder Wiederholung des Angriffs, und trotzdem ist die demonstrative Absichtslosigkeit gewahrt. Adeliges Handeln muß, insoweit es adeliges Handeln ist, als Gratishandeln er­ scheinen. Das gilt gerade dort, wo es dienest gegenüber einem anderen Herrn ist. Solcher Dienst beruht auf der Ungemessenheit von Leistung und Gegenleistung: Im ,Biterolf‘ z. B. dient Biterolf Etzel, so als kämpfe er für die eigene Sache (sam er1 11 Hannig (1986), S. 15 1 f.; 1 j6f. ” A lth o ff (1994), S. 154.

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Gestörte und problem atisierte Interaktionsregeln

ervehten wolt diu lant, Bit 134 1), doch ohne je durch Annahme von gäbe sich in Abhängigkeit zu begeben (Bit 1369). So ahnen alle seinen wahren königlichen Rang, obwohl er seinen Status nicht offen beansprucht: seht disen, der mähte künic sw (Bit 1355); königlich ist er, swies^ umbe sw gesiebte stät (Bit 1358). Ähnlich ungemessen sind anfangs die gegenseitigen Dienste von Gunther und Sivrit.54 Gunther stellt am Ende der dritten Aventiure Sivrit ,auf Kredit* alles, was er besitzt, zu seiner Verfügung. Daran knüpft sich vorerst keine bestimmte Erw ar­ tung. Doch zahlt sich der Kredit aus, wenn Sivrit ebenso ohne Anspruch auf Gegenleistung seine Hilfe im Sachsenkrieg anbietet. Auch Sivrit handelt gratis, und er erhält für seine Hilfe denn auch zunächst nichts, dann aber etwas Unerwartetes, auf das er nicht rechnen kann und was ihn auszeichnet, ohne ihn als abhängig vom K önig auszuweisen: die symbolische Gabe des gruoi1 der Dame vor dem ganzen Hof. Das System, in dem man leistet, ohne zu rechnen, und nur die rechnen, die es sich nicht leisten können, wird nicht verlassen. Im Frauentausch zwischen Gunther und Sivrit scheint ein diskriminierendes Mißverständnis ausgeschlossen, denn er wird als eidlich abgesichertes (334) Ver­ tragsverhältnis erzählt: Sivrit erbringt eine Vorleistung und kann danach Gunthers Gegenleistung einfordern (608-612). Der Frauentausch scheint als ,do ut des* zu funktionieren: Gunther und seine Brüder verfügen über Kriemhilt (auch das heißt: hetens in ir pflegen, 4,4), die Sivrit begehrt; Sivrit verfügt über das Wissen und die Kräfte, mit deren Hilfe man Prünhilt gewinnt, die Gunther zur Frau haben möchte. Das legt ein klares Tauschgeschäft nahe: gistu mir dîne swester (333,2). Indem solch ein Tausch Gleichheit unterstellt, wird eine Deutung des Geschäftes als Dienst­ Lohn-Beziehung abgewehrt; wenn er Kriemhilt erhalte, sagt Sivrit, so ger ich deheines lönes nach mtnen arbeiten m ir (333,4). Mit Ion''' ist aber wieder das problematische Stichwort gefallen, das ein Abhängigkeitsverhältnis implizieren könnte. Wo Sivrit nur den Preis für seine Gabe festsetzt, könnte auch die Bezahlung für eine Leistung gemeint sein. Die Kontrahenten verstehen und befolgen die Abmachung genau, Prünhilt aber wird sich an die andere mögliche Interpretation —als Dienst-Lohn­ Beziehung - halten, wie es Sivrits Worte in Isenstein nahelegen. Damit gerät das ganze Tauschgefüge ins Rutschen, und zwar von beiden Seiten: Prünhilt unterstellt Sivrits Abhängigkeit vom Ion seines Herrn, und Kriemhilt überzieht Sivrits Unab­ hängigkeit von vertraglichen Abmachungen, indem sie den (falschen) Eindruck erweckt, daß er nicht nur die vertraglich ausbedungene Frau von Gunther erhielt, sondern sich auch noch die Frau, die er Gunther verschaffte, seine Gabe also, vorher aneignete. Gunther wäre beim Tauschgeschäft der zweifach unterlegene.

,4 Vgl. Müller (1974); wie ein solches Verhältnis freiwilliger Dienste problemlos funktioniert, zeigt auch Eilharts .Tristrant* am Beispiel von Tristrants Vater. ” C J39 hat stattdessen miete; so auch a (Batts, S. io if.).

3J8

Gratishandeln, miete, lôn

Freie Vereinbarung mit ausbedungener Gegenleistung und zu belohnender Dienst sind nicht mit letzter Schärfe zu trennen. Nur unter den Ausnahmebedin­ gungen der mime ist eine »&r/-/o»-Beziehung am Platz, in der es eine materielle Belohnung gibt:’6 Daß selbst dann botenmiete (557,4) diskriminieren könnte, veran­ laßt Sivrit, sie gleich weiterzugeben. Auch der verge an der Donau lehnt das Gold für die Überfahrt, das Hagen ihm anbietet, als Ion ab (15 5 1,1F ). Vom Verwandten würde er es dagegen nehmen, denn da ist Gleichheit nicht in Frage gestellt. Dagegen setzen die Termini lôn, soit, miete Abhängigkeit von einer zu vergüten­ den Gegenleistung voraus.’7 Der Hiune Blcedelin läßt sich durch miete verleiten, den burgondischen Troß zu überfallen. Mit silber unde golt (1906,2), lant %uo den bürgen (1907,1), einer marke (1907,3) und einer Frau (1906,3) wird er geradezu bestochen. Der Tod beim Versuch, das alles zu verdienen, wird höhnisch als brüt­ miete kommentiert (1928,2). Allein für Belohnung etwas tun, gilt als minderwertig. Die Burgonden spotten, daß Etzels Leute des fürsten brot nicht wert sind, das sie verzehren (2027,1). Un­ mengen von Gold setzt Kriemhilt ein, um ihr Ziel zu erreichen: Da% mold’ ich immer dienen, swer rache miniu leit. a/le% des er gerte, des war’ ich im bereit. (1765,1F.) [...] der mir von Tronege Hagenen slüege unde mir sin houbet herfür mich trüege, dem fuit' ich rotes goldes den Efielen rant, dar %uo gäbe ich im %e miete vil guote bürge unde lant.

(2025)

Das hat nichts mehr mit milte zu tun; was sonst als vorbildlich gilt, ist auf Kriemhilts Seite Arglist. Deshalb warnt auch der todwunde Irinc vor solch gefährlicher gäbe die thüringischen und dänischen Gefolgsleute (2068,2): die gäbe soP8 enpfdhen iwer deheines hant von der küneginne, ir liebte^ golt vil rôt. unt bestêt ir Hagenen, ir müe^et kiesen den tôt.

(2068,2—4)

Je weiter die Vernichtung fortschreitet, desto größer werden Kriemhilts Angebote [von geheime und ouch von gäbe) an soit (2130,1; 4), desto negativer ihre Einschätzung und desto unzweifelhafter die Erfahrung, daß man so den burgondischen Helden nicht beikommt. Materielle Abhängigkeit stigmatisiert die Hiunen. Rüedeger ist auch darin das vollkommenste Gegenbild zu ihnen: Um aus seinen Verpflichtungen als Vasall herauszukommen, ist er bereit, alles, was er von Etzel an Besitz bekom­ men hat, aufzugeben.*57

,6 Z u den besonderen Voraussetzungen: S. 4 12 6 57 Daß auch die Heroen von den Königen belohnt werden, ist sicher richtig (Frakes, 1994, S. 91), doch wird das eben weit seltener gesagt und nicht als miete ausgegeben. ’* Futurisch aufzufassen.

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Gestörte und problem atisierte Interaktionsregeln

Tauschbeziehungen sind auf doppelte Weise gestört: Sie unterlaufen das in milte implizierte Beziehungsmodell von ungemessener Gabe und ebenso ungemessener Gegengabe, indem sie ihm herrschaftliche Strukturen unterlegen, und sie geraten, wo sie das Verhältnis zwischen Gleichen regeln, in Schieflage, weil sie von Betrug und Betrugsverdacht kontaminiert sind.

Ehre Mit milte ,kauft' man ère (687,2). È re ist einmal konkret Inbegriff von angeborenem Status und verfügbaren Machtmitteln39 und bezeichnet dann den entsprechenden ,,verhaltensleitende|n] Code“ , ein „höchst wirkmächtiges kommunikatives Regelsy­ stem“ .40 Als Regulativ sozialen Handelns ist ère allenthalben präsent. Ohne die allgemein akzeptierte Hierarchie zu verletzen - mit êreri - kann der K ön ig Sivrit beim Empfang in Worms entgegengehen (10 3,1); so wie es der Codex legitimer Herrschaft verlangt - mit êren - , herrscht die burgondische Dynastie über das Land (112,2); ein höfisches Fest, das den allgemeinen Normen entspricht - mit vollen êren—, ist eines, das durch den Auftritt der Frauen ausgezeichnet wird (273,2); Rüedegers Schwur gegenüber Kriemhilt bindet sich an diese Norm: des si ère haben solde (1258,4), und Dietrich verspricht noch seinen Gegnern: ich leit’ iuch nach den êren

(2340 ,3). Was wie eine allgemein verbindliche Norm aussieht, ist allerdings alles andere als klar definiert, überdies Ergebnis von Auseinandersetzungen. Als konsensgestütztes Regulativ soll ère die antagonistischen Kräfte kontrollieren, die gleichfalls auf ère, doch im Sinne einer Präpotenz des einzelnen gerichtet sind. Was als ère akzeptiert wird, muß im Ehrkonflikt allererst durchgefochten werden. In ère stoßen deshalb anarchische und ordnungstiftende Tendenzen zusammen. Wenn das .Nibelungen­ lied' schließt: D iu vil michel ère was da gelegen tôt (2378,1), dann zeigt sich, daß die anarchische Tendenz die Oberhand behalten hat. Als Ordnungsinstanz ist ère gruppengebunden. Wenn Gernot Sivrits Herausfor­ derung des Wormser Königs zum Zweikam pf abwehrt: wir hetens liit^el ère und ir vil kleinen frum (124,3), dann vergleicht er zwei kategorial verschiedene mögliche E r ­ gebnisse des Kampfes; unter beiden Aspekten lohne sich der K am pf nicht. Am Maßstab der ère mißt er die eigene Seite, an dem des Nutzens oder Vorteils dieje­ nige Sivrits - obwohl dieser seinen Vorschlag auch mit der ère begründet: ich w il da-.% gerne füegen da% si von mir sagen [ ...] (109,2). Verbal wird Sivrit damit aus der burgondischen Ordnung der ère ausgeschlossen, deren Werte für die burgondische Entscheidung maßgeblich sind; sein Ziel wird auf den bloßen Vorteil reduziert. In ” Vgl. S. 228 zu Kriemhilts Vorstellung von ihren êren. 40 Schreiner/Schwerthoff (1995), S. 9.

E h re

jene Ordnung einbezogen wird er erst später, wenn ihm als Gast alles zu seiner Verfügung gestellt wird, mit der Maßgabe: geruochet irs nach êren (127,2). Das aber bedeutet, daß er sich den Bedingungen der Ordnung, auf die sich die Burgonden beriefen, fügt. Die in Gernots Worten erstmals aufscheinende Konkurrenz von ère und persön­ lichem Interesse wird so stillgestellt, aber nicht aufgelöst. Was allgemein als ère gilt und was der einzelne als seine ère ansieht, stimmt nicht notwendig zusammen. Im Königinnenstreit bricht der Konflikt auf. E s ist Kriemhilt, die sich auf Sivrits ère beruft {an vil manigen dingen so ist sin ère grô%, 819,3); ère ist ein Produkt aus „Selbstund Fremdwahrnehmung“ ;41 wenn deshalb Prünhilt Sivrits Status bestreitet, ist seine ère defekt und muß verteidigt werden. Da die Fremdeinschätzungen diver­ gieren, muß erprobt werden, welche Einschätzung sich als die stärkere erweist. Prünhilt verlangt von Kriemhilt zu überprüfen, ob man den dinen lip/habe %e solhen êren sô man den minen tuot (826,2f.), eine Herausforderung, die Kriemhilt annimmt. È re ist antagonistisch. Wo es Prünhilt um die Reichweite jener Hierarchie der êren geht, an deren Spitze sie selbst steht, geht es Kriemhilt um ihre ganz persönliche ère-.*1 ich w il selbe wesen tiwerr (829,2). Damit stellt sie aber die burgondische Balance der ère in Frage. Der erzwungene Vortritt ist eine Attacke auf die Ehre der Königin: Von allen minen êren mich diu swester din/gerne wolde scheiden (853,1), und damit auf den ganzen Hof. Kriemhilts und Sivrits ère behauptet sich ja nicht neben derjenigen des burgondischen Herrschaftsverbandes (nämlich in ihrem eigenen Land), sondern setzt sich, allen sichtbar an ihre Stelle. Gunther hält noch an dem früheren Zustand fest, wenn er gegen den Mord an Sivrit votiert: er’n hat uns niht getan/niwan guot und ère (868,if.). Hagen dagegen fragt: Suln wir gouche ziehen? (867,1) - jemanden, der sich bei uns breitmacht - und gibt sich die Antwort selbst: des habent lüt^el ère sô guote degene (867,2). E r benutzt also dieselben Worte, mit denen Gernot vorher Sivrits Herausforderung zum Zweikam pf zurückgewiesen hatte. Sivrits ère ist nicht mehr in das burgondische System der ère integriert, und so kann Hagen seine Erm or­ dung wie die eines Fremden betreiben. Aus einem Regulativ gemeinschaftlicher Ordnung ist das Motiv der Spaltung geworden. Gewaltlose Anerkennung einer alle verpflichtenden Ordnung der ère gibt es von da an nicht mehr, auch wenn noch weiter an sie appelliert wird; ère bedeutet vor allem Selbstbehauptung im bewaffneten Konflikt: sô w il ich iu da% raten, ir hüetet deste bas^/des libes unt der êren (1774,2f.), sagt Hagen, wenn die Burgonden sich zum Kirchgang rüsten; wer des anderen Ehre attackiert, wird liquidiert. Jemandem, der feindlich ist, ère bieten (1780,3), wird abgelehnt {%wiu sold’ ich den êren, der mir ist g e h a 1782,2). Kriemhilt kümmert sich nicht darum, daß ihr Racheplan auf ère im 41 Schreiner/Schwerthoff (1995), S. 5: Prünhilt beruft sich auf Sivrits Worte vor dem H o f von Isenstein. 4‘ Vgl. ob ich vor küneges wibe %em münster tiirre gegän (817,4); oder negativ formuliert: âne schände (851,2).

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Gestörte und problematisierte Interaktionsregeln

Verhältnis zu ihren mögen keine Rücksicht nimmt (1902,1). Jeder versteift sich im­ mer unerbittlicher gegen den anderen - ich hân ûf ère lâyen nu lange mine dine (2028,2), ruft Irinc, wenn er sich in den aussichtslosen K am pf stürzt. Dessen Ziel ist, das^ er ivarp nâch êren (2036,3), und so geht das weiter bis hin zu Hagens und Gunthers Verweigerung einer gewaltlosen Lösung, da sie ihrem künftigen Renommee als Heroen widerspreche (von uns envjmt da% mare niht mol %e sagene, 2341,2). Selbst Dietrichs Verzicht darauf, Hagen zu töten, ist vor allem selbstbezogen (ich bans lüt^el ère, 2351,2). Zum Schluß ist das Resultat dieses Insistierens auf der eigenen ère, daß die ère als Inbegriff höfisch-feudaler Ordnung dahin ist (2378,1).

Eid Der Eid ist im frühmittelalterlichen Gerichtsverfahren das wichtigste Beweismit­ tel.45 Andere Formen der Erm ittlung von Wahrheit, wie sie sich seit dem 1 1 . Jah r­ hundert auch in der Laiengesellschaft, verstärkt dann unter Einfluß des kanoni­ schen Rechts, durchsetzen, gibt es im ,Nibelungenlied' nicht. Wohl aber wird er­ zählt, daß diese Form der Rechtsfindung Recht nicht garantieren kann. Nur an­ fangs sichert der Eid Zuverlässigkeit des Handelns. Eidlich hatte sich Sivrit zur Werbungshilfe gegenüber Gunther, Gunther zur Herausgabe von Kriemhilt ver­ pflichtet ( 3 3 5 , 1 ) , dann hatte Sivrit nach erfolgreichem Abschluß die Einlösung des Eides eingeklagt (608,3), und Gunther war seiner Verpflichtung nachgekommen (612,2). Der Eid garantiert das Verhältnis zwischen zwei Kontrahenten, aber keine all­ gemeine Rechtsordnung; er gilt nur punktuell. Die Eide Gunthers und Sivrits schlossen einen Betrug ein, und dadurch sind sie verhängnisvoll. Sie verletzen die Rechte Prünhilts. Was Zuverlässigkeit gewährleisten soll, untergräbt tatsächlich die eingespielte Ordnung. Und diese zweideutige Rolle spielen Eide durchweg. Sivrits Reinigungseid legt nicht den Streit der Königinnen bei, sondern heizt seine Folgen erst an. Derjenige, der die Eidesformel festlegt, bestimmt, was überhaupt am Kriterium der Wahrheit gemessen wird. Sivrit hat zwar widerlegt, daß er der Urheber von Kriemhilts be­ leidigender Rede war, nicht aber die Beleidigung selbst getilgt noch die Evidenz der Zeichen erschüttert. Was im Eid als .Wahrheit' zur Debatte steht, ist gar nicht entscheidend. Die Herrschaft über Wahrheit mittels der Eidesformel erweist sich als brüchig.**44 Indem er eine Funktion der Macht ist, ist seine rechtliche Bedeutung unterhöhlt. 45 Vgl. H R G I, Sp. 8 6 1-8 7 0 (A. Erler, Kornblum , G . Dilcher); der Reinigungseid ist ein archaisches Rechtsinstitut, das seit dem frühen Mittelalter gegenüber dem Klägereid und dem Zeugenbeweis zurückgedrängt wird (Sp. 865). 44 Das ist Them a der vielen manipulierten Eidesformeln in mittelalterlicher Epik.

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E id

Auch für die suone zwischen Gunther und Kriemhilt schlägt Gunther eine Formel vor, die am Sachverhalt vorbeigeht: iu w il der künic rihten dat^ er sin niht hat erslagen (1110 ,3 ), was Kriemhilt zurückweist: des seihet in niemen ( 1111,4 ) . So kann die suone ohne diese Versicherung Zustandekommen, doch tritt eine andere Manipulations­ möglichkeit beim Eid zutage. Gunther faßt seinen Inhalt so zusammen: ich swuor ir einen eit/da% ich ir ge täte nimmer mère leit ( 1 1 3 1 ,1 f.). Daran hält er fest: und w il es fürbaß hüeten: si ist diu swester min ( 113 1,3 ). Wieder eröffnet die Geltung des Eides einen Ausweg. Da der Eid zwischen einzelnen Personen geleistet wird, ist er nur so viel wert, wie die Garantie dieser Personen: ir sumelîcher eide wären umbehuot (113 2 ,1) heißt nichts anderes, als daß die, die den Eid geleistet haben, ihre Garantie ausset­ zen, der Eid nicht ,gehütet4 wird, und dann hat ein anderer, vom Eid ausgeschlos­ sener wie Hagen freie Hand: lat mich den schuldigen sin (113 1,4 ). Der Satz sagt nicht mehr, als daß der, dessen Hände nicht durch einen Eid gebunden sind, ungehindert handeln kann und wird. Der Eid schafft damit die sichere Grundlage für ein neues Verbrechen. Weil Eide punktuell und eng personenbezogen gedacht werden, steht dem Ver­ söhnungseid ein weiterer Eid, in dem Hagen und die Könige die Konsequenzen aus dem Verbrechen des Hortraubs vereinbaren, unmittelbar nicht im Wege, betrifft er doch einen ganz anderen Sachverhalt: Ê da% von Tronege Hagene den schav^ also verbarc, dö beten si£ gevestent mit eiden also stare, da% er verholn wäre un^ ir einer mähte leben. sit enkunden sis in selben noch ander niemen gegeben.

(1140)

Der Eid besagt nur, daß von den Folgen von Hagens Tat niemand Vorteil haben soll; er klammert die Bewertung dieser Tat ebenso aus (die abgetrennt in einem Gerichtsverfahren erfolgt) wie Kriemhilts Anspruch. Der frühere wird zu dem späteren Eid gar nicht ausdrücklich ins Verhältnis gesetzt. Rechtliche Verpflichtun­ gen treten einfach nebeneinander. Das Gerichtsverfahren gegen Hagen beruht nicht auf übergeordnetem Recht, das durch die eidlich bekräftigten Abmachungen unter­ laufen und damit gebrochen würde, sondern Urteil und Eide sind - wie häufig im Mittelalter4’ - gleichwertige Instrumente der Rechtsordnung und gleichberechtigt an der Konfliktlösung (Beseitigung einer Gefahr, ohne die Rechtsordnung blanker Gewalt zu opfern) beteiligt. Das »Nibelungenlied4 spielt freilich durch, wie brüchig diese Ordnung wegen der Ad-hoc-Geltung rechtlicher Garantien und der implizi­ ten Widersprüchlichkiet von Rechtsakten ist.4 1

41 A lth o ff (1990b /1997), S. 180. A m Beispiel der karolingischen Kapitularien zeigt er, wie wenig selbst Gesetze sich als Elemente einer einheitlichen, alle sonstigen Rechtsverhältnisse übergreifenden Rechtsordnung verstehen lassen und wie fremd dem Mittelalter die Vorstellung von einer solchen Ordnung ist (1997, S. 2 8 3 0 .

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Gestörte und problem atisierte Interaktionsregeln

So kann sich ein Eid gegen anderweitige legitime Ansprüche richten. Hagen beruft sich auf ihn, wenn er sich weigert, Kriemhilt den Hort zu zeigen: jâ hän ich des gesworn, da% ich den hört iht steige die mile da% si leben, deheiner miner herren, sô soi ich in niemene geben.

(2368,2-4)

Eine Überlegung, ob diese Worte dem übergeordneten4 Ziel zuliebe nicht besser unterblieben wären,46 geht an der Punktualität des Eides vorbei: Hagen muß halten, was er versprochen hat, nicht mehr, nicht weniger. Damit aber wird klar: Eide können die Ordnung untergraben, die sie sichern sollen. Außerdem, Eide sind mehrdeutig, ihre Geltung umstritten, ihr Inhalt manipu­ lierbar. Rüedegers Eid ist nicht klar, und wie er eingehalten werden muß, ist kon­ trovers; er gilt gegenüber einer Person auf Kosten aller anderen: Ich man’ iuch der genaden und ir mir habt gesworn, do ir mir %uo Et%ele rietet, ritter erkorn, da% ir mir woldet dienen an unser eines tôt. des wart mir armem wibe nie so grauliche not (2149). Rüedeger bestätigt den Eid, doch meldet er einen - viel diskutierten - Vorbehalt an: Da% ist âne lougen, ich swuor iu, edel wip, da% ich durch iuch wägte ère und ouch den lip: da% ich die sêle vliese, des enhän ich niht gesworn.

(2150,1—3)

Damit kommt eine die Punktualität des Eides aufhebende Betrachtensweise ins Spiel, die freilich folgenlos bleibt.47 Die Eidesformel war von Anfang an unklar, und sie wird in verschiedener Form wiedergegeben. Kriemhilt versteht sie umfassend: Si sprach: „gedenke, Rüedeger, der großen triuwe din, der state und ouch der eide, da% du den schaden min immer woldest rechen, und elliu miniu leit." (2151,1—3) Während man um 1200 beginnt, der genauen Formulierung eidlicher Verpflichtung hohe Aufmerksamkeit zu schenken und sie dadurch gegen unerwünschte Selbst­ verpflichtungen abzusichern,48 ist der Eid, den Rüedeger leistet, weniger sorglos 46 Die Versuche des *C-Redaktors, Hagen in dieser Affaire anzuschwärzen, setzen eine gewandelte Auffassung von Eid und Recht voraus. 47 Die Berufung auf die sêle war ein Schlüssel zur christlichen Deutung der Rüedeger-Figur (vgl. Splett, 1968, S. 59; auch zum folgenden). Auffällig ist allerdings, daß die Einschränkung im folgenden Disput keine Rolle spielt (wie der Eid insgesamt zurücktritt), während die unterschiedlichen recht­ lich-sozialen Verpflichtungen in den Vordergrund treten. 4* So Gerd A lth o ff mündlich am 10 .10 .1997 beim Berliner Kolloquium .Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von H o f und Kloster*. Sein dort vorgetragener Beitrag, der in den K o n ­ greßakten veröffentlicht werden wird, berührt das Phänomen.

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E id

wie die ungemessenen und daher verhängnisvollen Versprechen des K önig Artus (die ihn z. B. seine Frau kosten können) - , als vielmehr offen fur verschiedene Formulierungsvarianten, die unterschiedliche Interpretationen nahelegen.49 Der Eid wird zunächst in Erzählerrede paraphrasiert, als indirekte Zusage Rüedegers, Kriemhilt zu ergeben, wenn man ihr etwas antut. Dieses Versprechen bezieht sich ausdrücklich auch auf die Vergangenheit (swa% ir ie geschach, 1255,3). Auch Rüedegers eigene Formulierung (er müeses sêr’ engelten, unt het iu iemen iht getan, 1256,4) weist in diese Richtung. Kriemhilts Fassung des Eides (so swert mir eide) betrifft dagegen eher die Zukunft (swa% mir iemen getuot, /da% ir sit der nahste, der büe%e miniu leit, 1257,2b). E s gibt also mindestens zwei Fassungen. Dabei sind die Positionen - wie häufig im .Nibelungenlied* - vertauscht: Rüedegers Worte ent­ sprechen Kriemhilts wahren Absichten, Kriemhilts Eidesformel aber sagt aus, was Rücdeger künftig zu leisten gedenkt. Die Zuordnung von Rede und Person ist genau verkehrt, und diese Verkehrung unterstreicht die Mehrdeutigkeit des Eides. Der Konsens der Protagonisten hat schwankende Grundlagen. Der Wortlaut des Schwurs, den Rüedeger dann öffentlich mit seinen Leuten wiederholt, weicht von beiden Fassungen noch einmal ab und erweckt deshalb bei den Burgonden keinerlei Argwohn. Rüedeger gibt ein allgemeines Dienstverspre­ chen für sich und seine Gefolgsleute gegenüber der künftigen Herrin: Mit allen sinen mannen swuor ir dö Rüedeger mit triuwen immer dienen, unt da% die recken her ir nimmer niht versageten ü\ Etçe/en lant, des si ère haben solde, des sichert’ ir Rüedegêres hant.

(1258)

A u f engstem Raum konkurrieren drei inhaltlich recht verschiedene Verpflichtun­ gen. Die letzte ist der Form nach als kollektive und öffentliche die verbindlichste, doch inhaltlich die unverbindlichste. In der Wendung mit triuwen steckt nämlich der gewöhnliche Vorbehalt jeden legitimen Dienstes, ebenso wie in der Rücksicht auf die ère Kriemhilts. Was Kriemhilt dagegen aus diesem Gelöbnis folgert, ist nach dem Urteil, das ,man* über sie fällt, nicht ohne weiteres darin enthalten: wa% ob noch wirt errochen des mînen lieben mannes lip (1259,4). Kurz, Rüedegers E id ist .nicht in Ordnung*. In seiner öffentlich beschworenen Form scheint er harmlos, in seiner heimlichen Form hat er zwei Versionen, da er zwischen Zusicherung in Bezug auf die Vergangenheit und Versprechen für die Zukunft oszilliert. E r öffnet einen In­ terpretationsspielraum, der die Burgonden die Hintergründe verkennen, Kriemhilt hoffen und Rüedeger guten Glaubens handeln läßt. Der Eid, Mittel der Rechtssicherung durch persönliche Verpflichtung, wird als ein manipulierbares Mittel des Verrats eingesetzt. Aber ist ein genauer Vergleich des Wortlautes nicht zu sehr von einer entwickelten Schriftkultur her gedacht, in der 49 M ir scheinen die Differenzen in der Formulierung des Eides auffälliger als die Übereinstimmungen (anders Schmidt-Wiegand, 1982a, S. 378).

365

Gestörte und problem atisierte Interaktionsregeln

Wortwörtlichkeit überprüfbar ist?’0 Gewiß sagt der Text vor allem: Rüedeger ver­ pflichtet sich Kriemhilt eidlich, und damit gerät er in Konflikt mit anderen Ver­ pflichtungen. In einer oralen Gesellschaft muß das gegebene Wort verbindlich gel­ ten. Treue zum gegebenen Wort ist eine vornehmliche Regel mittelalterlicher Für­ stenspiegel und Grundlage zahlloser epischer Konflikte, wenn ein voreiliges Ver­ sprechen seinen Urheber in scheinbar ausweglose Schwierigkeiten stürzt. Manipu­ lation der Eindeutigkeit untergräbt einmal mehr die Sicherheit der Welt. Und da­ von wird aus der Perspektive des Buchepos erzählt. Als Garant der Zuverlässigkeit der Welt gerät der Eid ins Zwielicht sowohl in Bezug auf seine Interpretation wie seine Geltung. Sivrits und Gunthers eidliche Abmachungen waren klar und wurden eingehalten, aber stifteten, da sie auf Betrug zielten, Streit. Auch die Verpflichtung gegenüber Kriemhilt war klar, doch wurde sie nicht eingehalten; der Eid begünstigte Umstände, unter denen er gebrochen werden konnte. Der Eid zwischen Hagen und den Königen setzte einen Rechts­ bruch voraus und suchte seine Folgen zu neutralisieren, doch erwuchsen daraus noch schlimmere Konsequenzen. Hagens Treue gegenüber dem Eid untergrub des­ sen Ziel. Und Rüedegers Eid, mit dessen Hilfe sein Land wieder eine Königin bekommt, besiegelt dessen Ruin. Das Mittel der Sicherung von Recht erweist sich als Instrument der Rechtlosigkeit. Wahrheit setzende Sprechakte E s gilt, was die, auf die es ankommt, sehen und die, die das Sagen haben, öffentlich aussprechen. Das beginnt mit Hagen, der vor dem burgondischen H o f Sivrits G e­ schichte ausbreitet und dem K önig bedeutet, er tue recht daran, den vornehmen Gast ehrenvoll zu empfangen, setzt sich in Gernots Verbot an die burgondischen Krieger fort, den Wortwechsel mit Sivrit weiterzuführen (123,2) und mit Gunthers autoritativer Beendigung des Streits (137). Auch Kriemhilts Grußworte für Sivrit stellen fest, was zu gelten hat (303,2f.). Doch kann dieses Prinzip pervertiert wer­ den, denn was öffentlich als Wahrheit auftritt, kann Lüge sein, und was in öffent­ licher Rede Geltung beansprucht, kann wirkungslos bleiben. Mit dem Fortschrei­ ten der Intrige verfallt der Anspruch auf Wahrheit und Geltung. Schon Sivrit mißbraucht die Erwartung, daß, was vor allen geäußert wird, wahr ist und gilt, wenn er vor Prünhilt seinen Status bestreitet und Gunther seinen Herrn nennt (420­ 422). A u f diese verbindliche Rede wird Prünhilt sich später berufen: ich hörte sijehen beide [ .. .] ; döjach des selbe Sivrit, er wäre ’sküneges man (820,3; 821,2). Dem öffentlich gesprochenen Wort muß man wie dem Eid vertrauen können. Indem sie das tut, wird Prünhilt getäuscht, und indem sie die Täuschung aufzuklären sucht, setzt sie das Verhängnis in Gang. )0 Bumke (1996a), S. 12 5 f. zur Mitleidsfrage im ,Parzival‘ .

366

Wahrheit setzende Sprechakte

E s hilft nichts, daß der K önig nicht beansprucht, was er nach dem Auftritt in lsenstein beanspruchen könnte (er’njähes im niht %e dienste, 728,4), und hilflos bleibt sein Versuch, feierlich die Sachhaltigkeit der Behauptung zu bestreiten: ich tuon e% iu wol bekant er hat als wol bürge als ich unt witiu lant: da% wisset sicherliehe, er ist ein künic rieh.

(623,1-3)

Die feierliche Deklaration (tuon [ ...] bekant\ wisset sicherliche) erweist sich als wir­ kungslos, zum ersten Mal in einer Kette von Situationen, in denen das Wort des Königs einen Konflikt schlichten soll und wirkungslos bleibt. Nicht nur gilt es, je länger, je weniger; es ist häufig auch unwahr. Beim Streit der Königinnen spricht Gunther Sivrit von aller Schuld frei, aber der Spruch des Königs löst den Konflikt wieder nicht. Der wieder deklaratorische Gestus des Urteils {mir ist so wol bekant/ iuwergro% unschulde, 860,zf.) setzt keineswegs Recht und Wahrheit in Kraft, sondern schiebt bestenfalls neues Unrecht hinaus. Der Sprechakt, der Wahrheit zu verkünden und Recht zu setzen scheint, richtet sich vergeblich gegen die Evidenz des Zeichens. Noch mehrmals erweist sich solch scheinbar Recht und Wahrheit verbürgende Rede als trügerisch, die Instanz, die sie äußert, als korrupt oder machtlos. Das erste Mal statuiert Gunther (sprach) in offenem Widerspruch zu dem, was die Bahrprobe eben über die Mörder Sivrits offenbart hat: ich wil% iu wiegen län. in sluogen schâchare, Hagene bât e% niht getan.

(ic>45,3f.)

Nicht einmal einen Augenblick findet er damit Glauben (1046), und trotzdem kann sich die Wahrheit zunächst gegen das Wort des K önigs nicht behaupten. Die A n ­ gelegenheit bleibt in der Schwebe. In der suone scheint eine Kompromißformel gefunden zu sein: iu w il der künic rihten da% er sin niht hat erslagen ( 1 1 10,3), was unbestreitbar ist, aber den Sachverhalt nur verschleiert. Doch auch diese Erklärung hält nicht, indem sie nur die Voraus­ setzung für neue mehr oder minder heimliche Aktionen und Gegenaktionen schafft, die in einem neuen Verbrechen münden. Wieder sucht ein deklaratorischer A kt dem Recht Geltung zu verschaffen, im Urteil der Könige über Hagen: Do sprächen si gemeine: „er hat übele getan. “

(1139,1)

Dieses Urteil erhält Rechtskraft, berührt aber nicht die Abmachungen, die im Hin­ tergrund getroffen wurden.’ ’ Konsequenz ist die vorübergehende Verbannung des Räubers; die Hintergründe des Raubs bleiben im Dunkeln.

*' Vgl. oben S. 207; 363.

3 Z u r Traditionalität solcher Ankunftsszenen: Haymes (19 75), S. 161.

Gestörte und problematisierte Interaktionsregeln

102,2) wird mit einer besonders ehrenvollen Begrüßung beantwortet. Man geht dem Gast entgegen, wie es seinem königlichen Rang entspricht, begrüßt ihn (nu si uns willekomen, 104,1) und empfangt ihn mit Ruhten (105,2). Mit der Wiederholung des gruo% und der Aufnahme in den H o f kann Sivrit besänftigt werden: Ir suit uns wesen wiIlekomen (126,1). Gruo% regelt noch friedlichen Umgang, wo sich schon eine gewaltsame Ausein­ andersetzung ankündigt; von den sächsischen Boten, die den K rieg erklären, heißt es: D er künec si gruo^te scône, er sprach: „sit willekomen (14 2,1). Zeremonieller noch der Gruß Kriemhilts für Sivrit nach seinem Sieg über die Sachsen, ein feier­ lich veranstaltetes Ritual, als Auszeichnung geplant (sin swester soi iuch grüe^en; da^ ist %en êren tu getan, 290,4) und formelhaft vollzogen: „sit willekomen, her Sivrit, ein edel riter guot.“ (292,3). Das politische Ritual hat für die Beteiligten noch eine persön­ liche, freilich ebenso konventionalisierte Bedeutung: es ist der gruo% der geliebten vrouwe an den werbenden Ritter: dö wart im von dem gruo^e vil wol gehcehet der muot (292 >4 ). Erstmals versagt der gruo% als Spiegel von Ordnung bei der Ankunft in Isenstein: Prünhilt begrüßt - wieder formelhaft - den Falschen und muß korrigiert werden; nicht Sivrit, Gunther muß begrüßt werden. Als er die Nibelungen geholt hat, zweifelt Prünhilt deshalb: soi ich die geste enpfâhen oder sol ich grüe^en si verdagen? (510,4). Erst von Gunther aufgefordert, begrüßt sie die Ankömmlinge: Sifride mit dem gruo^e si von den anderen schiet (511,4), doch zeigt die Frage, daß die Ordnung des Grüßens unsicher geworden ist. Das setzt sich in Worms fort. Der gruo^ (591,1) für Prünhilt ist zwar eine endlose Folge von Küssen und anderen Ehrbezeugungen zwischen den Frauen, doch merk­ würdigerweise fehlt Sivrit,74 so daß bis zu Prünhilts Entdeckung, daß der man Sivrit mit der Königstochter verheiratet wurde, offenbleibt, wie er in diese Ordnung einbezogen ist. Wenn Sivrit und Kriemhilt zu Gunthers Fest kommen, ist das grüe^en (786,4) schon bloße Fassade von Harmonie, die Prünhilt nur zum Schein aufrecht erhält. Zwar überbietet es die vorigen Grußbezeugungen (787,2f.), doch vor allem bietet es Anlaß, die Ankömmlinge argwöhnisch zu mustern (799; 803). Die suone nach Sivrits Tod sucht die Ordnung im Grußritual wiederherzustellen, in Kriemhilts Erklärung Ich w il den künicgrüe^en ( 1 1 1 3 ,1 ) . Seit dem Scheitern dieses Versuchs durch den Hortraub funktioniert der gruo% nur noch an der Peripherie der Handlung. Vorbildlich der gruo% der Könige für Rüedeger: Do nigen im die recken mit triuwen âne ha% (1657,1), ebenso dessen gruo^ für die burgondischen Gefolgsleute: besunder gruo^te er Hagenen: den het er ê bekant. / alsam tet er Völkern (1657,3 F.), der der Amelungen für Etzels Gäste (sie gruo^ten minneclichen die von Burgonden lant, 1722,4). Auch Etzels Begrüßung weist auf friedliches Einvernehmen. Etzel drückt zwar 74 N u r 582,2F. wird gesagt, daß er weiter Kriemhilt dient, und später (59 7,ii.) , wie er sich im Turnier hervortut; beim eigentlichen Em pfang wird er nicht erwähnt.

576

gruoz durchaus einen Rangabstand zu den burgondischen Königen aus, indem er ihnen nicht entgegengeht, sondern sie %e hove in den palas kommen müssen.7*’ Doch ehrt er sie durch inszenierte Spontaneität {er spranc von sînem sedele [ ...] ein gruo% so rehte schane von künege nie mêr geschach, 1808,3F.). Sonst aber pervertiert das Grußritual. Bei der ersten Begegnung mit Kriemhilt maskiert der gruo% kaum die offene Feindseligkeit. Kriemhilts gruo\ kommt aus valschem muote (1737,2); er bietet den ersten Anlaß, gegenseitige Rechnungen zu präsentieren; er verbindet nicht, sondern spaltet, denn durch Nähe ausgezeichnet wird nur Giselher: man grüe^et sunderlingen di kiinige und ir man. wir haben niht guoter reise \uo dirre höchst getan.

(1738,3h)

Das ist nicht mehr die nach Rang abgestufte Begrüßung des höfischen Zerem o­ niells (wie z. B. 1348), sondern die Unterscheidung zwischen Freund und Feind. Der eine K önig und Bruder wird gegenüber den ranggleichen Verwandten ausge­ zeichnet. Bei einem sus getanen gruo^e muß man sich vorsehen (1737,4). Kriemhilts Grußformel heißt die Burgonden nicht willkommen und verweigert ihnen den Titel vriunt; sie widerruft damit, was sonst der gruo% bewirkt: Si sprach: „nu sit willekomen swer iuch gerne siht. durch iuwer selbes friuntschaft grüe^e ich iuch niht. [...]"

( i 7 5 9 ,if.>

Die Verkehrung von gruoç in Aggression wiederholt sich, wenn Hagen und Volker Kriemhilt die Ehrbezeugung verweigern (1780-1782). Kriemhilt antwortet mit ei­ ner Provokation, einem vientliehen gruo^ (1786,4), was die Absicht des gruo% ins Gegenteil verkehrt. Noch ist der Em pfang durch das Königspaar doppeldeutig. In Etzels Gruß stellt sich eine intakte hierarchische Ordnung dar, die in den kom­ menden Kämpfen nicht überleben wird. Kriemhilts verbale Aggression wird in direkte Umschlägen. Beim Kirchgang wird der gruo% Gradmesser von Gewalt: und geltet ob iu iemen biete swachen gruo% (1858,2), Vergeltung statt Erwiderung. Dann bricht die Fassade voll­ ends zusammen. Dancwarts Gruß für Blœdelin: willekomen her %e hüse (1922,3) be­ ruht schon auf Mißverständnis, denn Blœdelin kommt in feindlicher Absicht und weist den Gruß zurück (Jane darftu mich niht grüe^en, 1923,1). Statt Gruß gibt es blutigen Kampf. Erst wenn alles vorbei ist, kehrt Kriemhilt in blankem Hohn zum Grußritual zurück, wenn sie den gefesselten Gunther förmlich anredet: willekomen Gunther û%er Burgonden lant (2362,4). Der gruo% zeigt offen Aggression {%ornec gernuot) statt G e­ 7' Dies entspricht dem Em pfang für Rüedcger in Worms. Ihm gehen nur des küniges nabsten möge entgegen ( 118 4 ,1) ; der K önig erwartet ihn im Saal und zeichnet ihn dort durch einen besonders ehrenvollen Gruß aus: der herre stuont von sedete. da% was durch grâ^e %uht getan. ( 118 5,4) den guoten Riiedegêren er bi der hende genam. ( 1 186,4)

377

Gestörte und problematisierte Interaktionsregeln

neigtheit (genadecltche[])y und so erwidert Gunther dieses swachej] grüe^en (2363,4) nicht, sondern greift die Grußformel ironisch auf, um sie zu verweigern: ich soit’ iu nîgen, vil liebiu swester min (2363,1).76 Auch die Gesten vertrauter Nähe, die den gruo% begleiteten, haben ihre Bedeu­ tung verloren: Sich bei den Händen fassen, drückte Anerkennung des gleichen Status, Freundschaft, Frieden aus.77 Wenn Kriemhilt Sivrit vor dem H o f als Sieger auszeichnet, nimmt sie ihn bi der hende (293,1). Ihre Bindung an Giselher drückt sich im Traum aus, daß er er ihr gienge vildicke an der hant (1393,2). Bei der Hand nehmen ist Zeichen ehrenvoller Begrüßung durch einen Höhergestellten: dô nam der xvirt vil edele die lieben geste bi der hant (18 11,4 ) oder überhaupt Ehrung des Gastes: Diu junge marcgrävinne diu nam bi der hant Giselher den recken von Burgonden lant. alsam tet ouch ir muoter Gunther den küenen man.

(1667,1-3)

Einvernehmen zwischen verschiedenen Gruppen stellt sich in der Gebärde dar: Da% hêrliche gesinde da% vie sich bi der hant.

(794,1 )

B i henden sich dô vîengen opvêne degene: da% eine was her Dietrich, da^ ander Hagene.

(1750,1F.)

Der fürste von Berne der nam an die hant Günthern den vil riehen von Burgonden lant, Irnfrit nam Gêrnôten, den vil küenen man. dô sach man Rüedegêren %e hove mit Gîselheren gän.

(1804)

Wenn der Konflikt einmal ausgebrochen ist, verschwinden solche Gesten. Sie keh­ ren wie der gruo£ nur noch als Parodie wieder. Erst ganz am Schluß, wenn Dietrich den besiegten Gunther gefesselt hat {swie künege niene solden liden solhiu bant, 2361,2), nimmt Dietrich Gunther wie zuvor bi der hant, doch um ihn zu Kriemhilt zu geleiten (2362,1); Gunther ist sein Gefangener, den man hinfuhren kann, wohin man will. Die Geste der Vertrautheit und Freundschaft wird durch die Fesseln dementiert.

76 Neigen des Kopfes ist eine Geste symbolischer Unterwerfung, die im höfischen Kontext, wo die Unterwerfung nur virtuell gilt (vgl. S. 4 10 -4 14 ) , eine ähnliche Geste der Gegenseite voraussetzt (genadecliche); vgl. Schmidt-Wiegand (1982b), S. 372. 77 Vgl. H R G I, Sp. 1974F (A. Erler); vgl. Leyser (1993), S. 3: „Zw ischen Herren und Dienern war die Geste unmöglich, selbst wenn letztere von freier Geburt waren“ .

Waffentragen

Waffentragen Waffen sind bestimmten Räumen zugeordnet, in anderen sind sie verpönt. Waffen muß man naheliegenderweise ,draußen4 tragen, im K rieg, auf gefährlichen Reisen, auf der Jagd. Nichts zu suchen haben sie dagegen bei Hof. Fremden nimmt man daher als erstes ihre Waffen ab, als Zeichen, daß sie willkommen sind und nichts zu furchten haben. Wenn in der dritten Aventiure die Gefahr der Konfrontation ab­ gewendet ist und Sivrit in den H o f aufgenommen, heißt es: Do bie% man in gehalten allez ir gewant (128,1). Und so geschieht es meist. In zwei Fällen allerdings gelingt das nicht so reibungslos, und beide Male zeich­ net sich in der Unterbrechung erwartbarer Regeln ein künftiger Konflikt ab. Beim Empfang der Burgonden in Isenstein will ein Kämmerer den Ankömmlingen die Waffen abnehmen. Hagen lehnt ab: wir wellens’ selbe tragen (406,3) und gibt nur widerwillig nach (407,4), als Sivrit ihm diu rehten mare (406,4) - wieder weiß er sie allein - sagt: Man pfliget in dirre bürge, da£ wil ich iu sagen, da% neheine geste hie wäfen sulen tragen. (407,1F.) Das Ablegen der Waffen deutet in der Regel darauf hin, daß mit dem H o f ein Friedensraum betreten wird, doch hat das Waffenverbot in Isenstein offenbar eine andere Bedeutung. Der H of von Isenstein ist ein Ort eines tödlichen Wettkampfes. Das Leben aller Ankömmlinge ist in Gefahr. Waffen tragen böte eine Chance des Selbstschutzes oder der Rache. Das Gebot zeigt also das Gegenteil dessen an, was sonst gilt: nicht Friedenssicherung, sondern Entwaffnung potentieller Feinde ist das Ziel. Indes, Waffen würden an diesem H o f nichts nutzen. Das wird deutlich, wenn Dancwart und Hagen bedauern, daß sie beim gefährlichen Wettkampf ihres Königs ohne Waffen sind (444-446), und Prünhilt spöttisch und geringschätzig (mit smielen­ dem munde und über ahsel, 447,2) anordnet, ihnen die Waffen zurückzugeben. Aus­ gerechnet Sivrits Rat entwaffnet die Burgonden, und ausgerechnet die vrouwe, deren Gewalt sie furchten, gibt die Waffen mit gleichgültiger Gebärde zurück. Der Um­ gang mit den Waffen zeigt, daß in Isenstein die gewöhnlichen Mittel heroischer Selbstbehauptung nichts helfen. Wie sich herausstellt, werden die Waffen nicht gebraucht, weil Sivrits Sieg und später dann seine Leute (477) sie überflüssig ma­ chen. Warum dann überhaupt das Hin und Her? Die Entwaffnung aber zeigt die latente Gewalt an, die Rückgabe der Waffen, daß gegen diese Gewalt jede Gegen­ wehr vergeblich wäre. Diesmal gehen alle Befürchtungen ins Leere, weil Sivrit, und er allein, dieser Gewalt gewachsen ist, aber er darf es nur insgeheim sein. Isenstein zeigt also die begrenzte Reichweite der Regeln einer Abgrenzung von Gewalt und Frieden: Waffentragen oder nicht ist in Isenstein schlicht irrelevant. 379

Gestörte und problematisierte Interaktionsregeln

Das ist ganz anders am H o f Etzels. Die Einladung der Verwandten zum Fest läßt friedlichen Umgang erwarten. Da brauchte man eigentlich keine Waffen. In W irk­ lichkeit wird es ein K am p f auf Leben und Tod, und da sieht man sich besser vor. Die Auseinandersetzung um die Abgabe der Waffen spiegelt die Zweideutigkeit. Die Sorge für den friedlichen Empfang sollte die vrouwe des Hofes tragen, aber, wie Kriemhilt diese Rolle spielt, ist blanker Hohn. Ihre Aufforderung, die Waffen ab­ zugeben, klingt nach Verbot und Entwaffnung eher als nach höfischer Regel: „man sol deheiniu wäfen tragen in den sal. ir beide, ir suit mirs' ûf geben: ich m l si behalten län. “ „entriuwen“, sprach do Hagene, „da% wirdet nimmer getan.“

(1745,2-4)

Hagen wie Kriemhilt geht es nicht um die Geste befriedeten Umgangs, sondern um eine vorteilhafte Ausgangsposition für den bevorstehenden Kampf. Mit der höf­ lich-korrekten Verbrämung seiner Weigerung (1746) verhöhnt Hagen die K ö n i­ gin.78 Waffen gehören bei diesem Fest dazu. Gesteigert ist der Bruch der Konvention beim Kirchgang, zu dem Hagen den Burgonden schwere Bewaffnung empfiehlt: sit da% wir wol erkennen der argen Kriembilden muot (1853,4). Das Zeichen ist eindeutig - die Kirche ist Friedensraum - und wird sogleich verstanden. Etzel vermutet, wenn er seine friunde [ ...] under helme gân sieht (1861,3), man sei ihnen feindselig begegnet; er kündigt an, daß ihr leit sich auch gegen ihn richten würde, und will ihnen Genugtuung dafür leisten (1862). Doch Hagen macht aus dem Bruch der Konvention eine angeblich neue: es ist site miner herren, da% si gewâfent gân fallen hôhge^îten %e vollen drien tagen. (1863,2F.) Damit täuscht er zwar Etzel, gibt jedoch Kriemhilt zu erkennen, daß er den wahren Charakter der höhge^ft verstanden hat. Noch ist Waffentragen einseitig. Nachdem Volker die kur^emle beim Tummeln der Pferde (1882,1) zum Anlaß für eine Gewalttat genommen hatte, will sich auch die Gegenseite bewaffnen: Nach swerten und nach Schilden riefen da gebaut des marcgrâven mage von der Hiunen lant. si wolden Volkeren sçe tôde erslagen hân. (1893,1—3) Sie können nur gewaltsam entwaffnet werden: ein vil starkeç wäfen brach er im u% der hant (1895,2). Die Regel fünktioniert nur noch mittels Gewalt. Blœdelin dann mißachtet das Waffenverbot des Königs: N u wäfent iuch [ ...] alle die ich hân (19 10 ,1). Bei seinem Überfall auf den Troß sind die Angreifer alle be­ waffnet, während die Angegriffenen sich teils {D ie niht swert enhêten, 19 3 1,1) mit Schemeln und Stühlen wehren müssen. Beim anschließenden Festmahl ist es um­

78 V g l .

S. 4 1 7 . 380

dringen und schal

gekehrt; die bei der Tafel sitzenden Hiunen werden von den bewaffneten Burgonden abgeschlachtet; von draußen kommt niemand herein; die Gegenwehr hilft nichts.798 0 Nach Ausbruch des Kampfes ist die Regel außer Kraft gesetzt; man bewaffnet sich offen (2028,4 u- ö.). N ur Rüedeger und Dietrich treten anfangs noch unbe­ waffnet auf, um ihre Distanz zum Konflikt darzutun, beide vergebens. Dietrich ordnet an, daß sich die Amelungen ohne Waffen den Burgonden nähern; Hildebrant will unbewaffnet, in sfnen fühlen sçuo den gesten gdn (2248,3). Mit \uht sind noch einmal Regeln friedlich-höfischen Umgangs aufgerufen, doch sie kollidieren mit der ère, dem Behauptungswillen des einzelnen Helden: Die Regeln könnten hinderlich sein, gibt Wolfhart zu bedenken, wenn es zu einem Wortwechsel kommt: so müe^et ir lästerlichen tuon die widervart. komt ir dar gewdjent, da% etelicher wol bewart.

(2249,3F)

Wolfharts Rat ist unklug, und doch folgt Hiltebrant ihm: Do garte sich der wise durch des tumben rät (2250,1), denn das liegt in der Konsequenz der Aushöhlung des Waffenverbots. Der bewaffnete Auftritt der Amelungen wird von den Burgonden gleich als A n g riff verstanden (2z52f.), und so brechen die letzten Reste der höfi­ schen Ordnung zusammen.

dringen und schal Die Perversion positiv besetzter Interaktionsformen ist auch am dringen ablesbar. Im ersten Teil ist Gedränge Ausdruck freudiger Erregung. In seinem Zentrum steht der König, ein Gast oder Bote, die Dame, die Person, auf die sich aller Augen richten. Dringen drückt den Wert einer Person aus oder auch die Bedeutung eines Vorgangs in den Augen der Hofgesellschaft.*0 Gelegentlich wird das Gedränge mit der großen Zahl (512) erklärt, doch auch dann ist es Ausdruck höfischen Über­ schwangs. Im Gedränge des bûhurt z. B. kann sich das Gefühl überschäumender Kraft austoben (585,4). Bei der Messe gibt es gedranc (33,2; 644,4), beim Empfang (788,4: dringen unde stouben künde niemen da bewarn), auch bei der Totenfeier; dort beweist es große Anteilnahme: 79 Ouch werten sich vil sire die Et^elen man (19 72 ,1).

Die Formeln, die das Gemetzel schildern sind nicht ganz klar; zwar ist von der passiven Bewaffnung der Hiunen die Rede (Do sluoc der fürste selbe vil manige wunde wit/durch die liebten ringe, 1968F; sin wdfen hirlichen durch die helme erklanc, 1970,2; 1986,4; 2006,4), doch nicht von Angriffswaffen derer, die im Saal sind. N u r Wolfhart droht Gegengewalt an

(.1993)80 Ähnlich in anderen Heldenepen: So heißt es 2. B. beim Em pfang des jungen Dietleib durch Etzel: vil beide stuont bedrängen da (Bit 3299); so auch bei der Ankunft Dietrichs von Bern (Bit 5704; 5709); wenn im ,Rolandslied1 der Gerichtskam pf Tirrichs gegen Binabel beginnt, drängen sich um Karl seine Anhänger: ml michel was da^ gedranc (RI 8899).

Gestörte und problematisierte Interaktionsregeln

Do man da\ gehörte, da\ man %em münster sanc, unt man in gesarket bête, dô huop sich grô% gedranc.

(1052,2f.)

Natürlich gibt es auch Gedränge und Lärm im K am pf (204), doch selbst dann soll sich darin vor allem das Exorbitante heroischer Kraft äußern. Das Gedränge wird kontrolliert: Wo die Damen auftreten, weicht man ihnen aus, damit sie sich ungehindert bewegen können: Die mit denfrouwen giengen, die hieben von den wegen wichen allenthalben, da-,1 leiste manec degen. (287,if.) Bei Kriemhilts Erscheinen in Passau wart vil michel wichen an der selben stunt (1312,3): Noch in der Kontrolle zeigt sich, wie groß das Gedränge war. Wird das Getümmel bei einem höfischen Fest schon einmal störend, dann wird es abgebrochen (598). Das ändert sich im zweiten Teil. Zw ar werden wie zuvor Ankömmlinge als Gegenstand der Neugierde umdrängt, doch weckt das dringen den Verdacht, es könnte sich unter diesem Vorwand anderes, Verrat nämlich, verbergen: Wenn Vol­ ker in grossem antpfange (1802,3) seine Herren fragt: wie lange weit ir stênjda% ir iuch lasset dringen (i8o3,if.), dann faßt er das Gedränge plötzlich als aggressiv auf; es ist gefährlich, nicht Zeichen freundlicher Zuwendung.81*8 4Selbst nach dem freundlichen Em pfang durch Etzel wird dringen als Bedrängnis erfahren: Dringen allenthalben die geste man dô sach (1820,1). Em pört fragt wieder Volker: wie geturret ir den reckenfü r die füe^e gän? (1820,3) und: wan wichet ir uns recken? (1821,3). E r droht: und weit irs iuch niht miden, so wirt iu leide getän (1820,4). Dringen heißt jetzt, dem anderen ,zu Leibe rücken*.81 Das Gedränge beim Kirchgang ist latent gewaltsam. Beim Kirchgang soll sich Ehre durch Waffengewalt und raumverdrängendes Auftreten darstellen, dadurch daß man keinen Zoll zurückweicht: Leget, mine friunde, die Schilde fü r den fu o \ (1858,1). Ein Zusammenstoß ist geradezu geplant; Hagen und Volker gehen vor das Münster, da\ si da% wolden wiegen, da%des küneges wip müese mit in dringen; jä was vil grimmec ir Up.

( 1 85c>,3f*.)

Tatsächlich gibt es, wenn die Königin mit ihrem Gefolge erscheint, nicht nur einen geräuschvoll-prächtigen Auftritt, wie er zuvor oft geschildert wurde (dô kôs man höhe stouben*4 von den Kriemhilde schäm, 1860,4), sondern fast einen gewaltsamen Z u ­ sammenstoß, da der Zug nicht ungehindert vorwärtskommt und auf Widerstand trifft; keinen Z oll breit gibt man nach: 81 So versteht es auch de Boor S. 284. 81 Vgl. S. 322f.; 3 2 7 - 3 3 1 zur Verengung des Raums, 85 de Boor schlägt als Übersetzung vor: „zu wissen glaubten“ (S. 293). Das ist ungenau, denn Hagen und Volker legen es darauf an (wolden wiegen), den wahren Charakter des dringen herauszubringen. 84 Auch das stouben (1860,4) war bei den höfischen Festen in Worms Zeichen für Festfreude und zeigte noch bei Etzels erster Begegnung mit Kriemhilt den Überschwang des Em pfangs. Das ist jetzt anders.

382

dringen und schal

done wolden dise equine doch niht höher stän qveier hande breite. da\ was den Hiunen leit. jâ muose si sich dringen mit den beiden gemeit.

(1866,2-4)

Dringen ist nicht mehr Ausdruck von Festfreude, sondern Gelegenheit zu einem unvermuteten Zusammenprall (1867; vgl. 1859,4). E s scheint sich ein Ton des Be­ dauerns einzumischen, wenn es beim bloßen Gedränge bleibt und die im dringen latente Gewalt nicht offen ausbricht: da was vil michel dringen unde doch niht anders mir.

(1867,4)

Wenn später jemand wichen oder höher stän muß, dann nur noch unter Zwang, nämlich um der Gewalt auszuweichen: nu lät da% dreuwen und wichet höher ba^ (1943,1), verjagt Dancwart die Hiunen, und von Volker wird gesagt: den Et^elen man/gab er herberge höher von dem sal (2018,2f.). Ähnlich begleitet schal nicht mehr nur das höfische Spiel (der bühurt unt da% schallen, 1872,2) als Zeichen eines überschwänglichen Selbstwertgefühls. Der „reprä­ sentative schal“ ist „Ausdruck bedeutender Herrschaft; im K am pf drückt sich im schal der Anspruch auf überlegene Gewalt aus; der schal repräsentiert Herrschaft“ .8’ Berhtunc im ,Wolfdietrich4 z. B. läßt sich von nieman da überschallen (Wo A 137,4; 14 1,3; 203,3), d- h. sein Auftritt bei H o f überbietet alle anderen;86 schal ist das höfische Fest mit seinem Waffenlärm und seiner festlichen Musik (686,2; 807,2; 808,2), der pompöse Empfang (800,1; 797), auch die Ausgelassenheit der Jag d ­ gesellschaft (941,2), kurz Ausdruck von kur^ewile (947,1; 950,4). Im zweiten Teil verändert sich schleichend die Bedeutung. Anfangs ist schal bloß fröhlicher Lärm, doch dann wieder mischt sich ein Ton des Bedauerns ein, daß er nicht mehr ist als dies: Swes iemen da pflcege, so was e% niwan schal.

(1881,1)

Doch schlägt das um: Was eben noch ,nichts als schal‘ ist, ist plötzlich Kampfgetöse und Schmerzgeschrei. Wenn Bloedelin verspricht: so heb’ ich einen schal (1909,2), dann kündigt er damit einen blutigen Überfall an, der sich in weiterem Gemetzel fort­ setzt: D ö huop sich von den liuten allenthalben schal (1894,1); der Waffenlärm geht in Jammern über: von wuofe graulichen schal (1972,4).87 Der grauliche/] schal (2357,4) steigert sich zu einem Getöse, das die ganze Burg erschüttert: palas unde turne von den siegen dö% (2359,2). Wenn dieser schal zu Ende ist, kehrt nicht Ruhe, sondern eine unheimliche töd­ liche stille ein: *' Wenzel (1995), S. 1 4 3 - 1 4 5 ; zur Ambivalenz von schal in höfischem Kontext: Müller (1986b), S. 445­

447,IS Das ist nicht negativ wie im ,Rolandslied‘ der überheblich-gewaltsame Auftritt der Heiden (RI 839; 3 538; 7995; 8540). ‘ 7 Vgl. 19 3 7 ,1; 2003,2; 2110 ,2.

383

Gestörte und problematisierte Interaktionsregeln

des was der schal geswiftet, da£ iemen mit in streit.

(2008,}).

Dar nach wart ein stille, do der schal v e r d ö (2078,1) da wären tôt gelegen die Riiedegeres beide, vergangen was der dä%. so lange wert' diu stille da^ sin Etteln verdroß.

(2227,2-4)

E s gibt keine Rückkehr zu dem fröhlichen Lärm des Beginns. Man hört nur noch jdm er also g ro^ /da^ palas unde turne von dem wuofe erdôç (2235,1F.). Dann ist es nur noch Dietrichs Klage, da% da% hüs erdie^en von siner stimme began.

(2324,4)

Ruhe und gäben Solche allmähliche Verkehrung ist von einer Beschleunigung der Bewegungen be­ gleitet, derjenigen des Erzählens88 wie derjenigen der erzählten Vorgänge. Wenn sich anfangs phasenweise - zuerst in der dritten Aventiure - das Geschehen be­ schleunigte, so kehrte es doch immer wieder zur Ruhe zurück, und dies drückte sich im Bewegungsvokabular aus. Die Statuarik oder ruhige bzw. rasch beruhigte Bewegung des ersten Teils geht jedoch in den Turbulenzen der Katastrophe unter. Bei der Herausforderung des Wormser Hofes durch Sivrit stehen die Kontra­ henten wie versteinert: Mit grimmigem muote da stuondenfriwende sin.

( 116,1 )

Bevor die Szene in Tumult münden kann (Nach swerten rief dô sêre von Metren Ortwin, 119 ,1), verbietet Gernot seinen Leuten die immer hitzigere Rede. Auch in ihrem Handeln scheinen sie gelähmt: War umbe bitet Hagene und ouch Ortwin, da% er niht gäbet striten mit denfriwenden sin [...] ?

(125,1F)

Der jähe Impuls {gäbet striten) wird unterdrückt; man bleibt abwartend {bitet). Sivrit wird durch Gunthers Entgegenkommen beruhigt und erstarrt in der melancholi­ schen Pose seiner hoffnungslos scheinenden Minne. Die Zeit steht still: Sus wont' er bi den herren, da\ ist alwär, in Guntheres lande volledich einjâr. (138,1F) Im Sachsenkrieg beschleunigt sich die Bewegung {man hie'.% die boten balde [ ...] , 141,4; dô Uten si der friwende deste mêr bejagen, 169,2), erst recht dann, wenn die Heere

88 Hierzu S. 1 14-116.

384

Ruhe und gäben

au feinander treffen: Zen rossen gâhte Gêrnôt unde sine man (196,1): Lärm, Staub, G e­ dränge, Schlag und Gegenschlag, herumfliegende Waffen und Rüstungsteile, kurz: ein sturm[ ] (210,4), dann wieder gemessene Bewegung des höfischen Zeremoniells, Sivrit zum schönen Bild erstarrt: Do stuont so minnecliche dat^ Sigmundes kint, sam er entworfen ware an ein permint von guotes meisters listen [...]. (286,1—3) Wieder folgt eine bewegungslose Zeit von unbestimmter Dauer, bis sich erneut mit dem Aufbruch zu Prünhilt der Rhythmus beschleunigt. Von der Beratung der Helden über die siebenwöchige unmuope der Frauen (366,2f.), den raschen Abschied, die schnelle Reise, den Auftritt vor Prünhilt steigert sich das Tempo. Steht der Werber einmal fest, geht alles ganz rasch: der spile bat si gäben (428,2), so rasch, daß Sivrit, der vil schiere (431,4F) in die Tarnhaut geschlüpft ist, behaupten kann, den Wettkampf versäumt zu haben. Dieser wird als Folge jäher Bewegungen geschildert (461,1; 462,1 usw.). Höhepunkt ist Sivrits rasende Fahrt ins Nibelungenland (483,3). Dann beruhigt sich die Bewegung wieder bis hin zur ereignislosen Frie­ densherrschaft in Worms und Xanten.*9 Aus der scheinbar ungefährdeten Dauer {pfallen sften, 720,1; fa llen stunden, 720,3) löst sich wieder nur zögernd der neue Konflikt, lange und zäh vorbereitet. Aus der Ruhe des Zuschauens beim Turnier entsteht der Rangstreit, die Konfrontation vor dem Münster, die Gerichtsverhand­ lung, alles im gemessenen Tempo einer ritualisierten Kraftprobe. Ein ungewisser Schwebezustand tritt ein, in dem der Verrat geplant werden kann. Bei der Mordintrige zeigt sich erstmals ein Zusammenhang zwischen Tempo und Gewalt. Die Angaben zum zeitlichen A blauf werden umso präziser, je weiter der Plan voranschreitet: A n dem vierden morgen (877,1) - von wann an gerechnet? - ; Eines tages (883,1); dö gie von Tronege Hagene (891,3); Des andern morgens (907,1); vil vruo (912,2). Nur scheinbar gerät die Bewegung noch einmal ins Stocken, wenn der angebliche K rieg gegen die Sachsen durch das friedliche Vergnügen der gemein­ schaftlichen Jagd ersetzt wird. Sivrit gibt das Tempo vor, indem er alle, auch jede Beute, an Geschwindigkeit übertrifft; seine Jagderfolge steigern sich in immer ra­ senderes Tempo bis hin zum Wettlauf mit Gunther, an dessen Ende er erlegt wird. Die heftige Bewegung setzt sich fort im wilden Schmerz Kriemhilts (1007,4; 1009,4), in den heftigen Reaktion der Xantener {spranc, Ruhten, liefen, 10 2 1,i- y , jane mohten si der sinne vor leide niht gehaben, 1022,3), tvuofe (1025,3), *m hastigen Ra­ chewunsch {dö Uten nach den wdfen alle Stfrides man, 1027,4); erst dann tritt erneut eine Beruhigung ein, trotz weiteren ungefüege[n] Bekundungen des Schmerzes (1064,2 u.

*9 Vgl. S. u if. sowie die durativen Verben dieses Abschnitts. Man könnte sich fragen, ob der Tod Sigelints als Störungssignal eingebaut ist, um wenigstens durch ein bedeutsames Ereignis den Stillstand zu unterbrechen.

Gestörte und problematisierte Interaktionsregeln

ff.) und Sigemunts eiligem Aufbruch (do wart ein michel gäben nach rossen getän, 1076,2). Wenn man sich versöhnt hat und der Hort geholt wird, beschleunigt sich das Geschehen nur kurz, bleibt sogleich stecken, bevor ein Streit ausbrechen kann. Und wieder Stillstand, dreizehn Jahre Trauer seit Sivrits Tod (1142,2), sieben und noch einmal sechs Jahre an der Seite Etzels. Die Reise zu Etzel geht ruhig von­ statten, nur dem K önig eilt es: der künic begondegaben da er di wolgetänen vant (1337,4). Noch einmal tritt mit der Hochzeit Ruhe ein. Erst mit der 23. Aventiure verstärkt sich der Sog des Untergangs. Ohne rechten Anlaß heißt es über Kriemhilts E in ­ ladung und Botschaft an die Verwandten: des man dögaben began (1423,4). Die A b ­ reise der Boten wird in Worms verzögert, um eine, dann doch unausweichliche, Entwicklung aufzuhalten (1480), dann kehren sie eilig zurück (Uten, 1494,4; gäben,1497,1). Erst in den Aventiuren an Etzels H o f wird die rasche, heftige Bewegung unauf­ haltsam. Vorher waren es nur einzelne Episoden, die - latent konfliktträchtig - das Gleichgewicht eines Idealzustandes unterbrachen. Nach der Überschreitung der Grenze zu offener Gewalt sind diese Unterbrechungen immer offenkundiger ver­ geblich. Erst wenn alles zerstört ist, ist dauerhaft Ruhe. Von Anfang an geht die Kontrolle über die Bewegung verloren. Die ersten Konfrontationen sind noch in ihrer Bewegung gebremst: Hagen und Volker vor Kriemhilt, der nächtliche Anschlag der Hiunen, der zurückgenommen wird, bevor er ausbrechen kann, und so fort. Kaum ist jedoch beim bähurt ein Anlaß zur Gewalt gegeben, stürzen sich Hagen und seine Leute vil harte hurteclîche (1890,1) ins G e­ wühl. Etzels jähes Eingreifen - der wirt ü% einem venster vil harte gäben began (1893,4) schafft noch einmal Ruhe. Beim nächsten Mal, dem A n g riff auf den Troß, gelingt das nicht mehr: mit û f erburten swerten si Sprüngen fü r diu kint (1929,3). Und diese heftige Bewegung (springen)9° setzt sich fort beim Festmahl, wenn alle aufeinander stürzen. Im Strudel des Untergangs setzt sich das fort: Etzel muß am Schildriemen zu­ rückgezogen werden, damit er sich nicht in den K am pf stürzt, eine nurmehr von außen notdürftig gebändigte Bewegung (2022,3). Eines K am pf ist eine Folge hef­ tiger Attacken, alle so hastig abgebrochen, wie sie begonnen wurden: E r lief [ ...] vaste (2037,3), gäben er began (2040,2), dô lief er Guntheren [ ...] an (2041,4), lief Gêrnöten an (2043,1), Do spranc er von dem fürsten (2044,1); dann greift Giselher ihn an und verwundet ihn: Wie rehte tobelhhe er ü\ dem bluote spranc (2050,1); dö lief er u% dem hüse da er aber Hagenen vant (2050,3). Die Bewegungen gehen alle ins Leere: Irinc der lie Hagenen unverwundet stän (2040,1); den lie% er dö beliben (2041,3); Günthern er lie beliben (2043,1); D ö spranc er von dem fürsten (2044,1); Wider puo den sinen kom Irinc wol gesunt (2054,1). Der K am p f steigert sich zur Raserei (tobelicbe, 2050,1), ein wilder springen: 1940,1; 1940,4; 1946,1; 19 50 ,1; 1966,1; 19 6 7,1; 1970,1 usw; Dankwarts Rasen: 1946,3. Zum Vokabular der „Schilderung der entfesselten Kampfeswut“ auch W olf (1995), S. 409.

386

Ruhe und gäben

Taumel, der zu seinem Ausgangspunkt - Hagen - zurückkehrt, aber ohne Erfolg bleibt.9' Zur Raserei steigert sich aus dem Stillstand (stän, 2138,1) auch Rüedegers letzter Kampf: des muotes er ertobete, done beit er dâ niht mêr, dô lief er %uo den gesten einem degen gelich. manegen slac vil swinden sluoc der marcgräve rieh.

(2206,2-4)

Heftige Bewegungen bestimmen den K am pf Sprüngen (2209,1); brast (2209,4); sluogen [ ...] vaste (2 2 10 ,1-3); Sprüngen (2 2 11, 2); spranc (2212,2); reis (2212,3); & e wider unde dan (2213,1); do Sprüngen %uo ein ander (2218,3). Am Ende statt Ruhe tödliche Stille und bloße Erschöpfung der Überlebenden, die sich nicht mehr auf den Beinen halten, wenn es nichts mehr zu kämpfen gibt - müe^ec, sagt der Epiker in einem seltenen Anflug von Ironie: Den sitzen, disen leinen sab man manegen degen. / si wären aber müet^ec (2227,1h). Die geräuschvolle Trauer um Rüedeger treibt eilends einen Dietriches man (2235,3) zu seinem Herrn: wie balde er gäben began (2235,4). Das Tempo des Unter­ gangs steigert sich noch einmal. Vergeblich hatte Dietrich seine Leute vor brüsken Reaktionen auf den vermeinten Tod der Könige gewarnt: nu gäbet niht ^e sêre (2238.2) . Aber im Wortwechsel zwischen Burgonden und Amelungen geht die Be­ sinnung unter. Der Wortwechsel eskaliert, bis schließlich Wolfhart losstürmt. im wart ein gahe% volgen von sinen vriundengetan.

(2273,4)

Selbst der alte Hildebrant, auf dessen Besonnenheit Dietrich gesetzt hatte, stürzt noch schneller als Wolfhart davon: Swie witer Sprunge er pflcegefür des sales want, doch ergäbte in vor der stiege der alte Hildebrant

(2274,1h),

nicht um ihn zurückzuhalten, sondern um als erster loszuschlagen. Im gäben sind zwei Aspekte zusammengefaßt: die Steigerung des Tempos und die Besinnungslosigkeit des Schlusses. E s bricht ein Wüten und Toben aus (2280,4; 2282,1). Am Ende bleiben drei Kämpfer übrig, der eine nur, weil er rechtzeitig flieht. Die Raserei dauert bis in den letzten Kampf: Gunther was so sêre erzürnet und ertobt (2358.2) , und noch Hildebrants Tat ist wilde Bewegung: Hildebrant mit sporne %uo Kriemhilde spranc. (2376,1) Gäben wird zum besinnungslosen Toben.

9' Weitere Verben, die heftige Bewegung ausdrücken in 2029,3 und später 2061,2; 2070,1; 2 0 71,1.

VIII D

as

V

e r s p ie l e n

der

h ö f is c h e n

A

l t e r n a t iv e

Die Ambivalenzen in den Normen, Verhaltensmustern und sozialen Ordnungen der nibelungischen Welt lassen das Epos in der Welt um 1200 fremd erscheinen. Am radikalsten betrifft die Ambiguisierung die höfische Ordnung, wie sie zu Beginn aufgebaut wurde und am Ende in Trümmern liegt. Eine Auseinandersetzung zwi­ schen unterschiedlichen adeligen Leitbildern ist der Literatur des 12./13. Jahrhun­ derts keineswegs fremd. Wie höfische Welt und rauhes Heldentum sich gegenseitig relativieren, zeigen vor allem die Epen Wolframs von Eschenbach, in heroischer Perspektive aber auch etwa die Fassungen des ,Rosengarten‘-E pos.‘ E s wäre jedoch zu einfach, von der Konfrontation zweier Welten zu sprechen, deren eine die andere kritisiere.2*Das würde nämlich zum einen die Homogenität jener Welten vorausset­ zen, zum anderen einen festen Standpunkt für die Kritik. An beidem fehlt es. Zu zeigen wird dagegen sein, wie sich heterogene Lebensordnungen gegenseitig durchdringen,5 perspektivieren, widersprechen und destruieren, ohne daß sich dar­ aus eine eindeutige Botschaft ableiten ließe. E s handelt sich um Alternativen auf unterschiedlichen Ebenen, die auf vielfältige Weise einander überkreuzen und mit­ einander kombiniert sind, angefangen von strukturellen über soziologische und ideologische bis hin zu motivischen.4 Es gibt Elemente, die eher in den einen oder den anderen Zusammenhang verweisen, die sich gegenseitig kommentieren, in Fra-

' *

5 4

Z u .Rosengarten D ‘ Heinzle (1978), S. 256 f.; vgl. zur Fassung F S. 2 59 -2 6 1. Die folgenden Überlegungen haben nicht die These zum Kern, daß das .Nibelungenlied' die „D es­ illusionierung der höfischen Welt“ erzähle (Ihlcnburg, 1969, S. 51) und den „Scheinoptimismus“ der Artusepik entlarve, eine These, die W olf (1987), S. 199 zurecht an Untersuchungen kritisiert, die heroisches F.pos und Artusepik vergleichen. Behauptet wird auch nicht umgekehrt, daß die alten mären der Kritik durch die neue höfische Humanität verfallen. Daß eine stringente Abgrenzung höfischer und heroischer Ethik nicht möglich ist, betont Hansen (1990), S. 132. Allgemein Dürrenmatt (1945); Andersson (1980), S. i j i : „old elements are obscured in new roman­ tic and chivalric details"; Hoffmann (1974), S. 79 schreibt, das .Nibelungenlied' habe die Zerbrech­ lichkeit höfischer Norm en zeigen wollen; vgl. dagegen die Zusammenfassung Haug (1979), S. 371. Haugs These geht über gängige Annahmen, das „höfische Leben“ sei nur eine „trügerische, brüchige Fassade“ (Spiewok, 1989, S. 193), weit hinaus. In Haugs grundsätzlichem Sinne - und nicht in dem des trivialen Erklärungsmusters .Sein und Schein' - wird der Gegensatz im folgenden verstanden; kritisch zur These der Konfrontation in den ersten beiden Aventiuren: Bernreuther (1994), S. 14h

389

Das Verspielen der höfischen Alternative

ge stellen, unterlaufen. Entscheidend ist, daß auf dem Weg von der ersten zur letzten Aventiure allmählich die Beleuchtung wechselt, in der sie erscheinen.'

Ze hove: Zeremoniell und Prachtentfaltung Ausgangspunkt ist eine idealisierte höfische Welt. Was ist im .Nibelungenlied' mit ,höfisch' gemeint? Den H o f gibt es lange vor der höfischen Gesellschaft, und so gibt es auch das Wortfeld, das sich um hove lagert, ohne daß das Vokabular zum Bild einer Lebensform zusammenschießen müßte, die .höfisch' im emphatischen Sinne wäre. Die Crux der Diskussion darüber, was höfisch, was unhöfisch sei, liegt meist darin, daß zwischen normativer und deskriptiver Perspektive, zwischen jenem em­ phatischen Entw urf und einzelnen Phänomenen, die sich mit der curia regis oder principis in Verbindung bringen lassen, nicht hinreichend unterschieden wird.6 Der H o f als herrschaftliches und kulturelles Zentrum ist vom ersten Vers der Erzählung an Schauplatz der Handlung. Erzählt wird Von des hoves krefte und von ir witen kraft, von ir vil höhen werdekeit und von ir ritterscaft.

(i2,if.)

Zu dem komplexen höfischen Apparat, auf dem das burgondische Königtum be­ ruht, gehören, wie dargestellt, Hofämter (iof.). Hofämter betreffen ursprünglich Aufgaben im königlichen Haushalt; sie werden seit dem 12. Jahrhundert (teils schon früher) als Ehrenämter institutionalisiert.7 Im .Nibelungenlied' spielen ihre Inhaber - zumal Sindolt, Hunolt, Rumolt, Ortwin - in der Kette von Festen und Festvorbereitungen die ihnen zugewiesene Rolle, so bei den Empfängen Prünhilts (563, 564, 582, 583) und Sivrits (776, 777), während der marscalch Dancwart für Gesinde (17 8 ,if.) und Troß (1921) zu sorgen hat. Es handelt sich also nicht um reine Ehrenämter, sondern sie sind mit der tatsächlichen Funktion im königlichen Haushalt verknüpft, wenn auch ihre Träger zu den Spitzen des Wormser Herr­ schaftsverbandes zählen; das zeigt sich beim K rieg gegen die Sachsen.8 So gehen die Aufgaben denn auch, wie es der späteren Bedeutung der Ehrenämter entspricht, weit über die elementaren Funktionen im königlichen Haushalt hinaus. Die Bedeu­ ’

Hier unterscheiden sich die folgenden Überlegungen von denen Haugs (vor allem 1974/1989), in denen unausgesprochen doch die höfische Welt die Norm ist, gegen die sich malgré lui der heroische Schematismus durchsetzt. Noch seine Lösung, daß dieser Schematismus im .Nibelungenlied“ ins Subjekt hineingenommen werde, also in einen intentionalen Akt umgedeutet, scheint an anthropo­ logischen Positionen des höfischen Romans orientiert.

6 7

G anz (1977) und (1986); zur Bedeutung der Wendung \e hove S. 300-302. Überblick v. W . Rösener im Lexikon des Mittelalters V , Sp. 67F.; vgl. die Ho farmer in der .K udrun“ oder im .Tristrant“, wo ausdrücklich erklärt wird, daß solch ein Hofamt nicht niedrige Dienste meint, welche wichtigen Aufgaben ihm übertragen sind und wie es mit fürstlichem Rang zusammengeht (Trt 3 16 -3 2 8 ); vgl. (auch zu Datierungsproblemen) Bumke (1996c), S. 563. Vgl. 162; 173; 20of.; 235, wo die Inhaber der Hofämter als herausragende Krieger genannt werden.

1

390

Z e hove: Zerem oniell und Prachtentfaltung

tung dieser Amtsträger nimmt zum Schluß hin immer mehr ab. Im ersten Teil funktioniert die höfische Verteilung der Ämter. Im zweiten verschwinden mit dem Fortfall institutioneller Garantien ihre Repräsentanten samt den Ämtern.9 Höfisches Vokabular wird meist unspezifisch gebraucht. So kann hovesite in der altertümlichsten der handschriftlichen Überlieferungen (A) nur einen Brauch mei­ nen, der am H o f üblich ist.101*4Eine deutlichere Vorstellung von ,höfischer1 Lebens­ form ist nicht erkennbar. Der Epiker ist vor allem von der Schauseite höfischen Lebens fasziniert." Der H o f ist der Ort feierlicher Empfänge und prunkvoller Feste. Große Aufmerksamkeit gilt höfischen Zeremonien wie dem Begrüßungsri­ tual: Umständlich wird man darüber belehrt, wer wen zu küssen h at" oder wer vor wem aufsteht.1’ Die Detaillierung des höfischen Lebens beschränkt sich überwiegend auf die materielle Kultur: kostbare Stoffe, Pferde, Waffen, Edelsteine und -metalle, deren Pracht endlos angehäuft wird. Die vielgeschmähten .Schneiderstrophen1 sind alles andere als Füllmaterial im heroischen Ablauf. Sie haben höfischen Überfluß und damit Macht und Ehre anzuzeigen. Jedes Abenteuer wird mit großem materiellen Aufwand vorbereitet, und zwar keineswegs nur im Dunstkreis von Worms. Auch über die rauhen Sitten Isensteins weiß Sivrit zu berichten: Wat die aller besten die ie man bevant, die treit man fallen stften in Prünhilde lant.

(544,if.)

Das ist keine unangemessene nachträgliche Überformung, sondern der gewöhnli­ che Ausdruck von Macht und Glanz eines Herrschaftszentrums. Prachtentfaltung ist eine Seite von Hof, die beim höfischen Roman in den Hin­ tergrund tritt, weil das Ethos einer exklusiven Rittergesellschaft, die komplexen Prozesse der Identitätsbildung und das prekäre Verhältnis von Einzelnem und G e­ sellschaft größeres Interesse fordern. Doch findet sie sich dort nicht minder; sie gehört zur höfischen Kultur des Mittelalters.'4 Vom höfischen Roman unterscheidet sich das .Nibelungenlied1 jedoch darin, daß die materielle Kultur nahezu als ein­ ziger Aspekt höfischer Lebensform gilt. Dieses reduzierte Konzept von H of ist typisch für mittelalterliche Heldenepen. H o f ist weder ein ausgezeichneter Ort noch eine ausgezeichnete Lebensform, son­ dern vor allem Anhäufung und verschwenderische Verausgabung von Reichtü» Vgl. S. 181. 10 Sivrit erläutert seinen Gefährten, daß es in Isenstein hovesite sei, die Waffen abzugeben (A 390,4); ähnlich neutral, aber ohne das Reizwort hovesite die Vulgatfassung nach B: do begonde im S lfr it da von diu rehten m are sagen (406,4; vgl. C 415,4). " Jaeger (1983), S. i94f.; vgl. S. 1 78f.: in Übereinstimmung mit chronikalischer Darstellung. 11 Etwa beim Empfang in Bechelaren 165if. und 1665f. '* Etwa bei den Empfängen Rüedegers oder der Spielleute in Worms oder dem der burgondischen Könige durch Etzel. 14 Bumke (1986), Bd. 1, S. 137-275. 391

D a s Verspielen der höfischen A ltern ative

mern. Dadurch kann höfisches Leben leicht einen zweideutigen Anstrich bekom­ men. Im ,Wormser Rosengarten' kulminiert z. B. höfisches Leben im Kleiderprunk; dieser ist Ausdruck von Selbstwertgefühl (Ro A 178-180), das aber in den Augen anderer stets Gefahr läuft, in höchvart, rücksichtslose Präpotenz, umzuschlagen; eben dies wirft der rauhbeinige Wolfhart Kriemhilt vor, wenn sie ihr Gefolge auf­ fordert, sich prächtig herauszuputzen {gieret iuch diu ba%, Ro A 178,2; vgl. i 8i ). m Solche Pracht gehört andererseits, durchaus nicht negativ bewertet, zu einem großen Hof. Beim Luxus der Kleider, Waffen, Gerätschaften usw., wie ihn die ,Kudrun‘ erzählt, ist wichtiger als die konkretisierende Beschreibung die Tatsache der Kostbarkeit. Höfische Standards werden vorwiegend quantitativ bestimmt: Hagene sine frouwen niht unberuochet lie%. baden %e allen sften er si vlîvfclîchen bie%.

(K :62,if.)

Ein Hof, an dem unablässig gebadet wird (eigentlich: der Herr die Frauen baden läßt), ist .höfischer' als andere. Dabei hängt diese Schauseite höfischer Zivilisation durchaus mit höfischer Friedenssicherung zusammen, wie sich zeigt, wenn Kudrun die Rückkehr zum Frieden vorbereitet: Auch dann wird erst einmal gebadet, und die Kontrahenten werden eingekleidet: Ktidrün die beide tougen baden bie% unde schöne kleiden und hin %e hove bringen.

(K i6oo,2f.)

So gibt es zwischen den Elementen materieller Kultur und dem Programm höfi­ scher Ethik durchaus einen untergründigen Zusammenhang. Die Ethik selbst aber wird im heroischen Gattungshorizont unmittelbar nicht entfaltet, nicht einmal dort, wo es, wie in der ,Kudrun', um eine Kritik an heroischen Gewaltmechanismen geht. So kann ein höfischer Zentralbegriff wie fuoge auf jede Art von Proportion an­ gewandt werden; z. B. heißt über das Heer der Sachsen, da% wider siner helfe mit unfuoge wac (181,2), d. h. es steht (zahlenmäßig) in keinem Verhältnis zum burgondischen Aufgebot, ist ihm weit überlegen. Uber die Teilhabe an höfischer L e­ bensform ist damit weder für die eine, noch für die andere Seite etwas gesagt.16 Wenn Volker die wegemüeden recken (1818,2) in den Schlaf musiziert, heißt es: sin eilen

der fuoge diu beidiu waren gro%.

(1835,2)

Mit fuoge ist nicht mehr als das Beherrschen schöner Proportion durch den Musiker gemeint, während eilen seine Qualität als Heros unterstreicht. Beides geht minde­ stens anfangs zusammen.1 11 Ro A wendet diese Bezeichnung aber nicht nur auf Kriemhilt an, sondern auch auf Dietrich (Ro A 170,4), dessen höchvart man mit prächtigen Kleidern begegnen muß - was meist übersehen wird, wenn das Scheitern des Rosengarten-Turniers allein auf Kriemhilts Arroganz zurückgeführt wird. ’6 Anders de Boors Kommentar: „Den auserwählten, ritterlich geschulten Burgunden stellen die Sach­ sen ihre kulturell und technisch unterlegene Massenhaftigkeit entgegen“ (S. }6).

Turnier und G ew alt

Turnier und Gewalt Feudale - heroische, höfische - Epik ist durchweg vom Prinzip des Agonalen bestimmt, und das .Nibelungenlied4 macht da keine Ausnahme.'7 Die Handlung verläuft - typisch für eine Adelskultur - zwischen Kampfspiel und militärischer Auseinandersetzung. Ritterspiele entstehen nicht erst in der höfischen Kultur des 12. und 13. Jahrhunderts; dort aber werden sie zum zentralen Kulturmuster einer agonal strukturierten Rittergesellschaft, indem sie einem Apparat von Regeln un­ terworfen werden, die den latenten Gewaltcharakter kontrollieren sollen und den Sieg im K am p f zur zweckfrei schönen Demonstration machen. Das .Nibelungen­ lied* hat an diesem Kulturmuster teil, doch geraten die Kontrollmöglichkeiten und damit Bedeutung und Funktion der Kampfspiele nach und nach ins Zwielicht. Im ersten Teil scheinen die Spiele, im zweiten der Vernichtungskampf zu domi­ nieren, doch lösen sich die Gegensätze bei näherem Zusehen auf. Damit wird eine Grenze verwischt, die zumal für die höfisch-ritterliche Epik, ihren Entw urf der äventiure und die Bestimmung von deren Grenzen große Bedeutung hat:1' die G ren­ ze zwischen direkter und formalisierter Gewalt, die wiederum in verschiedener Weise von der Abgrenzung zwischen legitimem und illegitimem Handeln überla­ gert wird. Aus der Ausgangssituation des .Nibelungenliedes* ist direkte Gewalt ausge­ schlossen. Gewalt gehört in die Vorgeschichte. Sie hat sich im burgondischen Machtpotential verfestigt: ]/on des hoves krefte und von ir witen kraft, von ir vil höhen werdekeit und von ir ritterscaft, der di herren pjlägen mit vröuden al ir leben, des enkunde iu %e wäre niemen gar ein ende geben.

(iz)

Das ist Vergangenheit. Sivrits Jugendabenteuer, bei denen er die Könige eines fremden Landes tötet und dort die Herrschaft samt einem riesigen Schatz gewinnt, werden temporal nicht eindeutig situiert; sie .liegen zurück*, wenn der Erzähler anhebt, von der höfischen Harmonie in Worms und Xanten zu erzählen. Als gewaltsame Auseinandersetzung um die Herrschaft ist Sivrits erstes E r­ scheinen in Worms angelegt, wenn auch nicht, wie Sigemunt vorgeschlagen hatte, als hervart (58,3), sondern schon kanalisiert zum Zweikam pf mit dem fremden Herr­ scher. Doch ersetzt hier nach einem längeren Wortgefecht das Turnier den Zw ei­ kampf, die formalisierte die direkte Gewalt: Sivrit wirft sich auf Ritterspiele, bei

'7 Pérennec (19 75), S. 13 hat auf die Omnipräsenz des Agonalen verwiesen und auf das Fehlen (besser vielleicht: das rasche Überschreiten) der Grenzen zwischen Spiel und ernstem Kampf. '* Vgl. etwa ,Wigalois‘ 10183: hie enist niht äventiure, heißt es, wenn an die Stelle aventiurehafter Bewäh­

rung im ritterlichen Zweikampf eine Fehde mit großem militärischen Aufgebot tritt. 395

D a s Verspielen der höfischen A ltern ative

denen er zeigen kann, was er im Ernst nicht zeigen durfte: so was er ie der beste swes man da began/[ ...] sô si den stein würfen oder schufen den scaft (150,2; 4). Seine Überlegenheit hat keine Konsequenzen für die politische Ordnung, son­ dern mehrt nur sein Ansehen. Die entlastete Form agonaler Auseinandersetzung antizipiert freilich ein weniger harmloses Spiel später, denn er brilliert genau in zwei der Disziplinen, in denen er in Isenstein Prünhilt besiegen muß: sô si den stein würfen oder schufen den scaft (130,4). Noch geschieht das ohne Risiko, bloß zum Zweck der Demonstration von K raft und Geschicklichkeit. Gefahrlos ist es auch, wenn er seine K raft im Dienst Gunthers nach außen wendet, im K rieg gegen die Sachsen; dort darf er das wiederholen, was im Inneren nur als geregeltes Spiel erlaubt ist: der Beste im K am pf sein. Der K rie g 19 erweist sich als beherrschbar und mündet in ein großes Friedensfest, zu dem auch wieder Ritterspiele gehören (508). Der eine A gon ist in den anderen problemlos überführ­ bar; die Grenze zwischen legitimem und illegitimem K am p f verläuft nicht zwischen Spiel und Ernst. Das zeigt sich, nun aber auf problematische Weise, an Prünhilts Hof, an dem die driu spil, die jeder Werber mit der Königin zu spielen hat, ein hohes Risiko ent­ halten: gebrast im an dem einen, er bete da% houbet sin verloren (327,4). Was Prünhilt als spil diu starken veranstaltet (424,2), hat mit realer Gewalt das Ziel gemeinsam: eo^gât im an den lip (416,3). Solch ein spill° ist nicht gewaltlose Demonstration von Über­ legenheit, sondern lebensbedrohlicher Ernst und verbreitet daher Schrecken.21 Wie der Zweikampf, den Sivrit in Worms Gunther vorgeschlagen hatte, sollen die Spiele über den Erwerb von Frau und Herrschaft entscheiden, und so rüstet sich Prünhilt, sam ob si solde strîten umb elliu küneges lant (434,2). Obwohl Spiel, ist der Wettkampf feindliche Konfrontation: Die oft was disen recken ingelfe vilgedreut (430,1). Am Ende muß Prünhilt Gunthers Frau werden und ihren Leuten befehlen: ir suit dem künic Gunther alle wesen undertän (466,4). Ihre spil dementieren die höfische Unterschei­ dung zwischen tatsächlicher und spielerischer Gewalt. E s ist Sivrit, der dafür sorgt, daß das spil ein Spiel bleibt: E r dähte: „ich wil niht schienen daç scheme magedîn. “ er kêrte des gères snide hinder den rucke sin. mit der gêrstangen er schô% ûf ir gewant. (459,1—3) Daß die Grenzen zwischen Spiel und Gewalt aufrecht erhalten werden, gelingt nur unter dem Schutz der tarnhüt - als Betrug. Auch beim zweiten K am pf des Brautwerbungsabenteuers sind die Grenzen zwi­ schen Spiel und Ernst nicht klar, diesmal aus entgegengesetzten Gründen. Der Zweikam pf im Nibelungenland ist zwar ernst; er geht auf Leben und Tod, doch ’9 Es ist, worauf Seittcr (1995), S. 15 zf. verwies, der einzige im .Nibelungenlied“. ,0 So mehrfach: 432,2; 433,1; 467,4; 471,1. ”

4^5; 4 3 °; 4 3 8; 4 4 1-4 4 5 ; 45°-

394

Turnier und G ew alt

tatsächlich steht nichts auf dem Spiel, denn Sivrit ist schon Herr des Landes. Der Gegner bedroht sein Leben, doch hindert das nicht, seine Kräfte anerkennend sportlich zu taxieren: ein teil begondefürhten Sifrit den tôt, dô der porteneere so kreftecliche sluoc. dar umbe was im wage sin herre Sifrit genuoc.

(491,2-4)

Ein tödlicher Ausgang liegt wieder außerhalb der Absicht des Angreifers: er schönte siner sfihte als im diu tugent da^gebot (496,4), wobei die Schonung bezeichnenderweise an höfische Qualitäten (^uht, tugent) gebunden ist. Nachträglich erst erweist sich so alles als bloß spielerisches Kräftemessen. Mit der Rückkehr nach Worms hört diese Vermengung von Spiel und Ernst wieder auf; zum Hochzeitsfest der Könige gehören glänzende Turniere (596-598; 646f.), ebenso wenn Sivrit und Kriemhilt Worms besuchen (797; 808-810). Doch dann ist es ausgerechnet anläßlich von ritterschefte durch kur^ewile wän (814,3), daß die Auseinandersetzung der Königinnen um Sivrits Status gegenüber den Wormser Königen eskaliert. Die Situation läßt eigentlich Herrschaftskonkurrenzen nicht zu, klammert sie gewöhnlich aus, indem jeder Kämpfer als potentiell gleich gilt. Ein Statuskonflikt ist hier nicht am Platz. Trotzdem schlägt der Streit der Königinnen darüber, wer sich als der glänzendste Turnierkämpfer erweist, um in den Streit darüber, wer wem untertan ist, das gewaltlose Ritterspiel in einen Machtkampf. Anders als am Ausgang der dritten Aventiure kanalisiert das Kampfspiel jetzt nicht mehr Gewalt, sondern treibt sie erst hervor und erlaubt, Feindschaft verdeckt auszutragen, noch freilich nicht durch die Kämpfer selbst. Die Kontamination von Spiel durch Ernst setzt sich bei der Erm ordung Sivrits fort, deren Rahmen eine Jagd und deren Anlaß ein Wettlauf ist. Der Wettlauf dient als Vorwand, den Gegner zu entwaffnen und gefahrlos zu beseitigen. Sivrit gewinnt den L a u f und verliert sein Leben; Gunther unterliegt im Wettkampf und wird einen gefährlichen Gegner los: hat nu a//e% ende unser sorge unt unser leit. wir vinden ir vil wênic, die türren uns bestän.

(993,2h)

Die Bedeutung von bestän bezieht sich zugleich auf den (verlorenen) Wettkampf und den (gewonnenen) Machtkampf. In der langen Agonie der Leiden Kriemhilts haben Kampfspiele keinen Platz. Erst an Etzels H o f kehren sie wieder, doch immer unverhüllter als Anlaß von Provokation. Schon der Aufbruch zu Etzels Fest gleicht einem Kriegszug,“ und wie auf einem Kriegszug müssen die Burgonden ihr Leben verteidigen. Das fried­ liche Messen der Kräfte wird an Etzels H o f zum Vorwand für Gewalt, zuerst beim bühurt. Gewöhnlich dient ein bühurt der Demonstration von K raft und Geschick- 1 11 Seitter (1995), S. 155. 395

D as Verspielen der höfischen A ltern ative

lichkeit im Tummeln der Pferde vor dem Hof, den Frauen und dem K önig; er ist kursçewîle (1873,5; 1882,1), indem er friedlich Reiterkampf simuliert: des wart von den beiden sît vil hêrlîch gerit en (1871,4). Ein bûburt riche[] gehörte zum Em pfang Prünhilts in Worms (584,1; vgl. 624). Auch damals war er laut vom Zusammenprall und Getöse der Waffen, staubig, als stünde das Land in Flammen (5 96,3h). Aber er unterlag der Kontrolle des höfischen Festes. So hieß es von Hagen: den buhurt minnecliche dö der heit geschiet, da% si ungestoubet liefen diu vil schcenen kint. des wart dö von den gesten gevolget güetliehe sint.

(598,2-4)

Die Unterbrechung des Vergnügens, um anderen Vergnügen (kur^ewilen, 600,2) Platz zu machen, gelang damals leicht (598,4), denn der bühurt war nichts als ein Spiel. An Etzels H o f ist dagegen von Anfang an Gewaltbereitschaft: erkennbar; man sieht, da% in ummuote waren die Guntheres man (1876,3). Das Spiel, das Gewalt meidet, indem es Gewalt simuliert, lädt zur verdeckten Gewalt ein. Für Volker scheint das Spiel eine günstige Gelegenheit zum Losschlagen zu bieten, eine Chance, die leider verpaßt wird: ich wetn’ uns dise recken türren niht besinn, ich hört’ ie sagen metre, si wetren uns geha nune kunde^ sich gefHegen %wäre nimmer mère ba%

(1883,2-4).

Wieder oszilliert bestdn zwischen Spiel und Ernst. Kurz darauf dient Volker der bloße Anblick eines hiunischen Höflings als Anlaß, die spielerische Ostentation für einen Gewaltakt zu mißbrauchen, und sogleich mischen sich Hagen und seine Leute in das spil (1890,3), das jetzt schon Kampfgetümmel ist, und die Könige folgen. So werden die Barrieren zwischen simulierter und realer Gewalt niedergerissen. Das Kampfspiel erweist sich als bloße Fassade, die nicht standhalten wird, seine Regelhaftigkeit als Lüge und Deckmantel für Intrige. Solch eine Überblendung von Kampfspiel und K rieg findet sich auch sonst in der Parodie höfischer Ordnung aus heroischer Perspektive. Im ,Rosengarten“ 3 wer­ den Kriemhilts Einladung zu einem Turnier und die Kampfspiele selbst als em­ pörende Herausforderung*4 gebrandmarkt. Bestimmend ist dort das bekannte ne­ gative Kriemhilt-Bild, wie es die ,Klage* zu korrigieren trachtet, das Bild der herrschsüchtigen und blutgierigen Frau, deren hôchvart (Ro A 173,4; 178,1) sich den Willen der Männer unterwirft. Die Übernahme dieses Bildes in das*14 11 Nach Ro A; zur Verschärfung von Begriffen wie übermuot, hôchvart usw. in diesem Text vgl. S. 237— 243. ■ __ 14 Heinzle (1978) meint, daß nicht die Herausforderung als solche, sondern deren beleidigende Über­ steigerung durch Kriemhilt kritikwürdig ist und bestraft wird (S. 247-252). Im .Rosengarten* gibt es aber keine andere Form der Herausforderung als diese, und es ist nicht die Form, die gebrandmarkt wird, sondern die Tatsache.

Turnier und G ew alt

,Rosengarten‘ -Epos ist umso seltsamer, als Kriemhilt dort keineswegs ganze Reiche in die Katastrophe stürzt, sondern nur ein Kräftemessen zwischen rheinischen und südostdeutschen Helden vorschlägt. Dies wird als bösartige Willkür diffamiert, denn Kriemhilt ist kein leit zugefügt worden (Ro A 188,2), - als ob es darauf bei einem Turnier ankäme! Die Unterscheidung zwischen Spiel und Ernst fehlt; sie wird überlagert von der nach legitimer und illegitimer Gewalt. Der Willkür einer Frau zu folgen, gefährdet das Leben vieler Männer (Ro A 17 4 ,jf.). Dahinter steckt jener übermuot (Ro A 176,2),25 der Auslöser heroischer Katastrophen ist. Gewiß, heroischer K am pf wird parodiert, indem der Ausgang insgesamt komisch und grotesk,26 statt katastrophal ist (die Zweikämpfe gegen die Riesen gehen allerdings tödlich aus). Doch wird die Überführung von ernstem K am pf ins Kampfspiel denunziert, der Unterschied zum blutigen K am pf geleugnet. E s ist ein hertei£ spil, das man ^ornliche (Ro A 194,1 ), griulichen (Ro A 199,2), vreislicbe (Ro A 210,3), mit grimme (Ro A 222,1) usw. ausficht und wie einen Kriegszug mit 60.000 Mann vorbereitet. Dabei ist die Domestizierung ernsten Kampfes überdeut­ lich, als geregelte Folge von Zweikämpfen im umhegten Bezirk {garten) mit nur symbolischer Auszeichnung durch die Dame (ein Kranz, Umarmung und Kuß, Ro A 150,3). Doch wird die Transformation des K riegs zum Wettkampf als frivol ausgegeben: wir müe^en iuwer gespötte sin, /da\ wir durch rosen willen sin körnen an den Rin (Ro A 173,1F ). Auch solch ein K am pf ist willkürliches Morden (ir seht gerne morden die recken unvertteit, 187,3).27 Da Kampfspiel und Gewalt von vorneherein ununterscheidbar sind, kann das Morden paradoxerweise ewigen Ruhm begründen: daß hernach über tüsent jär/m an von uns Seite und sünge (Ro A 152,1F ). Der Versuch einer friedlichen Kanalisierung des Krieges, wie sie das höfische Turnier anstrebt, wird in der grotesk-widersprüchlichen Struktur des .Rosengarten' ad absurdum geführt. Eine Verwischung der Grenzen kennzeichnet auch den ,Biterolf‘, wobei dort freilich die fatale Bewegung des .Nibelungenliedes* von höfischer Ordnung zur Katastrophe umgedreht werden soll.28 Ins Werk gesetzt wird ein gewaltiger Feldzug der Helden Etzels an den Rhein gegen Gunther und die Wormser. Anlaß ist nicht 21 Das ganze Vokabular entspricht heroischem Selbstgefühl, angefangen von den stolzen N ibelunge (Ro A 177,3); .verkehrt* ist das, weil dahinter die höchvart einer Frau steht; vgl. S. 193. 2]. Wolfram von Eschenbach: Parzival, hg. v. Karl Lachmann, 6Berlin 1926/1965, S. 11-388 [Pa], — Willehalm, hg. v. Karl Lachmann, 6Berlin 1926/1965, S. 421-640 [Wh].

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D ic h te r

alter maere.

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E ijir ö

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Mort

o d er

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P eter

G ö h le r :

D as

N ib e lu n g e n lie d .

E rz ä h lw e ise ,

F ig u re n ,

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lite ra tu rg e ­

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U n te rsu ch u n g e n

zu m

N ib e lu n g e n lie d

(E H S

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-

W ein versch ü tten u nd M in n etrin k en . V e rw e n d u n g u nd U m w a n d lu n g m e tap h o risch e r H a l-

-

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K.

Stein :

D ie tric h

von

B e rn

im

.N ib e lu n g e n lie d 1. B e m e rk u n g e n

zu r

F rage

der

.h isto risch -ze itg e sch ich tlich e n 1 B e tra c h tu n g h o ch m ittelalte rlich e r E r z ä h ld ic h tu n g am B e i­ spiel des .N ib e lu n g e n lie d e s1, in: N ib e lu n g e n lie d u nd K la g e ( 1 9 8 7 ) , S. 7 8 - 1 0 6 . B ria n S to c k : T h e Im p licatio n s o f L ite ra c y . W ritten L a n g u a g e and M o d e ls o f In terpretation in the E le v e n th and T w e lfth C en tu rie s, P rin ce to n 19 8 3 . W ilh e lm S tö rm e r: F rü h e r A d e l. S tu d ie n zu r p o litisch en F ü h ru n g s s c h ic h t im frä n k isch -d e u t­ schen R eich v o m

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telalters 6 ,1 ; 6 ,2 ), S tu ttg a rt 1 9 7 3 . -

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-

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„n u

sehent,

w ie

der

sin g e t!“

Vom

H e rv o rtre te n

des

S ä n g e rs

im

M in n e sa n g ,

in:

.A u ffü h r u n g 1 und .S c h r ift1 ( 19 9 6 ), S . 7 - 3 0 . -

E in fa c h e R e g e ln -

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594N o rb ert

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N ib e lu n g e n k la g e

und

N ib e lu n g e n lie d ,

in:

H o h e n e m se r

S tu d ie n

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L a lettre et la v o ix : D e la „littérature“ m édié vale, Paris 1 9 8 7 .

W

e r k r e g ist e r

Strophen des ,Nibelungenliedes' i: 2:

99t., 103t, 136 99f., 105, 303

3:

99, 108, 1 10, 191

4: 5: 6: 7: 8:

100, 108, 110, 358 io8, 110, 348 99, 108, 110, 303 99, 108, n o 99, 108, n o 99, 108, n o , 171 9 9 ,1 0 8 ,1 1 0 ,1 7 1 ,3 9 0 ,4 1 9

9: 10: ii:

12: 13: 16: 17: 19: 20: 21: 22: 23:

24:

99.

99,

75;

82: 84: 85: 86: 87:

100, 108, i n , 228, 400

88:

89: 90: 91: 92: 9j: 94: 95: 96: 97: 98: 99: 100: 101: 102: 103: 104: 105: 106: 107: 109: no: i i 2: ny. 114:

109, 1 26f. 127

43:

1 27 >

44: 46: 47: 48: 50:

73:

99 99 99 105, 234 I26f., 234, 303, 337

29: 33:

26: 27:

86, 401, 405 86, 393, 405 401 7 I : I27. 323 72: 234, 323

Io8> 110> ' 7 ». 3 9 ° 108, n o , 171, 390, 393

109, 127, 129, 262 109, 127 109 109, 348 348 381

25:

57: 58: 59:

173 109, 127 109, 165 109, 127, 400 109, 127, 401

127

51:

127.401

53: 54: 55: 56:

165, 241, 401, 407 165, 241, 401, 409 401, 405 401

477

337 323

186, 309, 420 234, 323 234 126, 186, 211, 234, 235 108, 126, 13of., 133, 339 i26f., 130, 132, 135, 339 126, 130, 136, 339 126, 132, 136, 234, 339 126, 339 126, 135, 339 126, i32f., 339 126, 13if., 339 126, 132-134, 173 126, 131-133 12 6 ,13 1,13 3 ,4 4 8 126, 133, 135, 339 126 126, 1 31, 135, 243 126, 136, 375 234, 323, 37 5f. 234, 323, 360 376 376, 410 410 249 171, 173, 360 410 171, 360 171 171, 410

Werkregister

115: 116: 117: 119: 123: 124: 125; 126: 127: 128: 129: 130: 131: 132: 133: 134: 135: 136: 137: 138: 139: 140: 141: 142: 144: 146: 148:

i 71> 174 1 81, 384 1 81, 238 384 238, 366, 405 360 384 376, 410, 430 361, 410 263, 379, 410 263 394 2 5 1,4 11 250,411 251, 263, 300, 302, 324 218, 263 218, 324 218, 263 218, 366 110 ,115 ,2 6 3 ,3 8 4 no, 319 320 300, 320, 384 376 205 320 213, 301

I 49:

213

151: 152;

238 354

*53:

213

154: 214 157: 214 158: 213 161: 172 162: 390 164: 4 11 166: 3 53 167: 238 169: 384 ijy . 390 174: 214, 175: 238, 178: 390 181: 242, 182: 177 188: 209, 189: 209

241, 402 320 392 430

196: 199; 200: 201: 203: 204: 205: 209: 210: 212: 216: 218: 225: 230: 235: 240: 241: 243: 251: 252: 253: 254: 256: 257; 258: 259: 260: 269: 270: 273: 274: 2751 276: 277: 278: 279: 280: 281: 282: 283: 284: 286: 287: 288: 289: 290: 291: 292:

478

385 430 390 284, 390, 430 430 382 430 177 385 430 177 430 165 430 390 238 165 242, 263, 324 281 430 430 238 400 1 15 406 412 263, 406 430 430 360, 400 263, 400 301 302 264, 302 302 302 263F., 302 264, 324 264, 324 241, 264, 324 241 264, 385 263^, 382 264 406 264, 301, 376 265 16 5 ,24 1,376 ,4 12

Nibelungenlied

293: 294: 295: 296; 297: 298: 299: 300: 303: 305: 308: 3 11: 312: 313: 3 *4 = 3 * 5: 321: 323: 324: 325: 326: 3 27 : 328: 329: 33°: 331: 333 = 334 = 335= 336: 337: 338: 340: 341: 343 : 344 : 345: 346: 347: 348: 349: 350; 35 I: 352: 353: 354: 355: 356;

165, 2&5> 37» 165, 21 8, 265 324

265, 399 26 5 266 266 264 165, 265, 366 266, 324 394 368,411 430

411 357, 368,411 357

266, 317, 406 266 IIO

87,108,110,113,241

87, 98, 108, i n , 304 394

412

111,113,403 83

8?f. 358 358

362 82 83, 243

83, 243 86, 240

86, 172 403 253, 39 1 86

86 266, 302 266, 302 266, 301 f. 241, 302, 403

302> 403 302

266, 302 90, 302, 403

9°, 302 90, 302

357 : 358; 359 * 360: 361: 366: 368: 369: 370: 37 2: 378: 381: 382: 384: 385: 386: 387: 388: 389: 390: 39 *: 392: 393: 394: 395 : 396: 397: 398; 399 : 401: 402: 404: 4°6: 4°7: 408: 409: 4 11: 412: 4 *3 : 414: 415: 416: 417: 418: 420: 421: 422: 423:

479

9°. 3° 2

302 3°*f302 302 385 91 302 91 4° 2 332 242 81, 84 81 285 80 239 90, 407 267, 324 190, 242, 267 207

236, 267, 403 236f., 267 267 z67

89, 236, 268 89 89, 236, 268, 324 23 5

89, 268 235 268 83, 379, 391 81, 379 268 89, 2 11 236 89, 236 89 89, 236 89, 236 132, 394 268 324 88f., 366 89, 366 89, 366 178

Werkregister

424: 4 2 5: 428: 43 o: 43I: 432: 433 : 434 = 437 = 438: 441: 442: 443 : 444: 445 : 446: 447: 448: 449 : 450: 452: 453: 454: 455: 458: 459 : 461: 462: 465: 466: 467: 47 I: 472: 473: 474: 475 : 477 = 481: 482: 483: 484: 485: 486: 487: 488: 49 i: 492: 493:

496; 498: 499: 500: 5oi: 502: 504: 506: 507: 508: 5° 9 : 510: 5 11: 512: 5 r 3; 514: 515: 516: 5i 7 : 518: 5I 9 : 520:

394 394

38; 83, 394 259, 288, 385 259, 288, 394 25o, 394 394 337

191, 394, 441 337, 394 91, 191, 394, 441 *9 *» 394, 403 240, 379, 394 379> 394 83, 240, 250, 379 83, 250, 349, 379, 441 83, 250 337

191, 394 288 91, 243 258, 414 91, 288 243, 430 9 >. 394 385 206, 385 206, 271 172, 250, 394 394 9°, 394 90 90 241 >72 379

172 259 259, 332, 385 129, 1 31, 304, 339 127, 1 31 2 59 259 259 395

260, 339 260

530: 53 i: 532: 543: 544: 546: 547: 549 : 550: 551: 552: 553: 554: 555 : 356: 557 : 558: 559 560: 561: 562: 563: 564: 578; 579:

480

395 260 259 140, 173 339

339 260 252 423

269, 324 *73 » 269 376 94, 324, 376 94, 381 94, 349 93f., 349

93f. 93f., 349 93

93f., 349 93

93, 349 93 , 349 84, 403 84

84 241 400, 402 266, 302 262, 266 3°2

266, 301 f. 266, 30if. 266, 302 302,413 302 3°2 302,413 3° 2, 359> 413 302,413 3°2

302 266, 302 302 390 390 241 251

Nibelungenlied

580: 581: 582: 583: 584: 585: 587: 589; 59°; 591: 592; 593 : 594: 596; 597: 598; 599 : 600: 602: 604: 605: 608: 609: 610: 6 11: 612: 613: 614: 615: 616: 617: 618: 619: 620: 621: 622: 623: 624: 626: 627: 633: 635: 639: 643: 644: 645: 646: 647;

251 3°2 302, 376, 390 39° 251, 396 251, 381 251 251 251 376 252 276

251 395 f. 376, 395 382, 395, 396 399 396 241, 399 269, 298f., 425 425 358, 362 301, 358 302, 358 269, 299, 310, 358, 426 358, 362 165 165, 266 165 251, 269 269, 320 269 269 269, 276 269 276 367 396 321 321 260 270 260 212 198, 381 212, 270 395 213,251,324 ,39 5

649: 650: 651: 653: 661: 662: 663: 665: 667: 668: 671: 673: 675: 676: 677: 678: 679: 680: 684: 685: 686: 687: 690: 693: 694: 695: 696: 697: 698: 699: 7°o: 702: 706: 710: 713: 714: 7I 5: 716: 717: 718: 719: 720: 721: 722: 723: 724: 725: 726: 481

213,441 288 213 288 260 260 iGof. 261 261, 272 261, 272 243 192, 242 243 43of272 243 192, 213, 271 261 242, 273f. 273, 346 111, 213 1 15, 383 360 517 i4of. 14of. i4of. i4of., 165 i4of., 165 93, Mof., 155, 165 i4of., 155, 165, 302, 317 93, i4of. 332 227 399 173, 250, 298 123, 173, 176 1JI» ” 5 1 11 1 1 1 , 174

in i n , 126 h i , 253, 385 h i , 173, 241, 339 i n , 173 1 1 1 ,1 7 3 ,1 7 6 ,2 5 1 1 12 219, 288, 317 270, 276, 288

W erkregister

7 27 :

728: 729: 739 : 741: 742: 744: 748: 750: 75 2: 754: 758; 764: 77 I: 773 774: 775 : 77 6: 777: 77 8: 779 : 7 8o: 781: 786: 787: 788: 789: 790: 792: 793: 794: 795: 797: 799: 800: 801: 802: 803: 804: 805: 806: 807: 808: 809: 810: 811: 812: 813:

J l8> 332 178, 367 276 332. 339 219, 300 300 300 241 241, 262 3i 8 369 318, 332 355 276 355

145, 179. 339 M5 39° 390, 424 332, 339 332 332

332 186, 376 241, 376 251, 381 241 144, 262 399 251 1 86, 262, 378 251 251, 383, 395 227,251,277,376 1 1 2, 383 1 12 112 1 12, 376 112 1 12 1 12 1 1 2, 383 112, 383, 395 1 12, 219, 241, 395 1 12, 324, 395 112 112 112

814: 815: 816: 8 i 7: 818: 819: 820: 821: 822: 823; 824: 826: 827: 828: 829: 830: 831: 833; 834: 835 : 836: 837; 838: 839: 840: 843: 845: 846: 848: 849: 850: 851: 852: 853: 854: 855: 856: 857: 858: 859: 860: 861: 862: 863: 864: 865: 867: 868:

482

277, 395 277,324,415 415 277,321,415 277,321,415 277,361,415 277,366,415 92, 277, 366 277,415 277 415 f. 278, 361 278, 321, 361 179, 228, 278, 322 361 321 278, 361 310 310, 321, 347 3 IO> 321 278 278 278, 32if., 415 278,415 278 278, 322 279Ê, 310 279, 310 279 27 8f. 279, 283 279^, 3iof. 212, 279, 283, 311 361 280 281, 311 279 281 281, 311 281, 311 28if., 367 I91, 28lf. 191 283, 3 11, 322, 347 283 311 283, 361 160, 210, 3 11, 361

Nibelungenlied

870: 871: 873: 874: 875: 876: 877 : 878: 880: 882: 883: 887: 888: 891: 894: 896: 898: 906: 907: 908: 9I2: 913: 917: 921: 923: 924: 926: 930: 934 : 935: 936: 937: 938: 939: 941: 942: 947: 949: 95 °: 951: 952: 953: 954: 955: 956: 957: 959: 960:

112, 179, l86, 112, 210, 31 j, 284 284 251 160, 182 283, 300, 385 300 214 116, 284 214, 284, 385 214 284, 339 385 191 239E. 1 54f., 160 i 60 244, 385 244,431 385, 4°* 160 284, 313 448 1 55 448 312 284 339. 448 448 448 448 449 284 383 284 383 449 383 186, 244, 248, 248, 284 248, 284 243, 248, 284 186, 242, 248, 248, 284 248, 284 425 426

962: 963: 964: 966: 967: 968: 969: 970: 971: 972: 973: 976: 977: 978: 979: 980: 981: 982: 983: 984: 985: 986: 987: 988: 989: 990: 993 : 995 : 1000: 1001: 1002: 1003: 1004: 1005: 1006: 1007: 1008: 1009: 1010: io n : 1012: 1013: 1014: 1015: 1018: 1021: 1022: io2$:

2IO> 311 325

423

284

483

426, 449 284 42 5f. 42 5f. 426 426 425, 431 425f., 431 251, 284, 425 284 251, 284, 431 248, 284, 431, 449 186, 248, 431 418 426, 431 244, 418 244, 431 449 431, 449 431, 449 285, 449 285, 449 284 160, 431 160 160, 256 J79> J86, 395 1 55, 2J6 285 284, 287, 416 28; 240, 339 248, 28; 248 248, 285, 431 385 286 226, 385 286, 313, 431 339, 431 28 5f. 216 144 339 339 383 232, 383 2i6f., 383

W erkregister

1027: io 3o: 1033: 1034: 1036: 1043: 1044: io45 : 1046: io49 : 1050: 1051: 1052: 1053: 1054: 1055: 1056: 1057: 1058: 1059: 1060: 1061: 1062: 1063: 1064: 1065: 1067: 1068: io7 i: 1072: 1074: 1076: 1077: 1078: 1079: 1080: 1081: 1083: 1085: 1090: 1091: 1092: 1093: 1094: 1095: 1097: 1098: IO99:

339» 3»5 339

144, 144 216 286 286, 367» 286,

286

431 431 367

373

198 198 198, 198, 198 198 198, 198 198, 198, 198, 198, 198 198, 198, 198, 216 226

382 221

225 216, 339 350 350 350 226 216, 385 216

339

216 144 320, 386 154 167 225, 373 225, 373 154 339 154, 340 340 340 320 340 373 31 ?. 340 313 313, 340 II2f., 215 484

I IO O :

I I 21., 24O, 31 3

110 1: 1102: 1103: 1104: 1105: II06: 1107: 1108: 1109: m o: m i: 1 1 12: 1113 : 1 1 14: 1115 : 1 1 16: 1118: 1119 : 1120: 1122: 1124: 1126: 1127: 1128: 1129: 1130: 1 1 3 1: 1132: 1133: 1134: 1135: 1136: 1138: 1139: 1140: 114 1: 1142: 1143: 1144: 1147: 1156: 1157: 1158: 1160: 116 1: 1168: 1169:

113 nzf., 198 1 13 1 1 3, 217 113, 217, 373 II2f., 316 1 13, 14 5f-, 179, 340 316, 369 301, 316 363, 367, 369, 373 287, 363, 369 22 5f. 287, 316, 369, 376 147, 369 369 113, 340, 369 338, 340 337 338 115 338 16;, 225 155, 251, 287, 319, 350 146, 319 146, 167, 369 146, 192, 350 146, 166, 312, 363, 368f., 426 206, 363, 428 167 287 312 287 287, 312 207, 367 287, 313, 363 1 1 3, 167, 225 1 1 3—115, 164, 167, 225, 251, 253, 386 1 1 3, 211 211 197 251, 253 258 226 138, 2 11, 370 211, 370 138, 289 138

Nibelungenlied II70:

21 I, 37O

II7 I: II74: I I 77 : 1178: 1183: 1184: i ï 85: 1186: 1192: 1194: 1195: 1204: 1205: 1206: 1208: 1209: 1213: 1214: I2 I 5: 1218: 1225: I2 33 : I2 34 : 1238: 1242: I2 43 : 1244: 1245: 1247: 1 248: I254: I255: 1256: 1257: 1258: I2 59: 1260: 1263: 1264: I 27 I: 1272: 1273: 1274: 1276:

24I 334

1280: 1281: 1288: 1289: 1291: 1292: 1293: 1297: 1301: 1304: 1306: 1307: r 3° ® : 1310: 13 11: 1312: 1313: 1314: 1315: *3 i6: I 3I7: 1318: 1321: 1323: 1330: 1333: 1334: 1337: 1339; 1340: 1341: 1342: 1343: 1344: 1345: 1346: 1347: 1348: 1349; 1351: 1353: *354 1355: 1356: 13571 1358: 1359: 1360:

3°9

197 250 377 377 377 i7of. 21 if. 2 1 1, 217 1 54 197 320 372 372 372 372 39, 373 218, 226, 374 226, 245, 302 374 374

218, 227, 375 226 372

372 226f. 227 253 227 289, 365 365 161, 365 360, 365 227» 36 5. 375 2276 228 228 338, 340. 350 340 350 350 192

1277: 338, 35°f-

1278: 350 1279: 3 5of. 485

338, 351 313, 3;i 167, 231 167, 289 289 289, 289 289

351 333 305 231

333

399

399 289, 325 382 2 11, 262, 289 262, 289 399 333

289 » 333 289, 325 142 289, 351 289, 348 251, 289, 289 2 11, 227, 158, 289 158, 289 158, 289, 158, 262, 158,289 158, 289 158,289 158, 289 158, 241, 377 289 227, 251, 289 289 289 289 289 289 289 289

351, 373 289, 386

333 289

289

289

W erkregister

1362: 1363: 1364: 1365: 1366: 1367: 1368: 1369: i 37o: i 37 i: 1372; ï 373: 1374: *375 : i 377 : 1379: 2383: 1384: 1385: 1386: 1387: 1388: 1389: 1390: 1391: 1392: 1393; 1394: 1395: 1396: 1397: 1399: 1400: 1401: 1402: 1403: 1404: 1405: 1406: 1407: 1408: 1409: 1410: 14 11: 1412: 1413: 1414: 1415:

1416: 1417: 1418: 1419: 1420: 1423: 1425: 1426: 1427: 1428: 1429: 1431; 1434: M 35 : 1448: 1449: 1460: 1461: 1464: 1467: 1468: i 477 : 1478: *479 : 1480: 1482: 1485; i486: 1487: 1488: 1489: I 49 o: 1494: 1497: 15*4: 1515: 1518: 1519: 1523: 1524: I 525: 1526: 1534: I 535: 1538: 1539: 1541: 1544:

289 289 289 289 289, 3JI 289 158, 228, 340, 373 289, 35 1 351 ! 42 . 228, 34°, 347, 351, 374

289, 351 289, 351 347, 551, 355 333 333

211

373

351 1 14, 373 1 14 U4f., 228 1 14 1 14, 370, 374 114, 251 1 14, 158, 219, 219, 230, 232, 230-232, 318, 167, 219, 231 232 219, 232 219, 233 219, 233, 289 219, 233, 288, 233, 288 233, 288 263, 288 288 288 155, 233, 262, 155, 233, 288, 299 299 299 299 299 288, 299^ 288 216, 288

230, 262 340 378

289^

288 299

486

262, 288 288 288 288 289 386 356 513 356 356 334 309 355 555

262 262 320, 369 320 187 402, 419 419 i8 5

251 354

356, 386 354 31 3f. 314 354 354 355 355, 356 386 386 334

314 424 402, 424 194, 220, 340, 431 1 81 313

340 2 11, 290 ‘ 32

2 11 290 290 305

N ibelungenlied

1 545: 1547: 1548: 1549; 1550: 1 551: 1552: 1553: 1554: 1555: 1556: 1558: 1559: 1561: 1566: 1567: 1568: I 57 I: 1572: 1575: 1576: 1577: 1578: 1 579: 1589: 1591: 1593: 1594: 1595: 1600: 1601: 1602: 1603: 1606: 1608: 1609: 1613: 1617; 1619: 1620: 1621: 1622: 1623: 1624: 1625: 1627: 1629: 1630:

1631: 1632: 1633: 1635: 1636: 1637: 1638: 1642: 1643: 1651: 1652: 1657: 1665: 1666: 1667: 1668: 1669: 1675: 1676: 1677: 1678: 1691: 1692: 1695: 1697: 1699: 1700: 1705: I 7° 7 : ifi2: ifiy. 1715: 1716: 1717: 1718: 1719: 1720: 1721: 1722: 1723: 1724: 1725: 1726: 1730: 1732: 1733: 17351736:

3°5

305f. 306, 308 239 306 242 , 306, 359 306 240, 306 306 307 307 226, 307 209, 308 240 290, 431 290, 431 97, 290, 431 336 307 195 137, 206 137 195, 206 J95

290 306, 334 187 197 211 290 290 290, 334 187, 306 369 187 187 187 334, 431 431 290 334 334 290, 334 206, 290, 432 206, 432 334f. 334 1 1 5, 333 487

336 142 143 143. 336 335 335

335 I42f. 143 391 391 376

391, 391 378 432 399, 182 182, 182, 182, 115 1 1 5, 352 143 143 143 399

440

420 352 352 352 352

399

333 341 342 138, 326 138, 291, 326 342 300, 326 326 197 376 326 215, 340 220, 34 1, 374 74, 220, 342 215 300 340 322> 342 342

W erkregister

I 737 : 1738: »739 : 1740: 1741: 1742: 1745: 1746: 1747; 1748: 1749: 1750; x755 : 1757: 1758: 1759: 1760: 1761: 1762: 1763: 1764: 1765: 1770: 1771: >77 2: 1773: 1774: r775: 1776: I 777 : 1778; 1780: i 7 8i: 1782: 1783; 1784: 1785: 1786: 1788: 1789: 1790: 1791: 1792: 1794: 1795: 1797: 1799; 1800:

i 8o i :

32> 342, }77 347, 377 377, 416 416 342, 416 342, 4i6f. 380, 417 380, 417 417 128, 167 168, 290, 322 318, 378

1802: 1803: 1804: 1805: 1806: 1807: 1808: 18 11: 1812: 1816: 1817: 1818: 1819: 1820: 1821: 1822: 1823: 1824: 1825: 1826: 1827: 1828: 1832: 1834: 1835: 1836: 1837: 1839: 1841: 1842: 1843: 1844: 1845: 1850: 1851: 1852: 1853: 1854: 1855: 1856: 1858: 1859: i860: 1861: 1862: 1863: 1864:

399 157

319 319 300, 319, 322 258, 326 290, 326 291 291 359 291 291 327

420 361, 420 420 342 >37

157 361, 377, 420 377, 420 1 51 , 361, 377, 420, 421 151, 29lf. 151,29 1 292 186, 322, 377, 421 155 291 292 166, 292, 369, 420 239, 292 292 292 251 292, 322 301 488

158 250, 301, 382 250, 292, 3oof., 382 300, 318, 378 301, 319 301 318 295, 322, 377 293, 318, 378 183, 318, 432 1 16 432 336, 392 336 382 382 336 183, 336 322, 336 336 336 336 336 322 183, 322, 336 336, 392 183, 322 293 322 258, 293 322 322 322 293 196 196 196 196, 380, 422 196 196 196 377, 382 382f. 382 155, 380 380 303, 380 293

N ibelungenlied

1865: 1866: 1867: 1869: 1870: 1871: 1872: i

1 16, 323, 383 300, 183, 396 300,

1923: 1925; 1926: 1927; 1928; 1929:

240 383 327 342 383

* 93 I: 541, 38o> 427

1932: 1935: 1937: 1938: 1940: 1942: 1943: 1946: 1947: 1948: 1949:

873 : 34 ' , 342, 396

1874: 1875: 1876: 1877: 1879: 1880: 1881: 1882: 1883: 1884: 1885: 1886: 1887: 1888: I890: 1890:

188 188, 323 396 323 327 341 383 327, 380, 396 396 341 422f. 323, 422 183, 256, 327 293, 327 293, 327, 386, 396 24I

i 893 :

327 , 38o> 386

1894: 1895: 1896: 1898: 1900:

323, 383 380 294, 368 208 342

432, 433 76, 294 76 76, 256

19 5 5 : 76 , 4}2

1956: 1957: 1958: 1959; i960: 1961: 1962: 1963: 1964: 1965: 1966: 1967: 1968: 1969: 1970: 1971: 1972: 1974: 1976: 1978: 1981: 1982: 1986: 1989:

168, 362 298 298 144, 359 144, 3 59

I 9° 9 : 383

1910: *9II: 1912: 1913: 1916: 1917; 1918:

432 183 383 432f. 341, 386 427 583, 427 386, 449 186, 294, 427, 432, 433 327, 427 427

I 95 o: 327 , 386

1951: 1952: 1953: 1954:

I 9o i : 157, 43 °

1902: 1903: 1904: 1906: 1907:

377 445 426f. 423 94, 359, 423 386

193, 298, 380 77f-, 298, 426 75- 79, 82> 426, 446

426 427 427 427, 44 '

I 9 I 9 : 294

1920: 427 1921: 390, 426 1922: 94, 377, 426 489

76, 432, 433 76, 280 428 284, 427 219, 428, 432 75, 428, 432f. 75, 428 428 428f. 429 386, 428f. 183, 204, 323, 368, 386, 426, 428, 447 187, 381 381 381, 386, 429 187, 432f. 381, 383, 429 429 429 429 75, 428, 432 188 381, 43zf. 341, 428

W erkregister

1991: 1992: 1993: 1996: 1997: 2001: 2002: 2003: 2004: 2005: 2006: 2007: 2008: 2011: 2012: 2013: 2014: 2016: 2018: 2019: 2020: 2021: 2022: 2023: 2024: 2025: 2026: 2027: 2028: 2029: 2030: 2032: 2034: 2035: 2036: 2037: 2039: 2040: 2041: 2042: 2043: 2044: 2045: 2046: 2047; 2050: 2052: 2054:

369 1 88 188, 164 164, 429, 429 383 429 187 381 429 384 328 188, 328 328 328, 298, 298, 1 88, 298 188, 157 298 359 298 158, 159, 298, 298 328 297 159 362 386 432 328, 386, 328, 386, 328, 432 328, 432 204, 328 386

2055: 433 2057: 432 381

2 0 6 1:

369 449

2062: 432 2068: I59, 359 2069: 447

32 8 , 38 7

2070: 329, 34I, 387

2071: 2074: 2075: 2076: 2077: 2078: 2082: 2083: 2084: 2085: 2086: 2087: 2088: 2094: 2095: 2096: 2097; 2102: 2103: 2104: 2105: 2106: 2107: 2109: 2110: 2114: 2115: 2116: 2II7: 2119: 2120: 2128: 213°; 2132: 2 I 34: 2135; 2137: 2138: 2141: 2147: 2149:

341

433 328, 383 328 433 328, 386

298, 359 298, 362, 381 387

386, 432 432 432 432 386, 432 432f. 386, 433

49°

387 329 329 329, 341 329 384, 432f. 433 329 329 329 168, I92 336 329 207, 369 157, 369t 329 329 168 370 156, 370 1 5jf-» 445 1 35f. 156 329 329, 383 433 433 433 433

426, 433 336 336, 429 359 329 329

183, 329 1 88f., 329 310, 329, 587 209, 250, 301 209, 310 226, 364

N ibelungenlied

2i;o: 2151: 2152: 2153: 2154: 2156: 2159: 2160: 2163: 2164: 2166: 2167: 2168: 2170: 2171 : 2172: 2173: 2174: 2175: 2177: 2178: 2179: 2180: 2182: 2184: 2185: 2188: 2192: 2196: 2197: 2198: 2I 99 : 2200: 2201: 2202: 2203: 2204: 2206: 2208: 2209: 2210: 2211: 2212: 2213: 22x5: 2218: 2219: 2221:

i 6 i , 364 364 234 224, 226 162, 234 234f. 254, 424 234 161 183 161, 253 161, 255, 330 330 255, 330 255, 330 162 162 255, 330 162, 330, 342 162 161 162 352 162 162, 332 186 341 330 253, 333 163, 255 233 255. 352 164 341 233 184, 330 399 188, 204f., 387 163, 187F., 330 387 387 387 387,433 188, 387 205, 341 387 433 203

2222: 2224: 2227: 2228: 2229: 2230: 2231: 2232: 2234: 2233: 2237: 2238: 2239: 2240: 2241: 2242: 2244: 2245: 2246: 2247: 2248: 2249: 2230: 2232: 2233: 2254: 2258: 2260: 2262: 2263: 2264: 2263: 2266: 2268: 2269: 2271: 2272: 2273 : 2274: 2276: 2278: 2279 : 2280: 2281: 2282: 2283: 2284: 2287: 491

183 330 336, 384, 387 163, 232, 341, 370 252, 370 297, 370 163, 252, 294 232 188, 442 188, 252, 384, 387 188, 371 183, 189, 387 188 188, 209 217, 252, 330 330, 341 341 183, 352 188, 332 210, 294, 33O 381, 43O 381 381, 447 381 183, 381 330, 375 183, 352 332 330 184 138 189 330, 433 189, 420 449 189 449 387» 447 » 449 183, 330, 387 331 331 433 204, 387 186 204, 387, 433 433 433 331

W erkregister

2288: 2292: 2294: 2296: 229 9 : 2300: 2302: 2308: 2309: 23 Io: 2317: 2319: 2320: 2324: 2325: 2326: 2328: 2329: 2335: 2336: 2337 : 2338: 2339: 234°: 234 i: 2342: 234;: 2346: 2347 :

433

2348: 2350: 2351: 2352:

4 33

2 3 5 5 : M». 37 2 , 447

331, 433 x88, 256 43 3f. 210, 294, 434 4 3 3 f341 f. 1 57 447 384 189 256 331 184, 189 139 189, 37of., 447 i 89 . 371 257 189, 37of. 336, 360, 371 257, 3 6* 371 184, 189 189 25 7 . 3 4 2 , 4 4 7

2358: 2359: 2360: 2361: 2362: 2363: 2364: 2365: 2366: 2367: 2368: 2369: 237°: 2371: 2372: 2373: 2374: 2375 : 237 6: 2377: 2378: 2379:

433 331 4 33

331, 342 434 362, 371 209

2356: 294 2357 = 33 1 »

383

204f., 209, 219, 387 1 86, 189, 383 43 3f. 378 341, 377f. 168, 378 184, 372 , 4 3 °» 447

149, 298 149, 168, 294, 298, 331 I48f., 298, 372 149, 364 168, 294, 298 150,294 150 i5of., 165, 168 294 i89f., 192, 439, 450 I 9°» l 9 zf > 447 38 7 > 434

I!7> 168, 434 116, 249, 360, 362, 450 116, 1 1 8, 170, 453, 455

N ibelungenlied

Handschriften / Fassungen des ,Nibelungenliedes4* A: 5}, 57, 7°f.» 75 » 79 » 85—87» 89-92, 94 » 97 » 99 f-, 103» 122, M 5, 147. 154, iSzf-, 212, 226, 231, 241, 251, 253, 260, 288, 306, 3M, 339» 342» 39 1 » 420, 421, 423, 433 B: 31 » 52—54, 57»7°f-> 75 ^, 79 » 84-94, 97, 99 » 103, 105, 121, 128, 135, 147, 154, i82f., 21 if., 226, 231, 241, 251, 253, 260, 288, 3o6f., 312, 314, 342, 391, 419» 42of., 423, 428, 433 C: 53f-» 57, 69-71, 75 , 79» 83-87, 89-95, 97, 99, 103, 105, 113, " 7 , i 2». ï28f., 134, 141, i46f., 150, 154, 181-183, 190, 194, i98f., 21 if., 214, 218-220, 225-227, 23if., 238, 240-242, 251, 253f., 257, 260, 267, 269, 273, 287f., 306, 3i2f., 321, 324, 338, 339- 342, 354, 358, 364, 39 1, 415, 4 i 9- 4 2i, 423f., 429, 43 i {D: 54, 79 » 99 £» 12gf > I 34, 142, H6f., 205, 212, 218, 231, 243, 251, 253, 279, 306, 342, 42ofI: 212, 251*4 9

*

J: 79 » 97 , 99» 1 34, 142, M7, 2I 9 > 225, 231, 25 3» 284, 288, 312, 340, 342, 421 K: 288 O: 147 Q: 79, 212, 288 a: 53f-, 79 , 95 , 9 8, i°of., m 6£, 181, 183, 187, 194, 21 if., 219, 225, 227, 251, 253, 273, 288, 306, 312-314, 338-340, 342, 358, 419, 421, 434 b: 54, 79 , 97 , 99 f-» I28f., 134, M6f., 212, 218, 231, 251, 3o6f., 339, 340, 42of., 429, 441 d: 79 » 93, 95, 99 » 101» M4 , M7 » 212, 219, 231, 251, 253, 288, 307, 312, 340, 421 g : 253

h: 79 » 99 > J 34, M7 , 212, 219, 225, 231, 251, 253, 284, 288, 312, 340, 342, 421 k: 57, 70, 72 , 100, i29f., i 34f., 313, 341 1: 288, 306 m: 53, 72, 126, i29f., 135, 288 n: 53, 57, 7°, 72, 79 » 9 8, 100 w: 53

Im Text wurde zwischen Handschriften und Handschriftengruppen unterschieden. Im Register sind letztere unter der jeweiligen Leithandschrift verzeichnet.

49 3

W erkregister

Mittelalterliche Texte A d a m v o n B re m en : G e s t a H a m b u r g e n sis ecclesiae P o n tificu m

A lb r e c h t : J ü n g e r e r T it u r e l A tlilied

Lau rin

437 69h

M o r a n t u nd G a l ie N e id h a r t

21, 20 1, 439

B e o w u lf B iterolf

19 8

und

10 6 , 1 7 5 , 1 9 7

M a x im ilia n L : W e isk u n ig 28 4

N ib e lu n g e n - K la g e 55, io i ,

D ietleib

117,

316

246 2 2 , 24, 3 3, 5 3 h , 5 6 - 7 2 ,

9 5 - 9 8 , i o i f . , 1 1 7 - 1 2 2 , 1 3 6 , 1 5 5 f., 1 6 3 ,

1 4 3 , i8 o f., 1 8 3 - 1 8 5 , 19 0 , 204f., 2 3 8 - 2 4 0 ,

1 6 8 - 1 7 0 , 1 8 5 , 19 0 , 1 9 3 f., 19 6 , 1 9 8 h , 208,

24 9 , 25 6 , 3 1 3 , 3 2 5 , 3 4 2 , 3 5 1 , 3 5 6 - 3 5 8 , 3 8 1 ,

2 1 9 , 22 9 , 2 3 2 , 240 , 3 1 4 , 3 36 E , 3 7 5 , 396,

397f-, 4 1 3 Buch vo n Bern

55,

io i,

1 1 7 , 13 7 , 156, 179,

1 8 2 , i8 4 f . , 3 5 1 , 4 3 4 C id

175

Chrétien de T r o y e s E c k e n lie t Edda

19, 4 5 4

423^» O re n d e l

435 , 439 , 44 zf., 45°“ 45 5 i o 6 f.

O r tn it

55, 106

P r o s a - L a n c e lo t

275, 4 21h

R a b e n sc h la ch t

10 1, 13 7 , 184h , 351

R e in m a r

257

24, 1 1 5 , 2 5 9

16 9 , 2 1 5

R u d o l f v o n E m s : W illeh a lm v o n O rlen s

E ilh a r t v o n O b e r g e : T ristran t

10 6 , 3 5 4

10 6 , 1 5 6 ,

16 6 , 1 7 9 h , 209, 22 0 , 2 2 6 , 240, 2 4 3 , 2 4 5 h ,

S a ch sen sp iegel

275. 3 D , 358, 39° .

S a lm a n u n d M o r o l f

407. 420 E lisa b e th v o n N a ss a u - S a a rb r ü c k e n : H u g e Scheppel

Saxo Gram m aticu s

A n tic h ris ti

172 i 8 f . , 80,

80, 1 7 3 , 2 4 3 , 3 5 4

2 0 - 2 2 , 38, 6 1 , 7 4 h , 7 7 , 8 1,

H ein rich v o n Veldeke: E n e i t

4 12 , 420 V ir g in a l

99

W altharius

i9 4 f,

2 1 , 7 6 , 81

36, 1 8 5 , 18 9

W alther v o n der V o g e lw e id e

*97

W i d u k in d v o n C o r v e y : G e s t a S a x o r u m

10 5 , 307

D e r h ü rnen Seifried

W ir n t v o n G r a v e n b e r g : W ig a lo is

70 , 12 5

W igam u r

8 3, 106, 2 1 0 , 4 4 1

K o n r a d , Pfaffe: R o la n d slied

83£., 1 5 4 ,

W o lfdietrich

W o lf ra m v o n E s c h e n b a c h

K o n r a d v o n W ü r z b u r g : H e in ric h v o n E n gelhart

425, 441

55, 6 5 - 6 8 , 106, i 7 5 f . , 19 6 , 20 5 ,

224, 383, 422, 441

439 75 , 428

197

393

1 8 5 h , 23 5

H e in ric h W itten w iler: D e r R i n g

i 9 7 f . , 2 3 8 f . , 2 4 2 , 2 8 4 , 30of., 3 7 2 , 3 8 1 , 3 8 3 ,

K em pten

18 6 , 2 i 7 f . , 4 0 1 ,

405

6 1 , 64—68

H ildebran tslied

57

106, 1 1 7 , 403

V ölsu n gasaga

75, io if.

H e r b o r t v o n Fritzla r: L ie t v o n T r o y e

K ö n ig R other

75

U lr ic h v o n de m T ü r lin : W illeh a lm

H e ld e n b u c h - P r o s a

H erzog E rn st

237h

U lr ic h v o n Lie chtenstein: F rauend ien st

238, 438

K udrun

S tr a ß b u r g e r A l e x a n d e r

U lr ic h v o n E t z e n b a c h : A l e x a n d e r

59, 2 7 3 , 4 1 9

2 2 4 ,4 19 ,4 5 1

H ein rich v o n M e lk : V o n des todes g e h ü g e de

22

1 4 1 , 1 4 3 , 2 3 6 , 2 5 9 , 307 T h ie t m a r v o n M e r s e b u r g

275. 449 H a r t m a n n v o n A u e : Iw e in

191

S ig u r d a rq u iö a in meiri T h id r e k s s a g a

403

G o t t f r ie d v o n S tr a ß b u r g : T ristan

Erec

246h 24, 4 3 7

S ib ote: F r a u e n z u c h t

424

G e r h o h v o n R eich e rsb erg : D e in vestigatio ne G o ld em ar

88

h alm

3o8f.

37, 243, 4 22

389;

W ille ­

Parzival 57, 2 2 4 240,

273, 366, 419, 424

1 2 2 - 1 2 6 , 190, 1 9 3 , i 9 7 f . , 20 7, 2 2 1 —

W o rm s e r R o s e n g a r te n

95,

io i,

1 1 7 , 143,

2 2 3 , 3oof., 3 1 5 - 3 1 7 , 3 5 4 , 390, 392 , 40 4 f.,

19 0 , 1 9 3 , 19 6 , 2 4 1 , 2 7 8 , 289, 3 4 2 , 389, 392,

4 ° 8f-, 43° . 442

39 6 -3 9 8 , 403, 4 1 5 , 4 22

494